Lehrbuch der physiologischen Chemie 9783111502854, 9783111136356

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Lehrbuch der physiologischen Chemie
 9783111502854, 9783111136356

Table of contents :
Vorwort zur 10. Auflage
Vorwort zur 11. Auflage
Vorwort zur 12. Auflage
Vorwort zur 13. Auflage
Vorwort zur 14. Auflage
Inhaltsübersicht
Einleitung
1. Teil. Die Chemie der Hauptgruppe der Nahrungsstoffe und der Körperbestandteile
Erstes Kapitel. Die Kohlenhydrate
Zweites Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide
Drittes Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide
Viertes Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine
Fünftes Kapitel. Die Nucleinsäuren und ihre Bausteine
2. Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen
Sechstes Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze
Siebentes Kapitel. Säuren und Basen
Achtes Kapitel. Oxydation und Reduktion
Neuntes Kapitel. Kolloidchemische Grundbegriffe: Vorgänge an Grenzflächen
III. Teil. Der Stoffwechsel
Zehntes Kapitel. Die Fermente
Elftes Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels
Zwölftes Kapitel. Die biologische Oxydation
Dreizehntes Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoff ketten ; der Citronensäurecyklus
Vierzehntes Kapitel. Der Kohlenhydratstoffwechsel
Fünfzehntes Kapitel. Der Fettstoffwechsel
Sechzehntes Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel
Siebzehntes Kapitel Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel
Achtzehntes Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung
Neunzehntes Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs
IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe
Zwanzigstes Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete
Einundzwanzigstes Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt
Zweiundzwanzigstes Kapitel. Das Blut
Dreiundzwanzigstes Kapitel. Niere; Urin
Vierundzwanzigstes Kapitel. Muskel- und Nervensystem
Fünfundzwanzigstes Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge
Sechsundzwanzigstes Kapitel. Die Leber
V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen
Siebenundzwanzigstes Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes
Achtundzwanzigstes Kapitel. Innere Sekretion und Hormone
VI. Teil Die. Ernährung
Neunundzwanzigstes Kapitel. Die Vitamine
Dreißigstes Kapitel. Die Spurelemente
Einunddreißigstes Kapitel. Der Nahrungsbedarf
Nachtrag
Bibliographische Hinweise
Sachregister

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LEUTHARDT LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE

LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN C H E M I E B E G R Ü N D E T VON S. E D L B A C H E R

1 4 . , N E U B E A R B E I T E T E U N D E R W E I T E R T E A U F L A G E VON

FRANZ

LEUTHARDT

O R D E N T L I C H E R P R O F E S S O R AN D E R U N I V E R S I T Ä T

ZÜRICH

MIT 76 A B B I L D U N G E N

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J . G Ö S C H E N * S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J . G U T T E N T A G V E R L A G S B U C H H A N D L U N G . G E O R G R E I M E R . K A R L J. T R Ü B N E R VEIT & COMP. . 1959

BERLIN

© Copyright 19-19 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagsbandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Belmer, Earl J. Trübner, Veit & Comp. Berlin W 35 — Alle Rechte, auch die des auszugawelaen Abdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. Archiv-Nr. 52107 59 — Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 36 Druck: Franz Spiller, Berlin SO 36

Vorwort zur 10. Auflage Der verdiente Begründer des „Kurzgefaßten Lehrbuches der physiologischen Chemie", Prof. Dr. S. E d l b a c h e r , ist im Mai 1946 in Basel verstorben. Im gleichen Jahr kam die 9. Auflage seines Lehrbuches heraus. Sie hatte wegen der Ungunst der Zeit die jüngsten Fortschritte der physiologischen Chemie nur zum geringen Teil berücksichtigen können, und es drängte sich daher für die 10. Auflage eine völlige Neubearbeitung des Buches auf. Die rasche Entwicklung der physiologischen Chemie in den vergangenen Jahren hat den Stoff so stark anwachsen lassen, daß auch bei Beschränkung auf das Wesentliche eine Darstellung im Rahmen des früheren Lehrbuches nicht mehr möglich war. Sein Umfang mußte daher beträchtlich erweitert werden. Die hauptsächlichste Schwierigkeit bei der Abfassung eines derartigen Lehrbuches liegt in der Auswahl des Stoffes. Die biochemische Wissenschaft ist heute in raschem Fortschreiten begriffen und erobert beständig neue Gebiete. Es gibt natürlich einen Grundstock von gesichertem Tatsachenmaterial, der jeder Darstellung zugrunde gelegt werden muß. Wie weit aber daneben die zahlreichen Anwendungen der physiologischen Chemie in Biologie und Medizin berücksichtigt werden müssen und wie weit neue, sich erst anbahnende Entwicklungen schon für eine lehrbuchmäßige Darstellung geeignet sind, ist eine Ermessensfrage, die jeder auf seine eigene Weise lösen wird. Dem vorliegenden Buch liegen im großen und ganzen die Vorlesungen zugrunde, die ich seit 1942 in Genf und später in Zürich für die Studenten der Medizinischen Fakultät gehalten habe. Der erste Teil, der die Chemie der Naturstoffe behandelt, ist knapp gehalten. Auf Konstitutionsbeweise, Synthesen usw. wurde nirgends eingegangen. Ihre Kenntnis ist für den Mediziner entbehrlich; der Chemiker wird diese Dinge ohnehin in den ausführlichen chemischen Lehrbüchern nachlesen. Auch die deskriptiven Teile des Buches, in welchen die chemische Zusammensetzung der Organe und Körperflüssigkeiten besprochen werden, beschränken sich auf das Notwendigste. Einzig das Blut ist wegen seiner großen Bedeutung für die Klinik ziemlich ausführlich behandelt worden. Das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung der Stoffwechselvorgänge. Alle Lebenserscheinungen wurzeln letzten Endes im Stoffwechsel; die moderne Biologie und Medizin nehmen eine Entwicklung, in welcher die chemische Betrachtungsweise immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist daher der Besprechung der grundlegenden biochemischen Reaktionen und des Intermediärstoffwechsels ein breiter Raum eingeräumt worden. Auch die Vitamine werden hauptsächlich in ihrer Bedeutung als Stoffwechselfaktoren gewürdigt. Die Abschnitte über die innere Sekretion enthalten eine Darstellung der chemischen und physiologischen Grundtatsachen, wobei hauptsächlich auch die Fragen berück-

Vorwort

VI

sichtigt wurden, die für das Verständnis der klinischen Endokrinologie wichtig sind. Es war überhaupt im ganzen Buch mein Bestreben, die für den Kliniker wichtigen Probleme der Biochemie besonders hervorzuheben. Der Basler Physiologe F r . M i e s c h e r schrieb 1874 an einen Freund: „Die physiologische Chemie besteht aus einem solchen Haufen unzusammenhängender Facta, daß es wenig Sinn hat, noch mehr Häckerling hinzutun zu wollen." Die Kenntnis biochemischer Erscheinungen hat seither große Fortschritte gemacht; aber es gibt auch heute noch auf allen Gebieten der Biochemie zahlreiche isolierte Tatsachen, die wir vorläufig zur Kenntnis nehmen müssen, ohne sie in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Andererseits aber vermögen wir heute doch viele Gebiete soweit zu überblicken, daß wir die grundlegenden biochemischen Vorgänge sinnvoll in den Rahmen des gesamten physiologischen Geschehens einordnen können. Ich habe mich bemüht, die biochemischen Vorgänge soweit als möglich nicht als isolierte Facta, als „Häckerling", darzubieten, sondern ihren gegenseitigen Zusammenhang und ihre Bedeutimg für die allgemeinen Lebenserscheinungen aufzuzeigen. Von Hinweisen auf die Originalliteratur wurde abgesehen. In vielen Fällen wurde, besonders wenn es sich um neuere Untersuchungen handelt, der Name der Autoren beigefügt, um dem im biochemischen Schrifttum bewanderten Leser einen Hinweis zu geben. Ich möchte nicht verfehlen, Frl. M. A m s l e r für ihre treue Hilfe bei der Ausarbeitung des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturen meinen herzlichen Dank auszusprechen. Z ü r i c h , im Mai 1952.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 11. Auflage In der vorliegenden 11. Auflage sind insbesondere die Abschnitte über den Intermediärstoffwechsel durch neuere Ergebnisse ergänzt und überarbeitet worden. Der Citronensäurecyklus wird seiner allgemeinen Bedeutung entsprechend in einem besonderen Kapitel behandelt; ferner ist am Ende des 3. Teils ein kurzes Kapitel über die Photosynthese eingefügt worden. Auf vielfachen Wunsch geben wir am Schluß des Buches, nach Kapiteln geordnet, eine Literaturzusammenstellung, die hauptsächlich Monographien und zusammenfassende Arbeiten enthält. Ebenso sind im Text einige Hinweise auf neuere Arbeiten eingefügt worden. Wir hoffen, dadurch den Zugang zu den Originalarbeiten erleichtert zu haben. Ich möchte wiederum Frl. M. A m s l e r für ihre unermüdliche Hilfe meinen besten Dank aussprechen. Z ü r i c h , im April 1954.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 12. Auflage Soweit als möglich wurden auch in dieser neuen Auflage, die der vorangehenden nach knapp einem Jahr folgt, die wichtigsten neuen Ergebnisse der biochemischen Forschung berücksichtigt und die Literaturhinweise ergänzt. Der Bibliographie wurde ein alphabetisches Autorenverzeichnis beigefügt. Ich bin mir durchaus bewußt, daß beim heutigen Umfang der Biochemie die gleichmäßige Bearbeitung aller Teilgebiete die Kräfte eines einzelnen übersteigt. Ein Buch, wie das vorliegende, wird daher notwendigerweise in der Auswahl des Stoffs und in der Beurteilung noch strittiger Fragen vielfach die persönlichen Neigungen und Anschauungen des Verfassers widerspiegeln. Ich glaube indes aus der freundlichen Aufnahme, die das Buch bisher gefunden hat, schließen zu dürfen, daß der hier eingeschlagene Weg — die starke Betonung der dynamischen Aspekte der Biochemie — gangbar ist und den Wünschen vieler Leser entspricht. Meinen Mitarbeitern und Fachkollegen, die mich auf mannigfache Weise bei der Herausgabe der neuen Auflage unterstützt haben, möchte ich bestens danken. Möge das Buch weiter seinem hauptsächlichsten Zwecke dienen: Junge Mediziner und Chemiker zum vertieften Studium der Chemie der Lebensvorgänge anzuregen! Z ü r i c h , im März 1955.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 13. Auflage In der vorliegenden neuen Auflage wurden die meisten Kapitel überarbeitet, wobei den neuen Ergebnissen der rasch voranschreitenden biochemischen Forschung nach Möglichkeit Rechnung getragen wurde. Ich hätte gerne noch je ein Kapitel über die chemische Organisation der Zelle sowie die Biochemie des Krebses beigefügt, mußte aber wegen Zeitmangels darauf verzichten. Ich hoffe, diese Ergänzung in einer nächsten Auflage nachholen zu können. Die Literaturhinweise im Text wurden wesentlich vermehrt; auch die Bibliographie am Schluß des Buches, welche hauptsächlich eine Auswahl zusammenfassender Darstellungen enthält, wurde ergänzt. Bei der Ausarbeitung der neuen Auflage wurde ich wieder durch Frau M. SchillerAmsler unterstützt, welcher ich für ihre unermüdliche Hilfe den herzlichsten Dank sagen möchte. Zürich, im März 1957.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 14. Auflage Die einzelnen Kapitel wurden einer gründlichen Revision unterzogen, und ich hoffe, daß auch die neue Auflage dem Mediziner und dem Chemiker ein Bild von der Mannigfaltigkeit der chemischen Erscheinungen des Lebens zu geben vermag. Die Biochemie beginnt heute alle Gebiete der biologischen Wissenschaften zu durchdringen, und es scheint, daß sie berufen ist, in viele alte und grundlegende Probleme der Biologie und Medizin Licht zu bringen. Einige Sorgen hat mir die richtige Auswahl der Literaturhinweise bereitet. Dieselben sollen einzig dem Zweck dienen, den Zugang zum Schrifttum zu erleichtern. Selbstverständlich kann in einem Lehrbuch nicht jede Tatsache durch ein Literaturzitat belegt werden; ich bin mir bewußt, daß die einzelnen Gebiete in dieser Hinsicht etwas ungleich bedacht sind. Die Auswahl der Zitate ist Ermessensfrage, ihre „Dichte" spiegelt z. T. die Aktualität der Probleme und z. T. natürlich auch die persönlichen Interessen des Verfassers wider. Frau Schiller-Amsler hat mich bei der Ausarbeitung des Manuskriptes und beim Lesen der Korrekturen wieder mit gewohnter Zuverlässigkeit unterstützt, wofür ich ihr herzlich danken möchte. Zürich, im Juni 1959.

F. L e u t h a r d t

Inhaltsübersicht Einleitung I. Teil. Die Chemie der Hanptgrnppen der Nahrungsstolle und Körperbestandteile

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1

7

1. Kapitel. Die Kohlenhydrate 1. Definition und Nomenklatur 2. Monosaccharide A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen B. Stereochemie der Zucker C. Bingstruktur der Zucker D. Die verschiedenen Gruppen der Monosaccharide 3. Disaccharide, Oligosaccharide 4. Polysaccharide: Stärke, Glycogen, Cellulose, Inulin 5. Pectin, Hemicellulose, Lignin, Pflanzengummi und -schleime 6. Mucopolysaccharide

7 7 9 9 13 19 24 30 33 36 37

2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide 1. Fette A. Bausteine B. Struktur der Fette 2. Wachse 3. Phosphatide und Cerebroside A. Phosphatide B. Cerebroside

41 41 41 43 44 46 45 50

3. Kapitel. Sterine, GaUensäuren, Carotinoide 1. Sterine und Steroide 2. Gallensäuren 3. Carotinoide (Lipochrome)

52 52 59 60

4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine 1. Aminosäuren A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren B. Derivate der Aminosäuren C. Die einzelnen Aminosäuren D. Die Stereochemie der Aminosäuren E. Nachweis- und Bestimmungsmethoden der Aminosäuren 2. Peptide 3. Eiweißkörper A. Einteilung der Eiweißkörper B. Beaktionen der Proteine C. Die Analyse der Eiweißkörper D. Die Struktur der Proteine E. Das Molekulargewicht der Proteine F. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Proteine a) Die Proteine als Elektrolyt» b) Elektrophorese c) Die Löslichkeit der Proteine d) Die Wechselwirkung zwischen Salzen und Proteinen

65 65 65 67 68 75 77 81 84 85 88 90 92 99 101 101 105 108 109

X

Inhaltsübersicht Seite

5. Kapitel. Die Nucleinsäuren und ihre Bausteine 1. Allgemeines 2. Das Kohlenhydrat 3. Die stickstoffhaltigen Bausteine 4. Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren 5. Die Struktur der Nucleinsäuren 6. Anhang: Die Pteridine II. Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen

114 114 114 115 117 119 124 126

6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze 1. Die Gesetze der verdünnten Lösungen A. Die ideale Lösung B. Dampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels C. Gefrierpunktsdepression D. Löslichkeit und Partialdruck leichtflüchtiger Substanzen (Gase) E. Der Verteilungskoeffizient F. Osmotischer Druck 2. Elektrolyte

126 126 126 127 127 128 129 129 131

7. Kapitel. Säuren und Basen 1. Massenwirkungsgesetz 2. Definition der Säuren und Basen 3. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen 4. Pufferlösungen 6. Aktivität der Ionen 6. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration

133 133 134 136 141 143 146

8. Kapitel. Oxydation und Reduktion 1. Der Begriff der Oxydation 2. Das Oxydations-Reduktionspotential

149 149 153

9. Kapitel. Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen 1. Sole und Gele 2. Adsorption 3. Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie A. Die Chromatographie B. Verteilungschromatographie; Papierchromatographie C. Ionenaustauscher

158 160 162 166 166 168 170

III. Teil. Der Stoffwechsel 10. Kapitel. Die Fermente 1. Allgemeine Charakteristik der Fermente 2. Reaktionskinetik 3. Chemische Natur der Fermente A. Allgemeine Eigenschaften der Fermente B. Reindarstellung der Fermente 4. Verbindung von Ferment und Substrat 5. Einteilung der Fermente 6. Hydrolasen A. Desaminasen B. Proteasen

172 172 172 177 179 180 182 184 188 190 190 192

Inhaltsübersicht

XI Seite

C. Esterasen D. Carbohydrasen a) Glycosidasen, speziell Hexosidasen b) Polyasen 7. Kurze Übersicht über die anderen Gruppen (II—VI) A. Phosphorylasen (II) B. Hydratasen (III) C. Desmolasen (IV) D. Gruppenübertragende Fermente (V) E. Isomerasen (VI) F. Fermente der Oxydo-Reduktion (VII)

201 205 205 208 211 211 211 212 213 216 216

11. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

216 221

12. Kapitel. Die biologische Oxydation 1. Die eisenhaltigen Atmungsfermente A. Das „sauerstoffübertragende" Ferment B. Die Cytochrome C. Katalase und Peroxydasen (Hydroperoxydasen) 2. Die wasserstoffübertragenden Fermente A. Die Dehydrierung der organischen Stoffe B. Die wasserstoffübertragenden Cofermente 3. Die Atmungskette 4. Spezielle Redoxsysteme 5. Oxydation durch molekularen Sauerstoff 6. Mechanismus der Dehydrierungen

226 227 227 232 234 236 236 239 246 252 256 257

13. Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus 1. Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds

259 261 274

14. Kapitel. Der Kohlenhydratstoffwechsel 279 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlenhydrate 279 2. Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlenhydrate 281 A. Alkoholische Gärung und Glycolyse 283 B. Andere Gärungsformen; weitere Reaktionen der C 3 -Körper 294 C. Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese 298 D. Der Stoffwechsel der Fructose und der Galactose 303 E. Bildung der Ribose; direkte Oxydation der Glucose 307 F. Synthese der glycosidischen Bindung; die Transglycosidasen 308 G. Der oxydative Abbau der Kohlenhydrate 311 3. Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Gluconeogenese 314 4. Weitere Produkte des Kohlenhydratstoffwechsels 320 5. Verteilung und Verbrauch der Kohlenhydrate im Organismus; die Regulation des Blutzuckers 322 6. Der Diabetes mellitus 339 15. Kapitel. Der Fettstoffwechsel 1. Die Verdauung der Fette 2. Absorption und Verteilung

346 346 346

XII

Inhaltsübersicht 3. Die Bildung und gegenseitige Umwandlung der Fettsäuren 4. Der Abbau und die Synthese der Fettsäuren; Bedeutung der aktivierten Essigsäure im Fettsäurestoffwechsel 5. Die Bildung der Acetonkörper (Ketogenese) 6. Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren 7. Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel 8. Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen 9. Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren

Seite

349

351 360 364 365 367 368

16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel 373 1. Aufnahme der Eiweißkörper 373 A. Die Verdauung der Eiweißkörper 373 B. Resorption und Speicherung 374 2. Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper 376 3. Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes 386 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren 392 A. Phenylalanin und Tyrosin 393 B. Tryptophan 398 C. Histidin 403 D. Cystin (und Cystein), Methionin 406 E. Arginin, Lysin 414 F. Prolin 417 G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin 418 H. Serin und Threonin 420 I. Glycocoll 422 K. Valin und Isoleucin 423 5. Abbau der Aminosäuren durch Mikroorganismen 424 6. Aminosäuren und Entgiftungs-(Detoxikations-)vorgänge 429 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung 432 8. Die unentbehrlichen Aminosäuren 438 9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum 441 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine 443 11. Das Stickstoffgleichgewicht 444 12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas 445 13. Die Synthese der Peptide und Proteine 448 A. Die Synthese der Peptidbindung 448 a) Umkehrung der hydrolytischen Spaltung 449 b) Aminosäurenaustausch 450 c) ATP-abhängige Peptidsynthesen 451 B. Die Synthese des Proteinmoleküls 454 14. Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel 456 17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel 1. Abbau und Bildung der Nucleotide und Nucleinsäuren 2. Synthese des Purin- und Pyrimidingerüsts 3. Stoffwechsel der Cofermente 4. Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper

459 459 468 474 475

18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung 479 1. Thermodynamische Vorbemerkungen 479 2. Die Rolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen 484

Inhaltsübersicht

XIII Seite

3. Glycolytische (anaerobe) Phosphorylierung 492 4. Oxydative Phosphorylierung 494 5. ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge 503 A. Die Rolle des ATP und der organischen Phosphate bei biochemischen Synthesen 603 B . Coenzym A-abhängige Reaktionen: Acetylierung, Citronensäure- und Fettsäuresynthese 511 19. Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs 1. Die Kohlensäureassimilation (Photosynthese) in den grünen Pflanzen A. Das Chlorophyll B . Die chemischen Vorgänge der Photosynthese 2. Die Assimilation des Stickstoffs IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe

516 517 517 519 529 532

20. Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete 1. Der Speichel 2. Der Magensaft 3. Der Pankreassaft 4. Das Sekretin 5. Die Galle 6. Der Darmsaft 7. Der allgemeine Verlauf der Verdauung

532 533 534 537 538 539 541 542

21. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt 1. Verteilung des Wassers und der Ionen 2. Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor 3. Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren 4. Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes

545 546 553 554 561

22. Kapitel. Das Blut 1. Zusammensetzung 2. Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts 3. Die Plasmaproteine 4. Die Blutgerinnung 5. Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff A. Das Hämoglobin a) Allgemeine Eigenschaften b) Die Porphyrine c) Das Globin d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins B . Die Hämatopoese a) Die Synthese der Porphyrine b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel c) Die Bedeutving des Kupfers für die Hämoglobinbildung d) Andere Nahrungsfaktoren C. Der Abbau des Blutfarbstoffes a) Der Gallenfarbstoff; seine Bildung aus dem Hämoglobin b) Die Bildung des „Urobilins" aus dem Gallenfarbstoff 6. Die Porphyrie

561 561 565 570 577 585 586 586 588 592 592 596 596 599 602 602 603 603 606 611

23. Kapitel. Niere; Urin 1. Die Harnsekretion 2. Die „Clearance"

613 613 615

XIV

Inhaltsübersicht Seite

3. Der Stoffwechsel der Niere 4. Niere und Blutdruck 5. Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile A. Harnstoff B. Kreatinin und Kroatin C. Harnsäure D. Aminosäuren und Derivate E. Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) F. Kohlenhydrate G. Proteine H. Farbstoffe des Urins a) Blutfarbstoff b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen" c) Porphyrine d) Uroerythrin e) Urorosein f) Melanine g) Ehrlichsehe Diazoreaktion I. Wirkstoffe K. Anorganische Stoffe, Säuren und Basen L. Harnsediment und Harnsteine 6. Anhang: Das Sperma

618 618 620 620 621 622 622 623 629 632 632 632 633 634 634 634 635 635 635 636 637 639

24. Kapitel. Muskel- und Nervensystem 1. Muskel A. Der Kohlenhydratstoffwechsel des Muskels B. Die Proteine des Muskels und die Muskelkontraktion C. Der Kreatinstoffwechsel 2. Das Nervensystem A. Nervenleitung B. Stoffwechsel des Nervensystems C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven

640 640 641 645 657 658 658 662 662

25. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe 2. Haut und Bindegewebe 3. Knochen- und Calciumstoffwechsel A. Aufbau des Knochens B. Verkalkung des Knochens C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen für die Verknöcherung

663 663 666 668 668 671 672

D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

674

26. Kapitel. Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel)

676

V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen

680

27. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe 2. Die entwicklungsmechanische Induktion

680 682 685

28. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone 1. Chemische und nervöse Steuerung

686 686

Inhaltsübersicht 2. Allgemeines über die Bedeutimg der inneren Sekretion 3. Die Schilddrüse A. Chemie des Schilddrüsenhormons B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons C. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse D. Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe E. Störungen der Schilddrüsenfunktion 4. Die Nebenschilddrüsen A. Wirkungen des Parathormons B. Klinische Bedeutung 5. Die Nebennierenrinde A. Ausfallserscheinungen B. Die Rindenhormone C. Die biologische Wirkung der Rindenhormone D. Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse E. Addisonsche Krankheit F. Bildung der Steroidhormone in der Nebennierenrinde 6. Das Nebennierenmark 7. Die Langerhans sehen Inseln des Pankreas 8. Die Hypophyse A. Übersicht B. Das Wachstumshormon (somatotropes Hormon, STH) C. Funktionen des Hypophysenhinterlappens (Neurohypophyse) D. Funktionen des Mittellappens 9. Die endokrine Steuerung der Fortpflanzungsvorgänge A. Die gonadotropen Hormone der Hypophyse und der Placenta B. Die Hormone der Gonaden C. Übersicht über die chemische Struktur der wichtigsten Sexualhormone und verwandter Steroide D. Der Genitalcyklus E. Gravidität F. Endokrine Steuerung der sexuellen Differenzierung, der Entwicklung und des Wachstums VI. Teil. Die Ernährung 29. Kapitel. Die Vitamine 1. Einleitung; Übersicht 2. Vitamin A 3. Die D-Vitamine 4. Vitamin E 5. Vitamin K 6. „Vitamin F " 7. Vitamin B t 8. Vitamin B 2 9. Vitamin B , 10. Antipellagra-Vitamin 11. Biotin (Vitamin H) 12. meso-Inosit (i-Inosit) 13. Pantothensäure

XV Seite

688 690 690 694 696 697 698 699 699 702 703 704 704 706 710 712 712 715 717 718 718 721 724 727 727 727 731 738 742 744 746 750 750 750 754 761 768 770 772 772 777 780 783 786 789 790

XVI

Inhaltsübersicht 14. 15. 16. 17. 18.

Die Folsäuregruppe p-Aminobenzoesäure und Sulfanilamid; Theorie der ,,Antivitamine" Vitamin B 1 2 (Erythrotin, Cobalamin) Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe Vitamin C

30. Kapitel. Die Spurelemente 1. Allgemeines 2. Einzelne Spurelemente A. Kupfer B. Kobalt C. Zink D. Mangan 3. Die Spurelemente als Nahrungsfaktoren 31. Kapitel. Der Nahrungsbedarf 1. Der Energiestoffwechsel A. Das Isodynamiegesetz B. Der respiratorische Quotient C. Berechnung des Energieumsatzes D. Der Grundumsatz (Basalstoffwechsel) E. Die „spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe 2. Die Kostformen 3. Die Nahrangsmittel A. Milch und Milchprodukte B. Fleisch C. Nahrungsfette D. Cerealien E. Zucker und Süßigkeiten F. Kartoffeln G. Blattgemüse H. Leguminosen I. Früchte 4. Die allgemeine Bedeutung der Ernährungslehre Nachträge und Ergänzungen

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Bibliographische Hinweise

858

Sachregister

893

Einleitung Die Aufgabe der physiologischen Chemie liegt in der Erforschung des stofflichen Aufbaus und der chemischen Umsetzungen der lebenden Substanz. Wenn wir die Entwicklung der physiologischen Chemie aus ihren Anfängen verfolgen, so erkennen wir, daß sie hauptsächlich drei verschiedene Forschungsrichtungen in sich vereinigt. Als erste ist die chemische Erforschung der Naturstoffe zu nennen. Die „organische" Chemie war ursprünglich derjenige Zweig der Chemie, der sich mit den Produkten des Tier- und Pflanzenreiches befaßte. Organische und physiologische Chemie waren also in ihren Anfängen identisch. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war auf Grund der herrschenden naturphilosophischen Anschauungen der Glaube allgemein verbreitet, daß die Verbindungen organischen Ursprungs nur durch die Tätigkeit der lebenden Organismen gebildet werden könnten. Die Harnstoffsynthese Wöhlers (1820), welcher in rascher Folge die Darstellung weiterer organischer Verbindungen folgte, erbrachte den Beweis, daß die Bedingungen für die Entstehung „organischer" Stoffe auch in vitro realisierbar sind. Auch heute noch stellt die Erforschung der chemischen Konstitution der Naturstoffe einen wichtigen und für die physiologische Chemie grundlegenden Zweig der chemischen Forschung dar. Es ist klar, daß die genaue Kenntnis der Stoffe, welche die lebende Substanz aufbauen, die erste Voraussetzung für das Verständnis der biochemischen Vorgänge ist. Wir sehen denn auch, daß die physiologische Chemie auf allen ihren Entwicklungsstufen den Stand der organischen Chemie widerspiegelt. Die Lösung der biochemischen Probleme konnte immer nur so weit gefördert werden, als die Chemie dazu den Boden vorbereitet hatte. Umgekehrt hat aber auch die chemische Forschung von der Biologie starke Impulse empfangen; insbesondere ist in neuerer Zeit durch die Entdeckung der Hormone und der Vitamine die organische Chemie vor neue Aufgaben gestellt und in mancher Hinsicht gefördert worden. Eine andere Forschungsrichtung hat ihren Ausgangspunkt in der Physiologie. Zwar ist für das Verständnis vieler physiologischer Funktionen der stoffliche Aufbau der Organe nur von sekundärer Bedeutung. Zum Beispiel können die Bewegungen des Körpers aus dem Bau des Skeletts und der Anordnung der Muskeln erklärt werden, ohne daß man dabei auf den Stoffwechsel der Muskeln oder den chemischen Aufbau der Knochen Bezug zu nehmen braucht. Für das Verständnis des dioptrischen Apparates des Auges ist die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der brechenden Medien unnötig, wenn man nur ihre Brechungsexponenten und die Lage und Krümmung der brechenden Flächen kennt. Auch die Organisation des Nervensystems kann völlig verstanden werden, ohne daß man über die feineren chemischen Vorgänge der Nervenleitung etwas wissen muß, usw. 1 L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

2

Einleitung

Die Physiologen sind aber schon sehr früh auch auf Erscheinungen gestoßen, die ihrer Natur nach chemische Vorgänge sind oder bei denen jedenfalls chemische Veränderungen eine wesentliche Rolle spielen. Hierher gehören z. B. die Atmung, die Assimilation der Kohlensäure durch die grünen Pflanzen, die Verdauung der Nahrung beim Tier, die Umwandlung der Nährstoffe in die Körpersubstanz, die Bildung der Sekrete und Exkrete, die Gärung und die Fäulnis organischer Substanzen, die Blutgerinnung und vieles andere mehr. Als eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entdeckungen muß wohl die Feststellung L a v o i s i e r s gelten, daß im Tierkörper Verbrennungen stattfinden, durch welche Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure gebildet wird. Diese Entdeckung bewies, daß die grundlegenden Lebensprozesse, nämlich die Respiration und die Bildung der tierischen Wärme, chemischer Natur sind. In dem Maße, wie die Kenntnis der organischen Stoffe fortschritt, wurden auch immer mehr chemische Umsetzungen bei Tieren und Pflanzen bekannt; man erkannte allmählich, daß die ständige Umwandlung der Nährstoffe und Baustoffe, Aufbau und Verbrennung zum Wesen der Lebensvorgänge gehören. L i e b i g sprach die „tiefe Überzeugung aus, daß die Chemie allein in die Lebensprozesse Licht zu bringen vermag"; Th. S c h w a n n hat (1839) die Gesamtheit der chemischen Umwandlungen, die sich in den lebenden Zellen oder durch die Aktivität der Zellen im umgebenden Milieu abspielen, unter dem Namen der „metabolischen Erscheinungen" zusammengefaßt (vom griechischen T6 pieTaßoAiKÖv, was Umwandlungen hervorbringt oder erleidet). Wir bezeichnen die Summe dieser Reaktionen heute als den Stoffwechsel. Das Studium der Stoffwechselvorgänge bildet einen der wichtigsten Gegenstände der biochemischen Forschung. Man erkannte schon frühzeitig, daß viele Stoffe im Tierkörper oder in der Pflanze, also im Kontakt mit der lebenden Substanz, andersartig reagieren als im Reagensglas. Die auffallendste Tatsache besteht darin, daß Verbindungen, die in wässeriger Lösimg und bei Körperwärme durchaus stabil sind und keinerlei Veränderungen zeigen, in den tierischen Geweben Spaltungen erleiden oder durch den Luftsauerstoff oxydiert werden. B e r z e l i u s vermutete eine besondere „katalytische Kraft" als Ursache dieser Erscheinung. Es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, den Begriff der „Katalyse" zu präzisieren. Wir wissen aber heute, daß die biochemischen Umsetzungen tatsächlich katalytische Reaktionen sind; sie werden durch besondere, von den Organismen produzierte Stoffe, die Fermente, hervorgerufen. Der Entdeckung der Fermentwirkungen entsprang die Aufgabe, nicht nur die Umwandlungen festzustellen, welche die organischen Moleküle im Stoffwechsel erleiden, sondern auch die Natur und die Wirkungsweise der Stoffe zu erforschen, welche diese Umwandlungen ermöglichen und die daher als die chemischen Werkzeuge der Organismen betrachtet werden können. Es entstand auf diese Weise ein neuer Zweig der biochemischen Forschimg: die Fermentchemie. Sie bildet heute das eigentliche Kernstück der Biochemie, weil jede Stoffwechselreaktion schließlich auf die Tätigkeit bestimmter Fermente zurückgeht. Unter den chemischen Problemen der Physiologie, die wir oben genannt haben, ist die Ernährung eines der wichtigsten. Die Frage, worin die Bedeutung der Nährstoffe besteht und auf welche Weise sie in die Körpersubstanz umgewandelt werden, hat seit der Zeit L a v o i s i e r s die Chemiker und Physiologen intensiv beschäftigt und hat viel zur chemischen Erforschung der Lebensvorgänge beigetragen. Auf die Entwicklung der modernen Ernährungslehre sind vor allem die Arbeiten J . v . L i e b i g s von großem Einfluß gewesen. L i e b i g hat die Bedeutung der Proteine klargestellt, indem er zeigte, daß sie als „plastische" Nährstoffe dem Aufbau der Körpersubstanz dienen; er stellte sie den Kohlenhydraten und Fetten als den eigentlichen „Brenn-

Einleitung

3

Stoffen" des Körpers gegenüber; er hat die Bedeutung der Mineralstoffe für die Ernährung der Pflanzen und Tiere erkannt und hat schließlich als erster auf die großen Zusammenhänge zwischen pflanzlichem und tierischem Leben und den Kreislauf der Stoffe in der Natur hingewiesen. Seine Ideen wirkten in mancher Richtung weiter und befruchteten die Forschung der nachfolgenden Generation. Eine spätere Arbeitsrichtung, die in ihren ersten Anfängen ebenfalls auf L a v o i sier und L i e b i g zurückgeht, beschäftigte sich mit dem energetischen Aspekt der Ernährung. Sie hat die Methoden zur Erforschung der Energiebilanz geschaffen und gipfelt einerseits im Beweis, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik auch für die Organismen gilt, andererseits im R u b n e r sehen Isodynamiegesetz. Etwa zu Beginn unseres Jahrhunderts, in ihren ersten Ansätzen schon etwas früher, setzten die Arbeiten ein, welche schließlich zur Entdeckung der Vitamine und der übrigen essentiellen Nahrungsfaktoren führten. Diese Arbeiten zeigten, daß der Nahrungsbedarf der Tiere durch die bisher bekannten Nährstoffe und Mineralstoffe nicht gedeckt werden kann, sondern daß der tierische Organismus noch kleiner Mengen besonderer organischer Verbindungen bedarf, die er offenbar nicht selbst aufbauen kann. Die meisten dieser Verbindungen sind als Bestandteile von Fermentsystemen, als Cofermente, erkannt worden. Sie haben also katalytische Funktionen und daraus erklärt sich ihre Wirksamkeit in Mengen, die, verglichen mit dem Bedarf an Bau- oder Brennstoffen, sehr klein sind. In ähnlicher Richtung bewegten sieh die Untersuchungen über den Nährwert der Proteine. Sie haben zur Kenntnis geführt, daß den höheren Tieren eine Anzahl Eiweißbausteine in der Nahrung zugeführt werden müssen, weil der tierische Organismus zu deren Synthese nicht iahig ist. Diese Verbindungen stellen also die eigentlichen „plastischen" Nährstoffe L i e b i g s dar. Mit den Vitaminen lassen sich gewisse Metalle wie Kupfer, Mangan, Kobalt oder Nichtmetalle wie Jod und Bor vergleichen, die in den pflanzlichen und tierischen Geweben zwar nur in kleinsten Mengen vorkommen, aber trotzdem lebensnotwendig sind. Man faßt sie gewöhnlich unter dem Namen der Spurelemente oder Oligoelemente zusammen. Die Auffindung der Vitamine stellte die Forschung vor zwei Aufgaben: die Aufklärung ihrer chemischen Struktur und ihrer Bedeutung für den Zellstoffwechsel. Die erste Aufgabe ist von den Chemikern weitgehend gelöst worden. Auch über ihre Funktion im Stoffwechsel wissen wir in vielen Fällen Bescheid. Wir kennen eine Reihe von Fermentsystemen, an welchen Vitamine als Cofermente beteiligt sind. Es zeigt sich, daß sie alle in die grundlegenden Stoffwechselprozesse der Zelle eingreifen und wahrscheinlich für alle Organismen, Tiere und Pflanzen, Bedeutung haben. Die Vitaminforschung hat sich heute weitgehend mit der Fermentforschung vereinigt. Die modernen Untersuchungen über unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine und Spurelemente bringen die mehr als ein Jahrhundert dauernden Bemühungen zu einem gewissen Abschluß, den Nahrungsbedarf der Pflanzen und Tiere chemisch exakt zu definieren. Eine große Zahl chemischer Fragen ergab sich ferner aus der Entdeckung der inneren Sekretion. Es ist, beginnend mit dem Adrenalin, der organischen Chemie gelungen, einen beträchtlichen Teil der bekannten Hormone in reinem Zustand zu isolieren und ihre Struktur aufzuklären. In ähnlicher Weise wie bei den Vitaminen stellt sich auch hier die Frage nach dem Wirkungsmechanismus der Stoffe, die als „chemische Sendboten" von den innersekretorischen Drüsen ans Blut abgegeben werden. Da alle Hormone spezifisch auf bestimmte Gewebe oder bestimmte Vorl*

4

Einleitung

gänge einwirken, muß sich ihre biologische Aktivität letzten Endes auch als chemische Reaktion verstehen lassen. Unsere Kenntnisse sind hier allerdings noch sehr dürftig. Eine Reihe von biochemischen Problemen hat schließlich ihre Quelle in der Beobachtung des Kranken in der Klinik. Jeder krankhafte Prozeß ist von lokalen oder allgemeinen Änderungen der Stoffwechselvorgänge begleitet und gibt daher Gelegenheit zur Beobachtung biochemischer Erscheinungen. Besonders auffällig sind vielfach die Veränderungen der Exkrete; die Trübung des Harns im Fieber, das Auftreten bestimmter Pigmente, die Ausscheidung von Zucker, der Ammoniakgeruch des Atems bei Nierenkranken, der Acetongeruch bei Zuckerkranken sind den Ärzten schon sehr lange bekannt. Viele den Stoffwechsel betreffenden Fragestellungen sind denn auch von der Klinik ausgegangen. So haben z. B. die Bemühungen um die Aufklärung der Zuckerkrankheit die Erforschung des Kohlenhydratstoffwechsels in mannigfacher Weise angeregt und gefördert; der Untersuchung der seltenen Alkaptonurie sind wichtige Erkenntnisse über den Abbau der Aminosäuren entsprungen, das Auftreten der Porphyrine im Harn hat den Anstoß zur Erforschung der Hämine gegeben usw. Eine große Rolle haben vor allem auch die endokrinen Störungen gespielt. Verschiedene, den Ärzten seit langem bekannte Krankheitsbilder haben sich als Folge einer mangelnden oder einer überschießenden Produktion bestimmter Hormone zu erkennen gegeben (auch die Zuckerkrankheit gehört dazu). Die Klinik hat schon früh der Physiologie eine Reihe von Hinweisen auf die Bedeutung der heute als endokrine Drüsen bezeichneten Organe gegeben, ehe man sich über deren Funktion eine genaue Vorstellung machen konnte. Schließlich waren die Mangelkrankheiten wie der Skorbut oder die Beriberi einer der Ausgangspunkte für die Erforschung der Vitamine. Die Summe der chemischen Reaktionen, die sich in den Zellen abspielen, Abbauvorgänge und Synthesen, wird gewöhnlich unter dem Namen des I n t e r m e d i ä r s t o f f w e c h s e l s zusammengefaßt. Die Aufklärung der Zwischenraktionen des Stoffwechsels bildet eines der Hauptanliegen der biochemischen Forschung. Zahlreiche komplexe Vorgänge wie die Atmung, die Glycolyse, der Abbau der Kohlenhydrate und Fettsäuren konnten in ihre Einzelreaktionen aufgelöst werden. Man lernte die Wege kennen, die zum Aufbau vieler biologisch wichtiger Verbindungen, wie des Harnstoffs, der Aminosäuren, der Purine, der Porphyrine, des Cholesterins und anderer, führen. So besitzen wir heute einen recht guten Einblick in das Getriebe des Stoffwechsels und in die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Vorgängen. Wir können uns ein Bild davon machen, wie Abbau und Synthese miteinander verknüpft sind und auf welche Weise die chemische Energie der Nährstoffe ausgenützt werden kann. Die physiologische Chemie gewinnt heute für viele Zweige der Medizin eine steigende Bedeutung, sei es für das Verständnis der Krankheitserscheinungen, sei es für die Diagnostik oder die Therapie. Je mehr sich die Kenntnis der Stoffwechselreaktionen vertieft, desto eher wird es auch möglich sein, die den krankhaften Zuständen zugrunde liegenden chemischen Vorgänge zu erfassen. Eine gewaltige Ausdehnung hat die Kenntnis der chemischen Werkzeuge der Zelle, der Enzyme, erfahren. Dank der Entwicklung der Eiweißchemie, welche die Methoden für die Isolierung und Charakterisierung der hochempfindlichen Proteine erst schaffen mußte, ist die Reindarstellung zahlreicher Enzyme möglich geworden, und dies war wiederum die Voraussetzung für die genauere Erforschung ihrer Eigenschaften, Spezifität und Wirkungsweise. Wir sehen hier ein Gebiet vor uns, das sich in voller

Einleitung

5

Entwicklung befindet und sich allmählich auch den exakten Methoden der modernen organischen und physikalischen Chemie aufschließt. Die vorstehenden Hinweise dürften genügen, um das Gebiet der physiologischen Chemie in großen Zügen zu umschreiben. Sie ist ein Grenzgebiet zwischen der Chemie, der Physiologie und der Medizin. Wir fassen sie hier aber in erster Linie als eine biologische Wissenschaft auf, d.h. wir betrachten die chemischen Vorgänge in den Organismen als eine ihrer Lebensäußerungen und suchen, soweit dies heute schon möglich ist, ihre Bedeutung im Rahmen der gesamten physiologischen Funktionen zu erfassen. Die physiologische Chemie ist daher nicht ein Teilgebiet irgendeiner der anderen biologischen Wissenschaften in dem Sinne, daß sie sich nur mit einzelnen Funktionen oder Organen beschäftigen würde. Sie umfaßt die Gesamtheit der Lebenserscheinungen, soweit dieselben als chemische Vorgänge begriffen werden können. Natürlich ist auch diese Betrachtungsweise einseitig und vermag nur einen einzelnen beschränkten Aspekt der Lebenserscheinungen zu geben. Da aber die Vorgänge, durch welche die lebende Substanz sich selbst erhält, ihrem Wesen nach chemischer Natur sind, führt uns die physiologische Chemie bis an die Grundlagen der Lebenserscheinungen heran, soweit diese naturwissenschaftlich überhaupt erfaßt werden können. Wir haben in diesem Buch den Stoff folgendermaßen eingeteilt: der erste Teil behandelt in gedrängter Form die Chemie der wichtigsten N a t u r s t o f f e und ihrer Bausteine; der zweite Teil rekapituliert einige physikalisch-chemische Gesetze und ihre Anwendung in der Biochemie; der dritte Teil ist der Besprechung des S t o f f w e c h s e l s und der F e r m e n t e gewidmet; im vierten Teil werden einzelne O r g a n s y s t e m e und K ö r p e r f l ü s s i g k e i t e n behandelt; der fünfte Teil befaßt sich mit dem Problem der chemischen R e g u l a t i o n und der sechste mit der Ernährung.

1. T e i l

Die Chemie der Hauptgruppe der Nahrungsstoffe und der Körperbestandteile Erstes Kapitel Die Kohlenhydrate 1. Definition und Nomenklatur Zu den Kohlenhydraten gehören in der Natur weitverbreitete Stoffe wie die verschiedenen Zuckerarten, die Stärke, die Cellulose. Die einfachsten Verbindungen sind gemäß der Bruttoformel C n H2 n 0„ zusammengesetzt; man kann sie also schematisch aus Kohlenstoff und Wasser (C + H 2 0) aufgebaut denken. Diese Tatsache soll durch den Namen K o h l e n h y d r a t (eingeführt von K. S c h m i d t 1844) ausgedrückt werden. Die Kohlenhydrate zerfallen in zwei Gruppen: 1. die einfachen Kohlenhydrate oder Monosen oder Monosaccharide, welche meistens der oben angegebenen Bruttoformel C n H 2n O n entsprechen, und 2. die zusammengesetzten Kohlenhydrate, welche aus den ersteren durch Zusammenlagerung unter Wasseraustritt entstehen und dementsprechend durch Hydrolyse in Monosaccharide zerlegt werden können. Die einfachen Kohlenhydrate sind Aldehyd- oder Ketoalkohole. Sie können als Oxydationsprodukte mehrwertiger Alkohole aufgefaßt werden, die dadurch entstanden sind, daß eine der primären oder sekundären Hydroxylgruppen zur Carbonylgruppe oxydiert worden ist. Das einfachste Beispiel eines zweiwertigen Alkohols ist das Glycol; durch Oxydation dereinen der beiden CH2OH-Gruppen entsteht daraus der G l y c o l a l d e h y d , der dementsprechend als einfachstes Kohlenhydrat aufgefaßt werden kann: CHjOH !H2OH CHjCH + 0 = 1 H + Ha0 0

Glycol

Glycolaldehyd

Von den dreiwertigen Alkoholen an ist dann noch eine weitere Möglichkeit zu beachten. Der dreiwertige Alkohol Glycerin kann durch Oxydation entweder in G l y c e r i n a l d e h y d oder in ein Keton, das D i h y d r o x y a c e t o n , übergehen, je nachdem die Oxydation an einem endständigen oder an dem mittleren Kohlenstoffatom einsetzt : CH2OH Glycerinaldehyd

CHjOH

Glycerin

\

CHjOH

\ I

CHjOH

Dihydroxyaceton

Die Kohlenhydrate

8

Beiden Verbindungen kommt die gleiche Bruttoformel C 3 H 6 0 3 zu. Man nennt die Monosaccharide vom Typus des Glycerinaldehyds, in denen die Carbonylgruppe als Aldehydgruppe vorliegt, A l d o s e n ; die Monosaccharide vom Typus des Dioxyacetons, in denen die Carbonylgruppe als Ketogruppe vorhanden ist, heißen K e t o s e n . Je nach der Zahl der Sauerstoffatome, die bei den einfachen Zuckern in der Regel mit der Zahl der Kohlenstoffatome übereinstimmt, unterscheidet man B i o s e n , T r i o s e n , T e t r o s e n , P e n t o s e n , H e x o s e n usw. Wenn Aldosen und Ketosen auseinandergehalten werden sollen, bezeichnet man die Verbindungen als A l d o t r i o s e bzw. K e t o t r i o s e , . . . , A l d o h e x o s e bzw. K e t o h e x o s e usw. Die folgenden Formelbilder geben die allgemeinen Strukturformeln der Pentosen und Hexosen sowie der zugehörigen Alkohole ( P e n t i t e und H e x i t e ) zunächst ohne Berücksichtigung der sterischen Verhältnisse wieder: CH20H

-Pentose (pyranoid)

O HO-HCijj (\CH.CH2OH

Pentose (offene Form)

HO-HCL

1. C
ES — ^ — > • E + R . k, (Wir nehmen der Einfachheit halber an, daß nur ein Reaktionsprodukt R gebildet wird.) Wie aus den früheren Ausführungen hervorgeht (S. 179), ist der Quotient k 2 /k, gleich der Dissoziationskonstanten des Enzym-Substrat-Komplexes, d.h. der Michaelis-Konstanten des Enzyms. Der Zerfall des Enzym-Substrat-Komplexes in Reaktionsprodukt und Enzym verläuft in Wirklichkeit in zwei Stufen: Zuerst wird der Enzvm-Substrat-Komplex in den Enzvm-Reaktionsprodukt-Komplex umgewandelt (Konstante k 5 ). Diese Transformation ist der wesentliche Schritt der ganzen Reaktion. Sie stellt die eigentliche enzymatische Umwandlung des Substrats dar, welche durch seine Bindung an das Enzym ermöglicht wird. Anschließend zerfällt der letztgenannte Komplex (Konstante k 3 ): E + S

ES

c

k

'

» ER

k

'

» E + R.

Ist die Reaktion umkehrbar, so ergibt sich mit den Geschwindigkeitskonstanten der beiden Rückreaktionen k 4 und k„ die folgende Darstellung des Gesamtvorganges: E + S , k ' » ES , K' > E R E + R. k2 k, k4 Derselbe ist in bezug auf das Substrat S und das Reaktionsprodukt R völlig symmetrisch. Es ist ja klar, daß man beim reversiblen Vorgang sowohl S als auch R als Substrat des Enzyms betrachten kann 2 ). x

) W i l l s t ä t t e r u. Mitarb., Ber. 61, 886 (1928). ) Für eingehendere rechnerische Behandlung vgl. z. B. H a i d a n e : Enzymes, S. 74. London. New York, Toronto 1930. 2

Verbindung von Ferment und Substrat

187

Die Geschwindigkeit einer Fermentreaktion wird am besten durch die sog. Wechselzahl angegeben. Darunter versteht man die Zahl der Substratmoleküle, die pro Minute durch 1 Fermentmolekül umgesetzt werden. Für die sehr wirksame Katalase beträgt die Wechselzahl z.B. 5000000. Fermente mittlerer Aktivität zeigen gewöhnlich Wechselzahlen von der Größenordnung einiger Tausend.

Hemmstoffe. Wir kennen zahlreiche Stoffe, welche die Aktivität aller oder einzelner Fermente hemmen. Die Fermente werden durch alle Stoffe dauernd inaktiviert, die das Fermentprotein denaturieren oder chemisch tiefgreifend verändern. Dazu gehören die Eiweißfällungsmittel, die starken Säuren und Basen u. a. m. Viel größeres Interesse bieten aber solche Reagenzien, welche mit dem Fermentprotein reagieren, ohne dasselbe zu denaturieren. Handelt es sich um eine Gleichgewichtsreaktion, so ist die Hemmung reversibel, d. h. das Ferment gewinnt nach Entfernung des Hemmstoffes seine Aktivität wieder zurück. Wir müssen annehmen, daß die Bindung des Substrats und des Coferments an das Fermentprotein durch ganz bestimmte Gruppen des Proteins erfolgt (sog. „Aktivitätszentren" oder „essentielle Gruppen"); Natur und Anordnung dieser Gruppen bestimmen die Spezifität des Ferments. Daneben können aber auch noch andere Gruppen, die nicht direkt an der Bindung des Substrats beteiligt sind, für die Aktivität des Ferments von Bedeutung sein. Alle Reagenzien, die solche Gruppen verändern oder blockieren, hemmen die Fermentaktivität. Die Verwendung gruppenspezifischer Reagenzien erlaubt daher, Schlüsse auf die Natur der funktionellen Gruppen zu ziehen, von denen die Fermentwirkung abhängig ist. Als wichtiges Beispiel seien die früher schon erwähnten SH-Gruppen genannt. Sie können z. B. durch milde Oxydationsmittel wie Ferricyanid oder oxydiertes Glutathion usw. oxydiert werden oder mit Monojodessigsäure, Maleinsäure, Quecksilber-, Arsenverbindungen und anderen Stoffen in Verbindungen eingehen. Mit Hilfe dieser Reagenzien hat man festgestellt, daß die Aktivität einer ganzen Reihe von Fermenten von den Sulfhydrylgruppen abhängt (sog. „SHFermente"). Dazu gehören verschiedene Dehydrasen, Esterasen, die Hexokinase u. a. m. Bei gewissen Dehydrasen ist wahrscheinlich eine SH-Gruppe des Fermentproteins an der Bindung des Substrats beteiligt.

Kompetitive Hemmung. Ein wichtiger Fall der reversiblen Hemmung ist die sog. kompetitive oder konkurrierende Hemmung, auch Verdrängungshemmung genannt. Wir haben weiter oben bereits auf die Tatsache hingewiesen, daß die Fermente vielfach auch Stoffe binden können, die eine dem Substrat ähnliche Konstitution besitzen, ohne daß eine Reaktion eintritt. Diese Stoffe besitzen eine genügende Affinität zum Ferment, daß sie an Stelle des Substrats sich mit dem Ferment verbinden können; aber ihre chemische Struktur erfüllt doch nicht die Bedingungen, die zum Eintritt der Fermentreaktion nötig sind. Ein solcher Stoff wird sich wie das Substrat mit dem Ferment ins Gleichgewicht setzen, und man erkennt leicht, daß in seiner Gegenwart die Konzentration des aktiven Ferment-Substrat-Komplexes, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit, vermindert ist. Der Stoff konkurriert gewissermaßen mit dem Substrat um die Bindungsstelle am Fermentmolekül; er vermag dank seiner Affinität zum Ferment das Substrat aus seiner Verbindung mit dem Ferment zu verdrängen. Man kann in vielen Fällen aus der Reaktionsgeschwindigkeit bei variierter Konzentration des Substrats und des Hemmstoffs deren Affinität zum Ferment berechnen. Es sind eine große Zahl von Beispielen für kompetitive Hemmung bekannt. Eines der bekanntesten ist die Hemmung der Bernsteinsäuredehydrase durch Malonsäure (vgl. S. 262). Interessant sind vor allem auch die Fälle, in denen ein Produkt der Fermentreaktion selbst als kompetitiver Hemmstoff wirkt.

Die Fermente

188

Saccharose wird durch das Ferment Saccharase (Invertin) in Glueose und Fructose gespalten. Zusatz von Glueose oder Fructose verlangsamt die Hydrolyse. Das Invertin bindet nämlich nicht nur Saccharose, sondern auch die Hydrolyseprodukte Glueose und Fructose. Ein besonderer Fall kompetitiver Hemmung ist auch die sog. „antipodische Hemmung". Wenn das Substrat eine optisch aktive Verbindung ist, 60 wird in vielen Fällen sein optischer Antipode durch das Ferment nicht angegriffen (stereochemische Spezifität). Dagegen wirkt der Antipode sehr oft hemmend auf die Reaktion ein. So wird z.B. die Histidase durch D-Histidin gehemmt (Edlbacher). Die Erklärung ergibt sich aus den obigen Ausführungen ohne weiteres. Die enantiomorphe Verbindung kann zwar vom Ferment gebunden werden, da sie die gleichen funktionellen Gruppen wie das Substrat besitzt. Die verschiedene räumliche Anordnung der Atome verhindert aber die Auslösung der Reaktion durch das Ferment.

Die S p e z i f i t ä t d e r F e r m e n t e . Vor allen künstlichen Katalysatoren, wie sie heute in der Technik in größtem Umfange verwendet werden, zeichnen sich die Permente durch die hohe Spezifität ihrer Wirkung aus. Die Ausführungen des vorangehenden Abschnittes haben gezeigt, daß jeweils zwei Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn ein Stoff durch ein bestimmtes Ferment angegriffen werden soll: Er muß die Atomgruppe besitzen, auf welche das Ferment eingestellt ist, und er muß vom Fermentprotein so gebunden werden, daß die Wirkungsgruppe des Ferments mit dieser Atomgruppe reagieren kann. (Es gibt nämlich auch Erscheinungen — z.B. die Hemmung einer Fermentreaktion durch einen Überschuß des Substrats —, welche zeigen, daß das Substrat auch „falsch" gebunden werden kann.) Wir haben auch bereits erwähnt, daß beide Faktoren, die Reaktion zwischen Wirkungsgruppe und Substrat sowie die Affinität von Fermentprotein und Substrat, die Geschwindigkeit der Reaktion oder ihren Eintritt bestimmen. Daraus erklärt sich die große Mannigfaltigkeit in der A b s t u f u n g der Spezifität. Es gibt Fermente, welche nur ein einziges Substrat anzugreifen vermögen; hier sind die oben formulierten Bedingungen nur bei einem einzigen Stoff gleichzeitig erfüllt. Konfigurationsänderung eines asymmetrischen Kohlenstoffatoms, Übergang zu einer homologen Verbindung, Substitution einer Gruppe genügt oft, um das Substrat unangreifbar zu machen. Zahlreiche Fermente können verschiedene, ähnlich gebaute Substrate angreifen. Man nennt sie gruppenspezifisch. Wir werden im folgenden für alle diese Fälle Beispiele kennenlernen. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß die Spezifität der Fermentwirkungen im wesentlichen durch den Bau der Fermentproteine bedingt ist. Die Natur hat die Möglichkeiten, die in der großen Variationsfähigkeit der Eiweißmoleküle liegen, zur Schaffung dieser hochspezifischen Katalysatoren benutzt, ohne die die chemische Organisation der Zelle und die Lebensvorgänge überhaupt undenkbar wären. 5. Einteilung der Fermente Es existiert keine ganz befriedigende Systematik der Fermente. Einzig die hydrolysierenden Fermente lassen sich nach Art der hydrolysierten Verbindungen eindeutig ordnen. Die folgende Einteilung (in Anlehnung an B a l d w i n u. a.) erlaubt es, wenigstens die wichtigsten Fermente einzuordnen, wenn auch für verschiedene die Einreibung nicht ganz ohne Willkür geschehen kann. Ein interessanter Vorschlag für eine rationelle Systematik und Benennung der Fermente ist kürzlich von H o f f m a n n - O s t e n h o f publiziert worden1). I. H y d r o l a s e n : hydrolytische Spaltung der Substrate. Allgemeine Reaktion: AB + H 2 0 Adv. Enzymol. 14, 219 (1953).

" A • OH + HB.

Einteilung der Fermente

189

1. C — N - B i n d u n g e n l ö s e n d : a) D e s a m i n a s e n : Urease, Arginase, Histidase, Asparaginase, Hippuricase, Purindesaminasen (vgl. S. 475) u. a. m. b) P r o t e a s e n : Proteinasen, Polypeptidase^ Dipeptidasen u. a. m. 2. C — O - B i n d u n g e n l ö s e n d : a) E s t e r a s e n : Lipasen, Phosphatasen u . a . m . b) C a r b o h y d r a s e n : Amylasen, Glycosidasen, Hyaluronidasen u . a . m . c) N u c l e a s e n (vgl. S. 460). II. P h o s p h o r y l a s e n : phosphorolytische Spaltung der Substrate. Allgemeine Reaktion: AB + H 3 P0 4 < A • 0 • P0 3 H 2 + HB. Glycogenphosphorylase, Saccharosephosphorylase (vgl. S. 309), Nucleosidphosphorylase (vgl. S. 462). III. H y d r a t a s e n ( W a s s e r a b s p a l t u n g u n d - a d d i t i o n ) . Allgemeine Reaktion: A + H 2 0 , ' H • A • OH. Pumarase, Aconitase, Enolase, Carboanhydrase (vgl. S. 211) u. a. m. IV. D e s m o l a s e n ( L ö s u n g u n d B i l d u n g v o n C—C-Bindungen). Allgemeine Reaktion:

Nc—c4- \

>

\ c + C^ • X ll lX OH O H 1. D e c a r b o x y l a s e s Abspaltung und Addition von C 0 2 : Carboxylase, Brenztraubensäureoxydase, a-Ketoglutarsäureoxydase, Aminosäurendecarboxylasen u. a. m. X

2. A l d o l a s e n . V. G r u p p e n ü b e r t r a g e n d e F e r m e n t e . Allgemeine Reaktion: A X + B , A+BX. 1. T r a n s p h o s p h o r y l a s e n : Hexokinasen, Myokinase, Mutasen u. a. m. 2. T r a n s a m i n a s e n . 3. T r a n s a m i d i n a s e (Kreatinsynthese, vgl. S. 415). 4. T r a n s m e t h y l a s e n (vgl. S. 407). 5. T r a n s a c e t y l a s e n (vgl. S. 511). 6. T r a n s g l y c o s i d a s e n (vgl. S. 309). 7. T r a n s p e p t i d a s e n (vgl. S. 450). 8. T r a n s k e t o l a s e u n d T r a n s a l d o l a s e (vgl. S. 311). VI. I s o m e r a s e n . Hexose- und Trioseisomerasen. VII. P e r m e n t e d e r O x y d o r e d u k t i o n ( O x y d o r e d u k t a s e n ) . 1. O x y d a s e n (metallhaltige Permente): W a r b u r g s c h e s sauerstoffübertragendes Ferment, Cytochrome, Peroxydase, Katalase, Phenoloxydasen.

Die Fermente

190

2. D e h y d r a s e n : a) mit Pyridinnucleotiden als Coenzvm, b) mit Lactoflavinnucleotiden als Coenzym (gelbe Permente), u. a. 3. G l y o x a l a s e (Aldoketomutase, vgl. S. 297).

Wir besprechen in diesem Kapitel nur einige der Hydrolasen etwas ausführlicher. Die Permente der Oxydoreduktion und alle übrigen, welche am Abbau oder Aufbau der organischen Verbindungen beteiligt sind, werden in den folgenden Kapiteln über die biologische Oxydation und den Intermediärstoffwechsel behandelt. Über die Gruppen II bis VII der obigen Tabelle geben wir am Schluß dieses Kapitels nur eine kurze Übersicht. 6. Hydrolasen Man kann zwei Grundtypen von hydrolytischen Wirkungen feststellen: 1. Die Bindung zwischen einem Kohlenstoffatom und einem Stickstoffatom wird gelöst: C-N

2. Die Bindung zwischen Kohlenstoffatom und Sauerstoffatom wird gelöst: C-0

I. Gruppe: ••••€!—N-• • • lösend J e nachdem eine Säureamidbindung, eine Peptidbindung usw. gespalten wird, kann man wieder verschiedene Typen von Enzymen unterscheiden. A. Desaminasen

Die Urease oder das harnstoffspaltende Ferment kommt im tierischen Organismus nicht vor, wohl aber in der Pflanzenwelt. Die Sojabohne (Glycine hispida) und die amerikanische Jackbohne (Canavalia ensiformis) enthalten sie in wirksamer Form. Sehr verbreitet ist das Ferment besonders bei Bakterien und Pilzen. Urease spaltet den Harnstoff nach der folgenden Gleichung: C^O

X\IHa

-f 2HsO = HjC03 + 2NHS

Die Bedeutung der Urease liegt darin, daß die enzymatische Zerlegung des Harnstoffs den organisch gebundenen Stickstoff wieder als Ammoniak freisetzt und damit der Verwertung durch die Pflanzen wieder zugänglich macht. Durch die nitrifizierenden Bakterien des Bodens wird das Ammoniak dann weiter zu Nitrit und Nitrat oxydiert. Die Ureasespaltung bildet damit ein wichtiges Zwischenglied im Kreislauf des Stickstoffs. Die Urease, die durch Extraktion von Soja- oder Jackbohnenmehl leicht zugänglich ist, kann zur quantitativen Bestimmung des Harnstoffs dienen, da die Reaktion unter gewissen Bedingungen vollständig zu Ende verläuft. Wie wir bereits erwähnt haben, war die Urease das erste Ferment, das in kristallisiertem Zustand gewonnen wurde (Sumner 1926). Die Arginasefindet sieh beim Säugetier namentlich in der Leber, anscheinend auch in den Nieren, im Thymus, in den männlichen Geschlechtsdrüsen und in den Ervthrocyten verschiedener Arten. Ihre wichtigste Wirkungsstätte ist beim Säuger die Leber.

Desaminasen

191

Die Vögel und Reptilien bilden auch Arginase, besonders in den Nieren. Jedoch ist bei diesen Tierklassen ihre Wirkung viel schwächer (vgl. die Kapitel über Eiweißund Purinstoffwechsel). Durch Eintritt von Wasser wird das Arginin in Harnstoff und Ornithin zerlegt: i NH NH, CH2-NH2

+ Harnstoff

QJJ

CH2 I

CH2 I CHNHj I COOH Ornithin

I CHNH3 I COOH Arginin

Die Arginase wurde von Kossei und Dakin (1904) entdeckt. Sie zeigt bei einem pH 9,0—9,5 ihre optimale Wirkung. Ihre Spezifität ist sehr ausgeprägt. Die Argini nsäure, die an Stelle der a-Aminogruppe eine H y d r o x y l g r u p p e trägt, wird nicht gespalten. Die Arginase ist spezifisch auf das L-Arginin eingestellt. Die Arginase ist wahrscheinlich ein Manganprotein; doch scheint es, daß sie auch durch andere Metallionen (Co ++ ) aktiviert werden kann. Die große Bedeutung der Arginase liegt darin, daß sie in der Säugetierleber den Harnstoff bildet. Die Argininspaltung stellt, wie auf S. 433 gezeigt wird, den letzten Schritt der Reaktionsfolge dar, durch welchen der Amino- oder Ammoniakstickstoff in Harnstoff übergeführt wird. Ein ähnliches Ferment, welches auf Histidin einwirkt, findet sich auch in der Leber aller Wirbeltiere. Die Histidase (entdeckt von Edlbacher 1926 und gleichzeitig von György und Rothler) zerlegt das Histidin unter Bildung von Ammoniak und Glutaminsäure. Über den Reaktionsverlauf und seine möglichen Formulierungen siehe S. 404. Die Wirkung der Histidase ist streng spezifisch; sie greift nur natürliches L- Histidin an. Die Asparaginase findet sich in keimenden Pflanzen und auch in tierischen Organen. Sie spaltet die Amidogruppe des Asparagins unter Bildung von Ammoniak und Asparaginsäure: COOHCH(NH2)CH2COj(NH2)

>• COOHCH(NH2)CH2COOH + NH3.

Das entsprechende Ferment, welches die Amidgruppe des Glutamins spaltet, die Glutaminase, findet sich in tierischen Organen. Endlich findet sich auch in vielen tierischen Organen ein Ferment, welches die Hippursäure unter Bildung von Benzoesäure zu spalten vermag. Die Hippursäure ist das Benzoylglycoeoll, welches nach der folgenden Gleichung zerlegt wird: C„H5CO

NHCH2COOH

Hippursäure

• C8H6COOH +H2NCH2COOH Benzoesäure

Glycocoll

Dieses ursprünglich Histozym genannte Ferment (Schmiedeberg 1881) muß richtiger als Hippuricase bezeichnet werden.

192

Die Fermente B. Proteasen Die Proteasen hydrolysieren die Peptidbindung: - C O - K H — + H20

• —COOH + H2N—

Alle bekannten Proteasen zeigen eine strenge o p t i s c h e S p e z i f i t ä t , d . h . sie hydrolysieren nur solche Peptidbindungen, welche von den „natürlichen" L-Aminosäuren gebildet werden. Peptide der D-Aminosäuren werden nicht angegriffen. Alle Fermente, welche auf Proteine und Peptide hydrolysierend wirken, fallen unter diese Gruppe. Man kann sie wieder in zwei Untergruppen einteilen: 1. P r o t e i n a s e n , welche die Eiweißkörper selbst angreifen; 2. P e p t i d a s e n , welche nicht auf die nativen Eiweißkörper, sondern nur auf P e p t i d e einwirken. Wichtige Proteinasen: 1. P e p s i n , im Magensekret, wirkt bei stark saurer Reaktion; spaltet Eiweißkörper zu Albumosen und Peptonen. 2. K a t h e p s i n , in den Zellen, wirkt bei schwach saurer Reaktion (pH 4—6). 3. T r y p s i n g r u p p e , im Pankreas, wirkt bei neutraler oder alkalischer Reaktion (pH etwa 8) ( T r y p s i n , C h y m o t r y p s i n ) . Wichtige Peptidasen: 1. D i p e p t i d a s e n spalten nur Dipeptide. 2. A m i n o p e p t i d a s e spaltet aus Polypeptiden die Aminosäure mit der freien Aminogruppe ab. 3. C a r b o x y p e p t i d a s e spaltet aus Polypeptiden die Aminosäure mit der freien Carboxylgruppe ab. Unter dem Namen „Erepsin" versteht man das 1901 von C o h n h e i m entdeckte proteolytische Prinzip der Darmschleimhaut. Nach W a l d s c h m i d t - L e i t z ist es ein Gemenge von Amino- und Dipeptidasen. Dies erklärt auch, warum Darmsaft Protein nicht anzugreifen vermag. Die P r o t e i n a s e n sind in der Natur weit verbreitet, sowohl im Pflanzen- als auch im Tierreich. Der Abbau der Eiweißkörper durch reine Proteinasen f ü h r t nicht zur vollständigen Spaltung in freie Aminosäuren. Der größte Teil der Spaltprodukte besteht aus Polypeptiden. Es wird also nur ein Teil der Peptidbindungen hydrolysiert. (Durch das Pepsin z.B. etwa 30%. Chymotrypsin spaltet von den etwa 340 Peptidbindungen des Lactoglobulinmoleküls etwa 50.) Die kombinierte Wirkung verschiedener Proteinasen läßt erkennen, daß nicht von jedem Ferment die gleichen Bindungen gespalten werden. Die Untersuchung der Spaltung von synthetischen Polypeptiden bekannter Konstitution hat hier Aufklärung gebracht. Die Proteinasen greifen in der Regel denaturierte Proteine viel besser an als native. Dies ist besonders deutlich beim Trypsin. Für die Wirkung der Proteinase ist nicht etwa ein hohes Molekulargewicht des Substrats Voraussetzung. Es können auch einfache Oligopeptide gespalten werden. Wir werden später sehen, daß die Proteinasen spezifisch auf bestimmte Peptidbindungen eingestellt sind (vgl. S. 196). Das P e p s i n wurde im Jahre 1836 von S c h w a n n im Fundusteil der Magenschleimhaut entdeckt. (Die verflüssigende Wirkung des Magensaftes auf Fleisch ist aber schon viel länger bekannt.) Da der Magen zugleich beträchtliche Mengen von

Proteasen

193

Salzsäure bildet, ist der Magensaft stark sauer. Dementsprechend liegt auch das pH-Optimum des Pepsins bei stark saurer Reaktion (pH etwa 1,5). Die Wirkung des Pepsins auf die Eiweißkörper ist beschränkt. Es bilden sich P e p t o n e und A l b u m o s e n , hochmolekulare Spaltprodukte, welche durch gewisse Fällungsreaktionen äußerlich von den Proteinen unterscheidbar sind. Die Magenschleimhaut bildet eine inaktive Vorstufe (Proferment) des Pepsins, das P e p s i n o g e n . Sowohl das Pepsin wie auch das Pepsinogen sind in kristallisiertem Zustand dargestellt worden ( N o r t h r o p , Herriott). Das Pepsinogen wird durch das Pepsin selbst aktiviert; es handelt sich also um einen autokatalytischen Prozeß. Durch das aktive Pepsin wird aus dem Proferment neben anderen Peptiden ein hochmolekulares Polypeptid, der sog. Inhibitor, abgespalten1): Pepsinogen —(PePain)—^ Pepsin + Inhibitor PH

2

' Pepsin-Inhibitor-Komplex.

(

pH < 5,4

Der Inhibitor verbindet sich bei pH-Werten über 5,4 mit dem Pepsin zu einem Komplex. Bei kleineren pH-Werten (pH 3,5—4,0) wird er vom Pepsin weiter abgebaut. Das Molekulargewicht des Pepsinogens beträgt 42500, dasjenige des Pepsins 34500; für den Inhibitor hat man Werte von etwa 7000 gefunden. Die Pepsine der verschiedenen Tierarten scheinen, was ihre Wirkung betrifft, identisch zu sein; z.B. kann Hühnerpepsinogen durch Schweinepepsin aktiviert werden, und umgekehrt2). Sie gleichen sich auch in ihren chemischen und physiko-chemischen Eigenschaften weitgehend8).

Pepsin greift die meisten Proteine an. Seine Wirkung auf Gelatine scheint größtenteils auf der Gegenwart eines besonderen Enzyms, der G e l a t i n a s e , in rohen Pepsinpräparaten zu beruhen, durch welches die Gelatine fast 500mal schneller abgebaut wird als durch das reine Pepsin (Northrop). Über Spezifität und Wirkungsweise des Pepsins vgl. S. 197. Das L a b f e r m e n t oder C h y m o s i n bringt die Milch zur Gerinnung. Es ist eine umstrittene Frage, ob im Magen des Erwachsenen ein derartiges Enzym vorkommt. Wahrscheinlich aber findet sich ein mit Pepsin nicht identisches Labferment im Magen des Jugendlichen vor. Als sicher kann gelten, daß das Ferment aus dem Abomasum (Labmagen) des Kalbes vom Pepsin verschieden ist. Die Wirkung des Labfermentes besteht in der Bildimg von unlöslichem Paracasein aus dem Casein der Milch. Das gebildete Paracasein fällt dabei als Calciumverbindung aus. (Vielfach wird auch der Eiweißkörper der Milch Caseinogen und der durch Labwirkung daraus hervorgehende Stoff Casein genannt.) Die Labgerinnung der Milch ist ein proteolytischer Vorgang. Alle Proteinasen haben mehr oder weniger ausgesprochene Labwirkung. Über die Natur des GerinnungsVorgangs, der durch das Lab hervorgerufen wird, herrscht noch keine völlige Klarheit. Gerinnung tritt nur in Gegenwart von Ca-Ionen ein. Der ausgefällte Körper ist eine Verbindung des Caseins mit Calciumphosphat. Das Casein ist kein einheitliches Protein, sondern ein Gemisch verschiedener Komponenten, die als 40 Einheiten). Die alkalischen Phosphatasen scheinen M e t a l l p r o t e i d e zu sein. Sie können (insbesondere nach Dialyse) durch zweiwertige Metalle (Mg + + , Mn + +, Zn + + , Co + + u. a.) aktiviert werden. Wahrscheinlich ist meistens das Magnesium der physiologische Bestandteil des Metall-FermentKomplexes.

Eine besondere Bedeutung für den Intermediärstoffwechsel besitzt die Phosphatase der Leber, welche das Glucose-6-phosphat hydrolysiert und auf diese Weise die freie Glucose liefert, welche von der Leber ans Blut abgegeben wird (vgl. S. 302). Wir kennen ferner verschiedene Phosphatasen, welche den Phosphatrest der Nucleotide abspalten (Nucleotidasen). Einzelne sind streng spezifisch in bezug auf die Stellung des Phosphats im Nucleotid. Eine Diesterase, welche in Nucleinsäuren oder Oligosacchariden die 3'-Phosphatbindung spaltet, kommt in Schlagengiften vor. Wegen seiner Spezifität ist das Enzym in neuerer Zeit bei Arbeiten über Abbau und Konstitution der Nucleinsäuren oft verwendet worden. Auch die eigentlichen N u c l e a s e n (vgl. S. 460) gehören zu den Phosphodiestereasen.

Als A p y r a s e n werden Enzyme bezeichnet, welche im Adenosintriphosphat (ATP) die beiden Anhydridbindungen hydrolysieren und das letztere dadurch zum

Carbohydrasen

205

Adenosinmonophosphat abbauen. Die A d e n o s i n t r i p h o s p h a t a s e n ( A T P - a s e n ) spalten die endständige Phosphatgruppe ab, Hefern also Adenosindiphosphat (Formeln siehe S. 284). Es gibt auch Enzyme, welche aus dem ATP Pyrophosphat abspalten. Die ATP-asen sind z. T. an die Zellgranula gebunden. Von besonderm Interesse ist die ATP-ase-Wirkung des kontraktilen Muskelproteins, des Myosins, auf die wir in einem späteren Kapitel zurückkommen werden. Sulfatasen. Diese Fermente spalten esterartig gebundene Schwefelsäure ab, so z. B. die P h e n o l s u l f a t a s e , die in Pilzen, Mollusken und bei höheren Tieren vorkommt, oder die C h o n d r o s u l f a t a s e , die bei verschiedenen Bakterien nachgewiesen wurde und die die Schwefelsäure des Chondrositonsulfats abspaltet. D. Carbohydrasen

Diese, die zusammengesetzten Kohlenhydrate spaltenden Fermente können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die eine Gruppe umfaßt die G l y c o s i d a s e n , d. h. die Enzyme, welche die einfachen Glykoside (z. B. Di- und Oligosaccharide) spalten, die andere die P o l y a s e n , welche die hochmolekularen Kohlenhydrate wie die Stärke und das Glycogen angreifen. Die Glycosidasen waren die ersten Fermente, bei denen die Bedeutung der Stereochemie für das Verständnis der enzymatischen Spaltungen klar erkannt wurde. Emil Fischer ist durch die Untersuchung der zuckerspaltenden Fermente auf das bekannte Bild von Schloß und Schlüssel geführt worden (1894): „Invertin und Emulsin haben bekanntlich manche Ähnlichkeit mit den Proteinstoffen und besitzen wie jene unzweifelhaft ein asymmetrisch gebautes Molekül. Ihre beschränkte Wirkung auf die Glucoside ließe sich also auch durch die Annahme erklären, daß nur bei ähnlichem geometrischem Bau diejenige Annäherung der Moleküle stattfinden kann, welche zur Auslösung des chemischen Vorgangs erforderlich ist. Um ein Bild zu gebrauchen, will ich sagen, daß Enzym und Glucosid wie Schloß und Schlüssel zueinander passen müssen, um eine chemische Wirkung aufeinander ausüben zu können."

a) G l y c o s i d a s e n , s p e z i e l l H e x o s i d a s e n Die Spaltbarkeit der glycosidischen Bindung wird durch die Natur der Zucker und die Art der Bindung, a - oder /S-Glycosid, bestimmt, d. h. sie hängt sowohl von der Konstitution als auch der Konfiguration der Zucker ab. Es gibt keine zuckerspaltenden Fermente, die spezifisch auf ein besonderes Di- oder Oligosaccharid eingestellt wären. Die Spaltbarkeit wird stets durch eines der glycosidisch gebundenen Monosaccharide bestimmt. (Vergleiche dazu den Abschnitt über die Stereochemie der Kohlenhydrate.) a-Glucosidasen. Maltase, Glycoside, die Glucose in der «-Form enthalten, werden durch die a - G l u c o s i d a s e hydrolysiert. Da die Maltose das wichtigste Substrat ist (Struktur vgl. S. 32), heißt das Ferment auch M a l t a s e . Es kommt im Gerstenmalz, in der Hefe und in der Dünndarmschleimhaut vor. Für die Verdauung der Kohlenhydrate hat die Maltase deshalb Bedeutung, weil durch den enzymatischen Stärkeabbau große Mengen Maltose gebildet werden. Die Maltose wird durch die a-Glucosidase des Darmes zu Glucose hydrolysiert. Dasselbe Ferment spaltet im Darm aber auch die Saccharose. Wir haben im Abschnitt über die Disaccharide darauf hingewiesen, daß in der Saccharose der Glucoserest in der «-Form vorhanden ist. Daher kann die glycosidische Bindung durch die oc-Glucosidase hydrolysiert werden. Man hatte früher allgemein angenommen, daß der Rohrzucker im Darm durch ein besonderes Ferment gespalten

Die Permente

206

wird. Ein solches von der Maltase verschiedenes Ferment existiert tatsächlich. Es ist die sog. Saccharase. Dieselbe kommt aber im Darm nicht vor. Über ihre Wirkungsweise siehe unten. ß-Glucosidasen. Die wichtigste Quelle der /5-Glucosidase ist das Fermentgemisch, das durch Extraktion zerriebener bitterer Mandeln erhalten wird, das sog. E m u l s i n . Läßt man den Extrakt stehen, so entwickelt sich der Geruch des Benzaldehyds (, .Bittermandelöl''). In den Mandeln findet sich ein Glycosid, das A m y g d a l i n , welches unter der Einwirkung des Emulsins in zwei Moleküle D-Glucose, Benzaldehyd und Blausäure, zerfallt. Amygdalin ist das ß-Gentiobiosid des linksdrehenden Mandelsäurenitrils:

O—C12H21O10

Das Disaccharid Gentiobiose besteht seinerseits aus zwei in Stellung 6 /?-glycosidisch verknüpften Glucosemolekülen. Bei dieser Spaltung sind zwei Fermente beteiligt; die Reaktion geht in drei Stufen vonstatten: ,

j T

, TT

/J-Glucosidase

4 1. Amygdalin + H20 —

H

I

2. C e H s —C—O—C 6 H u 0 6 + H 2 0

1 Mol Glucose + 1 Mol Mandelsäurenitrilglucosid (Prunasin)

{I

1 Mol Glucose + Mol Mandelsäurenitril

/3-Glucosidase

I

CN Mandelsäurenitrilglucosid

/H H I

3. C«H5 -C—OH CN Mandelsäurenitril

(Oxynitrllaee)

(Benzaldehyd) HCN (Blausäure)

Die ersten beiden Stufen werden durch dasselbe Ferment, die /?-Glucosidase, katalysiert. Diese Reaktion der Amygdalinspaltung ist in zweifacher Hinsicht von Interesse: Einmal ist sie ein klassisches Beispiel für die Spezifität der Fermentwirkung; zum anderen ist es gelungen, die Teilreaktionen u m z u k e h r e n . Die Synthese kleiner Mengen Amygdalin aus Prunasin und Glucose durch die /3-Glucosidase der Hefe war eines der ersten Beispiele enzymatischer Synthesen ( E m m e r l i n g 1901). Auch die Synthese des Mandelsäurenitrils aus HCN und Benzaldehyd durch Mandelemulsin ist gelungen ( R o s e n t h a l e r 1908). Die /3-Glucosidase findet sich auch in der Hefe, in Pilzen und Bakterien und anscheinend auch in den Organen höherer Tiere. L a c t a s e . Dieses Ferment ist eine /Ö-Galactosidase. Es hydrolysiert den Milchzucker. Vorkommen u. a. im Dünndarm, im Mandelemulsin, in Milchzuckerhefen, in der Taka-Diastase, in Bakterien. ( T a k a - D i a s t a s e ist ein Präparat aus Aspergillus oryzae, das hohe Amylaseaktivität besitzt, aber noch eine Reihe anderer Enzyme enthält.)

Carbohydrasen

207

S a c c h a r a s e ( = Invertin). Wir haben oben erwähnt, daß der Rohrzucker durch die a-Glucosidase gespalten wird, weil er oc-glucosidisch gebundene Glucose enthält. Er wird aber noch durch ein zweites Ferment, die Saccharase, angegriffen, für dessen Wirkung die Fructosehälfte des Moleküls bestimmend ist. Die Fructose ist im Rohrzucker als /9-Fructofuranosid enthalten (vgl. S. 32). Die Saccharase ist demnach eine /3-Fructosidase. (Sie wird vielfach /J-h-Fructosidase genannt; das h soll die Furanosestruktur der Fructose bezeichnen.) Wir haben hier einen für die Spezifität der Glycosidasen äußerst aufschlußreichen Fall vorliegen, indem ein und dasselbe Substrat durch zwei verschiedene Fermente angegriffen wird. Die Affinität zum. einen Ferment wird durch die a-Glucopyranosegruppe, die Affinität zum anderen Ferment durch die /S-Fructofuranosegruppe bestimmt. Durch die oben genannten Enzyme werden auch gewisse Oligosaccharide angegriffen. Wir lassen einige Beispiele folgen. In den folgenden schematischen Formeln bezeichnen die Ziffern die an der glycosidischen Bindung beteiligten C-Atome; die Konfiguration der glycosidischen Atome ist in Klammern beigefügt ( Trisaccliarid + Ferment (Difructosylglucosid)

Übertragung

Ebenso sind Enzyme bekannt, welche den Zuckerrest eines Desoxyribosenucleosids auf eine andere Base übertragen können ( T r a n s - N - g l y c o s i d a s e ) (vgl. S. 463). Vgl. B ü c h e r , Biochim. Biophys. Acta 1, 292 (1947).

Gruppenübertragende Fermente (V)

215

Auch bei den Peptiden und Aminosäureestern sind Reaktionen bekannt, durch weiche Aminosäurereste ausgetauscht werden. Die Reaktion verläuft nach dem folgenden allgemeinen Schema: R"—NH—CO—R + R'--NH. oder

R'—0—CO—R + R"—NH2 ,

R"—NH— CO—R + R'—OH

Man hat derartige Reaktionen beider Einwirkung verschiedener reiner Proteinasen (Chymotrypsin, Papain, Kathepsin, Ficin) auf Peptide oder auch Aminosäureester beobachtet. Diese Enzyme wirken also nicht nur hydrolytisch, sondern sind auch imstande, eines der Spaltstücke des Substrats unter Bildung einer neuen Peptidbindung an eine andere Aminosäure oder ein Peptid anzufügen; sie wirken als T r a n s p e p t i d a s e n . Man kann hier einen ähnlichen Mechanismus annehmen wie bei den Transglycosidasen, nämlich eine intermediäre Bindung des Aminosäurerests an das Ferment. Reaktion mit Wasser ergibt Hydrolyse, Reaktion mit einem Akzeptor ein neues Peptid. Die Tatsache, daß sowohl Proteasen als auch Glycosidasen als gruppenübertragende Fermente wirken können, wirft ein neues Licht auf ihre physiologische Bedeutung. Ihre Funktion im Zellstoffwechsel scheint nicht nur in der hydrolytischen Spaltung der Substrate zu bestehen. Sie können auch einzelne Bausteine direkt in neue Verbindungen einfügen und sind daher wahrscheinlich am Aufbau der Peptide und Polysaccharide wesentlich beteiligt. Es muß hier ferner die T r a n s a c e t y l i e r u n g erwähnt werden, der nach neueren Untersuchungen im Intermediärstoffwechsel eine große Bedeutung zukommt, insbesondere bei der Synthese der Fettsäuren und beim Aufbau der Sterine, der Terpene und anderer Verbindungen. Bei dieser Reaktion wird ein mit dem sog. C o e n z y m A verbundener Essigsäurerest („aktivierte Essigsäure") in andere Verbindungen eingeführt. Die Enzyme werden a l s A c e t o k i n a s e n bezeichnet. Diese Reaktionen werden später eingehend besprochen (vgl. S. 511 u. ff.). Auch der Formylrest wird bei verschiedenen Reaktionen in ähnlicher Weise durch intermediäre Bildung einer „aktivierten" Verbindung übertragen, wobei als Coferment die Tetrahydrofolsäure wirksam ist (vgl. S. 798). Die T r a n s a m i n a s e n oder A m i n o p h e r a s e n katalysieren eine reversibleReaktion, bei welcher in der Regel die Aminogruppe einer der beiden Aminodicarbonsäuren auf eine a-Ketosäure übertragen wird, wobei eine neue Aminosäure entsteht, z B

":

COOH I HCNH„ COOH I I CH, + C=0 , I I CHo Hi i COOH Glutaminsäure Brenztraubensäure

COOH I C=0 CH,

I + I

CH« i COOH a-Ketoglutarsäure

COOH I HCNH, I ßi Alanin

Als Coferment funktioniert das P y r i d o x a l p h o s p h a t ; vgl. S. 382. Die Transaminasen sind für den intermediären Aminosäurestoffwechsel von großer Bedeutung, weil sie die Synthese von Aminosäuren aus den entsprechenden a-Ketosäuren ermöglichen. Näheres vgl. S. 381 u. ff.

216

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

Eine Reaktion besonderer Art ist die Übertragung der Amidingruppe — C(: NH)NH 2 . Als einziges Beispiel ist die Bildung der Guanidinessigsäure aus Glycocoll und Arginin bekannt (Kreatinsynthese, vgl. S. 415). Hier ist ferner da« Enzym zu erwähnen, das den Carbamylrest — CONH 2 aus dem Carbamylphosphat H 2 0 3 P—0—CONH 2 auf Amine überträgt und das insbesondere an der Harnstoffsynthese beteiligt ist (S. 435).

Als T r a n s m e t h y l a s e n bezeichnet man Enzyme, welche die „biologisch labile" Methylgruppe des Methionins auf andere Verbindungen übertragen. Durch solche Enzyme werden z. B. Methylgruppen in das Kreatin und das Cholin eingeführt. Intermediär wird mit Adenosin ein reaktionsfähiges Sulfoniumsalz gebildet, das die Gruppe >S+—CH 3 enthält und das das eigentliche methylierende Reagens darstellt (S. 408). Zu den gruppenübertragenden Fermenten gehört auch die bereits früher unter den Desmolasen erwähnte T r a n s k e t o l a s e . Aus den in diesem Abschnitt erwähnten Beispielen geht hervor, daß sich überhaupt eine scharfe Trennung zwischen gruppenübertragenden Fermenten und spaltenden Fermenten (Hydrolasen und Desmolasen) in vielen Fällen nicht durchführen läßt, weil verschiedene spaltende Fermente gleichzeitig auch imstande sind, das eine Spaltstück des Substrats, das sie angreifen, auf eine andere Verbindung zu übertragen. E . Isomerascn (VI)

Es handelt sich hier um Fermente, welche phosphorylierte Aldosen und Ketosen reversibel ineinander überführen; Beispiel: T r i o s e - i s o m e r a s e : JP C• B setzt sich aus den Teilreaktionen a, b, . . . n zusammen. Wir nehmen der Einfachheit halber zunächst an, A sei in so großer Menge vorhanden, daß sie während der Beobachtungsdauer nicht wesentlich vermindert wird (d. h. die Abnahme soll im Verhältnis zur vorhandenen Menge klein sein). Die Umsatzgeschwindigkeit soll der Konzentration der reagierenden Verbindungen proportional sein. Die Reaktionen können umkehrbar oder nicht umkehrbar sein. Unter diesen Bedingungen wird sich nach einer gewissen Anlaufszeit ein stationärer Zustand einstellen, in welchem die Mengen der einzelnen Zwischenprodukte konstant bleiben und in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Die Menge des Ausgangsprodukts A nimmt dann in der Zeiteinheit um einen bestimmten Betrag ab, die Menge des Endprodukts B um den gleichen Betrag zu. Diese Größe

dA

die

Geschwindigkeit der Gesamtreaktion, wird, wie leicht einzusehen ist, durch die Geschwindigkeit der langsamsten Teilreaktion bestimmt. Die Menge der im stationären Zustand vorhandenen Zwischenprodukte hängt vom Verhältnis der Geschwindigkeit ihrer Entstehung zur Geschwindigkeit ihres Verbrauchs ab. Verwandelt sich ein Zwischenprodukt rascher in die nachfolgende Verbindung, als es aus der vorangehenden entsteht, so wird es nie in größerer Menge anzutreffen sein; reagiert es umgekehrt viel langsamer weiter, als es gebildet wird, so kann es sich anhäufen. Das E n d p r o d u k t einer Reaktionskette ist dadurch gekennzeichnet, daß es nicht weiter umgesetzt wird. Es muß sich also anhäufen und kann gefaßt werden. Verlaufen einzelne Teilreaktionen im Verhältnis zu den anderen langsam, so häufen sich auch die entsprechenden Zwischenstufen an. Man wird sie dann in größerer oder kleinerer Menge neben dem Endprodukt nachweisen können. (Wenn im obigen Schema z.B. die Reaktion c sehr viel langsamer verläuft als die Reaktion b, so wird sich X 2 anhäufen.) Unter physiologischen Bedingungen wird der geschilderte stationäre Zustand der mehrstufigen Reaktionen kaum je erreicht. Er stellt einen idealen Grenzfall dar, den wir deshalb zugrunde gelegt haben, weil er die wichtigsten Gesetzmäßigkeiten des Reaktionsablaufs leicht zu übersehen gestattet. Viele Teilreaktionen der biochemischen Umsetzungen verlaufen so rasch, daß die Zwischenprodukte immer nur in verschwindend kleiner Konzentration vorhanden sind und dem direkten Nachweis entgehen. I n einzelnen Fällen gelingt es, sie dadurch anzureichern, daß man die Kette der Reaktionen bei einem bestimmten Glied

218

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

unterbricht. Dieses Glied, vorher Zwischenprodukt, wird nun zum Endglied der verkürzten Reaktionskette und muß sich also anhäufen. Die Unterbrechung der Kette kann auf zwei Arten geschehen, entweder dadurch, daß man die fragliche Zwischenstufe in eine Verbindung überführt, die nicht weiterreagieren kann, d . h . sie a b f ä n g t , oder indem man d a s F e r m e n t b l o c k i e r t , welches die weitere Umwandlung des Zwischenproduktes bewirkt. Eines der bekanntesten Beispiele für das erste Verfahren (Abfangverfahren) ist der Nachweis des Acetaldehyds bei der alkoholischen Gärung. Acetaldehyd tritt als Zwischenprodukt auf, wird aber rasch zu Äthylalkohol reduziert (vgl. S. 289). Setzt man aber dem Gäransatz Sulfit zu, so wird der Aldehyd in seine Sulfitverbindung übergeführt, die nicht reduziert werden kann: H H i nw CH 3 —C=0 + HaSO;'3 Er reichert sich im Gäransatz an und kann leicht nachgewiesen und isoliert werden. Als Beispiel für das zweite Verfahren, die Eermentblockierung, die häufig angewandt wird, nennen wir die Hemmung der Gärung oder der Milchsäurebildung im Muskel durch Fluorid. Durch Fluorid wird das Ferment Enolase gehemmt, welches die Umwandlung der 2-Phosphoglycerinsäure in Phosphobrenztraubensäure bewirkt. Daher häuft sich die Phosphoglycerinsäure an. Sie ist auf diese Weise sowohl in fluoridvergifteten Gäransätzen als auch in Muskelextrakten aufgefunden worden. Wir werden später weitere Beispiele von Fermentblockierung kennenlernen.

Gelegentlich kann es auch unter natürlichen Bedingungen zum Ausfall oder zur Blockierung einzelner Permente kommen, so daß normalerweise nicht nachweisbare Intermediärprodukte des Stoffwechsels in größerer Menge auftreten. Dies ist der Fall bei gewissen a n g e b o r e n e n S t ö r u n g e n d e s S t o f f w e c h s e l s . Eines der bekanntesten Beispiele ist die sog. A l k a p t o n u r i e . Diese Stoffwechselkrankheit ist durch die Ausscheidung großer Mengen Homogentisinsäure im Urin gekennzeichnet (vgl. S. 394). Die Homogentisinsäure ist ein Zwischenprodukt beim Abbau der aromatischen Aminosäuren, welches normalerweise vollständig oxydiert wird. Durch einen genetisch bedingten Ausfall eines bestimmten Ferments wird beim Alkaptonuriker die weitere Umsetzung der Homogentisinsäure verunmöglicht; sie wird daher in großer Menge in der Niere ausgeschieden. Die Alkaptonurie hat bei der Erforschung des Aminosäurestoffwechsels eine große Rolle gespielt (Neubauer). Sie eröffnete die Möglichkeit, den Tyrosinabbau noch weiter zu analysieren. Die Umwandlung des Tyrosins in Homogentisinsäure verläuft über mehrere Zwischenstufen. Verabreicht man dem Alkaptonuriker eines dieser Zwischenprodukte oder eine Verbindung, die leicht in ein solches übergeht, so wird die Ausscheidung der Homogentisinsäure ansteigen. Man hat also die Möglichkeit zu prüfen, welche Verbindungen als Abbaustufen des Tyrosins in Frage kommen, und hat auf diese Weise wertvolle Einblicke in den Stoffwechsel der aromatischen Aminosäuren erhalten.

Es sind noch verschiedene andere Stoffwechselstörungen bekannt, die sich auf den Ausfall bestimmter Enzyme zurückführen lassen. Sie geben sich meistens, wie die Alkaptonurie, durch das Auftreten anomaler Stoffwechselprodukte zu erkennen. Wir werden verschiedene derartige Beispiele kennenlernen. Es ist aber auch gelungen, Stoffwechseldefekte bei niedrigen Organismen künstlich zu erzeugen. Besonders aufschlußreich waren die Untersuchungen beim Schimmelpilz N e u r o s p o r a c r a s s a (Beadle). Durch Bestrahlung mit Röntgenstrahlen lassen sich Mutanten erzeugen, welche zu bestimmten Stoffwechselreaktionen nicht mehr befähigt sind. Diese Versuche haben gezeigt, daß die Bildung der verschiedenen Fermente von bestimmten Genen abhängig ist. Wird ein solches Gen durch die Bestrahlung geschädigt, so fällt das betreffende Ferment aus; der Defekt wird an alle weiteren Generationen vererbt.

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

219

Es ist bei den stoffwechseldefekten Mikroorganismen in der Regel nicht nötig, nach Intermediärprodukten zu fahnden. Die Störung kann auf einfache Weise durch den Wachstumsversuch entdeckt werden. Der Defekt äußert sich darin, daß die Mutante gewisse Verbindungen als Wachstumsfaktoren benötigt, welche die autotrophe Stammform selbst synthetisieren kann. Sie entwickelt sich also im gewöhnlichen Nährmilieu nicht mehr. Ein Beispiel möge dies illustrieren und gleichzeitig zeigen, wie solche Mutanten zur Aufklärung von Stoffwechselreaktionen herangezogen werden können 1 ). Man hat eine Neurosporamutante A isoliert, welche die Aminosäure Tryptophan als Wachstumsfaktor braucht. Ohne Tryptophan wächst der Pilz nicht; das Tryptophan läßt sich durch keine andere verwandte Verbindung ersetzen. Eine zweite Mutante B kann sich ebenfalls ohne Tryptophan nicht entwickeln; das Tryptophan kann aber durch Indol ersetzt werden. Eine weitere Mutante C schließlich vermag auch zu wachsen, wenn man dem Milieu an Stelle von Tryptophan oder Indol die Anthranilsäure zusetzt. Man kann aus diesen Beobachtungen den Schluß ziehen, daß die Bildung des Tryptophans über die Anthranilsäure und das Indol als Zwischenstufen erfolgt (vgl. S. 399)*): ?

A

NH

Bei der Neurosporamutante A ist die Reaktion blockiert, die vom Indol zum Tryptophan führt (vgl. obiges Schema); das Ferment, das diese Umwandlung bewirkt, muß entweder fehlen oder auf irgendeine Weise inaktiviert sein. Mutante B kann zwar Indol in Tryptophan, nicht aber Anthranilsäure in Indol überführen; hier ist die letztere Reaktion blockiert. Mutante C schließlich kann aus Indol oder Anthranilsäure das Tryptophan synthetisieren, ist aber unfähig, die Anthranilsäure aufzubauen. Auf diese Weise sind eine ganze Reihe von biochemischen Reaktionen bei Neurospora und auch bei anderen Organismen aufgeklärt worden. Wir werden auf einzelne Beispiele später zurückkommen.

Wir müssen nun kurz einige allgemeinere Methoden erwähnen, die zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels verwendet werden. Die meisten natürlichen Verbindungen — jedenfalls gilt dies für Kohlenhydrate, Fette und Aminosäuren — werden im Tierkörper weitgehend abgebaut. Ihre Verabreichung, auch in großen Mengen, führt in der Regel nicht zur Ausscheidung charakteristischer Stoffwechselprodukte oder deren Anreicherung in den Geweben. Gelegentlich kann man durch Einführung bestimmter Gruppen die Moleküle schwerer angreifbar machen und hat dann die Möglichkeit, Bruchstücke zu erfassen, die sonst vollständig abgebaut würden. Doch ist zu bedenken, daß jede Veränderung eines organischen Moleküls völlig neue Bedingungen schaffen kann, so daß Schlüsse vom Verhalten der künstlich abgeänderten Verbindungen auf das Verhalten der natürlichen Stoffe nur mit Vorbehalt gezogen werden können. Die Methode hat trotzdem in vielen Fällen wertvolle Resultate geliefert, so z.B. bei der Erforschung der Fettsäureoxydation (vgl. S. 352 u. ff.). Viele Schwierigkeiten, welche die Untersuchung des Stoffwechsels beim intakten Organismus darbietet, fallen weg, wenn man mit isolierten Organen oder Geweben arbeitet. Jedes Organ und jedes Gewebe besitzt seinen ihm eigentümlichen Stoffwechsel. Viele biochemische Reaktionen sind im Organismus in einzelnen Organen lokalisiert. Man kann daher viele Vorgänge an isolierten Organen besser untersuchen als am intakten Tier. Dazu kommt, daß die Stoffwechselprodukte leichter zu fassen sind, weil sie sich nicht auf den ganzen Organismus verteilen und so von den anderen Geweben verbraucht werden können. Für die Lokalisation der einzelnen Stoffwechselprozesse ist natürlich die gesonderte Untersuchung der einzelnen Organe unerläßlich. x

) Vgl. B e a d l e , 1. c. Bibliographie. ) T a t u m u. Mitarb., Fed. Proc. 8, 511 (1949); Arch. Biochem. 3. 477 (.1944); Proc. Nat. Acad. Sei.. USA., 30, 30 (1940). 2

220

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

Man kann einzelne isolierte Organe mit Blut oder einer geeigneten Ersatzflüssigkeit durchströmen (welcher u. U. Erythrocyten zugefügt werden müssen, um die Sauerstoffversorgung sicherzustellen). Die zu untersuchenden Stoffe werden der Durchströmungsflüssigkeit zugesetzt, aus welcher am Schluß auch die Stoffwechselprodukte isoliert werden können. Für die Durchströmung ist vor allem die Leber gut geeignet. Die Methode ist aber auch auf Nieren, Herz (z. B. Starlingsches Herz-Lungenpräparat), einzelne Extremitäten usw. angewandt worden. Sehr ausgedehnte Anwendung hat die von 0. Warburg erstmals verwendete Methode der Gewebsschnitte gefunden. Man stellt aus dem überlebenden Organ mit dem Rasiermesser dünne Schnitte her, die in der Versuchslösung suspendiert werden. Damit die Sauerstoffversorgung aller Zellen des Schnitts gesichert ist, darf die Schnittdicke einen bestimmten Grenzwert nicht überschreiten (Grenzschnittdicke). Die Stoffwechselprodukte können in der Suspensionsflüssigkeit bestimmt werden. Die Gewebsschnittmethode wurde von Warburg zur Messung des Gaswechsels (Sauerstoffaufnahme, Kohlensäureabgabe) verwendet. Er bediente sich dazu des von H a i d a n e und B a r c r o f t entwickelten „Blutgasmanometers". Die Schnitte werden in Reaktionsgefäße gebracht, die mit einem Flüssigkeitsmanometer verbunden sind und in einem Wasserbad konstanter Temperatur geschüttelt werden können. Aus der Druckänderung kann die Änderung des Gasvolumens leicht berechnet werden. Die Warburgsche manometrische Technik gehört zu den grundlegenden biochemischen Methoden. Die Gewebsschnittmethode hat gegenüber der Durchströmungsmethode den Vorteil größerer Einfachheit und außerdem ist sie viel allgemeiner anwendbar. Eine gewisse Schädigung der Gewebe läßt sich allerdings nicht vermeiden. In vielen Fällen kann an Stelle der Schnitte auch grob zerkleinertes Gewebe (Gewebssuspensionen) verwendet werden. Bei der Verwendung überlebender Gewebe spielt die Diffusion eine große Rolle. Unter den Bedingungen des Versuchs müssen oft Substanzen von außen an die Zelle herangebracht werden, die unter physiologischen Bedingungen in der Zelle selbst entstehen; in vielen Fällen vermögen dieselben aber die Zelloberfläche nicht oder nur langsam zu durchdringen. Sie werden vom Gewebsschnitt oder dem durchströmten Organ anscheinend gar nicht umgesetzt, während sie in Wirklichkeit sehr reaktionsfähig sind. Damit ist der Anwendung von intaktem überlebendem Gewebe eine Grenze gesetzt.

Ausgedehnte Anwendung haben zerkleinerte Gewebe gefunden, in denen die Zellen fast vollständig zerstört sind (sog. „Homogenate"). Sie haben den Vorteil, daß die Zellpermeabilität völlig ausgeschaltet ist. Der Aufschluß der Gewebe kann auf verschiedene Weise geschehen, bei großen Mengen z. B. durch Zertrümmerung mit dem „Turmix" usw. Für kleine Mengen Gewebe wird heute der „Homogenisator" nach P o t t e r und E l v e h j e m häufig angewandt, welcher eine vollständige Zerstörung der Zellen gestattet. Der Apparat besteht aus einem Pistill, das in ein dickwandiges Reagensglas eingeschliffen ist, so daß zwischen Pistill und Glaswand ein Spalt von wenigen Zehntelmillimetern besteht. Das zu zerkleinernde Gewebe wird mit der Suspensionsflüssigkeit in das Glas gegeben und das Pistill auf die vertikal stehende Achse eines rasch laufenden Motors aufgesetzt. Beim Einpressen des rotierenden Pistills in das Glas wird das Gewebe durch den engen Spalt zwischen Glas und Pistill gedrückt und dort vollständig zerrieben.

Viele Fermente gehen beim Zerkleinern („Homogenisieren") des Gewebes in Lösung; andere bleiben an die Strukturelemente der Zelltrümmer gebunden und lassen sich deshalb leicht von den ersteren abtrennen. Durch besondere Verfahren (fraktionierte Z e n t r i f u g a t i o n in geeigneten Lösungen) lassen sich aus dem homogenisierten Gewebe gewisse morphologisch wohldefinierte Zellbestandteile wie

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

221

die Kerne oder die Zellgranula im intakten Zustand gewinnen. Dadurch ist die Lokalisation verschiedener Stoffwechselprozesse in der Zelle möglich. Auch die Untersuchung der Stoffwechselvorgänge in zerkleinertem Gewebe begegnet charakteristischen Schwierigkeiten. Bei der mechanischen Zertrümmerung der Zellen kommen vorher getrennte Zellbestandteile miteinander in Berührung. Die Stoffwechselvorgänge, die in der lebenden Zelle die ständige Erneuerung der Zellsubstanz bewirken, kommen bald zum Stillstand, und daher setzen sehr rasch Abbauvorgänge ein. Auf diese Weise können empfindliche Stoffe, Permente oder Coenzyme, in kurzer Zeit inaktiviert werden. Das zerkleinerte Gewebe muß immer in Form einer mehr oder weniger verdünnten Suspension verwendet werden. Da viele Aktivatoren der Enzyme (Cofermente) durch die Zerstörung der Zellen frei diffusibel werden, können sie in der Suspension so stark verdünnt sein, daß sie unwirksam werden. Man hat früher von verschiedenen Enzymen, die im zerkleinerten Gewebe unwirksam werden, angenommen, daß ihre Aktivität eine intakte Zellstruktur zur Voraussetzung hat. In vielen Fällen handelt es sich aber nur um eine zu starke Verdünnung der unentbehrlichen Aktivatoren. Es gibt allerdings Enzyme, die sich bis heute nicht von bestimmten Strukturbestandteilen der Zelle haben abtrennen lassen. Oft ist es von Vorteil, das zerkleinerte Gewebe durch Eintragen in Aceton rasch zu entwässern. Auf diese Weise gewonnene „Acetontrockenpulver" sind für die Darstellung vieler Fermente ein günstiges Ausgangsmaterial. Wir können hier die Methoden, die weiter zur Abtrennung und Isolierung einzelner Fermente führen, nicht besprechen. Sie sind je nach Art der Gewebe und der Enzyme sehr verschieden. Im wesentlichen sind es die Methoden der Eiweißchemie.

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer" Wir müssen hier noch kurz auf die modernste Methode der Stoffwechselforschung zu sprechen kommen, die Verwendung der stabilen und radioaktiven Elemente als „tracer", weil wir in den nachfolgenden Kapiteln an verschiedenen Stellen die Ergebnisse dieser Methode benutzen werden. Sie hat auf verschiedenen Gebieten zu bedeutenden Erfolgen geführt. Wir erhalten den besten Einblick in die Natur und die Leistungsfähigkeit der Methode, wenn wir einige charakteristische Probleme betrachten, die mit ihrer Hilfe angegriffen werden können. Führen wir einem Organismus eine Substanz zu, die ein normaler Bestandteil seiner Zellen ist, so können wir ihren Weg und ihre Umwandlungen in der Regel nicht verfolgen. Die Substanz oder die Verbindungen, die aus ihr hervorgehen, vermischen sich mit den schon vorhandenen gleichartigen Stoffen, so daß es unmöglich ist, sie wieder aufzufinden. Wenn die zugeführte Menge genügend groß ist, kann es allerdings vorkommen, daß einzelne Gewebsbestandteile vermehrt werden oder daß die Ausscheidung gewisser Stoffe zunimmt, und wir können annehmen, daß die zugeführte Substanz das Material dazu liefert. Aber auch in diesem Falle bleibt eine Unsicherheit bestehen. Die zugeführten Substanzen können die beobachteten Veränderungen auch auf indirektem Weg auslösen. Es gibt keine Möglichkeit, auf direkte Weise den Anteil festzustellen, den die körpereigenen und die von außen kommenden Stoffe an der Neubildung der Gewebsbestandteile oder der Ausscheidungsprodukte haben. Einige Beispiele mögen diese Sachlage illustrieren. Die Glucose, welche das Tier in seiner Nahrung aufnimmt, kann entweder verbrannt werden oder in Glycogen übergehen oder zur Fettbildung dienen; wir können aber nicht mit Sicherheit angeben, welcher Anteil des zugeführten Zuckers für die verschiedenen Reaktionen verwendet wird. Ähnlich verhält es sich mit den Fettsäuren; sie können als Reservefett in den Geweben abgelagert oder oxydiert werden. Auch hier wissen wir nicht, in welchem Umfang die verschiedenen möglichen Stoffwechselreaktionen stattfinden. Beim optimal ernährten Tier ist sowohl der gesamte Glycogenbestand als auch der

222

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

Fettbestand des Körpers annähernd konstant, und die Reserven sind aufgefüllt. Das Tier nimmt aber beständig Kohlenhydrat und Fett auf. Wird unter diesen Bedingungen das zugeführte Kohlenhydrat und Fett sofort verbrannt, ohne daß in den Geweben Glycogen oder Reservefett deponiert wird ? Oder findet eine ständige Erneuerung der Depots statt, indem dort altes Material mobilisiert und neues eingelagert wird ? Auch von den aufgenommenen Aminosäuren können wir nicht angeben, auf welche Weise sie verwertet und im Körper verteilt werden. Beim Erwachsenen ist der Eiweißbestand konstant; es wird so viel Stickstoff ausgeschieden, als aufgenommen worden ist. Werden unter diesen Bedingungen die aufgenommenen Aminosäuren sofort abgebaut und verbrannt, d. h. stammt der ausgeschiedene Stickstoff aus dem Nahrungseiweiß, oder findet ein Austausch mit den Eiweißkörpern der Gewebe statt, so daß der ausgeschiedene Stickstoff sowohl vom Nahrungs- als auch vom Gewebseiweiß geliefert wird ? Ähnliche Probleme stellen sich auch bei der biochemischen Synthese der organischen Verbindungen. In vielen Fällen fließt das Material, das zum Aufbau eines Moleküls dient, aus verschiedenen Quellen. Es werden die Bruchstücke verschiedener Verbindungen zu einem neuen Molekül zusammengefügt, und es entsteht daher die Frage, woher die einzelnen Bausteine stammen und in welcher Weise sie verbunden worden sind. Auf viele der oben formulierten Fragen läßt sich auf indirektem Weg eine Antwort finden, die aber meistens mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. Es fehlte bisher eine Methode, welche es gestattet hätte, derartige Probleme direkt und endgültig zu lösen. Man erkennt leicht die gemeinsame Schwierigkeit der aus den verschiedensten Gebieten des Stoffwechsels hergeholten Fragen: Es ist nicht möglich, die einem Organismus von außen zugeführten Moleküle von den gleichartigen körpereigenen zu unterscheiden. Wir können mit den gewöhnlichen chemischen Methoden die stofflichen Veränderungen nur bilanzmäßig erfassen, aber nicht das individuelle Verhalten der einzelnen Moleküle verfolgen. Wir sollten die dem Organismus von außen zugeführten Moleküle auf irgendeine Weise kennzeichnen können, um sie im Stoffwechselgetriebe des Organismus nicht zu verlieren. Eine solche Kennzeichnung auf chemischem Wege ist in verschiedenen Fällen versucht worden. Man hat z. B. in organische Verbindungen Substituenten eingeführt, meist allerdings mit dem Nebenzweck, das Molekül weniger reaktionsfähig zu machen, oder man hat an Stelle des natürlichen Stoffs eine ähnliche, aber im Körper nicht vorkommende Verbindung verwendet, die sich von der natürlichen gut unterscheiden läßt, in der Annahme, daß sich der Ersatzstoff ähnlich verhält wie die natürliche Verbindung. So hat man z. B. Ölsäure durch Elaidinsäure ersetzt oder organische Verbindungen der Orthophosphorsäure durch die entsprechenden Arsenverbindungen. Aber abgesehen davon, daß solche Methoden nur in ganz speziellen Fällen anwendbar sind, können sie nie zu sicheren Resultaten führen, weil jede chemische Veränderung eines Moleküls sein biologisches Verhalten vollständig verändern kann. Das Problem der Kennzeichnung chemischer Verbindungen ohne Änderung ihrer chemischen Eigenschaften ist erst durch die Einführung der Isotope gelöst worden. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu können, erinnern wir an die folgenden Grundtatsachen: Die c h e m i s c h e n Eigenschaften der Elemente hängen vom Bau der Elektronenschale ab. Die verschiedenen Isotope eines Elements unterscheiden sich aber

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

223

nur durch ihr Atomgewicht, d. h. durch die Masse des Kerns; die chemischen Eigenschaften der Isotope ein und desselben Elements sind identisch. Die Isotope lassen sich nur durch physikalische Methoden voneinander unterscheiden und bestimmen. Sie eignen sich in idealer Weise dazu, chemische Verbindungen zu „markieren", ohne sie mit einer „Indikatorgruppe" versehen und damit ihre chemischen Eigenschaften verändern zu müssen. Man führt bei der Synthese der zu untersuchenden organischen Verbindungen an Stelle des gewöhnlichen Elements ein Isotop ein und erhält so Moleküle, die zwar genau die gleichen chemischen Eigenschaften haben wie die normalen, aber dank ihrem Isotopengehalt von denselben unterschieden werden können. (Bei der Verwendung radioaktiver Elemente enthält immer nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Moleküle das Isotop; bei den stabilen Isotopen ist ein bedeutend größerer Gehalt nötig, um die Bestimmung exakt durchführen zu können.) Wenn die markierte Verbindung von irgendeinem Organismus aufgenommen wird, so bezeichnet das Isotop den Weg, welchen das markierte Atom im Stoffwechsel durchläuft; es dient als „ t r a c e r " ( „ L e i t i s o t o p " ) . Dank den großen Fortschritten der Kernphysik ist es in den letzten Jahren gelungen, von den meisten biologischen Elementen geeignete Isotope in so großen Mengen herzustellen, daß sie in ausgedehntem Maße für biologische Versuche Anwendung finden konnten. Wir müssen in methodischer Hinsicht zwei Arten von Isotopen unterscheiden: 1. nicht radioaktive „schwere" Isotope mit stabilem Kern und 2. radioaktive mit instabilem Kern. Die ersteren können durch das Massenspektrometer bestimmt werden, die letzteren durch Messung der radioaktiven Strahlung mit Hilfe von G e i g e r - M ü l l e r s c h e n Zählrohren, Scintillationszählern, Ionisationskammern usw. Natürlich vorkommende radioaktive Isotope finden sich vor allem unter den schweren Elementen (Uran, Radium). Die radioaktiven Isotope der biologisch wichtigen leichten Elemente werden künstlich durch geeignete Kernreaktionen dargestellt (Beschießung mit Elementarteilchen hoher Energie, z. B. Protonen oder Neutronen, heute in großem Umfang im Atomreaktor). Für alle Einzelheiten verweisen wir auf die speziellen Lehrbücher. Wir müssen hier noch eine wichtige Größe erwähnen, welche für die Anwendung der radioaktiven Isotope von Bedeutung ist, die sog. H a l b w e r t s z e i t . Die Strahlung hat ihren Ursprung in einer Zerfallsreaktion der Atomkerne. Die Menge der instabilen Kerne und daher die Intensität der Strahlung nehmen beständig ab, und zwar nach einem einfachen logarithmischen Gesetz. Sei x die Zahl der instabilen Atome (welcher die Strahlungsintensität proportional ist) zur Zeit t, —dx die Abnahme dieser Größe während des kleinen Zeitintervalls dt, so ist das Verhältnis dx —dx: x unabhängig von x und proportional dt, also —dx/x = kdt oder — = —kx; die Auflösung dieser Differenzialgleichung gibt in bekannter Weise log x„/x = k(t—t„), wo x„ die Strahlungsintensität ( = Zahl der instabilen Atome) zur Zeit t 0 , x die Strahlungsintensität zur Zeit t bedeutet. Das Zeitintervall, während dessen die Strahlungsintensität auf den halben Wert absinkt, ist daher eine konstante Größe t—10 =

und kann als Maß für

die Zerfallsgeschwindigkeit dienen, denn sie ist umgekehrt proportional der Zerfallskonstanten k.

