Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918-1945 3770016041

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Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918-1945
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Lutz Budraß

Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918-1945

Droste

? Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918 - 1945

SCHRIFTEN DES BUNDESARCHIVS 50

Lutz Budraß

Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918 - 1945

Droste Verlag Düsseldorf

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Die in diesem Buch zugrunde liegende Dissertation ist mit dem Wemer-Hahlweg-Preis für Militärgeschichte 1996 ausgezeichnet worden.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Budraß, Lutz: Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918 - 1945 / Lutz Budraß. - Düsseldorf : Droste, 1998 (Schriften des Bundesarchivs ; 50) ISBN 3-7700-1604-1

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© 1998 Droste Verlag GmbH • Düsseldorf Sämtliche Rechte am Werk einschließlich aller seiner Teile, insbesondere für Vervielfälti­ gungen, Übersetzungen, photomechanische Wiedergabe und ie inspeic erung Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Schutzumschlaggestaltung unter Verwendung eines o os

Printed in Germany • Herstellung: MVR Druck GmbH, Bruhl

Geleitwort Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in der Zeit der nationalsozia­ listischen Diktatur in Deutschland ist ein Leitthema der zeitgeschichtlichen Forschung. Organisation und Steuerung der Wirtschaft in der Vorkriegszeit und während des Zweiten Weltkrieges standen dabei bis in den achtziger Jahren im Vordergrund des Forschungsinteresses. Während des zurücklie­ genden Jahrzehnts belegt u.a. die Studie von Hans Mommsen die eigenen Zielsetzungen verpflichteten Strategien von Unternehmen in den Jahren der Diktatur, ein Forschungsfeld, das künftig noch breiter bearbeitet wer­ den dürfte. Das angesprochene Leitthema spiegelt sich auch in den Schriften des Bundesarchivs. Bereits im Jahr 1966 erschien die von Wolfgang Birkenfeld besorgte Edition der „Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirt­ schaft (1918-1943/45)" von Georg Thomas. Im Jahr 1994 legte Walter Naasner seine Studie über „Neue Machtzentren in der deutschen Kriegswirt­ schaft 1942-1945" vor, die zu Beginn dieses Jahres um eine Edition vom Dokumenten zur Tätigkeit des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes und ihm zugeordneter Unternehmen ergänzt wurde (Bände 14, 45 und 45a der Schriften des Bundesarchivs). In der jetzt vorgelegten Studie fragt Lutz Budraß nach den Auswirkungen der Rüstungspolitik auf einen ganzen Indu­ striezweig, jenen des Flugzeugbaus in Deutschland. Ohne die Analyse der wechselnden Zielsetzungen der staatlichen Lenkungsorgane zu vernachläs­ sigen, analysiert der Autor die betriebswirtschaftlichen Orientierungen der betroffenen Unternehmen, ihrer Vorstände und Leiter und untersucht das Wechselspiel zwischen staatlichen, vornehmlich militärischen Interessen und jenen der Firmen- und Konzernleitungen. Unter dem seine Studie lei­ tenden Oberbegriff der Rationalisierung der industriellen Fertigung bindet er sowohl die politischen Anliegen der Rüstung und der gesamtstaatlichen Wirtschaftslenkung wie auch Detailstudien über die technologische Ent­ wicklung der Flugzeugindustrie und betriebswirtschaftliche Betrachtungen in seine Darstellung ein. Als Vorzug erweist sich der Rückgriff des Autors auf die Anfänge der industriellen Herstellung von Flugzeugen im Ersten Weltkrieg wie auf die Einschränkungen, die die alliierten Sieger mit dem Friedensvertrag von Versailles nicht nur der Luftrüstung der Reichswehr, sondern der deut­ schen Flugzeugindustrie insgesamt auferlegten. Damit gelingt ihm, die in­ nere Logik des Entscheidungshandelns der Unternehmen und Konstruk­ teure wie der beteiligten Militärs und sonstigen Vertreter staatlicher Wirtschaftspolitik im Bereich der Flugzeugindustrie von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Zusammenhang darzustellen und zu werten.

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Die Arbeit von Lutz Budraß stützt sich auf die Auswertung eines un­ gewöhnlich breiten Quellenmaterials. Unter den Überlieferungen staatli­ cher Provenienz zieht er erstmals den Gesamtbestand der Akten des Gene­ ralluftzeugmeisters im Reichsministerium für Luftfahrt und von dessen Vorläufern heran. Die Tätigkeit dieser Behörden stand bislang im Schatten des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes bzw. des von Fritz Todt und Al­ bert Speer geleiteten Reichsministeriums. Auch diese Überlieferung wird im Bundesarchiv verwahrt. Zahlreiche Schriftgutbestände der Unterneh­ men, nicht zuletzt jene der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke, sichtete der Verfasser in staatlichen wie in Firmen- und Wirtschaftsarchiven. Die Ergebnisse der breit angelegten, in ihrer Durchführung überzeu­ genden Studie werden von kompetenten Vertretern der Wissenschaft im einzelnen zu diskutieren sein. Für die Aufnahme der aus einer von Dietmar Petzina an der Ruhr-Universität Bochum betreuten Dissertation hervorge­ gangenen Untersuchung in die Schriften des Bundesarchivs sprach nicht zuletzt die Breite und Vielfalt der herangezogenen Quellenüberlieferungen aus vier Jahrzehnten und der Stellenwert der Flugzeugindustrie in der Rü­ stungspolitik des NS-Regimes. Die Kontinuität der Produktionskonzepte und -Strategien der Weimarer Republik bis in die ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges belegt, daß der Flugzeugbau als moderner und wachstumsori­ entierter Industriebereich von der Forschung zu lange vernachlässigt wor­ den ist. Bei der redaktionellen Bearbeitung des Bandes unterstützten mich die Kollegen Wilhelm Lenz und Achim Baumgarten, denen ich auch an dieser Stelle danke. Koblenz, im April 1998

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Friedrich Kahlenberg Präsident des Bundesarchivs

Inhalt i.

Einleitung

ii.

Flugzeugbau und Luftrüstung nach dem Ersten Weltkrieg

A.

B.

C.

Der technologische Spurt des deutschen Flugzeugbaus 1. Auftriebssatz und Grenzschichttheorie. Die wissen­ schaftliche Aerodynamik und die Entstehung des freitragenden Systems Die Erfinder des freitragenden Systems: Fokker/Platz, 2. Zeppelin/Dornier und Reißner/Junkers Bauverbot und Begriffsbestimmungen: Der Strukturgewinn 3. der deutschen Flugzeugindustrie durch den Versailler Vertrag

B.

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22 31

56

Junkers und Dornier: Untemehmensstruktur, strategische Perspektiven und Absatzentwicklung bis zum Ende der großen Inflation 1. Der Aufstieg des Junkers-Konzerns 2. Die Dornier-Metallbauten und die Regression des ZeppelinKonzerns

96

Rüstung als Untemehmensstrategie: Das Junkerswerk in Fili bei Moskau 1921-1924

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III. Rüstung durch Rationalisierung: Die Rüstungspolitik der Reichswehr und die Flugzeugindustrie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre A.

i

Das Rüstungskonzept des Heereswaffenamtes und die Differenzierung der industriellen Struktur 1. Strategien der Nachinflationsuntemehmen: Rohrbach und Heinkel .'.................... 2. Heereswaffenamt, Truppenamt, Reichsverkehrsministerium und das Konzept der fabrikatorischen Vorbereitungen .... 3. Die erste Krise des Junkers-Konzerns

Die Formierung des Luftrüstungskartells 1. Entstehung und Ziele des Luftdepartements im Heereswa ffenam t 2. Zivile Agenturen in der Luftrüstung: Die Funktionen der Luft-Hansa, des Reichsverbands der Luftfahrtindustrie und der DVL

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225 VII

c.

Das Transozeanprogramm, der Sparhaushalt 1929, die Parlamentarisierung der Rüstungspolitik und der Zerfall der Rüstungskartells 1928-1933 1. Das Transozeanprogramm 2. Das Rüstungskonzept des Junkers-Konzerns, der Sparhaushalt 1929 und die „Rationalisierung der Luftfahrtindustrie" 3. Die Militarisierung der Luftfahrtpolitik 4. Die Emanzipation der Luft-Hansa und der Strukturwandel der Industrie in der Weltwirtschaftskrise

IV. Die Aufrüstung der Luftwaffe 1933-1936 A.

Der Aufstieg Hermann Görings 1* Die Gründung des Reichsluftfahrtministeriums 2. Rüstung in unternehmerischer Selbstverwaltung 3. Die Enteignung von Hugo Junkers

B.

Der Plan für den Industrieausbau: die „Industrierüstungsgrundlagen 1.4.38" 1. Das sowjetische Vorbild 2. Prinzipien und Instrumente der Planung

V.

C.

Die unternehmerische Kompensation des Wachstums 1. Die Profilierung der Unternehmen 2. Der Wandel der Produktionstechnik

D.

Die Expansion der Junkers Flugzeug- und -Motorenwerke AG. . 1. Untemehmensstrategie und Untemehmensorganisation. . . 2. Standorte und Personalpolitik

Die Krise der Rüstungsbeschleunigung und die unternehmerisch gesteuerte Rüstung 1937-1941 A.

Die Krise vom Sommer 1937 1. Die Folgen der Rüstungsbeschleunigung Lösungsstrategien: Die Standardtypendoktrin, die Reform 2. der Investitionsfinanzierung und die „ingenieursmäßige" Reorganisation des Technischen Amtes

B.

Der Zauber der Rationalisierung 1. Die „nationalsozialistische Rationalisierung" 2. Die Konkurrenz der Standardtypen 3. Die Genesis des Ju 88-Programms 4. Die Verfünffachung der Luftwaffe und der Weg in den Krieg

C.

Auf dem Weg zur I.G. Luft: Die JFM 1938-1941 1. Die erste Neuordnung des Konzerns................................... * ’ ’ 2. Der „Führerbefehl" zur Ju 88 und die Durchführung des

3.

Ju 88-Programms Rationalisierung und Großraumwirtschaft

VIII

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583 601

ii

4. 5. D.

Konsolidierung durch Entwicklung: Die Ju 288 Expansion als Krisenmanagement

Strukturprobleme der Luftrüstung 1940/41 1. Der Kapazitätsüberhang 2. Strategien der Rüstungsbehörde und der Flugzeuguntemehmen

VI. Radikale Rationalisierung: Der Verfall der Luftrüstung 1941-1945. .

A.

Das Ende der unternehmerischen Autonomie Die Gründung des Industrierats Das Göring-Programm Die Entmachtung Heinrich Koppenbergs

1. 2. 3.

B.

C.

D.

E.

Prämissen und Instrumente einer verstaatlichten Rüstungssteuerung Beschaffung statt Entwicklung: Die Rüstungsstrategie Milchs 1. 2. Die „Einhegung" der Industrie Die „Verbandlichung" der Luftrüstung 3. Normen statt Maßnahmen: Die monetäre Steuerung der 4. Luftrüstung Die Arbeitseinsatzindustrie 1. Der „Ausländereinsatz" 2. Arbeits-und Standortpolitik als Experimentierfeld 3. Die „Idealwerke" Formen des Krisenmanagements: Sozialpolitische und technische Neuerungen in der Luftfahrtproduktion 1. Repression und Partizipation, Mobilisierung und Hierarchisierung: Die Kompensation der Belegschaftsumschichtung 2. Der technische Wandel der Flugzeugproduktion 1942-1944.

Deflexibilisierung als Rüstungspolitik 1. Die neue Unsicherheit: Rüstungspolitik und Untemehmensstrategie 1943 „Rationalisierung" und Emanzipation: Messerschmitts 2. Baukastenflugzeug 3. Die Stillegung der Industrie

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VII. Zusammenfassung

883

Quellen und Literatur

895

Abkürzungen

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Sachregister

953

Namensregister

969

Danksagung

975

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I. Einleitung Wenigen der führenden Nationalsozialisten ist so viel Anerkennung gezollt worden wie dem ersten Minister für Bewaffnung und Munition und seinem Nachfolger. Mit den Namen Todt1 und Speer2 verbindet sich die Tatsache, daß die deutsche Rüstungsproduktion in einem Zeitraum, als der Krieg verloren ging, stetig wuchs und im letzten Kriegsjahr mehr Waffen produziert wurden als jemals zuvor. Der jeweilige Anteil der beiden Muni­ tionsminister am „Wunder der deutschen Rüstung", wie es Speer selbst noch während des Krieges bezeichnete,3 ist zwar heftig umstritten. Auch in der neueren Literatur wird jedoch nicht bezweifelt, daß die deutsche Kriegswirtschaft leistungsfähiger wurde, nachdem überzeugte Nationalso­ zialisten ihre Führung übernommen hatten. Gleichwohl ist der Befund pa­ radox, daß das nationalsozialistische Regime 1944, als es seine größte Zer­ störungskraft entfaltete, zugleich den Höhepunkt seiner ökonomischen Steuerungsfähigkeit erreichte. Die Frage, in welcher Weise die Institutionen der Kriegswirtschaft trotz ihrer Erosion zu einem Gebilde, das „nach den Kategorien bürokratischer Staatsverwaltung praktisch undefinierbar war",4 eine derartige Vergrößerung der industriellen Produktion bewirken konn­ ten, gehört daher seit 1945 zu den zentralen Themen der Wirtschaftsge­ schichte des „Dritten Reiches". Zwar ist das Paradoxon des „Rüstungswunders" nur ein Thema dieser Darstellung. Die Debatte über den Wandel der deutschen Kriegswirtschaft seit 1942 und die aus ihr hervorgegangenen Erklärungsansätze können je­ doch beispielhaft herangezogen werden, um einige Defizite der Forschung über die deutsche Rüstung seit dem Ersten Weltkrieg zu verdeutlichen und daraus wiederum die leitenden Gesichtspunkte dieser Untersuchung ab­ zuleiten. Die historische Forschung hat zunächst versucht, das Paradoxon des „Rüstungswunders" durch eine Relativierung aufzulösen. Der Auf1

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Zur Rolle Todts die Arbeiten von Milward, Kriegswirtschaft; Ludwig; Rolf-Dieter Müller, Mobilisierung, und Seidler; zu Todt auch Eichholtz, Kriegswirtschaft Bd. I, S. 129. Zur Einschätzung Todts unter den Zeitgenossen Kehrl, S. 212ff. Zur Ära Speer: Wagenführ, Industrie; USSBS, Effects; Klein, S. 213ff. u. 220ff., sowie Janssen und der ehemalige Rüstungsminister selbst: Speer, Erinnerungen ders., Span­ dauer Tagebücher, sowie ders., Sklavenstaat. In jüngerer Zeit Naasner, S. 163ff., bes. S. 175 u. 181f. In einem Vortrag vor Vertretern der Rheinisch-Westfälischen Industrie am 9. Juni 1944, in: Nachrichten des RMfRuK, 1944, S. 397-404, hier S. 397; Naasner, S. 183; Blaich, S. 156; Boelcke, Deutschlands Rüstung, S. 8f. Broszat, S. 376. 1

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Schwung wird zwar nicht bestritten, aber schon die frühen Arbeiten aus dem Umfeld des United States Strategie Bombing Survey (USSBS) haben festgehalten, daß er von einem äußerst niedrigen Sockel aus erfolgte. Die deutsche Wirtschaft, heißt es, war bei Kriegsbeginn so wenig auf die Rü­ stungsproduktion fixiert, daß der Produktionszuwachs der letzten Kriegs­ jahre allein durch die Mobilisierung der Reserven erklärbar ist. Der These Milwards zufolge wurde die deutsche Kriegswirtschaft in ihrer ersten Pha­ se von der Strategie des „Blitzkriegs" geprägt. Bei einer nur teilweisen Mo­ bilisierung der Ressourcen sollte der Wehrmacht die Fähigkeit verliehen werden, kurzfristig eine enorme Angriffskraft zu entfalten. Die ökonomi­ sche „Blitzkriegsstrategie" konnte flexibel neuen Kriegsschauplätzen ange­ paßt werden, und sie erfaßte nur begrenzte Segmente der deutschen Wirt­ schaft. Sie war jedoch auf kurze Feldzüge hin ausgelegt und mußte daher bald nach dem Sieg über Frankreich aufgegeben werden. Die Bedeutung der Munitionsminister lag nach Milward in der erfolgreichen Bewältigung der Aufgabe, die sich durch das Scheitern der Blitzkriegsstrategie ergab. Todt und Speer beseitigten die Hindernisse für eine Umstellung der deut­ schen Wirtschaft vom „Blitzkrieg" auf den „totalen" Krieg.5 Durch die These, die Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft stelle sich als eine Abfolge von „Blitzkrieg" und „Mobilisierung" dar, wird die Entwicklung in der zweiten Kriegshälfte als eine „nachholende" Bewegung beschrieben, mit der die deutsche Wirtschaft erst allmählich so weit in die Rüstung eingebunden wurde, wie es beispielsweise in Großbritannien schon 1940 der Fall war. „Mobilisierung" als Erklärung des „Rüstungs­ wunders" überbrückt somit den Widerspruch zwischen der unterstellten erhöhten Steuerungsfähigkeit der Institutionen der Kriegswirtschaftspolitik und dem zerstörerischen Wesen der nationalsozialistischen Herrschaft: Der Begriff impliziert keine qualitative Verbesserung der Rüstungsproduktion, sondern ein quantitatives Wachstum der Produktionsfaktoren, das mit Maßnahmen erzeugt wurde, die charakteristisch für die Herrschaftsaus­ übung im nationalsozialistischen Deutschland waren. Die „totale Kriegs­ wirtschaft" wurde durch die scharfe Reduzierung der Konsumgüterpro­ duktion, die Ausplünderung der besetzten Gebiete und den rigorosen Einsatz von Zwangsarbeitem erreicht.6 In jüngerer Zeit ist das Mobilisierungsparadigma allerdings überzeu­ gend in Frage gestellt worden. Müller und Kroener haben nachgewiesen, daß die Ursache der unvollkommenen Mobilisierung der deutschen Wirt­ schaft bei Kriegsbeginn keineswegs in jener „Blitzkriegsstrategie" zu su-

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Milward, Kriegswirtschaft, S. 9-52; Klein, S. 173-205; zur unvollkommenen Mobilisie­ rung vör allem Thomas, Geschichte, S. 154 et passim, sowie ders., Breite, passim; Herbst, Totaler Krieg, bes. S. 93-126 u. 171-174, sowie Carroll; Mason, Innere Krise und ders., Sozialpolitik; zur „friedensmäßigen Kriegswirtschaft" zusammenfassend: RolfDieter Müller, Grundzüge, S. 360ff. und Freyberg in: Siegel/Frey erg, Geyer, Rüstungspolitik, S. 157.

eben ist, sondern in den vielfältigen Rivalitäten und Reibungsverlusten im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, die eine effektive Nutzung der bereitgestellten Ressourcen verhinderten.7 Seit den frühen achtziger Jahren hat jedoch vor allem Overy die Abfolge von „Blitzkrieg" und „Mobili­ sierung" als Gerüst zur Erklärung der deutschen Kriegswirtschaft in Frage gestellt. Ein Argument aufgreifend, das Carroll Ende der sechziger Jahre in Ansätzen entwickelt hatte,8 bestreitet er überhaupt, daß der Grad der Mo­ bilisierung der deutschen Wirtschaft für den Krieg gering war.9 Die Reakti­ on der europäischen Mächte auf den Angriff auf Polen traf seiner These zu­ folge eine Wirtschaft im Übergang, aber keine, mit der ein „Blitzkrieg" geführt werden sollte. Vielmehr trieb das Regime in der Vorbereitung eines interkontinentalen Kriegs bis 1941 auf die Spitze, was sich bereits 1939 ab­ gezeichnet hatte. In Deutschland waren schon bei Kriegsbeginn Arbeits­ kräfte, finanzielle und materielle Ressourcen in einem Maß in die Rüstung eingebunden, wie es in keinem anderen der kriegführenden Staaten der Fall war.10 Durch die Kritik von Müller, Kroener und Overy wird somit die wich­ tigste Erklärung des „Rüstungswunders" neutralisiert. Der Schwerpunkt verschiebt sich dadurch auf eine zweite, die zwar stets, jedoch nur flankie­ rend zur „Mobilisierung" angeführt worden ist: daß die Rüstung unter Todt und Speer „rationalisiert" wurde. Todt und Speer, so der Kern dieser Erklärung, banden Unternehmer und Manager in die Gestaltung der Rü­ stungsproduktion ein,11 um deren Kenntnisse über den Ablauf industrieller Produktion zu nutzen und eine auf die Bedürfnisse der Industrie abge­ stimmte, gestraffte Binnenorganisation der Rüstung zu erhalten.12 Befreit von den Fesseln der bürokratischen, schwerfälligen und inkompetenten Rüstungsverwaltung konnten diese Unternehmer, wie schon zeitgenössi­ sche Beobachter konstatierten, „rationalisieren wie noch nie".13 Eine solche Erklärung der Entwicklung in der -zweiten Kriegshälfte impliziert indes eine überaus fragliche und höchst unbefriedigende Schluß-

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Kritisch zur Blitzkriegsthese insbes. Kroener, Blitzkrieg. Angesichts der Frage, wie eine „war-like economy" überhaupt zu definieren sei, Carroll, S. 189f. u. 250. Overy, Blitzkriegswirtschaft, S. 432f. Die These über den großen Krieg liegt allen jüngeren Arbeiten Overys zu Grunde, vor allem ders., Hitler's War. Rolf-Dieter Müller, Grundzüge, S. 367ff.; Blaich, S. 44f.; Eichholtz, Kriegswirtschaft Bd. II, sowie Zumpe, S. 315-344. „[...1 von Beginn an ging es um die Abkopplung der schwerfälligen und in technologi­ scher und kaufmännischer Hinsicht vielfach sachunkundigen Wehrmachtsbürokratie von den Entscheidungsprozessen der Rüstungsproduktionsplanung zugunsten der in­ novationsbereiten, leistungs- und gewinnbezogenen industriellen Praktiker"; Naasner, S. 169; zu diesem Hauptstrang der Betrachtung von Militär und Rüstung: Jannowitz, passim. Welter, Weg, S. 55f. u. 79-81; Neumann, S. 620f. u. 634ff.

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folgerung. Durch die Aufwertung der „Rationalisierung" zur zentralen Er­ klärung des „Rüstungswunders" entsteht ein Spannungsfeld zwischen der „Irrationalität der nationalsozialistischen Herrschaft und der Rationalität der Rationalisierung" (Freyberg/Siegel). Wenn es bestritten werden kann, daß der Aufschwung der Rüstungsproduktion durch die Differenz erklär­ bar ist, die zwischen einer „friedensmäßig" zugeschnittenen Kriegswirt­ schaft bei Kriegsbeginn und einer zwar mobilisierten, aber immer noch, im Vergleich zu den anderen kriegführenden Ländern, weitaus weniger effek­ tiven Kriegswirtschaft der Jahre 1943/44 liegt, dann ergibt sich die Schluß­ folgerung, daß es in den späten Kriegsjahren nicht nur eine quantitative Mobilisierung gab, um die Normalität der anderen kriegführenden Staaten zu erreichen, sondern daß Todt und Speer die deutsche Kriegswirtschaft qualitativ veränderten, um sie auf eine höhere Stufe von Effizienz zu he­ ben. Durch das Rationalisierungsparadigma wird suggeriert, daß es eine Konsolidierung der deutschen Kriegswirtschaft gab, die nicht nur gegen die Zerstörungskräfte des Regimes anstand, sondern sie verdrängte.14 Es entsteht das Bild einer Symbiose aus Amoklauf und Schöpfungskraft, durch die die deutsche Industrie umfassend rationalisiert und sogar eine „zeitweilige Lösung bestimmter Widersprüche des Kapitalismus"15 erreicht während der Nationalsozialismus unter der Hand zu einer überlegenen Form der Vergesellschaftung wird, die für die Entfaltung von Selbsthei­ lungskräften und eine „schöpferische Zerstörung"17 den denkbar besten Rahmen abgab. Durch diese Erklärung werden nicht nur Todt oder Speer, auch Ley,18 Sauckel, Himmler,19 Ohlendorf und schließlich Hitler20 selbst zu Vordenkem und Exekutoren von Rationalität und „Modernität".21 Die Widersprüchlichkeit dieser Erklärung begründet sich aus der ein­ seitigen Betonung der Rüstungspolitik. Es dominiert eine Perspektive, in

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Prinz, S. 306. Eichholtz, Kriegswirtschaft Bd. II, S. 295. Overy, Gennany, S. 148f. Roth, Monopolkapital, S. 132; auf die enge Verwandtschaft der Ansätze von Roth und Zitelmann/Prinz hat insbesondere Frei, S. 375, hingewiesen. Zu Ley: Smelser, passim. Zu Otto Ohlendorf, Leiter der Einsatzgruppe D, und zugleich „Vorbehaltswahrer" von Wirtschaftspolitik im eigentlichen Sinne, die die letzten Reste von Irrationalität mit den „Vorbereitungen auf den Frieden" abschüttelt: Herbst, Totaler Krieg, S. 258f., 267ff. u. S. 343ff.; vgl. Naasner, S. 446. Zu „Modernität" Hitlers: Zitelmann, Hitler, passim. Ein extremer Hitlerzentrismus zeichnet auch die Arbeiten von Overy aus. Hitler plant bei ihm nicht nur den großen Krieg, sondern er nimmt auch die Mittel visionär vorweg, die etwaige Krisen lösen könnten: Germany, S. 156; sein Hitlerzentrismus verschwimmt freilich, wenn es darauf ankommt, den geringen Waffenausstoß trotz der mobilisierten Wirtschaft zu erklären: Hitler s war, S. 251. Überprüfung der ModemiZitelmann, Seite, bes. S. 17; eine methodisch angemesse rp sierungshypothese bei Alber.

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der das Handeln von Unternehmern, Militärs und Vertretern von Partei und Staat politisch zurechenbar gemacht wird, ein Merkmal, das die ge­ samte Debatte über die Rüstung im Nationalsozialismus auszeichnet: Kriegswirtschaft erscheint als ein „System von Maßnahmen der Wirt­ schaftspolitik".22 Nicht zuletzt durch eine vergleichsweise gute Überliefe­ rung steht das Amt Georg Thomas', das sich der „Wehrwirtschaft" wid­ mete, den „technisch-wirtschaftlichen Vorbereitungsmaßnahmen der Wirt­ schaft auf einen Krieg", im Zentrum der Forschung. Die militärischen Stel­ len hingegen, die die „Rüstungswirtschaft" förderten und koordinierten, die „Anstrengungen der Industrie zur Stärkung der Rüstung",23 sind bis­ weilen noch nicht einmal identifiziert. Auf der anderen Seite ist es zwar eine mittlerweile etablierte Sichtweise, daß die Darstellung der Akteure in der nationalsozialistischen Wirtschaft sich nicht allein auf die Innensicht der staatlichen bzw. Parteibürokratie beschränken darf, sondern vielmehr die Unternehmen einbeziehen muß. Gerade die Bewertung des unternehmerischen Handelns in der Rü­ stung zeichnet sich jedoch durch eine eigentümliche Brechung aus. Die Betonung der unternehmerischen Selbstverantwortung als wichtigstem Im­ puls des Wandels der deutschen Kriegswirtschaft liegt einerseits die Vor­ stellung zugrunde, daß der Unternehmer als homo oeconomicus mit einem höheren Grad von Rationalität jene Änderungen herbeiführte. Er erscheint darin als eine spezifische Form unerschlossener Ressourcen, die von den politischen Führern eingesetzt wurde, um die Kriegswirtschaft zu effekti­ vieren. Andererseits konzentriert sich das Erkenntnisinteresse der Studien, in denen die Anpassung von Unternehmen und Branchen an die Rüstungs­ entwicklung thematisiert wird, auf die Diskussion über die politische Be­ teiligung jener Unternehmen und Branchen an der Lenkung der deutschen Wirtschaft24 - wie etwa in der lange anhaltenden Debatte über den Vierjah­ resplan.25 Es herrscht zwar kein Mangel an Konzepten, mit denen das Zu­ sammenwirken von Militär und Industrie thematisiert werden kann; Kon­ struktionen wie der „militärisch-industrielle Komplex"26, das Mehrsäulen-

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Briefs, S. 986. Zu dieser Unterscheidung: Thomas, Geschichte, S. 51; erläuternd: Herbst, Totaler Krieg, S. 96ff. Gottfried Plumpe, passim; Hayes, Industry, passim; Mollin, Montankonzeme, passim. Petzina, Autarkiepolitik, passim; für die Kriegszeit: Weyres-von Levetzow, passim; die Frage nach dem planwirtschaftlichen Charakter der nationalsozialistischen Wirtschaft ist erst in jüngerer Zeit erneut aufgegriffen worden: Temin, economic planning. Schon allein die Bestimmung der Akteure, „Militär" und „Industrie", bereitet Proble­ me. Weiterhin mag man anführen, daß die Zusammenarbeit von militärischen und in­ dustriellen Gruppierungen nun einmal in der Natur der Rüstung liegt: „the military­ industrial complex exists whereever weapons are produced"; Ambrosius, S. 114; Han­ sen, Militärisch-Industrieller Komplex, passim; Homze, German MIC, passim.

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modell Franz Neumanns,27 der „organisierte Kapitalismus"28 oder ver­ schiedene Korporatismusmodelle29 bieten jedoch lediglich einen analy­ tischen Rahmen zur Erklärung jener politischen Überformung makroöko­ nomischer Vorgänge. Ähnliches gilt für die Modelle, die in der Primatde­ batte30 entwickelt worden sind. Auch hier liegt das Hauptaugenmerk auf der „phänomenologischen Analyse der Zielkongruenz"31 von Industrie, Militär und Regime, durch die wenig über Zusammenhänge und Entwick­ lungen bei der Gestaltung der Rüstungsproduktion ausgesagt werden kann. In den Arbeiten, die ausdrücklich den Wandel von Produktionsprozes ­ sen betrachten, wird die Wechselwirkung mit der Rüstungsentwicklung bis auf wenige Ausnahmen32 - nur sporadisch behandelt.33 Selbst in jünge­ ren Arbeiten, in denen detailliert unternehmerische Handlungsspielräume in der Rüstung thematisiert werden, ist der darstellerische Fluchtpunkt die politische Zurechenbarkeit des unternehmerischen Handelns im Sinne ei­ ner Nähe oder Ferne zum Regime.34 Die verbreitete These, daß die Rüstung für die Unternehmen nur ein Vehikel darstellte, um Ziele zu verfolgen, die jenseits des Krieges lagen - also etwa, mit den während des Krieges aufge­ bauten Massenfertigungskapazitäten in der Nachkriegszeit die Weltmärkte zu erobern - hat die Analyse des eigentlichen Rüstungsprozesses überdies behindert.35 Die Betrachtung der Rüstung unter dem Blickwinkel der Rüstungspoli­ tik kennzeichnet auch die Behandlung des „Rationalisierungsparadigmas". Um die Herkunft jenes Wissens über die „Rationalisierung" zu verorten, das dem „Rüstungswunder" zu Grunde lag, ist in jüngerer Zeit verstärkt auf den Lernprozeß durch die Rationalisierungsbewegung verwiesen wor­ den, die die kurze Phase der Stabilität der Weimarer Republik prägte. Diese

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Dezidiert aufgegriffen bei Mollin, Montankonzeme, S. 22f. Die Künstlichkeit der von Mollin angenommenen Unterscheidung hat Roth, Monopolkapital, aufgezeigt. Die in den siebziger Jahren vorgebrachten empirischen Befunde zum organisierten Ka­ pitalismus verweisen in der Mehrheit auf die Erfahrungen der Kriegswirtschaft des Er­ sten Weltkriegs: Hardach, passim; Berndt-Jürgen Wendt, War Socialism, passim; Feld­ man, Organisierter Kapitalismus, S. 154-156. Fühle, passim; Abelshauser, passim. Zuletzt Mollin, Montankonzeme. Geyer, Rüstungspolitik, S. 244f.; ders., Traditional Elites, S. 57ff.; Hans-Erich Volk­ mann, Aufrüstung, S. 152ff. Diese Ausnahmen stellen in der Hauptsache die Arbeit von Freyberg in: Siegel/ Freyberg, und der Aufsatz von Zeitlin dar. Stahlmann, S. 243ff.; Homburg, Rationalisierung, S. 681 f. Gehrig, S. 323ff.; Mommsen/Grieger, S. 29; Spoerer, S. 170. So Eichholtz, Kriegswirtschaft Bd. II, bes. 295ff., und Roth, Stern, S. 229ff. u. 249ff. Zu­ gespitzt hat Roth das Argument im Fall der I.G. Farben: LG. Auschwitz; s. a. ders., Na­ zismus, S. 90f., u. Siegel/Freyberg, S. 423; Hachtmann, S. 303. Jüngst, freilich in einem anderen Argumentationszusammenhang, Hopmann, S. 491f.; zur industriellen Konver­ sion nunmehr grundlegend: Brömmelhörster, S. 46ff. und 190ff.

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Bewegung erbrachte zwischen 1924 und 1929 eine Fülle von Ansätzen zur Regulierung der durch Krieg und Inflation deformierten Gesellschaft. Stichworte der Diskussion, die sich in einer Welle von Veröffentlichungen niederschlug, waren die Rolle des Staates und korporativer Institutionen in der Wirtschaftslenkung, der Konzentrationsprozeß in der Industrie, die Einführung arbeitssparender Innovationen und neuer Verwaltungstechni­ ken, die „Taylorisierung" und „Fordisierung", die Standardisierung und Normierung von Gütern und Austauschbeziehungen, die Lenkung des wis­ senschaftlichen Fortschritts. Das 1921 gegründete Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW) als wichtigste Institution der Bewegung wandelte sich von einer im Kern staatlich, vom Reichswirtschaftsministerium ge­ führten und finanzierten Behörde zu einer Organisation unter industrieller Führung, die sich als Leitstelle der auf unterschiedlichen Ebenen, mit ver­ schiedenen Traditionen und Formen angestrengten Vorhaben zur Erhö­ hung der Wirtschaftlichkeit verstand.36 Daß somit nach dem Ende der Rationalisierungsbewegung in der Weltwirtschaftskrise verheißungsvolle, jedoch unfertige Projekte zurück­ blieben - etwa Ansätze in der betrieblichen Sozialpolitik, die sich in den Dienst einer autoritären Restrukturierung der Betriebsverhältnisse stellen ließen,37 oder Erkenntnisse über Fließfertigungssysteme, die in der Rüstungs­ konjunktur der dreißiger Jahre nutzbringend zu verwenden waren38-, hat die Auffassung bestärkt, daß „Rationalisierung" in den dreißiger Jahren und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem Programm des Regimes wurde. Siegel und Freyberg kommen zu dem Schluß, daß die Flexibilisie ­ rung der Produktionsweise und die Arbeitspolitik der dreißiger und vier­ ziger Jahre auf einer systematischen Weiterentwicklung der Ansätze der zwanziger Jahre beruhten: „Die Rüstungskonjunktur bei gleichzeitiger Zer­ störung autonomer Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten und einer Proklamierung des Rationalisierungsgedankens als staatspolitisches Programm ermöglichte eine erneute Rationalisierungswelle."39 Hachtmann kommt zu dem Ergebnis, daß die „fertigungstechnische und arbeitsorgani­ satorische Rationalisierungsbewegung, die in den Jahren bis 1929 nur rela­ tiv kleine Bereiche der deutschen Industrie erfaßt hatte und während der Krise zum Stillstand gekommen war, seit 1935/36 forciert wieder aufge-

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Schon zu Beginn der zwanziger Jahre gliederte sich das RKW mehrere Spezialinstitute, etwa den „Ausschuß für Wirtschaftliche Fertigung“ (AWF, ursprünglich beim VDI), an: Die Zusammenlegung des Ausschusses für wirtschaftliche Fertigung mit der Betriebs­ technischen Abteilung und Bericht über die Arbeiten, in: Maschinenbau/Betrieb, 4 (1922), S. 33-36; Freyberg, S. 296ff. Sachse sowie Werner Plumpe, Betriebliche Mitbestimmung, S. 163ff. u. S. 591 ff. Zur „Fließfertigung“ umfassend Bönig; so auch die Arbeit, die Rationalisierung als Signum der technischen und ökonomischen Entwicklung der ersten Hälfte des 20. Jahr­ hunderts nimmt: Produktivkräfte, S. 20ff. Siegel/Freyberg, S. 15. 7

nommen (wurde). [...] Ohne die aktive und vorbehaltlose Unterstützung durch das NS-Regime wäre es nicht zu diesem Modernisierungsschub ge­ kommen".40 Freilich finden sich gerade in dieser Debatte Hinweise, daß Rationali­ sierung nicht als staatspolitisches Programm begriffen werden darf, son­ dern vielmehr gerade in der Rüstung als Produkt eines vielgestaltigen Anpassungs- und Lernprozesses gesehen werden muß, in dem bestimmte Veränderungen der industriellen Produktion im Lichte anderer Möglich­ keiten und vor allem durchaus konfliktträchtig eingesetzt wurden.41 Ratio­ nalisierung bezeichnete eine Fülle von Subjekt-Objekt-Beziehungen, die zwar zu gliedern, aber nur unzulänglich in einen Zusammenhang zu brin­ gen waren. Angesichts der Zahl von Maßnahmen und Instrumenten, die sich unter jenem Etikett verbargen, war es stets umstritten, inwieweit sich diese überhaupt unter dem Titel einer „Bewegung" subsumieren ließen. Die gesellschaftliche und industrielle Realität hing deutlich hinter der „Rationa­ lisierungsmanie" zurück,42 zumal die Maßnahmen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren unter dem Rubrum „Rationalisierung" subsumiert wurden, bei einer nüchternen Betrachtung eine lange Vorgeschichte hatten.43 Ange­ sichts der durchaus disparaten Inhalte des vermeintlichen „Programms" be­ läßt es die Forschung zur deutschen Kriegswirtschaft bei Referaten der zeit­ genössischen Appelle und Leistungssteigerungsberichte,44 während die Dar­ stellungen der Instrumente und Wirkungen der Rationalisierung in unter­ schiedlichen Sektoren der Kriegswirtschaft wenig systematisch gegliedert und bisweilen widersprüchlich sind.45 Mit dieser Kritik soll keineswegs bestritten werden, daß es einen poli­ tischen Einfluß auf die Entwicklung der industriellen Produktion während 40 41

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Hachtmann, Industriearbeit, S. 302f. Knittel, S. 49, 52, 80, 88f.; Mommsen, Vorgetäuschte Modernisierung, S. 415; Siegel, Rationalisierung, S. 127; Wysocki, bes. S. 178-256. Brady, Rationalization, S. 22-32; Produktivkräfte, S. 90f.; Radkau, S. 274. Neuerdings zum Rationalisierungsdiskurs der zwanziger Jahre: Wupper-Tewes; zur Rationalisie­ rungskrise in der Weltwirtschaftskrise: James, Deutschland, S. 151 ff.; Kleinschmidt, S. 330ff.; Homburg, Rationalisierung, S. 520ff. Paulinyi, S. 173-181. Zum Maschinenbau Benad-Wagenhoff, S. 205-218; zur Stahlindu­ strie Kleinschmidt, S. 95-100; Chemie: Gottfried Plumpe, S. 40ff. Die Psychotechnik bei­ spielsweise, die trotz aller Skurrilität die populäre Auseinandersetzung über die Ratio­ nalisierung prägte, wurzelte in Gestalt der Hauptwerke von Hugo Münsterberg (Psychologie und Wirtschaftsleben, 1911), und Psychotechnik, 1914), in der Zeit der Jahrhundertwende: Hinrichs; Radkau, Technik, S. 282; Homburg, Rationalisierung, S. 304ff. So bei Overy, Rationalization. So bei Eichholtz, Kriegswirtschaft Bd. II, wenn er Arbeitszeitverlängerung als „Rationalisierung" bezeichnet und damit nicht nur seinen eigenen Prämissen wider­ spricht, S. 304, vgl. S. 293, oder wenn er behauptet, daß Maßnahmen zur Typenvermin­ derung und Normierung eine geringere Rolle spielten, sie dann gehäu t an ü rt, schließlich aber einräumt, daß sich auf diesen Feldern dennoch wenig ge an a e, S. 302, vgl. S. 306, 308, 312, 314ff., 321, 327.

des Kriegs gab. Es ist jedoch generell zu fragen, ob ein starker politischer Wille Zusammenhänge überspielen konnte, die sich aus der Wechselwir­ kung zwischen der Rüstungsentwicklung und dem Wandel der industriel­ len Produktion ergaben.46 Schon Werner Sombart erblickte das zentrale Er­ gebnis dieser Wechselwirkung in der „Entstehung des Massenbedarfs". Er stelle, schrieb Sombart 1912, sich entweder als „ein Bedarf an großen (zu­ sammengesetzten, komplexen) Gütern oder [als] ein Bedarf an vielen gleichartigen Gütern" dar. Beide Arten des Massenbedarfs seien durch „Zusammenballung" zu befriedigen: Sie „vollzieht sich entweder in einem technischen Prozesse: wenn große Kanonen, große Schiffe, große Kasernen bedurft werden; oder durch bloß organisatorische Nebeneinanderreihung einzelner Konsumakte: wenn die Waffen für tausend Krieger in einem be­ schafft werden statt von jedem einzeln."47 Sombart mußte entgehen, daß die von ihm beschriebenen Arten der „Zusammenballung" in dem Krieg, der bald nach dem Erscheinen seiner Untersuchung folgte, zusammenfie­ len. Die Rüstung im Ersten Weltkrieg wurde „material-intensiv":48 Nicht nur einfach aufgebaute Güter in großer Zahl oder einzelne komplexe Güter waren zu beschaffen, vielmehr nahmen solche Waffen und Geräte einen immer größeren Raum ein, die komplex aufgebaut waren und durch ihren immer schnelleren Verbrauch in wachsender Zahl bereitgestellt werden mußten. Durch diese Entwicklung wurde das Argument Sombarts freilich noch akzentuiert: Seit dem Ersten Weltkrieg ist es ein Wesenszug der Rü­ stung, daß durch die Entstehung vielgestaltiger und verzweigter Waffensy­ steme und durch den immer größeren Bedarf der Streitkräfte ein wachsen­ der Druck auf die Rüstungsunternehmen ausgeübt wird, ihre Her­ stellungsverfahren organisatorisch und technisch anzupassen. Der Kriegs­ auftrag „ist ein Massenauftrag durchschnittlicher stabiler Qualität und geht auf Normal- und Typenprodukte; er verlangt häufig ein technisches Inein­ anderarbeiten verschiedener Produktionsunternehmen; er ist in dubio dringlich, und nicht zuletzt ist er ein Auftrag aus einer bestimmten Hand, die möglichst mit wenigen Auftragnehmern zu tun haben kann und will."49 Die Abwicklung des Kriegsauftrages steht damit in einem prinzipiellen Gegensatz zum unternehmerischen Interesse schlechthin. Die Beherrschung von Massenproduktion und Massenumsatz ist, folgt man dem Modell von Alfred D. Chandler, der Schlüssel zur Entstehung des modernen industri­ ellen Unternehmens.50 Angesichts eines zunehmenden Versagens des Marktes an der Aufgabe, die Verteilung von Gütern in dem Umfang vorzu­ nehmen, wie sie produziert wurden, ging die Verantwortung für den Fluß 46 47 48

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Zu dieser Kritik vor allem Buchheim. Sombart, S. 71. Geyer, Rüstungspolitik, S. 13. Briefs, S. 992. Chandler hat diese Geschichte in drei großen Arbeiten seit dem Beginn der sechziger Jahre entwickelt: Strategy; Visible Hand; Scale.

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1 der Güter von der Rohstoffgewinnung zum Endproduzenten und von dort aus zum Konsumenten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Zug um Zug in die Hände vertikal und horizontal integrierter Großunternehmen über, die schließlich auch den Verkauf und die Kundenbetreuung übernahmen. 51 Die immer weiter fortschreitende Integration von Marktfunktionen basierte auf einem dauernden Lernprozeß, den die Unternehmen mit der Herausbil­ dung bestimmter Formen ihrer Binnenorganisation und der wachsenden Beschäftigung von hauptamtlichen Managern begegneten. Die Verbreite­ rung dieser Managerschicht war die Grundlage für die Erhaltung von ein­ mal erreichten Marktpositionen, da die sachbezogen arbeitenden Manager die Unternehmen an Märkte und Innovationen anpaßten und ihre distribu­ tive, organisatorische und produktive Leistungsfähigkeit verbesserten. Die Geschichte der Großunternehmen gestaltete sich daher, zur Sicherung von Marktpositionen und der Ausschöpfung von Kostenvorteilen, als ein dau­ erndes Wechselspiel der „economies of scale" und „scope". Investitionen in „organisational capabilities" und „management" eröffneten es dem Unter­ nehmen, Produktionstechniken einzuführen, die einen schnelleren Materi­ aldurchsatz in der Produktion ermöglichten und die Stückkosten reduzier­ ten, während umgekehrt produktionstechnische Innovationen Investitionen in die Verbreiterung der distributiven und organisatorischen Fähigkeiten eines Unternehmens nach sich zogen, die durch die Erträge der „economies of scale and scope" finanziert wurden.52 An diesen Gegensatz zwischen der Organisation von Ressourcen, die für die Massenproduktion in der Rüstung notwendig ist, und dem in Chandlers Modell ausgedrückten Bedürfnis des modernen industriellen Unternehmens nach eigenständiger Beherrschung von Massenproduktion und Massenumsatz schließt die Untersuchung an. Der Rüstungsmarkt ba­ siert auf einem militärischen Monopson, und er wird durch Entscheidun­ gen geformt, die auf der politischen und militärisch-operativen Ebene ge­ fällt werden. Diese Entscheidungen und Informationen filtert eine Instanz, die die Verfügbarkeit von Produktionsfaktoren und die Leistungsfähigkeit der Industrie erkundet sowie die strategischen, operativen und taktischen Forderungen unter der Maßgabe einer möglichst effizienten Nutzung der rüstungswirtschaftlichen Basis ordnet und sie in Aufträge übersetzt - die militärische Beschaffung, das „military enterprise"53. Die militärische Be­ schaffung lenkt und koordiniert, im Sinne Georg Thomas', die „Anstren­ gungen der Industrie zur Stärkung der Rüstung"54 und greift daher tief in die unternehmerische Interessenwahrnehmung ein, insoweit nicht nur die

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Zur vertikalen Integration Langlois/Robertson. Einige Weiterungen der Fragestellung von Chandler unter Hinzuzie ung es ro ems der Arbeitsbeziehungen in multidivisionalen Unternehmen bei Lazomck. Zu dtSer Unterscheidung Thomas, Geschichte, S. 51; erläuternd: Herbst, Totaler Krieg,

S. 96ff.

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Verfügung über materielle Ressourcen und Informationen, sondern auch die Entscheidung über Produkt, Produktionsart und Produktionsbetrieb eingeschränkt wird. Im Regelfall, wenn sie von den politischen und militärischen Diskus­ sionen ausgeschlossen sind, nehmen die Unternehmen den Rüstungsmarkt lediglich durch die Beschaffung wahr. Die Anpassung an Märkte und Inno­ vationen, die Gestaltung von Investitionen in die distributive, organisatori­ sche und produktive Leistungsfähigkeit vollzieht sich daher stets in einer konfliktträchtigen Auseinandersetzung mit der militärischen Beschaffung, die dabei freilich selbst wiederum mit anderen militärischen Agenturen in Konflikt steht. Sie kann als Vertreterin des Staates auf eine weitaus größere Breite an Informationen zurückgreifen als die Unternehmer und versucht im Sinne ihres Effizienzziels, die Streitkräfte mit einer möglichst großen Zahl möglichst hochwertiger Waffen auszustatten - einer Beschleunigung der Produktion und Distribution von Rüstungsgütem die Bahn zu ebnen. Diese Einschränkung der Handlungsfreiheit und des Informationszu­ gangs schafft Unsicherheit: „Die Welt verliert an Transparenz, und Prozes­ se verlieren an Prognostizierbarkeit. Individuelle Aktoren bleiben rational handelnde Nutzenmaximierer, aber es wird für sie unklar, was denn nun überhaupt noch nützlich ist".55 Um in dem beabsichtigten Sinne funktionie­ ren zu können, ist die Organisation der Rüstung daran gebunden, daß der Eingriff in den Markt durch Anreize56 und die Entstehung von Koordinati­ onsmechanismen und Regeln kompensiert wird, um die Akteure jene Si­ cherheit wiedererlangen zu lassen, die zu ihrer Einbindung in die Produk­ tion von Gewaltmitteln notwendig ist. Gerade weil die Leistungsfähigkeit der Rüstung auf einen formellen oder informellen Konsens angewiesen ist, kann die Errichtung dieser institutionellen Verfassung des Rüstungsmark­ tes nicht explizit politisch verfügt werden, sondern ist Gegenstand einer dauernden Konkurrenz, in der die Unternehmen und verschiedene politi­ sche sowie militärische Agenturen ein Regelsystem aushandeln, das im Sinne der Leistungsfähigkeit des Rüstungsapparates den Interessen aller Akteure gerecht werden muß.57 Die Geschichte der Rüstung läßt sich in diesem Sinne als eine Abfolge von institutionellen Formationen betrachten, denen jeweils ein spezifischer Kompromiß über die Gestaltung der Produktion und das Gewicht der je­ weiligen Interessen darin zugrunde liegt. Eine solche Betrachtung hat den Vorteil, daß vorschnelle Zuweisungen auf einzelne politische Akteure und Machtzentren ausbleiben können, die bei dem oben skizzierten Fall des „Rüstungswunders" zu problematischen Schlußfolgerungen führen. Statt

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Zum Begriff des Regelvertrauens und Regellemens Siegenthaler, hier S. 16. Spoerer, S. 18. Zur Frage des institutional networks in der britischen Kriegswirtschaft Howlett, S. 361 ff. 11

dessen wird der Blick auf die militärischen, politischen und unternehmeri­ schen Gruppen im Rüstungsprozeß, die Kommunikationsformen und In­ formationssysteme, die Flexibilität dieser Formationen und schließlich exo­ gene Einflüsse auf einen einmal errichteten institutionellen Kompromiß gelenkt. Eine besondere Bedeutung kommt darüber hinaus den Ablösungen zwischen jenen Formationen zu, die in Anlehnung an Siegenthaler als Verlust und Wiederherstellung von Regelvertrauen bezeichnet werden können.58 Diese Ablösungen bieten nicht nur den Ansatz zur Identifikation und Bewertung von Faktoren des Wandels, sondern sie ermöglichen insbe­ sondere bei einer schnellen Wiederholung eine Wertung der Leistungsfä­ higkeit des politischen Systems und seiner institutionellen Spielregeln. Eine solche Untersuchung von Wechselwirkungen setzt freilich eine gleichge­ wichtige Betrachtung von militärischen und unternehmerischen Akteuren voraus und zugleich eine Berücksichtigung von strategischen und politi­ schen sowie technischen Prämissen der Rüstungsproduktion. Die vorliegende Darstellung richtet sich auf diese Untersuchung des Wandels der institutionellen Formationen in der deutschen Rüstung, aus der Perspektive der „größte(n), in sich geschlossene(n) Sparte der gesamten deutschen, für den Krieg arbeitenden Industrie"59. Am Beispiel der Ge­ schichte der deutschen Flugzeugindustrie zwischen dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs soll einerseits die Wechselwirkung von Rüstungs- und industrieller Entwicklung ausgeleuchtet werden, um auf dieser Basis andererseits eine Bewertung und Einordnung des Wandels dieser Beziehung unter der nationalsozialistischen Herrschaft insgesamt und in den letzten Kriegsjahren im besonderen zu leisten. Die Darstellung konzentriert sich angesichts des Forschungsproblems der „Rationalisie­ rung" auf die Bedingungen und Formen der Einführung der Massenpro­ duktion von Rüstungsgütern und die an dieses Problem geknüpften Er­ wartungen und Interessen der Akteure in Militär, Politik und Unterneh­ men. Im einzelnen werden zwei Komplexe von Fragen behandelt: Es wird erstens versucht, den Wandel der militärischen Beschaffung von Flugzeugen nachzuzeichnen, zugespitzt auf die Frage, wie sich die Vorgaben für die Komplexität und die Zahl der herzustellenden Einheiten veränderten: Wie entwickelte sich das Verhältnis von strategischen, opera­ tiven und taktischen Forderungen einerseits sowie den Prämissen für die Flugzeugbeschaffung und -entwicklung andererseits? Welche Konzepte und Instrumente zur Steuerung und Kontrolle der industriellen Produktion und ihres Absatzes wurden im Militär entwickelt, welche unternehmensehen Funktionen und Ziele waren betroffen? Welche Impulse sandte die militärische Beschaffung im Hinblick auf die Konstruktion und Produktion

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Siegenthaler, S. 149 u. passim. Wagenführ, Industrie, S. 73.

von Flugzeugen aus? Welche Ziele und Leitbilder wurden den Strategien zu einer staatlich gelenkten „Rationalisierung" der Flugzeugindustrie ge­ gebenenfalls unterlegt? Zweitens sollen die Entwicklung der Industrie und die unternehmeri­ schen Strategien zur Anpassung an den Rüstungsmarkt untersucht werden: Welche technischen Voraussetzungen hatte die Produktion von Flugzeu­ gen, durch welche Innovationen wurden sie verändert, welche Produkti­ onsformen wurden entwickelt? Wie weit konnte sich die Flugzeugindustrie auf zivilen Märkten behaupten, wie groß war die Abhängigkeit vom Rü­ stungsmarkt? Wie gestaltete und wandelte sich der Aufwand für Forschung und Entwicklung einerseits und der Produktion andererseits? Wie verän­ derte sich die Mischung von produktiven, distributiven, organisatorischen und technisch-innovativen Investitionen, insbesondere unter dem Einfluß der Rüstung? Welche institutionellen und finanziellen Kontrollmechanis­ men bildeten sich in der Flugzeugindustrie aus? Welche Leitbilder und Ziele verbanden sich mit Strategien, den Massenumsatz und die Massen­ produktion von Flugzeugen zu forcieren?60 Wie reagierten die Unterneh­ mer auf die Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit, in welcher Weise wirkte sich die Affinität zum Rüstungsmarkt auf die Gestaltung von For­ schung und Entwicklung, der Produktion, des Absatzes und gegebenenfalls beim Engagement in anderen Produktbereichen aus? Inwieweit erfolgte ei­ ne Beeinflussung in der Gegenrichtung: Wie und unter welchen Bedingun­ gen internalisierten Unternehmen Funktionen des Rüstungsmarktes? Die Geschichte der Flugzeug(zellen)industrie61 und der Luftrüstung ist für die Untersuchung dieser Fragen in besonderer Weise geeignet. Die ma­ terialintensive Rüstung wirkte sich bei vielen Waffen und Gütern aus: Ge­ schütze, Maschinengewehre, Fahrzeuge und andere Geräte mußten seit den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs in Massen produziert werden. Die Vereinigung von distributiven und produktiven Funktionen ergab sich freilich bei keiner Waffe so deutlich wie beim Kriegsflugzeug. Gleich, in welcher Funktion sie eingesetzt werden, müssen Flugzeuge im Gefecht

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Zum Zielkonflikt über die Alternativen Flexibilität und Massenproduktion: Zeitlin, passim. Zur Terminologie: Wegen der Schwerfälligkeit des Begriffs wird hier Flugzeugzellen­ industrie synonym mit Flugzeugindustrie bzw. Flugzeugbau verwendet, in Abgren­ zung zur Flugmotorenindustrie bzw. zum Flugmotorenbau als dem Lieferant des wichtigsten Vorprodukts. Der Begriff „Luftfahrtindustrie" meint hier eigentlich die „engere" Luftfahrtindustrie: die Flugzeugzellen- und Flugmotorenhersteller sowie die Reparaturindustrien. Wenn der Begriff „Luftfahrtindustrie" darüber hinaus die Her­ steller von Spezialkomponenten, Instrumenten, Fahrwerken u.a. umschließt, wird dies im Text angezeigt. Der an den zeitgenössischen Gebrauch angelehnte Begriff „Luftwaffen(rüstungs)industrie" oder „Luftwaffenblock" schließt darüber hinaus jene Un­ ternehmen ein, die ihre Produktion mit Lieferungen für sämtliche Geräte der Luftwaffe - vom Aluminiumhalbzeug über die Waffen- und Munitionsherstellung bis zur Flugha­ fenbefeuerung - bestritten. 13

vernichtet werden, um ihre Wirkung zu neutralisieren, und sie sind kaum zu erbeuten. Sie sind komplex aufgebaut und nutzen ihrerseits wieder viel­ gestaltige Komponenten; die eigentlichen Flugzeugfirmen satteln auf einem vielfach größeren Komplex differenzierter Vorlieferanten aller denkbaren Güter auf.62 Das Problem des „doppelten Massenbedarfs" im Sinne Som­ barts spitzte sich bei dieser Waffe zu, die seit dem Ersten Weltkrieg als un­ verzichtbar für eine Kriegführung zwischen industrialisierten Staaten galt. Um die Truppe ständig mit Kriegsflugzeugen zu versorgen, mußten diese stets neu und in erheblichen Stückzahlen hergestellt werden. Aus der tech­ nischen Perspektive kann das Beispiel des Kriegsflugzeugbaus daher als pars pro toto für die Gestaltung des Rüstungsmarktes insgesamt betrachtet werden. Zwar läßt sich aus einem etwaigen Scheitern an der Herausforde­ rung, eine großindustrielle Flugzeugindustrie zu schaffen und zu steuern, a priori keine Schlußfolgerung über die Funktionsfähigkeit der Rüstungs­ lenkung insgesamt ziehen. Wenn jedoch auf diesem Feld eine erhöhte Re­ gulierungsfähigkeit beobachtet werden kann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß dies für andere Felder der Rüstung ebenso galt. Die Laborsituation wird durch einen weiteren Effekt erreicht, den Rolf Wagenführ kurz nach dem Ende des Krieges herausstellte. Zwar erwirt­ schaftete die „Luftrüstungsindustrie" rund 40% des Wertes der deutschen Rüstungsproduktion. Gleichwohl habe sie insgesamt einen Sonderfall dar­ gestellt,63 da sie bis 1944 einen in sich geschlossenen Block bildete. Die Luft­ fahrt war in einem gesonderten Ministerium unter Hermann Göring orga­ nisiert, auf das die Wehrmacht nur bedingt Einfluß hatte. Das Technische Amt im Reichsluftfahrtministerium (RLM) bzw. der Generalluftzeugmei­ ster überwachten die Gestaltung der Rüstung bewußt unter der Maßgabe, Einflüsse dritter Stellen so weit wie möglich zu unterbinden. In der Unter­ suchung des „Luftrüstungsblocks" müssen daher Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu der Gestaltung der deutschen Rüstung insgesamt heraus­ gearbeitet werden, um die Faktoren, die den „Sonderfall" ausmachten, spe­ zifischer benennen und bewerten zu können. Methodisch wird die Unter­ suchung durch die Existenz des „Luftrüstungsblocks" freilich erleichtert. Die Entscheidungen über die Luftfahrt können einerseits in ihren persona­ len Konstellationen vergleichsweise gut überblickt werden, und es ist mög­ lich, die Interessen von einzelnen Vertretern des Militärs und der Industrie anschaulich zu machen, ohne vordergründig auf abstrakte Gruppeninteres­ sen verweisen zu müssen. Die kurze Geschichte der deutschen Flugzeugindustrie wurde durch eine rapide technische Entwicklung und extreme wirtschaftliche Wechsel­ lagen gekennzeichnet. Das erste motorgetriebene Flugzeug flog im Jahr 1903, aber erst nach weiteren Erfindungen und Verbesserungen, die genau-

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Zur Darstellung einiger Charakteristika des industriellen Flugzeugba s Mowery / Rosenberg, Technical Change; dies., Technology. Wagenführ, Industrie, S. 73ff.

er zu beschreiben sind, hatte seine Verwendung eine Perspektive in der Kriegführung und im Verkehr. Dann aber entfaltete es Wirkungen als tech­ nologisches System. Das Flugzeug schuf Verkehrsorganisationen und griff mit seiner Nachfrage auf eine immer größere Palette von Vorindustrien aus, es erzeugte Kopplungseffekte und erreichte dabei eine immer größere Dynamik: es gewann „Momentum".64 Seit dem Ersten Weltkrieg mußte nicht nur dieses komplexe Gut in großen Mengen bereitgestellt, sondern auch eine stetige Anpassung an ein sich dynamisch veränderndes techni­ sches System vollzogen werden. Durch das Momentum des Flugzeugbaus mußten stets neue Kompromisse in der Auseinandersetzung über die Steuerung des Rüstungsmarktes gesucht werden, während die personalen Konstellationen stabil blieben. Die „System builders" waren oft mit jenen identisch, die in den dreißiger Jahren die Anpassungsprobleme von Groß­ unternehmen steuern mußten, während das Offizierskorps der Fliegerstäbe der Reichswehr fast bruchlos in die Generalität der Luftwaffe übergeleitet wurde.65 Die technische Dynamik und Kürze der Geschichte lassen das hi­ storische Relief in einer Dichte hervortreten, die bei einer zeitlich kurz ge­ streckten Betrachtung eine Vielzahl exemplarischer Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen militärischen und unternehmerischen Interes­ sen erwarten läßt, wie Arbeiten über die Flugzeugindustrie in Frankreich und den Vereinigten Staaten belegen.66 Die technische Dynamik verband sich mit der rüstungspolitischen. Das Jahr 1933 stellte für diese Sparte, mehr als für andere der deutschen Indu­ strie, eine Zäsur dar. Dem Bau von Flugzeugen galt das größten industri­ elle Projekt der zwölf Jahre des Regimes. Die Folge war ein so tiefgreifen­ der Umbruch, daß die Vergleichbarkeit der Strukturen vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme an sich in Frage gestellt wird. So fehlt kaum einmal der Verweis auf jene 36 Flugzeuge, die während des Jah­ res 1932 die Fabriken verließen:67 Die Großunternehmen, die im Jahr 1944 über vierzigtausend Flugzeuge bauten, waren Geschöpfe des „Dritten Reichs". Freilich lassen sich gerade durch diese Differenz zum einen die Bedingungen des „Lernens" von Massenproduktion und Massenumsatz zeitlich konzentriert untersuchen, zum anderen können die Fähigkeiten des Regimes überprüft werden, den Aufbau einer Großindustrie ökonomisch,

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Zu dieser theoretischen Figur, die Thomas P. Hughes in einer Anzahl von Veröffentli­ chungen ausgebreitet hat: Evolution, S. 76ff. Die Übereinstimmung zwischen dem Ausdehnungsdrang des technologischen Systems bei Hughes und den von Walt W. Ro­ stow beschriebenen Vorwärts- und Rückwärtskopplungseffekten (forward and backward linkages) von Führungssektoren der wirtschaftlichen Entwicklung ist groß. Wenn im folgenden von Kopplungseffekten des Flugzeugbaus die Rede ist, stützt sich dies begrifflich auf die in Anlehnung an Rostow enger definierte Führungssektorenanalyse, wie sie von Fremdling operationalisiert worden ist. Zur militärischen Funktionselite Völker, Entwicklung, S. 149, 255ff., 284ff. Chadeau u. Vander Meulen. Etwa bei Schabei, S. 105. 15

sozial, politisch und militärisch zu flankieren. Die rapide Entwicklung der Branche und die große Komplexität des Produkts geben der These um so mehr Berechtigung, daß sich in der Luftrüstung die Schwierigkeiten bei der Regulierung der Kriegswirtschaft in zugespitzter Form abbildeten: konkret, daß sich die technische und industrielle Dynamik der Branche in besonde­ rer Weise mit jener politischen Radikalisierung verschwisterte, die für die Geschichte der deutschen Gesellschaft unter dem Nationalsozialismus ins­ gesamt konstitutiv war.68 Als die Waffengattung der deutschen Wehrmacht, die offiziell erst 1935 gegründet wurde und bis wenige Tage vor Kriegsende unter dem Oberbefehl von Hermann Göring stand, hat die Luftwaffe eine breite militär- und politikgeschichtliche Forschung, vor allem jedoch populäre Bear­ beitungen angeregt, die sich dieser eigentümlichen Mixtur aus nationalso­ zialistischer Führung und hochentwickelter Technik widmen.69 Zwar bilden Darstellungen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, demgegen­ über nur eine dünne Schicht, gleichwohl kann sich die vorliegende Unter­ suchung in Teilbereichen auf detaillierte Forschungen stützen. Zum einen sind, wenngleich die vorliegenden Ergebnisse ergänzt werden müssen, die politischen und militärischen Rahmenbedingungen der Gestaltung des Rü­ stungsmarktes - die Formierung der Luftwaffe, die Herausbildung der Luftkriegsstrategie und die Rolle Hermann Görings - gut erforscht.70 Zum anderen gibt es Studien über die Beschaffungspolitik des Technischen Am­ tes im Reichsluftfahrtministerium,71 wenngleich die Phase zwischen dem Beginn des Krieges und der Eingliederung des Flugzeugbaus in den Machtbereich des Speer-Ministeriums wie auch die Phase der Weimarer Republik nur schwach ausgeleuchtet sind. Die Geschichte der deutschen Flugzeugindustrie ist hingegen nur ober­ flächlich erforscht. Die Heinkel, Junkers, Dornier sind zwar in den Dar­ stellungen zur Kriegswirtschaft namentlich omnipräsent, und es existiert eine Palette von „Typensammlungen", auch gibt es eine Anzahl von Bio­ graphien; der Flugzeugbau als Industrie ist jedoch nur kursorisch oder in

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Mommsen, Kumulative Radikalisierung, sowie ders., Realisierung; Kershaw, Hitlers Macht, bes. S. 29f.; im Zusammenhang mit dem ideologisch überhöhten technischen Fortschritt in der Waffenentwicklung und Waffenproduktion: Mommsen, Vorge­ täuschte Modernisierung, S. 415ff., sowie ders., Noch einmal. Zu den einschlägigen Arbeiten s. die Bibliographie von Homze, German Military Avia­ tion. Das Problem einer Technikgeschichte, die sich auf die Beschreibung der techni­ schen Artefakte beschränkt, ist im Flugzeugbau ein besonderes und beschränkt sich keineswegs auf die Flugzeuge deutscher Hersteller; Hansen, passim, eispie e ur iographien sind u.a. die Darstellugen von Vann sowie Fieseier. Die wichtigsten Arbeiten sind: Völker, Entwicklung; ders., u a e, ^:rwa_a fenführung; Groehler, Geschichte; Murray, Luftwaffe; ders. trategy, ' der Homze, Arming; ders., Flugzeugproduktion; Overy, pro uc ton p Göring, S. 279-347.

entlegenen Arbeiten behandelt worden.72 Zwar ist die Flugzeugindustrie in den Arbeiten über die Geschichte der Kriegswirtschaft berücksichtigt wor­ den,73 jedoch erst die Darstellungen zur Automobilindustrie haben den Blick auf das Veränderungspotential gelenkt, das von dieser Branche aus­ ging.74 Die Flugzeugindustrie bildet gleichwohl keinen Sonderfall. Zu ei­ nem Gutteil zeigt sich insbesondere die deutsche Forschung noch durch das Denkschema der Nürnberger Nachfolgeprozesse beeinflußt, in dem Flick, Krupp und die I.G. Farben als Zentren der deutschen Kriegsrüstung identifiziert wurden. Bis vor kurzem wurde mit der nationalsozialistischen Rüstung am ehesten die Schwerindustrie des Ruhrgebiets assoziiert, ob­ wohl hier hauptsächlich Vorprodukte bereitgestellt, aber kaum Waffen ge­ baut wurden.75 Die Stahlhersteller, die Elektro- und Chemiegiganten sowie in jüngerer Zeit die Automobilindustrie sind etablierte Gegenstände der Unternehmensgeschichte der nationalsozialistischen Zeit, nicht dagegen die eigentliche endverarbeitende Rüstungsindustrie, die während der Auf­ rüstung vornehmlich die industriellen Räume um Berlin, in Sachsen, An­ halt und Mecklenburg veränderte. Die Rüstungsendproduzenten fallen in der Mehrzahl aus einer Betrachtung heraus, die sich vornehmlich der lang­ fristigen Kontinuität der Unternehmensentwicklung am Beispiel der großen deutschen Industrien gewidmet hat.76 Schabei hat die Luftrüstung in jüngerer Zeit zugespitzt auf die Ent­ wicklung der Strahlflugzeuge untersucht, während Braun die Entwicklung der Produktionsformen aus technikhistorischer Perspektive aufgegriffen hat.77 Allein in dem Aufsatz von Zeitlin freilich wird, in Anlehnung an älte­ re Arbeiten über die Automobilindustrie, ein wesentlicher unternehmeri­ scher Zielkonflikt - jener über Massenproduktion oder Flexibilität - bei der Anpassung an den Rüstungsmarkt systematisch ausgeleuchtet. Die Untersuchung ist chronologisch als Abfolge von Kapiteln geglie­ dert, die jeweils um eine spezifische Form des militärisch-industriellen Kompromisses über die institutionelle Gestaltung des Rüstungsmarktes

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Etwa durch Boelcke, Stimulation; Morrow, Flugzeugindustrie, und Gehrisch; eine der gehaltvollsten Kurzdarstellungen stammt von Eberhard Schmidt. Systematisch bei Eichholtz, Kriegswirtschaft Bd. II. So war es eines der überraschenden Ergebnisse von Pohl/Habeth/Brüninghaus, sowie Roth, Guter Stern, daß das Unternehmen in der Hauptsache die Luftrüstung bediente. In dieser Tendenz ähnlich Mommsen/Grieger. Kritisch mit dieser Sichtweise auseinandergesetzt hat sich zuerst Geyer, Einfluß. Inno­ vativ im Sinne einer Betrachtung der regionalen Auswirkungen der Rüstungsendverar­ beitung Pfliegensdörfer, Handelszentrum, sowie Fear und Henne. Eine Zusammen­ stellung der Literatur findet sich bei Erker. Nicht nur von der faschismustheoretischen Seite her neigt diese Prämisse bisweilen zu deutlichen Überzeichnungen, etwa wenn im Daimler-Benz Buch das Unternehmen als größter Rüstungskonzern des „Dritten Reichs" bezeichnet wird (S. 7), oder Reich eine nahezu bruchlos verbundene Strategie des deutschen Staates und der deutschen Auto­ mobilindustrie seit der Weimarer Republik konstruiert. Braun, Fertigungsprozesse, passim.

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gruppiert sind. In Kapitel II werden einleitend der technologische Spurt des deutschen Flugzeugbaus und die darauf basierende spezifische Hierarchie der Unternehmen des deutschen Flugzeugbaus behandelt sowie die unter­ nehmerischen Perspektiven der Firmen Junkers und Dornier. Darauf auf­ bauend wird das im Junkers-Werk in Fili repräsentierte Konzept einer un­ ternehmerisch gestalteten Luftrüstung untersucht. Kapitel III beschreibt den nach dem Scheitern dieses Konzepts in der Reichswehr einsetzenden fundamentalen Lernprozeß, der ein vom Heereswaffenamt und vom Reichs­ verkehrsministerium gelenktes korporatives System der Rüstung hervor­ brachte, das die Förderung des Serienbaus von Flugzeugen als Klammer zwischen unternehmerischen und militärischen Interessen einsetzte. Kapi­ tel IV widmet sich dem Wandel dieses Systems nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, der planwirtschaftlich gesteuerten Expansion der Flugzeugindustrie und den Folgen für die militärische Beschaffung und die Unternehmen. Kapitel V befaßt sich mit der Krise dieser Expansionsstrate­ gie und der doppelten Operationalisierung von „Rationalisierung" in der Luftrüstung als Instrument gegen die Verknappung von Rüstungsressour­ cen und als ideologisch aufgeladenes Moment zur Stabilisierung des natio­ nalsozialistischen Herrschaftssystems (V.B), sowie mit der darauf fußenden Einsetzung des Junkers-Konzerns als zentrale rüstungswirtschaftliche Len­ kungsbehörde. Kapitel VI schließlich widmet sich, nach der Darlegung der Verunsicherung der Akteure der deutschen Rüstung nach der französi­ schen Niederlage, der Rückkehr zu einer stärker den Beschaffungsprämis­ sen gehorchenden institutionellen Verankerung der Luftrüstung, der Radi­ kalisierung des Rationalisierungsmotivs in den Strategien der Unternehmen und der Rüstungsbehörden, den Ursachen des „Wunders in der Luftrü­ stung", und schließlich der Auflösung des institutionellen Systems der deutschen Rüstung zur Luft. Es wird durchgängig angestrebt, die Unternehmen der Flugzeugindu­ strie repräsentativ zu erfassen. Gleichwohl macht die besondere Stellung der Firma Junkers wie auch die Expansion der Industrie nach der national­ sozialistischen Machtübernahme eine Auswahl der über den gesamten Zeitraum zu untersuchenden Firmen notwendig. Der Junkers-Konzern wird bei der Darstellung vorrangig berücksichtigt, gerade auch um die von der Mehrheit der Industrie durchaus abweichenden Strategien darzustel­ len. Darüberhinaus werden zwei weitere Firmen beispielhaft angeführt, die im Zeitraum zwischen dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgängig bei der Gestaltung der Luftrüstung vertreten wa­ ren. Der Firma Heinkel wird ein besonderer Raum gegeben, da dieses Un­ ternehmen in seiner technischen Ausrichtung und seinen Führungsstruktu­ ren zwischen den zwanziger und den vierziger Jahren mehr als jedes andere einen Kontrast zu Junkers bildete und über einen längeren Zeitraum hinweg, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, die zweitwichtigste Firma darstellte. Die Henschel-Flugzeug-Werke AG schließlich repräsentiert eine

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Unternehmensgründung aus dem Jahr 1933, hat aber für die hier angespro­ chenen Fragen eine besondere Bedeutung, weil sie die Rationalisierung der Flugzeugproduktion zur zentralen Unternehmensphilosophie erhob und dabei auch personell mit einem Vorgängerunternehmen, den Rohrbach Metallbauten, verbunden war, das neben Junkers und Dornier einen der Vorreiter bei der Einführung des Metallflugzeugbaus, wiederum in Ab­ grenzung zu Heinkel, darstellte. Zur Überlieferung

Für die vorliegende Darstellung wurden in der Hauptsache zwei Gruppen von Quellen herangezogen. Die Entstehung und Veränderung der Institutionen der Luftrüstung werden mit den zahlreichen Akten nachge­ zeichnet, die aus den Registraturen des Heereswaffenamtes sowie des Technischen Amtes im RLM bzw. des Generalluftzeugmeisters in das Bun­ desarchiv-Militärarchiv in Freiburg gelangten. Bei diesen Quellen handelt es sich hauptsächlich um einen größeren Bestand von Akten aus der Ab­ teilungsebene des Technischen Amtes, der 1945 in den Gewahrsam der Vereinigten Staaten genommen wurde, bzw. um die sogenannte Sammlung v. Rhoden, die inzwischen in den Bestand RL 3 integriert worden ist. Wenngleich der Bestand vergleichsweise groß ist, muß der Verlust infolge der Kriegseinwirkungen doch als erheblich angesehen werden. Er wird er­ gänzt um jene Handakten, die bei der Gefangennahme Erhard Milchs in britischen Gewahrsam übernommen wurden. Für die Geschichte des Junkers-Konzerns wurden drei Bestände be­ nutzt. Für die Zeit bis zum Verkauf der Junkers-Werke an das Reich kann auf die mittlerweile im sogenannten Junkers-Archiv der Sondersammlun­ gen des Deutschen Museums München verwahrten Archivalien zurückge­ griffen werden. Dabei handelt es sich zum einen um den Nachlaß von Hu­ go Junkers, der in der Hauptsache aus den Tagebüchern und den Notiz­ büchern des Unternehmers besteht, und zum anderen um den Bestand des Hauptbüros und der Forschungsanstalt der Junkers-Werke, der 1991 in das Deutsche Museum gelangt ist. In beiden Fällen sind nur marginale Verluste zu verzeichnen. Für die Akten zur Geschichte des Junkers-Flugzeugbaus seit 1933 gilt das hingegen nicht. Ein originärer Bestand aus der Lei­ tungsebene des Konzerns existiert nicht. Nach der Besetzung Anhalts wur­ den allerdings zahlreiche Akten überwiegend technischen Inhalts aus Dessau und den Zweigwerken in die Vereinigten Staaten überführt und seit den siebziger Jahren an das Bundesarchiv übergeben. Da die Firma Junkers als produzierende Gesellschaft erloschen war, gelangte ein großer Teil die­ ser Akten in das Deutsche Museum/Sondersammlungen und wurde dort in die Luft- und Raumfahrtdokumentation eingearbeitet. Hier befinden sich auch Teile einer Sammlung, die während des Krieges von Adolf Baeumker im Auftrag der Deutschen Akademie für Luftfahrtforschung begonnen 19

wurde und einige hochwertige Materialien, vor allem die Präsentationsal­ ben des Konzerns, enthält. Ein Teil der aus den Vereinigten Staaten rückge­ führten Akten wurde jedoch zunächst in den Bestand R 3 des Bundesar­ chivs eingegliedert und von dort jüngst dem Landesarchiv Oranienbaum übergeben. Dort befinden sich seit dem Beginn der sechziger Jahre Archi­ valien vorwiegend kaufmännischen Inhalts aus diversen Abteilungen der Konzernverwaltung. In welchem Umfang Akten aus der Leitungsebene des Konzerns in die Sowjetunion gelangt sind, war nicht zu klären. Es halten sich Gerüchte, daß in einem Archiv bei Moskau größere Bestände verwahrt werden.78 Als Ersatzüberlieferung können die Akten des Vorsitzenden des Aufsichtsrates der JFM gelten, die nach dem Selbstmord Hellmuth Roehnerts in britischen Gewahrsam genommen und in die Foreign Documents Section des Imperial War Museum eingearbeitet wurden. Im Heinkel-Archiv in Stuttgart findet sich ein ursprünglich weitgehend kompletter, bis in die zwanziger Jahre zurückreichender Bestand aus der unmittelbaren Leitungsebene der Unternehmen des Heinkel-Konzerns, des­ sen Akten allerdings durch eine „Verzeichnung" nach Flugzeugtypen bis auf geringe, allerdings hochwertige Reste aufgelöst worden sind. Die Akten der 1933 gegründeten Henschel-Flugzeug-Werke, die beim Nachfolgeun­ ternehmen gleichen Namens in Calden bei Kassel überdauert haben und sich zum überwiegenden Teil aus den laufenden täglichen und monatlichen Berichten des Unternehmens an den Aufsichtsratsvorsitzenden Oskar Hen­ schel zusammensetzen, erlauben trotz geringer Verluste eine recht genaue Rekonstruktion der Geschichte des Unternehmens. Erkenntnisse zu den Rohrbach Metallbauten können, wie zu einer Reihe weiterer Firmen, aus staatlichen Provenienzen, aus Resten von Unternehmensarchiven und aus Nachlässen gezogen werden. Erwähnenswert sind hier der Bestand Reichs­ finanzministerium im Bundesarchiv in Berlin zu allen Unternehmen mit staatlicher Beteiligung, die Korrespondenz Willy Messerschmitts und ande­ re Beuteakten im Imperial War Museum, das Archiv der Bank der Deut­ schen Luftfahrt im Bundesarchiv in Berlin, Akten der Focke-Wulf GmbH

Als sekundäre Überlieferung werden Befragungen und Berichte alliierter Untersuchungsgruppen herangezogen, die in den unmittelbaren Nach­ kriegsjahren entstanden sind und im verfilmten OMGUS-Bestand im West­ fälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund sowie in der Sammlung der BIOSund CIOS-Berichte im Schriftendepot der Universitätsbibliothek der RuhrUniversität Bochum eingesehen wurden.

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Ittner, S. 23.

II. Flugzeugbau und Luftrüstung nach dem Ersten Weltkrieg A. Der technologische Spurt des deutschen Flugzeugbaus

Wie keine zweite Industrie wurde der deutsche Flugzeugbau durch die politischen Umbrüche in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt. Er stieg zur Großindustrie auf, wurde auf handwerkliche Struktu­ ren reduziert, um schließlich erneut einen gewaltigen Aufstieg zum füh­ renden industriellen Sektor zu erleben - dies alles im Verlauf von kaum ei­ ner Generation. In der gleichen Zeit stand das Flugzeug im Zentrum einer rapiden technischen Entwicklung. Es dauerte kaum zwanzig Jahre, bis aus rätselhaften Drachenfliegern Maschinen geworden waren, die Kriegfüh­ rung und Verkehr gleichermaßen auf eine neue Grundlage stellten. Die Branchenstruktur des deutschen Flugzeugbaus blieb jedoch von den Umbrüchen der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nahezu unberührt. Bis 1945 nahm die Firma Hugo Junkers' unangefochten die führende Position ein. In den zwanziger Jahren beschäftigte sie über längere Zeit mehr Arbeiter als alle anderen Firmen zusammengenommen, in den dreißiger und vierziger Jahren mindestens doppelt so viele wie das zweitgrößte Unternehmen. Die Proportionen zwischen den Firmen, die die Plätze hinter Junkers einnahmen, wandelten sich ebenfalls nur allmählich. Ein Aufsteiger in die Spitzengruppe war seit der Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr zu verzeichnen. Dornier, Heinkel, Focke-Wulf, BFW/ Messerschmitt, Arado und Rohrbach/Henschel standen in zweiter Linie für den deutschen Flugzeugbau, sei es 1925, sei es 1945. Die unternehmerische Kontinuität kennzeichnete den deutschen Flug­ zeugbau. Die Führungsgruppe der Unternehmen wandelte sich in anderen europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten intensiver, und es gab vor allem kein Unternehmen, dessen Position auch nur annähernd der von Junkers in Deutschland entsprochen hätte. Das eigentlich Bemerkens­ werte der deutschen Entwicklung bestand jedoch darin, daß die überaus stabile Branchenstruktur erst nach dem Ersten Weltkrieg entstand. Die In­ dustrieführer wurden allesamt während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren gegründet, als die Luftfahrtunternehmen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bedeutungslos wurden. Einen ähnlichen Riß in der industriellen Kontinuität gab es weder in Frankreich noch in Großbritanni­ en, während die entsprechende Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu

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1 ^*onir zer crracrt '»-irrrsnu

’abre weniger tiefgreifend verlief. Der Kontinuitätsiirüber hinaus mit einem Positionswechsel der deutmsresamL Bis 1910 war eine Baulizenz für ein französisrtt*- inu uner’kmiscr.es Muster die Grundlage eines jeden bekannten FuLizeiugrrduuriTer~er~erj? in Deutschland. Kaum zehn Jahre später stellren unxers. Iiner und Fokker die technisch führenden Unternehmen in der Weit uir. Eie desc.ndere Branchenentwicklung und der Aufstieg der Firma Jun­ kers gingen auf einen technologischen Spurt des deutschen Flugzeugbaus zwischen la"_0 und 1920 zurück, der auf der Entwicklung des freitragenden Systems fußte. In seiner Wirkung durch die Restriktionen im Gefolge des Versailler Vertrages flankiert, stellte dieser Spurt eine zentrale Gründungs­ erfahrung der deutschen Flugzeugunternehmer dar. Er war die Vorausset­ zung der besonderen Stellung Junkers' und zugleich des stabilen Bran­ chengefüges zwischen dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Durch ihn wurden das Selbstverständnis und das Selbstbe­ wußtsein der deutschen Unternehmer geformt. Aus ihm ließen sich Ziele der technischen Entwicklung ableiten, und er gab Konflikte - etwa jenen über den Anteil von Forschung und Produktion - im Unternehmen vor, die den deutschen Flugzeugbau bis 1945 prägten. An diesem Punkt muß daher die Untersuchung ansetzen: Den technischen Innovationen des deutschen Flugzeugbaus im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, der Bedeutung der Innovationen für die Untemehmensgründungen und schließlich ihrer Wirkung auf unternehmerisches Handeln in der folgenden Zeit. Um diesen Innovationen und ihrer Bedeutung auf die Spur zu kommen, ist es freilich notwendig, zunächst etwas weiter auszugreifen - auf die Geschichte der Aerodynamik.

1. Auftriebssatz und Grenzschichttheorie. Die wissenschaftliche Aerodynamik und die Entstehung des freitragenden Systems Das Flugzeug ist nicht nach Vorbildern aus der Natur entstanden. Zwar widmete Otto Lilienthal den Großteil seiner systematischen Arbeit dem Nachempfinden des Vogelflugs, seine Leistung bestand jedoch gerade darin, das kaum zu bearbeitende Problem des Flügelschlags zu vernachläs­ sigen und die Komplexität des Vogelflugs auf das Verhalten von starren Tragflächen einzugrenzen.1 Die Gebrüder Wright nahmen die Lösung Lili­ enthals auf und ergänzten sie um Komponenten, die den Vortrieb und die - “h zur Erzeugung Steuerung ihres Flugzeugs ermöglichten. Weil sie jedoch motorbetriebenen Propeller einsetzten, der Bewegung im Raum einen i-----------

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Wissmann, Geschichte, S. 351 f. und 257-263; vgl. Schwipps, S. 19

schotteten sie ihre Erfindung gegen Verbesserungen nach natürlichen Vor­ bildern ab.2 Die Wrightsche Konfiguration wurde daher generell durch praktische Flugerfahrungen optimiert. Das Aussehen der einzelnen Kom­ ponenten änderte sich im Prinzip nicht, lediglich ihr Zusammenspiel un­ terlag Korrekturen, die aus Beobachtungen im Flug gewonnen werden konnten. Diese immanente Entwicklungsstrategie setzte freilich voraus, daß der Konstrukteur auch Testpilot war und geriet an ihre Grenzen, wenn technische Innovationen zu erproben waren, die nicht unmittelbar aus be­ stehenden Konstruktionsprinzipien abzuleiten waren. Als das aus einer leichten, mit Draht verspannten Flugzeugzelle und einer „ziehenden" Luft­ schraube bestehende System um 1910 durch Flugversuche optimiert war, konzentrierten sich Versuche zur Leistungserhöhung auf die Verbesserung des Flugmotors und, nachrangig, des Flugzeugrumpfes. Abgesehen von marginalen Verbesserungen blieben jedoch die Gestalt und der Aufbau der Tragflächen weitgehend erhalten.3 Das Ideal der leichten, dünnen und gering gewölbten Tragfläche und die filigrane Struktur der ersten Flugzeuge beruhten auf der von Isaac Newton vorgegebenen Vorstellung über die Entstehung des Auftriebs in einer Luftströmung. Aus Newtons Gesetzen über den Luftwiderstand ent­ stand das Gedankenmodell der geneigten Platte, an deren Unterseite eine Luftströmung Druck erzeugt und den Luftwiderstand der Platte in Auftrieb umsetzt.4 Durch die mathematische Strömungsforschung wurde dieses Modell zwar so weit in Frage gestellt, daß es seit etwa 1870 als widerlegt gelten mußte. Eine ähnlich anschauliche Erklärung des Auftriebs lag jedoch nicht vor, so daß Newtons Gesetze in modifizierter Form die Grundlage der 'praktischen' Aerodynamik der Flugpioniere blieben.5 Da jedoch im Newtonschen Modell der durch Luftwiderstand erzeugte Auftrieb nach allen gängigen Formeln nur klein sein konnte, führte dies zu dem Schluß, daß Flugzeuge leicht sein und möglichst große Tragflächen besitzen müßten. Diese Überlegungen wiederum schlugen sich in einem statischen System nieder, in dem Tragflächen und Rumpf durch zahlreiche Streben und Spanndrähte zusammengehalten wurden. Der Kompromiß aus statischem Aufbau und aerodynamischer Gestalt, das Resultat der „vornehmsten Auf­ gabe des Flugzeugbauers", machte in der Frühzeit des Motorflugs allein

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Einige systematische Überlegungen zum technischen Wandel im Flugzeugbau, Hanieski, S. 538. Madelung, S. 250-254. Finsterwalder, S. 6-10; Trischier, S. 48-56; Truckenbrodt, S. 52-77. Die Modifikationen betrafen in der Hauptsache den Sinus des Neigungswinkels der Platte. Newton legte den Wert sin2 a zugrunde, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sin a „die meiste Wahrscheinlichkeit" zugemessen (Fritz Huth, S. 89). Ludwig Prandtl schrieb später zu Newtons Luftwiderstandsgesetzen, man könne „diesem gro­ ßen Mann" keinen Vorwurf machen, „wenn er auch hier weniger glücklich war als in anderen Dingen" (Fortschritte, S. 959).

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deshalb einen so unvollkommenen und zerbrechlichen Eindruck, weil eine durchaus lähmende Unsicherheit über die Frage herrschte, warum ein Flugzeug überhaupt fliegt.6 Ein neues Modell zur Erklärung des Auftriebs entstand an der Wende zum 20. Jahrhundert. Es basierte hauptsächlich auf den Erkenntnissen über die Wirbelbildungen an einem umströmten Körper, auf die unter anderen Hermann von Helmholtz verwiesen hatte, und der Entdeckung der Auf­ triebswirkung der Wölbung von Tragflächen, die Otto Lilienthal und Lord Rayleigh, dem wichtigsten britischen Strömungsforscher, zu verdanken war.7 Zwischen 1902 und 1910 veröffentlichten Wilhelm Kutta, Mathemati­ ker an der Universität München, Nikolai Joukowsky, Professor an der Moskauer Universität, und William Lanchester, ein britischer Automobilfa­ brikant und Außenseiter auf dem Feld der Strömungsforschung, Gleichun­ gen, mit denen sich der Auftrieb an einer kreisbogenförmigen Wölbung durch ein System von Wirbeln und Strömungen erklären ließ, die Kräfte etwa in der Art entfalteten, wie sie beim Effet eines Tennisballs - so das von Rayleigh eingeführte Bild - wirken.8 Erst diese Hypothese schuf einen verläßlichen Erklärungsrahmen für das Phänomen des Auftriebs. Es ließ sich nun errechnen, daß die durch das Zusammenwirken von Tragflächen und Motorantrieb bewirkte Kraft weitaus unterschätzt worden war. Legt man beispielsweise eine Platte mit einer Neigung von 5° zugrunde, so er­ hält man nach dem Satz von Kutta und Joukowsky mehr als das Dreißigfa­ che des Newtonschen Wertes für die wirksame Auftriebskraft.9 Mit dieser Erkenntnis standen die Konstruktionsprinzipien des zeitgenössischen Flugzeugbaus zur Disposition. Ein Flugzeug war nun nicht mehr so leicht wie möglich zu bauen, daß es wie ein Blatt im Winde nach oben getrieben wurde. ». Wie jene gewölbten Tragflächen auszusehen hatten, besagte der Satz von Kutta und Joukowsky jedoch nicht. Er fußte in der klassischen Hydro­ dynamik, die sich der Vorstellung von der reibungslosen, „idealen" Flüs­ sigkeit bediente, um die komplexen Vorgänge der Strömung überhaupt mathematischer Analyse zugänglich zu machen. Als Anleitung für die Konstruktion von Flugzeugen bedurfte der Auftriebssatz einer komple­ mentären theoretischen Erklärung der Ursache von Wirbelbildungen in realen, reibungsbehafteten, strömenden Flüssigkeiten. Diese Erklärung, das zweite Standbein der Aerodynamik des Motorflugs, fand Ludwig Prandtl. Prandtl, seit 1902 Inhaber des Lehrstuhls für angewandte Mechanik an der

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Theodor von Karman, Gutachten in Sachen Nichtigkeitsklage gegen D.R.P. 313 692, 26.5.26, DMM/ASD JA 1787.

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Karman, Aerodynamik, S. 29 u. 50.

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Universität Göttingen,10 entwarf seine Theorie der Reibung in Flüssigkeiten bereits in der ersten größeren Veröffentlichung, die er überhaupt der Strö­ mungsforschung widmete. Er reflektierte darin die Gültigkeit der Theorien zur idealen Flüssigkeit unter nur leicht veränderten Ausgangsbedingungen, „bei sehr kleiner Reibung", und fand, daß unter diesen Bedingungen die Gültigkeit der Gesetze zur idealen Flüssigkeit nur für eine kleine Schicht modifiziert werden mußte, die einen umströmten Körper umschließt. Die nach dieser „Grenzschicht" benannte Hypothese, die er 1904 vorstellte,11 besagt, daß sich bei der Umströmung eines Körpers an dessen Oberfläche eine dicker werdende Schicht bildet, in der die strömende Flüssigkeit durch Reibung abgebremst wird. Die im Gegensatz zur umströmenden Flüssig­ keit träge Grenzschicht ist bestimmend für den Reibungswiderstand des Körpers. Mit zunehmendem Strömungsdruck löst sie sich unter Wirbelbil­ dungen von der Körperfläche ab, erzeugt eine Druckveränderung am Kör­ per und einen zusätzlichen Strömungswiderstand.12 Die Grenzschichthypothese vermittelte zum einen die revolutionäre Vorstellung, daß der Widerstand eines bewegten Körpers weniger durch sei­ ne Größe als vielmehr durch seine Form bestimmt wird, daß also eine bessere Ausnutzung der Antriebsenergie erreichbar ist, wenn widerstandsbildende Momente zu solchen „Stromlinienformen" zusammengefaßt werden, die eine günstige Grenzschichtbildung aufweisen und daher weniger Reibungs­ verluste verursachen.13 Zum anderen schuf sie die Brücke von der Hydrody­ namik zur angewandten Aerodynamik der frühen Flugzeugbauer.14 Im Prin­ zip gab es nun eine theoretische Grundlage, um die Sätze über die ideale Flüssigkeit in ein experimentelles System zu übertragen, mit dem die Fortbe­ wegung eines Flugzeugs in der Luft simuliert werden konnte. Die Grenzen der lediglich erfahrungsgeleiteten Verbesserung der Flugmaschinen waren überwunden. Einer unmittelbaren Anwendung der aerodynamischen Erkenntnisse standen allerdings Hindernisse im Weg. Die Theorien zu Auftrieb und Wi­ derstand wurden zu einer Zeit formuliert, als die ersten mit Motoren be­ triebenen Flugzeuge überhaupt entstanden. Zudem stellten die Gleichung von Kutta/Joukowsky und die Grenzschichthypothese komplexe mathe­ matische Gebilde dar, die nicht einfach in ein System aus Experiment und

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Zur „wissenschaftlichen Technik" und zum Ruf Prandtls: Rotta, S. 3-17; Radkau, Tech­ nik, S. 40-42; Trischier, S. 56-59; Hanle, passim; Karman, Wirbelstraße, S. 65; Prandtl, Abhandlungen, Bd. 1, S. V; Wendel, S. 48/49. Zum Begriff der angewandten Wissen­ schaften bei Prandtl: Prandtl, Abhandlungen, Bd. 1, S. 254. Prandtl, Abhandlungen, Bd. 2, S. 575-584. Truckenbrodt, S. 53f. Prandtl hat diesen Schluß freilich erst gezogen, als er sich selbst schon der Flugtechnik zugewandt hatte: Prandtl, Flugtechnik, S. 287. Constant, S. 102; grundsätzlich zum Problem der Reibung, Karman, Aerodynamik, S. 81-97. 25

Berechnung, geschweige denn in eine „Theorie des Tragflügels" übersetzt werden konnten. Erst um 1912 wurden Tragflächenquerschnitte mit gerun­ deter Vorder- und scharfer Hinterkante dargestellt, an denen günstige Strö­ mungsverhältnisse nach dem Satz von Kutta und Joukowsky erwartet wer­ den konnten,15 während Prandtl im Flugzeug erst seit 1908 ein mögliches Objekt zur nützlichen Anwendung seiner Hypothese erblickte.16 Das Newtonsche Paradigma blieb vor diesem Hintergrund für die „Flugwissen­ schaften'' maßgebend. Einer der wenigen Flugzeugkonstrukteure, die über­ haupt wissenschaftliche Fragestellungen zu Kenntnis nahmen, Fritz Huth, re­ sümierte noch 1909, ganz in der Vorstellung von der geneigten Platte: „Die Art des Zusammenhangs zwischen Luftwiderstand und Neigungswinkel (der Tragfläche) ist lange strittig gewesen und auch heute noch nicht voll ge­ klärt".17 Es ergab sich eine „präsumptive Anomalie". In dem Moment, als der erste Motorflug tatsächlich stattfand, standen theoretisch alle bis dahin empi­ risch gewonnenen Konstruktionsprinzipien zur Disposition.18 Die wissenschaftliche Aerodynamik führte zur Gründung einer Reihe von Forschungseinrichtungen, Fachgesellschaften und -Organen. In Deutsch­ land wurde zunächst die Modellversuchsanstalt in Göttingen unter der Leitung von Prandtl gegründet, gefolgt von einem Institut an der Aachener Hochschule. In Frankreich war Gustave Eiffel, dessen Meßreihen über den Luftwiderstand von Körpern auch in Deutschland einen zentralen Ansatz­ punkt der Diskussion bildeten, der Vorreiter für die Errichtung von Wind­ kanalanlagen und aerodynamischen Instituten,19 in Rußland Joukowsky, in Großbritannien Rayleigh.20 Seit 1910 wurde das in der Folge wichtigste deutsche Fachorgan, die „Zeitschrift für Flugtechnik und Motorluftschiff­ fahrt" (ZFM) publiziert, die seit 1912 das Zentralorgan der neu gegründe­ ten „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt" (WGL) darstellte.21 Im gleichen Jahr entstand, unter Beteiligung von Reichsbehörden, der KaiserWilhelm-Gesellschaft und mit Mitteln der „Nationalflugspende" eine spe­ ziell auf Probleme des Flugzeugbaus zugeschnittene Forschungsanstalt, die „Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt" (DVL) mit Sitz in Berlin.22 Auftriebssatz und Grenzschichttheorie schlugen sich vor dem Ersten Weltkrieg im Flugzeugbau aller Länder nieder. Die „Stromlinienform" ver­ breitete sich in dem Maße, wie sich die Fragilität der Flugzeuge verlor. Ne­ ben dieser allmählichen Einarbeitung der Erkenntnisse der wissenschaftli-

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Deimler, passim; Joukowsky, 1912, passim; Trefftz, passim. Hanle, S. 47. Fritz Huth, S. 89. Generell zur „presumptive anomaly": Constant, S. 15f. Eiffel, passim; Heinzerling, passim. Edgerton, S. 5; Trischier, S. 70. Prandtl, Vorgeschichte, passim; Trischier, S. 83-88 S. 76-80; Rotta, S.65ff. und Trischier, S. 68-83; Morrow, Air Power, S. 5-7, Sen pp 102ff.

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chen Aerodynamik gab es jedoch Bemühungen, sie als Basis für eine neue Konstruktionstradition zu verwenden, mit der zugleich das statische Sy­ stem des Flugzeugs einer grundsätzlichen Revision unterzogen wurde. Dieser innovative Kompromiß aus statischem Aufbau und aerodynami­ scher Gestalt beruhte auf einer Schlußfolgerung aus Grenzschichttheorie und Auftriebssatz. Die Streben und Spannkabel, die im herkömmlichen Flugzeugbau zur Kraftübertragung zwischen dem Rumpf und den Tragflä­ chen verwendet wurden, bewirkten nach der Grenzschichttheorie einen er­ heblichen „schädlichen" Luftwiderstand. Seit den Veröffentlichungen von Eiffel und Prandtl wurden daher äußere Stabilisierungselemente im Flug­ zeugbau zusehends reduziert und „stromlinienförmig" ausgebildet. Der ei­ gentlich zwingende Schritt, sie ganz fortfallen zu lassen, unterblieb jedoch, da „dünne" Tragflächenprofile bevorzugt wurden, die keinen allein tragen­ den Holm aufnehmen konnten. Allein durch dieses Dilemma ist das Vor­ herrschen des „Doppeldeckers" im Flugzeugbau der Kriegszeit zu erklären. Da sich erwies, daß die Verspannung der vor allem in Frankreich verbrei­ teten Eindecker mit dünnem Profil einen erheblichen Luftwiderstand er­ zeugte, setzte sich jene Lösung durch, bei der die statische Kraftübertra­ gung durch einen auftriebserzeugenden Oberbau gewährleistet und weniger Spanndraht benötigt wurde. Der Satz von Kutta und Joukowsky widersprach der Auffassung über die Vorteile der „dünnen" Profile im Prinzip nicht. Seit etwa 1912 verdich­ teten sich jedoch die Erkenntnisse, daß „dicke" Profile, die tragende Trag­ flächenholme ohne äußere Stabilisierung ermöglichten, bei geschickter ae­ rodynamischer Auslegung eine nur unwesentlich geringere Auftriebskraft entfalteten als „dünne" Profile: „Der freitragende Flügel wurde erst mög­ lich durch die Erkenntnis, daß ein dickes Profil bei geeigneter Formgebung teilweise günstigeren Auftrieb und geringeren Widerstand hat als das dün­ ne Profil", sollte Junkers diese zentrale Schlußfolgerung umschreiben.23 Dieses Konstruktionselement, der „dicke Flügel", war der Kern des neuen statischen und aerodynamischen Systems, mit dem das Flugzeug die heute vertraute Gestalt annahm. Zugleich war er die zentrale Innovation im tech­ nologischen Spurt des deutschen Flugzeugbaus zwischen 1910 und 1920. Obwohl ein erstes, freilich nicht flugfähiges Versuchsflugzeug dieser Art 1912 von der französischen Firma Antoinette präsentiert wurde,24 blieb die Herstellung von Eindeckern mit „dicken" Flügeln auf deutsche Firmen be­ schränkt, und hier waren es wiederum Außenseiter der Branche, die den Weg des neuen konstruktiven Kompromisses gingen. Die gesonderte deutsche Entwicklung ist auf ein Bündel von Faktoren zurückzuführen, die sich ergänzten und teilweise bedingten. Die Tatsache,

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Zusammenfassung der wesentlichen Kennzeichen und Vorteile der Junkers-Flugzeuge, 12.4.18, DMM/ASD JA 0201/10/16. ZFM 3 (1912), S. 8f. 27

daß das neue statische und aerodynamische System in Deutschland und hier allein entstand, war auf die Rückständigkeit des deutschen Flugzeug­ baus, die intensive staatliche Förderung und die frühe Verwissenschaftli­ chung der Diskussion über Fragen der Konstruktion zurückzuführen. Der wichtigste Faktor jedoch war das Luftschiff. Bis zum ersten Weltkrieg er­ freuten sich die Luftschiffe von Ferdinand von Zeppelin und August von Parseval einer größeren Popularität als die Flugmaschinen schwerer als Luft und konnten beträchtliche Summen aus Spenden und Haushalten mo­ bilisieren.25 Obschon die Zeppeline den Flugzeugbau in den Schatten stell­ ten, und nicht wenig zu dessen verspäteter Entwicklung beitrugen, er­ leichterten sie als eine Versuchsanordnung geringerer Komplexität die Implementation der wissenschaftlichen Aerodynamik und stellten darüber hinaus ein besonders attraktives Forschungsfeld für Statiker dar, deren In­ teresse schließlich vom Luftschiff auf den Flugzeugbau übergeleitet wurde. Nachdem 1906 die Motorluftschiff-Studiengesellschaft auf privater Ba­ sis unter Beteiligung des preußischen Kultusministeriums gegründet wor­ den war,26 förderte sie bald darauf die Gründung einer LuftschiffmodellVersuchsanstalt, die mit einem eigens errichteten Windkanal in Göttingen betrieben wurde. In diesem Institut, aus dem die „Aerodynamische Ver­ suchsanstalt" hervorging, erarbeiteten Prandtl und seine Mitarbeiter seit 1908 Vorschläge zur Verbesserung der Form der Luftschiffe auf der Basis der Grenzschichttheorie.27 Da sich das Starrluftschiff aus einfachen Körpern zusammensetzte, eignete es sich besonders für den Übergang von theoreti­ schen Modellen zu projektbezogenen Anwendungen.28 Die Versuche der Göttinger Anstalt vermittelten einen Eindruck von den Leistungsreserven, die durch eine günstige aerodynamische Durchbildung zu erschließen wa­ ren. 1912 konnte das Modell eines Luftschiffs präsentiert werden, das we­ niger als ein Zwanzigstel des Luftwiderstands eines Ballons gleichen Vo­ lumens verursachte.29 Die Vermessung des Grenzschichtverhaltens am Luftschiffkörper bildete darüber hinaus einen Zwischenschritt in Richtung auf die weitaus schwieriger zu behandelnden Verhältnisse am Profil der Flugzeugtragfläche. Das aerodynamisch optimierte Luftschiff ähnelte im Querschnitt jenem Joukowsky-Profil, auf das sich die Überlegungen zur Gestaltung eines Körpers mit günstigen Auftriebsverhalten konzentrierten. Diese Überlegungen leiteten zu der Beschäftigung der Göttinger Anstalt mit dem Flugzeugtragflügel über.30 Seit 1911 unternahm Albert Betz, ein

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Walle, passim; Schiller, passim; Dürr, passim. Siehe auch Wissmann, Luftfahrt, S. 147156; Schwerin von Krosigk, S. 55-57. Zur Gründung der Motorluftschiff-Studiengesellschaft, Rotta, S. 18ff. Ebd., S. 25-50. Trischier, S. 61f.; Dürr, S. 25. Rotta, S. 72-74. Rotta, S. 73f.; Truckenbrodt, S. 56. ZFM 3 (1912), S. 50; zu Bendemann s. Diskussionsbeitrag Prandtl zu Bendemann, L Trischier, S. 71.