Wenn ein Isotop als „tracer" für biologische Versuche verwendet werden soll, so darf es nicht zu kurzlebig sein. Andernfalls ist die Aktivität am Ende der Versuchszeit (wozu auch die Zeit für die Synthese der markierten Verbindungen und die Vorbereitung des Materials zur Messung gehört) so klein geworden, daß sie nicht mit

224

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

genügender Genauigkeit gemessen werden kann. Glücklicherweise existieren von den wichtigsten biologischen Elementen Isotope mit geeigneter Halbwertszeit. Die wichtigsten Isotope, die bei der Erforschung des Intermediärstoffwechsels Verwendung gefunden haben, sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt; bei den stabilen ist die Häufigkeit des natürlichen Vorkommens in %, bei den radioaktiven die Halbwertszeit angegeben. Die angeführten Isotope sind /S-Strahler. Im folgenden werden die Isotope dadurch gekennzeichnet, daß das Atomgewicht als Index in Klammern dem Symbol des Elements beigefügt wird, z. B. bedeutet CK13) den „schweren" Kohlenstoff, C E + 2H20 + 02

Die Gleichungen (2) und (3) stellen analoge Vorgänge dar. Die Bildung der Komplexe zwischen Enzym und Peroxyd ist eine außerordentlich rasch verlaufende Reaktion, die sich spektroskopisch verfolgen läßt, weil die Komplexe charakteristische Absorptionsspektren zeigen. Das Primärprodukt der Addition ist eine grüne Verbindung, die sich sekundär in eine rote Verbindung umwandelt. Bei den Peroxydasen stellt die letztere den katalytisch aktiven Komplex dar, welcher nach Gleichung (2) reagiert, während bei der Katalase beide Komplexe beteiligt zu sein scheinen. Über ihre Natur ist nichts Sicheres bekannt. Zum Nachweis dieser labilen Verbindungen und zur Aufklärung ihrer Beaktionskinetik mußten besondere Methoden entwickelt werden, welche die spektroskopische Verfolgung sehr rasch ablaufender Vorgänge ermöglichen (Br. Chance 2 )).

Die physiologische Funktion der Hydroperoxydasen beruht wahrscheinlich darin, das im Zellstoffwechsel entstehende Wasserstoffsuperoxyd (vgl. S. 243) zu zerstören. Ob die Katalase in der Zelle aus dem Wasserstoffsuperoxyd den Sauerstoff abspaltet oder ihn als Peroxydase auf andere Verbindungen überträgt, hängt, wie auf Grund der oben angegebenen Reaktionsgleichungen leicht verständlich ist, von der H 2 0 2 -Konzentration im Verhältnis zur Konzentration der vorhandenen oxydierbaren Verbindungen ab. Da die letzteren unter physiologischen Bedingungen wohl stets in großem Überschuß vorhanden sind, dürfte im Zellmilieu auch die Katalase immer als Peroxydase wirksam sein (Theorell). Es liegt hier die merkwürdige Situation vor, daß bei einem Enzym die am leichtesten zu beobachtende Wirkung, die zudem mit sehr hoher Geschwindigkeit abläuft, unter physiologischen Bedingungen wahrBr. C h a n c e , Nature 161, 914 (1948); T h e o r e l l , Adv. Enzymol. 7, 265 (1947). ) Vgl. z.B. Br. C h a n c e , in S u m n e r u. M y r b ä c k : The Enzymes. Vol. II, Kap. 56 C, S. 428. Science 120, 767 (1954); The Harvey Lectures 1953/54, Series XLIX, S. 145. New York 1954; Br. C h a n c e , in M c E l r o y u. G l a s s : The mechanism of enzyme action, S. 389. Baltimore 1954. 2

236

Die biologische Oxydation

scheinlich gar keine Rolle spielt 1 ). Zu den Substraten, welche vorwiegend oder ausschließlich durch die Katalase oxydiert werden, gehören Methylalkohol und Ameisensäure 2 ).

Die verschiedenen Häminproteide unterscheiden sich also sowohl durch ihr Häm als auch durch ihre Proteine. Das Protohäm findet sich im Hämoglobin, im Myoglobin, im Cytochrom c, in der Leberkatalase und in der Meerrettichperoxydase. Die Natur der übrigen Hämine (Atmungsferment, Cytochrom a und b, Verdoperoxydase) ist noch nicht mit Sicherheit bekannt. Es ist eine interessante Tatsache, daß das gleiche Häm, das Protohäm, so verschiedenartige Funktionen erfüllen kann, je nach dem Protein, mit dem es verbunden ist. Im Hämoglobin hat es keine katalytischen Eigenschaften, vermag aber 0 2 reversibel zu addieren; das Eisen bleibt dauernd zweiwertig. In den übrigen Proteiden wirkt es katalytisch. Im Cytochrom c oszilliert das Eisen dabei zwischen dem zwei- und dreiwertigen Zustand, in der Peroxydase und Katalase verweilt es wahrscheinlich dauernd im dreiwertigen Zustand. T h e o r e l l benützt das folgende anschauliche Bild: „Man wird beim Arbeiten auf diesem Gebiet tief davon beeindruckt, in welchem Maße die Eiweißkörper die prosthetischen Gruppen beherrschen, etwa wie ein Virtuose sein Instrument beherrscht. Aus dem Protohämin macht das Eiweiß einmal Hämoglobin, ein anderes Mal Cytochrom, eine Katalase oder eine Peroxydase. Andererseits kann das Eiweiß auch auf verschiedenen Instrumenten dieselbe Melodie spielen, so bei den Peroxydasen, die ungefähr die gleiche Wirkung haben, trotzdem die Hämine verschieden sind. Jedoch ist das Eiweiß schließlich an die Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments gebunden. Ebensowenig wie man ein Klavierkonzert auf der Flöte spielen kann, ebensowenig kann das Eiweiß mit dem Hämin zusammen z. B. eine Decarboxylase bilden. Auf alle Fälle erblicken wir in dem Zusammenspiel zwischen Eiweiß und Häminen ein schönes Beispiel der ungeheuer fein differenzierten Tätigkeit der Eiweißkörper im biologischen Geschehen."

2. Die wasserstoffübertragenden Fermente A. Die Dehydrierung der organischen Stoffe

Die bisher besprochenen Erscheinungen betreffen die Reaktion des Sauerstoffs mit der lebenden Substanz und die katalytische Wirkung des Eisens. Der Sauerstoff oxydiert komplex gebundenes Ferroeisen zu Ferrieisen; aber er reagiert nicht direkt mit den organischen Stoffen der Zelle. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß aber auch das Cytochromeisen nicht unmittelbar auf die oxydablen Nährstoffe (Kohlenhydrate, Fette usw.) einwirkt ; im allgemeinen sind zwischen das Cytochrom und diese Substrate noch weitere Redoxsysteme eingeschaltet, deren Natur und Wirkung wir nun besprechen müssen. In der allgemeinen Einleitung wurde darauf hingewiesen, daß nach allen heute vorliegenden Erfahrungen die Oxydation der organischen Substanzen in der Zelle primär immer mit einer Dehydrierung beginnt. Der Eintritt von Sauerstoff in die Moleküle erfolgt durch Anlagerung von Wasser. Diese Auffassung der biologischen Oxydation wurde vor allem durch die Arbeiten von H. W i e l a n d gefördert, der als erster die große allgemeine Bedeutung der Wasserstoffverschiebung für die biochemischen Vorgänge erkannt hat. Die W i e l a n d s c h e Theorie der biologischen Oxydation in ihrer ursprünglichen Form nahm an, daß der Wasserstoff der organischen Verbindungen durch die „Oxydasen" der Zelle aktiviert, d. h. reaktionsfähig gemacht wird. Er soll dadurch befähigt werden, auf den molekularen Sauerstoff überzugehen, wobei die organische Verbindung dehydriert wird. Wasserstoff und Sauerstoff bilden zusammen zunächst Wasserstoffsuperoxyd, das aber durch die Katalase rasch gespalten wird. Man kann diese Vorstellung in die folgenden beiden Gleichungen zusammenfassen: Anscheinand existieren bei Bakterien (Streptokokken) auch Peroxydasan, die nicht ein Hämin, sondernFlavin als prosthetische Gruppe enthalten. Vgl. D o l i n , Arch. Biochem. Biophys. 55, 415 (1955). 2 ) Eine Liste der Substrate, welche durch die Hydroperoxydase oxydiert werden, gibt Mason, Adv. Enzymol. 19, 105 (1957).

Die wasserstoffübertragenden Fermente dehydriertes Substrat

Substrat

Bilanz:

XH2 + 02

Oxydase

H A

Katalase

XH2 +

237

i/202

>

X + 1/ 2 Q 2

>

H202 H20

+

X +

H20

Der Grundgedanke dieser Theorie besteht darin, daß die Oxydationsfermente den W a s s e r s t o f f der Substrate reaktionsfähig machen und daß der aktivierte Wasserstoff s p o n t a n mit dem Luftsauerstoff reagiert. Die erste Annahme ist richtig; der Wasserstoff der Substrate wird durch bestimmte Fermente, die Dehydrasen, aktiviert. Die zweite Annahme ist unzutreffend; der aktivierte Wasserstoff reagiert nicht direkt mit dem Luftsauerstoff, sondern er wird von bestimmten Verbindungen, den Co f e r m e n t e n der Zelloxydation, aufgenommen. Nur in Ausnahmefällen werden die hydrierten Cofermente durch den molekularen Sauerstoff unter Bildung von H 2 0 2 oxydiert. Sie reagieren in der Regel mit den eisenhaltigen Fermenten, die wir oben besprochen haben; anders ausgedrückt, sie werden durch den am Eisen des Atmungsfermentes aktivierten Sauerstoff oxydiert. Zuerst wurden die beiden Vorstellungen „aktivierter Substratwasserstoff" einerseits, „aktivierter Sauerstoff" andererseits als sich ausschließend einander gegenübergestellt. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, daß sie sich ergänzen, wenn man die Annahme einer direkten Reaktion des aktivierten Wasserstoffs mit dem Luftsauerstoff fallen läßt. Den Schlüssel für die Lösung des Problems bildet die Entdeckung der wasserstoffübertragenden Cofermente. Bevor wir auf dieselbe eingehen, müssen wir noch kurz die wichtigsten Tatsachen erwähnen, die zur Annahme einer Dehydrierung geführt haben. Am besten läßt sich die „sauerstofflose Oxydation" mit Hilfe von Redoxfarbstoffen sichtbar machen, die bei der Reduktion entfärbt werden. Sehr gut eignet sich dazu Methylenblau, dessen reduzierte Stufe („Leukofarbstoff") farblos ist: H

I!

\

I

I

+

+

2H

blau

,

I i

I

I I

I

+

h+

farblos

Bringt man das Substrat bei Gegenwart des Ferments mit Farbstoff unter Sauerstoffausschluß zusammen, so wird der Farbstoff entfärbt, weil er den Wasserstoff des Substrats aufnimmt: Substrat + Farbstoff

>• dehydriertes Substrat + Leukofarbstoff.

Schüttelt man z. B. abgetötete Essigsäurebakterien mit Äthylalkohol oder Acetaldehyd unter Sauerstoffausschluß mit Methylenblau, so wird dasselbe entfärbt, und es erscheint in der Lösung Essigsäure. Das Methylenblau kann durch Chinon ersetzt werden. I n diesem Falle wird als reduzierte Verbindung Hydrochinon gebildet (Wieland): 0

CH3CH2OH + 2 II

OH

|| + H 2 0

• CHjCOOH + 2 ÖH

Die biologische Oxydation

238

Man nennt ganz allgemein die Stoffe, welche den Wasserstoff irgendeines Substrats aufnehmen, W a s s e r s t o f f a k z e p t o r e n . Die Körper, die den Wasserstoff abgeben, heißen W a s s e r s t o f f d o n a t o r e n . Mit der Technik der Methylenblaureduktion hat besonders T h u n b e r g das Vorhandensein von Fermenten in den Geweben nachgewiesen, die bei Sauerstoffabschluß alle möglichen Substrate zu dehydrieren vermögen (z.B. Bernsteinsäure, Milchsäure, Hydroxybuttersäure, Äpfelsäure, Citronensäure, Glutaminsäure). Diese Fermente werden D e h y d r o g e n a s e n oder kürzer D e h y d r a s e n genannt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Dehydrierung der Bernsteinsäure durch die weitverbreitete Suecinodehydrogenase. Bernsteinsäure steigert den 0 2 -Ver brauch von zerkleinertem, gut ausgewaschenem Muskelgewebe. Das Produkt der Oxydation ist Fumarsäure. Man erhält aber dieselbe Oxydation, wenn man unter Luftabschluß und bei Gegenwart von Methylenblau arbeitet. In diesem Fall wird Methylenblau auf Kosten der Bernsteinsäure hydriert: COOH I CH2 I + CH2

COOH I CH >• || -fCH

Methylenblau

¿OOH

Leukomethylenblau

COOH

Bernsteinsäure

Fumarsäure

Die Oxydation der Alkohole zu Aldehyden und weiter zu Carbonsäuren läßt sich ebenfalls als Dehydrierung auffassen; z. B.: H i /

^H

„„

1

/H CH3C CH 3 C< / \OH

+ h ,

Acetaldehyd

~

„„

2 H

>

Hydrat des Acetaldehyds

.OH CH 3 C^ ^0 Essigsäure

Man ersieht aus diesem Beispiel gleichzeitig auch, wie das zweite Sauerstoffatom der Carbonsäure durch Wasseranlagerung an den Aldehyd eingeführt wird. Es kann vorkommen, daß Wasserstoff zwischen zwei gleichartigen Aldehydmolekülen verschoben wird. Läßt man z. B. auf Benzaldehyd konzentrierte wässerige Kalilauge einwirken, so entsteht ein Gemisch von Benzoesäure und Benzylalkohol: CHO

+

CHO

COOH

+

CH,OH

u u^ u u I

I

I

Diese Reaktion, die „Disproportionierung" von Aldehyd zu Säure und Alkohol, heißt nach ihrem Entdecker Cannizzarosche Reaktion. Von zwei Molekülen derselben Art wirkt gleichzeitig eines als Wasserstoffakzeptor und das andere als Wasserstoffdonator. Diese Reaktion hat auch biologische Bedeutung. In der Hefe, in höheren Pflanzen, in der Leber höherer Tiere findet sich eine A l d e h y d m u t a s e , welche Aldehyde nach dem Schema der obigen Gleichung umsetzt. Als besonderer Fall der Cannizzaroschen Dismutation kann auch die Wasserstoffverschiebung aufgefaßt werden, die beim Methylglyoxal, einem Ketoaldehyd, zwischen der (hydratisierten) Aldehyd- und der Carbonylgruppe des gleichen Moleküls eintritt:

Die wasserstoffübertragenden Cofermente

/

H I /OH

H

c- Gluconsäure-6-phosphat + TPNH + H+. (Ausführliche Formeln siehe S. 307.) Die obige Reaktion kann aber nur in Gegenwart eines spezifischen Proteins stattfinden (das „Zwischenferment" W a r b u r g s = Glucose-6-phosphatdehydrogenase), mit dem sich das Nucleotid verbindet. Dieses Protein ist das A p o f e r m e n t der Dehydrogenase, durch dessen Vereinigung mit dem Coferment erst das aktive E n z y m entsteht. E s liegt hier der Fall eines E n z y m s vor, das mit seinem Coferment in einem reversiblen Gleichgewicht steht. Alle Verbindungen der Pyridinnucleotide mit den Fermentproteinen sind dieser Art. D a s Gleichgewicht kann, wenn wir den einfachsten Fall der Bindung eines Moleküls Coferment durch ein Molekül Fermentprotein annehmen, durch die folgenden Reaktionsgleichungen dargestellt werden: Ferment + DPN

> Ferment • DPN

bzw. Ferment + DPNH ,

' Ferment • DPNH

I n der Regel sind die entsprechenden Dissoziationskonstanten k

D P N

_ (DPN) (Ferment) (Ferment. DPN)

^

t K

_ (DPNH) (Ferment) D P N H ~ ( F e r m e n t • DPNH)

voneinander verschieden. P u l l m a n u. Mitarb., J . biol. Chem. 206, 129 (1954); L o e w u s u. Mitarb., J . Am. ehem. Soc. 77, 3391 (1955). Über den Mechanismus der Reduktion vgl. auch Colowick, in M c E l r o y u. G l a s s : The mechanism of enzyme action, S. 353. Baltimore 1954. 18

L e u t h a r d t . , Lehrbuch, 14. Aufl.

Die biologische Oxydation

242

Wir müssen uns vorstellen, daß Coferment und Substrat an der Oberfläche des Fermentproteins derart gebunden sind, daß der Wasserstoff direkt zwischen Donatorund Akzeptorgruppe verschoben werden kann. Im folgenden Schema, das den Übergang des Wasserstoffs vom Coferment auf das Substrat veranschaulichen soll, ist Acetaldehyd als Substrat angenommen (Apoferment Alkoholdehydrogenase s. unten). Die Bindung von Coferment und Substrat an das Protein ist völlig willkürlich angenommen: H2NOC

R N | |

H^^/CHj

- ö• TPN+ + Flavin H 2 .

Das hydrierte Ferment schließlich kann in diesem besonderen Fall mit dem Luftsauerstoff reagieren, wobei Wasserstoffsuperoxyd entsteht: Flavin H2 + 0 2

• Flavin + HjO.,.

Oder es kann den Wasserstoff an Methylenblau abgeben, welches dadurch entfärbt wird und in Leukomethylenblau übergeht: Flavin H2 -f- Methylenblau

(Formeln siehe S. 237). 16»

• Flavin + Leukomethylenblau

244

Die biologische Oxydation

Die Summe aller dieser Reaktionen besteht also darin, daß Wasserstoff vom Substrat, der Phosphoglucose, auf den Luftsauerstoff oder das Methylenblau übertragen wird. Die Fermente, die an dieser Reaktion beteiligt sind, können daher als w a s s e r s t o f f ü b e r t r a g e n d e F e r m e n t e bezeichnet werden. Das oben genannte gelbe Ferment wird heute vielfach als das „alte" gelbe Ferment bezeichnet. Es sind nämlich seit seiner Entdeckung verschiedene andere Fermente aufgefunden worden, die Flavin enthalten. (Man bezeichnet Proteide, die Flavin in ihrer prosthetischen Gruppe enthalten als F l a v o p r o t e i d e . Sie stellen eine besondere Gruppe der Chromoproteide dar.) Ihre Wirkungsgruppe enthält aber dazu noch Adenin und Ribose. Es handelt sich also um ein Adenin-Flavin-Dinucleotid. Dieses Coferment wurde zuerst von W a r b u r g aus der von K r e b s entdeckten D-Aminosäureoxydase isoliert. Die letztere dehydriert Aminosäuren der nicht natürlichen D-Reihe unter Ammoniakabspaltung und Bildung der entsprechenden Ketosäure (vgl. S. 279). Das Adenin-Flavin-Dinucleotid hat die Zusammensetzung einer Verbindung aus 1 Molekül Adenylsäure und 1 Molekül Lactoflavinphosphat. Man schreibt ihm daher einen den Pyridin-Adeninnucleotiden analogen Bau zu: NHo N N I HC HCOH HC OH

N

O

bAH2C—0—P—O—P—O—CH, OH

OH

Die gelben Fermente können also nicht nur, wie früher gezeigt wurde, durch die hydrierten Pyridincofermente, sondern auch durch andere Wasserstoffdonatoren reduziert werden. Wir kennen heute eine Reihe derartiger Flavinenzyme mit verschiedener Spezifität. Auch die Rückoxydation der hydrierten gelben Fermente kann auf verschiedene Weise erfolgen. Wir haben bereits früher ein Beispiel für die Oxydation durch molekularen Sauerstoff kennengelernt, wobei H 2 0 2 entsteht. Wichtiger aber ist die Rückoxydation durch die Cytochrome, auf die wir später zu sprechen kommen werden. Die D-Aminosäureoxydase ist nicht imstande, reduzierte Pyridincofermente wieder zu dehydrieren wie das „alte" gelbe Ferment; sie ist spezifisch auf D-Aminosäuren eingestellt. Dagegen wurde später aus Hefe ein Ferment isoliert, welches wie die Aminosäureoxydase als Wirkungsgruppe Flavin-Adenin-Dinucleotid enthält, aber mit Pyridinnucleotiden (TPN) reagiert (Haas 1 )). I m Gegensatz zum alten Ferment wird seine reduzierte Form von Sauerstoff nur langsam rückoxydiert; dagegen reagiert es sehr rasch mit Methylenblau. Die Proteinkomponente ist von derjenigen H a a s , Biochem. Zschr. 298, 378 (1938).

Die wasserstoffübertragenden Cofermente

245

des „alten" gelben Ferments verschieden. Es sind seither eine ganze Reihe gelber Fermente bekannt geworden, welche an der Zellatmung beteiligt sind. Es genügt, wenn wir hier auf einige Beispiele hinweisen. Man hat in vielen Geweben Fermente nachgewiesen, welche die Oxydation von reduzierten Pyridinnucleotiden durch 0 2 und Methylenblau oder auch durch Cytochrom vermitteln. Solche Enzyme wurden von E u l e r als „ D i a p h o r a s e n " , von D e w a n und G r e e n als , , C o e n z y m - F a k t o r " beschrieben 1 ). Sie sind ebenfalls Flavoproteide. Eine reine Diaphorase ist von S t r a u b aus Herzmuskel isoliert worden 2 ). Die Wirkungsgruppe ist wahrscheinlich Flavin-Adenin-Dinucleotid. Das Ferment wird durch die reduzierten Pyridinnucleotide hydriert ; die hydrierte Form reagiert langsam mit Sauerstoff, aber schnell mit Methylenblau. Es ist aber vom oben erwähnten Hefeferment verschieden, da es andere optische Eigenschaften zeigt. Es fluoresziert grün, während sonst nur die freien Flavinnucleotide, nicht aber die Flavoproteide Fluoreszenz zeigen. Ein weiteres gelbes Ferment ist aus Hefe dargestellt worden ( H a a s , H o r e c k e r und H o g n e s s 3 ) ) . Seine Wirkungsgruppe ist Flavinphosphat wie beim „alten" gelben Ferment. Es dehydriert spezifisch das Triphosphopyridinnucleotid und zeigt die Besonderheit, daß es durch Cytochrom c sehr rasch reoxydiert werden kann. (Es reagiert mit Cytochrom etwa 500000mal schneller als mit molekularem Sauerstoff.) Man bezeichnet solche 'Enzyme daher als C y t o c h r o m r e d u k t a s e n . Ein ähnliches auf TPN eingestelltes Enzym wurde aus Schweineleber dargestellt ( H o r e c k e r 4 ) ) . Hier sind auch die Flavoproteine aus Herzmuskel und Hefe zu erwähnen, welche die Dehydrierung von reduziertem Diphosphopyridinnucleotid durch lösliches Cytochrom c vermitteln 5 ). Von größtem Interesse — wegen ihrer Bedeutung für die Atmungskette — ist die neuerdings v o n M a r t i u s isolierte P h y l l o c h i n o n - oder V i t a m i n KR e d u k t a s e 6 ) . Das Enzym enthält als Wirkungsgruppe Flavin-Adenin-Dinucleotid. Wir werden bei der Besprechung der Atmimgskette auf dieses Ferment zurückkommen. Aus der Hefe ist ein Enzym isoliert worden, das nach seinem Absorptionsspektrum ein Cytochrom b ist, das aber neben Protohäm gleichzeitig noch Flavinmononucleotid als prosthetische Gruppe enthält7). Das Ferment dehydriert spezifisch Lactat, ist also eine Milch s ä u r e d e h y d r o g e n a s e . Es gleicht in seiner Zusammensetzung der Succinoxydase, auf die wir später ausführlicher zu sprechen kommen werden.

Außer den oben genannten gelben Fermenten, von denen man vermuten kann, daß sie an den Hauptreaktionen der Atmung (Atmungskette) teilnehmen, sind andere bekannt, die offenbar spezielleren Funktionen dienen, wie die oben erwähnte Aminosäureoxydase. Wir erwähnen hier noch die X a n t h i n o x y d a s e , ein Enzym mit sehr breitem Spezifitätsbereich, das einerseits verschiedene Aldehyde zur entsprechenden Säure, andererseits die Hydroxypurine Hypoxanthin und Xanthin zu Harnsäure oxydiert(vgl. S. 476). Wir werden später auf die s o g . Ä t h y l e n h y d r a s e oder Acyl-CoAD e h y d r o g e n a s e zu sprechen kommen, welche bei der /?-Oxydation der Fettsäuren J

) E u l e r u. Mitarb., Naturwiss. 26, 187 (1938); Zschr. physiol. Chem. 252, 31 (1938). ) S t r a u b , Biochem. J. 33, 787 (1939). ) H a a s , H o r e c k e r u. H o g n e s s , J. biol. Chem. 136, 747 (1940). 4 ) H o r e c k e r , J. biol Chem. 183, 593 (1950). 5 ) E d e l h o c h u. Mitarb., J. biol. Chem. 197, 97 (1952); Mahler u. Mitarb., J. biol. Chem. 199, 585, 599 (1952); A l t s c h u l u. Mitarb., Science 94, 349 (1941). Literatur über gelbe Fermente vgl. z.B. Theoreil, in Sumner u. Myrbäck: The Enzymes. Vol. II, Kap. 55, S. 335. 6 ) Martius u. Märki, Biochem. Zschr. 329, 450 (1957). 7 ) A p p l e b y u.Morton, Biochem. J. 71,492(1959); Boeri u. Tosi, Arch.Biochem.Biophys. 60, 463 (1956). 2 3

246

Die biologische Oxydation

beteiligt ist (vgl. S. 358). Diese Enzyme enthalten als Wirkungsgruppe teilweise das Lactoflavinphosphat, teilweise das Flavin-Adenin-Dinucleotid. In der nachstehenden Tabelle sind eine Reihe gelber Fermente zusammengestellt (FMN = Flavinmononucleotid, Lactoflavinphosphat; FAD = Flavin-Adenin-Dinucleotid): Coferment wird

Coferment

Enzym „Altes" gelbes Ferment D-Aminosäureoxydase L-Aminosäureoxydase Ophio-L-Aminosäureoxydase Hefeferment von H a a s Diaphorase von S t r a u b DPN-Cytochrom c-Reduktase TPN-Cytochrom c-Reduktase Xanthin- (Aldehyd-) Oxy dase

FMN FAD FMN FAD FAD FAD FAD? FMN FAD

Äthylenhydrase von L y n e n

FAD

Vitamin K-Reduktase

FAD

reduziert durch

Nähere reoxydiert durch Angaben S.

TPNH 2 o* D-Aminosäuren o2 L-Aminosäuren 0A l-Aminosäuren OA TPNH a Oa-Mb DPNH a 0 2 -Mb DPNH 2 Cytochrom c Cytochrom c TPNH 2 Xanthin, Hypo0 2 , Cytochrom c xanthin, Aldehyde Leukofarbstoffe CoA-Verbindung a, /9-ungesättigter Fettsäuren DPNHj, TPNH 2 Cytochrom b

243 244, 379 380 380 244 245, 251 245 245 476 358 250, 497

Verschiedene gelbe Fermente halten Metalle komplex gebunden (Mahler und Green 1 )). Die oben erwähnte Äthylenhydrase enthält K u p f e r , die Xanthinoxydase M o l y b d ä n und E i s e n . Auch die DPN-Cytochrom c-Reduktase ist eisenhaltig. Es fehlt aber in den meisten Fällen der Beweis dafür, daß diese Metalle zur Funktion der Enzyme in Beziehung stehen 2 ). 3. Die Atmungskette Wenn man annimmt, daß in der intakten Zelle die oben besprochenen Enzyme in gleicher Weise miteinander reagieren wie in vitro, so gelangt man zu folgender Reaktionskette: Der Wasserstoff des Substrats wird auf ein Pyridinnucleotid übertragen ; dasselbe gibt ihn an ein Flavin weiter; das reduzierte Flavin wird durch das Cytochrom wieder oxydiert, wobei das Elektron des Wasserstoffs vom Eisen aufgenommen wird und der Wasserstoff in ein Wasserstoffion übergeht; das reduzierte Cytochrom wird durch das W a r b u r g s c h e Atmungsferment (Cytochromoxydase) und dieses schließlich durch den Luftsauerstoff oxydiert. Diese Reaktionsfolge, die „klassische"Atmungskette, läßt sich durch das folgende Schema darstellen; die Pfeile deuten in Richtung der Wasserstoff- bzw. Elektronenübertragung. Die Cytochrome sind in eine einzige Stufe zusammengefaßt.

Substrat H„

Pyridin H 2 \2 H

dehydriertes Substrat

\

Flavin H,

Atmungsferment

2 (Fe)

2 (Fe)

\

\2e

\2H

\

Pyridin

Cytochrome

Flavin

+++ 2 (Fe)

+++ 2 (Fe)

\2e Ni

2H+ !) Science 12«, 7 (1954); Adv. Enzymol. 17, 233 (1956). 2 ) Vgl. S i n g e r u. M a s s e y , Record of chemical progress 18 (. No 4), 201 (1957).

°2H+1

H20

Die Atmungskette

247

Man kann äußerlich diese Reaktionsfol ge in zwei Teilfolgen zerlegen (im Schema durch die senkrechte punktierte Linie getrennt): Die erste umfaßt die Stufen, bei welchen Wasserstoffatome von einem Donator auf einen Akzeptor übertragen werden; bei der zweiten besteht der Oxydationsvorgang in einer Elektronenverschiebung zwischen Metallatomen. Ein prinzipieller Unterschied besteht aber nicht. Wie wir in Kap. 8 (S. 150) auseinandergesetzt haben, besteht das Wesen des Oxydoreduktionsvorgangs immer in einer Elektronenübertragung. Man kann daher auch sagen, daß in den ersten Reaktionsstufen das Elektron zusammen mit einem Proton, d.h. als Wasserstoffatom, transportiert wird, während die letzten Stufen einen reinen Elektronentransport repräsentieren. Die obige Reihenfolge der verschiedenen Oxydoreduktionen entspricht deren Redoxpotentialen: Pyridincofermente: —0,28 Volt; Flavincofermente: —0,08 Volt; Cytochrome: - 0 , 0 4 bis +0,29 Volt (vgl. S. 153).

Die Untersuchungen der jüngsten Zeit haben ergeben, daß die obige Darstellung der Atmungskette in mancher Hinsicht u n v o l l s t ä n d i g ist. Wir müssen daher im folgenden verschiedene Einzelheiten etwas eingehender diskutieren. Zunächst ist zu erwähnen, daß an der Oxydation des hydrierten Pyridincoferments, wie M a r t i u s gezeigt hat, als weiterer Faktor das P h y l l o c h i n o n beteiligt ist. Bevor wir aber auf seine Bedeutung eingehen, müssen wir eine andere Frage besprechen, nämlich die Beziehung der Atmungskette zur Phosphorylierung. Eine der wichtigsten Erkenntnisse liegt darin, daß der Ablauf der Atmungskette aufs engste mit der Synthese o r g a n i s c h e r P h o s p h o r s ä u r e v e r b i n d u n g e n aus anorganischem Phosphat verknüpft ist. Die ersten Beobachtungen über den Zusammenhang von Atmung und Phosphatveresterung gehen auf K a l c k a r und auf B e l i t z e r zurück (1939,1940). Sie stellten fest, daß pro Atom veratmeten Sauerstoffs 2—3 Moleküle Phosphat gebunden werden können. Wir können hier die weitere Entwicklung nicht in allen ihren Phasen schildern. L e h n i n g e r sowie L y n e n erbrachten schließlich den Beweis, daß die Phosphorylierung im wesentlichen mit der Oxydation der reduzierten Pyridincofermente, d.h. mit der Atmungskette, verknüpft ist (vgl. S. 494)1). Die freie Energie der Oxydation des Wasserstoffs wird zur Bildung von Phosphatbindungen benutzt, und zwar dient sie, wie wir später zeigen werden, in erster Linie zum Aufbau der Anhydridbindungen der Adenosinpolyphosphate. Man bezeichnet diesen Vorgang als o x y d a t i v e P h o s p h o r y l i e r u n g oder, weil er mit der Atmungskette verknüpft ist, als A t m u n g s k e t t e n p h o s p h o r y l i e r u n g . Wir werden später sehen, daß es sich um einen der grundlegenden Prozesse des Zellstoffwechsels handelt, durch den der Abfall der chemischen potentiellen Energie, der die Oxydation des Wasserstoffs begleitet, überhaupt erst nutzbar gemacht werden kann. Die meisten organischen Substrate der Zelle geben bei der Dehydrierung ihren Wasserstoff zuerst an die Pyridinnucleotide D P N oder TPN ab. Es sind heute eine große Zahl der entsprechenden Dehydrogenasen bekannt; viele sind als reine Proteine dargestellt worden. Es handelt sich meist um lösliche Enzyme, die leicht aus den Geweben extrahiert werden können. Man muß daher annehmen, daß sie nicht in den Zellstrukturen verankert sind; jedenfalls ist ihre Bindung an dieselben nur sehr locker. I n der Regel sind die Dehydrierungen durch die Pyridincofermente reversibel. Es handelt sich um Gleichgewichtsreaktionen, die nach dem folgenden allgemeinen Schema verlaufen: AH 2 + PN+
COOHCH: CHOOOH.

!) Pflugers Arch. 154, 599 (1913). 2 ) Biol. Rev. 26, 410 (1951); 29, 330 (1954). Oxford Symposium on Mitochondria, 19.-23. Sept. 1955; The Harvey Lectures 1956/57, Series LU, S. 177. New York 1958.

Die Atmungskette

249

Dieses Enzym ist schon früh (z. B. von B a t e i i i und S t e r n 1912) im Zusammenhang mit der Respiration der Gewebe studiert worden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Dehydrogenasen läßt sich die Succinoxydase nur schwer von der ZellStruktur abtrennen. Alle bisher aus den Geweben hergestellten Enzymlösungen enthalten die Succinoxydase in Form von hochmolekularen Komplexen, welche noch Cytochrom b oder, je nach der Darstellungsart, auch die anderen Cytochrome und die Cytochrmooxydase einschließen. Neben dem Hämineisen ist noch andersartig gebundenes Eisen vorhanden. Der Komplex schließt ferner Lipide in beträchtlicher Menge ein. Solche Präparate vermögen den Wasserstoff des Succinats auf Farbstoffe wie Methylenblau und andere Akzeptoren zu übertragen oder sie bewirken, wenn sie die Cytochromoxydase enthalten, die Oxydation des Succinats durch den Luftsauerstoff. Man bezeichnet das komplexe Enzymsystem, das mit Methylenblau oder mit Luftsauerstoff reagiert, gewöhnlich als S u c c i n o x y d a s e (Bernsteinsäureoxydase) oder S u c c i n o d e h y d r o g e n a s e - K o m p l e x 1 ) . Das Enzym, das unmittelbar mit dem Substrat reagiert, die eigentliche Dehydrogenase, ist in diesem Komplex als Komponente enthalten. Neuerdings ist es gelungen, ein lösliches Flavinferment daraus abzutrennen, das offenbar den primären Wasserstoffakzeptor darstellt 2 ). Die Teilchen, welche das Succmoxydasesystem enthalten, stellen wahrscheinlich Bruchstücke der oben erwähnten, die Gesamtheit der respiratorischen Enzyme einschließenden Komplexe dar. In der Tat vermögen die letzteren neben den reduzierten Pyridincofermenten stets auch das Succinat zu oxydieren. Andererseits ist der Succinodehydrogenasekomplex auch imstande, DPNH zu oxydieren, und kann daher ebensogut als DPNH-Oxydasekomplex bezeichnet werden. Der Komplex, der in Form ultramikroskopischer Teilchen isoliert worden ist, enthält demnach das gesamte elektronenübertragende System der Atmungskette. Green hat diese Teilchen als „ e l e c t r ó n t r a n s f e r partióles" bezeichnet. Sie können in Fragmente zerlegt werden, die nur noch einen Teil des kompletten Systems enthalten; auf diese Weise ist es möglich, Einblick in ihre Struktur zu gewinnen3).

Ein weiteres Substrat, dessen Wasserstoff nicht obligatorisch auf das D P N übertragen wird, ist das a - G l y c e r o p h o s p h a t , welches durch das DPN-abhängige B a r a n o w s k i - F e r m e n t aus dem Phosphodioxyaceton (vgl. S. 294) oder auch aus dem Glycerin durch Phosphorylierung gebildet wird. a-Glycerophosphat wird durch ein strukturgebundenes Enzym, das in den Muskelsarkosomen und den Lebermitochondrien nachgewiesen worden ist ( M e y e r h o f - G r e e n s c h e s Enzym, S. 295), wieder zu Phosphodihydroxyaceton dehydriert. Sehr wahrscheinlich ist auch hier ein Flavin der primäre Wasserstoffakzeptor; dasselbe reagiert mit dem Cytochromb weiter. Möglicherweise stellt die strukturgebundene a-Glycerophosphatoxydase einen ähnlichen Komplex dar wie die Succinoxydase. Nach den Untersuchungen von B ü c h e r spielt dieses Enzym beim Wasserstofftransport in der Zelle eine wichtige Rolle4). Untersuchungen über die Hemmung der Succinoxydase durch reduzierende Stoffe wie 2,3-Dimercaptopropanol („BAL"), Ascorbinsäure u. a. führten S l a t e r zur Annahme, daß zwischen Cytochrom b und c ein weiterer Faktor eingeschaltet ist („Faktor X", „Slater-Faktor") 5 ); doch steht die Frage nach der Natur und Wirkungsweise dieses Faktors wie überhaupt nach dem Mechanismus des Elektronentransports zwischen den Cytochromen b und c noch völlig offen. 1 ) Literatur vgl. Tsou, Biochem. J. 49, 512 (1951); Green u. B e i n e r t , Ann. Rev. Biochem. 24, 1 (1955). 2 ) Singer u. K e a r n e y , Biochim.Biophys.Acta 15,151 (1954); J. biol. Chem. 219, 963 (1956). 3 ) Green u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 21, 1, 6 (1956); 22, 475 (1956); J. biol. Chem. 217, 551 (1955). Zusammenfassung vgl. Green, in Henry Ford Hospital internati. Symposium: Enzymes, units of biological structure and function (edit. 0 . H. Gaebler), S. 465. New York 1956. 4 ) B ü c h e r u. K l i n g e n b e r g , Zschr. Angew. Chemie 70, 552 (1958). 5 ) Vgl. Slater, Biochem. J. 45, 1, 8, 14 (1949); 46, 484 (1950).

250

Die biologische Oxydation

Wie erwähnt, ist die obige Darstellung der Atmungskette noch nicht vollständig. Neuere Arbeiten, insbesondere von M a r t i u s , weisen d a r a u f h i n , daß noch weitere Wasserstoffüberträger eingeschaltet sind, und zwar handelt es sich um fettlösliche Vitamine, die Redoxsysteme bilden: das P h y l l o c h i n o n (Vitamin K) und das txT o c o p h e r o l (Vitamin E). Das erstere ist ein Naphthochinonderivat (R = Phytylrest, Formel vgl. S. 770). OH I

+ 2H — 2H

i^^V^-CH,

Das Tocopherol ist ein Chromanderivat (Formel siehe S. 768), dessen Oxydation schematisch folgendermaßen formuliert werden kann: 9Hs —o

°

y

y

H2 °

>

>

-V-%0 | N * CH3 HO a-Tocohydrochinon

M a r t i u s hat in den Mitochondrien der Leber ein Enzym nachgewiesen, welches den Wasserstoff des reduzierten DPN und, wie sich gezeigt hat, auch des reduzierten TPN auf das Vitamin Küberträgt ( V i t a m i n K- oder P h y l l o c h i n o n r e d u k t a s e ) 1 ) ; ähnliche Fermente sind in Erbsen und Colibazillen gefunden worden 2 ). Das reduzierte Phyllochinon wird, wie die spektroskopische Beobachtung ergibt, durch das Cytochrom b wieder oxydiert. Das natürliche Substrat des Enzyms scheint nicht das Phyllochinon selbst, sondern das 2-Methyl-3-digeranyl-l,4-naphthochinon zu sein. Es ist neuerdings gelungen, die Vitamin K-Reduktase in reiner Form zu isolieren. Es handelt sich um ein Flavoproteid mit Flavin Adenin-Dinucleotid als Wirkungsgruppe ; Molekulargewicht etwas 20000. Das Enzym hat eine sehr hohe Wechselzahl (etwa 106), was darauf hindeutet, daß ein wesentlicher Teil des reduzierten DPN mit ihm reagiert3). Es kann sowohl durch DPNH als auch durch TPNH reduziert werden. Das Enzym wird durch Dicumarin stark gehemmt. Diese Tatsache ist in Zusammenhang mit der oxydativen Phosphorylierung von großem Interesse, denn die Oxydation der hydrierten Cozymase durch Phyllochinon scheint eine der Reaktionen der Atmungskette zu sein, die mit einer Phosphorylierung verknüpft ist. Wir kommen auf diese Frage später zurück (S. 497).

Wahrscheinlich spielt auch das Vitamin E bei der Oxydation des Wasserstoffs eine Rolle. Das Vitamin beschleunigt die Oxydation der Dihydrocozymase durch Cytochrom c4). Nach der Lage seines Redoxpotentials, das zwischen den Potentialen der Cytochrome b und c liegt, wäre es durchaus möglich, daß das Tocopherol dabei als Wasserstoffüberträger wirkt 6 ). *) Biochem. Zschr. 326, 24, 26 (1964). 2 ) W o s i l a i t u. N a s o n , J. biol. Chem. 206, 255, 271 (1954); 208, 785 (1954). 3 ) Martius u. Märki, Bioch. Zschr. 329, 450 (1957). 4 ) N a s o n u. L e h m a n , Science 122, 19 (1955). 5 ) Näheres vgl. Martius in: Hormone und ihre Wirkungsweise. 5. Coli. d. Ges. f. physiol. Chem., Mosbach/Baden, S. 143, Berlin, Göttingen und Heidelberg 1955. Martius in : Conférences et Rapports. 3 m e Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 1. Liège 1956.

Die Atmungskette

251

Die Beteiligung von lipoidlöslichen Faktoren an der Atmungskette macht auch den hohen Lipoidgehalt des Succinoxy dasekomplexes verständlich. Es ist in diesem Zusammenhang auch an die früher erwähnte Tatsache zu erinnern, dass das Cytohämin eine lipophile Gruppe besitzt und dass die Cytochrome a und b nach neueren Untersuchungen Lipoproteide sind. DPNHz (TPNfo)

¿-Sycerophosphat Succinat

OB

M a r t i u s hat auf Grund dieser Befunde eine modifizierte Atmungskette vorgeschlagen. Darin reagiert das hydrierte Pyridincoferment durch Vermittlung des Vitamins K mit dem Cytochrom b. Auf diese Weise werden die „klassischen" Diaphorasen überbrückt. Unsere Kenntnisse über die Rolle des Tocopherols sind noch unvollständig; wir wissen noch nicht sicher, wie es in die Atmungskette einzuordnen ist. Die große Bedeutung des von M a r t i u s entdeckten Weges über das Vitamin K liegt darin, daß er mit einer Phosphorylierung gekoppelt ist, während der Weg über die Diaphorosen wahrscheinlich nicht phosphorylierend verläuft. Wir werden aufdiese Frage bei Besprechung der oxydativen Phosphorylierung zurückkommen. Das obige Schema gibt den nach den heutigen Kenntnissen wahrscheinlichsten Zusammenhang der einzelnen Glieder der Atmungskette wieder. Die Pfeile geben die Richtung des Wasserstoff- und Elektronentransportes an. Es sind allerdings noch verschiedene Beziehungen unsicher. Die Cytochrome b und cx (= e) scheinen eng miteinander verbunden zu sein1). Slater nimmt auf Grund seiner spektroskopischen Befunde an, daß die Diaphorasen über den von ihm nachgewiesenen Faktor mit dem Cytochrom c reagieren, die Succinodehydrogenase hingegen mit dem Cytochrom b2); doch lassen die neueren Untersuchungen die Beteiligung des Cytochroms b an der Oxydation des (DPN)H2 sicher erkennen. !) Stotz u. Mitarb., J. biol. Chem. 210, 851, 861 (1954). 2) Slater, Biochem. J . 45, 1, 8, 14 (1949); 46, 484 (1950).

Die biologische Oxydation

252

Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, daß der Elektronentransport statt über die vollständige Cytochromkette über Farbstoffe gelenkt werden kann. Seit langem ist die Oxydation des Suceinats durch Methylenblau im Thunbergversuch bekannt (vgl. S. 238). Es scheint, daß das Methylenblau und andere Farbstoffe dabei mit dem Cytochrom b (oder cx) reagieren, wie im Schema angedeutet ist. Auch Ferricyanid kann als Elektronenakzeptor dienen. Es sind auch eine Reihe von Stoffen bekannt, welche die Atmungskette an verschiedenen Punkten blockieren können. So unterbricht z. B. A n t i m y c i n A die Kette zwischen Cytochrom b und c, Amytal (Isoamyl-äthyl-barbiturat) zwischen DPNH und Flavin1).

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Wasserstoff der Substrate auf verschiedenen Wegen in die Atmungskette eintreten kann. Ein wesentlicher Teil geht über die Pyridincofermente. Bei der Dehydrierung der letzteren scheint die Vitamin K-Reduktase von M a r t i u s eine Hauptrolle zu spielen. Daneben aber gibt es gewisse Substrate — Succinat, a-Glycerophosphat und vielleicht noch andere •—•, die ihren Wasserstoff direkt an die Flavine der Atmungskette abgeben. Welcher Anteil des gesamten Wasserstoffs über die einzelnen Wege geleitet wird, hängt offenbar von der Organisation der wasserstoffübertragenden Systeme in der Zelle ab. Es scheint, daß in dieser Hinsicht zwischen verschiedenen Zellarten charakteristische Unterschiede bestehen 2 ). Auf verschiedene weitere Einzelheiten werden wir bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels zurückkommen. Wir haben uns bisher nur mit der Oxydation des Wasserstoffs befaßt. I n den folgenden Kapiteln werden wir zeigen, in welcher Weise die Kohlenstoffketten der organischen Verbindungen abgebaut werden. Kohlendioxyd entsteht immer durch Decarboxylierung, d. h. durch Abspaltung einer Carboxylgruppe. Der bei den Oxydationsvorgängen aufgenommene Sauerstoff stammt aus dem Wasser. Da der Oxydationsvorgang in eine Reihe einzelner Stufen aufgeteilt ist, wird auch die Energie nicht in einem einzigen Sturz freigesetzt, sondern sie kann in Teilbeträgen kaskadenartig abfließen. Wir werden auf die Bedeutung dieser Tatsache bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels und der Phosphorylierungsreaktionen näher eingehen. 4. Spezielle Redoxsysteme Außer den bisher genannten Fermenten der Oxydation finden sich in den Zellen verschiedenartige Stoffe, die sich durch besonders leichte Oxydations- oder Reduktionsfähigkeit auszeichnen. Dazu gehören möglicherweise auch gewisse Vitamine und Hormone. Adrenalin, Sulfhydrylverbindungen und Vitamin C sind hier in erster Linie zu nennen. Es ist möglich, daß diese Stoffe ebenfalls eine Cofermentnatur haben, indem sie im Verein mit Trägerproteinen wirken. Darüber ist noch nichts bekannt. Adrenalin kann in ein Orthochinon übergehen, wobei gleichzeitig Ringschluß der Seitenkette eintritt. Dieses Oxydationsprodukt wird A d r e n o c h r o m genannt:

Adrenalin

CIL, Adrenochrom

*) Vgl. z. B. Chance u. W i l l i a m s , Adv. Enzymol. 17, 65(1956); Chance, in Henry Ford Hospital internati. Symposium : Enzymes, units of biological structure and function (edit. O. H. Gaebler), S. 447. New York 1956. 2 ) Vgl. die grundlegende Darstellung von B ü c h e r u. K l i n g e n b e r g , Zschr. Angew. Chemie 70, 552 (1958).

Spezielle Redoxsysteme

253

Es scheint, daß Adrenochrom bei der Dehydrierung der Äpfelsäure und der Milchsäure den Wasserstoff von der Codehydrogenasel aufnehmen kann und dabei in eine LeukoVerbindung übergeht, die autoxydabel ist, also vom Luftsauerstoff wieder oxydiert wird. Es kann also die Oxydation der genannten Substrate durch den Luftsauerstoff vermitteln. Wie weit diesem Vorgang biologische Bedeutung zukommt, ist unbekannt. Ein anderer Stoff, der vielleicht auch an Redoxvorgängen beteiligt ist, ist das P y o c y a n i n , ein Bakterienfarbstoff: O N " I

II

I

II

ch 3 Derartige Bakterienfarbstoffe könnten möglicherweise als C o d e h y d r o g e n a s e n wirken. Die A s c o r b i n s ä u r e (Vitamin C) ist eine stark reduzierende Verbindung. Sie geht bei der Oxydation zuerst in Dehydroascorbinsäure über: OH OH I I — 2H HOCH.CH(OH)CH—C = C—CO , | j + 2H I o 1 Ascorbinsäure

O O II II HOCHaCH(OH)CH—C—0—CO I

o

1

Dehydroascorbinsäure

Diese Reaktion ist umkehrbar. Bei pH-Werten > 5 (d. h. bei neutraler und alkalischer Reaktion) wird die Dehydroascorbinsäure leicht weiter oxydiert, wobei die C-Kette zerfällt. Es ist möglich, daß die reversible Oxydation der Ascorbinsäure für ihre Wirkung eine Bedeutung hat. Sicheres ist aber darüber nicht bekannt. Die Ascorbinsäure ist autoxydabel. Die Oxydation ist eine Schwermetallkatalyse. Besonders wirksam sind Cu- und Ag-Ionen. Es scheint, daß die Oxydation auch durch schwermetallhaltige Fermente katalysiert wird. Die Sulfhydrylverbindungen von der Art des Glutathions können zwar als Wasserstoffüberträger wirken, doch scheint ihre Bedeutung nicht in erster Linie darin zu liegen, daß sie Redoxsysteme bilden; wahrscheinlich kommen ihnen im Stoffwechsel speziellere Funktionen als Cofermente zu (vgl. S. 287 und 297). Wasserstoffübertragende Fermentsysteme besonderer Art sind die ausschließlich auf Bakterien und einige Algen beschränkten H y d r o g e n a s e n und die ebenfalls bei Bakterien vorkommende H y d r o g e n l y a s e . Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie mit molekularem, gasförmigem Wasserstoff reagieren. Die H y d r o g e n a s e vermag in reversibler Reaktion Wasserstoffakzeptoren durch molekularen Wasserstoff H a zu reduzieren: H 2 + A < ' H 2 A. (Der Wasserstoff kann auch von nicht physiologischen Akzeptoren, z. B. Farbstoffen, aufgenommen werden; daher läßt sich das Enzym durch die Thunbergtechnik nachweisen.) Gewisse Grünalgen (z.B. Scenedesmus) können durch Anpassung dazu gebracht werden, den molekularen Wasserstoff zur Photoreduktion der Kohlensäure zu verwenden (vgl. Kapitel Photosynthese S. 528). Das Ferment vermag als einfachste Reaktion auch den Austausch des Wasserstoffs zwischen Wasser und molekularem

Die biologische Oxydation

254

Wasserstoff zu katalysieren, was leicht verständlich ist, wenn man annimmt, daß der vom Ferment (X) fixierte Wasserstoff zum Wasserstoffion oxydiert wird: H2

,

(XH2)

,

2H+ + 2e

(e = Elektron).

Das H-Ion steht mit dem Wasser im Gleichgewicht. (Der Austausch läßt sich mit Deuterium direkt nachweisen.) Über die Natur des Ferments ist nichts bekannt. Es ist anzunehmen, daß der fixierte Wasserstoff (oben als XH 2 bezeichnet) von anderen wasserstoffübertragenden Fermenten übernommen wird. Als eigentliche Hydrogenasereaktion muß die Reaktion des molekularen Wasserstoffs mit dem (unbekannten) primären Akzeptor bezeichnet werden. Die H y d r o g e n l y a s e macht aus Ameisensäure und anderen organischen Substraten (Glycose, Pyruvat, Fumarat, Malat, Aminosäuren usw.) molekularen Wasserstoff frei; z.B.: HCOOH


R - C ) 2 ) s ) 4 ) Liège

W a l l e n f e l s , Naturwiss. 38, 306 (1951). Vgl. H e s t r i n , Biochem. J . 38, 2 (1944). J . Am. ehem. Soc. 75, 6084 (1953). Conférences et Rapports, 3m« Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 163. 1956.

Der oxydative Abbau der Kohlenhydrate

311

Durch den gleichen Mechanismus entsteht in der Milchdrüse wahrscheinlich auch die Lactose, indem diesmal der Galactosylrest der UDP-Galactose auf Glucose-1phosphat übertragen wird 1 ): U-P-P-(l)Galactose + Glucose-l-phospbat

> Lactose-1-phospliat + U-P-P.

Abspaltung des Phosphatrests liefert die freie Lactose. Auf Grund der oben mitgeteilten Reaktionen, die zur Bildung der U-P-P-Galactose führen (S. 306), läßt sich der Weg, der von der Glucose zum Milchzucker führt, leicht aufzeigen. G. Der oxydative Abbau der Kohlenhydrate

Das glycolytische Fermentsystem ist im Muskel besonders gut entwickelt und stellt hier eine Anpassung an die besonderen Bedürfnisse des Gewebes dar. Es ist aber in allen Zellen vorhanden. Die glycolytischen Reaktionen stellen wahrscheinlich in den meisten Zellen die erste Etappe des Kohlenhydratabbaus dar. Dies geht schon daraus hervor, daß der Zusatz von Stoffen, welche die Glycolyse hemmen, meist auch die Atmung der Zellen bis auf einen kleinen Rest unterdrückt. Die größere Menge der im Zucker aufgespeicherten Energie wird aber erst frei, wenn die bei der Glycolyse gebildeten Zwischenprodukte oxydiert werden. Die Reduktion der Brenztraubensäure zu Milchsäure erfolgt unter anaeroben Bedingungen durch Oxydoreduktion, wie oben beschrieben wurde. Wird Milchsäure oxydiert, so wird sie durch den umgekehrten Vorgang zunächst wieder zu Brenztraubensäure dehydriert. Der direkte oxydative Kohlenhydratabbau führt über die Brenztraubensäure. Wir haben in einem früheren Kapitel die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus ausführlich besprochen, so daß wir hier nicht weiter darauf einzugehen brauchen. Es entsteht aber die Frage, ob es noch andere Wege des Kohlenhydratabbaus gibt, die nicht über die glycolytischen Reaktionen führen. Eine solche Möglichkeit ergibt sich aus den oben bei Behandlung des Ribosestoffwechsels erwähnten Reaktionen (S. 307): Glucose-6-phosphat kann zu 6-Phosphogluconsäure oxydiert werden; die letztere liefert durch Decarboxylierung Pentose-5-phosphat. Daran schließt sich eine Reaktionsfolge, deren Kenntnis wir den Arbeiten von D i c k e n s , D i s c h e , H o r e c k e r , Racker u. a. verdanken. Durch dieselbe werden schließlich zwei C-Atome der Pentose zu C0 2 oxydiert, und es entsteht ein Molekül Triosephosphat. Dabei wird Pentosephosphat immer wieder regeneriert, und man gelangt zu einem cyklischen Prozeß, der Hexosephosphat verbraucht und Triosephosphat und C0 2 liefert. Durch diese Reaktionsfolge werden die glycolytischen Reaktionen umgangen. Sie wird daher in der angelsächsischen Literatur als „ g l u c o s e p h o s p h a t e s h u n t " bezeichnet. Man hat in Bakterien, Hefe, pflanzlichen Geweben, Erythrocyten und in der Leber Enzyme nachgewiesen, durch welche das Ribose-5-phosphat weiter umgesetzt wird. Als Reaktionsprodukte treten Triose- und H e x o s e p h o s p h a t e auf und außerdem das Phosphat eines C7-Zuckers, der S e d o h e p t u l o s e (vgl. S. 28). Die Bildung dieser Verbindungen läßt sich durch Spaltung der Pentose in ein C2- und ein C3-Bruchstück und anschließende Rekombination der Fragmente zu neuen C-Ketten erklären. Da das Pentosephosphat dabei bis zu 75% in Hexosephosphat umgewandelt wird, kann das letztere nicht einfach durch Aldolkondensation der Triosen entstanden sein. Man muß vielmehr annehmen, daß auch das C2-Bruchstück wieder zum Aufbau der Hexose verwertet wird. Dies geschieht wahrscheinlich auf dem Umweg über die Heptose. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß für diese Umsetzungen im wesentlichen zwei Reaktionen verantwortlich sind, die T r a n s k e t o l a s e - und die T r a n s a l d o l a s e r e a k t i o n . T r a n s k e t o l a s e . In pflanzlichen und tierischen Geweben (Hefe, Spinatblätter, Leber) kommt ein Enzym vor, das die Gruppe — COCHaOH (Ketolgruppe) aus Ketosephosphaten (z.B. x

) Gander u. Mitarb., Arch. Biochem. Biophys. 60, 259 (1956).

Der Kohlenhydratstoffwechsel

312

Ribulose-5-phosphat) auf Oxyaldehyde überträgt. Das Ferment bewirkt damit die oben erwähnte Spaltung der Pentose in ein C3- und ein C a -Bruchstück. Die Reaktion benötigt als Coferment A n e u r i n p y r o p h o s p h a t . Die Spaltung des Substrats geht aber nur dann in meßbarem Umfang vor sich, wenn ein geeigneter Aldehyd als Akzeptor für die Ketolgruppe vorhanden ist. Die letztere kann nämlich nicht als freier Glycolaldehyd abgespalten werden; offenbar bildet sich intermediär mit dem Coferment ein „aktivierter" Glycolaldehyd, der sofort mit dem Akzeptoraldehyd nach Art einer Acyloinkondensation weiterreagiert. Die Transketolase der Hefe ist im kristallisierten Zustand dargestellt worden ( R a c k e r ) 1 ) . Die oben erwähnte Bildung von Sedoheptulose-7-phosphat aus dem Pentosephosphat kommt durch eine Transketolasereaktion zwischen D-Xylulose-5-phosphat und Ribose-5-phosphat zustande. Wie wir früher (S. 308) erwähnt haben, entsteht das D-Xylulose-5-phosphat durch eine „Epimerase" aus dem Ribulose-5-phosphat. In vereinfachter Schreibweise dargestellt: P - 0 - C ~ 0 - C - I C O - C H 2 O H + P-O-C-C-O-O-CHO

«•

P - O - O - C - C - C-C—CO-CH 2 OH + P - O - C - C - C H O Als Substrat des Enzyms kann auch /S-Oxypyruvat dienen, welches mit Phosphoglycerinaldehyd als Akzeptor Pentose-5-phosphat liefert ( R a c k e r ) : -CO COOH + P - O - C - C - C H O

• P-O-O-O-C-fCO-CHjOH + COa

Die Spezifität des Enzyms geht aus den obigen Beispielen hervor. Alle Substrate besitzen an den ersten 4 C-Atomen die Konfiguration der D-Fructose. Auch Fructose-6-phosphat kann bei der Transaldolasereaktion als Akzeptor dienen, wobei eine C 8 -Ketose entsteht 8 ). Die physiologische Bedeutung dieser Reaktion ist aber noch nicht klar. T r a n s a l d o l a s e . Die Bildung neuer Zucker durch Verschiebung von Bruchstücken ihrer C-Ketten ist noch auf andere Weise möglich. Auch die Dioxyacetongruppe —CH(OH)COCH 2 OH der Ketosephosphate kann unter Bildung eines neuen Zuckerphosphats auf ein Aldosephosphat übertragen werden. Auf diese Weise setzt z. B . ein in der Hefe vorkommendes Ferment das Sedoheptulose-7-phosphat mit Phosphoglycerinaldehyd (Akzeptor) um, wobei Fructose-6phosphat gebildet wird ( H o r e c k e r ) 3 ) : P-O-C-C-C-C

C-CO-C + P - O - C - C - C H O P-O-C-C-C-C-CO-C + P - O - O O O C H O

Daß das Hexosephosphat tatsächlich auf diese Weise gebildet wird, konnte durch Verwendung von markiertem Triosephosphat gezeigt werden. Die eben erwähnten R e a k t i o n e n m a c h e n die Bildung des Triosephosphats aus der P e n t o s e und das A u f t r e t e n v o n Hexose- u n d Sedoheptulosephosphat v e r s t ä n d lich. E s zeigt sich, d a ß nicht e t w a die Kohlenstoff k e t t e d e r P e n t o s e sukzessive zur Triose v e r k ü r z t wird, sondern d a ß vielmehr d a s P e n t o s e p h o s p h a t d u r c h die Transketolase u n m i t t e l b a r in Triosephosphat u n d ein C 2 - F r a g m e n t gespalten wird, welch letzteres sich m i t Ribose-5-phosphat zur Sedoheptulose kondensiert. A u s d e m letzteren k a n n d u r c h eine anschließende Transaldolasereaktion, a n der Triosephosphat beteiligt ist, wieder H e x o s e p h o s p h a t entstehen. Durch die geschilderten Reaktionen können, wie aus dem untenstehenden Schema ersichtlich ist, 3 Moleküle Pentosephosphat in 2 Moleküle Fructosephosphat + 1 Molekül Triosephosphat oder, wenn sich 2 Moleküle des letzteren zu einem weiteren Molekül Hexosephosphat kondensieren, 6 Moleküle Pentosephosphatin 5 Moleküle Hexosephosphat zurückverwandelt werden: G l u c o s e o d e r P e n t o s e p h o s p h a t c y k l u s (TK Transketolase, TA Transaldolase.) !) J . Am. ehem. Soc. 75, 1010 (1953). 2 ) R a c k e r u. S c h r o e d e r , Arch. Biochem. Biophys. 66, 241 (1957). 3 ) J . Am. ehem. Soc. 75, 2021 (1953).

Der oxydative Abbau der Kohlenhydrate

313

Xylulose-5-ph

Triose-3-ph \

Ribose-ö-ph |t \ Eibulose-5-ph l \

Xylulose-5-ph

/

y

\

Sedoheptulose-7-ph

Triose-3-ph

\

/

y

\

Tetrose-4-ph

/

\ T K /

/

y

\

\

Fructose-6-ph

Fructose-6-ph

Verschiedene neuere Untersuchungen deuten darauf hin, daß in manchen tierischen Geweben ein nicht unbeträchtlicher Teil der Glucose durch den Glucose-6-phosphat-Cyklus oxydiert wird. Teilweise läßt sich dies aus der Verbreitung der Permente schließen; gewisse Anhaltspunkte ergeben sich aus der Oxydation von Glucose, die in verschiedenen Stellungen markiert ist. Z.B. geht bei direkter Oxydation der Kohlenstoff in Stellung 1 viel schneller in C0 2 über als derjenige in Stellung 6. Wir können auf die Einzelheiten dieser Versuche hier aber nicht eingehen. Zu den Geweben mit hohem Anteil des Glucose-6-phosphat-Cyklus an der Glucoseoxydation gehören z. B. die Leber, die lactierende Milchdrüse, die Nebenniere, die Linse des Auges u. a. In der Leber sollen 50%/), in der Milchdrüse 60% 2 ) des Zuckers durch direkte Oxydation abgebaut werden. Diese Angaben sind aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Worin liegt die Bedeutung des Pentosephosphatcyklus ? Eine wichtige Funktion liegt wahrscheinlich darin, daß er der Zelle r e d u z i e r t e s TPN zur Verfügung stellt. Wir kennen eine Reihe reduktiver Synthesen, welche vom TPNH abhängen, so die Synthese der Fettsäuren aus Kohlenhydrat (S. 359), die Carboxylierung der Brenztraubensäure zur Äpfelsäure, die wahrscheinlich bei der Glycogensynthese aus Milchsäure eine Rolle spielt (S. 276), ferner die Sterinsynthese u.a.m. Die oben erwähnte hohe Aktivität des Pentosephosphatcyklus in der Milchdrüse findet damit eine einleuchtende Erklärung, denn in der Milchdrüse wird in großem Umfang Fett aus Kohlenhydrat synthetisiert. Tatsächlich finden sich dort auch Zwischenferment und 6-Phosphogluconsäuredehydrogenase in sehr hoher Konzentration'). Andererseits dürfte die Bedeutung des Pentosephosphatcyklus auch darin liegen, daß er die zur Synthese der Nucleotide und Nucleinsäuren nötigen Pentosen liefert. Dies könnte entweder durch Oxydation des Glucose-6-phosphats geschehen oder auf nicht oxydativem Weg, nämlich durch Umkehrung der im obigen Schema dargestellten Reaktionen, nach welchen aus 1 Molekül Triosephosphat und 2 Molekülen Hexosephosphat 3 Moleküle Pentosephosphat entstehen. Es scheint, daß beide Wege beschritten werden 1 ). Für die Energiegewinnung ist der Pentosephosphatcyklus sicher sehr viel weniger wichtig als der glycolytische Abbau. Auf seine Rolle bei der Photosynthese in den grünen Pflanzen werden wir in einem späteren Kapitel zu sprechen kommen.

Die Beziehungen des Pentosephosphatcyklus zu den übrigen großen Reaktionen des Kohlenhydratstoffwechsels gehen aus dem umstehenden Schema (nach H o recker 5 )) hervor. Literatur über die direkte Glucoseoxydation vgl. D i c k e n s 6 ) , R a c k e r 7 ) , H o r e c k e r und Mehler 8 ). !) Bloom u. S t e t t e n , J . biol. Chem. 212, 555 (1955). 2 ) A b r a h a m u. Mitarb., J . biol. Chem. 211, 31 (1954). 3 ) Glock u. M c L e a n , Biochem. J . 56, 171 (1954). 4 ) B e r n s t e i n , J . biol. Chem. 205, 317 (1953); Biochim. Biophys. Acta 19, 179 (1956). Vgl. auch H o r e c k e r u. M e h l e r , 1. c. Fußnote 8). 5 ) H o r e c k e r , in 8. Coli. d. Ges. f. physiol. Chem. 1957, Mosbach/Baden, S. 29. Berlin, Göttingen und Heidelberg 1958. 9 ) D i c k e n s in: Conférences et Rapports, 3m® Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 170. Liège 1956. ') R a c k e r , Adv. Enzymol. 15, 153 (1954). 8 ) H o r e c k e r u. M e h l e r , Ann. Rev. Biochem. 24, 229 (1955).

Der Kohlenhydratstoffwechsel

314

Glucose-6-phosphat

\ \

/ /

\ \

/ /

Milchsäure

CO, Citronensäurecyklus

\

Pentosephosphat CO,

3. Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Gluconeogenese Mit dem Ausdruck G l u c o n e o g e n e s e bezeichnet m a n die Neubildung v o n Kohlenhydrat aus andersartigen Stoffen. D a ß eine solche Umwandlung stattfinden muß, beweisen die reinen Carnivoren. D a s fleischfressende Tier n i m m t in seiner Nahrung nur wenig Kohlenhydrat auf. E s muß also einen beträchtlichen Teil seiner Glucose aus den übrigen Nahrungsbestandteilen neu bilden. I n sehr augenfälliger Weise tritt die Synthese v o n Zucker auch beim Zuckerkranken in Erscheinung. Der schwere Diabetiker scheidet große Mengen v o n Glucose im Harn aus, auch wenn die Kohlenhydrate in seiner Nahrung vollständig unterdrückt werden. Er bildet d e n Zucker aus Eiweiß. Wir stellen zuerst die Frage, welche Stoffe i m Körper der Tiere in Kohlenhydrat übergehen können. Zu ihrer Beantwortung sind verschiedene Methoden herangezogen worden. Die Neubildung von Glucose kann sich in einer Ablagerung von Glycogen in Leber und Muskeln zu erkennen geben. Man bestimmt daher die Vermehrung des Glycogens nach Zufuhr der zu untersuchenden Stoffe. Bei Verabreichung des Glycosids P h l o r r h i z i n tritt im Harn Glucose auf, weil durch diesen Stoff die Ausscheidungsschwelle für den Zucker in der Niere stark herabgesetzt wird. Die Glucose wird in den Nierenkanälchen nicht mehr rückresorbiert. Dieser Zustand wird als P h l o r r h i z i n d i a b e t e s bezeichnet. Ina phlorrhizinvergifteten Organismus bewirken alle Stoffe, die in Glucose übergehen, eine Vermehrung der Zuckerausscheidung im Urin (es wird „Extraglucose" gebildet). Es ergibt sich daraus die Möglichkeit nachzuprüfen, ob ein Stoff in Glucose verwandelt werden kann, indem man denselben dem phlorrhizindiabetischen Tier verfüttert. Auch beim Zuckerkranken äußert sich die Zufuhr zuckerbildender Stoffe in der Ausscheidung von Extraglucose. Schließlich hat die Verwendung von Verbindungen, die durch Isotope markiert sind, der Forschung neue Möglichkeiten eröffnet. Bei Verwendung der oben genannten Methoden kann immer der Einwand erhoben werden, daß der zugeführte Stoff nicht direkt in Zucker übergeht, sondern daß die beobachtete Zuckerausscheidung oder Glycogenvermehrung auf indirektem Weg zustande kommt. Ein negatives Resultat kann auch niemals beweisen, daß kein Zucker gebildet worden ist. Die Neubildung kann zu gering sein, als daß es zu einer meßbaren Vermehrung des Glycogenbestandes in den Organen oder zu einer Ausscheidung der Glucose kommen könnte. Als wichtigstes Moment ist schließlich zu beachten, daß wir es im Organismus überall mit stationären Zuständen zu tun haben. Die augenblicklich vorhandene Menge eines Stoffes kann konstant bleiben, trotzdem er beständig verbraucht und erneuert wird. In vielen Fällen sind Regulationsmechanismen in Tätigkeit, welche auch bei großem Umsatz den Bestand der verschiedenen Zellbestandteile konstant halten. Der große Vorteil der Isotopenmethode besteht gerade darin, daß sie es gestattet, diese Erneuerung der Stoffe festzustellen und ihre Größe zu messen. Wir werden auf diese Tatsache auch bei der Besprechung des Fettstoffwechsels hinweisen. Wenn man eine markierte Verbindung dem Tier zuführt, so gibt

315

Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Gluconeogenese

der Nachweis des Isotops im Glycogen oder der ausgeschiedenen Glucose den sicheren Hinweis darauf, daß die Substanz oder ihre Stoffwechselderivate zum Aufbau des Zuckermoleküls verwendet worden sind. Wird die Verteilung des Isotops (Kohlenstoff, Deuterium) im Zuckermolekül genauer analysiert, so kann daraus oft geschlossen werden, in welcher Weise das Zuckermolekül entstanden ist.

Es ist eine große Zahl von Stoffen bekannt, die Zuckerbildner sind; Beispiele: Milchsäure, Brenztraubensäure, Citronensäure, Bernsteinsäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Valeriansäure, Glycerin, Dioxyaceton, ferner verschiedene Aminosäuren (die sog. „glucoplastischen" Aminosäuren), nämlich Glycocoll, Alanin, Serin, Threonin, Valin, Glutaminsäure, Asparaginsäure, Histidin, Arginin. Auf welchem Wege gehen diese Stoffe in Zucker über oder wie tragen sie zur Zuckerbildung bei ? Wir müssen zunächst die wichtigsten Reaktionen kennenlernen, durch die Glucose und Glycogen aus andersartigem Material entstehen können. Physiologisch ist die Glycogenbildung aus Milchsäure von besonderer Bedeutung, weil sie im Muskel in großem Umfange stattfindet und weil überhaupt die Neubildung von Kohlenhydrat im tierischen Organismus im wesentlichen über Dreikohlenstoffverbindungen erfolgt. Milchsäure entsteht aus dem Glycogen (oder der Glucose) durch die glycolytischen Reaktionen. Alle diese Reaktionen sind umkehrbar. Daher stellt die Resynthese der Hexosen aus Milchsäure einfach die Umkehrung des glycolytischen Abbaus dar. Alle Verbindungen, die in Zucker umgewandelt werden sollen, müssen erst in eines der Zwischenglieder übergeführt werden, die bei der Glycolyse auftreten. Von besonderer Bedeutung sind wieder die Phosphorylierungsreaktionen. Bei der Umkehrung der Glycolyse muß Phosphat durch zwei Reaktionen eingeführt werden, auf der Stufe der Brenztraubensäure durch die Pyruvatkinase (a) und auf der Stufe der 3-Phosphoglycerinsäure durch die Phosphoglyceratkinase (b) (vgl. S. 288 und 289): +

(a>

ATP

J>OHp

I

II

C

C

ADP

+

C

\0H

C—OH

+




/ HaC [ HaC \

389 N

\

V

N

CH j ¿H a /

H2

Putrescin

(Über die Bildung von Piperidin aus Lysin, die möglicherweise über Putrescin führen könnte vgl. S. 417.) Auf ähnliche Weise scheint aus Cystamin ein siebengliedriger Ring, das C y s t a l d i m i n , zu entstehen1):

CH2

CH2"

CH2

CH2

CH2

(II 2

CH2

CH2

CHO

CHa

CH

i>xx2 • >-ii2

^NB^

N

Zucker- und Acetonbildung aus Aminosäuren. Nach D a k i n können drei Gruppen von Aminosäuren unterschieden werden: solche, die Zucker, solche, die Aceton, und solche, die keines von beiden bilden. Demnach teilt man sie ein in: 1. G l u c o p l a s t i s c h e : Glycocoll, Alanin (a-Aminobuttersäure), Valin (n-Leucin), Serin, Cystin, Asparaginsäure, Glutaminsäure (Hydroxyglutaminsäure), Prolin, Hydroxyprolin, Arginin. 2. K e t o p l a s t i s c h e : Leucin, Isoleucin (schwach ketoplastisch, gleichzeitig glucoplastisch), Tyrosin, Phenylalanin. 3. A g l u c o p l a s t i s c h e und a k e t o p l a s t i s c h e : Tryptophan, Lysin (Histidinist fraglich). Die eingeklammerten Verbindungen kommen nicht als Eiweißbausteine vor. Wie die einzelnen Aminosäuren der 1. Gruppe beim diabetischen Tier in Glucose übergehen, läßt sich in denjenigen Fällen leicht übersehen, in denen wir die Umsetzungen der entsprechenden stickstofffreien Verbindungen kennen. Über die Bildung von Aceton aus den aromatischen Aminosäuren wissen wir heute ziemlich gut Bescheid. Sowohl Tyrosin als auch Phenylalanin liefern mit Gewebsschnitten aus Leber Acetessigsäure (Edson). Die durch oxydative Desaminierung des Tyrosins entstehende p-Hydroxyphenylbrenztraubensäure und dieHomogentisinsäure liefern ebenfalls Acetessigsäure; die Phenylbrenztraubensäure gibt unter den gleichen Bedingungen keine Acetessigsäure, weil Phenylalanin zuerst zu Tyrosin oxydiert werden muß, bevor es in Acetessigsäure übergeht. Wir werden auf den Abbau des Tyrosins zur Acetessigsäure bei Besprechung des Stoffwechsels der aromatischen Aminosäuren zurückkommen (S. 395). Besonderes Interesse bietet das Verhalten der Aminosäuren mit verzweigter Kohlenstoffkette. Die altbekannte Acetonbildung aus Leucin ist durch neuere Arbeiten weitgehend aufgeklärt worden. Die Aminosäure wird zuerst zur entsprechenden Ketosäure, der a-Ketoisocapronsäure, desaminiert, und diese liefert, wahrscheinlich durch eine ähnliche Reaktion, wie !) Cavellini u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 24, 353 (1957).

Der Eiweißstoffwechsel

390

wir sie früher bei der Decarboxylierung des Pyruvats und des a-Ketoglutarats beschrieben haben, die CoA-Verbindung der Isovaleriansäure:

CH,

ch 3 . CH,-

^CH—CH„—CH—COOH

Leucin

nh2 >CH—CH,—C—COOH

a-Ketoisocapronsäure

O

CoA-SH

CH.

NCH-CH2-CO-S-CoA CH,/

Isovaleryl-CoA

B l o c h konnte mit Hilfe der deuteriumhaltigen Verbindungen zeigen, daß Leucin und Isovaleriansäure Essigsäure liefern können1). Weitere Untersuchungen mit C( 14) - markierter Isovaleriansäure ergaben, daß die Verbindung nach Art einer /^-Oxydation unter gleichzeitiger Fixierung von C0 2 abgebaut wird, wobei die folgenden Zwischenstufen durchlaufen werden 2 ): CH

3N >CH-CH2-CO-S-CoA CH,/

CH.

ch 3 . CHv

/?-Methylcrotonyl-CoA

CH—CO—S—CoA

CH* OH I

>C-CH 2

+ H,0 Crotonase

- CO — S — CoA

/?-Hydroxyisovaleryl-CoA

+ CO., ATP

C O O H - C H . C—CH,—CO— CH,-

/

Isovaleryl-CoA

^-Hydroxy-jS-methylglutaryl-CoA

\

COOH—CH,—CO—CH, Kondensation von 2 Molekülen

_ -COOH + 2 CoA-SH Die carboxylierende Spaltung der Isovaleriansäure hängt vom Biotin ab3), und es ist anzunehmen, daß das Vitamin bei der Addition der Kohlensäure eine Rolle spielt. Möglicherweise findet die Carboxylierung schon auf der Stufe des /S-Methylcrotonyl-CoA statt (Lynen).

Die Carboxylierungsreaktion ist noch in anderer Hinsicht von Interesse. Sie hat zur Entdeckung einer reaktionsfähigen Form der Kohlensäure, der a k t i v i e r t e n 1

) Bloch, J . biol. Chem. 155, 255 (1944). ) Vgl. Coon, J . biol. Chem. 187, 71 (1950); Fed. Proc. 14, 762 (1955). ) L a r d y , Physiol. Bev. 38, 560 (1953).

2 3

Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes

391

K o h l e n s ä u r e , geführt, welche den anderen aktivierten Acylgruppen an die Seite gestellt werden kann. C o o n hat gezeigt, daß die Carboxylierung ATP-abhängig ist und daß sie v o n einer Abspaltung von Pyrophosphat aus dem letzteren begleitet ist. Er n i m m t daher an, daß in einer ersten Reaktion mit dem A T P die Kohlensäure in eine „aktivierte" Form übergeführt wird, die anschließend mit dem Carboxylakzeptor reagiert 1 ): 1)

ATP + C0 2 —>• aktivierte Kohlensäure + Pyrophosphat

2) aktivierte Kohlensaure

CH3 CH 3 C-OH | CO—S—CoA

CH 3 CH 2 —COOH C-OH | CO—S—CoA

Die aktivierte Kohlensäure ist als Adenosin-5'-phosphocarbonat worden:

+

AMP

identifiziert

0 H H H H II /Ou N—C—C—C—C—CH 2 —O—P—O—C\ I OH OH I | \OH 1 I o OH

Das aktivierende Enzym, das für die Beaktion 1) verantwortlich ist, konnte in kristallisiertem Zustand aus Herzmuskel dargestellt werden2). Es scheint Zn-abhängig zu sein. Das Enzym, welches das durch Carboxylierung entstandene /?-Hydroxy-/?-methylglutarylCoA spaltet, ist abgekürzt als „HMG-CoA c l e a v a g e - e n z y m e " bezeichnet worden. Wir sind ihm früher, bei Besprechung der Acetessigsäurebildung in der Leber, schon begegnet (vgl. S. 362). Das I s o l e u ein ist glucoplastisch und nur schwach ketoplastisch. Es geht durch Decarboxylierung und Desaminierung in «-Methylbuttersäure über; die letztere wird in Propionsäure und aktives Acetat gespalten, welches Acetessigsäure liefert 3 ). Das Propionat kann in Succinat übergehen (S. 360); dies erklärt die Zuckerbildung aus dem Isoleucin. CH 3 - C H 2 - f C H - COOH CH,

oc-Methylbuttersäure

(CHjCOOH) 1 CH,COCH„COOH

CH.COCOOH

(Es ist anzunehmen, daß auch hier die a-Methylbuttersäure als CoA-Verbindung reagiert.) Die aus V a l i n entstehende Isobuttersäure zerfällt in Propionsäure und C0 2 4 ). Die Isotopenverteilung in den Spaltprodukten, die aus der markierten Verbindung entstehen, zeigt, daß die Carboxylgruppe der Isobuttersäure das C0 2 liefert, während die Carboxylgruppe der Propionsäure durch Methyloxydation entsteht 5 ). J ) Coon, Fed. Proc. 14, 762 (1955); J. biol. Chem. 216, 727 (1955); J . Am. ehem. Soc. 79, 1505 (1957). 2 ) B a c h h a w a t u. Coon, J . biol. Chem. 281, 625 (1958). 3 ) Coon u. Mitarb., J. biol. Chem. 195, 805 (1952); 199, 75 (1952). 4 ) A t c h l e y , J. biol. Chem. 176, 123 (1948). 5 ) D.M. G r e e n b e r g , Fed. Proc. 12, 230 (1953).

Der Eiweißstoffwechsel

392 CH3N

•°H°x>CH-COOH CH3/

>CH-LCOOH CH3/ i

• CH 3 CH 2 COOH + C0 2

Die Propionsäure kann zur Glycogeribildung verwendet werden, d. h. das Valin ist glucoplastisch. Ein gewisses theoretisches Interesse bietet auch der Abbau der a-Amino-/?-oxysäuren. K n o o p untersuchte das Schicksal der /S-Hydroxy-a-aminosäuren und konnte zeigen, daß auch diese Säuren den genannten allgemeinen Abbauweg nicht einschlagen. Es wurden verschiedene Hydroxyaminosäuren in Form ihrer Phenylverbindungen an Hunde verfüttert, analog zu den Versuchen, die beim Fettsäureabbau besprochen wurden: y-Phenyl-/J-oxy-a-aminobuttersäure: C6H6

C6H5

AH2

CH2

CH-OH

¿OOH

= Phenylessigsäure im Harn

CH-NH 2 COOH

C6H6 | COOH

Benzoesäure (als Hippursäure)

CH2 COOH

Es folgt aus diesen Versuchen, daß die /3-Hydroxy-a-aminosäuren n i c h t dem Abbaugesetz der einfachen Aminosäuren, sondern direkt dem Gesetz der ^ - O x y d a t i o n unterliegen. Diese Tatsache zwingt nun weiter zu dem Schluß, daß die ^-Hydroxyaminosäuren auch nicht normale Zwischenprodukte des Aminosäureabbaus sein können. Die natürlich vorkommenden Hydroxyaminosäuren (Serin und Threonin) kommen als Quelle für die Glycocollbildung in Frage (S. 420). Auf die spezielleren Abbaureaktionen anderer Aminosäuren, insbesondere der aromatischen u n d heterocyklischen, werden wir später zu sprechen kommen. 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren J e nach der typischen Gruppe, welche in d e n einzelnen Aminosäuren enthalten ist, können sie die verschiedensten Umwandlungen erleiden. Die wichtigsten sollen hier kurz dargestellt werden.

Phenylalanin und Tyrosin

393

A. Phenylalanin und Tyrosin Phenylalanin kann durch die P h e n y l a l a n i n h y d r o x y l a s e z u Tyrosin oxydiert werden. Dies ist definitiv durch Verwendung v o n Deuteriophenylalanin bewiesen worden ( S c h o e n h e i m e r ) , nachdem schon viel früher der Übergang von Phenylalanin in Tyrosin im Leberdurchströmungsversuch nachgewiesen worden war (Embden)1): OH I

I CH,

AmlnoB&orenoxydase

c=o COOH Phenylbrenztraubensäure

I CHa CH—NH2 I COOH Phenylalanin

Phenylalaninhydroxylase

CH2 CH—NH2 I COOH Tyrosin

Der umgekehrte Vorgang ist nicht möglich. Die Oxydation des Phenylalanins zum Tyrosin ist ein komplexer Vorgang, an welchem mindestens zwei Enzyme beteiligt sind. Sie benötigt DPN und einen Alkohol oder Aldehyd als Cofaktoren2). Die Reaktion scheint auf die Leber beschränkt zu sein. Möglicherweise verläuft die Einführung der Hydroxylgruppe nach demselben Mechanismus, wie er bei vielen ähnlichen Hydroxylierungen angenommen wird, nämlich unter direkter Beteiligung von molekularem Sauerstoff (Näheres S. 257). Der Hydroxylsauerstoff würde dann direkt aus dem 0 2 stammen. Tatsächlich benötigt die Reaktion molekularen Sauerstoff. Derselbe kann nicht durch Wasserstoffakzeptoren wie Methylenblau ersetzt werden. Phenylalanin kann oxydativ desaminiert werden, wobei Phenylbrenztraubensäure entsteht. Phenylbrenztraubensäure tritt im Urin bei einer seltenen, angeborenen Stoffwechselstörung, der P h e n y l k e t o n u r i e (oder O l i g o p h r e n i a p h e n y l p y r u v i c a , Fölling), auf. Hauptmerkmal ist ein Schwachsinn leichten bis schweren Grades, der möglicherweise auf einer Entwicklungsstörung des Gehirns schon während des intrauterinen Lebens beruht. Die Krankheit tritt familiär auf. Der Urin dieser Patienten färbt sich bei Zugabe von Eisenchlorid grün (Reaktion der Phenylbrenztraubensäure). Neben der Phenylbrenztraubensäure treten im Urin Phenylmilchsäure und Phenylessigsäure auf. Wahrscheinlich ist die Oxydation des Phenylalanins zu Tyrosin wegen Fehlens der Phenylalaninhydroxylase nicht mehr möglich3). Es kommt zur Bildung von Phenylbrenztraubensäure, Phenylmilchsäure, Phenylessigsäure und anderen Verbindungen, merkwürdigerweise auch von Indolylmilchsäure und -essigsaure, deren Entstehung im Zusammenhang mit der Phenylketonurie noch völlig ungeklärt ist. Nach alten Versuchen von E m b d e n kann aber Phenylbrenztraubensäure (in der Niere) nicht weiter zu Acetessigsäure oxydiert werden. Es sind auch Fälle einer angeborenen Stoffwechselstörung beschrieben, die sog. „Tyrosinose", die durch vermehrte Ausscheidung von Tyrosin ausgezeichnet ist (Medes). Eine weitere Störung im Abbau der aromatischen Aminosäuren ist die sog. A l k a p t o n u r i e . E s handelt sich auch hier u m eine sehr seltene, familiär auftretende Anomalie. I m Urin tritt eine Substanz auf, die reduzierende Eigenschaften hat (ammoniakalische Silberlösung wird in der Kälte reduziert) und sich mit Alkali J ) S c h o e n h e i m e r , J. biol. Chem. 135, 415 (1940); E m b d e n , Biochem. Zschr. 55, 301 (1913). 2 ) U d e n f r i e d u . Cooper, J . biol. Chem. 194, 503 (1952); M i t o m a , Arch. Biochem. Biophys. 60, 476 (1956). 3 ) W a l l a c e u. Mitarb., Proc. Soc. Exptl. Biol. Med. 94, 632 (1957); M i t o m a u. Mitarb., Proc. Soc. Exptl. Biol. Med. 94, 634 (1957); K n o x u. H s i a , Am. J . Med. 22, 687 (1957).

Der Eiweißstoffwechsel

394

schwarz färbt. Der früher „Alkapton" genannte Körper wurde von E. B a u m a n n als H o m o g e n t i s i n s ä u r e identifiziert (so genannt, weil die Säure ein Homologes der Gentisinsäure ist, die durch oxydativen Abbau aus dem Aglucon eines Glycosids der Enzianwurzel, des Gentisins, entsteht). (Formel der Homogentisinsäure siehe unten rechts.) Die Ausscheidung der Homogentisinsäure ist bei eiweißreicher Kost vermehrt, als Zeichen dafür, daß die Substanz aus den aromatischen Bausteinen der Proteine stammt. COOH IliNH2

¿h 2

COOH

COOH

C=0

I c=o

ch 2

9-9 I

I

OH Tyrosin

OH p-Hydroxyphenylbrenztraubensäure

HO v

xCH~

!=0

?H

COOH

O Chinol (hypothetisch)

2,6-Dihydroxyphenylbrenztraubensäure ?

Homogentisinsäure

Die Homogentisinsäure ist ein normales Zwischenprodukt beim Abbau der aromatischen Aminosäuren. Die Alkaptonurie bietet daher eine ausgezeichnete Gelegenheit nachzuprüfen, welche Stoffe als Zwischenstufen dieses Abbaus in Frage kommen. Vermehrt ein Stoff die Menge der ausgeschiedenen Homogentisinsäure, so ist er selbst Zwischenprodukt oder kann in ein solches übergehen. Wir haben oben bereits ein Beispiel erwähnt: p-Hydroxyphenylbrenztraubensäure liefert Alkapton, nicht aber die p-Hydroxyphenylmilchsäure. Die letztere kann also nicht die Verbindung sein, welche durch die Desaminierung des Tyrosins entsteht. Auf diese Weise ist N e u b a u e r schon 1909 dazu gekommen, für die Entstehung der Homogentisinsäure aus Tyrosin die vorstehende Folge von Reaktionen anzunehmen 1 ). In der Homogentisinsäure ist keine der beiden phenolischen Hydroxylgruppen zur Seitenkette paraständig wie im Tyrosin. Man nimmt daher an, daß beim Übergang in das Hydrochinonderivat eine Verschiebung der Seitenkette stattfindet. Die organische Chemie kennt Beispiele für derartige Umlagerungen, die über ein Chinol führen, doch ist über den Mechanismus der biochemischen Reaktion nichts Genaueres bekannt. N e u b a u e r hatte als unmittelbare Vorstufe der Homogentisinsäure die 2,5-Dihydroxybrenztraubensäure angenommen, weil diese Verbindung beim Alkaptonuriker eine schwache Vermehrung der Homogentisinausscheidung ergibt. Es wird aber neuerdings bezweifelt, daß sie als Zwischenprodukt auftritt2); doch bedarf diese Frage weiterer Abklärung. Neuere Untersuchungen haben das obige Schema der Homogentisinsäurebildung bestätigt und außerdem durch Verwendung löslicher Fermentsysteme aus Leber einigen Aufschluß über einzelne Teilreaktionen gebracht. Die Überführung des Tyrosins in p-Hydroxyphenylbrenztraubensäure geschieht durch eine T r a n s a m i n i e r u n g , bei welcher a-Ketoglutarsäure der obligatorische Akzeptor ist. 2,5-Dihydroxyphenylalanin wird durch das gleiche Fermentsystem nicht angegriffen; daraus geht hervor, daß die Desaminierung schon auf der Stufe des Tyrosins als erste Reaktion erfolgt und nicht erst nach der weiteren Oxydation im Benzolring (Knox). N e u b a u e r , Deutsch. Arch. klin. Med. 95, 211 (1909). ) L a D u u. Zannoni, J. biol. Chem. 217, 777 (1955).

2

Phenylalanin und Tyrosin

395

Die Oxydation der p-Hydroxyphenylbrenz trau bensäure zu Homogentisinsäure ist von der A s c o r b i n s ä u r e abhängig, deren Wirkung spezifisch zu sein scheint 1 ). Man h a t schon früher die Feststellung gemacht, daß Meerschweinchen, die keine Ascorbinsäure erhalten und mit Tyrosin belastet werden, p-Hydroxyphenylbrenztraübensäure ausscheiden (vgl. S. 811). Der weitere oxydative Abbau der Homogentisinsäure durch die H o m o g e n t i s i n a t o x y d a s e f ü h r t zur Ringöffnung. E m b d e n h a t t e schon vor langen Jahren (1906) gefunden, daß bei Durchströmung der Leber mit Tyrosin oder Homogentisinsäure Acetessigsäure entsteht. Neuerdings ist als weiteres Spaltstück Fumarsäure und Äpfelsäure nachgewiesen worden. Als Zwischenprodukt wird primär Maleylacetessigsäure gebildet, welche durch ein Glutathion-abhängiges Enzym in die isomere Fumarylacetessigsäure übergeführt wird 2 ). Der Abbau stellt sich also folgendermaßen dar: OH COOH COOH COOH HOOC 0 COOH O COOH HOOCs I -CIL CH CH2 + o2 Homogen+ I II tisinatCH c=o oxydase I I OH COOH CH, OH OH MaleylacetFumarylacetessigsäure essigsäure An der oxydativen Ringöffnung sind Ferroionen beteiligt, möglicherweise in Form eines Ascorbinsäurekomplexes 3 ). Die Oxydation kommt wahrscheinlich durch direkte Anlagerung von molekularen Sauerstoff zustande. Die Homogentisinsäureoxydase gehört demnach zu den „Sauerstofftransferasen (vgl. S. 256) 4 ). Die C 4 -Carbonsäuren werden über den Tricarbonsäurecyklus schließlich zu C0 2 und H 2 0 oxydiert. Eine vermehrte Ausscheidung von Homogentisinsäure ist auch bei R a t t e n beobachtet worden, welche mit der Nahrung zu wenig Methionin und Cystin erhielten. Durch Zulage von Cystin konnte die Alkaptonurie zum Verschwinden gebracht werden 6 ). Eine Erklärung für diese Erscheinung läßt sich zur Zeit nicht geben.

Eine einfache Decarboxylierung des Tyrosins führt zum p - H y d r o x y p h e n y l ä t h y l a m i n (Tyramin). Es entsteht durch die Einwirkung von Bakterien auf die Aminosäure; aber auch tierische Gewebe, insbesondere die Niere, vermögen Tyrosin (wie auch Dopa) zu decarboxylieren: OH

I CH, I HCNH, COOH Tyrosin

CH,NH, Tyramin

Eine weitere wichtige Substanz, welche ebenfalls aus diesen Aminosäuren gebildet wird, ist das A d r e n a l i n . Über seine Synthese siehe S. 716. Aus dem Tyrosin kann durch Oxydation das D i h y d r o x y p h e n y l a l a n i n (abgekürzt „Dopa"), ein Brenzkatedrinderivat, entstehen: J

) K n o x , Biochem. J . 49, 686 (1951). ) Vgl. C r a n d a l l u. H a l i k i s , J . biol. Chem. 208, 629 (1954); K n o x u. E d w a r d s , J . biol. Chem. 216, 489 (1955); 220, 79 (1956). 3 ) C r a n d a l l , in M c E l r o y u. G l a s s : Symposium on amino acid metabolism, S. 867. Baltimore 1955. 4 ) Vgl. M a s o n , Adv. Enzymol. 19, 87 (1957). 5 ) N e u b e r g e r u. W e b s t e r , Biochem. J . 41, 449 (1947). 2

Der Eiweißstoffwechsel

396

HO HO—^

CHa— C H - COOH

Phenole neigen zur Bildung von dunklen Farbstoffen und so wird auch die Pigmentbildung der Haut, die M e l a n i n b i l d u n g , auf solche Oxydationsprodukte des Tyrosins zurückgeführt. Besonders das Dihydroxyphenylalanin scheint dabei eine Rolle zu spielen. In der Haut (Melanoblasten der Epidermis) kommt ein oxydierendes Ferment, die „Dopaoxydase", vor, durch dessen Wirkung Dihydroxyphenylalanin in das dunkle Pigment verwandelt wird (Bruno Bloch). Man erhält derartige dunkle Farbstoffe auch in vitro, wenn man Tyrosin mit tyrosinasehaltigen Extrakten aus Pflanzen (Kartoffeln, Pilzen) behandelt. Die T y r o s i n a s e ist ein Ferment, das Monophenole langsam zu Orthodiphenolen, die letzteren aber schnell zu den entsprechenden Orthochinonen und weiter zu Pigmenten oxydiert (vgl. S. 254). Wirksame Extrakte sind auch aus den melaninhaltigen Geschwülsten (Melanomen) gewonnen worden. Sehr wahrscheinlich sind die Dopaoxydase Blochs und die Tyrosinase (Monophenoloxydase) ein und dasselbe Ferment. Tyrosin wird im Gegensatz zum Dopa von normalen Melanoblasten nicht oder nur sehr langsam in Melanin verwandelt; doch hat dies seine Ursache wahrscheinlich nicht in einer Verschiedenheit der Fermente, sondern ist durch spezielle Umstände bedingt (lange Latenzzeit bis zur Bildung genügender Mengen des aktivierend wirkenden Diphenols aus dem Monophenol, vgl. S. 254, usw.). Melanoblasten der menschlichen Haut können durch Ultraviolettbestrahlung aktiviert werden, so daß sie auch aus Tyrosin Pigment bilden. Die Melanine gehören zu den verbreitetsten Pigmenten. Sie finden sich bei allen Klassen des Tierreichs. Sie können nicht nur aus den aromatischen Aminosäuren, sondern auch aus dem Tryptophan entstehen. Wahrscheinlich gibt es verschiedenartige Melanine. Weder ihre chemische Struktur noch ihre Entstehungsweise sind in allen Einzelheiten bekannt. Es scheint aber, daß ihnen das C-Gerüst des Indols zugrunde liegt. Das Tyrosin wird durch die Phenoloxydase (Tyrosinase) zuerst zu Dihydroxyphenylalanin (I) und weiter zum entsprechenden Orthochinon (II) oxydiert, das sich leicht in ein Dihydroindolderivat (III) umlagert. Dieses wird spontan zum entsprechenden Orthochinon (IV) oxydiert. Das letztere wird neuerdings als Dopachrom bezeichnet. Man hielt die Verbindung früher für identisch mit einem von Mazza isolierten roten Farbstoff, der im marinen Wurm Halla parthenopeia vorkommt und deshalb den Namen Hallachrom erhalten hat. Die beiden Farbstoffe sind aber verschieden. Das Dopachrom lagert sich unter gleichzeitiger Decarboxylierung in 5,6-Dihydroxyindol (V) um. Das entsprechende Orthochinon (VI) ist wahrscheinlich die Muttersubstanz des Melanins, welches durch Oxydation und Polymerisation aus ihr hervorgeht. I Dopa HO-/\ HO—I J

II Dopaorthochinon CH, 2H 0 = / ^ CH— COOH-^—'"0=1 J NH,

III 5,6-Dihydroxydihydroindola-carbonsäure 0Ha HO— CH—COOH - ^HO—(

NH,

1

CH, ,CH—COOH NH

— 2H

0=1

-CH i .CH NH

VI Melaninmuttersubstanz



— co,

2 H

NH 5,6-Dihydroxyindol

CH2 CH—COOH NH IV Dopachrom

Phenylalanin und Tyrosin

397

Außer dem Tyrosin ist auch das Adrenalin (VII) zur Melaninbildung befähigt. Hier ist das A d r e n o c h r o m (IX) als Zwischenprodukt anzunehmen: -CHOH

H

°-U

/

CHOH

CH,

— 2 H Umlagerung

NH AH3 VII Adrenalin

VIII Leukoadrenochrom

0 = / N — c = o

CHOH 0 =

O=I

X

^

I

I CH N I CH3

N /

2

X Oxoadrenochrom

IX Adrenochrom

Nach neueren Untersuchungen scheint es, daß das Adrenochrom weiter zu Oxoadrenochrom (X) dehydriert wird. SolcheKörper verbinden sich mitKetonen leicht zu sog. Indogeniden. Man hat daher angenommen, daß bei der Pigmentbildung sich die Orthochinone (X) unter sich zu hochmolekularen Stoffen kondensieren (G. N. Cohen). Melanine kommen auch in gewissen bösartigen Geschwülsten (Melanosarkomen) vor. Der Urin der Kranken enthält Stoffe (Chromogene), die durch Oxydationsmittel in dunkle Pigmente verwandelt werden (Melanurie 1 )).

Ein Tyrosinderivat ist auch das Schilddrüsenhormon, das Thyroxin (Formel S. 70). Es wurde zuerst von K e n d a l i in reinem Zustand gewonnen und von Haringt o n und B a r g e r synthetisch dargestellt. Es ist ein Tetrajodderivat des p-Hydroxyphenyläthers des Tyrosins. Von seiner Synthese in der Schilddrüse wird später (S. 692) die Rede sein. Ein weiteres Jodderivat des Tyrosins liegt in der aus dem Schwamm Gorgonia isolierten Jodgorgosäure vor: H3C—O

-

O —CH=CH— COOH Jodgorgosäure

Über die B i o s y n t h e s e der aromatischen Aminosäuren sind wichtige Erkenntnisse mit Hilfe von Bakterienmutanten gewonnen worden. Anscheinend geht die Synthese von der Chinasäure (1,3,4,5-Tetrahydroxy-cyklohexancarbonsäure) aus, die ihrerseits wahrscheinlich durch Cyklisierung aus der Glucose entsteht. Im tierischen Organismus können, wie schon seit längerer Zeit bekannt ist, Cyklohexan- und Cyklohexancarbonsäuren aromatisiert, d. h. in Benzoesäure übergeführt werden2)3). Beim Menschen geht auch die Chinasäure in Benzoesäure über8). Als Zwischenprodukt der Synthese der aromatischen Aminosäuren tritt die des Phenylalanins Tyrosins und Melaninbildung vgl. S h i k iÜber m i s äden u r e Stoffwechsel auf (eine Substanz, die alsund Inhaltsstoff derüber Früchte von Illicium Lerner, Adv. Enzymol. 14, 73 (1953); D a l g l i e s h , Adv. Prot. Chem. 10, 31 (1955). 2 ) B e r n h a r d , Zschr. physiol. Chem. 248, 256 (1937); 256, 59 (1938). 3 ) B e e r u. Mitarb., Biochem. J. 48, 222 (1951).

398

Der Eiweißstoffwechsel

religiosum, jap. ,,Shikimino-Ki", schon lange bekannt ist). Auf Grund der Versuche mit Bakterienmutanten (Aerobacter, Coli) gelangt D a v i s zu folgender Reaktionsreihe1) : HO

COOH

oh

HO

HO,

(r

OH Chinasäure

Tyrosin

Y OH

oh

(Y

HO

OH OH

5-Dehydroshikimisäure

Shikimisäure

COOH I C=0

O II COOH—C—OH,—^

COOH-C-CH,

COOH I

OH

5-Dehydrochinasäure

O Phenylalanin

COOH

.COOH

-OH

—x

y

Zwischenprodukt

| OH „prephenic acid"

^ p-Hydroxybenzoesäure

\ p-Aminobenzoesäure

Die verschiedenen Zwischenprodukte sind mit Ausnahme der Chinasäure aus den Kulturen der Mutanten, die zu ihrer weiteren Umwandlung nicht mehr befähigt sind, isoliert worden. B. Tryptophan

I m Harn mancher Carnivoren, besonders bei verschiedenen Hundearten (Haushund, nordamerikanischer Steppenwolf, Wolf, Fuchs u. a.), findet sich eine K y n u r ens ä u r e genannte Verbindung, welche, wie E l l i n g e r bewiesen hat, ein Abbauprodukt des Tryptophans ist. K o t a k e konnte als weiteres Zwischenprodukt des Tryptophan stoffwechsels d a s K y n u r e n i n isolieren. Nach B u t e n a n d t besitzt diese Verbindung die folgende Konstitution 2 ):

-CO—CH,—CH— COOH •}—COOH N Kynurensäure

-nh2

NH,

Kynurenin

Neuerdings ergab sich die bemerkenswerte Tatsache, daß Tryptophan bei den höheren Tieren in Nicotinsäure übergehen kann, einen Stoff also, der bisher als Vitamin angesehen wurde. (Vitamine können nach der Definition des Vitaminbegriffs von den Tierarten, für welche sie unentbehrlich sind, nicht synthetisiert werden.) 1 ) D a v i s , Fed. Proc. 14, 691 (1955); D a v i s , in M c E l r o y u. Glass: Axnino acid metabolism, S. 799. Baltimore 1955. D a v i s u. Mitarb., J. Am. ehem. Soc. 75, 5567, 5572 (1953); J. biol. Chem. 191, 315 (1951); Science 118, 251 (1953); 119, 774 (1954). 2 ) K o t a k e , Ergebn. Physiol. 37, 245 (1935); B u t e n a n d t u. Mitarb., Zschr. physiol. Chem. 279, 27 (1943).

Tryptophan

399

Die Synthese der Nicotinsäure ist beim höheren Tier jedoch nur in beschränktem Umfange möglich und reicht zur Deckung des Bedarfs nicht aus. Der Zusammenhang zwischen Tryptophan, Kynurenin; Kynurensäure und Nicotinsäure, wie er sich nach den gegenwärtigen Kenntnissen darstellt, ist aus dem folgenden Schema ersichtlich: Tryptophan (I) ..—CH2—CH—COOH I NH, NH 3-Hydroxykynurenin (III)

/

O II * -C—CH2—CH—COOH

O -3H»—CH—COOH -NH« NH 2

V-c-

-NH* NH 2 Kynurenin (II)

)H Kynureninase, Pyri doxalph ospha t

OH i^V-COOH -COOH

Kynurensäure (VII)

-COOH

4- Alanin

i-TT 3-Hydroxyanthranilsäure (IV)

Xanthurensäure (VIII)

4 Zwischenprodukt ii—COOH I^JJ

COOH

N a-Picolinsäure

N

COOH ll-COOH

(VI)

Nicotinsäure

I N

Chinolinsäure (V)

Bei der Aufklärung der Reaktionen, die Tryptophan, Kynurenin und Nicotinsäure verknüpfen, haben Untersuchungen am Schimmelpilz N e u r o s p o r a eine große Rolle gespielt ( B e a d l e und Mitarb., B o n n e r 1 ) , vgl. S. 218). Man hat durch Röntgenbestrahlung Mutanten erzeugt, die bestimmte Stufen der Umwandlung nicht mehr durchführen können. Da die Nicotinsäure für den Pilz unentbehrlich ist, äußert sich !) B e a d l e , Mitchell u. N y c , Proc. Nat. Acad. Sci., USA., 33, 155 (1947); 34, 1 (1948); Bonner, Proc. Nat. Acad. Sci., USA., 34, 5 (1948); T a t u m , Fed. Proc. 8, 511 (1949).

Der Eiweißstoffwechsel

400

der Stoffwechseldefekt i n der mangelnden E n t w i c k l u n g des Mycels. Wird die geeignete Zwischenverbindung, die nicht mehr synthetisiert werden kann, d e m Milieu zugesetzt, so k a n n sich d a s Mycel normal entwickeln. A u f diese Weise ist z. B . die 3-Hydroxyanthranilsäure als Zwischenprodukt der U m w a n d l u n g v o n T r y p t o p h a n i n Nicotinsäure erkannt worden. Man k a n n annehmen, d a ß die angegebene Reaktionsfolge bei Mikroorganismen u n d höheren Tieren i m wesentlichen die gleiche ist. B e i m Tier scheint besonders die Leber a m A b b a u des T r y p t o p h a n s beteiligt z u sein. D e r Indolring wird zwischen d e m a - u n d /S-C-Atom durch eine spezifische Peroxydasereaktion geöffnet, wobei als Zwischenprodukt sehr wahrscheinlich Formylkynurenin auftritt. D a s a-C-Atom wird als Ameisensäure eliminiert 1 ). Die merkwürdigste Reaktion dieser Reihe ist die Bildung des Pyridinrings (in der Nicotinsäure) aus dem Benzolring der 3-Hydroxyanthranilsäure (IV). Man hat angenommen, daß die Chinolinsäure (V) eine Zwischenstufe ist, weil sie im Urin der Ratte nach Fütterung von Tryptophan auftritt und weil sie bei Neurospora die Nicotinsäure zu ersetzen vermag. Sie kann auch vom Lactobacillus arabinosus an Stelle der Nicotinsäure verwendet werden. Sie ist aber beträchtlich weniger wirksam als die letztere. Es scheint daher eher, daß sie aus einem Zwischenprodukt durch eine Nebenreaktion entsteht, wie dies im obigen Schema angedeutet ist. Als weiteres Umwandlungsprodukt der 3-Hydroxyanthranilsäure wird unter der Einwirkung eines Leberenzyms (Ratte) ein Isomeres der Nicotinsäure, die a-Picolinsäure, gebildet. Sie wird nach Paarung mit Glycocoll wie jene im Urin als Picolinursäure ausgeschieden. Es ist anzunehmen, daß die genannten Pyridincarbonsäuren aus einem Zwischenprodukt mit offener Kette hervorgehen, welches durch oxydative Ringöffnung unter Beteiligung des molekularen Sauerstoffs (möglicherweise mit intermediärer Bildung eines Peroxyds) aus der Hydroxyanthranilsäure gebildet wird 2 ). Man kann sich die folgende Reaktionsfolge vorstellen: COOH 0

I OH

j^N-COOH I Lnh2

U

COOH

OCH HOOCV

r^^-COOH

XNH«

N Nicotinsäure

OH

\

\ i^Ni-COOH -COOH X N Chinolinsäure

-COOH N Picolinsäure

Man könnte daran denken, daß der Pyridinring der Nicotinsäure aus demjenigen der Kynurensäure entsteht. Diese naheliegende Annahme trifft aber nicht zu. Bei Verfütterung von Tryptophan, das in der ^-Stellung der Seitenkette (in Formel I mit Sternchen bezeichnet) CO*) enthält, entsteht Nicotinsäure, die kein Isotop enthält. Die Seitenkette geht also vollständig verloren. Tatsächlich hat man bei Verfütterung von L-Tryptophan und von D,L-Kynurenin an junge Ratten in deren Lebern eine Anreicherung von freiem Alanin gefunden. Aus der Leber läßt sich ein Ferment extrahieren, die K y n u r e n i n a s e , das L-Kynurenin und 3-Hydroxykynurenin in Anthranilsäure und Alanin spaltet. Das Coferment der Kynureninase ist das Pyridoxalphosphat (Wiss): 0 L

C—CHj—CH—COOH 1-NH2 I

COOH nh

U- *

*) K n o x u. M e h l e r , J . biol. Chem. 187, 419 (1950). 2 ) M e h l e r , J . biol. Chem. 218, 241 (1956).

+

CHa—CH—COOH I NH.