Schüler Prandtls, die ersten Messungen im Göttinger Windkanal, um zu ei­ ner experimentell unterstützten Erklärung des Zusammenhangs zwischen Widerstand und Auftrieb eines Tragflügels zu gelangen.31 Als Versuchsanordnung hatten die Zeppeline noch in anderer Hinsicht eine zentrale Bedeutung. In einem Zeitraum, als weitgestreckte eiserne Hallenkonstruktionen, Brücken und Krananlagen einen Ausweis für den technischen Fortschritt schlechthin darstellten, bildete das Gerüst des Starrluftschiffs, das vielfältigen Beanspruchungen ausgesetzt war, eine weitaus komplexere Kraftübertragung zu gewährleisten hatte und dabei leichter sein mußte als ähnliche Konstruktionen aus Metallträgern, eine be­ sondere Herausforderung für die Statik als Wissenschaft. Das Interesse, die Erkenntnisse über die Statik des Metallbaus zu erweitern, übte einen we­ sentlichen Impuls auf den Luftfahrzeugbau aus. Prandtl, der den Ruf auf den Göttinger Lehrstuhl seinen Untersuchungen über die Knickbeanspru­ chung von Trägern verdankte, wurde bei den Untersuchungen zur Grenz­ schichttheorie von dem Motiv geleitet, die Entstehung von Kräften an ei­ nem tragenden System zu klären, zu einer Zeit als die Diskussion über die Kraftübertragung in diesem System nur noch wenig Neuigkeitswert hatte. Das Luftschiff war in diesem Sinne der ideale Ansatz für die integrierte Untersuchung von Aerodynamik und Statik, die die Forschungen Prandtls auszeichnete. Während bei Eiffel, der seinen Turm als Versuchsanlage nutzte, um die Fallgeschwindigkeit stromlinienförmiger Körper zu messen, Aerodynamik und Statik experimentell isoliert blieben, traten sie bei dem stromlinienförmig verkleideten Starrluftschiff in eine Wechselbeziehung. Es wäre zu prüfen, ob das Momentum des Eisenbahnbaus mit seinen zahlreichen Brücken- und Hallenkonstruktionen für den Überhang an wis­ senschaftlicher Energie verantwortlich war, die sich seit dem Ende des er­ sten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts im Luftschiff- und Flugzeugbau kon­ zentrierte. Heinrich Müller-Breslau, einer der bekanntesten deutschen Statiker, war an der Entwicklung des Zeppelinträgers beteiligt, aber auch ein junger Ingenieur wie Claude Dornier, der ein Auskommen im Stahl­ brückenbau gefunden hatte, ließ sich zum Wechsel auf eine mäßig dotierte Stelle beim Luftschiffbau Zeppelin bewegen.32 Die bekanntesten Flugwis­ senschaftler, neben Prandtl Alexander Baumann, Hans Reißner und Fried­ rich Bendemann, hatten ihre akademische Karriere als Statiker begonnen, und es ist maßgeblich ihnen zu verdanken, daß die Ablösung der älteren, auf Beobachtung und Erfahrung fixierten Tradition der Flugwissenschaften durch die mathematische Ableitung im deutschen Flugzeugbau beispiellos rapide verlief. Die „community of practitioners" hatte mit ihren Lizenzen französischer und amerikanischer Hersteller kaum etwas vorzuweisen, um

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Betz, Auftrieb, passim; ders., Untersuchung, passim; Truckenbrodt, S. 61; zu Betz: Schlichting, passim; Rotta, S. 75ff. Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 51 f. 29

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einen festen Platz in einer Debatte über die Natur des Fluges zu reklamie­ ren, die in Deutschland von Hochschullehrern für Mechanik und Statik dominiert wurde. Der besondere Reiz des Zeppelingerüsts für die wissenschaftliche Sta­ tik hing freilich mit dessen Baustoff zusammen. Die Erfindung der Elek­ trolyse hatte seit den 1880er Jahren einen Verfall des Preises für Aluminium bewirkt, der zu seiner Verbreitung als Gußmetall im Automobilbau führte und schließlich der Anreiz für Ferdinand Zeppelin war, Aluminium als Baustoff für das Gerüst seines Luftschiffs vorzusehen.33 Seit 1897 arbeitete er mit dem Lüdenscheider Industriellen Carl Berg zusammen, der nicht nur über Werkstätten verfügte, die sich zum Bau großer Trägersysteme aus Aluminium eigneten, sondern auch das Patent auf eine der frühen Legie­ rungen von Aluminium mit Zink und Kupfer besaß. Es zeigte sich zwar, daß das „Bergmetall" ungleichmäßige Eigenschaften aufwies, sich bei La­ gerung veränderte und daher häufig Brüche und Risse auftraten. Durch die Festlegung Zeppelins wurde Aluminium jedoch als Konstruktionsmetall eingeführt, was wiederum eine spezifische Ausrichtung der metallurgi­ schen Forschung bei Leichtmetallen bewirkte. Je mehr der Zeppelin an Be­ deutung gewann, desto wichtiger wurde die Suche nach einer hochfesten und alterungsbeständigen Aluminiumlegierung für beanspruchte Metall­ konstruktionen.34 Ein Abteilungsleiter der „Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen",35 Alfred Wilm, entdeckte 1906 einen Effekt, der bis dahin nur bei der Stahlherstellung beobachtet worden war. Er stellte fest, daß die Legierung aus 90% Aluminium und Kupfer mit kleinen Anteilen von Ma­ gnesium und Mangan, erhitzt auf 420° und abgeschreckt, zu der Festigkeit von niedrig legiertem Stahl aushärtet. Die Dürener Metallwerke AG, eine Tochter der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, die Wilm ur­ sprünglich mit Untersuchungsreihen über einen Werkstoff für Patronen­ hülsen beauftragt hatte, meldete die neue Legierung unter dem Namen „Duraimin" zum Patent an.36 Die feste Legierung erschien rechtzeitig, um die bei der Verwendung von „Bergmetall" aufgetretenen Zweifel an der Brauchbarkeit des Aluminiums als Konstruktionswerkstoff zu zerstreuen.37 Duraimin hatte berechenbare Festigkeitwerte, die sich bei Lagerung nicht

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Zur Aluminiumherstellung und -Verarbeitung s. die Artikel in Joliet sowie Wallace, passim; Sterner-Rainer, passim. Zur Wirkung der Zeppeline auf die Aluminiumnach­ frage, die in den Vereinigten Staaten ein Pendant höchstens in dem Liberty-Motor des Ersten Weltkriegs besaß: Wallace, S. 46; Radecki, Mikulicz Ritter von: Das starre Luft­ schiff [1910], in: Joliet, S. 167. „ Zu den Problemen bei der Verwendung von Aluminium: Dürr, . , genere zur rage der Legierungsfähigkeit des Aluminiums: E.H. Schulz, passim. Ruske, S. 264-268. Ebd., S. 274; zu Wilm: Haas, passim. Steinitz, passim.

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verloren. Die statischen Berechnungen, die im Stahlbrückenbau entwickelt worden waren, konnten nun in ihrer ganzen Breite auf den Luftschiffbau übertragen werden, so daß die Bedeutung des Zeppelins als Experimentier­ feld der wissenschaftlichen Statik noch akzentuiert wurde. Der Luftschiff­ bau bildete in der Folge das wichtigste Absatzfeld für die „feste" Legie­ rung. Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden aus der Zusammenarbeit zwischen den Dürener Metallwerken und dem Zeppelinkonzern nicht nur ein neues Trägersystem für die Starrluftschiffe, sondern auch die ersten Speziallegierungen der Duralminklasse.38 Die Innovation des freitragenden Systems ging somit nicht auf einen einzigen Erfinder oder Unternehmer zurück. Es entstand aus einer spezifi­ schen Konstellation, die sich seit dem Ende des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts in Deutschland ergab und in deren Zentrum sich die techni­ sche Dynamik des Zeppelinluftschiffs entfaltete. Die Verwirklichung des freitragenden Systems im Ersten Weltkrieg hingegen war ganz wesentlich von zwei zusätzlichen Faktoren abhängig: dem militärischen Interesse am Flugzeug als Waffe und einer Gruppe von schöpferischen Unternehmern, die dieses Interesse bedienten.

2. Die Erfinder des freitragenden Systems: Fokker/Platz, Zeppelin/Domier und Reißner/Junkers Erst die vermehrte Ausschüttung von Mitteln zur Förderung des Kriegsflugzeugbaus, die Bündelung von Forschungsanstrengungen und neue Kommunikationsmedien schufen die Voraussetzungen für die Erfin­ dung des freitragenden Systems. Die zentrale militärischen Exekutivbehör­ de für die deutsche Luftfahrtindustrie (Bayern ausgenommen) war wäh­ rend des Ersten Weltkriegs die Inspektion der Fliegertruppen (IdFlieg). Sie unterhielt, nachdem sie zunächst nur Abteilungen für Versuch, Abnahme und Ersatz besessen hatte, im Juli 1918 dreizehn Ämter für alle Aufgaben der Luftrüstung39 und seit Ende 1916 eine auf Beschaffungs- und Entwick­ lungsfragen spezialisierte Abteilung, die Flugzeugmeisterei unter Felix Wagenführ. Die IdFlieg bewirtschaftete Rohstoffe, rekrutierte Ingenieure und Arbeiter, setzte Richtlinien für den Bau und die Abnahme von Flug­ zeugen fest und standardisierte Werkstatteinrichtungen und Konstruk­ tionselemente. Vor allem aber lenkte sie die Luftfahrtforschung. Im Zusammenhang mit der Gründung der Flugzeugmeisterei wurde auf einer gemeinsamen Sitzung der Forschungsinstitute, der Industrie und der interessierten militärischen Stellen am 22. Dezember 1916 die „Aus-

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Dürr, S. 32/33. Morrow, Air Power, S. 38, 74,127f. 31

kunfts- und Verteilungsstelle für flugwissenschaftliche Arbeiten der Flug­ zeugmeisterei" geschaffen. Um, wie es hieß, die „restlose Ausnutzung aller wissenschaftlichen Kräfte" sicherzustellen, sollte sie als Clearingstelle zwi­ schen Forschung und Industrie funktionieren, die Vergabe von Versuchs­ aufträgen lenken und Doppelarbeit beseitigen. Zu diesem Zweck nahm sich die Flugzeugmeisterei das Recht, die Ergebnisse der Forschung in den In­ stituten und der Industrie „nach gering bemessener Schutzfrist" allgemein zugänglich zu machen. Der Leiter der DVL, Bendemann, sowie Prandtl, Hans Reißner und Alexander Baumann erklärten sich bereit, ihre For­ schungen ohne Vorbehalt in den Dienst dieser Einrichtung zu stellen, wo­ mit die Rolle der Luftfahrtforschung bis zum Ende des Krieges festgelegt war.40 Seit 1917 stellten die DVL und die Göttinger Versuchsanstalt faktisch Forschungsanstalten der Flugzeugmeisterei dar.41 Das „Vermächtnis" der Flugzeugmeisterei bestand in dem Organ, das zur Vermittlung der Forschungsergebnisse gegründet wurde. Die „Techni­ schen Berichte der Flugzeugmeisterei" kamen seit 1917 heraus und berei­ teten konzentriert die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Aerodynamik und anderer Forschungsfelder des Flugzeugbaus auf.42 Gerade weil diese Berichte geheim und daher weder ausländischen Konkurrenten noch einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich waren, fanden sich hier relativ unge­ schützt eingehende Darlegungen zu anstehenden Problemen des Flugzeug­ baus, die als Leitfaden so wertvoll waren, daß sie nach Ende des Krieges ungekürzt neu aufgelegt wurden. Die „Technischen Berichte der Flug­ zeugmeisterei" bildeten das Medium für die Anwendung der Erkenntnisse über den „dicken Flügel". Seit 1917 wurden hier die ersten systematischen aerodynamischen Vermessungen von Profilen der Göttinger Modellver­ suchsanstalt verfügbar gemacht. Zugleich veröffentlichten Prandtl und sei­ ne Schüler in den „Technischen Berichten" die „Theorie des Tragflügels",43 die den Kulminationspunkt der Debatte über die Gestalt des Flugzeugs seit der Jahrhundertwende bildete. Mit ihr lag ein mathematisches Gerüst zur Bilanzierung eines beliebigen Tragflügels vor, und sie vollendete die Fun­ dierung des Flugzeugbaus in der Strömungslehre.44 Die Implementation des freitragenden Systems ging somit erneut auf eine spezifische Rückständigkeit der deutschen Industrie zurück. Die Flie­ gerkräfte benötigten Flugzeuge, die leicht herstellbar waren und einen gro-

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Bericht über die Sitzung zwecks Gründung einer „Auskunfts- und Verteilungsstelle für flugwissenschaftliche Arbeiten der Flugzeugmeisterei", 22.12.16, DMM/ASD JA 0201/6/9. Trischier, S. 94-106. Hoff, S. 494; zu Hoff: Trischier, S. 95. fosHouAn aiu Die ursprünglich in den Technischen Berichten veröffentlichten Aufsatze von Albert Betz, Max Munk und Ludwig Prandtl sind wieder abgedruckt Ges' Ab‘ handlungen, Bd. 1, S. 275-278 u. 309-315; Hanle, S. 49-51; Rotta, • Mader, Betrachtungen, S. 1042.

ßen Wirkungsgrad des Motors garantierten. Bis 1918 sahen sich freilich die größten deutschen Motorenproduzenten wie Daimler, Benz, Maybach, Deutz, Oberursel und Siemens nicht in der Lage, einen Flugmotor zu lie­ fern, der auch nur annähernd das Leistungsgewicht französischer oder englischer Motoren erreichte. Der sechzylindrige Standmotor der DaimlerMotoren-Gesellschaft lieferte in seiner letzten Entwicklungsstufe gerade 180 im Gegensatz zu den weit über 200 PS der wesentlich leichteren Moto­ ren der alliierten Hersteller. Erst im Frühjahr 1918 konnte ein neues Muster von BMW (Illa) an die Leistung etwa der Motoren von Hispano-Suiza an­ knüpfen.45 Seit Kriegsbeginn gab es somit einen Problemdruck im Flugmo­ torenbau, der durch eine forcierte Entwicklung auf diesem Gebiet allein nicht bewältigt werden konnte. Vielmehr eröffnete sich die Perspektive, je­ nen Rückstand, der schon allein wegen des Mangels an Legierungsmetallen kaum aufhebbar schien, durch eine radikale Ausschöpfung der Erkenntnis­ se über die Aerodynamik des Flugzeugs zu kompensieren. Das unternehmerische Risiko, das freitragende System einzuführen, nahm Anthony Fokker auf sich. Fokker, ein gebürtiger Niederländer, hatte schon vor dem Krieg einen Betrieb in Schwerin aufgebaut und nach Kriegs­ beginn Erfolge mit einem Synchronisationsgetriebe verbucht, das das Schießen durch den Propellerkreis ermöglichte. Demgegenüber beschränkte sich der eigentliche Flugzeugbau bei Fokker auf wenig eingebungsvolle Kopien französischer Vorbilder, so daß sein Werk bald nach dem ersten Er­ folg auf den Status eines der zahlreichen Lizenzbauuntemehmen zurückzu­ fallen drohte.46 Seine besondere Qualität erwarb sich der Flugzeugbau bei Fokker erst, als Reinhold Platz47 zum Konstrukteur der Firma aufstieg. Platz, ein gelernter Schweißer und Autodidakt, bemühte sich eigentlich, die Eignung geschweißter Stahlrohrkonstruktionen für den Flugzeugbau nach­ zuweisen. Um freilich die statische Güte dieser Bauform herauszustellen, verzichtete er vollständig auf Verspannungen und wählte zu diesem Zweck eines jener „dicken" Joukowsky-Profile, die seit 1912 in der ZFM beschrie­ ben wurden. Platz schuf Ende 1916 ein freitragendes System, das aus einem geschweißten Stahlrohrrumpf und Flügeln bestand, die ein sehr großes Dickeverhältnis aufwiesen und von einem einzigen Kastenholm aus Holz getragen wurden. Nachdem das erste, nach diesem Prinzip gebaute Modell, Fokker zufolge „das modernste Flugzeug, das von beiden Parteien wäh­ rend des Krieges herausgebracht wurde"48, zunächst abgelehnt worden war, erhielt Platz im Sommer 1917 die Chance, seine Idee auf dem Rü-

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Zum Problem des deutschen Flugmotorenbaus im Ersten Weltkrieg: Ittner, S. 68-72; Morrow, Air Power, S. 191 ff. Zu Fokker: Schwing u.a.; Fokker/Gould, S. 156-180; Morrow, Air Power, S. 56-60; Kens/Müller, S. 12-14. Zu Platz: G. Schulte, passim; Supf, S. 155; Kens/Müller, S. 86-90. Fokker/Gould, S. 208. 33

stungsmarkt einzubringen. Sein erstes Serienmodell, Fokker Dr I,49 ein Dreidecker, nutzte bereits ein „dickes" Tragflächenprofil, dessen Auftriebs­ und Widerstandswerte im Göttinger Windkanal vermessen und in den „Technischen Berichten" veröffentlicht worden waren.50 Der Führer des Jagdgeschwaders 1, Manfred von Richthofen, setzte die Produktion des Platzschen Flugzeugs gegen den Widerstand der IdFlieg durch. Als sich der Erfolg des Dreideckers eingestellt hatte, erreichte er darüber hinaus eine förmliche Beteiligung von Frontpiloten bei der Aus­ wahl von Jagdflugzeugen.51 Auf dem daraus hervorgehenden ersten „DFlugzeugwettbewerb" im Januar 1918 wurde der von Platz in einer radika­ len Auslegung des „dicken" Flügels konstruierte Doppeldecker D VII über­ ragend beurteilt52 und in die Großserienproduktion genommen. In den letzten Monaten des Krieges verzeichneten die deutschen Jagdfliegerkräfte mit dem D VII und einem freitragenden Hochdecker (Fokker D VIII) erheb­ liche Erfolge. In keiner Waffengattung des deutschen Heeres zeigte sich der psychologisch so bedeutsame Widerspruch zwischen den persönlichen Ge­ fechtserfahrungen und dem Ausgang des Krieges deutlicher als bei den Jagdfliegern. Das Jagdgeschwader 1 unter Hermann Göring, von dem Richthofen noch im Juli 1917 geschrieben hatte, es müsse mit Flugzeugen kämpfen, die den alliierten in geradezu lächerlicher Weise unterlegen sei­ en, erzielte noch bei den letzten Gefechten im November 1918 17 Abschüsse bei zwei eigenen Verlusten.53 Nach dem Erfolg von Fokker und Platz etablierte sich das freitragende System im deutschen Kriegsflugzeugbau. Auch die Konstruktion einer kleineren Firma wie den Gelsenkirchener Kondor-Werken, deren Jagdflug­ zeug den dritten D-Flugzeugwettbewerb im Oktober 1918 gewann, blieb bei Kriegsende technisch nicht mehr hinter Fokker zurück.54 Der wirt­ schaftliche Erfolg des niederländischen Unternehmers wurde jedoch nicht mehr gefährdet. Wie weitgehend schließlich das Bild des deutschen Flug­ zeugbaus durch das freitragende System von Reinhold Platz geprägt wur­ de, läßt sich aus den Waffenstillstandsbedingungen ermessen: Die Forde­ rung nach Auslieferung von „1700 Jagd- und Bombenabwurfsflugzeuge(n)" präzisierten die Alliierten mit dem Zusatz, daß „insbesondere alle Appara­ te D 7" abzugeben seien.55 Der zweite Weg der Implementation des freitragenden Systems wurde zunächst weniger durch militärische Anforderungen eröffnet, sondern vielmehr durch das Bemühen Ferdinand Zeppelins, die bei den Starrluft-

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Zum konstruktiven Aufbau des Dr I: Kens/Müller, S. 60 u. 87; Hoff, S. 524 und 526. Rotta, S. 175 f. Morrow, Air Power, S. 111-115. Hermann, Eigenschaften, S. 315. Morrow, Air Power, S. 109 u. 124/125; Bodenschatz, S. 208f. Kens/Müller, S. 82 u. 91 ff.; Kranzhoff, S. 15. Fokker zufolge „eine wundervolle Reklame": Fokker/Gou ,

schiffen gesammelten Erfahrungen im Flugzeugbau zu nutzen. Nachdem Zeppelin im Herbst 1907 erstmals Reichsmittel erhalten hatte, um seine Versuche fortzuführen56 und 1908, nach dem Absturz seines vierten Luft­ schiffs, mehrere Millionen Mark durch Spenden eingenommen hatte,57 ent­ stand aus der im gleichen Jahr gegründeten Luftschiffbau-Zeppelin GmbH bis zum Ersten Weltkrieg ein dezentraler Konzern, in dem spezialisierte Tochtergesellschaften (Maybach Motoren, Zahnradfabrik Friedrichshafen, Ballonhüllen-Gesellschaft) der Weiterentwicklung der Zeppeline zuarbei­ teten. Schon vor dem Krieg gründete Zeppelin eine Flugzeugbauabteilung, um nach der weitgehenden Vervollkommnung des Starrluftschiffs eine Ausweichmöglichkeit für das in seiner Firma gebundene Forschungspoten­ tial zu schaffen.58 Im August 1914 beauftragte er darüber hinaus, unter­ stützt durch Robert Bosch, zwei Arbeitsgruppen mit dem Bau von „Riesenflugzeugen". Mit vierzig und mehr Metern Spannweite sollten diese Flugzeuge das Bombardement des Londoner Hafens ermöglichen und au­ ßerdem sollten so die beim Bau des Starrluftschiffs erworbenen Kenntnisse über statisch komplexe Trägersysteme und die Verwendung von Alumini­ um auf den Flugzeugbau übertragen werden. Alexander Baumann über­ nahm - unterstützt durch einen seiner Schüler, Emst Heinkel, der kurz zu­ vor eine Theorie des Bombenwurfs veröffentlicht hatte - die Aufgabe, möglichst kurzfristig, also unter Umgehung der Probleme, die sich durch die Verwendung von Metall ergaben, ein Riesenflugzeug für den Landein­ satz herzustellen, während Claude Dornier das langfristig ausgerichtete Projekt bearbeitete, ein ausschließlich aus Metall aufgebautes Riesenflug­ zeug für den Einsatz auf dem Wasser zu konstruieren.59 Die Verbindung von Statik und Aerodynamik spiegelte sich im berufli­ chen Werdegang von Dornier. 1907 an der TH München diplomiert, trat er 1910 in die Versuchsanstalt des Luftschiffbaus ein und erhielt 1912, nach­ dem ihm die Konstruktion einer drehbaren Luftschiffhalle gelungen war, eine eigene Versuchsabteilung. Mit dieser Einrichtung sollte Dornier die Chance gegeben werden, seine ausgewiesenen Fähigkeiten als Statiker zur Geltung zu bringen. Die „Abteilung Do" hatte freilich nicht nur den Drei­ ecksträger des Luftschiffgerüsts, sondern auch den Antriebspropeller für den Zeppelin zu überarbeiten.60 Diese Aufgabe machte eine Auseinander-

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Schiller, S. 44; Heimann, S. 19. Schiller, S. 44-48. Schwipps, S. 230-233; Schiller, S. 62. Einer der ältesten Mitarbeiter Zeppelins, Theodor Kober, begann 1912 in einer Tochtergesellschaft des Konzerns, dem Flugzeugbau Fried­ richshafen, Flugzeuge zu produzieren: Wachtel, S. 18; Kuhn, Industrialisierung, S. 367. Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 75ff.; A. Baumann, Entwicklung, Z-VDI 63 (1919), S. 487-499; Heinkel, Stürmisches Leben, S. 79-81; Heinkel, Theorie, passim; Morrow, Air Power, S. 19 u. 89; Kuhn, Industrialisierung, S. 397-403. Dornier, Luftschraubendiagramm, passim. 35

Setzung mit der wissenschaftlichen Aerodynamik notwendig, die unter an­ derem mit Studien in der aerodynamischen Forschungsanstalt Eiffels ver­ bunden war, so daß Dornier 1914 auf Kenntnisse in beiden Wissenschafts­ feldern zurückgreifen konnte, aus denen das freitragende System entstand. Während die Baumann-Gruppe in den Zeppelinwerken in Staaken bei Ber­ lin in den Kriegsjahren dem Entwicklungspfad der konventionell aufge­ bauten Riesenflugzeuge folgte - eine Bautradition, die eine markante Be­ sonderheit der deutschen technischen Entwicklung im Flugzeugbau des Ersten Weltkriegs ausmachte,61 baute Dornier seit 1915 insgesamt vier ver­ schiedene Riesenflugboote.62 Zum einen wurden diese Boote auf der Basis von Messungen der Göttinger Modellversuchsanstalt konstruiert, zum an­ deren verwendete Dornier für alle während des Krieges gebauten Flugzeu­ ge mehrheitlich - zuletzt ausschließlich - Duraimin. Nachdem erkannt worden war, daß das „Silber aus Lehm" neben dem „Salpeter aus Luft"63 ein wichtiges Instrument zur Autarkisierung einer Kriegswirtschaft darstellte, zielte die weitere Erforschung der festen Alu­ miniumlegierungen ausdrücklich darauf, Rezepte gegen die vermeintliche Rohstoffarmut zu finden.64 In diesem Sinne konnte man die Wilmsche Er­ findung auch so verstehen, daß das mit Erzen aller Art nicht gesegnete Deutsche Reich in Gestalt seiner Tonvorkommen65 unversehens über eine fast unbegrenzte Rohstoffbasis für ein Metall verfügte, das in zentralen Anwendungsbereichen Kupfer und Stahl ersetzen konnte.66 Nachdem Al­ fred Wilm überhaupt erst 1911 die Ergebnisse seiner Forschungen öffent­ lich präsentiert hatte, brachten die „Technischen Berichte" die erste einge­ hende Übersicht über die Zusammensetzung, die Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten des Duraimins. Daraus freilich ergab sich eine besondere Dynamik in der Leichtmetallurgie insgesamt. 1917 war ein zweites neues Metall auf der Basis von Magnesium anwendungsreif, das aus Abraumsalzen der Kaliherstellung gewonnen werden konnte. Diese „Elektron" getaufte Legierung war nicht mehr ein Produkt der Luftschiff61

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A. Baumann, Entwicklung, Z-VDI 63 (1919), S. 499-504; Supf, S. 523; Kens/Müller, S. 158. A. Baumann, Entwicklung, Z-VDI 64 (1920), S. 132; Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 78. Zur Ammoniaksynthese, Gottfried Plumpe, S. 68-82 und 203-243. In der allierten Luftfahrtindustrie kam Aluminium vor allem beim Motorenbau zur Anwendung: Der Liberty-Motor, der 1918 in Serie produziert wurde, enthielt etwa ein Drittel Aluminium: Wallace, S. 45; Sterner-Rainer, S. 125. Zu den Versuchen der Alu­ miniumindustrie in den Vereinigten Staaten, das Duraiminpatent zu umgehen: Graham, passim. Hier sind vor allem die in Mitteldeutschland verbreiteten Kaoline zu nennen, welche fast den gleichen Gehalt an AI2O3 aufweisen wie Bauxit, ie^ocI1Jiurch ihren Kieselsaureanteil schwieriger aufzubereiten sind: Fulda/Ginsberg, • • ereis wa1 ren es Ersten Weltkriegs gelang es, Kaolin mit dem sogenannten Aloton-Verfahren aufzu-

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Vierjahresplanpropaganda, beispielsweise Gerhardt/ o n

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technik, sondern wurde bereits gezielt für die Anwendung in Konstrukti­ onselementen des Flugzeugs entwickelt.67 Nachdem das Reichsmarineamt mit der Verfügung, daß für Marine­ luftschiffe zukünftig ausschließlich Duraimin zuzulassen sei,68 schon im Februar 1914 die „Werkstoffwende" (Alfred Wilm) eingeläutet hatte, reprä­ sentierten die Konstruktionen Dorniers den konsequentesten Transfer des Duraimins im Flugzeugbau des Ersten Weltkriegs.69 Während seine Riesen­ flugboote noch die Konzeption Zeppelins, die Erprobung stark gestreckter Trägersysteme, widerspiegelten, wurden in der letzten Kriegskonstruktion Dorniers, einem Jagdeinsitzer, Lösungen für das statische System des Flug­ zeugs präsentiert, die über eine einfache Entlehnung von Konstrukti­ onsprinzipien aus dem Zeppelinbau weit hinausgingen. Dornier setzte bei diesem Doppeldecker mit freitragenden, „dicken" Flügeln auf die größere Festigkeit des Duraimins, um eine extreme aerodynamische und vor allem statische Verfeinerung zu erreichen. In dem Flugzeug, das im Juni 1918 erstmals flog, wurden die Eckpatente der Flugzeugstatik zusammenge­ führt, die Dornier während des Krieges angemeldet hatte: für den einholmigen Tragflügel (1916), die tragende Blechhaut für Flugzeugrümpfe und den spantenversteiften Hohlkörper aus Metall (beide 1917).70 Die größte Bedeutung des Projekts, das Zeppelin 1914 ins Leben rief, lag freilich in der Begründung der „Friedrichshafener Schule". Während der Luftschiffbau Zeppelin ohnehin während des Krieges zu einem Zen­ trum der aerodynamischen Forschung aufstieg,71 war das Projekt von Dor­ nier der Ursprung der wichtigsten Konstruktionstradition des deutschen Flugzeugbaus. Unter anderen gehörten Adolf Rohrbach, Hanns Klemm, Ri­ chard Vogt und Alexander Lippisch zur „Friedrichshafener Schule". Vogt, der seit 1917 das aerodynamische Büro der Abteilung Dornier leitete, ver­ ließ Deutschland bald nach Kriegsende und stieg wie auch Lippisch erst in den dreißiger Jahren zu einem der führenden deutschen Konstrukteure auf.72 Hanns Klemm wechselte 1918 zum Daimler-Flugzeugbau und ent­ wickelte sich zu einem der erfolgreichsten Leichtflugzeugkonstrukteure.

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Erfahrungen mit Elektron, Z-VDI 65 (1921), S. 925. Das erste Luftschiff, das die Verwissenschaftlichung des Zeppelinbaus sowohl in Hin­ blick auf die angewandte Aerodynamik als auch die Verwendung von Duraimin mar­ kierte, war das 1915 fertiggestellte LZ 26: Dürr, S. 25 und S. 33-41. Zum Dornier Flugzeugbau: Welt-Luftfahrzeugindustrie, Dornier, S. 94-98; A. Baumann, Entwicklung, 1920, S. 129-132; Dornier, Claude: Über Metallwasserflugzeuge [1921], in: Ders., Vorträge, S. 55-61. Kritisch zum Wert der frühen Konstruktionen Dorniers: A. Baumann, Entwicklung, 1920, S. 131 f. Wachtel, S. 27ff. So arbeitete einer der kreativsten Aerodynamiker in Deutschland, Paul Jaray, beim Luftschiffbau, der nach längeren Planungen 1920 den dann leistungsfähigsten Windka­ nal der Welt erhielt: Munk, passim. Richard Vogt, S. 52.

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Der bedeutendste Vertreter der „Friedrichshafener Schule" neben Dornier war freilich Adolf Rohrbach. Rohrbach, ein Schiffbauingenieur, gelangte 1914 zum Riesenflugboot ­ projekt in Friedrichshafen. Nach Auseinandersetzungen mit Dornier wurde er jedoch 1916 zum Riesenflugzeugprojekt in Staaken versetzt, dessen Lei­ tung er bei Kriegsende übernahm.73 Auf Anregung des Chefs des ZeppelinKonzerns, Colsmann, führte Rohrbach in dieser Eigenschaft die in Fried­ richshafen entwickelten Bauelemente 1919 in einem Flugzeug zusammen, das zeitgenössisch als die perfekte Synthese des freitragenden Systems galt. In Staaken entstand ein Duraimineindecker, glattblechbeplankt mit tragen­ der Außenhaut und vier Motoren, die in den stark verdickten Flügel ein­ gelassen waren. Nicht nur der Aufbau, sondern auch die Form des moder­ nen Verkehrsflugzeugs war mit dieser Konstruktion gefunden.74 Platz, Dornier und Rohrbach gingen von einer bestimmten Zielvor­ stellung über das statische System des Flugzeugs aus und brachten sie nachträglich mit den Meßergebnissen aus Göttingen in Einklang. Insoweit standen sie hinter dem dritten Beispiel der Erfindung des freitragenden Sy­ stems zurück, bei dem Ziel und Weg in Einklang waren. Seit 1909 bemüh­ ten sich Hans Reißner und Hugo Junkers, ein wissenschaftlich reflektiertes Flugzeug neuer Art zu synthetisieren. Unter den Wissenschaftlern, die sich der Aerodynamik verschrieben, nahm Hans Reißner75 eine Sonderrolle ein. Seit 1906 Ordinarius für Mecha­ nik an der Technischen Hochschule Aachen, hatte er große Erfahrungen im Stahlbrückenbau und war in seiner Zeit als Assistent bei Heinrich MüllerBreslau 1902 an den statischen Berechnungen des Luftschiffgerüsts beteiligt gewesen. Sein Interesse richtete sich jedoch bald auf die Flugmaschinen „schwerer als Luft". 1908 und 1909 veröffentlichte Reißner zwei Artikel, die - an der Schwelle des aerodynamischen Paradigmenwechsels - als erste wissenschaftliche Bilanz des zeitgenössischen Motorfluges in deutscher Sprache gelten können.76 In diesen Veröffentlichungen ging Reißner freilich noch von der Newtonschen Vorstellung der geneigten Platte aus. Er refe­ rierte zwar die Widersprüche dieses Modells und verwies auf das Bild Rayleighs vom „Effet des Tennisballs". Schlußfolgerungen über einen not­ wendigen Wandel des Flugzeugbaus, die aus diesen Widersprüchen ge73 74

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Seitz an Junkers (über ein Gespräch mit Rohrbach), 8.2.21, DMM/ASD JA 0501/6/16. Rohrbach, 1000 PS-Verkehrsflugzeug, passim. Die Auseinandersetzung Rohrbachs mit Dornier betraf u.a. die Urheberschaft an der Erfindung der selbsttragenden Blechhaut: Rohrbach an Rasch (LBZ), 7.3.21 (Abschr.), DMM/ASD JA 0501/2/20. Reißner, der Deutschland 1939 als Opfer der Nürnberger Rassegesetze verließ, wird bis heute kaum angemessen gewürdigt, da die deutsche „Luft a rtgesc ic te nac drücklich durch die Propaganda des Reichsluftfahrtministeriums geprägt worden »st. Zur Biographie Rei8nerPS (187^1967): Ebner, passim^ Wagner, Junkers, S. 62-68; Pollog, Junkers, S. 59, Blu / enschaftHche Fragen, passim. Reißner, wissenschaftliche Aufgaben, passim, ders, n ,. qioi/2/9 Ein Exemplar des letzteren Aufsatzes erhielt Junkers, DMM/ASD JA 0101/2/5».

wonnen werden konnten, zog er jedoch nicht. Reißner vernachlässigte die Frage der Wölbung von Tragflächen und zeigte sich skeptisch in der Frage der allgemeinen Gültigkeit der Grenzschichthypothese Prandtls.77 Gleich­ wohl war er maßgeblich an der Gründung der ZFM 1910 beteiligt. Im Unterschied zu allen anderen Fachwissenschaftlem engagierte sich Reißner jedoch nicht allein in der akademischen Forschung und Lehre. 1907 erwarb er einen Apparat der Gebrüder Voisin, um in Paris Flugversuche zu unternehmen. Das Flugzeug wurde jedoch schon bei der Montage so schwer beschädigt, daß Reißner sich zur Überführung nach Deutschland entschloß, um hier die Mittel für die Reparatur und die Fortführung der Versuche einzuwerben. Er wandte sich an einen Kollegen an der TH Aa­ chen, der nicht nur Ordinarius für Wärmetechnik und Betreiber eines pri­ vaten Maschinenlaboratoriums, sondern vor allem ein überaus erfolgrei­ cher Fabrikant von Badeöfen war: Hugo Junkers.78 Im Oktober 1907 bot Reißner Junkers eine gemeinsame Fortführung der Flugversuche an, die „innerhalb eines Jahres schöne Erfolge" versprächen.79 In dem bald darauf geschlossenen Partnerschaftsvertrag wurde be­ stimmt, daß Junkers, dessen Fabrik in Dessau allein im Jahr 1906 einen Ge­ winn von rund 187.000 Mark erwirtschaftet hatte,80 17.000 Mark einbringen solle, um die materiellen Vorleistungen Reißners, die in der Hauptsache in dem Voisin-Flugzeug bestanden, aufzuwiegen. Die Verwertung der Ergeb­ nisse sollte beiden Seiten zu gleichen Teilen zugute kommen.81 Die Aufga­ ben in dem von Reißner vorgelegten Versuchsprogramm waren freilich durchaus unterschiedlich verteilt. Während Reißner für sich die „mecha­ nisch-mathematischen Berechnungen" reservierte, schlug er vor, daß Jun­ kers „im wesentlichen die Werkstattarbeiten und die maschinentechnischen Constructionen und Versuche" übernehmen solle - eine freundliche Um­ schreibung der auf die Bereitstellung des Kapitals und der technischen In­ frastruktur beschränkten Rolle Junkers'.82

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Reißner, wissenschaftliche Fragen, S. 1 ff., DMM/ASD JA 0101/2/9; Reißner an Junkers, 15.12.07, DMM/ASD JA 0101/1/1. Mit der Person Hugo Junkers' (1856-1935) haben sich eine Reihe von Biographen be­ fasst. Am bekanntesten sind die Arbeiten von Pollog und Blunck. Radandt leitete die intensive Beschäftigung mit dem Unternehmer Hugo Junkers in der DDR ein, die von Wissmann, Schmitt und seit Mitte der achtziger Jahre von Groehler weitergeführt wor­ den ist. Nach der Erschließung der Akten des Hauptbüros der Firma Junkers, die 1935 bei der Durchführung des sogenannten Reichsvertrages aus Dessau verbracht wurden, sind jüngst zwei Arbeiten erschienen, die bei deutlich unterschiedlicher Qualität we­ sentliche neue Erkenntnisse erhalten. Formal eigentlich nicht zitierfähig (wie alle son­ stigen Arbeiten dieses Autors) ist Wagner, Junkers, während die technikgeschichtliche Arbeit von Ittner trotz der thematischen Beschränkung auf den Motorenbau die bislang beste Untersuchung des Erfinders und Unternehmers Hugo Junkers bietet. Reißner an Junkers, 20.10.07 und 22.10.07, DMM/ASD JA 0101/1/1. Aufstellung Junkers' vom 28.7.18, DMM/ASD JA 0201/8/10. Entwurf des Vertrages zwischen Reißner und Junkers, o.D., DMM/ASD JA 0101/1/3. Reißner an Junkers, 20.10.07 und 22.10.07, DMM/ASD JA 0101/1/1.

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Mit der Unterstützung Junkers' konnte Reißner zunächst sein wichtig­ stes Anliegen verwirklichen, die Entwicklung eines verstellbaren Propel­ lers, der in mehreren Patenten geschützt wurde. Die Verbesserung und Er­ probung des Voisin-Apparates verlief jedoch nicht erfolgreich, so daß 1909 mit dem Bau eines neuen Flugzeugs begonnen wurde.83 In die neue Kon­ struktion brachte Reißner sein Wissen als Statiker und seine Erfahrungen aus dem Luftschiffbau ein. Der Eindecker erhielt Tragflächen, die nach ei­ nem im November 1908 beantragten Patent gestaltet waren. Darin wurde um Schutzrechte für eine Erfindung nachgesucht, bei der eine gewellte Metallplatte mit Bändern zu verbinden war, um eine „besonders leicht Luft schneidende", widerstandsarme und zugleich feste „Gleitfläche" zu erhal­ ten.84 Um das Gewicht der Konstruktion gering zu halten, wählte Reißner Aluminium als Baustoff für das Wellblech und das Rohrgerüst des Flug­ zeugs, die beide in den Werkstätten der Dessauer Firma Junkers' entstan­ den. Obwohl Reißner in dem Patent über die Wellblechtragfläche großen Wert auf die Reduzierung des schädlichen Widerstandes legte, konnte das „Reißner-Ente" genannte Flugzeug nicht freitragend ausgelegt werden, da die Tragflächen entlang des Newtonschen Modells als lediglich schwach gewölbte „geneigte Platten" gestaltet wurden. In dieser Frage gelang Hugo Junkers der entscheidende Fortschritt. Im Dezember 1909 entwarf er die Patentschrift für eine Tragfläche, die so aus zwei gewölbten Reißnerschen Wellblechplatten zusammengesetzt wurde, daß ein hohler Träger mit ei­ nem Profil von „etwa fischförmiger Gestalt" entstand. Dieser Träger konnte in statischer Hinsicht weitaus größere Beanspruchungen aushalten als die Platten Reißners. Da in seinem Hohlraum Lasten untergebracht werden konnten, trug er darüber hinaus zu einer weiteren Reduzierung des Luft­ widerstandes bei.85 Zwar war damit die Grundform des „dicken Flügels" beschrieben, doch entwarf Junkers ihn ausschließlich als Lösung eines statischen Pro­ blems. Aus aerodynamischer Perspektive war das „fischförmige Profil" keineswegs ein Fortschritt und auch nicht für den Bau einer Tragfläche ge­ eignet.86 Wenngleich Junkers später im Ruf stand, einer der ersten außer-

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Wagner, Junkers, S. 64. DRP 222266, 21.5.10, DMM/ASD JA 0101/2/31. Junkers' Skizze zur körperlichen Gestaltung von Tragflächen, 3.12.09, ist mehrfach in faksimilierter Form widergegeben worden, beispielsweise bei Rathjen, S. 26; Wagner, Junkers, S. 69; Mader, Junkers-Flugzeugbau, S. 66. Zur Darstellung der fischförmigen Gestalt aus den Reißnerschen Wellblechplatten s. die Skizzen Junkers v. 30.12.09, DMM/ASD JA 0101/3/1; zum Bild des hohlen Trägers s. Besprechung Junkers-Mader, 12.4.15, DMM/ASD JA 0201/1/12 oder Beschreibung des Metallflugzeugs von Prof. Junkers, 30.6.15, DMM/ASD JA 0201/2/19. Rpoinn dpr Aufschlußreich für die aerodynamischen ^""^“Jereen Besprechungen anfertig^’ schäft mit Reißner sind die Skizzen, die er bei de beispielsweise am 29.3.08, DMM/ASD JA 0101/1/

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halb der engeren Strömungsforschung gewesen zu sein, der den Satz von Kutta und Joukowsky überhaupt verstanden hatte,87 wurde die aerodyna­ mische Perspektive in den Junkersschen Patententwurf erst durch Reißner eingebracht.88 Er überarbeitete den „hohlen Träger" mit Rückgriff auf eine Gleichung, die Wilhelm Kutta Anfang 1910 veröffentlichte. Aus ihr ließ sich ersehen, daß ein im Sinne des Satzes von Kutta und Joukowsky günstiges Profil sich durch eine gerundete Vorder- und eine scharfe Hinterkante - al­ so ein „keulenförmiges Profil" - auszeichne und die Wölbung der Mittelli­ nie dieses Profils entscheidende Bedeutung für das Auftriebsverhalten ha­ be.89 Diese beiden Ergänzungen wurden in die Beschreibung der Junkers­ schen Tragfläche aufgenommen, die am 1. Februar 1910 zum Patent ange­ meldet wurde. Da Reißner die Rechte an allen bis zu diesem Zeitpunkt aus der Partnerschaft hervorgegangenen Erfindungen erhalten hatte, wurde dieses Patent auf Hugo Junkers eingetragen: „Gleitflieger mit zur Aufnah­ me von nicht Auftrieb erzeugenden Teilen dienenden Hohlkörpern". Als das Gleitfliegerpatent erteilt wurde, war der Höhepunkt der Zu­ sammenarbeit der beiden Ordinarien freilich überschritten. 1911 setzten Reißner und Junkers die Gründung eines aerodynamischen Instituts nebst Windkanal an der TH Aachen durch,90 im Jahr darauf präsentierten sie Ar­ beitsergebnisse auf der Allgemeinen Luftfahrtausstellung. Schließlich flog im Herbst dieses Jahres auch die „Reißner-Ente" zum ersten Mal.91 Unter­ dessen wandelte sich freilich die berufliche Situation beider Hochschulleh­ rer. Junkers hatte sich seit der Übernahme der Aachener Professur 1897 wachsenden Anfeindungen erwehren müssen, die sich gegen die Fortfüh­ rung seiner industriellen Tätigkeit richteten. Im Oktober 1911 bat er um die Entlassung aus dem Staatsdienst.92 Reißner hingegen erhielt im Frühjahr 1913 den Ruf an die Charlottenburger TH. Er nahm den Abschied aus Aachen zum Anlaß, die flugtechnischen Versuche einzustellen. Die nach flugwissen­ schaftlich überholten Vorstellungen konstruierte „Reißner-Ente" war ei­ gentlich schon veraltet, als sie zum ersten Mal flog. Die Erprobung wurde zudem von technischen Mißgeschicken und schweren Unfällen begleitet.

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Karman, Wirbelstraße, S. 92. Zur Mitarbeit Reißners an dem Gleitfliegerpatent s. Notiz zu einer Besprechung zw. Junkers, Reißner u.a. betr. hohle Tragfläche, 28.12.11, DMM/ASD JA 0101/4/14 sowie Vorschläge für Erweiterung des bestehenden Patents „hohle Tragfläche", 11.9.13, DMM/ASD JA 0101/4/69 u. Folkerts an Junkers, betr.: Abrechnung mit Prof. Reißner, 15.10.13, DMM/ASD JA 0101/4/73. Joukowsky, 1910, S. 281ff. Der erste Antrag zur Errichtung eines aerodynamischen Laboratoriums an der TH Aachen stellten Junkers und Reißner am 9.2.10, DMM/ASD JA 0101/3/30. Zur weite­ ren Entwicklung dieser Angelegenheit zahlreiche Unterlagen in DMM/ASD/JA 0101/4/27-56. Wagner, Junkers, S. 66f. Zur Aachener Zeit Hugo Junkers': Radandt, S. 72-83; Blunck, S. 62-88; Groehler/ Erfurth, S. 10-18. 41

Schließlich hatte Reißner sich durch die Partnerschaft mit Junkers erhebli­ che Schulden aufgebürdet: nicht 17.000, sondern 63.000 Mark waren in das zu gleichen Teilen zu finanzierende Unternehmen geflossen, von denen Reißner noch rund 20.000 Mark an Junkers zu entrichten hatte.93 Reißner konnte noch nicht einmal mehr die Gebühren für die Aufrechterhaltung seiner Patentansprüche aufbringen, so daß er sich im Juli 1913 entschloß, seine Erfindungen preiszugeben.94 Wenngleich Hugo Junkers erst durch Reißner in die Fragestellungen der Flugwissenschaften eingeführt wurde, stellte die Beschäftigung mit Ae­ rodynamik und Statik doch eine konsequente Erweiterung der Wissen­ schaftsfelder dar, auf denen er sich betätigte.95 Seine Karriere hatte der 1859 geborene Junkers als Motorenkonstrukteur begonnen, und der Bau von Gas- und später Dieselmotoren bildete die Grundlage seines unternehmeri­ schen Erfolgs. Energieerhaltung und Kraftübertragung in einem dynami­ schen System waren die Kernprobleme, mit denen sich Junkers seit seinem Studium befaßt hatte. Die Chance, sich bei dem Bau eines Fahrzeugs zu en­ gagieren, das mehr als jedes andere eine optimierte Nutzung der Antriebs­ energie voraussetzte, ließ sich Junkers nicht entgehen.96 Wenn die Karriere Junkers' auf einen Nenner gebracht werden soll, so gelingt das über Anspruch und Methodik seiner wissenschaftlich-unter­ nehmerischen Arbeit. Junkers zielte auf technische Komplettlösungen für eindeutig definierte Probleme, in der Hoffnung, daß die daraus hervorge­ henden Produkte kommerziell erfolgreich genug sein würden, um die weitere Forschungstätigkeit zu finanzieren.97 „Die Junkers-Werke sind ein auf die Fruktifizierung technisch-wirtschaftlicher Forschung eingestelltes Unternehmen" war eine typische Kurzform für Junkers' Unterneh­ mensphilosophie.98 Junkers vermied es, seine Forschung in Abhängigkeit von einem laufenden Produktionsprozeß anzulegen und bestand auf voll­ ständig autonomer Umsetzung einer Idee in ein marktfähiges Produkt. So eindeutig er damit von dem Prinzip der angewandten Wissenschaften ab-

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Folkerts an Junkers, betr.: Abrechnung mit Prof. Reißner, 15.10.13, DMM/ASD JA 0101/4/73. Prof. Junkers, Abt. Patente an Reißner, 23. und 30.7.13, DMM/ASD JA 0101 /4/66. Als Überblick: Technische und wirtschaftliche Entwicklung der Junkerswerke, Stand 20.12.34, DMM/ASD JA 0301/33/1. Zu dieser Perspektive des Flugzeugbaus bei Junkers s. Niederschrift einer Besprechung vom 22.8.14, DMM/ASD JA 0101/6/30. Die eigenwissenschaftliche Forschung als Axiom der unternehmerischen Strategie Jun­ kers' bildete Gegenstand zahlreicher untemehmensmterner Denkschriften, beispielsweise Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzhches nach Angaben von Prof. Junkers, 17.9.31, S. 7ff„ DMM/ASD JA 0307 Von außen .sts.e .n einem Gutachten i • j j t i rUn Wirtschaftsprüfern Semler und bcnlomann analysiert worden, das Junkers von den WüberSandt an Junkers 26.3.34 1934 anfertigten ließ: Gutachten Semler/Schlom , g 33ff DMM/ASD N 21/14 (im Folgenden Semler/Schlomann), ASD N 21/19, s r Denkschrift zum Fall Reichsfiskus-Junkers vom

wich, die keine unmittelbare kommerzielle Verwertung anstrebten, sondern wissenschaftlich exakte Grundlagen für eine ferne praktische Anwendung legten, so sehr unterschied sich der Anspruch Hugo Junkers' auch von den Forschungsstrategien der Laboratorien der deutschen Industrie, in denen das Zeitalter der Basisinnovationen schon um die Jahrhundertwende der Vergangenheit angehörte.99 In den Einrichtungen der großen Industrie de­ generiere die Forschung stets zu einer Verfeinerung des Bewährten, schrieb Junkers 1917, während die „reinen" Forschungsinstitute „Wissenschaft um ihrer selbst willen" betrieben.100 Generell markierte die von Junkers selbst als „eigenwirtschaftliche Forschung" bezeichnete Strategie einen Bruch mit jenen Innovationsprozes­ sen, bei denen Erfindungen gleichsam als Nebenprodukte naturwissen­ schaftlicher Forschung anfielen.101 Der Versuch, nicht nur zu erfinden, son­ dern gleichzeitig auch zu erklären, prägte die Methode Hugo Junkers'. Sie bildete ein bemerkenswertes Beispiel für die Übertragung naturwissen­ schaftlicher Fragestellungen in den Maschinenbau und zeigte exemplarisch die Bedeutung systematischer Testverfahren auf. Seit dem Beginn seiner ingenieurswissenschaftlichen Karriere versuchte Junkers über den Zustand hinauszukommen, in dem Testverfahren nur die Grundlage bildeten, um Veränderungen an gegebenen technischen Gesamtsystemen - beispielswei­ se einer Maschine - mit ungewissem Ausgang vorzunehmen. Junkers strebte stets das komplexere Verfahren an, dieses Gesamtsystem in Kom­ ponenten zu zerlegen und Apparaturen zu entwickeln, die halfen, die Funktion dieser Komponenten unter verschiedenen Bedingungen und auf unterschiedlichen Leistungsstufen zu erfassen.102 Gerade weil dadurch die Möglichkeit gegeben wurde, ein Gesamtsystem auf einer weit größeren Bandbreite zu simulieren, ebneten diese Tests den Weg zu radikalen Lö­ sungen und profitablen Produkten.103 Die Fabrikate der 1892 gegründeten Firma Junkers & Co. (Ico), Badeöfen und Kalorimeter, waren aus Meßin­ strumenten abgeleitet, die Junkers für die Konstruktion seines ersten Gas­ motors entwickelt hatte.104 Im Zentrum der eigenwirtschaftlichen Forschung stand die Forschungs­ anstalt.105 Vordergründig knüpfte Junkers mit diesem Institut, das er 1902 in Aachen errichtete und zwischen 1915 und 1922 in mehreren Schritten nach 99 100 101 102

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Radkau, Technik, S. 175 f.; zur Entstehung der Fragestellungen der Ingenieurswissen­ schaften: Mowery/Rosenberg, Technology, S. 21-58. Erster Entwurf für eine Denkschrift: Metallflugzeug und Flugmotor großer Leistung, 28.6.17, DMM/ASD JA 0201/10/11. Mowery/Rosenberg, Technology, S. 32f. Aktennotiz: Warum muß zur Sicherung des technischen Fortschrittes neben dem Fabrikuntemehmen und unabhängig von diesem ein besonderes Unternehmen „die For­ schungsanstalt" betrieben werden?, 3.4.16, DMM/ASD JA 0201/10/5. Zum „testing" Constant, S. 20-24. Ittner, S. 26f. u. 50ff.; Wagner, Junkers, S. 20ff.; Schmitt, S. 51 ff. Zu den Forschungs- und Versuchsanstalten Junkers': Ittner, S. 44-49. 43

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Dessau verpflanzte, an die privaten Erfinderbüros des 19. Jahrhunderts an.106 Gemessen am Aufwand glich die Forschungsanstalt aber den Einrichtungen in der großen Industrie. In der Vorkriegszeit mit einem Budget versehen, das 10% des Umsatzes der Ico entsprach (300.000 Mark 1913)107, beschäftigte sie 1913 bereits 61 Arbeiter und Angestellte108, verfügte über eine hochentwikkelte Materialprüfung109 und eine mehrere zehntausend Bände umfassende Bibliothek nebst Patentsammlung.110 Junkers' Forschungsanstalt bildete, da sie Kreativität und technische Vielseitigkeit gleichermaßen forderte, den An­ laufpunkt für eine Reihe von begabten Ingenieuren, die dort arbeiten konn­ ten, ohne durch hierarchische Abhängigkeiten eines Großbetriebs und festge­ fügte Disziplingrenzen behindert zu sein.111 Diese Kombination ermöglichte es, technische Frage anzugehen, an deren Komplexität erfinderische Einzel­ gänger, aber auch die industrielle und universitäre Forschung mangels Intui­ tion und wegen zu großer Spezialisierung scheiterten.112 Die Formulierungen im Gleitfliegerpatent waren zwar so geschickt gewählt, daß eine 1911 beabsichtigte Erweiterung unterlassen werden konnte;113 gleichwohl schützte es nicht das freitragende System insgesamt, sondern nur solche auftriebserzeugenden Körper, in deren Innerem Lasten untergebracht werden konnten. Diese Unzulänglichkeit wurde bei Junkers wohl registriert und war ein Grund dafür, daß zwischen der Beantragung dieses Patents und seiner Umsetzung im ersten Junkers-Flugzeug fast fünf Jahre vergingen.114 Nachdem die Forschungsanstalt 1913 einen Windkanal erhalten hatte, erteilte Junkers zwischen Ende April und August 1914 die ersten Arbeitsaufgaben für den Bau der „körperlichen" Tragfläche und die aerodynamische Vermessung von verschiedenartig gestalteten Körpern, in Anlehnung an Untersuchungsreihen von Eiffel und Prandtl.115 Motiv für die Forcierung der Anstrengungen war zunächst ein „steigendes Interesse"

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Zu den Gebrüdern Siemens: Radkau, Technik, S. 174. Ittner, S. 45f. Ebd., S. 45; Radandt, S. 74. Kessner, S. 41-63. Zur Materialprüfung als zentralem Feld ingenieurswissenschaftlicher Innovationen im ausgehenden 19. Jahrhundert: Mowery/Rosenberg, Technology, S. 46f. Der Kontrast zu den Forschungslabors in der deutschen Industrie und die Ähnlichkeit mit Einrichtungen der großen amerikanischen Erfinder ist bezeichnend: Hughes, Erfin­ dung, S. 17 u. 33-49; ders, Sperry, S. 67-70; Radkau, Technik, S. 164; mit Bezug auf die wissenschaftliche Methode: Constant, S. 21. Insbesondere die Ingenieure, die durch den Forschungsstil Junkers' angezogen wurden, heben diese Bewertung hervor: Zindel, Geschichte, S. 15-17; Schmitz, S. 158; Haupt­ mann Hermann, S. 25f. Hughes, Erfindung, S. 62f. Notiz zu einer Besprechung zw. Junkers, Reißner u.a. betr. hohle Tragfläche, 28.12.11, DMM/ASD JA 0101/4/14. LZIV1IV1/ ULVi/*/ l4*. mm /Ä/1?

Protokoll der Besprechung vom 23.8.14, DMM/ASDJA^^ q101/6/17, sowie

Niederschrift einer Besprechung vom 30.4.14, ~ m 01/6/32 derschrift einer Besprechung vom 23.8.14, DMM/ASD JA 0101/6/ •

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der Flugzeugfabriken am Gleitfliegerpatent. 116 Seit der Jahreswende 1914/15 ging es jedoch hauptsächlich darum, die Fliegerkräfte für das „System Jun­ kers" einzunehmen, nicht zuletzt, um der Forschungsanstalt die Vergünsti­ gungen für Kriegsarbeiten zu sichern.117 Mit zwei Eingaben an das preußi­ sche Kriegsministerium im Februar und Mai 1915 sicherte Junkers sich Aufträge für ein Flugzeug und einen nach dem 1907 patentierten Gegen­ kolbenprinzip ausgelegten Flugmotor, der abweichend von den zuvor be­ arbeiteten Aggregaten nicht mit Dieselöl, sondern mit Benzin betrieben werden sollte.118 Die ersten Festlegungen zum statischen Aufbau des Flug­ zeugs im März und April 1914 bedeuteten schon einen wesentlichen Schritt hin zur Vollendung des freitragenden Systems. Aus der Überlegung, Flügel und Rumpf seien „eigentlich 2 sich durchdringende, hohle Balken aus dün­ nem Bleche", bei denen der Flügel „möglichst durchlaufen" solle,119 ließ sich im Grundsatz schon eine Erfindung herauslesen, die für den Flug­ zeugbau eine annähernd so große Bedeutung wie das Gleitfliegerpatent ha­ ben sollte: der im März 1918 patentierte „direkt belastete Flügel".120 Der Fortschritt in der theoretischen Erfassung des Flugzeugs als Sy­ stem änderte allerdings nichts daran, daß weder die Forschungsanstalt noch die Ico für die anstehenden Konstruktionsaufgaben eingerichtet wa­ ren. Während im Motorenbau durchaus ausgereifte Konzepte vorlagen, be­ stand der Junkers-Flugzeugbau bei Erteilung des Auftrags des Kriegsmini­ steriums aus wenig mehr als dem Gleitfliegerpatent. Die wichtigsten Protagonisten des Flugzeugprojekts, die schon in die Zusammenarbeit mit Reißner eingebunden waren, nämlich Otto Mader, ehemaliger Assistent Junkers' und Leiter der Forschungsanstalt, Hans Steudel und Hayo Fol­ kerts, brachten zwar alle Vorzüge der Forschungsanstalt mit. Sie waren brilliante Ingenieure und hatten Erfahrungen auf den verschiedenen Fel­ dern des Maschinenbaus sammeln können, die Junkers bearbeitete. Keiner von ihnen gehörte allerdings jenem „ganz anders gearteten Menschen­ schlag (an), der sich der Fliegerei ergeben hatte".121 Als Mader und Steudel im Mai 1915 erstmals an einem Flug teilnahmen, ergaben sich daher noch überraschende Erkenntnisse: „Hand des Führers bleibt fest am Steuerrad

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Niederschrift einer Besprechung vom 22.8.14, DMM/ASD JA 0101/6/30. Niederschrift einer Besprechung vom 25.1.15, betr. Eingabe an das Kriegsministerium, DMM/ASD JA 0201/1/2. Junkers an das preuß. Kriegsministerium, 4.2.15, DMM/ASD JA 0201/2/4; Junkers an die Provisorische Luftschiffahrtabt. des preuß. Kriegsministeriums, 18.5.15, DMM/ ASD JA 0201/2/7; Allgemeines Kriegsdepartement an Junkers & Co. 20.7.15, DMM/ ASD JA 0201/2/19. Aktennotiz Junkers', betr. Metall-Hohlflügel:Holzflügel, 16.3.15, DMM/ASD JA 0201/ 1/9; Besprechung Js-Ma am 12.4.15, DMM/ASD JA 0201/1/12. Zur Begründung dieser Erfindung s. Theodor von Karman, Gutachten in Sachen Nich­ tigkeitsklage gegen D.R.P. 313 692, 26.5.26, DMM/ASD JA 1787. Mader, Junkers-Flugzeugbau, S. 68; zu Mader s. den Artikel in der NDB. 45

ohne Umgreifen, im Gegensatz zum Automobil".122 Erst später stieß ein Motorenkonstrukteur zu dieser Gruppe hinzu, der wenigstens schon bei ei­ ner Flugzeugfirma gearbeitet hatte: Otto Reuter. Dessen Ideen sollten frei­ lich die Gestalt des Junkersschen Flugzeugs wesentlich prägen.123 Die durchaus oberflächlichen Kenntnisse über die Einzelfragen des Flugzeugbaus und die Fixierung auf eine grundlagenorientierte Erfor­ schung des Gesamtsystems Flugzeugs prägten die im Sommer 1915 begon­ nenen Arbeiten. Ihnen lag die Prämisse zugrunde, möglichst alle Kompo­ nenten in eigener Regie herzustellen. Der Flugmotor wurde konstruiert und ein Kühlersystem weiterentwickelt, das bereits während der Partnerschaft mit Reißner entstanden war. Die Forschungsanstalt verwirklichte mit aus­ gedehnten Versuchsreihen den von Junkers 1909 konzipierten hohlen Trä­ ger, kümmerte sich jedoch auch um Kleinigkeiten, beispielsweise die Kon­ struktion von Stoßdämpfern.124 Im ersten Junkers-Flugzeug, einem Eindecker mit „dickem" Flügel, wurde zwar das freitragende System erst­ mals verwirklicht. Ursprünglich war es im Sinne des Angebots an das Kriegsministerium allerdings nur als Versuchsflugzeug für einen weitaus größeren Doppeldecker konzipiert, der nie gebaut wurde.125 Noch im Au­ gust 1915 kündigte Junkers freilich die Fertigstellung beider Flugzeuge für das Ende des darauffolgenden Monats an, obwohl die Arbeiten zu diesem Zeitpunkt erst begannen126 und der Erstflug des Eindeckers in Wahrheit erst Mitte Dezember 1915 stattfand. Ähnlich bedingte Verzögerungen erga­ ben sich auch bei der Abwicklung des Auftrags, den die IdFlieg nach dem erfolgreichen Erstflug erteilte. Es dauerte ein Jahr, bis die im Januar 1916 bestellten sechs Eindecker abgeliefert waren.127 Zu den notorischen Ter­ minüberschreitungen traten technische Mängel hinzu. Bei der Typenprü­ fung des ersten Flugzeugs durch die IdFlieg wurden Anfängerfehler in der konstruktiven Auslegung bemängelt, die auf die „ungenügende Erfahrung" der Firma zurückgeführt werden mußten.128

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Protokoll (Steudel) über den Besuch des Flugplatzes Döberitz, 28.5.1915, DMM/ASD JA 0201/2/9. Zu Reuter: Wagner, Junkers, S. 56. Junkers an Mader, betr. Stoßdämpfung, 21.9.15, DMM/ASD JA 0201/1/25. Niederschrift einer Besprechung vom 2.6.15, DMM/ASD JA 0201/1/5; Junkers an die Luftfahrtabt. des Kriegsministeriums, betr. Antrag auf Bestellung eines Flugzeuges, 30.6.15, DMM/ASD JA 0202/2/19; von Junkers angefertigte Skizzen des Doppeldekkers mit handschriftlichen Aufzeichungen zur beschleunigten Fertigstellung, 2.12.15, 15.12.15 u. 4.1.16 in DMM/ASD JA 0201/1/31, teilweise faks. bei Wagner, Junkers, S. 83. Junkers an Oschmann (Kriegsministerium), 9.8.15, DMM/ASD JA 0201/2/24; Bericht Junkers an die Luftfahrtabteilung des Kriegsministeriums, 18.8.15, ebd. IdFlieg, Prüfanstalt und Werft an Jco, 31.1.16, DMM/ASD JA 020l/4/12, ^kers an IdFlieg, 16.11.16, DMM/ASD JA 0201/4/37; Aktennotiz betr. Besprechung bei der In­ spektion am 2.1.17, 5.1.17, DMM/ASD JA 0201/6/4. IdFlieg an Junkers, 10.8.16, DMM/ASD JA 0201/4/28.

IIIII

Gleichwohl verlor sich die wohlwollende Haltung der IdFlieg nicht. Junkers gelang es, mit zahlreichen Denkschriften129 immer wieder den Grundstock der Mittel einzuwerben, die für das Flugzeugprojekt benötigt wurden. Zudem vervielfachte die Ico mit der Fabrikation von Feldküchen und anderem Heeresgerät ihren Gewinn (0,66 Mio Mark 1917 im Vergleich zu 0,16 Mio Mark 1913), der über die Lizenzzahlungen an die Forschungs­ anstalt der Entwicklung des Flugzeugs und des Flugmotors zugute kam, die 1915 0,49 und 1916 1,1 Mio. Mark kostete.130 Allerdings verstärkte sich 1916 der Druck von IdFlieg und Flugzeugmeisterei, die Junkers einen er­ fahrenen Unternehmer an die Seite stellen wollten, bevor größere Serien­ aufträge erteilt wurden.131 Als Junkers Anfang 1917 den Versuchstyp eines schwer gepanzerten Eineinhalbdeckers (J4) präsentierte, dessen Auslegung wesentlich von der IdFlieg vorgegeben war,132 stellte Wagenführ Junkers trotz der positiven Begutachtung die Bedingung, die Zusammenarbeit mit einem erfolgreichen Serienhersteller zu suchen.133 Da die finanziellen Bela­ stungen durch das Flugzeugprojekt wuchsen, intensivierte Junkers nach diversen Anläufen bei anderen Firmen einen Kontakt, der seit Ende 1916 bestand, jenen zu Fokker. Als Junkers und Fokker im Dezember 1916 erstmals zusammentrafen, verfolgten sie komplementäre Interessen. Während im Falle von Junkers die Partnerschaft mit einem Flugzeugindustriellen den wichtigsten Vorbe­ halt für die Erteilung von Serienaufträgen darstellte, benötigte Fokker dringend ein neues Modell, um seine Position im Kriegsflugzeugbau zu konsolidieren. Er war zwar nicht an der Herstellung des Infanterieflug­ zeugs interessiert, es fiel ihm gleichwohl nicht schwer, die Großserienpro­ duktion eines Flugzeugs der Bauart Junkers zuzusagen, sofern es wirklich ausgereift sei und von der IdFlieg aus dem Stand in großen Stückzahlen be­ stellt würde.134 Der Abschluß eines Lizenzvertrages scheiterte jedoch an

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Beispielsweise: Die Bedeutung des Junkersschen Flugzeugbaus, 30.7.16, DMM/ASD JA 0201/10/4; Betr. Metallflugzeug und Flugmotor großer Leistung, 28.6.17, DMM/ASD JA 0201/10/11; Zusammenfassung der wesentlichen Kennzeichen und Vorteile der Junkers-Flugzeuge, 12.4.18, DMM/ASD JA 0201/10/16; Die Entwicklung der Metall­ flugzeuge, Bauart-Junkers, durch Prof. Junkers, Aachen und die Firma Junkers & Co in Dessau, 18.10.18, DMM/ASD JA 0201/10/28. Aufstellung von Junkers vom 28.7.18, DMM/ASD JA 0201/8/10. Junkers an Wagenführ, 2.1.17, DMM/ASD JA 0201/6/2; Besprechung mit Hauptmann Joly von der IdFlieg, 28.2.17, DMM/ASD JA 0201/6/14; Telefonische Rücksprache Jun­ kers mit Major Wagenführ, 1.3.17, DMM/ASD JA 0201/6/18. Besprechung bei der Inspektion am 2.1.17, 5.1.17, DMM/ASD JA 0201/6/4; Die Ent­ wicklung der Metallflugzeuge, Bauart-Junkers, durch Prof. Junkers, Aachen und die Firma Junkers & Co in Dessau, 18.10.18, DMM/ASD JA 0201/10/28; Brandenburg; Wagner, Junkers, S. 93f. Schmidt (Forschungsanstalt) an Junkers, 25.1.17 u. 29.1.17, DMM/ASD JA 0201/6/6; Junkers an Wagenführ, 31.1.17, DMM/ASD JA 0201/6/2. Protokoll der Verhandlungen mit Herrn Direktor Fokker am 16. und 18.12.16, DMM/ASD JA 0201/11/1.

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den Vorstellungen Junkers' über die Refinanzierung der Vorleistungen der Forschungsanstalt. Er forderte nicht nur extrem hohe Lizenzgebühren (15% vom Preis jeder Flugzeugzelle), sondern weigerte sich auch, Fokker eine Meistbegünstigung einzuräumen.135 Da parallel zu den Verhandlungen mit Junkers das erste Versuchsflugzeug von Reinhold Platz verfügbar war, konnte Fokker die weitere Entwicklung abwarten. Im April 1917 ließ er Junkers wissen, daß er nicht mehr an der Lizenzproduktion eines kom­ pletten Flugzeugs, sondern lediglich noch an der Nutzung der Patente, die den Bau von Tragflügeln betrafen, interessiert sei.136 Diese Regelung, mit der die Platzschen Konstruktionen gegen Anfechtungen auf der Basis des Gleitfliegerpatents geschützt werden sollten, lehnte Junkers jedoch aber­ mals wegen des von Fokker präsentierten Modells zur Gebührenberech­ nung ab. Die Gründung der Junkers-Fokker-Werke AG (IFA) im Oktober 1917 war daher zunächst einmal auf die Weigerung Junkers zurückzuführen, seine Erfindungen zu einem tragbaren Preis zu Verfügung zu stellen. Le­ diglich der IFA wurde die Nutzung von Junkers' Patenten zugesichert, nicht hingegen dem Stammbetrieb Fokkers in Schwerin.137 Junkers mußte die in Dessau bestehenden Anlagen für den Flugzeugbau in die neue Ge­ sellschaft einbringen, während Fokker mit der Hälfte des Aktienkapitals, einem Darlehen und der vage definierten Einbringung von „flug- und werkstattechnischen Erfahrungen" sowie „Beziehungen" beteiligt wurde. Der Weg in die Serienproduktion von Junkers-Flugzeugen war freilich ge­ ebnet. Während noch im Frühjahr 1917 nur rund 200 Arbeiter im Flugzeug­ projekt beschäftigt waren, hatte die IFA bei ihrer Gründung bereits eine Arbeiterbelegschaft von 1.059, die bis auf 1.834 im November 1918 wuchs.138 Die IFA stellte gleichwohl die schlechteste Lösung für die Wah­ rung der Interessen von Junkers dar. Fokker sicherte sich eine komfortable Anlage für seine Kriegsgewinne, während dessen Schweriner Werk nahezu unberührt von der Partnerschaft blieb und mit den Platzschen Konstruk­ tionen eine zweite Blüte erlebte. Hingegen verlor die IdFlieg das Interesse an einer Flugzeugproduktion bei der Ico. Erst im Sommer 1918 erhielt die

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Entwurf eines Vertrages zwischen Fokker und Junkers, o.D. (am 21.12.16 Fokker über­ geben), DMM/ASD JA 0201/11/2; Junkers an IdFlieg, 2.1.17, DMM/ASD JA 0201/11/4; Fokker an Junkers, 24.1.17, DMM/ASD JA 0201/11/7. Fokker an Junkers, 16.4.17, DMM/ASD JA 0201/11/12. Gründungsvertag der IFA, verhandelt am 20.10.17, DMM/ASD JA 0201/11/31. Zum Stand und den Problemen der Serienproduktion bei der Ico s. Ico an Junkers, 29.3.17, DMM/ASD JA 0201/5/16; Arbeiterstand Flugzeugbau 1916/17, DMM/ASD JA 0201/13/3; Aufstellung über die Belegschaftsbewegung 1.7.17-1.4.19, DMM/ASD

JA 0301/1/32.

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Stammfirma Serienaufträge, die dann freilich schon den Zweck hatten, Jun­ kers aus der ungeliebten Partnerschaft mit Fokker herauszuhelfen.139 Langfristig bedeutender als die Verbindung zu Fokker war jedoch der Kontakt zu Zeppelin, den Junkers 1916 ebenfalls mit dem Ansinnen aufge­ nommen hatte, die von der IdFlieg geforderte Partnerschaft einzugehen. Zeppelin verwies Junkers an Dornier, der ein außerordentlich kritisches Gutachten über die Verwendung von Eisen als Konstruktionsmaterial ab­ gab - „Ich bewahre in meinem Raritätenkabinett noch heute jenes aus Ei­ senblech zusammengeschweißte Stückchen Tragflächendecke auf, das Sie seinerzeit mir überbrachten" - und Junkers auf die statischen Vorteile der festen Aluminiumlegierung hinwies.140 Das Duraimin bot eine Lösung der technischen Probleme, die bei den ersten Junkers-Flugzeugen aufgetreten waren. Noch bevor Dornier überhaupt sein erstes Flugboot fertigstellte, griff Junkers die feste Legierung auf. Zur Verwendung der neuen Legie­ rung unterzog die Forschungsanstalt das freitragende System einer grund­ sätzlichen Revision, und legte kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs eine statische Grundform vor, die für Junkers-Flugzeuge bis in die dreißiger Jahre hinein verbindlich sein sollte. Otto Reuter entwarf ein Fachwerk aus Duraiminrohren für Flügel und Rumpf, das wesentlich größere Belastungen aushielt als der Stahlflügel der ersten Flugzeuge und selbst bei erheblichen Verletzungen seine Tragfähig­ keit nicht einbüßte. Da das Duraimin seine Festigkeit bei Erhitzung verlor, wurden sämtliche Verbindungen genietet.141 Das Wellblech wurde zwar nurmehr als versteifende Beplankung des Gerüsts verwendet, das Fach­ werk ermöglichte jedoch die 1915 skizzierte Durchkreuzung von Flügel und Rumpf. Die Junkers-Flugzeuge wurden von einem unter dem Rumpf durchlaufenden Flügel getragen, auf den alle angreifenden Kräfte abge­ lenkt wurden. Entsprechend wurden aus diesem Aufbau drei weitere zen­ trale Patente abgeleitet, die erneut einen beträchtlichen Ausschnitt der technischen Vervollkommnung des freitragenden Systems erfaßten: neben dem direkt belasteten Flügel das mit Wellblech verkleidete Rohrgerüst und die Tiefdeckeranordnung der Tragflächen.142 Nach diesen Prämissen ent­ standen 1918 zwei weitere Kriegsflugzeuge, ein Jagdeinsitzer (D I) und ein Infanterieflugzeug (CL I), die in kleinen Serien gebaut wurden, freilich oh­ ne in nennenswertem Umfang vor Kriegsende ausgeliefert zu werden.143

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Seitz (Büro Berlin), Bericht über einen Empfang Junkers7 im Kriegsministerium, 18.7.18, DMM/ASD JA 0201/9/9; IdFlieg an Jco, betr. Lieferung von Flugzeugen, 21.8.18, DMM/ASD JA 0201/9/25. Der Junkers-Bluff. Tatsachen zum Fall Junkers, o.D. (1927), S. lf., BArch-MA RH 8 1/3674; Dornier an Junkers, 17.8.22, DMM/ASD JA 0501/2/30. Wissmann, Junkers, S. 84; Schmitz, S. 152. Theodor von Karman, Gutachten in Sachen Nichtigkeitsklage gegen D.R.P. 313 692, 26.5.26, DMM/ASD JA 1787; Wagner, Junkers, S. 87 u. 91. Brandenburg, S. 32; Pollog, Junkers, S. 90; Blunck, S. 106f.; Schmitt, S. 147.

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Auch der Flugzeugbau von Junkers und Dornier wurde somit wesent­ lich durch die militärische Nachfrage bestimmt. Die taktischen Anforde­ rungen der IdFlieg bzw. der Flugzeugmeisterei trugen maßgeblich zu der Ausgestaltung der Projekte bei, die seit 1914 am Bodensee und in Anhalt betrieben wurden. Im Gegensatz zu Fokker/Platz freilich, deren Produkte das Bild der Heeresluftwaffe prägten, blieben Junkers und Dornier Außen­ seiter. Die Verwendung von Duraimin und der Einstieg in eine for­ schungsintensive Konstruktion standen bei ihnen für einen Flexibilitäts­ verlust: Der Anspruch, den Flugzeugbau mathematisch und experimentell zu fundieren, hieß auch, daß die daraus entstehenden Flugzeuge nur sehr schwer gewandelten taktischen Spezifikationen anzupassen waren. Jede Änderung am Gesamtsystem zog eine erneute komplexe Revision aller sei­ ner Komponenten nach sich. Ähnlich deflexibilisierend wirkte die Verwendung des Duraimins. Die Konstruktionen von Platz waren leichter herzustellen, weil er einen einfa-

fachten Komponenten kombinierte, die in jeder größeren Möbelfabrik pro­ duziert werden konnten. Die Flugzeuge von Junkers und Dornier sollten hingegen die Vorteile der neuen Legierung ausschöpfen, vor allem eine er­ höhte Festigkeit der Flugzeugzelle. Es wurde eine präzise Metallverarbei­ tung benötigt und dazu Sondereinrichtungen wie Glühöfen für die Ver­ wendung der aushärtbaren Legierung. Sicherheit, Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit stellten jedoch Eigenschaften dar, die für Kriegsflugzeuge, die nach wenigen Flugstunden durch Beschuß außer Gefecht gesetzt wer­ den konnten, zweitrangig waren. Das Eingehen auf die Möglichkeiten der neuen Legierung144 schuf einen Widerspruch zu den Prämissen des Kriegs­ flugzeugbaus. Firmen, die Flugzeuge aus Duraimin bauten, waren nach dem technischen Stand am Ende des Ersten Weltkriegs benachteiligt, wenn es darum ging, viele Flugzeuge in kurzer Zeit herzustellen.145 Die Flugzeuge von Dornier und Junkers eigneten sich durch ihre größere Dauerhaftigkeit und Leistungsfähigkeit jedoch dazu, zuverlässig Güter und Personen durch die Luft zu transportieren. Ohne daß es die Nachfrage nach ei­ ner solchen Dienstleistung bis dahin gegeben hätte, boten die neuen Flugzeuge mehr als konventionelle Konstruktionen die Grundlage für die Entstehung ei­ nes Luftverkehrsmarktes. Am Ende des Ersten Weltkriegs war somit eine

144 Zum Zusammenhang zwischen Leichtbau und Flugzeugbau: Dreyer, S. 7; A. Baumann, Leichtbau, passim; P. Meyer, passim; Everling, S. 491 f. 145 Der Zusammenhang zwischen der Einführung der Aerodynamik und der Abkehr vom Kriegsflugzeugmarkt zeigte sich schon während der D-Flugzeugwettbewerbe: Der Jagdeinsitzer von Rumpler wurden abgelehnt da »8™°™ ■ P«fekte aerodynamische Durchbildung wurde ®*"®rid ““"^Niveau gerade erieichterThaHe das Platzsche System auf einem technisch n edngeren ™ (Kens/Müller, S. 82); zu der heftig diskutierten frage „ 5 rrr, Entwicklung, S. 828; Rohrbach, Entwurf, S. 65.

Spaltung des Marktes für Flugzeuge absehbar. Der industrielle Kriegsflug­ zeugbau war auf ein Verschleißprodukt ausgerichtet, das kurzen Produktzyk­ len unterlag. Auf dem Rüstungsmarkt wurden Prioritäten bei der absoluten Geschwindigkeit der Flugzeuge, der Manövrierfähigkeit, der Unempfindlich ­ keit gegen Beschuß, einem einfachen Aufbau und einer großen Anpassungsfä­ higkeit der Konstruktion gesetzt.146 Die Rüstung war auf weniger hochwertige Flugzeuge festgelegt, die zwar ihre Kostenvorteile, wie sich am Beispiel Fokkers zeigen sollte, auch auf dem Verkehrsmarkt ausspielen.konnten, aber in ih­ rer technischen Entwicklungsfähigkeit, wie ebenfalls am Beispiel Fokkers ab­ lesbar,147 deutlich eingeschränkt waren. Die prospektive Nachfrage nach Verkehrsflugzeugen hatte andere Schwerpunkte. Hier standen die Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit der Flugzeuge im Vordergrund.148 Selbst wenn große Zuladung und Geschwin­ digkeit gefordert wurden, mußte dies mit einem möglichst hohen Wir­ kungsgrad des Motors und einem geringen Treibstoffverb rauch verknüpft sein. Ein einfacher Aufbau der Flugzeugzelle und eine unkomplizierte Her­ stellung waren im Verkehrsflugzeugbau der Sicherheit des Flugzeuges auch bei langer Nutzungsdauer nachgeordnet.149 „Es ist ein fliegerisches Gerät möglichst billig herzustellen, das mit möglichst geringem Brennstoff­ verbrauch unter möglichst großer Sicherheit ein möglichst großes Gewicht möglichst weit befördert", umriß ein Zeitgenosse die Aufgaben des Ver­ kehrsflugzeugbaus.150 Der Luftverkehr beruhte auf langen Produktzyklen, kleinen Serien, einer präzisen Herstellung und einer möglichst langen Nut­ zung des Flugzeugs.151 Die einzige Perspektive, die Schere zwischen Verkehrs- und Kriegs­ flugzeugbau zu überbrücken, bestand fortan in einer Weiterentwicklung der Produktionstechnik. Nur wenn es gelang, Techniken zu implementie­ ren, mit denen trotz der Nutzung von Duraimin und trotz der erhöhten Si­ cherheitsstandards einer plötzlich hochschnellenden Nachfrage nach Flug­ zeugen zu begegnen war, gab es auch für die neuen Firmen die Chance zur

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Zu den Anforderungen des Kriegsflugzeugbaues siehe insbesondere Richthofen; vgl. allerdings Hans Ritter, S. 243-247. Das Ende der erfolgreichen Entwicklung der Fokkerschen Unternehmen in der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, die den niederländischen Unternehmer in eine zeitweise unangefochtene Position auf dem amerikanischen Markt führte, kam ziemlich abrupt, als eine Fokker F-10 im März 1931 nach doppeltem Bruch der - morschen — Flügel abstürzte und die Luftfahrtabteilung im Handelministerium der Vereinigten Staaten ein Betriebsverbot für sämtliche Fokker-Flugzeuge aussprach (Hallion, S. 192-198). Niederschrift einer Besprechung betr. Type für 1 Verkehrsflugzeug, 1.1.19, DMM/ASD JA 0303/1/3. Weyl, S. 173f. und 177-179. Rieppel, S. 1513. Zur zeitgenössischen Ableitung der Eigenschaften des Verkehrsflug­ zeugs s. die Ausführungen des zeitweiligen Leiters des Berliner Büros des JunkersKonzerns: Offermann, passim. Mowery/Rosenberg, Technology, S. 171.

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Etablierung auf dem Rüstungsmarkt. Die Denkschriften, die Junkers wäh­ rend des Krieges verfassen ließ, hatten zwar den Tenor, daß der Metallbau sich in besonderer Weise für den Großserienbau eigne, jedoch nur, wenn „die erforderlichen Einrichtungen und Arbeitsmethoden geschaffen sind".152 Bis dahin, so war die Situation 1918 einzuschätzen, mußte sich die militärische Nachfrage auf die älteren Firmen der „normalen" Technologie konzentrieren. Das Verkehrsflugzeug stand am Ende jeder der drei hier beschriebenen Entwicklungslinien. Fokker/Platz kamen zur Jahreswende 1919/20 mit Ver­ kehrsflugzeugen auf den Markt, die aus den letzten Versionen der D VIII ab­ geleitet wurden.153 Rohrbach baute das viermotorige Staakener Flugzeug, während Dornier zunächst mehrere Kleinflugboote konstruierte und eine verfeinerte Version seines Jagdeinsitzers (Dornier „Falke") auf dem inter­ nationalen Rüstungsmarkt anbot. Erst im Sommer 1921 erschien das Uni­ versalverkehrsflugzeug „Komet I".154 Einzig bei Junkers wurde trotz düste­ rer Prognosen für den Flugzeugbau155 versucht, direkt nach dem Waffen­ stillstand das freitragende System in einem reinen Verkehrsflugzeug umzu­ setzen. Die Basis für die Konstruktion des F13 genannten Flugzeugs bildete eine erneute systematische Erarbeitung aerodynamischer Lösungsansätze. Unter Verwendung der kurz zuvor veröffentlichten Tragflügeltheorie Prandtls entstand im Windkanal der Forschungsanstalt eine erste Profilsy­ stematik, durch die eine Flügelform näherungsweise bestimmt werden konnte, die in dem angestrebten Geschwindigkeitsbereich die günstigsten Eigenschaften zeigte. Die Romantik des ersten Jahrzehnt des Motorflugs war bei dieser Konstruktion endgültig dem „Kampfe mit unerbittlichen Zahlen"156 gewichen. Das Schwergewicht der Qualifikationen hatte sich auf den Ingenieur mit Universitätsausbildung verschoben, der mit der theoreti­ schen Bilanzierung des Flugzeugs alle maßgeblichen Arbeitsschritte der Formgebung an sich zog, den Erfinder ersetzte und den Meister verdräng­ te. Nach den aerodynamischen Messungen dauerten schon die statischen Berechnungen einen Monat. Acht Ingenieure wurden mit insgesamt 9.000 Arbeitsstunden durch die Konstruktion der F13 in Anspruch genommen.157 Die mit dem theoretischen Instrumentarium ermittelte und in Form von

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Die Bedeutung des Junkersschen Flugzeuges, 30.7.16, DMM/ASD JA 0201/10/4. Wagner, Luftverkehr, S. 191 ff. t r , Dornier, C: Neuere Erfahrungen im Bau und Betrieb von Metallflugzeugen [1925], in: Ders., Vorträge, S. 79-95; Dornier, Chronik, S. 84f.; Waclatfl-SNiederschrift einer Besprechung Uunkers u.a.) am 15.10.18, DMM/ ’ Niederschrift einer Besprechung (Dietrich, Spaleck, Settz) am 30.10.18, DMM/ASD JA 0201/8/23. Mader, Betrachtungen, S. 1041. Schmitz, S. 155.

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Zeichnungen übermittelte Form des Flugzeugs wurde beim Bau der F13 die verbindliche Richtschnur der Arbeiten auf der Werkstattebene. Um die Funktion der F13 als Verkehrsflugzeug einzulösen, bedurfte es jedoch wenigstens einer grundsätzlichen Vorstellung, welchen Zweck die­ ser Einsatz überhaupt erfüllen sollte. Im Gegensatz zu den bis dahin übli­ chen Formen im Kriegsflugzeugbau wurde der Rumpf der F13 so verdickt, daß bis zur halben Länge zwei Personen nebeneinander sitzen konnten und er erhielt eine voll verkleidete, stromlinienförmige Gestalt: „Wir stellten uns vor, daß man im Verkehrsflugzeug genau so bequem und wetterge­ schützt wie in einem geschlossenen Personenkraftwagen reisen können müsse", stellte einer der beteiligten Ingenieure fest. „Die Sitzordnung in ei­ ner Limousine war unser Vorbild: vorn der Pilot und der Beobachter, in der Kabine vorn zwei Polsterklappsitze, hinten eine Polstersitzbank mit einem Gepäckraum darunter und dahinter, in der Kabine links und rechts eine Einstiegtür (...) Die Maßverhältnisse im Innern der Kabine wurden denjeni­ gen eines Luxuswagens angepaßt und mittels einer Attrappe erprobt."158 Mit diesen Überlegungen wurde die Funktion des einmotorigen Universal­ verkehrsflugzeug definiert, das bis zur Mitte der zwanziger Jahre den Luft­ verkehrsmarkt dominieren sollte. In der Palette der möglichen Transport­ leistungen sollte die „fliegende Limousine", in privater Hand oder durch eine Verkehrsgesellschaft bereitgestellt, den Ausschnitt des Individualver­ kehrs abschöpfen, der ansonsten von den teuren und schweren Automobi­ len der Zeit bewältigt wurde, jene 1,5%, den der „Luxusverkehr" am Ge­ samtverkehrsaufkommen hatte.159 An den Anfang eines Artikels über das forschungsstrategische Feld des Flugzeugbaus setzte Otto Mader 1924 zwei Fotografien, die den äußeren Unterschied zwischen Verkehrs- und Kriegsflugzeug vor Augen führen sollten. Der Leistungsvergleich der abgebildeten Flugzeuge - es handelte sich um ein konventionelles Kampfflugzeug der englischen Firma de Havilland, das nach Kriegende häufig als improvisiertes Verkehrsflugzeug verwendet wurde, und eine F13 - bietet die beste Möglichkeit, den bei Jun­ kers erreichten Fortschritt zu dokumentieren:

158 Schmitz, S. 153. 159 Zu dem gesamten Komplex der verkehrsgeographischen Begründung des Luftverkehrs s. die Arbeiten von Karl Pirath. Zu der Zahl von 1,5% jedoch: Pirath, Entwicklungs­ grundlagen, S. 67.

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Das Flugzeug für ■ ■ •'

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und Verkehr.

Tabelle 1: Leistungsvergleich Airco DH 9a (1918) und Junkers F13 (1919)

Motorleistung Spannweite Leergewicht Höchstgeschwindigkeit

Airco DH 9a verspannter Doppeldecker 1 x 400 PS 14,00 m 1345 kg 196 km/h in Bodennähe

Zuladung insges. davon Nutzlast

1025 kg ca. 300 kg

Bauart

Junkers F13 freitragender Eindecker 1 x 160 PS 14,82 m 935 kg 173 km/h in 2000 m Höhe 705 kg 425 kg

Quelle: Schmitz, S. 158; Müller/Kens, S. 144.

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Hob also die aerodynamische Durchbildung in diesem Fall die mehr als doppelt so hohe Motorenleistung auf, so sorgte der bessere Wirkungs­ grad des Motors noch zusätzlich für einen geringeren Treibstoffverbrauch und damit für einen höheren Nutzlastanteil: i

Tabelle 2: Treibstoffverbrauch und Reichweite eines konventionellen Holzflugzeugs der Deutschen Luftreederei (1918) und einer F13 (1921) bei gleicher Motorenstärke, 100 kg Nutzlast und 5 Stunden Flugdauer:

Reisegeschwindigkeit Reichweite Gesamtzuladung Treibstoffverbrauch

Holzflugzeug 130 km/h 650 km 360 kg 250 1

Junkers F 13 160 km/h 800 km 750 kg 50 1

Quelle: Langsdorff, Entwicklung, S. 828; Offermann, S. 291.

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Da der Treibstoffverbrauch im Flugverkehr mit umgebauten Kriegsflug­ zeugen nicht weniger als ein Drittel der Selbstkosten ausmachte, ließ sich schon aus diesem Vergleich errechnen, daß ein Luftverkehr mit Metallflug­ zeugen wesentlich günstigere Selbstkostenrelationen (8% für Treibstoff) ha­ ben würde. Andere Aspekte traten hinzu. Während die Lebensdauer eines ausschließlich aus Holz aufgebauten Flugzeugs nach Monaten bemessen war, konnte der Flugbetrieb mit Leichtmetallflugzeugen mit mehrjährigen Ab­ schreibungsfristen rechnen. Die zeitraubende Wartung der Verspannung fiel beim freitragenden Flugzeug aus Metall ebenso fort wie der intensive Schutz vor Witterungseinflüssen.160 Mit der F13 besaß Junkers 1919/20 eine Art Weltmonopol - mit Flugleistungen, die in dieser Konfiguration bis weit in die zwanziger Jahre hinein nicht übertroffen wurden. Der deutsche Flugzeugbau hatte im Au­ genblick der militärischen Niederlage einen Entwicklungssprung vollzo­ gen: „Eine Statistik der wirklich erreichten Flugleistungen von 43 Flugzeu­ gen zeigt die Überlegenheit der deutschen Verkehrseindecker neuerer Bauart" stellte ein Referat auf der Tagung der WGL von 1922 fest.161

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Langsdorff, Entwicklung, S. 828; Appel, S. 23. Z-VDI 66(1922), S. 731.

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3. Bauverbot und Begriffsbestimmungen: Der Strukturgewinn der deutschen Flugzeugindustrie durch den Versailler Vertrag

Die Flugzeugindustrie in Deutschland stellte zwischen 1914 und 1918 insgesamt rund 47.000 Flugzeuge aller Kategorien her.162 Sie umfaßte vor allem Unternehmen, die schon vor 1914 den deutschen Flugzeugbau reprä­ sentiert hatten und bis zum Kriegsende zu einer bemerkenswerten Größe angeschwollen waren. Der Spitzenreiter, die 1909 gegründete Albatros GmbH, beschäftigte 1918 einschließlich aller Zweigwerke 5.600 Arbeiter und Angestellte, die LVG 2.200, die Rumpler-Werke AG 2.300, Fok­ ker/Schwerin 1.850. Daneben existierten Abteilungen großer Konzerne: AEG beschäftigte 1918 3.200 Personen im Flugzeugbau, Siemens-Schuckert 750. Eine dritte Gruppe schließlich bildeten die wegen ihrer Erfahrung im Holzbau konvertierten Waggonbaufirmen: Hannoversche Waggonfabrik AG (1.940 Beschäftigte) und Gothaer Waggonfabrik AG. Die IFA beschäf­ tigte zur Zeit des Waffenstillstands im Flugzeugbau 2050 Männer und Frauen, die zur Zeppelinwerke GmbH Lindau/Werk Seemoos aufgestiegene Abteilung Dornier rund 2000.163 Insgesamt bauten am 11. November 1918 in Deutschland 77 Firmen (einschließlich Lizenzbau und Unterliefe­ ranten) Land- oder Wasserflugzeuge, die zusammen etwa 75.000 Arbeiter beschäftigten. Weitere 45 Fabriken mit 50.000 Arbeitern und Angestellten bauten Motoren.164 Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands wurde keineswegs die Produktion in diesem Teil der deutschen Rüstungsindustrie eingestellt. Obwohl die IdFlieg im Winter 1918/19 erhebliche Kürzungen bei den Be­ stellungen vornahm, produzierten die Flugzeugfirmen weiterhin ihre Kriegsmodelle. Der Versailler Friedensvertrag entzog jedoch den Bemü­ hungen um ein allmähliches Auslaufen der Kriegsproduktion die Grundla­ ge. Artikel 198 des Vertrages verbot deutsche Land- und Seefliegerkräfte. Die Artikel 199 und 202 mahnten die Demobilisierung aller solcher Streit­ kräfte und die Auslieferung sämtlichen Materials binnen zwei bzw. drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Vertrages an. Artikel 200 gestand den Allierten freie Überflug- und Landerechte in Deutschland zu. Die Interallierte Luftfahrt Überwachungs-Kommission (ILÜK), die als Unterkommis­ sion der durch Artikel 210 eingesetzten Interalliierten Militär-KontrollKommission (IMKK) fungierte, sollte den Vollzug aller Bestimmungen

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47.931 nach Hoff, Entwicklung, S. 494, 45.704 nach Morrow, Air power, S. 202, letzterer mit einer Übersicht zum Problem der Quantifizierung. 9 DMM/ASD iA 0301 Aufstellung über die Belegschaftsbewegung 1.7.17-1.4.19, DMM/AbU JA 0301/1/32;

Wachtel, S. 37. Flugzeugbau, 30.000 im Motorenbau und Morrow kommt für 1917 auf 40.000 »m Mugze & 40-70.000 bei Unterlieferanten, Air power, S. 191.

kontrollieren.165 Ihr stand auf deutscher Seite die Luftfahrtfriedenskommis­ sion (Luftfriko) der Reichswehr gegenüber, der unter anderem auch Felix Wagenführ angehörte. Die vermeintlich einschneidenste Bestimmung für die Arbeit der Flug­ zeugindustrie fand sich jedoch in Artikel 201, der die Produktion und Ein­ fuhr von Flugzeugen und Flugzeugteilen im Zeitraum von sechs Monaten nach Inkraftsetzung des Vertrages verbot. Letztlich aber sollte durch diesen Artikel zunächst nur ein Moratorium in der Produktion von Flugzeugen erzwungen werden, um eine Unterbrechung der immer noch auf Touren laufenden Abwicklung von militärischen Restaufträgen zu erreichen und über die Fristsetzung ein Mittel an der Hand zu haben, die militärische Produktion der Industrie eindeutig von der Friedensproduktion zu unter­ scheiden. Die Zwangspause bedeutete zweifellos eine finanzielle Einbuße für die Unternehmen,166 sie schuf gleichwohl Zeit, die nötigen Umstellun­ gen vorzunehmen, ohne daß die einzelnen Unternehmen fürchten mußten, Positionsverluste gegenüber deutschen Konkurrenten hinnehmen zu müs­ sen. Der Artikel 201 war daher zunächst kein Gegenstand von Auseinan­ dersetzungen, zumal sich nach übereinstimmender Ansicht auf deutscher wie auch auf alliierter Seite das Produktionsverbot lediglich auf Kriegs­ flugzeuge erstreckte.167 Für die F13 konnte Junkers durch die Fürsprache des französischen Vertreters in der ILÜK, Dorant, zunächst eine still­ schweigende Duldung von Produktion und Ausfuhr,168 später sogar eine förmliche Freigabe erwirken. Ende Februar 1920 wurde das Flugzeug der ILÜK vorgeführt und am 4. Mai 1920 „als Civil-Apparat klassifiziert".169 Eine gravierende Bestimmung des Vertrages bildeten hingegen die Ablieferungsforderungen der Alliierten, die mehr Flugzeuge und Motoren in deutschen Händen vermuteten, als vorhanden waren. Die Zahl der nach Artikel 199 auszuliefemden Flugzeuge und Flugmotoren hatten die Alli­ ierten, „computed on a liberal basis", wie es hieß, auf 18.000 Flugzeuge und 35.000 Flugmotoren festgelegt.170 Das entsprach etwa der Gesamtprodukti­ on der Jahre 1917 und 1918 auf der Motorenseite und der Flugzeugproduk­ tion des Jahres 1917. Die deutsche Regierung bemühte sich, den Forderun-

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Zur IMKK allgemein Salewski, passim, allerdings ausdrücklich ohne nähere Berück­ sichtigung der Luftfahrtfragen; Wohlfeil, S. 188-193; Appel, S. 26ff. Was freilich durch die Gewinne relativiert wurde, die während der Kriegszeit aufge­ laufen waren: Fokker schätzte seinen Reingewinn bei Kriegsende auf etwas mehr als 30 Millionen Mark (Fokker/Gould, S. 288). Haslinger, S. 147*-148*; Mitglieder-Rundschreiben des Verbands deutscher FlugzeugIndustrieller, 14.9.20, DMM/ASD JA 0502/5/11; Rücksprache Seitz u.a. mit Direktor Strauss im Büro Berlin am 7.1.20,12.1.20, DMM/ASD JA 0301/3/6. Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 23.1.20, DMM/ASD JA 0301/3/4. Entscheidung der ILÜK vom 4.5.20, Anlage zu RWM/Luftfriko an Junkers, 10.10.20, DMM/ASD JA 0301/3/18, weitere Schriftstücke zum Vorgang ebd. Air Ministry Memorandum on German Disarmament as regards Aviation, 6.1.21, DBFP, Bd. XVI, Dok. 575, S. 618.

57

)

gen nachzukommen, obwohl sich Konflikte über die Kontrolle und das Ver­ fahren ergaben.171 Bis zum 10. April 1920, dem Stichtag drei Monate nach Inkrafttreten des Vertrages, war mit 8.900 Flugzeugen und 13.000 Motoren zwar nur ein Teil ausgeliefert,172 der deutschen Militärfliegerei jedoch die Grundlage entzogen. Sie wurde mit dem Tagesbefehl Seeckts von 8. Mai 1920 aufgelöst.173 Indirekt wurde die Situation in der Ablieferungsfrage freilich durch das Bauverbot verschärft. Nachdem Fokker die Produktion seiner Ver­ kehrsflugzeuge im Gegensatz zu Junkers untersagt worden war, verfrach­ tete er Anlagen, Halbfabrikate und Flugzeuge aus seinem Schweriner Werk in die Niederlande. 200 Flugzeuge, darunter eine Reihe des Typs D VII, und 400 Motore gelangten mit Duldung der deutschen Zollbehörden über die Grenze, um dort den Grundstock der Fokkerschen Nederlandse Vliegtuigenfabriek zu bilden. Erst diese eklatante Verletzung der Rüstungsexport­ bestimmungen bewirkte einen nachhaltigen Wandel in der Handhabung des Produktionsverbots. Auf der inneralliierten Konferenz von Boulogne stellten die Alliierten am 22. Juni 1920 eine Verknüpfung zwischen dem

onsverbot bis drei Monate nach dem Zeitpunkt in Kraft bleiben sollte, an dem die Allierten den Abschluß der Demilitarisierung bestätigten. Das Produktionsverbot, das nach den Buchstaben des Versailler Vertrages am 10. Juli 1920 abgelaufen wäre, hatte damit den Charakter eines Sanktionsin­ struments in der Entwaffnungsfrage erthalten und wurde so auch auf der Konferenz von Spa präsentiert.174 Die liberale Handhabung des Artikels 201 wurde dabei nicht mehr in Betracht gezogen. Flugzeugproduktion meinte nun die Produktion von Flugzeugen aller Art, gleich, ob Militär- oder Zi­ viltypen. Weder stimmten die Alliierten einer Verlängerung der Ausliefe­ rungsfristen zu, was wenigstens die Möglichkeit gegeben hätte, eine zeitli­ che Fixierung des Produktionsverbots vorzunehmen, noch erkannten sie die Argumentation der deutschen Seite an, daß die Entscheidung von Bou­ logne eine unzulässige Verschärfung des Vertrages von Versailles darstel­ le.175 Die deutsche Regierung weigerte sich, die Sanktionsklauseln von Spa anzuerkennen, die Flugzeugfirmen führten die Produktion von Zivilflug­ zeugen fort.176 171 172 173 174

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Von Tschitschwitz (Vorsitzender der Luftfriko) an Masterman (ILÜK) 7.5.20, DBFP, Bd. X, Dok. 66, S. 80. Observations with regard to the execution of the Military Clauses of the Treaty of Peace, 26.5.20, DBFP, Bd. X, Dok. 84, S. 123. Völker, Entwicklung, S. 128. ' Zur Konferenz von Spa, freilich ohne Erwähnung der Luftfahrtfrage, s. Krüger,

Zur’dmitschen Haltung s. Aufzeichnung Göpperts über eine Besprechung mit Master­ man (ILÜK), 20.11.20, in: ADAP, Ser. A, Bd' !X; Junkers Reuter, H. Sachsenberg, SpaNiederschrift über eine Besprechung zwische J leck und Schleissig, 7.8.20, DMM/ASD JA 0301/4/ö.