Tryptophan

401

Das Ferment spaltet in entsprechender Weise auch das 3- Hydro xykynurenin. Das Kynurenin wird nur dann in Kynurensäure übergeführt, wenn Pyruvat oder a-Ketoglutarat zugegen ist, so daß es durch eine Transaminierung in die entsprechende Ketosäure 0 /X—c—CH2—C—COOH J^JJ II

2-Aminobenzoylbrenztraubensäure

übergehen kann. Die letztere liefert durch Ringschluß unmittelbar die Kynurensäure. In gleicher Weise kann aus dem 3-Hydroxykynurenin die X a n t h u r e n s ä u r e gebildet werden. Die Xanthurensäure (gelber Farbstoff!) wird bei der Ratte und anderen Tierarten bei Mangel an Pyridoxin (Vitamin B6) neben dem Kynurenin in vermehrter Menge ausgeschieden. Ihre Bildung unter diesen Umständen ist leicht verständlich, weil beim Fehlen des Pyridoxins das Hydroxykynurenin nicht gespalten werden kann 1 ). Kynurenin wird auch bei Insekten gebildet. Es dient hier als Baustein gewisser Pigmente, der sog. O m m o c h r o m e . Die Untersuchung bestimmter pigmentloser Mutanten der Diosophila und der Mehlmotte (Ephestia K ü h n i e l l i ) hat zu dem bemerkenswerten Resultat geführt, daß ihnen die Fähigkeit zur Bildung des Kynurenins abgeht. Die Wirkung des verantwortlichen Gens (v + ) kann durch Kynurenin ersetzt werden. Wird das letztere den Puppen von außen zugeführt, so setzt in kurzer Zeit die Pigmentierung ein. Ein weiteres Gen (cu + ) beherrscht die Überführung des Kynurenins in das 3-Hydroxykynurenin. Die entsprechenden Mutanten reagieren nur auf das letztere, nicht auf das erstere ( B u t e n a n d t , K ü h n ) . Es ist dies ein besonders schönes Beispiel dafür, daß ähnlich wie bei Neurospora auch hier die Bildung der Fermente und damit die einzelnen Stoffwechselreaktionen von bestimmten Genen abhängig sind2). Ebenfalls mit Hilfe der Neurospora ist es möglich gewesen, in die biochemische Synthese des Tryptophans Einblick zu erhalten. Einer der Bausteine ist die Anthranilsäure. Aus ihr entsteht zunächst Indol: COOH

r^N *

Anthranilsäure

\

SH Indol

Über den Weg, auf welchem diese Synthese erfolgt, s. S. 855. Versuche mit Anthranilsäure, deren Carboxylgruppe durch ein C-Isotop markiert war, haben gezeigt, daß die Carboxylgruppe nicht verwendet wird. Das Indol kann sich wahrscheinlich direkt mit Serin zum Tryptophan kondensieren. Dies geht aus der Tatsache hervor, daß eine tryptophanabhängige Neurosporamutante sowie auch Colibazillen das Gemisch von Indol und Serin an Stelle des Tryptophans verwerten können ( T a t u m und Bonner3), Snell4)): .^X

,

+

HOCH 2 -CH—COOH

_Hso NH

Serin x

Tryptophan

) Wiss, Zschr. Naturforschg. 71), 133 (1952). ) Vgl. dazu K ü h n , Nachr. Akad. Wiss., Göttingen, Math.-physik. Klasse, 1941, 231; B u t e n a n d t , Naturwiss. 40, 91 (1953). Über Konstitution der Ommochrome vgl. L i e b i g s Ann. 686, 217, 229 (1954); 588, 106 (1954); 590, 75 (1954). 3 ) Proc. Nat.Acad.Soi., USA., 30, 30 (1944); Fed. Proc. 8, 511 (1949). 4 ) Arch. Biochem. 2, 389 (1943). . 2

26 I.euthardt, Lehrbuch, 14. Aufl.

Der Eiweißstoffwechsel

402

Auch für diese Reaktion ist Pyridoxalphosphat das Coenzym. Das Enzym ist aus dem Mycelium der Neurospora herausgelöst und gereinigt worden 1 ). Es ist anzunehmen, daß die Tryptophansynthese bei allen Organismen, die dazu befähigt sind, in ähnlicher Weise vor sich geht. Die höheren Tiere vermögen diese Synthese nicht durchzuführen. Ein seit langem bekannter Vorgang ist die Indolbildung durch gewisse Bakterien (z. B. E. coli). Das Indol wurde bei der Verdauung von Fibrin mit Pankreas als Zersetzungsprodukt der Proteine nachgewiesen. (Indol ist durch seine Rotfärbung mit salpetriger Säure — Bildung von Nitrosoindol — leicht zu erkennen.) Man stellte auch bald fest, daß es durch die Entwicklung der Fäulnisbakterien und nicht durch die Verdauungsfermente gebildet wird ( K ü h n e 1875, N e n c k i 1876). Nach der Entdeckung des Tryptophans erkannte H o p k i n s diese Aminosäure als Muttersubstanz des Indols. Aus Colibazillen läßt sich ein lösliches Ferment, T r y p t o p h a n a s e , gewinnen, das Tryptophan zu Indol abbaut ( H a p p o l d 2)). Coferment ist Pyridoxalphosphat (S. 382). Der Mechanismus der Indolbildung ist noch nicht restlos geklärt. Es scheint, daß die Seitenkette als Ganzes abgespalten werden kann, wobei Pyruvat und Ammoniak entstehen 3 ): 8

Der o-Aminophenylacetaldehyd oder der entsprechende Alkohol können in vitro leicht in Indol übergehen:

NH Es ist daher auch die Möglichkeit diskutiert worden, daß zunächst der Indolring im Tryptophan oxydativ geöffnet wird, wobei Kynurenin oder ein ähnlicher Körper entsteht. Nach Verkürzung der Seitenkette auf 2 C-Atome könnte der Indolring nach obigem Schema wieder geschlossen werden. Tatsächlich wird durch E. coli aus o-Aminophenyläthylalkohol Indol gebildet (Krebs). Von Tryptophanderivaten sei noch das S e r o t o n i n oder E n t e r a m i n erwähnt, ein blutdruckerhöhendes Amin, das im Blutserum und in chromaffinen Zellen der Darmschleimhaut vorkommt. Die Substanz ist aus Serum und den Speicheldrüsen von Octopus isoliert worden und ist identisch mit dem 5-Hydroxytryptamin4). In großer Menge wird das Hydroxytryptamin in den Dünndarmcarcinoiden gebildet, die sich aus den enterochromaffinen Zellen ableiten5). •2

J. biol. Chem. 194, 279 (1952). Über die Tryptophanasereaktion vgl. H a p p o l d , Adv. Enzymol. 10, 51 (1950). Dawes u. H a p p o l d , Biochem. J. 44, 349 (1949). R a p p o r t u. Mitarb., J. biol. Chem. 174, 735 (1948); Erspamer, Nature 169, 800 (1952). ) Vgl. Langemann u. Kägi, Klin. Wschr. 34, 237 (1956).

2 ) 3 ) 4 ) 5

Histidin

403

Das Amin entsteht durch Decarboxylierung des 5-Hydroxytryptophans. Das wichtigste Umwandlungsprodukt scheint die 5-Hydroxyindolessigsäure zu sein, die bei Carcinoidpatienten in vermehrter Menge im Urin erscheint. Offenbar kommt Oxytryptamin die Funktion eines Hormons zu. Auf seine pharmakologischen Wirkungen, die Niere, Darm und Gehirn betreffen, können wir hier nicht eingehen1).

Als weitere sich vom Tryptophan herleitende Verbindungen erwähnen wir das G r a m i n ( D o n a x i n , N-Dimethyltryptamin), das in der Gerste und in den Blättern des Pfahlrohrs (Arundo donax) vorkommt, sowie die / 3 - I n d o l y l e s s i g s ä u r e (Indolessigsäure), die als Wuchsstoff der Pflanzen eine Rolle spielt: / N

n—CH2CH2N(CH3)2 NH Gramin

NH /J-Indolylessigsäure

C. Histidin E d l b a c h e r fand in der Leber der Säuger und Vögel ein Enzym, die H i s t i d a s e , welches das Histidin hydrolytisch unter Ammoniakbildung zerlegt (vgl. S. 191). Bei Einwirkung von Leberbrei auf Histidin wird von den drei N-Atomen der Aminosäure eines als Ammoniak in Freiheit gesetzt. Es entstehen Zwischenprodukte, aus welchen bei Einwirkung von Natronlauge ein zweites Äquivalent Ammoniak und außerdem ein Molekül A m e i s e n s ä u r e und (natürliche) L - G l u t a m i n s ä u r e gebildet wird 2 ). Daß die Reaktion auch in vivo, wenigstens zum Teil, zur Glutaminsäure führt, zeigt die Isolierung von radioaktiver Glutaminsäure nach Inkubation von Organschnitten aus Leber mit C (14 '-Histidin 3 ). Bei Verfütterung von L-Histidin werden im Urin kleine Mengen von U r o c a n i n s ä u r e (Imidazolacrylsäure, Formel s. unten) ausgeschieden. Die Substanz war erstmals von J a f f é (1874) aus dem Urin eines Hundes isoliert worden; sie entsteht auch bei der Einwirkung gewisser Mikroorganismen auf Histidin ( R a i s t r i c k 1917). Vor allem K o t a k e vertrat die Ansicht, daß die Desaminierung des Histidins auch beim Tier den normalen Abbauweg darstellt 4 ). F ü r die Erklärung des Histidinabbaus in der Leber bestehen folgende Möglichkeiten : 1. Entweder erfolgt der Angriff des Enzyms am Imidazolring unter E r h a l t u n g d e r A s y m m e t r i e d e s a - C - A t o m s . Aus dem Histidin entsteht über Zwischenstufen das F o r m y l g l u t a m i n , das sich dann weiter in Ammoniak, Ameisensäure und L-Glutaminsäure zerlegen läßt. 2. Der Angriff der Histidase besteht in einer a - D e s a m i n i e r u n g , die zur Bildung von U r o c a n i n s ä u r e führt, die dann durch ein zweites Enzym, die U r o c a n a s e , in ein Produkt, möglicherweise Formylisoglutamin, übergeht, welches ebenfalls bei alkalischer Reaktion Ammoniak und Ameisensäure sowie Glutaminsäure liefert. E d l b a c h e r nahm an, d a ß der erste Weg den Hauptweg des Histidinabbaus darstellt und daß die Urocaninsäure, die nach großen Gaben von Histidin im Urin *) Vgl. Langemann, Schweiz, med. Wschr. 85, 957 (1955); Zusammenfassung der neueren Literatur vgl. Page, Physiol. Rev. 38, 277 (1958). 2 ) Edlbacher, Zschr. physiol. Chem. 157, 106 (1926); 195, 267 (1931). 3 ) Abrains u. Borsook, J. biol. Chem. 198, 205 (1952); Wolf, J. biol. Chem. 200, 637 (1953). 4 ) K o t a k e u. Konishi, Zschr. physiol. Chem. 122, 230 (1922). 26*

Der Eiweißstoffwechsel

404

erscheint, ein Produkt des Bakterienstoffwechsels (Darmflora) ist. Neuere Versuche m i t markiertem Histidin haben aber eindeutig gezeigt, daß sowohl bei Mikroorganism e n (Pseudomonas fluorescens) als auch in der Leber der Abbau z u m größten Teil über die Urocaninsäure führen muß 1 ). Insbesondere wurde die Bildung der letzteren in Leberextrakten direkt nachgewiesen. Als Zwischenprodukt des weiteren Abbaus der Urocaninsäure wurde N-Formylisoglutamin angenommen: COOHCH 2 CH 2 CH(NH-CHO)CONH 2 ; doch zeigte sich, daß in Wirklichkeit die Öffnung des Imidazolrings sehr wahrscheinlich zur N-Formiminoglutaminsäure führt (Formel s. unten) 2 ). Die gleiche Substanz konnte auch aus Extrakten von Pseudomonas fluorescens nach Inkubation mit Histidin oder Urocaninsäure isoliert werden; sie wurde ferner im Urin von folsäurearm ernährten Ratten gefunden 3 ). Für das Verständnis der letztgenannten Beobachtung geben neuere Arbeiten über die Rolle der Folsäure beim Abbau der Formiminoverbindungen den Schlüssel an die Hand: Die Formiminogruppe wird auf Tetrahydrofolsäure übertragen, das Ammoniak abgespalten, und es entsteht schließlich Formyltetrahydrofolsäure (Näheres vgl. S. 799). Die Bildung der letzteren beim Abbau des Histidins ift der Säugetierleber ist tatsächlich nachgewiesen worden 4 ). Es ist also verständlich, daß bei Folsäuremangel Formiminoglutaminsäure liegenbleibt und in den Urin übergeht. HC—NHX

HC—NH S CH C I

Ii C

W

>°H

I

CH2 H(JNH 2 I COOH L-Histidin

Histidase

CH

Uroc

COOH HO-NH-CH=NH CH 2

CH

¿H 2

CÖOH

COOH

Urocaninsäure

N-Formiminoglutaminsäure (Formamidinglutarsäure)

COOH + NH 3 I HCNH 2 + HCOOH ¿H 2 CH I 2 COOH Glutaminsäure

Wir haben das Enzym, welches das Histidin durch Desaminierung in Urocaninsäure überführt, als Histidase bezeichnet; es ist auch der Name „ H i s t i d i n - D e s a m i n a s e " dafür vorgeschlagen worden. Man erkennt, daß die Aminogruppe der Glutaminsäure dem N-Atom des Imidazolrings entspricht, das zur Carboxylgruppe des Histidins in y-Stellung steht, während sie nach der älteren Auffassung identisch mit der a-Aminogruppe des Histidins gewesen wäre. Es ist also ein neues Asymmetriezentrum entstanden 6 ). Während der Schwangerschaft scheidet die Frau im Urin vermehrt Histidin aus. Man h a t versucht, darauf eine Schwangerschaftsreaktion zu gründen ( K a p e l l e r A d l e r ) , doch h a t sich dieselbe nicht bewährt. Über den Verlauf der Synthese des Histidins in den Mikroorganismen haben Versuche mit Neurosporamutanten, welche die Fähigkeit zu seiner Synthese verloren haben, einige Hinweise gegeben. Bei solchen Organismen werden gewisse Imidazolderivate angehäuft (teilweise als Phosphatester), welche identifiziert werden konnten und wahrscheinlich Zwischenprodukte der Synthese darstellen. Sie lassen sich zwanglos aus einer Pentose ableiten, so daß eine solche möglicherweise die Muttersubstanz des Histidins darstellt"). x

) M e h l e r u. T a b o r , J . biol. Chem. 201, 775 (1953). ) B o r e k u. W a e i s c h , J . biol. Chem. 205, 459 (1953); M i l l e r u. W a e i s c h , J . Am. chem. Soc. 76, 6195 (1954). 3 ) S e e g m i l l e r u. Mitarb., J . Am. chem. Soc. 76, 6205 (1954). 4 ) M i l l e r u. W a e i s c h , Arch. Biochem. Biophys. 63, 263 (1956); T a b o r u. R a b i n o w i t z , J . Am. chem. Soc. 78, 5705 (1956). 5 ) Übersicht über Histidase vgl. G r e e n b e r g in: Chemical pathways of metabolism. Vol. II, S. 101. New York 1954. 6 ) Arnes u. Mitarb., J . Am. chem. Soc. 75, 1015 (1953). 2

Histidin Nn

I

I

n—CHOH II

I

CHOH - NH | t CHaOH Pentose

Nn

Ii

II

7-,—-CH. II

NH

I

C=0 | CH2OH

405

% ->

II

n—CH,

(3)X,

n-

CH,

II

(2)J 1

II

I

I

CHNH2 NH | CH2OH

CHNH2 NH | (D CO OH Histidin

Es wurden auch Phosphatester der Verbindungen I und II isoliert. Die obige Reaktionsfolge läßt sich an Neurospora nicht direkt nachprüfen, da die angegebenen phosphatfreien Verbindungen unwirksam sind, ihre Phosphorsäureester aber nicht aufgenommen werden können. Die Frage der Histidinvorstufe bedarf aber noch der weiteren Aufklärung1). Wenn Hefe in Gegenwart von markiertem Formiat (C(14) gezüchtet wird, so erscheint CO*) vorwiegend im Amidin-C-Atom (* obige Formel) des Histidins2). Ebenso konnte gezeigt werden, daß die Histidinsynthese in Torula cremoris wahrscheinlich von der Folinsäure (vgl. S. 789) abhängig ist (Enthemmung des durch Aminopterin gehemmten Wachstums sowohl durch Citrovorumfaktor als auch durch Histidin [Broquist]). Es scheint also, daß an der Synthese des Imidazolrings ein aktiviertes ^-Fragment beteiligt ist, in ähnlicher Weise wie bei der Synthese des Puringerüsts. Versuche mit einer Coli-Mutante haben neuerdings ergeben, daß das Amidin C-Atom (2) des Histidins sich aus dem C-Atom in Stellung 2 des Guanins ableitet. Ebenso scheint das Guanidin auch das Imidazol N-Atom (1) zu liefern3). Die erstgenannte Beobachtung stimmt mit den oben erwähnten, bei der Hefe gewonnenen Resultaten überein; denn, wie wir sehen werden (S. 469), stammt das C2 des Puringerüsts aus aktiviertem Formiat. Man kann also annehmen, daß das C-Atom 2 des Guanins zusammen mit der daran hängenden Aminogruppe (in den untenstehenden Formeln fettgedruckt) direkt zum Aufbau des Imidazolrings verwendet wird; das Guanin geht dabei in das früher erwähnte Zwischenprodukt der Purinsynthese, das 4-Amino-5carboxamidimidazol über.

(2)

H 2 N-' N

(FSH4)-CH=NH N

%

Formimino-tetrahydrofolsäure (?)

Auf Grund der neuen Erkenntnisse über die Übertragung der Formiminogruppe lassen sich diese Befunde leicht verstehen. Es wäre denkbar, daß beim Abbau des Guanins das C2 des Purinrings mit dem Stickstoff der Aminogruppe als Forminogruppe ( —CH=NH) auf Tetrahydrofolsäure übertragen wird (vgl. S. 799) und derart als „aktivierte" Forminogruppe in den Imidazolring eingefügt wird. Mit dieser Annahme wäre auch die Abhängigkeit der Synthese von der Foßnsäure erklärt. Bei der Einwirkung von Fäulnisbakterien konnte D. A c k e r m a n n als Decarboxylierungsprodukt das biologisch •wirksame I m i d a z o l ä t h y l a m i n oder H i s t a m i n isolieren4). Formeln vgl.' S. 427. Wie bereits erwähnt wurde, vermögen überlebende Nieren-, Leber- und Pankreasschnitte des Meerschweinchens Histidin zu decarboxylieren (E. Werle). Die bisherigen, allerdings nur wenig gereinigten Präparate der H i s t i d i n d e c a r b o x y l a s e aus tierischen Geweben werden durch Pyridoxalphosphat nicht aktiviert. Dagegen konnte gezeigt werden, daß die Histidindecarboxylase aus Lactobacillus (auf Be-freiem Medium gezüchtet) die Co-Decarboxylase und außerdem dreiwertige Metalle (Fe+++ oder A1+++) benötigt (Guirard und Snell). Man kann daher annehmen, daß auch das tierische Enzym trotz der negativen Resultate von den !) 2) 3) 4)

Vgl. J. biol. Chem. 208, 691 (1954). Levy u. Coon, J. biol. Chem. 192, 807 (1951). Magasanik, J. Am. chem. Soc. 78, 5449 (1956). Zschr. physiol. Chem. 65, 504 (1910).

406

Der Eiweißstoffwechsel

gleichen Cofaktoren abhängt. Auch hier könnte, in ähnlicher Weise wie dies bei der Transaminierung vermutet wird, ein Metallchelat des Pyridoxals und der Aminosäure das aktivierte Zwischenprodukt der Reaktion sein (vgl. S. 383). A c k e r m a n n hat das Vorkommen des Histamins in den tierischen Geweben durch Isolierung der reinen Substanz aus Rinderleber direkt nachgewiesen. Das Histamin wird durch die früher erwähnte H i s t a m i n a s e namentlich in den Nieren und der Leber oxydativ desaminiert. Da das Histamin eine außerordentlich wirksame Substanz ist, liegt die Bedeutung der Histaminase möglicherweise darin, das freigesetzte Histamin rasch wieder zu zerstören. Wir haben bereits erwähnt (S. 388), daß dieses Enzym eine Diaminoxydase ist, die auch Agmatin, Putrescin, Cadaverin und andere Amine oxydativ desaminiert. I n der Muskulatur der Säuger findet sich ein Peptid des Histidins mit dem /3-Alanin. Es wird C a r n o s i n genannt. Ein methyliertes Carnosin konnte von A c k e r m a n n zuerst im Gänsefleisch und Fleisch von Seefischen nachgewiesen werden. Es wird A n s e r i n genannt: HC—NH

HC—N—CH3

II > C H C—N^

fl

\CH C-N^

¿H a

¿H2 HCNH • COCH2CH2NH2

AOOH

COOH

Carnosin

Anserin

Es ist dies eines der wenigen Beispiele des Vorkommens einer ^-Aminosäure. Wahrscheinlich entsteht das ß- Alanin durch Decarboxylierung der Asparaginsäure: HOOCCHjCHCOOH

HOOCCH2CH2 + C02

Asparaginsäure

/?-Alanin

Über die physiologische Bedeutung von Carnosin und Anserin ist nichts bekannt. D. Cystin (und Cystein), Methionin

Wir haben bereits früher erwähnt, daß Cystein und cysteinhaltige Peptide wie das Glutathion reversible Redoxysysteme bilden nach dem allgemeinen Schema: R—SH + HS—R ,

2U + 2H

R—S—S—R .

Wir wissen jedoch wenig Sicheres über die Funktion dieser Systeme im Stoffwechsel. Eine wichtige Funktion des Methionins ist durch D u V i g n e a u d sowie B o r s o o k und D u b n o f f aufgeklärt worden 1 ). Methionin enthält eine an den Schwefel gebundene Methylgruppe: COOHCH(NH2)CH2CH2— S—CH3. Du Vigneaud u. Mitarb., J. biol. Chem. 131, 57 (1939); 184, 787 (1940); Borsook u. D u b n o f f , J. biol. Chem. 132, 559 (1940).

Cystin (und Cystein), Methionin

407

Diese Methylgruppe kann abgegeben und auf andere Verbindungen übertragen werden ( T r a n s m e t h y l i e r u n g ) . Auf diese Weise entstehen z. B. Cholin und Kreatin. Man bezeichnet daher die Methylgruppe des Methionins als „biologisch labil". Wir haben bei Besprechung der lipotropen Wirkung darauf hingewiesen, daß Cholin durch Methionin ersetzt werden kann. Das Methionin liefert die Methylgruppe, welche zur Bildung des Cholins nötig ist, und ermöglicht es derart dem Organismus, bei Cholinmangel die Base selbst zu synthetisieren. Die dem Cholin zugrunde liegende methylfreie Verbindung ist der Aminoäthylalkohol CH 2 (OH)CH 2 (NH 2 ). Er entsteht wahrscheinlich durch Reduktion aus dem Glycocoll, denn bei Verfütterung von markiertem Glycocoll, das in der Aminogruppe N(15> enthält, findet man das schwere Stickstoffisotop in dem aus den Geweben isolierten Aminoäthylalkohol. Man kann sich nun vorstellen, daß der Aminoäthylalkohol sukzessive drei Methylgruppen aufnimmt, die vom Methionin geliefert werden, und dabei in Cholin übergeht. Der Beweis für diese Reaktion wurde von D u V i g n e a u d dadurch geleistet, daß er an Ratten Methionin mit Deuterium in der Methylgruppe verfütterte. Das aus den Organen dieser Tiere isolierte Cholin wies einen hohen Deuteriumgehalt auf. Das Methionin geht durch Abgabe der Methylgruppe in ein Homologes des Cysteins, das sog. Homocystein, über: COOHCH(NH2)CH2CH2—SH.

Dasselbe kann die Methylgruppe wieder vom Cholin aufnehmen, d. h. die Transmethylierung ist ein umkehrbarer Vorgang; es kann eine Methylgruppe zwischen Methionin und Cholin ausgetauscht werden. Dies läßt sich aus der Beobachtung schließen, daß das Methionin in der Nahrung von Versuchstieren durch Homocystin + Cholin ersetzt werden kann. Es scheint aber, daß in den quaternären Stickstoffbasen +

wie dem Cholin oder dem B e t a i n COOHCH 2 N(CH 3 ) 3 nur eine der CH 3 -Gruppen biologisch labil ist. Die entsprechenden tertiären und sekundären Amine (Dimethylaminoäthylalkohol CH 2 OHCH 2 N(CH 3 ) 2 , Dimethylglycocoll COOHCH 2 N(CH 3 ), oder Sarkosin COOHCH 2 NHCH 3 ) geben ihre Methylgruppen nicht oder jedenfalls nur langsam an Homocystein ab. Sie sind nicht imstande, das Wachstum von jungen Ratten zu unterhalten, welche Homocystin, aber kein Methionin erhalten. Dagegen hat der Dimethylaminoäthylalkohol lipotrope Wirkung, nicht aber das Dimethylglycocoll. Der erstere kann, wie Versuche mit der in beiden Methylgruppen Deuterium enthaltenden Verbindung zeigen, im Organismus leicht in Cholin übergeführt werden (Du V i g n e a u d ) . Verschiedene neuere Beobachtungen sprechen dafür, daß bei der Methylierung des Homocysteins nicht unmittelbar das Cholin die Methylgruppe liefert, sondern daß es zuerst zu Betain oxydiert werden muß. In Leberhomogenaten wird Homocystein unter anaeroben Bedingungen nur wenig methyliert (Dubnoff 1 )). Andererseits hat man als Reaktionsprodukt nicht Dimethylaminoäthylalkohol, sondern Dimethylglycocoll gefunden (Müntz 2 )). Es ist bekannt, daß Cholin sehr leicht zu Betain oxydiert werden kann (vgl. S. 431), und es ist daher möglich, daß nicht Cholin, sondern Betain der eigentliche Methyldonator ist. Es sei noch erwähnt, daß auch ein schwefelhaltiges Analoges des Betains, das Sulfoniumsalz Dimethylthetin (CH3)2—S—CH2COOH, und ebenso das natürlich vorkommende Dimethyl+ propiothetin (CH3)2—S—CH2CH2COOH das Cholin als Methyldonator zu ersetzen vermögen. ]

) D u b n o f f , Arch. Biochem. 24, 251 (1949). ) Müntz, J. biol. Chem. 182, 489 (1950).

2

Der Eiweißstoffwechsel

408

Im nachfolgenden Schema sind die Beziehungen zwischen Methionin, Cholin und einigen daraus sich ableitenden Verbindungen zusammengefaßt (siehe auch Schema S. 799):

COOH Serin CH,



1 h 2 n—ch 2 ch 2 oh Aminoäthylalkohol

-CH,

CH2

— CH,

I

CHNH, I COOH Methionin

-OH,

1 (CH 3 )NH—ch 2 ch 2 oh

H 2 C—SH *

I

ch 2

• (CH 3 ) 2 N—ch 2 ch 2 oh + 1t (CH3)3N—ch2ch2oh

Cholin

-CH,

I CHNH, I COOH Homocystein

Cholinoxydase

COOHCHj—NH C=NH

(CH3)3N—CH2COOH Betain

(CH3)2N—CH2COOH

-ch,

nh 2 Guanidinessigsäure

COOHCHj—N—CH3 C=NH I

NH2 Kreatin Nach C a n t o n i wird bei den Transmethylierungsreaktionen das Methionin durch ATP zuerst in ein „aktiviertes" Methionin, das S-Adenosylmethionin, übergeführt, welches ein Sulfoniumsalz ist 1 ): NH,

N

N—CHCH(OH)CH(OH)CHCH 2 - S—CH 2 CH 2 CH(NH 2 )COOH I O CH,

Es ist diese Verbindung, welche die Methylgruppe auf den Akzeptor überträgt. x

) J. Am. ehem. Soc. 74, 2942 (1952). Vgl. auch B a d d i l e y , Chem. a. Ind. 1954. 375.

Cystin (und Cystein), Methionin

409

Das Methionin ist auch der Methyldonator bei der Kreatinsynthese (vgl. S. 416). Bei der Methylierung der Guanidinessigsäure, die zum Kreatin führt, konnte die demethylierte Zwischenverbindung, das S-Adenosylhomocystein, isoliert werden, so daß die Keaktion — und offenbar auch alle analogen MethyÜerungen — in folgender Weise formuliert werden kann 1 ): CH3

CH, Adenosyl—l>—CH2 CH2

I

CHNH 2

I

NH—CH a COOH +

I

Adenosyl—S—CH 2

I

C=NH

CH2

I

N—CHACOOH +

I

NH 2

I

C=NH

+ H+

I

NH 3

CHNH 2

I COOH

COOH

Bei den erwähnten Transmethylierungsreaktionen wird die Methylgruppe i n t a k t übertragen, d.h. sie behält ihren Wasserstoff bei. Die Reaktion kann also nicht über eine oxydierte Zwischenstufe (z.B. Formaldehyd) führen. Dies wurde durch Verfütterung von Deuteriomethionin bewiesen. Der Deuteriumgehalt der Methylgruppe des Cholins und des ausgeschiedenen Kreatinins erreicht fast denjenigen der verfütterten Verbindung (Du V i g n e a u d ) .

Es hat sich gezeigt, daß Methionin und Cholin nicht die einzigen Quellen der labilen Methylgruppen im tierischen Organismus sind, sondern daß dieselben, wenn auch nur in beschränktem Umfang, aus anderen Verbindungen entstehen können, so z. B. aus gewissen (^-Verbindungen wie Formiat, Formaldehyd, Methylalkohol oder aus Verbindungen, welche „aktivierte" Cj-Fragmente liefern wie Serin, Glycocoll, Aceton usw. (Sakami, D u V i g n e a u d und andere). Es handelt sich hier um einen r e d u k t i v e n Prozeß. Umgekehrt können aber auch labile Methylgruppen, z.B. diejenigen des Methionins oder des Cholins, durch Oxydation aktiviertes Formiat liefern, das in andere Verbindungen eingebaut werden kann. Die Methylgruppen werden schließlich zu C0 2 oxydiert. Der entscheidende Versuch zum Beweis der ,,Methylsynthese'' in den tierischen Geweben wurde mit steril aufgezogenen jungen Ratten durchgeführt. Bei solchen Tieren ist die Darmflora als Produzent der labilen Methylgruppen ausgeschaltet. Wenn man ihnen schweres Wasser (D 2 0) zuführt, so läßt sich Deuterium in den Methylgruppen des Cholins und Kreatins nachweisen. Kontrollversuche zeigten, daß der Methylwasserstoff während der Aufarbeitung stabil ist und nicht ausgetauscht wird. Da, wie oben erwähnt, auch bei der Transmethylierung kein Austausch von Wasserstoff stattfindet, müssen die Methylgruppen enzymatisch aus anderen Verbindungen neu gebildet worden sein2).

Die Synthese der labilen Methylgruppen hängt von einem Coferment der Folsäuregruppe und vom Vitamin B 12 ab (vgl. S. 806). O x y d a t i o n der C x -Körper. Wir nehmen die Gelegenheit wahr, hier kurz auf die Oxydation der Einkohlenstoffverbindungen zu sprechen zu kommen. Der Methylalkohol wird über Formaldehyd und Ameisensäure zu C0 2 oxydiert: H 3 COH



HCHO

> HCOOH

>

C02.

Es scheint, daß diese Oxydationen durch die Katalase bewirkt werden. Wir haben früher gesehen (S. 235), daß bei den niedrigen H 2 0 2 -Konzentrationen, wie sie in den Zellen vorkommen, die Katalase als Peroxydase wirkt, d. h. den Sauerstoff des H 2 0 2 auf das Substrat überträgt. H 2 0 2 entsteht bei verschiedenen Reaktionen, vor allem bei der Oxydation von reduzierten Flavinfermenten durch Luftsauerstoff. Die Oxydation der genannten Einkohlenstoffverbindungen ist also mit der Oxydation anderer 1

) C a n t o n i u . S c a r a n o , J . Am. ehem. Soc. 76, 4744 (1954). ) D u V i g n e a u d u. Mitarb., J . Nutrition 45, 361 (1951).

2

Der Eiweißstoffwechsel

410

Substrate (z. B. Xanthin, Aminosäuren usw.) g e k o p p e l t , durch welche das H 2 0 2 geliefert wird, z . B . : Flavinenzym Substrat + 0 2

Kata ase

H j 0 2 + H3COH

'

*

dehydriertes Substrat + H 2 0 2



HCHO + H 2 0

Entsprechend ihrer hohen Katalaseaktivität spielt wahrscheinlich die Leber bei der Oxydation dieser Verbindungen eine wichtige Rolle 1 ). S y n t h e s e d e s C y s t e i n s . Bei Ernährungsversuchen an der Ratte, bei denen an Stelle von Eiweiß Gemische von reinen Aminosäuren verfüttert wurden (vgl. S. 439), hatte sich gezeigt, daß Methionin das Cystin (oder Cystein) der Nahrung ersetzen kann, aber nicht umgekehrt. Cystein kann also im Körper der höheren Tiere bei Gegenwart von Methionin synthetisiert werden. Der Verlauf dieser Synthese konnte aufgeklärt werden, wobei die Isotopentechnik eine wichtige Rolle spielte. Methionin gibt zunächst seine Methylgruppe ab; das primäre Produkt der Demethylierung ist S-Adenosylhomocystein (S. 409). Das entstehende Homocystein verbindet sich nun mit dem Serin zum Cystathionin (Du V i g n e a u d , S t e t t e n ) 2 ) : COOH HiliHj ¿H 2 I

COOH +

COOH

HilSTEL,



¿H2OH

CH2—S-H Homocystein

HCNH 2

COOH

CH2 I .

HCNH. I

CH 2 -~S—CH 2 Serin

Cystathionin

Aus dem Cystathionin wird nun das Cystein abgespalten (punktierte Linie in der obigen Formel). Als zweites Spaltstück ist a-Ketobuttersäure gefaßt worden. Entgegen früheren Annahmen stammt also die Kohlenstoffkette des Cystins nicht aus dem Methionin, sondern aus dem Serin. Das Methionin liefert nur den Schwefel. Sowohl die Synthese des Cystathionins aus Homocystein und Serin als auch seine Spaltung benötigen Pyridoxalphosphat als Coferment. I n der Leber von Pyridoxin-Mangeltieren können diese Reaktionen nicht mehr ablaufen und kommen erst bei Zusatz von Pyridoxalphosphat wieder in Gang 3 ). In der Hefe und in Aspergillus niger findet sich, wie S c h l o s s m a n n und L y n e n gezeigt haben, ein Enzym, welches Cystein direkt aus Serin und H 2 S bilden kann (Serinsulfhydrase): H 2 S + HO-CH 2 CH(NH 2 )COOH



HS—CH 2 CH(NH 2 )COOH +

H20.

Auch hier wirkt das Pyridoxalphosphat als Coferment 4 ). O x y d a t i o n d e s S c h w e f e l s . Ein Abbauweg des Cysteins führt zum T a u r i n , der Aminoäthansulfosäure, welches mit der Gallensäure die Taurocholsäure bildet. x ) C h a n c e , Acta ehem. Scand. 1, 236 (1947); Nature 161, 914 (1948); A e b i , Helv. Physiol. Acta 15, 384 (1957). 2 ) Literatur vgl. D u V i g n e a u d : A trail of research in sulfur chemistry and metabolism. Cornell University Press, Ithaca, N. Y., 1952. G r e e n b e r g in: Chemical pathways of metabolism. Vol. II, S. 151. New York 1954. 3 ) B i n k l e y u. Mitarb., J . biol. Chem. 194, 109 (1952). 4 ) S c h l o ß m a n n u. L y n e n , Biochem. Zschr. B28, 591 (1957).

Cystin (und Cystein), Methionin

411

Nach den Untersuchungen von F r i e d m a n n und neueren Autoren geht die Bildung des Taurins wahrscheinlich über die Cysteinsäure:

!HNHa





CHNH2

OOH Cystein

>

CHjNHJ

COOH Cysteinsäure

Taurin

In der Leber kommt eine Decarboxylase vor, welche Cysteinsäure zu Taurin decarboxyliert. Der organisch gebundene Schwefel wird schließlich zu einem beträchtlichen Teil als Sulfat oder als Thiosulfat im Urin ausgeschieden. Die Abtrennung vom organischen Molekül kann anscheinend auf verschiedenen Oxydationsstufen erfolgen. Es gibt Fermente (in der Leber), welche die SH-Gruppe des Cysteins und des Homocysteins als H 2 S abzuspalten vermögen ( D e s u l f h y d r a s e n ) . Im Falle des Cysteins entsteht dabei primär a-Aminoacrylsäure, die entweder unter Desaminierung in Brenztraubensäure übergeht oder durch das überschüssige Cystein zum Alanin reduziert wird ( S m y t h e , F r o m a g e o t ) : - COOHC=CH2 +

kH,

H2S

NH2 « -Aminoacrylsäure

COOHCH(NH2)CH3

COOHCOCH3 + NH3

COOHC=CH2 nh2

Der Schwefelwasserstoff wird zu Sulfat oxydiert. Aus der /S-Mercaptobrenztraubensäure, die durch Desaminierung oder Transaminierung aus Cystein entsteht, kann die SH-Gruppe unter Bildung von elementarem Schwefel und Alanin abgespalten werden (Meister 1 )). Eine andere Reaktion der Mercaptobrenztraubensäure führt zur Bildung von Thiosulfat; es scheint, daß der Schwefel nach folgender Reaktionsgleichung auf Sulfit übertragen werden kann 2 ): HS—CH3COCOOH + SOr~

• CH3COCOOH +

s2or~

Der Schwefel des Cysteins kann aber auch zur Stufe der Sulfinsäure oxydiert werden: COOHCH(NHa) CH2—SH

» COOHCH(NH2)CH2-S02H.

Die letztere liefert Sulfit. Man hat in der Leber ein Ferment gefunden, die „Desulfinicase", welche aus Cysteinsulfinsäure schweflige Säure abspaltet ( F r o m a g e o t ) . Die Reaktion verläuft wahrscheinlich folgendermaßen: s

Meister u. Mitarb., J. biol. Chem. 206, 561 (1954). ) B. Sörbo, Biochim. Biophys. Acta 24, 324 (1957).

412

Der Eiweißstoffwechsel

COOHCH^NH^CHj—S02H

• COOHCH(NH2)CH3 + S02

und würde demnach eine gewisse Ähnlichkeit mit der Decarboxylierung zeigen. Die Cysteinsulfinsäure kann auch auf oxydativem. Weg weiterreagieren. Die Reaktionen scheinen in Mikroorganismen (Proteus vulgaris) und in den tierischen Geweben ähnlich zu verlaufen. Die weitere Oxydation des Schwefels führt zur C y s t e i n s ä u r e ( = Cysteinsulfonsäure): COOHCH(NH2)CH2—S02H

COOHCH(NH2)CH2—S03H. Cysteinsäure

Die letztere wird durch die früher schon erwähnte Decarboxylase in Taurin übergeführt: COOHCH(NH2)CH2—SOsH

>- C0 2 + H2NCH2CH2—SO3H.

Ein anderer Abbauweg der Cysteinsulfinsäure führt durch Desaminierung zur entsprechenden Ketosäure, der Sulfinbrenztraubensäure. Die Aminogruppe kann durch eine Transaminase auf a-Ketoglutarat oder Oxalacetat übertragen werden. I n tierischen Geweben scheint aber auch ein Enzym vorzukommen, das die Cysteinsulfinsäure auf oxydativem Weg desaminiert: COOHCH(NH2)CH2—S02H

+ 1/

'°'.> COOHCOCH2—S02H + NH 3 .

Wasserstoffakzeptor ist das DPN. Die entstehende Sulfinylbrenztraubensäure, die mit der Oxalessigsäure verglichen werden kann, ist unstabil und zerfällt wie diese bei Gegenwart von Mn + + -Ionen in Brenztraubensäure und schweflige Säure, welche zu Sulfat oxydiert wird. Auch die Oxydation der Sulfinylbrenztraubensäure zur entsprechenden Sulfonsäure ist möglich. I n ähnlicher Weise wie im Cystein kann der Schwefel auch im Cystin oxydiert werden, indem sich Cystindisulfoxyd bildet: COOHCH(NH 2 )CH 2 —S=0 | COOHCH(NH 2 )CH 2 —S=0

Cystindisulfoxyd

Diese Substanz liefert Taurin (Versuche am Hund mit Gallenfistel, bei gleichzeitiger Verabreichung von Cholsäure. Das neugebildete Taurin wird als Taurocholsäure in der Galle ausgeschieden). Wahrscheinlich tritt als Zwischenprodukt das Cystamin disulfoxyd auf, das über Aminoäthansulfinsäure zu Taurin oxydiert wird. Soviel man heute weiß, liefert die Sulfonsäuregruppe des Taurins kein anorganisches Sulfat. Das Taurin wird als solches (wohl zum größten Teil) als Taurocholsäure ausgeschieden. Es stellt also neben dem anorganischen Sulfat eine Endstufe des S-Stoffwechsels dar. Die Kenntnis der oben erwähnten Abbaureaktionen des Cystins beruht hauptsächlich auf den Untersuchungen von M e d e s und F l o y d , F r o m a g e o t und Mitarb., K e a r n e y und S i n g e r und noch anderer Forscher 1 ). Im folgenden Schema sind die Reaktionen (in Anlehnung an G r e e n b e r g ) zusammengestellt: ') Zusammenfassung und Literatur vgl. D. M. Greenberg in: Chemical pathways of metabolism. Vol. II, S. 155. New York 1954.

Cystin (und Cystein), Methionin

413

Abbau des Cysteins COOH

COOH «

CO

hH,

+®2LI—

S20^~

COOH I CO + I CH,

¿0 I CH2—SH

S

Mercaptobrenztraubensäure oxydative Desaminierung, Transaminierung

COOH I CNH2 II CH2

+

Desulfhydrase

H2S

' Sulfat

Aminoacrylsäure

COOH I HCNH2

COOH HCNH,

CH2-S-S-CH2

CH2-SH

Cystin

Cystein

+ o,

+ o„

COOH I CO

Transaminierung, oxyd. Desaminierung

CH2-S02H

COOH H(WH 2 I CH 2 -SO 2 H

Sulfinylbrenztraubensäure

Cysteinsulfinsäure

Mn+ +

COOH

COOH I HCNH2

HCNH»

CH2—S—S—CH2 o o Cystindisulfoxyd

+ */. o,

COOH ¿0

COOH I HCNH,

-2H

-2 CO,

COOH +

H 2 S0 3

CHa

CH2-S-S-CH2 Il II O o

HcINHü CH 2 -SO 3 H

Sulfat

Cystamindisulfoxyd

Cysteinsäure

+ V.0, + H,0

-CO,

CH2NH2 CH 2 -SO 3 H Taurin

+ 1/. O,

CHONH, CH2-S02H

Aminoäthansulfinsäure

Die Oxydation des Schwefels, der in den Proteinen enthalten ist bis zur Stufe der Schwefelsäure, ist f ü r den Säure-Basen-Haushalt des Organismus von großer Bedeutung. E r wird in neutraler F o r m (SH-Gruppe, Disulfidgruppe, CH s S-Gruppe) aufgenommen, aber als starke zweibasische Säure ausgeschieden, die pro A t o m Schwefel dem Körper zwei Äquivalente Basen entzieht. Die Verbrennung von Eiweiß

Der Eiweißstoffwechsel

414

läßt also saure Valenzen entstehen, und daher muß die Nahrung die Basen enthalten, die zu ihrer Neutralisation nötig sind (Bunge). Die im Harn vorkommenden Sulfate sind entweder als Sulfationen vorhanden oder als sog. E s t er s c h w e f e l s a u r e n an Phenol, Indoxyl usw. gebunden (vgl.S. 625). Eine seltene Stoffwechselanomalie ist die C y s t i n u r i e , bei welcher größere Mengen von Cystin im Harn erscheinen. Sie kann zur Bildung von Konkrementen Anlaß geben. (Das Cystin ist in Blasensteinen von W o l l a s t o n 1810 entdeckt worden.) Die Ursache der Cystinurie liegt wahrscheinlich nicht in einer Störung des Cystinstoffwechsels, sondern ist in der Niere zu suchen. Neben dem Cystin werden nämlich noch andere Aminosäuren in stark vermehrter Menge ausgeschieden, nämlich Lysin, Arginin und Ornithin. Man neigt daher heute zur Ansicht, daß es sich um eine Störung der Rückresorption dieser Aminosäuren handelt1). Bei Verabreichung von Cystin wird die Ausscheidung beim Cystinuriker nicht erhöht, wohl aber nach Zufuhr von Cystein. Dies hängt wahrscheinlich mit der viel besseren Löslichkeit des letzteren zusammen, die eine schnellere Absorption ermöglicht. Die Cystinurie ist eine angeborene Stoffwechselstörung. Man hat bei verschiedenen Hunderassen Familien mit Cystinurie gefunden. Es zeigt sich, daß neben dem Cystin auch noch andere Aminosäuren in stark vermehrter Menge in den Urin übergehen. Die erhöhte Ausscheidung der Aminosäuren beruht wahrscheinlich auf mangelnder Rückresorption. (Die Cystinclearance ist ungefähr der Inulinclearance gleich.) Bei Kindern kommt eine schwere Stoffwechselkrankheit vor, bei der es zur Ablagerung großer Mengen Cystin in den Organen (Milz, Leber, Lymphdrüsen) kommt (Fanconi-Syndrom). Sie ist von Störungen der Nierenfunktion und der Verknöcherung des Skeletts begleitet (renale Rachitis). Auch hier ist die Ausscheidung fast aller Aminosäuren stark erhöht. Über „Aminoacidurien" vgl. S. 622. E. Arginin, Lysin

Durch die streng spezifisch eingestellte Arginase wird das Arginin in der Leber der Säuger gespalten. Dabei entstehen H a r n s t o f f und O r n i t h i n : NH II NH-C—NH 2 CH2 CH2

4- H 2 0

CH2NH2 I CH2

¿H 2

L

CHNHJ

¿HNH 2

I COOH

+

/NH2 CO< NHa

Harnstoff

¿OOH Ornithin

Diese von K o s s e i und D a k i n 2 ) entdeckte Spaltung ist ein Vorgang, der in vielfacher Hinsicht biologische Bedeutung hat. Weitaus die höchste Arginaseaktivität findet sich in der Leber, und zwar zeigt sich hier ein charakteristischer Unterschied zwischen den Tierarten, die als Endprodukt ihres N-Stoffwechsels Harnstoff, und denjenigen, die als Endprodukt Harnsäure ausscheiden. Es konnte gezeigt werden, daß die Leber der Vögel und Reptilien, also der Tiere, die hauptsächlich H a r n s ä u r e und keinen H a r n s t o f f bilden, kaum Arginase enthalten. (Diese !) Dent u. Rose, Quart. J. Med. 20, 205 (1951); Dent u. Mitarb., J. clin. Investig. 83, 12102 (1954). ) Zschr. physiol. Chem. 41, 321 (1904); 42, 181 (1904).

Arginin, Lysin

415

Klassen enthalten das Enzym in geringer Menge in den N i e r e n . ) Dagegen ist die Leber der harnstoffbildenden Tierklassen sehr reich an Arginase. Wir werden auf diese grundlegende Tatsache bei Besprechung der biologischen Harnstoffsynthese zurückkommen. Nach den Untersuchungen E d l b a c h e r s ist die Arginase in stark wachsenden Geweben erhöht. Er vermutet, daß dies mit dem Stoffwechsel der argininreichen basischen Proteine der Zellkerne in Zusammenhang steht.

Arginin kann im Körper der Säugetiere synthetisiert werden; dagegen ist dies bei den Vögeln nicht möglich. Bei der wachsenden jungen Ratte ist die Zunahme der Gewebe an Arginin 2—3 mal größer, als der Aufnahme durch die Nahrung entspricht (Rose). Die Synthese des Arginins wird im Abschnitt über die Harnstoffbildung genauer besprochen. Sie erfolgt über Ornithin und Citrullin. Aus welchem Material das Ornithin gebildet wird, ist nicht genau bekannt. Als Quelle kommt das Prolin in Frage, denn nach Verfütterung von deuteriumhaltigem Prolin findet man das Isotop im Ornithin, das durch Spaltung des Arginins erhalten wird ( S t e t t e n und S c h o e n h e i m e r ) . Wahrscheinlich kann Ornithin auch aus Glutaminsäure (über deren y-Semialdehyd) gebildet werden (vgl. S. 418). Ein zweiter Abbauweg des Arginins ist der der Decarboxylierung. Er führt zu dem von K o s s e i in den Fischtestikeln gefundenen A g m a t i n : HN

/NH,

2 = C-SH 1 CHS ¿h 2 c—sr 1

¿H,

¿H,

CH,

CHNH, 2 | COOH

¿HN(CHS)S

¿HNiCH,), |

Ornithin

Ornithinbetain (Myokynin)

¿00-

1

¿00-

Ergothionein

Dieses Betain kommt auch in den Erythrocyten vor. Verschiedene andere Betaine sind als Pflanzen isoliert worden.

432

Der Eiweißstoffwechsel

Endlich sei hier nochmals auf das Cholin hingewiesen, welches zum Betain in naher Beziehung steht. Es dürfte, wie früher angeführt wurde, aus dem Aminoäthylalkohol durch Methylierung entstehen, nicht aber durch direkte Reduktion aus dem Betain, da nach Verabreichung von N(16>-Betain nur ein kleiner Bruchteil des Isotops im Cholin erscheint. Leberextrakt oder überlebende Leberschnitte der Ratte vermögen Cholin zu B e t a i n a l d e h y d zu oxydieren (Mann und Quastel). Dieser A l d e h y d konnte in Form verschiedener Derivate isoliert werden. Er geht durch weitere Oxydation in Betain über. 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung In den Ausscheidungen aller Tierarten finden sich mehr oder weniger einfach gebaute Stickstoffverbindungen, die als E n d p r o d u k t e des Eiweiß- und Aminosäurestoffwechsels angesehen werden können. Die wichtigsten sind Ammoniak, Harnstoff, Harnsäure. Sowohl im Blut als auch im Harn findet sich Ammoniak als NH 4 + -Ion. Die im Blut vorhandene Menge ist aber außerordentlich gering. Nach P a r n a s und H e l l e r findet sich im frischen Blut nur etwa 0,03 mg in 100 ccm. Läßt man Blut aber stehen, so steigt der Ammoniakgehalt rasch bis auf 2 mg in 100 ccm. Es scheint also, daß im Blut in kleinen Mengen labile A m m o n i a k m u t t e r s u b s t a n z e n vorkommen, die leicht unter Abspaltung von Ammoniak zerfallen. Etwas mehr Ammoniumionen finden sich im Pfortaderblut. Sie stammen aus dem Darm, wo sie durch Fäulnisvorgänge gebildet werden. Die Größe der Ammoniakausscheidung im Urin hängt von der Art der Nahrung und von der Stoffwechsellage ab. Die Ausscheidung steigt an, wenn dem Körper unverbrennliche Säuren zugeführt werden oder wenn im Stoffwechsel aus irgendeinem Grund vermehrt Säuren anfallen. Das bekannteste Beispiel für vermehrte Säurebildung, die diabetische Acidose, haben wir früher bereits erwähnt. Das Ammoniak des Urins dient in jedem Fall der Neutralisation der ausgeschiedenen Säuren. Es ermöglicht dem Körper die Einsparung fixer Basen. Als Muttersubstanzen des Harnammoniaks kommen in erster Linie die Aminosäuren in Frage. Seine Bildung erfolgt an Ort und Stelle in der Niere. Es scheint, daß hier eine einzelne Aminosäure eine besonders wichtige Rolle spielt, nämlich das Glutamin: COOHCH(NH2)CH2CH2CONH2.

Im Blut und in den Geweben entfällt ein beträchtlicher Teil des Nichteiweißstickstoffs auf das Glutamin. Man hat, wie bereits erwähnt wurde, durch Versuche am Hund zeigen können, daß beim Durchgang durch die Niere der Säureamidstickstoff des Glutamins abnimmt und daß die verschwundene Menge mit der Menge des gebildeten Harnammoniaks übereinstimmt (Van S l y k e und Mitarb.1)). Soweit dieses Resultat verallgemeinert werden darf, ist also die Säureamidgruppe des Glutamins die wesentliche Quelle des Harnammoniaks. Der H a r n s t o f f bildet bei den Säugern die Hauptmenge des ausgeschiedenen Stickstoffs. Nach Zuführung von Aminosäuren bei einem Individuum, das sich im N-Gleichgewicht befindet, erscheint beinahe der gesamte Stickstoff als Harnstoff im Harn. Van S l y k e u. Mitarb., J. biol. Chem. 150, 481 (1943).

Die Ammoniak- und Harnstoffbildung

433

Bei den Sauropsiden dagegen (Vögel und Reptilien) erscheint der Eiweißstickstoff im wesentlichen als Harnsäure. Wir haben bereits bei Besprechung des Argininstoffwechsels auf die merkwürdige Übereinstimmung zwischen dem Vorhandensein der Leberarginase und der Harnstoffbildung aufmerksam gemacht: Alle Tierarten, die als Endprodukt ihres N-Stoffwechsels Harnstoff ausscheiden, besitzen in der Leber eine hohe Arginasekonzentration („legge del arginasi" von Clementi 1 )). H. A. K r e b s hat in einer klassischen Arbeit 1932 gezeigt, in welcher Weise der Harnstoff in der Leber gebildet wird2). Er stellte fest, daß überlebendes Lebergewebe bei Gegenwart von Ornithin aus NH4+ und Bicarbonat Harnstoff bildet, und zwar lassen geringe Mengen von Ornithin relativ große Mengen Harnstoff entstehen. Diese Beobachtung muß so gedeutet werden, daß aus dem Ornithin durch Anlagerung von 1 Molekül C0 2 und 2 Molekülen Ammoniak Arginin entsteht, welches dann durch Arginase wieder in Ornithin und Harnstoff zerlegt wird. Das Ornithin wird also immer wieder regeneriert; wir haben es mit einer cyklisch verlaufenden Reaktion zu tun. In ähnlicher Weise wie Ornithin beschleunigt auch Citrullin die Harnstoffbildung aus NH4+ und Bicarbonat in der Rattenleber. Wie später direkt bewiesen werden konnte, ist die Aminosäure ein Zwischenglied bei der Bildung des Arginins aus dem Ornithin. Die Harnstoffsynthese verläuft daher nach dem folgenden Schema: Ornithin

Citrullin

COOH

COOH

HCNH A, 3

hAnh, + co,

¿h 2

i

+ NH„

¿h 2

i .

CH2—NHj

\ COOH

/

CH,—•NHV >C=0 H„Nk '+NH,

H^Nn« CO(NH2)2 Harnstoff

Arginase

CHC=NH

h 2 N/ Arginin

Das Schema von K r e b s , das gewöhnlich als O r n i t h i n c y k l u s bezeichnet wird, ist durch spätere Untersuchungen weitgehend bestätigt worden. Insbesondere hat die Verwendung von markiertem Bicarbonat gezeigt, daß das C-Atom des Harnstoffs tatsächlich aus der Kohlensäure stammt, und die Verfütterung von Arginin, das in der Amidingruppe schweren Stickstoff enthielt, hat die Ableitung des Harnstoffs aus dieser Gruppe sichergestellt. Aller Harnstoff stammt aus dem Arginin, das beständig regeneriert wird. 2)

28

Clementi, Boll. Soc. ital. Biol. sper. 3, 938 (1929); 5, 1142 (1930). K r e b s u. H e n s e l e i t , Zschr. physiol. Chem. 210, 33 (1932).

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

Der Eiweißstoffwechsel

434

Die Synthese des Harnstoffs aus Kohlensäure und Ammoniak ist ein Vorgang, der Energie verbraucht (er verläuft e n d e r g o n i s c h , d. h. er ist mit einer Zunahme der freien Energie verknüpft). Im physiologischen Milieu verläuft die Synthese nach der Gleichung: 2NH«+ + 2HCO3-

• CO(NH2)2 + C02 + 3H 2 0 .

Die Zunahme der freien Energie für diese Reaktion ergibt sich zu 13800 g cal.1). Die Energie muß von anderen Vorgängen geliefert werden, die mit der Harnstoffsynthese gekoppelt sind. Die Harnstoffsynthese in der überlebenden durchströmten Leber ist von der Sauerstoffzufuhr abhängig und wird durch Atmungsgifte wie Cyanid gehemmt (Löffler 2 )). Die einzelnen Teilstufen des Ornithincyklus sind komplexe Reaktionen. Die Überführung des Citrullins in das Arginin ist nicht auf die Leber beschränkt. In Leber und Niere findet eine Transaminierung zwischen Citrullin und Glutamin- oder Asparaginsäure statt, bei welcher die Aminodicarbonsäure ihre Aminogrüppe an das Citrullin abgibt (Reaktion von Borsook und Dubnoff). Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß die direkte Reaktion zwischen Citrullin und Asparaginsäure erfolgt. R a t n e r hat aus der Leber ein Fermentsystem isoliert, das die beiden Aminosäuren nach der folgenden reversiblen Reaktion umsetzt3) (das übertragene IiAtom ist fett gedruckt): COOH

COOH I HCNHJ ¿H. ¿OOH

Asparaginsäure

+

COOH I HCOH I CH, I COOH

HCNH2 I CH2 I CH,

h2N/ Citrullin

+

COOH I HCNH2 I CHj I CH, CH,—NH.

C=0 Äpfelsäure + Fumarsäure

>C=NH h2N/ Arginin

Citrullin und Asparaginsäure vereinigen sich intermediär zum Succinoarginin, einer Verbindung, die aus Algen (Chlorella) isoliert worden ist 4 ): HN=C—NH—CH2—CH2—CH2—CH(NH2)—COOH ¿H COOH—¿H—CHa—COOH Diese Reaktion ist ATP-abhängig. Das Zwischenprodukt zerfällt in reversibler Reaktion, wobei als primäres Spaltprodukt Fumarsäure gebildet wird, welche sich bei Gegenwart von Fumarase (vgl. S. 262) mit Äpfelsäure ins Gleichgewicht setzt. Bei der Synthese des Harnstoffs aus Ammoniak und Kohlensäure in der Leber erfolgt die Argininbildung aus Citrullin und Ammoniak. Asparaginsäure kann aber nicht direkt durch reduktive Aminierung der entsprechenden Ketosäure, der Oxalessigsäure, gebildet werden. Andererseits reagiert a-Ketoglutarsäure bei Gegenwart einer reduzierten Codehydrogenase leicht mit Ammoniak unter Bildung von Glutaminsäure, die ihrerseits die Aminogrüppe durch Transaminierung leicht an die Oxalessigsäure abgibt (vgl. S. 381 und S. 383). x

) Berechnung vgl. z. B. Borsook u. H u f f m a n , in Schmidt: The chemistry of the amino acids and proteins, S. 859. Springfield und Baltimore 1938. 2 ) Löffler, Biochem. Zschr. 85, 230 (1918). 3 ) Sarah R a t n e r u. Mitarb., J. biol. Chem. 170, 761 (1947); 179, 1183 (1949); 191 693 (1951); 200, 161 (1953). 4 ) Walker u. Myers, J. biol. Chem. 203, 143 (1953).

Die Ammoniak- und Harnstoffbildung

435

Die Einführung des Ammoniaks in die Harnstoffgruppe des Citrullins erfolgt also auf dem Umweg über die Glutamin- und Asparaginsäure : a-Ketogl utarsäure+NH 3 +DPNH+H+ Glutaminsäure + Oxalessigsäure

>• >

Glutaminsäure+DPN+ Asparaginsäure + a-Ketoglutarsäure

Die Asparaginsäure reagiert in der oben angegebenen Weise weiter. Ketoglutarsäure und Oxalessigsäure stehen als Zwischenglieder des Citronensäurecyklus in jeder Kohlenhydrat veratmenden Zelle zur Verfügung. Die Äpfelsäure kann stets wieder zu Oxalessigsäure dehydriert werden.

Neuerdings ist auch der Ablauf der ersten Stufe der Harnstoffsynthese, die Bildung des Citrullins aus dem Ornithin, aufgeklärt worden. Auch diese Reaktion kann nur in Gegenwart von Adenosintriphosphat vor sich gehen. An die Beobachtung anknüpfend, daß Streptococcus faecalis ein Permentsystem enthält, welches Citrullin reversibel zu Ornithin abbaut 1 ), konnten L i p m a n n und Mitarb. zeigen, daß als Vorstufe der Citrullinsynthese durch eine ATP-abhängige Reaktion das bisher unbekannte Phosphat der Carbaminsäure ( C a r b a m y l p h o s p h a t ) gebildet wird 2 ): H„0 3 P—O-Ccf X

NH2

Carbamylphosphat

In der nächsten Reaktionsstufe wird der Carbamylrest auf die (5-Aminogruppe des Ornithins übertragen : COOHCHCH2CH2CH2

NH2

NH2

+ H2O3P-O-C^ XNH 2

COOHCHCH2CH2CH2 I I NH2 NH I

+

H3PO4

c=o

I NH2

In der Säugetierleber geht die Citrullinsynthese in genau gleicher Weise vor sich. (Sie ist dort in den Mitochondrien lokalisiert.) Aus unbekannten Gründen benötigt die Bildung des Carbamylphosphats aber Glutaminsäure (oder ein N-substituiertes Derivat derselben) als Cofaktor. Der natürliche Cofaktor scheint N-Acetylglutaminsäure zu sein 3 ). Frühere Untersuchungen von P. P. C o h e n hatten bereits gezeigt, daß die Citrullinsynthese in der Leber in zwei Stufen verläuft 4 ), von denen die erste eine nicht identifizierte phosphorylierte Zwischenstufe liefert, die heute möglicherweise mit dem Carbamylphosphat identifiziert werden muß. Es ist noch nicht bekannt, auf welche Weise die Synthese des Carbamylphosphats zustande kommt. Der Vorgang scheint bei den Bakterien nach einem etwas anderen Mechanismus zu verlaufen als in der Säugetierleber, was sich schon darin äußert, daß die Synthetase der Leber vom Acetylglutamat abhängt. Die Verknüpfung des Ornithincyklus mit dem Citronensäurecyklus und der Synthese des Carbamylphosphats ist im folgenden Schema auf S. 436 dargestellt. 1)

Bei dieser Reaktion wird Citrullin phosphorolytisch nach folgender Gleichung abgebaut: Citrullin + ADP + Phosphat Ornithin + ATP + C0 2 + NH3 . Literatur vgl. K r e b s u. Mitarb., Biochem. J . 59, 185 (1955). 2 ) J o n e s , Spector u. Lipmann, J. Am. ehem. Soc. 77, 819 (1955); Conférences et Rapports, 3 me Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 278. Liège 1956. 3 ) Cohen u. Mitarb., J . biol. Chem. 230, 1013 (1958). 4 ) Cohen u. Mitarb., J . biol. Chem. 191, 189, 203 (1951); 198, 561 (1952). 28*

436

Der Eiweißstoffwechsel

Die Beteiligung des Adenosintriphosphats an den beiden Reaktionsstufen der Harnstoffsynthese zeigt, in welcher Weise sie mit den energieliefernden Vorgängen verknüpft ist. Durch oxydative Phosphorylierung, d. h. auf Kosten der Zelloxydationen, wird die Phosphorsäure in die „energiereiche" Polyphosphatgruppe des Adenosintriphosphats eingebaut; die Energie dieser Verbindung wird durch die synthetischen Reaktionen verbraucht (vgl. Kap. 18). Die Harnstoffbildung aus Ammoniumsalzen in der Leber ist ein eigentlicher Entgiftungsvorgang. Durch die Fäulnisvorgänge im Colon gelangt beständig Ammoniak ins Pfortaderblut. Da Ammoniak ein starkes Zellgift ist, wäre sein Übergang in den allgemeinen Kreislauf schädlich. Die Leber führt es in den ungiftigen Harnstoff über. Das wichtigste Material für die Harnstoffbildung sind aber die Aminosäuren. Man nimmt vielfach an, daß die Aminosäuren in der Leber unter Freisetzung von Ammoniak desaminiert werden und daß die Harnstoffsynthese in jedem Fall vom freien Ammoniak ausgeht. Dies ist aber wenig wahrscheinlich. Wie wir oben gezeigt haben, liefert bei der Bildung des Arginins aus dem Citrullin die Asparaginsäure den Stickstoff; sie kann ihn ihrerseits durch Transaminierung aus anderen Aminosäuren aufgenommen haben. Die Versuche mit markierten Aminosäuren zeigen, daß sowohl die Glutaminsäure als auch die Asparaginsäure ihre Aminogruppen besonders leicht austauschen (vgl. S. 381). Da sie direkt an der Harnstoffbildung beteiligt sind, können sie dazu dienen, den Stickstoff gewisser Aminosäuren auf dem angezeigten Weg in die Amidingruppe des Arginins und damit in den Harnstoff überzuführen. Harnstoff

/

Ornithin -

+ Carbamylphoaphat -s

Arginin

ATP + CO, + tili.

Citrullin

\

Succinoarginin

^ ATP

Asparaginsäure

IFumarat

> Malat

Transaminierung

Oxalacetat

Glutaminsäure

t

akt. Acetat \ .. Tricarbonsäuren Succinat

+ NH,

I

a-Ketoglutarsäure

Es scheint, daß der Säureamidstickstoff des Glutamins sehr leicht in den Harnstoff übergeführt werden kann, möglicherweise durch eine bisher nicht genau bekannte Transaminierungsreaktion1). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Aminosäuren in der Leber in wesentlichem Umfange unter Bildung von Ammoniak desaminiert werden. Wäre dies der Fall, so müßte ein beträchtlicher Teil ihres Stickstoffs bereits während der Absorption für den Organismus verlorengehen; denn das Ammoniak würde sofort in Harnstoff übergeführt. Soweit die Aminosäuren nicht bereits in der Leber in Proteine eingebaut werden, gelangen sie in den allgemeinen Kreislauf und in die übrigen Gewebe des Körpers. Wahrscheinlich tragen außer der Asparagin*) Leuthardt Zschr. physiol. ehem. 252, 238 (1938).

Die Ammonika- und Hamstoffbildung

437

säure, der Glutaminsäure und dem Glutamin nur diejenigen Aminosäuren direkt zur Harnstoffbildung in der Leber bei, welche durch Transaminierung eine der genannten Substanzen bilden oder auf irgendeinem Weg in sie übergehen können. Die beiden Aminodicarbonsäuren und Glutamin können in den peripheren Geweben (Muskulatur, Niere, Nervensystem usw.) leicht gebildet werden. Sie sind daher geeignet, Stickstoff aus diesen Geweben in einer für die Harnstoffsynthese unmittelbar verwendbaren Form der Leber zuzuführen. Der Harnstoff kann vom Organismus der höheren Tiere nicht mehr verwertet werden. (Bei den Wiederkäuern ist allerdings auf dem Umweg über die Mikroorganismen des Verdauungstrakts seine teilweise Rückverwandlung in Eiweiß möglich.) Er wird daher in der Niere ausgeschieden. Verschiedene Eigenschaften machen den Harnstoff zum Endprodukt des N-Stoffwechsels sehr geeignet. Er ist gut wasserlöslich, leicht diffusibel und im Gegensatz zu den Ammoniumsalzen ungiftig. Er ist zutreffend als „entgiftetes Ammoniak" bezeichnet worden (Löffler). Durch einfache Hydrolyse geht er in die anorganischen Endprodukte des Stoffwechsels, Kohlensäure und Ammoniak über; dieser Vorgang ist nur mit einem geringen Abfall der freien Energie verknüpft. Die Ausnützung der chemischen Energie der stickstoffhaltigen Körper wird daher nicht in nennenswerter Weise verschlechtert, wenn Harnstoff an Stelle von Ammoniumcarbonat ausgeschieden wird.

Der Harnstoff, welcher in der Leber gebildet wird, gelangt durch das Blut in die Nieren. Ein erwachsener Mensch scheidet täglich bei normaler Ernährung ungefähr 30 g aus. Auch in anderen Sekreten wie Speichel, Milch und Schweiß wird etwas Harnstoff ausgeschieden. Der Harnstoffgehalt im Blut des normalen, erwachsenen Menschen beträgt etwa 20—40 mg/100 ccm. Der Harnstoff-N macht normalerweise etwa die Hälfte des Nichteiweißstickstoffs (des sog. „Reststickstoffs") aus. Bei Niereninsuffizienz kann der Harnstoffgehalt des Blutes auf sehr hohe Werte ansteigen als Zeichen der mangelnden Ausscheidung durch das erkrankte Organ. Die vergleichende Untersuchung der stickstoffhaltigen Endprodukte des Stoffwechsels bei den verschiedenen Tierklassen hat ein sehr mannigfaltiges Bild ergeben (M. F l o r k i n und Mitarb. 1 )). Der Harnstoff ist nicht bei allen Tieren das Endprodukt des Proteinstoffwechsels. Bei den Vögeln und den meisten Reptilien tritt die Harnsäure an seine Stelle; Amphibien und Süßwasserschildkröten (Emys europaea) bilden Harnstoff, die Landschildkröten (Testudo) können aus Ammoniak sowohl Harnstoff als Harnsäure bilden. Die Fische produzieren Harnstoff; die Teleostier scheiden aber einen beträchtlichen Teil ihres Stickstoffs als Ammoniak aus (und zwar durch die Kiemen, die hier auch als Ausscheidungsorgane funktionieren). Bei den marinen Teleostiern tritt neben das Ammoniak noch das Trimethylammoniumoxyd (CH 3 ) 3 NO. Bei vielen wirbellosen Tieren steht, soweit sie untersucht wurden, das Ammoniak im Vordergrund; es können aber auch beträchtliche Mengen von Aminosäuren ausgeschieden werden. Bei den Säugetieren und anderen harnstoffbildenden Tieren wird neben dem Harnstoff immer auch Harnsäure ausgeschieden. Sie stellt aber hier nicht das Endprodukt des Eiweißstoffwechsels dar, sondern leitet sich ausschließlich von den Purinstoffen der Nucleinsäuren ab. Bei vielen Tierarten kann die Harnsäure zu Allantoin abgebaut werden (vgl. S. 477); bei gewissen Fischen und den Lamellibranchiern (Muscheltieren) entsteht daraus Harnstoff. I n diesem Falle kann man aus der Harnstoffausscheidung allein noch nicht auf das Funktionieren des Ornithincyklus schließen; doch kann die Menge der Leberarginase einen Hinweis auf sein Vorkommen geben. Bei vielen Tierklassen sind die Verhältnisse noch nicht genauer untersucht worden. (Über Harnsäuresynthese siehe S. 468). 1 ) Florkin: L'évolution du métabolisme des substances azotées chez les animaux. Actualités biochemiques Nr. 3; Liège et Paris 1945. — Florkin: L'évolution biochimique, Paris 1947.

438

Der Eiweißstoffwechsel

8. Die unentbehrlichen Aminosäuren Die chlorophyllführenden Pflanzen und viele Pilze und Mikroorganismen können mit einfachen anorganischenStickstoffverbindungen, Ammoniumsalzen oder Nitraten, leben. Sie können also die Aminosäuren, die zum Aufbau ihrer Zellproteine nötig sind, selbst synthetisieren; sie sind in bezug auf ihren N-Stoffwechsel autotroph. Viele Organismen besitzen dagegen diese Fähigkeit nicht oder nur in beschränktem Maß; sie sind auf die Zufuhr der Aminosäuren von außen angewiesen. Zu den letzteren gehören wohl die sämtlichen vielzelligen Tiere; sie sind heterotroph. Die genauere Analyse der Bedürfnisse einer großen Zahl von einzelligen und vielzelligen Organismen hat gezeigt, daß in der Regel nicht alle Aminosäuren, die als Bausteine nötig sind, im Milieu oder in der Nahrung vorhanden sein müssen. Einige Aminosäuren können immer in den Zellen selbst gebildet werden, sei es durch Umwandlung anderer, sei es durch Neubildung aus einer N-freien Verbindung und einer geeigneten Stickstoffquelle. Wir haben bei der Besprechung der einzelnen Aminosäuren einige derartige Beispiele kennengelernt. Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß die Ansprüche der einzelnen heterotrophen Organismen sehr verschiedenartig sind. Einzelne bedürfen nur ganz weniger Aminosäuren, können also den größten Teil ihrer Eiweißbausteine selbst herstellen; andere wieder sind weitgehend auf die Zufuhr der Aminosäuren von außen angewiesen und können nur wenige selbst synthetisieren. Man bezeichnet allgemein Verbindungen, die von einem bestimmten Organismus nicht synthetisiert werden können, aber für ihn lebenswichtig sind, als für den betreffenden Organismus e s s e n t i e l l oder u n e n t b e h r l i c h . Die Liste der essentiellen Aminosäuren kann von Organismus zu Organismus anders lauten. Nach den gegenwärtigen Erfahrungen sind aber für alle Säugetiere die gleichen Aminosäuren unentbehrlich. Schon bei den Vögeln findet man Abweichungen. Andere Tierklassen sind noch kaum untersucht worden. Sehr gut bekannt sind dagegen wieder die Bedürfnisse vieler Pilze und Bakterien. Schon die frühesten exakten Ernährungsversuche, besonders die Untersuchungen von T h o m a s , von O s b o r n e und M e n d e l , von H a r t , M c C o l l u m und S t e e n b o c k haben gezeigt, daß die verschiedenen Proteine als Nährstoffe nicht gleichwertig sind. Als eine sehr geeignete Methode, die „biologische Wertigkeit" eines Proteins festzustellen, erwies sich der Fütterungsversuch bei der wachsenden jungen Ratte. Es zeigte sich, daß sehr ungleiche Mengen der einzelnen Proteine nötig sind, um optimales Wachstum zu ermöglichen. Mit verschiedenen Proteinen pflanzlichen Ursprungs können die Tiere überhaupt nicht über längere Zeit am Leben erhalten werden, wenn sie als einzige Stickstoffquelle der Nahrung dargeboten werden. Man nennt solche Proteine „biologisch minderwertig". Es lag nahe, die unterschiedlichen Eigenschaften der Proteine als Nährstoffe mit ihrer verschiedenartigen Zusammensetzung in Verbindung zu bringen und anzunehmen, daß in den minderwertigen Eiweißkörpern gewisse essentielle Aminosäuren in zu geringer Menge vorhanden sind oder völlig fehlen. Diese Annahme ist durch die Ernährungsversuche in vollem Umfang bestätigt worden. Eine der ersten derartigen Untersuchungen betraf das Zeiin, einen Eiweißkörper des Maiskorns. Die chemische Analyse des Zeins ergibt das Fehlen von Tryptophan und Lysin. Mit Zein als einzigem Protein der Nahrung verlieren die Tiere rasch an Gewicht. Durch Zugabe von Tryptophan können die Ratten während längerer Zeit am Leben erhalten werden, können sich aber trotzdem nicht normal entwickeln (Willcock und H o p k i n s 19061)); dasselbe zeigt sich bei Zugabe von Lysin. Normales Wachstum setzt erst ein, wenn das Zein durch beide AminoWillcock u. H o p k i n s , J. Physiol. 35, 88 (1906).

Die unentbehrlichen Aminosäuren

439

säuren gleichzeitig ergänzt wird (Osborne und Mendel 1 )). Damit ist bewiesen, daß die Minderwertigkeit des Zeins tatsächlich auf dem Mangel an Lysin und Tryptophan beruht und daß die beiden Aminosäuren für die Ratte essentiell sind. Die Unentbehrlichkeit des Lysins wurde in ähnlicher Weise auch durch Verfütterung des Gliadins (eines der Proteine des Weizenglutens) nachgewiesen. Auf diesem Weg kann aber nicht die Unentbehrlichkeit beliebiger Aminosäuren nachgewiesen werden, denn es sind nur in den wenigsten Fällen Proteine zugänglich, denen die gewünschte Aminosäure fehlt. Man hat deshalb später versucht, einzelne Aminosäuren durch chemische Reaktionen auszuschalten. Aber auch diese Methode hat nur einen begrenzten Anwendungsbereich, weil nur für wenige Aminosäuren genügend spezifische Reaktionen zur Verfügung stehen. Die Frage, welche Eiweißbausteine unentbehrlich sind, konnte erst dann vollständig beantwortet werden, als m a n dazu überging, die Proteine der Nahrung durch ein Gemisch chemisch reiner Aminosäuren zu ersetzen, das sämtliche Eiweißbausteine im gleichen Verhältnis enthält, wie sie in einem vollwertigen Protein enthalten sind ( R o s e ) . Aus solchen Gemischen kann jede beliebige Aminosäure weggelassen werden. Zeigt das verbleibende Gemisch noch die volle Wachstumswirkung, so ist die betreffende Aminosäure entbehrlich. Genügt es nicht mehr, die normale Entwicklung zu unterhalten, so ist die unterdrückte Aminosäure essentiell. Merkwürdigerweise führten die ersten Versuche mit solchen Gemischen, die alle damals bekannten Aminosäuren des Caseins enthielten, zu einem Mißerfolg: Die Tiere wuchsen mit dem künstlichen Aminosäuregemisch nicht. Demnach mußte das Eiweiß einen noch unbekannten Wachstumsfaktor enthalten. Die systematische Suche nach diesem Faktor führte zur Entdeckung einer neuen Aminosäure, des Threonins (Rose). (Auch das Methionin war früher von M u e l l e r auf biologischem Weg entdeckt worden, nämlich durch seine Wachstumswirkung auf hämolytische Streptokokken.) Mit dieser Methode konnten die Aminosäuren, welche für die R a t t e essentiell sind, endgültig festgestellt werden. E s sind die folgenden: Valin, Leucin, Isoleucin, Threonin, Histidin, Methionin, Phenylalanin, Tryptophan, Lysin, (Arginin). Soweit Untersuchungen bei anderen Säugetieren ausgeführt worden sind, haben sie zu übereinstimmenden Resultaten geführt 2 ). Es scheint, daß der tierische Organismus neben den freien Aminosäuren noch kleine Mengen bestimmter Peptide mit spezifischer Struktur braucht. Jedenfalls hat das in Proteinhydrolysaten vorkommende S t r e p o g e n i n bei der Ratte und der Maus einen deutlichen Wachstumseffekt. Strepogenin wurde als Wachstumsfaktor für gewisse Bakterien entdeckt (Woolley). Wahrscheinlich gibt es verschiedene Peptide mit Strepogeninwirkung, die durch partielle Hydrolyse von Proteinen, vorzugsweise von Casein, erhalten werden3). Wenn die Aminosäure leicht aus der entsprechenden a-Keto- oder a-Hydroxysäure gebildet wird, kann sie durch die letzteren ersetzt werden. So hat z. B. a-Hydroxyisovaleriansäure die gleiche Wachstumswirkung wie das Valin; dasselbe gilt für die dem Leucin und Isoleucin entsprechenden Hydroxy- und Ketosäuren. Der Organismus kann zwar die Aminogruppe in diese Verbindungen einführen, nicht aber ihr Kohlenstoffgerüst aufbauen. Lysin muß als solches dargeboten werden. Einmal desaminiert, kann es nicht mehr regeneriert werden. Damit stimmt überein, daß sich Lysin in Isotopenversuchen als die reaktionsträgste Aminosäure erwiesen hat. Insbesondere tauscht es keinen Stickstoff aus ( S c h o e n h e i m e r und R i t t e n b e r g ) . Bei Valin, Leucin und Isoleucin können wahrscheinlich die verzweigten C-Ketten nicht aufgebaut werden. Beim Tryptophan ist weder die Synthese des Indolrings noch dessen Kondensation mit dem Serin möglich (vgl. Tryptophansynthese bei Pilzen, S. 401). Auch zur Bildung des Imidazolringes des Histidins und der aromatischen Kerne des Phenylalanins und Tyrosins, allgemein zur „Cyclopoiese" (dieser Ausdruck stammt von Osborne), ist das höhere Tier nicht befähigt. *) O s b o r n e u. M e n d e l , J. biol. Chem. 17, 347 (1914). 2 ) Zusammenfassung vgl. R o s e , Physiol. Rev. 18, 109 (1938); Fed. Proc. 8, 546 (1949). 3 ) Literatur über die Entdeckung des Strepogenins vgl. Ann. Rev. Biochem. 16, 376 (1947).

440

Der Eiweißstoffwechsel

Unter den „entbehrlichen" Aminosäuren nehmen Tyrosin und Cystin-Cystein eine besondere Stellung ein. Tyrosin kann ausschließlich durch Oxydation von Phenylalanin entstehen (vgl. S. 393). Wenn die Nahrung Tyrosin enthält, so ist der Bedarf des Tieres an Phenylalanin entsprechend kleiner; m.a.W. das Tyrosin kann eine andere essentielle Aminosäure teilweise (aber nicht vollständig!) ersetzen. Ahnliches gilt für das Cystein oder das Cystin. Die Bildung des Cysteins erfolgt auf Kosten des Methionins (vgl. S. 410); ist in der Nahrung Cystein oder Cystin vorhanden, so vermindert sich der Bedarf an Methionin. Das Arginin ist in der obigen Aufzählung eingeklammert, weil es eine mittlere Stellung zwischen essentiellen und nicht essentiellen Aminosäuren einnimmt. Die Synthese von Arginin ist beim Säugetier möglich. Man findet im Körper der wachsenden Ratte zwei- bis dreimal mehr Arginin, als mit dem Futter zugeführt worden ist. Die erwachsene Ratte vermag ihren Bedarf vollständig durch Synthese zu decken; dagegen ist das Wachstum der jungen Ratte, die in ihrer Nahrung kein Arginin erhält, nicht optimal und kann durch Argininzulage noch leicht gesteigert werden. Die Leistungsfähigkeit der Argininsynthese reicht also für den erhöhten Bedarf des wachsenden Tieres nicht völlig aus. Beim Vogel (Hühnchen) ist das Arginin unentbehrlich. Es kann durch Citrullin, nicht aber durch Ornithin ersetzt werden; das will heißen, daß hier nur die zweite Stufe der Argininsynthese möglich ist, nicht aber die erste (vgl. S. 433). Für die Möglichkeit der Ornithinsynthese beim Vogel spricht die Tatsache, daß Benzoesäure mit Ornithin verbunden als Ornithursäure ausgeschieden wird. Andererseits kann das Hühnchen sich nicht in normaler Weise entwickeln, wenn nicht Glycocoll mit der Nahrung zugeführt wird. Es steht noch nicht fest, ob eine Synthese des Glycocolls überhaupt nicht möglich ist oder ob sie einfach zu langsam erfolgt, um den Bedarf des wachsenden Tieres zu decken. Auch die Entgiftung der Benzoesäure mit Ornithin an Stelle des Glycocolls spricht dafür, daß im Organismus des Vogels das letztere nicht in beliebiger Menge zugänglich ist. Wie wir später zeigen werden, wird Glycocoll bei der Harnsäuresynthese als solches in das Puringerüst eingebaut (vgl. S. 468). Das Glycocoll ist ein notwendiger Baustein der Purine; dies bedeutet daß für die Ausscheidung von drei Stickstoffatomen in Form der Harnsäure ein Molekül Glycocoll nötig ist. Außer für den Aufbau der Körpersubstanz beim wachsenden Tier oder die Erneuerung der Gewebsproteine würde also der Vogel eine zusätzliche Menge Glycocoll für die Exkretion des Stickstoffs benötigen. Die Notwendigkeit einer Glycocollzufuhr mit der Nahrung ist demnach verständlich, auch wenn man annimmt, daß ein Teil der Aminosäure in den Organen selbst synthetisiert werden kann. Wegen der großen praktischen Bedeutung der Frage sind in den letzten Jahren Untersuchungen über die Unentbehrlichkeit der Aminosäuren auch beim Menschen durchgeführt worden (Albanese 1 ), Rose 2 )). Hier kann natürlich nur die Methode des Stickstoffgleichgewichts verwendet werden: Die Versuchsperson erhält während einiger Zeit eine Nahrung, deren Stickstoffgehalt so bemessen ist, daß N-Ausscheidung und N-Aufnahme einander gleich sind (Zustand des Stickstoffgleichgewichts). Die Nahrung enthält an Stelle von Proteinen entweder ein Eiweißhydrolysat oder eine Mischung reiner Aminosäuren. Man kann nun aus dem Hydrolysat die gewünschte Aminosäure durch chemische Methoden entfernen oder sie, im Fall daß man künstliche Gemische verwendet, einfach weglassen. Ist die Aminosäure entbehrlich, so tritt keine Änderung der N-Bilanz ein; ist sie essentiell, so wird die N-Bilanz negativ. Auf diese Weise ist nachgewiesen worden, daß alle Aminosäuren, die sich im Tierversuch als essentiell erwiesen haben, es auch beim Menschen sind. Einzig das Weglassen des Histidins hatte keine sichtbare Wirkung. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß diese Aminosäure beim Menschen im Gegensatz zu den untersuchten Tierarten nicht essentiell ist. Wahrscheinlich sind die Reserven des Körpers so groß, daß sie bei diesen verhältnismäßig kurzfristigen Versuchen zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Als wichtigste Ausfallerscheinung beim Fehlen einer essentiellen Aminosäure wird beim jungen Tier Wachstumsstillstand beobachtet. In einigen Fällen sollen sich auch mehr oder weniger spezifische Symptome entwickeln. So wurde bei langdauerndem Mangel an Tryptophan das Auftreten eines Katarakts (grauer Star) beobachtet. Lysin- oder Methioninmangel kann zu einer Vaskularisierung der Cornea führen. Beim Fehlen von Valin wird eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei Berührung sowie Störungen nervöser Funktionen (Koordinationsstörungen) beschrieben. Threoninfrei ernährte Tiere sollen Ödeme und Ascites entwickeln. Es bleibt abzuwarten, wie weit diese Erscheinungen tatsächlich als spezifische Folgen des Fehlens einzelner Aminosäuren betrachtet werden können. Von großem Interesse ist der Aminosäurebedarf gewisser Mikroorganismen, weil dieselben zur quantitativen Bestimmung der Aminosäuren verwendet werden können, die sie als Wachstumsfaktoren benötigen (vgl. S. 91). Praktische Verwendung haben verschiedene Arten von Lactobacillus (L. arabinosus, L. casei, L. pentosus), Streptococcus faecalis, Leuconostoc mesenteroides u. a. gefunden. !) A l b a n e s e , Adv. Prot. Chem. 3, 227 (1947). 2 ) R o s e u. Mitarb., J. biol. Chem. 146, 683 (1942); 148, 457 (1943).

Eiweißbedarf und Eiweißminimum

441

9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum

Nach den vorstehenden Ausführungen ist es verständlich, daß die Eiweißmenge, die dem tierischen Organismus täglich zugeführt werden muß, um seine Funktionen in Gang zu halten, eine gewisse untere Grenze nicht unterschreiten darf, weil sonst der Bedarf an essentiellen Aminosäuren nicht mehr gedeckt werden kann. Das Eiweißminimum wird erreicht, wenn die Zufuhr irgendeiner der essentiellen Aminosäuren ungenügend wird; denn nach dem sog. „Gesetz des Minimums" wird der Ablauf jedes biologischen Vorgangs durch denjenigen Faktor bestimmt, der sich im Minimum befindet. Ist z. B. in einem Protein zu wenig Tryptophan vorhanden, so wird dieses Protein das Wachstum nicht unterhalten können, auch wenn alle anderen essentiellen Aminosäuren im Überschuß vorhanden sind. Das Tryptophan bestimmt allein die Geschwindigkeit des Wachstums. Da der Gehalt der verschiedenen Proteine an essentiellen Aminosäuren recht verschieden sein kann, wird auch die minimale lebenserhaltende Eiweißmenge von der Art der zugeführten Proteine abhängig sein. Eiweißkörper, die alle unentbehrlichen Aminosäuren in genügender Menge enthalten, heißen „ v o l l s t ä n d i g e " Eiweißkörper; solche, denen einzelne unentbehrliche Aminosäuren fehlen, heißen „unvollständig". In der Tabelle S. 110 ist die Zusammensetzung einiger als Nahrungsstoffe wichtigen Proteine angegeben. mg pro kg Körpergewicht Essentielle: Valin Leucin + Isoleucin . . . . Threonin Methionin Phenylalanin Lysin Histidin Tryptophan Arginin Nicht essentielle: Glycocoll Alanin Serin Cystin Tyrosin Asparaginsäure Glutaminsäure Prolin Hydroxyprolm

total für Erwachsenen von 70 kg

50 65 23 20 25 40 15 9 25

3,5 4.5 1.6 1,4 1,8 2,8 1,1 0,6 1,8

3 12 30 6 40 30 130 50 3

0,2 0,8 2,1 0,4 2,8 2,1 9,1 3,5

0,2

Aus Versuchen am Menschen, bei welchen die Menge von Casein oder der gesamten Milcheiweißkörper festgestellt wurde, die zur Erhaltung des Stickstoffgleichgewichts nötig sind, hat man die in der obigen Tabelle angeführte Aminosäurezufuhr berechnet1). Der Bedarf der Frau ist etwas kleiner als derjenige des Mannes. Literatur vgl. A l b a n e s e , Adv. Prot. Chem. B, 227 (1947).

Der Eiweißstoffwechsel

442

Diese Zahlen stellen nicht das absolute Minimum dar. Sie geben aber gute Anhaltspunkte über den Bedarf des Menschen (wenigstens der weißen Rasse) an essentiellen Aminosäuren. In Selbstversuchen sind für den täglichen minimalen Eiweißbedarf sehr kleine Mengen ermittelt worden (tägliche Zufuhr 30 —35 g während 6 Jahren, teilweise sogar nur etwa 23 g bei voller Leistungsfähigkeit: sehr wenig tierisches Eiweiß, wenig Brot, hauptsächlich Kartoffeln und Gemüse1). Diese Werte stellen wohl ein absolutes Minimum dar, das unter günstigen äußeren Bedingungen erreicht werden kann, wahrscheinlich aber nur dann genügt, wenn der Organismus keinen zusätzlichen Belastungen (z.B. ungünstigen Umweltsbedingungen, Infektionskrankheiten) ausgesetzt ist. Sie können keinesfalls der Berechnung des Eiweißminimums für größere Bevölkerungsschichten zugrunde gelegt werden.

Die optimale Eiweißmenge liegt bedeutend höher. Von der Ernährungskommission des Völkerbundes sind z. B. die folgenden Mengen empfohlen worden: Alter Jahre 0—1 1—2 3 4 5 6 7 S 9 10 11 12 12—15 15—17 17—21 über 21 Schwangere bis zum 3. Monat vom 4.—9. Monat Stillende

Täglicher Eiweißbedarf in g pro kg Körpergewicht absolute Menge 24 36 39 42 44 50 56 61 72 78 78 85

3,5

2,5

2,5 2,0 1,5 1,0 1,0 1,5 2,0

Diese Empfehlungen tragen dem Umstand Rechnung, daß der wachsende Organismus bezogen auf die Einheit des Körpergewichts sehr viel mehr Eiweiß braucht als der erwachsene. Früher wurde als Eiweißbedarf des erwachsenen Menschen vielfach die von V o i t errechnete Zahl von 118 g pro Tag angenommen. Diese Zahl ist nach der heutigen Auffassung zu hoch. Der in der obigen Tabelle angegebene Wert von 1 g pro kg und pro Tag garantiert eine völlig genügende Eiweißversorgung. Unter bestimmten Bedingungen ist der Eiweißbedarf stark gesteigert, so während der letzten Monate der Schwangerschaft. Dasselbe gilt natürlich auch für alle pathologischen Zustände, die mit Eiweißverlusten verbunden sind. Dazu gehören z.B. die Nephrosen, bei denen im Urin beträchtliche Mengen Eiweiß verloren gehen können, schwere Verwundungen, besonders solche mit Gewebszerstörungen großen Umfangs, schwere chirurgische Eingriffe und vor allem Verbrennungen; bei den letzteren besteht oft eine sehr stark negative Stickstoffbilanz. Man kann annehmen, daß heute ein beträchtlicher Teil der gesamten Erdbevölkerung (besonders asiatische Völker) mit kleineren Eiweißmengen lebt als den oben angegebenen. Es ist aber schwer anzugeben, welche Mengen noch ausreichend sind und wo die chronische Eiweißunterernährung beginnt. Die Symptome, die durch Eiweißmangel hervorgerufen werden, sind, wenn es sich nicht um sehr schwere Fälle von Unterernährung handelt, so unbestimmt und wenig spezifisch, daß sie sich nicht mit Sicherheit erkennen lassen. Dazu kommt, daß bei schlecht ernährten Bevölkerungsschichten neben dem Eiweiß meistens auch noch andere Faktoren (Vitamine, Mineralstoffe) nur in geringer Menge zugeführt werden. *) R h y n u. A b e l i n , Verh. d. Vereins Schweiz. Physiologen, 18. Tagung, 1941, S. 45.

Die „biologische Wertigkeit" der Proteine

443

Die Bestimmung der minimalen lebensnotwendigen Eiweißmenge setzt voraus, daß die Nahrung genug Kohlenhydrate und Fette enthält, um den kalorischen Bedarf des Organismus zu decken. Ist dies nicht der Fall, so wird ein Teil der Proteine als Brennmaterial herangezogen, und man muß, um das Stickstoffgleichgewicht zu erhalten, eine größere Menge Eiweiß zuführen. Man kann daher unter Umständen Eiweiß dadurch einsparen, daß man das Kohlenhydrat und Fett der Nahrung erhöht. Eine kalorisch ungenügende Nahrung führt immer zu einer starken Steigerung des Eiweißverbraachs, weil dann Körpereiweiß zusätzlich als Brennmaterial herangezogen werden muß. Diese Tatsache ist praktisch von größter Wichtigkeit. Die Folgen der Unterernährung beruhen nicht so sehr auf einem Eiweißdefizit an sich als auf dem Zusammentreffen von Eiweißmangel und kalorisch ungenügender Ernährung. 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine Die zahlreichen Bilanzversuche, die von den Klassikern der Ernährungslehre ( V o i t , R u b n e r , P f l ü g e r und vielen anderen) in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durchgeführt wurden, führten allmählich zur Erkenntnis, daß nicht alle Proteine gleich gut geeignet sind, das Stickstoffgleichgewicht des Organismus aufrechtzuerhalten. Wie oben auseinandergesetzt wurde, beruhen die Unterschiede auf dem verschiedenen Gehalt an essentiellen Aminosäuren. Um die Eignung der Proteine als Stickstofflieferanten zu kennzeichnen, wurde der Begriff der „biologischen Wertigkeit" eingeführt (Thomas) 1 ). J e höherwertig ein Protein ist, desto besser kann es vom Organismus verwertet werden. Die Verwertung eines Eiweißkörpers findet ihren Ausdruck in der Stickstoffbilanz. Wird an ein Tier, das während einer Vorperiode eiweißfrei ernährt wurde, ein vollwertiges Protein verfüttert, so erscheint nur ein kleiner Teil seines Stickstoffs als Harnstoff im Urin; der größere Teil wird im Körper zurückbehalten (retiniert). Bei Verfütterung von minderwertigen Proteinen wird dagegen nur wenig Stickstoff retiniert, der größere Teil geht verloren. Die retinierte Eiweißmenge im Verhältnis zur aufgenommenen kann als Maß für die „biologische Wertigkeit" verwendet werden. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren. Es handelt sich um einen Versuch an der weißen Ratte. Alle Angaben in mg N pro Tag Aufgenommene Eiweißmenge, total Im Kot ausgeschieden, total 11,6 Im Kot bei eiweißfreier Nahrung ausgeschieden 5,5 Nicht absorbiertes Nahrungseiweiß im Kot . . 6,1 Absorbiertes Eiweiß Im Urin ausgeschieden, total Im Urin bei eiweißfreier Nahrung ausgeschieden Durch Eiweißzufuhr bedingte Zunahme Retinierter Stickstoff Biologische Wertigkeit =

37,5 6,1 31,4 19,2 9,3 9,9

31,4 — 9,9 = 21,5 N

^timerter • 100 = • 100 = 69% absorbierter N 31,4 = = =

Im idealen Fall würde aller Stickstoff des aufgenommenen Eiweißkörpers zurückbehalten; die biologische Wertigkeit wäre dann 100%. Der Zahlenwert der biologi1 ) Thomas, Arch. Anat. u. Physiol. 1909, 219; vgl. auch Martin u. R o b i s o n , Biochem. J . 16, 407 (1922); Mitchell, Physiol. Reviews 4, 424 (1924).

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Der Eiweißstoffwechsel

sehen Wertigkeit kann daher anschaulich so gedeutet werden, daß er die Menge eines idealen (d. h. vollständig verwertbaren) Proteins (ausgedrückt in g N) angibt, welche 100 g des verfütterten Proteinstickstoffs zu ersetzen vermöchte. Diese Menge ist natürlich um so kleiner, je minderwertiger der verfütterte Eiweißkörper ist. Da man angenommen hat, daß die körpereigenen Proteine dem oben definierten idealen Protein sehr nahekommen, ist die biologische Wertigkeit auch als die Menge Körpereiweiß definiert worden, die durch 100 g des zugeführten Nahrungseiweißes ersetzt werden kann. Die Werte betragen (nach T h o m a s ) für Fleisch und Milch annähernd 100, für Casein 70, für die Kartoffel 79, für Weizenmehl 40, für Erbsen 56, für Mais 30. (Bemerkenswert ist der hohe Wert für die Proteine der Kartoffel; die hohe Bedeutung der Kartoffel als Nahrungsmittel beruht zu einem wesentlichen Teil auf der hohen Qualität ihrer Proteine 1 ).) 11. Das Stickstoffgleichgewicht Wir haben gesehen, daß eine gewisse minimale Eiweißzufuhr nötig ist, wenn der tierische Organismus seinen Eiweißbestand beibehalten soll. Im Intermediärstoffwechsel wird beständig Organstickstoff in Harnstoff und andere Endprodukte übergeführt und ausgeschieden, auch wenn von außen kein Eiweiß zugeführt wird. Das Eiweißminimum stellt offenbar diejenige Menge Protein dar, die gerade genügt, um die „Abnützung" zu kompensieren. Beim wachsenden Tier ist noch eine zusätzliche Menge Eiweiß zum Aufbau neuer Körpersubstanz nötig (siehe die Tabelle des Eiweißbedarfs S. 442). Es entsteht die Frage, was mit dem Eiweiß geschieht, das über den Bedarf für Ersatz und Aufbau hinaus aufgenommen wird. Die Erfahrung zeigt, daß der tierische Organismus bei sehr verschiedener Eiweißzufuhr ins Stickstoffgleichgewicht kommen kann. Wird einem Tier, das bei mäßigem Eiweißgehalt der Nahrung im N-Gleichgewicht ist, mehr Eiweiß zugeführt, so folgt die N-Ausscheidung nur langsam der vermehrten Zufuhr; während einer Übergangsperiode von einigen Tagen wird weniger Stickstoff ausgeschieden als aufgenommen, die Bilanz ist positiv. Es muß also Stickstoff in den Geweben als Eiweiß abgelagert werden (Zuntz). Erst allmählich gleicht sich die Ausscheidung der Zufuhr wieder an und stellt sich ein neues N-Gleichgewicht auf höherem Niveau wieder ein. Auch bei Verminderung der Eiweißzufuhr paßt sich die Ausscheidung nicht sofort der verkleinerten Aufnahme an. Die Stickstoffbilanz wird zunächst negativ; der Organismus verliert Eiweiß, bis die Ausscheidimg so weit zurückgegangen ist, daß dasN-Gleichgewicht sich auf dem niedrigeren Niveau wieder eingestellt hat (vorausgesetzt, daß die Proteinzufuhr nicht unter dem Minimum liegt). Aus diesen Tatsachen folgt, daß offenbar der Eiweißbestand des Körpers (oder gewisser Organe) sich verändern kann. Die Organe sind imstande, bei überschüssiger Eiweißzufuhr eine gewisse Menge der zuströmenden Aminosäuren als Proteine zu speichern. Andererseits vermögen sie ohne Beeinträchtigung ihrer Funktion einen Teil ihrer Proteine abzugeben, wenn die äußere Zufuhr vermindert wird oder versiegt. An der Eiweißspeicherung oder -abgabe sind nicht alle Organe in gleicher Weise beteiligt. Bereits V o i t stellte fest, daß beim Hunger vor allem die Skelettmuskulatur und die Leber Eiweiß verlieren, während das Herz und das Gehirn ihren Bestand beibehalten. Besonders groß sind die Veränderungen des Eiweißgehalts der Leber (Luck 2 )). 2

Zusammenfassung neuerer Literatur vgl. A l l i s o n , Adv. Protein Chem. 5, 155 (1949). ) Luck, J. biol. Chem. 115, 491 (1936).

Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas

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Die Erfahrungen über die Stickstoffausscheidung unter verschiedenen Bedingungen hatten früher dazu geführt, einen „endogenen" und einen „exogenen" N-Stoffwechsel zu unterscheiden. Der Stickstoff, der während des Hungers oder bei eiweißfreier Kost im Urin erscheint, muß natürlich den Gewebsproteinen entstammen, ist also endogenen Ursprungs. Man nahm nun an, daß bei Zufuhr von Eiweiß der Verbrauch von Gewebsproteinen aufhört und daß an ihre Stelle die von außen zugeführten Aminosäuren treten, m. a. W., daß im Stoffwechsel das Gewebseiweiß ersetzt wird. Der im Urin bei Eiweißzufuhr in vermehrter Menge ausgeschiedene Stickstoff sollte aus dem Nahrungsprotein stammen. Wir wissen aber heute, daß die in den Proteinen gebundenen Aminosäuren mit den freien Aminosäuren in ständigem Austausch stehen (vgl. S. 375). Es ist daher ganz unmöglich, zwischen „endogenem" und „exogenem" Stickstoff zu unterscheiden. I n der lebenden Zelle werden die von außen zuströmenden Aminosäuren sehr rasch mit denjenigen vermischt, die aus dem Umsatz der Zellproteine stammen, so daß es gar keinen Sinn hat, nach dem Ursprung der Endprodukte (exogen oder endogen) zu fragen. 12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas Die eben erwähnte Tatsache, daß der Eiweißgehalt gewisser Organe je nach der Zufuhr sich ändern kann, hat die älteren Physiologen (besonders V o i t ) dazu geführt, zwei Arten von Eiweiß zu unterscheiden: solches, das der Zellstruktur angehört („organisches" Eiweiß), und solches, das als Reserve in den Zellen nur lose gebunden ist oder im Körper zirkuliert. Die Menge der ersteren ist konstant, die Menge des zweiten variabel. Die beobachteten Schwankungen des Eiweißgehalts der Organe sollten nur diesen zweiten Anteil betreffen. Diese Auffassung hat sich nicht bestätigt. Der Eiweißgehalt der Leber kann bis 50% zunehmen, wenn eine eiweißreiche Kost verfüttert wird. (Die Vermehrung ist sogar histologisch an der Vergrößerung des Zellvolumens zu erkennen.) Die Untersuchungen der verschiedenen Eiweißfraktionen, die sich aus der Leber gewinnen lassen (fraktionierte Extraktion mit Kochsalzlösung und verdünntem Alkali, fraktionierte Ammoniumsulfatlösung), haben aber keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß ein besonderes Reserveprotein in die Leberzelle eingelagert wird. Die Vermehrung des Eiweißgehalts betrifft gleichmäßig alle Fraktionen (Versuche von L u c k an der Ratte). Es scheint also, daß das im Überschuß zugeführte Protein einfach zu einer Neubildung des Organeiweißes führt. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch fürdenMuskel. Wenn die Zellproteine der Leber und der Skelettmuskulatur auch nicht ein Reservematerial in dem Sinne darstellen wie das Glycogen oder das Fett, so können sie doch als Eiweißreserve funktionieren. Dies tritt besonders deutlich im Hungerzustand in Erscheinung. Wenn die Glycogen- und Fettvorräte aufgebraucht sind, lebt der Körper auf Kosten seiner Proteine. Wie wir bereits erwähnt haben, ist der Eiweißverlust der einzelnen Organe sehr ungleich. Das Herz und das Gehirn z. B. verlieren auch nach langdauerndem Hungerzustand fast nichts an Gewicht. Es lebt also bei Eiweißmangel nicht jede Zelle von ihren eigenen Proteinen; die lebenswichtigen Organe wie der Herzmuskel können ihren Eiweißbestand und ihre vollkommene Leistungsfähigkeit nur auf Kosten anderer Gewebe aufrechterhalten, deren Proteine allmählich eingeschmolzen werden. Die Konzentration der im Blut zirkulierenden Aminosäuren ist im Hunger nicht erniedrigt, sondern im Gegenteil eher erhöht, ein Zeichen dafür, daß sie trotz mangelnder Zufuhr von außen durch Hydrolyse der körpereigenen Proteine beständig erneuert werden. Wir haben früher gezeigt, daß die Glucose in der Leber teilweise durch Glycogenolyse, teilweise durch Gluconeogenese

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Der Eiweißstoffwechsel

geliefert wird. Im Hunger ist Neubildung von Zucker aas Eiweiß der wesentliche Vorgang, der die Versorgung des Organismus mit Glucose garantiert. Der Proteinschwund im Hunger scheint ganz allgemein in denjenigen Organen und Geweben am geringsten zu sein, die unmittelbare Bedeutung für die Erhaltung des Lebens haben. Das eindrücklichste Beispiel ist der Herzmuskel im Vergleich zum Skelettmuskel. Auch das Knochensystem verliert nach protrahiertem Hunger verhältnismäßig wenig an Gewicht (wobei die gesamte Abnahme nur teilweise durch Eiweißverlust bedingt ist). Wir kennen die genauen Ursachen für das verschiedene Verhalten der einzelnen Gewebe nicht. In einzelnen Fällen, so beim Knochen, dürfte es an der Natur der Proteine (Collagen) und der Besonderheit der Gewebsstruktur (extrazelluläre Lokalisation) liegen, wenn ihr Abbau nur träge erfolgt. Beim Herzmuskel, der ein Gewehe mit besonders aktivem Stoffwechsel ist, kann eine solche Erklärung nicht zutreffen. Hier müssen Besonderheiten der chemischen Organisation, die offenbar direkt mit der Aktivität des Muskels zusammenhängen, es der Zelle ermöglichen, ihren Eiweißbestand aufrechtzuerhalten. (Ähnliches gilt auch für das Glycogen des Herzmuskels.) Was von Zellen und Geweben gesagt wurde, gilt auch für einzelne individuelle Proteine: ihre Bildung wird durch Eiweißmangel in ungleicher Weise beeinflußt. Im Hunger nimmt die Konzentration des Hämoglobins im Blut sogar zu, sowohl ihrem absoluten Werte nach als im Verhältnis zu den Plasmaproteinen. (Anämien, die bei chronischer Unterernährung auftreten, haben ihre Hauptursache in einem Mangel an Eisen, nicht an Eiweiß.) Die Erhöhung der Hämoglobinkonzentration beruht auf einer Verringerung der Blutmenge, die ihrerseits der Abnahme des Körpergewichts parallel geht. Die gesamte Hämoglobinmenge verringert sich also weniger als die Menge der Organproteine oder sie bleibt (bei nicht zu langer Dauer des Hungers) überhaupt konstant. Man muß also annehmen, daß bei Eiweißmangel der Hämoglobinsynthese die Priorität gegenüber dem Aufbau anderer Proteine zukommt. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für andere lebenswichtige Proteine (Fermente und Hormone).

Eine besondere Rolle im Proteinhaushalt des Körpers spielen die Eiweißkörper des Blutplasmas. Ihre Menge ist im Verhältnis zur Gesamtmenge der Proteine im Körper gering. Sie beträgt beim erwachsenen Menschen etwa 150 g (Konzentration 7—8%). Neben ihrer Bedeutung für die Verteilung des Wassers haben sie wichtige chemische Funktionen. Versuche mit markierten Aminosäuren (Leucin und Glycocoll mit N in der Aminogruppe) zeigen, daß die Plasmaproteine rasch erneuert werden. Nach Verfütterung der genannten Verbindungen an die Ratte weist nämlich das Blutplasmaprotein den höchsten Gehalt an schwerem Stickstoff auf (Schoenheimer, vgl. Tabelle S. 375). Wird arteigenes Blutplasma direkt in die Blutbahn injiziert, so verschwindet es ziemlich rasch aus dem Blut (nach Versuchen mit Plasmaproteinen, die radioaktives Lysin enthielten, sind nach 24 Stunden 50% der eingeführten Proteine verschwunden). Es gelingt, durch intravenöse Injektion von arteigenem Plasma Tiere während längerer Zeit im Stickstoffgleichgewicht zu erhalten. Merkwürdigerweise kommt es dabei zu keiner vermehrten Ausscheidung von Stickstoff im Urin, wie dies immer der Fall ist, wenn Proteine auf normalem Weg, d. h. enteral, verabreicht werden (Whipple). Man muß daraus den Schluß ziehen, daß die in die Blutbahn eingebrachten Plasmaproteine ohne tiefer greifenden Abbau, d. h. ohne intermediäre Bildung freier Aminosäuren, verwertet werden können. Wahrscheinlich werden sie zunächst in irgendwelchen Zellen in Organeiweiß umgewandelt und gespeichert. Umgekehrt können aber die Plasmaproteine aus den Geweben rasch ergänzt werden. Es muß in den Geweben (oder in einem bestimmten Gewebe) Proteine geben, die sehr leicht in Plasmaeiweiß übergehen und eine eigentliche Reserve an Plasmaproteinen darstellen. Dies wurde durch folgenden Versuch von Whipple bewiesen: Man kann bei Versuchstieren (Hund) die Konzentration der Plasmaeiweißkörper beliebig verringern, indem man Blut entnimmt und durch das gleiche Volumen physiologischer Salzlösung ersetzt, der die zentrifugierten und gewaschenen Erythrocyten wieder zugesetzt worden sind. Man entzieht dem Tier auf diese Weise eine bestimmte Menge Plasmaproteine (Plasmapherese).

Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas

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Nach einmaligem Plasmaentzug steigt die Konzentration der Proteine rasch wieder auf den ursprünglichen Wert an; es muß also Protein aus den Geweben nachgeliefert werden. Durch täglichen Entzug einer gewissen Menge Blutplasma kann der Spiegel der Plasmaeiweißkörper dauernd auf einem bestimmten niedrigen Stand gehalten werden. Es zeigt sich nun, daß man während der ersten 2—3 Wochen des Versuchs bedeutend mehr Plasma entnehmen muß, um den Spiegel niedrig zu halten, als während der nachfolgenden Wochen. Es besteht also im Körper eine Proteinreserve, aus der die Plasmaproteine anfänglich rasch ergänzt werden können, die aber schließlich erschöpft wird. Die Größe dieser Reserve dürfte etwa das 1—2fache der Menge der zirkulierenden Plasmaproteine betragen 1 ). Bei andauernder Unterernährung nimmt die Konzentration der Plasmaproteine ab. Hauptursache ist Eiweißmangel, besonders Mangel an tierischem Eiweiß, verbunden mit einem ungenügenden kalorischen Wert der Nahrung. Man muß annehmen, daß in diesem Zustand alle Eiweißreserven der Gewebe erschöpft sind, ohne daß ein genügender Ersatz möglich ist. Die Erniedrigung der Proteinkonzentration im Plasma (die bis auf 4—5% Protein sinken kann) spielt eine Rolle bei der Entstehung des sog. „Hungerödems", denn die Senkung des kolloidosmotischen Drucks erleichtert den Übertritt des Wassers aus den Kapillaren in die Gewebe, doch wirken noch andere Ursachen mit. Die Größe des Proteindefizits im Blutplasma ist ein Maß für die Größe des gesamten Eiweiß defizits im Körper. Man kann annehmen, daß das Defizit des Gesamtbestandes etwa 30mal so groß ist wie das Defizit des Plasmas. Legt man z. B. eine Abnahme der Plasmaproteine von 7% auf 5% zugrunde, so fehlen im Plasma (Volumen z. B. 2000 ccm) 40 g Eiweiß, im Gesamtorganismus dementsprechend etwa 1200 g.

Die Aminosäuren können in den Geweben nur in Form von Proteinen gespeichert werden. Die labilen Gewebsproteine, von denen eben die Rede war, stellen im Grunde nichts anderes als eine Reserve von Aminosäuren, insbesondere von essentiellen Aminosäuren, dar. Man findet zwar nach reichlicher Zufuhr von Aminosäuren, während der Verdauung, in den Geweben (Muskulatur und Leber) eine Anreicherung freier Aminosäuren, welche über die Konzentration im Blut wesentlich hinausgeht; aber sie verschwinden im Verlaufe weniger Stunden. Das Besondere bei der Speicherung der Aminosäuren liegt darin, daß a l l e zum Aufbau der Zellproteine nötigen Bausteine am Ort der Synthese g l e i c h z e i t i g vorhanden sein müssen. Eine einzelne Aminosäure kann nie gespeichert werden. Fehlt auch nur eine essentielle Aminosäure, so können auch die anderen nicht zum Aufbau von Körpersubstanz verwendet werden; sie verfallen der Oxydation. Daß die gleichzeitige Anwesenheit aller essentiellen Aminosäuren notwendig ist, zeigt z. B. die folgende Beobachtung (Elman) 2 ): Man kann das Stickstoffgleichgewicht durch intravenöse Injektion von Aminosäuregemischen aufrechterhalten, in denen alle essentiellen Aminosäuren enthalten sind. Läßt man aber aus dem Gemisch das Tryptophan zunächst weg und injiziert es erst nach 6 Stunden, so läßt sich das Stickstoffgleichgewicht nicht erreichen. Das Fehlen des Tryptophans zur Zeit des Angebots der übrigen Aminosäuren hat deren Verwertung unmöglich gemacht.

Eiweiß Verschiebungen, wie sie zwischen dem Blutplasma und den Geweben vorkommen, sind offenbar eine allgemeine Erscheinung. Wir müssen je nach dem Funktionszustand der einzelnen Organe ein beständiges Hin- und Herwandern von Proteinsubstanzen oder ihrer Abbauprodukte zwischen den verschiedenen Zellen und Geweben annehmen. Das eindrücklichste Beispiel für eine derartige Wanderung und Umbildung der Proteine innerhalb des Organismus liefert uns die Entwicklung der Gonaden beim Lachs während der Fortpflanzungszeit, wie sie durch die klassischen Arbeiten von F r . M i e s c h e r klargestellt worden ist 3 ). J

) Als Übersicht vgl. Madden u. Whipple, Physiol. Rev. 20, 194 (1940). ) E l m a n , Ann. Surg. 115, 1160 (1942); Adv. Prot. Chem. 3, 282 (1947). ) Miescher, Histochem. u. physiol. Arbeiten. Bd. II, S. 116, 192, 304, 325. Leipzig 1897.

2 3

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Der Eiweißstoffwechsel

Der L a c h s lebt sowohl im Seewasser als im Süßwasser. Zur Ablage und Befruchtung der Eier steigen die Tiere vom Meer in die Flüsse und verbringen dort etwa sechs bis zehn Monate, ohne dabei irgendwelche Nahrung aufzunehmen. Sie leben während dieser Zeit ausschließlich auf Kosten der Rumpfmuskulatur. Während dieser Periode reifen die Testikel bzw. Eierstöcke. Das Gewicht der Ovarien steigt von 60 bis 100 g bis auf 2 kg. Beim reifen Lachsweibchen können die Ovarien 1 / 3 der gesamten Trockensubstanz des Körpers enthalten! Auch die Hoden vergrößern sich in bedeutendem Maße. Ein 9 kg schwerer Lachs enthält in seinen Hoden zur Laichzeit etwa 27 g Protamin (siehe Eiweiß) mit etwa 23 g Arginin. Da nun das Muskeleiweiß des Lachses etwa 5,7% Arginin enthält, so müssen bei diesem Tier mindestens 402 g Muskeleiweiß während der Testikelreifung zerlegt worden sein, um dieses Quantum an Arginin zu liefern. Tatsächlich verliert die Seitenmuskulatur des Tieres etwa 40% ihres Gewichts. (Auch in diesem Fall degenerieren die aktivsten Muskeln, welche den Bewegungsapparat betätigen, am wenigsten.) Beim Säugetier nimmt während der Gravidität der Uterus gewaltig an Gewicht zu; auch hier wird, wenn die Zufuhr von außen nicht genügt, das zum Aufbau der großen Muskelmasse nötige Material anderen Organen, wohl vor allem der Skelettmuskulatur, entnommen. Die Erfahrung in Mangelzeiten hat gezeigt, daß die Neugeborenen von unterernährten Frauen kaum untergewichtig sind. Die Entwicklung der Frucht kann also nur auf Kosten der mütterlichen Gewebe erfolgt sein. Die Verteilung der Stoffe, insbesondere der Proteine im Organismus, wird in der Fortpflanzungsperiode in erster Linie durch die Bedürfnisse der Fortpflanzungsorgane bestimmt. Ahnliches gilt auch für die Milchdrüse.