Die Auslieferung von Rüstungsgütern wurde zwar beschleunigt. Die deutsche Regierung unterschätzte jedoch die Bedeutung dieser Frage insbe­ sondere für die Franzosen.177 Ende 1920 waren rund 13.000 Flugzeuge und 25.000 Flugmotore abgegeben oder zerstört.178 Obwohl auch das britische Luftfahrtministerium konstatierte, daß damit die Abrüstung der deutschen Luftstreitkräfte nahezu erreicht (virtually accomplished) sei, war immer noch weit weniger abgeliefert, als die Alliierten in deutschen Händen ver­ muteten.179 Die nach Ansicht der Alliierten unterbliebene Auslieferung von 1.400 Flugzeugen und 5.000 Motoren180 bildete zusammen mit der fortlau­ fenden Mißachtung des Produktions- und Ausfuhrverbots - als Beleg wur­ den vor allem jene Flugzeuge angeführt, die Junkers seit dem 10. Juli pro­ duziert und exportiert hatte181 - eine der Beschwerden, die nach einer weiteren Abmahnung der deutschen Regierung im Protokoll der Pariser Konferenz (29. Januar 1921) geradewegs zum Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921 führten, in dem unter Androhung der Ruhrbesetzung eine un­ verzügliche Annahme der Sanktionsklauseln von Spa gefordert wurde.182 Die neue Regierung unter Joseph Wirth und der Reichstag sahen sich nun gezwungen, mit der Annahme der Londoner Forderungen eine rückwir­ kende legislative Verankerung des Produktionsverbots vorzunehmen, was nicht nur die Flugzeugunternehmen zwang, ihre Produktion zeitlich unbe­ fristet um- oder einzustellen, sondern in der Regel auch eine Beschlagnah­ me der seit dem 10. Juli 1920 hergestellten Flugzeuge zur Folge hatte.183

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In den publizierten Akten der Kabinette Fehrenbach und Wirth I findet sich an keiner Stelle ein Beleg für eine Diskussion der Luftfahrtfrage, die ähnlich intensiv verlaufen wäre wie die auf alliierter Seite. Während der Konferenz von Spa richtete sich das In­ teresse der deutschen Regierung vornehmlich auf die Verlangsamung der Reduzierung der Reichswehr, s. AdR, Fehrenbach, S. XLIV-XLVII und Besprechung der deutschen Delegation in Spa vom 9. Juli 1920, ebd. Dok. 20, S. 51 f. Die Zahlen, die am Vorabend der Pariser Konferenz im Januar/Februar 1921 genannt wurden, differieren erheblich: Das Britische Luftministerium nannte am 6. Januar 15.056 Flugzeuge und 25.276 Motoren, während die ILÜK am 28. Dezember die Auslie­ ferung von bereits 25.823 Motoren, aber nur 13.079 Flugzeugen konstatiert hatte: Air Ministry Memorandum on German Disarmament as regards Aviation, DBFP, Bd. XVI, Dok. 575, S. 618 bzw. S. 489. Air Ministry Memorandum on German Disarmament as regards Aviation, DBFP, Bd. XVI, Dok. 575, S. 620. Zur Beschleunigung der Entwaffnung nach der Konferenz von Spa allgemein: Salewski, S. 137-146. Marshai Foch, President of the Allied Military Committee of Versailles, to the President of the Supreme Council of the Heads of Governments, 25.1.21, DBFP, Bd. XV, Dok. 11, S. 105. DBFP, Bd. X, Dok. 352, S. 490. British Secretary's Notes of an Allied Conference held on Saturday, April 30, 1921, DBFP, Bd. XV, Dok. 74, S. 491. Für den Text des Ultimatums s. Allied Note to the Ger­ man Government, 5.5.21, DBFP, Bd. XV, Dok. 85, S. 579f. Memorandum by Wing Commander Smyth-Pigott (Mitte Mai 1921), DBFP, Bd. XVI, Dok. 786, S. 887; Kabinettssitzung vom 30.5.21, AdR, Wirth I und II, Bd.l, Dok. 18, S. 36 und 37 (Fußnote); RGBl 1921/11, S. 789. Zwischen März und September 1920 führte 59

Die alliierten Motive zur Aufrechterhaltung des Produktionsverbots gründeten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur im Sicherheitsargument, sondern auch in der technischen Konkurrenz. Schon frühzeitig hatte die ILÜK das Potential der Flugzeuge von Junkers und Zeppelin ausgemacht. Noch im August 1920 legte der Chef der ILÜK, Masterman, Junkers das Angebot vor, die weitere Herstellung von 20 F13, sogar unter Verwendung von Motoren aus den abgelieferten Beständen, offiziell zu dulden, wenn die Firma je eines dieser Flugzeuge ohne Bezahlung an die fünf beteiligten Al­ liierten lieferte.184 Nach der Ablehnung dieses Angebots versuchte die ILÜK Ende Oktober 1920 durch Beschlagnahme von elf F13, deren Bau nachweis­ lich nach dem 10. Juli 1920 begonnen worden war, in den Besitz des Flug­ zeugs zu kommen.185 Wenige Tage vor dem Beginn der Pariser Konferenz legte der französische Unterstaatssekretär für Luftfahrtfragen ein Memo­ randum vor, das besonders die F13, „das Flugzeug der Zukunft", hervor­ hob und feststellte, daß die ursprüngliche Frist für das Produktionsverbot bei weitem nicht ausreiche, um einen nachhaltigen Einbruch der deutschen Flugzeugproduktion zu erreichen: „the terms of the treaty of Versailles which forbid all aeronautical construction in Germany for six months will have no appreciable effect on the subsequent volume of Germany's aero­ nautical production. The only present restriction to Germany's assuming aviation supremacy is her financial and economic Situation".186 Im Juni 1921 umschrieb ein britisches Memorandum die Zielsetzung der französischen Seite bei der Aufrechterhaltung des Produktionsverbots: „delay is injuring the German aircraft industry".187 Die Entente meine es bitterernst mit der Erdrosselung der deutschen Flugzeugindustrie, merkte der Berliner Ver­ treter von Junkers, Seitz, nach einem Besuch Mastermans in Dessau Ende Januar 1921 an.188 Das Mißverhältnis zwischen der erklärten Bereitschaft der Regierung Wirth, die Auslieferung durchzuführen189, und dem offensichtlichen Bemü-

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Junkers 31 Flugzeuge aus: Seitz (Büro Berlin) an das AA, 30.11.20, DMM/ASD JA 0301/3/31. Niederschrift über eine Besprechung mit Wagenführ, Dorant, Masterman u.a., 30.8.20, DMM/ASD JA 0301/4/6; Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 24.9.20, DMM/ASD JA 0301/4/14. RWM/Luftfriko an Reichsamt für Luft- und Kraftfahrtwesen (Durchschlag), 18.11.20, DMM/ASD JA 0301 /3/31. Translation of Regular Information Bulletin No. 19: A Confidental Document of the French Sub-Secretary of State for aeronautics, 18.1.21, zit. n. Morrow, Air Power, S. 165. Memorandum by Mr. Brooks on Aeronautical Supervision in Germany and Allied definitions of German Civil and Military Aircraft, 18.6.21, DBFP, Bd. XVI, Dok. 804, S. 901. Bericht über Besuch General Masterman in Dessau, 22.1.22, DMM/ASD JA 0301/5/7. Zur Erfüllungspolitik der Regierung Wirth in der Luftfahrtfrage, siehe Wirth an Ma­ sterman, 23.1.22, ADAP Ser. A, Bd. V, Dok. 252, S. 516, das eine Aufhebung des Pro­ duktionsverbots nach Auslieferung von 14.011 Flugzeugen und 27.699 Motoren drin­ gend anmahnte; allgemein Krüger, S. 137. Bereits im August 1921 hatte der Report of the Inter-Allied Military Commission of Versailles on the Air Questions vom 13.8.21,

hen der französischen Seite, die deutsche Konkurrenz niederzuhalten, führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten unter den Alliierten. Masterman richtete Ende November 1921 ein dringlich gehaltenes Memorandum an den britischen Botschafter in Berlin, in dem er die Folgen nicht nur für die „Erfüllungspolitik" und die deutsche Flugzeugindustrie, sondern auch für das Ansehen der Alliierten beschrieb, wenn es „einer gewissen Regie­ rung" weiterhin gelänge, die Beilegung der Luftfahrtfrage aufzuhalten.190 Neun Wochen später, am 5. Februar 1922, bestätigten die Alliierten den Abschluß der Entwaffung, so daß am 5. Mai, genau ein Jahr nach Bekannt­ gabe des Londoner Ultimatums, die Produktion in den deutschen Flug­ zeugwerken wieder aufgenommen werden konnte.191 Die Wirkungen des Versailler Vertrages auf die Flugzeugindustrie er­ gaben sich jedoch nicht nur aus dem Produktionsverbot, sondern vor allem aus den Bedingungen für seine Aufhebung. Die alliierte Diskussion über die deutsche Flugzeugproduktion hatte sich bereits 1921 auf die Frage ver­ lagert, wie der deutsche Rüstungsverzicht auch nach Beendigung der Ar­ beit der ILÜK überwacht werden könne. Während die französische Seite die Aufrechterhaltung von Kontrollorganen in Deutschland forderte, be­ fürwortete die englische Seite eine Überwachung durch die regulären Ge­ heimdienste und Luftfahrtattachäs, schlug jedoch leistungsmäßige Begren­ zungen für alle in Zukunft zu produzierenden deutschen Flugzeuge vor.192 Diese „Definitionen" erwiesen sich als geeignete Plattform für eine inneral­ liierte Verständigung über die Kontrollfrage. Obwohl eine von den Franzo­ sen eingebrachte zusätzliche Verschärfung hinsichtlich der Registrierung von Flugzeugen193 auch unter den Alliierten heftig umstritten war, wurden die „Begriffsbestimmungen" als Bedingung zur allgemeinen Freigabe der Produktion in die Verordnung der Reichsregierung zur Aufhebung des Produktionsverbots aufgenommen.194 Danach waren Produktion und Ein-

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DBFP, Bd. XV, Dok. 103, S. 730, festgestellt, daß insgesamt rund 15.000 Flugzeuge und 29.000 Motoren ausgeliefert worden seien und die Arbeit der ILÜK im September abge­ schlossen würde. Air-Commodore Masterman to H.M. Ambassador, 26.11.21, in DBFP, Bd. XVI, Dok. 843, S. 987f. DBFP, Bd. XX, Dok. 169. Völker, Entwicklung, S. 129f. Methods for preventing the transformation of German Civil Aviation into Military Aviation, DBFP, Bd.XVI, Dok. 589, S. 634-635. Zu den Verhandlungen über den Abzug der IMKK allgemein s. Salewski, S. 21-30 u. 183-200. Die sogenannten Regeln 8 und 9. Lord Harding an Earl Curson, 8.6.21, DBFP, Bd. XVI, Dok. 799, S. 896; Französischer Botschafter an Earl Curson, 19.6.21, DBFP, Bd. XVI, Dok. 805, S. 903; Mitschrift der alliierten Konferenz am Quai d'Orsay, Paris, 10.8.21, DBFP, Bd. XV, Dok. 95, S. 662-666; zur deutschen Diskussion s. Aufzeichnung über die Besprechung am 5.12.22, ADAP Ser. A, Bd. I, Dok. 259. S. Note Poincar£ an den deutschen Botschafter in Paris, Mayer, vom 14.4.22, ADAP Ser. A, Bd. VI, Dok. 54, S. 108f. (einschließlich der Regeln 8 und 9). Verordnung über Luft­ fahrzeugbau vom 5. Mai 1922, RGBl 1/1922, S. 477 (ohne die Regeln 8 und 9); Text bei Appel, S. 32 FN 72.

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t- -i. fuhr von Einsi untersagt wie j| g

mit- pinem Antrieb von mehr als 60 PS Leistung ebenso för panzerung und Bewaffnung. Alle Besgchränkungen der Höchstgeschwindigkeit

S km/h), der Gipfelhöhe (4000 m), der Nutzlast (600 kg) und der Reichwel Zusätzlich untersagten die Alliierten die Produktionferngesteuerter Flugzeuge, hochverdichteter Motoren und großer Luftschiffe. Vom Bauverbot und den „Begriffsbestimmungen gingen zentrale Im­ pulse für den Strukturwandel des deutschen Flugzeugbaus aus. Sie waren die Ursache der rapiden Schrumpfung der Industrie 1920/21, und durch sie wurden die deutschen Anbieter zunächst vom internationalen Rustungsmarkt verdrängt. Von den Traditionsunternehmen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg Flugzeuge gebaut hatten, behielten nur wenige (Albatros, LVG und LFG) eine kleine Abteilung für den Flugzeugbau bei. Die kriegs­ bedingten Gründungen orientierten sich, ebenso wie die meisten anderen Holzbaufirmen, auf verwandte Produktlinien um.195 Die AEG und Siemens stellten ihren Flugzeugbau ein.196 In zeitgenössischen Untersuchungen wurde gleichwohl betont, daß die langfristigen Wirkungen dieser künstlichen Angebotsbeschränkung zwie­ spältig waren. Zwar fehlt kaum einmal der Verweis auf die Großflugzeuge von Rohrbach und Junkers, die kurz nach bzw. kurz vor der Fertigstellung verschrottet werden mußten. Die „Fesseln von Versailles" waren aber an­ gesichts der handfest positiven Wirkungen des Bauverbots und der „Begriffsbestimmungen" in mancher Hinsicht eine Leerformel. Die typische argumentative Brechung spiegelt ein Resümee aus dem 1929 erschienenen „Handbuch für Luftfahrt und Luftfahrtindustrie" wider: „Die Entwicklung von Verkehrsflugzeugen war in Deutschland leichter als im Auslande, da einmal hier das Kriegsgerät zerstört bzw. abgeliefert werden mußte und zum anderen das Verbot militärischer Luftmacht reinen Verkehrszwecken dienende Bauarten nicht nur ermöglichte, sondern sogar erzwang. Ande­ rerseits bildete die Knebelung durch den Feindbund („Begriffsbestimmun­ gen" und Bauverbote!) sowie die wirtschaftliche Notlage (Inflation) schwere Hemmnisse. 197 Grundsätzlich ging die Schrumpfung der Industrie mit einer qualitati­ ven Konzentration einher. Die Außenseiter des Jahres 1918, Dornier und Junkers, waren nicht nur die einzigen Firmen, die sich mit ihren neuen ro u ten gegen die auf den zivilen Markt drängenden konvertierten

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Morrow, Air Power, S. 165.

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Die Arbeitsteilung der deutschen Flugzeugunternehmer bildete eine weitere Folge des Versailler Vertrages. Das Vakuum nach der Liquidation der Kriegsindustrie wurde bis zur Mitte der zwanziger Jahre durch Unter­ nehmen gefüllt, die sich bestimmte Segmente des Verkehrsmarktes reser­ vierten bzw. diese Segmente mit ihren Angeboten überhaupt erst schufen. Das betraf vor allem Junkers und Dornier, die neuen Industrieführer, aber auch Firmen, die, wie Rohrbach und Heinkel, erst später entstanden, und schließlich die Überbleibsel der Vorkriegszeit. Unmittelbar galt das für eine Reihe von Gründungen auf dem Feld des Leicht- und Kleinflugzeugbaus. Hier trafen zwei durch den Versailler Vertrag ausgelöste Entwicklungen zusammen: zum einen die durch die „Begriffsbestimmungen" induzierte Konzentration auf gering motorisierte Flugzeuge, zum anderen die Aus­ wirkungen der Demobilisierung. Mit der Auflösung der Luftstreitkräfte wurden in Deutschland auch solche Piloten arbeitslos, die sich schon vor Kriegsbeginn auf eine Karriere als Berufsoffizier eingestellt hatten. Der Personalkegel an technischen Nachwuchskräften wurde daher nicht durch das Militär abgeschöpft, son­ dern jene ehemaligen Piloten der Luftwaffe, die in anderen Ländern bei den Streitkräften verblieben, trugen mit oder ohne zusätzliche Qualifikation neue Fragestellungen an den Flugzeugbau heran. Einige gründeten schon vor der Aufhebung des Bauverbots kleine Konstruktionsbüros und Werk­ stätten, in denen sie versuchten, ihre Erfahrungen technisch umzusetzen. Die Betriebe von Clemens Bücker, Carl Caspar und Georg Wulf gehörten zu dieser Kategorie.203 Das spektakulärste Beispiel bildete aber das Unterneh­ men des erfolgreichsten deutschen Jagdfliegers, Ernst Udet.204 Zusammen mit einem weiteren Kriegsflieger gründete er 1921 den Udet-Flugzeugbau, dessen wichtigster kommerzieller Erfolg eine Schulmaschine wurde, in der sich der durch den Versailler Vertrag ausgelöste Wandel widerspiegelte, insofern die „Begriffsbestimmungen" eine Konzentration auf die Aerody­ namik von langsam fliegenden Flugzeugen bewirkten. Der UdetFlugzeugbau trug maßgeblich zur Entwicklung des Spaltflügels bei, der das „Abreißen" der Strömung im Steigflug, bis dahin eine gefürchtete Ursache von Abstürzen, verhinderte. Theodore Karman, der Nachfolger Junkers' an der TH Aachen, hatte die „Wirbelstraße" 1913 entdeckt. Ihre konstruktive Umsetzung war ein fast ausschließliches Produkt der Arbeit von freige-

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gerton, der einen von zahlreichen Mißverständnissen der deutschen Entwicklung durchsetzten „Anti-Bamett" schreibt, S. 18ff. Zu Bücker und Caspar s. Heinkel, Stürmisches Leben, S. 96-105; Brüttmg, S. 240f.; zu Georg Wulf, der 1927 tödlich verunglückte, den Nachruf von Henrich Focke in ZFM 18 (1927), S. 499f. T Tj «. Zu Udet s. ders., Fliegerleben, passim; Herlin, passim; ^de?' Passim' sowie Suchenwirth, Udet, MFGA 21/6, hier S. 4 u. 7; Osterkamp/Bacher, b. & .

setzten Kriegsfliegern, Gustav Lachmann, Ernst Udet und Gerhard Fieseler.205 Der Bedarf der Industrie an Kriegspiloten ergab sich durch ein spezifi­ sches Defizit gerade der neuen Unternehmen. Die Aerodynamik des frei­ tragenden Systems beruhte auf der idealisierten Annahme über einen Kör­ per, der sich gleichförmig in einer nicht-turbulenten Strömung fortbewegte. Schon allein die gesteuerte Richtungsänderung im Flug war mathematisch kaum zu definieren. Es war, wie Otto Mader 1929 einräumte, eine zunächst vernachlässigte Erkenntnis, daß der wissenschaftliche Flugzeugbau durch die Erfahrungen und Beobachtungen von Flugzeugführern ergänzt werden müsse.206 Unter den Kriegspiloten, die als Angestellte in die Flugzeugindu­ strie wechselten, hatten daher jene eine besondere Bedeutung, die sich zu Luftfahrtingenieuren qualifizierten. Zu ihnen gehörte Walter Blume, Träger der höchsten preußischen Tapferkeitsauszeichnung, des Ordens pour le mörite, der nach einem Studium an der TH Hannover zunächst beratender Ingenieur bei der Inspektion für Waffen und Gerät der Reichswehr und 1926 Konstrukteur bei Albatros wurde. Seit 1932 Technischer Leiter bei der Firma Arado, galt er im Zweiten Weltkrieg als einer der bedeutendsten deutschen Luftfahrtingenieure. 207 Bei Junkers wurde die Funktion des Inge­ nieurspiloten prominent durch den 1927 tödlich verunglückten Carl Plauth wahrgenommen. Zunächst Berufssoldat und ebenfalls ein hochdekorierter Jagdflieger, trat er nach seinem Studium an der TH Darmstadt 1922 bei Junkers ein. Plauth avancierte zum Leiter des Technischen Sekretariats im Hauptbüro des Junkers-Konzerns und prägte in dieser Eigenschaft die Strategie des Konzerns im Kriegsflugzeugbau. 208 Gerade Plauth war sich des Wertes der technisch qualifizierten ehemaligen Kriegspiloten für den Flugzeugbau durchaus bewußt. Als die Firma Rohrbach ihn 1923 bat, ihr Konstrukteure zu vermitteln, die „waehrend des Krieges bei der Flieger­ truppe aktiv taetig waren und jetzt durch Studium ihre praktischen Kennt­ nisse auf wissenschaftliche oder technische Basis gestellt haben", wies Plauth die Anfrage mit dem Argument zurück, daß ihm viel daran liege, „dass frühere Kameraden möglichst bei uns hier" unterkämen.209 Die Kleinunternehmer des Leichtflugzeugbaus und Luftfahrtingenieu­ re stachen in der Gruppe der verabschiedeten Militärs heraus. Firmengrün205

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Zum Spaltflügel: Lachmann, passim; Hermann, Gegenwartsfragen, passim; Ishoven, Udet, S. 139f. Zur Entwicklung in Großbritannien und den Vereinigten Staaten: Fearon, Handley Page, S. 76f. u. Hallion, S. 128-151, zum Fieseier „Storch": ebd. S. 150. Mader, Junkers-Flugzeugbau, S. 83. Als Beispiel für die technische Beobachtungsgabe Ernst Udets s. seine Bewertung des BMW Illa aus dem Jahr 1918, zit. in Mönnich, S. 80-84. Kranzhoff, S. 50f. Zur Biographie Plauths: Blunck, S. 144; Zindel, Geschichte, S. 39 sowie den Nachruf in ZFM 18 (1927), S. 551f. Landmann (Rohrbach) an Plauth, 20.7.23 u. Plauth an Landmann, 10.8.23, DMM/ASD JA 0501/6/23. 65

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düng oder Weiterqualifikation waren jedoch nicht die einzigen Möglich­ keiten für ehemalige Kriegsflieger. Sie stellten ein gut ausgebildetes Perso­ nalreservoir für die entstehenden Luftverkehrsgesellschaften,210 und einige versuchten, ihre Kriegsorden direkt als Werbeträger umzumünzen - wie etwa Hermann Göring, der Vertreter für Fallschirme wurde.211 Angesichts der Tatsache, daß die Kriegspiloten hohe Militärränge besaßen und zumeist hoch dekoriert waren, kam aber für sie alle die Anstellung in einem Luftfahrtuntemehmen einem Statusverlust gleich. Es gab während der zwanzi­ ger Jahre eine Gruppe von ehemaligen Offizieren, die zwar im Luftfahrtbe­ reich eine professionelle Karriere machten, den Abschied aus dem Militär aber stets als Verlust empfanden. Die „ewig missvergnügten Nobiles"212 stellten Funktionsträger für die „geheime" Aufrüstung und waren maß­ geblich dafür verantwortlich, daß sich in der Luftfahrtindustrie früher als anderswo ein militantes Milieu bildete, das die Richtung der Luftfahrtpoli­ tik und die Firmenstrategien in zunehmendem Maß bestimmte.213

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Wie Theo Osterkamp und Gotthard Sachsenberg. Zu Osterkamp: ders., passim; zur Si­ tuation bei der Deutschen Luftreederei: Supf, S. 546; zu Sachsenberg s. u. Die Deutsche Verkehrsfliegerschule als zentrale Ausbildungsstätte für Piloten wurde von den p.l.m.Trägern Alfred Keller („Bomben-Keller"), und Karl Bolle geleitet: Völker, Entwicklung, S. 145; Supf, S. 412f. Irving, Göring, S. 56. 4 Kottmeier (Syndikus der IFA) an Junkers, 5.1.29, DMM/ASD JA 0503/26. Dazu gehörte vor allem die lange Reihe der „LuftfahrtschnftsteHer , etwa der schwer versehrte p.l.m.-Träger Heinz Bongartz (pseud. Jürgen Thorwald).

B. Junkers und Dornier: Untemehmensstruktur, strategische Perspektiven und Absatzentwicklung bis zum Ende der großen Inflation

1. Der Aufstieg des Junkers-Konzerns Für Hugo Junkers endete der Erste Weltkrieg am 10. November 1918. Durch einen an diesem Tag geschlossenen Vertrag erhielt er einen Vor­ schuß von 2,615 Mio. Mark auf die bestehenden Aufträge der Heeresver­ waltung und übereignete dieser im Gegenzug sämtliche zur Flugzeugher­ stellung notwendigen Rohstoffe, Einzelteile und Halbfabrikate, die sich im Besitz seiner Firmen befanden.1 Dieser Vorschuß, der durch einen weiteren Vertrag am 9. Dezember 1918 formell in den Erlös des Verkaufs jener Roh­ stoffe und Halbfabrikate an die Heeresverwaltung umgewandelt wurde, stimmte in der Höhe nicht zufällig mit der Summe überein, die Junkers im Juli 1918 als Preis für das Ausscheiden Fokkers aus der Junkers-FokkerWerke AG ermittelt hatte.2 Nachdem Junkers sich seit der Gründung der IFA heftig über die obstruktive Politik Fokkers in der gemeinsamen Gesell­ schaft beklagt hatte, zeigte sich die IdFlieg schließlich zur Unterstützung bereit. Die Verschmelzung der IFA mit der Ico wurde Junkers im Vor­ schußvertrag aufgegeben, und in der am 3. Dezember 1918 verhandelten Urkunde über die Abtretung der Anteile Fokkers wurde festgelegt, daß die dazu notwendigen Beträge den vom Reich bereitgestellten Mitteln ent­ nommen werden sollten.3 Freilich war es Junkers nach dem Abschluß des Vorschußvertrages in überaus zähen Verhandlungen gelungen, Fokker zu einer deutlichen Redu­ zierung seiner Forderungen zu bewegen. Hatte dieser noch im September 1918 jene 2,6 Mio. Mark gefordert,4 so erklärte er sich unter dem Eindruck des Waffenstillstandes mit einer Reduzierung auf lediglich 1,49 Mio. Mark bereit.5 Zusätzlich mußte sich Junkers jedoch zur Gewährung einer Lizenz auf das Gleitfliegerpatent bereit erklären, womit auch den ursprünglichen Interessen Fokkers Genüge getan war. Dem stand freilich gegenüber, daß die alsbald in Junkers-Flugzeugwerk AG umbenannte IFA durch die Til­ gung der von Fokker gewährten Darlehen schuldenfrei wurde und ihr Ak­ tienkapital von 2,6 auf 3,5 Mio. Mark erhöhen konnte. Der Aufstieg des Junkers-Konzerns begann mit einer Mitgift des Reiches. 1 2

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Vertrag, 7. bzw. 10.11.18, DMM/ASD JA 0201/9/34. Aufstellung Junkers, 28.7.18, DMM/ASD JA 0201/8/10; Seitz (Büro Berlin) an Siegert (IdFlieg), 5.6.18, DMM/ASD JA 0201/9/14; Seitz (Büro Berlin), Bericht über einen Empfang Junkers' im Kriegsministerium, 18.7.18, DMM/ASD JA 0201/9/9. Auflösung der Gemeinschaft A. Fokker, H. Junkers, verhandelt am 3.12.18, DMM/ASD JA 0201/12/49. Schliekmann an Junkers, 25.9.18, DMM/ASD JA 0201/12/35. Über die Verhandlungen im November 1918 s. den Schriftwechsel in DMM/ASD JA 0201/12/43. 67

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In den zweieinhalb Jahren zwischen dem Waffenstillstand und dem Londoner Ultimatum stieg das derart ausgestattete Unternehmen zum wichtigsten deutschen Flugzeugproduzenten auf. Während die Belegschaft der IFA nach dem Waffenstillstand bis auf 480 Arbeiter im April 1919 zu­ rückgegangen war, stieg sie bis Oktober 1920 auf 928.6 Der JunkersFlugzeugbau stützte sich auf die monopolartige Stellung der Junkers F13. 1920 wurden 73 dieser Flugzeuge gebaut.7 Mit einer Produktionsspitze von 15 F13 im September 1920 reichte die IFA fast an den monatlichen Ausstoß des Panzerflugzeugs im Frühjahr 1918 heran.8 Die Grundlage des wichtigsten Verkaufserfolgs legte ein inoffizieller Höhenweltrekord des Prototyps der F13 im September 1919.9 Der daraufhin angereiste Flugsachverständige der amerikanischen Regierung, John Lar­ sen, erkannte die wirtschaftlichen Vorzüge des neuen Flugzeugs und ging eine Partnerschaft mit Junkers mit dem Ziel ein, das „weitaus wichtigste Absatzgebiet", wie Junkers schrieb, mit einer garantierten Abnahme von monatlich 10 bis 15 Flugzeugen systematisch zu erschließen.10 Im Frühjahr und Sommer 1920 lieferte Junkers 23 F13 in die Vereinigten Staaten, die auf dem ansonsten durch konvertierte Kriegsflugzeuge übersättigten nordame­ rikanischen Markt Furore machten. Nach einigen spektakulären Überland­ flügen erwarb vor allem die Postbehörde das Flugzeug.11 Der geringe Wartungsaufwand der Konstruktion, die Unempfindlichkeit gegen Witterungseinflüsse und die Flugsicherheit waren jedoch Eigenschaften, mit de­ nen Verkehrsbedürfnisse in klimatisch ungünstigen Regionen mit einem gering entwickelten Wegenetz überhaupt erst befriedigt werden konnten.12 Ein Kaufmann gründete im Dezember 1919 die deutsch-kolumbianische Fluggesellschaft Scadta, die 1920 den Luftverkehr zwischen der karibischen Küste und der Hauptstadt Bogota mit der F13 aufnahm.13 Während ein Flußdampfer auf dem Magdalenenstrom für die etwa 1000 km lange Strekke zwischen der Küste und Bogota zwei bis vier Wochen brauchte, legte ei-

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Arbeiterbestand IFA (1.10.17-1.4.22), DMM/ASD JA 0301/7/2. Flugzeugproduktion, Stand vom Februar 1928, DMM/ASD JA 0301/22/7; Hans Mül­ ler, S. 20 u. 25; Radandt, S. 85 Fn 107. Flugzeugproduktion, Stand vom Februar 1928, DMM/ASD JA 0301/22/7. Schmitz, S. 155. Problematisch ist bei diesem „Höhenweltrekord" freilich zweierlei. Einmal war es im wesentlichen eine Sache des Motors, also des BMW Illa, ihn zu erflie­ gen. Zweitens folgte aus dem „inoffiziellen" Charakter aller deutschen Rekordversuche - Deutschland war nicht Mitglied der Aufsichtsbehörde F.A.I. daß die F13 mit 6750 m zwar höher flog als alle „offiziellen" Wettbewerber, jedoch immerhin 3.000 m unter einem weiteren „inoffiziellen" Rekord lag, den ein konventionelles Flugzeug mit dem neusten Motor von BMW im Juni 1919 erflogen hatte (Mönnich, S. 105f.). Larsen an Junkers, 24.7.20, DMM/ASD JA 0301/5/41. Tagebucheintrag Junkers' vom 20.9.20, NB 72, S. 3900, DMM/ASD N 21/5. Offermann, S. 295f.; Wagner, Junkers, S. 144ff.; Blunck, S. 123f. Schmitt, S. 154ff. Blunck, S. 142-147; Pollog, Junkers, S. 124-126. Blunck, S. 125; zur Scadta: Rinke, passim.

ne mit Schwimmern ausgerüstete F13 dieselbe Strecke in 2 1/2 Tagen, da­ von 10 Stunden reiner Flugzeit, zurück.14 Ein großer Teil der bis zum Bauverbot produzierten 93 F13 konnte im Ausland gegen Devisen abgesetzt werden,15 wobei eine fast willkürliche Preiskalkulation erhebliche Gewinne sicherte:16

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Tabelle 3: Selbstkostenkalkulation einer F13 (1920/21, in Goldmark) Material ca. Fertigungslohn 6.000 Std. zu 7 Papiermark = 42.000 Papiermark = Gemeinkosten pauschal 650% auf Fertigungslohn Herstellungskosten = sonstige Kosten (Vertrieb, Finanzierungskosten, Lizenzen, Erlösschmälerung) pauschal 25% auf Herstellungskosten = Selbstkosten =

7.500,2.500,— 16.250, — 26.250, —

6.562,50 32.712,50

Quelle: „Selbstkosten der F13 - Zellen in 3 verschiedenen Baujahren" 18.2.31, Anlage zur Ak­ tennotiz „betr.: Verkaufspreis-Gestaltung" (Hans Müller), 19.2.31, S, 2, DMM/ASD N21/1.

Der übliche Preis für eine F13-Zelle (also ohne Motor entsprechend der obigen Kalkulation) betrug, je nach Ausrüstung, zwischen $ 13.000 und 15.000, das entsprach bei einem Umrechnungssatz von 4,2:1 54.600 bzw. 63.000 Goldmark. Nach der Währungsreform hatten Verkehrsuntemehmen in Deutschland für eine F13-Zelle im Durchschnitt 60.000 Reichsmark zu begleichen. Gegenüber den Selbstkosten ergab sich also ein fast einhundertprozentiger Überschuß. Die finanzielle Basis der IFA wurde jedoch nicht allein durch den Vor­ schußvertrag und den Erfolg der F13 konsolidiert. In einer Eingabe an die 14 15

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Bongers, S. 20-22. Flugzeugproduktion, Stand vom Februar 1928, DMM/ASD JA 0301/22/7; Abnahmeli­ ste der F13, o.D. [Nov. 1924], DMM/ASD JA 0303/1/1. Die Bedeutung der Flugzeuge als „hochwertigste Exportware" führte die deutsche Regierung als Argument zur Auf­ hebung des Produktionsverbots an: Wirth an Masterman, ADAP, Ser. A, Bd. 5, Dok. 252, S. 518. Die pauschalen Unkostensätze richten sich in diesem Beispiel freilich nach den für 1931 gültigen Werten (648%); es ist anzunehmen, daß sie 1921 bei weit geringeren Lager­ und Vertriebskosten auch prozentual niedriger lagen, womit sich freilich das Argu­ ment der positiven Ertragslage noch zuspitzt. Zum Problem der Selbstkostenermittlung bei Junkers generell: Semler/Schlomann, S. 15-17, sowie die Dissertation von Hans Müller, der seit 1927 versuchte, die betriebliche Kalkulation bei Junkers zu systemati­ sieren, und den enorm hohen Satz von 650% auf den produktiven Lohn für allgemeine Betriebskosten festlegte (Hans Müller, S. 74f.). Im Maschinenbau wurde etwa zur sel­ ben Zeit mit einem Betriebskostensatz von 200% auf den produktiven Lohn kalkuliert: Bethmann, S. 21. 69



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Heeresverwaltung erhob Junkers im Sommer 1919 den Vorwurf, die IdFlieg habe bei ihren Bestellungen während des Krieges die systematische Verlet­ zung des Gleitfliegerpatents geduldet. Sie sei daher nach den bei der Grün­ dung der Technischen Berichte getroffenen Regelungen über die Nutzung von Versuchsergebnissen der Firmen17 zu Lizenzzahlungen verpflichtet. Insbesondere Fokker habe bei seinen Jagdflugzeugen stromlinienförmig verkleidete Fahrwerksachsen verwendet, darüber hinaus seien mehrfach Benzintanks in Tragflächen eingebaut worden, was beides unter den 1910 formulierten Anspruch auf einen auftriebserzeugenden Körper fiel, in des­ sen Innern Lasten untergebracht sind. Im Frühjahr 1920 wurde der Streit­ wert präsentiert: Bei knapp einem Viertel der während des Krieges produ­ zierten Flugzeuge seien „Verletzungsfälle' 7 eingetreten, behauptete Junkers, und forderte vom Reich eine Lizenzgebühr von 5% für jedes der insgesamt 9.775 betroffenen Flugzeuge. Bei einem Durchschnittspreis von 30.000 Mark ergab sich mithin eine Forderung von knapp 15 Mio. Mark.18 So überzogen der Anspruch zunächst schien, konnte sich die Reichswehr Junkers' Argu­ mentation doch nicht entziehen. Zwar ergaben sich Auseinandersetzungen über die Höhe der Lizenz, es kam jedoch im Juli 1920 zu einer Einigung. Junkers erhielt eine Entschädigung in Höhe von 2 Mio. Mark - 2% Lizenz­ gebühr bei einer anrechenbaren Summe von 10.000 Mark pro Flugzeug. Da Junkers sein Vorgehen in dem Streit stets mit dem Ausbau der Werkstätten und der Beschaffung von Motoren begründet hatte, die für die Abwicklung der Lieferungen an die Vereinigten Staaten notwendig waren, erhielt er je­ doch darüber hinaus einen zinsgünstigen Kredit über 5 Mio. Mark, der von der Hilfskasse für gewerbliche Unternehmungen bereitgestellt wurde und bis 1926 zu tilgen war.19 Das unternehmerische Selbstverständnis und die Strategie des JunkersKonzerns in den zwanziger Jahren müssen vor dem Hintergrund der Erfol­ ge im Jahr vor dem Bauverbot verstanden werden. Junkers betrachtete so­ wohl die Entschädigung für das Gleitfliegerpatent als auch den Erfolg der F13 nicht als Unternehmergewinn, sondern als Entgelt für die Vorleistun­ gen der Forschung. Das 'goldene' Jahr 1920 war für ihn eine einzige Bestä­ tigung seines unternehmerischen Grundkonzepts.

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Auf der Gründungssitzung der wissenschaftlichen Auskunftei der Flugzeugmeisterei hatte Wagenführ eingeräumt daß Forschungsergebnisse, die auf einen neuen Flug­ zeugtyp hinausliefen, von der Heeresverwaltung erworben werden müßten, bevor sie der restlichen Industrie zu Verfügung gestellt würden: Bericht über die Sitzung zwecks Gründung einer „Auskunfts- und Verteilungstelle für flugwissenschaftliche Arbeiten der Flugzeugmeisterei", 22.12.16, DMM/ASD JA 0201 /6/9. Denkschrift (Seitz, Büro Berlin) betreffend Ansprüche Prof. Junkers für Verletzung DRP 253788,1.6.20, S. 5ff., DMM/ASD JA 0071. Rasch (Syndikus des Konzerns), betr. Gleitfliegerpatentverletzung und Darlehensbe­ schaffung, 19.7.20, DMM/ASD JA 0301/4/4; Hilfskasse für Gewerbliche Unterneh­ mungen an IFA und Jco, 20.7.20, ebd.; Seitz (Büro Berlin) an Boden, 9.8.20, DMM/ASD JA 0071.

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Das Programm der eigenwirtschaftlichen Forschung war unter dem Eindruck des Krieges weiter ausformuliert worden. Als Reaktion auf die lange Zeit unzureichende finanzielle Unterstützung durch die IdFlieg und die Bevorzugung der Serienproduzenten definierte Junkers seine Firma zu­ nehmend in Abgrenzung zur Massenproduktion. In der gewöhnlichen Fa­ brik gebe es lediglich den negativen Anreiz durch den Wettbewerb, nicht die Orientierung an „der absolut erreichbaren technischen Vollkommen­ heit", schrieb Junkers 1916. Die Technik sei hier nur Dienerin des kaufmän­ nischen Zieles, einen Massenbedarf bei geringen Preisen zu decken: „Technischer Fortschritt und fabrikatorische Mechanisierung stehen sich feindlich gegenüber; die natürliche Folge ist, daß die Fabrik den techni­ schen Fortschritt bekämpft."20 Folgerichtig bestimmte sich der Charakter des Junkers-Konzerns in den zwanziger Jahren aus der Bevorzugung der Forschung: „Die Junkers-Werke sind also keine Fabrik für Massenproduk­ tion mit angehängten Laboratorien, sondern eine industrielle Forschung mit angegliederten Massenproduktionsstätten". 21 Die rigorose Trennung von Produktion und Forschung war das Axiom in der unternehmerischen Vorstellung Hugo Junkers'. Er begriff sich als Sy­ stemerbauer,22 insoweit sein einziges Ziel darin bestand, technisch voll­ kommene Neuerungen hervorzubringen. Die Notwendigkeit, überhaupt als Unternehmer tätig zu werden, begründete sich aus der Unvollkommenheit jener Welt, der diese Neuerungen eingepflanzt wurden. Nur deswegen, weil es keine „Verleihung von Monopolrechten für risikovolle Pionierar­ beit" gab,23 mußte die Forschung durch eine wettbewerbsorientierte „Eigen-Massenfabrikation" ergänzt werden, freilich nur in solchen Fällen, bei denen „aus einer gewissen Monopol-Stellung heraus die Preise" vorge­ schrieben werden konnten.24 Das Hauptziel der eigenwirtschaftlichen Forschung war mithin die Vergabe einer Produktionslizenz an andere Un­ ternehmen, die die Vorleistungen der Forschungsanstalt angemessen ver­ güteten. Es war dabei gleichgültig, „ob die Massenfabrikation in den zur Forschungsanstalt gehörigen Betrieben oder aber in aussenstehenden Un­ ternehmungen aufgenommen" werde. Auch die IFA und die Ico mußten in

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Warum muß zur Sicherstellung des technischen Fortschrittes neben dem Fabrikunter­ nehmen und unabhängig von diesem ein besonderes Unternehmen, „die Forschungs­ anstalt" betrieben werden?, 3.4.16, DMM/ASD JA 0201/10/5. Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 7, DMM/ASD JA 0307; s. a. Hauptbüro (Prange), betr. Bedeu­ tung des Junkers-Zentralunternehmung zur Schaffung neuer Wirtschaftsprodukte für die Massenproduktion, 4.5.29, ebd. Zum Begriff des Systemerbauers: Hughes, Erfindung, S. 190ff. Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 31, DMM/ASD JA 0307. Aktennotiz über eine Besprechung mit Schacht, 2.8.29, DMM/ASD JA 0301/24/7.

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erster Linie die Forschung bei Junkers refinanzieren, ohne daß Rücksicht auf deren wirtschaftliche Situation genommen wurde.25 Die von Junkers betonte Gegensätzlichkeit von Forschung und Pro­ duktion reflektierte ein Element der seit der Jahrhundertwende anhalten­ den Debatte über den „deutschen" und den „amerikanischen" Weg der In­ dustrialisierung.26 Hatte Junkers während des Krieges die Förderung seines Unternehmens angemahnt, damit „die Qualität imstande bleibt, die Quan­ tität zu besiegen",27 so übertrug er dieses Bild in den zwanziger Jahren auf das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland und de­ finierte zugleich die „staatspolitische" Aufgabe seines Konzerns: „Ist also das spezielle Ziel der amerikanischen Industrie, gegebene Waren in Massen gut und billig zu produzieren und zu vertreiben, so ist Deutschland dazu berufen, technische Neuerungen in systematischer Forschungsarbeit mit der Bestimmung der Aufnahme in eben diese Massenfabrikation zu schaf­ fen. [...] Die Stellung der Junkers-Werke innerhalb der deutschen Volks­ wirtschaft ist in kleinem Maßstab vergleichbar mit Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft."28 Das Referenzsystem für die Entwicklung des Jun­ kers-Konzerns war nicht der Erfolg auf dem Markt, sondern dessen ver­ mutete Rolle im technischen Fortschritt und im Rückgewinn der wirt­ schaftlichen Position Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. Hugo Junkers verankerte sein Unternehmen in der Bipolarität von „amerika­ nischer Quantität" und „deutscher Qualität" und bestimmte aus ihr zu­ gleich das „amerikanische" Gegenstück seiner Unternehmensphilosophie: Henry Ford. Er verfolgte eine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Unternehmer mit nicht nachlassender Euphorie.29 So trug er noch 1931, als Ford längst begonnen hatte, unter Verletzung einer Reihe von JunkersPatenten selbst Flugzeuge zu bauen, eine Allegorie in sein Tagebuch ein, die die Untemehmensphilosophie Junkers7 insgesamt charakterisiert: „Ford — Junkers; Massenproduktion — Forschung; Wasser — Feuer: Sie können sich gegenseitig vernichten, aber auch (...) enorm produktiv sein."30 Die technisch vollkommene Neuerung als Zweck und der Vorrang der Forschung als Prinzip prägten den Flugzeugbau bei Junkers seit dem Ersten Weltkrieg. Es entstand ein eigentümliches Unternehmen, dessen Produkti-

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Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 4, DMM/ASD JA 0307. Die jüngere Literatur bilanzierend: Lüdtke/Marßolek/v. Saldem, bes. S. 15ff. Erster Entwurf für eine Denkschrift, betr.: Metallflugzeug und Flugmotor großer Lei­ stung, 28.6.17, DMM/ASD JA 0201/10/11. Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 2 u. 4, DMM/ASD JA 0307. Zur Perspektive einer Zusammenarbeit mit Ford am Anfang der zwanziger Jahre s. Ta­ gebucheinträge Junkers' vom 13.7. und 5.9.20, NB 70, S. 3733 und NB 71, S. 3806, DMM/ASD N 21/5. Tagebucheintrag Junkers' vom 8.3.31, NB 195, S. 18875, DMM/ASD N21/8. Schmitt, S. 190f.

onsaufbau, Entwicklungs- und Expansionsstrategie, Binnenstruktur und Außenbeziehungen gleichermaßen konsequent nach diesen Prämissen ge­ staltet waren.

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a. Perspektiven in Konstruktion, Produktion und Absatz der Junkers-Flugzeuge Die F13 hatte 1920/21 mehr als jedes andere Produkt, das der JunkersKonzern hervorbrachte, den Charakter eines Monopolgutes. Entsprechend forcierte Junkers seit Juli 1919 die „Eigenmassenfabrikation" des Flugzeugs, um die Gelegenheit zur Ausweitung der Forschung nicht vorüberziehen zu lassen: „Schließlich komme ich zu dem Wichtigsten, dem A uns O, wir müssen mehr herausbringen. Daß in der Vergrößerung unser Produktion ein gewisses Risiko liegt, dessen bin ich mir natürlich wohl bewußt, muß aber immer wieder darauf hinweisen, daß das Risiko noch viel größer ist und sogar mit Sicherheit zum vollen Ruin führt, wenn wir nur in kleinem Umfang Flugzeugbau betreiben wollen."31 Selbst ohne eine kontinuierliche Nachfrage sollte die Herstellung binnen eines Jahres auf monatlich 25 Ma­ schinen aufgestockt werden, jene Rate also, die 1918 auf dem Höhepunkt der Produktion des Panzerflugzeugs erreicht worden war.32 Eine Serienproduktion, bei der über einen längeren Zeitraum hinweg an der ursprünglich gewählten Ausführung festgehalten werden konnte, brachte erhebliche Kostenvorteile ein. Der Aufwand und die Ablieferungs­ termine konnten präzise kalkuliert werden. Da vermehrt Bauvorrichtungen eingesetzt wurden, die die Maßgenauigkeit der fertigen Teile garantierten und die Anforderungen an die Qualifikation der Arbeiter in Grenzen hiel­ ten, gelang der Ausbau der Belegschaft 1920/21 reibungslos, obwohl der Flugzeugbau bei Junkers eine Domäne gelernter Metallfacharbeiter blieb.33 Die Entscheidung zur Serienproduktion der F13 entsprach mithin einer klassischen „first-mover" Strategie zur Beeinflussung des Marktes.34 Die Herstellungskosten sollten durch den Serienbau so weit reduziert werden, daß Junkers sich einen steten Vorsprung gegenüber Nachzüglern im Me­ tallflugzeugbau erhielt. Die großzügige Verwendung von Spezialwerkzeugen stellte eine Be­ sonderheit des Flugzeugbaus bei Junkers dar, die nicht wenig auf Erfah­ rungen basierte, die die führenden Ingenieure der Firma im Maschinenbau

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Tagebucheintrag Junkers' vom 2.4.20, NB 67, S. 3369-3367, DMM/ASD N 21/5; Bespre­ chung bei der IFA am 22.8.19, DMM/ASD JA 0301/2/14. Niederschrift der Verwaltungskonferenz vom 12.7.19, DMM/ASD JA 0301/2/5; Nie­ derschrift der Verwaltungssitzung vom 8.10.20, DMM/ASD JA 0301/4/21; Nieder­ schrift der Verwaltungskonferenz vom 11.1.21, DMM/ASD JA 0301/5/3. Niederschrift der Verwaltungskonferenz vom 22.9.22, DMM/ASD JA 0301/7/37; Ma­ der, Junkers-Flugzeugbau, S. 83; vgl. Rohrbach, Leichtbau, S. 66/67. Chandler, Scale, S. 34ff.