Auf welchem Weg der Umbau der Proteine zustande kommt, ist im einzelnen nicht bekannt. Wahrscheinlich geht die Bildung des neuen Eiweißkörpers von den freien Aminosäuren aus, d.h. die Gewebsproteine, die das Material liefern, müssen vollständig hydrolysiert werden. 13. Die Synthese der Peptide und Proteine Das eigentliche Rohmaterial der Proteinsynthese stellen die Aminosäuren dar. Dieselben müssen aber nicht nur durch Peptidbindungen miteinander verknüpft, sondern auch in einer für jedes Peptid oder Protein charakteristischen Folge aneinandergereiht werden. Die Peptidsynthese wirft daher zwei Hauptprobleme auf: 1. In welcher Weise erfolgt die Bildung der Peptidbindungen und 2. Wodurch wird eine bestimmte Reihenfolge der Aminosäurereste in der Peptidkette erreicht. Von den Reaktionen, die zur Bildung der Peptidbindung führen, kann man sich heute auf Grund der experimentellen Erfahrungen eine gewisse Vorstellung machen, wenn auch die Frage noch keineswegs gelöst ist. Das zweite Problem ist offenbar viel schwieriger zu lösen als das erste, und man ist heute noch nicht über gewisse Hypothesen herausgekommen. A. Die Synthese der Peptidbindung Wir kennen im wesentlichen drei Möglichkeiten für die Bildung neuer Peptidbindungen. Zwei Reaktionen können durch die proteolytischen Fermente bewirkt werden: Umkehrung der hydrolytischen Spaltung und Austausch von Aminosäureresten in Peptiden. Die dritte Reaktion, wohl die wichtigste, ist ATP-abhängig und führt die Synthese auf Kosten der freien Energie einer Phosphatbindung durch.

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Die Synthese der Peptidbindung

a) Umkehrung der hydrolytischen Spaltung. Die hydrolytische Spaltung der Peptidbindung ist ein „exergonischer" Vorgang, d. h. sie verläuft mit einer Abnahme der freien Energie; das Gleichgewicht der Reaktion: Ri-CO-NH-Rj ,

+ H ' ° > Ri• COOH + H2N• R 2 •— HtO

A G 0 negativ

liegt meistens zugunsten der rechts stehenden Spaltprodukte. Eine Umkehrung der obigen Reaktion kann daher nur in geringem Umfang vor sich gehen; die Konzentration des Peptids im Gleichgewicht mit den Spaltprodukten ist in der Regel sehr klein. Wir haben schon früher erwähnt, daß unter gewissen Bedingungen trotzdem eine Synthese von Peptiden durch die Proteasen zustande kommen kann (vgl. S. 200). In einzelnen Fällen, die allerdings keine physiologische Bedeutung haben und nur als Modellreaktionen gelten können, liegt das Gleichgewicht der Reaktion stark zugunsten des Peptids (d. h. die Änderung der freien Energie der oben angeschriebenen Reaktion hat einen positiven Wert). Bei Gegenwart der pflanzlichen Proteinase Papain verbinden sich z. B. Carbobenzoxyglycin und Anilin zum Carbobenzoxyglycinanilid (Bergmann): Cbz • NHCHaCOOH + H2NC6H5

Cbz-NHCH2CO-NHC„H6.

Eine enzymatische Synthese von Peptiden durch Proteinasen ist auch dann möglich, wenn das Reaktionsprodukt schwer löslich ist und daher, weil es ausfällt, aus dem Gleichgewicht entfernt wird1). Wir haben früher (S. 200) Beispiele für diesen Fall angeführt. Man kann sich vorstellen, daß in der lebenden Zelle die Konzentration des entstehenden Peptids auch auf andere Weise niedrig gehalten wird, z. B. dadurch, daß es sofort weiterreagiert, so daß die Reaktion in Richtung der Synthese vor sich gehen kann. Im allgemeinen ist aber der Hub der freien Energie für die Synthese eines Peptids aus den freien Aminosäuren so hoch, daß eine durch die Proteasen katalysierte Synthese nicht in meßbarem Umfang stattfinden kann. Bedeutend günstiger scheinen die Bedingungen jedoch für die Verknüpfung höherer Peptide zu liegen2). Das wichtigste Beispiel ist die Büdung der sog. P l a s t e i n e 3 ) . Wie schon lange bekannt ist, bildet sich bei Einwirkung von Labferment oder auch von Magensaft auf konzentrierte peptische Verdauungsgemische ein Niederschlag, das Plastein (Danielewsky 1895). Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß Papain, kristallisiertes Pepsin oder Chymotrypsin die gleiche Wirkung haben. Die Plasteine sind hochmolekulare Substanzen, welche aus den primären Spaltprodukten des verdauten Proteins unter der Einwirkung der genannten Proteinasen entstanden sind. (Es sind Molekulargewichte von etwa 3000 bis 400000 festgestellt worden.) Offenbar ist die Bildung von Peptidbindungen zwischen Peptiden nur von einer geringen Änderung der freien Energie begleitet, und außerdem sind die entstehenden Produkte schwer löslich, so daß es zur Synthese der eiweißartigen Kondensationsprodukte kommt. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß auch unter physiologischen Bedingungen eine derartige Verknüpfung von Peptiden zu höhermolekularen Produkten unter dem Einfluß von Proteasen möglich ist.

E s läßt sich heute nur schwer abschätzen, welche Bedeutung diesen Reaktionen im Rahmen der Proteinsynthese zukommt. Wegen der ungünstigen thermodynamischen Bedingungen dürfte die durch Proteasen bewirkte Bildung neuer Peptid!) B e r g m a n n u. F r u t o n , J . biol. Chem. 124, 321 (1938); Ann. New York Acad. Sei. 45, 409 (1944). 2 ) Übersicht vgl. z.B. P r u t o n : Enzymatic hydrolysis and synthesis of peptid bonds, in Green: Currents in biochemical research, New York 1946, S. 123. B o r s o o k , Adv. Protein Chem. 8, 127 (1953). 3 ) Vgl. z . B . T a u b e r , J . Am. chem. Soc. 71, 2952 (1949); 73, 1288, 4965 (1951). 20

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

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Der Eiweißstoffwechsel

bindungen, jedenfalls soweit sie die Synthese einfacher Peptide aus den freien Aminosäuren betrifft, keine große Rolle spielen. Wichtiger ist wahrscheinlich die von den proteolytischen Enzymen unabhängige, mit der Spaltung „energiereicher" Bindungen gekoppelte Synthese nach dem Modell der Hippursäure oder der Glutaminsynthese, auf die wir unten zu sprechen kommen werden. b) Aminosäurenaustausch. Die Proteinasen können aber, wie man in neuerer Zeit erkannt hat, noch in anderer Weise an der Bildung von Peptiden teilnehmen. Neue Peptide können nämlich auch dadurch entstehen, daß Aminosäurereste von einem Peptid auf ein anderes übertragen werden. In ähnlicher Weise wie die glycosidspaltenden Fermente vermögen die Proteinasen das eine Spaltstück des Substrats unmittelbar in eine neue Bindung überzuführen1). Nach den bisherigen Erfahrungen ist es immer die Acylhälfte des Peptids, welche verschoben wird. Die Reaktion läßt sich demnach folgendermaßen formulieren: : R'NH—CH—CO - p N H — A

k

+

4 H 2 N—B

Proteinase

R'NH—CH—COH-NH—B + H 2 N—A I R Z. B. reagiert bei Gegenwart von Papain Benzoyl-leucin mit Glycinanilid unter Bildung von Benzoyl-leucin-anilid und Glycin (Bergmann 2 )).

Die Proteinasen wirken also wie die Glycosidasen nicht nur als hydrolysierende, sondern als gruppenübertragende Enzyme. Die Hydrolyse stellt einen Spezialfall einer allgemeineren Wirkung dar. Man kennt heute eine ganze Reihe derartiger Peptidübertragungen durch reine proteolytische Fermente (Chymotrypsin, Pepsin, Kathepsin, Ficin u. a.). Insbesondere können Peptide auch aus Aminosäureamiden unter Ammoniakabspaltung gebildet werden ( F r u t o n und Mitarb. 3 )): .0 R—C

o II N—CHCH(OH)CH(OH)CHCH2—0—P—0—COCH(NH,)R L

o

J

AH

das fest mit dem Fermentprotein verbunden ist und aus dem der aktivierte Aminosäurerest auf einen Akzeptor übertragen werden kann. Offenbar erfolgt die Bildung der aktivierten Aminosäure in Analogie zu ähnlichen Reaktionen, unter Abspaltung von Pyrophosphat: ATP + Aminosäure

,

'

Aminoacyl-AMP + P P .

Durch diese Reaktion wird der oben erwähnte Austausch zwischen ATP und Pyrophosphat ohne weiteres erklärt. Die aktivierenden Enzyme finden sich in einer löslichen Zellfraktion (sog. „pH 5-Enzyme") die außerdem noch eine für die Proteinsynthese wesentliche lösliche Ribonucleinsäure enthält. (Zamecnik, Hoagland 2 ); vgl. S. 455 unten) Es sind sowohl in tierischen Geweben als auch in Mikroorganismen verschiedene Aminosäurenaktivierende Enzyme gefunden worden. Sie scheinen immer für eine bestimmte Aminosäure spezifisch zu sein; die Annahme liegt nahe, daß für jede einzelne Aminosäure ein besonderes aktivierendes Enzym existiert. Es steht noch nicht fest, ob die Aktivierung in allen Fällen durch Bildung eines Adenylats erfolgt oder ob nicht auch andere Nucleotide verwendet werden3). Die aktivierte Aminosäure kann in vielen Fällen dadurch nachgewiesen werden, daß man sie mit Hydroxylamin zur Hydroxamsäure reagieren läßt: RCOO—X + NHaOH

> RCk^° NHOH

+HX.

Allen diesen Reaktionen ist, soweit wir sie heute übersehen, der eine Zug gemeinsam, daß zunächst unter Verbrauch von „energiereichem" Phosphat (Spaltung einer Anhydridbindung im ATP) eine Carboxylgruppe in eine aktivierte Verbindung übergeführt wird, welche mit der Aminogruppe reagieren kann. *) Zusammenfassung vgl. Th. W i e l a n d , Adv. Enzymol. 19, 235 (1957). H o a g l a n d u. Mitarb., J . biol. Chem. 218, 345 (1956); 231, 241 (1958). 3 ) Hoagland u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 16, 288 (1955); J . biol. Chem. 218, 345 (1956); De Moss u. Novelli, Biochim. Biophys. Acta 18, 592 (1955); Lipmann u. Mitarb., Arch. Biochem. Biophys. 65,21 (1956). Vgl. auch Wieland, 1. c. Fußnote J ), ferner Chantrenne, Ann. Rev. Biochem. 27, 46 (1958). 2)

454

Der Eiweißstoffwechsel

B. Die Synthese des Proteinmoleküls Der Einbau der dem Körper mit der Nahrung zugeführten Aminosäuren erfolgt sehr schnell. Darüber haben vor allem Versuche mit markierten Aminosäuren Aufschlu ß gegeben ( S c h o e n h e i m e r , R i t t e n b e r g und Mitarb.). Verfüttert oder inj iziert man dem Versuchstier (gewöhnlich der weißen Ratte) Aminosäuren, die in ihrer a-Aminogruppe schweren Stickstoff enthalten, so findet man schon nach kurzer Zeit den schweren Stickstoff in den Proteinen. Es muß also zwischen den Eiweißmolekülen und ihrem Milieu ein beständiger Austausch der Aminosäuren stattfinden, d. h. es müssen die Peptidbindungen fortwährend gelöst und wieder geknüpft werden. Die Eiweißmoleküle sind einem beständigen Umbau unterworfen. Die gleichen Resultate h a t man mit C ( U ) -markierten Aminosäuren erhalten. Wir haben früher bei der Besprechung des Fett- und des Kohlenhydratstoffwechsels auf diese kontinuierliche Erneuerung aller organischen Substanzen in der lebenden Zelle hingewiesen. Auch dort, wo die Stoffe von außen gesehen liegenbleiben und sich anscheinend am Stoffwechsel nicht beteiligen, findet in Wirklichkeit ein beständiger innerer Umbau statt, durch den in kürzerer oder längerer Zeit die Substanz vollständig erneuert wird („dynamischer Zustand" der lebenden Substanz ( S c h o e n h e i m e r ) ) . Die Erneuerung der Rfoteine geschieht nicht in allen Geweben gleich schnell. An erster Stelle stehen die Leber und die Plasmaeiweißkörper. Indem man markiertes Glycocoll verfütterte und das Verschwinden der eingebauten Aminosäure aus den Gewebsproteinen verfolgte, konnte man feststellen, daß Leberproteine bereits im Zeitraum von etwa einer Woche zur Hälfte erneuert werden. Bedeutend langsamer erfolgt der Umsatz der Eiweißkörper im Muskel. Der erwähnte Austausch der Aminosäuren steht offenbar mit der Proteinsynthese in engem Zusammenhang. Man kann dies aus der Tatsache schließen, daß er A T P benötigt und durch solche Stoffe gehemmt wird, welche mit den energieliefernden Vorgängen interferieren. Aber der Austausch findet auch dann statt, wenn bilanzmäßig kein Eiweiß synthetisiert wird. E r stellt wahrscheinlich eine reversible Phase im Gesamtvorgang der Proteinsynthese dar. Die Aufnahme von CU*)-Aminosäuren in die Proteine läßt sich in geeigneten Präparaten aus tierischen Geweben oder Mikroorganismen auch in vitro verfolgen. Man hat, um nur einige Beispiele zu nennen, die Aufnahme von Aminosäuren in die Proteine der Reticulocyten (junge Erythrocyten), in das Ovalbumin im Oviduct der Henne, in die cytoplasmatischen Körnchen (Mikrosomen) untersucht, die bei der Eiweißsynthese in der Zelle eine wichtige Rolle zu spielen scheinen1). Daß ein Austausch von Aminosäuren auch dann möglich ist, wenn keine 'mit Substanzvermehrung einhergehende Proteinsynthese stattfindet, kann aus Versuchen mit Hemmstoffen geschlossen werden. Z. B. hemmt Chloramphenicol (ein Antibioticum) die Eiweißsynthese weitgehend, während es den Austausch einzelner Aminosäuren kaumbeeinflußt (Gale, l.c.S.455).

Zu den wichtigsten Entdeckungen dürfte die erstmals von B r ä c h e t , und unabhängig von C a s p e r s s o n festgestellte Tatsache gehören, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Proteinsynthese und den Ribosenucleinsäuren besteht: je intensiver ein Gewebe Eiweiß synthetisiert, desto höher ist sein Gehalt an Ribosenucleinsäuren 2 ). Diese Beziehung h a t sich aus zahlreichen cytologischen Beobachtungen und der vergleichenden Bestimmung der Ribosenucleinsäuren in verschiedenen Geweben ergeben und ist an einem großen Beobachtungsmaterial immer wieder bestätigt worden. 1 ) Vgl. z. B. Borsook, in Greenberg: Chemical pathways of metabolism. Vol. II, S. 203. New York 1954. Brächet: Biochemical cytology, S. 43, 240 u. ff. New York 1957. 2 ) Brächet, Arch. biol. (Liège) 53, 207 (1942); Caspersson, Naturwiss. 29, 33 (1941).

Die Synthese des Proteinmoleküls

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Der Nucleinsäuregehalt ist in rasch wachsenden Geweben höher als in ruhenden; er ist hoch in den embryonalen Geweben, in den Imaginalscheiben der Insekten, in den Zellen der exokrinen Drüsen (in den Drüsenzellen der Pankreas höher als in den L a n g e r h a n s sehen Inseln, in den Hauptzellen der Magendrüsen, welche das Pepsin produzieren, höher als in den Belegzellen, usw. 1 )). Von besonderem Interesse sind auch die Beobachtungen über die Fortpflanzung der Viren in den Zellen. Die Viren sind Nucleoproteide. Bei pflanzlichen Viren wie auch bei Bakteriophagen hat sich gezeigt, daß sehr wahrscheinlich der Nucleinsäureanteil für die Vermehrung, d. h. die Infektiosität des Virus, verantwortlich ist. Man hat in verschiedenen Fällen Nucleinsäure und Protein trennen können; das letztere erwies sich immer als nicht infektiös 2 ). Gale hat nachgewiesen, daß in Präparaten aus Staphylococcus aureus der Einbau von Aminosäuren in die Proteine wie auch die Bildung von adaptiven Enzymen (die als Maß für den Umfang der Proteinsynthese dienen kann) vom Gehalt an Ribosenucleinsäure abhängig ist. Beide Vorgänge werden unterdrückt, wenn die Nucleinsäure entfernt wird; durch Zusatz von Ribosenucleinsäure aus Staphylococcus können die Präparate reaktiviert werden (Nucleinsäuren anderen Ursprungs sind unwirksam) 3 ). E s stellt sich nun in erster Linie die Frage, in welcher Weise die Peptidketten aufgebaut werden und wie die für die einzelnen Proteine charakteristische Sequenz der Aminosäuren zustande kommt. E s sind verschiedene Möglichkeiten denkbar: sukzessive Verlängerung der K e t t e n durch Anfügen v o n Aminosäuren in bestimmter Reihenfolge oder A u f b a u der langen K e t t e n durch Zusammenfügen vorgebildeter kürzerer Peptidketten. I n diesen Fällen wäre zu erwarten, daß niedrigmolekulare Zwischenprodukte der Eiweißsynthese gefaßt werden könnten. Dies ist aber nie gelungen. Man ist daher zur Auffassung gelangt, daß der W e g v o n den Aminosäuren unmittelbar zu d e n Proteinen führt, wofür auch die oben erwähnten Befunde über die Aufnahme markierter Aminosäuren in die Proteine sprechen. U m das Zustandekommen einer bestimmten Sequenz der Bausteine zu erklären, h a t man angenommen, daß die Aminosäuren zuerst an eine im Protoplasma vorgebildete Struktur an spezifische Haftstellen gebunden werden und daß erst dann, in dieser fixierten Lage, ihre Verknüpfung zum Polypeptid erfolgt. Die genannte Struktur würde demnach als S c h a b l o n e oder M a t r i z e beim A u f b a u des Proteinmoleküls dienen, durch welche die Aufeinanderfolge der Bausteine bestimmt wird 4 ). Was hat man sich aber chemisch unter dieser Protoplasmastruktur vorzustellen ? Die oben erwähnten Beziehungen zwischen Proteinsynthese und Ribonucleinsäuren haben zur Hypothese geführt, daß die letzteren die Matrize bilden, nach welcher die Eiweißmoleküle modelliert werden. Tatsächlich kann durch verschiedene Kombination der vier Nucleotide innerhalb des Nucleinsäuremoleküls eine so ungeheure Mannigfaltigkeit verschiedener Strukturen entstehen, daß in dieser Hinsicht die Annahme einer individuellen Schablone für jedes Zellprotein keine Schwierigkeit macht. Sicher ist die Proteinsynthese ein sehr komplexer Vorgang. Wie H o a g l a n d , Z a m e c n i k u. Mitarb. neuerdings festgestellt haben, werden die aktivierten Aminosäuren aus ihrer Adenylsäureverbindung, die fest an das Fermentprotein gebunden ist (vgl. S. ,453), zuerst in reversibler Reaktion auf die früher schon erwähnte, lösliche Ribosenucleinsäure übertragen (E = Fermentprotein): E(AMP-Aminosäure) + RNS

^

E + RNS-Aminosäure + AMP

Die intermediär gebildete Verbindung reagiert nun mit einem Fermentsystem der Microsomen, wobei die Aminosäurereste in Eiweiß eingebaut werden. Der Vorgang benötigt Guanosintriphosphat 5 ). In irgendeiner Phase dieser Reaktion müssen die Aminosäuren zu den Peptidketten verknüpft werden, wobei wahrscheinlich die Ribosenucleinsäuren der Microsomen als Matrize dienen (vgl. Nachträge S. 854ff). 1

) Zusammenfg. u. Literatur vgl. z . B . B r ä c h e t : Biochemical cytology. New York 1957. ) S c h r a m m , Zschr. Naturforschg. I I B , 138 (1956); Nova Acta Leopoldina, Neue Folge, 19, 29 (1957). Literatur vgl. B r ä c h e t , 1. c. Fußnote 3 ). 8 ) Gale u. F o l k e r , Biochem. J. 59, 661, 675 (1955). Zusammenfassung vgl. G a l e , The Harvey Lectures 1955/56, Series LI, S. 25. New York 1957. 4 ) Zusammenfassung und Literatur vgl. B r ä c h e t : Biochemical cytology. New York 1957. 6 ) H o a g l a n d u. Mitarb., J . biol. Chem. 231, 241 (1958). 2

Der Eiweißstoffwechsel

456

14. Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel Für den Eiweißstoffwechsel sind zwei Drüsen mit innerer Sekretion besonders wichtig: der Hypophysenvorderlappen und die Nebennierenrinde. Unter den Hormonen des Hypophysenvorderlappens hat das W a c h s t u m s h o r m o n direkten Einfluß auf den Stoffwechsel der Proteine. Dies ist ohne weiteres verständlich. Wachstum bedeutet (jedenfalls beim tierischen Organismus) immer Vermehrung der Körpermasse durch N e u b i l d u n g organischer Substanz. Dabei spielt die Bildung von Proteinen eine wesentliche Rolle. Die Förderung des Wachstums m

Wachstumshormon

260

0--0--0-TS—o—°

1250

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P—O-S

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c»180

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5 170

qj 1 3

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lg ISO m

130

120

110

100

20

25

Abb. 47. E i n f l u ß des W a c h s t u m s h o r m o n s auf K ö r p e r g e w i c h t (oben) u n d N - R e t e n t i o n (unten) bei der Ratte. Der Pfeil zeigt die Dauer der Behandlung mit dem Hormon an. Doppelt ausgezogene Linie: Tägliche Injektionen von Wachstumshormonen; gestrichelte Linie: Kontrolle (nach Gordan u. Mitarb.1)). Man sieht, daß mit Beginn der Injektionen die Stickstoffausscheidung stark zurückgeht und das Körpergewicht anzusteigen beginnt. Die Zunahme entspricht genau der retinierten Stickstoffmenge. Gordan u. Mitarb., Endocrin. 42, 153 (1948).

Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel

457

durch das Hypophysenhormon beruht sehr wahrscheinlich auf einer Förderung des Eiweißansatzes. Es ist dabei zu beachten, daß pro Gramm Eiweißansatz gleichzeitig eine gewisse Menge Wasser im Gewebe gebunden wird. Die gesamte Gewichtszunahme ist daher bedeutend größer als der Eiweißansatz. Es ist neuerdings gelungen, das Wachstumshormon der Hypophyse in einheitlichem Zustand, frei von allen anderen Hormonen darzustellen (Li, E v a n s und S i m p s o n ) . Dadurch ist es möglich geworden, seine Wirkung exakt zu umschreiben. Man hat bei Verabreichung des Hormons folgende Wirkungen beobachtet (Li): Die Stickstoffausscheidung im Urin geht zurück; die Konzentration der Aminosäuren im Blut nimmt ab; der Eiweißgehalt des Körpers nimmt zu, während der Fettgehalt zurückgeht; der Gehalt der Leber an Ribosenucleinsäure nimmt zu; der Einbau der Aminosäuren in die Muskulatur wird beschleunigt, (gemessen an der Aufnahme von Methionin, das mit radioaktivem Schwefel (S(36>) markiert ist) 1 ). I n sehr eindrücklicher Weise zeigt sich der Einfluß des Wachstumshormons auf die Stickstoffretention in dem Versuch, der in Abb. 47 dargestellt ist. Die genannten Feststellungen sprechen alle dafür, daß das Wachstumshormon das Gleichgewicht zwischen den aufbauenden und abbauenden Vorgängen in der Zelle zugunsten des Eiweißaufbaus verschiebt. Der Mechanismus dieser „anabolischen" Wirkung ist aber noch nicht bekannt. Auch die N e b e n n i e r e n r i n d e greift, direkt oder indirekt, in den N-Stoffwechsel ein. Die Rindenhormone beeinflussen die Stickstoffbilanz des Organismus in entgegengesetzter Richtung wie das Wachstumshormon. Verabreichung von Rindenextrakten bewirkt beim normalen hungernden Tier eine vermehrte Stickstoffausscheidung im Urin. Umgekehrt ist beim nebennierenlosen Tier die Harnstoffausscheidung viel geringer als beim normalen und kann durch Rindenhormone ( K e n d a l l s Verbindung E, Corticosteron, vgl. S. 706) wieder auf den normalen Wert gebracht werden. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen (vgl. S. 332), daß die Nebennierenrinde die Gluconeogenese aus Eiweiß fördert. Die Rindenhormone wirken also „katabolisch" auf das Eiweiß; sie fördern seinen Abbau. Ein beträchtlicher Teil der mobilisierten Aminosäuren dient der Zuckerbildung. Bei fastenden nebennierenlosen Mäusen wird markiertes Glycocoll (N(15) in der Aminogruppe) rascher in die Proteine aufgenommen als bei normalen Tieren (Hoberman) 2 ). Diese Feststellung spricht dafür, daß das Gleichgewicht zwischen Abbau und Aufbau der Proteine beim Wegfall der Nebennierenrinde zugunsten des Aufbaus verschoben wird, daß also die Rindenhormone den Proteinverbrauch auf irgendeine Weise erhöhen.

Ähnlich wie die Rindenhormone wirkt das corticotrope Hormon der Hypophyse (ACTH), denn es veranlaßt die Nebennierenrinde zu vermehrter Ausschüttung ihrer Hormone. Auch bei Injektion von ACTH beobachtet man eine erhöhte N-Ausscheidung im Urin (die von vermehrter Ausschwemmung von Kalium begleitet sein kann, als Zeichen einer Einschmelzung von Gewebssubstanz) und eine Erhöhung der Aminosäurekonzentration im Blut. Über den Wirkungsmechanismus der Rindenhormone wissen wir nichts Genaues. Es ist auf Grund verschiedener Beobachtungen, die hier nicht angeführt werden können, die Vermutung ausgesprochen worden, daß die Rindenhormone für die Desaminierung der Aminosäuren nötig sind. Ihr Wegfall beim nebennierenlosen Tier würde daher die Aminosäuren stabilisieren, ihre vermehrte Zufuhr den Verbrauch der Aminosäuren durch Gluconeogenese und Oxydation fördern und dadurch eine erhöhte N-Ausscheidung herbeiführen. Doch steht diese Hypothese mit anderen Beobachtungen im Widerspruch. Wird z. B. mit Nebennierenextrakt gleichzeitig Glucose verabreicht (Versuche an der Ratte), so wird die Erhöhung der Harnstoffbildung unterdrückt; !) Eriedberg u. Greenberg, Arch. Biochem. 17, 193 (1948). 2 ) Yale J. Biol. Med. 22, 341 (1950). Vgl. auch Ann. Rev. Physiol. 13, 346 (1951).

Der Eiweißstoffwechsel

458

dagegen verhindert der Zucker die vermehrte Harnstoffbildung nicht, die nach Injektion von Aminosäuren eintritt (Engel 1 )). Würden die Rindenhormone tatsächlich auf der Stufe der Desaminierung eingreifen, so wäre schwer verständlich, warum der Einfluß der Glucose verschieden ist, je nachdem die Aminosäuren von außen zugeführt werden oder aus den Gewebsproteinen stammen. Es ist sehr wohl möglich, daß die Rindenhormone überhaupt nicht direkt in den Stoffwechsel der Proteine oder der Aminosäuren eingreifen, sondern daß der vermehrte Eiweißabbau eine sekundäre Folge von Veränderungen im Kohlenhydratstoffwechsel ist. Bei der innigen Verflechtung aller Stoffwechselvorgänge kann die Veränderung irgendeiner Reaktion Rückwirkungen in allen anderen Sektoren des Stoffwechsels zur Folge haben.

Der Hypophysenvorderlappen produziert demnach zwei Hormone, die den Eiweißstoffwechsel beeinflussen: das Wachstumshormon, das direkt an den Geweben angreift, und das corticotrope Hormon, das indirekt durch die Mobilisierung der Rindenhormone seinen Einfluß entfaltet. Trotz ihrer entgegengesetzten Wirkung auf die Stickstoffbilanz kann man aber diese Hormone nur bedingt als Antagonisten betrachten. (In bezug auf den Kohlenhydratstoffwechsel wirken sie gleichsinnig. Vgl. S. 330 u. ff.) Wachstumshormon und Rindenhormone greifen offenbar in ganz verschiedene Vorgänge ein. Das Wachstumshormon fördert den Eiweißansatz, der eine notwendige Voraussetzung des Wachstums ist. Seine Wirkung erstreckt sich wahrscheinlich auf alle Gewebe. Im Gegensatz dazu beschränkt sich die Wirkung der Rindenhormone, soweit sie den Proteinstoffwechsel betreffen, zur Hauptsache auf die Leber. Eine der hauptsächlichsten Funktionen der Nebennierenrinde besteht darin, den Kohlenhydratbestand des Organismus auch bei fehlender äußerer Zufuhr zu erhalten. Das wichtigste Mittel dazu ist — neben der Bremsung der Glucoseoxydation (S. 333) — die Gluconeogenese aus Eiweiß. Verschiedene Beobachtungen weisen darauf hin, daß die Rindenhormone primär den Kohlenhydratstoffwechsel beeinflussen. Indem sie die Oxydation der Glucose hemmen, zwingen sie wahrscheinlich die Gewebe, insbesondere das Leberparenchym, auf die Proteinreserven zurückzugreifen. Man braucht also keine direkte Beeinflussung des Proteinstoffwechsels durch die Rindenhormone anzunehmen. Der vermehrte Eiweißabbau, den sie hervorrufen, kann als automatisches Nachfließen von Betriebsstoffen aus der Eiweißreserve aufgefaßt werden, welches durch die erschwerte Oxydation der Kohlenhydrate bedingt ist. Es deuten verschiedene Beobachtungen darauf hin, daß das Wachstumshormon nur dann wirksam ist, wenn genügend Insulin produziert wird. Nach Entfernung des Pankreas läßt sich keine positive Stickstoffbilanz erzwingen, wenn mit dem Hypophysenhormon nicht gleichzeitig Insulin gegeben wird. (Die starke Wachstumshemmung beim diabetischen Kind ist schon lange bekannt.) Wie wir früher erwähnt haben, geben unter dem Einfluß des Wachstumshormons die L a n g e r h a n s s c h e n Inseln wahrscheinlich vermehrt Insulin ans Blut ab. Die Annahme liegt nahe, daß durch diese zusätzliche Insulinproduktion die Wirkung des Wachstumshormons auf den Eiweißansatz unterstützt oder vielleicht sogar erst ermöglicht wird; doch wissen wir darüber nichts Sicheres. Die Wirkung des Insulins bei Eiweißansatz und Wachstum hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß es die Oxydation der Glucose steigert. Bekanntlich ist die Energieproduktion, d. h. die Summe aller Verbrennungsvorgänge, von der Zusammensetzung der Nahrung nur wenig abhängig. Wenn daher unter dem Einfluß des Insulins mehr Kohlenhydrat verbrennt, so wird dafür weniger Eiweiß und Fett oxydiert. Beim Diabetes liegen die Verhältnisse umgekehrt: Mangel an Insulin führt zu einer stark vermehrten Verbrennung von Eiweiß und Fett. Das Insulin lenkt also gewissermaßen die Oxydationsvorgänge auf die Kohlenhydrate um und bewirkt damit, daß die von außen zugeführten Aminosäuren in vermehrter Menge als Eiweiß fixiert werden können.

Einen fördernden Einfluß auf den Eiweißansatz besitzen auch die a n d r o g e n e n H o r m o n e . Sie sind wahrscheinlich die Ursache des Wachstumsschubs beim jungen l

) Endocrinology 49, 538 (1951); Recent Progress in Hormone Research 6, 277 (1951).

Abbau und Bildung der Nucleotide und Nucleinsäuren

459

Mann in der Adolescenz (vgl. S. 747). Die Wirkung der Androgene läßt sich auch am vermehrten Einbau von markierten Aminosäuren in die Proteine erkennen 1 ). Der Eiweißabbau wird auch durch das Hormon der S c h i l d d r ü s e stark gesteigert. Es ist den Klinikern schon lange bekannt, daß Patienten mit Überfunktion der Schilddrüse (Morbus B a s e d o w ) negative Stickstoffbilanz zeigen und schwer im Stickstoffgleichgewicht zu halten sind (Fr. M ü l l e r , M a g n u s - L e v y ) . Es handelt sich hier sicher nicht um einen spezifischen Einfluß auf den Proteinstoffwechsel; das Schilddrüsenhormon regt ganz allgemein die Oxydationsvorgänge an. Bei Überproduktion werden wahllos alle Stoffe, Kohlenhydrate, Fette und Proteine, in die Verbrennung einbezogen. Bei Unterfunktion der Drüse (Myxödem) ist umgekehrt die N-Ausscheidung im Urin vermindert, was auf einen verlangsamten Eiweißumsatz schließen läßt. Nach neueren Erfahrungen scheint aber kein so einfacher Zusammenhang zwischen Schilddrüsenfunktion und Eiweißumsatz zu bestehen. Bei Ratten, denen die Thyreoidea entfernt wurde, ist die N-Ausscheidung nur vorübergehend erniedrigt. Sie scheiden drei Wochen nach der Operation ebensoviel Harnstoff aus wie die normalen Kontrollen, trotzdem sie nur die halbe Futtermenge verzehren wie die letzteren. Füttert man während einiger Tage nur Glucose, so nimmt die Harnstoffausscheidung der schilddrüsenlosen Tiere viel weniger ab als diejenige der Normaltiere, so daß sie schließlich mehr als die doppelte Menge Stickstoff verlieren als die normalen Kontrolltiere (Persike) 2 ). Diese Feststellungen sind schwer zu interpretieren. Sie zeigen aber, daß das Schilddrüsenhormon kein unentbehrlicher Faktor für den Eiweißabbau in den Geweben ist. Es scheint, daß sein Ausfall korrigiert werden kann. Offenbar ist, physiologisch gesehen, die Beschleunigung des Eiweißverbrauchs nur eine Teilfunktion im Rahmen seiner Hauptaufgabe, die im Antrieb des Stoffwechsels und der Entwicklungsvorgänge besteht.

Siebzehntes Kapitel

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel Der tierische Organismus vermag die Purine und Pyrimidine, welche in den Nucleinsäuren enthalten sind, selbst aufzubauen. Er ist von ihrer Zufuhr mit der Nahrung völlig unabhängig. Tiere können mit einer synthetischen Nahrung, die weder Nucleinsäuren noch deren Bausteine enthält, am Leben erhalten werden. Da in jeder tierischen oder pflanzlichen Zelle Nucleinsäuren enthalten sind, nimmt aber der Körper diese Stoffe mit seiner Nahrung beständig auf. Das normal ernährte Tier scheidet im Urin mehr Purinkörper aus als das fastende; der Überschuß stammt aus der Nahrung. Ein Teil der mit der Nahrung zugeführten Purine und Pyrimidine kann zum Aufbau der zelleigenen Nucleinsäuren verwendet werden. In den Zellen ist der größte Teil der Nucleinsäuren als Nucleoproteide, d. h. in Verbindung mit Eiweißkörpern, vorhanden. 1. Abbau und Bildung der Nucleotide und Nucleinsäuren Wir können zwei Gruppen von Fermenten unterscheiden, welche die hochmolekularen Nucleinsäuren abbauen. Die Fermente der ersten Gruppe zerlegen sie hydrolytisch in kleinere Bruchstücke, ohne daß dabei anorganisches Phosphat ab!) D. M. Greenberg u. Mitarb., Cold Spring Harbor Symp. Quant. Biol. 13, 113 (1948). 2 ) Persike Endocrin. 42, 356 (1948).

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel

460

gespalten wird. Dies sind die N u c l e a s e n ( N u c l e i n s ä u r e d e p o l y m e r a s e n ) . Die Fermente der zweiten Gruppe gehören zu den Phosphatasen; sie setzen aus Nucleotiden anorganisches Phosphat frei. Man kann solche Fermente als Nucleophosp h a t a s e n bezeichnen; doch steht keineswegs fest, wie weit es sich hier um spezifische Enzyme handelt. Wahrscheinlich vermögen verschiedene unspezifische Phosphatasen auch die Nucleinsäuren sowie die aus ihnen entstehenden Mononucleotide anzugreifen. Es gibt nun allerdings verschiedene Enzyme, welche spezifisch auf gewisse Mononucleotide eingestellt sind. Wir bezeichnen sie als N u c l e o t i d a s e n . Die Enzyme, welche Nucleinsäuren und Nucleotide abbauen, sind weit verbreitet; wahrscheinlich gehören sie zur Fermentausrüstung jeder Zelle. Nucleasen. Sie depolymerisieren die Nucleinsäuren ohne Abspaltung von anorganischem Phosphat, wobei etwa 60—80% in denselben in diffusible Produkte verwandelt werden. Der Rest (in der angelsächsischen Literatur gewöhnlich als ,,core" bezeichnet) besteht aus höher molekularen Polynucleotiden. Die entstehenden Mononucleotide sind ausschließlich in Stellung 3' phosphoryliert: - 0 -

Base—CHCHiOHJCHCHCHjOH O—P0 3 Hj

Es wird also die 5'-Esterbindung der Nucleinsäure hydrolysiert wie bei der alkalischen Spaltung (vgl. S. 122). Wir kennen zwei spezifisch auf Ribose- und Desoxyribosenucleinsäuren eingestellte Depolymerasen, die R i b o n u c l e a s e und die D e s o x y r i bonuclease. Beide sind aus Pankreas in kristallisiertem Zustand dargestellt worden (Kunitz). Die letztere braucht Magnesiumionen als Aktivator, die erstere nicht. In verschiedenen Organen (Kalbsleber, Stierhoden, Tumorgewebe) ist ein Protein nachgewiesen worden, das Desoxyribonuclease spezifisch hemmt. In der Milz und im Thymus, in höheren Pflanzen und in Bakterien kommen Ribonucleasen und Desoxyribonucleasen vor, die in bezug auf Spezifität und Eigenschaften von den genannten Pankreasfermenten verschieden zu sein scheinen. Offenbar umfaßt jeder der beiden Nucleasetypen eine Gruppe verschiedener Enzyme1). Besonders gut untersucht ist die Wirkung der Ribonuclease. Die bei der Einwirkung des Ferments auf Ribosenucleinsäure entstehenden Mononucleotide sind ausschließlich P y r i m i d i n n u c l e o t i d e ; die Polynucleotide besitzen als Endgruppe ein Pyrimidimiucleotid mit dem Phosphatrest in Stellung 3'. Als Zwischenprodukte sind cyklische Diester nachgewiesen worden, wie wir sie früher erwähnt haben (S. 122). Man kann aus diesen Beobachtungen schließen, daß durch die Ribonuclease ausschließlich die den Pyrimidinnucleotiden benachbarten 5'-Esterbindungen gespalten werden und daß die Hydrolyse nach folgendem Schema verläuft (Py = Pyrimidm-, Pu = Purinbase) *): Py I Oi I c2 I C3\

\

i

\

C4

o

Pu I c I c I \T

A N5

Py I c cI I C\ X

p

\

\

Py i i c 1 c 1 C\ 1

o

\o

A

\c

1

0

Pu 1 1 c 1 1 c \ 1 O \ c x

p

• c 0 I

Literatur vgl. T o d d u. Mitarb., J . ehem. Soc. 1952, 52; 1952, 2715; Ann. Rev. Biochem. 24, 311 (1955); Volkin u. Cohn, J . biol. Chem. 205, 767 (1953).

Abbau und Bildung der Nucleotide und Nu Oleinsäure Py

A AI - < x> P c—0/

Pu 1

+

C XC

A - OPOoH,

A1 Av,1 c—o. 1 iC\I > 1I C—0 C—CK 1 \"P' , c cC 11 , 0 \ cI c i

0

Py I c cI

Py Py i cj

N

C

+

Py

i\ 0

¿—OPOoH,

A A

A A

J

c \c

\c

Pu

Py

Pu

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C-Ov I > C—CK I c

+

+

+

c

c

Py I c I c I

Pu I c

+

¿x

A c

I

c

c

C\ lx0 C \ c

c\

461

c

c Daß die Ribonuclease tatsächlich die 2',3'-Phosphate der Pyrimidinnucleoside in der angegebenen Weise in die 3'-Nucleotide überführt, konnte an den synthetischen Uridin- und Cytidinverbindungen bewiesen werden. Das entsprechende Adenosin-2',3'-phosphat wird nicht angegriffen. Es zeigte sich auch, daß das Enzym einfache Ester der Pyrimidin-3'-phosphate über das cyklische 2',3'-Phosphat zum 3'-Nucleotid hydrolysiert1), z. B.: 2' Iii—OH , / 3' H C - O - P - O - C I

HA—O x

1

xOH

?VCH

4-Amino-5-carboxamidimidazol

H

Man erkennt leicht, daß die obige Verbindung durch Einfügen eines weiteren C-Atoms zu einem Purin (Hypoxanthin) ergänzt werden kann, und man vermutete daher, daß es sich um ein Zwischenprodukt der Purinsynthese handle, das in Gegenwart des Hemmstoffs nicht weiter verarbeitet werden kann. Diese Annahme hat sich bestätigt mit der Einschränkung, daß nicht das Imidazol selbst, sondern das entsprechende 5'-N-Ribotid (siehe unten) die eigentliche Zwischenverbindung ist l a ). Sie geht durch Reaktion mit aktivem Formiat direkt in das 5'-Nucleotid des Hypoxanthins, die Inosinsäure, über. E. coli kann das freie Imidazol nicht verwerten. Es haben sich aber Coli-Mutanten sowie Milchsäurebakterien gefunden, bei welchen die Substanz in genügend hoher Konzentration als Wachstumsfaktor wirkt. Die Verwendung des im Ring mit C(i4) markierten Imidazols hat ergeben, daß dasselbe bei der Taube in die Harnsäure übergeht2). Das oben genannte Ribotid konnte aus Sulfadiazin-gehemmten Coli-Kulturen sowie Taubenleberhomogenaten, welche mit Inosinsäure inkubiert worden waren, isoliert werden3). Daneben S t e t t e n u. Fox, J. biol. Chem. 161, 333 (1945); Shive, J. Am. ehem. Soc. 69, 275 (1947). ) N.B. 5' bezieht sich auf die Ribose und bezeichnet die Stellung des Phosphats: 5'-Ribotid=5'-Phosphoribosid. 2 ) Schulman u. Mitarb., Fed. Proc. 9, 225 (1950). 3 ) Greenberg, J. Am. chem. Soc. 74, 6307 (1952); Fed. Proc. 12, 211, 651 (1953); 13, 745 (1954). Literaturübersicht vgl. Schulman, in Greenberg: Chemical pathways of metabolism. Vol. II, S. 223. New York 1954. la

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel

470

wurden noch weitere Zwischenprodukte nachgewiesen, und es zeigte sich, daß das Ribose5-phosphat auf einer sehr frühen Stufe der Synthese eingeführt wird. Wie wir oben erwähnt haben, werden zwei C-Atome des Puringerüsts (Stellung 2 und 8) als Ameisensäure eingeführt; sie entstammen Verbindungen, welche im Stoffwechsel ^-Fragmente liefern. Ahnlich der Essigsäure tritt aber auch die Ameisensäure nicht als solche, sondern als reaktionsfähige „aktivierte" Verbindung in Erscheinung. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß das aktivierte Formiat sehr wahrscheinlich eine Formyltetrahydrofolsäure ist, bei welcher die Formylgruppe am Stickstoffatom in Stellung 10 sitzt (vgl. S. 798). Wir werden auf die Rolle der Tetrahydrofolsäure als „Formylüberträger" in einem späteren Kapitel zu sprechen kommen. Die nachstehend beschriebenen Reaktionen (4) und (9), an denen aktiviertes Formiat beteiligt ist, verlaufen nach folgendem Schema ((FSH4)N—CHO = Formyltetrahydrofolsäure): (FSH 4 )N-CHO + X H

>• (FSH 4 )NH + X - C H O .

Nach den gegenwärtigen Kenntnissen geht die Purinsynthese in der Vogelleber in folgender Weise vor sich: Als Vorstufe bildet sich durch eine Reaktion zwischen dem Glutamin und 5-Phosphoribosylpyrophosphat (vgl. S. 467) das 5-Phosphoribosylamin (I); Reaktionen (1) und (2): (1)

ATP + P—O —(5)Ribose

• AMP +

P_0-(5)Ribosyl-0-P-0-P

(2)

P—O —(5)Ribosyl—0—P—0—P + Glutamin

• P-0-(5)Ribosyl-NHa +

+ Glutaminsäure + P — 0 — P

I

Das Phosphoribosylamin reagiert nun mit dem Glycocoll (Reaktion (3)), wobei Glycinamidribotid (II) entsteht 1 ). („Rib" steht in allen folgenden Formeln für den Ribosylrest.) CH 2 NH 2 (3> 1 COOH

+ H 2 N—Rib—0—P

-

I

CH,NH, I A CT \NH—Rib—0—P

. Glycinamidrlbotld

II

Der nächste Schritt (Reaktion (4)) besteht in der Einführung des C-Atoms, das später die Stellung 8 einnehmen wird. Es stammt aus Formiat oder einem Donator aktiver Formylgruppen (z. B. dem jS-C-Atom des Serins). Das entstehende Zwischenprodukt ist das a-N-Formylglycinamidribotid (III) 2 ): CH 2 NH—CHO (4) I I + [HCOOH] > I a-N-Formylglycinamidribotid aktviertes Formiat

Q ^

\ J J J J

jyj,

Q

p

^

Bei der anschließenden Reaktion (5), die ATP-abhängig ist, reagiert die vorstehende Verbindung mit Glutamin. Es entsteht ein Amidin, das den Stickstoff der künftigen Stellung 3 des Purinrings enthält 3 ): (5)

I I I + Glutamin

ATP

CH 2 NH—CHO | HN ^ ° N n H — R i b — O — P

a-N-Formylglycinamidinribotid IV

Der nächste Schritt, Reaktion (6) (der ebenfalls enzymatisch ist), führt zum Ringschluß und damit zur Bildung eines Imidazolderivats 4 ): !) G. R. G r e e n b e r g u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 18, 148 (1955); G o l d t h w a i t , J.biol. Chem. 222, 1051 (1956). 2 ) G o l d t h w a i t u. Mitarb., J . Am. chem. Soc. 76, 5258 (1954); J . biol. Chem. 221, 555, 569. 1071 (1956); H a r t m a n u. Mitarb., J.biol. Chem. 221, 1057 (1956). 3 ) B u c h a n a n u. Mitarb., J . biol. Chem. 224, 1005, 1019 (1957); 225, 157 (1957). 4 ) L e v e n b e r g u. B u c h a n a n , J . biol. Chem. 224, 1005 (1957).

Synthese des Purin- und Pyrimidingerüsts (6)

IV

CH-N, II ^>CH C N/ H2n/ | Eib—0—P

>•

471

4-Aminoimidazolribotid V

Das C-Atom in Stellung 6 entstammt der Kohlensäure; das obige Imidazolribotid V wird zur entsprechenden Carbonsäure carboxyliert: HOOC^ C 4-Amino-5-imidazolC0 2 + V II CH

+

H2N Ii

9 .C / \

C C—N. -N || ^>0H >CH

4-Amino-5-carboxamidimidazol-ribotid

C-N/ VIII Rib—O—P HM/ Das Ribotid VIII kann, wie oben erwähnt, auch aus dem freien 4-Amino-5-carboxamidimidazol gebildet werden. Es scheinen zwei Wege möglieh zu sein: Bildung des Ribosids mit Ribose-1phosphat durch die Nucleotidphosphorylase und anschließende Phosphorylierung zum Ribotid (Enzyme in Hefe und Taubenleber)2), oder direkte Bildung des Ribotids mit dem oben schon erwähnten 5-Phosphoribosyl-pyrophosphat (vgl. auch S. 467) 3 ). Im letzten Schritt (Reaktion (9)) reagiert nun aktives Formiat mit dem Imidazol VIII, wobei Ringschluß eintritt und das Ribosid des Hypoxanthins, die Inosinsäure XI, entsteht 4 ): O II COOH

(9)

VIII + [HCOOH]

HN I HC

/

C

\

C—N || % C H C—N'

Inosinsäure TX

^ Aib-O-P *) L u k e n s u. B u c h a n a n , J . Am. ehem. Soc. 79, 1511 (1957). 2 ) Greenberg, J . biol. Chem. 219, 423 (1956); Korn u. B u c h a n a n , J . biol. Chem. 217, 183 (1955). 3 ) B u c h a n a n u. Mitarb., J . biol. Chem. 228, 201 (1957). 4 ) B u c h a n a n u. Mitarb., J . biol. Chem. 228, 215 (1957).

Der Nukleinsäure- und Purinstoffwechsel

472

Die obige Reaktion gibt sich auch daran zu erkennen, daß bei Inkubation von Inosinsäure mit C(14)-Formiat die erstere durch Austausch in Stellung 2 radioaktiven Kohlenstoff aufnimmt. Als Coferment der Reaktionen (4) und (9) wirkt, wie erwähnt, die Tetrahydrofolsäure. Möglicherweise ist auch das Vitamin B12 an der Synthese der Purine (und Pyrimidine) beteiligt. Dies kann aus der Tatsache geschlossen werden, daß bei Vitamin B12-abhängigen Mikroorganismen das Vitamin durch gewisse Desoxyriboside von Purin- und Pyrimidinbasen ersetzt werden kann (vgl. S. 806). Durch die Entdeckung der oben beschriebenen Reaktionen, deren Kenntnis wir den Untersuchungen verschiedener Arbeitsgruppen während der letzten Jahre verdanken, ist ein altes Problem der Biochemie, die Purinsynthese, weitgehend aufgeklärt worden1). Aus der Inosinsäure können die in den Nucleinsäuren vorkommenden Purinnucleotide gebildet werden. Durch Aminierang in Stellung 6 entsteht Adenylsäure. Als Zwischenprodukt ist Adenylosuccinat erkannt worden. Man hat in Extrakten aus Colibazillen ein Enzym nachgewiesen, welches diese Verbindung aus Inosinsäure und Asparaginsäure bildet. Die Reaktion benötigt Guanosintriphosphat 2 ). Sie ist der oben erwähnten Reaktion (7) vergleichbar. Das Adenylosuccinat kann andererseits durch ein Enzym aus Hefe, die A d e n y l o s u c c i n a s e , reversibel in Fumarat und Adenylsäure gespalten werden3). Auch hier haben wir eine analoge Reaktion in der Spaltung des Succinoarginins kennengelernt (S. 434). Die oben erwähnte Spaltung der Substanz VII in Fumarat und das Imidazolribotid VIII wird ebenfalls durch die Adenylosuccinase bewirkt4). COOHCHCH,COOH

Adenylosuccinase . ... N N—Rib -5'-phosphat Adenylosuccinat

+

N

C 0 0 H C H :

C H C 0 0 H

N—Rib-5'-pbosphat

In Bakterien (Aerobacter aerogenes, Coli) wie auch in tierischen Geweben kann Inosinsäure bei Gegenwart von DPN zu Xanthosin-5'-phosphat oxydiert werden. Durch Aminierung des entstehenden Xanthinnucleotids in Stellung 2 kann daraus Guanylsäure gebildet werden, wobei Glutamin als Stickstoffdonator wirkt5). Die Synthese des Pyrimidinrings geht von der /

^>N + Ribose-l-phosphat + H

Durch diese Reaktionen ist ein Weg zur Synthese des D P N vorgezeichnet: Synthese des Nicotinamidribosids durch Umkehrung der obigen Reaktion, Phosphorylierung des Ribosids in Stellung 5' durch ATP, Reaktion des Nicotinamidmononucleotids mit A T P nach der K o r n b e r g s c h e n Reaktion unter Bildung von Pyrophosphat und DPN. I n analoger Weise wie die Cozymase kann auch die Uridindiphosphat-glucose mit Pyrophosphat unter Bildung von Uridintriphosphat gespalten werden (vgl. S. 306). Aus dem D P N kann T P N dadurch entstehen, daß der dritte Phosphatrest durch Phosphorylierung mit A T P eingeführt wird. I n gleicher Weise wie die Pyridinnucleotide kann auch das Flavin-Adenin-Dinucleotid durch Pyrophosphat in reversibler Reaktion gespalten werden ( K o r n berg): Flavin-Adenin-Dinucleotid + Pyrophosphat

,

'

ATP + Lactoflavinphosphat.

!) Rege u. Sreenivasan, J. biol. Chem. 208, 471 (1954). 2 ) Mann u. Quastel, Biochem. J. 36, 502 (1941).

Stoffwechsel der Cofermente

475

Lactoflavin kann in Gegenwart von ATP durch eine F l a v o k i n a s e phosphoryliert werden. Umkehrung der oben angeschriebenen Reaktion liefert das Dinucleotid 1 ). Besonders eingehend hat man auch den enzymatischen Abbau und die Synthese des Coenzyms A untersucht (Strukturformel siehe S. 268). Wahrscheinlich kann das Molekül in gleicher Weise wie die oben erwähnten Cofermente durch ,,PyroPhosphorolyse" gespalten werden. Die Synthese stellt im wesentlichen die Umkehrung des fermentativen Abbaus dar. Sie verläuft in folgenden Stufen 2 ): Kinase

Pantothein + ATP 4'-Phosphopantothein + ATP

kondensierendes

Dephospho-CoA + ATP

Ferment Kinase

4'-Phosphopantothein + ADP Dephospho-CoA + Pyrophosphat CoA + ADP

Das Pantothein entsteht durch Decarboxylierung des Pantotheyl-cysteins. Im „DephosphoCoA" fehlt der in Stellung 3' der Ribose veresterte Phosphatrest3).

4. Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper Die P u r i n e werden desaminiert und oxydiert, wobei sie in H a r n s ä u r e bzw. A l l a n t o i n übergehen. H o r b a c z w e s k i erhielt beim Digerieren von Milzpulpa unter Luftdurchleitung Harnsäure. Er konnte auch feststellen, daß bei der Verfütterung von Nucleinstoffen die Harnsäureausscheidung anstieg. Es sind nun verschiedene Fermente bekannt, die entweder desaminierend oder auch oxydierend auf die Purine einwirken. Sie kommen in Leber, Darm und Milz vor. Die Aminopurine A d e n i n und G u a n i n werden durch sie in H y p o x a n t h i n und X a n t h i n verwandelt:

+ nh 3

+ HjO N

NH

N NH Xanthin

Guanin

Das Ferment wird als G u a n a s e bezeichnet. OH

NH2 + H2O

N

n / X

+ nh 3 N

NH

Hypoxanthin 1

) Literatur über Stoffwechsel der Coenzyme vgl. K o r n b e r g , in McElroy u. Glass: Phosphorus metabolism. Vol. I, S. 392. Baltimore 1951. J. biol. Chem. 182, 779 (1950). 2 ) Näheres siehe N o v e l l i u. Mitarb., Fed. Proc. 12, 675 (1953); J. biol. Chem. 207, 761, 767 (1954); J o h n s o n , Ann. Rev. Biochem. 24, 443 (1955); B a d d i l e y , Adv. Enzymol. 16. 1 (1955). 3 ) Brown u. Snell, J. Am. chem. Soc. 75, 2782 (1953); P i e r p o i n t u. H u g h e s , Biochem. J. 66, 130 (1954).

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel

476

Dieses Ferment, welches also Adenin zu Hypoxanthin desaminiert, heißt demnach A d e n a s e . Ebenso ist eine C y t o s i n d e s a m i n a s e bekannt. Es gibt aber auch Permente, welche die intakten Nucleotide und Nucleoside, möglicherweise sogar niedrige Polynucleotide desaminieren, z. B.: Inosin + NH 3 Inosinsäure + NH 3

Adenosin Adenylsäure

Es sind folgende spezifische Desaminasen beschrieben worden: 3'-Adenylsäuredesaminase, 5'-Adenylsäuredesaminase, Guanylsäuredesaminase, Adenosindesaminase, Guanosind esaminase , Cytidindesaminase. Eine ö'-Adenylsäuredesaminase findet sich im Muskel. Das Enzym ist kürzlich im kristallisierten Zustand dargestellt worden1). Es ist schon lange bekannt, daß bei der Muskeltätigkeit Ammoniak freigesetzt wird; die Adenylsäure scheint seine hauptsächlichste Quelle zu sein2).

Die o x y d a t i v e Phase besteht in einer Umwandlung von Hypoxanthin zu Xanthin, und dieses letztere wird zu H a r n s ä u r e oxydiert. Vereinigt man alle diese Vorgänge zu einem Bilde, so ergibt sich das Schema: OH

N

NH

N NH Guanin

Adenin - Desaminierung OH

OH

OH Oxyd.

NH Xanthin

N NH Hypoxanthin

—OH N

NH

Harnsäure

Die Harnsäure ist also zunächst die Verbindung, in welche alle Purine übergehen. Die Oxydation des Xanthins und des Hypoxanthins zu Harnsäure wird durch die X a n t h i n o x y d a s e bewirkt, die zur Gruppe der gelben Fermente gehört; ihre Wirkungsgruppe ist das Flavin-Adenin-Dinucleotid. Das Enzym enthält nach neueren Untersuchungen Molybdän und Eisen; doch ist nicht bekannt, ob diese Metalle für seine Funktion von Bedeutung sind 3 ). Die Xanthinoxydase kommt in der Leber vor; die beste Quelle für ihre Darstellung ist die Milch. In Gegenwart von Sauerstoff entsteht H 2 0 2 , wahrscheinlich durch direkte Oxydation des reduzierten Flavins: Hypoxanthin + [Flavin] [Flavin ]H 2 + 0 2

Xanthin + [Flavin ]H 2 [Flavin] + H 2 0 2

Die Reoxydation des reduzierten Ferments kann auch durch Methylenblau oder Cytochrom c erfolgen. Die Einzelheiten des Fermentmechanismus sind noch nicht bekannt. ») ) 3 ) 1212, 2

Y a - p i n Lee, Fed. Proc. 16, 210 (1957). E m b d e n u. Mitarb., Zschr. physiol. Chem. 179, 149 (1928). Mahler u. Mitarb., J. biol. Chem. 210, 149 (1954); A v i s u. Mitarb., J. chem. Soc. 1219; K i e l l y , J. biol. Chem. 216, 405 (1955).

Stoffwechsel der Cofermente

477

Die Xanthinoxydase ist ein Ferment von ziemlich weitem Spezifitätsbereich. Es greift auch Aldehyde an, die zu den entsprechenden Carbonsäuren dehydriert werden. Das Enzym der Milch ist identisch mit dem schon lange bekannten S c h a r d i n g e r schen Enzym. Die Harnsäure ist beim Menschen und den anthropoiden Affen das hauptsächlichste Endprodukt des Purinstoffwechsels; bei Vögeln und Reptilien ist sie, wie wir früher erwähnt haben, das Endprodukt des Stickstoffwechsels überhaupt. Die Harnsäure wird bei den meisten Säugetieren durch ein Ferment, welches als u r i c o l y t i s c h e s Ferment, U r i c a s e oder U r i c o o x y d a s e , bezeichnet wird, zu A l l a n t o i n abgebaut, einer Verbindung, die erstmals von V a u q u e l i n im Fruchtwasser, von L a s s a i g n e i n der Allantoinflüssigkeit und von W ö h l e r im Harn neugeborener Kälber beobachtet wurde. HN4-CO oA'i

N NH

H1—l—ItfH Harnsäure

• Zuckerphosphat; AG0 = + 3000 cal.

Dies ergibt für die Gleichgewiehtskonstante den Wert von log k = -

~

= - 2,106; k = 7,83-10-3.

Setzt man für Zucker (Glucose) und Phosphat wieder die Blutkonzentration (etwa 0,01-m. bzw. 0,001-m.), so würde die Gleichgewichtskonzentration des Glucosephosphats 10"' Mol/1 betragen, das ist V100000 der Zuckerkonzentration. Damit eine Synthese als Gegenreaktion einer exergonischen Spaltung in meßbarem Umfang zustande kommen kann, darf das Gleichgewicht nicht so einseitig zugunsten der Spaltung liegen wie in den vorigen Beispielen, sondern es sollten im Gleichgewichtszustand die Konzentrationen der verschiedenen Reaktionsteilnehmer von ungefähr gleicher Größenordnung sein. Damit dies möglich ist, darf die Änderung der freien Energie keinen zu_ großen absoluten Wert haben. Betrachten wir z. B. wie oben die Spaltung C
HO—PQ 3 H 2

Bilanz: R—0—P0 3 H 2 + H 2 0

>- Rr—OH + HO—P0 3 H 2

Bei den Reaktionen a) und b) werden eine 0—P- und eine 0—H-Bindung gespalten, bei den Reaktionen c) und d) eine O—H- und eine O—P-Bindung neu gebildet. Die Energieänderung ist jedesmal von der Größenordnung 50000 bis 100000 cal./Mol, während die Wärmetönung oder freie Energie der Hydrolyse nur wenige 1000 cal./Mol beträgt, eine Differenz, die von kleinen Unterschieden in der Festigkeit der gespaltenen und neu gebildeten Bindungen herrührt. Wegen verschiedener Mißverständnisse, zu denen der Begriff der „energiereichen" Bindung geführt hat, müssen wir noch auf einige IVagen kurz eingehen1). Die Wärmetönung (Änderung der Enthalpie AH) und die Änderung der freien Energie AG beziehen sich immer auf ganz bestimmte Reaktionen, die genau definiert werden müssen. Bei der Hydrolyse der uns interessierenden Phosphorsäureverbindungen entstehen saure oder basische Gruppen, die Protonen abspalten oder binden. Die Energieänderung dieser Reaktionen addiert sich daher zur Energieänderung der eigentlichen Hydrolyse. Umfang und Art der die Hydrolyse begleitenden Neutralisationsvorgänge hangen vom pH und der Pufferung der Lösung ab. Es muß daher genau festgelegt werden, auf welchen Ionisationszustand der Reaktionsteilnehmer sich AH und AG beziehen sollen. Man könnte z. B. den nicht dissoziierten Zustand der Moleküle zugrunde legen. Dann würde AH gerade der Energiedifferenz der getrennten und neugebildeten Covalenzen entsprechen (siehe das obenstehende Schema). Oder man könnte die Reaktion zugrunde legen, die sich bei konstantem pH tatsächlich abspielt. Dabei müssen die Säuren oder Basen miteinbezogen werden, welche an den begleitenden Neutralisationsvorgängen beteiligt sind. AH ist in diesem Fall gleich der direkt meßbaren Wärmetönung der Reaktion und ist von der Natur der verwendeten Pufferlösung abhängig. Die übersichtlichste und für die Anwendung geeignetste Form der Reaktionsgleichung erhält man aber, wenn man sie für diejenigen Ionenformen der Phosphorsäureverbindung und ihrer Spaltprodukte anschreibt, die beim vorgegebenen pH-Wert in der Lösung tatsächlich vorhanden sind, ohne die Reaktion der Protonen mit fremden Puffersystemen einzubeziehen. Man erhält dann für die Hydrolyse der verschiedenen „energiereichen" Bindungen bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion die folgenden Gleichungen2): (1) Pyrophosphat:

ATP 4 - + H 2 0

(2) Acylphosphat:

O II —C—0—P032-+ H20

(3) Enolphosphat:

I CH II C—O—P0 3 2 " + H 2 0 I NH2+

III

(4) Guanidinphosphat:—N—C—NH—P0 3 2 - + H 2 0 J

>

ADP 3 ~ + HP0 4 2 ~ + H+

>

O II —C—O" + H P 0 4 2 - + H+ I CH2 I C= 0 + HP042I NH2+

H «

• - N - C - N H 2 + HP042"

) Vgl. dazu G i l l e s p i e u. Mitarb., Nature 171, 1147 (1953). ) Es wird angenommen, daß das anorganische Phosphat ausschließlich als H P 0 4 — vorliegt, trotzdem dies für neutrale Reaktionen nicht genau zutrifft. Bei pH 7 würden pro Mol abgespaltenes Phosphat nur etwa 0,6 Mol H-Ionen frei. 2

Die Rolle des Phosphats usw.

489

Wenn man AH und AG auf diese Gleichungen bezieht, so ergibt sich noch der folgende Vorteil. Bei konstantem pH werden die auftretenden Wasserstoffionen durch Pufferbasen gebunden (oder, in der Gleichung 4 von einer Puffersäure abgegeben). Die Komponenten des Puffersystems stehen aber miteinander im G l e i c h g e w i c h t ; daher ist die Aufnahme oder Abgabe von Protonen (immer unter Voraussetzung eines konstanten pH-Wertes, d. h. großer Pufferkapazität) von keiner Änderung der freien Energie begleitet (laut Definition des Gleichgewichtszustandes, der durch dG = 0 gekennzeichnet ist). Der auf die obigen Gleichungen bezogene Wert von a H ist daher gerade derjenige, der in die Beziehung a G = a H — T a S eingesetzt werden muß, wenn man daraus die freie Energie berechnen will. Eine besonders wichtige Größe ist die freie Energie der Hydrolyse von ATP (Gleichung 1). Sie läßt sich leider nicht exakt bestimmen; man ist auf Schätzungen angewiesen. Genau bekannt ist die Enthalpieänderung, die der obigen Gleichung 1 entspricht. Die neueste Bestimmung hat den Wert von a H = —4800 cal. (pH = 8,0) ergeben. Bei der direkten Messung der Wärmetönung in Pufferlösung wird die Neutralisationswärme des Protons miteinbezogen. Man kann dann, je nach Art des Puffers, Werte bis zu —16000 cal. finden. Dies erklärt die wesentlich höheren Angaben früherer Autoren1). Wenn aus a H die freie Energie der Reaktion berechnet werden soll (AG = AH — TaS)» muß auch die Entropieänderung AS0 bekannt sein. Diese Größe läßt sich aber nicht direkt bestimmen. Es scheint aber, daß das Entropieglied T a S klein ist und den Betrag von 2—3000 cal. nicht übersteigt. L i p m a n n rechnete für die freie Energie der Hydrolyse das ATP mit 12000 cal. pro Anhydridbindung. Neuere Schätzungen von a G ' 2 ) führen auf den wesentlich niedrigeren Wert von etwa 8000 cal. 3 ). Wenn sich dieser Wert bestätigt, müssen natürlich alle Berechnungen der freien Energie ATP-abhängiger Reaktionen entsprechend korrigiert werden. So dürften auch die bisher angenommenen Werte für die Hydrolyse von Enolphosphat AG' = — 16200 (Meyerhof und Oesper) 4 ), von Acylphosphat AG' = — 16300 (Bücher) 6 ) und von Guanidinphosphat (Kreatinphosphat) a G 0 = — 13100 cal. (Lehmann) 6 ) in Wirklichkeit etwa 4000 cal. positiver sein. Es erhebt sich nun die Frage, durch welche Besonderheiten der Struktur eine Phosphorsäureverbindung zu einer „energiereichen" wird. Wir können auf dieses Problem nur kurz eingehen und müssen uns mit wenigen Hinweisen begnügen. Die thermodynamische Instabilität der Pyrophosphate und der Acylphosphate (die im hohen Wert von a G ' ihren Ausdruck findet) läßt sich auf Grund eines quantenchemischen Begriffs, der sog. R e s o n a n z , verstehen. Für eine genauere Erklärung müssen wir auf die Literatur verweisen'). Besonders aufschlußreich für die Klärung des Begriffs der „energiereichen" Bindung ist die Betrachtung der Hydrolyse von E n o l p h o s p h a t e n (Phosphoenolpyruvat). Hier läßt sich nämlich zeigen, daß sehr wahrscheinlich ein wesentlicher Teil des Abfalls der freien Energie bei der Hydrolyse auf die Enol-Ketoumlagerung und nicht auf die hydrolytische Spaltung der Phosphatbindung fällt. Man kann die Hydrolyse der Phosphoenolpyruvatformel in die folgenden Teilstufen zerlegen: (I) Phosphoenolpyruvat (II) Enolpyruvat + H 2 0 (III) Glycerat Bilanz: Phosphoenolpyruvat + H 2 0

»• Enolpyruvat + Phosphat -» Glycerat -» Pyruvat + H 2 0 ->

Pyruvat + Phosphat

Für Reaktion (III) hat L i p m a n n ein AG0 von 8250 cal. berechnet8). Von der Reaktion (II) kann man annehmen, daß sie nur mit einer sehr geringen Änderung der freien Energie verläuft, *) Näheres siehe K i t z i n g e r u. B e n z i n g e r , Zschr. Naturforschg. 10 b, 375 (1955). ) Erklärung von a G ' siehe S. 482. 3 ) Vgl. z.B. L e v i n t o w u. M e i s t e r , J . biol. Chem. 209, 265 (1954); weitere Literatur siehe Fußnote J ). 4 ) J . biol. Chem. 179, 1371 (1949). 6 ) Biochim. Biophys. Acta 1, 292 (1947). 8 ) Biochem. Zschr. 286, 336 (1936). ') Vgl. Oesper, Arch. Biochem. 27, 255 (1950). Über die quantenchemische Resonanz im allgemeinen siehe z . B . W h e l a n d : The theory of resonance. New York u. London 1945. R e m i c k : Electronic interpretations of organic chemistry. New York u. London 1950. 8 ) Adv. Enzymol. 1, 107 (1941). 2

490

Die Bedeutung der Phosphatbindung

da sie der Enolasereaktion vergleichbar ist, für welche aG' nur + 520 cal. beträgt. Für die Bilanzreaktion haben Meyerhof und Oesper 1 ) den Wert von 16200 cal. gefunden, der sich aber, wenn man mit den neuen, niedrigeren Werten von AG' für die ATP-Hydrolyse rechnet, auf etwa 12000 cal. reduziert. Man findet dann (unter Vernachlässigung von Reaktion (II)) für die Hydrolyse der Phosphatbindung im Phosphoenolpyruvat (Reaktion (I)) den Wert von etwa 12000— 8000 = 4000 cal. Das ist nur wenig mehr als für eine gewöhnliche Esterbindung. Es führen noch andere Überlegungen zum gleichen Resultat (Oesper, 1. c. S. 489). Wenn also die Enolphosphate als „energiereiche" Verbindungen in Erscheinung treten, so liegt dies nur zum kleinen Teil an der Phosphatbindung an sich; der große Abfall der freien Energie ist zur Hauptsache durch den Übergang der thennodynamisch instabilen Enolform in die stabile Ketoform bedingt, der sich an die Hydrolyse der Phosphatbindung anschließt. Die Enolphosphatbindung ist deshalb energiereich, weil sie die instabile Enolform fixiert. Wahrscheinlich muß in analoger Weise auch bei der Hydrolyse von Acylphosphaten ein Teil des Abfalls der freien Energie der sog. Resonanzstabilisierung des entstehenden Carboxylatanions zugeschrieben werden. Bei der Hydrolyse der G u a n i d i n p h o s p h a t e (Amidinphosphate) stellen sich ähnliche Fragen. Die Instabilität dieser Verbindungen läßt sich zum Teil, wie diejenige der Pyrophosphate, durch Verminderung der Resonanzenergie bei der Bindung des Phosphats an die Guanidingruppe erklären2). Gleichzeitig wird durch die Einführung des Phosphorylrests die Basizität der Guanidingruppe geschwächt. Bei der hydrolytischen Abspaltung des Phosphats entsteht daher eine stärkere Base. Die Guanidingruppe ist aber auch in Form ihres Phosphats noch so stark basisch, daß sie im physiologischen pH-Bereich als Guanidiniumion vorliegt3), so daß die Spaltung nicht von einem Neutralisationsvorgang begleitet ist. Auf Grund der Gleichgewichtsreaktion ATP + Kreatinphosphat

,

'

ADP + Kreatinphosphat

ist für pH = 7,8 ein Wert AG' = — 13100 cal. gefunden worden4), der aber, wie'die übrigen Werte, wahrscheinlich etwa 4000 cal. positiver angesetzt werden muß. Aus dem Vorstehenden dürfte mit genügender Klarheit hervorgehen, daß sich der Begriff der „energiereichen Bindung", so wie er in der Biochemie heute verwendet wird, einzig und allein auf eine thermodynamische Größe bezieht, nämlich die Änderung der freien Energie AG', welche bei der Hydrolyse der fraglichen Verbindungen (gemäß den Gleichungen 1 bis 4) eintritt. Der Begriff hat keine direkte Beziehung zu der Größe, die man gewöhnlich als die Energie oder die Festigkeit einer chemischen Bindung bezeichnet. Für die Unterscheidung und Charakterisierung der verschiedenen Phosphorsäureverbindungen kann man nach L o h m a n n die Hydrolysegeschwindigkeit in 1 n Salzsäure benutzen. Zwei Phosphatreste des ATP (die beiden Anhydridbindungen), Acylphosphate, Enolphosphate, Amidinphosphate werden beim Erhitzen im siedenden Wasserbad während 7 Minuten vollständig hydrolysiert.AuchGlucose-l-phosphat undFructose-l-phosphat werden unter diesen Bedingungen gespalten. Man bezeichnet derartige Phosphatgruppen kurz als labiles Phosphat (auch „7-MinutenPhosphat"). Die gewöhnlichen Esterbindungen sind viel stabiler. Einzelne Verbindungen widerstehen mehrstündigem Erhitzen mit 1 n HCl. Die Triosephosphate (Phosphoglycerinaldehyd und Phosphodioxyaceton) werden durch 1 n Alkali in 20 Minuten vollständig hydrolysiert (sog. alkalilabiles Phosphat). Wie man sieht, sind die energiereichen Phosphatbindungen alle labil; es gibt aber auch unter den „energiearmen" Esterbindungen solche, die säurelabil sind.

Es ist klar, daß eine Phosphatübertragung in meßbarem Umfang nur möglich ist zwischen Phosphorsäureverbindungen der gleichen Gruppe, z. B. zwischen zwei Estern oder zwischen zwei energiereichen Phosphatverbindungen (z. B. ATP und Phosphokreatin) oder von einer energiereichen Phosphatverbindung auf einen Ester. Dagegen kann eine energiereiche Phosphatbindung nicht durch Übertragung des Phosphatrests aus einem Ester oder gar aus anorganischem Phosphat entstehen. Diese Reaktionen sind stark endergonisch und können, wie oben ausgeführt wurde, J . biol. Chem. 179, 1371 (1949). ) O e s p e r , Arch. Biochem. 27, 268 (1950). 3 ) Vgl. M e y e r h o f : Die chemischen Vorgänge im Muskel, S. 95. Berlin 1930. Meyerhof u. L o h m a n n , Biochem. Zschr. 196, 49 (1928). *) L e h m a n n , Biochem. Zschr. 286, 336 (1936). 2

Die Rolle des Phosphats usw.

491

nur durch Koppelung mit energieliefernden Prozessen zustande kommen. Im Schema Abb. 48 (in Anlehnung an Lipmann) sind die möglichen Wege der Transphosphorylierung angedeutet. Zur Illustration möge die Angabe dienen, daß z. B. bei der Umkehrung der Hexokinasereaktion selbst bei einer (physiologisch niemals erreichbaren) Konzentration des Glucose-6phosphats und des A D P von 0,1 Mol/1 die Konzentration des A T P im Gleichgewichtszustand nur 5 • 10 ~9 Mol/1 betragen würde. Es ist kaum denkbar, daß in einer Zelle durch raschen Verbrauch des ATP seine Konzentration jemals so niedrig gehalten werden könnte, daß die Hexokinasereaktion in umgekehrter Richtung verläuft. d 6' cal/Mol

TraiisphoaphöryUerun.g

„ energicreiches" Phosphat

10000 ff,

+ /?,-

fh

S000

f sterphosphat \

i \ Phosphat- I anorganisches Phosphat

Abb. 48. E n e r g i e n i v e a u d e r P h o s p h a t b i n d u n g e n (nach L i p m a n n ) (AG' in g cal.). Bei der Spaltung von Ester-, Acylphosphat- oder Pyrophosphatbindungen stellt sich immer die Frage, ob an der Sauerstoffbrücke die P—O- oder die C—O-Bindung gelöst wird (bei unsymmetrisch substituierten Pyrophosphaten, welche der beiden P—O-Bindungen gespalten wird). Erfolgt bei der Hydrolyse die Trennung an der P — 0 -Bindung, so nimmt das freigesetzte Phosphat, erfolgt sie an der C—O-Bindung, so nimmt der andere Partner Sauerstoff aus dem Wasser auf: a)

C - 0 - j - P 0 3 H 2 + HO*—H

C-OH + H0*-P03H2

b)

C - j - 0 - P 0 3 H 2 + HO*—H

C-ÖH + H0-P03H2

Bei der Transphosphorylierung wird im ersten Fall eine Phosphorylgruppe (—P0 3 H 2 ), im zweiten eine Phosphatgruppe (—O—P0 3 H 2 ) übertragen. [Man h a t diese Frage in verschiedenen Fällen durch Verwendung von Verbindungen, welche das Sauerstoffisotop 0( 1 8 ) in einer Hydroxylgruppe enthielten (Wasser, Phosphat, Alkohole), entscheiden können ( M i l d r e d Cohn) 1 ). Bei der Einwirkung von Phosphatasen (die bekanntlich J . biol. Chem. 180, 771 (1949).

492

Die Bedeutung der Phosphatbindung

auch als Phosphoryl-Transferasen wirken können) und von Kinasen wird die P—O-Bindung gelöst, und zwar im letzteren Fall diejenige P—O-Bindung des ATP, welche dem endständigen P-Atom am nächsten liegt: Ad—0—P— 0 — P - O - j - P . Es wird also immer ein Phosphorylrest übertragen. Eine C—O-Spaltung gemäß Reaktion b) findet dagegen bei Einwirkung von Phosphorylasen statt. Bei der Hydrolyse der Guanidinphosphate (d. h. der P—N-Bindung) muß das Phosphat notwendigerweise Sauerstoff aus dem Wasser aufnehmen1).

Der allgemeine Verlauf der Phosphorylierungsvorgänge stellt sich also folgendermaßen dar: die freie Energie der Oxydation und der Glycolyse wird zur Bildung energiereicher Phosphatverbindungen benutzt, die anschließend durch Gleichgewichtsreaktionen auf andere Verbindungen übertragen werden können. Die phosphorylierten Verbindungen sind zu synthetischen Reaktionen befähigt, bei welchen das Phosphat gegen andere Reste ausgetauscht und als anorganisches Phosphat wieder abgespalten wird. Die Energie der Phosphatbindung bleibt dabei ganz oder teilweise in Form einer neuen organischen Bindung (Ester, Amid, Peptid usw.) erhalten. Auf diese Weise kann die freie Energie der Oxydation, anstatt in Wärme zerstreut zu werden, zum Aufbau neuer (endergonischer) Bindungen benutzt werden. Das Phosphat wird durch die Oxydation auf ein hohes Energieniveau gehoben, von dem es unter Arbeitsleistung (organische Synthesen usw.), wie das Gewicht einer Uhr, wieder auf die Stufe des anorganischen Phosphats absinkt. Das Phosphat durchläuft in der Zelle derart einen Cyklus ( P h o s p h a t c y k l u s ) » der sich schematisch folgendermaßen darstellen läßt:

oxydative und glycolytische Phosphorylierung

organisch gebundenes Phosphat

~ Verbrauch der Phosphatbindungen

anorganisches Phosphat

Wir wollen im folgenden einige wichtige Reaktionen, (die meist früher schon besprochen wurden oder in den nachfolgenden Kapiteln noch behandelt werden) unter den neu gewonnenen Gesichtspunkten kurz betrachten. 3. Glycolytische (anaerobe) Phosphorylierung Unter den glycolytischen Reaktionen führen zwei zur Bildung von energiereichem Phosphat, die Dehydrierung des Phosphoglycerinaldehyds durch die Cozymase und die Bildung der Phosphoenolbrenztraubensäure aus der 2-Phosphoglyceiinsäure (siehe S. 288 und 289). Die erste führt zur Bildung von Acylphosphat in Form des N e g e l e i n - E s t e r s : H R — ¿ = 0 + HP i +1 x .

Die entkoppelnde Wirkung des Arsenats läßt sich wahrscheinlich dadurch erklären, daß es an Stelle des Phosphats in die Reaktionen einbezogen wird, wobei aber die intermediären Verbindungen wegen ihrer großen Labilität spontan zerfallen. Die oben erwähnte Tatsache, daß beim Fehlen von A D P die Oxydation des Wasserstoffs durch die Atmungskette gehemmt ist, zeigt deutlich, daß zwischen ihr u n d den Reaktionen, die zur Aufnahme des Phosphats führen, ein enger Zusammenhang besteht. „Entkoppelung" !) Vgl. L e h n i n g e r , The Harvey Lectures 1953/54, Sériés X L I X , S. 176. New York 1955. S l a t e r , Nature 172, 975 (1953); L a r d y , Conférences et Rapports, 3 m e Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 287. Liège 1956. C h a n c e u. W i l l i a m s , Adv. Enzymol. 17, 65 (1956). 2 ) J . biol. Chem. 219, 489. 507, 519 (1956). 32«

500

Die Bedeutung der Phosphatbindung

bedeutet nicht, daß die Reaktionen der Atmungskette nun völlig unabhängig vom phosphorylierenden System ablaufen, sondern nur, daß an Stelle des Phosphats ein anderer Körper, das „entkoppelnde" Reagens, in eine der Teilreaktionen eingreift. Auch bei der Substratphosphorylierung ist eine Entkoppelung möglich: Bei der Oxydation des Triosephosphats wird in Gegenwart von A r s e n i a t dieses letztere an Stelle des Phosphats an die Carboxylgruppe addiert; statt der 1,3-Diphosphoglycerinsäure (Negelein-Ester) entsteht die l-Arseno-3-phosphoglycerinsäure. Das Acylarseniat ist aber so labil, daß es sofort zerfällt und damit den Ablauf der Reaktion ohne Phosphat und Phosphatakzeptor und ohne begleitende Phosphorylierung ermöglicht. I n diesem Zusammenhang muß nochmals auf die oben schon erwähnten Arbeiten v o n M a r t i u s hingewiesen werden. Wie das Schema S. 251 zeigt, werden durch das Phyllochinon die Cytochromreduktasen (Diaphorasen) der klassischen Atmungskette überbrückt. Es bestehen demnach zwischen den Pyridincofermenten und den Cytochromen zwei parallele Wege des Wasserstofftransportes. M a r t i u s nimmt an, daß nur der über Phyllochinon führende Weg mit einer Phosphorylierung gekoppelt ist, nicht aber der „klassische" Weg, der über die Diaphorasen direkt zur Cytochromkette führt. Die Phosphorylierung wird nämlich durch solche Stoffe gehemmt (z.B. Dicumarin), welche die Reduktion des Phyllochinons durch DPNH blockieren. Man kann daher annehmen, daß diese Stoffe, indem sie die Reduktion des Phyllochinons blockieren, den Wasserstoff auf die Diaphorasen ableiten. Wir haben in den vorangehenden Kapiteln unser Augenmerk hauptsächlich auf die Umwandlungen der Substrate gerichtet, wie sie in den verschiedenen Reaktionsreihen und Reaktionscyklen zum Ausdruck kommen. Wir sehen nun, daß, unter dem Gesichtspunkt der Energiegewinnung betrachtet, die Natur der Zwischen- und Endprodukte v o n sekundärer Bedeutung ist, sofern nur die Dehydrogenasen vorhanden sind, welche die Hydrierung der Cofermente gestatten. Die Reaktionsreihen und -cyklen stellen nur die Maschinerie dar, welche dem eigentlichen energieliefernden System den Wasserstoff zuführt. L i p m a n n faßt die Beziehung zwischen d e m Abbau der Substrate und der Bildung der energiereichen Phosphatbindungen in das folgende einfache Schema zusammen (Abb. 49).

~ph

•ph

•ph

Abbau der

Substrate

Abb. 49 (nach L i p m a n n ) . A t m u n g s k e t t e n p h o s p h o r y l i e r u n g . Dieses Schema deutet an, daß die Oxydation des Substratwasserstoffs, welche der Zelle die Hauptmenge der energiereichen Phosphatbindungen liefert, ein vom Abbauweg der Substrate abzweigender unabhängiger Vorgang ist.

Oxydative Phosphorylierung

501

Die Pasteursche Reaktion. Wie wir früher bereits erwähnt haben (S. 281), versteht man darunter die Unterdrückung der anaeroben Gärung bei Zutritt von Sauerstoff. W a r b u r g hat gezeigt, daß nicht der Sauerstoff als solcher wirksam ist; denn wenn man die Atmung durch Kohlenmonoxyd oder Blausäure hemmt, so tritt die P a s t e u r s c h e Reaktion nicht ein; d. h. die Gärung bleibt erhalten, trotzdem der Sauerstoff nach wie vor Zutritt zu den Zellen hat. Es muß also der Atmungsprozeß als solcher oder ein unmittelbar mit ihm verknüpfter Vorgang sein, welcher die Gärung beeinflußt. Wir erwähnen die P a s t e u r s c h e Reaktion an dieser Stelle, weil sie in einem engen Zusammenhang mit der oxydativen Pho sphorylierung steht. Merkwürdigerweise heben nämlich die gleichen Stoffe, welche die oxydative Phosphorylierung entkoppeln, auch die P a s t e u r s c h e Reaktion auf; so steigt z. B. bei Gegenwart von 2,4-Dinitrophenol die Gärung der Hefe auch bei Sauerstoffzutritt auf den anaeroben Wert an. Dies läßt vermuten, daß zwischen der Phosphorylierung und der P a s t e u r s e h e n Reaktion ein enger Zusammenhang besteht. Wahrscheinlich wird das Verhältnis von Gärung (Glycolyse) und Atmung durch das der Zelle zur Verfügung stehende anorganische Phosphat bestimmt ( L y n e n ; J o h n s o n ) . Die oxydative Phosphorylierung verbraucht pro Molekül Glucose bedeutend mehr anorganisches Phosphat als die Glycolyse (30 Moleküle statt 4). Die Gärung kann ohne Phosphat nicht ablaufen; außerdem benötigen die glycolytischen Vorgänge zur Dephosphorylierung der Intermediärprodukte (Diphosphoglycerinsäure und Phosphobrenztraubensäure) ADP als Phosphatakzeptor. Die die Atmung begleitende intensive Phosphorylierung v e r b r a u c h t d a s a n o r g a n i s c h e P h o s p h a t und vermindert durch weitgehende „Aufladung" des Adenylsäuresystems die Konzentration der Phosphatakzeptören. Die Gärung wird also gehemmt. Bei Sauerstoffmangel dagegen steht die oxydative Phosphorylierung still. Die Spaltung des ATP und der übrigen Phosphorsäureverbindungen überwiegt die Synthese. Daher nimmt, die Konzentration des anorganischen Phosphats und des DPN zu, und die Gärung kommt in Gang. „Entkoppelung" der oxydativen Phosphorylierung durch Dinitrophenol führt trotz fortdauernder Atmung zum gleichen Resultat: Die Atmung hat jetzt keinen Einfluß auf die Gärung, weil die begleitende Phosphorylierung ausgeschaltet ist; es liegt der Zustand der „aeroben" Gärung vor. Die skizzierte Theorie gibt eine plausible Erklärung für die Abhängigkeit der Gärung von der Atmung. Sie zeigt gleichzeitig, wie in der Zelle der Ablauf der glycolytischen Reaktion durch die oxydativen Vorgänge reguliert werden kann. Der vom Sauerstoff unabhängige Zerfall des Kohlenhydrats wird nur in dem Maße zugelassen, als das Pyruvat (und anderes oxydierbares Material) verbrannt wird. Dadurch ist eine ökonomische Verwertung der Betriebsstoffe gewährleistet 1 ). Wenn auch die obige Theorie die P a s t e u r s c h e Reaktion im Prinzip wohl richtig erklärt, so scheinen doch noch andere Vorgänge in den Mechanismus einzugreifen, der Atmung und Gärung miteinander verbindet. Unter anaeroben Bedingungen wird von der Hefe bedeutend mehr Zucker abgebaut als unter aeroben; da in atmenden Zellen mehr ATP gebildet wird als in gärenden, sollte man eher das Gegenteil erwarten, weil durch Erhöhung der ATP-Konzentration die Hexokinasereaktion begünstigt wird. L y n e n weist darauf hin, daß man die verschiedene Lokalisation der Fermentsysteme in der Zelle, d. h. die chemische Organisation der Zelle berücksichtigen muß, wenn man diese Vorgänge verstehen will. Die oxydative Phosphorylierung findet in den Mitochondrien Vgl. L y n e n , Liebigs Ann. 546, 120 (1941); J o h n s o n , Science 94, 200 (1941); LennerStrand, Naturwiss. 25, 347 (1937).

Die Bedeutung der Phosphatbindung

502

statt; die glycolytischen Enzyme finden sich im Cytoplasma. Es ist daher möglich, daß in der atmenden Zelle Adenosinphosphate vom Cytoplasma nach den Mitochondrien verschoben werden, so daß das Cytoplasma an ATP verarmt 1 ). Möglicherweise sind noch andere Faktoren zu berücksichtigen. Die Adenosinpolyphosphate bilden mit dem Mg++ Komplexe, und zwar nimmt die Affinität zum Metall mit wachsender Länge der Phosphatkette zu. Wenn also bei der Atmung das Adenylsäuresystem phosphoryliert wird, so kann mehr Mg++ gebunden werden; möglicherweise tritt Mg++ vom Cytoplasma in die Mitochondrien über. Da die Hexokinase ein Mg-abhängiges Enzym ist, könnte ihre Aktivität auch auf diese Weise herabgesetzt werden2).

Zel/substanz Fettsäuren

Aminosäuren

Zucker

Hydrolyse

Proteine, Lipide,

Glycogen Nuclelnsäuren.etc.

phosphorylierte

"S3 «äi

Jntermediärstufen

s 5>

.CO

Ì? s

• CH 3 C0-0-R Ester

+ h2n-r

ch3co-nh-r Säureamid

Der zur Acetylierung mit Acetat nötige Hub der freien Energie erfolgt auf Kosten des ATP, entsprechend den oben mitgeteilten (oder anderen ähnlichen) Mechanismen. Alle anschließenden Vorgänge sind Gleichgewichtsreaktionen. Es ist auch ein Austausch des Acetylrests zwischen verschiedenen N-Acetylverbindungen möglich. Es muß schließlich noch daran erinnert werden, daß auch andere Säurereste durch CoA aktiviert werden können. Wir haben früher die Hippursäuresynthese besprochen, bei der als Zwischenprodukt Benzoyl-CoA auftritt. Bei der Synthese der Triglyceride reagieren die CoA-Verbindungen der höheren Fettsäuren mit dem Glycerin. Bei der Porphyrinsynthese kondensiert sich Succinyl-CoA mit dem Glycocoll (vgl. S. 597). Es zeigt sich immer mehr, daß Essigsäure ein wichtiger Baustein aller möglichen Synthesen ist und daß sie durch Bindung an das Coenzym A reaktionsfähig gemacht wird. Die aktivierte Essigsäure entsteht nun aber im Stoffwechsel in der Regel nicht aus freiem Acetat, sondern, wie erstmals M a r t i u s am Beispiel der Citronensäuresynthese vermutet hat, direkt aus den organischen Substraten, die beim Abbau zwei Kohlenstoff-Fragmente von der Oxydationsstufe der Essigsäure liefern. Eines der wichtigsten Beispiele dieser Art bildet der Abbau der Brenztraubensäure. Hier entsteht durch oxydative Decarboxylierung direkt ein C 2 -Fragment, das sich mit Oxalacetat zu Citrat kondensieren und damit in den Citronensäurecyklus eintreten kann. Die Reaktion kann, wie wir früher bereits erwähnt haben, folgendermaßen formuliert werden (vgl. S. 268): CO,

COOH C=0 7 CHj

+

HS—[CoA]

+

,0

Cef i S—[CoA] CHa

aktivierte Essigsäure

Der Vorgang verläuft unter Beteiligung der Lipoinsäure und der Cocarboxylase, ist aber n i c h t vom ATP abhängig. Die freie Energie der Dehydrierung kann hier direkt zum Aufbau der Acetylmercaptanbindung verwendet werden. Die oxydative Decarboxylierung des Pyruvats ist stark exergonisch (AG 0 =—-16500 cal.). Da nach neueren Bestimmungen die freie Energie der Acetylmercaptanbindung etwa 12400 cal. beträgt, ist die obige Reaktion immer noch exergonisch und kann daher in Richtung des Pfeils zu Ende verlaufen. Die Decarboxylierung des a-Ketoglutarats verläuft, wie früher gezeigt wurde, in gleicher Weise wie beim Pyruvat. Das Succinat tritt hier zuerst als Succinyl-CoA auf, welches nachträglich phosphorylierend oder hydrolytisch gespalten wird. Näheres vgl. S. 270. Das intermediär gebildete Succinyl-CoA kann aber auch den Bernstein-

ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge

515

säurerest, analog der Acetylgruppe, auf aromatische Amine übertragen und z. B. Succinyl-Sulfanilamid bilden ( S a n a d i und L i t t l e f i e l d ) . Vgl. auch Porphyrinsynthese S. 596. Eine direkte Bildung von aktivierter Essigsäure muß auch beim Abbau der Fettsäuren angenommen werden. Die Fettsäuremoleküle werden in ^-Stellung oxydiert; aus den entstehenden /?-Ketosäuren wird das C 2 -Fragment als aktivierte Essigsäure abgespalten und in den Citronensäurecyklus einbezogen. Umgekehrt entstehen die Fettsäureketten durch Kondensation von aktivierter Essigsäure. Wie wir früher gezeigt haben (S. 356), wird beim Fettsäureabbau das AcetylCoenzym A in umkehrbarer Reaktion durch „Thiolyse" von /S-Ketosäuren geliefert nach dem folgenden allgemeinen Schema: S> C 0 2 + 2ATP + 2TPNH 2 .

Durch diese Reaktion würden demnach die beiden Stoffe geliefert, welche für die anschließende Fixierung des C0 2 nötig sind: ein Reduktionsmittel, TPNH 2 und ATP, letzteres, nach der oben stehenden Bilanzgleichung zu schließen, allerdings in ungenügender Menge (2 Moleküle statt 3). Der Rest müßte durch die vom Licht unabhängige oxydative Phosphorylierung geliefert werden. Wir sind aber noch weit von einer wirklichen Einsicht in diese Vorgänge entfernt.

Die photolytische Spaltung des Wassers, die bei der Photosynthese zur Reduktion der Kohlensäure führt, scheint nur ein besonderer Fall eines allgemeinen Reaktionstypus zu sein. Verschiedene zur Photosynthese befähigte Bakterien verwenden nicht Wasser, sondern andere anorganische oder organische Verbindungen als Wasserstoffdonatoren. So können Schwefelbakterien (Thiorhodaceae) H 2 S unter Bildung von freiem Schwefel oder von Sulfat oxydieren: oder:

C0 2 + H 2 S

Licht

2 C0 2 + H 2 S + 2 H 2 0

Licht

> (CH 2 0) + H a O + 2 S -

2 (CH 2 0) + H 2 S0 4 .

Diese Bakterien verwerten auch alle möglichen zwischen Schwefelwasserstoff und Sulfat liegenden Oxydationsstufen des Schwefels (elementarer Schwefel, Sulfit, Thiosulfat). Gewisse nicht vom Schwefel abhängige Purpurbakterien ( A t h i o r h o d a c e a e ) benutzen bei der photochemischen Reduktion des C0 2 an Stelle des Schwefels organische Stoffe wie Fettsäuren oder Alkohole; z. B. 2 ): C0 2 + 2CH 3 CH(OH)CH 3

Llcht

->

(CH 2 0) + 2CH 3 COCH s + H 2 0 .

Purpurbakterien sowie auch gewisse Grünalgen (nach Anpassung) vermögen die Reduktion des C0 2 sogar durch gasförmigen Wasserstoff durchzuführen: C0 2 + 2H 2

Licht

,

(CH 2 0) + H 2 0 .

Man muß annehmen, daß hier der Wasserstoff zuerst durch die Hydrogenase fixiert wird (vgl. S. 253) und daß die dabei entstandene Verbindung als Wasserstoffdonator f ü r die Photoreduktion dient.

Man erkennt leicht, daß sich die erwähnten Beispiele der Photosynthese auf ein und dieselbe Formel bringen lassen (van Niel): COa + 2H 2 A

Licht

. > (CHaO) + H 2 0 + 2A .

Je nachdem A Sauerstoff, Schwefel oder ein organischer Rest ist, erhält man die verschiedenen Typen der Photosynthese. In allen Fällen wird die Strahlungsenergie durch die absorbierenden Pigmente aufgefangen und dazu benutzt, ein Molekül aufzuspalten, wobei ein oxydiertes und ein reduziertes System erzeugt wird. Das erstere x ) W h a t l e y u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 16, 605 (1955); Zusammenfassung und Literatur vgl. A r n o n u. Mitarb., Science 127,1026 (1958). 2 ) Z o s t e r , J. gen. Physiol. 24, 123 (1941).

Die Assimilation des Stickstoffs

529

wird stabilisiert (als 0 2 , Schwefel, Sulfat usw.); das letztere ist reaktionsfähig und vermittelt die Photoreduktion des COj 1 ). Es ist sehr aufschlußreich, die zur Photosynthese befähigten Schwefelbakterien den pigmentlosen, nicht photosynthetisch wirksamen gegenüberzustellen. Die ersteren oxydieren den Schwefel durch eine photochemische Dismutation, wobei letzten Endes die Kohlensäure der reduzierte Partner ist. Die farblosen Schwefelbakterien dagegen (z. B. Thiobacillus thio-oxydans) oxydieren den Schwefel durch den Luftsauerstoff; sie vermögen aber die dabei freiwerdende Energie zur Reduktion der Kohlensäure, d. h. zur Synthese organischer Substanz, zu verwerten. Man hat dies als Chemosynthese bezeichnet ( P f e f f e r ) , oder man sagt, daß diese Organismen chemo-autotroph sind, denn sie brauchen zu ihrer Ernährung keine vorgebildeten organischen Stoffe wie die heterotrophen Organismen, sondern sind imstande, wie die p h o t o - a u t o t r o p h e n Lebewesen ihre Kohlenstoffverbindungen aus C0 2 aufzubauen. Bei Thiobacillus thio-oxydans läßt sich die Oxydation des Schwefels von der mit ihr gekoppelten Fixierung des C0 2 trennen. Wenn man die Organismen zunächst unter Ausschluß von Kohlensäure den Schwefel vollständig oxydieren und die Kohlensäure nachträglich zutreten läßt, so wird die letztere assimiliert. Es scheint, daß sich während der Oxydation energiereiches Phosphat sammelt, das später bei der Reduktion der Kohlensäure verbraucht wird2).

Zu den chemo-autotrophen Bakterien gehören auch die nitrifizierenden (siehe unten); sie gewinnen ihre Energie durch die Oxydation des Ammoniaks zu Nitrit und des Nitrits zu Nitrat. Schließlich gibt es noch Bakterien (Leptothrix ochracea), die den Abfall der freien Energie vom Ferrosalz zum Ferrisalz auszunutzen vermögen. Auch die heterotrophen Organismen, darunter die höheren Tiere, sind imstande, anorganische Kohlensäure zu fixieren. Wir haben diese Reaktionen früher ausführlich besprochen (vgl. S. 274). Aber die Heterotrophen müssen die Energie für die Reduktion des C0 2 durch Oxydation der organischen Substanzen gewinnen. Der oxydative Abbau derselben ist jedoch in der Bilanz die genaue Umkehrung der Kohlensäureassimilation. Es wird also für jedes fixierte C0 2 -Molekül letzten Endes ein solches wieder abgegeben. D i e C 0 2 - F i x i e r u n g b e d e u t e t d a h e r b e i d e n H e t e r o trophen bilanzmäßig keinen Gewinn an organisch gebundenemKohlenstoff! Wahrscheinlich ist die Chemosynthese der organischen Substanzen phylogenetisch älter als die Photosynthese. Solange den Organismen der photochemische Apparat nicht zur Verfügung stand, konnte Kohlenstoff nur bei gleichzeitiger Oxydation anorganischer Stoffe (Schwefel, Ferrisalze) oder vorgebildeter organischer Stoffe fixiert werden. Im letzten Fall ist der Gesamtzuwachs an organischer Substanz gleich Null; im ersten wird er durch das beschränkte Vorkommen geeigneter anorganischer Wasserstoffdonatoren begrenzt. Erst die Erwerbung eines zur Transformation der Lichtenergie befähigten Systems erlaubte eine unbeschränkte Synthese organischer Substanz aus Kohlensäure. Denn nun konnte das Wasser als Reduktionsmittel der Kohlensäure benutzt werden. Die Energiezufuhr von außen ermöglichte es, den Sauerstoff als 0 2 zu eliminieren, während er bei allen rein chemischen Oxydoreduktionen durch einen Akzeptor aufgenommen werden muß. 2. Die Assimilation des Stickstoffs Einen ähnlichen Kreislauf wie der Kohlenstoff durchläuft der Stickstoff. Auch hier stellt die Atmosphäre eine für die organische Welt unerschöpfliche Reserve dar. 1 2

) Näheres vgl. Van Niel, Adv. Enzymol. 1, 263 (1941). ) Vgl. J. gen. Physiol. 26, 89, 103, 157 (1942).

84 L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

530

Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs

Es gibt aber nur eine beschränkte Zahl von Organismen, welche den Luftstickstoff direkt verwerten können. Dies sind vor allem gewisse bodenbewohnende Bakterien, A z o t o b a c t e r und Rhizobium. Azotobacter vermag seine Stickstoffverbindungen aus gasförmigem Stickstoff aufzubauen, wenn ihm gleichzeitig Glucose als Kohlenstoffquelle und Brennmaterial dargeboten wird. Stickstoffbindung und Glucoseverbrauch sind einander proportional. Der Organismus kann auch Ammoniumsalze als Stickstoffquelle benutzen; in Gegenwart derselben fixiert er aber keinen Luftstickstoff, sondern deckt seinen Bedarf ausschließlich auf Kosten der dargebotenen Stickstoffverbindung. Bei Darreichung von markiertem gasförmigem Stickstoff und markiertem Ammoniumion findet man in den Bakterienproteinen die gleiche Verteilung des Isotops unter die verschiedenen Aminosäuren. Man kann daher annehmen, daß bei der Fixierung des Luftstickstoffs das Ammoniak eine Zwischenstufe ist. Merkwürdigerweise hängt die Stickstoffixierung durch Azotobacter von der Gegenwart kleinster Mengen von Molybdän ab. Wächst der Organismus auf Kosten von Ammoniumsalzen, so braucht er kein Molybdän (siehe S. 531). Besonders merkwürdig ist die Stickstoffbindung durch die Bakterien der Wurzelknöllchen bei den Leguminosen, die Rhizobien. Dieser Organismus bindet keinen Luftstickstoff, wenn er frei im Boden lebt. Er ist in diesem Fall wie auch die Wirtspflanze auf vorgebildete Stickstoffverbindungen angewiesen. Nur wenn er in den Wurzelknöllchen in Kontakt mit den Säften der Wirtspflanze lebt, ist er imstande, das Stickstoffgas zu verwerten. Die Stickstoffbindung durch Rhizobium ist also eine Leistung der Symbiose zwischen den beiden Organismen, zu der weder das Bakterium noch die Wirtspflanze für sich allein befähigt ist. Der Mechanismus der Stickstoffixierung in den Wurzelknöllchen ist noch nicht aufgeklärt. V i r t a n e n nahm an, daß der gasförmige Stickstoff zuerst zu Hydroxylamin reduziert wird. Das letztere reagiert mit Oxalessigsäure, die von der Wirtspflanze geliefert wird, unter Bildung von Oximinobernsteinsäure, welche weiter zu Asparaginsäure reduziert wird. Aus der letzteren können andere Aminosäuren durch Transaminierung gebildet werden. Nach neueren Untersuchungen mit markiertem Stickstoff scheint eher die Bildung von Ammoniak die erste Stufe der Stickstoffixierung darzustellen; die Verteilung des N-Isotops in den Stoffwechselprodukten ist nahezu dieselbe, wenn N a (16) und N (16) H S zugeführt werden1). Die organischen Stickstoffverbindungen zerfallen durch die Einwirkung von Mikroorganismen unter Freisetzung von Ammoniak. Durch die sog. „nitrifizierenden" Bakterien des Bodens (Nitrosomonas und N i t r o b a c t e r ) wird das Ammoniak zu Nitrit und weiter zu Nitrat oxydiert, welches sowohl von gewissen Mikroorganismen als auch von höheren Pflanzen wieder zu Ammoniak zurückreduziert und verwertet werden kann, jedenfalls über Nitrit als Zwischenstufe. In der Tat können verschiedene Bakterien, z. B. Escherichia coli, Clostridium Welchii, sowie Pilze (Neurospora, Aspergillus) Nitrat zu Nitrit reduzieren, wobei ein besonderes Ferment, die N i t r a t a s e ( N i t r a t - R e d u k t a s e ) , wirksam ist: NH,+ T

Nitrosomonas

NO,

Nitrobacter

-

Nitrat-Reduktase (Bakterien, Filze)

NO.

grüne Pflanzen l ) B u r r i s u. Mitarb., J . biol. Chem 224, 351 (1957); 225, 287, 723 (1957); Fed. Proc. 16, 148 (1957).

531

Die Assimilation des Stickstoffs

Die Nitrat-Reduktase ist ein Flavoprotein, das Molybdän komplex gebunden enthält1). Die prosthetische Gruppe istFlavin-Adenin-Dinucleotid. Sie ist leichter dissoziabel als bei anderen gelben Fermenten. Das Enzym vermittelt die Reduktion des Nitrats durch Pyridincofermente: TPNH + H+ + NO,"

• TPN+ + N0 a " + H , 0 .

Die erste Stufe der Reaktion, die Reduktion des Flavins durch das TPNH, hängt nicht vom Molybdän ab, wohl aber die zweite, die Reduktion des Nitrats durch das reduzierte Flavin2). Das Ferment ist aus Extrakten von Neurospora crassa, Aspergillus niger und gewissen Hefen in gereinigtem Zustand dargestellt worden3). Ein Enzym, das in ähnlicher Weise Nitrit reduziert, wurde in grünen Pflanzen nachgewiesen4).

Alle Lebewesen, die nicht Luftstickstoff zu binden vermögen, hängen letzten Endes von den genannten N2-fixierenden Organismen ab. Die von den letzteren gebildeten organischen Stickstoffverbindungen zerfallen früher oder später unter Bildung von Ammoniumsalzen, die von den höheren Pflanzen, direkt oder nachdem sie von nitrif¿zierenden Bakterien zu Nitrat oxydiert worden sind, aufgenommen werden. Es gibt Bakterien, welche Nitrat oder Nitrit wieder zu freiem Stickstoff reduzieren können und damit den Kreislauf des Luftstickstoffs schließen. Zu diesen „denitrifizierenden" Organismen gehören die sog. C h r o m o b a k t e r i e n (verschiedene Arten von S e r r a t i a , Familie der Enterobacteriaceae) sowie P s e u d o m o n a d a c e e n . Im folgenden Schema ist der Kreislauf des Stickstoffs in vereinfachter Form dargestellt: Azotobacter _ , °^m8aolnonaB

j^jj Harnstoff, Harnsäure

grüne Pflanzen Abbau, Fäulnis tierische Proteine

Aminosäuren

Die obigen Ausführungen zeigen, in welch enger Weise tierisches und pflanzliches Leben miteinander verknüpft sind. Das gesamte organische Leben bildet ein Ganzes, in welchem jeder Teil die Existenz des anderen voraussetzt. Die Stoffe, welche von den chlorophyllführenden Pflanzen hervorgebracht werden, bilden die Grundlage des tierischen Lebens ; die grünen Pflanzen wiederum hängen von den stickstoff bindenden Mikroorganismen ab, die ihrerseits heterotroph sind, usw. Es ergibt sich aus diesen gegenseitigen Beziehungen eine Fülle biologischer Probleme, auf die wir hier im einzelnen nicht eingehen können. !) N a s o n u. Mitarb., Nature 172, 34 (1953); J. biol. Chem. 207, 341, 353 (1954). ) Nicholas u. N a s o n , J. biol. Chem. 211, 183 (1954). 3 ) N a s o n u. E v a n s , Arch. Biochem. Biophys. 39, 234 (1952) ; J. biol. Chem. 202, 655 (1953) ; Plant Physiol. 28, 233 (1953); Silver, J. Bacteriol. 73, 241 (1957). *) N a s o n u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 15, 159 (1954). a

34*

IV. Teil

Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe

Zwanzigstes K a p i t e l Die V e r d a u u n g und die V e r d a u u n g s s e k r e t e Die wenigsten Nahrungsstoffe werden dem Körper in einer direkt verwertbaren Form zugeführt. Von den Kohlenhydraten können nur die einfachen Zucker im Darm direkt aufgenommen werden. Die Stärke, die meistens den größten Teil der Nahrungskohlenhydrate ausmacht, ist ein sehr hochmolekularer Stoff, der, auch wenn er in Lösung gebracht wird, das Darmepithel nicht zu durchdringen vermag. Dasselbe gilt von den meisten Proteinen. Die Fette sind überhaupt wasserunlöslich. Es ist die Aufgabe der Verdauungsvorgänge, diese Stoffe so weit abzubauen, daß sie im Darm absorbiert werden können. Die Verdauungsorgane haben eine doppelte Aufgabe: eine mechanische und eine chemische. Die mechanische besteht darin, die Nahrung zunächst zu zerkleinern und dann dem Darmrohr entlang zu schieben (Peristaltik), die chemische in der Bereitung der Verdauungssekrete, d. h. der Fermente und Hilfsstoffe, welche den Abbau der Nährstoffe besorgen. Der normale Ablauf des gesamten Vorgangs von der Aufnahme der Nahrung in die Mundhöhle bis zur Ausstoßung der nicht verwertbaren Reste erfordert eine genaue Koordination der Teilvorgänge, sowohl der Motorik als auch der Sekretion. Die Steuerung dieser Vorgänge geschieht teils auf nervösem Weg (durch Reflexmechanismen), teils auf humoralem Weg (durch Hormone). Was die Motorik des Darms und ihre, Steuerung durch das vegetative Nervensystem betrifft, müssen wir auf die Lehrbücher der Physiologie verweisen. Die chemische Arbeit der Verdauungsfermente wird teilweise im Kapitel über Fermente, teilweise in den Kapiteln über den Stoffwechsel der Kohlenhydrate, Fette und Proteine besprochen. Wir geben hier eine kurze Übersicht über die Fermentausrüstung der einzelnen Darmabschnitte und die Eigenschaften der verschiedenen Verdauungssekrete. In das Lumen des Verdauungsrohres münden zahlreiche Drüsen, die teilweise ihren Sitz in der Schleimhaut selbst haben, teilweise zu selbständigen Organen ausgebildet sind (Speicheldrüsen, Pankreas, Leber). Über die ganze Länge des Verdauungstrakts sind in der Mucosa Schleimdrüsen oder im Epithel eingestreute schleimbildende Zellen vorhanden. Ihr Sekret überzieht die ganze Oberfläche des Darms mit einer Schicht und macht sie gleitend und gewährt gleichzeitig auch einen gewissen Schutz für die Epithelien. Man bezeichnet die im Sekret der Schleimzelle enthaltene Substanz, die ihm die charakteristische Beschaffenheit eines „Schleimes", d. h. einer zähen, fadenziehenden Flüssigkeit verleiht, als Mucin. Es handelt sich aber nicht um einen einheitlichen

Der Speichel

533

Stoff, sondern um Gemische, deren Hauptbestandteile Mucoide sind (Mucoid = Protein + hexosaminhaltiges Mucopolysaccharid). Über ihre Zusammensetzung ist im einzelnen wenig bekannt. Genauer untersucht ist das Mucin der Submaxillaris. Man kann daraus durch Fällung einzelne Mucoidfraktionen abtrennen; die eine liefert bei der Hydrolyse Glucosamin und eine Säure, wahrscheinlich Gluconsäure. Daneben kommt ein neutrales Mucoid vor, das Glucosamin und Mannose im Verhältnis 1: 2 enthält.

1. Der Speichel An seiner Bildung sind bekanntlich die drei Drüsenpaare der Submaxillaris, der Subungualis und der Parotis beteiligt. Die Sekrete der einzelnen Drüsen sind unter sich verschieden. Die Parotis ist eine „seriöse" Drüse. Ihr Sekret enthält kleine Mengen von koagulierbarem Eiweiß, bei verschiedenen Tierarten auch eine Amylase, währenddem die Submaxillaris hauptsächlich Mucin und nur wenig Amylase produziert. Die Menge und Zusammensetzung des Speichels hängt von der Beschaffenheit der Nahrung ab. Wie die klassischen Versuche P a w l o w s beim Hund gezeigt haben, wird durch Einbringen von Fleisch oder feuchter Nahrung der Speichelfluß kaum vermehrt. Das Sekret stammt hauptsächlich aus der Submaxillaris und ist mucinreich und daher viskos. Wird umgekehrt trockene Nahrung verabreicht oder z. B. Sand auf die Zunge gebracht, so wird im Gegenteil eine große Menge dünnflüssigen Speichels produziert, der von Parotis und Submaxillaris geliefert wird. Es besteht also eine gewisse A n p a s s u n g s f ä h i g k e i t an die Art der Nahrung. Was die der Speichelsekretion zugrunde liegenden nervösen Reflexe betrifft, sei auf die Lehrbücher der Physiologie verwiesen. Der Salzgehalt des Speichels ist geringer als derjenige des Blutes: d e r S p e i c h e l i s t g e g e n ü b e r d e m B l u t h y p o t o n i s c h (Gefrierpunktsdepression 0,1—0,3°). Seine Produktion bedeutet also eine osmotische aktive Leistung. Daß der Speichel nicht einfach ein Ultrafiltrat des Blutes ist, geht auch aus den berühmten Versuchen C. L u d w i g s (1850) hervor, welcher zeigte, daß bei Reizung der Chorda tympani der Druck, unter welchem der Speichel von der Submaxillaris sezerniert wird, doppelt so hoch sein kann wie der gleichzeitig gemessene Druck in der Carotis. Außerdem nimmt bei der Reizung das Volumen der Drüse zuerst ab, nicht zu, wie dies der Fall sein müßte, wenn die vermehrte Sekretion ein immittelbarer Effekt der vermehrten Durchblutung wäre. Wie bei den meisten Drüsen zeigen sich auch in den Speicheldrüsen bei der Sekretion charakteristische histologische Veränderungen. Die ruhenden Drüsenzellen sind reich an Sekretgranula. Nach andauernder Stimulation hat die Zahl der Körnchen stark abgenommen, und das Volumen der Zellen ist geringer. Es werden also im Verlauf der Sekretion die Granula ausgestoßen. Zusammensetzung des gemischten Speichels (mittlere Werte): Wasser Feste Stoffe, total . . . Organische Stoffe . . . Anorganische Stoffe . . Mucin Rhodanid

99,3% 0,7% 0,5% 0,2% 0,3% 0,03%

Das im Speichel vorhandene Rhodanid CNS~ wird als Entgiftungsprodukt des Cyanids CN - aufgefaßt, aus dem es sich leicht bilden kann. Außer im Speichel (und wahrscheinlich den anderen Verdauungssekreten) wird es auch im Urin ausge-

534

Die Verdauung und die Verdauungssekrete

schieden. Das pH des frischen Speichels ist etwa 6,4—7. Beim Stehen wird er durch C02-Verlust alkalischer. Wahrscheinlich spielt dies bei der Bildung des Zahnsteins eine Rolle. Der Speichel ist auch ziemlich reich an Citrat (1—2 mg Citronensäure pro 100 ccm). Die wichtigste Funktion des Speichels besteht in der gründlichen Durchfeuchtung trockener Nahrung während des Kauens. Die Partikel werden dabei von einer Schleimschicht umhüllt, welche sie gleitfähig macht. Beim Menschen und denjenigen Tierarten, deren Speichel Amylase (Ptyalin) enthält, besteht eine zweite Funktion in der Hydrolyse der Stärke. Der Stärkeabbau durch die Speichelamylase geht zur Hauptsache im Magen vor sich und dauert so lange, bis die Ingesta vom sauren Magensaft durchtränkt worden sind. Dabei ist der Umstand von Bedeutung, daß die Ingesta im Magen nicht sofort vollständig vermischt werden, sondern daß eine gewisse Schichtung stattfindet, bei der die zuletzt aufgenommenen Anteile zuinnerst liegen, also zunächst nicht mit dem sauren Magensaft in Berührung kommen. Die Speichelamylase vermag aber auch unter günstigen Umständen nur einen kleinen Teil der gesamten Stärke zu spalten. Die Speichelamylase ist eine dextrinogene (a-)Amylase. Amylase kommt vor im Speichel des Menschen und der Affen, in etwas kleinerer Menge beim Schwein, während bei den anderen Tierarten nur eine sehr geringe oder überhaupt keine Fermentaktivität festzustellen ist.

Bei den Wiederkäuern besteht eine weitere Funktion des Speichels in der N e u t r a l i s a t i o n der o r g a n i s c h e n S ä u r e n , welche durch die Fermentation der Kohlenhydrate, vor allem der Cellulose, im Pansen entstehen. Die Speichelmenge und der Alkaligehalt des Speichels sind hier auch sehr groß (vgl. S. 280). Beim Menschen wurde, beim Fehlen eines besonderen Reizes für die Speichelsekretion, ein Speichelfluß von 0,1—0,8 ccm pro Minute gemessen. Die Tagesmenge dürfte etwa 1500 ccm erreichen. 2. Der Magensaft Für den Magensaft ist der hohe Gehalt an freier Salzsäure charakteristisch, der im Maximum den Betrag von etwa 0,15 Mol/Liter erreichen kann. Der pH-Wert auf der Höhe der Sekretion liegt etwa bei pH 1,5. Die hohe Acidität des Magensafts hemmt die Entwicklung von Bakterien und wirkt sogar bactericid. Dadurch wird verhindert, daß im Magen Fäulnis oder Gärung eintritt. Die Fermente des Magensafts sind das Pepsin (pH-Optimum zwischen pH 1,5 und 2) und eine Lipase. Im Kälbermagen (4. Abteilung des Wiederkäuermagens = Abomasum) findet sich das Labferment (Chymosin); im menschlichen Magensaft scheint eine Proteinase vorzukommen, die bei pH 4-—5 maximale Aktivität zeigt und daher als Kathepsin bezeichnet werden kann ( F r e u d e n b e r g und Buchs) 1 ). Das Vorkommen eines solchen proteolytischen Ferments wird indessen von einzelnen Autoren bestritten. Das Pepsin wird wahrscheinlich in den Hauptzellen der Fundusdrüsen gebildet und als inaktives Proferment, Pepsinogen, ausgeschieden, welches durch Spuren von Pepsin autokatalytisch aktiviert wird (Näheres siehe S. 193). Die Lipase des Magens besitzt ein pH-Optimum, das je nach Substrat und Tierart von pH 5—8 variiert. Auf alle Fälle ist das Ferment im sauren Magensaft unwirksam. Es wirkt offenbar, bevor die Ingesta vollständig mit dem sauren Sekret durchtränkt sind. !) Buchs, Annales Paediatrici 156, 1 (1940); Enzymol. 8, 385 (1940); Buchs: Biologie des Magenkathepsins; Basel 1947. Taylor, Biochem. J. 71, 73 (1959).

Der Magensaft

535

Das Labferment bringt die Milch zur Gerinnung. Wie H a m m a r s t e n erstmals zeigte, handelt es sich um ein proteolytisches Enzym, das bei leicht saurer Reaktion verschiedene Proteine spaltet. Es ist daher verständlich, daß alle Proteinasen imstande sind, die Milch zu koagulieren. Sehr wirksam ist z. B. Chymotrypsin, ferner auch gewisse Fermente aus Pflanzen und Bakterien, so der Milchsaft gewisser Euphorbiaarten, des Feigenbaums, Ficus carica, die Früchte von Withania coagulans (Solanaceae), die in Indien zur Käsebereitung verwendet werden. Sehr viel wurde darüber gestritten, ob das Labferment und das Pepsin zwei verschiedene oder ein einziges Ferment sind. Hauptsächlich P a w l o w nahm die Identit ä t der beiden Fermente an. Dagegen konnte H a m m a r s t e n zeigen, daß man jede der beiden Wirkungen unabhängig von der anderen abschwächen kann; die Labwirkung wird bei stark saurer Reaktion, das Pepsin bei leicht alkalischer Reaktion teilweise zerstört. Neuerdings ist das Labferment aus dem Kälbermagen kristallisiert dargestellt ( B e r r i d g e ) und seine Individualität eindeutig bewiesen worden. Es ist möglich, daß die Proteinase (Kathepsin), welche im Magensaft des Menschen bei p H 4—5 wirksam ist (siehe oben), ein dem Chymosin ähnliches Ferment ist. Man hatte früher angenommen, daß die Magenschleimhaut auch ein ureaseähnliches Ferment enthält, das imstande ist, Harnstoff zu Ammoniak und Kohlensäure zu zerlegen. Man beobachtet nämlich bei Patienten mit Urämie, d. h. sehr hohem Harnstoffgehalt des Blutes, oft einen deutlichen Ammoniakgeruch der Atemluft. Es scheint aber, daß die Ureasewirkung der Magenschleimhaut auf Bakterien zurückzuführen ist und nicht auf ein von der Schleimhaut selbst produziertes Enzym1).

Ein weiteres, und zwar lebenswichtiges Produkt der Magenschleimhaut ist der sog. „intrinsic factor". Näheres darüber siehe S. 803 und S. 807. Im Gegensatz zum Speichel ist der Magensaft mit dem Blut isotonisch. Gefrierpunktsdepression A = 0,55°. Zusammensetzung Gesamtacidität Chloride Feste Stoffe, total Organische Stoffe Anorganische Stoffe

. . . .

g/100 ccm 0,45% HCl = 0,12 Äqu./l 0,5 % = 0,14 Äqu./l 0,55 0,41 0,14

B i l d u n g d e r S a l z s ä u r e . Die Magenschleimhaut besitzt die einzigartige Fähigkeit, freie Salzsäure zu produzieren; im Magensaft stehen dem Chlorion nicht nur Natriumionen gegenüber wie in den Körpersäften, sondern Wasserstoffionen. Der Nüchternsaft, d. h. das Sekret, das ausgeschieden wird, wenn der Sekretionsreiz der Nahrung fehlt, ist viel weniger sauer als der Saft auf der Höhe der Sekretion; mit dem Einsetzen der Sekretion nimmt das Verhältnis Na+ : Cl~ ab. Sehr wahrscheinlich sind es die B e l e g z e l l e n der Magendrüsen, welche die Salzsäure produzieren. Die Frage, auf welche Weise die hohe Wasserstoffionenkonzentration zustande kommt, hat die Physiologen von jeher beschäftigt, und es sind im Laufe der Zeit verschiedene Theorien entwickelt worden. Sicher ist die Ausscheidung der H + -Ionen eine physiologische Leistung der Zelle. Die H + -Ionen sind im Magensaft gegenüber dem Blut rund um das 106-fache konzentriert. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Stoffwechsel und Salzsäure!) Vgl. Kornberg u. D a v i e s , Physiol. Rev. 35, 169 (1955).

Die Verdauung und die Verdauungssekrete

536

Produktion zeigt sich auch darin, daß bei Zusatz von Histamin zur Magenschleimhaut in vitro sowohl die Bildung der Salzsäure als auch der Sauerstoffverbrauch stark gesteigert werden; unter anaeroben Bedingungen wird dagegen keine Salzsäure abgegeben (Davies). Untersuchungen an der isolierten Schleimhaut haben gezeigt, daß bei der Sekretion von Salzsäure in Richtung des Lumens (vom Epithel nach außen) eine genaue äquivalente Menge Alkali in umgekehrter Richtung abgegeben wird1); diese Feststellving ist mit der älteren Vorstellung unvereinbar, daß die Wasserstoffionen des Magensekrets von einer im Stoffwechsel der Drüsenzellen entstehenden organischen Säure geliefert werden. Wenn man einen abgebundenen Sack aus der Schleimhaut des Froschmagens in Bicarbonatmilieu bringt, das mit einer COa-haltigen Atmosphäre im Gleichgewicht steht, so sezerniert er nach innen Salzsäure; die Außenflüssigkeit absorbiert gleichzeitig eine äquivalente Menge C0 2 , d. h. es wird nach außen eine der Salzsäure äquivalente Menge Alkali (Hydroxylionen) abgegeben. Dies wäre nicht möglich, wenn die Wasserstoffionen aus einer organischen Säure stammen würden. Denn in diesem Falle würde deren Anion zur Neutralisation des Alkali dienen, und es müßte kein C0 2 absorbiert werden. Man muß also annehmen, daß an der Oberfläche der Salzsäureproduzierenden Zellen Wasser in H+ und O H - zerfällt (HaO H+ + OH - ), wobei durch einen noch völlig unbekannten Mechanismus die Wasserstoffionen nach außen (in das Lumen der Drüse) abgegeben werden, während die OH--Ionen durch C0 2 neutralisiert werden und als Bicarbonat ins Blut gelangen: OH- + C0 2

HC0 3 - oder OH" + H 2 C0 3

H 2 0 + HCO s -.

In schematischer Darstellung : innen (Lumen der Drüse)

Mucosa

H+

außen (Blut)

H,0

/

.CO,

/

OH-

ci-

\

\

Cl-

HCO,"

Im Zusammenhang mit der Salzsäurebildung ist die Beobachtung von großem Interesse, daß die Belegzellen sehr reich an Kohlensäureanhydrase sind, dem Ferment, welches die reversible Reaktion C0 2 + HaO bzw. C0 2 + 0H~ ^

H s C0 3 HC0 3 -

katalysiert (vgl. S 211). Daß es die Belegzellen sind, welche das Ferment enthalten, folgt aus dem Vergleich der Fermentaktivität von Gefrierschnitten aus der Schleimhaut mit der Zahl der in unmittelbar benachbarten Schnitten enthaltenen Belegzellen, die sich durch Auszählen unter dem Mikroskop feststellen läßt (Davenport). Diese Entdeckung hat zur Vermutung geführt, daß die Kohlensäure irgendwie an der Bildung der Salzsäure beteiligt ist. Eine ältere Ansicht ging dahin, daß die Kohlensäure selbst die Wasserstoffionen liefert. Die Kohlensäureanhydrase würde dazu dienen, die Überführung des C0 2 in H 2 C0 3 zu beschleunigen. Nach den oben angeführten neueren Ergebnissen entstehen aber die H+-Ionen durch Dissoziation des Wassermoleküls. *) Vgl. Davies, Biochem. J . 42, 609 (1948).

Der Pankreassaft

537

D i e F u n k t i o n der K o h l e n s ä u r e a n h y d r a s e b e s t e h t d a r i n , die für die N e u t r a l i s a t i o n der H y d r o x y l i o n e n n ö t i g e K o h l e n s ä u r e zu liefern:

C02 + H20 H2COs + o h -

Kohlensäureanhydiase

h 2 co 3 hco3- + h2o

Wenn man die Geschwindigkeit der n i c h t katalysierten Reaktion (Bildung der Säure aus dem Anhydrid ohne Ferment) auf Grund der bekannten Daten berechnet, so findet man, daß sie im Vergleich zur Geschwindigkeit der Salzsäurebildung viel zu gering wäre, um die entstehenden« OH--Ionen fortlaufend zu neutralisieren. Das Vorkommen größerer Mengen Anhydrase in den Belegzellen ist daher verständlich. Die Rechnung zeigt, daß ein großer Überschuß vorhanden ist (Davies und Roughton) 1 ). Besonders eindrücklich zeigt sich die Beteiligung der Carboanhydrase an der Salzsäurebildung darin, daß Hemmstoffe des Enzyms (Verbindung ,,6063", vgl. S 212) die Salzsäuresekretion fast völlig unterdrücken2).

Die Salzsäuresekretion durch die Magenschleimhaut wie auch die Motilität des Magens scheinen unter dem Einfluß gewisser Stoffe zu stehen, die in der Duodenalschleimhaut produziert werden. Ewald und Boas beobachteten 1886, daß Olivenöl, einer sonst fettfreien Nahrung zugesetzt, die Salzsäureproduktion und die Entleerung des Magens beim Menschen hemmt. Die Schule von Pawlow konnte später im Tierversuch zeigen, daß ein Kontakt der Duodenalschleimhaut mit dem Fett nötig ist, wenn der Effekt zustande kommen soll. Es lag nahe, einen nervösen Reflexmechanismus anzunehmen. Aber Versuche von I v y und Mitarb. bewiesen schließlich eindeutig, daß der Erscheinung ein humoraler Mechanismus zugrunde liegt, denn die Sekretionshemmung läßt sich auch an operativ isolierten Magentaschen bei sicherer Unterbindung aller nervösen Verbindungen noch nachweisen. Aus Duodenalschleimhaut, die vorher mit Olivenöl in Kontakt war, wurden durch Salzextraktion und Fällung mit Pikrinsäure oder Gerbsäure Präparate hergestellt, welche bei intravenöser Injektion sowohl die Sekretion als auch die Motilität des Magens unterdrücken. Der wirksame Stoff wurde Enterogastron genannt. Über seine chemiche Natur ist nichts bekannt. Ein ähnlich wirkender Stoff ist aus Urin isoliert worden (Urogastron). Er zeigt in seiner Wirkung und seinem Verhalten gewisse Verschiedenheiten gegenüber dem Enterogastron. Es ist nicht bekannt, ob zwischen den beiden Stoffen eine Beziehung besteht in dem Sinne, daß z. B. das Urogastron Ausscheidungspunkt des Enterogastrons wäre3). 3. Der Pankreassaft Die Verdauung der Fette und des größten Teils der Stärke wird vom Sekret des Pankreas besorgt. An der Eiweißverdauung hat das Pankreassekret wesentlichen Anteil. Es enthält die folgenden Fermente: Proteasen: Trypsin, Chymotrypsin, Carboxypolypeptidase, alle drei in Form unwirksamer Vorstufen ausgeschieden. Über die Aktivierung von Trypsinogen und Chymotrypsinogen siehe S. 195. Die von W a l d s c h m i d t - L e i t z beschriebene Protaminase des Pankreas ist möglicherweise eine Carboxypolypeptidase. a-Amylase: Wirkung siehe S. 208. Lipase ( = Steapsin): Wirkung und Aktivierung siehe S. 201. Cholesterinesterase, wahrscheinlich identisch mit derjenigen des Blutserums, und eine sog. Lecithinase B, welche aus dem Lysolecithin die Fettsäure abspaltet. !) D a v i e s , Biochem. J. 42, 618 (1948). 2 ) J a n o w i t z u. Mitarb., Am. J. Physiol. 171, 325 (1952). 3 ) Literatur vgl. Bibliographie.

538

Die Verdauung und die Verdauungssekrete

Das Pankreas enthält auch Fermente, welche Nucleinsäuren abbauen (Nucleasen oder Nucleodepolymerasen, vgl. S. 460). Ob sie in das Sekret übergehen, ist nicht sicher bekannt. Die Fermente des Pankreas haben ihr Wirkungsoptimum meist bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion. Der Pankreassaft ist leicht alkalisch, weil er eine beträchtlich© Menge Bicarbonat enthält. Währenddem im Magensaft im Vergleich zur Körperflüssigkeit ein Teil des Natriums durch H + -Ionen ersetzt ist, nimmt im Pankreassekret das Bicarbonatanion teilweise die Stelle des Chlorids ein. Reaktion: pH etwa 8,7. Das Sekret ist annähernd isotonisch mit dem Blut. Es enthält etwa 1,5% feste Stoffe, davon etwa 0,5% Proteine (Enzyme). Unter dem Einfluß von Pilocarpin oder bei Reizung des Vagus wird ein Saft produziert, der weniger alkalisch ist als der normale, aber viel mehr feste Stoffe (bis 6,5%, davon 5% Proteine) enthält. Das Protoplasma der ruhenden Drüse ist reich an Körnchen (Zymogengranula), welche den gegen das Lumen der Drüsenkanälchen gerichteten Teil der Drüsenzelle einnehmen und wahrscheinlich die Enzyme enthalten. Wenn ein Sekretionsreiz die Zelle trifft, so werden sie in das Drüsenkanälchen ausgestoßen, das Protoplasma hellt sich auf und erscheint nur noch in seinem dem Drüsenlumen zunächst liegenden Teil granuliert (Heidenhain). Man kann diese Veränderungen sogar an der lebenden Drüse feststellen ( K ü h n e und S h e r i d a n Lea).

4. Das Sekretin Die Sekretionstätigkeit des Pankreas wird von einem Stoff angeregt, der in der Duodenalschleimhaut gebildet oder freigesetzt wird, wenn der saure Mageninhalt mit der Schleimhaut in Berührung kommt. Dieser Stoff, das Sekretin, wird auf dem Blutweg dem Pankreas zugeführt und veranlaßt die Ausschüttung des Sekrets. Die Tatsache, daß die Pankreassekretion in Gang gesetzt wird, wenn gewisse Stoffe, besonders Säuren, mit der Duodenalschleimhaut in Berührimg kommen, war bereits Pawlow bekannt. Man faßte die Reaktion der Drüse aber als einen nervösen Reflex auf. Die richtige Interpretation wurde erst von B a y l i s s und S t a r l i n g (1902) gegeben, welche zeigten, daß der Effekt auch dann noch eintritt, wenn alle Nervenverbindungen des Pankreas durchtrennt werden. Sie stellten saure Extrakte aus der Duodenalschleimhaut her, welche (nach Neutralisation und Filtration) in die Blutbahn injiziert eine kräftige Sekretion veranlaßten. Damit war gezeigt, daß es sich nicht um einen nervösen, sondern einen humoralen Mechanismus handelt, d. h. um eine stoffliche Wirkung, welche das Erfolgsorgan auf dem Blutweg erreicht. Diese Erkenntnis hatte eine große allgemeine Bedeutung. Die Versuche von B a y l i s s und S t a r l i n g zeigten zum erstenmal in eindeutiger Weise, daß von einem bestimmten Organ (im vorliegenden Fall von Duodenalschleimhaut) ein Stoff gebildet werden kann, der als „chemischer Sendbote" („chemical messenger") an das Blut abgegeben wird und ein anderes Organ (hier das Pankreas) zur Tätigkeit anregt. B a y l i s s und S t a r l i n g schlugen für derartige Stoffe den Namen „Hormon" vor (von opiaotco = ich rege an). Die humorale Übertragung des Reizes wurde später mit verfeinerter Technik endgültig sichergestellt. Man kann z. B . ein unter die Haut verpflanztes Stück Pankreas durch Fütterung oder Einbringen von Säure in eine isolierte Darmschleife zur Sekretion bringen. ( I v y und F a r r e l l ) . Das Sekretin ist ein P o l y p e p t i d . Die Angaben über das Molekulargewicht schwanken stark (zwischen 1800 und 14000). Wahrscheinlich stellen die beschriebenen Präparate z. T. Gemische des aktiven Peptids mit anderen Stoffen dar1). Neuerdings scheint die Darstellung eines ziemlich reinen Produkts gelungen zu sein 2 ). *) G r e e n g a r d u. I v y , Am. J . Physiol. 124, 427 (1938); H a m m a r s t e n u. Mitarb., Biochem. Zschr. 264, 275 (1933). 2 ) G e r s h b e i n u. K r u p , J . Am. ehem. Soc. 74, 679 (1952).

Die Galle

539

Sekretin ist sehr empfindlich gegen Alkali. In Lösungen über pH 3 ist es sehr unbeständig. Es erträgt aber kurzes Kochen in stark saurer Lösung.

Die Ausschüttung des Sekretins wird wie gesagt vor allem durch Säuren ausgelöst. Es scheint, das auch Galle wirksam ist. Beim Fehlen der Salzsäure im Magensekret (Achylie) scheint die letztere der auslösende Faktor zu sein. Unter dem Einfluß des Sekretins wird ein stark alkalisches Sekret produziert, das relativ arm an Fermenten ist und dessen eine Funktion darin besteht, den sauren Speisebrei zu neutralisieren. (Dies ist notwendig, weil die Fermente des Pankreas und der Darmschleimhaut bei stark saurer Reaktion nur wenig wirksam sind.) Die Sekretion des zur Neutralisation der Säure nötigen Alkali wird also durch Vermittlung des Sekretins durch die Säure selbst in Gang gesetzt. I m Gegensatz zum Sekretin bewirkt die Reizung des Vagus die Produktion eines sehr fermentreichen, aber wenig alkalischen Sekrets. Man nahm früher an, daß überhaupt Sekretin nur die Ausscheidung von Alkali, nervöse Stimulation der Drüse dagegen nur die Sekretion der Fermente anrege. Dies trifft aber nicht zu. Wenn sich genügend Pankreassekret in den Darm ergossen hat, um die Säure zu neutralisieren, so hört die Sekretinbildung und damit der Reiz zur Sekretion von Alkali auf, bis ein neuer Schub von saurem Mageninhalt in das Duodenum gelangt. In ähnlicher Weise wie auf das Pankreas wirkt Sekretin auch auf die Leber ein. Es stimuliert die Bildung der Galle. Diese schon von B a y l i s s und S t a r l i n g beobachtete Wirkung ist neuerdings mit reinem Sekretin und mit einer Technik, die alle Fehlermöglichkeiten ausschließt, bestätigt worden. Neben dem Sekretin soll in der Duodenalschleimhaut noch ein Stoff gebildet werden, das Pankreozymin, welches ebenfalls durch Säurewirkung freigesetzt wird und die Ausschüttung der Pankreasfermente stimuliert. 5. Die Galle Unter den zahlreichen Funktionen der Leber ist die Produktion der Galle eine der wichtigsten. Das Sekret ist vor allem durch seinen Gehalt an Gallensäuren, Cholesterin und Gallenfarbstoff charakterisiert. I n der Gallenblase wird Wasser rückresorbiert. Die Blasengalle ist daher bedeutend konzentrierter als die Lebergalle. Die Reaktion der Lebergalle ist leicht alkalisch (pH = 7,7), bedingt durch einen gegenüber dem Blut etwas erhöhten Gehalt an Bicarbonat. Gefrierpunktsdepression A = 0,56°. Sie ist also mit dem Blut isotonisch. Die Blasengalle ist in der Regel etwas saurer (pH = 6,8). Unter den Gallensäuren ist die wichtigste die Cholsäure; daneben kommt in der Galle des Menschen noch etwas Desoxycholsäure vor (Chemie der Gallensäuren siehe S. 59). Die Gallensäuren finden sich in der Galle in Form von Konjugaten mit dem Glycocoll und dem Taurin als Glycocholsäure und Taurocholsäure, und zwar als deren Alkalisalze. Sie können durch saure oder alkalische Hydrolyse gespalten werden. Die Glycocholsäure fehlt in der Galle der Fleischfresser. Die gallensauren Salze sind stark oberflächenaktiv. Ihre konzentrierten Lösungen besitzen ein großes Lösungsvermögen für alle möglichen schwerlöslichen Stoffe. Sie sind zusammen mit den Seifen außerordentlich wirksame Emulgatoren der Fette (siehe Kapitel Fettstoffwechsel S. 346). Darin liegt sicher eine ihrer wesentlichen Funktionen. Über Aktivierung der Pankreaslipase siehe S. 202. Die Gallensäuren werden im Darm wieder rückresorbiert, gelangen mit dem Pfortaderblut in die Leber zurück und werden von neuem ausgeschieden (enterohepatischer Kreislauf). Die Leber würde sonst nicht genügend Gallensäuren produzieren können, um die hohe

540

Die Verdauung und die Verdauungssekrete

Zusammensetzung der Galle: Blasengalle g pro Liter Wasser Feste Stoffe . . . Gallensaure Salze . Mucin und Farbstoffe Cholesterin Fett Fettsäuren und Seifen Lecithin Anorganische Stoffe . Spezifisches Gewicht

830 170 97 42 10 2 11 2 5 ~ 1,040

Lebergalle (Gallenfistel) g pro Liter 970 30 10 5 2,6 6,8 4 6,4 9

~1,010

Konzentration in der Galle aufrechtzuerhalten. Man hat berechnet, daß beim Hund nur etwa ein Zehntel der Gallensäuren bei jedem Kreislauf verlorengeht ( I v y und Mitarb.). Das Cholesterin scheint eine Rolle bei der Absorption der Fettsäuren zu spielen. Eine Reihe von Autoren (Le B r e t o n und F o n t a i n e , F a v a r g e r 1 ) u. a.) haben nachgewiesen, daß Pankreassaft imstande ist, Cholesterin zu verestern. Es handelt sich hier um die synthetische Wirkung der Cholesterinesterase. Die Vermutung, daß das Cholesterin teilweise als Fettsäureester absorbiert wird, wurde schon früh geäußert, weil es sich im Chylus zum großen Teil als Ester findet und dort bei fettreicher Nahrung in vermehrter Menge auftritt. Es könnte also ein enterohepatischer Kreislauf des Cholesterins in dem Sinne bestehen, daß es mit der Galle ausgeschieden, im Darm mit Fettsäuren verestert und als Ester wiederaufgenommen würde. Welcher Anteil der Fettsäuren auf diese Weise absorbiert wird, läßt sich nicht angeben. Das Cholesterin kann in der Galle auskristallisieren und Konkremente bilden (siehe unten). Als Pigmente enthält die Galle hauptsächlich Bilirubin, daneben kleine Mengen Biliverdin und wahrscheinlich auch Urobilinogen. Über die Entstehimg und das weitere Schicksal dieser Stoffe wird im Kapitel Blut berichtet. Auch das Bilirubin durchläuft einen enterohepatischen Kreislauf. Wenn die Galle nach außen abgeleitet wird, nimmt die Bilirubinkonzentration im Sekret der Leber ab; wird die aufgesammelte Galle in das Duodenum gebracht, so nimmt, der Pigmentgehalt des Sekrets wieder zu, ein deutliches Zeichen dafür, daß der Farbstoff resorbiert worden ist. Die Bildimg der Galle in den Leberzellen ist ein kontinuierlicher Prozeß, der auch vor sich geht, wenn keine Nahrung im Darm vorhanden ist. Beim Menschen und den meisten Tieren ist eine Gallenblase vorhanden, in welcher sich das Sekret ansammelt. Die Rückresorption des Wassers durch die Blasenwand ermöglicht die Speicherung bedeutender Mengen von konzentriertem Sekret. (Die Gallenblase fehlt beim Pferd und bei der Ratte.) Die Entleerung der Gallenblase erfolgt diskontinuierlich; sie tritt dann ein, wenn Nahrung aus dem Magen ins Duodenum gelangt. Die Größe der Gallenproduktion hängt von der Art der Nahrung ab. Kohlenhydrate haben keinen Einfluß; dagegen bewirken Fleisch und F e t t ein starkes Ansteigen des Gallenflusses. Offenbar spielt dabei die Sekretinausschüttung durch die x ) P. F a v a r g e r , Arch. Internat. Pharmacodyn. Thérap. 68, 81 (1942); Bull. Soc. Chim. Biol. 33, 924 (1951).

Der Darmsaft

541

Duodenalschleimhaut eine Rolle, denn die Sekretion des Pankreassafts und der Galle nehmen in gleicher Weise zu. Die Bildung der Galle wird sehr stark durch die Gallensäuren selbst angeregt, und zwar sowohl durch die natürlichen in der Galle vorkommenden als auch durch gewisse synthetische Stoffe wie die Dehydrocholsäure, die Ketocholansäure und andere. Wenn daher bei Entleerung der Gallenblase eine konzentrierte Lösung von gallensauren Salzen (vor allem Taurocholat und Glycocholat) in das Duodenum gelangt, so wird dadurch die Leber zur vermehrten Sekretion von Galle angeregt. Daß es sich dabei um eine humorale, d. h. durch das Blut übertragene Wirkung handelt und nicht um einen nervösen Reflex, geht daraus hervor, daß sie auch dann eintritt, wenn alle Nervenverbindungen der Leber durchtrennt sind oder wenn man die Substanzen intravenös injiziert. Sowohl das Sekretin als auch gewisse Gallensäuren bewirken die Ausscheidung einer reichlichen Menge verdünnten Sekrets. Sie vergrößern vor allem den Flüssigkeitsstrom durch die Drüsenzellen, regen aber nicht die Bildung der spezifischen Sekretstoffe an. I n einzelnen Fällen h a t man bei der Zufuhr derartig wirkender Stoffe auch einen vergrößerten arteriellen Zufluß vom Blut zur Leber beobachtet, der aber eher eine sekundäre Folge der vermehrten Sekretionstätigkeit der Zellen als deren Ursache ist. Die wirksamen Stoffe beeinflussen wahrscheinlich direkt die Drüsenzellen. Wie bei der Speicheldrüse handelt es sich nicht um eine passive Filtration von Flüssigkeit aus dem Blut, sondern um a k t i v e Tätigkeit der Zellen. Man bezeichnet Stoffe, welche die Produktion der Galle in den Leberzellen anregen, als Choleretica, im Gegensatz zu den Cholagoga, welche die Entleerang d,er Gallenblase bewirken. Dehydrocholsäure wird wegen ihrer choleretischen Wirkung therapeutisch verwendet.

Die Gallensekretion durch die Leber scheint nicht nur humoralen, sondern auch nervösen Einflüssen unterworfen zu sein, denn man hat bei geeigneter Versuchsanordnung eine Steigerung des Gallenflusses auch bei Reizung des Vagus beobachten können. Die Entleerung der Gallenblase kann, soviel wir wissen, sowohl durch nervöse Reflexmechanismen als auch auf humoralem Wege ausgelöst werden. Was den letzteren betrifft, hat man in Konzentraten von Sekretin aus der Duodenalschleimhaut einen Stoff gefunden, das Cholecystokinin, welches die Muskulatur der Gallenblase zur Kontraktion und gleichzeitig den Sphincter Oddi zur Erschlaffung bringt ( I v y und Mitarb.). Man kann sich vorstellen, daß dieser Stoff freigesetzt wird und ins Blut übergeht, wenn die Duodenalschleimhaut mit dem Speisebrei, mit Fett oder Säure in Berührung kommt. Die humorale Auslösung wird durch die Tatsache bewiesen, daß auch die transplantierte Gallenblase reagiert. Gallenkonkremente finden sich in der Gallenblase sehr häufig. Sie bestehen meistens aus Cholesterin mit Beimengung von etwas Ca-Bilirubin. Sie sind im Röntgenbild nicht sichtbar, wenn sie nicht beträchtliche Mengen von Ca-Salzen beigemengt enthalten. Seltener sind beim Menschen reine Pigmentsteine, die aus dem Ca-Salz des Bilirubins bestehen. Gelegentlich können die Gallensteine auch Gallensäuren (Lithocholsäure, Desoxycholsäure) und Fettsäuren enthalten. 6. Der Darmsaft Das Sekret der Dünndarmschleimhaut enthält Proteasen und Glycosidasen. Die ersteren werden unter dem Namen Erepsin zusammengefaßt ( C o h n h e i m ) . Es handelt sich um ein Gemisch von Aminopeptidasen und verschiedenen Dipeptldasen. Die Peptidasen des Erepsins führen die von den Pankreasfermenten begonnene Hydrolyse der Proteine zu Ende. Genaueres siehe S. 198 u. ff.

542

Die Verdauung und die Verdauungssekrete

Unter den Glycosidasen findet sich die a-Glucosidase (Maltase), welche sowohl Maltose als auch Saccharose spaltet, sowie die ß-Galactosidase, welche den Milchzucker hydrolysiert. Wie wir früher ausgeführt haben, wird die Saccharose im Darm durch die a-Glucosidase hydrolysiert (S. 205). Das Schema auf S. 543 gibt einen Überblick über die wichtigsten Verdauungsfermente und ihre Wirkungen. 7. Der allgemeine Verlauf der Verdauung I n der M u n d h ö h l e wird die Nahrung mechanisch zerkleinert und mit dem Speichel vermischt. Wegen der kurzen Verweildauer findet ein merklicher Abbau der Stärke während dieser Zeit nicht statt. Der M a g e n stellt die erste Station dar, in welcher die Nahrung während längerer Zeit verweilt. Wichtig ist die schon erwähnte Schichtung des Mageninhalts (die zuletzt geschluckten Ingesta liegen zuinnerst), durch welche eine sofortige Mischung mit dem sauren Magensekret verhindert wird. Auf diese Weise kann die Speichelamylase während einiger Zeit auf die Stärke einwirken. Wegen der Pufferwirkung verschiedener Nahrungsbestandteile (Proteine) ist anzunehmen, daß in den einzelnen Schichten des Mageninhalts die stark saure Reaktion nur allmählich erreicht wird, so daß Zeit für die Wirkung anderer Fermente bleibt, deren Wirkungsoptimum bei weniger saurer Reaktion liegt. Die Milch wird bereits bei leicht saurer Reaktion koaguliert. Mit zunehmendem Säuregrad tritt wahrscheinlich das Kathepsin in Aktion (pH 4—5), das im Magen des Säuglings die wichtigste Protease darstellt. (Pepsin scheint beim' Neugeborenen nur in geringer Menge vorhanden zu sein.) Die Magenlipase wirkt nur auf fein verteilte? Fett ein (Fettkügelchen der Milch). Mit zunehmender saurer Reaktion setzt die Wirkung des Pepsins ein; die übrigen Fermente werden inaktiviert. Durch das Pepsin wird das Bindegewebe zum größten Teil aufgelöst. Das Fleisch zerfällt dabei in die einzelnen Muskelfasern, die aber im Magen nur wenig angegriffen werden. Aus dem Brot werden durch Abbau des Glutens die verquollenen Stärkekörner in Freiheit gesetzt. Das gefällte Casein der Milch wird verflüssigt. Die pflanzlichen Gewebe erleiden zunächst keine sichtbare Veränderung. Es zeigt sich aber, daß nach mehrstündigem Aufenthalt in einem Milieu gleicher Acidität wie der Magensaft Stücke von Kartoffeln oder Karotten in ihre Zellen zerfallen, wenn man sie anschließend in eine leicht alkalische Lösung bringt (Goiffon). Durch die sukzessive Behandlung mit Säure und Lauge wi-d die Pectinlamelle, welche Zellen verbindet, aufgelöst, und es ist anzunehmen, daß dieser Prozeß auch unter natürlichen Bedingungen eine Rolle spielt. Durch die Wirkung der Salzsäure werden auch viele schwerlösliche Salze gelöst. Es wird z. B. ein Teil des in der Nahrung enthaltenen Eisens aus seinen komplexen organischen Bindungen gelöst und zugänglich gemacht. Im ganzen betrachtet findet im Magen noch kein sehr weitgehender Abbau der verschiedenen Nahrungsbestandteile statt. Es wird aber die gesamte Oberfläche der festen und flüssigen Phasen gewaltig vergrößert. Der Mageninhalt verwandelt sich im Verlauf einiger Stunden in eine flüssige Masse, den Chymus, welcher schubweise in das Duodenum übertritt. I m Duodenum wird der Chymus mit dem Pankreassekret und der Galle vermischt. Die saure Flüssigkeit wird allmählich neutralisiert, so daß die verschiedenen Enzyme des Pankreas ihre Arbeit beginnen können. Durch die Galle, in Verbindung mit den rasch sich bildenden Seifen und Monoglyceriden, wird das Fett in eine äußerst feine und stabile Emulsion verwandelt,

643

Der allgemeine Verlauf der Verdauung

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.3& a H 2 P0 4 Die Rückresorption des im Primärharn vorhandenen Bicarbonats erfolgt ebenfalls auf diesem Weg: Austausch des Na + gegen H + , Neutralisation des H+ durch das Bicarbonat-Anion und Bildung von C0 2 , das durch Diffusion entfernt wird 2 ): HCOs" + H+

> H 2 C0 3 ;

H2COs

> H 2 0 + C0 2 .

Sehr wahrscheinlich beruht auch die auf S. 557 besprochene Ausscheidung von Ammoniumionen bei Säurebelastung auf dem gleichen Mechanismus; hier wird nämlich das H + -Ion durch das in den Epithelzellen der Tubuli gebildete N H 3 neutralisiert 3 ) : NH 3 + H+

• NH 4 + .

In Abb. 57 sind die genannten Vorgänge in Anlehnung an Mudge 4 ) schematisch dargestellt. Es scheint, daß nicht nur Wasserstoffionen, sondern auch K+-Ionen in den Nierenkanälchen durch Austausch gegen Na + sezerniert werden. Wahrscheinlich wird das im Glomerulus filtrierte K + in den proximalen gewundenen Kanälchen (zusammen mit Cl~-Ionen) rückresorbiert, aber in den distalen Abschnitten durch Austausch gegen Na+ wieder ausgeschieden. Die Sekretion der Kalium- und der H+-Ionen zeigt in vielen Fällen gegensätzliches Verhalten. Faktoren, welche die Kaliumausscheidung vermehren, erniedrigen die Sekretion der H + -Ionen, d.h. sie führen zur Bildung eines alkalischen Urins und umgekehrt. Man nimmt daher an, daß H+- und K+-Ionen durch einen ähnlichen Mechanismus transportiert werden, so daß der eine Vorgang den anderen kompetitiv hemmt5). !) 2 ) 3 ) 4 ) 5 )

Vgl. Friedberg u. Mitarb., J. clin. Investig. 81, 1074 (1952). P i t t s , The Harvey Lectures 1952/53, Series XLVIII, S. 172. New York 1954. P i t t s , Fed. Proc. 7, 418 (1948). 1. c. Bibliographie. Vgl. Berliner, Fed. Proc. 11, 695 (1952); Ann. Rev. Physiol. 16, 286 (1954).

Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes

561

4. Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes Zwei Drüsen mit innerer Sekretion greifen in den Wasser- und Salzhanshalt ein, die Nebennierenrinde und der Hinterlappen der Hypophyse. Die erstere reguliert die Rückresorption der Na + - und Cl~-Ionen, der letztere die Rückresorption des Wassers. Es unterstehen also gerade die beiden für die Erhaltung des Wasserbestandes und des Elektrolytmilieus grundlegenden Vorgänge der endokrinen Steuerung. Wie wir später sehen werden, hängt der Hypophysenhinterlappen direkt von nervösen Zentren des Zwischenhirns ab, so daß also auf diesem Weg der Wasserstoffwechsel auch der zentralnervösen Regulation zugänglich ist. Das eigentliche „natriumretinierende" Hormon der Nebenniere ist das A l d o s t e r o n . Bei allen Zuständen, die zu vermehrtem Natrium-und Wasserverlust Anlaß geben, wird es in vermehrter Menge im Urin ausgeschieden, was auf eine regulatorisch vermehrte Produktion hinweist 1 ). Fehlen die Rindenhormone, so können Na+- und C1 "-Ionen nicht mehr zurückbehalten werden. Es kommt zur Entleerung des extrazellulären Kompartiments mit ihren schweren Folgen, auf die wir bereits hingewiesen haben. Beim Fehlen des „antidiuretischen" Hormons des Hypophysenhinterlappens ist die Rückresorption des Wassers herabgesetzt; als Folge zeigt sich eine gewaltige Steigerung der Harnmenge: Diabetes insipidus. Für die weiteren Einzelheiten verweisen wir auf das Kapitel über die endokrinen Drüsen S. 706 und S. 724.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Das Blut Eine ausführliche Beschreibung der allgemeinen Eigenschaften des Blutes findet sich in den Lehrbüchern der Physiologie. Es kann hier davon abgesehen werden, und es sollen in dieser Zusammenstellung nur die Blutgerinnung, die Zusammensetzung und die Eigenschaften des Blutplasmas, die Chemie und der Stoffwechsel des Blutfarbstoffs behandelt werden. 1. Zusammensetzung Das Blut setzt sich aus einer sehr eiweißreichen Flüssigkeit, dem Blutplasma und den Formelelementen Erythrocyten, Leukocyten und Lymphocyten, Blutplättchen (Thrombocyten) zusammen. Außerhalb des Gefäßsystems g e r i n n t das Blut. Die Gerinnung kommt dadurch zustande, daß sich au3 dem Plasma das Fibrin („Faserstoff") abscheidet. Fibrin ist ein Eiweißkörper, welcher in Form einer Vorstufe, als Fibrinogen, im Blutplasma gelöst enthalten ist. Die Gerinnung wird im nächsten Abschnitt behandelt werden. Die vom Fibrin abgetrennte Flüssigkeit heißt Blutserum oder Serum schlechthin. Bei der Gerinnung werden durch das ausfallende Fibrin die Blutkörperchen miteingeschlossen. Diese Masse, welche also aus Fibrin und Erythrocyten besteht, ist B l u t k u c h e n oder C r u o r . Müller u. Mitarb., Schweiz, med. Wschr. 85, 1218 (1955); 86, 1335 (1956); Helv. med. Acta 23. 610 (1956). 36

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

Das Blut

562

Da das Blut das Haupttransportmittel des Organismus ist, können die meisten Substanzen oder deren Bausteine und deren Zwischenprodukte in mehr oder weniger großen Konzentrationen darin gefunden werden. Die Menge des Blutes beträgt beim Manne 1 / 13 — 1 / 1 , des Körpergewichts. Das Blutplasma enthält 7—8% Eiweißstoffe. Sie werden in die beiden Gruppen der Serumalbumine und der Serumglobuline eingeteilt. Auch das Fibrinogen hat die Eigenschaften eines Globulins. Die Zahl der individuellen Proteine ist beträchtlich. Die E r y t h r o c y t e n enthalten den roten Blutfarbstoff, das H ä m o g l o b i n , als wichtigsten Bestandteil. Das Hämoglobin ist das Transportmittel für den Sauerstoff. Über die wichtigsten niedrigmolekularen Bestandteile des Blutplasmas (organische und anorganische) gibt die folgende Tabelle Auskunft (die meisten Daten nach einer Zusammenstellung von H . A. K r e b s ) . Mittlere Zusammensetzung des menschlichen Blutserums (nach K r e b s ) 1 ) I. A n o r g a n i s c h e B e s t a n d t e i l e Chlorid Bicarbonat (als NaHC0 3 ) (als Vol.% C02) . . . . Phosphat als P anorganisches Esterphosphat Lipoid-P Sulfat als S anorganisches total (Estersulfat + S-haltige Aminosäuren -f anorgan. S). . Fluor Jod (an Eiweiß gebunden) Natrium Kalium Calcium Magnesium Eisen Kupfer Mangan Zink II. Organische B e s t a n d t e i l e a) K o h l e n h y d r a t e Glucose, nüchtern (Kapillarblut) . . . . Polysaccharide Mucopolysaccharide, an Eiweiß gebunden. Hexuronsäuren . . . . Pentosen, hauptsächlich Nucleotide b) Lipide und Sterine Fettsäuren, total . . . Neutralfett Phospholipide total

Mittelwert mg/100 ccm

Grenzen mg/100 ccm

365

355-381

103

226 60 Vol.%

205 - 2 8 0

27

2,6—5,4

2

3,2 0,6 8

1 — 1,8

3,4 0,3

3—3,8

0,2

93 etwa 200

!) Ann. Kev. Biochem. 19, 409 (1950).

6-10

1,6

316 17 10 2 0,10 0,12

Milliäquivalente pro Liter

0,006 - 0 , 0 0 8 300-330 12-25 8,2-11,6 1,7-2,3 0,03 - 0 , 2 1 0,08-0,16 0,005 - 0 , 0 2 0,1-0,5

80-120

0,4—1,4

2,5 200-450 0-150 150-250

1

137 4,4 5 1,5

563

Mittlere Zusammensetzung des menschlichen Blutserums

Lecithin . . . Kephalin . . . Sphingomyelin Cholesterin freies . . . . total Gallensäuren . . c) O r g a n i s c h e S ä u r e n . Organ. Säuren, total Milchsäure . . . . Brenztraubensäure. Citronensäure . . . Acetonkörper, als Aceton berechnet d) N - h a l t i g e S t o f f e a) Verteilung des Nichteiweißstickstoffs Nichteiweiß-N, total ( = Reststickstoff) Harnstoff-N . . . . Freie Aminosäuren, total (davon Glutamin + Glutaminsäure etwa 7 3) • • Peptide Kreatin, Kreatinin, Guanidinessigsäure Harnsäure ß) Einzelne Stoffe Harnstoff Ammoniak Harnsäure Allantoin Kreatin Kreatinin Cholin

Mittelwert mg/100 com

Grenzen mg/100 ccm 100-200 0-30 10-30

Miliäquivalente pro Liter

40-70 150-260 0,2-3,0

1,0

2,5

8-17

0,8-1,2 1,9-2,8

etwa 5 0,9-1,9 0,1 0,3-0,5

weniger als 0,5—0,8

26 13

6 1.2 0,7 1,5 26 weniger als 0,05 4 0,4 1,0

2,9-6,9 0,3-0,6 0,2-0,6 0,8-1,6 0,3-1,5

Die in der Tabelle angegebenen Werte beziehen sich auf den normalen erwachsenen menschlichen Organismus. Bei pathologischen Zuständen können beträchtliche Änderungen vorkommen (z. B. die Hyperglykämie beim Diabetiker), die in der Klinik diagnostische Bedeutung haben. Wir können aber hier auf Einzelheiten nicht eingehen. Die Werte sind meist durch Analyse des venösen Bluts im nüchternen Zustand gewonnen. Während der Verdauung kann sich die Konzentration verschiedener Stoffe erhöhen (z. B. Lipämie während der Fettabsorption). Auch nach Alter und Geschlecht können sich Unterschiede zeigen (z. B. ist die Konzentration des anorganischen Phosphats beim Kind größer als beim Erwachsenen, die Konzentration des Kreatins bei der Frau größer als beim Mann, usw.). Auch die Ernährungsweise kann Einfluß auf die Blutwerte einzelner Stoffe haben (die Harnsäurewerte z.B.sind bei vegetarischer Ernährung niedriger als bei Fleischkost). Zwischen einzelnen Individuen können wahrscheinlich auch g e n e t i s c h bedingte Unterschiede in der Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten bestehen1). Neben den in der Tabelle angeführten Stoffen sind im Blutplasma noch eine Reihe von Vitaminen und körpereigenen Wirkstoffen vorhanden. E s ist klar, daß überhaupt jeder Stoff, der im Organismus von einem Organ in ein anderes transportiert werden muß, im B l u t vorhanden ist, auch wenn er sich in vielen Fällen dem Nachweis entzieht. W i r lassen einige Bemerkungen über einzelne Bestandteile des folgen, zunächst über die Mineralstoffe. 1

36*

) Vgl. W i l l i a m s : Biochemical individuality. New York und London 1956.

Blutplasmas

564

Das Blut

Die Summe der Kationenäquivalente muß natürlich wegen der Elektronenneutralität der Lösung gleich der Summe der Anionenäquivalente sein. Die Additiou der oben angeführten Werte gibt bei den Anionen ein Defizit; dasselbe wird durch die organischen Säuren (vor allem das Lactat) und die Proteine gedeckt, die bei der Reaktion des Plasmas als Anionen vorhanden sind. Die Ionenkonzentration des Blutplasmas wird graphisch meistens so dargestellt, wie dies in Abb. 53 auf S. 549 gezeigt wird (Gamble). Die anorganischen Ionen sind wichtige Faktoren des „Milieu intérieur", das alle Zellen umgibt. Die normale Funktion der Zellen, insbesondere die Reizleitung, ist bekanntlich nur dann gewährleistet, wenn die Kationen in ganz bestimmtem Verhältnis vorhanden sind (Prinzip der Ringerschen Lösung und anderer „physiologischer" Salzlösungen). Ferner wird die Gesamtkonzentration sämtlicher Elektrolyte innerhalb enger Grenzen konstant gehalten; denn es sind im wesentlichen die anorganischen Ionen, die den gesamten osmotischen Druck der Körperflüssigkeiten bestimmen. (Die niedrigmolekularen organischen Stoffe tragen wegen ihrer geringen Konzentration nur wenig bei, die Proteine kommen wegen ihres hohen Molekulargewichts nicht in Betracht [vgl. S. 130].) Die Gesamtkonzentration beträgt rund 300 Millimol/Liter (Summe aller Anionen und Kationen, wobei natürlich bei mehrwertigen Ionen das Molekulargewicht, nicht das Äquivalentgewicht gilt. Es kommt hier auf die Zahl der Teilchen, nicht der elektrischen Ladungen an). Die Konstanthaltung der Konzentration der einzelnen Ionen wie auch der Gesamtkonzentration ist im wesentlichen eine Funktion der Nieren. Die zweiwertigen Kationen Calcium und Magnesium sind nur zum kleineren Teil als freie Ionen vorhanden; die Hauptmenge ist komplex an Eiweiß gebunden („nicht diffusibles Ca"). Diese Tatsache ist von großer Bedeutung, weil nur d a s i o n i s i e r t e Calcium p h y s i o l o g i s c h w i r k s a m ist. Daß das Calcium des Blutserums an die Proteine gebunden ist, zeigt sich z. B. bei der Ultrafiltration; es geht nur ein Teil in das Filtrat über. Eine Reihe anderer Methoden (z. B. Löslichkeit schwerlöslicher Ca-Salze in Gegenwart von Proteinen, elektrische Überführung, Dialyse von Serum gegen Lösungen von verschiedenem Ca++-Gehalt, Einfluß von proteinhaltigen Ca ++ Lösungen auf das Froschherz), die hier nicht im einzelnen besprochen werden können, haben zum gleichen Ergebnis geführt. Die Bindung des Ca ++ an das Eiweiß ist eine Gleichgewicbtsreaktion. Man kann in erster Annäherung das Gleichgewicht zwischen Proteinen und Ca ++ durch eine einfache Gleichung darstellen (McLean und H a s t i n g s 1 ) ) : (Ca++) (Protein") (Ca-Protein)

konst.

Daraus folgt, daß die Konzentration der freien Calciumionen nicht nur von der Gesamtkonzentration des Ca, sondern auch vom Eiweißgehalt des Blutplasmas abhängig ist. Bei Beurteilung des Ca-Spiegels im Blut muß also auch die Eiweißkonzentration berücksichtigt werden. Die Erfahrung zeigt, daß sich in der Regel die Gesamtkonzentration des Calciums im Blutserum parallel mit dem Eiweißgehalt ändert. Proteinarme Seren (Hypoproteinämie) zeigen meist auch einen erniedrigten Calciumspiegel. Außer an Eiweiß ist das Calcium im Blutplasma auch an niedrig molekulare Stoffe, vor allem an die Citronensäure komplex gebunden. Dieser Anteil ist, im Gegensatz zum eiweißgebundenen, diffusibel. Das gesamte Calcium verteilt sich nach den zur Zeit sichersten Bestimmungen auf die !) McLean u. H a s t i n g s , J. biol. Chem. 107, 337 (1934); 108, 285 (1935).

Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts

565

einzelnen Fraktionen wie folgt: total 2,5 Millimol/1 ( = 10 mg%); eiweißgebunden 0,82 Millimol/1; diffusible Komplexe 0,3 Millimol/1

Offenbar wird im Organismus primär die Konzentration der freien Ca + + -Ionen einreguliert. Das Gleichgewicht mit dem komplex gebundenen Anteil stellt sich automatisch ein, und es ist leicht verständlich, daß dieser Anteil und damit die Gesamtkonzentration mit abnehmendem Eiweißgehalt kleiner wird. Versagt die Regulation, so kann es auch bei gleichbleibendem Eiweißgehalt zu einer Abnahme des Gesamtcalciums (Hypocalcämie) kommen. Eine Hypoealcämie hat also eine ganz verschiedene Bedeutung, je nach der gleichzeitig vorhandenen Eiweißkonzentration. Bei normalem Proteingehalt bedeutet sie auf alle Fälle eine primäre Erniedrigung der freien Ca++-Ionen, die zu schweren Störungen (Tetanie) führen kann.

2. Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts Neben dem Chlorid kommt im Blutplasma in größerer Menge noch das Bicarbonat vor. Es hat gegenüber dem ersteren die Besonderheit, daß es das Anion einer schwachen Säure ist, deren Dissoziationsgrad im physiologischen pH-Bereich sich mit dem pH-Wert ändert (pk = 6,12 im Blutplasma bei 38°). Bicarbonat und Kohlensäure bilden daher ein wichtiges Puffersystem des Blutplasmas. Nach der H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e n Gleichung hängt das p H vom Verhältnis H 2 C0 3 : HCO s " ab. Die Aufrechterhaltung einer bestimmten Reaktion der Körpersäfte stellt an die regulierenden Organe große Anforderungen. Im Stoffwechsel entstehen beständig aus neutralen Körpern große Mengen saurer Verbindungen: Kohlensäure, Carbonsäuren, Schwefelsäure; mit der Nahrung werden wechselnde Mengen von organischen Salzen zugeführt, die bei der Verbrennung einen Überschuß von Basen hinterlassen. Trotzdem bleibt der pH-Wert der Blutflüssigkeit innerhalb enger Grenzen konstant. Die Hauptarbeit leisten dabei die Nieren und die Lunge, die Nieren, indem sie die Ausscheidung der fixen Basen und Säuren, die Lunge, indem sie die Ausscheidung der Kohlensäure regulieren. Die Aufgabe der Puffersysteme des Bluts, an der die Kohlensäure einen wichtigen Anteil hat, besteht darin, die übrigbleibenden Schwankungen zu glätten 2 ). Die Konzentration des Bicarbonats, ausgedrückt in Vol.% C0 2 (ccm C0 2 , gemessen bei 0° und 760 mm Hg, die pro 100 ccm Plasma beim Ansäuern freigesetzt werden), wird gewöhnlich als die Alkalireserve des Blutplasmas bezeichnet (normalerweise etwa 60 Vol.%). Dieser Ausdruck rührt daher, daß das Bicarbonat gemäß der folgenden Gleichung zur Neutralisation von Säuren H X dienen kann, die in das Blut eintreten: H X + NaHCO s

>• N a X + H 2 C0 3 .

Nach der üblichen Formulierung liefert also das Bicarbonat das zur Neutralisation der Säure nötige Alkali, weil die Kohlensäure durch die stärkere Säure aus ihrem Salz „verdrängt" werden kann. Der wirklich sich abspielende Vorgang besteht aber einfach darin, daß bei Erhöhung der Wasserstoffionenkonzentration die Bicarbonatanionen Wasserstoffionen addieren: H C 0 3 " + H+

• H 2 C0 3 .

1 ) Vgl. z. B. W. F. N e u m a n u. M. W. N e u m a n : The chemical dynamics of bone. Chicago 1958. 2 ) Über die Stabilisierung der Alkalireserve vgl. P i t t s , The Harvey Lectures 1952/53, Series XLVIII, S. 172. New York 1954.

Das Blut

566

Eine Besonderheit des Puffersystems aus Kohlensäure und Bicarbonat liegt nun darin, daß die Kohlensäure flüchtig ist, weil sie mit ihrem Anhydrid C0 2 im Gleichgewicht steht. Wird durch Säurezutritt im Blut Kohlensäure freigesetzt, so kann sie in den Lungen abgeatmet werden; die freie Kohlensäure des Blutes ist mit dem C0 2 der Alveolarluft im Gleichgewicht und bleibt deshalb annähernd konstant. Die pH-Änderung wird dadurch verkleinert. Das folgende Beispiel macht dies klar (nach G a m b l e ) : normales Blutplasma: Konzentration der freien Kohlensäure Konzentration des Bicarbonats Verhältnis H 2 C0 3 : HC0 3 ~ = 1:20 pH = 7,4 Zusatz von 11,4 m Äquivalenten Säure: Konzentration der freien Kohlensäure, falls kein C0 2 aus der Lösung entweichen würde: 11,4-f 1,2 Konzentration des Bicarbonats: 24—11,4 Verhältnis H 2 C0 3 : HC0 3 ~ = 1 : 1 pH = 6,1

1,2 MiUimol/1 24,0 Millimol/1

12,6 Millimol/1 12,6 Millimol/1

Die Kohlensäure setzt sich mit der Alveolarluft (5% C02) ins Gleichgewicht : Konzentration der freien Kohlensäure 1,2 Millimol/1 Konzentration des Bicarbonats 12,6 Millimol/1 Verhältnis H 2 C0 3 : HC0 3 - = 1 :10,5 pH = 7,1

Infolge der Konstanz der C0 2 -Konzentration im Blut beträgt die pH-Verschiebung 0,3 Einheiten statt 1,3 Einheiten. Die Pufferwirkung des Blutes läßt sich aber nicht allein durch diese Reaktion des Bicarbonats erklären. Es sind auch die Proteine, vor allem das Hämoglobin, daran beteiligt. I m physiologischen pH-Bereich (zwischen p H 6—8) vermag die in 1 Liter Blut enthaltene Menge Hämoglobin (160 g) pro pH-Einheit 28 Milliäquivalente Säure zu binden. Man kann die Pufferwirkung der Proteine allgemein durch die Gleichung ausdrücken: Protein- + B+ + H+ + A"

c

Protein • H + B+ + A~

zugesetzte Säure (B + = Kation, A~ = Anion, Carbonsäure oder starke Mineralsäure)

oder einfacher: Protein" + H + 1

" Protein • H .

Im Hämoglobin sind es im physiologischen pH-Bereich vor allem die Imidazolgruppen des Histidins, welche Protonen binden oder abgeben (vgl. S. 104). Die obige Formulierung will einfach besagen, daß durch die Addition des Protons die gesamte negative Ladung des Proteins um eine Einheit abgenommen hat, gleichgültig an was für eine Gruppe das H+ addiert wurde.

Neben dem Transport des Sauerstoffs ist der Transport der Kohlensäure eine wichtige Aufgabe des Blutes. Die Kohlensäure wird z. T. als freie, gelöste Kohlensäure, z. T. als Bicarbonat, zu einem kleinen Teil wahrscheinlich auch als sog.

Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts

567

Carbaminosäure transportiert; bei den letzteren handelt es sich u m eine lockere Addition der Kohlensäure an freie, nicht dissoziierte Aminogruppen: R - NH2 + C02 , R - NH - COOH , wobei vor allem auch wieder das Hämoglobin als Träger in Frage kommt. Die in den Zellen durch die Oxydationsvorgänge gebildete Kohlensäure diffundiert in die Blutflüssigkeit und in die Erythrocyten und kann dort mit dem Hämoglobin in folgender Weise reagieren: Hb" + H2C03 • HbH + HCO; a). Die Kohlensäure geht also z. T. in Bicarbonat über. Diese Reaktion wird dadurch erleichtert, daß das Oxyhämoglobin eine schwächere Säure wird (d. h. daß gewisse Imidazolgruppen stärker basisch werden), wenn es den Sauerstoff abgibt (Näheres vgl. S. 586). Der Physiologe N. Z u n t z h a t t e bereits 1868 beobachtet, d a ß bei Sättigung von Vollblut mit C0 2 die dreifache Menge Bicarbonat im Serum auftritt, als wenn das von den Erythrocyten abgetrennte Serum für sich allein mit dem Gas gesättigt wird. Das Bicarbonat muß also aus den Erythrocyten stammen. Z u n t z h a t t e damit die Pufferwirkung des Hämoglobins entdeckt. Sein Versuch zeigt gleichzeitig, daß das in den roten Blutkörperchen nach der obigen Gleichung gebildete Bicarbonat in das Plasma übertritt. Da aber die Erythrocytenmembran f ü r Kationen nicht durchlässig ist, kann dies nur durch Austausch gegen Chlorionen geschehen. E s t r i t t also bei Erhöhung der C0 2 -Spannung im Blut Chlorid aus dem Plasma in die Blutzellen und dafür Bicarbonat aus den Zellen in das Plasma über. In der Lunge spielt sich der umgekehrte Vorgang ab. Infolge eines geringen Unterschieds des Partialdrucks zwischen venösem Blut und Alveolarluft diffundiert C 0 2 aus dem Blut in den Gasraum. Dadurch würde die Lösung alkalischer. Auf diese Weise könnte das Blut jedoch nur sehr geringe Mengen C0 2 abgeben, da die kleine Spannungsdifferenz (etwa 43 mm Hg gegen 50 mm Hg) sich rasch ausgleichen würde. Die sämtlichen Puffersysteme des Blutes stehen aber miteinander im Gleichgewicht und daher werden von den Proteinen, insbesondere dem Hämoglobin, Wasserstoffionen nachgeliefert; im Endeffekt wird Bicarbonat nach der folgenden Gleichung zerlegt: HbH + HCOg~ -> Hb" + H2COa b). Diese Reaktion wird dadurch erleichtert, daß das Hämoglobin bei der Verbindung mit Sauerstoff eine stärkere Säure wird (genauere Erklärung vgl. S. 596). Die Abgabe von C0 2 in der Lunge bei annähernd konstantem pH-Wert, des Blutes ist nur durch die Wechselwirkung zwischen dem Bicarbonat und dem Protein möglich, die in der obigen Reaktionsgleichung schematisch dargestellt ist. Daher ist das Hämoglobin als Puffersubstanz ebenso wichtig wie als Vehikel f ü r den Sauerstoff. Ohne Hämoglobin könnte das Blut weder genügende Mengen Sauerstoff von der Lunge nach den Geweben noch genügende Mengen Kohlensäure von den Geweben nach der Lunge transportieren. Der Zerfall der Kohlensäure in Anhydrid und Wasser erfolgt zwar spontan; aber er würde unter physiologischen Bedingungen zu langsam verlaufen, als daß während der Verweildauer des Bluts in den Lungenkapillaren das C0 2 vollständig zerlegt werden könnte. I n den Erythrocyten findet sich ein Ferment, die K o h l e n s ä u r e a n h y d r a s e , das die Reaktion: H2C03 ,

HaO + C02

beschleunigt und damit die rasche Bildung des C0 2 in der Lunge ermöglicht (vgl. S. 211).

568

Das Blut

Durch die Reaktion zwischen Hämoglobin und Bicarbonat wird in den roten Blutzellen HCO s ~ verbraucht, und es entsteht ein nach den Blutzellen gerichtetes Gefälle der Bicarbonatkonzentration. Der Ausgleich kann wegen der Impermeabilität der Erythrocytenmembran für Kationen, wie oben bereits erwähnt wurde, mir dadurch erfolgen, daß HC0 3 ~-Ionen gegen Cl _ -Ionen ausgetauscht werden. Es tritt also in den Lungenkapillaren, umgekehrt wie in den Gewebskapillaren, Chlorid aus den Zellen in die Blutflüssigkeit über. Die Menge des im Blutplasma vorhandenen Bicarbonats hängt von der Partialspannung des C0 2 ab, denn je höher dieselbe ist, desto größer ist auch die Konzentration der gelösten Kohlensäure und desto mehr wird die Reaktion a) in Richtung des Pfeils verlaufen. Wenn man den Bicarbonatgehalt des Blutplasmas gegen den Partialdruck des C0 2 aufträgt, so erhält man die sog. K o h l e n s ä u r e b i n d u n g s k u r v e des Plasmas (Abb. 58). Daraus folgt auch, daß für die Bestimmung der Alkalireserve eine bestimmte C0 2 -Spannung festgesetzt werden muß. Man wählt dazu die Alveolarspannung der Kohlensäure (etwa 40 mm Hg), die leicht herzustellen ist, indem man das Blutplasma oder -serum mit Expirationsluft ins Gleichgewicht bringt.

Mit Hilfe der besprochenen Gesetzmäßigkeiten sind wir nun imstande, alle im Blut möglichen Gleichgewichtsänderungen zu überblicken. Wir wollen dies an Hand einer graphischen Darstellung tun, wie sie V a n S l y k e erstmals angegeben hat. Wir haben dazu in Abb. 58 den Partialdruck der Kohlensäure als Abszisse, die Gesamtkohlensäure (Bicarbonat + freie Kohlensäure) als Ordinate aufgetragen. Wie findet man hier die Punkte, die gleichem p H entsprechen ? Sie liegen auf Geraden, die durch den Nullpunkt gehen, denn längs einer solchen Geraden ist das Verhältnis H 2 C0 3 : Bicarbonat, wie eine leichte Überlegung zeigt, konstant. J e steiler die Gerade verläuft, desto größer ist der pH-Wert (desto alkalischer die Lösung), dem sie entspricht (denn eine steilere Gerade entspricht einem größeren Verhältnis N a H C 0 3 : C0 2 als eine flachere). Auf Grund dieser Überlegung läßt sich das V a n Slykesche Diagramm aufbauen. Wir ziehen zuerst die zwei pH-Geraden, die den extremen, bei normalen Individuen gemessenen Werten von 7,3 und 7,5 entsprechen. Zwischen diesen beiden Geraden werden also alle pH-Werte liegen, die wir normalerweise finden. Unter pathologischen Bedingungen können sowohl sauere als auch alkalischere Werte vorkommen. Die extremsten bisher gemessenen Werte sind etwa 7,0 and 7,8. Wir zeichnen auch diese beiden Geraden in das Schema ein. Nun schwankt aber beim Normalen nicht nur das pH, sondern auch der Bicarbonatgehalt zwischen verhältnismäßig engen Grenzen. Wir zeichnen also noch die beiden extremen C0 2 -Bindungskurven in das Diagramm ein, wie man sie bei normalen Menschen gefunden hat. Dadurch wird zwischen den beiden pH-Geraden eine trapezförmige

Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts

569

Fläche herausgeschnitten, die in Abb. 58 schraffiert ist. Sie schließt die Normalwerte für die Gesamtkohlensäure und das p H ein. Diese Fläche gibt die Extremwerte, die unter einer großen Zahl von normalen Individuen gefunden worden sind. Die Grenzen für einen einzelnen Menschen würden noch viel enger sein. Punkte, die außerhalb des Vierecks fallen, müssen als pathologisch bezeichnet werden. Durch die beiden Kurven und die vier pH-Geraden wird nun die Fläche in neun Felder (I bis IX, Abb. 58) unterteilt, die es uns erlauben, die vorkommenden Abweichungen in ein übersichtliches System einzuordnen. Für all die theoretisch möglichen Abweichungen von der Norm hat man entweder klinische Beispiele gefunden oder man hat dieselben im Experiment realisieren können. Betrachten wir z. B. die Felder, die zwischen den beiden „normalen" pH-Geraden liegen. Sie entsprechen Zuständen, in denen die Reaktion des Blutes unverändert ist. Das mittlere Feld (V) entspricht normalen Verhältnissen, das untere (VI) repräsentiert eine der praktisch wichtigsten Abweichungen: Der Bicarbonatgeha.lt ist vermindert. Dieser Zustand tritt ein, wenn im Organismus große Mengen Säure produziert werden, wie z. B. beim Diabetes mellitus, oder wenn durch Erkrankung der Nieren die Säureausscheidung gestört ist (Nephritis). Weil dabei die Reaktion des Blutes unverändert bleibt, spricht man von einer „ k o m p e n s i e r t e n A c i d o s i s " . In den Endstadien dieser genannten Krankheiten, im Coma diabeticum oder uraemicum, versagt die Regulation, das Blut nimmt eine sauere Reaktion an, und wir gelangen in das Feld rechts davon, das der manifesten, n i c h t k o m p e n s i e r t e n A c i d o s i s entspricht. Der sauerste im Blut bisher festgestellte Wert wurde bei einem Patienten im Coma uraemicum gemessen und betrug 6,95. Es ist fraglich, ob sauere Werte mit dem Leben überhaupt noch verträglich sind. Die Erfahrung zeigt ganz allgemein, daß eine Steigerung der Wasserstoffionenkonzentration des Blutes über eine gewisse Grenze hinaus zur Bewußtlosigkeit, zum Coma, führt, also Störungen der Funktionen des Zentralnervensystems bewirkt. Eine kompensierte Acidosis ist nur möglich, wenn mit dem Bicarbonat auch die freie Kohlensäure vermindert ist. Weil aber die freie Kohlensäure dem Kohlensäuregehalt der Alveolarluft proportional ist, muß die Alveolarspannung der Kohlensäure herabgesetzt sein. Das ist tatsächlich der Fall. Man kann statt der Alkalireserve auch den Kohlensäuregehalt der Alveolarluft als Maß für den Grad der Acidosis verwenden. Während er normalerweise etwa 5% beträgt, kann er bei Acidosis bis auf weniger als 3% absinken. Der wirksame physiologische Mechanismus ist hier die Atemregulierung. Durch erhöhte Ventilation der Lungen wird die alveolare Kohlensäurespannung und damit der Gehalt des Blutes an f r e i e r Kohlensäure herabgesetzt. Die sog. K u ß m a u l s c h e Atmung im Coma ist der Ausdruck des völligen Versagens der Atmungsregulierung, das durch die Säurevergiftung bedingt ist. (Säure hemmt die synaptische Übertragung des nervösen Impulses und schaltet damit die Reflexe aus.) Der Zustand, welcher dem Feld IV entspricht, das oberhalb Feld V liegt, muß entsprechend als k o m p e n s i e r t e r A l k a l i - oder auch K o h l e n s ä u r e ü b e r s c h u ß bezeichnet werden. Es bleibt im einzelnen Fall festzustellen, welches die primäre Änderung ist, die Bicarbonaterhöhung oder die Vermehrung der freien Kohlensäure. Diese Bemerkung gilt auch für das Feld VI (Alkali- oder Kohlensäuredefizit). Bei der nephritischen oder diabetischen Acidosis z.B. ist die Erniedrigung desBicarbonats der primäre Vorgang. Dagegen kann derselbe Zustand erreicht werden durch Hyperventilation, die z. B. bei Sauerstoffmangel in großen Höhen auftritt. Hier tritt primär durch die erhöhte Ventilation der Lungen ein Kohlensäureverlust ein, der erst

570

Das Blut

sekundär durch Verminderung des Bicarbonats kompensiert wird. Ein k o m p e n s i e r t e r A l k a l i ü b e r s c h u ß mit primärer Erhöhung des Blut-Bicarbonats tritt z. B. bei langsamer Eingabe von NaHC0 3 auf; ein kompensierter Kohlensäureüberschuß mit primärer Steigerung des Kohlensäuregehalts wird z. B. beobachtet, wenn durch Emphysem oder irgendwelche Stauung im Lungenkreislauf der Gasaustausch in den Lungen verlangsamt ist oder wenn man andauernd in einer Atmosphäre von erhöhtem Kohlensäuregehalt atmet. In beiden Fällen kommt es primär zu einer Stauung der Kohlensäure im Blut, die sekundär durch Erhöhung des Bicarbonats kompensiert wird. Naturgemäß führt jeder plötzlich auftretende Überschuß von Säuren oder Basen zuerst zu einer nicht kompensierten Änderung, bis der Organismus Zeit gewonnen hat, seine Regulationsmechanismen in Funktion treten zu lassen. Dabei spielen Niere und Ventilation der Lungen eine Hauptrolle. Es scheinen aber auch Verschiebungen von Säuren und Basen zwischen dem Blut und den Geweben vorzukommen. Die alkalischsten pH-Werte, die man bei unkompensiertem Kohlensäuredefizit oder unkompensiertem Alkaliüberschuß gemessen hat, betragen etwa 7,8. Wir müssen hier noch zwei praktisch wichtige Fälle erwähnen. Bei starker Ventilation der Lungen nimmt der Partialdruck der Kohlensäure in den Alveolen ab (weil der Kohlensäuregeb alt der Außenluft sehr klein ist). Da zunächst die Konzentration des Bicarbonats im Blutplasma unverändert bleibt, muß das Blut alkalischer werden. Man gelangt im obigen Schema vom Feld V in das Feld II. Wenn eine bestimmte Grenze der alkalischen Reaktion überschritten wird, stellt sich der Zustand einer erhöhten Reizbarkeit des neuromuskulären Apparates ein. Es kommt zu Krämpfen einzelner Muskelgruppen. Klinisch wird dieser Zustand als T e t a n i e bezeichnet, und zwar spricht man im vorliegenden Fall von einer H y p e r v e n t i l a t i o n s t e t a n i e . Sie kann sich z. B. nach starker körperlicher Anstrengung einstellen, auch durch heiße Bäder oder willkürlich forcierte Atmung. Bei chronischem Erbrechen verarmt der Organismus wegen des beständigen Salzsäureverlustes an Chlorid. Im Blutplasma wird unter diesen Umständen das fehlende Chlorion durch Bicarbonat ersetzt (siehe Abb. 53). Da die Alveolarspannung des C0 2 unverändert bleibt, muß auch in diesem Fall das Blut alkalischer werden. Man gelangt vom Feld V in das Feld I. Die sich einstellende Tetanie wird M a g e n t e t a n i e genannt. Sie wird z. B. bei Pylorusverschluß beobachtet. Die Änderungen der Plasmaelektrolyte im Diabetes und bei Magentetanie sind in Abb. 53 (S. 549) dargestellt. 3. Die Plasmaproteine Das normale menschliche Blutplasma enthält 7—8% Eiweiß. Diese Konzentration wird innerhalb enger Grenzen konstant gehalten. Das Plasmaeiweiß ist ein Gemisch zahlreicher individueller Proteine mit verschiedenartigen Eigenschaften und Funktionen. Eine der ältesten Methoden für die Trennung der einzelnen Proteine des Blutserums ist die Aussalzung. Sie beruht auf der verschiedenen Löslichkeit der einzelnen Eiweißkörper in konzentrierten Salzlösungen ("vgl. S. 109 u. ff.). Als Salz wurde früher wegen seiner guten fällenden Wirkung meistens Ammoniumsulfat verwendet. Heute zieht man, wenn es sich um die quantitative Bestimmung der einzelnen Fraktionen handelt, Natriumsulfat oder Gemische von primärem und sekundärem Kaliumphosphat vor, weil bei Verwendung von Ammoniumsulfat das Ammoniak vor der Stickstoffbestimmung erst vertrieben werden muß.

Die Plasmaproteine

571

Wenn man Blutplasma mit steigenden Mengen einer konzentrierten Salzlösung versetzt, so fallen wachsende Mengen Eiweiß aus der Lösung aus. Dabei werden die Eiweißkörper gemäß ihrer Löslichkeit fraktioniert, d. h. die in konzentrierten Salzlösungen schwerer löslichen Proteine fallen zuerst aus. Man gelangt aber auf diesem Weg nicht zu chemisch einheitlichen Verbindungen. Die Fällungsbereiche der einzelnen Proteine überschneiden sich, d. h. das eine Protein beginnt auszufallen, ehe das andere vollständig gefällt ist; außerdem werden die Löslichkeiten der einzelnen Komponenten durch die Gegenwart der anderen in komplizierter Weise beeinflußt. Man erhält daher bei der üblichen Fraktionierung des Blutplasmas oder Serums immer Gemische verschiedener Proteine und nicht einheitliche Körper. Es ist in der Klinik und der Serologie üblich, die einzelnen Eiweißfraktionen des Blutplasmas durch die Salzkonzentration zu kennzeichnen, bei der sie gefällt werden. Man nimmt dabei oft die Konzentration der gesättigten Salzlösung als Einheit. Bei Verwendung von Ammoniumsulfat werden bei Halbsättigung (1 Vol. Serum + 1 Vol. gesättigte Salzlösung) die Serumglobuline gefällt. Um die Serumalbumine abzuscheiden, muß die Lösung vollständig mit Ammoniumsulfat gesättigt werden. Wird die durch Halbsättigung mit Ammoniumsulfat (oder auch Sättigung durch Magnesiumsulfat) ausgefällte Proteinfraktion in Wasser aufgelöst und die verbleibenden Salze durch Dialyse entfernt, so fällt nur ein Teil des Proteins wieder aus. Da die echten Globuline in salzfreiem Wasser unlöslich sind, wurde die wasserlösliche Fraktion als Pseudoglobulin dem wasserunlöslichen Euglobulin gegenübergestellt. Die letzteren werden auch leichter gefällt als die ersteren. Die genauere Untersuchung dieser Fraktionen hat aber gezeigt, daß sich aus beiden sowohl wasserlösliche als auch wasserunlösliche Proteine isolieren lassen. Die Löslichkeit eines Proteins kann eben, wie bereits erwähnt wurde, im Gemisch mit anderen Proteinen eine ganz andere sein, als wenn es in reiner Form vorliegt. Die Fällung mit Natriumsulfat wird wegen der ungenügenden Löslichkeit dieses Salzes bei Zimmertemperatur bei 37° vorgenommen. Man nimmt, für die einzelnen Fraktionen die folgenden Fällungsgrenzen an: bis 13,5% Na 2 S0 4 fällt das Euglobulin, zwischen 13,5% und 21,5% das Pseudoglobulin. Für normales menschliches Blutserum hat man durch Fraktionierung mit Natriumsulfat die folgende mittlere Verteilung gefunden: Konzentration Grenzen in % % Gesamteiweiß 7,2 6,5—7,9 Albumin 5,2 4,7-5,7 Gesamtglobulin 2,0 1,3-2,5 Euglobulin 0,2 0,1-0,4 Pseudoglobulin 1,8 1,0-2,7 Die Fibrinogenkonzentration im Plasma beträgt etwa 0,3%. Das Verhältnis Albumin: Gesamtglobulin wird in der Klinik als A l b u m i n - G l o b u l i n - Q u o t i e n t bezeichnet. Bei vielen pathologischen Zuständen nimmt die Konzentration der Globuline im Verhältnis zu den Albuminen zu, z. B. bei akuten Infektionskrankheiten. Bestimmt man für eine Reihe verschiedener Salzkonzentrationen die in Lösung gebliebene Eiweißmenge, so ergibt die graphische Darstellung der Ergebnisse die Löslichkeit der Plasmaproteine als Funktion der Salzkonzentration (vgl. dazu die allgemeinen Ausführungen auf S. 109). Man erkennt in Abb. 60, welche die Löslichkeit der normalen Plasmaproteine in Kaliumphosphatlösung vom pH 6,5 darstellt, 3 Knickpunkte der Kurve: Bei 0,9 m Phosphat setzt die Fällung des Fibrinogens ein, bei 1,3 m Phosphat die Fällung der Globuline und bei 2,05 m Phosphat die Fällung der Albumine. Eine Unterteilung der Globuline in verschiedene Fraktionen ist auf solchen Kurven nicht mit Sicherheit zu erkennen. Es ist in neuerer Zeit gelungen, mit Hilfe verbesserter Methoden aus dem Blutplasma eine große Zahl reiner Proteine zu isolieren und sie in chemischer und biologischer Hinsicht zu charakterisieren. Die hauptsächlichste Arbeit auf diesem Gebiet wurde von E. J. Cohn in Boston

Das Blut 572 und seinen Mitarbeitern geleistet. Die Trennung beruht auf einer systematischen Anwendung des Aussalzungsverfahrens. Ein wesentliches neues Prinzip besteht darin, die Löslichkeit der Proteine durch Zusatz von Alkohol herabzusetzen. Die Fällung erfolgt unter diesen Bedingungen schon bei kleinen Salzkonzentrationen und ist viel spezifischer als bei Verwendung hoher Konzentrationen in rein wäßrigen Lösungen. Um die Denaturierung der Proteine durch den Alkohol zu vermeiden, muß bei niedrigen Temperaturen gearbeitet werden. Wir können auf Einzelheiten hier nicht eingehen1). Es ist auf diese Weise möglich geworden, eine Reihe von Plasmaproteinen in hochgereinigtem Zustand darzustellen und teilweise zur Kristallisation zu bringen. S e r u m a l b u m i n ist schon 1894 von Gürber aus Pferdeserum in kristallinischem Zustand erhalten worden. Die modernen Methoden haben kristallisiertes Albumin auch aus menschlichem Serum in hoher Ausbeute geliefert. Serumalbumin ist keine homogene Substanz. Es läßt sich z. B. bei pH 4 elektrophoretisch aufteilen. Doch sind neuerdings durch Kristallisation als Quecksilberkomplex Fraktionen erhalten worden, die als einheitlich angesehen werden können. Sehr merkwürdige Körper sind die Verbindungen von Proteinen und Lipiden, die sog. Lipoproteide. Man hat solche sowohl unter den a- wie unter den /S-Globulinen gefunden. Die unten erwähnte ,,X-Komponente" des Sedimentationsdiagramms ist ein /J-Lipoproteid. Diese Substanzen spielen wahrscheinlich beim Transport der wasserunlöslichen Lipide im Blut eine Rolle (siehe unten, Vehikelfunktion). Es sind im Blutserum auch verschiedene Proteine mit hohem Kohlenhydratgehalt gefunden worden (Seroglycoid, Globoglycoid). Die Isolierung der reinen Proteine hat es auch ermöglicht, über ihr Molekulargewicht und die Form ihrer Moleküle exakte Aussagen zu machen. Diese Fragen haben Bedeutung für den Wasseraustausch zwischen Blut und Geweben und für die Hämodynamik. Das Molekulargewicht bestimmt nämlich die osmotische Wirksamkeit der Proteine; die Form der Teilchen hat großen Einfluß auf die Viskosität des Blutes. Je stärker die Form der Teilchen von der Kugelgestalt abweicht, desto größer ist bei gleicher Volumenkonzentration die Viskosität der Lösung. Die Serumalbumine besitzen ein Molekulargewicht von etwa 69000. Die Moleküle können als Rotationsellipsoide von 38 A Durchmesser und 150 A Länge dargestellt werden. Ein typisches Globulin wie das "/-Globulin hat ein Molekulargewicht von 156000 und 44 A Durchmesser bei 235 A Länge. Ein sehr langgestrecktes Molekül besitzt das Fibrinogen: 38 Ä Durchmesser und 700 Ä Länge mit einem Molekulargewicht von 400000. Fibrinogenlösungen sind daher auch bedeutend viskoser als Lösungen von Serumalbumin. Zur besseren Veranschaulichung der Größenverhältnisse sind in Abb. 59 nach E. J . Cohn die Dimensionen verschiedener Plasmaproteine sowie des Hämoglobins schematisch dargestellt. Es scheinen im Blutplasma keine Proteine vorzukommen, die einen wesentlich kleineren Durchmesser als die kleine Achse des Albuminmoleküls (38 A) besitzen. Es ist anzunehmen, daß kleinere Moleküle nicht im Blut verbleiben, sondern daß sie, sei es in der Niere, sei es in anderen Geweben, durch die Kapillarwände hindurchtreten und die Gefäßbahn verlassen.

wo A Na Cl Glucose Albumin

ce,-Lipoprotein 2oboo°

Hämoglobin

ßrUpöörotan

L

ßrGlobulin 90.000

1300000

Fibrinogen wo.ooo Abb. 59. Dimensionen einiger P r o t e i n m o l e k ü l e a u s dem B l u t p l a s m a ' u n d des Hämoglobins (nach E. J . Cohn 2 )). !) Vgl. E d s a l l , Adv. Prot. Chem. 3, 384 (1947). 2) E. J . Cohn, Experientia 3, 125 (1947).

Die Plasmaproteine

573

Einen bedeutenden Fortschritt in der Charakterisierung der Plasmaproteine brachte die Untersuchung ihrer e l e k t r o p h o r e t i s c h e n B e w e g l i c h k e i t , wie sie durch die Methode von T i s e l i u s möglich wurde (Prinzip der Methode siehe S. 105). I m normalen menschlichen Blutplasma können bei leicht alkalischer Reaktion (pH 8) im wesentlichen 5 verschiedene Fraktionen unterschieden werden. Die a m schnellsten wandernde ist das Serumalbumin; die Globuline werden in drei Fraktionen aufgeteilt, die nach abneh mender Beweglichkeit geordnet als a - G l o b u l i n , / ( - G l o b u l i n und y - G l o b u l i n bezeichnet werden; zwischen ß- und y-Globulin bewegt sich das Fibrinogen. Elektrophoresediagramme des Blutplasmas sind in den Abb. 12 und 61 dargestellt.

wu A a ß y

A a. ß

y

B

A

JitoMin^ Albumin En- keudo-

ß

C

Aa. ß

y

ü

Abb. 60 Abb. 61 Abb. 60. L ö s l i c h k e i t s k u r v e ( A u s s a l z u n g s k u r v e ) v o n n o r m a l e m m e n s c h l i c h e m B l u t p l a s m a . Abszisse: Konzentration der Phosphatlösung (pH 6,5) in Mol pro Liter; Ordinate: Löslichkeit der Proteine (in willkürlichem Maßstab). Bei 0,9 Mol Phosphat pro Liter beginnt die Fällung des Fibrinogens (erster Knickpunkt der Kurve), bei 1,3 Mol pro Liter setzt die Fällung der Globuline, bei 2,05 Mol pro Liter die Fällung der Albumine ein. Abb. 61. E l e k t r o p h o r e s e d i a g r a m m des B l u t s e r u m s . A = normales Serum; B und O = Serum bei Plasmocytomen. Man beobachte die starke Vermehrung der y-Globuline (in B) und der ^-Globuline (in C). D = Lipoidnephrose. Serumalbumin stark reduziert. Wie auf S. 107 auseinandergesetzt wurde, läßt sich aus einem solchen Diagramm auch die Konzentration der einzelnen Fraktionen berechnen. Man hat für menschliches Plasma die folgenden mittleren Werte für den prozentualen Anteil der einzelnen Fraktionen an Gesamtproteinen gefunden: Albumin 61% a-Globulin 12% /S-Globulin 12% y-Globulin 11% Fibrinogen 5% Bei pathologischen Zuständen können starke Verschiebungen vorkommen, wie aus Abb. 61 ersichtlich ist.

574

Das Blut

Die einzelnen, durch Elektrophorese trennbaren Fraktionen sind keine chemisch einheitlichen Proteine, sondern setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Sie entsprechen auch nicht den durch Salzfällung aus dem Plasma gewonnenen Fraktionen. Die elektrophoretische Beweglichkeit und die Löslichkeit werden eben nicht durch die gleichen Eigenschaften der Eiweißmoleküle bestimmt. Immerhin bestehen die zuerst ausfallenden Euglobuline im wesentlichen aus y-Globulinen, und die über 50% Sättigung mit Ammoniumsulfat gefällte Albuminfraktion besteht hauptsächlich aus elektrophoretisch einheitlichem Albumin.

Auch die U l t r a z e n t r i f u g e von S v e d b e r g ist für die Untersuchung des Blutserums herangezogen worden. Normales Serum zeigt zwei Hauptkomponenten, von denen die eine im wesentlichen dem Albumin, die zweite den Globulinen zuzuschreiben ist. Daneben findet sich in geringerer Menge eine sehr viel schneller sedimentierende dritte Komponente. Es scheint, daß ihr gewisse Immunglobuline zugeordnet werden können (siehe unten). Die „Albumin"-Komponente ist nicht einheitlich. Es ist ihr ein Körper beigemengt, die sog. „ X - K o m p o n e n t e " (Macfarlane), deren Konzentration mit wachsender Gesamtkonzentration der Proteine zunimmt und deren Sedimentationsgeschwindigkeit stark von der Dichte der Lösung abhängig ist. Bei einer Dichte von 1,04 sedimentiert dieses Protein überhaupt nicht mehr, bei größeren Dichten wird die Sedimentationsgeschwindigkeit negativ, d. h. es bewegt sich wie Fetttröpfchen der Zentrifugalkraft entgegen. In der Tat ist dieses Protein, das sich bisher nur im menschlichen Serum gefunden hat, sehr reich an Lipiden. Es entsteht wahrscheinlich durch reversible Aggregation von Albumin, Globulin und gewissen Lipiden. Sein Molekulargewicht ist sehr hoch von der Größenordnung von einer Million. Die Hauptkomponente ist nach ihrem elektrophoretischen Verhalten ein /^-Globulin. Die Albuminkomponente umfaßt außer diesem Lipoprotein auch noch a- und ^-Globuline. Bei gewissen pathologischen Zuständen können im Blutplasma rasch sedimentierende Proteine von sehr hohem Molekulargewicht auftreten, sog. „Makroglobuline", mit einer Sedimentationskonstanten von 20 Svedberg-Einheiten, entsprechend einem Molekulargewicht von etwa 10" (sog. W a l d e n s t r ö m s c h e Makroglobulinämie)1). Es ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, daß sich sowohl die elektrophoretischen Beweglichkeiten als auch die Sedimentationskonstanten der Plasmaproteine trotz der beträchtlichen Zahl individueller Proteine, aus denen sie sich zusammensetzen, um einige wenige diskrete Werte gruppieren („Linienspektrum", nicht kontinuierliches Spektrum!).

Die Funktionen der Plasmaproteine sind sehr mannigfaltig. Sie sind teilweise durch die allgemeinen physikalischen Eigenschaften der Eiweißlösung bedingt (osmotischer Druck, Viskosität), teilweise durch die besonderen chemischen Eigenschaften der individuellen Proteine. Osmotische Funktion. Wegen der Wasserdurchlässigkeit der Kapillarwände wäre ein geschlossenes Kreislaufsystem unmöglich, wenn nicht die Blutflüssigkeit einen hochmolekularen Stoff enthalten würde, für den die Kapillarwände dicht sind. Die Blutflüssigkeit würde sonst durch den Blutdruck aus den Kapillaren in die Gewebslücken abgepreßt; das Gefäßsystem würde sich entleeren. Wegen der Undurchlässigkeit der Kapillarendothelien für Kolloide kommt aber die osmotische Wasseranziehung der Eiweißlösung in den Kapillaren zur Geltung. Der osmotische Druck der Plasmaproteine hält dem Blutdruck in den Kapillaren das Gleichgewicht (StarIi ng). Dadurch garantieren die Plasmaproteine die Erhaltung eines bestimmten Blutvolumens. Naturgemäß sind die Serumalbumine wegen ihres kleinen Molekulargewichts osmotisch der wirksamste Bestandteil des Blutplasmas; etwa 80% des gesamten kolloid osmotischen Drucks entfallen auf die Albumine. Es i s t eine für die H ä m o d y n a m i k sehr b e d e u t s a m e T a t s a c h e , d a ß die A l b u m i n e g l e i c h z e i t i g W a l d e n s t r o m , Schweiz, med. Wschr. 78,927 (1948); P e d e r s e n : Ultracentrifugalstudies on serum and serum fractions. Uppsala 1945.

Die Plasmaproteine

575

auch die k l e i n s t e spezifische V i s k o s i t ä t besitzen. Sie ist etwa 6mal kleiner als diejenige des Fibrinogens, dessen Molekül von allen untersuchten Plasmaproteinen am meisten von der Kugelgestalt abweicht. Man hat wegen ihrer hohen osmotischen Wirksamkeit Lösungen von kristallisiertem menschlichem Serumalbumin therapeutisch zur Auffüllung des Kreislaufsystems bei Schockzuständen (Kriegsverletzte, chirurgischer Schock) verwendet.

Plasmaproteine als Eiweißreserve. Diese Funktion wurde schon früher besprochen (vgl. S. 445). Daß die Plasmaproteine aktiv am Stoffwechsel teilnehmen, geht aus Versuchen hervor, bei denen die Aufnahme markierter Aminosäuren untersucht wurde. Es zeigte sich, daß das Eiweiß des Blutplasmas in etwa 2 Wochen zur Hälfte erneuert wird. Vehikelfunktion. Die Plasmaproteine haben die Fähigkeit, mit allen möglichen Stoffen Komplexe zu bilden. Viele wasserunlöslichen Stoffe können im Blut nur in Form solcher Eiweißkomplexe transportiert werden. Die Proteinmoleküle dienen ihnen als Vehikel (Bennhold 1 )). Es zeigt sich immer mehr, daß es sich bei dieser Erscheinung um eine spezifische Bindung der Stoffe an ganz bestimmte Fraktionen des Serums oder an individuelle Proteine handelt. Bennhold konnte z. B. nachweisen, daß viele Farbstoffe ausschließlich vom Albumin gebunden werden und bei der Diffusion als Albuminkomplexe wandern oder daß Cholesterin sich nur mit bestimmten Globulinen, nicht aber mit Albumin verbindet. Die weitgehende Aufteilung des Blutplasmas in seine Komponenten hat zur Entdeckung verschiedener natürlicher Komplexe geführt. Von besonderem Interesse sind die Lipoproteid e, weil sie vermutlich am Transport der wasserunlöslichen Lipide und Sterine im Blut wesentlichen Anteil haben. Die Lipoproteide finden sich unter den a- und ^-Globulinen. Der Lipidanteil enthält Cholesterin, Sterine (auch Steroidhormone), Phosphatide und Fettsäuren. Der Gesamtgehalt an Lipiden schwankt bei den bisher genauer untersuchten Vertretern zwischen 35 und 75% des Trockengewichts. Trotz dieses sehr hohen Lipidgehalts sind diese Stoffe gut wasserlöslich. Aus dem oben erwähnten X-Proteid, das zu 75% aus Lipiden besteht, kann man in verdünnten Salzlösungen eine 10%ige Lösung herstellen. Diese Verbindung von hohem Lipidgehalt und hoher Wasserlöslichkeit ist außergewöhnlich und stellt ein eindrückliches Beispiel für die Anpassung der chemischen Eigenschaften eines Stoffes an seine physiologische Funktion dar.

Die Albumine halten höhere Fettsäuren gebunden; dieselben gehen sogar bei der Kristallisation in die Kristallstruktur ein. Das Bilirubin ist im Serum spezifisch an das Albumin gebunden; der Carotinfarbstoff dagegen findet sich mit den Lipiden an ^-Globuline gebunden. Dasselbe gilt für Vitamin A und, wie bereits erwähnt, für die Sterine des Plasmas. Die Fähigkeit der Plasmaproteine, mit wasserunlöslichen Stoffen lösliche Komplexe zu bilden, ist von größter Bedeutung. Lipide, Sterine, wasserunlösliche Wirkstoffe können nur in dieser Form transportiert werden. Auch das Serumeisen findet sich in Form eines spezifischen ß-Globulin-MetallKomplexes; das eisenbindende Protein konnte in kristallisiertem Zustand dargestellt werden (Molekulargewicht 90000). Es kann sich auch mit Kupfer verbinden2). Im Plasma kommt auch ein kupferhaltiges Protein vor, das Coeruloplasmin. Es ist ein a- Globulin. Mol.Gew. 150000, Cu-Gehalt 0,34%3). Über seine Beziehung zur Wilsonschen Krankheit vgl. S. 817. Aus Erythrocyten wurde ein weiteres kupferhaltiges Proteid isoliert, das Hämocuprein 4 ). Bennhold, Ergebn. inn. Med. u. Kinderheilk. 42, 273 (1932). ) Koechlin, J . Am. ehem. Soc. 74, 2649 (1952). 3 ) Holmberg u. Laureil, Acta ehem. Scand. 2. 550 (1948). 4 ) Mann u. Keilin, Proc. Roy. Soc., London, Serie B, 126, 303 (1938). 2

576

Das Blut

Viele Stoffe sind wahrscheinlich auch in den Geweben an die Proteine gebunden, und man muß annehmen, daß sie mit ihren Eiweißkomplexen im Gleichgewicht stehen: Zellprotein + X

,

'

Zellprotein • X

Ist die Gleichgewichtskonzentration von X klein, so könnte von diesem Stoff nur wenig in eine eiweißfreie Blutflüssigkeit übertreten. Wenn aber der Stoff im Blutplasma ebenfalls an ein Protein gebunden wird, so kann das Blut eine sehr viel größere Menge aufnehmen. Es findet dann — durch die trennenden Oberflächen hindurch — ein Austausch der Stoffe zwischen den Zellproteinen und den Plasmaproteinen statt. Die Plasmaproteine ermöglichen die Elution der in den Geweben fixierten Stoffe. Ohne die P l a s m a p r o t e i n e k ö n n t e das B l u t eine seiner H a u p t f u n k t i o n e n , die im T r a n s p o r t d e r N ä h r s t o f f e , d e r S t o f f w e c h s e l p r o d u k t e und der W i r k s t o f f e zwischen den Organen besteht, ü b e r h a u p t nicht erfüllen. Spezielle Funktionen der Plasmaproteine. Diese sind sehr zahlreich und mannigfaltig. I n erster Linie ist an die Blutgerinnung zu erinnern, eine wichtige Schutzfunktion, die unten ausführlicher besprochen wird. Das Blut enthält eine Reihe von Enzymen: Amylase, Esterase, Phosphatase, proteolytische Fermente. Von besonderer Bedeutung sind die Proteine, die mit den Immunitätsreaktionen und den Blutgruppen zusammenhängen. Jedes Serum enthält gewisse A n t i k ö r p e r , die als Reaktion des Organismus auf Infektionen entstanden sind und im Blutserum während längerer Zeit, in einzelnen Fällen sogar zeitlebens, erhalten bleiben. Sie sind die Träger der Abwehrfunktionen des Bluts. Die Antikörper werden wie alle anderen Plasmaproteine ständig erneuert. Wenn man nämlich einem immunisierten Tier markierte Aminosäuren zuführt, so werden dieselben auch in die Antikörper aufgenommen. Daß dies tatsächlich auf einer Neubildung der Antikörper beruht, geht aus der Tatsache hervor, daß bei passiv (durch Injektion des Antikörpers) immunisierten Tieren die Antikörper keine markierten Aminosäuren aufnehmen ( S c h o e n h e i m e r , H e i d e l b e r g e r ) .

Die bisher untersuchten Antikörper gehören zu den y-Globulinen. Vom Antipneumokokken-Globulin konnte das Molekulargewicht bestimmt werden. Es hat beim Menschen, beim Affen und beim Kaninchen den Wert der normalen Globuline von 160000; beim Pferd, Rind und Schwein dagegen gehört dieser Antikörper der früher schon erwähnten (S. 574), rasch sedimentierenden Fraktion vom Molekulargewicht etwa 900000 an. Es handelt sich um sehr langgestreckte Teilchen mit einem Achsenverhältnis von etwa 1: 20. Diese Beobachtungen zeigen, daß die Immunglobuline, auch wenn sie die gleiche Spezifität (in diesem Falle Antipneumococcus) besitzen, keineswegs identisch sind, daß also Eiweißteilchen von sehr verschiedener Größe und Form Träger derselben spezifischen Gruppe sein können. Die Stoffe, welche für die Agglutination der gruppenfremden Blutkörperchen verantwortlich sind, die I s o a g g l u t i n i n e , sind Euglobuline (Anti-A, Anti-B, AntiRhesusfaktoren). Schließlich sei noch das für viele serologische Reaktionen (z. B. die W a s s e r m a n n s c h e Reaktion) wichtige K o m p l e m e n t (Alexin) erwähnt, das aus verschiedenen Komponenten besteht. Das sog. „Mittelstück" und das „Endstück" des Komplements sind Proteine und finden sich in bestimmten Globulinfraktionen. Auf die verschiedenen für die B l u t g e r i n n u n g wichtigen Proteine werden wir im folgenden Abschnitt zu sprechen kommen. Zustand des Bilirubins im Blutplasma. Das Bilirubin gibt mit diazotierter Sulfanilsäure eine Farbreaktion, die auf der Bildung von Azofarbstoffen beruht (vgl. S. 633). Diese Reaktion kann

Die Blutgerinnung

577

auch auf Blutserum angewandt werden. Es ist aber schon lange bekannt, daß ikterische Seren sich dem Diazoreagens gegenüber verschieden verhalten können: Beim hämolytischen Ikterus tritt die Färbung erst nach Zusatz von Alkohol auf; man bezeichnet dies als indirekte R e a k t i o n . Bei anderen Formen der Gelbsucht, z. B. beim Stauungsikterus, entsteht der Farbstoff sofort, ohne daß Alkohol zugesetzt werden müßte; dies ist die direkte R e a k t i o n (Hijmans v a n den Bergh). Zur Erklärung dieses unterschiedlichen Verhaltens wurden verschiedene Hypothesen aufgestellt. Man nahm z. B. an, daß sich das Bilirubin in den indirekt reagierenden Seren in Form eines Albuminkomplexes findet, aus dem es erst bei Zusatz von Alkohol abgespalten wird, während es in den direkt reagierenden in freier Form vorhanden sein soll. Die wahre Natur der direkten Reaktion wurde aber erst in neuester Zeit erkannt: Das Bilirubin wird in der Leber in ein Glucuronsäurekonjugat verwandelt, das viel besser wasserlöslich ist als das freie Bilirubin; es scheint, daß nur solche Seren die direkte Reaktion geben, welche k o n j u g i e r t e s Bilirubin enthalten1). Wahrscheinlich geht das letztere bei Obstruktion der Gallenwege durch Rückstauung ins Blut über. Beim hämolytischen Ikterus scheint im Blut nur freies Bilirubin vorzukommen, welches durch das Albumin in Lösung gehalten wird. Vgl. S. 605 u. 633.

4. Die Blutgerinnung Die Gerinnung des Blutes besteht darin, daß ein im Blutplasma gelöstes Protein, das F i b r i n o g e n , durch ein Ferment, das T h r o m b i n , in einen unlöslichen Eiweißkörper, den Faserstoff oder das F i b r i n , übergeführt wird. Das Fibrin bildet ein dichtes Geflecht submikroskopischer Fäden, ein Gel (vgl. S. 162). Beim Gerinnen schließt das ausfallende Fibrin alle Formelemente ein, und der B l u t k u c h e n (Placenta sanguinis) preßt, indem er sich kontrahiert, das gelb gefärbte Serum aus. Im Plasma sind 0,3—0,4% Fibrinogen enthalten. Durch gewisse Zusätze gelingt es, das Blut u n g e r i n n b a r zu machen. So genügt ein Zusatz von 0,1% Natriumoxalat oder 0,3% Natriumfluorid oder Natriumeitrat oder 1 / 4 Volumen gesättigter Magnesiumsulfatlösung. Außer diesen Salzen wird die Gerinnung durch das in den Munddrüsen des Blutegels gebildete H i r u d i n verhindert. H o w e l l konnte aus der Leber eine Substanz isolieren, das H e p a r i n , die in vitro wie in vivo gerinnungshemmend wirkt und in ihrer Wirkung dem Hirudin weit überlegen ist. Die Blutgerinnung ist eine Schutzfunktion, deren Ziel es ist, verletzte Blutgefäße zu verschließen. Sie besteht in einer Kette von Reaktionen, die schließlich mit der Überführung des Fibrinogens in das Fibrin endet. Obwohl die Erforschung der Blutgerinnung auf eine Geschichte von gut einem Jahrhundert zurückblickt, sind heute noch nicht alle Einzelheiten des Gerinnungsvorganges geklärt. Das in den meisten Lehrbüchern der Physiologie dargestellte „klassische" Schema der Blutgerinnung, das aus den Forschungen von A l e x a n d e r S c h m i d t , H a m m a r s t e n , A r t h u s und anderen hervorgegangen ist, geht im wesentlichen von den folgenden Annahmen aus: Das Blutplasma enthält neben dem Fibrinogen eine inaktive Vorstufe des Gerinnungsferments, das P r o t h r o m b i n (Serozym). Kommen die außerhalb der Blutgefäße sehr empfindlichen Blutplättchen (Thrombocyten) mit fremden Oberflächen (Glas usw.) in Kontakt, so werden sie geschädigt und geben an das Blutplasma einen Stoff ab, die T h r o m b o k i n a s e ( T h r o m b o p l a s t i n , Cytozym), der bei Gegenwart von Ca ++ -Ionen das Prothrombin aktiviert, d. h. in Thrombin überführt. Damit beginnt die Umwandlung des Fibrnogens in Fibrin. !) R. S c h m i d , Helv. med. Acta 24, 273 (1967); J. biol. Chem. 229, 881 (1957); B i l l i n g u. L a t h e , Biochem. J. 63, 6 P (1956); B i l l i n g u. Mitarb., Biochem. J. 66, 774 (1957). 37

Leuthardt, Lehrbnch 14. Aufl.

Das Blut

578 Blutplättchen

Fibrin Thrombin

Thrombokinase ' Ca++

Fibrinogen Prothrombin

Die Gerinnung des Blutes ist also ein in zwei Phasen ablaufender Vorgang: 1. Bildung des wirksamen Thrombins; 2. Umwandlung des Fibrinogens in Fibrin durch Thrombin. D a s obige Schema trägt diesen Tatsachen Rechnung. Die Gerinnungsaktivität des frischen S e r u m s , welches Thrombin enthält, n i m m t sehr rasch ab, weil das Thrombin in eine unwirksame Form, das M e t a t h r o m b i n , übergeht. Metathrombin scheint eine Verbindung zwischen Thrombin und einem Plasmaprotein, dem sog. „Serumantithrombin", zu sein, denn das Thrombin kann daraus durch Alkali teilweise wieder regeneriert werden. Der Überführung des Fibrinogens in Fibrin liegt ein p r o t e o l y t i s c h e r Prozeß zugrunde. Durch das Thrombin wird vom Fibrinogen zuerst ein glutaminsäurehaltiges Peptid (Fibrinopeptid) abgespalten 1 ). Das übrigbleibende Protein polymerisiert sich unter geeigneten Bedingungen zum Fibrinogen. Die Polymerisation ist ein reversibler Prozeß. Bei pH 5,3 und in Gegenwart von Natriumbromid verwandelt sich Fibrin in das monomere Protein zurück 2 ). An die Polymerisation schließt sich ein weiterer Vorgang an. der vom Calcium und einem Plasmafaktor abhängig ist und zu einer Stabilisierung des primären Polymerisationsprodukts führt, wahrscheinlich durch Bildung von Disulfidbrücken. Die Fibrinbildung läßt sich also folgendermaßen darstellen:

Fibrinogen

Thrombin

„monomeres Fibrin" + Fibrinopeptid

Polymerl-

„polymeres Fibrin" Plasmafaktor + Ca++

definitives Fibrin

Die Fibrinogene der verschiedenen Tierarten zeigen Unterschiede. Beim Fibrinogen des Menschen bildet Alanin das N-Ende der Ketten, welche durch das Thrombin angegriffen werden; ebenso ist es beim Schwein, dem Schaf und der Ziege. Bei anderen Tierarten dagegen ist das Endglied Glutaminsäure (Rind) oder Threonin (Pferd, Hund). Dementsprechend sind auch die abgespaltenen Fibrinopeptide artspezifisch. Als neues N-Endglied tritt nach der Spaltung immer Glycin auf. Offenbar werden durch das Thrombin bestimmte Glycylbindungen geöffnet 3 ). Im Blutplasma findet sich, in Form einer inaktiven Vorstufe, ein Ferment ( P l a s m i n , F i b r i n o l y s i n ) , welches das Fibrin proteolytisch abbaut. Das Proferment (Plasminogen) kann durch ein proteolytisches Enzym aus Bakterien ( S t r e p t o k i n a s e ) aktiviert werden (ein Vorgang, der möglieherweisj bei der Ausbreitung von Streptokoklceninfektionen eine Rolle spielt). Ein Plasminogenaktivator wird auch im Urin ausgeschieden4). Die Ungerinnbarkeit des Blutes, die, wie oben erwähnt wurde, nach Zusatz v o n Fluorid, Oxalat oder Citrat eintritt, findet ihre Erklärung darin, daß alle diese Anionen die Ca + + -Ionen binden, die zur Aktivierung des Prothrombins nötig sind. Zusatz von C a ^ - I o n e n im Überschuß (,,Recalcifizierung") bringt das Plasma sofort zur Gerinnung. *) Vgl. S h e r r y u. Mitarb., Physiol. Rev. 34, 736 (1951); S c h e r a g a u. L a s k o w s k i , Adv. Prot. Chem. 12, 1 (1957). 2 ) Do'inelly u. .Vlitarb., \reh. Biochen. Biophvs. 56. 369 (1955). 3 ) B l o m b ä c k , Acta Physiol. Scand. 43, Suppl. 148 (1958). 4 ) A s t r u p u. S t e r n d o r f f , Scand. J . Clin. a. Lab. Invest. 7, 225 (1955).

Die Blutgerinnung

579

Die Gewebe enthalten Stoffe („thromboplastische" Substanzen), welche die Gerinnung auszulösen vermögen. Wenn das Blut daher mit verletzten Geweben in Kontakt kommt (beim Ausfließen aus Wunden), wird die Gerinnung rasch eingeleitet. Über die chemische Natur der verschiedenen thromboplastisch wirksamen Substanzen und besonders über ihre Identität ist wenig Sicheres bekannt. E s scheint, daß zwei Typen von derartigen Substanzen existieren, solche lipidartiger Natur, die thermostabil sind, und solche eiweißartiger Natur, die durch Hitze zerstört werden; doch ist es, besonders bei den bisher bekannten Substanzen der ersten Gruppe, möglich, daß sie den eigentlich wirksamen F a k t o r als Verunreinigung enthalten. H o w e l l konnte zeigen, daß gewisse Phosphatide, insbesondere das K e p h a l i n (siehe S. 46), thromboplastische Eigenschaften besitzen. Auch wässerige Organextrakte enthalten Thrombokinase. Sie sind in ihrer Wirkung dem Kephalin überlegen. Aus diesem Grunde nimmt man an, daß die Thrombokinase möglicherweise eine Komplexverbindung aus Phosphatid und Eiweiß ist. Sehr wirksame Extrakte hat man besonders aus dem Gehirn und aus der Lunge erhalten. E s ist gelungen, aus Rinderlunge ein Lipoproteid zu isolieren, das eine hohe thromboplastische Wirksamkeit zeigt (0,008 y sind noch wirksam). Es handelt sich um einen sehr hochmolekularen Komplex, der ein kompliziert zusammengesetztes Gemisch von Lipiden einschließt ( C h a r g a f f ) .

Neben den thromboplastisch wirksamen Substanzen des Blutes und der Gewebe gibt es noch andere Stoffe, welche das Blutplasma zur Gerinnung zu bringen vermögen. Dazu gehören gewisse proteolytische Fermente wie Trypsin, Papain und einige der proteolytisch wirksamen Schlangengifte. Auf welche Weise diese Enzyme die Gerinnung auslösen, ist noch nicht vollständig geklärt. Einzelne, wie das Papain, scheinen direkt auf das Fibrinogen einzuwirken und es auszufällen. Andere dagegen, wie das Trypsin, wirken ähnlich wie die Thrombokinasen. Es ist daher denkbar, daß auch bei der natürlichen Aktivierung des Prothrombins im Plasma Stoffe mit proteolytischer Wirksamkeit beteiligt sind. Das Gift von V i p e r a r u s s e l l i , das für sich allein nicht wirksam ist, ergibt zusammen m i t rohem' Lecithin eine sehr aktive Thrombokinase. Der wirksame Bestandteil des Phosphatids scheint Colaminkephalin zu sein.

Einzelne Schlangengifte, z. B. das Kobragift, machen das Blut ungerinnbar, und zwar indem sie das Prothrombin oder auch das Fibrinogen zerstören. Neuere Untersuchungen haben zu verschiedenen Modifikationen des „klassischen" Schemas der Blutgerinnung geführt, insbesondere was die Bildung der Thrombokinase im Blut und die Aktivierung des Prothrombins betrifft. Nach den neueren Auffassungen wird aktives Thromboplastin ( = Thrombokinase) auf zwei Arten gebildet: Im Blutplasma entsteht es wahrscheinlich durch das Zusammenwirken eines aus den Plättchen stammenden Faktors mit verschiedenen im Blutplasma vorhandenen Faktoren: B l u t t h r o m b o k i n a s e . Beim Kontakt des aus den Gefäßen austretenden Bluts mit den Geweben treten die oben erwähnten thromboplastischen Substanzen ins Blut über, die zwar, wie wir heute wissen, für sich allein nicht wirksam sind, aber zusammen mit gewissen Plasmafaktoren äußerst wirksame Aktivatoren des Prothrombins ergeben: G e w e b s t h r o m b o k i n a s e . Bei der neueren Entwicklung der Gerinnungsphysiologie hat die Methode von Q u i e k zur Prothrombinbestimmung im Blutplasma eine große Rolle gespielt 1 ). Dieselbe beruht auf der Annahme, daß die Gerinnungszeit von Blutplasma (Oxalatplasma), dem man einen Überschuß von Ca + + und Thrombokinase in Form eines Gehirnextrakts zugesetzt hat, nur von der Konzentration des Prothrombins abhängig ist. Man nennt die unter standardisierten Bedingungen !) Q u i c k , Am. J . Physiol. 114, 282 (1935). 37«

580

Das Blut

gewonnene Gerinnungszeit „Prothrombinzeit". Dieselbe hängt nach neueren Untersuchungen allerdings nicht nur vom Prothrombin, sondern noch von anderen Faktoren ab. Bei Verwendung von Thrombokinase aus menschlichem Gehirn beträgt die normale Prothrombinzeit etwa 15 Sek.

Die meisten Untersuchungen über die Blutgerinnung sind mit Gewebsthrombokinase (gewöhnlich Gehirnextrakt) durchgeführt worden. Es hat sich gezeigt, daß dieselbe für sich allein (auch in Gegenwart von Ca ++ ) das Prothrombin nicht zu aktivieren vermag, sondern daß dazu mindestens noch zwei weitere Gerinnungsstoffe nötig sind, die heute gewöhnlich als Faktor Y und Faktor VII bezeichnet werden. Oxalatplasma, das während einiger Tage aufbewahrt wurde, gerinnt auf Zusatz von Thrombokinase und Ca + + nicht mehr. Beim Stehen ist nicht etwa das Prothrombin zerstört worden, denn man kann ein solches Plasma durch Zusatz von frischem Serum, aus dem das Prothrombin durch Adsorption entfernt wurde, wieder zum Gerinnen bringen (Quick). Es muß also ein labiler Faktor verschwunden sein, der weder mit Thromboplastin noch mit Prothrombin identisch ist. Es zeigt sich ferner, daß gereinigte Prothrombinlösungen bei Zusatz von Thrombokinase und Ca + + nur sehr langsam Thrombin bilden, wenn nicht ein Plasmafaktor zugesetzt wird, der durch Fällung mit Ammoniumsulfat gewonnen werden kann („accelerator globulin") ( F a n t l und N a n c e , Seegers). Schließlich ist eine Gerinnungsstörung bekanntgeworden, bei der das Blut eine verlängerte „Prothrombinzeit" aufweist, scheinbar also zu wenig Prothrombin enthält, bei der in Wirklichkeit aber, wie die genauere Analyse des Defekts ergeben hat, ein anderer Gerinnungsstoff fehlt, der mit keinem der bisher bekannten identisch sein kann. Man hat ihn als „Accelerin" (Faktor V) bezeichnet (Owren). Soviel wir wissen, handelt es sich bei allen diesen Beobachtungen stets um den gleichen Gerinnungsfaktor. Die Gerinnungszeit, welche nach der geläufigen Q u i c k sehen Methode bestimmt wird, hängt nicht nur vom Prothrombin, sondern auch vom labilen Faktor V ab und ferner, wie F. K o l l e r gezeigt hat, von einem weiteren Gerinnungsstoff, der als Faktor VII bezeichnet wird. Dieser ist im Gegensatz zum ersteren beim Stehen des Serums beständig und ist neben Thrombokinase, Faktor V und Ca + + für die Überführung des Prothrombins in Thrombin unentbehrlich. Er wird von Asbestfiltern stärker adsorbiert als Prothrombin und Faktor V. Wie der letztere ist er ein Protein. Er konnte so weit gereinigt werden, daß er nur noch wenig Prothrombin enthält. Es gibt aber noch weitere Gerinnungsfaktoren, welche zwar bei der Gerinnung mit Gewebsthrombokinase keine Rolle spielen, die aber für die Bildung der aktiven Thrombokinase im Blutplasma unentbehrlich sind. Eine der am längsten bekannten Gerinnungsstörungen ist die B l u t e r k r a n k h e i t ( H ä m o p h i l i e ) . Die Gerinnungszeit des Blutes ist hier stark verlängert. Das Blut des Hämophilen gerinnt bei Zusatz normaler Plättchen nicht, wohl aber bei Zusatz von normalem reealeifiziertem Plasma. Es scheint also ein Defekt eines Plasmafaktors vorzuliegen. Man hat aus Blutplasma eine Euglobulinfraktion abgetrennt, welche das hämophile Blut zur Gerinnung bringt ( a n t i h ä m o p h i l e s G l o b u l i n , F a k t o r VIII). Dieses Protein zeigt enge Beziehungen zum Fibrinogen und konnte bisher von ihm nicht getrennt werden. Es wird bei der Gerinnung vom Fibrin mitgerissen und fehlt deshalb im Serum. Bei Zusatz von Gewebsthrombokinase gerinnt hämophiles Blut ebenso rasch wie normales. Man kann also annehmen, daß das antihämophile Globulin mit der Bildung der thromboplastischen Substanz zu tun hat.