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gesammelt hatten.35 Otto Reuter forderte im August 1919 eine weitgehende Verwendung von Vorrichtungen beim Bau der F13, „auch wenn die Flug­ zeuge dadurch zunächst teurer würden".36 Das Interesse an der Herstellung von Werkzeugen, Werkzeugmaschinen, Schablonen und speziellen Bauge­ rüsten definierte sich zunächst aus dem Bemühen, die Flugzeuge vor dem Hintergrund der erhöhten Sicherheits- und Leistungsforderungen im Luft­ verkehr „sauberer" herzustellen. Die Minimierung des Gewichts des Flug­ zeugs zog eine Maximierung der Paßgenauigkeit nach sich, um die stati­ sche Kraftübertragung im Flug zu sichern. Später freilich wurde der Vorrichtungseinsatz mit Argumenten unterstützt, die im Maschinenbau seit der Jahrhundertwende und insbesondere im Zusammenhang mit der „Taylorisierung" der Industrieproduktion diskutiert wurden. Die Einfüh­ rung von Spezialwerkzeugen ergänze die Bemühungen um eine schriftliche Fixierung des Produktionsablaufes, hieß es 1926. Da die Bauvorrichtung ei­ ne „vervollständigte, körperliche Stückliste und Zeichnung" darstelle, sei sie noch eher als jene geeignet, den Arbeiter von „Denkarbeit" zu entlasten. Neben einer wirtschaftlichen Fertigung bei hohen Qualitätsstandards ga­ rantiere der mechanisch gestützte Bau von Einzelteilen eine weitaus größe­ re Austauschbarkeit, wodurch die Lagerhaltung verbessert und Produkti­ onsstockungen vermieden würden. Bei Zeitersparnissen zwischen 30 und 90%, die beim Bau mit Vorrichtungen erreicht werden könnten, seien die Kosten für ihre Erstellung schon bei kleinen Serien eine zu vernachlässi­ gende Größe.37 Bei der Entwicklung von Vorrichtungen und Spezialwerkzeugen zeichnete sich jedoch ein Dilemma ab. Die aufwendigste Arbeit in den Werkstätten der IFA war die Herstellung des Rohrgerüsts für Tragflächen, Rumpf und Leitwerk sowie die Beplankung der jeweiligen Großbauteile. Die Probleme, die sich durch die Verwendung von Rohren ergaben, konn­ ten durch die Erfindung und Perfektionierung eines Rohrnietapparates zwar gelindert werden, die Vernietung der Rohre blieb gleichwohl der technisch schwierigste Arbeitsgang des Flugzeugbaus bei Junkers, zumal ab einem bestimmten Punkt gerade bei mechanisierter Fertigung eine Ver­ einfachung der Konstruktion notwendig gewesen wäre. Dieser Schritt frei-

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Zum Programm der Betriebsmittelentwicklung s. etwa Tagebucheintrag Junkers', 25.5.21, NB 77, S. 4541-4547, DMM/ASD N 21/5; zur Entwicklung des Vorrichtungs­ baus bei Junkers: Vorrichtungen im Metallflugzeugbau unter besonderer Berücksichti­ gung der Junkers-Konstruktionen, 12.6.26, DMM/ASD JA 0301/12/71; Thiedemann. Mit Bezug auf einzelne Fertigungsverfahren: FSD-Fertigungs-Entwicklung, „Abschluß­ bericht der Entwicklungsaufgabe 303. Entwicklungsverlauf der Spantbauvorrichtungen im Zusammenhang zu Bauweise und Bauverfahren", 4.12.40, DMM/ASD LRD, Selekt JFM Nr. 114b; Creuzburg, passim; zur Typologie der Vorrichtungen im Maschinenbau: Freyberg, Rationalisierung, S. 74f. Besprechung bei der IFA am 22.8.19, DMM/ASD JA 0301/2/14. Vorrichtungen im Metallflugzeugbau unter besonderer Berücksichtigung der JunkersKonstruktionen, 12.6.26, DMM/ASD JA 0301/12/71.

lieh kam in der Vorstellungswelt Junkers' einer Preisgabe der Forschung gleich. Obwohl in einem internen Gutachten schon 1921 eingeräumt wurde, daß ein großer Nachteil der Flugzeuge von Junkers gegenüber jenen von Dornier darin bestehe, daß ihre „Herstellung nur mit Hilfe besonderer Werkzeuge möglich" sei,38 und eine französische Zeitschrift 1923 feststellte, daß „die Bauart Dorniers theoretisch und praktisch derjenigen von Junkers sehr überlegen ist",39 war eine Anpassung des Aufbaus der JunkersFlugzeuge an die Bedürfnisse der Produktion ausgeschlossen. Die 1918 ge­ fundene konstruktive Lösung wurde technisch absolut gesetzt.40 Das starre Festhalten an dem einmal gefundenen konstruktiven Auf­ bau konnte im Denkschema der eigen wirtschaftlichen Forschung freilich durch weitere Argumente begründet werden. Der Bau von Vorrichtungen und Werkzeugen sei geeignet, so Reuter 1919, die Beschäftigung der Werk­ stätten der IFA angesichts der drohenden Einschränkung der Flugzeugpro­ duktion zu sichern. Zugleich werde die Wiederaufnahme der Serienpro­ duktion nach dem Ende des Bauverbots erleichtert.41 Die zur Verarbeitung der eigentümlichen Bauteile der Junkers-Flugzeuge entwickelten Maschi­ nen wurden patentiert und stiegen zu einer eigenen Produktgruppe der IFA auf. Diese Entwicklung belegte mithin einen spezifischen Synergieef­ fekt der Junkersschen Strategie, insoweit die Produktion die Vorleistungen der „primären" Forschung nicht nur materiell vergütete, sondern auch Im­ pulse für die „sekundäre" Forschung gab.42 Die Ergebnisse der „sekundären" Forschung beschränkten sich freilich nicht auf Werkzeuge. Sie umfaßten sowohl die Entwicklung neuer Flug­ zeugtypen als auch die Verbesserung von Vor- und Nebenprodukten des Flugzeugbaus. Nachdem die F13 bereits Kühler und Propeller nutzte, die in der Forschungsanstalt entwickelt worden waren, entstand aus dem Metall­ flugzeug eine Reihe neuer Produkte, etwa der Hohlschaufellüfter, der das Tragflächenprofil nutzte, um eine erste Klimaanlage zu betreiben, und ein Gleitboot, aus dem wiederum Erkenntnisse für den Bau von Schwimmern für Flugzeuge abgeleitet werden konnten.43 Die Erfahrungen mit der Verar­ beitung von Duraimin führten zu einer Produktgruppe von Metalltüren und schließlich zu einem Trägersystem für den Bau transportabler Hallen.44 Die Integration von neuen Produktlinien im Werkzeugbau und in der Vor38 39

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Zindel (IFA), betr. Junkers- und Dornier-Flugzeuge, 14.10.21, DMM/ASD JA 0501/2/24. Übersetzung aus La Aöronautique Nr. 51, August 1923: E.-A.Beach, Der Metallbau von Dornier und Junkers, 28.8.23, DMM/ASD JA 0501/2/42a. Plauth (Hauptbüro), betr. Überprüfung des grundsätzlichen Aufbaues unserer Flug­ zeuge, 12.8.25, DMM/ASD JA 0302/7/23. Besprechung bei der IFA am 22.8.19, DMM/ASD JA 0301/2/14. Ittner, S. 131f. Pollog, Junkers, S. 104; Technische und wirtschaftliche Entwicklung der Junkerswerke, 20.12.34, DMM/ASD JA 0301/33/1. Kessner, S. 50f.; Groehler/Erfurth, S. 45f. 75

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Produktion lief somit auf eine Vertikalisierung der Konzemstruktur und eine unternehmerische Besetzung von Kopplungseffekten des Flugzeug­ baus hinaus. Die vertikale Konzemstruktur wurde freilich als notwendige Folge der Forschung gewertet. Ausdrücklich betrieb Junkers die funktionale Integration des Konzerns nur in einem Fall, bei der Aufnahme der Produktion des Mo­ tors der F13. Das Flugmotorenprojekt Junkers' nahm während des Krieges ei­ nen nicht annähernd so erfolgreichen Verlauf wie die Entwicklung des Flug­ zeugs. Zwar waren seit 1915 verschiedene Versuchsausführungen für einen Benzinmotor nach dem Junkersschen Gegenkolbenprinzip entstanden. Die Forschungsanstalt erprobte das von der IdFlieg bestellte Aggregat (Fo.2) seit November 1916, angesichts zahlreicher technischer Schwächen wurde jedoch seit April 1917 über den Abbruch des Projekts diskutiert.45 Schließlich gab Junkers den Auftrag im Dezember 1918 zurück.46 Erst durch die Folgen des Versailler Vertrages wurde das Interesse an einer eigenen Flugmotorenher­ stellung erneut geweckt. Die Auslieferungsbestimmungen verknappten die Menge der verfügbaren Motoren in einem Maße, daß die Beschaffung von Antriebsaggregaten für die F13 schon 1920 auf einen blühenden Schwarz­ markt angewiesen war.47 Zudem konnten sich die Flugmotorenhersteller we­ sentlich leichter auf zivile Produktlinien umstellen, so daß auch die Neuferti­ gung hinter den Erfordernissen zurückblieb. Der Motorenmangel war folglich die wichtigste Ursache, daß die Fertigung der F13 die 1919 festgelegten Pro­ duktionszahlen nicht erreichte. Junkers benötigte den BMW Illa. Die Pro­ duktpolitik von BMW jedoch schlingerte, nachdem die Hauptaktionäre des Unternehmens mehrfach gewechselt hatten, zwischen den Optionen der Kraftfahrzeug- und der Flugmotorenproduktion hin und her.48 Zwar konnte BMW durch größere Auftragszusagen zur Rückkehr in die Flugmotorenpro­ duktion bewegt werden,49 im September 1922 ergab sich dennoch die Situati­ on, daß die IFA nach Werkstatteinrichtung und Belegschaftsstand mindestens 25 F13 im Monat herstellen, aber mittelfristig nur über 65 BMW-Motoren ver­ fügen konnte. In dieser Situation fällte Junkers die Entscheidung, die „embryonal" in Dessau Vorhandenden Einrichtungen zu nutzen, um den „BMW hier [zu] bauen."50 Die Art, wie der Flugmotorenbau bei Junkers aufgenommen wurde, widersprach mithin dem unternehmerischen Konzept Junkers'. Die Fabrik für Neuerungen mußte sich den Bedürfnissen der Massenproduktion an­ passen, um eine Unsicherheit auf dem Markt für das wichtigste Vorprodukt zu beseitigen. Seit der Jahreswende 1922/23 beschäftigte sich die For45 46 47 48 49 50

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Niederschrift über die Konferenz am 24.4.17, DMM/ASD JA 0201/5/26. Ittner, S. 72-93. Ebd., S. 137ff. Mönnich, S. 109-123. Denkschrift, 25.6.26, S. 5 Fn, DMM/ASD N 21/19; Ittner, S. 139. Niederschrift der Verwaltungskonferenz am 22.9.22, DMM/ASD JA 0301/7/37.

schungsanstalt unter Otto Mader mit einer leicht veränderten Variante des BMW-Motors (Junkers L2). Aus patentrechtlicher Perspektive war dieses Vorhaben gedeckt, da Junkers nach längeren Auseinandersetzungen seine Auffassung hatte durchsetzen können, daß BMW bei der Konstruktion des Flugmotors Illa ein 1917 angemeldetes Patent verletzte. Da der Schutz­ rechtsanspruch Junkers' durch einen im Juni 1918 abgeschlossenen Lizenz­ vertrag bekräftigt war, konnte BMW kaum mehr erreichen als die Rück­ zahlung eines Teils der Lizenzgebühren. Die Aufnahme der Produktion des L2 und eines weiteren Nachbaus - BMW IV bzw. Junkers L5 - war nicht zu verhindern. Nach dem Währungsschnitt wurde im November 1923 die Jun­ kers Motorenbau GmbH (Jumo) gegründet, die mit einem Stammkapital von 2,25 Mio Mark die Vorarbeiten der Forschungsanstalt weiterführte.51 Zwar konnte die Jumo erst seit 1925 die Versorgung der IFA mit Motoren sicherstellen, mit bis zu 1.453 Arbeitern und Angestellten (November 1925) stieg sie gleichwohl zum wichtigsten deutschen Flugmotorenhersteller ne­ ben BMW auf. Zur Mitte der zwanziger Jahre wurden darüber hinaus die 1918 abgebrochenen Arbeiten am Zweitaktflugmotor wieder aufgenom­ men. Schließlich übernahm die Jumo auch die sonstige Motorenentwick­ lung des Junkers-Konzerns und brachte eine Palette von stationären und Fahrzeugmotoren nach dem Junkersschen Gegenkolbenprinzip heraus.52 Obwohl die Junkers-Werke bei der Herstellung von Spezialwerkzeu­ gen, Vorprodukten und Flugmotoren in einer fast spielerischen Weise der Dynamik folgten, die das Flugzeug als technisches System erzeugte, setzte die programmatische Festlegung auf die „absolut erreichbare technische Vollkommenheit" bis zu einem bestimmten Grad doch voraus, daß man in der Lage war, jene „Vollkommenheit" zu definieren. Nur hinreichend zu­ verlässige Prognosen über den technischen Fortschritt konnten verhindern, daß die Forschung - wie beim Flugmotorenbau - nach Mechanismen des Marktes funktionierte. Unwidersprochen blieb die Auffassung, daß der Flugzeugbau an sich einen idealen Ansatz für den Vorstoß in technisches Neuland bot. Im Einzelnen fußte die Zielbestimmung des Fortschritts im Flugzeugbau jedoch auf einer bestimmten Verarbeitung seiner Geschichte. Das Programm des Flugzeugbaus bei Junkers wurde von Otto Mader definiert. 1924 veröffentlichte er an einem prominenten Ort, in der Zeit­ schrift des Vereins Deutscher Ingenieure, einen achtseitigen Aufsatz, in dem er die aerodynamischen und statischen Grundlagen des modernen Flugzeugbaus am Beispiel der F13 umriß. Mader entwarf eine Argumenta­ tion, die er zugleich in einer Grafik verdeutlichte:53 Das Flugzeug gehe als ein „Kompromiß" aus Erkenntnissen hervor, die in der Aerodynamik, Sta­ tik und Materialwissenschaft, im Motorenbau und schließlich jenen Wis-

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Ittner, S. 100f., 140ff. u. 152f. Ebd., S. 144f. u. 174f. Mader, Betrachtungen, passim.

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senschaften erarbeitet würden, die die Sinneswahrnehmung und Steue­ rungsfähigkeit des Menschen im Fluge unterstützen, also im weitesten Sinne der Elektrotechnik sowie Feinmechanik und Optik. Die Kunst des Flugzeugbaus bestehen also darin, das Zusammenwirken dieser vier Wis­ senschaftsbereiche zu optimieren, um ein Fahrzeug zu schaffen, das hoch motorisiert, leicht und fest sei und einen geringen Luftwiderstand mit ei­ nem großen Auftrieb verbinde. Die Veränderung einer Variable in diesem dynamischen System eröffne Wege für die Fortentwicklung einer weiteren oder mache sie sogar zwingend. Bei der Konstruktion eines neuen Flug­ zeugs müßten in jedem Fall Erkenntnisse aus allen genannten Wissen­ schaftsbereichen abgerufen werden. Der Marktvorsprung des schließlichen Produkts falle je größer aus, je mehr ein Unternehmen in der Lage sei, Er­ kenntnisse aus den Grundlagenwissenschaften für den Prozeß der Optimie­ rung aufzubereiten und anzupassen, also selbst eigene Forschungsleistun­ gen einzubringen.

Z ufts trömung

Mensch

Auftrieb und Widerstand

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Aufbau

Mraftgue/ie

Baustoff und Bauweise

Brennstoff und . Motor

Gesetz und Normung

Wirtschaftlichkeit

Metall

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\MZ^5627\

h/ein

Entwicklung

Das Flugzeug 78

groß

ein Kompromiß.

Der Aufsatz hatte hauptsächlich den Zweck, Junkers' Weg zum Flug­ zeug eine allgemeingültige Tendenz zu unterlegen. Mader zog zunächst ei­ ne gerade Linie von dem Vertrag mit Reißner bis zur Serienherstellung der F13 und verlängerte diese Linie bis hin zum Nurflügelflugzeug der Zu­ kunft. Diese Ableitung ging freilich über die Irrtümer und Fehleinschät­ zungen hinweg, die die Entstehung des Junkers-Flugzeugs bei allen Erfol­ gen begleitet hatten, und sie enthielt Festlegungen, die so auch 1924 noch nicht gerechtfertigt schienen. Das betraf vor allem die Behauptung, Metall werde Holz als Baustoff der Flugzeuge ablösen. In den Denkschriften, die Junkers während des Krieges eingereicht hatte, wurden die Gründe für die Wahl von Eisen und Aluminium stets prominent plaziert. Naheliegende Überlegungen, wie etwa jene, daß die Ico nicht für den Holzbau eingerich­ tet war, oder daß der Metallbau aus der Zusammenarbeit mit Reißner überkommen war,54 fehlten ebenso wie später der Hinweis auf die Vorrei­ terposition von Dornier. Vielmehr wurden durchaus adressatenbezogene Argumente angeführt. 1915 begründete Junkers den Metallbau ausschließ­ lich mit den statischen Problemen, die der „dicke" Flügel aufwarf, wobei er zunächst annahm, daß die Verwendung von Eisen nur bei größeren Flug­ zeugen unbedingte Vorteile biete.55 Seit 1916 wurde die Begründung des Metallbaus jedoch auf die Erfordernisse der Luftrüstung hin ausgelegt: Das Junkerssche Flugzeug lasse eine Massenfabrikation mit überwiegend un­ gelernten Arbeitern zu, außerdem sei es witterungsbeständig. Das Argu­ ment der statischen Durchbildung wurde aus dem Zusammenhang mit der Aerodynamik des „dicken Flügels" gelöst und lediglich noch als Vorteil bei Schußverletzungen erwähnt,56 während die günstigen Ergebnisse beim Be­ schuß mit Brandmunition zur „Unverbrennlichkeit" umgedeutet wurden, die in der Liste der Vorzüge des Junkersschen Flugzeugs nach und nach ganz nach oben rückte.57 Schließlich wurden im Zuge der Perfektionierung der Duraiminverwendung noch die Argumente des geringeren Gewichts und der gleichmäßigen Festigkeitswerte gegenüber Holz eingeführt.58 Das Problem dieser Argumentation lag nicht darin, daß sie die Vorzü­ ge der Bauart Junkers unrichtig widergab. Lediglich der Versuch, sie als zwingendes Produkt der Entwicklung des Flugzeugbaus zu vertreten, war

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Ein indirekter Hinweis auf den Metallbau bei Reißner findet sich in: Junkers an Provi­ sorische Luftschiffahrtabt. d. preuß. Kriegsministeriums, 18.5.15, DMM/ASD JA 0201/2/7, Bl. 2. Junkers an die Luftfahrtabt. des Kriegsministeriums, betr. Antrag auf Bestellung eines Flugzeuges, 30.6.15, DMM/ASD JA 0202/2/19; Bisheriger Stand der Arbeiten der Ab­ teilung Flugzeugbau, 27.7.15, DMM/ASD JA 0201/1/21. Junkers an Kriegsministerium, betr. Junkers'sche Flugzeuge, 30.8.16, DMM/ASD JA 0201/4/31. Schmidt an Ico, 25.1.17, DMM/ASD JA 0201/6/6; Die Bedeutung des Junkersschen Flugzeugs, 30.7.16, DMM/ASD JA 0201/10/4. Die Entwicklung der Metallflugzeuge, Bauart-Junkers, durch Prof. Junkers, Aachen und die Firma Junkers & Co in Dessau, 18.10.18, DMM/ASD JA 0201/10/28.

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zweifelhaft. Bei Kriegsende wurde Junkers zugetragen, daß die Flugzeug­ meisterei die Brennbarkeit der Flugzeugzelle als irrelevant für die Auswahl eines Typs ansah,59 und die Einkäufer der Postbehörde der Vereinigten Staaten, die die von Larsen importierten Flugzeuge gerade wegen der 'Unverbrennlichkeit' angeschafft hatten, mußten feststellen, daß sich diese Eigenschaft nur auf das Duraimin, nicht aber auf den Treibstoff erstreckte.60 Ähnlich verhielt es sich mit den anderen Vorteilen des Metallbaus: Das Metallflugzeug von Junkers hatte zwar unabweisbare Vorzüge, es mar­ kierte jedoch nur eine Möglichkeit, die technisch keineswegs ohne Alterna­ tiven war. Die Zwangsläufigkeit, die Mader der weiteren Entwicklung des Flugzeugbaus unterlegte, war somit konstruiert. In seiner quasi histori­ schen Betrachtung wurde eine Ideologie des Junkersschen Weges entfaltet, mit der die kontingente Entwicklung seit 1910 zu einer Kausalität umge­ deutet wurde, die wiederum zur Vorhersage des technischen Fortschritts herangezogen werden und die hegemoniale Stellung Junkers' im Flugzeug­ bau begründen sollte.61 Durch die Fixierung auf das technisch vollkommene Produkt orien­ tierte sich die Flugzeugentwicklung bei Junkers folglich nicht an vermute­ ten oder existierenden Nachfragesegmenten, sondern wurde am technisch Machbaren ausgerichtet, dessen Gestalt aus der Verlängerung der Vergan­ genheit in die Zukunft gewonnen wurde. Im April 1920 legte Mader erst­ mals eine Übersicht vor, in der die weitere Entwicklung des Flugzeugbaus nach der Zahl und der Stärke der Motoren gegliedert war, die in ein Flug­ zeug eingebaut werden könnten.62 In diesem Einteilungsmodus, der bis zum Ende der zwanziger Jahre bestimmend für das Engagement Junkers im Flugzeugbau blieb, spiegelte sich die Ideologie des Junkersschen Weges. Die Entfaltung des Flugzeugbaus in seiner ganzen Breite sollte erfaßt wer­ den, und zwar entlang technisch definierter Entwicklungsfelder, denen erst im nachhinein bestimmte Einsatzzwecke zugeordnet wurden.63 Diese Strategie führte freilich zu einem überaus großen Entwicklungs­ aufwand. Bereits während des Krieges stand den drei Flugzeugtypen, die die IdFlieg in Auftrag gab, eine Palette von insgesamt zwölf Versuchstypen gegenüber, beispielsweise ein komplettes Programm für Seeflugzeuge, die allesamt nicht produziert wurden.64 Unmittelbar nach dem Waffenstillstand

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Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 9.7.18, DMM/ASD JA 0201/8/49. Zum Eindruck der Metallbauweise Junkers' und der Rolle von John Larsen im „Ganzmetallfieber", das die Luftfahrtingenieure und -institutionen der Vereinigten Staaten in den zwanziger Jahren ergriff: Schatzberg, S. 37f. u. S. 41. Hauptbüro (Plauth), betr. Einflüsse auf das technische Programm des Flugzugbaues, 21.12.26, S. 1, DMM/ASD JA 0302/7/36. Betr.: Material für Dr. Junge, 20.4.20, DMM/ASD JA 0302/7/3. Als Beispiel einer später vorgenommenen Einteilung der Flugzeugentwicklung dieser Art s. Zindel (IFA) an Hauptbüro, 7.6.29, DMM/ASD JA 0302/8/13. Wagner, Junkers, S. 123ff.

begannen die Arbeiten an diversen Flugbooten, Kleinflugzeugen und schließlich jenem viermotorigen Großflugzeug JG 1, das infolge der Ver­ schärfung der Luftfahrtartikel des Versailler Vertrages verschrottet werden mußte.65 Zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und 1929 entwickelte die IFA außer der F13 noch 36 weitere Typen von Flugzeugen, von denen lediglich sieben in mehr als 25 Einheiten produziert wurden, und von die­ sen wiederum nur zwei (F13 und A20) in mehr als 100 Einheiten.66 Freilich schlugen sich die kostentreibenen Effekte dieser Entwicklungsstrategie erst in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre nieder. Bis zum Währungsschnitt produzierte die IFA hauptsächlich die F13.67 Sie konnte aus dieser Perspek­ tive abermals von der strikten Handhabung der Begriffsbestimmungen pro­ fitieren, da eine ganze Palette von Flugzeugtypen von der Herstellung in Deutschland ausgenommen war. Dringender war schon am Beginn der zwanziger Jahre eine Lösung der Frage, wie jene ohne Rücksicht auf eine spezifische Nachfrage entwickelten und erzeugten Flugzeuge auch verkauft werden könnten. Hugo Junkers zeigte sich stets von den „großen Vorzüge(n) des Flugzeugs gegenüber an­ dern Verkehrsmitteln" überzeugt.68 Seine Ziele basierten, hieß es 1926, auf der „Erkenntnis, dass dem Flugzeug als Verkehrsmittel wichtige wirt­ schaftliche und kulturelle Aufgaben in der Welt vorbehalten sind".69 Der Unternehmensstrategie Junkers' lag die Annahme zugrunde, daß für das Flugzeug Marktbedingungen geschaffen werden könnten, die dem des Automobils durchaus ähnlich seien. Mit seiner „Ganzmetall-Limousine" so der Name, unter dem die F13 annonciert wurde - wollte Junkers aus dem Segment des „Luxusverkehrs" ausbrechen und in das Wechselspiel von Kostenreduzierung und Markterweiterung eintreten, dem Henry Ford seinen sagenhaften industriellen Erfolg verdankte. Dieses Kalkül war of­ fenbar auch die Ursache für die Zurückhaltung bei der Überleitung der Er­ kenntnisse über Aerodynamik und Statik in den Automobilbau. Während die Firma Rumpler und vor allem Paul Jaray vom Luftschiffbau Zeppelin mit nicht geringem technischen Erfolg „Tropfenautos" bauten und Reprä­ sentanten der Luftfahrtforschung im Automobilbau die Konversionsreserve schlechthin erblickten,70 entwickelte Junkers gerade auf diesem Feld kein Engagement. Der Versuch, das Flugzeug als Massenverkehrsmittel zu etablieren, war demnach die Grundlage für die ehrgeizigen Produktions- und Ent-

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Ebd., S. 159ff. Ringwald (IFA), betr. Typenfrage, 22.1.29, DMM/ASD JA 0302/8/10. Flugzeugproduktion, Stand vom Februar 1928, DMM/ASD JA 0301/22/7. Besprechung bei der IFA am 22.8.19, betr. Flugzeugfabrikation, DMM/ASD JA 0301/2/14. Hauptbüro (Plauth), betr. Einflüsse auf das technische Programm des Flugzugbaues, 21.12.26, S. 1, DMM/ASD JA 0302/7/36. Klemperer, passim; Eisenlohr, passim; Frey, passim; Everling, S. 492.

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wicklungsziele, die 1919 beschlosssen wurden. Aus der monopolartigen Stellung der Jahre nach dem Waffenstillstand heraus sollte ein möglichst großer Teil des entstehenden Luftverkehrsmarktes an das Universalver­ kehrsflugzeug gebunden werden, um ihn anschließend entlang der techni­ schen Differenzierung der Junkersschen Flugzeuge zu ordnen.71 Bereits 1919 bestand jedoch Übereinstimmung darüber, daß ein dauerhafter Absatz und die Überwindung der „Hemmungen", die in „mangelnder Erkenntnis der wirtschaftlichen Zukunftsbedeutung des Flugzeugs" wurzelten,72 an massive Werbung gebunden seien.73 Das starre Festhalten am selbstgesetz­ ten Ideal technischer Vollkommenheit erzeugte somit einen Bedarf an Pro­ paganda. Eben weil Junkers sich die Wahlfreiheit im Fortschritt erhalten wollte, war er darauf angewiesen, daß die Nachfrage für die Produkte der IFA erzeugt wurde. Die Werbung des Junkers-Konzerns galt in erster Linie der spezifi­ schen Idee des technischen Fortschritts, die vom Konzern vertreten wurde: „Während bei der üblichen industriellen Propaganda vorzugsweise die Er­ zeugnisse selbst Gegenstand der Propaganda sind, so steht zum Unter­ schied davon bei der Forschungspropaganda der Junkers-Werke der Grundgedanke der Junkers-Forschungsmethoden überhaupt im Vorder­ grund", hieß es später.74 Diese Strategie hatte eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Industrie. Von dem Zeitpunkt an, als die F13 auf dem Markt erschien, wurde der deutsche Flugzeugbau nicht nur in der Außen­ wahrnehmung zusehens mit Junkers identifiziert, sondern die Dessauer Propaganda sorgte darüber hinaus dafür, daß seine Vorstellungen über den technischen Fortschritt im Flugzeugbau eine hegemoniale Stellung in der deutschen Flugzeugindustrie insgesamt erlangten. In ähnlicher Weise orientierte sich auch die Produktwerbung der IFA weniger an einzelnen Typen, sondern zielte auf die Popularisierung der Luftfahrt schlechthin ab. Junkers warb durchaus konventionell mit Pro­ spekten und Anzeigen und richtete zahllose Denkschriften an Regierungs­ und sonstige Stellen. Den größten Stellenwert in der Werbung des JunkersKonzerns nahm jedoch die Luftverkehrsorganisation ein. Die AEG hatte 1917 den ersten systematischen Versuch unternommen, dem Bedürfnis ei­ nes Transports von Personen und Gütern mit Flugzeugen Rechnung zu tra­ gen und ein organisatorisches Muster vorgegeben. 75 Ihre „Deutsche Luft­ reederei" hatte zum Ziel, ein Feld für den Absatz von AEG-Flugzeugen ab-

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Niederschrift der Verwaltungssitzung vom 8.10.20, DMM/ASD JA 0301/4/21. Hauptbüro (Plauth), betr. Einflüsse auf das technische Programm des Flugzugbaues, 21.12.26, S. 1, DMM/ASD JA 0302/7/36. Niederschrift der Verwaltungskonferenz vom 12.7.19, DMM/ASD JA 0301/2/5. Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 60, DMM/ASD JA 0307. Appel, S. 104ff. Einen „Luftverkehr zu organisieren" war freilich schon 1912 ein Punkt in einer Denkschrift des Luftfahrerverbandes gewesen (Eberhardt, S. 20).

zustecken. Diesem Vorbild folgte nach dem Waffenstillstand eine Reihe weiterer Unternehmen. Der Rumpler-Luftverkehr, der SablatnigLuftverkehr, die Abteilung Luftverkehr der Hannoveraner Waggonfabrik waren Beispiele für diesen verbreiteten Versuch, sich mit den Kostenvor­ teilen aus der Serienproduktion von Kriegsflugzeugen einen Anteil am Verkehrsmarkt zu sichern. Zumeist erwarben die Industriefirmen eine Streckenlizenz, die mit umgebauten Mehrsitzern beflogen wurde.76 Ähnlich gingen Kriegsflieger und Militäreinheiten vor, die zunächst trotz der Aus­ lieferungsbestimmungen Flugzeuge behalten hatten. Die Organisation des Lloyd-Luftdienstes, neben der Deutschen Luftreederei die zweite wichtige Ursprungsgesellschaft, folgte dagegen einem anderen Muster. Diese Gesell­ schaft entstand als Ableger des Norddeutschen Lloyds, welcher angesichts der erwarteten Beschränkungen in der Handelsschiffahrt nach dem Krieg auf den Luftverkehr auswich. Verschiedene Flugzeugfirmen und Luftver­ kehrsunternehmen gingen bis 1920 eine Verbindung zum Lloyd Luftdienst ein.77 Nachdem Junkers 1919 kurzzeitig das Projekt einer Transozeanüber­ querung verfolgt hatte,78 bemühte er sich seit 1920 um Luftverkehrslizen­ zen, damals bereits mit dem Ziel, eine ausschließlich mit F13 zu betreiben­ de Gesellschaft als größten Anbieter von Luftverkehrsleistungen auf dem europäischen Markt zu schaffen. Das Rahmenkonzept für diese Organisati­ on, die schließlich, 1924, in die Gründung der Junkers Luftverkehrs AG (ILAG) münden sollte, entwarf freilich nicht Hugo Junkers, sondern Gott­ hard Sachsenberg. Sachsenberg, Miterbe einer in Roßlau bei Dessau altein­ gesessen Elbewerft, war 1913 in die kaiserliche Marine eingetreten, stieg während des Krieges in den deutschen Seefliegerkräften auf, übernahm 1917 die Führung des Marinejagdgeschwaders Flandern und erhielt im gleichen Jahr den pour le märite.79 Im Februar 1919 schloß Sachsenberg sich mit einem Geschwader aus 70 Flugzeugen und 450 Mann den Freikorps an, die ins Baltikum zogen.80 Anschließend wählte er einen typischen Weg, um den Zusammenhalt des „Kampfgeschwaders Sachsenberg" zu sichern. Er gründete 1920 mit seinem Erbteil die Ostdeutschen Landwerkstätten (OLA), eines von vielen Siedlungswerken, die vornehmlich dazu dienten, eine verdeckte Organisationsbasis für die aufgelösten Freikorps zu schaf­ fen,81 in diesem Fall jedoch, angelehnt an den ostpreußischen Flugplatz Seerappen, auch die Perspektive für eine Betätigung im Luftverkehr boten.

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Kieselbach, S. 29-30; Max Maaß, S. 9-13; Wronsky, S. 269-271. Appel, S. llOff.; Kieselbach, S. 31; Max Maaß, S. 13f. Besprechung am 12.5.19, betr. Fernflug, DMM/ASD JA 0401/13/7. Zur Militärkarriere Sachsenbergs s. Möller, Bd. 2, S. 234f.; Sachsenberg, Aufgaben, pas­ sim; Osterkamp, Episoden, passim. Angelroth, passim. Zu den Baltikum-Freikorps: Schulze, passim; Wohlfeil, S. 77-83. 83

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Junkers hatte Sachsenberg im Herbst 1917 kennengelernt, als die „Fliegerasse'7 bereits eine gewichtige Stimme bei der Auswahl der deut­ schen Jagdflugzeuge besaßen.82 Gotthard Sachsenbergs Bruder Hans, eben­ falls Fliegeroffizier, war schon früher von der Berliner Vertretung Junkers' engagiert worden, so daß sich das Brüdergespann recht bald als eine wich­ tige Stütze für die Verhandlungen über Rüstungslieferungen erwies. Nicht zuletzt auf den „warmen Einsatz" Gotthard Sachsenbergs war zurückzu­ führen, daß die IFA „noch in letzter Stunde" einen „Gesundungs- und Ent­ schädigungs-Auftrag" über 100 jener Jagdeinsitzer und Infanterieflugzeuge erhielt,83 die Junkers als seinen eigentlichen Beitrag zum Kriegsflugzeugbau ansah.84 Während Hans Sachsenberg im Dezember 1918 auf einen Vor­ standsposten bei der IFA gelangte, forderte Gotthard Sachsenberg aus­ drücklich diese Flugzeuge, die die IFA noch bis zum April 1919 produzier­ te, als Ausrüstung für sein Kampfgeschwader an.85 Die 30 im Baltikum eingesetzten Jagd- und Infanterieflugzeuge verhalfen somit nicht nur Jun­ kers zu einer Überbrückung der Absatzflaute nach dem Waffenstillstand, sondern auch den Piloten des Kampfgeschwaders Sachsenberg zu einer wertvollen Qualifikation. Während des Krieges war es stets schwierig ge­ wesen, geeignete Flugzeugführer für die Erprobung der diversen Versuchs­ typen der IFA zu finden. Ende 1919 gab es dagegen auf dem Flugplatz Seerappen eine Gruppe von Freikorpspiloten, die reiche Erfahrungen mit den technischen Vorläufern der F13 gesammelt hatten — eine geradezu un­ ausweichliche Gelegenheit für die Errichtung einer Luftverkehrsgesell­ schaft. Im April 1920 übersandte Gotthard Sachsenberg Junkers ungefragt ein Exposö zur Errichtung eines Luftverkehrs zwischen Berlin und den balti­ schen Hauptstädten, der mit den Piloten des Kampfgeschwaders betrieben werden sollte. Eine Lizenz der Reichspost für die geplante Linie hatte Sach­ senberg bereits erworben.86 Die auf der Grundlage dieses Vorschlags im November 1920 unter Beteiligung des Lloyd-Luftdienstes gegründete Ge­ sellschaft (Lloyd Ostflug) blieb freilich eine Episode. Die IFA zeigte sich angesichts der laufenden Exportproduktion und den beginnenden Schwie­ rigkeiten mit der ILÜK nicht in der Lage, im geforderten Umfang zu lie-

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Mader an Junkers, 12.12.17, DMM/ASD JA 0201/5/37. Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 6.7.18, DMM/ASD JA 0201/8/49; IdFlieg an Jco, betr. Lieferung von Flugzeugen, 21.8.18, DMM/ASD JA 0201/9/25. Zu den Verhandlungen zwischen Junkers und G. Sachsenberg im Sommer 1918 s. auch Aktennotiz Seitz, 29.6.18, DMM/ASD JA 0201/8/48 sowie Junkers an H. Sachsenberg, 3.8.18, DMM/ ASD JA 0201/8/11. Junkers an Mettegang, 18.10.17, DMM/ASD JA 0201/5/26. G. Sachsenberg an Junkers, 8.9.19, DMM/ASD JA 0301/2/21. Expose betr. Errichtung eines Luftverkehrsuntemehmens auf der Strecke BerlinKönigsberg einerseits und Königsberg - Kowno - Riga - Reval andererseits, o.D., LA Oranienbaum, Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 155, fol. 126-129; Tagebucheintrag Jun­ kers’, „Plan Sachsenberg" v. 27.4.20, NB 67, DMM/ASD N 21/5.

fern, so daß die Gesellschaft Flugzeuge von Albatros kaufen mußte. Dieser Schritt wiederum ließ Junkers von dem Geschäft Abstand nehmen,87 zumal sich offenbarte, daß die alliierten Kontrollmaßnahmen eine Befliegung der geplanten Linie verhindern würden.88 Mit dem Rückzug Junkers' aus der Lloyd-Gesellschaft (formell wurde sie 1922 aufgelöst) endete aber nicht sei­ ne Geschäftsverbindung mit Sachsenberg. Vielmehr trat dieser im April 1921 in den Junkers-Konzern ein89 und baute fortan das Luftverkehrsunter­ nehmen der IFA auf. Die „Abteilung Luftverkehr" der IFA90 entsprach äußerlich einer pro­ fessionalisierten Variante der unmittelbar nach dem Waffenstillstand ent­ standenen Verkehrstöchter von Flugzeugbauunternehmen. Anders als jene baute sie jedoch durch diverse Partnerschaften ein eigenes Luftverkehrs­ netz auf. Ausgehend von dem Dogma, sich nur in solchen Linien zu enga­ gieren, die bereit waren, ausschließlich mit Junkers-Flugzeugen zu fliegen, ging die Abteilung Luftverkehr bis 1923 Verbindungen mit einer Reihe von Partnern ein, vor allem mit Kommunen, die sich von den Anbindung an ein deutsches Regionalflugnetz positive Effekte für die Wirtschaftsentwicklung versprachen, aber auch mit in- und ausländischen Luftverkehrsgesell ­ schaften.91 Die Beteiligungen an neuen und bestehenden Gesellschaften wurden über die Einbringung der benötigten Flugzeuge realisiert. Dahinter verbarg sich vor allem die Strategie, trotz der Inflation einen Absatz im In­ land zu sichern. Junkers war einerseits nicht gezwungen, Flugzeuge gegen wertlose Papiermark zu verkaufen, andererseits umschiffte er die Absatz­ probleme, die sich durch den gravierenden Kapital- und Valutamangel in Deutschland ergaben.92 Von den zwischen 1919 und 1921 produzierten 93 F13 wurden 24 in Fluggesellschaften eingebracht oder mit einer Beteiligung verrechnet, weitere 35 zwischen Mitte 1922 und Ende 1924.93 Junkers ver­ traute darauf, daß die auf dem Höhepunkt der Inflation eingegangenen Beteiligungen nach dem erwarteten Kollaps der deutschen Währung einen reellen Gegenwert für die eingebrachten Flugzeuge darstellen würden.94 Jedenfalls führte das Engagement Gotthard Sachsenbergs dazu, daß die GeI

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Max Maaß, S. 14; Tagebucheintrag Junkers' 19.4.22, NB 88, S. 5481, DMM/ASD N 21/3. Irving, Tragödie, S. 31-33; vgl. Bongers, S. 22f. Tagebucheintrag Junkers' vom 15.4. und 21.4.21, NB 76, S. 4403 bzw. 4451, DMM/ASD N21/5. Zur Gründung der Abteilung Luftverkehr s. Aktennotiz über Besprechung am 21.12.32, betr. Ola, DMM/ASD JA 1768. Zur regionalen und kommunalen Luftverkehrspolitik bis 1926: Appel, S. 174ff. Niederschrift über Verwaltungs-Konferenz am 20.9.22, S. 9, DMM/ASD JA 0301/7/37. Abnahmeliste der F13, o.D. [Nov. 1924], DMM/ASD JA 0303/1/1; Aufstellung über die F13 der Trans-Europa-Union, Nord-Europa-Union, Hauptleitung Ost sowie NachtflugBetriebsleitung, o.D. [Mitte 1924], DMM/ASD JA 0503/8. Max Maaß, S. 28-30; Kieselbach, S. 35f. Für eine Liste der Beteiligungen: Radandt, S. 89-91.

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Seilschaften, die aus dem ersten Konzentrationsprozeß im deutschen Luft­ verkehr hervorgingen, seit 1921 einen starken Mitbewerber erhielten.95 I

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b. Binnenstruktur, Patentpolitik und Außenbeziehungen des Junkers-Konzerns Als Junkers 1928 um einen Kredit der Privatbank Gebrüder Arnhold nachsuchte, wurde als wesentlicher Einwand gegen dessen Hergabe ange­ führt, daß der Konzern mit zwei Einzelfirmen (Ico und Kaloriferwerk), ei­ ner Aktiengesellschaft (IFA) und einer GmbH (Jumo) sehr uneinheitlich aufgebaut sei und vor allem zwei „nach finanztechnischen Gesichtspunkten nicht erfaßbare Gebilde" enthalte, die Forschungsanstalt und das Hauptbü­ ro, welche die größten Empfänger von Transferleistungen innerhalb des Konzerns darstellten.96 Diese Beobachtung erfaßte das wesentliche Merk­ mal der Binnenstruktur der Junkers-Werke in den zwanziger Jahren: Nach konventionellen Maßstäben bildete der Konzern ein Konglomerat von nur schwach koordinierten Organismen, zu denen auch die eigentlich zur Ko­ ordination eingesetzte Stelle zählte. Nach den Prämissen der eigenwirtschaftlichen Forschung hatte die undurchsichtige Organisation des Konzerns freilich Methode. Als Unter­ nehmen definiert waren lediglich jene Teile, die sich tatsächlich auf dem Markt betätigen mußten, wobei deren Struktur funktional durchaus ange­ messen differenziert war. Die IFA besaß sowohl auf der kaufmännischen als auch auf der betrieblich-technischen Seite alle Abteilungen, die für eine autonome Führung des Werkes notwendig waren. Ende Januar 1924 be­ schäftigte sie 164 kaufmännische und 175 technische Angestellte, während die Arbeiterbelegschaft 915 Köpfe zählte.97 Die funktionale Differenzierung hatte freilich nur das Ziel, die „Eigenmassenfabrikation" möglichst effizient für ihren eigentlichen Zweck, die Refinanzierung der Forschung, einzu­ spannen.98 Den Kem des Junkers-Konzerns stellten hingegen jene Gebilde dar, die nach konventionellen betriebswirtschaftlichen Vorstellungen nicht greifbar waren, die Forschungsanstalt und das Hauptbüro. Das Hauptbüro übernahm nur in Ansätzen die ansonsten vakante Stellung einer Verwaltungszentrale des Junkers-Konzerns. Es war aus dem

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Appel, S. 118ff.; Heimann, S. 78f. Niederschrift über die Besprechung am 24.11.28 bei der Ifa, betr. Kreditverhandlungen/Finanzen Jumo und Forschungsanstalt, DMM/ASD JA 0301/22/51. Technischer Monatsbericht IFA für Januar 1924, DMM/ASD JA 0301/9/2; zur Gliede­ rung der Verwaltung ebd. Tagebucheintrag Junkers' vom 28.6.22: „Zn. (Emst Zindel Chefkonstrukteur der IFA) teilt mir mit, daß Herr Müller (Geschäftsführer der IFA) sich beklagte, daß er die Ko­ sten der Forschungsanstalt, Zentrale und der Berliner Büros zu zahlen hat, während Iko sich zurückhält. Nach Müllers Ansicht sollten Iko und IFA sich die Kosten teilen. Das ist ein Irrtum. 1.) Iko trägt die Kosten seiner Forschungsanstalt selbst. 2.) Ifa be­ zahlt nicht die Fo, sondern, was Ifa verdient, ist der Fo zu danken." (NB 90, S. 6083, DMM/ASD N 21/3).

Privatsekretariat Junkers' hervorgegangen und füllte hauptsächlich diese Funktion aus: nicht nur die umfangreiche Korrespondenz des Konzern­ gründers zu bewältigen, sondern auch dessen Notizen aufzubereiten und zu ordnen. Im Glauben, die Inspiration für die Forschung könne sich in den unscheinbarsten Nebensächlichkeiten verbergen, legte Junkers buchstäblich jede Information, derer er habhaft werden konnte, schriftlich nieder. Er füllte nicht nur mehrere hundert Tagebücher, sondern produzierte zusätz­ lich noch tausende von Blättern mit stenographischen Notizen zu Einzel­ fragen, die im Hauptbüro säuberlich transkribiert, vervielfältigt und nach einem - fünfstellig durchnumerierten - Sachgruppenschlüssel geordnet wurden. Zugleich wurden die von Junkers aufgeworfenen Fragen laufend aufbereitet. Unterstützt durch eine Bibliothek, eine Literaturstelle und ei­ nen technischen Nachrichtendienst, produzierten das technische und das Privatsekretariat im Hauptbüro sowie die sonstigen leitenden Angestellten des Konzerns laufend Denkschriften und Aktennotizen zu bisweilen entle­ genen Sachfragen, die den betroffenen Stellen zur Stellungnahme zugeleitet und auf den regelmäßig stattfindenen Verwaltungskonferenzen des Kon­ zerns im größeren Kreis diskutiert wurden. Über die Jahre hinweg wurden darüber hinaus eigene Unterabteilungen im Hauptbüro geschaffen, die spezielle Vorhaben betreuten. So gab es zeitweise eine Stelle zur Bearbei­ tung technischer Fragen „in Verbindung mit Amerika" und eine weitere zur Behandlung des von Junkers seit 1929 betriebenen Aluminiumhaus­ baus.99 Das Hauptbüro bildete in dieser Hinsicht zwar eine Art Denkfabrik,100 vor allem aber einen Apparat zur Texterstellung und Textexegese. Ange­ sichts des ausdrücklich vorgegebenen Zwecks der Unternehmungen, an­ dauernd in Neuland vorzustoßen, war eine intensive Beobachtung der Umwelt zwar begründet. Da aber die Wahrnehmungen Junkers' den ent­ scheidenden Ansatz für alle Aktivitäten bildeten und dessen Weitsicht nicht hinterfragt werden konnte, bestand die Arbeit des Hauptbüros letzt­ lich in der Selbstbeobachtung des Konzerns. Trotz der bemerkenswerten Ergebnisse der Junkersschen Forschungsanstrengungen - in der Textpro­ duktion des Hauptbüros zeigte sich am deutlichsten, daß die Entwicklung des Junkers-Konzern einer Ideologie folgte, die auf der konsequenten Um­ prägung von Begriffen wie „Forschung" oder „Wirtschaftlichkeit" basierte. Das Hauptbüro sorgte in erster Linie für eine affirmative Rückkopplung der alltäglichen Arbeit im Konzern zu der von Junkers entwickelten For­ schungsideologie. Die Stellung der Mitarbeiter im Hauptbüro, der Forschungsanstalt und den Werken wurde durch die Forderung nach einer möglichst freien Ent-

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S. die Personallisten des Hauptbüros für die Zeit zwischen 1926 und 1933 in DMM/ ASD JA 1305. 100 Ittner, S. 48. 87 i

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faltung der schöpferischen Kräfte der Mitarbeiter bewußt offen gehalten: „Das, was die Herren in meinem Betrieb leisten, läßt sich weder qualitativ noch quantitativ durch Geld abfinden. Solche Herren und Leistungen, die durch Geld entlohnt werden können, genügen mir nicht."101 Die leitenden Angestellten besaßen weder einen festen Arbeitsvertrag,102 noch war ihr Arbeitsfeld definiert. Etliche waren gleichzeitig in Projekte der Jumo, der IFA, der Ico, der Forschungsanstalt und des Hauptbüros eingebunden. Eine gewisse sozialdarwinistische Grundhaltung103 im Verein mit einem antibü­ rokratischen Reflex führte darüber hinaus dazu, daß Junkers mehrere Mit­ arbeiter unabhängig voneinander auf ein Vorhaben ansetzte. Die Vermei­ dung von ausschließenden Zuständigkeiten war einer der Vorteile der Forschungsorganisation bei Junkers. Die beste Organisation sei eine, die „aus der Persönlichkeit möglichst viel herausholt", klärte er den Direktor des Zeppelin-Konzerns, Rasch, 1920 auf104 und reagierte daher mit blankem Unverständnis, als Dornier die Verschmelzung des Flugzeugbaus von Zep­ pelin mit Junkers mit der Begründung ablehnte, seine Position als selbstän­ dig arbeitender Konstrukteur erhalten zu wollen.105 Gleichwohl produzierte dieses Prinzip, das bei der Mobilisierung der technischen Intelligenz weni­ ger Mitarbeiter erfolgversprechend sein konnte, bei der Führung eines gro­ ßen Unternehmens lähmende Reibungsverluste. Wenngleich Junkers die „ethischen Qualitäten" seiner Angestellten als wichtiger erachtete als die fachlichen,106 galten die führenden Repräsentanten in den zwanziger Jahren als notorisch zerstritten. Die Bildung von Cliquen war das hervorstechende Organisationsprinzip des Konzerns.107 Die Forschung eignete sich zwar als Basisordnung für die wissenschaftliche Arbeit und erleichterte die Pro­ blemauswahl, bot aber keinen Ersatz für eine Organisation, die zweierlei ermöglicht hätte, eine Delegation von definierten Funktionen und eine Ein­ grenzung der unternehmerischen Tätigkeit. Obwohl der Junkers-Konzern zeitweise mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigte, bildete sich keine ent­ sprechend differenzierte Leitungsstruktur heraus. 101 102

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Tagebucheintrag Junkers* 5.12.24, NB 117, S. 9391, DMM/ASD N 21/7. Aussage Prof. Junkers im Kaumann-Termin, 22.4.33, DMM/ASD JA 1768; Sachsenberg an Schlieben (Finanzausschuß der IFA), 13.1.26, DMM/ASD JA 0301/12/9. 1930 waren 53 Angestellte des Konzerns ohne Vertrag: Angestellte ohne Anstellungsvertrag, 13.11.30, DMM/ASD JA 1305, vgl. Leitendes Personal der Junkers-Werke (1891-1933), Januar 1934, DMM/ASD LRD LR 02462. Seitz (Büro Berlin), Notizen aus der Besprechung Junkers-Rasch (mit Änderungen von der Hand Junkers*), 16.11.20, DMM/ASD JA 0501/2/13; Blunck, S. 245 u. 270/271; Groehler/Erfurth, S. 23; Hauptmann Hermann, 26f. Seitz (Büro Berlin), Notizen aus der Besprechung Junkers-Rasch (mit Änderungen von der Hand Junkers*), 16.11.20, DMM/ASD JA 0501/2/13. Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 25.9.20, DMM/ASD JA 0501/2/11. Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 60, DMM/ASD JA 0307. Beispielsweise die Beschreibung der Verhältnisse bei Junkers in: Levetzow an Don­ nersmarck, 20.11.27, BArch-MA N 239/81, fol. 361/362.

Abgesehen von Übergangsphasen stets der alleinige Besitzer der Wer­ ke, versuchte Junkers, deren Politik bis in Einzelheiten hinein selbst zu be­ stimmen. Während des Krieges hatte der Berliner Vertreter, Carl Seitz, zwar noch eine Generalvollmacht für die Verhandlungen mit der IdFlieg erhalten,108 in den zwanziger Jahren vermied Junkers jedoch eine formelle Delegation selbst nachrangiger Befugnisse. Er verschanzte sich zwar - ge­ rade auch in seinen Tagebüchern - hinter der Vorstellung der „organischen Verbindung" von Wirtschaft und Technik in einer Person,109 zeigte sich aber gerade bei der Entscheidung in wirtschaftlichen Einzelfragen oft über­ fordert. Da Junkers seine Unternehmen ohne Rücksicht auf ausbalancierte Strukturen leitete, ihm jedoch bisweilen die Kenntnisse fehlten, um seine wirtschaftliche Lage angemessen zu beurteilen, war er für Einflüsterungen und manipulierte Vorgaben besonders anfällig, selbst wenn die Sekretariate des Hauptbüros dafür sorgten, daß eine Ableitung aus Junkers' Lehre Vor­ aussetzung jedes ernsthaft zu debattierenden Vorhabens blieb. Während die Sekretariate für eine auf Hugo Junkers zugeschnittene Konzernführung sorgten und die Literaturstelle, die Bibliothek und die Nachrichtenstelle das Material für die „Denkfabrik" aufbereiteten, füllte das Hauptbüro noch zwei weitere Funktionen aus, die Werbung und die Patentpolitik. Je eine Abteilung beschäftigte sich mit Propaganda, Presse­ dienst und Reklame, letztere unter der Leitung eines Schwiegersohns von Junkers, Peter Drömmer, ein Maler und Architekt, der früh den Kontakt zum Bauhaus herstellte und 1927 das Firmensignet der IFA, den „fliegenden Menschen", entwarf.110 Den personell größten Bereich nahmen jedoch die beiden Stellen für Patentverwertung und Patentschutz ein. Die Verwertung der Forschungsergebnisse und die Eintreibung von Lizenzge­ bühren sorgten für einen wesentlichen Teil der Einkünfte des Hauptbüros, das sonst, wie auch die Forschungsanstalt, von den Werken finanziert wer­ den mußte. Die Patentierung sei eine „rein kaufmännischen Zwecken die­ nende Angelegenheit", die die „Hereinholung angemessener Gegenleistung für den in den Forschungsprodukten investierten Aufwand" sichere.111 Die mit insgesamt 20 Angestellten ohnehin großzügig ausgestatteten Patent­ stellen im Hauptbüro112 waren daher befugt, im Falle einer anstehenden Streitigkeit alle im Konzern betroffenen Stellen vorrangig zur Mitarbeit zu 108 109

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Generalvollmacht, 10.6.18, DMM/ASD JA 0201/8/8. Tagebucheintrag Junkers' vom 15.7.20, NB 70, S. 3621, DMM/ASD N 21/5: „Zur Tren­ nung der technischen von der kaufmännischen (wirtschaftlichen) Seite meiner Tätig­ keit. Vergleiche mit Organismus: Das Ganze muß einheitlich sein, man kann nicht den Kopf abnehmen und seine Funktion einem anderen Kopf übertragen". S. die Personallisten des Hauptbüros für die Zeit zwischen 1926 und 1933 in DMM/ASD JA 1305. Hauptbüro (Dethmann), Wirtschaftlichkeit. Grundsätzliches nach Angaben von Profes­ sor Junkers, 17.9.31, S. 27f„ DMM/ASD JA 0307. Personalstand des Hauptbüros der Junkers-Werke einschließlich Patentabteilung und Bibliothek am 15.10.29, DMM/ASD JA 1305. 89

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verpflichten. Die Anfechtung des Höhenmotorpatents von BMW, der er­ folgreiche Angriff auf ein Motorenprojekt der MAN im Jahr 1917 und vor allem die nachträgliche Lizenzabgeltung für das Gleitfliegerpatent belegen, daß Junkers in den Patentstellen ein scharfes Instrument zur Abwehr von Konkurrenten besaß.113 Seit dem Ende des Krieges stand die Flugzeugkonstruktion in Deutschland - und darüber hinaus - unter dem Vorbehalt einer Anfech­ tung durch das Junkerssche Hauptbüro. Am häufigsten eingesetzt wurde das Gleitfliegerpatent. Seit Ende 1922 bereitete Junkers einen Prozeß gegen Dornier und Albatros vor,114 um die bei Junkers vertretene Auffassung be­ stätigen zu lassen, daß das Gleitfliegerpatent „auch den freitragenden Flü­ gel unter Schutz stellt".115 Zwar führte diese Klage, die ausdrücklich das „Prestige Junkers" angesichts der Tatsache sichern sollte, daß „immer mehr verschiedene Firmen der Welt Flugzeuge mit freitragenden Flügeln" bauen, nicht zum angestrebten Erfolg.116 Das Patent eignete sich jedoch vorzüglich, um Konkurrenten einzuschüchtem, zumal dessen Gültigkeit in einem Ur­ teil des Reichsgerichts 1925 bestätigt wurde.117 Bedeutender für die Lizenzpolitik waren freilich die beiden wichtig­ sten Kriegspatente. Um der Lizenznahme zu entgehen, führte Rohrbach über mehrere Jahre hinweg eine aufwendige Nichtigkeitsklage gegen das Junkers-Patent über den direkt belasteten Flügel, die schließlich abgewie­ sen wurde.118 Erst durch einen Tausch, der für die Durchführung des Junkersschen Transozeanprojekts notwendig war, kam Rohrbach in den li­ zenzfreien Genuß dieses Patents.119 Eine zentrale Bedeutung für die Ent­ wicklung des Flugzeugbaus insgesamt hatte das sogenannte Tiefdeckerpa­ tent. Der Anspruch war so genau umrissen, daß sämtliche Firmen, die ein Flugzeug mit freitragenden Tragflächen in diesem aerodynamisch und sta­ tisch günstigsten Aufbau anboten, mit einer Anfechtung rechnen mußten. Angesichts seiner Verdienste um die Verteidigung des Vaterlandes wurde für Emst Udet 1922 noch eine entgegenkommende Regelung getroffen.120 Klemm hingegen mußte 1927, Messerschmitt 1929 in einen Lizenzvertrag

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Ittner, S. 93ff. Dornier an Junkers, 17.8.22, DMM/ASD JA 0501/2/30; Niederschrift betr. Patentver­ letzung Gleitflieger, 18.1.23, DMM/ASD JA 0501/2/34. Wagenseil (Abt. Patente) an Junkers u.a., betr. Verletzung Flugzeug-Patente, 26.6.22, DMM/ASD JA 0501/1/10; Niederschrift betr. Patentverletzung Gleitflieger, 18.1.23, DMM/ASD JA 0501/2/34. DMM/ASD JA 0501/5/13. Rohrbach an Junkers, 26.2.23, DMM/ASD JA 1787; Niederschrift betr. Rohrbach - unser D.R.P. 313 692, 28.1.24, ebd.; Theodor von Kannan, Gutachten in Sachen Nichtigkeits­ klage gegen D.R.P. 313 692, 26.5.26, ebd. Jansen (Hauptbüro), Aktenvermerk über Besprechung mit Prof. Hoff, 21.6.27, DMM/ASD JA 0501/6/53. Wagenseil (Patentabteilung) an Udet, 6.7.22, DMM/ASD JA 0501/1/11; Udet an Jun­ kers, 10.8.22, DMM/ASD JA 0501/1/12; Junkers an Udet, 30.8.22, ebd.