Die Blutgerinnung

581

Bei Patienten mit Hämophilie ist ein Gerinnungsdefekt nachgewiesen worden, der auf dem Fehlen eines vom „antihämophilen" Globulin verschiedenen Faktors beruht. Man hat ihn als „Faktor I X " oder nach dem Namen des ersten Patienten als „ C h r i s t m a s f a e t o r " bezeichnet ( M a c f a r l a n e ) . Man muß demnach je nach dem fehlenden Gerinnungsfaktor verschiedene Typen der Hämophilie unterscheiden (Fehlen von Faktor V I I I : Hämophilie a; Fehlen von Faktor I X : Hämophilie b) 1 ). Wahrscheinlich ist die Zahl der an der Blutgerinnung beteiligten Faktoren damit noch nicht erschöpft. Neuere Beobachtungen weisen auf einen weiteren Faktor hin, der sowohl für die Bildung der Blutthrombokinase als auch der Gewebsthrombokinase nötig ist. (Nach den ersten Patienten, bei denen ein Defekt dieses Faktors festgestellt wurde, hat man den Namen S t u a r t - P r o w e r - F a k t o r vorgeschlagen.) Es gibt Anhaltspunkte für die Existenz noch weiterer Faktoren 2 ). Bei der durch die Gewebsthromboplastine ausgelösten Gerinnung spielen die Thrombocyten keine Rolle; dagegen sind sie für die Gerinnung im Blutplasma, die sich ohne Beteiligung von Gewebsfaktoren abspielt, von wesentlicher Bedeutung. Die Bedeutung der Thrombocyten für den Gerinnungsvorgang zeigt sich auch bei der morphologischen Untersuchung. Man kann im Mikroskop und besonders schön in elektronenmikroskopischen Bildern feststellen, daß die Bildung der Fibrinfaden von den Plättchen als Zentren ausgeht. Die Plättchen sind aber nicht nur als Träger von Gerinnungsfaktoren wichtig; sie sind auch für die sog. R e t r a k t i o n des Blutkuchens verantwortlich. Darunter versteht man die Zusammenziehung des Blutkuchens, die beim Stehen des geronnenen Blutes immer eintritt und die zur Auspressung des Serums führt. Wahrscheinlich tritt im Verlauf der Gerinnung aus den Blutplättchen ein fibrilläres, kontraktiles Protein aus, das sich mit dem Fibringerüst verflicht. Bei der Verkürzung der Fibrillen kommt es daher zu einer Zusammenziehung des Fibringerüsts und einer Verkleinerung des Volumens des Gels. Die Thrombocyten sind aber auch imstande, ganz unabhängig von jeder Fibringerinnung Thromben zu bilden, indem sie miteinander verkleben. Dieser Vorgang ist insbesondere auch für die Bildung der Blutgerinnsel innerhalb der Gefäße von x ) Die Bezeichnung der Gerinnungsfaktoren. Für die in den letzten Jahren entdeckten neuen Gerinnungsfaktoren hat sich noch keine einheitliche Nomenklatur durchgesetzt. Der gleiche Faktor ist von den einzelnen Autoren mit verschiedenen Namen belegt worden. Die Übersicht wird dadurch außerordentlich erschwert. Es ist nur bei sorgfältigem Vergleich der Versuchsbedingungen möglich, die verschiedenen Faktoren zu identifizieren. Zur besseren Orientierung im Schrifttum verweisen wir auf die Zusammenstellung von F. K o l l e r , Verh. dtsch. Ges. inn. Med. 58, 508 (1953). Die Bezeichnung der „neuen" Faktoren durch Zahlen, welche die Funktion der Faktoren in keiner Weise präjudizieren, ist sicher vorzuziehen, solange über die Wirkungsweise dieser Stoffe nichts Genaueres bekannt ist. Wenn man auch die „alten" Gerinnungsfaktoren des Blutplasmas in der Reihenfolge ihrer Entdeckung durch Zahlen bezeichnen will, so kommt man zur folgenden Reihe: Faktor I = Fibrinogen; Faktor I I = Prothrombin-Thrombin; Faktor I I I = Thromboplastin; Faktor IV = Ca + + ; Faktor V = labiler Faktor von Q u i c k , Accelerin, u accelerator factor"; Faktor VII = Proeonvertin von O w r e n ; Faktor VIII = antihämophiles Globulin; Faktor I X = „Christmas factor". Als Faktor VI hatte Owren einen Stoff bezeichnet, den er als aktivierte Form des labilen Faktors V auffaßte. Es muß dahingestellt bleiben, ob diese Unterscheidung nötig und überhaupt berechtigt ist. 2

) Vgl. K o l l e r u. Mitarb., Thrombosis et Diathesis Haemorrhagica 1, 2 (1957).

582

Das Blut

Bedeutung (Thrombose) und spielt wahrscheinlich auch bei der Blutstillung eine Rolle (zellulärer Gerinnungsmechanismus). Die Veränderung der Blutplättchen, welche zu ihrer Yerklebung führt, wird als „ v i s k o s e M e t a m o r p h o s e " bezeichnet ( W r i g h t und Minot). Die Faktoren,welche dieselbe auslösen, sind möglicherweise enzymartiger Natur und werden im Verlauf der Gerinnung gebildet. Wir haben schon erwähnt, daß die viskose Metamorphose zum Austritt von Gerinnungsfaktoren aus den Plättchen führt. Die Beziehungen der verschiedenen Gerinnungsfaktoren untereinander und zur Thrombokinase sind noch keineswegs geklärt. Wahrscheinlich entsteht die bei der Gerinnung mit bluteigenen Faktoren wirksame Thrombokinase durch das Zusammenwirken eines Plättchenfaktors mit den verschiedenen Plasmafaktoren und führt, wenn sie einmal gebildet ist, als selbständiger Wirkstoff, unabhängig von irgendwelchen Cofaktoren, das Prothrombin in Thrombin über. Diese Annahme beruht auf folgender Beobachtung (Macfarlane): Wenn man mit Aluminiumhydroxyd vorbehandeltes Plasma (enthaltend Faktor V -f- antihämophiles Globulin) mit normalem Serum (enthaltend den „Christmas factor" -(- den Faktor VII), Blutplättchen und Ca + + inkubiert, erhält man eine Lösung, welche Blutplasma sofort zum Gerinnen bringt, während normalerweise hierzu 7 —15 Minuten nötig sind. Es scheint also, daß während der Inkubation der Gerinnungsfaktoren eine hochwirksame Thrombokinase entstanden ist (sog. „thromboplastin generation test").

Bei der Auslösung der Gerinnung im Plasma (ohne Zutritt von Gewebesaft) spielt der Kontakt des Blutes mit f r e m d e n O b e r f l ä c h e n eine große Rolle. Es ist schon lange bekannt, daß man die Gerinnung des Bluts stark verlangsamen oder sogar für längere Zeit verhindern kann, wenn man die Gegenstände, mit denen es in Berührung kommt, (Spritzen, Gefäße) u n b e n e t z b a r macht. Beim Kontakt mit Glas oder Metall tritt die Gerinnung rasch ein. Man kann dies aber verhindern, wenn man das Glas mit einer wasserabstoßenden Schicht von Paraffin oder Silicon überzieht oder überhaupt Geräte aus Kunststoffen (Polyäthylen usw.) verwendet. Die Eigenschaften, welche eine Oberfläche für Blut indifferent machen, lassen sich allerdings physikalisch noch nicht genau fassen. Es gibt Ausnahmen von der Regel, wonach die Benetzbarkeit ausschlaggebend ist. Möglicherweise spielt auch die chemische Natur des Materials und seine elektrische Ladung gegen die berührende Flüssigkeit eine Rolle. Man muß annehmen, daß durch den Kontakt mit der fremden Oberfläche ein bisher inaktiver Gerinnungsfaktor wirksam wird und die Reaktionskette auslöst. Die allgemeine Ansicht ging früher dahin, daß zuerst die Plättchen zerfallen und daß die Gerinnung durch die frei werdenden Plättchenfaktoren eingeleitet wird. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, daß beim Kontakt mit Oberflächen, auch wenn keine Plättchen zugegen sind, gewisse P l a s m a f a k t o r e n aktiviert werden. Der Zerfall der Plättchen scheint ein sekundärer Vorgang zu sein, der erst unter dem Einfluß von (enzymartigen ?) Faktoren eintritt, welche durch die bereits in Gang gesetzte Gerinnung geliefert werden (siehe unten). Verschiedene Plasmafaktoren sind durch die Analyse der Gerinnungsstörungen entdeckt worden, welche bestimmten hämorrhagischen Diathesen (Blutungsbereitschaft) zugrunde liegen (Faktoren V, VIII, IX). Es handelt sich dabei um hereditäre Defekte; das klassische altbekannte Beispiel ist die Hämophilie.

Das folgende Schema faßt die an der Gerinnung beteiligten Faktoren zusammen, wobei die Gerinnung durch die bluteigenen Faktoren von der durch Zutritt von Gewebsthrombokinase ausgelösten Gerinnung unterschieden wird. Über die Art des Zusammenwirkens der einzelnen Faktoren wird keine Annahme gemacht.

Die Blutgerinnung

583

Gerinnung mit B l u t t h r o m b o k i n a s e : Plättchenfaktor

+

Gerinnung mit Gewebst hrombokinase:

Prothrombin

Plasmafaktoren :

Gewebsthrombokinase

Faktor V Faktor VIII (antihämophiles Globulin)

Faktor V Faktor VII

Faktor IX (Christmas factor) Stuart Prower-Faktor Ca+ + Fibrinogen

Stuart-Prower-Faktor Thrombin

Ca+ + Fibrin

Welcher Art die Wirkung der verschiedenen Faktoren ist, die zur Bildung der aktiven Thrombokinase führt, läßt sich nicht mit Sicherheit angeben. Auf Grund der bisher bekannten Tatsachen kommt M a c f a r l a n e 1 ) zu den beiden folgenden Schemata für die Bildung des Prothrombinaktivators (Thrombokinase) im Plasma und aus dem Gewebefaktor, die aber vorläufig als hypothetisch angesehen werden müssen: (I) G e r i n n u n g im B l u t p l a s m a , ausgelöst durch Kontakt mit fremden Oberflächen: 1. Faktor VIII + Faktor IX + Stuart-Prower-F. + Ca++ * Zwischenprodukt I 2. Zwischenprodukt I + Plättchen >- Zwischenprodukt II 3. Zwischenprodukt II + Faktor V -* Prothrombinaktivator (II) G e r i n n u n g durch G e w e b s t h r o m b o k i n a s e , ausgelöst durch Verletzung: 1. Gewebefaktor + Faktor VII + Stuart-Prower-F. + Ca ++ * Zwischenprodukt 2. Zwischenprodukt + Faktor V >• Prothrombinaktivator

Es ist möglich, daß bei (I) die erste Reaktion in der Bildung oder Aktivierung eines Enzyms besteht, welches die Plättchen angreift und davon eine thromboplastisch wirksame Substanz freisetzt ( B r i n k h o u s ) . Bei der sog. viskosen Metamorphose der Blutplättchen, die im Lauf der Gerinnung eintritt (s. oben), kann man tatsächlich das Austreten von Körnchen beobachten, die abgetrennt werden können und in Gegenwart von Faktor V hohe Thrombokinaseaktivität besitzen. Es sprechen verschiedene Beobachtungen dafür, daß beim Zusammenwirken der Plasmafaktoren mit den Plättchen ein ähnliches oder sogar das gleiche Produkt entsteht wie bei der Reaktion zwischen dem Gewebsthromboplastin und Faktor VII und daß dieses Produkt bei Gegenwart von Faktor V die eigentliche, aktive Thrombokinase liefert, welche das Prothrombin in Thrombin überführt. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den genannten natürlichen Gerinnungssystemen zeigt das oben erwähnte aus dem Viperngift und Kephalin zusammengesetzte Thromboplastin. Wie jene besteht es aus einem labilen, fermentartigen Faktor (dem Schlangengift) und Phospholipiden 2 ). J

) Macfarlane, Physiol. Rev. 36, 479 (1956). ) Der große Umfang der neueren Literatur über die Blutgerinnung verbietet es, hier Einzelarbeiten zu zitieren. Wir verweisen auf die in Fußnote 1) zitierte Übersicht von Macfarlane sowie auf die in der Bibliographie genannten zusammenfassenden Darstellungen. 2

584

Das Blut

Der Reaktionsverlauf der Gerinnung deutet auf einen autokatalytischen Vorgang hin. Ist einmal die erste Menge Thrombin entstanden, so erfolgt die weitere Thrombinbildung „lawinenartig" mit wachsender Geschwindigkeit. Wir haben derartige Reaktionen bei der Entstehung der Verdauungsfermente (Pepsin, Trypsin) aus ihren Vorstufen kennengelernt. Die Natur der autokatalytischen Reaktion bei der Blutgerinnung ist noch nicht geklärt. Man hat angenommen, daß das Thrombin auf eine der Reaktionen zurückwirkt (z. B. auf die Bildung der Thrombokinase) und dadurch den autokatalytischen Ablauf hervorruft. Gewisse Beobachtungen sprechen auch dafür, daß die Bildung der Thrombokinase die autokatalytische Reaktion der Gerinnung ist, indem z. B. die Thrombokinase aktivierend auf einen der Plasmafaktoren zurückwirkt. Doch sind vorläufig alle diese Annahmen hypothetischer Natur. Wie D a m zuerst gezeigt hat, kommt es beim Hühnchen zu ausgedehnten Blutungen in der Haut und der Darmschleimhaut, wenn man eine lipidfreie Diät verfüttert. Ursache dieser Blutungen ist eine Gerinnungsstörung, die auf Prothrombinmangel im Blut beruht (siehe jedoch oben, Faktor VII). Der lipidfreien Diät fehlt ein fettlöslicher Stoff, der für die Bildung des Prothrombins unentbehrlich ist, das V i t a m i n K (Phyllochinon) (vgl. S. 770). Beim Menschen und den Säugetieren kann genügend Vitamin K durch die Darmflora gebildet werden. Es gibt aber Zustände, bei denen die Absorption im Darm nicht möglich ist; dies tritt dann ein, wenn die Galle fehlt (z. B. beim Verschluß des Gallenganges durch einen Stein). Ferner besteht beim Säugling vielfach während der ersten Lebenstage ein mehr oder minder ausgesprochener Mangel an Vitamin K ; eine wesentliche Ursache ist das Fehlen der Darmflora beim Neugeborenen. In diesen Fällen kann es zu verbreiteten Blutungen durch Prothrombinmangel kommen. D a s P r o t h r o m b i n w i r d i n d e r L e b e r g e b i l d e t . Es kann daher auch bei Erkrankungen der Leber zur Abnahme des Prothrombinspiegels im Blut kommen. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Störungen läßt sich der Prothrombinmangel in diesem Falle aber durch Zufuhr von Vitamin K nur sehr schwer beheben. G e r i n n u n g s h e m m e n d e S t o f f e (Antikoagulantien) können in verschiedenen Phasen der Gerinnung eingreifen. Wir haben bereits die Anionen erwähnt, welche durch Bindung der Ca ++ -Ionen wirken. Große Bedeutung hat wegen seiner therapeutischen Anwendung das Mucopolysaccharid H e p a r i n erlangt (vgl. S. 38). Es wirkt als Antithrombin, d. h. es verhindert die Reaktion des Thrombins mit dem Fibrinogen, hemmt aber wahrscheinlich auch die Entstehung des Thrombins (antithromboplastische Wirkung). Heparin ist im Plasma nur in Form eines Eiweißkomplexes wirksam. Die Eiweißkomponente wird als Heparmkomplement bezeichnet. Werden größere Mengen Heparin in die Blutbahn injiziert, so verschwinden sie nach einigen Stunden wieder. Der Organismus besitzt also die Fähigkeit, das im Blut im Überschuß kreisende Heparin zu fixieren oder abzubauen. Über die eigentliche physiologische Funktion des Heparins ist wenig Sicheres bekannt. Im strömenden Blut ist stets eine kleine Menge vorhanden. Man kann annehmen, daß es dort einen gewissen Schutz gegen die Auslösung der Gerinnung gewährt, indem es allfällig entstehende thromboplastische Substanzen neutralisiert. Bei allen anaphylaktischen Reaktionen tritt Heparin im Blut in erhöhter Menge auf. Man kann aber für diese Erscheinung keine plausible Erklärung geben. Die verlängerte Gerinnungszeit des Blutes im anaphylaktischen Schock oder die vollständige Ungerinnbarkeit nach intravenöser Injektion von Pepton (Peptonschock) beruht auf der Ausschüttung von Heparin im Blut.

Heparin findet sich in großer Menge in den Mastzellen des Bindegewebes. Diese Zellen enthalten zahlreiche Granula, die sich mit bestimmten blauen Farbstoffbasen

Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff

585

(Thionin, Tohiidinblau) violettrot färben (sog. metachromatische Färbung), ein Verhalten, das für Heparin charakteristisch ist. Sehr wahrscheinlich stellen die Granula der Mastzellen Anhäufungen von Heparin dar. Man hat gefunden, daß bei Inkubation von Gewebsschnitten aus Mastzellentumoren der Maus mit C(14)-Glucose dieselbe in das Heparin eingebaut wird1); ebenso wird radioaktives Sulfat in das Heparin aufgenommen2). Diese Beobachtungen sprechen dafür, daß die Heparinsynthese in den Mastzellen selbst vonstatten geht. Wegen seiner ausgedehnten therapeutischen Anwendung muß hier noch ein Stoff erwähnt werden, der nicht direkt in den Gerinnungsmechanismus eingreift, der aber die Gerinnungsfähigkeit des Blutes dadurch vermindert, daß er die Bildung gewisser Gerinnungsfaktoren in der Leber hemmt. Es ist das D i c u m a r i n (entdeckt als Ursache der sog. „sweet clover disease" beim Rind): OH OH I I

Bei Verabreichung dieser Substanz nimmt, sowohl das Prothrombin als auch der Faktor VII allmählich ab. Das Dicumarin wird neben dem Heparin zur Bekämpfung der Thrombose verwendet, wobei es sich darum handelt, durch Herabsetzung der Gerinnungsfähigkeit die Bildung von Blutgerinnseln in den Gefäßen (besonders den großen Venen) zu verhindern.

6. Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff Die roten Blutkörperchen machen normalerweise etwa 50% des Blutvolamens aus. Die Viskosität des Gesamtblutes wird im wesentlichen durch die Erythrocyten bestimmt. Da die Erythrocyten einen von der Blutflüssigkeit verschiedenen Brechungsexponenten besitzen, ist das Blut undurchsichtig, auch wenn es mit physiologischer Salzlösung stark verdünnt wird. Es ist „deckfarben". Werden die roten Blutzellen durch irgendeinen Eingriff zerstört, so daß der Blutfarbstoff austritt und sich in der Flüssigkeit löst, so wird die Lösung durchsichtig („lackfarben"). Die Auflösung der Erythrocyten (Hämolyse) kann auf verschiedenen Wegen zustande kommen, am einfachsten durch Verdünnen des Blutes mit Wasser. In diesem Fall ist die Hämolyse im wesentlichen ein osmotisches Phänomen: die Zellen nehmen aus der umgebenden hypotonischen Lösung Wasser auf, sie quellen und lösen sich schließlich auf. Es gibt aber eine große Zahl von Stoffen, welche durch Veränderung der Zelloberfläche („Membran") hämolytisch wirken. Hierher gehören z. B. die Saponine (pflanzliche Glycoside, deren Aglucone in naher Beziehung zu den Sterinen oder den Triterpenen stehen), gewisse Schlangengifte, Bakteriengifte und schließlich die sog. Hämolysine, eine besondere Art von Antikörpern, die sich im Plasma nach wiederholter Injektion von artfremden Blutkörperchen bilden. Wir können hier nicht auf Einzelheiten eingehen. Nach dem Austritt des Hämoglobins bleibt die unlösliche Grundsubstanz, das Stroma der Blutkörperchen, übrig. Sie besteht aus einem noch wenig bekannten Protein, dem „Stromatin" (wahrscheinlich ein Glycoproteid), das offenbar das Gerüst und die Membran der Blutkörperchen bildet, und aus Lipiden. Außer dem Hämoglobin, das 95% des Trockengewichtes der Erythrocyten ausmacht, enthalten sie eine ganze Reihe von Fermenten. Wir erwähnen die Kohlensäureanhydrase, die bei der Abgabe der Kohlensäure in der Lunge eine Rolle spielt, *) K o r n , Fed. Proc. 17, 257 (1958). 2) S p o l t e r u. M a r x , Fed. Proc. 17, 314 (1958).

Das Blut

586

die Cholinesterase, die Acetylcholin hydrolytisch spaltet, Phosphatase usw. Da die (kernlosen) Erythrocyten der Säugetiere einen wenn auch sehr schwachen, oxydativen Stoffwechsel und einen glycolytischen Stoffwechsel besitzen, müssen sie auch Atmungs- und Gärungsfennente enthalten. A. Das Hämoglobin

a) Allgemeine Eigenschaften. Die Ursache der roten Farbe des Blutes ist der in den Erythrocyten vorhandene rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin. Die Erythrocyten enthalten etwa 35% Hämoglobin. Auf das Gesamtblut bezogen macht der Gehalt etwa 16% aus. Das Hämoglobin ist ein P r o t e i d , also ein zusammengesetzter Eiweißkörper, welcher sich durch seinen Eisengehalt auszeichnet. Durch Säuren oder Alkalien gelingt die Spaltung des Chromoproteides in seine beiden Komponenten, das Protein G l o b i n und die Farbstoffkomponente, das H ä m . Aus dem Eisengehalt findet man für das Hämoglobin ein minimales Molekulargewicht von etwa 17000. Die Bestimmung des Molekulargewichtes aus dem osmotischen Druck und durch die Ultrazentrifuge ergibt aber einen Wert von 68000 (Pferdehämoglobin), so daß also ein Molekül 4 Atome Eisen enthalten muß. Das Hämoglobin ist einer der merkwürdigsten Stoffe, den wir kennen. Seine Eigenschaften entsprechen in vollkommener Weise den physiologischen Funktionen, die es zu erfüllen hat. Seine charakteristischen Eigenschaften sind die folgenden: 1. Es addiert in reversibler Reaktion pro Eisenatom ein Molekül Sauerstoff: Hb + 0 2 Hämoglobin

- HbOa Oxyhämoglobin

Die Gleichgewichtslage dieser Reaktion hängt derart von der Sauerstoffspannung ab, daß beim Partialdruck des Sauerstoffs in der Alveolarluft das Hämoglobin fast vollständig mit Sauerstoff gesättigt wird, während beim Partialdruck des Sauerstoffs in den Geweben ein großer Teil des Sauerstoffs wieder abgegeben werden kann. Der Sättigungsgrad als Funktion des 0 2 -Partialdruckes wird durch die bekannte, leicht S-förmig gekrümmte „Dissoziationskurve" dargestellt (Abb. 62). 2. Das Oxyhämoglobin ist eine stärkere Säure als das Hämoglobin. Wenn daher das Hämoglobin Sauerstoff addiert, so nimmt die Wassersfoffionenkonzentration zu, und es geht im Blut Bicarbonat in Kohlensäure über (vgl. S. 567). Da es sich um reversible Vorgänge handelt, muß aber auch umgekehrt durch eine Erhöhung der Wasserstoffionenkonzentration die Affinität des Hämoglobins zum Sauerstoff verkleinert werden. Die Wasserstoffionenkonzentration nimmt mit wachsendem Partialdruck des C0 2 zu. Also muß sich mit steigender C0 2 -Spannung (bei konstanter 0 2 -Spannung) die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins vermindern. Das ist der sog. B o h r sehe Effekt. Durch die Abhängigkeit der Säurestärke des Hämoglobins von der Sauerstoffbindung wird in der Lunge die Abgabe der Kohlensäure und die Aufnahme des Sauerstoffes und umgekehrt in den Geweben die Abgabe des Sauerstoffes und die Bindung der Kohlensäure als Bicarbonat erleichtert. 3. Im physiologischen pH-Bereich ist das Säurebindungsvermögen (die Pufferwirkung) des Hämoglobins sehr hoch (fast 12 Äquivalente Säure pro pH-Einheit und Gramm-Molekül) 1 ). Die den Gasaustausch begleitende pH-Änderung ist daher sehr gering. J

) German u. W y m a n , J. biol. Chem. 117, 533 (1937).

Das Hämoglobin

587

Ein ähnliches Verhalten, wie wir es beim Hämoglobin antreffen, finden wir auch bei den kupferhaltigen Atmungspigmenten, den H ä m o c y a n i n e n , die im Blut vieler wirbelloser Tiere vorkommen (bei Crustaceen, Mollusken, Cephalopoden. In einzelnen Fällen, so beim Hummer, ist der B o h r sehe Effekt außerordentlich stark). Die Hämoglobine der Wirbeltiere scheinen alle ein Molekulargewicht von ungefähr 67000 und vier Hämgruppen zu besitzen. Doch unterscheiden sie sich in ihren physikochemischen Eigenschaften (Löslichkeit usw.); auch die Aminosäurenanalyse hat gewisse Unterschiede ergeben1). Der beste Wert für das Molekulargewicht des menschlichen Hämoglobins scheint bei 66000 zu liegen (auf Grund des Eisengehalts von 0,338%). Das fötale Hämoglobin („Hämoglobin F " ) ist vom Blutpigment des Erwachsenen verschieden. Es besitzt eine höhere Affinität zum 0 2 als das mütterliche Hämoglobin; der Übertritt des 0 2 in den fötalen Kreislauf wird dadurch natürlich erleichtert. Es unterscheidet sich vom Hämoglobin des Erwachsenen („Hämoglobin A") u. a. dadurch, daß es bei alkalischer Reaktion sehr viel resistenter gegen Denaturierung ist. Beim Schaf ist es (bei pH 7,2) etwa 20 mal weniger löslich als das mütterliche. Um die Zeit der Geburt verschwindet das fötale Hämoglobin und wird durch das Hämoglobin des erwachsenen Tieres ersetzt. m %

80

60

W

20

0

10

20

30

W

SO

p02

mmHg

Abb. 62. D i s s o z i a t i o n s k u r v e des O x y h ä m o g l o b i n s (Bohr-Effekt). pOa = Partialdruck des Sauerstoffs in m m H g ; Ordinate: Sättigungsgrad des Hb. An den Kurven angeschrieben pC0 2 = Partialdruck des C0 2 in mm Hg. Man hat neuerdings verschiedene genetisch bedingte Modifikationen des Hämoglobins nachgewiesen, die nach den Mendelschen Gesetzen vererbt werden. (Sie werden meistens durch Buchstaben unterschieden: Hämoglobin S, C, D usw.)2). Eines der interessantesten, das Hämoglobin S, findet sich bei der sog. S i c h e l z e l l e n a n ä m i e , einer Krankheit, die unter der Negerbevölkerung Amerikas und Afrikas weit verbreitet ist. Bei Reduktion des Hämoglobins nehmen die Erythrocyten eine charakteristische Sichelform an, weil das nicht mit 0 2 oder CO verbundene Sichekellenhämoglobin auskristallisiert3). Die Natur der Modifikation des Hämoglobins S gegenVgl. W y m a n , Adv. Prot. Chem. 4, 417 (1948). ) Vgl. dazu I t a n o , Ann. Rev. Biochem. 25, 331 (1956); Fed. Proc. 16, 748 (1957); D r a b k i n , Fed. Proc. 16, 740 (1957). 3 ) P a u l i n g u. Mitarb., Science 110, 543 (1949); P e r u t z u. Mitarb., Nature 167, 929 (1951); P a u l i n g , The Harvey Lectures 1953/54, Series X L I X , S. 216. New York 1955. 2

588

Das Blut

über dem normalen konnte aufgeklärt werden (Ingram 1 )): Es ist im Globin ein einziger Glutaminsäurerest durch Valin ersetzt worden. Die dadurch bedingte Änderung des Ladungszustandes ist offenbar die Ursache der veränderten Löslichkeit. Bei Schafen und Ziegen kann man Gruppen mit verschiedenen Hämoglobinen unterscheiden (verschiedene Wanderungsgeschwindigkeit bei der Papierelektrophorese). Möglicherweise sind auch diese Hämoglobinarten genetisch fixiert 2 ).

Außer dem Hämoglobin gibt es noch andere Hämoproteide, die als Atmungspigmente funktionieren. C h l o r o c r u o r i n e kommen als Atmungspigmente bei marinen Würmern vor. Am besten bekannt ist das Pigment von Spirographis. Über das Spirographishämin siehe S. 231. b) Die Porphyrine. Das Hämoglobin setzt sich aus einem Protein, dem G l o b i n , und einer prosthetischen Gruppe, dem H ä m , zusammen, die dem Proteid seinen Farbstoffcharakter verleiht. Die prosthetische Gruppe ist das komplexe Eisensalz eines Farbstoffes, des P r o t o p o r p h y r i n s . Das Eisen ist im Häm im zweiwertigen Zustand enthalten (auch im Oxyhämoglobin!). Durch Behandeln des Hämoglobins mit Eisessig, der etwas Kochsalz enthält, wird die Farbstoffgruppe als schön kristallisierende Verbindung abgespalten. Es ist das H ä m i n . Man kann die Reaktion mit Spuren von Blut auf dem Objektträger durchführen; die dabei entstehenden Häminkristalle sind als T e i c h m a n n s c h e K r i s t a l l e schon lange bekannt (erstmals 1853 beschrieben). I m Hämin ist das Eisen dreiwertig. Es hält ein Atom Chlor gebunden, das im Häm nicht enthalten ist (daher auch die exaktere Bezeichnung Chlorhämin). Durch Behandlung mit Natronlauge wird aus dem Hämin Salzsäure abgespalten, und die Verbindung geht in das chlorfreie sog. H ä m a t i n über. Aus dem Hämin kann durch Kochen mit Ameisensäure, der etwas feingepulvertes Eisen zugesetzt wurde, das Eisen abgespalten werden, und man erhält das zugrunde liegende Protoporphyrin. Dasselbe läßt sich auch auf biologischem Weg durch Fäulnis von Blut gewinnen ( K ä m m e r e r ) . Wird Blutfarbstoff mit starken Säuren behandelt, so entsteht ein dem Protoporphyrin nahe verwandter Farbstoff, das H ä m a t o p o r p h y r i n ( H o p p e - S e y l e r ) . Dasselbe ist aus dem Protoporphyrin durch Wasseranlagerung entstanden. I n reiner Form läßt es sich aus Hämin mittels Bromwasserstoff-Eisessig herstellen (Nencki). Das Hämatoporphyrin war neben dem aus Chlorophyll dargestellten Phylloporphyrin der erste bekannte Vertreter dieser wichtigen Gruppe natürlicher Farbstoffe. Porphyrine finden sich in der Natur auch im freien Zustand. Es gibt eine seltene Stoffwechselkrankheit, die sog. Porphyrie, bei der im Urin und Stuhl U r o p o r p h y r i n und K o p r o p o r p h y r i n ausgeschieden werden. Koproporphyrin findet sich als Kupfersalz auch in den Federn einiger Vogelarten (so beim Helmvogel Turacus und bei anderen Gattungen; der Farbstoff führt daher den Namen T u r a c i n ) . Protoporphyrin ist der Farbstoff der Eierschalen verschiedener Vogelarten und wurde daher auch unter dem Namen O o p o r p h y r i n beschrieben. Wir verdanken die Aufklärung der chemischen Struktur der Porphyrine und der verwandten Verbindungen außer den grundlegenden Untersuchungen von N e n c k i , K ü s t e r , P i l o t y , W i l l s t ä t t e r hauptsächlich den Arbeiten H. F i s c h e r s . Der Grundkörper der Porphyrine (der in der Natur als solcher nicht vorkommt) ist aus vier Pyrrolringen aufgebaut, welche durch Kohlenstoffbrücken (sog. Methingruppen) zu einem Ring verbunden sind. Es ist das sog. P o r p h i n : !) I n g r a m , Nature 180, 326 (1957). ) E v a n s u. Mitarb., Nature 178, 849 (1956).

2

Das Hämoglobin

589

H

N H Pyrrol

X

H

(Im folgenden wird aus Gründen der einfacheren typographischen Darstellung die Porphinformel nicht in dieser symmetrischen Form geschrieben, die der tatsächlichen räumlichen Anordnung der Atome am besten entspricht.) An den freien Stellen der Pyrrolringe stehen in den natürlich vorkommenden Porphyrinen verschiedene Seitenketten. Dem Protoporphyrin des Blutfarbstoffes kommt die folgende Konstitution zu: CH» CH. CH 1 1 / HC

CH,

/ I M - C H : =1 I NH NH N

N

X 1

1

CHg CH2

Protoporphyrin enthält 2 ungesättigte Seitenketten, 2 Carboxylgruppen und 4 Methylgruppen

CH, CH 1 1

CH

YY I

1

CHj CH«

CH2

CH2

COOH

COOH

CH2

CH,

CH, CH

CH3 CH

II

-CH=

/

NX

HC

/N

N'"

''N

I

h—CH=

I

I

CH, CH2

Dem Hämin muß dementsprechend die nebenstehende Formel zukommen:

CH

FeCl /

I

CH,

/

CIL CH.,

i

CH,

COOH COOH

Das Blut

590

Die Struktur der Porphyrine konnte in ihren wesentlichen Zügen aus der Natur der Spaltstücke erschlossen werden, die beim Abbau des Hämins entstehen. Durch reduktiven Abbau (mit Jodwasserstoff-Eisessig) erhielt man die folgenden Verbindungen teils basischer, teils saurer Natur, nämlich: CH,

CH3

CH,

CH„

CH. CH«

CH. CH.

CH.

CHA

CH3 NH Hämopyrrol

NH Phyllopyrrol

NH Opsopyrrol

NH Kryptopyrrol

und die entsprechenden Carbonsäuren, die an Stelle des Äthylrestes einen Propionsäurerest tragen; z. B. die Hämopyrrolcarbonsäure. Durch Oxydation (z. B. mit Chromsäure) entsteht die Hämatinsäure.

CHa

NH

k

CHI

NH

Hämopyrrolcarbonsäure

Hämatinsäure

Die Bildung dieser Stoffe aus den verschiedenen Pyrrolkernen des Protoporphyrins ist leicht zu verstehen. Auf Grund solcher Abbauversuche hat K ü s t e r bereits 1912 eine Häminformel aufgestellt, die, abgesehen von der Anordnung der Seitenkette, sich bestätigt hat. Die Struktur des Hämins wurde von H . F i s c h e r (1929) durch Synthese endgültig sichergestellt.

Das Hämatoporphyrin unterscheidet sich vom Protoporphyrin nur dadurch, daß an seine ungesättigten Seitenketten (Vinylgruppen) Wasser angelagert ist. Durch Reduktion der ungesättigten Seitenketten gelangt man zum Mesoporphyrin. CH3

CH3

CH9

CH.

¿H—( -CHNH

CHNH

Hämatoporphyrin

NH

NH Mesoporphyrin

Das Koproporphyrin besitzt an Stelle der beiden Vinylgruppen zwei weitere Propionsäureseitenketten, ist also eine vierbasische Carbonsäure: das Uroporphyrin trägt sogar acht Carboxylgruppen, vier als Propionsäure- und vier als Essigsäureseitenketten an Stelle der Methylgruppen (Formeln s. S. 591 oben). Die angegebenen Porphyrinformeln lassen erkennen, daß bei gegebenen Seitenketten noch eine große Zahl von Stellungsisomeren möglich sind. So sind beim Protoporphyrin mit seinen 4 Methyl-, 2 Vinyl- und 2 Propionsäureseitenketten 15 verschiedene Arten der Anordnung denkbar. Beim Kopro- oder Uroporphyrin sind 4 Isomere möglich, die sich durch die Stellung der Seitenketten unterscheiden.

Das Hämoglobin COOH

COOH

Ah2

¿h,

591 COOH I CH,

COOH CH2 CHj—CHa—COOH

CH„ ¿ H , -CH=I

/

HC

—CH=l

NH

NH

N

N

NH

CH

CH

N cH=r

J I

I

-COOH

CQg CHg

Ai A, dlHj ¿H2 JOOH COOH ¿OOH ¿OOH Uroporphyrin Koproporphyrin Aus d e m Mesoporphyrin u n d den natürlichen P o r p h y r i n e n lassen sieh d u r c h E r hitzen die Carboxylgruppen als C 0 2 abspalten, u n d m a n erhält die sog. Ätioporphyrine, die 4 Methyl- und 4 Äthylseitenketten besitzen. E s sind daher 4 Ätioporp h y r i n e möglich, die m i t den römischen Ziffern I bis I V bezeichnet werden. I n vereinfachter F o r m geschrieben sind es die folgenden:

ic

CH, CH, c h 2

J h r11

•ch3 H3C-

•CH,

II

• CH« • CH«

c h 2 CH, CH,

CH, CH, c h 2

CH3 CH- CH,

H a C-H a C-

III

• CH»

IV

HaCCH2 CH3 CH„

L h r

. CHa • CH3 CH,

CHg CH 2 CH,

Das aus dem P r o t o p o r p h y r i n des B l u t f a r b s t o f f e s bzw. aus d e m entsprechenden Mesoporphyrin hervorgehende Ätioporphyrin entspricht der A n o r d n u n g I I I . Dagegen h a t man aus Uro- und K o p r o p o r p h y r i n , die von P o r p h y r i e k r a n k e n ausgeschieden wurden, ebenso aus d e m K o p r o p o r p h y r i n der Hefe, Ätioporphyrin I erhalten. (Es k o m m e n bei P o r p h y r i e aber auch die d e m T y p u s I I I entsprechenden P o r p h y r i n e vor.) Diese Feststellungen sind biologisch sehr b e d e u t s a m . Sie zeigen, d a ß verschiedene Isomere der P o r p h y r ine nebenein ander synthetisiert werden und d a ß bei der P o r p h y r i e das Uro- u n d K o p r o p o r p h y r i n I nicht aus dem B l u t f a r b s t o f f s t a m m e n können.

Das Blut

592

Die p h y s i o l o g i s c h e W i r k u n g d e r P o r p h y r i n e . Porphyrine vermögen die Organismen gegenüber der Lichtstrahlung zu sensibilisieren. Wird einem Tier oder einem Menschen Porphyrin eingespritzt, so treten nach kurzer Belichtungszeit Intoxikationserscheinungen auf ( H a u s m a n n ) . Paramäcien verhalten sich in einer Hämatoporphyrinlösung im Dunkeln vollkommen normal, werden aber bei Belichtung sofort abgetötet. Auf Erythrocyten wirkt Porphyrin im Licht hämolysierend. Bei der kongenitalen Porphyrie, bei der alle Gewebe mit Porphyrinen durchtränkt sind, spielt diese Sensibilisierung durch Porphyrin eine wichtige Rolle, weil sie zu schweren Schädigungen an den dem Licht ausgesetzten Körperteilen führen kann. 1 ) c) Das Globin. Das Globin, das durch Bindung mit dem Häm den Blutfarbstoff bildet, ist ein durch seinen Reichtum an H i s t i d i n besonders gekennzeichneter Eiweißkörper, der zu den Albuminen gerechnet werden kann. Durch Behandlung mit säurehaltigem Aceton bei niedriger Temperatur läßt sich Globin aus dem Blutfarbstoff abspalten und mit fast unveränderten Eigenschaften wiedergewinnen. Dieses Globin kann bei Gegenwart von reduzierenden Substanzen bei alkalischer Reaktion mit Häminen w i e d e r zu e i n e m H ä m o g l o b i n v e r e i n i g t w e r d e n , das mit dem natürlichen nahezu identisch ist. Das regenerierte Hämoglobin besitzt auch die Fähigkeit, reversibel in Oxyhämoglobin überzugehen. Als K a t h ä m o g l o b i n bezeichnet man nach H a u r o w i t z einen Farbstoff, der durch Vereinigung von d e n a t u r i e r t e m Globin mit Hämin entstanden ist. Er kann keinen Sauerstoff mehr binden. Es ist also daraus zu schließen, daß nur durch die Bindung an n a t i v e s Globin das Häm die Fähigkeit erwirbt, als Atmungspigment zu funktionieren. Die Hämoglobine der verschiedenen Tierspezies wie auch die verschiedenen oben erwähnten Hämoflobinmutanten unterscheiden sich durch die artspezifischen Differenzen im Aufbau der Globine. Sie zeigen auch verschiedene Kristallformen. d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins. Die physiologisch wichtigste Verbindung des Hämoglobins (Abkürzung: Hb) ist seine Sauerstoffverbindung, das O x y h ä m o g l o b i n (Hb0 2 ). Ein Atom Hämoglobineisen bindet ein Molekül Sauerstoff; da ein Molekül Hämoglobin aber vier Häme enthält, bindet es vier Moleküle 0 2 . Man benutzt aber zur Bezeichnung des Oxyhämoglobins gewöhnlich die angegebene Abkürzung HbO a , wobei also das H b ein Häm bedeutet. Das Oxyhämoglobin ist besonders leicht in schönen Kristallen zu erhalten, welche je nach der Tierart verschiedene Kristallform besitzen. An Stelle des Sauerstoffs kann das Hämoglobin auch Kohlenmonoxyd binden, wobei das K o h l e n o x y d h ä m o g l o b i n entsteht (HbCO). Bei gleichzeitiger Gegenwart der beiden Gase konkurrieren sie um das Hämoglobin: Hb0 2 + C0


N /

COOH

1

1

C

CH2

1

C

C

II

II

CH, CH3

1

II

C—CH2—C H

C C

H Mesobilirubin

CHG C CH—C

1 1

L

CHJ

1

C

1

C-OH

Das Blut

CH3 I CH2

i

CH3 i l c — = c 1 HO-C

>

1 N

COOH I CH2 i CHG

CHG i l c

c

/

CH2 CH3 l i c——c

I C—CH=C

11

C=CH

COOH I CHg

I C

11

C

CH2

CHJ I c

CHg i CH 2 i c

II C

II C-OH

\

H

N

/

H Mesobiliviolin

CH3 I CHG

CH 3 i HO-C \

C N

CH„

/

H

CH3

COOH I CH 2 i CH 2

C

C

C C — CH,—C C \ n / / N N / H H

Urobilinogen =

C Il HOC

\

C II C N

CH2

/

\

H

CH,

C

c

C

C-OH H

COOH I CH2

I, 2 OH

I CH 2 i l C C II I I C—CH=C

CH3 i l C II C

CH3

Mesobilirubinogen

COOH I CH2

k

COOH I CHG i ANA CH3 I C C

CH 3 CH3 C C

CH,,

CH3 i C II C

/

N

1

\

H

OH 2 l c II C-OH

N

/

H Urobilin

COOH j CH 2 1 CH A CH 1 2

COOH j CH 2 1 CH2 CH3 CH CH 1 3 1 2 1 L L C C iIC A c II h I II III II C — C H .— C C CHJ C—CHJc

CHA

H—C HX I >C H

CH 2

CH3

1 C H C

J C II C

CH2

H

H

Stercobilinogen

CHS

CH 3 I CH 2

1 C II C

CL— H I /H C< H

Der Abbau des Blutfarbstoffes

CH.

HO/

\

N

COOH

COOH

CH2

CH2

CH3

CHg I C II c

/

H

609

H

CH. I 0— H c

H Stercobilin

Mesobiliviolin erscheint neben einem weiteren Isomeren des Mesobilirubins, dem M e s o b i l i e r y t h r i n , als prosthetische Gruppe gewisser Chromoproteide, die in Rotalgen und Blaualgen vorkommen (Phycocyanin und Phycoerythrin). „Urobilin" (damit bezeichnen wir im folgenden das Gemisch von Stercobilin und Urobilin sowie ihrer Chromogene) findet sich im normalen Harn nicht oder nur in geringer Menge. Stark vermehrt ist es bei Erkrankungen der Leber. Fr. M ü l l e r hat als erster sicher bewiesen, daß es aus dem Gallenfarbstoff durch Darmfäulnis entsteht, indem er zeigen konnte, daß es beim Neugeborenen, der in seinem Dickdarm noch keine Bakterien beherbergt, fehlt und daß es verschwindet, wenn der Zufluß der Galle in den Darm verhindert ist, bei Verfütterung von Galle aber wieder erscheint. Die Entstehung des „Urobilins" aus dem Bilirubin im Darm ist seither durch zahlreiche Versuche bestätigt worden. Man muß sich den Vorgang wohl so vorstellen, daß das Bilirubin zuerst zu Mesobilirubin und dieses zu den Chromogenen (Stercobilinogen und Urobilinogen) reduziert wird, worauf durch spontane Oxydation das „Urobilin" entsteht. Normalerweise scheint das Urobilinogen nur etwa 10—20% der gesamten Chromogene auszumachen. Die genauere Untersuchung des Reduktionsvorganges hat ergeben, daß er wahrscheinlich durch Zusammenwirken streng anaerober Bakterien (Bacillus verrucosus) mit den Colibazillen zustande kommt (Baumgärtel). Als Wasserstoffdonator soll Cystein wirken, dessen Wasserstoff durch Fermente der Colibazillen auf das Bilirubin übertragen würde. Der anaerobe Organismus würde auf Kosten irgendwelcher H-Donatoren für die ständige Reduktion des aus den Proteinen stammenden Cystins sorgen. Es bleibt abzuwarten, wie weit sich dieses einfache Schema des bakteriellen Reduktionsvorganges bestätigt.

Wir haben bereits erwähnt, daß Biliverdin durch die Darmbakterien nicht reduziert werden kann. In der Leber dagegen wird es sehr leicht in Bilirubin übergeführt. Anscheinend vermögen die Bakterien den Wasserstoff nicht an die Doppelbindung der mittleren Methingruppe anzulagern. Das Leberparenchym kann das Bilirubin weiter zum Urobilinogen reduzieren ( B a u m g ä r t e l , L e m b e r g ) , d . h . die Enzyme der Leber vermögen auch die beiden seitlichen Methingruppen zu hydrieren. Es wird in der Leber allerdings nur wenig Biliverdin über die Stufe des Bilirubins hinaus reduziert (10—20%). Durch die Bakterien wird aus Bilirubin nur Stercobilinogen gebildet. Die Stabilit ä t des Biliverdins gegen die Bakterienfermente zeigt, daß die Doppelbindungen an den Methinbrücken durch die Bakterien nicht hydriert werden können. Die wasserstoffübertragenden Enzyme der Bakterien lagern offenbar den Wasserstoff primär 39

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

Das Blut

610

an die a- und /^-Stellung der beiden endständigen Pyrrolringe an, wobei auch die beiden äußeren Methinbrücken in Methylenbrücken übergehen ( B a u m g ä r t e 1):

+ 4H

=CH—

HO—

H

N

0

/ \

!H— NH

H

Das „Urobilinogen" der Fäces und des Urins besteht zu etwa 80—90% aus Stercobilinogen und nur zu 10—20% aus Urobilinogen. Nach den oben besprochenen Anschauungen muß man annehmen, daß das letztere wahrscheinlich schon in der Leber aus dem Bilirubin entstanden ist, während das Stercobilinogen ein Produkt der Darmfäulnis darstellt. Ein Teil des im Darm gebildeten „Urobilins" wird rückresorbiert und gelangt in die Leber. Es kann mit der Galle wieder ausgeschieden werden (enterohepatischer Kreislauf) oder auch in den allgemeinen Kreislauf übergehen. Das letztere ist besonders bei geschädigtem Leberparenchym der Fall. Das vermehrte Auftreten von „Urobilin" im Harn ist eines der frühesten Symptome der Leberschädigung. In der Leber kann auch ein weitergehender Abbau des Gallenfarbstoffes stattfinden, doch ist über diese Vorgänge wenig bekannt. Bei Lebererkrankungen, hämolytischen Anämien, hohem Fieber kommt im Urin ein Körper vor, der mir noch zwei Pyrrolringe enthält und durch Reduktion mit Na 2 S 2 0 4 in alkalischer Lösung in einen Farbstoff übergeht, der bei 525 m/t eine Absorptionsbande zeigt. Man hat dem Farbstoff deshalb den Namen P e n t d y o p e n t gegeben; seine Vorstufe heißt „Propentdyopent" (Bingold). Die chemische Struktur ist noch nicht sichergestellt. Möglicherweise kommt dem roten Farbstoff die folgende Formel zu (Siedel): CH„

CH.

CH2

NaO—

nh'

—ONa NH

Im Stuhl von Patienten mit Muskelatrophie hat man ein chloroformlösliches Polypeptid, das „Myobilin", gefunden, das als prosthetische Gruppe M e s o b i l i f u s c i n enthält, das ebenfalls ein Dipyrrolfarbstoff ist: CHj

CaHs

CHS (CH2)2-COOH

=CH-

HO— N

J—OH NH

Das Myobilin wird als Abbauprodukt des Muskelhämoglobins, des Myoglobins, aufgefaßt (Meldolesi). Neben der Bilirubinbildung spielen die weiteren Abbauvorgänge keine große Rolle; sie sind als Nebenwege des Hämoglobinabbaus zu betrachten.

Die wichtigsten Stufen des Hämoglobinabbaus sind im folgenden Schema zusammengefaßt.

Die Porphyrie

611

L e b e r , Milz Hämoglobin ,, Verdohämoglobin' ' Biliverdin

bei Leberschädigung

Bilirubin Urin: „Urobilinogen" „Urobilin" Bilirubin

Bilirubinglucuronid "ai

Urobilinogen-

§.s .S"o SA BP.

Galle

8 at"

T& o

®

Darm



Bilirubin Bakterien

Urobilinogen

Stercobilinogen

I Urobilin

Stercobilin

Fäces: „Urobilin" „Urobilinogen"

Darm

Wie im folgenden Abschnitt (S. 612) noch näher ausgeführt wird, stammt nicht alles Stercobilin (etwa 70%) aus dem Häm der zugrunde gegangenen a l t e n Erythrocyten. Es werden schon während der Erythropoese im Knochenmark Porphyrine gebildet, die als Stercobilin zur Ausscheidung gelangen (10—15% des gesamten „Urobilins"); etwa die gleiche Menge stammt aus den Häminfermenten (Cytochrom usw.). 6. Die Porphyrie Bei verschiedenen Krankheiten können im Urin und Stuhl Porphyrine ausgeschieden werden. Porphyrinurie kommt z. B. bei gewissen Intoxikationen vor. Das bekannteste Beispiel ist die Bleivergiftung, bei welcher erhöhte Mengen von Koproporphyrin ausgeschieden werden. Möglicherweise besteht eine Störung des Eiseneinbaus in das Hämoglobin (Vannotti) 1 ). Neben diesen Fällen von Porphyrinurie, bei denen die Porphyrinausscheidung ein nebensächliches Symptom darstellt (symptomatische Porphyrinurie), gibt es J ) V a n n o t t i , in: Haemoglobin, a S y m p o s i u m in m e m o r y of S i r J . B a r c r o f t (ed. R o u g h t o n u. Kendrew), S. 253. London 1949.

39*

612

Das Blut

eigentliche Stoffwechselkrankheiten, deren Hauptsymptom in der Ausscheidung von Porphyrinen oder Porphyrinvorstufen — Porphobilinogen und Amin olaevulinsäure— besteht. Es handelt sich um seltene hereditäre Erkrankungen, die familienweise auftreten können, also wohl wie viele Stoffwechselkrankheiten in ihren letzten Ursachen auf die Veränderung eines Gens zurückgehen. Die sog. k o n g e n i t a l e P o r p h y r i e ist eine äußerst seltene Krankheit. Neben der Ausscheidung großer Mengen von Uroporphyrin und Koproporphyrin besteht das Hauptsymptom in einer von Jugend an bestehenden Lichtempfindlichkeit, die zu schweren Schädigungen der Haut führen kann. Wie H a u s m a n n 1908 erstmals gezeigt hat, vermögen Porphyrine den Organismus gegen Licht zu sensibilisieren. Bei Mäusen, die nach Porphyrininjektion im Dunkeln gehalten werden, zeigen sich keinerlei Symptome; dagegen treten schwere Vergiftungserscheinungen auf, wenn die Tiere dem Licht ausgesetzt werden. Diese Befunde wurden durch einen heroischen Selbstversuch von M e y e r - B e t z bestätigt.

Für das Verständnis der Krankheit ist die Tatsache wichtig, daß die ausgeschiedenen Porphyrine sich nicht nur von der Reihe des Ätioporphyrins I I I ableiten wie das Protoporphyrin des Blutfarbstoffes, sondern daß auch Porphyrine der Reihe I auftreten, und zwar vor allem Uroporphyrin I. Diese Porphyrine können sicher nicht aus dem Blutfarbstoff stammen. Wir haben bei der Besprechung der Porphyrinsynthese gesehen, daß die Kondensation des Porphobilinogens direkt zum Uroporphyrin führt. Es kann daher kein Zweifel darüber bestehen, daß die vom Porphyriker ausgeschiedenen Porphyrine das Produkt einer „falsch" geleiteten Synthese sind: Statt des Uroporphyrins I I I wird vorwiegend Uroporphyrin I gebildet. Porphyrine des Typus I können aber auch normalerweise in kleiner Menge gebildet werden. Der Darminhalt des Neugeborenen (Mekonium) enthält Koproporphyrin I ( W a l d e n s t r o m ) ; da der Darm noch keine Bakterien enthält, ist dieses Porphyrin sehr wahrscheinlich während des embryonalen Lebens gebildet worden. Damit stimmt überein, daß beim menschlichen Embryo vor dem sechsten Monat in den Blutbildungsstätten porphyrinhaltige Zellen gefunden werden ( B o r s t und K ö n i g s d ö r f f e r ; die Porphyrine lassen sich mikroskopisch durch ihre starke rote Fluoreszenz leicht nachweisen). Bei gewissen Eichhörnchenarten ist Uroporphyrin I ein normales Stoffwechselprodukt; der Farbstoff wird bei diesen Tieren auch in die Knochen eingelagert. Das Auftreten von Porphyrinen des Typus I beim Porphyriker bedeutet also nur die Verstärkung eines physiologischen Prozesses. Eine von der kongenitalen Porphyrie völlig verschiedene Krankheit ist die a k u t e , i n t e r m i t t i e r e n d e P o r p h y r i e . Sie ist durch die Ausscheidung großer Mengen P o r p h o b i l i n o g e n und S - A m i n o l a e v u l i n s ä u r e im Urin gekennzeichnet. Das erstere gibt sich durch die sehr intensive Rotfärbung des Urins mit dem E h r l i c h schen Aldehydreagens zu erkennen. Porphobilinogen kann sich, besonders beim Erwärmen mit Säuren, zu Uroporphyrin und einem anderen roten Farbstoff, dem Porphobilin, kondensieren 1 ). Daraus erklärt sich die Dunkelfärbung des Urins, die beim Kochen mit Säuren eintritt. Die Krankheit tritt schubweise auf. Der Anfall kann durch irgendeine Schädigung ausgelöst werden. Besonders ungünstig wirken Schlaf- und Beruhigungsmittel (Barbiturate). Das Hauptsymptom besteht meistens in abdominellen Koliken; es kann auch zu Muskellähmungen kommen. Viele Patienten zeigen psychische Störungen. Die Krankheit tritt in einzelnen Familien gehäuft auf. Sie scheint dominant vererbt zu werden. Eingehende Untersuchungen über die Vererbung sind vor allem von W a l d e n s t r o m in Schweden durchgeführt worden, wo verschiedene derartige Porphyrikerfamilien bekannt sind. !) W a l d e n s t r o m u. V a h l q u i s t , Zschr. physiol. Chem. 260, 189 (1939).

Die Harnsekretion

613

Man kann aus der stark vermehrten Ausscheidung von 6-Aminolaevulinsäure und Porphobilinogen schließen, daß die Umwandlung der ersteren in Porphobilinogen und die Kondensation des letzteren zu Uroporphyrin gestört sind. Das folgende Schema (in Anlehnung an W a l d e n s t r o m ) macht den Ort der Störung in der Reaktionskette der Porphyrinsynthese bei der kongenitalen und der akuten Porphyrie anschaulich: Fermentblock bei der akuten Porphyrie

partieller Block

Porphobilinogen

-» Uroporphyrin III

s falsche Kondensation bei der kongenitalen Porphyrie

TT

i



t

Uroporphyrin I

Es sind noch andere Porphyrieformen bekannt, auf die wir hier aber nicht eingehen könnne 1 ).

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Niere; Urin 1. Die Harnsekretion Bei der Besprechung des Wasser- und Salzhaixshaltes wurde bereits darauf hingewiesen, worin die Hauptfunktion der Niere besteht: Sie hält die Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten konstant. Dazu ist nötig: 1., daß sie die eigentlichen Endprodukte des Stoffwechsels und diejenigen Stoffe eliminiert, die nicht verwertet oder gespeichert werden können; 2., daß sie andererseits alle Stoffe zurückhält, deren Verlust bei der vorliegenden Situation die Funktionen des Körpers irgendwie beeinträchtigen würde. Wir sagen: bei der vorliegenden Situation, denn die Anpassung an die äußeren oder inneren Bedingungen erfordert, daß ein und derselbe Stoff bald ausgeschieden, bald retiniert wird. Die Sekretion muß im höchsten Grade a u s w ä h l e n d sein, denn die Niere erhält alle im Blut enthaltenen Stoffe angeboten, darf aber nur einen Teil mit dem Urin nach außen abgeben. Der Apparat, welcher die Selektion vornimmt, ist das Nephron mit seinen verschiedenen Abschnitten, in der Säugerniere: Glomerulus, Hauptstück, H e n l e s c h e Schleife, Schaltstück. Die Mittel dazu sind 1. die Filtration im Glomerulus, durch welche die niedrigmolekularen Stoffe des Blutplasmas von den hochmolekularen abgetrennt werden, 2. die aktive Sekretion und 3. die Rückresorption von Stoffen durch die Epithelien der Nierenkanälchen. Wir haben auf die Bedeutung der Niere für den Wasserhaushalt bereits in einem früheren Kapitel hingewiesen. Durch die beiden Nieren des erwachsenen Menschen strömt in der Minute rund 11 Blut, d. h. ein beträchtlicher Teil der gesamten vom Zusammenfassung und Literaturhinweise vgl. W a l d e n s t r o m , Am. J. Med. 22,758 (1957).

614

Niere; Urin

Herzen ausgeworfenen Blutmenge. Rund 125 ccm Filtrat werden in derselben Zeit in den Glomeruli abgepreßt; das ist etwa 1 / 6 der Plasmamenge, welche die Nieren passiert (11 Blut enthält etwa 600 ccm Plasma). Die pro Tag filtrierte Flüssigkeitsmenge beträgt 180 1, also mehr als das Dreifache des gesamten Flüssigkeitsbestand es des Körpers. Es ist klar, daß eine Erhaltung des Wasserbestandes bei landbewohnenden Tieren nur denkbar ist, wenn der größte Teil dieser Flüssigkeitsmenge wieder rückresorbiert wird. Tatsächlich sind es 178—179 1, also über 99%. Durch die Filtration in den Malpighischen Körperchen gelangen zunächst alle im Blutplasma vorhandenen niedrigmolekularen Stoffe in den Urin („Urharn"). Durch die Rückresorption des Wassers kann ihre Konzentration auf das Vielfache der Blutkonzentration gesteigert werden. Dazu kommt aber noch eine weitere Möglichkeit der Ausscheidung: Viele Stoffe werden durch die Epithelzellen der Tubuli a k t i v sezerniert, d. h. sie werden gegen ein Konzentrationsgefälle vom Blut nach dem Lumen der Nierenkanälchen übergeführt. Die Sekretionstätigkeit der Niere untersteht nervösen und humoralen Einflüssen. Was die ersteren betrifft, müssen wir auf die Lehrbücher der Physiologie verweisen. Der nervösen Regulierung untersteht der Blutkreislauf der Niere und damit die Filtration in den Glomeruli. Dagegen unterliegen sowohl die Ausscheidung des Wassers als auch die Ausscheidung gewisser lebenswichtiger Ionen der direkten Beeinflussung durch bestimmte Hormone, und zwar i s t es d i e R ü c k r e s o r p t i o n in d e n T u b u l i , w e l c h e in s p e z i f i s c h e r W e i s e g e h e m m t oder g e f ö r d e r t wird. Die Rückresorption des Wassers wird durch ein Hormon des Hypophysenhinterlappens (Antidiuretin) gefördert; damit Na+-Ionen rückresorbiert werden, ist ein Nebennierenrindenhormon (Aldosteron) nötig. Dagegen wird die Rückresorption des Phosphats durch das Hormon des Epithelkörperchens gehemmt (vgl. S. 673 u. 699). Wenn wir allgemein die vermehrte Ausscheidung eines Stoffes als D i u r e s e bezeichnen (Wasser-Diurese, Na-Diurese, Phosphat-Diurese), so können wir sagen, daß die Hormone teils antidiuretisch, teils diuretisch wirken. Möglicherweise wird auch die Ausscheidung anderer Stoffe, sei es die Rückresorption oder die Sekretion, auf chemischem Weg reguliert; doch wissen wir darüber nichts Genaueres. Die Niere würde offenbar auch ohne humorale Beeinflussung von außen als Sekretionsorgan arbeiten, aber rein maschinenmäßig. Erst dadurch, daß gewisse Teile der Niere der Regulation von außen unterstellt werden, ist die ständige Anpassung an die Bedürfnisse des Organismus möglich. Säure-Basen-Regulierung durch die Niere s. S. 554. Das Glomerulusfiltrat enthält aber auch die Stoffe, welche nicht aus dem Körper ausgeschwemmt werden dürfen. Die Niere muß, um sie zurückzuhalten, dasselbe Mittel verwenden wie beim Wasser, die Rückresorption. Diese Stoffe werden bei ihrer Passage durch die Nierenkanälchen von den Epithelzellen teilweise oder nahezu vollständig wiederaufgenommen. Es handelt sich ebenfalls um einen aktiven Transport gegen das Konzentrationsgefälle, aber hier in der Richtung vom Lumen der Tubuli nach dem Blut. Alle einzelnen Phasen der Urinbildung, Filtration, Sekretion und Rückresorption, sind regulierbar; daher rührt die erstaunliche Anpassungsfähigkeit der Niere an die augenblicklichen Bedürfnisse des Körpers. Die einzelnen Vorgänge, Rückresorption des Wassers und der gelösten Stoffe, aktive Sekretion, sind wahrscheinlich in bestimmten Abschnitten der Tubuli lokalisiert. Für die Erforschung dieser Frage und für die Kenntnis der Nierenfunktion überhaupt sind Untersuchungen an der Amphibienniere von größter Bedeutung gewesen. Die proximalen Abschnitte der Tubuli werden hier durch ein besonderes Pfortadersystem versorgt, welches von der Blutversorgung der Glomeruli unabhängig ist, so daß man die beiden Teile des Nephrons getrennt durchbluten kann. Außerdem

Die „Clearance"

615

ist es möglich, mit Hilfe des Mikromanipulators die Bowmansche Kapsel und verschiedene Abschnitte der Kanälchen zu punktieren und die gewonnene Flüssigkeit direkt zu analysieren (Richards). Auf diese Weise hat man festgestellt, daß der im Glomerulus filtrierte Urharn tatsächlich die gleiche Zusammensetzung hat wie das Blutplasma, und es sind wertvolle Anhaltspunkte über die Funktion der einzelnen Abschnitte des Tubulus gewonnen worden. Das Chlorid wird z.B. im distalen Abschnitt des Kanälchens, die Glucose dagegen im proximalen Abschnitt rückresorbiert. Die Henlesche Schleife ist eine Besonderheit der Säugetierniere; es scheint, daß sie für die Rückresorption des Wassers von Bedeutung ist. Aus Versuchen mit Farbstoffen zu schließen, sind es hauptsächlich die proximalen Abschnitte der Tubuli, welche sekretorische Funktionen haben.

Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die durchschnittliche Konzentration verschiedener Stoffe im Urin, verglichen mit ihrer Blutkonzentration beim Menschen. Blutplasma

Urin

Urin Blutplasma

90—93 7—9 0,1 0,03 0,002 0,32 0,02 0,0001 0,008 0,0025 0,037 0,009 0,003 0,001

95 0 0 2 0,05 0,35 0,15 0,04 0,015 0,006 0,6 0,27 0,18 0,10

~ 0,97

%

Wasser Protein, Fett, Kolloide . . Glucose Harnstoff Harnsäure Na+ K+ NH 4 + Ca++ Mg + +

CIHPO4— so 4 —

Kreatinin

%

1

/oo

»/oo 60 25 1 7 400 2 2 1,6 30 60 100

Würden die im Urharn gelösten Stoffe während ihrer Passage durch die Tubuli überhaupt nicht rückresorbiert, so müßte das Verhältnis ihrer Konzentration im Urin und im Blut etwa den Wert 100—200 haben (da 180 1 Filtrat auf 1—2 1 Urin konzentriert werden). Die Tabelle zeigt, daß dieses Verhältnis für die meisten Stoffe nicht erreicht wird. (Der sehr hohe Wert für Ammoniak rührt daher, daß dieses in den Nieren selbst produziert wird.) Die Glucose erscheint im Urin überhaupt nicht in meßbaren Mengen (jedenfalls nicht unter normalen Bedingungen), wird also vollständig rückresorbiert. 2. Die „Clearance" Die verschiedenen Stoffe lassen sich nach ihrem Verhalten in der Niere in die folgenden Gruppen einteilen: 1. reine Filtration, 2. Filtration und Sekretion, 3. Filtration und Rückresorption. Wenn eine Substanz nur durch Filtration im Glomerulus ausgeschieden wird, ohne daß im Nierenkanälchen nachträglich eine weitere Menge durch Sekretion hinzutritt oder durch Rückresorption weggenommen wird, so kann man aus der Konzentration im Blutplasma und der im Urin ausgeschiedenen Menge das Volumen des Ultrafiltrats berechnen. Sei C P die Konzentration der Substanz im Blutplasma (die wir

616

Niere; Urin

als konstant voraussetzen), Cu die Konzentration im Urin, Vu das Volumen des Urins während der Versuchsperiode, so ist _ Cü'Vu _ im Urin ausgeschiedene Menge Cp Plasmakonzentration

das Volumen der während der Versuchsperiode in den Glomeruli filtrierten Flüssigkeit. (Wenn die Rechnung ganz exakt sein soll, muß die Plasmakonzentration nicht auf das ganze Plasmavolumen, sondern nur auf das Plasmawasser bezogen werden.) Man rechnet dieses Volumen gewöhnlich auf die Zeit von einer Minute um. Es beträgt beim Menschen unter normalen Bedingungen etwa 125 ccm. Eine Substanz, welche die obigen Bedingungen erfüllt, ist das I n u l i n ; man kann dieses Kohlenhydrat daher dazu benutzen, um die Größe der Filtration in der Niere zu messen. Wenn man nun den obigen Quotienten (Menge im Urin: Plasmakonzentration) für einen Stoff ausrechnet, der rückresorbiert wird, so wird man natürlich einen kleineren Wert finden als für das Inulin oder sich ähnlich verhaltende Substanzen. Clearance cmyMin.

§ e

- Diodrast

5

-

2S0

Kreatinin '- -ISO reme Filtration

Inulin • 7 00

Harnstoff - so

% £

^

0

• Glukose

Abb. 63. S c h e m a zur V e r a n s c h a u l i c h u n g d e s Z u s a m m e n h a n g s z w i s c h e n F i l t r a t i o n , R ü c k r e s o r p t i o n u n d S e k r e t i o n in der N i e r e u n d der „Clearance".

Berechnet man ihn für einen Stoff, der in den Tubuli sezerniert wird, so muß sich ein größerer Wert ergeben. Der Quotient gibt immer das Volumen des Blutplasmas, in welchem die im Urin ausgeschiedene Substanz gelöst war. Dieses Volumen des

Die „Clearance"

617

Blutplasmas ist auf seinem Weg durch die Nieren von der Substanz befreit worden. Man bezeichnet daher den auf eine Minute bezogenen Wert allgemein als „ c l e a r a n c e " (to clear = befreien, aufräumen, wegschaffen). Für Stoffe, die wie das Inulin in den Tubuli weder rückresorbiert noch sezerniert werden, ist, wie gesagt, die Clearance gleich dem in den Glomeruli pro Minute filtrierten Flüssigkeitsvolumen. Für Stoffe, die rückresorbiert werden, ist sie kleiner, im Grenzfall Null (z. B. Glucose); für Stoffe, die sezerniert werden, ist sie größer, im Grenzfall gleich dem Volumen des Blutplasmas, das während einer Minute die beiden Nieren durchströmt. Man findet derartig hohe Werte für gewisse körperfremde Substanzen, z. B. jodhaltige Kontrastmittel, wie sie verwendet werden, um die Harnwege im Röntgenbild sichtbar zu machen (Diodrast), und auch für gewisse Antibiotica. Die Clearance eines Stoffes verglichen mit der unter den gleichen Bedingungen bestimmten „Inulin-Clearance" gibt daher Auskunft über die Art seiner Ausscheidung und den Umfang der Rückresorption. Die Bestimmung der Inulin-Clearance wird in der Klinik als Nierenfunktionsprüfung durchgeführt. Das Schema der Abb. 63 macht die besprochenen Verhältnisse anschaulich. Die Glucose wird bei normalen Blutzuckerwerten nicht ausgeschieden. Sie geht erst dann in den Urin über, wenn ihre Konzentration im Blutplasma einen bestimmten Wert, die A u s s c h e i d u n g s s c h w e l l e , erreicht. Die Erklärung für dieses Verhalten ist darin zu suchen, daß die Fälligkeit der Tubuli zur Rückresorption des Zuckers begrenzt ist. Wenn die Konzentration im Glomerulusfiltrat eine bestimmte Grenze überschreitet, vermögen die Epithelien die Glucose aus der vorbeifließenden Lösung nicht mehr vollständig aufzunehmen. Man kann durch Vergiftung der Zellen mit dem Glycosid P h l o r r h i z i n die Rückresorption so stark hemmen, daß die Glucose auch bei normaler Konzentration in den Urin übergeht (Phlorrhizindiabetes, vgl. S. 314). Man nennt Stoffe, die sich wie die Glucose verhalten, S c h w e l l e n s u b s t a n z e n („threshold-substances"). Man muß dazu auch die Na + - und die Cl~-Ionen zählen. Nur entspricht bei ihnen die normale Plasmakonzentration gerade der Ausscheidungsschwelle. Ihre Ausscheidung im Urin hört erst dann vollständig auf, wenn die Konzentration im Blut ein weniges unter die Norm absinkt. Im Gegensatz zum Zucker können Natrium und Chlor nicht anders gespeichert werden als in der extrazellulären Flüssigkeit, und sie können daraus nur durch die Nieren entfernt werden. Wenn also in der Körperflüssigkeit überhaupt eine konstante Konzentration erhalten bleiben soll, so muß sie notwendigerweise mit der Ausscheidungsschwelle zusammenfallen.

Die Clearance der Schwellensubstanzen hat für Blutkonzentrationen unterhalb der Ausscheidungsschwelle den Wert Null und steigt für größere Konzentrationen allmählich an. Für viele Stoffe läßt sich eine Ausscheidungsschwelle nicht feststellen, sie sind „NichtschWellensubstanzen" (,,no-threshold substances"). Die Geschwindigkeit ihrer Ausscheidung im Urin ist ungefähr proportional der Blutkonzentration und ihre Clearance daher über einen größeren Konzentrationsbereich annähernd konstant. Dies ist der Fall bei den Stoffen, die nicht rückresorbiert werden, wie z. B. beim Kreatinin. Bei Stoffen, welche wie das Diodrast (siehe oben) bei niedriger Konzentration in den Tubuli durch Sekretion vollständig ausgeschieden werden (Clearance maximal), zeigt sich eine ähnliche Erscheinung wie bei den Schwellensubstanzen, aber in umgekehrtem Sinne: bei Überschreitung

618

Niere; Urin

einer gewissen Blutkonzentration (für Diodrast etwa 10mg%) vermögen die Zellen der Nieren kanälchen den Stoff nicht mehr vollständig aus dem vorbeiströmenden Blut zu entfernen und ins Lumen der Kanälchen zu transportieren. Wie beim Zucker die Rückresorption, so wird hier die Eliminierung des Stoffes aus dem Blut unvollständig; die Clearance geht zurück.

3. Der Stoffwechsel der Niere Die Nieren besitzen einen außerordentlich intensiven Stoffwechsel. Größenordnungsmäßig macht der Energieumsatz der beiden Nieren 1 / 2 0 bis 1 / i 0 des gesamten Ruheumsatzes aus, trotzdem ihr Gewicht nur etwa 1 / 2 0 0 des Körpergewichts beträgt (60—180 Cal. in 24 Stunden, Sauerstoffverbrauch 10—30 1 0 2 ). Der Energieverbrauch pro Gewichtseinheit ist größer als bei allen anderen Organen. Die Niere leistet osmotische Arbeit; doch ist ihr Betrag verglichen mit dem Energieverbrauch sehr klein, d. h. weniger als 1 Cal. für die tägliche Urinmenge. Der hohe Energieverbrauch läßt sich dadurch in keiner Weise erklären. Er ist offenbar durch die besondere Natur der in der Niere sich abspielenden Absorptions- und Sekretionsvorgänge bedingt. Wir müssen annehmen, daß dazu zahlreiche Hilfsreaktionen nötig sind, welche Energie verbrauchen. Wahrscheinlich muß die hohe Selektivität des Stofftransportes durch die Epithelien der Tubuli durch einen schlechten energetischen Wirkungsgrad erkauft werden. Man muß sich auch die Frage stellen, ob die gesamten in der Niere lokalisierten Stoffwechselvorgänge in unmittelbarer Beziehung zur Sekretionstätigkeit der Niere stehen oder ob sie daneben auch in ähnlichem Sinne wie die Leber f ü r den allgemeinen Intermediärstoffwechsel Bedeutung haben. Vermutlich trifft das letztere zu. Man findet in der Niere neben den allgemeinen Fermentsystemen des oxydativen Stoffwechsels (z. B. des Tricarbonsäurecyklus) zahlreiche andere oxydierende und hydrolytische Enzyme, besonders auch Fermente des Aminosäurestoffwechsels, D-Aminosäureoxydase, Transaminase, Glutaminase und Asparaginase, Aminoxydasen, Histidindecarboxylase, Peptidasen usw., aber auch zahlreiche synthetisierende Fermentsysteme. Verschiedene Entgiftungsreaktionen, so bei verschiedenen Tierarten die Hippursäuresynthese, spielen sich in der Niere ab. Es scheint, daß die Niere imstande ist, wenn auch in beschränktem Umfang, Glucose ans Blut abzugeben. Auf Grund all dieser Tatsachen kann man schließen, daß die Niere außer ihrer sekretorischen Tätigkeit, die natürlich ihre Hauptfunktion darstellt, an zahlreichen, für den gesamten Stoffhaushalt wichtigen Umsetzungen teilnimmt. 4. Niere und Blutdruck Wenn man beim Tier die Blutzufuhr zu einer Niere durch Anlegen einer Klammer an die Nierenarterie teilweise unterbindet, so stellt sich nach einiger Zeit eine Erhöhung des Blutdrucks ein. Es hat sich gezeigt, daß die durch den Blutmangel (Ischämie) leicht geschädigte Niere an das Blut einen Stoff abgibt, das R e n i n , welcher für die Blutdrucksteigerung verantwortlich ist. Renin wirkt aber nicht direkt auf die Gefäße. Es ist nur in Gegenwart von Blut wirksam, denn es reagiert mit einem Protein des Blutplasmas, dem H y p e r t e n s i n o g e n , und bildet daraus den eigentlichen blutdruckwirksamen Stoff, das H y p e r t e n s i n (oder Angiotonin) (Braun-Menendez; F a s c i o l a , Leloir und Munoz). Das Renin, das in der Nierenrinde vorhanden ist und sich aus dem Organ extrahieren läßt, ist eine Protease; Hypertensinogen ist ein a-Globulin, Hypertensin ein dialysierbares, thermostabiles Polypeptid. Die Reindarstellung der fraglichen Peptide hat es ermöglicht, die Vorgänge, die zur Bildung des Hypertensins führen, weitgehend abzuklären. Aus dem Hypertensinogen des Pferdeserums wird durch das Renin zunächst ein Dekapeptid, das Hypertensin I, abgespalten, aus welchem durch ein „Umwandlungsenzym" des Serums —

Niere und Blutdruck

619

durch Abspaltung eines Dipeptids am Carboxylende — das Hypertensin II, ein Oktapeptid, gebildet wird 1 ): Hypertensin I :

i

Asp • Arg • Val • Tyr • Ileu • His • Pro • Phe • His • Leu

Hypertensin I I : Asp • Arg • Val • Tyr • Ileu • His • Pro • Phe

+

His • Leu

Das Hypertensin wird vom Aminoende einer Peptidkette des Hypertensinogens abgespalten: es schließt mit seinem Carboxylende an die Sequenz Leu • Val • Tyr • Ser • • • an, d. h. es wird durch das Renin spezifisch eine Leueyl-leucinbindung hydrolysiert 2 ). Das Hypertensin aus Binderserum enthält an Stelle des Isoleucins Valin. Neuerdings ist auch die Synthese von Hypertensin I und I I und verwandter nicht natürlicher Peptide gelungen3). Hypertensin wird durch ein im Plasma vorkommendes Ferment, die Hypertensinase, langsam inaktiviert. Die Vorgänge stellen sich also folgendermaßen dar: Niere

Blutplasma Hypertensinogen

Renin

Ischämie

> Renin Hypertensin I Um-

wandlungsenzym

Spaltprodukte

Hypertensinase

Hypertensin I I

Beim Menschen ist die Verbindung von hohem Blutdruck mit Nierenkrankheiten (renaler Hochdruck) schon lange bekannt. Möglicherweise ist der Mechanismus der gleiche wie beim experimentellen Hochdruck: Übertritt von Renin ins Blut und Bildung von Hypertensin. Es gibt aber Anzeichen dafür, daß die Niere bei mangelhafter Blutversorgung auch noch andere blutdruckerhöhende Stoffe an den Kreislauf abgibt (Stickstoffbasen). Man hat im Urin bei experimenteller Ischämie der Niere (Hund) derartige Stoffe gefunden. Es stellt sich die Frage, ob die Niere auch normalerweise kreislaufwirksame Stoffe abgibt und auf diese Weise regulierend in den Blutkreislauf eingreift. Da die Harnabsonderung, wie sich tierexperimentell zeigen läßt, durch Erhöhung des arteriellen Blutdrucks gefördert wird, bei Senkung aber abnimmt, wäre eine Beeinflussung des Blutdrucks von der Niere aus durchaus verständlich. Wir besitzen darüber aber keine sicheren Kenntnisse. Es ist schon die Möglichkeit erwogen worden, daß die Niere bei mangelhafter Sauerstoffversorgung gewisse blutdruckwirksame Amine, die durch Decarboxylierung aus den entsprechenden Aminosäuren entstehen, ans Blut abgibt, währenddem sie dieselben sonst durch die Aminoxydasen weiteroxydiert. Tatsächlich scheint die Sauerstoffaufnahme von Homogenaten aus ischämischen Nieren erniedrigt und die Oxydation der Aminosäuren und der entsprechenden Amine verlangsamt zu sein4). Eine besondere Rolle scheint das Dihydroxyphenylalanin (Dopa) zu spielen, welches durch Decarboxylierung in das Hydroxytyramin übergeht: HO

—CH a .CH(NH 2 )-COOH

Dopa

Dopadecarboxylase

CH2 • CILj • NH 2

HOHO

Hydroxytyramin

S k e g g s u. Mitarb., J . exptl. Med. 100, 363 (1954); 102, 435 (1955); 104, 183, 193 (1956). ) S k e g g s u. Mitarb., J . exptl. Med. 106, 439 (1957). 3 ) S c h w y z e r u. Mitarb., Helv. Chim. Acta 40, 614 (1957); Chimia 11, 335 (1957); 12, 53 (1958). *) B i n g , Am. J. Physiol. 132, 497 (1941); 133, 214 (1941); Olsen, Fed. Proc. 10, 99 (1951). 2

620

Niere; Urin

I n j e k t i o n von Dopa bei K a t z e n m i t experimenteller Hypertonie (Ischämie der Niere) bewirkt eine Steigerung des Blutdrucks, während das normale Tier nicht reagiert. Auch beim Menschen m i t essentieller Hypertonie beobachtet m a n einen stärkeren E f f e k t als beim Normalen 1 ). Bei Durchströmung der ischämischen Niere, nicht aber der normalen, mit Dopa erhält m a n H y d r o x y t y r a m i n . Auch Nierenextrakte bilden u n t e r anaeroben Bedingungen aus der Aminosäure das Amin. Auch ein solcher Mechanismus, der auf der mangelnden Weiteroxydation von intermediär gebildeten Aminen b e r u h t , k ö n n t e die E n t s t e h u n g der Hypertonie bei Sauerstoffmangel der Niere erklären. Bei anderen Organen h a t m a n die Bildung von blutdruckwirksamen Aminen u n t e r ähnlichen Bedingungen nicht beobachtet. Möglicherweise ist die Niere wegen ihres hohen Sauerstoffbedarfs gegen Sauerstoffmangel besonders empfindlich. Alle diese Befunde sind f ü r die E r k l ä r u n g der renalen Hypertonie beim Menschen v o n Interesse 2 ). Man h a t im Blut v o n P a t i e n t e n m i t renaler Hypertonie ein blutdruckwirksames Amin „ P h e r e n t a s i n " gefunden, das im B l u t v o n Normalen n i c h t vorzukommen scheint 3 ).

5. Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile Nach den früheren Ausführungen ist es verständlich, daß der Harn eine sehr wechselnde Zusammensetzung aufweist, welche sowohl die Zusammensetzung der Nahrung als auch das Geschehen im Körper widerspiegelt. Wir können hier nur eine kurze Übersicht geben unter Hinweis auf die Kapitel über den Intermediärstoffwechsel. Alles folgende bezieht sich auf die Verhältnisse beim Menschen. Spezifisches Gewicht. Dasselbe kann zwischen den extremen Grenzen von etwa 1,003 (nach starker Flüssigkeitszufuhr) und 1,040 (nach starkem Wasserverlust durch Schwitzen) schwanken. Normalerweise findet man Werte zwischen etwa 1,015 und 1,025. Das spezifische Gewicht bei Wasserentzug gibt in der Klinik wertvolle Anhaltspunkte über die Konzentrationsfähigkeit der Niere. Man kann aus dem spezifischen Gewicht den ungefähren Gehalt des Urins an festen Stoffen (in g pro Liter) berechnen, indem man die beiden letzten Ziffern (2. und 3. Stelle nach dem Komma) mit der Zahl 2,6 multipliziert (sog. Longscher Koeffizient). B e i s p i e l : E i n Urin vom spez. Gew. 1,021 enthält r u n d 21 -2,6 = 54,6 g feste Stoffe im Liter.

Der normale Urin enthält eine große Zahl der verschiedenartigsten Stoffe: Endprodukte des Stoffwechsels, Nahrungsbestandteile, die entweder nicht verwertbar sind oder im Überschuß zugeführt werden, Bestandteile des Blutes und der Gewebe, die ausgeschieden werden, weil für sie das Nierenfilter offenbar nicht vollständig „dicht" ist. In pathologischen Zuständen können im Urin Stoffe auftreten, welche normalerweise nicht oder nur in sehr geringer Menge ausgeschieden werden. Darauf beruht der große diagnostische Wert der Harnuntersuchung. Wir zählen im folgenden die wichtigsten Harnbestandteile auf und geben einige Hinweise auf ihre physiologische und klinische Bedeutung. A. Harnstoff

Er steht mengenmäßig an erster Stelle. Beim Erwachsenen macht er etwa 80—90% der N-haltigen Substanzen aus; bei eiweißarmer Ernährung ist dieser Anteil etwas kleiner. Die täglich ausgeschiedene Menge hängt von der Eiweißzufuhr ab ') O s t e r u. S o r k i n , Proc. Soc. E x p t l . Biol. Med. 46, 343 (1941). ) Vgl. B r a u n - M e n e n d e z u. M i t a r b . ; G o l d b l a t t ; Physiol. E e v . 27, 120 (1947); Renal hypertension; Springfield 1946. Weitere L i t e r a t u r i n : C i b a F o u n d a t i o n S y m p o s i u m o n H y p e r t e n s i o n (Wostenholme u. Cameron, Eds.); London 1954. S c h a a f , Arch. I n t e r n a l Med. 93, 254, 407 (1954). 3 ) S c h r o e d e r u. O l s e n , J . exptl. Med. 92, 545, 561 (1950). 2

Kreatinin und Kroatin

621

(Harnstoffausscheidung = ——;— —•, d. h. rund 0,3 mal Eiweißzufuhr in Gramm); sie beträgt 20—30 g, macht also mehr als die Hälfte aller festen Stoffe aus. Der Harnstoff ist das Substrat der sog. a m m o n i a k a l i s c h e n G ä r u n g des Harns. Er zersetzt sich unter der Einwirkung von Bakterien (Urease!) in Ammoniak und Kohlensäure. Über die Harnstoffsynthese in der Leber siehe S. 432 u. ff. B e s t i m m u n g des H a r n s t o f f s : Zerlegung durch Urease und Destillation des gebildeten Ammoniaks im Luftstrom, Auffangen in titrierter Säure (Folin), oder durch Zersetzung des Harnstoffs durch Hypobromit und gasvolumetrische Bestimmung des gebildeten N 2 (Ambard). B. Kreatinin und Kreatin

Beim erwachsenen Mann findet sich im Urin nur Kreatinin, kein Kreatin. Dasselbe ist bei der Mehrzahl der Frauen der Fall; es gibt aber Frauen, welche dauernd oder von Zeit zu Zeit kleine Mengen Kreatin ausscheiden. Das Kind dagegen scheidet gleichzeitig Kreatinin und Kreatin aus. Die Menge des ausgeschiedenen Kreatinins, bezogen auf das Körpergewicht (mg Kreatinin in 24 Stunden zu kg Körpergewicht), der sog. K r e a t i n i n k o e f f i z i e n t , ist für ein und dasselbe Individuum annähernd konstant. Für den Mann ergeben sich Werte von 20—26 mg/kg, für die Frau Werte von 14—22 mg/kg. Die Kreatininausscheidung hängt von der Muskelmasse ab; je besser die Muskulatur entwickelt ist, desto mehr Kreatinin wird ausgeschieden. Kreatin geht nur dann in den Urin über, wenn seine Konzentration im Blut erhöht ist ( > 0,6 mg%). Bei der Frau kommt es -während des Puerperiums zur Kreatinurie. Überhaupt tritt bei der Frau Kreatinausscheidung leichter auf als beim Mann. Im allgemeinen können solche Zustände zur Ausscheidung von Kreatin führen, bei welchen Gewebe, insbesondere Muskulatur, eingeschmolzen wird. Typisch ist das Auftreten von Kreatinurie bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur (Muskeldystrophie, Myasthenia gravis, Myatonia congenita usw.). Überfunktion der Schilddrüsen führt regelmäßig zur Kreatinurie. Die pathologische Kreatinurie weist folgende Kennzeichen auf: Ausscheidung von Kreatin höher als 50—60 mg in 24 Stunden; bei Verabreichung von Kreatin (1,32 g, entsprechend 1 g Kreatinin) erscheinen in den folgenden 24 Stunden mehr als 30% im Urin (normalerweise sind es nur wenige Prozente). Der Kreatininkoeffizient ist niedrig.

Das Kreatin des Urins entstammt im wesentlichen dem Kreatin der Muskulatur. Von außen zugeführtes Kreatin wird fast vollständig von den Muskeln aufgenommen. Ist die Muskulatur durch irgendwelche pathologischen Prozesse geschädigt, so vermag sie weder das endogene noch das exogene Kreatin vollständig zu fixieren und in Kreatinin umzuwandeln; ein Teil des Kreatins wird daher als solches ausgeschieden. Über die Synthese des Kreatins und den Kreatinstoffwechsel siehe S. 415 und S. 657. N a c h w e i s u n d B e s t i m m u n g des K r e a t i n i n s : Kreatinin gibt in alkalischer Lösung mit Nitroprussidnatrium [Fe(CN5)NO] • Na 2 • 2 H 2 0 eine rote Färbung, die beim Stehen abblaßt und bei Zusatz von Essigsäure sofort verschwindet (Gegensatz zum Aceton): Weyische Reaktion. Verdünnte alkalische Kreatininlösung gibt mit Pikrinsäure versetzt eine orangerote Färbung. Diese Reaktion kann zur quantitativen kolorimetrischen Bestimmung benutzt werden. (Sie ist aber nicht streng spezifisch auf Kreatinin.) Im Blut finden sich noch andere Stoffe, welche unter

622

Niere; Urin

den gleichen Bedingungen eine Färbung geben. Die Methode genügt aber für die meisten praktischen Zwecke. Man hat Bakterien isoliert, die Kreatinin abbauen, und hat darauf eine spezifische mikrobiologische Bestimmungsmethode gegründet (Miller und Dubos). Zur Bestimmung des Kreatins neben dem Kreatinin führt man durch Erhitzen mit Säure das Kreatin in Kreatinin über. Aus der Zunahme des Kreatinins läßt sich der Kreatingehalt berechnen. C. Harnsäure

Die Harnsäure stellt im Urin der Säugetiere eines der Endprodukte des Purin stoffwechsels dar. Auch bei völlig purinfreier Nahrung wird immer Harnsäure ausgeschieden (0,3—0,5 g täglich). Dieselbe muß aus den Nucleinsäuren und Nucleotiden der Gewebe stammen ( e n d o g e n e H a r n s ä u r e ) . Bei Zufuhr von Purinen mit der Nahrung wird eine zusätzliche Menge Harnsäure eliminiert ( e x o g e n e H a r n s ä u r e ) . Normalerweise macht beim Erwachsenen die Harnsäure 1—2% des gesamten Urin-N aus. Beim Neugeborenen ist der Anteil der Harnsäure am Urin-N viel größer als beim Erwachsenen (7—8%). Nach Injektion von Harnsäure wird nur ein Teil im Urin wieder ausgeschieden (rund 50%). Der Rest wird zerstört. Man muß jedenfalls auf Grund dieser Versuche schließen, daß die Harnsäureausscheidung nicht dem gesamten endogenen Purinumsatz entspricht, sondern daß ein Teil des Purins irgendwo im Organismus weitgehend abgebaut wird. Die Allantoinbildung (vgl. S. 477) ist beim Menschen sehr gering. Wahrscheinlich gelangt ein Teil durch Magensaft und Galle in den Darm und wird durch die Bakterien abgebaut. Man vermutet, daß ein Teil auch in der Leber zerstört wird. Es sind allerdings in den menschlichen Geweben noch keine Fermente gefunden worden, welche die Harnsäure angreifen. Reichliche Zufuhr von Proteinen (ohne Purine!) mit der Nahrung führt zu einer leichten Steigerung der Harnsäureausscheidung, weil ein Teil des Stickstoffs zur Purinsynthese verwendet wird. Bei körperlicher Arbeit ist die Harnsäureausscheidung erhöht. Alle Prozesse, die zur Einschmelzung von Gewebe führen (z. B. fieberhafte Erkrankungen, Röntgenbestrahlung usw.), erhöhen auch die Ausscheidung der Harnsäure. Wegen ihrer Schwerlöslichkeit kann Harnsäure zur Konkrementbildung im Nierenbecken oder in der Blase führen (siehe unten). B e s t i m m u n g d e r H a r n s ä u r e : durch Fällung als Ammoniumurat oder kolorimetrisch auf Grund ihrer Eigenschaft, Phosphorwolframsäure oder Arsenophosphorwolframsäure unter Blaufärbung zu reduzieren. D. Aminosäuren und Derivate

Freie Aminosäuren werden nur in kleiner Menge ausgeschieden (1—2% des Gesamt-N); daneben finden sich auch Polypeptide, die aber wenig untersucht sind. Es sind verschiedene Zustände bekannt, bei welchen die Ausscheidung von Aminosäuren im Urin stark vermehrt ist. Die genauere Erforschung dieser Aminoacidurien ist erst in jüngster Zeit dank der Entwicklung der chromatographischen Methoden möglich geworden und hat zu interessanten Resultaten geführt 1 ). In gewissen Fällen ist die erhöhte Ausscheidung die Folge einer erhöhten Konzentration im Blut: es kommt zum Ü b e r f l i e ß e n der Aminosäuren (,,overflow aminoacidurias"). Dies ist z. B. bei Leberschädigungen der Fall. (Es ist eine altbekannte Tatsache, daß bei akuter gelber Leberatrophie Tyrosin und Leucin im Urin auskristallisieren können.) In anderen Fällen aber besteht zwischen dem Aminosäurespiegel im Blut und der Ausscheidung keine sichtbare Beziehung. Es treten ganz bestimmte Aminosäuren in vermehrter Menge in den Urin über, wahrscheinlich infolge einer S t ö r u n g des A u s s c h e i d u n g s m e c h a n i s !) Vgl. D e n t , Schweiz.med.Wschr. 80, 752 (1950); Brit.Med.Bull. 10, 247 (1954). E v e r e d , Biochem. J . 62, 416 (1956). H a r r i s , Conférences et Rapports, 3™« Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 467; Liège 1956.

Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

623

m u s („renal aminoacidurias"). Die Aminoacidurie ist hier ein charakteristisches Symptom eines — wie es scheint — meist kongenitalen Defekts. (Beim sog. F a n c o n i - S y n d r o m ist sie z . B . mit Zwergwuchs, Rachitis und Nierenveränderungen vergesellschaftet; Aminoacidurie besteht auch bei der Wilsonschen Krankheit [S. 817] und bei der G a l a c t o s ä m i e [S. 307].) Schon lange bekannt ist die C y s t i n u r i e , die wegen der Schwerlöslichkeit des Cystins zur Steinbildung führen kann. Nach neueren Untersuchungen werden gleichzeitig auch Lysin, Arginin und Ornithin in stark vermehrter Menge ausgeschieden. Bei der S. 393 erwähnten P h e n y l k e t o n u r i e treten auch beträchtliche Mengen Phenylalanin in den Urin über, sehr wahrscheinlich als Folge des erhöhten Blutspiegels, außerdem noch Phenylmilchsäure und Phenylessigsäure in Form des Phenylacetylglutamins (vgl. S. 430). Die A l k a p t o n u r i e ist durch die Ausscheidung der H o m o g e n t i s i n s ä u r e charakterisiert (siehe S. 394). Alkaptonharn dunkelt beim Stehen von der Oberfläche her nach und verfärbt sich schließlich grünschwärzlich, Harnflecken auf der Wäsche färben sich mit Soda dunkel (daher der Name Alkali kapto: reiße Alkali an mich). Dies beruht auf der Oxydation der Homogentisinsäure (ein Hydrochinonderivat!) zu einem dunklen Pigment, die eintritt, sobald der Harn durch ammoniakalische Gärung alkalisch wird. Der Harn ist reduzierend. Aus ammoniakalischer Silbernitratlösung wird in der Kälte metallisches Silber abgeschieden. Auch F e h l i n g s c h e Lösung wird in der Kälte langsam reduziert. E . Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

Der Urin enthält eine ganze Reihe von Verbindungen, welche durch sog. „Entgiftungsvorgänge" entstanden sind. Dieser Ausdruck bezeichnete ursprünglich Reaktionen, durch welche ein körperfremder, toxisch wirkender Stoff in eine zur Ausscheidung im Urin geeignete, weniger toxische Verbindung übergeführt wird. Dabei ging man von der Vorstellung einer zweckmäßigen Reaktion aus, durch welche der Organismus sich der schädlichen Stoffe zu entledigen sucht. Als erster hatte E . B a u m a n n 1876 gezeigt, daß die aus dem Harn isolierte Phenolschwefelsäure beim Kaninchen nicht giftig wirkt. „ D a nun erwiesen ist, daß schwefelsaures Natron aus dem in den Körper gebrachten Phenol nicht giftige Phenolschwefelsäure erzeugt, so ist das schwefelsaure Natron oder ein anderes lösliches schwefelsaures Salz ein direktes chemisches Gegengift bei Phenolvergiftung." Es scheint, daß der Ausdruck Entgiftung im oben angegebenen Sinn zum erstenmal von N e u m e i s t e r 1895 gebraucht worden ist.

In Wirklichkeit ist aber das Produkt der Entgiftungsvorgänge keineswegs immer weniger toxisch, ja nicht einmal immer besser löslich und zur Ausscheidung geeigneter als die ursprüngliche Verbindung. Man kann vom Organismus gar nicht erwarten, daß seine Reaktion beliebigen körperfremden Stoffen gegenüber immer „zweckmäßig" ist. Ein fremder Stoff wird seiner chemischen Natur gemäß mit den vorhandenen körpereigenen Verbindungen und Fermentsystemen reagieren. Dabei kann ein weniger toxischer, besser löslicher Körper gebildet werden, braucht es aber nicht. Der Ausdruck „Entgiftungsvorgang" ist zwar noch allgemein gebräuchlich; man versteht aber heute darunter ganz allgemein die c h e m i s c h e n Umwandlungen, welche beliebige k ö r p e r f r e m d e S u b s t a n z e n im T i e r k ö r p e r erleiden, gleichgültig, ob damit eine Änderung der Toxizität verbunden ist oder nicht. Als körperfremde Stoffe sind alle diejenigen zu betrachten, die nicht normale Bestandteile der Gewebe oder normale Stoffwechselprodukte sind. Derartige Verbindungen werden im Darm beständig aufgenommen. Sie entstammen entweder direkt der Nahrung oder sie werden im Darm durch Fäulnis- oder Gärungsvorgänge gebildet. Eine besonders wichtige Rolle spielen gewisse Aporrhegmen der Aminosäuren. Von großer praktischer Bedeutung ist natürlich auch das Verhalten der als Medikamente verwendeten Stoffe. Ihre Untersuchung hat wichtige Beiträge zur Kenntnis der Entgiftungsvorgänge geliefert.

Niere; Urin

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Ein großer Teil der Entgiftungsreaktionen findet wahrscheinlich in der Leber statt, welche infolge ihrer besonderen Lage hierzu das geeignete Organ ist. Einzelne Reaktionen, so die Hippursäuresynthese, sind aber auch in der Niere nachgewiesen worden. Die Umwandlungen, die körperfremde Stoffe im Organismus erleiden, sind sehr mannigfaltig. Hydrolysierbare Verbindungen werden in ihre Bausteine aufgespalten. Sehr häufig werden die Stoffe oxydativ angegriffen; vielfach tritt auch Reduktion ein. Besonders wichtig sind die synthetischen Reaktionen, durch welche die eingeführten Verbindungen mit bestimmten körpereigenen Stoffen verbunden („gepaart" oder „konjugiert") werden. Als solche dienen Schwefelsäure (Bildung von g e p a a r t e n S c h w e f e l s ä u r e n ) , Glucuronsäure ( g e p a a r t e G l u c u r o n s ä u r e n ) , Aminosäuren, nämlich G l y c o c o l l , G l u t a m i n , C y s t e i n , O r n i t h i n . Schließlich können die Stoffe in A c e t y l d e r i v a t e oder in einzelnen Fällen auch in M e t h y l d e r i v a t e übergeführt werden. Vielfach wird der eingeführte Stoff zuerst oxydiert, worauf das Oxydationsprodukt mit einem der genannten Stoffe der Konjugation unterworfen wird. Wir kennen eine große Zahl körperfremder Stoffe — es handelt sich meist um aromatische Körper — welche zu Hydroxylverbindungen oxydiert werden können 1 ). Diese Reaktionen sind merkwürdig, weil hier natürlicherweise im Körper nicht vorkommende Substanzen von den Fermenten angegriffen werden. Offenbar handelt es sieh um Enzyme mit ziemlich weitem Spezifitätsbereich. Da sich unter den Substraten dieser Enzyme viele pharmakologisch interessante Verbindungen finden, hat man sich mit dem enzymatischen Mechanismus der Hydroxylierung eingehend befaßt. Ein Fermentsystem, das eine Reihe aromatischer Verbindungen zu hydroxylieren vermag, ist in den Mikrosomen der Leber nachgewiesen worden2). Es benötigt molekularen Sauerstoff und außerdem reduziertes TPN. Sehr wahrscheinlich gehören diese hydroxylierenden Enzyme zu den Oxydasen, welche den molekularen Sauerstoff direkt in organische Verbindungen einführen. Man hat in einzelnen Fällen (Oxydation des Acetanilids zum p-Hydroxyacetanilid) durch Verwendung des schweren Sauerstoffisotops (O'18') tatsächlich zeigen können, daß der Hydroxylsauerstoff nicht aus dem Wasser, sondern aus dem 0 2 stammt3). Der Verlauf solcher Hydroxylierungen ist nicht sicher bekannt; doch lassen sich theoretische Vorstellungen entwickeln. Man kann annehmen, daß das eine Sauerstoffatom zur Oxydation des Substrats dient, während das andere in gekoppelter Reaktion durch ein Reduktionsmittel, im obigen Beispiel TPNH reduziert wird4). Wir werden bei Besprechung der Hydroxylierung der Steroide einer ähnlichen Reaktion begegnen (S. 714). Man kennt unspezifische Modellreaktionen, die ebenfalls zur Hydroxylierung verschiedener aromatischer Verbindungen führen. Solche Systeme setzen sich aus Ferroionen, Ascorbinsäure (oder anderen Endiolen) und dem Substrat zusammen; die Reaktionsgeschwindigkeit wird durch Komplexbildner wie Äthylendiamintetraessigsäure gesteigert. Daher liegt die Vermutung nahe, daß die für die Hydroxylierung verantwortlichen Enzyme, Metallenzyme sind. Dafür spricht auch die Tatsache, daß z. B. die Meerrettichperoxydase unter geeigneten Bedingungen derartige Reaktionen katalysiert.

Ein und derselbe Stoff kann in Form verschiedener Verbindungen ausgeschieden werden, z. B. gleichzeitig als Sulfat und als Glucuronid, wobei allerdings meistens die eine stark bevorzugt ist (vgl. unten, Verhalten der Salicylsäure). Die Elimination einer Verbindung kann bei den verschiedenen Tierarten in verschiedener Form geschehen. So wird z. B. die Phenylessigsäure bei den meisten Tierarten als Phenacetursäure, beim Menschen dagegen als Phenylacetylglutamin ausgeschieden. *) Man findet eine Liste solcher Verbindungen in Mason, Adv. Enzymol. 19, 144 (1957). ) Brodie u. Mitarb., Science 121, 603 (1955); Mitoma u. Mitarb., Arch. Biochem. Biophys. 61, 431 (1956). 3 ) Vgl. Mason, Adv. Enzymol. 19, 176 (1957). 4 ) Mason, Adv. Enzymol. 19, 79 (1957). 2

Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

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Wir können im folgenden nur einige wenige Beispiele erwähnen: a) Gepaarte Schwefelsäuren (Esterschwefelsäuren). Sie wurden 1876 von E. B a u m a n n entdeckt und als Schwefelsäureester der indigobildenden Substanz des Urins oder von Phenolen erkannt. Der Urin enthält neben dem anorganischen Sulfat stets noch eine gewisse Menge organisch gebundene Schwefelsäure, welche durch saure oder alkalische Hydrolyse freigesetzt werden kann. Eine der wichtigsten gepaarten Schwefelsäuren ist das H a r n i n d i c a n , die Indoxylschwefelsäure : / V .

Über die Entstehung des Indoxyls aus dem Tryptophan siehe S. 402. Die Ausscheidung des Harnindicans kann bei gesteigerter Darmfäulnis (z. B. bei Darmverschluß) vermehrt sein. Skatoxyl wird in gleicher Weise mit Schwefelsäure gepaart. Phenole werden zum größten Teil als gepaarte Schwefelsäuren ausgeschieden: P h e n o l - und K r e s o l s c h w e f e l s ä u r e , B r e n z c a t e c h i n s c h w e f e l s ä u r e und H y d r o c h i n o n s c h w e f e l s ä u r e (z. B. nach Phenolvergiftung nachgewiesen; Hydrochinon ist durch Oxydation des Phenols entstanden):

O

so3h

Der Harn der Pflanzenfresser ist besonders reich an Schwefelsäureestern von Phenolen. Die Menge der konjugierten Schwefelsäure nimmt auch nach Benzolvergiftung zu. Benzol wird zu Phenolen (Phenol, Brenzcatechin, Hydrochinon) und ein kleiner Teil darüber hinaus zui cis-cis-Muconsäure oxydiert1): H

U

f'Y°H

* U\0H

*

H/

h Hc o ocooH ic/

C x

H Das Enzym, welches den Brenzcatechin unter Ringöffnung zur Muconsäure oxydiert (Brenz eatechinoxydase), enthält Ferroeisen. Utracer"-Versuche mit schwerem Sauerstoff (0(18)) haben gezeigt, daß die beiden O-Atome, die bei der Oxydation eingeführt werden, dem molekularen Sauerstoff entstammen2). Die Brenzcatechinoxydase gehört demnach zu den oben erwähnten Permenten, welche den molekularen Sauerstoff aktivieren und auf andere Verbindungen übertragen (S. 256). Das Enzym ist in verschiedenen Mikroorganismen nachgewiesen worden.

Es werden aber auch im Körper gebildete Substanzen in Sulfate übergeführt. So werden die Ö s t r o g e n e n H o r m o n e , welche phenolischen Charakter haben, im Urin teilweise als Sulfate ausgeschieden. Daß Esterschwefelsäuren aus anorganischem Sulfat gebildet werden, ist einwandfrei durch Verwendung von radioaktivem S(35)-Sulfat bewiesen worden. Z. B. erscheint nach gleichzeitiger Zufuhr von S(35)-Sulfat und 2-Naphthylamin im Urin radioaktive 2-Amino-l-naphthylschwefelsäure3). *) Vgl. Williams, Ann. Rev. Biochem. 20, 453 (1951). ) H a y a i s h i u. Mitarb., J. Am. ehem. Soc. 77, 5450 (1955). 3 ) Laidlaw u. Young, Biochem. J. 54, 142 (1953). 2

40

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

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Niere; Urin

Auch in den Mechanismus der Reaktion konnte in letzter Zeit Einblick gewonnen werden. In Fermentpräparaten aus Leber wird bei Gegenwart von ATP unter Abspaltung von Pyrophosphat „aktives Sulfat" gebildet, das den Schwefelsäurerest auf den Akzeptor, z. B. ein Phenol, überträgt 1 ). Das aktive Sulfat ist nach R o b b i n s und L i p m a n n Adenosin-3'-phosphat5'-phosphosulfat 2 ) (vgl. S. 510): O 0 H H H H || || Adenin—C—C—C—C—CH2—O—P—O—S—O H I OH| I | || 1 O - j — O H O 0—P03Ha b) Gepaarte Glucuronsäuren. Eine Verbindung der Glucuronsäure wurde erstmals von J a f f 6 1874 aus dem Urin von Hunden isoliert, die ortho-Nitrotoluol erhalten hatten. Diese Verbindung, „Uronitrotoluolsäure", erwies sich als eine Verbindung des ortho-Nitrobenzylalkohols mit einer damals unbekannten reduzierenden Säure C 6 H 1 0 O„ von der J a f f 6 vermutete, daß sie sich von einem Zucker durch Oxydation der —CH2 -OH-Gruppe zur COOH-Gruppe ableite. Dieselbe Säure wurde später von S c h m i e d e b e r g und M a y e r (1879) durch Hydrolyse einer Verbindung erhalten, welche im Hundeharn nach Verabreichung von Campher ausgeschieden wird, und erhielt den Namen „Glycuronsäure". E s gibt eine große Zahl v o n Verbindungen, welche als gepaarte Glucuronsäuren ausgeschieden werden können. Wir kennen zwei Arten v o n Glucuroniden: Alkohole und Phenole werden glycosidisch gebunden: COOH-CH-CHOH CHOH CHOH CH O R I O I Alkohol Dieser Typus v o n Glucuroniden ist gegen Alkali stabil und wirkt daher gegen die gewöhnlichen alkalischen Reagenzien nicht reduzierend. Verschiedene aromatische Carbonsäuren werden esterartig gebunden: COOHCHCHOHCHOHCHOH-CH-O-COR I O 1 Säure Die Ester werden in alkalischer Lösung hydrolysiert und sind daher reduzierend. Der normale Urin enthält nur wenig gepaarte Glucuronsäuren (Phenyl-, Indoxylglucuronide); dagegen können sie in großer Menge nach Verabreichung gewisser Medikamente, Narcotica usw. auftreten: Salicylsäure, Campher, Borneol, Menthol, Terpentin, Chloralhydrat, Avertin (Tribromäthylalkohol), Morphin. Die häufig verwendete S a l i c y l s ä u r e wird in Form verschiedener Produkte ausgeschieden, teils als solche (16%), teils in Verbindung mit Glycocoll als Salicylursäure (44%): CO • NH CH 2 COOH

teils als ein Glucuronid, dessen Konstitution noch nicht bekannt ist (20%); teils wird sie zu Gentisinsäure oxydiert und als solche ausgeschieden:

!) B e r n s t e i n u. M c G i l v e r y , J . biol. Chem. 199, 745 (1952); De Meio u. Mitarb., J . biol. Chem. 213, 439 (1955); S e g a l , J . biol. Chem. 218, 161 (1955). 2 ) J . Am. chem. Soc. 78, 2652 (1956).

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Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

C h l o r a l h y d r a t wird erst zu Trichloräthylalkohol reduziert, der dann als Glucuronid („Urochloralsäure", M e r i n g und M u s c u l u s 1875) ausgeschieden wird:

O

(31sCC—SO,H bzw. HO,S—• N Diese Reaktion dient zur Bestimmung des Bilirubins im Blutserum (vgl. S. 576).

M

V

Niere; Urin

634

c) Porphyrine. Der normale Urin enthält kleine Mengen Koproporphyrin I und III. (Ein Teil der Porphyrine wird stets in den Fäces ausgeschieden, weil die Farbstoffe sehr wahrscheinlich mit der Galle in den Darm gelangen. Das Verhältnis von Koproporphyrin I zu Koproporphyrin III in Urin und Fäces kann sehr verschieden sein. Es scheint, daß in der Regel die Fäces mehr Koproporphyrin I enthalten als der Urin.) Wie wir früher bereits betont haben, muß man die symptomatische Porphyrinurie, die vermehrte Ausscheidung von Porphyrinen im Urin, wie sie bei einer Reihe von Krankheiten beobachtet wird, streng von der Porphyrie unterscheiden, die eine besondere Stoffwechselkrankheit ist (siehe S. 611) und durch das Auftreten von Uroporphyrin (neben dem Koproporphyrin) gekennzeichnet ist. Vermehrte Porphyrinausscheidung findet man bei febrilen Zuständen, bei Leberkrankheiten, bei gewissen Blutkrankheiten, z. B. bei perniziöser Anämie. Man hat vermehrte Ausscheidung von Koproporphyrin I bei regenerativen Prozessen im Knochenmark beobachtet, z. B. nach Verabreichung von Phenylhydrazin, welches Hämolyse verursacht und sekundär zu einer Steigerung der Erythrocytenproduktion führt. Solche Beobachtungen sind deshalb interessant, weil sie zeigen, daß Koproporphyrin I ein normales Stoffwechselprodukt ist. Charakteristisch ist die Porphyrinurie auch bei der Bleivergiftung. Im Urin wird hauptsächlich Koproporphyrin III, in den Fäces (d. h. der Galle) Koproporphyrin I ausgeschieden. Wie eben erwähnt wurde, tritt bei der eigentlichen Porphyrie neben dem Koproporphyrin auch Uroporphyrin (I und III) auf. Typisch für den Urin des Porphyrikers ist das starke Nachdunkeln beim Erwärmen mit Mineralsäure oder beim bloßen Stehen. Das Chromogen (Porphobilinogen) gibt eine intensive Rotfärbung mit dem E h r l i c h sehen Aldehydreagens. d) Uroerythrin ist das Pigment, welches die Rotfärbung des Sediment um lateritium (Ziegelmehlsediment) des Urins bewirkt. Es findet sieb in kleinen Mengen im normalen Urin und ist bei Fieber, starker Muskeltätigkeit, Verdauungsstörungen, Leberkrankheiten vermehrt. Über seine chemische Natur ist nichts Sicheres bekannt. Es handelt sich möglicherweise um ein Indolderivat. e) Als Urorosein wird der Farbstoff bezeichnet, der die leichte Rotfärbung bedingt, welche beim Zusatz von Mineralsäure in vielen Urinen entsteht (entdeckt von N e n c k i 1882). Die Muttersubstanz dieses Farbstoffs ist die /9-Indolylessigsäure (oder die daraus durch Konjugation mit Glycocoll hervorgehende Indolacetursäure); seine Bildung erfolgt nur in Gegenwart kleiner Mengen von Nitrit, das durch Bakterientätigkeit im Urin entstehen kann, oder eines anderen Oxydationsmittels wie Chlorkalk. Wenn man Indol-3-aldehyd mit Säure erwärmt, entsteht unter Abspaltung von Ameisensäure ein Farbstoff folgender Konstitution: C—CHO

C—CH=C

II

CH

CH ..

N Indol-3 -aldehyd

HC

.

NH NH Di- 3 -indolylmethin

der sehr wahrscheinlich mit dem Urorosein identisch ist1). Man kann sich also vorstellen, daß aus der Indolessigsäure durch Oxydation zunächst der Indol-3-aldehyd entsteht, der sich unter Einwirkung der Säure in Urorosein verwandelt. J

) H a r l e y - M a s o n u. B u ' l o c k , Biochem. J. 51, 430 (1952).

Wirkstoffe

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f) Melanine treten im Harn bei melanotischen Geschwülsten (Melanosarkomen) auf. Sie werden größtenteils in Form farbloser Vorstufen als Melanogene ausgeschieden. Diese Chromogene sind teils ätherlöslich, teils ätherunlöslich. Ihre chemische Natur ist nicht völlig aufgeklärt. Es handelt sich teilweise um stickstofffreie Brenzcatechinderivate, teilweise um Abkömmlinge des Indols (über die Melaninbildung aus den aromatischen Aminosäuren siehe S. 396). Der melanogenhaltige Urin ist frisch gewöhnlich normal gefärbt und wird beim Stehen dunkel. Die N a c h w e i s r e a k t i o n e n beruhen meist auf der Oxydation zu Melanin. Erhitzen mit Kaliumpersulfatlösung gibt Dunkelfärbung und nach Ansäuern mit Salzsäure Fällung Ton Melanin (Probe nach Brahn). Zusatz von einigen Tropfen Ferrichlorid gibt Graufärbung; vermehrter Zusatz von FeCl3 gibt dunkle Fällung, bestehend aus Phosphat, welches das Melanin adsorbiert (Reaktion von Jaksch-Pollak). Zusatz von Bromwasser gibt zuerst einen gelben Niederschlag, der sich beim Stehen dunkel färbt (Zeller). Die Melanogene geben ferner mit Nitroprussidnatrium und Essigsäure eine blaue Färbung (Reaktion von Thormälen).

g) Ehrlichsche Diazoreaktion. Bei verschiedenen Krankheiten (Typhus abdominalis, Tuberkulose, Masern, Scharlach usw.) färben sich bei Zusatz des Ehrlichschen Diazoreagenses (salzsaure Lösung von Sulfanilsäure mit wenig Nitrit) und nachträglicher Zugabe von wässerigem Ammoniak sowohl die Lösung als auch der Schaum rot. Der Stoff, welcher für die Rotfärbung verantwortlich ist, ist nicht bekannt. Es ist zu beachten, daß die Verabreichung verschiedener Medikamente einen positiv reagierenden Urin gibt. I. Wirkstoffe

Der normale Urin enthält stets verschiedene Fermente, Vitamine und Hormone oder deren Detoxikationsprodukte. Teilweise haben diese Stoffe praktische Bedeutung erlangt, weil ihre Bestimmung diagnostischen Zwecken dient. Wir können hier nur wenige Hinweise geben. Unter den Enzymen des Urins erwähnen wie die Amylase. Sie ist immer in geringen Mengen vorhanden und ist stark vermehrt bei entzündlichen Affektionen des Pankreas, für deren Diagnose sie differenzialdiagnostische Bedeutung besitzt. Man muß annehmen, daß in diesem Fall große Mengen des Ferments durch Zerstörimg des Gewebes ins Blut gelangen und durch die Nieren eliminiert werden. Die A m y l a s e b e s t i m m u n g im Urin nach W o h l g e m u t h beruht auf dem Prinzip der Verdünnungsreihe. Man stellt von dem zu untersuchenden Harn eine in geometrischer Progression ( 1 : 2 : 4 : 8 usw.) steigende Reihe von Verdünnungen her, setzt überall die gleiche Menge Stärke zu, hält die Lösungen eine bestimmte Zeit im Brutschrank und stellt dann durch Zugabe von Jod fest, von welcher Verdünnung an die Stärke nicht mehr abgebaut worden ist. Die hierzu nötige Verdünnung ist offenbar um BO größer, je mehr Amylase im Urin vorhanden ist. Der Verdünnungsgrad des letzten Röhrchens, das keine blaue Jodreaktion mehr gibt, wird als Maß für die Fermentkonzentration genommen.

Besonders eingehend sind in neuerer Zeit die im Urin ausgeschiedenen Steroide untersucht worden, die zu den Sexual- und Nebennierenrindenhormonen in Beziehung stehen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß sie in konjugierter Form als Sulfate oder Glucuronide ausgeschieden werden. Es sind eine große Zahl verschiedener Steroide aus dem Urin isoliert und chemisch charakterisiert werden. Ihre Kenntnis ist für die Aufklärung des Hormonstoffwechsels sehr bedeutungsvoll. Man hat auch verhältnismäßig einfache Methoden ausgearbeitet, welche die Aufteilung der Steroide des Urins in einzelne Gruppen gestatten1). ') Literatur über die Bestimmung der Steroidhormone im Urin siehe Bibliographie.

Niere; Urin

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So lassen sich z. B. die Ö s t r o g e n e n H o r m o n e dank ihrer sauren Eigenschaften abtrennen (sie Bind Phenole) und durch die Kobersehe Reaktion oder andere Farbreaktionen kolorimetrisch bestimmen (vgl. S. 57). Eine wichtige Gruppe sind die n e u t r a l e n 1 7 - K e t o s t e r o i d e , deren erster bekannter Vertreter das Androsteron war ( B u t e n a n d t 1931). Es sind heute etwa 18 solcher Steroide im Urin gefunden worden. Ihre Bestimmung hat klinisches Interesse, weil verschiedene endokrine Störungen durch eine veränderte Ausscheidung der 17-Ketosteroide gekennzeichnet sind. Aus dem Rohextrakt des Urins werden durch Waschen mit Alkali erst die phenolischen Steroide entfernt, und es können die verbleibenden Ketosteroide mit der Z i m m e r m a n n s c h e n Reaktion kolorimetrisch bestimmt werden (vgl. S. 57). Eine Reihe von Steroiden der Nebennierenrinde besitzen in Stellung 17 eine Ketolseitenkette von 2 C-Atomen — CO-CH 2 OH und sind ferner a,/S-ungesättigte Ketone —CO—CH = CH— (vgl. S. 705). Sie haben daher reduzierende Eigenschaften und außerdem wird aus der Ketolseitenkette bei Oxydation durch Perjodsäure Formaldehyd abgespalten. Auf Grund dieser Eigenschaften sind Bestimmungsmethoden für die sog. r e d u z i e r e n d e n S t e r o i d e („reducing steroids") und die f o r m a l d e h y d b i l d e n d e n S t e r o i d e („formaldehydogenic steroids") entwickelt worden. Der Urin enthält stets auch kleine Mengen A l d o s t e r o n , das nach Extraktion aus dem leicht sauren Urin und Vorreinigung an Silicagelsäulen durch Papierchromatographie abgetrennt und schließlich auf dem Papier durch eine Farbreaktion mit Tetrazolium-NaOH bestimmt werden kann 1 ). Zur Bestimmung der reduzierenden Steroide können ähnliche Reagenzien verwendet werden, wie sie zur Zuckerbestimmung dienen, z. B. alkalische Kupferlösung oder Phosphorwolframsäure. Die erstere reagiert allerdings nicht mit den a,/?-ungesättigten Ketonen. Der durch Oxydation mit Perjodat abgespaltene Formaldehyd wird kolorimetrisch mit Chromotropsäure bestimmt. Östrogene Hormone werden während der Schwangerschaft in großer Menge ausgeschieden. 17-Ketosteroide können bei Tumoren oder Hyperplasie der Nebennierenrinde sehr stark vermehrt sein. Wir können auf die Steroide des Urins und ihre Bestimmung hier nicht näher eingehen2). Von großer praktischer Bedeutung sind auch die gonadotropen Hormone des Urins (die Prolane), die während der frühen Schwangerschaft auftreten und eine Schwangerschaftsdiagnose gestatten (Reaktion v o n A s c h h e i m - Z o n d e k , vgl. S. 730). Der Urin enthält normalerweise auch verschiedene wasserlösliche Titamine (Vitamin C, Aneurin, Lactoflavin usw.) und ihre Stoffwechselprodukte. I m allgemeinen steigt die Ausscheidung m i t der Zufuhr an. Die Bestimmung der ausgeschiedenen Menge kann Hinweise darauf geben, ob beim betreffenden Individuum Vitaminmangel besteht. Einzelheiten siehe Kapitel Vitamine. K. Anorganische Stoffe, Säuren und Basen

Wir haben die wichtigsten Tatsachen über die Ausscheidung der anorganischen Ionen bereits im Kapitel über den Wasser- und Salzhaushalt erwähnt. Der Gehalt des Urins an den einzelnen Ionen kann je nach der Zufuhr und der augenblicklichen Stoffwechsellage sich sehr stark ändern. E s sei hier nochmals betont, daß entgegen der üblichen Sprechweise die Körperflüssigkeiten und der Urin nicht „Salze", sondern einzelne Ionen enthalten; insbesondere sind N a + - und Cl~-Ionen einander in keiner Weise äquivalent. Man kann z. B. aus der Bestimmung der Cl _ -Ionen in keiner Weise auf den Gehalt an N a + - I o n e n schließen, obwohl in der Klinik der Chloridgehalt vielfach noch als „Kochsalz" angegeben wird. E i n f a c h e B e s t i m m u n g s m e t h o d e n : Das C h l o r i d wird gewöhnlich nach der V o l h a r d schen Methode titriert: Zugabe eines Überschusses titrierter Silbernitratlösung bei salpetersaurer Reaktion. Nach Filtration des AgCl-Niederschlags Titration der überschüssigen Ag+-Ionen mit Rhodanid und Fe + + + als Indikator in einem aliquoten Teil des Filtrats. Die Mohr sehe ClBestimmung (direkte Titration der Ag +-Ionen mit Silbernitrat und Chromat als Indikator) kann im Urin nicht verwendet werden, da man bei neutraler Reaktion arbeiten muß und unter diesen Bedingungen außer dem Chlor noch andere Anionen (besonders Phosphat) mitgefällt werden. — ») N e h e r u. W e t t s t e i n , Acta Endocrinol. 18, 386 (1955). ) Übersicht über die im Urin aufgefundenen Steroide s. D o r f m a n u. U n g a r : Metabolism of Steroid hormones. Minneapolis 1954. 2

Harnsediment und Harnsteine Das P h o s p h a t kann nach P i n c u s puffer titriert werden. Ein Überschuß Niederschlages mit Cochenilletinktur gezeigt (Tüpfelprobe): uo2++ +

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mit Uranylaoetat oder -nitrat in Gegenwart von Acetatdes Uranylsalzes wird entweder durch Bildung eines grünen oder einer rotbraunen Fällung mit Kaliumferrocyanid anH2PO4- = UO2hpo4 + H+ .

Etwas genauer ist die N e u m a n n s c h e Methode, bei der die organischen Substanzen des Urins zuerst durch Kochen mit einem Gemisch von konzentrierter Schwefel- und Salpetersäure verascht werden, worauf das Phosphat als komplexes Phosphorammoniummolybdat gefällt wird, welches alkalimetrisch bestimmt werden kann. Die Mikromethoden der Phosphatbestimmung beruhen auf der Bildung der Phosphormolybdänsäure und Reduktion der letzteren zu Molybdänblau, das kolorimetrisch bestimmt wird. — S u l f a t kann als Benzidinsulfat gefällt werden; der Niederschlag läßt sich, da Benzidin eine schwache Base ist, mit Lauge titrieren (Methode von R o s e n h e i m - D r u m m o n d - F i s k e ) . Zur Bestimmung des organisch gebundenen Sulfats wird der Urin zuerst mit Salzsäure eingedampft, wobei die Schwefelsäureester hydrolysiert werden. Das C a l c i u m wird als Oxalat gefällt und kann entweder gravimetrisch oder nach Auflösen des Niederschlags in verdünnter Schwefelsäure durch Titration der Oxalsäure mit Permanganat bestimmt werden. T i t r a t i o n s a c i d i t ä t des U r i n s n a c h F o l i n : Diese Methode gibt ein Maß für die Größe der Säureausscheidung. Der Urin wird (nach Fällung der Ca + + -Ionen durch Schütteln mit Kaliumoxalat) mit n/10 Lauge bis zum Umschlag des Phenolphthaleins titriert. Man drückt das Resultat in ccm n/10 Alkali pro Tagesmenge Urin aus. Normalwert etwa 200 —500. Im wesentlichen wird dabei das primäre Phosphat titriert: H 2 P 0 4 ~ + OH~ = H P 0 4 + H20 . Eine vermehrte Ausscheidung von organischen Säuren wird nicht erfaßt, da dieselben im Urin bereits zum größten Teil neutralisiert sind. Nur in sehr sauren Urinen kann ein kleiner Teil der organischen Säuren in freier Form vorhanden sein. Die Titrationsacidität ist um so höher, je größer die „base economy" des Urins ist (vgl. S. 557 )• Um die letztere direkt zu bestimmen, müßte man den Urin bis zum pH des Blutplasmas titrieren. Eingabe von Alkali, z. B . Na-Bicarbonat, vermindert die Titrationsacidität stark (auf Werte von 100 —200). Bei Acidose (z. B . Hunger) steigt sie bis auf 800 an. Die Erklärung dieser Tatsachen folgt leicht aus den Erörterungen im Kapitel über den Wasser- und Salzhaushalt. T i t r a t i o n d e r o r g a n i s c h e n S ä u r e n n a c h V a n S l y k e u n d P a l m e r : Diese Methode gestattet, die Ausscheidung der organischen Säuren zu erfassen. Zuerst werden die Phosphate und Carbonate durch Zugabe von Ca-Hydroxyd gefällt, dann können die organischen Säureanionen zwischen dem Umschlagsprodukt des Phenolphthaleins (pH 8,5) und demjenigen des Tropäolins OO (pH 2,5) mit Säure titriert werden: R - C O O " + H + = R-COOH. Dies ist möglich, weil die in Frage kommenden Säuren bei pH 8,5 vollständig ionisiert sind, bei pH 2,5 dagegen fast vollständig in der nicht dissoziierten Form vorliegen (vgl. S. 137). Die normale Ausscheidung pro 24 Stunden entspricht etwa 400 — 700 ccm n/10 Säure, entsprechend etwa 8 ccm n/10 Säure pro kg Körpergewicht. Bei diabetischer Acidosis kann dieser Wert auf das Vielfache ansteigen. Es handelt sich vor allem um die /S-Hydroxybuttersäure. L. Harnsediment und Harnsteine A u c h klarer U r i n gibt beim Auszentrifugieren eine geringe Menge Sediment, d a s aus Epithelzellen d e r H a r n w e g e u n d schwerlöslichen Salzen besteht. E i n i g e r m a ß e n konzentrierte U r i n e setzen beim Stehen stets ein Sediment schwerlöslicher Stoffe ab, das bei pathologischen Zuständen, z. B . bei F i e b e r , s t a r k v e r m e h r t sein kann, so d a ß schon der frisch gelassene H a r n t r ü b ist. D e r H a r n ist bei Z i m m e r t e m p e r a t u r , teilweise schon bei K ö r p e r t e m p e r a t u r in bezug a u f verschiedene B e s t a n d t e i l e ü b e r s ä t t i g t : wahrscheinlich wird d a s sofortige Ausfallen derselben durch seinen Gehalt a n kolloidalen Stoffen verhindert, die als Schutzkolloide wirken. H a r n s ä u r e fällt aus s a u r e m U r i n a a s ; die Kristalle sind meistens d u r c h adsorbierte F a r b s t o f f e gelb gefärbt. A u s s a u r e m oder n e u t r a l e m U r i n können a u c h s a u r e U r a t e ausfallen. Sie sind gelb bis r o t gefärbt ( U r o e r y t h r i n ! ) und bilden das sog. Z i e g e l m e h l s e d i m e n t (sedimentum lateritium). B e i m E r w ä r m e n des U r i n s gehen sie i m Gegensatz zu den übrigen Sedimenten in L ö s u n g .

638

Niere; Urin

Das schwerlösliche Ammoniumurat kann aus alkalischen Urinen ausfallen, die in ammoniakalische Gärung übergegangen und daher stark ammoniakhaltig sind. Im neutralen Urin kommen Urate seltener vor. Die Kristalle sind gelb bis braun gefärbt. Bei Neugeborenen, deren Urin sehr viel Harnsäure enthält, sind bei neutraler oder saurer Reaktion Ammoniumuratkristalle viel häufiger als beim Erwachsenen. Bei leicht saurer oder neutraler Reaktion kann aus dem Urin sekundäres Calcium phosphat, bei alkalischer Reaktion tertiäres Calciumphosphat ausfallen, das immer nur amorph auftritt. Im Gegensatz zu den Harnsäure- und Uratsedimenten sind die Phosphatniederschläge nicht gefärbt und lösen sich ohne Rückstand in Essigsäure. Charakteristisch für den in ammoniakalische Gärung übergegangenen H a r n sind die schön ausgebildeten Kristalle des Tripelphosphats (Magnesium-Ammoniumphosphat) Mg(NH) 4 P0 4 • 6 H 2 0 . Es bildet die sog. „Sargdeckelkristalle". Das Salz kann sich in stark ammoniakhaltigem Harn und bei neutraler Reaktion abscheiden. Calcium kann auch noch als Calciumoxalat ausfallen, das in Octaedern kristallisiert (sog. ,,Briefkuvertkristalle"). Die Oxalsäure stammt wahrscheinlich größtenteils aus der Pflanzennahrung; gewisse Gemüse wie Spinat, Rhabarber usw. sind sehr reich an Oxalaten. Ein Teil kann allerdings auch im Stoffwechsel gebildet worden sein. Calciumcarbonat kommt nur im alkalischen Harn vor, beim Menschen nur in geringer Menge. Sehr reichlich ist es neben Calciumphosphat im alkalisch reagierenden Urin der Pflanzenfresser enthalten, der stets durch eine große Menge Sediment getrübt ist. Gelegentlich können im Urinsediment auch schwerlösliche Aminosäuren auftreten, so Tyrosin und Leucin bei akuter Leberatrophie, Cystin bei Cystinurie. Unter besonderen Bedingungen können die genannten Stoffe zur Bildung von Konkrementen, Harnsteinen, Anlaß geben. Die physikochemischen Bedingungen, die zur Steinbildung führen, sind nicht genau bekannt. Es scheint, daß die erste Ablagerung des Materials meist durch organische Körper — abgestoßene Epithelien, Fibrinflocken, Bakterien usw. — veranlaßt wird, welche als Kristallisationszentrum wirken. Die Ablagerung erfolgt schichtweise um diesen Kern. Man kann einfache Steine unterscheiden, die nur aus einem einzigen Stoff bestehen, und zusammengesetzte, bei denen Schichten verschiedenartiger Stoffe, die oft auch verschieden pigmentiert sind, miteinander abwechseln. Merkwürdigerweise besteht bei der Mehrzahl der Steine der Kern aus Harnsäure oder Uraten, obwohl reine Harnsäuresteine ziemlich selten sind (nach Statistiken nur etwa 6%). Weitaus am häufigsten sind Steine aus Calciumoxalat und aus Phosphaten (Ca-Phosphat, Tripelphosphat, meist mit etwas Ca-Carbonat). Reine Calciumcarbonatsteine sind beim Menschen sehr selten, häufig dagegen bei Pflanzenfressern. Sehr selten sind Steine aus Cystin und Xanthin (Cystinurie siehe S. 414). Die Oxalatsteine besitzen oft eine sehr höckrige und rauhe Oberfläche (sog. „Maulbeersteine"). Sie verursachen, wo sie die Schleimhaut berühren, kleine Blutungen und sind daher oft mit einer schwarzen Kruste bedeckt. Neuerdings hat die röntgenoptische und mikroskopisch-kristalloptische Untersuchung von Harnstein auch erlaubt, präzise Angaben über die vorhandenen Kristallarten zu machen1). *) Brandenberger, de Quervain u. Schinz, Hely. med. Acta 14, 195 (1947).

Anhang: Das Sperma

639

So wurde nachgewiesen, daß das Ca-Phosphat als Hydroxylapatit Ca 10 (PO 4 ) 9 (OH) 2 (vgl. S. 670) und Brushit CaHP0 4 • 2 H 2 0 vorliegt, das Ca-Oxalat als Whewellit CaC 2 0 4 • H 2 0 und als Trihydrat C a C 2 < V 3 H 2 0 , das Tripelphosphat als Struvit MgNH 4 P0 4 • 6 H 2 0 .

Die Steinbildung wird begünstigt durch vermehrte Ausscheidung der die Steine aufbauenden Stoffe. Von großem Einfluß ist die Ernährung. Z. B. wird eine purinreiche Nahrung zu vermehrter Harnsäurebildung Anlaß geben; der Genuß oxalatreicher Pflanzenteile wird zur Ausscheidung der schwer verbrennlichen Oxalsäure führen usw. Es können aber auch Stoffwechselstörungen Ursache der Steinbildung sein. Überfunktion der Epithelkörperchen (übermäßige Produktion des Parathormons, vgl. S. 699) führt zu einer stark vermehrten Elimination von Phosphat und Calcium durch den Urin, die in vielen Fällen zur Bildung von Phosphat- und Oxalatsteinen Anlaß geben kann. Stark begünstigt wird die Ausfallung der Mineralstoffe auch durch entzündliche Vorgänge in den Harnwegen (Pyelitis, Cystitis), welche zur ammoniakalischen Gärung des Urins im Nierenbecken und der Blase führen und dadurch die Ausscheidung von Ca-Phosphat und Tripelphosphat veranlassen können. Man kann gelegentlich Steine aus Tripelphosphat beobachten, die das Nierenbecken fast ganz ausfüllen und dessen Form annehmen („Korallensteine"). Man bezeichnet vielfach die Konkremente, welche unter diesen Bedingungen entstehen, als „sekundäre" Harnsteine im Gegensatz zu den „primären", die aus dem sterilen, unveränderten Harn auskristallisieren. Bei der R a t t e kann man durch Vitamin A-arme Ernährung Harnsteine erzeugen 1 ). Vermutlich ist die durch den Vitamin A-Mangel hervorgerufene Epithelschädigung in den Harnwegen (vgl. S. 754) die primäre Ursache der Steinbildung. Man vermutet, daß das in den Ländern des Orients häufig beobachtete Auftreten von Harnsteinen bei Kindern (in früheren Jahrhunderten auch in den westlichen Ländern bekannt) ebenfalls auf eine mangelhafte Ernährung, insbesondere eine ungenügende Zufuhr von Vitamin A, zurückgeht 2 ).

6. Anhang: Das Sperma a) Spermatozoen. Der Kopf der Spermien besteht im wesentlichen aus Kernsubstanz (Chromatin). Am besten bekannt sind seit den klassischen Untersuchungen M i e s c h e r s die Fischspermien; sie enthalten als charakteristischen Bestandteil Protamin in salzartiger Bindung mit den Nucleinsäuren (vgl. S. 86). I n den Säugetierspermien scheinen als basische Bestandteile Histone vorhanden zu sein. Die Spermien besitzen sowohl einen respiratorischen als auch einen glycolytischen Stoffwechsel, enthalten also eine sehr vollständige Fermentausrüstung. Diese Fermente sind wohl hauptsächlich im Mittelstück lokalisiert. Der Hoden und das Sperma sind reich an Hyaluronidase. Das Ferment scheint an die Spermatozoen gebunden zu sein, läßt sich aber von denselben leicht abtrennen; wahrscheinlich spielt es beim Eindringen der Spermatozoen in das Ei eine Rolle (vgl. S. 210). b) Die Spermallüssigkeit (Spermaserum) wird von den verschiedenen Drüsen des männlichen Genitaltrakts gebildet. Sie enthält merkwürdigerweise als einzigen reduzierenden Zucker F r u c t o s e , beim Stier bis gegen 1% (Mann). Die Fructosebildung erfolgt in den Samenblasen. (Über die Bildung der Fructose vgl. S. 304.) Sie hängt vom androgenen Hormon ab. Vor dem Eintritt der Geschlechtsreife, ebenso nach Kastration bildet die Samenblase keine Fructose. Nach Testosteron erscheint der Zucker wieder 3 ). In beträchtlichen Mengen kommt im Sperma auoh I n o s i t vor 4 ). In beträchtlicher Konzentration findet sieh ferner C i t r o n e n s ä u r e (im menschlichen Sperma bis 0,6%); sie ist Bestandteil des Prostatasekrets. I m Samen des Hengstes und des Ebers kommt x

) ) ) 4 ) 2

3

O s b o r n , M e n d e l u. F e r r y , J . Am. med. Ass. 69, 32 (1917). Weitere Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem. 14, 417 (1945). Vgl. M a n n , Adv. Enzymol. 9, 329 (1949). M a n n , Nature 168, 1043 (1951).

Muskel- und Nervensystem

640

das sich vom Histidin ableitende Betaln E r g o t h i o n e i n i n größeren Mengen vor (Formel S. 431), beim Menschen nur sehr wenig. Beim Eber wird das Ergothioneln von den Samenbläschen sezerniert, beim Hengst dagegen in den Ampullen gebildet 1 ). Als weiterer Bestandteil sind G l y c e r y l - p h o s p h o r y l - c h o l i n und P h o s p h o r y l c h o l i n aufgefunden worden 2 ). Sie sind die Muttersubstanzen des C h o l i n s , das nach der Ejakulation beim Stehen des Spermas durch eine Phosphatase in reichlicher Menge abgespalten wird. Charakteristisch f ü r das Sperma sind auch gewisse Basen, das S p e r m i d i n und das S p e r m i n . Das erstere ist das Mono-(y-aminopropyl)-putrescin, das zweite das Di-(y-aminopropyl)-putrescin: H a N • (CH 2 ) 3 • N H • (CH 2 ) 4 • N H 2 Spermidin

H 2 N • (CH 2 ) 3 • N H • (CHa)4 • N H • (CH 2 ) 3 • NH 2 Spermin

(Wahrscheinlich kommt Spermidin auch in Gehirn, Leber und Muskelfleisch vor.) Die sog. B ö t t c h e r s c h e n Spermakristalle sind wahrscheinlich Sperminphosphat. Bei verschiedenen Tierarten koaguliert das Sperma nach der Ejakulation (besonders bei den Nagern, wo es zur Bildung des „bouchon vaginal" kommt, der die Vagina nach außen abschließt). Welche Bestandteile der Spermaflüssigkeit gelatinieren, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Man nimmt an, daß es sich um proteinartige Stoffe handelt, welche durch ein Ferment („Vesiculase") zur Gerinnung gebracht werden. (Bei der R a t t e und dem Meerschweinchen scheint eine besondere, in unmittelbarer Nachbarschaft der Samenblase gelegene Drüse das Ferment zu produzieren.)

Vierundzwanzigstes Kapitel

Muskel- und Nervensystem Wir geben in diesem Kapitel nur einige biochemische Aspekte der Tätigkeit von Muskel und Nerven. Für alles übrige muß auf die Lehrbücher der Physiologie verwiesen werden. 1. Muskel Die physiologische Funktion der Muskeln besteht darin, durch Kontraktion mechanische Arbeit zu leisten. Kontraktilität ist eine allgemeine Eigenschaft des Protoplasmas, die sich schon an den primitivsten einzelligen Lebewesen beobachten läßt. In der Muskelzelle ist diese Eigenschaft aufs höchste entwickelt worden; sie verleiht der Zelle ihren besonderen Charakter. Die Kontraktilität der Muskelfaser setzt zwei Einrichtungen voraus: Strukturelemente, die sich reversibel verkürzen können, und einen chemischen Mechanismus, durch welchen die Verkürzung bewirkt und wieder rückgängig gemacht wird. Das Element jeder Muskelfunktion ist die einfache „Zuckung" der einzelnen Faser: eine Verkürzung mit nachfolgender Erschlaffung (sog. A r b e i t s c y k l u s der Muskelfaser). Sie folgt dem Alles- oder Nichts-Gesetz, d. h. auf einen überschwelligen Reiz folgt immer eine maximale Verkürzung. Die Zuckung der Muskelfaser mit den begleitenden chemischen Vorgängen stellt eine gesetzmäßige Folge äußerst komplizierter Reaktionen dar. Wir sind von einer völligen Kenntnis derselben noch weit entfernt. Gut bekannt sind die Vorgänge, welche die Energie der Muskelkontraktion liefern, während über die feinere Struktur der kontraktilen Elemente, die Natur des eigentlichen Kontraktionsvorgangs und den Mechanismus, durch welchen die chemische Energie in mechanische umgesetzt wird, noch viele Unklarheiten bestehen. !) M a n n u. Mitarb., Biochem. J . 53, 140 (1953); 65, 369 (1957); Nature 174, 404 (1954). ) D a w s o n , M a n n u. W h i t e , Biochem. J . 65, 627 (1957); K a h a n e u. L e v y , Bull. Soc. Chim. Biol. 19, 959 (1937); 27, 544, 553 (1945). 2

Der Kohlenhydratstoffwechsel des Muskels

641

A. Der Kohlenhydratstoffwechsel des Muskels

I m arbeitenden Muskel ist der Respirationsquotient annähernd Eins, ein Zeichen dafür, daß vorwiegend Kohlenhydrat oxydiert wird. Das Muskelglycogen (oder die Glucose) ist die unmittelbare Quelle der Muskelenergie. Eine Besonderheit des Muskels besteht darin, daß er unter anaeroben Bedingungen arbeiten kann. Dies ist notwendig, weil unter natürlichen Bedingungen im Muskelgewebe Sauerstoffmangel eintreten kann, nämlich bei intensiver Arbeit. Die Muskeltätigkeit erfordert großen Energieaufwand in kurzer Zeit. Die Sauerstoffversorgung und damit die Geschwindigkeit der oxydativen Vorgänge ist durch die Zeit begrenzt, welche der Sauerstoff braucht, um von den Kapillaren in die Muskelzellen zu diffundieren. Bei starker Arbeit genügt die Diffusionsgeschwindigkeit des 0 2 nicht, um genügend Energie auf oxydativem Weg bereitzustellen. Der Muskel ist also auf eine sauerstoffunabhängige Reaktion angewiesen: dies ist die Glycolyse. Das glycolytische Fermentsystem ist im Muskel außerordentlich gut entwickelt; aus diesem Grunde wurden auch die glycolytischen Reaktionen vor allem durch die Untersuchung der chemischen Vorgänge in Muskelextrakten abgeklärt. Der Zusammenhang zwischen Muskeltätigkeit und Milchsäurebildung wurde von F l e t c h e r und H o p k i n s 1907 klargestellt. Das Vorkommen von Milchsäure im Muskel war schon lange bekannt. Die Natur der Säure wurde 1847 von L i e b i g festgestellt. Die im Muskel vorkommende Milchsäure (Fleischmilchsäure) ist rechtsdrehend. Sie gehört aber der L-Reihe an (vgl. S. 15), muß also als l(+)-Milchsäure bezeichnet werden. Bei Vergärung von Zuckern durch Milchsäurebakterien entsteht dagegen je nach der Art der Organismen racemische Milchsäure (Gärungsmilchsäure) oder eine der optisch aktiven Formen. Der Muskel arbeitet beim Menschen unter aeroben Bedingungen mit einem Wirkungsgrad von etwa 25—30%. Beim Kaltblüter scheint der Wirkungsgrad etwas niedriger zu sein. Die Arbeiten von A. V. H i l l über den zeitlichen Verlauf der Wärmebildung während der Muskelkontraktion haben dazu geführt, zwei Phasen zu unterscheiden. Ein erster Teil der Gesamtwärme wird während der Kontraktion und Erschlaffung entwickelt, die sog. I n i t i a l w ä r m e ; sie ist proportional der vom Muskel entwickelten Spannung. Nach beendigter Zuckung geht aber die Wärmeproduktion langsam während einiger Minuten weiter. Dieser Anteil wird als v e r z ö g e r t e W ä r m e (,,delayed heat") oder als o x y d a t i v e R e s t i t u t i o n s w ä r m e bzeichnet. Initiale und verzögerte Wärme verhalten sich etwa wie 1 : 1 . Die initiale Wärme ist völlig unabhängig von der Sauerstoffzufuhr, während die Restitutionswärme fast vollständig verschwindet, wenn der Muskel unter streng anaeroben Bedingungen arbeitet. Der Zusammenhang zwischen den chemischen Vorgängen im Muskel und der Wärmebildung ist hauptsächlich durch die Untersuchungen O t t o M e y e r h o f s aufgeklärt worden. Die initiale Wärme steht offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kontraktionsvorgang. Wenn der Muskel von einem Reiz getroffen wird, setzt die Wärmebildung sofort ein, noch bevor es zu einer sichtbaren mechanischen Reaktion kommt („Aktivierungswärme", A. V. Hill). Der Reiz muß also im Muskel eine Zustandsänderung auslösen, welche von Wärmeproduktion begleitet ist und nach kurzer Latenzzeit sehr rasch zur Entwicklung einer Spannung führt. Bei isotonischer Kontraktion, d. h. bei Verkürzung des Muskels, tritt eine zusätzliche Wärmemenge, 41

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

Muskel- und Nervensystem

642

die „Verkürzungswärme" auf, welche der Verkürzung proportional und von der geleisteten Arbeit unabhängig ist und offenbar irgendwie mit dem Verkürzungsvorgang als solchem zu t u n hat. Wird umgekehrt ein tetanisch gereizter Muskel vorsichtig gedehnt, so t r i t t die aufgewendete Arbeit nicht als Wärme auf, sondern wird im Muskel anderweitig verbraucht. E s scheint also, daß die Verkürzung ein im thermodynamischen Sinn reversibler Vorgang ist. Möglicherweise dient die bei der Dehnung des tetanisierten Muskels aufgewendete Arbeit dazu, einen die Verkürzung begleitenden exothermen chemischen Prozeß rückwärts zu treiben (Hill) 1 ). Die Dehnung des Muskels auf seine ursprüngliche Länge nach Ablauf der Kontraktion ist dagegen ein passiver Vorgang, der ohne Wärmetönung verläuft. Der nicht belastete Muskel bleibt verkürzt. Bei der Relaxation eines belasteten Muskels, der bei der Verkürzung Arbeit geleistet hat, erscheint natürlich das Äquivalent dieser Arbeit als Wärme. Bis zum Jahre 1930 glaubte man, daß die initiale Wärme einzig von der Milchsäurebildung herrühre und daß die letztere in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kontraktionsvorgang stehe. Dann aber zeigte L u n d s g a a r d ,daß sich der Muskel auch ohne Milchsäurebildung kontrahieren kann, wenn man ihn mit Monojodessigsäure (JCH 2 COOH) vergiftet 2 ). Die initiale Wärmebildung bleibt dabei erhalten. Monojodessigsäure blockiert, wie wir früher (S. 290) gesehen haben, die glycolytische Kohlenhydratspaltung. Die initiale Wärme kann unter diesen Bedingungen also nicht auf die Glycolyse zurückgeführt werden. Wie sich gezeigt hat, ist die initiale Wärme im jodessigsäurevergifteten Muskel zu einem beträchtlichen Teil durch die Spaltung der K r e a t i n p h o s p h o r s ä u r e bedingt; dieser Vorgang muß demnach mit der Kontraktion in einem näheren Zusammenhang stehen als die Milchsäurebildung. Auch im normalen, nicht vergifteten Muskel zerfällt Kreatinphosphat. E s wird aber auf Kosten des Kohlenhydratzerfalls teilweise wieder regeneriert, so d a ß bilanzmäßig weniger Kreatinphosphat gespalten wird als in Gegenwart der Jodessigsäure. Das Kreatin ist im nicht ermüdeten Muskel zum großen Teil in Form seiner Phosphorsäureverbindung enthalten. NH

NH COOHCH 2 —N—C—NH—P0 3 H 2 AH3

II

COOHCHCH2CH2CH2 - N H - C - N H — P 0 3 H 2 NH 2

Phosphokreatin

Phosphoarginin

Diese Verbindung wurde von P . u n d G. P . E g g l e t o n entdeckt und „Phosphagen" genannt. F i s k e u n d S u b b a r o w erkannten, daß sie Kreatin enthält, und schließlich stellten M e y e r h o f u n d L o h m a n n ihre Zusammensetzung aus 1 Mol Kreatin und 1 Mol Phosphorsäure fest. I m Muskel von Avertebraten kommt an ihrer Stelle die A r g i n i n p h o s p h o r s ä u r e vor. Während der Kontraktion zerfällt das Phosphokreatin in Kreatin und anorganisches Phosphat. Wir werden gleich sehen, d a ß es sich nicht u m eine einfache Hydrolyse der Verbindung handelt. L u n d s g a a r d entwickelte auf Grund seiner Beobachtungen über die „milchsäurelose" Kontraktion die Hypothese, daß nicht die Milchsäurebildung die primäre Reaktion ist, welche die Energie f ü r die Kontraktion liefert, sondern der Zerfall des Phosphokreatins. Diese Ansicht wurde durch die !) Proc. Roy. Soc., London, Serie B, 137, 40 (1950). ) Lundsgaard, Biochem. Zschr. 227, 51 (1930).

2

Der Kohlenhydratstoffwechsel des Muskels

643

anschließenden Arbeiten der M e y e r h o f s e h e n Schule bestätigt. Sie lieferte für verschiedene offene Fragen der Muskelenergetik, auf welche die ältere Theorie keine Antwort zu geben vermocht hatte, eine zwanglose Erklärung 1 ). Offenbar muß das Phosphokreatin immer wieder regeneriert werden. Dazu ist Adenosintriphosphat (ATP) nötig. ATP gibt an das Rreatin einen seiner Phosphatreste ab nach folgender Gleichung ( L o h m a n n s c h e Reaktion): Adenosintriphosphat + Kreatin


—0—/ CH,

S — C H , CH COOH

Jh,

HOOC—CH

J _ HO—/

J — 0 — ^

CH 2 CHCOOH

+ CHjCOCOOH + NH S J

) R o c h e u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 8, 339 (1952). ) Vgl. Ann. Rev. Physiol. 14, 485 (1952). ) L u d w i g u. v. M u t z e n b e c h e r , Zschr. physiol. Chem. 258, 195 (1939). 4 ) H a r i n g t o n u. P i t t - R i v e r s , Biochem. J . 89, 157 (1945); P i t t - R i v e r s , Biochem. J . 43, 223 (1948). 2

3

Chemie des Schüddrüsenhormons

693

Es ist nicht bewiesen, daß die Seitenkette, wie oben angegeben, als Pyruvat abgespalten wird. Man hat aus Versuchsansätzen auch Alanin isolieren können. Peptide des Dijodtyrosins (z. B. N-AcetyI-D,L-Dijodotyrosylghitaminsäure) liefern unter ähnlichen Bedingungen die entsprechenden Peptide des Thyroxins ( P i t t - R i v e r s , 1. c. S. 692).

Diese Entstehungsweise des Thyroxins in vitro kann als Modellreaktion für seine Bildung im Körper angesehen werden. Die Schilddrüse vermag das anorganische Jodid, das im Blut kreist, stark anzureichern; man vermutet, daß es an hochmolekulare Substanzen adsorbiert wird. Das Jodid wird in der Drüse enzymatisch zu Jod oxydiert, welches mit den Tyrosinresten des Thyreoglobulins unter Bildung jodierter Produkte weiterreagiert (s. untenstehendes Schema nach S a l t e r ) . Unphysiologisch hohe Dosen von Jodid blockieren die Thyroxinsynthese. Zellmembran Blutplasma, Gewebsflüssigkeit Jfreies Jodid

Drüsenzelle

freies Jodid

_ an Drüsensubstanz — gebundenes Jodid ~ (Fermentkomplex ?) nicht diffusibel Oxydation zu Jod (enzymatisch)

organisch gebundenes Jod (Dijodtyrosin, Thyroxin) Ein wesentlicher Schritt der Synthese ist die Oxydation des Jodids zum Jod. In Organschnitten aus Schilddrüse wird die Thyroxinsynthese durch Cyanid, Natriumazid und CO gehemmt. Die CO-Hemmung ist lichtempfindlich (vgl. S. 229); man kann daher annehmen, daß entweder die Cytochromoxydase oder ein Ferment mit ähnlichen Eigenschaften an der Reaktion beteiligt ist. Die Bildung der verschiedenen jodierten Aminosäuren läßt sich sehr schön bei Anwendung von radioaktivem Jod verfolgen. Die jodierten Reaktionsprodukte, die nach Verabreichung von J(i3i) in der Thyreoidea gebildet werden, können papierchromatographisch getrennt und identifiziert werden. Die Methode ist besonders von J . R o c h e und Mitarb. mit Erfolg angewandt worden 1 ). Sehr rasch tritt das Monojodtyrosin auf, dem sukzessive Dijodtyrosin, Trijodthyronin und Thyroxin folgen. Die beiden ersten sind nach dem oben dargelegten Reaktionsschema als Zwischenprodukte bei der Synthese der beiden jodierten Thyronine aufzufassen. Das Trijodthyronin entsteht wahrscheinlich direkt durch Reaktion des Monojodtyrosins mit dem Dijodtyrosin, und nicht durch Dejodierung des Thyroxins, denn man h a t nach Verabreichung von J( 13 i)-Thyroxin das 3,5,3'-Trijodthyronin nie mit Sicherheit nachweisen können. Wie oben erwähnt, kann bei Gegenwart von Jod Thyroxin auf nicht fermentativem Weg gebildet werden. Die Reaktion verläuft aber viel langsamer als die biochemische Synthese in der Drüse. Bei Ausfall des thyreotropen Hormons nach Hypophysektomie bleibt die Synthese auf der Stufe des Dijodtyrosins stehen. Dies alles spricht dafür, daß Thyroxinbildung von Fermenten abhängig ist. In beschränktem Umfang kann Thyroxin möglicherweise auch außerhalb der Schilddrüse gebüdet werden. Über die Einzelheiten der Synthese der Hormone in der Schilddrüse bestehen noch verschiedene Unklarheiten. Als sicher kann man annehmen, daß zuerst die Tyrosinreste des Thyreoglobulins jodiert werden. Für das Verständnis der folgenden Reaktionen (Bildung des Phenyläthers) ergibt sich aber eine Schwierigkeit aus dem Umstand, daß das Tyrosin nicht frei, sondern in den Peptidketten des Proteins fixiert ist. Man müßte schon annehmen, daß sich genügend Tyrosinreste in geeigneter gegenseitiger Lage befinden, um gemäß der oben formulierten Reaktion l ) Vgl. T a u r o g u. C h a i k o f f , J . biol. Chem. 169, 49 (1947); 178, 997 (1949); 184, 83 (1950); R o c h e u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 11, 220 (1953); Cpt. rend. Soc. Biol. 146, 1474 (1952).

694

Innere Sekretion und Hormone

miteinander reagieren zu können, wenn man nicht eine hypothetische Reaktion postulieren will, bei der eine reaktionsfähige 4-Hydroxy-3,5-dijodphenylgruppe abgespalten wird und mit der Hydroxylgruppe der eiweißgebundenen jodierten Tyrosinreste in die Ätherbindung eingeht. Wie schon erwähnt, wird das Thyreoglobulin beim Sekretionsvorgang abgebaut. Es hat selbst keine Hormonwirkung; dieselbe tritt erst auf, nachdem die jodierten Thyronine freigesetzt worden sind. Der Abbau erfolgt anscheinend durch kathepsinähnliche Fermente. Die bei der Hydrolyse freigesetzten niedrig jodierten Tyrosinderivate — Mono- und Dijodtyrosin — werden fermentativ durch d i e , , D e h a l o g e n a s e " dejodiert (Roche); das entstehende Jod kann sofort wieder oxydiert und zur Jodierung von neuem Thyreoglobulin verwendet werden. Da das Enzym die jodierten Thyronine nicht angreift, werden nur diese an den Kreislauf abgegeben1). B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons

Der Ausfall des Schilddrüsenhormons ist zwar mit dem Leben verträglich, führt aber doch zu schweren Störungen, die im jugendlichen Organismus besonders ausgesprochen sind. (Bei der operativen Entfernung der Schilddrüse dürfen die Epithelkörperchen nicht mitentfernt werden, da es sonst zu einer tödlich verlaufenden Tetanie kommt. Vgl. unten S. 699.) D a s S c h i l d d r ü s e n h o r m o n b e s t i m m t d i e Größe des G r u n d u m s a t z e s ( B a s a l s t o f f w e c h s e l ) . Der Grundumsatz ist beim Fehlen der Schilddrüse stark vermindert, bei Hyperfunktion oder äußerer Zufuhr von Schilddrüsenhormon dagegen erhöht. Die Gewebe bedürfen einer beständigen Zufuhr von Schilddrüsenhormon, damit eine optimale Geschwindigkeit der Stoffwechselprozesse erhalten bleibt. Wir werden später sehen, daß die Schilddrüse selbst von einem Hormon des Hypophysenvorderlappens abhängig ist. Das Schilddrüsenhormon scheint direkt in die Oxydationsvorgänge der Zellen einzugreifen. Sein Einfluß auf den oxydativen Stoffwechsel läßt sich noch im überlebenden Gewebe nachweisen. Die schilddrüsenlosen Tieren entnommenen Gewebe verbrauchen in vitro weniger Sauerstoff als die normalen Kontrollen; die Gewebe von Tieren, die vorher mit Schilddrüse gefüttert worden waren, verbrauchen mehr. Es ist aber bisher nicht möglich gewesen, eine Steigerung des Stoffwechsels normaler Gewebe dadurch hervorzurufen, daß man in vitro zum Milieu Thyroxin oder Serum von mit Thyroxin vorbehandelten Tieren zusetzte. Es scheint, daß das im Blut kreisende Hormon in der Zelle zuerst in eine wirksame Form übergeführt oder an seinen Wirkungsort herangebracht werden muß, ehe es seine Wirkung auf den Stoffwechsel entfalten kann, und daß die Bedingungen hierfür bei Versuchen in vitro ungünstig sind. Über den Wirkungsmechanismus des Schilddrüsenhormons geben die Untersuchungen von M a r t i u s wichtige Hinweise. Bei Tieren, welche mit Thyroxin vorbehandelt wurden, ist die oxydative Phosphorylierung in den Lebermitochondrien herabgesetzt (vgl. S. 499). Umgekehrt kann man bei Tieren, bei denen die Schilddrüsenfunktion durch Thiouracile gehemmt wurde (vgl. S. 697), eine Erhöhung des P/O-Quotienten feststellen. Auch wenn man Thyroxin in vitro auf Lebermitochondrien einwirken läßt, findet man eine Verminderung der oxydativen Phosphorylierung. Das Thyroxin gehört demnach zu den Stoffen, welche Oxydation und Phosphorylierung entkoppeln. Nach M a r t i u s hemmt das Thyroxin die über Vitamin K führende, phosphorylierende Oxydation des DPNH (vgl. S. 497). Man kann sich nun vorstellen daß der Organismus diese Verminderung der energetischen Ausbeute der Atmung durch eine Atmungssteigerung kompensiert; dies würde die Erhöhung des Grundumsatzes durch Thyroxin erklären. M a r t i u s findet, von dieser Annahme *) Neuere Literatur über die Biochemie der Schilddrüsenhormone: R o c h e u. M i c h e l , Ann. Rev. Biochem. 23, 481 (1954); B a r k e r , Ann. Rev. Physiol. 17, 417 (1955); M i c h e l . Ann. Rev. Physiol. 18, 457 (1956).

Biologische Wirkungen des SchUddrüsenliormons

695

ausgehend, eine gute quantitative Übereinstimmung zwischen Grundumsatzsteigerung und Erniedrigung des P/O-Quotienten 1 ). In das Bild einer allgemeinen Stoffwechselsteigerung durch das Schilddrüsenhormon fügen sich auch die Beobachtungen über das Verhalten der einzelnen Bau- und Reservestoffe ein. Der Eiweißabbau ist bei Hyperfunktion der Drüse, erhöht was sich an der vermehrten N-Ausscheidung im Urin zeigt. Die Gewebseinschmelzung kann aber durch starke Erhöhung der Fett- und Kohlen hydratzufuhr verhindert werden. Das Leberglycogen nimmt ab, die Fettdepots verschwinden (wie die Magerkeit der Patienten zeigt, bei denen während längerer Zeit eine Überfunktion der Schilddrüse besteht). U n t e r d e m E i n f l u ß ü b e r n o r m a l e r M e n g e n d e s S c h i l d d r ü s e n h o r m o n s w e r d e n a l s o alle R e s e r v e n — E i w e i ß , K o h l e n h y d r a t , F e t t — a u f g e z e h r t ; das Körpergewicht nimmt ab. Bei andauernder Hyperfunktion der Schilddrüse oder bei Zufuhr hoher Dosen des Hormons kann es zu eigentlichen Schädigungen der Organe kommen (siehe unten, Basedowsche Krankheit). Bei jungen Tieren führt Verabreichung des Schilddrüsenhormons zu einer Wachstumshemmung, die als allgemeine Schädigung des Organismus zu deuten ist. Merkwürdig ist die häufig beobachtete V e r m i n d e r u n g d e r K o h l e n h y d r a t t o l e r a n z bei Hyperfunktion der Schilddrüse. Der Blutzuckerspiegel bleibt nach Kohlenhydratzufuhr während längerer Zeit hoch (diabetischer Typus der Blutzuckerkurve), und es kann zur alimentären Glucosurie kommen. Auch bei Galactosebelastung tritt der Zucker leicht in den Urin über. Man kann für diese Erscheinung keine sichere Erklärung geben. Möglicherweise handelt es sich um eine Störung des Leberstoffwechsels oder gar um eine Schädigung der L a n g e r h a n s s c h e n Inseln.

Entfernung der Schilddrüse führt beim jungen Tier zu einer starken Verzögerung des Wachstums mit starken Störungen der Verknöcherung. Die Geschlechtsorgane bleiben unterentwickelt. Beim jugendlichen wie beim erwachsenen Organismus kommt es zu einer Herabsetzung der Aktivität vieler Organe: Muskelschwäche, Apathie. Die Körpertemperatur ist infolge der verminderten Stoffwechselintensität unternormal. Die Kohlenhydrattoleranz ist erhöht. Beim Menschen ist ein typisches Symptom der Hypofunktion der Schilddrüse das sog. „Myxödem", die Anhäufung einer eiweißreichen, schleimigen Flüssigkeit im Bindegewebe der Unterhaut, welche den Patienten ein gedunsenes Aussehen gibt. Myxödem ist nicht nur bei angeborenem Mangel der Schilddrüsenfunktion vorhanden, sondern kann sich auch nach totaler Entfernung der Drüse (Strumektomie) entwickeln (zum erstenmal von den Chirurgen K o c h e r in Bern und R e v e r d i n i n Genf beschrieben). Bei Hyperfunktion ist der Cholesteringehalt des Blutplasmas erniedrigt, bei Hypofunktion erhöht. Das Schilddrüsenhormon ist einer der Faktoren, die für das n o r m a l e W a c h s t u m und d i e n o r m a l e E n t w i c k l u n g u n e n t b e h r l i c h sind. In welcher Weise die Stimulierung des Wachstums mit der allgemeinen Stoffwechselwirkung des Hormons zusammenhängt, ist aber noch nicht abgeklärt. Das Schilddrüsenhormon schafft die Bedingungen für die Wirksamkeit des Wachstumshormons, das im Hypophysenvorderlappen produziert wird. Nach Entfernung der Schilddrüse reagiert das Tier nicht auf das Wachstumshormon (Solman, Versuche an der Ratte). Eine besonders auffallende Wirkung der Schilddrüse ist die B e s c h l e u n i g u n g der M e t a m o r p h o s e bei den Amphibien. Durch Verfütterung von Schilddrüse kann die verfrühte Umwandlung der Kaulquappe in den Frosch erzwungen werden (Gudernatsch). Ebenso bewirkt das Schilddrüsenhormon (das hier durch anorganisches Jod ersetzt werden kann) die Umwandlung der aquatischen, durch Kiemen atmenden Axolotllarve, die im" Wasser geschlechtsreif werden kann, in den zur Luftatmung befähigten Molch (Amblystoma tigrinum). Wird bei der Froschlarve !) M a r t i u s , Arch. Biochem. Biophys. 33, 486 (1951); 5. Coli. d. Ges. f. physiol. Chem.: Hormone und ihre Wirkungsweise, S. 143; Berlin, Göttingen und Heidelberg 1955; Conférences et Rapports, 3 m 0 Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 1 ; Liège 1956. Vgl. auch L a r d y , Ann.N. Y. Acad. Sei. 54, 636 (1951) ; Recent Progress in Hormone Research 10,129 (1954).

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Innere Sekretion und Hormone

die Schilddrüse operativ entfernt oder ihre Funktion auf chemischem Weg gehemmt (siehe unten), so wächst die Larve weiter, aber die Metamorphose bleibt aus. Umgekehrt können durch das Schilddrüsenhormon schon sehr kleine Larven in entsprechende kleine Frösche verwandelt werden. Die morphogenetischen Prozesse, die Rückbildung der Kiemen, die Ausbildung der Lungen, die Entwicklung der Gliedmaßen, die Resorption des Schwanzes, werden also unabhängig vom somatischen Wachstum durch das Hormon in drastischer Weise beeinflußt. Es läßt sich zur Zeit nicht sagen, ob hier eine besondere, von der allgemeinen Stoffwechselwirkung des Schilddrüsenhormons unabhängige Stimulation der Entwicklungsprozesse vorliegt oder ob es sich um eine spezifische Reaktion der Organanlagen auf die Beschleunigung der Stoffwechselprozesse handelt, welche das Hormon in allen Geweben hervorruft. C. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse

Die Funktion der Thyreoidea hängt von einem Hormon ab, das im Vorderlappen der Hypophyse gebildet wird, dem t h y r e o t r o p e n H o r m o n . Entfernt man nämlich die Hypophyse, so nimmt die Schilddrüse stark an Gewicht ab, und gleichzeitig sinkt der Grundstoffwechsel. Umgekehrt kommt es bei Injektion von Hypophysenextrakten zu einer Hyperplasie der Drüse und Hypertrophie der Zellen, und es können sich bei andauernder Verabreichung die Symptome der Überfunktion einstellen (vermehrte Abgabe von Thyroxin durch die Drüse). Die Ausschüttung von thyreotropem Hormon durch die Hypophyse kann ihrerseits durch die Konzentration des Schilddrüsenhormons im Blut reguliert werden. Sinkt die Menge des zirkulierenden Schilddrüsenhormons ab, so wird mehr thyreotropes Hormon ans Blut abgegeben. Ein schönes Beispiel für diese Steuerung ist die im folgenden Abschnitt beschriebene Hypertrophie der Schildkröte bei chemischer Blockierung der Thyroxinbildung. Wir wissen nicht sicher, ob das im Blut kreisende Schilddrüsenhormon direkt auf die Hypophyse einwirkt oder ob es möglicherweise deren Tätigkeit auf dem Umweg über das Zentralnervensystem beeinflußt, denn es bestehen zwischen Hypophyse und Zwischenhirn enge funktionelle Beziehungen. Außer den humoralen Einflüssen untersteht die Thyreoidea auch dem sympathischen Nervensystem, da sie vom cervicalen Sympathicus gut mit Nerven umsorgt wird. Wenn der Organismus äußeren oder inneren Bedingungen ausgesetzt ist, die eine Steigerung des oxydativen Stoffwechsels verlangen, so antwortet die Thyreoidea mit einer vermehrten Hormonausschüttung. Den Anstoß dazu kann sie durch die Hypophyse empfangen. Wenn z. B. das Tier der Kälte ausgesetzt wird (Notwendigkeit erhöhter Wärmeproduktion), so beobachtet man eine Hyperplasie der Schilddrüse. Diese bleibt nach Entfernung der Hypophyse aber aus. Es gibt Anzeichen dafür, daß der Kältereiz der Hypophyse auf dem Umweg über das Zentralnervensystem (Zwischenhirn) zugeleitet wird; nach Durchtrennung des Hypophysenstiels bleibt die Aktivierung der Schilddrüse aus 1 ). Es ist also anzunehmen, daß die Ausschüttung des thyreotropen Hormons sowohl durch Reize, die vom Zwischenhirn ausgehen, als auch durch humorale Faktoren des Blutes reguliert werden kann. Daneben ist aber auch, wie gesagt, eine direkte Beeinflussung der Schilddrüse durch das sympathische Nervensystem möglich. Welches der Anteil der humoralen und der nervösen Steuerung ist, läßt sich im einzelnen Fall nicht genauer angeben. Man x ) Wahrscheinlich können Stoffe, die in gewissen Nervenzellen des Zwischenhirns gebildet werden (Neurokrinie), auf dem Blutweg (durch einen besonderen Pfortaderkreislauf) der Hypophyse zugeführt werden.

Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe

697

kann den Zusammenhang Thyreoidea-Hypophysenvorderlappen schematisch etwa folgendermaßen darstellen: Änderung der

D. Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe

Es sind eine Reihe organischer Körper bekannt, welche eine Vergrößerung (Hyperplasie) der Schilddrüse bewirken, gleichzeitig aber Symptome einer Unterfunktion der Drüse hervorrufen. Die gleichen Stoffe sind imstande, eine bestehende Überfunktion („Hyperthyreose") zu dämpfen und die Symptome zum Verschwinden zu bringen. Sie werden deshalb in der Therapie der Hyperthyreosen in großem Umfang verwendet. Typische Vertreter dieser Stoffe sind der T h i o h a r n s t o f f , das T h i o u r a c i l und das S u l f a g u a n i d i n : NH a

I C=S

I

NH 2 Thioharnstoff

HO - C = N

I HC

II

NH 2

I C=S

I

HC—NH Thiouracil

I H2N--SOa-NH-C

II

NH Sulfaguanidin

Therapeutisch werden heute hauptsächlich Derivate des Thiouracils verwendet 1 ). Die Wirkung dieser Stoffe beruht darauf, daß sie in der Schilddrüse die Synthese des Thyroxins hemmen. Unter ihrem Einfluß nimmt 1. der Jodgehalt der Schilddrüse rasch ab, 2. sinkt der Basalstoffwechsel und 3. steigt das Gewicht der Schilddrüse infolge Hyperplasie des Drüsenepithels stark an. Das Absinken des Jodgehalts bedeutet, daß die Drüse das anorganische Jod nicht mehr in organische Bindung überführen kann. Sie hat aber trotzdem noch die Fähigkeit, das Jod zu konzentrieren (wahrscheinlich, wie oben erwähnt, durch lockere Bindung an bestimmte Zellbestandteile), kann es aber nicht festhalten. Das Absinken des Basalstoffwechsels ist ein *) Liste von antithyreoiden Stoffen siehe z.B. R u l o n u. Mitarb., in P i n c u s u. T h i m a n n : The Hormones. Vol. III, S. 464. New York 1955.

698

Innere Sekretion und Hormone

Zeichen der fehlenden Hormonproduktion; die Hyperplasie der Drüse schließlich kommt dadurch zustande, daß die Hypophyse auf das Fehlen des Hormons im Blut mit einer Mehrproduktion des thyreotropen Hormons reagiert (s. oben). Dies wird dadurch bewiesen, daß nach Entfernung der Hypophyse die Vergrößerung der Schilddrüse ausbleibt. Die „antithyreoide" Wirkung der genannten Stoffe kann durch Thyroxin, nicht aber, wie nach den obigen Ausführungen leicht verständlich ist, durch anorganisches Jod kompensiert werden. Durch Verwendung von radioaktivem Jod konnte die Annahme, daß bei Gegenwart der „antithyreoiden" Stoffe die Thyroxinsynthese blockiert ist, endgültig bewiesen werden. Es zeigte sich ferner, daß auch kein Dijodtyrosin gebildet wird. Die Hemmung der Thyroxinsynthese läßt sich auch am überlebenden Drüsengewebe in vitro nachweisen, ein Beweis dafür, daß die Hemmstoffe direkt an den Epithelzellen der Drüse angreifen.

Nicht alle antithyreoiden Substanzen greifen in gleicher Weise in den Stoffwechsel der Drüsenzellen ein. Rhodanid hat eine ähnliche Wirkung wie die genannten organischen Körper. Es scheint aber, daß das Rhodanid im Gegensatz zu den letzteren die Aufnahme des anorganischen Jods in die Drüse hemmt. Es bestehen auch zwischen den einzelnen Tierarten große Unterschiede in der Empfindlichkeit gegen die verschiedenen Hemmstoffe der Schilddrüse1). Von praktischer Bedeutung ist auch die Tatsache, daß Jodide selbst die Schilddrüsenfunktion hemmen, wenn sie in Dosen zugeführt werden, die den physiologischen Bedarf weit übersteigen. Es scheint, daß sie die Aufnahme des Jods in die Schilddrüse blockieren. Man macht davon bei der Behandlung der Basedowschen Krankheit Gebrauch (s. unten). E. Störungen der ScMIddrüsenlunktion Wir können hier wie in den folgenden Abschnitten auf Fragen der klinischen Endokrinologie nicht näher eingehen, sondern müssen uns mit einigen Hinweisen begnügen. Eine wichtige Methode zur Prüfung der Schilddrüsenfunktion ist die Bestimmung des Grundumsatzes. Er kann bei Unterfunktion die Hälfte, bei Überfunktion der Drüse das Doppelte des normalen Wertes betragen. Im allgemeinen ist auch die Jodkonzentration im Blutplasma ein Ausdruck des Funktionszustandes. Die Konzentration des organisch gebundenen Jods ist (größenordnungsmäßig) bei Unterfunktion etwa 2 y pro 100 ccm, beim Normalen etwa 5 y, bei »Überfunktion bis gegen 20 y, im übrigen aber stark von äußeren Bedingungen (Zufuhr) abhängig. Die häufigste Störung der Schilddrüsenfunktion ist der sog. endemische K r o p f , eine Hypertrophie der Schilddrüse, die das Zeichen einer Unterfunktion des Epithels ist, mehr oder weniger kompensiert durch die Vergrößerung des Organs. Eine Vergrößerung der Schilddrüse kommt, wie der Name besagt, in gewissen geographisch beschränkten Gebieten, besonders in Gebirgsgegenden, häufig vor. Eine große Rolle scheint bei seiner Entstehung das Jod zu spielen. In Gebieten mit endemischem Kropf sind gewöhnlich der Boden und das Trinkwasser sehr jodarm. Durch prophylaktische Verabreichung von jodiertem Salz hat man ausgezeichnete Erfolge erzielt. Von der einfachen Vergrößerung der Schilddrüse gibt es alle Übergänge zu *) Über die Wirkungsweise der verschiedenen antithyreoiden Stoffe vgl. Physiol. Rev. 80, 194 (1950).

Pitt-Rivers,

Wirkungen des Parathormons

699

Zuständen mehr oder weniger ausgesprochener Unterfunktion (Hypothyreosen). Der voll ausgebildete Zustand der angeborenen Hypofunktion der Schilddrüse zeigt sich beim Kretinismus: schwere Wachstumsstörung (Zwergwuchs), Schwachsinn, Myxödem, niedriger Grundumsatz, erniedrigte Körpertemperatur usw. Durch frühzeitige und fortdauernde Zufuhr von J o d k a n n der Zustand stark gebessert werden. Auch beim Erwachsenen kann sich nach Entfernung der Schilddrüse Myxödem einstellen (postoperatives Myxödem). Die bekannteste Erscheinungsform der Schilddrüsenüberfunktion ist die B a s e d o w s c h e K r a n k h e i t (vom deutschen Arzt C. A. v o n B a s e d o w 1840 erstmals in klassischer Weise beschrieben. Schon früher hatte R. J . G r a v e s in England die Krankheit beobachtet. Sie heißt in den angelsächsischen Ländern meistens „Graves' disease"). Die Kranken zeigen eine vergrößerte Schilddrüse, erhöhten Grundumsatz, Tremor, erhöhte Pulsfrequenz und oft Störungen der Herztätigkeit (Vorhofflimmern), Abmagerung, Störung der Leberfunktion, Hyperglykämie usw. I n den typischen Fällen besteht ein Exophthalmus, d. h. ein Vortreten des Bulbus aus der Augenhöhle, bedingt durch ödematöse Schwellung der Gewebe in der Orbita. Das Zustandekommen des Exophthalmus ist noch nicht vollständig geklärt; an seiner Entstehung scheint ein hypophysärer Faktor beteiligt zu sein. Man k a n n jedenfalls durch Hypophysenextrakte experimentell Exophthalmus erzeugen. Sicher ist der Exophthalmus nicht durch das Schilddrüsenhormon bedingt, denn er t r i t t oft erst nach der operativen Entfernung oder Strahlenbehandlung der Schilddrüse auf. Merkwürdigerweise kann die Krankheit durch Jodabgaben günstig beeinflußt werden (gewöhnlich als L u g o l s e h e Lösung verabreicht). E s handelt sich wahrscheinlich u m eine direkte Einwirkung des Jodids auf die Schilddrüse (Hemmung der Thyroxinsynthese durch hohe Jodidkonzentration im Blut; „Ruhigstellung" der Drüse. Vgl. S. 698). Wie wir oben erwähnten, finden heute die Schilddrüsenhemmstoffe vom Typus des Thiouracils ausgedehnte therapeutische Anwendung. Die Krankheit kann erfahrungsgemäß durch alle möglichen unspezifischen Beanspruchungen des Organismus ausgelöst werden: Infektionen, Trauma, seelischer Schock, Schwangerschaft, Menopause usw. Es sind auch Geschwülste (Adenome) der Schilddrüse bekannt, welche die Erscheinungen der Hyperthyreose hervorrufen. Ebenso kennt man Fälle von Hyperthyreose ohne Vergrößerung der Drüse. 4. Die Nebenschilddrüsen Die physiologische Funktion der Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen) liegt in der Regulierung gewisser Phasen des Phospaht- und des Calciumstoffwechseis. Das von ihnen produzierte Hormon wird meistens als Parathormon bezeichnet Die Schicksale der Phosphorsäure und des Calciums sind im Organismus eng miteinander verknüpft, weil sie im Knochen gemeinsam als schwerlösliches Salz deponiert werden und auch gemeinsam wieder in Lösung gehen. Die totale Exstirpation erzeugt bei Hunden und Katzen eine nach kurzer Zeit tödlich verlaufende Tetanie. (Unter Tetanie versteht man eine erhöhte Erregbarkeit des neuromuskulären Apparates, die zu tonischen Krämpfen der Muskulatur führt.) A. Wirkungen des Parathormons Die nach Entfernung der Epithelkörperchen auftretende Tetanie h a t ihre Ursache in einem Absinken des Calciums im Blutplasma ( H y p o c a l c ä m i e ) . Gleichzeitig

Innere Sekretion und Hormone

700

steigt das anorganische Phosphat an und die Phosphatausscheidung im Urin geht zurück. Vermehrte Hormonproduktion bewirkt umgekehrt H y p e r c a l c ä m i e . Collip konnte aus den Epithelkörperchen Extrakte herstellen, die die durch Exstirpation entstandenen Ausfallserscheinungen unterdrücken. Nebenschilddrüsenlose Hunde können mit Extrakten lange Zeit am Leben erhalten werden1). Über die chemische Natur des Parathormons ist nicht viel mehr bekannt, als daß es ein Protein ist das von den Verdauungsfermenten rasch zerstört wird. Es ist in 80% igem Alkohol löslich und scheint ein Molekulargewicht zwischen 15000 und 25000 zu besitzen (Ultrazentrifuge). Eine einzelne subcutane Injektion des aktiven Extraktes bei einem normalen Tier (Hund) führt zu einer sofortigen Vermehrung der Phosphatausscheidung und läßt den Calciumspiegel innerhalb 12 Stunden auf hohe Werte (bis 18 mg%) ansteigen. Bei wiederholter Injektion treten allmählich schwere Vergiftungserscheinungen (Erbrechen, Diarrhoe, Darmblutungen) ein. Das Blutcalcium und das anorganische Phosphat steigen dauernd an; unter der Einwirkung des Hormons werden also Ca und Phosphat mobilisiert. In den Endstadien kommt es zur Bluteindickung und zum starken Ansteigen des Reststickstoffes. Es handelt sich hier um eine tiefgreifende akute Störung des Ionenmilieus, die sich dadurch nachahmen läßt, daß man Calcium chlorid gleichzeitig mit primärem Natriumphosphat injiziert.

Man hat früher angenommen, daß die Nebenschilddrüsen direkt auf den CaStoffweehsel einwirken; man kann heute jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß das Hormon die Phosphatausscheidung in der Niere steuert, und zwar v e r m e h r t e i n Ü b e r s c h u ß des H o r m o n s die P h o s p h a t a u s s c h e i d u n g in der N i e r e (vermindert also die Rückresorption des Phosphats in den Tubuli). Die primäre Wirkung ist also die P h o s p h a t d i u r e s e und nicht die Erhöhung des CaSpiegels im Blut (Einschränkung siehe unten). Das Hormon greift an der Niere an ; dies geht schon daraus hervor, daß der vermehrten Phosphatausscheidung keine Erhöhung des Phosphatspiegels im Blut vorausgeht, wie dies der Fall sein müßte, wenn eine veränderte Zusammensetzung des Blutes die Ursache der Phosphatdiurese wäre. Bei geschädigter Niere (akute oder chronische Nephritis) folgt auf die Injektion von Parathormon weder eine vermehrte Phosphatausscheidung im Urin noch eine Erhöhung des Phosphatspiegels im Blut. Direkte Beweise dafür, daß einer der Angriffspunkte in der Niere liegt, sind auf experimentellem Weg erbracht worden. Nach Nephrektomie oder Ligatur der Ureteren bewirkt das Hormon keine Erhöhung des Blutcalciums ; dieselbe tritt auch nicht ein, wenn man nach Zufuhr des Hormons den Phosphatspiegel im Blutplasma durch wiederholte Phosphatinjektion auf der normalen Höhe hält2). Wie wir bereits bei früherer Gelegenheit erwähnt haben (S. 673), wirkt das Parathormon sehr wahrscheinlich auch direkt auf den Knochen ein. Man beobachtet nach Injektion des Hormons eine starke Proliferation der Osteoklasten mit Rarefikation des Knochens. Eine ältere Theorie nahm allerdings an, daß die vermehrte Abgabe von Calcium- und Phosphationen, die unter der Wirkung des Hormons eintritt, eine Folge der Veränderung des Ionenmilieus sei, welche durch die Phosphatdiurese hervorgerufen wird. Dieser Auffassung liegt die Vorstellung zugrunde, daß zwischen den Mineralstoffcn des Knochens einerseits und den Phosphatund Calciumionen der Blutflüssigkeit andererseits ein Gleichgewicht besteht. Die Déminéralisation des Knochens bei Senkung des Phosphatspiegels würde einer Neueinstellung dieses Gleichgewichts entsprechen. Wie wir früher dargelegt haben (S. 670), stehen nur die an der Oberfläche der Apatitkristallite adsorbierten Ionen unmittelbar mit der umgebenden Lösung im Austausch. Jede weitergehende Mobilisation der Knochenmineralien ist aber nur durch Abbau der Knochensubstanz möglich, und dieser Vorgang steht unter dem Einfluß des Parathormons. !) Zusammenfassung vgl. Collip, Canad. Med. Ass. J. 24, 646 (1931). ) T w e e d y u. Mitarb., Endocrin. 21, 55 (1937); J. biol. Chem. 128, 407 (1939); N e u f e l d u. Collip, Endocrin. 30, 135 (1942). 2

Wirkungen des Parathormons

701

Es gibt eine Reihe von Beobachtungen, die eine derartige direkte Einwirkung des Hormons auf den Knochen als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen. Die charakteristischen Veränderungen nach Injektion des Hormons treten auch beim nephrektomierten Tier auf. Unter diesen Umständen kann natürlich die Phosphatdiurese keine Rolle spielen. Die genauere histologische Untersuchung der Vorgänge zeigt, daß die gesamte Knochensubstanz mit Einschluß der organischen Matrix durch aktive Zelltätigkeit abgebaut wird. Es erfolgt nicht zuerst eine Déminéralisation der Grundsubstanz, wie dies bei Annahme eines einfachen Sättigungsgleichgewichts zu erwarten wäre. In besonders eindrücklicher Weise zeigt sich der direkte Einfluß des Parathormons aber, wenn Epithelkörperchen in unmittelbare Nähe von Knochen transplantiert werden. Es kommt dann unter dem Einfluß des vom Transplantat abgegebenen Hormons zur Auflösung und Resorption des Knochengewebes. Der Effekt ist spezifisch und wird durch kein anderes Gewebe hervorgerufen1). Die oben erwähnten Befunde, nach welchen bei Ausschaltung der Nieren oder bei Phosphatinjektion das Hormon keine Hypercalcämie hervorruft, deuten allerdings darauf hin, daß bei seiner Einwirkung auf den Knochen auch das Ionenmilieu eine Rolle spielt. Wahrscheinlich ist bei den Transplantationsversuchen die lokale Hormonkonzentration so hoch, daß der Phosphatspiegel keinen Einfluß hat. Die Frage bedarf aber weiterer Abklärung.

Wie kommen die Änderungen des Ca+ +-Spiegels im Blut zustande ? Primär muß die vermehrte Phosphatausscheidung im Urin ein Absinken des Phosphats im Blut bewirken. Es kommt aber unter der Einwirkung des Parathormons gleichzeitig zu einer Mobilisierung der Mineralstoffe im Knochen. Mit dem Phosphat geht auch die äquivalente Menge Calcium in Lösung, und es kommt daher zur Erhöhung des Ca-Spiegels. Umgekehrt steigt beim Fehlen des Hormons primär der Phosphatspiegel im Blutplasma; dies führt zu einer vermehrten Ablagerung von Knochensalzen oder, nach der älteren Ansicht, zu einer gesteigerten Ausscheidung von Ca-Phosphat im Darm. In beiden Fällen ist dazu Ca nötig, das dem Blut entnommen wird. Folge: Hypocalcämie. Der Umstand, daß das Calcium nur als Phosphat gespeichert werden kann und daß andererseits bei Einschmelzung von Knochengewebe Calcium- und Phosphationen immer gleichzeitig mobilisiert werden, bedingt eine enge Abhängigkeit der beiden Ionen. Dies zeigt sich besonders deutlich im Verhalten ihres Blutspiegels. Beim Fehlen des Parathormons ist primär die Ausscheidung des Phosphats verlangsamt; dies führt zu einer Erhöhung des Phosphatspiegels im Blutplasma und diese wiederum zu einer Fällung von Calciumphosphat im Knochen. Das dazu nötige Calcium muß aber dem Blut entzogen werden; es kommt zur Hypocalcämie. Es tritt hier eine allgemeine Gesetzmäßigkeit in Erscheinung: Bei endokrinen Störungen des Calcium- und Phosphatstoffwechsels geht eine Erhöhung des Phosphatspiegels meistens mit einer Erniedrigung des Calciumspiegels, eine Erhöhung des Calciumspiegels mit einer Erniedrigung des Phosphatspiegels einher. Man kann etwas schematisierend sagen, daß die Tendenz besteht, das Produkt aus Serumcalcium und anorganischem Phosphat konstant zu halten. (Wir werden später sehen, daß bei Veränderungen, die durch das Vitamin D bedingt sind, sich die Konzentrationen der Calcium- und Phosphationen im Blut meistens gleichsinnig verändern.) Normalerweise bleibt die Konzentration der Ca++-Ionen im Blut innerhalb enger Grenzen konstant (siehe S. 564). Sicher spielt bei der Regulation des Ca-Spiegels der Ionenaustausch zwischen der Adsorptionsschicht der Kristallite und dem Blut eine Rolle. Wahrscheinlich ist dieser Vorgang vom Parathormon unabhängig. Bei mangelnder Zufuhr von Calcium oder wenn, wie z. B. bei der Lactation, dem Blut vermehrt Calcium entzogen wird, reicht jedoch die Elution aus der Adsorptionsschicht der Kristallite nicht aus. Es müssen zusätzlich Knochenmineralien mobilisiert !) B a m i c o t , J. Anat. 82, 233 (1948); Chang, Anat. Record 106,100 (1950); 111, 23 (1951).

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Innere Sekretion und Hormone

werden, und dies ist, wie wir gesehen haben, nur unter dem Einfluß des Parathormons möglich. I n Analogie zu anderen endokrinen Regulationsvorgängen kann man annehmen, daß die Tätigkeit der Epithelkörperchen direkt durch die humoralen Veränderungen gesteuert wird, welche das Parathormon hervorruft. I n der Tat weisen verschiedene klinische und experimentelle Befunde darauf hin, daß um so mehr Hormon ausgeschüttet wird, je niedriger der Ca++-Spiegel im Blutplasma ist 1 ). Dies bedeutet, daß bei sinkendem Ca-++Spiegel im Skelett unter der Einwirkung des Hormons mehr Knochensubstanz aufgelöst wird; Ca++- und Phosphationen können ins Blut nachfüeßen, die Ca + """-Konzentration bleibt erhalten. Gleichzeitig aber wird unter dem Einfluß der vermehrten Hormonsekretion in der Niere die Ausscheidung des Phosphats gefördert (Hemmung der Rückresorption); der Phosphatspiegel wird daher trotz der vermehrten Zufuhr aus dem Skelett ins Blut nicht erhöht. Das Produkt [Ca++[ •[HP0 4 —] bleibt unverändert. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß auch der P h o s p h a t Spiegel die Aktivität der Epithelkörperchen beeinflußt, und zwar in dem Sinne, daß Erhöhung des Phosphats die Hormonausschüttung anregt 2 ). Es scheint also, daß die beiden Milieufaktoren, die vom Parathormon abhängig sind, sowohl die Phosphat- als auch die Calciumkonzentration, regulierend auf die Tätigkeit der Drüse zurückwirken. I n diesem Falle können die Schwankungen des Phosphatspiegels im Blut durch Regulation der Rückresorption in der Niere direkt korrigiert werden. Insbesondere ist auf diese Weise eine Anpassung der Phosphatausscheidung an eine erhöhte alimentäre Zufuhr möglich, d. h. es kann bei vermehrter Zufuhr von Phosphat ein Anstieg des Blutspiegels vermieden werden, der nach den obigen Ausführungen zu einer Hypocalcämie führen müßte. Die Eigenschaft des Parathormons, mit der Mobilisierung der Knochenmineralien gleichzeitig die Phosphatausscheidung in der Niere zu stimulieren, schützt offenbar den Organismus vor einer fatalen Überschreitung des Löslichkeitsproduktes. Über den Mechanismus, durch welchen das Parathormon seine Wirkungen hervorbringt, ist wenig Sicheres bekannt. Es scheint eine Beziehung zwischen dem Citratstoffwechsel des Knochens und dem Parathormon (und übrigens auch dem Vitamin D) zu bestehen. Man hat nach längerer Zufuhr des Hormons eine Erhöhung des Citronensäuregehalts im Knochen gefunden3). Da die Citronensäure, wie wir früher schon erwähnt haben, lösliche Ca-Komplexe bildet, wäre es denkbar, daß erhöhte Citratproduktion durch die zellulären Elemente des Knochens (z. B. die Osteoklasten) zur vermehrten Auflösung der Knochenmineralien führt. Wenn man nun annimmt, daß das Parathormon entweder die Synthese des Citrats fördert oder seine Oxydation hemmt, so wäre seine Wirkung auf die Mobilisierung der Knochenmineralien verständlich4). Es handelt sich hier aber zunächst um theoretische Vorstellungen. Das die Citronensäure synthetisierende Enzym ist im Knochen nachgewiesen worden; die Isocitricodehydrogenase scheint nur schwach aktiv zu sein6). Dies könnte möglicherweise die Anhäufung des Citrats im Knochen erklären (vgl. S. 674). B. Klinische Bedeutung

Die Ausfallserscheinungen werden gelegentlich nach Strumektomie beobachtet, wenn mit der Schilddrüse die oft schwer auffindbaren Epithelkörperchen entfernt worden sind. Die Tetanie kann erfolgreich bekämpft werden durch das Dihydrotachysterin, das sich vom Tachysterin, einem der Bestrahlungsprodukte des Ergosterins, ableitet (vgl. S. 761). Der Stoff ist unter der Bezeichnung A.T. 10 (AntiJ ) Howard u. Mitarb., J. clin. Endocrin. a. Metabolism, 13, 1 (1953). Weitere Literatur vgl. Grreep u. K e n n y , in P i n c u s u. Thimann: The Hormones, Vol III, S. 163. New York 1955. 2 ) Tornblom, Acta Endocrin., Suppl. No. 4 (1949). Crawford u. Mitarb. J. clin. Investig. 29, 1448 (1950). 3 ) D i c k e n s , Biochem. J. 35, 1011 (1941). 4 ) McLean, Scienoe 127, 451 (1958). W. F. u. M. W. N e u m a n : Chemical dynamics of bone mineral. Chicago 1958. 5 ) D i x o n u. Perkins, Biochem. J. 52, 260 (1952).

Die Nebeimierenrinde

703

tetaniestoff 10) bekannt. Aus den untenstehenden Formeln ist die Verwandtschaft mit dem Vitamin D 2 ersichtlich: CH3 CH,

¿H

/^CH II

CH

CH3

Dihydrotachysterin

Über die Wirkung des Dihydrotachysterins im Vergleich zu derjenigen des Vitamins D vgl. S. 767. Für die Diagnose der „parathyreopriven Tetanie" ist die Bestimmung des Calciums im Blutserum wichtig. Man findet immer erniedrigte Werte, und ebenso ist die Calciumausscheidung im Urin stark vermindert. Es gibt auch sehr seltene Fälle von sog. idiopathischem Hypoparathyreotismus, bei welchem ohne sichtbare Ursache die Epithelkörperchen insuffizient sind und welche die typischen Symptome der Unterfunktion, Hypocalcämie und Tetanie zeigen.

Die Epithelkörperchen können hypertrophieren oder Geschwülste bilden (Adenome). Es kommt dadurch zu einer stark vermehrten Ausschüttung von Parathormon ins Blut mit den charakteristischen Folgen der Hyperfunktion: vermehrte Phosphat- und Calciumausscheidung, Hypercalcämie und verminderte Phosphatkonzentration im Serum (Hypophosphatämie). In gewissen Fällen führt die Überproduktion des Hormons allmählich zu schweren Veränderungen der Knochen: Verlust der Mineralstoffe, verbunden mit völliger Desorganisation und tiefgreifendem Umbau des Gewebes. Es ist das Bild der sog. Ostitis fibrosa Recklinghausen. Oft treten die Knochenveränderungen stark zurück oder sind überhaupt nicht feststellbar, aber es bilden sich infolge der vermehrten Ausscheidung von Phosphat und von Calcium im Nierenbecken Harnkonkremente (Ca-Phosphat- oder Ca-Oxalatsteine); es kann schließlich zur Ausfällung schwerlöslicher Kalksalze in den Geweben der Niere selbst kommen, was zu einer Schädigung des Organs führt. Man nimmt an, daß das Auftreten von Nierensteinen in vielen Fällen auf einer Hyperfunktion der Nebenschilddrüsen beruht. 5. Die Nebennierenrinde Die Nebennieren bestehen aus zwei in funktioneller Hinsicht völlig getrennten Organen, der R i n d e und dem Mark. Beide haben auch entwicklungsgeschichtlich verschiedenen Ursprung. Die Rinde entstammt mesodermalem Gewebe; dafi Mark ist ein umgewandeltes sympathisches Ganglion, stammt also vom Ektoderm ab. Bei den Fischen sind die beiden Organe getrennt, das Rindengewebe bildet dort selbständige Organe, die sog. Interrenalkörper oder Stanniusschen Körperchen, das „ I n t e r r e n a l s y s t e m " . Das Mark besteht aus dem chromaffinen Gewebe (so genannt, weil es mit Chromsalzen eine typische braune Färbung gibt). Chromaffines Gewebe findet sich auch in den Paraganglion, die das sympathische Nervensystem begleiten; sie bilden zusammen mit dem Nebennierenmark das „chromaffine" oder „Adrenalsystem". Bei einzelnen Säugetieren (z. B. der Ratte) finden sich auch akzessorische Rindengewebe außerhalb der Nebennierenrinde an verschiedenen Stellen.

Die Exstirpation der ganzen Nebennieren ist ein tödlich wirkender Eingriff. Wenn die Tiere überleben (bei der Ratte häufig), so beruht dies auf der Gegenwart von akzessorischem Rindengewebe. Die räumliche Trennung von Markgewebe und

704

Innere Sekretion und Hormone

Interrenalgewebe bei Selachiern erlaubte die isoliere Ausschaltung des letzteren (Biedl). Es tritt immer Tod ein. Bei den höheren Tieren bleibt die Entfernung des Marks ohne Folgen (wobei aber zu beachten ist, daß im übrigen Körper immer noch chromaffines Gewebe vorhanden ist!). Entfernung der Rinde (unter Schonung des Marks) führt zum Tod. Man kann also mit Sicherheit sagen, daß die schweren Punktionsstörungen nach einer vollständigen Exstirpation beider Nebennieren auf die Entfernung der Rinde zurückgeführt werden müssen. Die Wirkstoffe lassen sich durch Extraktion des Organs gewinnen. Der Wirkstoff, der in Rindenextrakten enthalten ist, wurde ursprünglich als Cortin bezeichnet. Wir wissen heute, daß es sich nicht um eine einheitliche Substanz handelt, sondern daß mehrere wirksame Stoffe vorhanden sind. Die Nebennierenrinde besteht aus verschiedenen, in Zonen angeordneten Gewebsschichten. Es sind von außen nach innen: Zona glomerulosa, Zona fasciculata, Zona reticularis. Die Zellen der Rinde sind vor allem durch ihren Reichtum an Lipiden ausgezeichnet. Bei verschiedenen Tierarten zeigen sich Unterschiede in der Ausbildung der einzelnen Zonen, und ebenso zeigt ihr Bau in den verschiedenen Lebensaltern beträchtliche Unterschiede. Man nimmt an, daß sich die Zellen der Zona fasciculata in den sog. Transformationszonen in die Zellen der Glomerulosa bzw. der Reticularis umwandeln. Verschiedene Beobachtungen, auf die wir später zurückkommen werden, deuten darauf hin, daß die Zellen der Zona glomerulosa und der Zona fasciculata funktionell verschieden sind und verschiedene Hormone produzieren. Wahrscheinlich geben die Zellen ihr Sekret in Form feiner Tröpfchen nach außen ab. Auf welche Weise die Bezernierten Stoffe im Blut gelöst werden, ist nicht genau bekannt. E s ist anzunehmen, daß sie in Form von lockeren, wasserlöslichen Komplexen, z. B. als Lipoproteide, transportiert werden (vgl. S. 575). A, Ausfallserscheinungen

Die Ausfallserscheinungen, die nach Exstirpation beider Nebennieren auftreten, sind schwerer Natur und führen in der Regel innerhalb einer Woche zum Tode. Folgendes sind die wichtigsten Symptome: 1. Allgemeine Muskelschwäche (Adynamie), niedriger Blutdruck, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Widerstandslosigkeit bei irgendwelcher Beanspruchung des Organismus. 2. Verlust von Mineralstoffen, insbesondere von Na- und Cl-Ionen im Urin, verminderte Konzentration der Na- und Cl-Ionen im Blutplasma, außerordentliche Empfindlichkeit gegen Kaliumsalze (schon die Zufuhr kleiner Mengen kann tödlich wirken). 3. Tendenz zur Hypoglykämie und zur Erschöpfung des GlycogenVorrats der Leber (Nahrungsentzug oder Anstrengung kann zu hypoglykämischen Symptomen führen), Erhöhung des Nichteiweiß-Stickstoffes im Blut, verminderte N-Ausscheidung. Die Gruppierung der Symptome zeigt, daß auf zwei Gebieten des Stoffwechsels Störungen eintreten, 1. im Mineralhaushalt und 2. beim Kohlenhydrat- und Eiweißstoffwechsel. B. Die Rindenhormone Die Herstellung von Extrakten aus der Nebenniere, welche die genannten Ausfallserscheinungen zu korrigieren gestatten und die Tiere am Leben erhalten, erwies sich als sehr schwierige Aufgabe. Die Gewinnung wirksamer Extrakte wurde zum erstenmal 1929 unabhängig von H a r t m a n , von S t e w a r t und R o g o f f und von S w i n g l e und P f i f f n e r beschrieben 1 ). Wir kennen heute den Grund f ü r die anfänglichen Schwierigkeiten. Die Hormonausschüttung und der Hormonverbrauch sind außerordentlich groß. Es ist in den Nebennieren immer nur ein J ) H a r t m a n u. T h o r n , Proc. Soc. Exptl. Biol. Med. 28, 94 (1930); R o g o f f u. S t e w a r d , Science 66, 327 (1927); Am. J . Physiol. 84, 660 (1928); S w i n g l e u. P f i f f n e r , Science 71, 321, 489 (1930); Am. J . Physiol. 96, 164 (1931).

Die Rindenhormone

705

verschwindend kleiner Teil der Hormonmenge aufgestapelt, welche das Tier täglich braucht. Zur Illustration möge die Angabe dienen, daß zur Herstellung derjenigen Menge Rindenhormon, die von den beiden Nebennieren eines 10 kg schweren Hundes täglich abgegeben werden, ungefähr 17 kg Rindernebennieren nötig sind!

In den Rohextrakten der Drüsen sind die aktiven Stoffe in einer Form vorhanend, in der sie sowohl in Wasser als auch in organischen Lösungsmitteln löslich sind. Die weitere Reinigung zeigte, daß alle wirksamen Körper Steroide sind, die im nativen Sekret wohl in Form wasserlöslicher Komplexe vorliegen. Die C h e m i e d e r N e b e n n i e r e n r i n d e ist durch die Untersuchungen von K e n d a l l , W i n t e r s t e i n e r und namentlich von T. R e i c h s t e i n weitgehend aufgeklärt worden. Durch Isolierungsverfahren, auf deren Beschreibung hier nicht eingegangen werden kann, gelang es, etwa dreißig Steroide in kristallisiertem Zustand zu isolieren, von denen sich sechs als wirksam, die übrigen jedoch als nicht oder nur sehr wenig aktiv erwiesen1). Man hatte schon lange bemerkt, daß in der amorphen Fraktion, die nach der Isolierung der kristallisierbaren Hormone aus den Rindenextrakten übrig blieb, eine weitere hochwirksame Substanz vorhanden sein muß (Überlebenstest am nebennierenlosen Tier). 1954 gelang es einer Gruppe von schweizerischen und englischen Forschern, das wirksame Steroid zu isolieren, das besonders auf den Mineralstoffwechsel Einfluß hat. Nach Aufklärung seiner Konstitution wurde der provisorisch vorgeschlagene Name „ E l e k r o c o r t i n " durch A l d o s t e r o n ersetzt 2 ). Die Strukturformeln der wichtigsten aktiven Steroide sind die folgenden (für die Benennung einzelner Verbindungen werden vielfach noch die von R e i c h s t e i n oder die von K e n d a l l angeführten Buchstabenbezeichnungen verwendet): CHjOH CHj CO

/ N

!

O^ ll-Desoxycorticos^eron (Cortexon, DO CA = Desoxyconicos^eronacetat) I

N / V

17-Hydroxy-l 1-desoxycorticosteron ( R e i c h s t e i n S) II

wo

Corticosteron III

CHa CO

17-Hydroxycorticosteron ( K e n d a l l F Hydrocortison, Cortisol) IV

*) W i n t e r s t e i n e r u. Mitarb., J. biol. Chem. 111, 585, 599 (1935); R e i c h s t e i n u. S h o p p e e , Vitamins and Hormones 1, 345 (1943). 2 ) Simpson u. Tait, London; R e i c h s t e i n , v. E u w , W e t t s t e i n u. N e h e r , Basel; vgl. Exper. 9, 333 (1953). Simpson u. Mitarb., Exper. 10, 132 (1954); Helv. Chim. Acta 37, 1163 (1954), 45 L e u t h a r d t , Lehrbuch 14. Aufl.

Innere Sekretion und Hormone

706

CHjOH O

CH.OH

CHa CO

CH, CO OH

n

chJ

17-Hydroxy-11 -dehydrocorticosteron (Kendall E) C o r t i s o n

ll-Dehydrocorticosteron

VI

V

OH CHjOH 0 CH ¿0 l/\L ch 3

/ VII Aldosteron Die Aldehydgruppe C18 ist acetalartig an die Hydroxylgruppe C n gebunden.

C. Die biologische Wirkung der Rindenhormone

Die Wirkung der einzelnen Rindenhormone ist qualitativ und quantitativ verschieden. Es gibt Steroide, die vorwiegend auf den M i n e r a l s t o f f Wechsel (Na+- und Cl~-Retention) einwirken (sog. m i n e r a l o c o r t i c o i d e Wirkung) und solche, die vorwiegend den K o h l e n h y d r a t s t o f f w e c h s e l beeinflussen (sog. g l u c o c o r t i c o i d e Wirkung). Außerdem produziert die Rinde noch Steroide, die als Sexualhormone wirksam sind, und zwar solche mit a n d r o g e n e r und mit G e l b k ö r p e r w i r k u n g (vgl. S. 735 und 737). Während langer Zeit kannte man als einziges Steroid mit ausgesprochen mineralocorticoider Wirkung das von R e i c h s t e i n synthetisch dargestellte und später aus Rindenextrakten isolierte D e s o x y c o r t i c o s t e r o n (Cortexon, DOCA = Desoxycorticosteronacetat), das ausgedehnte therapeutische Verwendung findet. Das wirksamste mineralocorticoide Hormon ist jedoch das oben erwähnte, neu entdeckte A l d o s t e r o n . Es ist, je nach der Testmethode, 30 bis lOOmal aktiver als das Cortexon, welches früher das einzige bekannte Steroid mit überwiegender Wirkung auf den Salzstoffwechsel war. Starke glucocorticoide Wirkung (vgl. S. 332) besitzen C o r t i s o n , H y d r o c o r t i son ( K e n d a l i F) und C o r t i c o s t e r o n . Aber auch das Aldosteron beeinflußt den Kohlenhydratstoffwechsel (s. unten). Die beiden Gruppen der Rindenhormone lassen sich also nicht scharf abgrenzen; ein und dasselbe Steroid kann sowohl mineraloals auch glucocorticoide Wirkung zeigen, wenn auch die eine gewöhnlich stark überwiegt. Von diesen Stoffen hat man im venösen Blut der Nebenniere zwei mit Sicherheit nachweisen können: Corticosteron und Hydrocortison; sie sind also die glucocorticoiden Hormone, welche die Nebenniere ans Blut abgibt. Für die mineralocorticoide

Die biologische Wirkung der Rindenhormone

707

Aktivität des kreisenden Bluts scheint fast ausschließlich das Aldosteron verantwortlich zu sein1). Wir haben den Einfluß der Rindenhormone auf den Kohlenhydrat- und Proteinstoffwechsel schon früher besprochen und beschränken uns daher hier auf die Störungen des Mineralhaushalts. Die folgende Tabelle zeigt die Wirkung der einzelnen Steroide bei den verschiedenen Testmethoden 2 ).

Untersuchungsmethode

Überlebenszeit bei der nebennierenlosen Ratte Verhinderung der Ausfallserscheinungen beim nebennierenlosen Hund Retention der Na+- und Cl _ -Ionen beim normalen Hund Leberglycogen Diabetogene Wirkung Verhinderung der hypoglykämischen Krämpfe nach Insulin (Anti-Insulinwirkung)

11-Desoxycorticosteron

Aldosteron

Corticosteron

I

VII

III

++++ +++

sehr wirksam

++++

sehr wirksam

0 0

+

0

11-De- 17-Hydroxy17-Hydro- hydro- 11-dehydroxycorticorticorticosteron costeron costeron IV V VI

++

+

++

+

++

+

++

+

vermehrte Ausscheidung

+++ ++ + +

+++

vermehrte Ausscheidung

++

+++ ++

+++

++ +

Man erkennt in der Tabelle deutlich die verschiedenartige Wirksamkeit der beiden Gruppen von Steroiden und kann auch gewisse Zusammenhänge zwischen Struktur und biologischer Wirkung ablesen. Für die Wirkung auf den Kohlenhydratstoffwechsel scheint der Sauerstoff in Stellung 11 wesentlich zu sein, denn die Verbindungen I und I I (siehe Formeln) sind bei den entsprechenden Testmethoden inaktiv. Dagegen scheint eine Hydroxylgruppe in Stellung 17 (Verbindungen II, IV und VI) die Wirkung auf Kochsalzretention nicht nur aufzuheben, sondern in ihr Gegenteil zu verwandeln (gesteigerte Ausscheidung von Na+ und C l - beim normalen Hund) 3 ). Dieses Resultat darf allerdings nicht verallgemeinert werden. Bei Verabreichung therapeutischer Dosen von Cortison oder Hydrocortison an den Menschen beobachtet man oft eine starke Retention von Wasser und Salz, die sogar zu Ödemen führen kann. Es gibt sowohl tierexperimentelle als auch klinische Beobachtungen, die darauf hindeuten, daß Cortison unter gewissen Bedingungen die Rückresorption des Natriums in den Nierenkanälchen steigern kann. Es scheint überhaupt, daß die Richtung, in welcher die Rindenhormone Wasser- und Elektrolytausscheidung in der Niere beeinflussen, nicht von vornherein feststeht, sondern vom physiologischen Zustand des Organismus mitbestimmt wird4). Bei der Besprechung des Wasser- und Salzhaushaltes haben wir darauf hingewiesen, daß die beiden eng miteinander verknüpft sind. Das Wasser folgt in vielen Fällen passiv auf Grund der osmotischen Kräfte den Veränderungen der Elektrolytkonzentration. Die Rindenhormone, welche auf die Rückresorption der Natrium- und Chlorionen einwirken, beeinflussen dadurch indirekt auch den Wasserhaushalt. Außerdem scheinen aber die Rindenhormone auch einen *) ) 3 ) 4 ) 2

45*

Literatur vgl. z.B. B u s h , Schweiz, med. Wschr. 85, 645 (1965). Zum Teil nach R e i c h s t e i n u. S h o p p e e , Vitamins and Hormones 1, 345 (1943). T h o r n , Science 94, 348 (1941). T h o r n , New England J . Med. 248, 292 (1953).

708

Innere Sekretion und Hormone

direkten Einfluß auf die Ausscheidung des Wassers in der Niere zu haben: Sie hemmen dessen Rückresorption und vergrößern anscheinend auch die Filtration; sie wirken also diuretisch1). Es ist daher verständlich, daß je nach dem Überwiegen des einen oder des anderen Faktors bei Zufuhr des Hormons entgegengesetzte Wirkungen auftreten können. Die Natrium-retinierende Wirkung der in der obigen Tabelle angeführten Steoride wird aber bei weitem durch diejenige des Aldosterons übertroffen. Nach den heutigen Kenntnissen muß das A l d o s t e r o n als der e i g e n t l i c h e N a t r i u m - r e t i n i e r e n d e F a k t o r der N e b e n n i e r e n r i n d e betrachtet werden. Es besitzt aber nicht nur eine bedeutend höhere mineralocorticoide Aktivität als das Cortexon, sondern wirkt auch qualitativ verschieden; es zeigt, wie früher schon erwähnt wurde, charakteristische glucocorticoide Effekte. Es erhöht das Leberglycogen und bewirkt eine Abnahme der Eosinophilen im Blut; bei dieser Reaktion erweist es sich als etwa 1/3 so aktiv wie das Cortison. Im kreisenden Blut scheint für die mineralocorticoide Aktivität fast ausschließlich das Aldosteron, für die glucocorticoide Aktivität das Hydrocortison verantwortlich zu sein 2 ). Das Cortexon vermag die Ausfallserscheinungen beim Fehlen der Nebennieren weitgehend zum Verschwinden zu bringen und gestattet, adrenalektomierte Tiere beliebig lange am Leben zu erhalten (trotzdem mit den verschiedenen Testmethoden eine glucocorticoide Wirkung kaum nachweisbar ist); doch ist das Aldosteron auch in bezug auf seine lebenserhaltende Wirkung beim nebennierenlosen Tier bedeutend (25 —30 mal) aktiver als das Cortexon. Cortison und Hydrocortison vermögen dagegen den Ausfall der Rinde nicht zu ersetzen. Diese Tatsachen deuten darauf hin, daß bei Insuffizienz der Nebennieren die unmittelbar lebensbedrohenden Störungen in erster Linie den Mineralstoffwechsel betreffen. Beim Fehlen der mineralocorticoiden Hormone kann der Körper die N a + - und C1 " - I o n e n nicht mehr in normaler Weise in den Körperflüssigkeiten retinieren; sie werden in vermehrter Menge im Urin ausgeschieden. Dementsprechend wird auch die Menge der extrazellulären Flüssigkeit reduziert. Meist ist im Blutplasma die Konzentration der N a + - I o n e n und der Gl "-Ionen vermindert; da, wie eben erwähnt, gleichzeitig das Volumen der extrazellulären Flüssigkeit verkleinert ist, bedeutet dies ein beträchtliches Defizit im gesamten Salzbestand des Organismus. Umgekehrt sind die Zellen (die Muskulatur) wasserreicher geworden und enthalten mehr K + Ionen als beim Normalen. Auch im Blutplasma kann die K """-Konzentration erhöht sein ( K + - R e t e n t i o n ) . E s h a t also auch eine Verschiebung des Wassers v o m extrazellulären nach dem intrazellulären Kompartiment stattgefunden. Umgekehrt bewirken aktive E x t r a k t e oder die mineralocorticoiden Hormone eine verminderte Kochsalzausscheidung in der Niere und eine vermehrte Ausscheidung des Kaliums. (Auch die Salzausscheidung im Schweiß geht zurück.) Es scheint also, daß beim Fehlen der Rindenhormone die Niere ihre Fähigkeit eingebüßt hat, die Ausscheidung der Na+- und Cl~-Ionen der Zufuhr anzupassen. Sie läßt zuviel Elektrolyte in den Urin übertreten. Man darf aber deswegen nicht ohne weiteres annehmen, daß die Störung des Mineralhaushaltes ihre Ursache einzig in einem Versagen des Ausscheidungsorgans hat. Möglicherweise handelt es sich um eine Störung des Elektrolyt- und Wasseraustausches an allen Zellgrenzflächen. Wir wissen heute über den Mechanismus der Hormonwirkung noch nichts Genaueres. Die eben erwähnte Verminderung der Chloridausscheidung durch den Schweiß nach Gaben von Desoxycorticosteron könnte dafür sprechen, daß das Hormon nicht nur die Rückresorption der Elektrolyte in der Niere reguliert, sondern möglicherweise auch den Ionentransport an anderen Zellgrenzen beeinflußt. Von großem Interesse sind gewisse klinische Befunde welche auf die Existenz eines die Natriumausscheidung f ö r d e r n d e n Faktors hinweisen. Bei gewissen kongenitalen Störungen der Rindenfunktion kommt es zu beträchtlichen Salzverlusten („adrenogenitales Salzverlustsyndrom"), ohne daß eine Verminderung der Aldosteronproduktion nachweisbar wäre3). Auch *) Vgl. G a u n t , Recent Progress in Hormone Research 6, 247 (1951). 2 ) Literatur über Aldosteron vgl. W e t t s t e i n u. Anner Exper. 10, 397 (1954); R. u. E . Mach, Exposés ann. Biochimie médicale 18, 63 (1956); Müller u. O'Connor (edit.): An international Symposium on aldosterone; London 1958. 3 ) P r a d e r u. Mitarb. Schweiz, med. Wschr. 85, 1085 (1955).

Die biologische Wirkung der Rindenhormone

709

scheint die Natriumausscheidung durch das corticotrope Hypophysenhormon gesteigert zu werden, was mit der Annahme einer mineralocorticoiden Insuffizienz ebenfalls im Widerspruch steht. Versuche zur Isolierung des Faktors haben bisher zu keinen eindeutigen Resultaten geführt 1 ). Natürlich wäre die Entdeckung eines solchen Faktors (im engl. Schrifttum als „ s o d i u m e x c r e t i n g f a c t o r " bezeichnet) für das Verständnis der Regulation des Salzstoffwechsels von größter Bedeutung und würde wahrscheinlich eine Revision vieler bisheriger Vorstellungen nötig machen.

Ein besonders merkwürdiges Symptom der Nebenniereninsuffizienz ist die außerordentliche Empfindlichkeit des Organismus gegen Kaliumsalze. Nebennierenlose Tiere zeigen eine viel kürzere Überlebensdauer, wenn ihre Nahrung Kalium enthält, als wenn die Zufuhr dieses Elements soweit als möglich unterdrückt wird, und können durch kleine Kaliumgaben tödlich vergiftet werden (Schwächezustand, Muskelkrämpfe, Herzstillstand). Man kann aber allein durch stark erhöhte Zufuhr von Natriumsalzen (NaCl oder Na-Acetat) bei möglichst weitgehender Ausschaltung des Kaliums die Ausfallssymptome vollständig zum Verschwinden bringen und die Tiere während längerer Zeit in gutem Zustand erhalten. (Diese Tatsache hat für die Behandlung der Nebenniereninsuffizienz eine große Bedeutung.) Die Möglichkeit, den Zustand von nebennierenlosen Tieren allein durch genügende Kochsalzzufuhr weitgehend zu bessern, zeigt deutlich, daß die schweren Folgen der totalen Exstirpation im wesentlichen durch die Desorganisation des Mineralhaushaltes bedingt sind. Zu den charakteristischen Wirkungen der 11,17-Hydroxysteroide (Cortison, Hydrocortison, 17-Hydroxycorticosteron) gehört auch der Abfall der eosinophilen Leukocyten, den man nach Zufuhr der Hormone oder nach Stimulierung der Rinde beobachtet. Er bildet die Grundlage des sog. T h o r n - T e s t s der RindenfunktJon (s. unten)Ferner ist noch der Einfluß des Cortisons und Hydrocortisons auf die mesenchymalen Gewebe zu erwähnen, deren Entwicklung gehemmt wird. Man macht von dieser Wirkung therapeutisch bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen (Polyarthritis) und der Lymphogranulomatose Gebrauch (vgl. S. 667). Die bisher besprochenen Wirkungen der Nebennierenrinde werden als „eorticoide" Wirkungen, die Steroide, welche diese Wirkungen auslösen, als „corticoide" Hormone bezeichnet. Daneben produziert die Nebennierenrinde aber auch Hormone, die zur Gruppe der Sexualhormone zu rechnen sind. Dazu gehört das Progesteron (Gelbkörperhormon), das selbst noch eine gewisse „corticoide" Wirkung besitzt, ferner das Follikelhormon (Östron) und, als wichtigste, verschiedene Steroide mit androgener Wirkung. Besonders deutlich wird der Einfluß der Nebennierenrinde auf die Geschlechtsfunktionen bei gewissen Tumoren der Nebennierenrinde sichtbar, die zu einer Vermännlichung (Virilisierung) des Organismus (Entwicklung männlicher Geschlechtsmerkmale), im jugendlichen Alter zur frühzeitigen Geschlechtsreife (Pubertas praecox) führen können. Man faßt diese Erscheinungen oft unter dem Namen des a d r e n o g e n i t a l e n S y n d r o m s zusammen. Wir werden in späteren Abschnitten auf diese Frage zurückkommen (vgl. dazu S. 735). Es bestehen Anzeichen dafür, daß die mineralocorticoiden und die glucocorticoiden Hormone in verschiedenen Zellen der Nebennierenrinde gebildet werden 2 ). Nach Entfernung der Hypophyse atrophiert die Nebenniere infolge Wegfalls des eorticotropen Hormons (siehe folgender Abschnitt). Die Störungen, die beobachtet werden, betreffen im wesentlichen nur den Kohlenhydratstoffwechsel (siehe Abschnitt über endokrine Regulation des KohlenhydratstoffJ

) Vgl. N e h e r u. Mitarb., Helv. Chim. Acta 41, 1667 (1958). ) D e a n e u. G r e e p , Endocrin. 41, 243 (1947).

2

Innere Sekretion und Hormone

710

wechseis S. 332 u. ff.). Die histologische Untersuchung der Drüse zeigt, daß nur die Zona fasciculata verkleinert ist und ihren Lipoidgehalt eingebüßt hat; die äußere Zona, die Glomerulosa, ist nicht verändert. Gibt man während längerer Zeit Desoxycorticosteron, so atrophiert umgekehrt die Glomerulosa; man kann dies als eine Atrophie wegen „Nichtgebrauchs" deuten. Es scheint also, daß in der Zona glomerulosa die auf den Mineralstoffwechsel, in der Zona fasciculata die auf den Kohlenhydratstoffwechsel einwirkenden Steroide gebildet werden. Bei Hyperplasie der Rinde, welche zur Virilisation des Organismus führt (vgl. S. 735), besteht das Gewebe fast ganz aus Zellen vom Typus der Zona reticularis, während die Glomerulosa und die Fasciculata fast ganz verschwunden sind. Sofern diese Zellen mit den normalen Retieulariszellen vergleichbar sind, würde dies darauf hindeuten, daß die letzteren die androgenen Hormone der Rinde produzieren. D. Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse Der Vorderlappen der H y p o p h y s e produziert ein Hormon, welches die Nebennierenrinde stimuliert. Wir haben dieses Hormon bereits früher bei Besprechung des Kohlenhydratstoffwechsels erwähnt; es ist das a d r e n o c o r t i t r o p e (oder einfach c o r t i c o t r o p e ) H o r m o n , C o r t i c o t r o p i n (abgekürzt ACTH). Seine Wirkung ist spezifisch auf die Nebennierenrinde gerichtet. Bei Entfernung der H y p o p h y s e atrophiert die Nebenniere; dies kann durch Hypophysenextrakte oder das reine Hormon verhindert werden 1 ). Injektion v o n Extrakten oder ACTH beim normalen Tier bewirkt umgekehrt eine Hypertrophie der Rinde 2 ). Injektion v o n ACTH ruft bei intakten Nebennieren die gleichen Erscheinungen hervor wie die Bindenhormone: B e t e n t i o n v o n Natrium- und Chlorionen, erhöhter Glycogenbestand der Leber, erhöhte Stickstoffausscheidung. E s sind keine E f f e k t e des ACTH beobachtet worden, die nicht auch durch die Rindenhormone hervorgerufen werden. B e i fehlender oder stark geschädigter Nebennierenrinde ist das Hypophysenhormon unwirksam. Diese Tatsachen beweisen, daß ACTH durch Stimulierung der Nebennierenrinde wirkt. Die Stimulation der Nebennierenrinde durch das Hypophysenhormon betrifft aber in erster Linie die glucocorticoide Wirkung der ersteren. D a s ACTH h a t daher qualitativ im wesentlichen die gleiche Wirkung wie Cortison und Hydrocortison. Die Retention v o n Wasser, Natrium- und Chlorionen, die m a n nach ACTH beobachtet, ist wahrscheinlich der Ausschüttung v o n Hydrocortison zuzuschreiben; die Abgabe des Cortexons scheint durch das A C T H nur wenig beeinflußt zu werden. ACTH bewirkt wie Cortison und Hydrocortison einen Abfall der Eosinophilen im Blut. Bei Rindeninsuffizienz tritt dieser Effekt nicht ein. Die Injektion von ACTH mit nachfolgender Zählung der Eosinophilen stellt daher einen bequemen Funktionstest der Nebenniere dar ( T h o r n Test)3). Durch ACTH wird auch die Ausscheidung der 17-Ketosteroide im Urin vermehrt (vgl. S. 736), ebenso die Harnsäureausscheidung. Weniger übersichtlich liegen die Verhältnisse beim A l d o s t e r o n . Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen kann das ACTH unter gewissen Bedingungen die Aldosteronausschüttung (gemessen an der Aldosteronausscheidung im Urin) stimulieren. Gleichzeitig können aber entgegengesetzt wirkende Mechanismen in Gang gesetzt werden, welche diesen Effekt vollständig kompensieren, so daß das ACTH anscheinend wirkungslos ist. Jedenfalls scheint soviel festzustehen, daß die Aldosteronproduktion unabhängig vom ACTH vor sich gehen kann. Nach neuesten Befunden soll das Wachstumshormon die Aldosteronausschüttung anregen. Es scheint 1

) S m i t h , J . Am. med. Ass. 88, 158 (1927); Am. J . Anat. 45, 205 (1930). ) E v a n s u. Mitarb., Science 75, 442 (1932); A n s e l m i n o u. Mitarb., Klin. Wschr. 12, 1944 (1933); H o u s s a y u. Mitarb., Rev. Soc. Argentina Biol. 9, 262 (1933); Collip u. Mitarb., Lancet 1933/2, 347. 3 ) T h o r n u. Mitarb.: The diagnosis and treatment of adrenal insufficiency; Springfield, III., 1949. J. Am. med. Ass. 137, 1005 (1948). 2

Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse

711

ferner, daß ein von den neurosekretorischen Zellen des Hypothalamus gebildeter Stoff die Aldosteronbildung stimuliert 1 ). Wir haben früher schon einige Faktoren erwähnt, welche die Aldosteronausschüttung beeinflussen, so z. B. Natriumverlust, welcher zu einer Vermehrung der Aldosteronproduktion führt, oder die Vergrößerung des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens (durch Adiuretin), welche eine Verminderung der Aldosteronausschüttung zur Folge hat (A. F. M ü l l e r , Mach u. Mitarb.)2). Die meisten bisher bekannten Tatsachen lassen sich durch die Annahme erklären, daß es die Änderungen des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens sind, welche die Ausschüttung des Aldostrons regulieren. Die Rezeptoren sind nicht mit Sicherheit bekannt 2 ). Bei der Regulation der Ausschüttung des cortieotropen Hypophysenhormons ist die Menge der im Blut kreisenden corticoiden Hormone ein wichtiger Faktor. N i m m t die Konzentration der Rindenhormone ab, so wird die Hypophyse zur erhöhten Sekretion angeregt. Umgekehrt wird die Produktion des corticotropen Hormons durch einen Überschuß v o n Rindenhormonen gehemmt. Die H e m m u n g d e r H y p o p h y s e d u r c h d i e R i n d e n h o r m o n e tritt besonders bei andauernder Zufuhr v o n Rindenextrakten oder -hormonen in Erscheinung. Unter diesen Bedingungen atrophiert die Nebenniere, weil die Hypophyse kein ACTH mehr ausschüttet. (Man hat unter diesen Bedingungen auch eine verminderte Funktion der Schilddrüse und der Gonaden [Störung des Genitalcyklus] beobachtet, so z. B . nach längerer Anwendung v o n Cortison.) Bei erhöhter Beanspruchung des Organismus („stress"), sei es durch physiologische Arbeitsleistung (Muskelarbeit, Kälte, Wärme, erniedrigte Sauerstoffspannung) oder als Reaktion auf irgendwelche Schädigungen (Blutverluste, Verbrennungen, Bestrahlung, Infektionen usw.), beobachtet man oft eine Vergrößerung der Nebennieren. Der Impuls dazu geht von der Hypophyse aus, denn die Hypertrophie tritt beim hypophysenlosen Tier nicht ein. Als Zeichen der gesteigerten Aktivität der Nebennierenrinde tritt unter dem Einfluß des ACTH auch eine starke V e r m i n d e r u n g des C h o l e s t e r i n - u n d A s c o r b i n s ä u r e g e h a l t s der Nebennieren ein. Man hat angenommen, daß das Cholesterin für die Synthese von Steroidhormonen verbraucht wird; doch ist dies keineswegs bewiesen. Auch für das Verschwinden der Ascorbinsäure gibt es keine plausible Erklärung. Die Abnahme der Ascorbinsäure erfolgt so regelmäßig, daß man sie als Testmethode für die CorticotropinWirkung verwenden kann. Sie tritt vor allem auch bei den obengenannten ,,stress"-Situationen als Zeichen einer Aktivierung der Hypophyse ein. In verschiedenen Fällen ist nachgewiesen worden, daß die Senkung des Cholesterin- oder Ascorbinsäuregehalts tatsächlich nach Entfernung der Hypophyse ausbleibt 3 ). Die S t e u e r u n g der Hypophyse durch die Rindenhormone zeigt sich auch darin, daß der Ascorbinsäuresohwund n i c h t eintritt, wenn man bei der Belastung des Organismus durch die genannten Situationen gleichzeitig Rindenextrakt oder reine corticoide Steroide zuführt. Die Hypophyse vermehrt die ACTH-Sekretion in diesem Falle nicht trotz vermehrten Verbrauchs von Rindenhormonen in den Geweben, weil durch Zufuhr der Hormone von außen der Blutspieeel hochgehalten wird (Sayers). Auch hier erhebt sich die Frage, die wir bei Besprechung des thyreotropen Hormons erörtert haben, ob die Rindenhormone direkt oder durch Auslösung eines nervösen Mechanismus auf die Hypophyse zurückwirken. Sie läßt sich heute noch nicht beantworten. Jedenfalls beruht die Steuerung der Nebennierenrinde auf dem gleichen Prinzip, welches im Schema auf S. 720 dargestellt ist. Außer dem Spiegel der Rindenhormone im Blut scheint für die Sekretion des ACTH auch das A d r e n a l i n eine wichtige Rolle zu spielen. Wahrscheinlich wird die vermehrte Sekretion vom *) R a u s c h k o l b u. F a r r e l l , Endocrin. 59, 526 (1956); F a r r e l l u. Mitarb., 39th Meeting Endocrine Soc. New York City, May 1957. 2 ) M ü l l e r u. Mitarb., Helv. med. Acta 22, 495 (1955) ; Schweiz, med. Wschr. 85,1218 (1955); 23, 572, 610 (1956). Literatur über die physiol. u. kiin. Bedingungen der Aldosteronausscheidung vgl. R. u. E. M a c h , Exposés ann. Biochimie médicale 18, 63 (1956). 3 ) S a y e r s u. Mitarb., Endocrin. 37, 96 (1945).