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einwilligen, der Junkers nicht nur Gebühren, sondern auch einen Einblick in die Absatzlage der Firma sicherte.121 In der Frage des Tiefdeckerpatents habe eine Streitgemeinschaft nahezu der gesamten deutschen Flugzeugin­ dustrie gegen Junkers bestanden, resümierte die Patentabteilung.122 Die Konsequenz, mit der Junkers gerade gegen Verletzungen dieses Patents vorging, war daher mehr als technische Schwierigkeiten dafür verantwort­ lich, daß der in den dreißiger Jahren weithin verbreitete Tiefdeckeraufbau in den zwanziger Jahren lediglich von Junkers und seinen Lizensenten verwendet wurde. Der technologische Spurt des deutschen Flugzeugbaus wurde von der Firma ausgebremst, die ihn hauptsächlich getrieben hatte. Man habe zwar nicht die Absicht, die Industrie zu blockieren, meinte der Leiter des Berliner Büros, Offermann, 1922, müsse aber zum Ausdruck bringen, „dass wir uns der Rechte der Junkers'schen Patente allerdings sehr wohl bewusst" sind.123 In der Patentpolitik spiegelten sich die Beziehungen des JunkersKonzerns zur Flugzeugindustrie in den zwanziger Jahren. Aus der starken Position heraus, die er 1920 einnahm, wehrte Junkers sowohl eine Einglie­ derung in Verbandstrukturen als auch Kooperationen mit anderen Unter­ nehmen ab. Zeitgleich mit der „Auskunft- und Verteilungsstelle für Flug­ wissenschaftliche Arbeiten" hatte die IdFlieg im Februar 1917 den „Kriegsverband der Flugzeugindustrie" gegründet, der wie jene die Zen­ tralisierung der Luftrüstung unterstützen sollte.124 Während Ico und IFA noch Mitglieder in diesem Kriegsverband waren, blieb Junkers bei der nach Kriegsende erfolgten Umgründung in den „Verband deutscher Flugzeug­ industrieller" außen vor. Anfang der zwanziger Jahre ergab sich damit die Situation, daß der mit Abstand bedeutendste deutsche Flugzeugindustrielle nicht Mitglied des Fachverbandes war, der somit eine Organisation der „ungefähr vollzählig vereinten Konkurrenz" darstellte.125 Erst auf Initiative der Abteilung Luftverkehr trat der Konzern in den 1923 unter Einschluß der Luftverkehrsgesellschaften reorganisierten Verband ein, nicht ohne sich eine Sperrminorität in dessen Hauptausschuß und weitere Zugeständnisse an die besondere Position Junkers7 zu sichern.126

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Seyfert (Hauptbüro) an Daimler-Benz AG, betr. Vereinbarungen über das DRP 310 619, 19.5.27, DMM/ASD JA 0501/5/7; Seyfert (Hauptbüro), Aktenvermerk betr. Bayerische Flugzeugwerke, Tiefdecker, 31.8.28, DMM/ASD JA 0501/1/23; IFA-Konstruktionsbüro, betr. Besuch bei der B.F.W., 20.3.29, DMM/ASD JA 0501/1/25. Wagenseil (Patentabteilung) an IFA, 13.12.30, DMM/ASD JA 0501/3/39. Offermann (Büro Berlin) an Mierzinsky (Hauptbüro), 23.10.22, DMM/ASD JA 0301/7/41. Bericht über die Gründungsversammlung des Kriegsverbandes der Flugzeugindustrie e.V. am 7.2.17, DMM/ASD JA 0201/6/12. Seitz (Büro Berlin), betr. Teilnahme an einer Sitzung im „Verband deutscher Flugzeugindustrieller" am 10.2.20, DMM/ASD JA 0502/5/9. Mühlig-Hofmann (Abt. Luftverkehr), betr. Beitritt zu dem neu zu gründenden Verein Reichsverband des deutschen Luftfahrtwesens, Anlage zu G. Sachsenberg an Hauptbü-

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Die Verdrängungsstrategie gegen die anderen Flugzeugfirmen hatte auch den Zweck, die Voraussetzungen für die Expansion des Konzerns zu schaffen. Um die Ausdifferenzierung der Typenfamilie im Flugzeugbau durchzuführen, sei, so schätzte Junkers 1920, eine Erweiterung der For­ schungsanstalt auf das Drei- bis Vierfache ihrer Größe nötig, was wiederum eine entsprechende Ausdehnung der Flugzeugproduktion erforderte. Als sich die Anfechtungsstrategie der Patentabteilungen entfaltete, ergingen daher zugleich Angebote zur Übernahme von Konstruktionsabteilungen und Werksanlagen der Konkurrenz. So entwickelten sich aus einem ur­ sprünglich zur Überprüfung des Großflugzeugs der Staakener Werft ange­ setzten Termin mit einem Direktor des Zeppelin-Konzerns Verhandlungen über die Eingliederung der Staakener Anlagen in den Junkers-Konzern. Nach deren Scheitern wurde — ebenfalls vergeblich — über mehrere Monate hinweg versucht, Rohrbach zum Eintritt bei Junkers zu bewegen.127 mit Zeppelin bis hin zu den Verhandlungen, die Junkers 1921/22 mit Hugo Stinnes und Georg von Stauss führte, um das Bauverbot finanziell zu über­ brücken, läßt sich eine gerade Linie ziehen. Alle Kooperationen scheiterten oder gingen mit einem ungünstigen Ergebnis für Junkers aus, da er nicht bereit war, Kompromisse über sein Forschungskonzept einzugehen.128 Deutlich wurde diese prinzipielle Reserve vor allem bei den Beziehungen zu Stinnes. Stinnes hatte seit 1916 versucht, einen Fuß in die Flugzeugferti­ gung zu bekommen. Zusammen mit dem Chef der Flugzeugmeisterei, Felix Wagenführ, entwarf er den Plan zum Aufbau eines großen FlugzeugAutomobilkonzems, der nach Kriegsende bei einer jeweils fünfzigprozenti­ gen Beteiligung des Reichs und der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks­ und Hüttengesellschaft (Deutsch-Lux) den Kem der deutschen Verkehrs­ mittelproduktion bilden sollte. Zugleich begann Stinnes eine Zusammenar­ beit mit dem Spekulanten Camillo Castiglioni, dessen Unternehmen den weit überwiegenden Teil der Ausstattung der österreichischen Fliegerkräfte produzierten, mit dem Ziel, deutsche und österreichische Unternehmen der Flugzeug- und Motorenbranche zusammenzuführen.129

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ro u.a., 24.10.23, DMM/ASD JA 0502/5/32; Abteilung Luftverkehr an Hauptbüro u.a., 2.11.23, DMM/ASD JA 0502/5/33. Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 26.6.20, 25.9.20, und 12.11.20, DMM/ASD JA 0501/2/11 sowie 0501/2/14; Notizen aus der Besprechung Junkers-Rasch (mit Änderungen von der Hand Junkers'), 16.11.20', DMM/ASD JA 0501/2/13; Seitz an Junkers, 8.2.21, DMM/ASD JA 0501/6/16; Rohrbach an Rasch, 7.3.21, DMM/ASD JA 0501/2/20. „Auf dem Höhepunkt der Inflationszeit scharrten sich die Haifische, Stinnes und die AEG, um die Junkerswerke" (Larissa Reissner, S. 922). Zu den Vertikalkonzernen der Inflationszeit s. Feldman, Disorder, S. 281ff.; zum Stinnes-Konzern, S. 284-301; Ufer­ mann/Hüglin, S. 28 u. 93; Nussbaum, S. 43-47. Zum Engagement Stinnes' im Flugzeugbau: Klass, S. 175-180; zu Castiglioni: Heinkel, Stürmisches Leben, S. 53-59, 83-85, 89-91; Mönnich, S. 94f., 114f.

Der Kontakt mit Stinnes ergab sich im Frühjahr 1917, als Junkers ver­ suchte, die von der IdFlieg geforderte Partnerschaft mit einem Serienher­ steller zu realisieren. Da sich die Verhandlungen mit Fokker verzögerten, schlug ein Offizier der IdFlieg am 28. Februar 1917 vor, Junkers solle sich dem Stinnes-Konzern anschließen. Nach dem Ende des Krieges werde der Flugzeugbau ohnehin in wenigen Riesenunternehmen, „Krupp's (!) der Lüfte", konzentriert, die Flugzeuge einschließlich aller Vorprodukte pro­ duzieren könnten. Es sei daher vorteilhaft, schon während des Krieges eine Mehrheitsbeiligung von Stinnes zuzulassen: Dieser sei bereit, sowohl die Flugzeug- als auch die Motorenentwicklung bei Junkers großzügig zu för­ dern, während die IdFlieg eine solche Verbindung wiederum mit einem Großauftrag honorieren würde.130 Am Tag darauf erfuhr Junkers am Rande einer telefonischen Terminabsprache, wie weit die Planungen bereits ge­ diehen waren. Wagenführ erklärte, daß er am Nachmittag eine Bespre­ chung mit Stinnes über die Angelegenheit habe und beabsichtigt sei, daß Stinnes nicht nur die Junkers-Betriebe, sondern auch den zu diesem Zeit­ punkt aussichtsreichsten Kandidaten für eine Partnerschaft, die Leipziger Firma Aviatik, aufkaufen wolle. Die Ico nebst der Forschungsanstalt seien Stinnes 4 Mio. Mark und ein Aufsichtsratsmandat bei der Deutsch-Lux wert.131 Dieser Vorstoß markierte die Spannweite des Vorhabens von Stin­ nes und Wagenführ. Junkers sollte als Forschungs- und Entwicklungsab­ teilung neben einem effektiven Serienhersteller in den Stinnesschen Flug­ zeugtrust eingebaut werden. Der Vorgang wiederholte sich daher, als sich die Partnerschaft mit Fokker abzeichnete. Als Fokker im Juni 1917 anbot, die Junkers-Werke aufzukaufen,132 erfuhr Junkers gerade rechtzeitig, daß Fokker, der neben den Betrieben in Schwerin ein Werk zur Herstellung von Synchronisationsgetrieben für Maschinenwaffen und die Mehrheit an ei­ nem der wichtigsten deutschen Motorenproduzenten, der Firma Oberursel, besaß, selbst über eine Angliederung seiner Unternehmen an den StinnesKonzern verhandelte. Sowohl Fokker als auch Albert Vogler, Generaldi­ rektor der Deutsch-Lux, sei „ein Zusammengehen mit Stinnes in Verbin­ dung mit Junkers sehr erwünscht". Insoweit stellte die Junkers-FokkerWerke AG kaum mehr als eine Vorstufe des Flugzeugtrusts im StinnesKonzern dar, dessen Entfaltung lediglich durch den unerwarteten Erfolg des freitragenden Systems von Reinhold Platz verhindert wurde. Stinnes nahm die Fäden seines Plans nach Kriegsende wieder auf. Felix Wagenführ trat nach seinem Ausscheiden aus dem Heeresdienst 1921 bei

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Besprechung mit Hauptmann Joly von der IdFlieg, 28.2.17, DMM/ASD JA 0201/6/14. Telephonische Rücksprache Js. mit Major Wagenführ am 1.3.17, DMM/ASD JA 0201/6/18; Junkers an Wagenführ, 28.6.17, DMM/ASD JA 0201/6/26. Niederschrift einer Besprechung zwischen Fokker und Eggers (Beauftragter Junkers'), 20.6.17, DMM/ASD JA 0201/11/15.

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Stinnes ein.133 Nach der Verlagerung der Fokker-Werke in die Niederlande übernahm eine Handelsgesellschaft des Stinnes-Konzerns, Arado, den weltweiten Vertrieb der Flugzeuge von Fokker und beteiligte sich an der Errichtung der Werke in Übersee. Die zum Stinnes-Konzern gehörenden Dinos-Automobilwerke erwarben 1920 die Werft Warnemünde des liqui­ dierten Flugzeugbaus Friedrichshafen. Bald darauf suchte Stinnes das Ge­ spräch mit Dornier, um über eine Eingliederung von dessen Betrieb zu ver­ handeln.134 Der Kontakt mit Junkers schließlich wurde unter dem Eindruck des Bau Verbots erneuert. 1921/22 verhandelte Junkers bei mehreren Gele­ genheiten über eine Kooperation mit Stinnes, wobei er, anders als noch während des Krieges, stark genug war, um den Kaufmann aus Mülheim gegen einen ähnlich bedeutenden Gesprächspartner auszuspielen: Emil Georg von Stauß. Der „führende Mann der Deutschen Bank zwischen den Kriegen' vertrat als Aufsichtsratsvorsitzer den wichtigsten deutschen Mo­ torenproduzenten des Ersten Weltkriegs, die Daimler-Motoren-Gesell­ schaft,135 und schickte sich an, eine ähnlich dominierende Position bei BMW zu erlangen, was 1929 nach dem Rückzug Castiglionis aus dieser Gesell­ schaft auch gelang. Wie Stinnes verfolgte er zudem eine Beteiligung am entstehenden Luftverkehr. Junkers bot Stinnes und Stauß eine Beteiligung am Motorenbau an, später richtete sich sein Interesse vor allem auf eine Zusammenarbeit im Luftverkehr.136 In beiden Fällen fürchtete er jedoch, gegen andere Flugzeug­ firmen ausgespielt zu werden, und allgemein den Verlust seiner Selbstän­ digkeit. Er vermied es, seine Interessen offenzulegen und konfrontierte Stinnes wie Stauß zuallererst mit der Aussage, er könne genügend Mittel beschaffen, sei jedoch zu einer Zusammenarbeit bereit, wenn „die Verbin­ dung" zu seinem Betrieb und seiner Arbeit „passt".137 Die Aufzeichnungen Junkers zu den Verhandlungen mit Stinnes und Stauß wechselten zwi­ schen Mutmaßungen über taktische Winkelzüge der potentiellen Teilhaber und ausufernden Erörterungen zum Verhältnis von Forschung und Pro-

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Zu Arado: Welt-Luftfahrzeugindustrie, Arado, S. 641ff. und Kranzhoff, passim. Zu Wagenführ, ebd. sowie Tagebucheintragungen Junkers', 7.1.21 und 24.4.21, NB 74, S. 4231 bzw. NB 76, S. 4452, DMM/ASD N 21 /5. Kranzhoff, S. 8. Die Dinos-Automobilwerke waren 1921 Mitglied des Verbands Deut­ scher Flugzeugindustrieller (Anlage zum Rundschreiben des Verbands Deutscher Flugzeug-Industrieller, 15.1.21, DMM/ASD JA 0502/5/14); Dornier, Ingenieurlauf­ bahn, S. 116f. OMGUS, Deutsche Bank, S. 45f.; Roth, Guter Stern, S. 31 u. 38/39. Tagebucheintrag Junkers' vom 7.1.21, NB 74, S. 4231 (Verhandlungen mit Wagenführ), Tagebucheinträge Junkers vom 10.5. u. 14.5.21, NB 76, S. 4417 u. 4424 (Verhandlungen, mit Stauß), Tagebucheintrag 2.8.21, NB 79, S. 4775 (Verhandlungen mit Stinnes), DMM/ASD N21/5; Tagebucheintrag 19.4.22, NB 88, S. 5481 (Verhandlungen mit Stauß), DMM/ASD N 21/3. So in den Notizen zu den Verhandlungen mit Stauß, 10.5.21, NB 76, S. 4417, DMM/ASD N 21/5.

duktion, Qualität und Quantität, ohne daß jemals ein konkretes Verhand­ lungsangebot erwogen wurde, das über das prinzipielle Interesse Junkers7 hinausgegangen wäre: eine fremde Beteiligung bei ungeschmälerter Erhal­ tung seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit zu realisieren. Eine Folge dieser Unfähigkeit zu Verhandlungen war, daß potentielle Geschäftspartner Gespräche mit Junkers als Zeitverschwendung betrachte­ ten. Gustav Krupp von Bohlen bemerkte später, daß es schwer gewesen sei, Junkers „einen Rat zu geben, da er vermied, direkte Fragen zu stellen, de­ ren Beantwortung ihn möglicherweise zu einem Abweichen von seinem einmal eingeschlagenen Weg hätte veranlassen können [...] Auf der Rück­ kehr von dieser Reise, die er auf Drängen von Junkers eigens unternommen hatte, stellte sich die etwas erstaunte Frage ein: was sollte das nun eigent­ lich? Denn auch über Geldfragen war nicht gesprochen worden [...] -138 Junkers wiederum behauptete, seine Verhandlungspartner hätten die inne­ re Verbindung von Ökonomie und Technik in der eigenwirtschaftlichen Forschung nicht begriffen: „Deshalb versicherte man (z.B. Stinnes) Js. wohl, dass man ihm alle Gelegenheit und beliebig hohe Summen für technische Forschungen geben wolle, aber das Wirtschaftliche wolle man selbst in die Hand nehmen".139 Eine durchaus mögliche Balance zwischen fremder Teil­ haberschaft und unternehmerischer Autonomie zog Junkers jedoch nicht einmal in Betracht. Die Geschäftskontakte zu Zeppelin, Stinnes und Stauß verliefen trotz einer durchaus geschickten Gesprächsführung ebenso im Sande wie einige weitere, etwa zur AEG oder der GHH/MAN.140 Daraus aber ergab sich eine langfristig dominierende Tendenz der Konzernentwicklung. Die ausbleibende Teilnahme an den informellen In­ teressenkoalitionen, die sich anschickten, das Feld des Luftfahrzeugbaus und des Luftverkehrs in Deutschland zu organisieren, führte neben der eintretenden Verzögerung bei der Verwirklichung der strategischen Ziele vor allem dazu, daß sich der Junkers-Konzern als technischer Führer wirt­ schaftlich zunehmend isolierte. Die positive Bilanz des ersten Jahres nach dem Erstflug der F13, die Hugo Junkers im August 1920 zog, listete damit auch die Defizite der Entwicklung des Junkers-Konzerns auf: „1. Flugzeug geschaffen, auf welchem jetzt unsere Existenz beruht, (entgegen Anraten von allen Seiten), 2. Fokker herausgeschmissen, welcher [...] im Begriff war, das Unternehmen vollständig an sich zu reißen, 3. Massenproduktion des Flugzeugs. Vermeidung einer voreiligen Verbindung mit Aeg, Zeppelin etc.

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Angaben zur Lebensgeschichte von Prof. Hugo Junkers. Beitrag von Dr. G. Krupp vom Bohlen, zusammengestellt von Margarete Conzelmann, 8.5.41, HistA Krupp, FAH 4 E 828. Tagebucheintrag Junkers' „Donnersmarck" vom 14.12.24, NB 118, S. 9495, DMM/ASD N21/7. Tagebucheintrag Junkers' 9.1.21, NB 74, S. 4133, DMM/ASD N 21/5.

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und statt dessen mit Iko, wo die Bedingungen in jeder Hinsicht weitaus am günstigsten lagen

2. Die Dornier-Metallbauten und die Regression des Zeppelin-Konzerns 1943 erschien in den Vereinigten Staaten ein ungewöhnlich kenntnis­ reiches Buch über die deutsche Luftwaffe. Als Verfasser trat unter dem Pseudonym Hauptmann Hermann ein langjähriger Mitarbeiter Hugo Jun­ kers' auf, der noch kurz vor Kriegsausbruch emigriert war. Hermann ver­ suchte, den Weg der deutschen Luftfahrt in den Zweiten Weltkrieg nach­ zuzeichnen, und entwarf zu diesem Zweck eine Typologie der wichtigsten Unternehmer, deren Unterscheidungsmerkmal die Haltung zur Wiederauf­ rüstung bildete.142 In einer Gruppe fanden sich neben Hugo Junkers, dem „großen alten Mann", Hanns Klemm und Henrich Focke. Diese drei seien ausgesprochene Individualisten gewesen, technisch wie charakterlich. Sie hätten sich auf bestimmte Felder des Flugzeugbaus spezialisiert, Junkers auf das Verkehrsflugzeug aus Metall, Klemm auf das Leicht- und Sport­ flugzeug, Focke auf die Verbindung von aerodynamischer Perfektion mit Holz als Baustoff und später auf die Entwicklung des Hubschraubers. Alle drei hätten die Remilitarisierung, so Hermann, skeptisch betrachtet und die Verantwortung für ihre Unternehmen nach 1933 verloren. Die zweite Gruppe bildeten Hermann zufolge Adolf Rohrbach, Willy Messerschmitt und Emst Heinkel. Diese hätten auf die Unterstützung des Militärs gebaut. Der Bohemien Rohrbach habe Geld benötigt, um seinen Lebensstil zu finanzieren, und technische Ideen verfolgt, die den militäri­ schen Anforderungen an den Flugzeugbau sehr ähnlich waren. Er habe sich zu früh für unentbehrlich gehalten und sei gescheitert, als die Militaristen innerhalb und außerhalb der Reichswehr keine Mittel für den Flugzeugbau mehr hatten. Bei Messerschmitt und Heinkel seien es dagegen, so Hermann 1943, charakterliche Defekte gewesen, die sie früh in die Arme der Natio­ nalsozialisten getrieben hätten - eine unmäßige Hypertrophie auf der Seite Messerschmitts, ein ausschließliches Profitinteresse auf der Seite Heinkels.143 Zwischen diese beiden Gruppen stellte Hermann Claude Dornier. Weder dem Militär noch pazifistischen Idealen verpflichtet, habe er zwar als zweiter Pionier des Metallflugzeugbaus neben Junkers alle Vorausset­ zungen erfüllt, um dessen wichtigster Konkurrent zu werden. Ein Mangel an Selbstvertrauen und eine gewisse Ziellosigkeit hätten dies jedoch ver­ hindert. Dornier sei dazu verurteilt gewesen, so Hermann, der ewige Zweite zu bleiben: „deep down in his heart, Dornier himself did not believe 141 142

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Tagebucheintrag Junkers' vom 20.8.20, NB 71, S. 3768, DMM/ ASD N 21/5. Das Folgende nach Hauptmann Hermann, S. 39-54. Ebd.,S. 51.

in Dornier. [...] If Junkers had not been around, Dornier would undoubtedly have been the first man. But there was Junkers/7 So sehr die Charakterisierung aus dem zeitlichen Kontext verstanden werden muß, enthält sie doch einen Ansatz zur Beurteilung der Unterneh­ mensstrategie Dorniers in den zwanziger Jahren. In der unternehmerischen Besetzung des freitragenden Systems hatte Dornier einige Vorteile gegen­ über Junkers. Während Junkers seine Forschungsanstrengungen während des Ersten Weltkriegs erst allmählich im Flugzeugbau zentrieren mußte, war das Konstruktionsbüro Dorniers bereits Teil eines diversifizierten Kon­ zerns, der wesentliche Vorprodukte des Flugzeugs herstellte. Alfred Colsmann, seit dem Tod Zeppelins 1917 Leiter der Luftschiffbau Zeppelin GmbH (LBZ), ließ nicht nur Luftschiffe bauen, sondern herrschte nominell über einen der größten deutschen Flugmotorenproduzenten, Maybach, über die Flugzeugwerke Zeppelin GmbH in Staaken und Gotha, bei denen Alexander Baumann und Adolf Rohrbach ihre Riesenflugzeuge gebaut hatten, über die Zahnradfabrik Friedrichshafen, die sich frühzeitig auf den Bau von Flugzeuggetrieben spezialisiert hatte, und schließlich über den Betrieb, dessen Geschäftsführer Dornier hieß, die Zeppelin GmbH Lin­ dau.144 Der Konzern besaß eine eigene holzverarbeitende Firma und Beteili­ gungen an einer Hallenbaufirma, an einer Ballonhüllenfabrikation und Luftschiffahrtsgesellschaften in Frankfurt und Leipzig. Nach Kriegsende setzte Colsmann seine Diversifikationstrategie fort, obwohl der Flugzeugbau erheblich verkleinert wurde. Der Standort in Lin­ dau wurde ebenso geschlossen145 wie die Flugzeugfertigungen der Zeppe­ lin-Werke GmbH in Berlin-Staaken und Gotha. Adolf Rohrbach verließ den Konzern.146 Der Flugzeugbau Friedrichshafen - mittelbar über die Familie . Zeppelin mit dem LBZ-Konzem verbunden - wurde liquidiert. In Staaken entstanden jedoch eine Gießerei und die „Zeppelin Wasserstoff- und Sauer­ stoffwerke77, während der LBZ-Konzern 1922 die Liegenschaften des Flug­ zeugbaus Friedrichshafen in Manzell erwarb, um dort die in Dornier Me­ tallbauten GmbH umbenannte Lindauer Tochter anzusiedeln. Dornier erwarb 10% der Anteile an dieser Firma. Unter dem Eindruck des Versailler Vertrages entwickelte sich jedoch ein Konflikt über die strategische Ausrichtung des Zeppelin-Konzerns, der bis zum Ausscheiden Albert Colsmanns 1932 nicht mehr bereinigt werden konnte und in dem es um die Frage ging, ob die Existenz des Konzerns auf dem Markt oder durch staatliche Zuschüsse gesichert werden sollte. Der

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Zum Zeppelin-Konzern im 1. Weltkrieg: Kuhn, Friedrichshafen, S. 2-39. Zu den Beteili­ gungsverhältnissen zwischen der Zeppelin-Stiftung, den Erben F. Zeppelins und der Luftschiffbau Zeppelin GmbH: Burger, S. 38; zum Aufbau des Zeppelin-Konzerns s. den Verflechtungsplan in Kuhn, Industrialisierung, S. 402. Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 108; Burger, S. 45. Rohrbach an Rasch 7.3.21, DMM/ASD JA 0501/2/20; Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 8.2.21, DMM/ASD JA 0501/6/16. 97

Exponent der ersten Linie war Colsmann, die zweite Linie vertrat ein Wirtschaftsjoumalist und Luftschiffkapitän, der vergleichsweise spät in die Untemehmensführung aufgerückt war, Hugo Eckener. Im Gegensatz zu Colsmann sah Eckener die Zukunft des Konzerns nicht in einer Auffäche­ rung der Produktpalette, sondern in der Rückkehr zu seinem eigentlichen Kemprodukt, dem Starrluftschiff Zeppelinscher Bauart. Obwohl das durch Dornier repräsentierte neue Flugzeug es absehbar werden ließ, daß die gi­ gantischen Luftschiffe mittelfristig höchstens noch eine kostspielige Kurio­ sität darstellen würden, setzte Eckener durch, daß der Konzern sich wieder auf den Bau von Zeppelinen konzentrierte.147 Der aufsehenerregende Flug des 1923/24 mit Reichsmitteln gebauten „Reparationsluftschiffs" LZ 126 in die Vereinigten Staaten schien diese Strategie zu rechtfertigen, knüpfte die LBZ doch ein Stück weit an die Popularität der Vorkriegszeit an und erhielt Zuwendungen für den Bau weiterer Schiffe.148 Das Zeppelin-Luftschiff war jedoch nicht mehr der geeignete Anknüp­ fungspunkt für eine koordinierte Weiterentwicklung der diversifizierten Struktur des LBZ-Konzems. Die wichtigste Tochtergesellschaft, die Firma der Gebrüder Maybach, die ähnlich wie Dornier nur 20% der Anteile der nach ihnen benannten Firma besaßen, orientierten sich an anderen Pro­ duktlinien, um die Erfahrungen aus dem Flugmotorenbau des Ersten Welt­ kriegs zu nutzen. Sie bauten in den zwanziger Jahren Aggregate für Schiffe und Lokomotiven sowie Automobile der Luxusklasse. Bei diesen Aktivitä­ ten lief der Luftschiffmotorenbau eher nebenbei mit. Der Flugmotorenbau verschwand ganz aus der Palette des Maybach-Motorenbaus.149 Die Konzemstruktur, die vor dem Ersten Weltkrieg eine vertikale, auf das Luft­ schiff und bereits partiell auf den Flugzeugbau ausgerichtete Gliederung aufwies, zerfaserte zusehends. Während Junkers die Herstellung der Vor­ produkte des Flugzeugbaus in seinen Konzern integrierte, stand Dornier vor der Situation, daß der Vorsprung sich verflüchtigte, den er in dieser Hinsicht besessen hatte. Nachdem die Großflugzeuge der Kriegszeit aus­ schließlich von Motoren von Maybach angetrieben worden waren, mußte auch Dornier schließlich auf solche von BMW oder ausländische Modelle zurückgreifen. Als in den Starrluftschiffen seit den späten zwanziger Jah­ ren Motoren von Daimler-Benz verwendet wurden, war dies auch ein Beleg für die fortgeschrittene Auflockerung des LBZ-Konzems. Die Fertigung von Flugpropellern, die 1923 bei Dornier aufgenommen wurde, war nur ein schwacher Ersatz.150 Aus der Tatsache, daß Dornier im LBZ-Konzern an den Rand gedrängt wurde, läßt sich eine Erklärung für die augenfällige Verspätung ziehen, mit

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Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 198f. Zum LZ 126: Kuhn, Weimar, S. 2-10. Ebd., S. 14-19; Burger, S. 39-42. Wachtel, S. 77f.

der er seine Flugzeuge auf dem zivilen Markt präsentierte. Die von Dornier geführte Firma schrumpfte nach Kriegsende stärker als die IFA und erholte sich nach dem Ende des Bauverbots langsamer als diese. 1921/22 hielt sich der Betrieb Dorniers mit sechzig Arbeitern hauptsächlich durch den Bau von Metallschwimmern aufrecht,151 wenngleich die Chance zur Fabrikation im Ausland früher und intensiver wahrgenommen werden konnte als an­ derswo. In einer provisorischen Halle auf schweizer Territorium wurden während der gesamten Zeit des Bauverbots große und kleine Flugboote montiert. Ein Flugboot war auch das Hauptprodukt der 1921 - auf Anre­ gung eines italienischen Mitglieds der IMKK - als Tochterunternehmen der LBZ gegründeten „Societa Anonima Italiana di Construzioni Meccaniche", die an der Arnomündung bei Pisa eine Produktionsstätte eröffnete. Hier entstand 1922 der Dornier Wal, mit dem die Grundlage des kommerziellen Erfolgs Dorniers gelegt wurde. Nachdem eine Anfrage der spanischen Ma­ rine 1922 der Anlaß gewesen war, dieses Flugboot zu bauen, konnten in der Folgezeit etwa 250 Exemplare des „Do-Wal" abgesetzt werden.152 Der Bau von Flugzeugen, die große Wasserflächen für Start und Landung nutzen konnten und dadurch das Bruchrisiko während dieser empfindlichen Flug­ phasen einschränkten,153 war seit 1922 die Domäne Dorniers. In dem Werk in Pisa dokumentierte sich gleichwohl der im Gegensatz zu Junkers geringe finanzielle Spielraum der Dornier-Metallbauten. Dor­ nier erhielt von den dort produzierten Flugzeugen lediglich fünf, später 7,5% an Lizenzgebühren. Er konnte wesentlich weniger Mittel in die Flug­ zeugentwicklung reinvestieren als zur gleichen Zeit Junkers. Bedingt durch die Abhängigkeit von der LBZ war es auch in den folgenden Jahren nicht der Betrieb von autonom verwalteten Werken, sondern das Lizenzgeschäft, das die Haupteinnahmequelle Dorniers bildete,154 wenngleich auch das Werk in Manzell durch die Nachfrage nach den Universalverkehrsflugzeu­ gen Dorniers (Komet und Merkur) wuchs. Anfang 1925 beschäftigte Dor­ nier 411 Arbeiter und Angestellte. Das erste deutsche Kriegsflugzeug nach dem Versailler Vertrag, der Dornier „Falke", entstand ebenfalls 1922 im italienischen Zweigwerk des Zeppelin-Konzerns. Die Marine der Vereinigten Staaten erprobte einen „Falken", vor allem aber die japanische Marineluftwaffe zeigte sich interes­ siert. Ende 1922 schloß Dornier einen Lizenzvertrag mit der japanischen Kawasaki-Werft in Kobe ab, die in den folgenden Jahren unter der Leitung von Richard Vogt, dem ehemaligen Leiter des aerodynamischen Büros der Lindauer Werft, einige Typen Dorniers in Lizenz nachbaute. Die Beziehung

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Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. Ulf. Ebd., S. 119ff.; Kuhn, Weimer, S. 22/23. Dornier, Claude: Über Metallwasserflugzeuge (1921), in: Ders., Vorträge, b. 53. Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 158ff.; Kuhn, Weimar, S. 24. 99

schiene aus, auf der die Kenntnisse über den neuen Flugzeugbau nach Ja­ pan abflossen. Mit Alexander Baumann (Mitsubishi) und Gustav Lachmann (Ishikawajima) arbeiteten außer Vogt einige der bekanntesten deutschen Konstrukteure und Flugwissenschaftler in den zwanziger Jahren bei japani­ schen Firmen.155 Die Betätigung Dorniers auf dem deutschen Markt wurde wie bei Jun­ kers durch die Entwicklung der Luftverkehrswirtschaft bestimmt, freilich gegenteiliger Wirkung. Der Konzentrationsprozeß, der sich schon bald nach der Gründung der ersten Verkehrsgesellschaften abgezeichnet hatte, wurde durch den Versailler Vertrag forciert. Die Liquidation der meisten Unternehmen der Flugzeugindustrie führte zu dem Effekt, daß sich die Luftverkehrstöchter von Flugzeugunternehmen um die zwei größten Un­ ternehmen, Lloyd Luftdienst und Deutsche Luftreederei, gruppierten. Das Kapital der 1921 aus der Luftreederei hervorgehenden Aero-Union zeich­ neten die AEG, die Hapag und der LBZ-Konzern.156 Im Unterschied zur Abteilung Luftverkehr der Junkers-Werke bzw. zur ILAG folgte die sich hier abzeichnende Konzentration, die schließlich zur Gründung der Deut­ schen Aero-Lloyd AG (DAL) im Februar 1923 führte, somit aus einer Bewe­ gung, die gerade die einfache Angliederung einer Luftverkehrstochter an ein Flugzeugunternehmen beseitigte. Als sich der Lloyd-Luftdienst und die Aero-Union zur DAL zusammenschlossen, fanden sich nicht nur die Berli­ ner Großbanken und einige bedeutende Privat- und Regionalbanken unter den Aktionären des DAL, sondern auch die Siemens-Gesellschaften, Stinnes, Thyssen, Felten & Guillaume sowie die Altaktionäre der frühen Luft­ verkehrsgesellschaften, der Norddeutsche Lloyd, die Hapag und die Deut­ sche Petroleum AG. Das Stimmrecht für rund 2/3 aller Stammaktien wurde freilich seit 1925 von der Deutschen Bank ausgeübt.157 Die Beteiligung der LBZ an der Aero-Union und der DAL legte allerdings die Ausrichtung Dorniers im Luftverkehr fest: Sie wurde bei der Gründung der Aero-Union realisiert, indem die LBZ für ein Drittel der Anteile an der Lindauer Toch­ ter Aktien erhielt. Dornier besaß keine Luftverkehrsunternehmen, sondern hier besaß das Verkehrsunternehmen einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der Flugzeugbaufirma. Bis 1932 ergab sich folgender Beteiligungsschlüs­ sel bei der Dornier-Tochter des LBZ-Konzems: Luftschiffbau Zeppelin GmbH 56,66 %, Aero-Union (bzw. Deutscher Aero-Lloyd bzw. Luft-Hansa) 33,33%, Claude Dornier 10%. Die Dornier-Metallbauten blieb die zweite Firma des deutschen Flug­ zeugbaus. Als einziges deutsches Unternehmen neben Junkers erhielt sie sich ein nennenswertes Standbein auf dem internationalen Markt. Anders als Junkers verharrte Dornier jedoch im Zustand eines reinen Flugzeugpro-

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Dornier, Ingenieurlaufbahn, S. 177ff.; Vogt, S. 56-66. Max Maaß, S. 15-17, Appel, S. Ulf.; Wachtel, S. 43. Maxjidaaß, S. 17-20; Appel, S. U3f.; Kieselbach, S. 34.

duzenten, einmal, weil er bis 1932 in den Konzemverbund der LBZ einge­ bunden blieb, zum anderen, weil eine eigenständige Politik Dorniers im Luftverkehr durch die Bindung an die DAL verhindert wurde. Die Auflokkerung der LBZ und die Marginalisierung der Firma Dorniers im Konzern­ verbund schufen jedoch ein wesentliches Defizit der Entwicklung der Indu­ strie insgesamt. Noch 1919 konnte der Zeppelin-Konzern - bedingt durch den Grad seiner Integration und die technische Führerschaft Dorniers - ei­ ne Alternative zu Junkers bieten. 1925 galt das nicht mehr. Mit dem Rück­ zug des LBZ-Konzerns auf das Starrluftschiff bildete sich die charakteristi­ sche Struktur der deutschen Flugzeugindustrie aus, die bis 1945 Bestand haben sollte. Es gab an der Spitze des industriellen Gefüges den Konzern von Hugo Junkers mit einer integrierten Entwicklung des Flugzeugs und einiger wichtiger Vorprodukte, erst dann einen breiten Sockel von reinen Flugzeugproduzenten, von denen keiner eine mit Junkers vergleichbare Wahlfreiheit in der Entwicklungsarbeit besaß und das Gewicht dieses Kon­ zerns technisch und ökonomisch aufwiegen konnte.

C. Rüstung als Untemehmensstrategie: Das Junkerswerk in Fili bei Moskau 1921 - 1924 Es wird dem Chef der Heeresleitung, Hans von Seeckt, selbst ange­ rechnet, daß wenigstens ein Kern von 180 Offizieren der kaiserlichen Flie­ gertruppe in die Reichswehr gelangte,158 und dies wird gewöhnlich damit begründet, daß die Luftstreitkräfte eine wichtige Rolle in Seeckts Vorstel­ lungen über die zukünftige deutsche Armee spielten. Seeckt verschrieb sich, als Quintessenz der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, einer Rück­ kehr zur operativen Kriegführung mit starken Luftstreitkräften, die ebenso wie das Heer durch Zellteilung aus den Verbänden der Reichswehr entste­ hen sollten.159 Aus Tarnungsgründen verteilten sich die Kompetenzen im militäri­ schen Flugwesen bis 1928 auf drei bzw. vier Stellen, die in den Stäben der großen Reichswehrämter untergebracht waren. Bereits vor der offiziellen Auflösung der Fliegertruppe am 1. März 1920 hatte Seeckt im Truppenamt (TA), das die Funktionen des verbotenen großen Generalstabes der kaiserli­ chen Armee übernahm, ein Fliegerreferat gegründet, das unter der Leitung von Hellmut Wilberg stand, Hauptmann und vormals Seeckts Berater wäh­ rend der Versailler Verhandlungen. Dieses „Luftschutzreferat" TA(L) be­ faßte sich allgemein mit operativen Fragen des Militärflugwesens. Bei der ebenfalls dem Chef der Heeresleitung unterstellten Inspektion für Waffen und Gerät (IWG) entstand ein „Referat Flugtechnik" unter Hauptmann Kurt Student, dem in der Zukunft die Auswahl und Erprobung von Flug158 159

Rabenau, S. 528f.; Völker, Entwicklung, S. 126; Bruno Maass, S. 505f. Geyer, Aufrüstung, S. 77f.; ders., Rüstungspolitik, S. 121f.

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zeugen obliegen sollten. Schließlich arbeitete im Stab des Waffenamtes, das dem Chef der Heeresverwaltung unterstellt war - ein Amt, das Seeckt seit 1922 in Personalunion wahrnahm160 — ein „fliegerrüstungswirtschaftliches Referat Wa(L) unter dem aus der Luftfahrtfriedenskommission stammen­ den Hauptmann Leopold Vogt, das sich zunächst lediglich mit der Beob­ achtung der Rüstungswirtschaft im Ausland beschäftigte. In der Marine­ leitung gab es zudem ein Fliegerreferat, das nach der Aufgabenstellung der TA(L) ähnelte.161 Der Akzent dieser Stäbe lag auf der personellen Rüstung. Sei es, daß die Reichswehr sich früh in die Segelflugbewegung mit ihrem Zentrum an der Rhön einschaltete,162 sei es, daß sie Wege suchte, um unge­ stört Flugzeugführer auszubilden163 — immer ging es darum, den Stamm an aktiven Fliegern aufzufrischen und die Kenntnisse über die taktische Ein­ satzfähigkeit des Flugzeugs zu verbreitern. Dies entsprach dem Dogma Seeckts, die Aufgabe, die die Reichsverfassung der Reichswehr zuwies, nicht zu akzeptieren: die bewaffnete Macht durfte nicht zu einer „geistig, taktisch und technisch zurückgebliebenen Polizeitruppe [...] erstarren", wie es einer der in der Reichswehr verbliebenen Fliegeroffiziere später formu­ lierte.164 Rüstungswirtschaft besaß hingegen eine geringe Priorität.165 1922 wa­ ren die Exponenten der IdFlieg, Wilhelm Siegert und Felix Wagenführ, ver­ abschiedet, die eng geknüpften Beziehungen zwischen der Flugzeugindu­ strie und dem Militär gelockert. Der zähe Kleinkrieg über die Entwaffnung band lange Zeit die Anstrengungen um die materielle Rüstung. Die Nach­ ordnung der rüstungswirtschaftlichen gegenüber personellen und operati­ ven Fragen war bei den getarnten Fliegerreferaten jedoch deutlicher als ir­ gendwo sonst in der Reichswehr. Während sich bis 1924 ein Schema der Zuständigkeit bei der Beschaffung und Einlagerung von Heeresgerät entwickelte, das bei zentralen Fragen, etwa der Prüfung von Beschaffungen „nach innen- und außenpolitischen Gesichtspunkten" eine gleichberech-

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Matuschka, S. 313ff. Dank der Arbeiten v. K.-H. Völker sind die Vorgänge um die Vorgeschichte der militä­ rischen Organisation der späteren Luftwaffe gut erforscht: s. ders., Entwicklung, hier S. 127-128; s. a. Bruno Maass, S. 507 und die „studies" der 1953 gegründeten Studien­ gruppe Geschichte des Luftkriegs, Karlsruhe, die im Auftrag der U.S. Airforce/ Historical Division die Erfahrungen der Luftwaffe während des Zweiten Weltkriegs aufarbeitete, vor allem: Suchenwirth, Development, hier S. 6-7 und Hertel, Walter: Die Flugzeugbeschaffung in der Deutschen Luftwaffe, Bd. 1, fol. 4f., MGFA Lw 16/1. Völker, Entwicklung, S. 131f. Zur Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr mit sowjetrussischen Stellen bei der Ausbildung der Fliegerkräfte s. Zeidler, passim; Speidel, S. 17-45. Speidel, S. 17. Allgemein zu den frühen Bemühungen um die wirtschaftliche Mobilmachung: Hansen, Reichswehr, S. 44-48 und Nuß, S. 127-129.

tigte Zusammenarbeit zwischen Waffen- und Truppenamt vorsah,166 so galt in Luftfahrtfragen eine eindeutige Präponderanz des Stabes im Truppen­ amt. Seeckt gestand der Dienststelle Wilbergs - zuletzt in einer Verfügung vom 22. Januar 1925 - die Rolle einer Zentralinstanz für Luftfahrtangele­ genheiten zu, die bei allen Fragen „rechtzeitig zur Mitwirkung herangezo­ gen" werden müsse und gegenüber Stellen außerhalb des Reichswehrmini­ steriums die Alleinvertretung besitze.167 Durch die Vernachlässigung der Rüstungswirtschaft wurde freilich der zentrale Widerspruch betont, in dem die Reichswehr zwischen 1920 und 1924 gefangen war. Die Militärs, an vorderster Stelle Seeckt selbst, dachten zwar über eine moderne große Armee nach, die Anknüpfungspunkte für eine schrittweise Realisierung dieser Vision lagen jedoch lange Zeit brach.168 Eine breite Lücke klaffte zwischen den wohlfeilen Utopien über die Luftwaffe im Krieg der Zukunft, die prominent durch die seit 1921 ver­ öffentlichten Schriften des italienischen Generals Giulio Douhet repräsen­ tiert wurden, und der kurzfristig angelegten Beschaffung von einigen Dut­ zend Flugzeugen für die Übungen des verbliebenen aktiven Personals. In diese Lücke fielen Rüstungswirtschaft und Industriepolitik. Wenn die Reichswehr Verbindungen zur Flugzeugindustrie suchte, trat sie bis 1924 lediglich als Käufer von Flugzeugen auf und unterschied sich lediglich da­ durch, daß zur Beschaffung der Flugzeuge ein Netz von zuverlässigen Kontaktmännern bei den Unternehmen aufgebaut wurde, von einer Luft­ verkehrsgesellschaft. Obwohl allein im Zuge der Vorbereitung auf die Ruhrbesetzung angeblich eine Milliarde Mark für Rüstungsgüter veräußert wurde,169 verfolgte das Militär mit diesem Kauf keine weitergehenden Zie­ le, die etwa aus einer rüstungswirtschaftlichen Konzeption äbzuleiten ge­ wesen wären.170 Der Gründung des Junkerswerks in Moskau171 lag auf der Seite der Reichswehr das Interesse an militärpolitischen Beziehungen zu den sowje-

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Übersicht über die Zuständigkeit von Waffen- und Truppenamt auf dem Gebiet der Si­ cherstellung des Heeresgeräts für Land- und Luftstreitkräfte, o.D. (ca. Dezember 1924) BArch-MA RH 8 1/908. Chef der H.Ltg. 42/25 T2 III L pers. an Verteiler, 22.1.25, BArch-MA RH 8 1/ 908. T2 III L war die dann gültige Bezeichnung der Dienststelle Wilberg als Teil der Operati­ onsabteilung des TA. Deist, Zukunftskrieg, S. 84f. Nuß, S. 127. S. die abwägende Beurteilung zur Frage der langfristigen oder kurzfristigen Zielset­ zung der Rüstungsprojekte vor 1923 bei Geyer, Aufrüstung, S. 29. Bedingt durch die juristischen Auseinandersetzungen um dieses Werk existieren um­ fangreiche Schriftsätze zu diesem Thema, die zudem einen Teil der relevanten Doku­ mente reproduzieren. Es sind dies zunächst: A. der „1. Schriftsatz Dr. Otto Schreibers, Professor in Königsberg, im Prozeß Junkers gegen Deutsches Reich", 12.1.1926, BArchMA RH 8/v. 3683, fol. Iff. (im Folgenden zitiert als 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26), B. der Schriftsatz der Reichswehr, erstellt von der Gruppe Wa.l im Heereswaffenamt „Das Junkers-Unternehmen in Fili (Rußland) in seiner Entwicklung und seinem Ver-

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tischen Stellen zugrunde. Mittelbar bezog freilich schon der erste Anlauf zur Herstellung von Kontakten Junkers ein. Als Enver Pascha, ein Freund Seeckts aus seiner Zeit beim türkischen Heer, im Oktober 1919 nach Mos­ kau reisen wollte, flog er mit dem Prototyp der F13. Das Flugzeug mußte jedoch auf litauischem Gebiet notlanden. Enver Pascha gelangte erst Monate später nach Moskau.172 Die Reisen Enver Paschas führten etwas zeit­ versetzt zu einer Reihe von Briefen an Seeckt, die mit dazu beitrugen, daß daSJnmreSSe der Reichswehr an einer Verbindung zu Sowjetrußland wuchs. Kontakte zwischen der sowjetischen Regierung und der Reichs­ wehr ergaben sich jedoch noch auf anderen Kanälen. Vigdor Kopp, ein Re­ präsentant der Sowjetregierung in Berlin, nahm im Sommer 1920 VerbindUn® ™t1Reichswehrkreisen auf und begann nach Absprache mit Trotzki un Frühjahr 1921, Industriebetriebe zu sondieren, die bei der Schaffung ei­ ner U-Boot- und einer Luftflotte sowie bei der Waffenherstellung zuarbei­ ten sonnten und ihre Rüstungsproduktion nach Rußland verlagern woll­ ten Bereits im April 1921 konnte Kopp Trotzki berichten, daß die eic swe r mit Blohm & Voss, Krupp und Albatros drei Firmen benannt a e' *e bereit waren, ihr Wissen für den Aufbau einer sowjetischen Kriegsindustrie zur Verfügung zu stellen. Die Wahl der Firma Albatros entsprach - auf dem Höhepunkt des neges mit Polen und vor dem Hintergrund der verschärften Auseinan­ ersetzungen über die Entwaffnungsfrage - vordergründig den Interessen

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hältnis zum Reichswehrministerium bis zum Herbst 1925, Wa.l Nr. 31/1.26. II. v. 13.1.26 (Senftleben), BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 5ff. und BArch-MA RH 2/1130 (im Folgenden zitiert als: 1. Schriftsatz Reichswehrministerium, 13.1.26). Aus dem 1. Schriftsatz Junkers leiten sich eine Reihe von Denkschriften ab, die der Konzern 1926 drucken ließ: Die „Darstellung der Beziehungen zwischen dem Reichswehrministerium (Heeresleitung) und Professor Junkers vom Herbst 1921 bis Herbst 1926. Zusammenge­ stellt von Büro des Justizrats Dr. W. Loewenfeld und Junkers-Werke Hauptbüro“, 8.12.26, abgedruckt (mit einem Übertragungsfehler: Leerenfeld statt Loewenfeld) in: Junkers-Nachrichten. Organ der Vereinigung ehemaliger Angehöriger der JunkersFlugzeug- und Motorenwerke AG 21 (1980) und 22 (1981) (im folgenden zitiert als Dar­ stellung, 8.12.26); die bereits zitierte, von Gotthard Sachsenberg initiierte „Denkschrift zum Fall Reichsfiskus-Junkers" 25.6.26, DMM/ASD N 21/19 (zitiert als: Denkschrift, 25.5.26), als Gegenrede s. Aufzeichnung Senftleben (WA) zur Denkschrift Junkers' vom 25. Juni 1926,13.8.26, ADAP Ser. B., Bd. 11,2, Dok. 86; eine weitere „Denkschrift zur Klä­ rung der Lage zwischen den Junkers-Werken und dem Reich“, 1.5.26, DMM/ASD N 21/19; und das Papier zur „Entwicklung der Beziehungen zwischen Junkers und dem Reich bezüglich der Zusammenarbeit in Rußland", o.D., in Teilen abgedruckt als Anhang I zu ADAP, Ser. B, Bd. 11,2, S. 491-514. Eines dieser zahlreichen Schriftstücke, die den Junkers-Konzern verließen, fand seinen Weg in die Redaktion des Manchester Guardian, was schließlich den Hochverratsvorwurf gegen Junkers begründete (der ent­ scheidende Artikel ist abgedruckt unter Anhang II, ADAP, Ser. B., Bd. 11,2, S. 515ff.). Rabenau (S. 306) gibt mit April 1919 ein falsches Datum an, vgl. Carsten, S. 80f.; Groehler/Erfurth, S. 29. Zeidler, S. 50. Ebd., S. 47 u. 50ff.; Carsten, S. 80f. u. 141.

sowohl der deutschen als auch der sowjetischen Seite. Da Albatros wäh­ rend des Krieges einen großen Teil der deutschen Flugzeuge gestellt hatte und zudem im Staatsbesitz war, bot dieses Unternehmen im April 1921 mehr als jedes andere die Gewähr, daß der Aufbau einer Produktion von weniger anspruchsvollen Flugzeugen schnell voran gehen werde. Freilich stellte sich bald heraus, daß sich die federführenden deutschen Offiziere über die Interessen der sowjetischen Seite getäuscht hatten. Obwohl die sowjetische Regierung im September 1920 ein umfangreiches Flugzeugbau­ programm aufgelegt hatte,175 wollte sie weniger eine schnell anlaufende Produktionsstätte gewinnen, sondern es erwies sich vielmehr als „absolut entscheidend" für die „Russen", in die Lage zu kommen, die „Junkerssche Metallbauweise für Kriegs- und Verkehrsflugzeuge" zu nutzen.176 Hinter der Verbindung zum deutschen Flugzeugbau stand stets das Motiv des Technologietransfers. Genau dies machten die russischen Vertreter Oskar von Niedermayer, dem ehemaligen Adjutanten und Vertrauten Seeckts, der die Fäden auf deutscher Seite zog, offenbar klar. Jedenfalls schied Albatros, bald nachdem Kopp seinen Bericht an Trotzki gesandt hatte, aus den Ver­ handlungen über eine Produktionsstätte in Rußland aus. Nach der Rück­ kehr von einer ersten Besichtigungsreise in Rußland wandte sich Nieder­ mayer im Juli 1921 an einen ehemaligen Offizier im Berliner Büro des Junkers-Konzerns, Erich Offermann, um Junkers für ein Engagement in Sowjetrußland zu gewinnen. Aus der Abkehr von Albatros, jener Firma, die im Ersten Weltkrieg noch geradezu ein Synonym für die rüstungswirtschaftliche Vernetzung von Industrie und Militär gewesen war, erschließt sich die Interessenlage bei der Reichswehr. Zwar galt die von Seeckt 1920 aufgestellte Vorgabe, es gehe darum, eine „im Bedarfsfall dienstbare Rüstungsindustrie in Ruß­ land" herauszubilden,177 die Hinwendung zu Junkers war aber geeignet, genau dieses Interesse zu torpedieren. Selbst wenn die Hoffnung bestand, daß das Konstruktionsbüro der IFA auch bessere Kriegsflugzeuge hervor­ bringen könnte: Nach dem Londoner Ultimatum drohte der „Bedarfsfall", die Besetzung des Ruhrgebiets, mehr denn je, und Albatros als die Firma mit den größten Erfahrungen im Serienbau von Kriegsflugzeugen war an­ gesichts dessen die erste Wahl für ein Rüstungsprojekt in Rußland. Die Tat­ sache, daß die Reichswehr die Präferenz der Sowjets für Junkers hinnahm, zeigt daher, daß sich ihr Interesse an dem Flugzeugwerk in Rußland nicht

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Groehler, Luftkrieg, S. 110. Aufzeichnung Senftleben (WA) zur Denkschrift Junkers’ von 25. Juni 1926, 13.8.26, ADAP Ser. B., Bd. 11,2, Dok. 86. Nicht zuletzt entsprach dies der Konzessionspolitik Le­ nins im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik: Wissmann, Fili, S. 91; Korrell, S. 977. In seiner Denkschrift über „Deutschland und Rußland", Carsten, S. 78ff.; zu den Brie­ fen Enver Paschas vom 25. und 26. August 1920 an Seeckt, ebd., S. 81; Rabenau, S. 306; Geyer, Aufrüstung, S. 35f.