712

Innere Sekretion und Hormone

oorticotropen Hormon, die unter dem Einfluß der genannten Beanspruchungen des Organismus eintritt, durch eine Adrenalinausschüttung hervorgerufen. Die Frage nach der Beteiligung anderer (nervöser) Mechanismen bleibt offen. Die Reaktion der Hypophyse auf die genannten „stress"-Situationen tritt auch nach Durchtrennung des Hypophysenstiels ein. Dies beweist, daß sie von humoralen Faktoren abhängig ist 1 ). Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Nebennierenrinde und der Schilddrüse. Bei Unterfunktion der letzteren (Versuche an der Ratte: Entfernung der Drüse oder Fütterung von Schilddrüsenhemmstoffen wie Thiouracil) atrophiert die Zona fasciculata der Rinde, während die Tätigkeit der Glomerulosazellen eher gesteigert ist. Bei einem Überschuß an Schilddrüsenhormon (Verfütterung von Schilddrüsenpulver) hypertrophiert die Zona fasciculata und zeigt histologische Zeichen starker Aktivität ( D e a n e und Greep). Wahrscheinlich beruhen diese Veränderungen der Rinde nicht auf einer direkten Einwirkung des Thyroxins, sondern werden durch die Hypophyse vermittelt. I m Falle der Hypofunktion der Schilddrüse müßte demnach der Vorderlappea weniger corticotropes Hormon ausschütten, im Falle der Überfunktion der Schilddrüse müßte er mehr ausschütten. Man kann in diesem Verhalten eine Anpassung des Organismus vermuten. Die durch Hyperfunktion der Schilddrüse (oder Zufuhr des Hormons von außen) bewirkte Stoffwechselsteigerung bedeutet eine starke Beanspruchung des Organismus, die er durch gesteigerte Sekretion von corticotropem Hormon beantwortet. Da die Rindenhormone die periphere Verwertung der Kohlenhydrate hemmen (vgl. S. 333), kann vielleicht die verminderte Produktion von ACTH bei Hypofunktion der Schilddrüse als kompensatorischer Vorgang aufgefaßt werden, durch den der Organismus den darniederliegenden Stoffwechsel zu steigern sucht. E. Addisonsche Krankheit (so b e n a n n t nach d e m englischen Arzt T h o m a s A d d i s o n , der 1855 die erste Beschreibung der K r a n k h e i t veröffentlicht u n d ihren Z u s a m m e n h a n g m i t der N e b e n niere erkannt hat). Diese K r a n k h e i t beruht auf einer mehr oder weniger w e i t g e h e n d e n Zerstörung des R i n d e n g e w e b e s (meistens durch tuberkulöse Prozesse). Sie zeigt alle A u s f a l l s s y m p t o m e , die experimentell durch E n t f e r n u n g der N e b e n n i e r e n erzeugt werden können, nur entwickeln sie sich allmählich in d e m Maße, wie die Zerstörung des Gewebes fortschreitet. N e b e n der oben beschriebenen Störung d e s Salz- u n d K o h l e n h y d r a t s t o f f w e c h s e l s u n d d e n allgemeinen S y m p t o m e n , unter d e n e n Abmagerung, Muskelschwäche (Asthenie), niedriger Blutdruck u n d Resistenzlosigkeit die wichtigsten sind, b e s t e h t eine typische dunkle Pigmentierung der H a u t , die A d d i s o n veranlaßte, der K r a n k h e i t d e n N a m e n „bronzed disease" z u geben. Man v e r m u t e t , d a ß die abnorme P i g m e n t b i l d u n g auf eine Störung i m S t o f f w e c h s e l der aromatischen Aminosäuren zurückgeht. D i e K r a n k e n k ö n n e n durch Verabreichung v o n R i n d e n h o r m o n e n (heute vielfach als größeres D e p o t der kristallisierten Substanz unter die H a u t verpflanzt u n d durch geeignete diätetische M a ß n a h m e n (viel K o c h salz, wenig K a l i u m ) während langer Jahre a m L e b e n erhalten werden. Ü b e r die R e g u lation der Wasserausscheidung bei der A d d i s o n s c h e n Krankheit siehe S. 725.

F. Bildung der Steroidhormone in der Nebennierenrinde2) Darüber h a b e n zuerst die U n t e r s u c h u n g e n v o n G. P i n c u s , 0 . H e c h t e r u n d Mitarb. wichtige Aufschlüsse gebracht 3 ). Diese Forscher h a b e n M e t h o d e n entwickelt, !) Vgl. L o n g , Recent Progress in Hormone Research 7, 75 (1952); T a n g u. P a t t o n , Endocrin. 49, 86 (1951). 2 ) Neuere zusammenfassende Darstellungen über den Stoffwechsel der Steroidhormone vgl. D n r f m a n u . U n g a r : Metabolism of steroid hormones; Minneapolis 1954. D o r f m a n , in P i n c u s u . T h i m a n n : The Hormones; Vol. III, S. 589; New York 1955. 3 ) Übersicht vgl. H e c h t e r u. P i n c u s , Physiol. Rev. 34, 459 (1954).

Bildung der Steroidhormone in der Nebennierenrinde

713

die es erlauben, die Nebenniere des Rindes und auch des Menschen mit arteigenem Blut zu durchströmen und die an das Blut abgegebenen Steroide durch chromatographische Verfahren zu trennen und zu identifizieren. Es zeigt sich, daß die Drüse nur dann größere Mengen Hormone ans Blut abgibt, wenn dasselbe adrenocorticotropes Hormon (ACTH) enthält, und zwar erscheinen vor allem Corticosteron und Hydrocortison ( K e n d a l l s Verbindung F) neben kleinen Mengen anderer Steroide. Werden dem Blut Steroide bekannter Konstitution zugesetzt, so läßt sich feststellen, welche Umwandlungen Sie in der Drüse erleiden. Auf diese Weise konnte zum erstenmal Einblick in die Entstehungsweise und den genetischen Zusammenhang einzelner Rindenhormone gewonnen werden. Die Zellen der Nebennierenrinde vermögen im Progesteron in verschiedene Stellungen Hydroxylgruppen einzuführen und dadurch Rindenhormone zu bilden. Ebenso kann Pregnenolon zum Progesteron oxydiert werden. Da das erstere in naher Beziehung zum Cholesterin steht, ist wahrscheinlich das Cholesterin eine Muttersubstanz dieser Verbindungen.

Cholesterin

Pregnenolon

Progesteron

Dies konnte durch Verwendung von markiertem Cholesterin bewiesen werden (radioaktiver CO4) in Stellung 3). Setzt man die markierte Verbindung dem die Drüse durchströmenden Blut zu, so enthalten auch die sezernierten Hormone, Corticosteron und Hydrocortison, das Isotop. Da das Acetat zur Synthese des Cholesterins verwendet wird (vgl. S. 368), wurden auch Versuche mit markiertem Acetat durchgeführt. Auch hier waren die isolierten Hormone radioaktiv. Es scheint, daß das ACTH die Bildung des Pregnenolons aus dem Cholesterin stimuliert, während die Überführung des Progesterons in Corticosteron und Hydrocortison, d. h. die Einführung der Hydroxyle, vom Hypophysenhormon unabhängig ist. Möglicherweise können die C21-Steroide aus Acetat auch noch auf einem Weg gebildet werden, der nicht über das Cholesterin führt (direkte Bildung des Pregnenolons aus Acetat ? gemeinsame Zwischenstufe ?). Vom Progesteron ausgehend, können nun die verschiedenen Steroide durch Einführung von Hydroxylgruppen in den Stellungen 17, 21 und 11 gebildet werden.

Die untenstehenden Formeln (S. 714) geben eine Übersicht über den genetischen Zusammenhang der verschiedenen Steroide 1 ). Es scheint, daß die Einführung der Hydroxylgruppen immer in der Reihenfolge: Stellung 17, 21, 11 vor sich geht. Die Muttersubstanz des Aldosterons ist wahrscheinlich das Desoxycorticosteron, das durch Oxydation der Methylgruppe C 18 und anschließende Hydroxylierung an C u in das erstere übergehen könnte 2 ). Eine Reihe von Hydroxylierungsreaktionen lassen sich auch in Gewebshomogenaten aus Nebennieren in vitro durchführen 3 ). Das Enzym, das die Stellung 11 !) Literatur vgl. W e t t s t e i n u. Anner, Exper. 10, 397 (1954); H e c h t e r u. P i n c u s , Physiol. Rev. 34, 459 (1954); P i n c u s u. Mitarb., J. biol. Chem. 211, 867 (1954). 2 ) K a h n t u. Mitarb. ,Helv. Chim. Acta 38, 1237 (1955); Exper. 11, 446 (1955). 3 ) Liste der Reaktionen s. Dorfman, in P i n c u s u. T h i m a n n : The Hormones. Vol. III, S. 626. New York 1955.

Innere Sekretion und Hormone

714

hydroxyliert (1 l - / ? - H y d r o x y l a s e ) , ist in den Mitoehondrien der Rinde nachgewiesen worden; die beiden anderen (Stellung 17 und 21) bleiben bei der Fraktionierung der Homogenate i m Überstehenden.

0

W 11 -Hy droxyprogesteron

Progesteron

17-Hydroxyprogesteron

R e i c h s t e i n s Verbindung S

K e n d a l l s Verbindung F (Hydrocortison) CH 2 OH HCO ¿ 0

(

/

W

Desoxycorticosteron

Corticosteron

Aldosteron

Bei der Dehydrierung der H y d r o x y - zu den Ketogruppen ist wahrscheinlich D P N Wasserstoffakzeptor. Die Ascorbinsäure, a n welcher die Nebenniere sehr reich ist, greift in einer noch unbekannten Weise in die Biosynthese der Steroidhormone ein 1 ). Was den Reaktionsmechanismus der Hydroxylase betrifft, ist die Feststellung wichtig, daß die Hydroxylgruppe nicht aus dem Wasser stammt (bei Hydroxylierung in Gegenwart Ton D 2 0 wird kein Deuterium in die Verbindung eingeführt) 2 ); der Hydroxylsauerstoff stammt vielmehr aus dem Luftsauerstoff (Versuche mit CK18))3). Andererseits wird die Reaktion durch Cj-Dicarbonsäuren und andere Produkte des Tricarbonsäurecyklus gefördert 4 ), und es hat sich ferner gezeigt, daß sie TPN-abhängig ist 2 ). Die Einführung der Hydroxylgruppe kann aber nach x ) Literatur zum vorstehenden vgl. S t a u d i n g e r , 6. Coli. Ges. f. physiol. Chem., Mosbaoh/Baden 1954, S. 92; Berlin, Göttingen und Heidelberg 1955; H ü b e n e r , ebenda S. 212. a ) H a y a n o u. D o r f m a n , J . biol. Chem. 211, 227 (1954). 3 ) H a y a n o u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 21, 380 (1956); S w e a t u. Mitarb., Fed. Proc. 15, 367 (1956). 4 ) W e t t s t e i n u. Mitarb., Helv. Chim. Acta 34, 1790 (1951); Exper. 8, 422 (1952).

Das Nebennierenmark

715

den obigen Befunden nicht durch Wasseranlagerung an eine primär gebildete Doppelbindung erfolgen. Es scheint hier ein besonderer Mechanismus der Oxydation vorzuliegen, der auch bei anderen Hydroxylierungen eine Rolle spielt: Das eine Sauerstoffatom des 0 2 -Moleküls wird zur Hydroxylierung verwendet, das andere oxydiert in gekoppelter Reaktion das TPNH. Die Funktion der Säuren des Citronensäurecyklus würde darin bestehen, TPNH zu liefern (z. B. über das „malic enzyme"). Es handelt sich hier zunächst noch um eine theoretische Vorstellung, die aber den oben genannten experimentellen Befunden Rechnung trägt 1 ). Über die chemische Natur des Enzyms ist zur Zeit nichts Sicheres bekannt; es dürfte sich um ein Metallenzym handeln. Für den Steroidstoffwechsel ist auch die Leber ein wichtiges Organ, in welchem die Steroidhormone verschiedenen Umsetzungen unterworfen sind. Eine wichtige Reduktion ist z.B. die Reduktion der a,^-ungesättigten Ketogruppe im Ring A zur 3a- oder 3/?-Hydroxyverbindung. Weiter ist die Einführung von C n - und C 17 -Hydroxylgruppen, die oxydative Abspaltung der Seitenkette u. a. m. beobachtet worden. (Die Untersuchungen wurden teils an Organschnitten oder Homogenaten durchgeführt, teils durch Perfusion der Leber.) In der Leber werden wahrscheinlich auch die Konjugate gebildet (Glucuronide), die im Urin erscheinen. Möglicherweise wird hier das Steroidgerüst weiter abbaut. Wir können auf den Steroidstoffwechsel der Leber hier aber nicht weiter eingehen2). Auch Mikroorganismen (Pilze, Bakterien) sind zur Einführung von Hydroxylgruppen in Steroide und zu anderen Reaktionen befähigt, die vor allem auch wegen ihres technischen Interesses eingehend untersuoht worden sind. Auch hier müssen wir uns mit dem Hinweis begnügen3). Aus dem Urin ist eine große Zahl von Steroiden isoliert worden, die offenbar in enger Beziehung zu den Rindenhormonen stehen und teilweise wohl als Stoffwechselprodukte der letzteren angesehen werden können (Derivate des Pregnans und allo-Pregnans). Wahrscheinlich leitet sich auch ein Teil der 17-Ketosteroide (vgl. S. 736) von Rindensteroiden ab (Abspaltung der C2Seitenkette). Der Stoffwechsel der Steroidhormone ist ein Gebiet, das heute intensiv bearbeitet wird. Es sind in neuerer Zeit auch verschiedene einfache Methoden zur klinischen Bestimmung gewisser Gruppen der Steroide des Urins entwickelt worden (vgl. S. 636). 6. Das Nebennierenmark D a s v o m Mark gebildete Hormon ist das Adrenalin (englisch: epinephrine). E s ist einer der Regulatoren des Zuckerstoffwechsels; über seine Wirkung wurde dort schon gesprochen. Das Gewebe des Nebennierenmarks gehört, wie wir einleitend bereits hervorgehoben haben, zum chromaffinen System. Die isolierte Entfernung des Marks bewirkt keine tiefergreifenden Störungen. Es ist aber zu bedenken, daß daneben immer noch die Paraganglion bestehen bleiben, so daß über die Lebenswichtigkeit des chromaffinen Systems als Ganzes nichts ausgesagt werden kann. D a s Adrenalin h a t die Formel eines Dihydroxyphenyl-äthanol-methylamins: CH(OH) CH2NH( CH3)

E s wurde erstmals v o n A l d r i c h und T a k a m i n e in reinem Zustand erhalten. D a s natürliche Adrenalin ist optisch aktiv (linksdrehend). Durch Verfütterung v o n markiertem D,L-Phenylalanin, das C C < f « HjC C—CH=CH—C=CH—CH=CH—C=CH—CHaOH HC

C—CH 3 ^

Vitamin A 2

Über die B i o s y n t h e s e der Carotine hat man in letzter Zeit durch Anwendung der Isotopentechnik einige Auskunft erhalten. Es scheint, daß wie bei den Sterinen die Essigsäure der wesentliche Baustein ist und daß die Synthese, wie der Aufbau der Sterine, über Mevalonsäure als Zwischenstufe führt 1 ). Als besonders geeignet für derartige Untersuchungen haben sieh gewisse P i k e erwiesen, die mit Acetat als einziger Kohlenstoffquelle auskommen ( S c h o p f e r u. Mitarb.) 2 ). Durch Verwendung von Carboxyl- und Methyl-markiertem Acetat hat man die Herkunft verschiedener C-Atome des Carotinmoleküls ermitteln können. So leiten sich die seitenständigen Methylgruppen des /?-Carotins aus dem Methyl des Acetats ab 3 ). Aus neueren Versuchen muß man schließen, daß auch hier die Mevalonsäure das Zwischenprodukt der Synthese der Isoprenkette ist, die sich nach einem ähnlichen Mechanismus vollzieht wie bei Squalen (vgl. S. 370). Die Funktion des Sehpurpurs. Die lichtempfindlichen Elemente der Retina enthalten Pigmente, welche durch das Licht photochemisch verändert werden. Am längsten bekannt ist der Farbstoff der Stäbchen, der f ü r das Sehen bei niedrigen Lichtintensitäten („Dämmerungssehen") verantwortlich ist, der S e h p u r p u r ( R h o d o p s i n ) . Er wird bei Lichteinfall durch eine photochemische Reaktion gespalten und kann in der Dunkelheit wieder regeneriert werden. Wir wissen nicht, in welchem Zusammenhang die Spaltung des Rhodopsins mit der Erregung der nervösen Endapparate steht. Das Ausbleichen der rotgefärbten Stäbchen in der Netzhaut durch das Licht wurde erstmals von B o l l (1876) beobachtet. Wenig später konnte K ü h n e zeigen, daß der rote Farbstoff mit Lösungen von gallensauren Salzen extrahiert werden kann und daß er auch in Lösung vom Licht ausgebleicht wird, wobei ein gelber Farbstoff entsteht. (Zur Extraktion können auch Saponine und überhaupt stark oberflächenaktive Stoffe verwendet werden.) Der Sehpurpur ist ein Chromoproteid. G. W a l d machte die wichtige Entdeckung, daß er bei Belichtung in ein Protein und einen lipoidlöslichen gelben Farbstoff gespalten wird 4 ). Derselbe gehört zur Gruppe der Carotinoide und steht in engster Beziehung zum Vitamin A. Der Farbstoff erhielt den Namen R e t i n i n (englisch: retinene). Es zeigte sich, daß das Retinin der Aldehyd des Vitamins At ist 6 ). Der Proteinanteil ist als O p s i n bezeichnet worden. Die dunkeladaptierte Netzhaut gibt an Petroläther keinen Farbstoff ab. Dagegen läßt sich nach Belichtung mit Petroläther oder Schwefelkohlenstoff das Retinin ausziehen. Es muß also unter der Wirkung des Lichts aus seiner Verbindung freigesetzt worden sein. Durch Chloroform wird das Rhodopsin gespalten und gibt die Farbstoffkomponente an das Lösungsmittel ab. Es scheint, daß bei der Bindung des Retinins an die Eiweißkomponente des Sehpurpurs die Sulfhydrylgruppen des letzteren eine Rolle spielen, denn man kann die Resynthese des Rhodopsins durch gewisse Sulfhydrylreagenzien (p-Chloromercuribenzoat) blockieren 6 ). !) B r a i t h w a i t e u. G o o d w i n , Biochem. J . 67, 13 P (1957). ) Internat. Zschr. Vitaminforschg. 23, 484 (1952); Exper. 10, 250 (1954): Helv. Chim. Acta 37, 1908 (1954; 38, 1313 (1955). 3 ) Literatur vgl. G o o d w i n , Ann. Rev. Biochem. 24, 497 (1955). *) W a l d , J. gen. Physiol. 18, 905 (1935); 19, 351, 781 (1935/36). 5 ) M o r t o n , Nature 153, 69 (1944); B a l l u. Mitarb., Biochem. J . 42, 516 (1948). «) Literatur vgl. W a l d , Ann. Rev. Biochem. 22, 516 (1953). 2

Die Vitamine

758

Rhodopsin (Absorptionsmaximum im sichtbaren Licht 500 m/i) findet sich in der Retina der landbewohnenden Wirbeltiere und der marinen Fische. In den Augen der Süßwasserfische findet sich an seiner Stelle ein sehr ähnlicher Farbstoff, das P o r p h y r o p s i n (Absorptionsmaximum 522 mn). Die durch Lichtspaltung aus den beiden Chromoproteiden entstehenden Farbstoffkomponenten werden als Retinin! (aus Rhodopsin) und Retinin 2 (aus Porphyropsin) unterschieden. Das erstere ist der Aldehyd des Vitamins A 1; das letztere der Aldehyd des Vitamins A2 : CÏÏ3

('Tl.,

>C< C—CH=CH—C=CH—CH=CH—C=CH—CHO II C—CH3

'I HgC

Retinin.1

H,

>
» Congrès Internat, de Biochimie, Paris 1952, S. 47. 3 ) Snell u. Mitarb., J . Am. ehem. Soc. 67, 194 (1945); 74, 979 (1952); 76, 639, 644 (1954); J . biol. Chem. 198, 353 (1952); 199, 669 (1952). 4 ) Metzler, I k a w a u. Snell, J . Am. chem. Soc. 76, 648 (1954); Braunshtein u. Shemy a k i n , Biokhimyia 18, 393 (1953). ®) Weitere Literatur siehe Fried u. Lardy, Ann. Rev. Biochem. 24, 393 (1955).

Antipellagra-Vitamin

783

10. Antipellagra-Vitamin Die Nicotinsäure ist die ß-Pyridincarbonsäure:

N Nicotinsäure

Nicotinsäureamid

Diese schon 1879 von W e i d e l synthetisierte Säure sowie ihr Amid vermögen (beim Menschen diePellagra und beimHund die unter dem Namen S c h w a r z z u n g e „black-töngue") bekannte schwere Erkrankung zu heilen. Wie wir bereits dargelegt haben, wurde anfänglich die Pellagra mit der oben beschriebenen Adermin- (Be-) Avitaminose der Ratte verwechselt. Die „black-tongue", die sich beim Hund durch eine aus Weizenmehlbiskuits, Erbsen und Baumwollsamenöl bestehende Diät erzeugen läßt, ist der menschlichen Pellagra äquivalent. Die wesentlichen Symptome sind Nekrosen und Gangraen der Zunge und der Mundschleimhaut (daher der Name) und blutige Durchfälle. Die „black-tongue" hat bei der Erforschung der Pellagra eine große Rolle gespielt. Erst 1937 konnten verschiedene amerikanische Forscher ( E l v e h j e m u. a.) aus Leberextrakten, welche auf die „black-tongue" des Hundes heilend wirkten, Nicotinsäureamid isolieren und dessen günstige Wirkung auf die Pellagra des Menschen feststellen. Das hervorstechendste Symptom der voll ausgebildeten Pellagra bilden die entzündlichen Hautveränderungen, die sich hauptsächlich an den dem Licht ausgesetzten Hautpartien (Nasenrücken, Wangen, Nacken, Hände, nackte Füße) zeigen; von ihnen rührt auch der Name der Krankheit her (pelle agra). Dazu kommen Darmstörungen (Diarrhoen) und vielfach als frühes Symptom psychische Störungen (Depressionen), im späteren Verlauf Desorientierung, Verwirrtheit und auch manische Zustände. (Die Pellagra wird hie und da als die „Krankheit der drei D" bezeichnet: Dermatitis, Diarrhoe, Depressionen.) Im Rückenmark findet man Degeneration der Seiten- und Hinterstränge. Die Krankheit endet mit allgemeinem Verfall. In nicht zu weit fortgeschrittenen Stadien kann durch geeignete Ernährung oder Zufuhr von Nicotinsäure eine rasche Besserung herbeigeführt werden. Spätfälle reagieren nicht mehr, wohl infolge irreversibler Schädigung der Gewebe, besonders des Zentralnervensystems. Das klinische Bild kann übrigens stark wechseln, da einzelne Symptome fehlen können (pellagra sine pellagra!). Pellagra ist überall dort aufgetreten, wo bei schlechter allgemeiner Ernährung (keine Milch» kein frisches Fleisch) der Mais die Grundlage der Nahrung bildete. Sie folgte in den europäischen Ländern im allgemeinen der Einführung des aus Amerika stammenden Maises als Hauptnahrung der ärmeren Bevölkerungsschichten: zuerst in Spanien, dann in Italien, später in JYankreich. Von Europa gelangte die Maispflanze nach Ägypten, und überall zeigte sich, wo ihre Körner zur Hauptnahrung wurden, auch die Pellagra. Merkwürdig ist das gelegentliche epidemieartige Auftreten, das früher an eine Infektion als Ursache denken ließ. Um einen Begriff von der Bedeutung dieser Krankheit zu geben, sei erwähnt, daß bei der großen „Epidemie" in den Südstaaten der USA. 1917 etwa 170000 Fälle gezählt wurden mit einer sehr hohen Sterblichkeitsziffer.

Die Infektionstheorie konnte bald widerlegt werden. Man dachte zunächst an eine Intoxikation durch einen im Maiskorn vorhandenen Stoff (Lombroso). Wir kommen auf die Frage der Toxizität des Maises weiter unten zurück. Da die Proteine des Maiskorns minderwertig sind und in den pellagraerzeugenden Kostformen nicht

784

Die Vitamine

in genügender Weise durch hochwertiges Eiweiß ergänzt werden, schien auch eine mangelnde Versorgung mit essentiellen Aminosäuren als Ursache in Frage zu kommen. G o l d b e r g e r zeigte dann, daß die Krankheit durch Zulage von Milch und frischem Fleisch geheilt werden kann. Weitere Untersuchungen lehrten aber, daß nicht das tierische Eiweiß als solches für den Heileffekt verantwortlich zu machen ist. Gereinigtes Casein hatte wohl einigen Einfluß auf die Dermatitis, nicht aber auf die übrigen Erscheinungen. Wegweisend war die Beobachtung, daß die „black-tongue" des Hundes durch Hefe geheilt werden konnte. Versuche am Menschen zeigten, daß Hefe und Hefeextrakte in so kleinen Mengen wirksam sind, daß ihr Eiweißgehalt keine Rolle spielen kann. Dies führte zur Annahme eines besonderen „pellagra preventive factor" in den Nahrungsmitteln, welche Pellagra zu verhindern und zu heilen vermögen. Wir haben schon angedeutet, auf welche Weise dieser Faktor schließlich von den übrigen Vitaminen der B-Gruppe abgetrennt wurde. Die klassische Pellagra ist aber keine reine Nicotinsäureavitaminose. Sicher spielt bei ihrer Entstehung nicht nur der Nicotinsäuremangel, sondern auch eine zu geringe Zufuhr anderer Faktoren der B-Gruppe eine Rolle, so vor allem des Lactoflavins. In der Regel sind die Nahrungsmittel, die das Auftreten der Pellagra verhindern, auch reich an Lactoflavin. Faßt man die Pellagra als Nicotinsäureavitaminose auf (Aniacinose), so gibt es keine reine Pellagra; legt man der Definition der Krankheit das geschilderte klinische Bild zugrunde, so ist sie keine reine Aniacinose ( S h e r m a n ) . Man ist neuerdings auch wieder auf die Frage zurückgekommen, warum die Ernährung mit Mais ganz offensichtlich die Entstehung der Pellagra begünstigt. Wie wir im Kapitel über den Aminosäurestoffwechsel dargelegt haben, kann die Nicotinsäure, wenn auch in beschränktem Umfange, im Körper der höheren Tiere aus dem Tryptophan gebildet werden. Sie ist daher als Nahrungsfaktor bei verschiedenen Tierarten entbehrlich, wenn nur mit den Proteinen genügend Tryptophan zugeführt wird. Der Weg, auf dem die Umwandlung des Tryptophans in Nicotinsäure erfolgt, ist S. 399 dargestellt. Der Nicotinsäurebedarf ist von der Art der Nahrungsproteine abhängig; er ist um so geringer, je größer ihr Tryptophangehalt ist. Wenn z. B. junge Schweine mit einer Nahrung gefüttert werden, die niacinfrei ist, aber 26% Casein enthält, so zeigen sich keinerlei Symptome des Niacinmangels; diese treten aber sofort auf, wenn der Caseingehalt der Nahrung auf 10% herabgesetzt wird ( W i n t r o b e ) . Hierin liegt ein weiterer Mangel der Maisnahrung. Das Zein, der wesentliche Eiweißkörper des Maiskorns, enthält kein Tryptophan. Milch und Fleisch, welche bei Pellagra ausgezeichnete Heilwirkung zeigen, sind gute Quellen für das Tryptophan. Die ungünstige Wirkung des Maises auf die Entstehung der Pellagra beruht zum Teil sicher auf dem fast völligen Fehlen dieser essentiellen Aminosäure. Es sind aber in neuerer Zeit noch andere Tatsachen bekanntgeworden, die geeignet sind, den alten Beobachtungen über „toxische" Wirkung des Maises eine Deutung zu geben. Der Mais ist gar nicht besonders arm an Nicotinsäure. Vergleichende Untersuchungen haben gezeigt, daß dort, wo der Reis die Hauptnahrung darstellt, keine Pellagra auftritt, obwohl die Niacinaufnahme geringer ist als bei der pellagraerzeugenden Maisnahrung. Die wesentliche Ursache für die ungünstige Wirkung des Maises scheint darin zu liegen, daß er den Nicotinsäurebedarf des Organismus steigert (Krehl) 1 ). Vgl. K r e h l , Vitamins and Hormones 7, 111 (1949).

Das Antipellagra-Vitamin

785

Dies läßt sich in besonders schöner Weise bei der jungen Ratte zeigen. Die Ratte bedarf normalerweise überhaupt keiner äußeren Zufuhr von Nicotinsäure, weil sie dieselbe aus dem Tryptophan selbst bilden kann. Durch eine Zulage von Maisschrot zum Grundfutter wird das Wachstum stark gehemmt; durch Nicotinsäure oder Tryptophan kann die normale Gewichtszunahme wiederhergestellt werden. Es ist nicht bekannt, warum der Organismus mehr Niacin braucht, wenn ein Teil der Nahrung (bei gleichbleibendem Eiweißgehalt) aus Mais besteht. Möglicherweise spielt ein ungünstiges Verhältnis einzelner Aminosäuren dabei eine Rolle.

Die Pellagra ist keine einfache Avitaminose, die durch das Fehlen eines einzelnen Vitamins bedingt ist. Die Analyse ihrer Ursachen zeigt in eindrücklicher Weise, daß der Bedarf des Organismus an essentiellen Nahrungsfaktoren keine absolute Größe ist, sondern weitgehend von der Zusammensetzung der Nahrung abhängen kann. Die Nicotinsäure und ihr Amid werden zu den Vitaminen gezählt. Sie nehmen aber eine besondere Stellung ein, weil die höheren Tiere diese Verbindungen durch Abbau des Tryptophans selbst bilden können. Einzelne Tierarten wie die Ratte scheinen auf diesem Weg ihren Bedarf völlig decken zu können. Die Situation ist ähnlich wie beim Cholin, dessen Wirkung als lipotrope Substanz im Kapitel über den Fettstoffwechsel besprochen wurde. Cholin kann vom höheren Tier synthetisiert werden; auch hier ist für die Synthese eine essentielle Aminosäure., das Methionin, nötig, und es können Umstände eintreten, bei denen zur Deckung des Bedarfs eine zusätzliche Zufuhr von außen nötig wird. Auch das Cholin hat also vitaminähnlichen Charakter, obwohl es in der Regel nicht als Vitamin bezeichnet wird. Es bahnt sich hier eine gewisse Umwandlung des Vitaminbegriffs an. Währenddem das Hauptgewicht ursprünglich auf den Umstand gelegt wurde, daß die Vitamine unentbehrliche Nahrungsfaktoren sind, wird heute mehr und mehr die Tatsache in den Vordergrund gestellt, daß die Vitamine Verbindungen sind, die im Zellstoffwechsel ganz spezifische Funktionen ausüben, in erster Linie als Bestandteile von Fermentsystemen. Es werden daher auch Verbindungen wie die Nicotinsäure oder das Cholin den Faktoren der B-Gruppe zugezählt, obwohl sie nur unter besonderen Umständen als unentbehrliche Nahrungsfaktoren in Erscheinung treten. Die Mikrobiologie hat, ausgehend von den Erfahrungen über die Abhängigkeit der Bakterienentwicklung von gewissen Wuchsstoffen, den Begriff des „essentiellen Metaboliten" geprägt. Darunter sind spezifisch wirkende organische Stoffe zu verstehen, welche in die grundlegenden Stoffwechselvorgänge der Zelle eingreifen und für deren Ablauf unentbehrlich sind. (Wir übergehen die bedeutenden Schwierigkeiten, die sich der exakten Fassung dieses Begriffes entgegenstellen.) Ein essentieller Metabolit wird für einen Organismus nur dann zum essentiellen Nahrungsfaktor, wenn dieser Organismus ihn nicht selbst aus dem in der Nahrung vorhandenen Material aufbauen kann. Der Vitamincharakter einer Substanz erscheint bei dieser Betrachtungsweise als etwas Zufälliges; wesentlich ist, daß die Substanz zum Aufbau oder zum Stoffwechsel der Zellen eine spezifische Struktur beiträgt. In diesem Sinne sind alle Faktoren der Vitamin BGruppe, einschließlich der Nicotinsäure und des Cholins, als essentielle Metaboliten anzusehen.

Die Unentbehrlichkeit der Nicotinsäure im Stoffwechsel erklärt sich daraus, daß sie in Form ihres Amids Bestandteil der wasserstoffübertragenden Cofermente (Pyridinnucleotide) ist, deren Funktion ausführlich besprochen wurde (vgl. S. 239 u. ff.). Da die Nicotinsäure ebenso wirksam ist wie das Amid, muß das letztere im Stoffwechsel leicht aus der Säure gebildet werden können. Ein Teil der Nicotinsäure, welcher dem Abbau entgeht, wird nach D. A c k e r m a n n gepaart mit Glycocoll als N i c o t i n u r s ä u r e im Harn ausgeschieden. Beim Hühnchen scheint ein Dinicotinylornithin zu entstehen (vgl. Hippursäure und Ornithursäure). A c k e r m a n n konnte schon vor längerer Zeit die Bildung von M e t h y l p y r i d i n c a r b o n s ä u r e im Tierkörper nachweisen und neuerdings zeigen, daß die Umwandlung zur methylierten Säure in der Leber stattfindet. Die Methylpyridincarbonsäure ist identisch mit dem T r i g o n e l l i n , einem Stoff, der im Bockshornsamen (Trigonella foenum graecum) vorkommt und das Methylbetain der Nicotinsäure ist. Trigonellin 50

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

Die Vitamine

786

scheint beim" Hund das wesentliche Endprodukt des Nicotinsäurestoffwechsels zu sein. Beim Menschen und anderen Tierarten scheint dagegen die Nicotinsäure hauptsächlich als N - M e t h y l n i c o t i n s ä u r e a m i d ausgeschieden zu werden. Als weiteres Ausscheidungsprodukt hat man nach Verabreichung größerer Mengen Nicotinsäure im menschlichen Urin ein Oxydationsprodukt des N-Methylnicotinsäureamids gefunden. Die Oxydation erfolgt wahrscheinlich durch ein Ferment der Leber, welches die Fähigkeit hat, in stickstoffhaltigen Heterocyklen das dem Stickstoff benachbarte C-Atom zu einer Carbonylgruppe zu oxydieren (Knox). A r ?

0

coo-

!ONH,

NHCH2COOH

Nicotinursäure

r^Y-CONHo u

Trigonellin

N-Methylnicotinsäureamid

N

C!HS N-Methyl-6-pyridon3-earbonsäureamid

Unter den Nahrungsmitteln ist Fleisch eine der besten Quellen der Nicotinsäure (6—20 mg/100 g); noch etwas reicher sind Leber und Niere. Auch Fisch enthält Niacin in reichlicher Menge. In den Pflanzen ist der Stoff weit verbreitet, findet sich aber nirgends in besonders hoher Konzentration. Im Getreidekorn sind der Keimling und die Kleie am reichsten an Nicotinsäure. Dementsprechend enthält dunkles Brot mehr Niacin als weißes. Früchte sind daran ziemlich arm. Milch enthält etwa 1—5 mg/1. 11. Biotin (Vitamin H) Das Biotin ist ein Bestandteil des „Bios", des schon mehrfach erwähnten komplexen Wachstumsfaktors der Hefe. Der Stoff wurde 1936 von K ö g l und T ö n n i s aus Eigelb isoliert. Einen zweiten in seinen chemischen Eigenschaften etwas verschiedenen Stoff gewannen d u V i g n e a u d , G y ö r g y und Mitarb. 1940 aus der Leber. Die beiden Substanzen werden als a-Biotin (Eigelb) und /3-Biotin (Leber) unterschieden. Biotin ist Wuchsstoff für zahlreiche Hefen, Pilze und Bakterien. Daß Biotin auch für das höhere Tier Bedeutimg hat, wurde auf einem merkwürdigen Umweg entdeckt. Bei der Ratte treten nach Verfütterimg größerer Mengen von rohem Hühnereiweiß Intoxikationserscheinungen auf, die sich in einer ekzemartigen Dermatitis, Lähmung der Hinterbeine, Haarausfall rund um die Augen (sog. „Brille") äußern. Gekochtes Hühnereiweiß bringt diese Störungen nicht hervor. Es zeigte sich, daß in Leber, Eigelb, Hefe usw. ein Stoff vorhanden ist, der die toxische Wirkung des rohen Hühnereiweißes verhindert („Schutzfaktor X " nach B o a s - F i x s e n , Vitamin H nach P. G y ö r g y ) . Dieser Faktor konnte später mit dem Biotin identifiziert werden (György). Im Hühnereiweiß kommt ein Protein vor, das A v i d i n , welches mit dem Biotin eine feste inaktive Verbindung bildet (siehe unten). Für das Hühnchen ist Biotin ebenfalls unentbehrlich. Bei Ernährung mit einem biotinfreien Futter oder Verfütterung von Hühnereiweiß entwickelt sich auch hier eine Dermatitis, die durch Biotin heilbar ist. Durch Ernähnmgsversuche an Freiwilligen konnte die Bedeutung des Biotins auch für den Menschen nachgewiesen werden (Symptome: zuerst Schuppung der Haut, nach etwa 7—8 Wochen graue Verfärbimg, Dermatitis, später allgemeine

Biotin (Vitamin H) Symptome wie Appetitlosigkeit, Müdigkeit, elektrokardiographische Veränderungen). Die Biotine sind Säuren, welche Stickstoff kristallisierende Methylester. Abbaureaktionen des ß-Biotins, welche durch Synthese bestätigt Mitarb.; K ö g l und Mitarb.):

787

Muskelschmerzen,

Hyperästhesie,

und Schwefel enthalten. Sie bilden führten auf die folgende Struktur werden konnte (du V i g n e a u d und O

HN

L

Hi

\

NH

HN

-AH

»L HJ

¿H(CHa)1COOH

H,

j8-Biotin

NH i

!

I /COOH CHCH< X CH(CH 3 ) 2

«-Biotin

Dem a-Biotin kommt sehr wahrscheinlich die oben angegebene Struktur zu. Durch Behandeln des Biotins mit Raney-Nickel wird das Schwefelatom entfernt; es entsteht das sog. Desthiobiotin. Die Substanz ist auch durch Synthese erhalten worden. Desthiobiotin hat bei Hefe Wachstumswirkung, nicht aber bei Lactobacillus helveticus. In Hefekulturen verschwindet es und wird in einen Faktor verwandelt, der das Wachstum des Lactobacillua fördert. Man muß also annehmen, daß die Hefe Desthiobiotin in Biotin verwandeln kann. Im Oxybiotin ist der Schwefel durch Sauerstoff ersetzt. 0 A

O HN I HCH2C

NH I -CH CH(CH2)4COOH

^sof Biotinsulfon

0

HN

NH

HN

HC

¿H

H^——¿H

CH2(CH2)4COOH

Hai)

CH3

NH CH,2(CH2)4COOH

N / Desthiobiotin

Oxybiotin

Aus der Hefe ist ein Peptid des Biotins, das Biocytin, isoliert worden. Es ist das e-NBiotinyl-L-Lysin1). Über seine Funktionen ist nichts bekannt. Ein großer Teil des Biotins ist in den Zellen nicht in freier Form vorhanden, sondern an das Eiweiß gebunden. Es kann aus dieser Verbindung durch proteolytische Fermente oder durch Säurehydrolyse freigesetzt werden. Verschiedene Pilze vermögen Biotin aus Pimelinsäure COOH(CH2)6COOH zu synthetisieren, wobei wahrscheinlich das Desthiobiotin als Zwischenstufe auftritt 2 ). Aus Kulturen von Aspergillus niger wurde auch das Biotin-l-Sulfoxyd isoliert, das bei verschiedenen Pilzen als Wachstumsfaktor wirkt3). Avidin. Wie oben bereits erwähnt wurde, kommt die Biotinavitaminose bei Verfütterung von rohem Hühnereiweiß dadurch zustande, daß ein im Eiklar enthaltenes Protein das Biotin bindet. Dieses Protein ist isoliert und in reinem Zustand dargestellt worden. Es erhielt den Namen Avidin. Es handelt sich um ein basisches Protein (isoelektrischer Punkt pH 10) mit hohem Kohlenhydratgehalt4). ») 2) 3) 4) 60»

Science 114, 635 (1951); J. Am. ehem. Soc. 74, 2002 (1952). J. biol. Chem. 160, 455 (1945). J. Am. chem. Soc. 76, 4156 (1954). Fraenkel-Conrat u. Mitarb., Arch. Biochem. Biophys. 89, 80, (1952).

Die Vitamine

788

Die Bindung zwischen Biotin und Avidin ist sehr fest. Der Komplex ist biologisch unwirksam. Durch Verdauung mit Pepsin oder Trypsin wird das Vitamin nicht in Freiheit gesetzt, sondern erst beim Autoklavieren. Durch Kochen wird Avidin inaktiviert, d. h. es verliert die Fähigkeit, Biotin zu binden. Auch im Eigelb findet sich Biotin in Form eines hochmolekularen, nicht dialysierbaren Komplexes, der aber biologisch aktiv ist. Das Avidin des Eiklars ist gegenüber dem Biotin des Eigelbs im Überschuß vorhanden. Das letztere kann daher bei Genuß des rohen Eies nicht ausgenutzt werden. Avidin findet sich auch im Ovidukt der Vögel, nicht nur im Ei. Beim nicht geschlechtsreifen Hühnchen kann seine Bildung durch sukzessive Behandlung mit Östron und Progesteron hervorgerufen werden. Worin die physiologische Bedeutung des Avidins besteht, ist unbekannt. Biotin ist sehr weit verbreitet. Besonders reiche Quellen sind Eigelb, Leber und Hefe. Der Bedarf der Tiere ist schwer abzuschätzen, weil die Mikroorganismen des Darms Biotin synthetisieren können. Für die R a t t e wird ein täglicher Bedarf v o n etwa 1 y angegeben; bei biotinfrei ernährten Menschen gingen die Mangelsymptome nach Injektion v o n 75—300 y pro Tag rasch zurück. E s sind Strukturanaloge des Biotins synthetisiert worden, welche auf das Wachst u m v o n biotinbedürftigen Mikroorganismen hemmend wirken; so z. B. das Sulfon des Biotins, welches zwar für Hefe ein Wachstumsfaktor ist, aber das Wachstum v o n Lactobacillus helveticus, L. arabinosus und Staphylococcus aureus bei einem Überschuß v o n etwa 30 Mol des Sulfons pro Mol Biotin h e m m t (vgl. S. 801). Es ist noch nicht bekannt, in welcher Weise das Biotin in den Stoffwechsel eingreift. Wir kennen aber eine ganze Reihe biochemischer Reaktionen, die bei Biotinmangel verlangsamt sind, von denen man also annehmen kann, daß sie direkt oder indirekt vom Biotin abhängen. Hier sind in erster Linie verschiedene reversible C a r b o x y l i e r u n g s r e a k t i o n e n zu nennen. Zu den am längsten bekannten Beispielen gehört die Bildung der Asparaginsäure aus Pyruvat (über Oxalacetat). Verschiedene Mikroorganismen (Hefen, Milchsäurebazillen) nehmen kein C!(i4)-Bicarbonat in die Asparaginsäure auf, wenn Biotin im Kulturmilieu fehlt; andererseits kann die Asparaginsäure das Biotin als Wachstumsfaktor ersetzen1). Bei Biotinmangel sind die Aktivitäten des „malic enzyme" (S. 276) und der Oxalacetatdecarboxylase von U t t e r und K u r a h a s h i in der Leber herabgesetzt 2 ). Es konnte ferner gezeigt werden, daß auch der Abbau der Isovaleriansäure zur Acetessigsäure eingeschränkt ist. Wir haben diese Reaktion früher besprochen und erinnern hier daran, daß sie mit einer intermediären Anlagerung von C0 2 verknüpft ist. Es scheint, daß nicht die Bildung der aktivierten Kohlensäure durch das H-Enzym (vgl. S. 390), sondern eher deren Übertragung auf das /S-Hydroxyisovaleryl-CoA die biotinabhängige Teilreaktion ist 3 ). Die Oxydation der Propionsäure verläuft ebenfalls über eine Carboxylierung (Bildung von Succinat über Methylmalonsäure, vgl. S. 360), und auch hier hat sich die Abhängigkeit vom Biotin nachweisen lassen: in Extrakten aus Lebermitochondrien von Biotin-Mangeltieren wird im Succinat sehr viel weniger CU4) fixiert als bei normalen Tieren4). Eine weitere biotinabhängige Reaktion ist die C i t r u l l i n s y n t h e s e aus Ornithin in der Leber 5 ) oder in Bakterienextrakten (Streptococcus lactis) 6 ). Im letzteren Fall konnte gezeigt werden, daß sehr wahrscheinlich die Ü b e r t r a g u n g der Carbamylgruppe auf das Ornithin, nicht die Synthese des Carbamylphosphats die Reaktion ist, welche bei Biotinmangel nicht mehr vor sich gehen kann (Mechanismus der Reaktion vgl. S. 435). Welche Reaktionsstufe in der Leber dem Einfluß des Biotins untersteht, ist noch nicht klar. x

) Übersicht vgl. L a r d y u. P e a n a s k y , Physiol. Rev. 38, 560 (1953). ) O c h o a u. Mitarb., J . biol. Chem. 174, 979 (1948); B e t t e x , Helv. physiol. Acta 15, C 54 (1957). 3 ) P l a u t u. L a r d y , J . biol. Chem. 192, 435 (1951); Coon, J . biol. Chem. 187, 71 (1950); Fischer, Proc. Soc. Exptl. Biol. Med. 88, 227 (1955); B a c h h a v a t u . Coon, J. Am. chem. Soc. 79, 1505 (1957). 4 ) L a r d y u. Mitarb., Physiol. Rev. 33, 564 (1953); J. biol. Chem. 219, 933 (1956). 5 ) M c L e o d u. Mitarb., J . biol. Chem. 180, 1003 (1949); F e l d o t t u. L a r d y , J . biol. Chem. 192, 447 (1951). 6 ) E s t e s u. Mitarb., J . Am. chem. Soc. 78, 6410 (1956). 2

meso-Inosit (i-Inosit)

789

Wir erinnern hier ferner an das kürzlich beschriebene Fermentsystem aus Vogelleber, welches bei Gegenwart von Bicarbonat, und nur dann, aus aktivierter Essigsäure höhere Fettsäuren synthetisiert. Intermediär scheint Malonyl-CoA aufzutreten; es handelt sich also auch hier um eine Carboxylierungsreaktion (vgl. S. 360). Die Aktivität des Enzymsystems wird durch Avidin gehemmt und durch Biotin wieder hergestellt 1 ). Bei den meisten biotinabhängigen Reaktionen läßt sich sonst ein Einfluß des Vitamins in vitro nicht feststellen. Im Zusammenhang mit den genannten Reaktionen ist auch die Beobachtung von Interesse, daß bei der biotinfrei ernährten Ratte weniger C(l 4 )0 2 in das Adenin und Guanin eingebaut wird als beim normalen Tier 2 ). Vermutlich handelt es sich um das C-Atom in Stellung 6 des Puringerüsts, das sich aus der Kohlensäure ableitet (S. 471). Eine weitere Reaktion, bei der möglicherweise das Biotin eine Rolle spielt, ist die bakterielle Desaminierung der Asparaginsäure zur Fumarsäure (Aspartase) und des Serins zum Pyruvat, die wir im Kapitel über Aminosäurenstoffwechsel besprochen haben. Aus der Tatsache, daß ungesättigte C 18 -Fettsäuren den Biotinbedarf von Milchsäurebakterien herabsetzen, hat man früher auch auf eine Beteiligung des Biotins an der Fettsäuresynthese geschlossen. Nach neueren Arbeiten muß aber die Wirkung der Fettsäuren eher dadurch erklärt werden, daß sie die Aufnahme des Biotins durch die Organismen begünstigen. Die Frage, ob das Biotin (oder ein Derivat desselben) bei einer der genannten Reaktionen als Coferment wirkt, läßt sich heute noch nicht beantworten. Man hat zwar in einzelnen Fermentpräparaten (z. B. in der Oxalacetatdecarboxylase) Biotin nachgewiesen. Da diese Untersuchungen aber nicht an völlig reinen Enzymen durchgeführt wurden und da das Biotin leicht an Eiweiß gebunden wird, kann es sich auch um eine Verunreinigung handeln, und man darf aus diesen Beobachtungen nicht schließen, daß der Biotingehalt der Präparate unmittelbar in Beziehung zur Fermentaktivität steht. Das Biotin ist ein hochaktiver Stoff; er wirkt im Wachstumsversuch bei Bakterien schon in Mengen von my (10 -9 g). Seine Konzentration in den Geweben ist um mehrere Größenordnungen geringer als diejenige der meisten übrigen B-Vitamine (Ausnahme: B12). Würde Biotin bei den genannten Reaktionen als Coferment wirken, so müßten die entsprechenden Enzyme entweder ein ungewöhnlich hohes Molekulargewicht oder dann eine sehr hohe Wechselzahl besitzen. Man neigt daher heute eher zur Annahme, daß das Vitamin indirekt wirkt, indem es z. B. als Coenzym bei der Bildung der Fermentproteine oder anderer Faktoren funktioniert, welche an den oben angeführten Reaktionen beteiligt sind. Wir wissen auch nicht, welches die aktive Form des Biotins ist. Es ist wenig wahrscheinlich, daß das freie Biotin als solches wirksam ist. Man hat aus Organen durch chromatographische Methoden Fraktionen abgetrennt, die Biotin gebunden enthalten und biologisch wirksam sind; doch ist über ihre chemische Natur nichts bekannt. 12. meso-Inosit (i-Inosit) meso-Inosit ist wie Biotin ein Bestandteil des Bios. Die Substanz ist bei Pflanzen und Tieren weit verbreitet u n d ist Wachstumsfaktor für eine ganze Reihe v o n Pilzen (Ascomyceten und Basidiomyceten). Ausfallssymptome beim Tier (Ratte, Maus) sind Haarausfall (Alopecie) und Gewichtsabnahme, also wenig spezifische Erscheinungen. Bei Vögeln (Truthenne) wurde bei Inositmangel das Auftreten einer Anämie beobachtet. Bei anderen Tierarten sind noch weitere meist wenig spezifische Ausfallssymptome beschrieben worden. Das Vorkommen großer Inositmengen in den tierischen Organen (Ratte: Muskel 21 mg/100 g; Niere 123 mg/100 g) deutet darauf hin, daß der tierische Organismus einen wesentlichen Teil seines Bedarfs durch Synthese (möglicherweise aus Hexosen) decken kann, wobei natürlich v o n Art zu Art Unterschiede bestehen können. Auf die Bedeutung des Inosits als lipotroper Paktor haben wir bei Besprechung des F e t t stoffwechsels hingewiesen. x

) W a k i l u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 29, 225 (1958). ) M c L e o d u. L a r d y , J . biol. Chem. 179, 733 (1949).

2

Die Vitamine

790

Der Inosit ist ein Hexahydroxycyklohexan. Theoretisch sind 9 verschiedene geometrische (eis -trans) Isomere möglich, je nach der Lage der Hydroxylgruppen zur Ringebene. Der Inosit ist optisch inaktiv. Das Molekül muß also symmetrisch gebaut sein. Es kommt ihm die folgende Konfiguration zu: CH-OH HO-HC HO-H(

CH-OH

I

CH-OH Hexahydroxycykloliexan

meso-Inosit

Die Wirkung hängt in spezifischer Weise von der Konfiguration ab. Wesentlich scheint das Vorhandensein dreier benachbarter Hydroxyle in eis-Stellung zu sein. Einzelne Isomere des Inosits, welche diese Bedingung erfüllen, sind schwach aktiv. Auch gewisse vom Inosit sich ableitende Ketone (Inososen) sind einzelnen Organismen gegenüber aktiv. Möglicherweise werden sie zu Inosit reduziert (Schopfer und Posternak). Der Inosit ist auch Bestandteil gewisser Phosphatide (vgl. S. 48). Im übrigen ist über seine biochemischen Funktionen nichts bekannt, weder bei den Mikroorganismen noch bei den Tieren. Im allgemeinen scheint er bei den Pilzen synergistisch mit anderen B-Faktoren (Biotin, Aneurin) zu wirken. Unter gewissen Bedingungen hemmt er aber das Wachstum (Schopfer). Die gegenwärtigen Kenntnisse gestatten noch keinen Einblick in seine Wirkungsweise1). 13. Pantothensäure Beim Hühnchen läßt sich eine Dermatitis erzeugen, welche durch das Vitamin B 6 n i c h t geheilt werden kann, also auf dem Fehlen eines anderen Faktors beruht („chick antidermatitis factor"). Dieser Faktor findet sich zusammen mit B e in Hefe und Leberextrakten (Elvehjem). Da er bei Behandlung der Extrakte mit Fullererde nicht adsorbiert wird und daher ins Filtrat übergeht, wurde er als „Filtratfaktor" bezeichnet, im Gegensatz zum „Eluatfaktor" ( = Vitamin B6), der vom Adsorptionsmittel festgehalten wird und daraus wieder eluiert werden kann (Lepkowsky und Jukes). Der gleiche Faktor stimuliert auch das Wachstum der Ratte. Aus der gereinigten Substanz konnte durch alkalische Hydrolyse ß-Alanin gewonnen werden. Das zweite Spaltstück war eine Säure, die mit dem /?-Alanin wieder zur wirksamen Substanz vereinigt werden konnte (Woolley). Schon früher hatte W i l l i a m s in vielen tierischen und pflanzlichen Geweben eine Säure nachgewiesen, welche einen Bestandteil des komplexen Wuchsstoffs der Hefe, das „Bios", bildete, und hatte sie wegen ihrer großen Verbreitung Pantothensäure genannt. Er isolierte die aktive Substanz aus Schafleber. Sie zeigte in ihren chemischen Eigenschaften Ähnlichkeit mit dem „chick antidermatitis factor", und die biologische Prüfung ergab, daß die Säure im Hühnchentest aktiv ist (Jukes). Bei alkalischer Hydrolyse lieferte sie ebenfalls /?-Alanin, und alle weiteren Untersuchungen bestätigten die Identität der beiden Faktoren. !) Vgl. Schopf er, Bull. Soc. Chim. Biol. 33, 1113 (1951).

Pantothensäure

791

Das saure Spaltstück der Pantothensäure erwies sich als a,y-Dihydroxy-/?,/3dimethylbuttersäure. Sie ist peptidartig an das Alanin gebunden, so daß dem Körper die folgende Konstitution zukommt: CH. I HOOC—CH2—CH2—NH—CO—CH—C—CHa—OH OH ¿H a ß-Alanin

a.y-Dihydroxy-j?,/?dimethylbuttersäure

Die B i o s y n t h e s e dieser Säure geht anscheinend von der a-Ketoisovaleriansäure aus, die ihrerseits durch oxydative Desaminierung aus dem Valin gebildet werden kann. In Colibazillen ist ein aldolaseähnliches Enzym nachgewiesen worden, welches die a-Ketoisovaleriansäure mit Formaldehyd zur a-Keto-y-hydroxy-/S,j8-dimethylbuttersäure kondensiert, aus der offenbar die Dihydroxysäure durch Reduktion leicht hervorgehen kann 1 ).

Bei Ratten, die mit synthetischem Futter ernährt werden, ist eine eigentümliche Mangelkrankheit bekannt, die sich durch Wachstumshemmung und Graufärbung des Haarkleides (Achromotrichie) kennzeichnet. Verfüttert man nun Leberextrakte oder Pantothensäure, so gehen diese Erscheinungen zurück. Auch bei Füchsen konnte Achromotrichie durch einen „Filtratfaktor" (Vitamin B x , ,,Anti-Grauhaarfaktor'') geheilt werden (Lund). Es scheint aber, daß neben der Pantothensäure noch andere Faktoren der B-Gruppe (Biotin, p-Aminobenzoesäure, Folsäure, Inosit) diese Mangelerscheinimg zu heilen vermögen, so daß es sich wahrscheinlich nicht um einen spezifischen Effekt der Pantothensäure handelt. Bei verschiedenen Mikroorganismen kann die Pantothensäure durch ß - A l a n i n ersetzt werden (verschiedene Hefen, Diphtheriebazillus). Der tägliche Bedarf des Menschen an Pantothensäure wird auf 10—50 mg geschätzt. Die große Bedeutung der Pantothensäure als Bestandteil des C o e n z y m s A wurde in früheren Kapiteln eingehend besprochen. Eine Reihe von Untersuchungen sowohl an Bakterien als auch an tierischen Geweben hat gezeigt, daß bei ihrem Fehlen die Oxydation des Pyruvats verlangsamt ist. Den Schlüssel zur Aufklärung der Funktion der Pantothensäure haben Versuche über die Acetylierung geliefert. In der Leber kommt ein Fermentsystem vor, welches Amine mittels Essigsäure zu acetylieren vermag, wenn gleichzeitig Adenosintriphosphat vorhanden ist: CH3COOH + H2NR

ATF

> CHjCONHR

Ebenso findet sich im Gehirn ein Fermentsystem, welches unter ähnlichen Bedingungen das Acetylcholin synthetisiert: CHjCOOH + HOCH2CH2N(CH3)3

ATP

> CHsC0-0-CH2CH2N(CH3)3.

Beide Fermentsysteme bedürfen eines thermostabilen Coferments. Dasselbe konnte in konzentrierter Form dargestellt werden, und es hat sich gezeigt, daß es Pantothensäure enthält (Lipmann). *) M c l n t o s h u. Mitarb., J . biol. Chem. 228, 499 (1957).

Die Vitamine

792

Das Coenzym ist weit verbreitet; es konnte sowohl bei Mikroorganismen wie auch in den Geweben der höheren Tiere nachgewiesen werden und ist offenbar ein Bestandteil aller Zellen. Wahrscheinlich ist der größte Teil der Pantothensäure in den Zellen in Form des Coenzyms A enthalten. (Bei Lactobacillu,s arabinosus z. B. entfallen 90% der gesamten Säure auf das Coferment.) Formel unten. Der enzymatische Abbau und die Synthese des Coenzyms A wurden schon früher besprochen (S. 475) 1 ). Durch Behandlung mit Darmphosphatase wird eine Verbindung abgespalten, welche schon früher als Wuchsstoff f ü r Lactobacillus bulgaricus bekannt war, das P a n t e t h e i n (oder B u l g a r i c u s - F a k t o r ) 2 ) : CH3

I

HO—CHü—C—CH(OH)—CO—NH—CH2—CH2—CO—NH—CH2—CH2—SH qjj3

Cysteamin

Die Struktur des Pantetheins ist durch Synthese bewiesen 3 ). Die Verbindung geht leicht in ihr Disulfid, das P a n t e t h i n , über. CH, H2C—C—CH(OH)—CO—NH—CH2—CH2—CO—NH—CH2—CH2—SH 0

CH3

HO—P=0

Coenzym A

A HO—P=0 0

iN

^N-

1 H H H H H 2 C—C—C—C—C—\N—

Ö ÖH O 1 p'o 3 h 2

N

Man verdankt L y n e n die wichtige Entdeckung, daß die reaktionsfähige Form der Essigsäure (die aktivierte Essigsäure) nichts anderes als das an der SH-Gruppe acetylierte Coenzym A ist. Dies erklärt die große Bedeutung des Coenzyms und damit der Pantothensäure f ü r den Intermediärstoffwechsel. Wir haben die verschiedenen Reaktionen des Coenzyms A in früheren Kapiteln bereits besprochen (S. 268, 356 und 511) und brauchen deshalb hier nicht weiter darauf einzugehen. Das folgende Schema 4 ) gibt eine Übersicht der wichtigsten Stoffwechselreaktionen, an welchen das Coenzym A teilnimmt. Die neben den Pfeilen stehenden Zahlen verweisen auf die Stellen des Buches, an denen die entsprechende Reaktion behandelt wird. x

) Zusammenfassung vgl. Baddiley, Adv. Enzymol. 16, 1 (1955). Vgl. Snell u. Brown, Adv. Enzymol. 14, 49 (1953). ) J. Am. ehem. Soc. 75, 1691 (1953). 4 ) Nach N o v e l l i , Physiol. Rev. 38, 540 (1953). 2 ) 3

793

Die Folsäuregruppe Fettsäuren (8)

Acyl-CoA

/

/

Phosphatide Porphyrine (il)

(8)

(9)

j

+ Butyrat """""712)""""" Succinyl-CoA

Butyryl-CoA

Steroidhormone Carotinoide

(10)

(8)

Acetacetyl-CoA

Citronensäure.cyklus

Citrat

(8)

Cholesterin

Oxalaeetat
5

3,3 4,9 5,9 6,6

Man erkennt, daß die spezifisch dynamische Wirkung der Glucose nur ein Bruchteil derjenigen der Proteine ist und außerdem nur wenige Stunden anhält, während nach Zufuhr größerer Mengen Eiweiß die Erhöhung des Grundumsatzes eine Reihe von Tagen anhalten kann. F e t t ergibt ähnliche Werte wie Kohlenhydrat. Neuere Untersuchungen am Menschen zeigen indessen, daß nach Zufuhr großer Kohlenhydratmengen die zusätzliche Wärmeproduktion fast 10% der aufgenommenen Kalorien erreichen kann.

Es ist noch nicht restlos abgeklärt, auf welche Weise die spezifisch dynamische Wirkung zustande kommt. R u b n e r hat bereits Gründe dafür beigebracht, daß es nicht die gesteigerte Arbeit der Verdauungsorgane oder die vermehrte N-Ausscheidung durch die Nieren sein kann, welche die erhöhte Wärmeproduktion bewirken. Da die Proteine im Darm hydrolysiert werden, müssen offenbar die Aminosäuren für die spezifisch dynamische Wirkung verantwortlich sein. In der Tat rufen verschiedene Aminosäuren, so Glycocoll, Alanin, Tyrosin, Phenylalanin, Leucin und andere, eine Stoffwechselsteigerung hervor; für Glutaminsäure und Asparaginsäure sind die Resultate widersprechend. Es scheint, daß die Summe der spezilisch dynamischen Wirkungen der einzelnen Eiweißbausteine die richtige Größenordnung für die Wirkung des kompletten Proteins ergibt (Lusk). Wir haben im Kapitel über den Proteinstoffwechsel darauf hingewiesen, daß die Aminosäuren nur in Form von Proteinen in wesentlichem Umfang gespeichert werden können. Der Anteil der aufgenommenen Aminosäuren, der nicht zum Aufbau

Die „spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe

831

der Proteine Verwendung findet, verfällt dem vollständigen Abbau oder dient der Gluconeogenese. Erfahrungsgemäß bewirkt jede Erhöhung der Eiweißzufuhr, auch wenn es sich um hochwertige Proteine handelt und die Eiweißvorräte des Körpers weitgehend erschöpft sind, eine vermehrte Ausscheidung von Stickstoff. Der Körper kann also auch unter günstigen Bedingungen niemals alle ihm zugeführten Aminosäuren als Proteine festhalten. Wenn aus dem Darm Glucose aufgenommen wird, so kann sie ohne weiteres, unabhängig von der Gegenwart anderer Nahrungsbestandteile, in Glycogen übergeführt werden. Ähnliches gilt auch von den Fettsäuren, welche direkt in Fettdepots übergehen können. Die Möglichkeit, daß eine Aminosäure im Eiweiß fixiert wird, hängt dagegen von der gleichzeitigen Gegenwart der anderen Aminosäuren ab, die zum Aufbau des betreffenden Polypeptids oder Proteins nötig sind. Da offenbar das den Zellen zuströmende Gemisch von Aminosäuren niemals genau der Zusammensetzung der Zellproteine entspricht, kann ein Teil der Bausteine nicht verwendet werden und wird oxydiert. Die hohe spezifisch dynamische Wirkung der Proteine hängt wahrscheinlich eng mit diesen Besonderheiten des Aminosäurestoffwechsels zusammen, ohne daß man zur Zeit genau angeben könnte, welche intermediären Reaktionen im besonderen für die Wärmebildung verantwortlich sind. Auch bei Aufnahme von Kohlenhydrat und Fett wird ein Teil des zugefübrten Materials sofort verbrannt. Dieses tritt aber an die Stelle der körpereigenen Substanzen, d. h. es wird die Oxydation von Körperfett und Glycogen entsprechend eingeschränkt, so daß jedenfalls bei mäßiger Zufuhr nur eine unbedeutende Steigerung der Wärmeproduktion eintritt. Dagegen kann das Nahrungseiweiß die Körpersubstanz als Brennmaterial offenbar nur unvollkommen ersetzen; es wird daher eine z u s ä t z l i c h e Menge Substanz oxydiert. Es ist nicht abgeklärt, wie weit dabei endokrine oder nervöse Regulationen eine Rolle spielen. Man könnte z. B. daran denken, daß die im Blut kreisenden Aminosäuren oder deren Abbauprodukte die Schilddrüse oder die übergeordnete Hypophyse stimulieren. Verabreichung von Thiouracil, welches die Schilddrüse hemmt (vgl. S. 697), scheint eine Verminderung oder doch wenigstens eine Verlangsamung des Eintritts der spezifisch dynamischen Wirkung zur Folge zu haben, doch läßt sich über die Rolle der innersekretorischen Drüsen noch nichts Endgültiges aussagen. Es stellt sich auch die Frage, welche Organe an der gesteigerten Wärmebildung vorwiegend beteiligt sind. Aus der Tatsache, daß die Leber bei Durchströmung mit Glycocollösung einen stark vermehrten Sauerstoffverbrauch zeigt, währenddem in durchströmten Extremitäten kein Effekt eintritt, hat man geschlossen, daß sie der hauptsächliche Sitz der spezifisch dynamischen Wirkung ist.

Die spezifisch dynamische Wirkung der Nährstoffe ist praktisch von großer Bedeutung. Wäre dieselbe nicht vorhanden, so müßte die Energieausgabe immer gleich der Summe von Grundumsatz (Ruheumsatz) und Aufwand für die zusätzliche körperliche Arbeit (Sitzen, Stehen, Tätigkeit) sein. Eine Mehraufnahme von Kalorien über diesen Betrag hinaus müßte notwendigerweise zum Ansatz von Glycogen, Fett oder Eiweiß führen. Zur Vermeidung eines solchen Ansatzes müßte mehr körperliche Arbeit geleistet werden. Da tatsächlich aber bei jeder Nahrungsaufnahme dank der spezifisch dynamischen Wirkung eine zusätzliche Steigerung des Grundumsatzes eintritt, ist der Organismus imstande, ohne Vermehrung der Körpersubstanz größere Nahrungsmengen zu bewältigen. Ein Beispiel möge dies illustrieren:

832

Der Nahrangsbedarf

Ein Mann Ton etwa 70 kg produziert bei leichter Arbeit 2400 Cal. pro Tag, also 100 Cal. pro Stunde (im nüchternen Zustand gemessen). Bei einer kräftigen Mahlzeit nimmt er 1200 Cal. auf, davon 60 g Proteine. Die Verdauung der Mahlzeit benötigt 8 Stunden. Bei unverändertem Umsatz würde er während dieser Zeit 8 • 100 = 800 Cal. produzieren; er hat also 400 Cal. im Überschuß aufgenommen. Veranschlagen wir die spezifisch dynamische Wirkung von Fett und Kohlenhydrat zu 10%, diejenige der Proteine zu 50%, so wird folgende zusätzliche Wärme produziert: Proteine: 50% von 60 • 4,1 Cal. ~ 125 Cal., Fett und Kohlenhydrat: 10% von 950 Cal. (Nicht-Eiweiß-Kalorien) = 95 Cal., zusammen 220 Cal. Der Überschuß der Kalorien, der als Fett oder Glycogen angesetzt wird, beträgt also nur noch 180 Cal. statt 400; dies entspricht etwa 20 g Fett (statt 42 g).

Es ist eine bekannte Tatsache, daß verschiedene Menschen bei Überernährung sehr ungleich reagieren. Es gibt solche, die bei großem Appetit täglich, beträchtliche Nahrungsmengen vertilgen und dabei mager bleiben. Es gibt andere, die bei gleicher körperlicher Arbeit ständig zunehmen, obwohl sie weniger essen und sich vor jedem Zuviel an Nahrung hüten. Solche Unterschiede beruhen zu einem beträchtlichen Teil auf einer verschiedenen spezifisch dynamischen Wirkung der Nährstoffe bei den einzelnen Individuen. Beim erstgenannten Typus ist sie hoch ; er verbrennt daher die im Überschuß aufgenommenen Stoffe. Beim zweiten Typus ist sie niedrig; die überschüssigen Nährstoffe werden als Fett angesetzt. Dazu kommt, daß der Magere sich leichter und mehr bewegt als der Adipöse und dadurch zusätzlich Fett verbrennt, während es beim letzteren zu einem Circulus vitiosus dadurch kommen kann, daß der zunehmende Fettbestand die Beweglichkeit herabsetzt und dadurch den weiteren Fettansatz begünstigt. Die spezifisch dynamische Wirkung ist wahrscheinlich der wichtigste Faktor beim Zustandekommen der sog. LuxuskoiiBumption. Darunter versteht man die Verbrennung der über den Bedarf hinaus zugeführten Nährstoffe (Gräfe). Es handelt sich um eine Anpassung des Organismus an vermehrte Nahrungszufuhr, welch letztere in vielen Fällen durch den Appetit nicht in genügender Weise reguliert wird. Welch große Nahrungsmengen der tierische Organismus unter Umständen bewältigen kann, zeigt z. B. ein Versuch von Gräfe und Graham, bei welchem eine Hündin von 20 kg Gewicht während 2 Monate eine Nahrungsmenge verzehrte, die das Zweifache des minimalen Kalorienbedarfs (im Hunger gemessen) betrug und dabei ihr Körpergewicht annähernd konstant erhielt.

Der Vergleich der spezifisch dynamischen Wirkung von Kohlenhydrat, Aminosäuren und Fett, einzeln und gleichzeitig verabreicht, hat ergeben, daß ihre Wirkung auf den Stoffwechsel a d d i t i v ist (Lusk); die durch Aminosäuren bewirkte Steigerung addiert sich zu derjenigen, welche durch Kohlenhydrat und Fett hervorgerufen wird. (Wir haben im obigen Beispiel bereits von dieser Tatsache Gebrauch gemacht.) Die Luxuskonsumption, die nach übermäßiger Nahrungsaufnahme eintritt, kann daher als die Summe der spezifischen Wirkungen der einzelnen Nährstoffe aufgefaßt werden. Wodurch die oben erwähnten individuellen Unterschiede zustande kommen, ist nicht klar. Man nimmt an, daß sie konstitutionell begründet sind. Eine wichtige Rolle spielt wahrscheinlich das System der endokrinen Drüsen und das vegetative Nervensystem. 2. Die Kostformen Die von den Organismen aufgenommenen Stoffe haben im wesentlichen zwei Funktionen zu erfüllen: Sie dienen dem Aufbau der Körpersubstanz (zu welcher auch die Wirkstoffe zu rechnen sind) und der Energiegewinnung. Die Mehrzahl der dem Körper zugeführten Stoffe wird letzten Endes weitgehend abgebaut und oxydiert.

Die Kostformen

833

Eine scharfe Unterscheidung von „Baustoffen" und „Betriebs-" oder „Brennstoffen" läßt sich nicht durchführen. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, daß nach den Ergebnissen der Isotopenmethode a l l e Strukturbestandteile des Körpers am Stoffwechsel teilnehmen, sich in einem „dynamischen Zustand" befinden (vgl. S. 367 und 454). Man kann höchstens sagen, daß gewisse Substanzen vorwiegend als Energielieferanten oder vorwiegend als Baustoffe dienen oder daß die Moleküle eines bestimmten Stoffs durchschnittlich länger als Strukturbestandteil in einem Gewebe verweilen als die Moleküle eines anderen Stoffes. Wir haben in den vorangehenden Kapiteln die verschiedenen Stoffe, welche der Säugetierorganismus benötigt, kennengelernt und ihre besondere Bedeutung besprochen. Sie sind nachfolgend in einer Liste nochmals zusammengestellt, der wir einige ergänzende Bemerkungen beifügen. Die unentbehrlichen Stoffe sind die folgenden: 1. Anorganische Stoffe: a) Kationen: Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium, Eisen, Kupfer, Zink, Mangan, Kobalt; b) Anionen: Chlorid, Phosphat, Jodid, Fluorid. 2. Organische Stoffe: a) Kohlenhydrate. Sehr wahrscheinlich kommt der tierische Organismus mit G l u c o s e aus, d.h. er kann die übrigen Zucker, die als Bausteine der Körpersubstanz auftreten, aus Glucose oder anderem Material aufbauen. Dies geht z. B. caraus hervor, daß Ratten mit gereinigter Stärke als einzigem Kohlenhydrat sich normal entwickeln können. In der Nahrung des Menschen spielen in der Regel neben der Glucose noch die Fructose (als Rohrzucker aufgenommen) und die Galactose (als Milchzucker aufgenommen) eine Rolle. Die Nahrung der Pflanzenfresser kann neben den Hexosen (Glucose und Fructose) auch noch eine gewisse Menge von Pentosen (als Pentosane) enthalten. Die reinen Carnivoren nehmen mit ihrer Nahrung verhältnismäßig wenig Kohlenhydrat auf (Glycogen im frischen Fleisch); sie decken den größten Teil ihres Kohlenhydratbedarfs durch Gluconeogenese. b) Fette. Fett kann, wie wir gesehen haben, in großem Umfang vom Körper aus Kohlenhydrat oder Eiweiß synthetisiert werden. Dagegen müssen gewisse ungesättigte Fettsäuren, L i n o l - and L i n o l e n s ä u r e , mit der Nahrung zugeführt werden (siehe S. 364 und 772). Im allgemeinen sind für die menschliche Ernährung die Fette mit hohem Gehalt an ungesättigten Fettsäuren geeigneter als die stark gesättigten Fette. c) Proteine. Wir haben die Frage der essentiellen Aminosäuren und des Eiweißminimums im Kapitel über den Proteinstoffwechsel behandelt (vgl. S. 438ff). d) Vitamine. Wir verweisen auf Kap. 29. Wir haben die Bedeutung der Kohlenhydrate, der Fette, der Proteine und der Vitamine in den vorangehenden Kapiteln ausführlich besprochen. Der Mineralhaushalt wird in den folgenen Kapiteln behandelt: N a t r i u m , K a l i u m und C h l o r i d in Kap. 21: Wasser- und Salzhaushalt, S. 545 u. ff.; vgl. dazu auch S. 706 u. ff. (Regulation des Salzhaushalts durch die Nebennierenrinde). C a l c i u m und P h o s p h a t in Kap. 22: Blut S. 564; Kap. 25, S. 671 u. ff. (Knochen); Kap. 28, S. 699 u. ff. (Nebenschilddrüsen); Kap. 29, S. 761 u. ff. (Vitamin D). E i s e n in Kap. 22, S. 599. S p u r e l e m e n t e in Kap. 30, S. 814 u. ff. 53

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 14. Aufl.

834

Der Nahrungsbedarf

An eine vollwertige Nahrung sind die folgenden Anforderungen zu stellen: Sie muß 1. eine genügende Zahl von Kalorien liefern, 2. alle Mineralstoffe und essentiellen Stoffe in genügender Menge und 3. die verschiedenen Stoffe in optimalem Verhältnis enthalten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Bedürfnisse je nach Alter, Geschlecht, Rasse, äußeren Bedingungen (wozu Klima, Berufstätigkeit, Lebensweise zu rechnen sind) verschieden sein können. Es werden im allgemeinen je nach Umständen verschiedenartige Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Die Aufgabe der praktischen Ernährungswissenschaft besteht darin, den Weg anzugeben, auf welchem die oben genannten Forderungen auf Grund der vorhandenen Nahrungsquellen und unter Berücksichtigung der speziellen Ernährungsgewohnheiten am besten erfüllt werden können. Besondere Aufgaben stellt natürlich die Ernährung in Mangelzeiten und ferner die Ernährung kranker Menschen. Man hat, seitdem es eine wissenschaftlich begründete Ernährungslehre gibt, den Versuch gemacht, Normen für die Menge und Zusammensetzung einer optimalen Nahrung aufzustellen. Sie basieren teilweise auf der Beobachtung des tatsächlichen Konsums von Nahrungsmitteln innerhalb gewisser Bevölkerungsschichten, berücksichtigen aber gleichzeitig auch alle Erkenntnisse über den optimalen Bedarf an den verschiedenen essentiellen Nahrungsfaktoren. Wir geben als Beispiel in untenstehender Tabelle die Werte wieder, die vom Food and Nutrition Board des National Research Council in den USA. empfohlen worden sind. Diese Zahlen geben die Menge der verschiedenen Nahrungsfaktoren an, die als wünschenswert angesehen wird und eine genügende Ernährung garantiert. Es ist klar, daß die Proteine wenigstens zum Teil aus hochwertigen tierischen Eiweißkörpern (Fleisch, Eiern, Milch) bestehen müssen und daß genügend natürliches (nicht gehärtetes) Fett zugeführt werden muß, um die Versorgung mit essentiellen Fettsäuren sicherzustellen. Die Deckung des Energiebedarfs wie auch die Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen kann bei den verschiedenen Völkern und sozialen Schichten auf sehr verschiedene Art und Weise geschehen, je nach den Nahrungsquellen, die zur Verfügung stehen. Wir kennen Völkerschaften, deren Ernährung sich ausschließlich auf tierische Produkte, Fleisch und Fett, aufbaut (z. B. die Eskimos), neben solchen, die fast ausschließlich von pflanzlichen Produkten, also geringen Eiweißmengen neben viel Kohlenhydrat, leben (z. B. viele Völker des Orients oder die aus weltanschaulichen Gründen vegetarisch lebenden Menschen). Die Spezies Mensch verdankt ihre weite geographische Verbreitung (die offenbar schon in vorgeschichtlicher Zeit bestand) zu einem wesentlichen Teil ihrer Anpassungsfähigkeit an die verschiedenartigste Nahrung. Das Tier wird bei der Auswahl der richtigen Nahrung durch den Instinkt geleitet. Es gibt viele Beobachtungen, die darauf hindeuten, daß Tiere bei freier Wahl das geeignetste Futter heraussuchen und hochwertige Nahrung von minderwertiger zu unterscheiden vermögen. Wie weit ein solcher Instinkt beim Kulturmenschen noch besteht, ist schwer zu entscheiden, denn der moderne Mensch kommt kaum mehr in die Lage, ihn zu betätigen. Der ursprüngliche Instinkt ist im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung allmählich durch E r n ä h r u n g s g e w o h n h e i t e n ersetzt worden, die sich von Generation zu Generation weiter vererben und an deren Zustandekommen zahlreiche, in ihrer Gesamtheit schwer übersehbare Faktoren be-

Die Kostformen

835

teiligt sind: Klima, natürliche Nahrungsquellen, Lebensweise (Jäger, Fischer, Ackerbauer), Wirtschaftsformen, gesellschaftliche Zustände, aber auch religiöse Vorstellungen und Aberglaube. Die Auswahl der Nahrung kann beim Kulturmenschen nicht mehr aus der Fülle der natürlich vorhandenen Nahrungsquellen erfolgen wie beim Tier; sie beginnt schon mit dem Anbau der geeigneten Nutzpflanzen und der Züchtung der geeigneten Nutztiere. Die Beschaffung der Nahrung ist in der modernen menschlichen Gesellschaft zu einem äußerst komplizierten Prozeß geworden; aber es sind im großen und ganzen doch die gleichen Produkte, die dem heutigen Menschen wie seinen urgeschichtlichen Ahnen als Hauptnahrung dienen: Fleisch, Milch und die verschiedenen Getreidearten und Feldfrüchte.

2100 2500 3000 2500 3000

Kinder u n t e r 12 J a h r e n unter 1 Jahr 1—3 Jahre 4—6 Jahre 7—9 Jahre 10—12 Jahre Kinder u. J u g e n d l i c h e über 12 Jahre Mädchen 13—15 Jahre . . 16—20 Jahre . . Knaben 13—15 Jahre . . 16—20 Jahre . . x

I.E.

mg mg mg mg

12

5000

1,5 2,2 1,8 2,7 2,3 3,3

15 18 23

12 15 70 18 18 100 23 150



°-H Ì¡ei O (O ZI

75

60

0,8

12

5000

85 100

1,5 2,0

15 15

6000 8000

1,2 1,8 1,5 2,2 1,8 2,7 1,8 2,5 2,3 3,0

100/kg 3 - 4 / k g 40 1200 50 1600 60 2000 70 2500

1,0 1,0 1,0 1,0 1,0

6 7 8 10 12

1500 2000 2500 3500 4500

0,4 0,6 0,6 0,9 0,8 1,2 1,0 1,5 1,2 1,8

4 6 8 10 12

2800 2400 3200 3800

1.3 1,0 1.4 1,4

15 15 15 15

5000 5000 5000 6000

1,4 2,0 1,2 1,8 1,9 2,4 2,3 3,0

14 80 12 80 16 90 20 100

80 75 85 100

30 35 50 60 75

Vit. D

mg

Liactoflavin

g

) Hängt stark von der Lebensweise (Sonnenbestrahlung) ab.

53*

Ascorbinsäure

0,8

Aneurin

Frauen (56 kg) sitzende Lebensweise . . . mäßige körperliche Arbeit . schwere Arbeit Schwangerschaft (2. Hälfte) Lactation

70

Vit. A

2500 3000 4500

g

Eisen

Männer (70 kg) sitzende Lebensweise . . . mäßige körperliche Arbeit . schwere Arbeit

Calcium

3

Proteine

In den meisten Kulturländern, insbesondere in Europa und Nordamerika, bilden Getreide, Kartoffeln und Fleisch die Grundlage der Ernährung. Diese Nahrungsmittel liefern die Hauptmenge des Kalorienbedarfs, wobei Fleisch im Durchschnitt einen wesentlich kleineren Anteil ausmacht als die vegetabilischen Nahrungsmittel. Eine ausschließlich auf dieser Grundlage aufgebaute Nahrung ist indessen nicht in jeder Hinsicht genügend, besonders dann nicht, wenn vorwiegend weiße Mehle (wenig ausgemahlenes Weizenmehl) und gekochtes oder konserviertes Fleisch verwendet werden. Eine solche Nahrung ist z. B. arm an Vitamin A, enthält nur wenig Calcium

I.E. l

)

400—800 400—800

400—800

836

Der Nahrungsbedarf

und liefert auch verschiedene wasserlösliche Vitamine nicht in genügenden Mengen. Sie muß daher noch durch andere Nahrungsmittel ergänzt werden, welche die mangelnden Stoffe zuführen. Dies sind vor allem Milch, Eier, frische Gemüse und Früchte. Man hat diese zusätzlichen Nahrungsmittel, die nicht in erster Linie wegen ihres Brennwertes, sondern wegen ihres Gehalts an Mineralstoffen und Vitaminen wertvoll sind, als „protective foods" bezeichnet (McCollum). Milch und Eier liefern außerdem bei fleischarmer Ernährung einen wichtigen Beitrag zu den essentiellen Aminosäuren. Über die Bedeutung der „protective foods" sind vor allem von S h e r m a n und Mitarbeitern (an der Columbia University) ausgedehnte, sorgfältige Untersuchungen angestellt worden. Als Versuchstier wurde die weiße Ratte verwendet, deren Ansprüche an die Ernährung, wie sich in zahlreichen Versuchen immer wieder gezeigt hat, denjenigen des Menschen sehr nahe kommen. (Ausnahmen sind der Bedarf des Menschen an Vitamin C und ein höherer Bedarf an Nicotinsäure.) Die Versuche wurden über mehrere Generationen von Ratten fortgesetzt; beobachtet wurden das Wachstum, der Eintritt der Geschlechtsreife, die Fortpflanzungsfähigkeit, Zahl und Entwicklung der Nachkommenschaft, der Eintritt der Senilität, die Lebensdauer. Eine Mischung von Weizenschrot und Trockenmilch im Verhältnis ö : l erwies sich als genügende Nahrung. Die Tiere entwickelten sich mit diesem Futter während mehrerer Generationen in völlig normaler Weise. Es genügt also sicher allen physiologischen Bedürfnissen der Ratte. Dagegen ist dieses Mischungsverhältnis von Grundnahrung (Weizen) und „protective food" (Milch) noch nicht optimal, denn bei Erhöhung des Zusatzes von Trockenmilch trat eine deutliche Verbesserung ein, die sich in einer beschleunigten Entwicklung, größerer Vitalität der erwachsenen Tiere und einer Zunahme der durchschnittlichen Lebensdauer äußerte. Für die Wirkung des Milchzusatzes ist teilweise die vermehrte Ca-Zufuhr verantwortlich, denn auch eine entsprechende Zulage von Ca allein zeigte ein ähnliches Resultat. Ebenso konnte die Diät durch steigende Mengen von Lactoflavin weiter verbessert werden1).

Eine wesentliche, aus diesen Versuchen fließende Erkenntnis besteht darin, daß eine für den normalen Lebenslauf und die Fortpflanzung genügende Diät durch Zulage von „protective foods" oder einzelner Bestandteile derselben noch weiter verbessert werden kann; die Verbesserung besteht darin,, daß Entwicklung, Größe, Fortpflanzungsfähigkeit, Lebensdauer gegenüber den Kontrollen gesteigert werden. Daraus lassen sich auch für die menschliche Ernährung wichtige Konsequenzen ziehen. Die Grundlage jeder Nahrung muß natürlich eine kalorisch und in bezug auf das Eiweiß genügende tägliche Ration sein. Eine solche Nahrung wird, auch wenn sie dem normalen Ablauf aller Lebensvorgänge völlig genügt und keinerlei Mangelerscheinungen manifest werden läßt, in sehr vielen Fällen noch wesentlich verbessert werden können, Wenn der Anteil an „protective foods" — Milch, Gemüse, Früchte — eventuell auch an tierischen Proteinen — Fleisch, Eier — erhöht wird. Es ist sicher, daß eine solche Zulage sich auf das Wachstum der Kinder, die Leistungsfähigkeit, die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, bei der Frau auf die Entwicklung des Kindes während der Gravidität usw. günstig auswirken wird. Das Ziel muß also sein, dem Menschen eine Nahrung zu verschaffen, die neben den Cerealien und Kartoffeln genügende Mengen von tierischem Eiweiß und „protective foods" liefert. Die aus dieser Einsicht entspringenden Probleme sind im wesentlichen wirtschaftlicher Natur. Tierisches Eiweiß, Milch und Milchprodukte, frische Gemüse und Früchte sind, bezogen auf die Einheit der Kalorie, wesentlich teurer als die Massennahrungsmittel Kartoffeln und Getreide; es besteht daher die Gefahr, daß sie in der Nahrung der wenig bemittelten Schichten nur in ungenügender Menge vertreten sind. 1

) Zusammenfassung und Literatur in S h e r m a n : The science of nutrition. New York 1945.

Die Nahrungsmittel

837

Tatsächlich lebt heute wahrscheinlich der größere Teil der Erdbevölkerung von Rationen, die weit von der optimalen Zusammensetzung entfernt sind und auch kalorisch in vielen Fällen nahe dem absoluten Minimum liegen. Der geringe Nahrungsverbrauch und die einseitige Ernährungsweise bei vielen Völkern des Orients (Indien, China) braucht keineswegs der Ausdruck eines geringen Bedarfs zu sein, sondern bedeutet vielfach, daß diese Völker in einem Zustand suboptimaler Ernährung, wenn nicht Unterernährung leben. Die große Anpassungsfähigkeit des Organismus gestattet dem Menschen, auch unter suboptimalen Bedingungen zu leben. Je weiter aber die Nahrung nach Zusammensetzung und Menge vom Optimum abweicht, desto häufiger werden Störungen auftreten. Sie werden sich, wenn die Nahrung den minimalen Anforderungen des Körpers gerade noch genügt, zunächst in unbestimmten Symptomen, verminderter Leistungsfähigkeit, geringerer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit usw., äußern, bis sich schließlich eigentliche • Mangelerscheinungen einstellen, wenn die Zufuhr essentieller Faktoren (Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe) oder der kalorische Wert der Nahrung ungenügend wird. Auch ohne daß kalorienmäßig ein eigentlicher Hungerzustand besteht, kann doch der Mangel an Eiweiß und „protective foods" die Leistungsfähigkeit und den Gesundheitszustand einer Bevölkerung stark beeinträchtigen. Es ist sicher, daß in den Kulturstaaten die bessere Ernährung breiter Bevölkerungsschichten großen Anteil an der starken Erhöhung der mittleren Lebenserwartung hat, die im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte in Erscheinung getreten ist.

3. Die Nahrungsmittel Wir geben in diesem Abschnitt eine Übersicht über die wichtigsten Gruppen der Nahrungsmittel. Die tierischen und pflanzlichen Produkte, die unsere Nahrung darstellen, sind komplizierte Gemische verschiedenartiger Stoffe. Es gibt kein Nahrungsmittel, welches für sich allein den Bedarf des Menschen an Nährstoffen, Mineralstoffen und Vitaminen auf die Dauer völlig zu decken vermöchte. Eine optimale Nahrung wird sich daher stets aus verschiedenen Nahrungsmitteln zusammensetzen, die sich gegenseitig ergänzen. Wir schicken der Besprechung der einzelnen Gruppen von Nahrungsmitteln noch einige allgemeine Bemerkungen voraus. Die pflanzlichen Nahrungsmittel enthalten immer einen gewissen Teil nicht verwertbarer Stoffe, deren Gesamtheit in der Lebensmittelchemie als Rohfaser bezeichnet wird. Es sind dies Cellulose, Hemicellulose, Pentosane, Lignin und ähnliche Stoffe. Die Nährstoffe der Pflanzenzelle sind immer von Cellulosemembranen umschlossen und werden erst nach deren Eröffnung zugänglich. Dies geschieht entweder bei der Vorbereitung der Speisen, beim Kochen oder im Darm durch Einwirkung der Mikroorganismen (siehe Abschnitt Verdauung). Ein gewisser Teil der pflanzlichen Nährstoffe entgeht aber stets der Verwertung. Der Ausnutzungsgrad hängt stark von der Beschaffenheit der pflanzlichen Gewebe, der Dicke der Cellulosemembranen usw. ab. Die folgende Tabelle illustriert die vermin lerte Ausnutzbarkeit der Pflanzennahrung gegenüber der tierischen Nahrung (nach v. N o o r d e n ) :

838

Der Nahrungsbedarf Verlust durch den Kot N-Substanz Kohlenhydrat Fett Animalische Kost Gemischte, halb animalische, halb pflanzliche Kost . . . Pflanzliche Kost

3%

4%

2%

15% 25%

30%

8%

5% 8%

Die unverdaulichen pflanzlichen Gewebsteile bewirken eine bedeutende Vergrößerung der Kotmasse bei vegetabilischer Ernährung.

Die gleiche Tabelle zeigt, daß auch bei tierischen Nahrungsmitteln ein kleiner Teil der Nährstoffe der Absorption entgeht. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Eine große Rolle spielt die mechanische Zerkleinerung der Nahrung beim Kauen. Bindegewebe, das besonders in drüsigen Organen (Leber, Niere, Thymus usw.) vorkommt, wird, wenn es nicht fein zerkleinert ist, von den Verdauungssäften nur langsam angegriffen. Auch die Zubereitungsart der Nahrungsmittel ist wichtig; Backen in Fett erschwert im allgemeinen die Verdauung, weil die umhüllende Fettschicht den Zutritt der Verdauungsfermente erschwert und erst aufgelöst werden muß. Fettsäuren können dadurch verlorengehen, daß sie als unlösliche Kalkseifen gefällt werden. In vielen Fällen ist also nicht die gesamte, durch die chemische Analyse angezeigte Menge der Nährstoffe für den Organismus zugänglich und verwertbar. Dies gilt besonders auch für gewisse Mineralstoffe. Z. B. kann das Calcium der Pflanzennahrung nicht vollständig ausgenutzt werden, weil es in die unlöslichen Cellulosemembranen eingeschlossen ist. Auch vom Eisen ist immer nur ein Teil zugänglich. Hämoglobin- oder Hämatineisen z. B., wie es sich in tierischen Geweben findet, ist nur zum kleinen Teil verwertbar, weil es in Form sehr stabiler Komplexe vorhanden ist. Man bezeichnet das Verhältnis der im Darm absorbierten Nährstoffe zur Gesamtmenge der mit der Nahrung aufgenommenen Nährstoffe als A u s n u t z u n g s k o e f f i zient. Bei der Bewertung eines Nahrungsmittels sind die folgenden Eigenschaften zu berücksichtigen: Zusammensetzung (Gehalt an Kohlenhydrat, Fett, Protein), kalorischer Wert, Natur der Proteine (Gehalt an essentiellen Aminosäuren), Natur der Fette (Gehalt an ungesättigten Fettsäuren), Mineralstoffgehalt, Vitamingehalt und Ausnutzbarkeit (Gehalt an Rohfaser, Verdaulichkeit der einzelnen Bestandteile). Einer besonderen Erwähnung bedarf noch der Einfluß der verschiedenen Nahrungsmittel auf den Säure- und Basenhaushalt des Körpers. Bei der Oxydation von Salzen organischer Säuren (Citronensäure, Äpfelsäure usw.) bleibt ein Überschuß von Kationen bestehen, die vom Organismus neutralisiert und ausgeschieden werden müssen. Andererseits wird der Schwefel der Proteine zu Schwefelsäure oxydiert, welche ebenfalls neutralisiert und ausgeschieden werden muß. I m allgemeinen sind aber die bei der Oxydation der Nahrung frei werdenden starken Basen und Säuren einander nicht äquivalent, sondern es bleibt ein Überschuß der einen oder anderen. Daher stellt jede Nahrung eine Belastung des Säure- und Basenhaushaltes dar. Wir haben früher schon besprochen, auf welche Weise der Organismus den Überschuß der sauren oder basischen Äquivalente eliminiert und das Säure-Basen-Gleichgewicht aufrechterhält (S. 554 u. ff.). I m allgemeinen produziert vegetabilische Nahrung

Die Nahrungsmittel

839

einen Überschuß v o n Basen, animalische Nahrung einen Überschuß v o n Säuren. Die folgende Tabelle zeigt einige typische Beispiele:

Nahrungsmittel (roh)

Überschuß von S iuren oder Basen in ccm n/10 AI sali oder Säure pro 100 g des iNahrungsmittels SäureBasenüberschuß überschuß 27 36

Milch Käse Fleisch Eier Eiklar Eigelb Brot Reis Kartoffeln Kohl Bohnen (getrocknet) Erbsen (getrocknet) Äpfel Zitronen, Orangen

170—200 160 60 330 10—50 76

100 20—50 200—300 12 30 40

Pflanzennahrung ist i m allgemeinen reicher an K als tierische Nahrung. Dieser U m s t a n d ist, wie wir gesehen haben (S. 553), sehr wichtig für die Erklärung des Kochsalzbedarfs bei vorwiegend vegetabilischer Nahrung. Der K-Gehalt der Nahrung m u ß z. B. bei der Ernährung der A d d i s o n - K r a n k e n berücksichtigt werden, welche außerordentlich empfindlich gegen K sind. Folgende Tabelle gibt einige Beispiele: Nahrungsmittel (roh) Milch Käse 1 ) Fleisch Eier Eiklar Eigelb

K Na mÄqu./lOO g m l q u . / 1 0 0 g 4,1 3 8,6 3,5 3,8 3,2

2,2 (25—50) 3 5,9 8,3 2,2

K : Na 1,9 2,9 0,6 0,46 1,4

Stark schwankend, je nach Sorte (mehr oder weniger gesalzen). Auch beim Brot (untenstehend) rührt der hohe Na-Gehalt vom Salz her (vgl. mit Mehl!). Nahrungsmittel (roh) Brot Weizenmehl (85% ausgemahlen) . Reis Kartoffeln (roh) Kartoffeln (gekocht) Kohl Bohnen (roh) Bohnen (gekocht) Äpfel

Na K mÄqu./lOO g mÄqu./lOOg 4,2 6,5 2,9 14,6 8,3 7,7 44 10 3

(16) 0,3 0,3 0,3 0,15 1,4 2,7 0,7 0,12

K:Na

23 11 52 55 5,5 16 14 26

840

Der Nahrungsbedarf

Beim Kochen wird im allgemeinen ein beträchtlicher Teil der Mineralstoffe, insbesondere K + und N a + , ausgezogen und geht, wenn die Brühe abgegossen wird, verloren (vgl. Kartoffeln, roh und gekocht, Bohnen, roh und gekocht). Die Zahl der einzelnen, als Nahrungsmittel verwertbaren tierischen und pflanzlichen Produkte ist sehr groß. Sie lassen sich aber für praktische Zwecke in eine beschränkte Zahl von Gruppen zusammenfassen, von denen jede durch besondere Eigenschaften charakterisiert ist. Die hauptsächlichsten Gruppen sind die folgenden: 1. Milch und Milchprodukte (Rahm, Käse); 2. Fleisch, Geflügel, Fisch, innere Organe (wie Leber und Niere), Schalentiere. Eier; 3. Nahrungsfette: Butter, tierische und pflanzliche Fette; 4. Cerealien: Brot, Teigwaren, Reis, usw.; 5. Zucker, Süßigkeiten; 6. Kartoffeln; Karotten und andere Wurzelgemüse; 7. Blattgemüse (Kohlarten), Salat, Stengelgemüse; 8. Leguminosen: Bohnen, Erbsen, Soja; 9. Früchte. Die wichtigsten Eigenschaften dieser verschiedenen Gruppen von Nahrungsmitteln sollen im folgenden kurz besprochen werden. A. Milch und Milchprodukte

Die Besonderheit der Milch besteht darin, daß sie für einen bestimmten Lebensabschnitt, nämlich die ersten Lebenswochen oder -monate, je nach der Tierart, eine in jeder Hinsicht genügende Nahrung darstellt. Sie muß also alle nötigen Nährstoffe, Mineralstoffe und Vitamine in genügender Menge und im richtigen Verhältnis enthalten, Allerdings ist die wesentliche Voraussetzung für einen genügenden Vitamingehalt eine genügende Versorgung der Mutter mit Vitaminen. Der Gehalt an den übrigen Bestandteilen Fett, Kohlenhydrat, Protein, Calcium, Phosphat, ist wenig von der Ernährung der Mutter abhängig. Die organischen Stoffe werden in der lactierenden Drüse selbst produziert. Der Milchdrüse kommt, was die Lieferung der Baustoffe anbelangt, die unbedingte Priorität gegenüber den übrigen Geweben zu, d. h. die Bildung der Milch erfolgt auf Kosten der mütterlichen Gewebe, wenn die Ernährung der Mutter ungenügend ist. Das Calcium wird bei mangelhafter Zufuhr dem Skelett der Mutter entnommen, welches auf diese Weise einen beträchtlichen Teil seines Mineralstoffgehalts einbüßen kann. Die Milch ist nur in einer Hinsicht ungenügend sie enthält nur sehr wenig Eisen und andere Schwermetalle (Spurelemente wie Cu und Mn). Wenn Tiere über die physiologische Lactationsperiode hinaus ausschließlich mit Milch ernährt werden, stellen sich Mangelerscheinungen ein, die durch Zulage von Eisen und Kupfer geheilt werden können (vgl. S. 602). Dieser Defekt der Milch hat aber praktisch keine große Bedeutung, weil das Neugeborene einen genügenden Vorrat an Eisen und anderen Schwermetallen in seinen Geweben, besonders in der Leber, mitbringt.

Für die europäischen Länder spielt die Kuhmilch als Nahrungsmittel die Hauptrolle, daneben wird (vor allem in ländlichen Gegenden) für den Hausgebrauch noch Ziegenmilch verwendet. In außereuropäischen Ländern wird auch die Milch anderer Tierarten (Stute, Yak, Kamel) genossen. Die Milch der einzelnen Tierarten weist beträchtliche Verschiedenheiten der Zusammensetzung auf. Eiweißkörper. Das wichtigste Protein der Milch ist das Casein (auch Caseinogen genannt; in diesem Falle wird der bei Labzusatz ausfallende Körper als Casein be-

Milch und Milchprodukte

841

zeichnet). Casein fällt bei schwachem Ansäuern der Milch aus (das isoelektrische Casein ist unlöslich), wird aber durch Hitze nicht koaguliert. Über die Labgerinnung siehe S. 193. Casein ist kein einheitliches Protein, sondern setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Nach Ausfällen des Caseins bleibt in der Lösung das Lactoglobulin zurück. Als sog. /°-Lactoglobulin läßt es sich kristallisiert darstellen. Die Milchproteine enthalten alle essentiellen Aminosäuren in genügender Menge. Die folgende Zusammenstellung zeigt den Gehalt der gemischten Milchproteine (Kuhmilch) an den essentiellen und einigen anderen Aminosäuren (nach Block und Bölling). Der Unterschied zwischen Kuh- und Frauenmilch ist sehr gering. Die Zahlen geben einen Anhaltspunkt für die Berechnung des Bedarfs des jungen Tieres und Säuglings (Angaben in Gramm pro 100g Protein): Valin 8,4%, Leucin 10,6%, Isoleucin 8,5%, Threonin 4,5%, Methionin 3,7%, Cystin 0,7%, Phenylalanin 5,7%, Tyrosin 6,4%, Tryptophan 1,4%, Lysin 6,6%, Histidin 2,6%, Arginin 3,8%. Das Milchfett ist in Form mikroskopischer Kügelchen (sog. Milchkügelchen) in der Flüssigkeit (Milchplasma) suspendiert. Wahrscheinlich sind dieselben von einer eiweißartigen Hülle umgeben. Dem Neutralfett ist eine kleine Menge von Phosphatiden beigemischt. Ferner finden sich im Milchfett gelöst die fettlöslichen Vitamine und Provitamine (A und D). Charakteristisch für das Milchfett ist sein hoher Gehalt an niedrigen Fettsäuren (Buttersäure und Capronsäure). Es ist auch reich an Ölsäure (Zusammensetzung siehe S. 843). Milchfett gilt als das bekömmlichste Nahrungsfett. Als Kohlenhydrat enthält die Milch die Lactose. Die wasserlöslichen Vitamine sind im Milchplasma gelöst. Die Zusammensetzung der Vollmilch ist aus folgenden Zahlen ersichtlich: Wasser 87%, Proteine 3,3%, Fett 3,7%, Kohlenhydrat 4,8%; Ca 120 mg%, P 95 mg%, Na 50 mg%, K 160mg%,Mg 14 mg%, Fe 0,08 mg%, Cu 0,02 mg%, C1 98mg%. Ziegenmilch hat eine ähnliche Zusammensetzung wie die Kuhmilch. Sie ist im Durchschnitt etwas fettreicher. 100 g Vollmilch liefern etwa 66 Cal. Neben den angeführten Hauptbestandteilen enthält die Milch noch kleine Mengen stickstoffhaltiger Verbindungen. Es sind im großen und ganzen dieselben, die im Blutplasma vorkommen (Harnstoff, Kreatin, Kreatinin, Aminosäuren, Harnsäure usw.). Nicht-Eiweiß-N etwa 20—40 mg%. Auch Citrat ist nachgewiesen worden. Die Milch enthält verschiedene Fermente. Praktische Bedeutung hat das sog. Schardingersche Enzym, die Xanthinoxydase (zur Gruppe der Flavinfermente gehörend, vgl. S. 475). Es reduziert in Gegenwart von Formaldehyd oder Acetaldehyd Methylenblau. Die Reaktion wird praktisch verwendet um nachzuweisen, ob die Milch frisch ist. Das erste Sekret der Milchdrüse bei Einsetzen der Lactation, das Colostrum, ist bedeutend reicher an festen Stoffen als die spätere Milch. Es enthält viele zellige Elemente und gerinnt beim Kochen, im Gegensatz zur Milch, weil es mehr koagulables Eiweiß enthält (Zusammensetzung des Colostrums: Wasser 75%, Casein 4%, Albumin -f Globulin 13,6%, Fett 3,6%, Zucker 2,7%, Salze 1,6%). Da die Kuhmilch auch für die Säuglingsernährung verwendet wird (bei teilweiser oder totaler Stillunfähigkeit der Mutter), ist der Unterschied zwischen der Zusammensetzung der Kuhmilch und der Frauenmilch von Bedeutung. Die letztere ist ärmer an Protein, etwas reicher an Milchzucker und enthält viel weniger (etwa 1 / i )

842

Der Nahrungsbedarf

Ca und Phosphat als die erstere (Proteine 1,2—1,5%, F e t t 3,5%, Lactose 6—7%, Asche 0,2% statt 0,8% der Kuhmilch). Über den sog. Bifidus-Faktor der Frauenmilch vgl. S. 40. Auf die Bedeutung der Milch als „protective food" wurde oben hingewiesen. Milch und Milchprodukte liefern einen beträchtlichen Teil des Calciums der Nahrung. (Nach Statistiken aus den USA., wo allerdings der Milchkonsum sehr hoch ist, entstammen 64% des Ca der Milch!) Ebenso sind Milch und Käse wichtig als Lieferanten zusätzlicher Mengen von essentiellen Aminosäuren bei vorwiegend vegetabilischer Nahrung. Milch ergänzt insbesondere die Kartoffel in ausgezeichneter Weise, da sie gerade diejenigen Faktoren zuführt, welche der Kartoffel fehlen. Der Käs« enthält im wesentlichen das Casein, das Fett, das Ca und den P der Milch. Bei der Labung der Milch werden vom ausfallenden Casein die Fettkügelchen und das Ca-Phosphat mitgerissen. Die ausgefallene Masse macht einen langen Reifungsprozeß durch, welcher im wesentlichen durch Mikroorganismen bewirkt wird und zum teilweisen Abbau des Caseins führt. Harte Käse enthalten nur wenig, weiche Käsesorten größere Mengen freier Aminosäuren. Auch das Fett wird teilweise hydrolysiert (Geruch nach flüchtigen Fettsäuren!). Die Unterschiede der verschiedenen Käsesorten sind einerseits durch den Fettgehalt der Milch, andererseits durch die Art der Zubereitung, Dauer des Reifungsprozesses usw. bedingt. Zusammensetzung (Emmentaler Käse): Wasser 34%, Stickstoffsubstanz (als Protein berechnet) 30%, Fett 30%, Asche 5%, Kohlenhydrat nur Spuren, Ca 0,5—1,2%, P 0,3—0,7%; Brennwert pro 100 g: 400—450 Cal. Daneben enthält Käse noch gewisse Vitamine, besonders Lactoflavin und (fette Käsesorten) Vitamin A. Rahm kann als Milch mit hohem Fettgehalt betrachtet werden 1 ). B. Fleisek Das Fleisch setzt sich zusammen aus den Muskelfasern, dem Bindegewebe und dem Fettgewebe. Es ist durch seinen Gehalt an biologisch hochwertigen Proteinen ausgezeichnet und stellt bei gemischter Kost den hauptsächlichsten Eiweißträger der Nahrung dar. Ca ist nur wenig vorhanden, dagegen viel Phosphat und verschiedene wasserlösliche Vitamine in ziemlich großer Menge (Nicotinsäureamid, Lactoflavin, Aneurin, Pantothensäure, auch etwas Vitamin C). Außerdem enthält das Fleisch reichlich E x t r a k t i v s t o f f e ; darunter versteht man wasserlösliche, niedrigmolekulare Verbindungen, sowohl stickstoffhaltige wie das Kreatin als auch stickstofffreie wie Milchsäure. Das Glycogen des Muskels wird während des Lagerns zum größten Teil in Milchsäure verwandelt. Die Zusammensetzung des Fleisches variiert hauptsächlich mit dem Fettgehalt; Beispiele: Rindfleisch, mager: Wasser 75%, N-Substanzen (als Protein berechnet) 20%, Fett 3%, Asche 1%; Brennwert: 110 Cal./lOO g. Schweinefleisch, fett: Wasser 45%, N-Substanz 13%, F e t t 41%, Asche 0,7%; Brennwert: 436 Cal./lOO g. Leber und Niere haben ungefähr dieselbe Zusammensetzung wie mageres Fleisch (z. B. Leber, roh: Wasser 73%, Protein 16,5%, Fett 8%). Diese Organe sind reich an Vitaminen der B-Gruppe. Ausführliche Zusammenfassung der Biochemie der Milch vgl. z. B. L i n t z e l , in F l a s c h e n t r ä g e r - L e h n a r t z , Physiologische Chemie, Bd. II, 2. Teil, Bandteil b, S. 326. Berlin, Göttingen und Heidelberg 1957.

Nahrungsfette

843

Fisch hat ungefähr die gleiche Zusammensetzung wie Fleisch. Der Fettgehalt schwankt je nach der Art der Fische. Eier: Eiklar und Dotter haben eine sehr verschiedene Zusammensetzung. Wertvoll ist der hohe Gehalt an biologisch hochwertigem Protein. Das Eigelb ist reich an Vitaminen der B-Gruppe (besonders hoher Gehalt an Adermin). Ca ist im Eigelb etwa in gleicher Konzentration vorhanden wie in der Milch, Phosphat in bedeutend größerer Menge. Auch der Eisengehalt' des Eigelbs ist ziemlich hoch (6 mg%). Zusammensetzung, a) G e s a m t e i : Wasser 73%, Protein 12%, Fett 12%, kein Kohlenhydrat, Ca 56 mg%, P 218 m g % ; b) E i k l a r : Wasser 88%, Protein 9%, Fett Spuren, Ca 5 mg%, P 33 mg%; c) E i g e l b : Wasser 51%, Protein 16%, Fett 30%, Ca 131 mg%, P 495 mg%. Der Brennwert des Gesamteies beträgt 163 Cal./lOO g. Ein Hühnerei wiegt im Durchschnitt etwa 50 g. C. Nahrungsfette Als solche werden die Butter und verschiedene tierische und pflanzliche Fettarten verwendet. Die ersteren werden aus dem Fettgewebe der Tiere, die letzteren hauptsächlich aus Samen und Früchten gewonnen. Eine wichtige Bedingung für die Verwendung eines Fetts als Speisefett ist ein genügend niedriger Schmelzpunkt. Das Fett soll bei Körpertemperatur flüssig bleiben. Die untenstehende Tabelle zeigt die Art und Menge der in einigen typischen Fettarten vorkommenden Fettsäuren. Säuren, die nur in kleiner Menge ( < 1%) vorkommen, sind weggelassen (nach H i l d i t c h ) . Butter enthält neben den Triglyceriden noch ziemlich hohe Mengen von Phosphatiden (bis 1,4%). Daneben sind in den natürlichen Fetten stets auch kleine Mengen von Sterinen (Cholesterine, Phytosterine) enthalten. Die Zusammensetzung der Fette ist nicht absolut konstant, sondern hängt von der Ernährung der Tiere, von der Lokalisation im Körper und anderen Faktoren ab. Die Gelbfärbung der meisten natürlichen Fette beruht auf ihrem Gehalt an Carotinfarbstoffen. Butterfett Schweinefett Kindertalg Gewichts% Gewichts% | Mol% Gewichts%

Fettsäuren . . . . . . . .

. . . . . . . .

3,7 2,0 1,0 2,6 1,7 9,3 25,4 10,7

9,8 4,1 1,6 3,5 2,0 9,6 23,4 8,9

5,0 32,4

4,6 27,0

4,0

3,3

00 00 00

Palmitoleinsäure . Ölsäure Linolsäure . . . . Linolensäure . . .

• c, • c„ . üs • CjQ • C l2 • CH • CH • C18

od7COCHR !—o— J

Die Reaktion, die von den freien Aminosäuren zu ihren RNA-Verbindungen führt, kann folgendermaßen geschrieben werden: Aminosäure + ATP + RNA -

> RNA-(Aminosäure) + PP + AMP (?)

Auch diese Reaktion ist in allen ihren Teilstufen reversibel. Gewisse Beobachtungen deuten darauf hin daß möglicherweise das AMP nicht freigesetzt sondern unmittelbar an die RNA angefügt wird. Das Enzymsystem das die obige Reaktion katalysiert wird gewöhnlich als „pH 5-Enzym" bezeichnet. Das komplette System enthält als Komponenten die verschiedenen, spezifisch auf die einzelnen Aminosäuren eingestellten aktivierenden Enzyme.

Die Synthese der Polypeptidketten aus den RNA-gebundenen Aminosäuren geht in den Microsomen vor sich. Wenn man RNA-C