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aus der Rüstungs-, sondern der Bündnispolitik speiste. Ein Ausgleich zwi­ schen Deutschland und Sowjetrußland paßte in die Gesamtkonzeption Seeckts, den militärischen Wiederaufstieg des Reiches außenpolitisch, über seine Bündnisfähigkeit, zu bewerkstelligen.178 Im Sinne dieser Politik galt, daß Junkers genausogut wie jedes andere Flugzeugunternehmen geeignet war, die Beziehungen zur Roten Armee zu vertiefen. Der Reichswehr war freilich verborgen geblieben, daß Junkers zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme Niedermayers schon längst eigene Verbindungen geknüpft hatte.179 Im September 1920 bot ein emigrierter Oberst der zaristischen Armee, Michel Doloukhanow, — ebenfalls durch Vermittlung von Erich Offermann — Junkers die Beteiligung an einer Luft­ verkehrslinie von Stockholm aus über die baltischen Hauptstädte bis nach Danzig an. Als Finanzier einer solchen Linie, die mit einem Kapital von 30 bis 40 Millionen Mark und 20 Flugzeugen ausgestattet werden sollte, wur­ de der „Petroleumkönig'" und maßgebliche Unterstützer der Weißgardi­ sten, Lianosow, genannt.180 Dieses Angebot stimmte in der Tendenz mit Vorhaben überein, mit denen sich Junkers seit Beginn des Jahres 1920 be­ schäftigt hatte: Im Januar war er von Wagenführ über einen Plan Stinnes' unterrichtet worden, der ein großangelegtes skandinavisches Luftverkehrs­ netz errichten wollte,181 und im April hatte ihn das Exposö Gotthard Sach­ senbergs erreicht, der die zukünftigen Chancen eines zunächst auf das Bal­ tikum und Nordostdeutschland beschränkten Luftverkehrsunternehmens in hellen Farben schilderte: „Das Flugzeug als das Verkehrsmittel, das be­ sonderer Wege und Bahnen nicht bedarf, wird bei der Aufschliessung des im früheren Russland zusammengeschlossenen Gebiets eine besondere Rolle spielen, stellte Sachsenberg fest. Das werde „die Möglichkeit mit sich bringen, der deutschen Flugzeugindustrie und insbesondere den des Luftverkehrsuntemehmens (!) beliefernden Junkers-Werken in Russland ein grosses Absatzgebiet zu beschaffen."182 Da das von Doloukhanow vor­ geschlagene Unternehmen im Gegensatz zu jenem Sachsenbergs — auf das Offermann ausdrücklich verwies — finanziell gesichert schien und sogar ein

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Zur „Bismarck-Politik" Seeckts: Aufzeichnung Brockdorff-Rantzau, 3.8.22, ADAP, Ser. A., Bd. VI, Dok. 171, S. 357; Wohlfeil, S. 233. Erst aus dritter Hand erfuhr die diplomati­ sche Vertretung in Moskau überhaupt von der Anwesenheit Niedermayers: ADAP, Ser. A, Bd. V, Dok. 132; Geyer, Aufrüstung, S. 35f.; Deist, Zukunftskrieg, S. 84. Der Pilot der F13, die Enver Pascha nach Moskau bringen sollte, gelangte schließlich ebenfalls dorthin und stellte den ersten, freilich vagen Kontakt zwischen Junkers und der sowjetischen Regierung her (Wagner, Junkers, S. 186; Wissmann, Fili, S. 62). Offermann, Aktennotiz betr. Luftverkehrsunternehmen in den russischen Randstaaten, 9.9.20, DMM/ASD JA 0618/1/7. Seitz an Junkers betr. Besprechung Wagenführ, Schleissing, Seitz am 7.1.20, DMM/ ASD JA 0301/3/5. Exposö betr. Errichtung eines Luftverkehrsunternehmens auf der Strecke BerlinKönigsberg einerseits und Königsberg - Kowno - Riga - Reval andererseits, o.D., LA Oranienbaum, Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 155, fol. 126.

Stillhalten der Entente gegenüber der in London oder Paris zu gründenden Luftverkehrsgesellschaft signalisiert wurde,183 ließ Junkers sich gerne dar-

gels im November 1920 aufrecht, zumal auch Emanuel Nobel, einer der wichtigsten Auslandskontakte Junkers', hinter der Doloukhanow-Gruppe stand.184 Im Januar 1921 gab Lianosow die Ausarbeitung von Plänen für ei­ ne Luftverkehrslinie von Petersburg über Moskau bis in den Kaukasus in Auftrag, die nach dem „Sturz der Sowjet-Regierung" einzurichten sei.185 Die Kontakte der Reichswehr und Junkers' wiesen eine bemerkens­ werte Parallele auf. Bevor die Reichswehr überhaupt versuchte, Albatros als möglichen Partner für die deutsch-sowjetische Kooperation unterzu­ bringen, konnte Junkers bereits im Zusammenhang mit der Frage, inwie­ weit eine oder mehrere andere Firmen „mit guter Fabrikation" an der ge­ planten Luftverkehrslinie teilnehmen sollten, mit Genugtuung notieren, daß seine exilrussischen Verhandlungspartner die Firma Albatros nicht da­ zu zählten. Die Haltung zu Albatros war damit in zweifacher Hinsicht ein Katalysator für die Entstehung des Junkers-Werks in Fili: Während sie die Reichswehr einerseits zwang, die freilich rudimentären rüstungswirt­ schaftlichen Interessen in den Hintergrund treten zu lassen, um den bünd­ nispolitischen Aspekt voranzutreiben, bot sie andererseits für Junkers den Anlaß, über eine Wiederaufnahme der Rüstungsproduktion nachzudenken. Die alten Unternehmen der Flugzeugindustrie hatten den potentiellen Rü­ stungsmarkt geräumt. Seit Ende 1920 war es nicht mehr nur der Luftver­ kehr, der Anknüpfungspunkte für ein Engagement Junkers' in Rußland bot, sondern die Rückkehr in die Produktion von Kriegsflugzeugen. Es war freilich ein besonderes Ereignis, das Junkers zum diesem Schritt bewog. Schon 1920 waren erste Schwierigkeiten im Verhältnis mit John Larsen aufgetreten. Die Bemühungen, neue Kontakte zu knüpfen, wurden durch eine Reihe von schweren Flugunfällen behindert, die die Postbehör­ de veranlaßten, ganz auf die F13 zu verzichten.186 Als die Verbindung zu Larsen abriß, weil eine Einigung über die Anteile an einer gemeinsamen Flugzeugfabrik in den Vereinigten Staaten nicht zustande kam, fehlte jede Möglichkeit, um die mittlerweile vom dortigen Verband der Flugzeugindu­ striellen durchgesetzten Importbeschränkungen zu umgehen.187 Zudem drängte ein Konkurrent auf den nordamerikanischen Markt, der ein ande­ res Format hatte als Albatros in Deutschland. Im Sommer 1921 traf die erste von Reinhold Platz ausschließlich als Verkehrsflugzeug konstruierte Fok-

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Briefentwurf Junkers’ an „Russen" und Tagebucheintrag, 13.10.20, NB 72, S. 3912-3916, DMM/ASD N 21/5. Niederschrift Seitz betr. Bericht Offermann am 25.10.21, DMM/ASD JA 0618/1/15. Seitz an Junkers, 6.1.21, DMM/ASD JA 0618/1/10. Ebd.; Niederschrift der Verwaltungskonferenzen vom 8.10.20, DMM/ASD JA 0301/ 4/21 und 11.1.21, DMM/ASD JA 0301/5/3; Schatzberg, S. 41. Mingos, S. 52.

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ker F III, die etwa in der Klasse der F13 lag, in den Vereinigten Staaten ein. Wenngleich von diesem Flugzeug nur wenige Exemplare verkauft wurden, gründete Fokker im Jahr darauf seine erste amerikanische Flugzeugfa­ brik.188 Junkers zog erst 1924 mit einer Vertriebsgesellschaft, der „Junkers Corporation of America", nach. Angesichts des Verlustes des amerikanischen Verkehrsflugzeugmark­ tes kam dem Anliegen William Mitchells, dem Chef der Heeresluftwaffe der Vereinigten Staaten, besondere Bedeutung zu. Mitchell, der sich mit den Vorzügen der neuen „deutschen" Technologie an einigen erbeuteten Fokker D VII vertraut gemacht hatte,189 suchte den Kontakt zu Fokker und Junkers, um über die Produktion von Kriegsflugzeugen zu verhandeln.190 Selbst wenn Fokker auch hier die Nase vom hatte, deutete sich die Per­ spektive an, durch die Aktivität im Kriegsflugzeugbau einen Teil des Posi­ tionsverlustes im Verkehrssektor kompensieren zu können, zumal durch eine Bedienung des Rüstungsmarktes ein wichtiger Schritt bei der Weiter­ entwicklung von Techniken der Serienproduktion geleistet werden konnte. Am 3. September 1920 erteilte Junkers der Forschungsanstalt den Auftrag, „zu Verhandlungszwecken" Entwürfe für eine Weiterentwicklung des In­ fanterieflugzeugs aus dem Jahr 1916 in Hochdeckerform, ein Groß- und ein Riesenflugzeug sowie einen Jagdeinsitzer anzufertigen.191 Im Mai 1921 li­ stete Junkers die Typen auf, die neben der F13 „für Arbeiten im Ausland" in Frage kamen: drei verschiedene einmotorige Typen für den Einsatz als Trainer und Kleinverkehrsflugzeug, das viermotorige Groß(verkehrs)flugzeug JG1, und schließlich nicht weniger als vier Kriegsflugzeugtypen: ein zweimotoriges Torpedoflugzeug, das ausdrücklich für den amerikanischen Markt produziert werden sollte, das Großflugzeug JG1 als Bomber, ein Rei­ se- und Verbindungsflugzeug und zwei Abwandlungen des Panzerdoppel­ deckers J4 aus dem Jahr 1916.192 Letztlich ließ jedoch das Bauverbot Junkers auf das Angebot der Reichswehr eingehen. Durch die Anerkennung der F13 als Zivilmaschine und ein gewisses Wohlwollen Mastermans und Dorants wurde die IFA länger als jedes andere Unternehmen von der verschärften Handhabung des Versailler Vertrages verschont. Die Beschlagnahme der elf F13 im Hamburger Hafen signalisierte jedoch, daß sich die Strategie, eine geson­ derte Behandlung als Verkehrsflugzeugproduzent einzufordern, erschöpft

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Schwing/Somberg/Herman, S. 66f.; Fokker/Gould, S. 334f. Hermann, Eigenschaften, passim. Mierzinsky (Hauptbüro): Welche Gesichtspunkte waren seinerzeit für die Verwertung von Junkers-Flugzeugen massgebend?, 5.1.26, DMM/ASD JA 0301/12/2; 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, S. 12; Fokker/Gould, S. 335; Wagner, Junkers, S. 185; Schwing/ Somberg, S. 67; Schmitt, S. 180f. u. 184f. Besprechung Prof. Junkers - Dr. Mader am 3.9.20, DMM/ASD JA 0302/7/6. Tagebucheintrag Junkers', 26.5.21, NB 77, S. 4525-4538, DMM/ASD N 21/5.

hatte.193 Zwar konnte die ursprünglich vorgesehene Aufteilung der 11 Flugzeuge auf die Garantiemächte194 verhindert werden, da das Reichs­ schatzamt mit dem Verweis auf die Haltung der deutschen Regierung zu den Beschlüssen von Boulogne die Beschlagnahme im Dezember 1920 auf­ hob.195 Gleichwohl wurde die Flugzeugherstellung bei Junkers seit Septem­ ber 1920 drastisch eingeschränkt, um die Folgen einer Beschlagnahmung in Dessau klein zu halten.196 Die Belegschaft der IFA (879 Arbeiter im Novem­ ber 1920) wurde bis März 1921 halbiert, die monatliche Produktion sank von fünf auf zwei F13.197 Als die deutsche Regierung sich den Beschlüssen der Konferenz von Boulogne beugte, ruhte die Flugzeugherstellung bei Junkers bereits. Der Beginn des Produktionsverbots wurde für Junkers freilich durch ein überaus erfolgreiches Geschäft markiert. Die IFA überführte auf Anra­ ten von Vertretern der Luftfriko unmittelbar nach dem Londoner Ultima­ tum 33 F13 in die Niederlande, um sie der befürchteten Beschlagnahmung zu entziehen.198 Die Zahl der verbliebenen Flugzeuge reichte jedoch nicht mehr aus, um die Forderungen der ILÜK nach einer rückwirkenden Durch­ setzung des Bauverbots zu erfüllen. Von Junkers und Dornier wurde pau­ schal die Auslieferung eines Viertels sämtlicher seit dem 10. Januar 1920 hergestellten Flugzeuge verlangt, um die unrechtmäßige Produktion seit dem 10. Juli 1920 zu sanktionieren. Das Kalkül Junkers7, durch dieses Ma­ növer möglicherweise eine weitere Beschäftigung der Werkstätten der IFA zu erreichen, indem ihr die Produktion der fehlenden Flugzeuge gestattet werde, erfüllte sich nicht. Nachdem ein Vertreter des Reichsluftamtes selbst im Mai 1921 noch die Auffassung vertreten hatte, der Weiterbau der F13 werde auch durch das absolute Bauverbot nicht betroffen sein, lehnte die ILÜK eine zusätzliche Fertigstellung energisch ab, so daß die Reichsregie­ rung Junkers in längeren Verhandlungen bewegen mußte, die dreizehn fehlenden Flugzeuge aus den Niederlanden zurückzuholen.199 Junkers be­ fand sich auf diese Weise allerdings in einer vorteilhaften Verhandlungspo193 194 195 196 197 198 199

Seitz (Büro Berlin) an AA, 30.11.20, DMM/ASD JA 0301/3/31. RWM, Luftfriko, an Junkers, 18.11.20, DMM/ASD JA 0301/3/31. Denkschrift betreffend Beschlagnahme von elf Junkers-Flugzeugen und deren Folgen, 9.6.21, DMM/ASD JA 0301/5/41. S. Aufstellung zur IFA-Unterhaltung v. 19.9.20, NB 72, S. 3884, DMM/ASD N 21/5. Denkschrift betreffend Beschlagnahme von elf Junkers-Flugzeugen und deren Folgen, 9.6.21, DMM/ASD JA 0301/5/41. Hitzigrath (Büro Berlin) an Junkers, 12.5.21, DMM/ASD JA 0301/5/31. Niederschrift über die Verhandlungen am 30.9.21 mit der Luftfriko und Reichsschatz­ ministerium in Angelegenheit I11ÜK (!), DMM/ASD JA 0301/6/22; Niederschrift der Besprechungen am 11.10.21 mit den verschiedenen Reichsstellen, 12.10.21, ebd.; Tage­ buchaufzeichnung Junkers' eines Gesprächs in Berlin, 20.10.21, NB 81, S. 5164, DMM/ASD N 21/3. Zum Vorgang allgemein: Reichsfinanzminister an Reichsminister des Auswärtigen, 4.10.21, ADAP S. A, Bd. V, Dok. 149, S. 307: „Der Vertreter der Jun­ kers-Werke hat bereits erklärt, daß seine Firma hierzu nur dann bereit sei, wenn ihr die [...] finanziellen Bedingungen zusagen."

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sition gegenüber den Reichsbehörden. Das Reichsschatzamt mußte den Verkaufspreis — nicht wie üblich, den Lohn- und Materialaufwand - für die nach Italien, Japan, Großbritannien, Belgien und Frankreich überführten 23 Flugzeuge erstatten.200 Zusätzlich erhielt Junkers eine pauschale Abfindung für die Hamburger Beschlagnahmung201 und die Kosten der Rückführung aus den Niederlanden. Die Entschädigung von insgesamt 20 Mio. Mark entsprach rund der Hälfte der im Geschäftsjahr 1921/22 ausgewiesenen Erträge der IFA, von der Bedeutung der beschlagnahmten Flugzeuge für die Anbahnung weiterer Geschäfte in den alliierten Staaten ganz abgese­ hen.202 Freilich fand sich die IFA dafür in einer Situation wieder, die jener vor dem erfolgreichen Erstflug der F13 ähnelte, als Junkers mit Vertretern der Ruhr­ industrie über eine Massenproduktion von „Volksbadewannen" als aussichts­ reichstem Konversionsprodukt verhandelte. 203 Der Betrieb des Flugzeugwerks mußte auf ein Minimum reduziert werden. Die 1921/22 eingeworbenen Fremdaufträge auf Lampengehäuse, Filmdosen, Nähmaschinenmulden, Blech­ deckel, Transportkästen u.a. ersetzten — gemessen am Stundenaufwand - kaum die Produktion von fünf F13.2(M Aus der rigorosen Handhabung des Bauverbots durch die ILÜK ließ sich darüber hinaus ablesen, daß auch langfristig kaum mit einer Rückkehr zu jener Politik der Duldung zu rechnen war, der Junkers den Erfolg des Jahres 1920 verdankte. Durch die absehbare dauerhafte Be­ schränkung des Luftfahrzeugbaus in Deutschland wurde nicht nur das Programm zur Serienproduktion, sondern auch die Ausdifferenzierung ei­ ner „Familie" von Junkers-Flugzeugen gefährdet und, damit verbunden, die gesamte Expansionspolitik Hugo Junkers7. Zwar sollte die F13 ebenso wie die Kleinflugzeuge nicht unter die „Begriffsbestimmungen" fallen, der Bau von Großflugzeugen war jedoch nach dem Mai 1921 jenseits einer rea­ listischen Perspektive der Dessauer IFA, Militärtypen ohnehin.205 Ein Pro­ jekt wie jenes viermotorige Doppelrumpfflugboot, „Junkerissime", mit des­ sen Planung sich das Konstruktionsbüro der IFA seit 1920 befaßte, war auch langfristig nur durch eine Umgehung der Bestimmungen des Versail-

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Ausgeführte Arbeiten während der Bauverbotszeit, 21.6.22, DMM/ASD JA 0301/7/28. Denkschrift betreffend Beschlagnahme von elf Junkers-Flugzeugen und deren Folgen, 9.6.21, DMM/ASD JA 0301 /5/41. Bilanz der Junkers-Flugzeugwerk A.G. vom 30.9.22, 31.3.24, DMM/ASD JA 0301/9/10. Besprechung über Bauprogramm der IFA am 29.4.19, DMM/ASD JA 0301/1/39. Der Vorsitzende des Langnamvereins, Wilhelm Beuckenberg, vermittelte den Kontakt zu Albert Vogler, Paul Reusch und Emil Kirdorf, die Junkers bei zwei Besuchen in Dort­ mund für eine Teilhaberschaft zu gewinnen suchte (Tagebucheinträge Junkers' v. 20.3., 28.3., 29.3. und 19.4. 1920, NB 67, S. 3268/3381, 3278, 3372 u. 3375, DMM/ASD N 21/5). Badewannen waren seit 1913 im Produktionsprogramm der Ico, Radandt, S. 66. Ausgeführte Arbeiten während der Bauverbotszeit, 21.6.22, DMM/ASD JA 0301/7/28. Niederschrift über die Verwaltungs-Konferenz vom 11.1.21, DMM/ASD JA 0301/5/1; Mierzinsky (Hauptbüro), Welche Gesichtspunkte waren seinerzeit für die Verwertung von Junkers-Flugzeugen massgebend?, 5.1.26, DMM/ASD JA 0301/12/2.

ler Vertrages realisierbar.206 Die Verlegung des Flugzeugwerks hatte min­ destens in dieser Frage den Charakter eines Befreiungsschlages. Pläne für eine Umsiedlung der IFA wurden seit Kriegsende diskutiert, wenngleich sie lange Zeit wenig konkret blieben. Junkers führte beispiels­ weise im Juli 1920 als in Frage stehende Länder Belgien, Holland, die Schweiz, Polen, Japan, die „Tscheche!" und die freie Stadt Danzig an.207 Die Androhung der Verlagerung war allerdings zunächst nur ein Druckmittel, um die Unterstützung der deutschen Regierung anzumahnen. In einem Brief an Masterman beklagte Junkers sich bitter über die Zwangsmaßnah­ men, die nur die Aussöhnung mit den Alliierten behinderten und lediglich dazu führten, daß die deutsche Flugzeugindustrie ins Ausland abwande­ re.208 „Wenn es lediglich egoistische Motive wären, die uns trieben und nicht die angeführten nationalen [...]. Dann würden wir nicht bei unserer Reichsregierung um ein paar Millionen betteln gehen [...] sondern ins Aus­ land, wo wir mühelos das Zehnfache bekommen würden und mit offenen Armen aufgenommen würden" schrieb Junkers im Zusammenhang mit der Rückführung der F13 aus den Niederlanden.209 Intern war freilich klargestellt, daß eine Verlegung des Betriebes in Wahrheit erhebliche finanzielle Einbußen bedeuten würde. Als im Juli 1921 einschlägige Informationen über die baltischen Staaten, Holland, Belgien, Polen, Italien, die Vereinigten Staaten, Spanien, Großbritannien u.a. einge­ holt waren, stellte sich heraus, daß die Lohnkosten in den Niederlanden das Dreieinhalbfache, in den Vereinigten Staaten das Sechsfache der in Deutschland bezahlten Sätze ausmachten, wodurch die Selbstkosten einer F13 im letzteren Fall knapp 20% über dem dann üblichen Verkaufspreis lie­ gen würden. Die inflationsbedingt günstigen Bedingungen der Flugzeug­ produktion in Deutschland waren nur bei der Verlegung in ein weiteres Niedriglohnland zu erhalten. Schon allein aus diesem Grund richtete sich das Interesse zunehmend auf eine Produktionsstätte in Rußland. Die Sondierungen von Vigdor Kopp waren schon im Januar 1921 dem Berliner Büro des Konzerns bekannt, wenngleich nur in dem Sinn, daß der Gegenstand eine von der Sowjet-Regierung zu subventionierende Luftver­ kehrslinie sei. Gleichzeitig liefen Nachrichten ein, daß Sachsenberg die

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Zindel, Geschichte, S. 36f.; Wagner, Junkers, S. 168ff. u. 230f. Tagebucheintrag Junkers' v. 8.7.20, NB 73, S. 4031-4033, „Umgehung des Bauverbots", DMM/ASD N 21/5. Die Danziger Option verstopften die Alliierten mit der Maßgabe, daß in dieser Stadt dieselben Bestimmungen für die Flugzeugproduktion gelten sollten wie im Reich: Generalkonsul Foerster an das AA, 3.5.22, ADAP, S. A, Bd. VI, Dok. 84, S. 172. Tagebucheintrag Junkers' v. 24.8.20 zu einem Brief an Masterman und Briefentwurf v. 29.8.20, NB 71, S. 3780 u. 3794, DMM/ASD N 21/5. Tagebuchaufzeichnung eines Gesprächs in Berlin, 20.10.21, NB 81, S. 5162, DMM/ASD N 21/3. „Im Ausland, England und Amerika würde ich mit offenen Armen empfan­ gen", so in einem Briefentwurf an Hesse, Oberbürgermeister von Dessau und MdR (DDP), 1.6.21, NB 77, S. 4557-4558, DMM/ASD N 21/5.

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Strecke des Lloyd-Ostflug auf russisches Territorium ausweiten wollte.210 Nach dem Londoner Ultimatum aktivierte Junkers seine Kontakte zu den russischen Exilanten und Emanuel Nobel, um Informationen über die Fa­ brikation in Rußland zu erhalten.211 Zugleich wurden die Arbeiten über die Systematik des Kriegsflugzeugbaus intensiviert, unter anderem durch län­ gere Besprechungen mit dem Leiter der Fliegerstellen der Reichswehr und Felix Wagenführ.212 Als sich die Kontakte mit der Reichswehr verdichteten, hatte Junkers fertige Konzepte in der Schublade. Er versprach sich von ei­ ner Flugzeugproduktion auf sowjetischem Territorium die Bereinigung von vier an sich isolierten Problemfeldern. Die IFA konnte erstens über die Produktion in Fili das Bauverbot wie auch später die „Begriffsbestimmun ­ gen" umgehen, zweitens eröffnete sich die Perspektive einer transkonti­ nentalen Luftverkehrslinie von Schweden nach Persien, drittens konnte Junkers Groß- und Kriegsflugzeuge für den internationalen Markt produ­ zieren und damit viertens die „Eigenmassenfabrikation" als Voraussetzung der weiteren Expansion der Forschung voranbringen. Zur Vorbereitung der russischen Unternehmung traf Junkers freilich die Entscheidung, die Dienste Gotthard Sachsenbergs intensiver als zuvor in Anspruch zu nehmen. Nach den ersten Gesprächen Offermanns mit Niedermayer verfaßte Sachsenberg Mitte September 1921 ein Exposö über die „russische Sache".213 Im gleichen Monat wechselten zahlreiche Angehö­ rige seines Kampfgeschwaders - unter ihnen ein abgehalfterter Kampfbe­ obachter, der erst nach der Gründung der Ostdeutschen Landwerkstätten zu Sachsenberg gestoßen war, Erhard Milch - in den Junkers-Konzern.214 Das Ziel war zunächst, die „besten Luftkutscher Europas"215 für eine Luft­ verkehrslinie und mit den Verhältnissen in Rußland vertraute Monteure für die Flugzeugproduktion zu gewinnen.216 Zudem konnte Junkers auf die militärischen Erfahrungen des Kampfgeschwaders zurückgreifen. Der Lei­ ter des Fliegerstabs im Truppenamt war der ehemalige unmittelbare Vorge­ setzte von Erhard Milch, so daß man sich bei Junkers ein recht gutes Bild von den Absichten der Reichswehr machen konnte: „Wilberg wünscht Flie-

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Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 6.1.21, DMM/ASD JA 0618/1/10. Undatierter Briefentwurf Junkers’, (ca. Ende Mai 1921), NB 77, S. 4555, DMM/ASD N 21/5; Unterlage für Besprechung am 19.7.21, DMM/ASD JA 0301/5/30. Offermann (Büro Berlin) an IFA, betr. Kriegsflugzeuge, 19.12.21, DMM/ASD JA 0302/ 4/4; Möglichkeiten der Verwendung des Flugzeugs im Kriege, 14.12.21, DMM/ASD JA 0302/4/3. Tagebucheintrag Junkers' vom 19.9.21, NB 80, S. 4905, DMM/ASD N 21 /5. „Das Vertrauen, das ich zu Herrn Sachsenberg hege, erstreckt sich selbstverständlich auch auf die, welche ihm in Kampf und Not zur Seite gestanden haben. [...] Es bedarf für mich keinerlei näherer Prüfung: jeder von seinen Genossen ist in meinem Unter­ nehmen herzlich willkommen". Briefentwurf an Milch, ca. September 1921, NB 81, S. 5064-63, DMM/ASD N 21/3. Larissa Reissner, S. 922f.

Niederschrift Seitz betr. Bericht Offermann am 25.10.21, DMM/ASD JA 0618/1/15.

ger auszubilden (Steckenpferd). Sachsenberg sagt, das geht nur mit Flieger­ schule und will dies ausnützen", notierte Junkers.217 Das Engagement des „Kampfgeschwaders Sachsenberg" leistete der Militarisierung von Strategie und Struktur des Konzerns Vorschub. Der ehemalige Konteradmiral der kaiserlichen Flotte, Levetzow, konnte Mitte der zwanziger Jahre allein 18 Seeoffiziere des Militärjahrgangs 1913 in den Reihen des Junkers-Konzerns entdecken, die allesamt auf Gotthard Sach­ senberg eingeschworen waren.218 Sachsenberg war der Mann, die schlecht definierte Struktur der Junkers-Werke zu seinen Gunsten zu nutzen. Da er eine Gruppe innerhalb des Konzerns regierte, in der die durch persönliche Beziehungen und Abhängigkeiten dominierten Führungstrukturen des Freikorps fortlebten, konnte er Konkurrenten problemlos ausschalten, ent­ wickelte sich zum Konzeptgeber für den Kriegsflugzeugbau der IFA und stieg - formal erst seit Anfang 1927 mit einem leitenden Posten im Konzern betraut - bis zur Mitte der zwanziger Jahre zum „Generaldirektor des Kon­ zerns ohne handelsrechtliche Verantwortung" auf, wie ihn der spätere Reichsverkehrsminister Kröhne nannte.219 Schon im November 1921 beklei­ dete der „Schutzengel" Junkers", wie ihn die „Weltbühne" bezeichnete,220 die zentrale Position in den Verhandlungen mit der Reichswehr. Carl Seitz, der Junkers seit 1918 in Berlin vertreten hatte, schied Anfang 1922 aus dem Konzern aus, während Offermann, der den Kontakt zu Niedermayer ur­ sprünglich angebahnt hatte, aus den Verhandlungen mit der Reichswehr zurückgezogen wurde. Auch in den folgenden Monaten erwies sich der ehemalige Marineflieger als wichtigste Stütze des Projekts. Sachsenberg war sich durchaus im klaren, daß seine Karriere im Konzern mit dem Schicksal des Flugzeugwerks in Moskau verbunden war, und verstand es daher, die zahllosen Klippen in den Verhandlungen mit der sowjetischen Regierung und der Reichswehr zu umschiffen und aufkommende Zweifel bei Junkers zu zerstreuen. Offermann hatte die Perspektiven des russischen Unternehmens bis zum Herbst 1921 mit Niedermayer ausgehandelt. Geplant sei, hieß es in ei­ ner Unterrichtung Junkers" Ende Oktober, daß die Rüstungsproduktion in Rußland formal durch einen Konzern aufgenommen werde, in dem sich die in Frage kommenden deutschen Partner, zu diesem Zeitpunkt Krupp, die Hapag, Junkers und gegebenenfalls Stinnes und Dornier, zusammenfinden

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Tagebucheintrag Junkers', ca. 20.11.21, NB 83, S. 5288, DMM/ASD N 21/3. Selbst wenn von Lipezk „noch keine Rede sein konnte", stand dieser Aspekt schon 1921 im Zentrum des Interesses, vgl. Zeidler, S. 57 FN 47. Zu Levetzow s. Granier, S. 122-125 sowie Dülffer, Weimar, S. 47-52 u. 58. Bemerkungen zu dem Schreiben des Reichsgerichtspräsidenten ..., Anlage zu Schreiben Kröhne an Stresemann v. 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, S. 27, s.a. BArch R 43 11/699, fol. 109f., vgl. „Bericht zum Fall Junkers" des Dessauer Oberstaatsanwalts Lämmler v. 28.4.34, S. 40, LA Oranienbaum, Rep. Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 162. Larissa Reissner, S. 922.

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müßten. Dieser Block solle gegenüber der sowjetischen Regierung als allei­ niger Vertragspartner auftreten. Für Junkers stehe ein Auftrag über etwa 1.000 Kriegsflugzeuge in Aussicht. Die deutsche Regierung könne lediglich eine Verlustgarantie angesichts der unsicheren russischen Verhältnisse übernehmen, während die Vorfinanzierung der Projekte ebenfalls privat, durch die Deutsche Bank, gewährleistet werden müsse. Strittig waren die Beschaffung von Rohstoffen und Motoren sowie die Rekrutierung von Ar­ beitern, die Fortsetzung des Kontakts zur russischen Emigration und schließlich die Reichweite der Risikoübernahme durch das Reich.221 Der Rang der Offiziere, mit denen Sachsenberg und Junkers am 25. November 1921 zusammenkamen, deutete an, welchen Wert Seeckt dem Engagement in Sowjetrußland beimaß. Die „Sondergruppe" der Reichs­ wehr, die Dessau besuchte, wurde von keinen geringeren als dem Chef des Heereswaffenamtes, General Wurtzbacher, und dem bald darauf zum Chef des Truppenamtes aufgestiegenen Oberst Hasse angeführt. Damit ergab sich eine Gesprächskonstellation, die zu schwerwiegenden Mißverständ­ nissen führte. Während Junkers und Sachsenberg vor allem die Frage der Risikoübernahme klären wollten, waren die Reichswehrspitzen, die nur über bündnispolitische Implikationen des Unternehmens nachdachten, an den ökonomischen Konsequenzen höchst oberflächlich interessiert: Da das Engagement Junkers' formell durch eine Anfrage der sowjetschen Regie­ rung über die deutsche diplomatische Vertretung erfolgen müsse, solle der Aufbau einer Luftverkehrsgesellschaft in den Vordergrund gehoben wer­ den, um das Auswärtige Amt möglichst lange über die wahren Absichten zu täuschen, hieß es. Eine Beratung durch die russischen Emigranten sei zu vermeiden. Hasse und Wurtzbacher sagten Junkers zu, daß die Flugzeug­ herstellung möglichst auf einen Typ von Junkers konzentriert werden solle, selbst wenn der Beitritt anderer Hersteller, wie etwa Dornier, nicht grund­ sätzlich vermieden werden könne. Die von Junkers gefürchtete Zusammen­ arbeit mit Stinnes werde zunächst dilatorisch zu behandeln sein, bis Jun­ kers wirtschaftlich „erstarkt" sei.222 Das unternehmerische Risiko hielten die Reichswehrgenerale jedoch für so nachrangig, daß es kaum einer Ver­ handlung bedürfe.223 Zwar läßt sich der „feierliche mündliche Vertragsab­ schluß", der später vom Rechtsbeistand Junkers' angeführt wurde, nicht belegen, und auch nicht die Feststellung, daß die Reichswehrspitzen „die von Professor Junkers aufgestellten Bedingungen" akzeptierten.224 Aller­ dings rieten sie Junkers, die Kosten für den geforderten „großzügigen" Ausbau möglichst auf die sowjetische Seite abzuwälzen und fügten hinzu:

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Niederschrift Seitz betr. Bericht Offermann am 25.10.21, DMM/ASD JA 0618/1/15. G. Sachsenberg, Niederschrift über die Besprechung über rumänische Angelegenheit am 25.11.21, DMM/ASD JA 0618/1/17. Aufzeichnung eines Gesprächs Sachsenbergs mit Ago v. Maltzan, Staatssekretär im AA am 28.4.24, ADAP, Ser. A., Bd. X, Dok. 48, S. 124. 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 8-10.

„Wenn dies nicht zu erreichen, wird der Auftraggeber die Garantie für das investierte Kapital übernehmen, oder es selbst in irgendwelcher Form zur Verfügung stellen".225 Das Mißverhältnis zwischen politischem Anspruch und ökonomischer Realität kennzeichnete die Haltung der Reichswehr. Die Geldsummen, mit denen die Reichswehr das Projekt anschieben wollte, schrumpften zuse­ hends, während die Position Junkers7 in den Verhandlungen mit der So­ wjetregierung bis November 1922, als endlich konkrete Vertragsgrundlagen bereitlagen, laufend unterhöhlt wurde. Niedermayer, ein „Phantast", wie der deutsche Botschafter in Moskau, von Brockdorff-Rantzau, später schrieb,226 hatte den Sowjets im Frühjahr 1921 Versprechungen gemacht, die fern jeglicher Realisierung waren. Als Ziel einer Zusammenarbeit wurde eine sowjetische Luftstreitmacht vorgegeben, die mit 5.000 - 10.000 Flug­ zeugen größer sein sollte als die französische, britische, tschechische und polnische Luftwaffe zusammengenommen. Eine zu errichtende „Kriegsindustriestadt" bei Petersburg wollte der Emissär Seeckts mit Le­ bensmitteln, Kleidung, Kohle und sonstigen Rohstoffen aus deutschen Lie­ ferungen versorgen.227 Die Planungen, mit denen Sachsenberg und der Direktor der Ico, Paul Spaleck, konfrontiert wurden, als sie im Dezember 1921 zusammen mit Niedermayer und Vertretern anderer Unternehmen nach Moskau fuhren, waren schon bescheidener. Der Ausbau der Flugzeugindustrie sollte in zwei Stufen vollzogen werden. Das sogenannte Programm I bestand in der provisorischen Errichtung einer Flugzeugfabrik in den russo-baltischen Automobilwerken in Fili bei Moskau, die zunächst ein kleines Produkti­ onsprogramm ausführen sollte, um die russischen Techniker mit der Me­ tallbauweise vertraut zu machen, gleichzeitig aber auch, angesichts der er­ neuten russisch-polnischen Spannungen im Winter 1921/22, als Reparaturstätte für Holzflugzeuge herangezogen werden konnte.228 Das Programm II erst bestand in dem vollständigen Ausbau von Fili und dem Schwesterwerk der russo-baltischen Automobilfabrik in Petersburg bis zu einer Kapazität, die die Herstellung von 100 Flugzeugen pro Monat ermög­ lichte. Das geschätzte Betriebskapital für das Programm I betrug 150, für die Programme I und II zusammengenommen 600 Mio. Papiermark, die die Reichswehr bereitstellen wollte. Von einer Abwälzung der Kosten auf die Sowjetregierung konnte keine Rede mehr sein, zumal diese sich als durch­ aus selbstbewußter Verhandlungspartner erwies und beispielsweise eine restlose Einbringung der Ergebnisse der Forschungsanstalt bei einer Li­ zenzgebühr von lediglich zwei Prozent forderte. Gleichwohl sagten Nie225 226

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G. Sachsenberg, Niederschrift über die Besprechung über rumänische Angelegenheit am 25.11.21, DMM/ASD JA 0618/1/17. ADAP, Ser. A., Bd. 7, Dok. 125, S. 302. Darstellung, 8.12.26, Junkers-Nachrichten 21(1980), H. 2, S. 8. Junkers an Spaleck, 20.1.22, DMM/ASD JA 0618/1/21.

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dermayer und Sachsenberg Trotzki im Februar 1922 die Erfüllung des klei­ nen und des großen Programms zu.229 Der vereinbarte Finanzierungsrahmen blieb jedoch nur wenige Wo­ chen gültig. Junkers führte später an, neben dem Betriebskapital von 600 Mio. habe er im Februar 1921 400 Mio. als Kosten für die Einrichtung er­ wartet, sei also von einem Zuschuß von 1 Mrd. Papiermark ausgegangen.230 Wenig später stand freilich fest, daß die Reichswehr höchstens mit einem Bruchteil der Summe arbeiten konnte, nämlich 150 Mio. Mark, die gerade ausreichten, um das Provisorium, Programm I, zu erfüllen. Diese Summe schrumpfte bis Anfang März 1922 auf 140 Mio. Mark, die Junkers nun ver­ traglich fixiert wissen wollte. Die daraufhin zwischen Junkers, Sachsenberg (der sich für die Unterzeichnung den Decknamen Sigsfeld zugelegt hatte) und dem IFA-Direktor Georg Veiel einerseits sowie Hasse und Niedermayer andererseits ausgehandelte einzige schriftliche Vereinbarung über das Projekt, der Vertrag zwischen der „Sondergruppe" und der „Firma N.N." vom 15. März 1922, nannte nur diese Summe, zu diesem Zeitpunkt noch rund 2,1 Mio. Goldmark, im Gegensatz zu den 600 Mio. Mark, die Anfang 1922 noch einen Gegenwert von 15 Mio. Goldmark ausgemacht hatten. Erst als Junkers nach dem Märzvertrag Zusagen über die weitere Unterstützung des russischen Projekts anmahnte,231 verdichteten sich freilich die Informa­ tionen, daß es auf Dauer bei den 140 Mio. Mark bleiben würde. Die sowjetsche Seite reagierte auf diese Täuschung allerdings weitaus schärfer als Junkers. Tschitscherin, der Volkskommissar für auswärtige Angelegenheisehen Militärs in Kontakt zu treten.232

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Ebd.; Protokoll der Besprechung vom 27.2.22, DMM/ASD JA 0618/1/23; 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 15-16. Darstellung, 8.12.26, JunkersNachrichten 21 (1980), H. 2., S. 8/9. Junkers an Spaleck, 20.1.22, DMM/ASD JA 0618/1/21; Zeidler, S. 54f.; Wissmann, Fili, S. 16. 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 15; Darstellung, 8.12.26, Junkers-Nachrichten 21 (1980), H. 2., S. 9. Junkers führte später an, auch die Russen sei­ en im Februar 1922 von 1 Md. Papiermark, 21 Mio Goldmark, ausgegangen. So etwa in einem Schreiben an den Vertreter der Reichswehr in Sowjetrußland, Fischer vom 22.4.22, in 1. Schriftsatz Reichswehrministerium, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/ 3682, fol. 8 und Anlage 2, s. a. Tagebucheintrag Junkers' o. D. (19.4.22), NB 88, S. 5805f., DMM/ASD N 21/3. Die Junkerssche Seite behauptete, erst im Juli 1922 endgültig über den Gesamtumfang des Engagements informiert worden zu sein, Aufzeichnung eines Gesprächs Sachsen­ bergs mit Ago v. Maltzan, Staatssekretär im AA am 28.4.24, ADAP, Ser. A., Bd. X, Dok. 48, S. 124. Die Reichswehr entgegnete, Junkers bereits während der Verhandlun­ gen im November 1921 entsprechend informiert zu haben, Aufzeichnung Senftleben (WA) zur Denkschrift Junkers' vom 25. Juni 1926, 13.8.26, ADAP Ser. B., Bd. 11,2, Dok. 86, S. 202. Zur Information der sowjetischen Seite: Aufzeichnung von BrockdorffRantzau vom 14.9.22, ADAP, Ser. A., Bd. I, Dok. 199, S. 419 und Anm. 2. Noch umstrit­ tener als die Frage, wann tatsächlich Junkers klar war, wie wenig Geld zu Verfügung stünde, ist der Punkt, wann dies den Russen eröffnet wurde; selbst in den Junkersschen Denkschriften gibt es in dieser Hinsicht Widersprüche - während es in Darstellung,

Im Frühjahr 1922 erwies es sich freilich auch, daß die Reichswehr bei den Verhandlungen mit den sowjetischen Stellen jede flankierende Stützung der Position Junkers' unterlassen hatte. Ausgerechnet die Aero-Union erhielt im März 1922 von der sowjetischen Regierung die Monopollizenz zur Befliegung der Strecke Königsberg-Moskau. Die auf der Basis dieser Lizenz gegründete Deutsch-Russische Luftverkehrs-AG (Deruluft) ließ sich jedoch kaum mit der Strategie vereinbaren, die Hasse und Wurtzbacher vorgeschlagen hatten, und sie torpedierte die Junkersschen Luftverkehrsinteressen an dem russischen Engagement so weit, daß sie allein ein Grund gewesen wäre, aus den Bezie­ hungen mit der Reichswehr und Rußland auszusteigen.233 Erst am Tag nach der Unterzeichnung des Vertrags von Rapallo forderte Hasse vom Staatsse­ kretär im AA, von Maltzan, trotz der Monopollizenz der Deruluft auch eine Linie für Junkers zu sichern.234 Die Entwicklung im Umfeld der Konferenz von Genua belegte, daß das Projekt eines Junkers-Unternehmens in Rußland eigentlich schon geschei­ tert war. Während es sich erwies, daß der finanzielle Spielraum weit enger war als geplant, ergab sich nun auch eine geänderte Basis für die Bündnis­ politik der Reichswehr. Der ehemalige Außenminister von BrockdorffRantzau - seit den Versailler Verhandlungen ein Intimfeind Seeckts machte seine Ernennung zum Botschafter in Moskau von einem Ende der politischen Alleingänge der Reichswehr abhängig.235 Die deutschen Militärs übten sich im Hinhalten. Seeckt, Hasse und Niedermayer überließen die Verhandlungen über das Werk in Moskau in dem Maße bilateralen Gesprä­ chen zwischen der sowjetischen Regierung und Junkers, wie ihre bündnis­ politischen Ambitionen zerstoben. Zugleich signalisierten sie, daß die Reichswehr sich auch mit einem Ausscheiden Junkers' aus dem Projekt ab­ finden konnte. Im März 1922 erklärten die Vertreter der Reichswehr schroff, auf „ernsthafte Konkurrenzangebote, alter Compagnon Holland" einzugehen, wenn Junkers nicht von seiner Forderung nach Lizenzgebüh­ ren von zehn Prozent für jedes in Rußland produzierte Flugzeug abrück­ te.236 Als Junkers der Reichswehr im Juli 1922 einen Investitionsplan für das Programm I vorlegte, der mit etwa 9 Millionen Goldmark (4,7 Mio. Rubel)

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8.12.26, Junkers-Nachrichten 21 (1980), H. 2., S. 8 heißt, Trotzki sei schon durch den Annex zu der Übereinkunft vom Februar 1922 darüber orientiert worden, heißt es in ADAP, Ser. B., Bd. 11,2, Anhang I, S. 495, mit Rücksicht auf die Verhandlungen im Um­ feld der Genueser Konferenz sei diese Auskunft bis zum Juli 1922 verschoben worden. Zur Übereinkunft vom Februar 1922: Zeidler, S. 54f. G. Sachsenberg an Spaleck und v. Bentheim, 28.2.22, DMM/ASD JA 0618/1/24. Schreiben Hasse an Maltzan, 17.4.22, ADAP, Ser. A, Bd. VI, Dok. 58. Der Vertrag von Rapallo war schon am Abend zuvor abgeschlossen worden. S. die Aufzeichnungen Brockdorff-Rantzaus vom 1.8., 3.8., 15.8. und 7.9.22 in ADAP, Ser. A., Bd. I, Dok. 167,171,176,191. Telegramm G. Sachsenberg an Junkers, 24.3.22, DMM/ASD JA 0618/1/25. 117

immerhin das Sechsfache der im Märzvertrag festgelegten Summe erreich­ te, bot Hasse an, das Vorhaben aufzugeben.237 An diesem Punkt erwies sich jedoch die Eigendynamik des Projekts. Bei Junkers war die Besorgnis über die finanzielle Beteiligung der Reichs­ wehr im Sommer 1922 bereits einem großen Optimismus hinsichtlich der Chancen des russischen Engagements gewichen. Arkadi Rosengolz, der Chef der sowjetischen Luftwaffe, hatte betont, daß es seiner Regierung dar­ auf ankomme, „im eigenen Land eine abgeschlossene Fabrikation zu be­ kommen", und zwar „Aluminiumerzeugung, Dural, Flugzeug- und Moto­ renbau". Für Junkers ergab sich somit eine Perspektive, die ihm in Deutschland verschlossen war - den Flugzeugbau bis hin zur Rohstoffauf­ bereitung funktional zu integrieren.238 Bereits im Dezember 1921 erwarb er von den Dürener Metallwerken eine Lizenz für die Produktion von Dural­ min in Rußland,239 seit Januar 1922 forderte er von den Sowjets „irgend ein Monopol" für die Herstellung dieser Legierung.240 Der besondere techni­ sche Reiz des Unternehmens in Rußland bestand darüber hinaus darin, daß die Metallbauweise in ihrer perfektionierten Form erstmals in der Serien­ produktion erprobt werden konnte. Zwar ging es im Sommer 1922 nicht mehr um 100 Flugzeuge pro Monat, das Ziel aber war immer noch die Er­ stellung einer Anlage, die weit mehr Flugzeuge als Dessau ausstoßen konnte. Die besonderen Verhältnisse in Rußland, die später immer wieder beklagt wurden - der Mangel an ausgebildeten Metallarbeitern und die un­ zulängliche Ausstattung der vorhandenen Anlagen - hatte insofern auch eine positive Seite. Junkers konnte einen Betrieb erstellen, in dem modell­ artig die Handarbeit im Flugzeugbau mechanisiert werden sollte. Während sich somit die Gelegenheit abzeichnete, durch das Werk in Fili die Flugzeugproduktion technisch zu vervollkommnen, eröffneten sich auch in der Frage des Luftverkehrs Aussichten, die noch 1921 höchstens erahnt werden konnten. Ganz im Einklang mit dem Sachsenbergschen Ex­ pose sahen auch die sowjetischen Stellen das Flugzeug als Instrument zur Erschließung der verkehrsarmen Gebiete in Rußland an und waren bereit, der Abteilung Luftverkehr eine Konzession für eine der „zentralen Adern" des europäischen Verkehrs zwischen Vorderasien und Nordeuropa einzu­ räumen. Sachsenberg begriff die Verhandlungen mit den Sowjets sogar als Chance, nun seinerseits aus dem Junkersschen Unternehmen heraus Au­ ßenpolitik betreiben zu können. Nach der bei Junkers vertretenen Ansicht

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Aufzeichnung Senftleben (WA) zur Denkschrift Junkers' von 25. Juni 1926, 13.8.26, ADAP Ser. B., Bd. 11,2, Dok. 86, S. 205, Anm. 10. Zeidler, S. 56. G. Sachsenberg an v. Bentheim und Walter, 10.6.22, DMM/ASD JA 0618/1/30; Tage­ bucheintrag Junkers' o.D. (Dez. 1921), NB 84, S. 5396f., DMM/ASD N 21/3. Briefentwurf Junkers' an „Russ.", o.D. (Jan. 1922), NB 85, S. 5551, DMM/ASD N 21/3, Wesentliche Punkte des Konzessionsvertragsentwurfs Sigsfeld vom 8.4., 21.4.22, DMM/ASD JA 0618/1/29.

war die Luftverkehrsverbindung nach Vorderasien ein gewichtiger Beitrag nicht nur im „Ringen um die Öl produzierenden Gebiete der Erde", son­ dern auch zur Anbindung der südosteuropäischen Rohstofflieferanten nicht zuletzt der ungarischen Bauxitlagerstätten - an Deutschland.241 Vor dem Hintergrund dieser Dynamik erschien der Verweis auf öko­ nomische Risiken kleinlich. Obwohl mittlerweile das Bauverbot aufgehoben war, und die Reichswehr an der im Märzvertrag vereinbarten Summe fest­ hielt, verwarf Junkers die von Hasse vorgeschlagene Aufgabe des Projekts und erklärte seine Bereitschaft, weiterhin „das Äußerste (zu) tun".242 Jun­ kers versuchte fortan, das ökonomische Risiko durch Zugeständnisse der Sowjets und - vor dem Hintergrund des zunehmenden Inflationsdrucks durch einen raschen Abschluß der Verhandlungen zu begrenzen. Zunächst folgte er bei den Verhandlungen mit den sowjetischen Stellen zwar der Strategie, die mangelnde finanzielle Unterstützung der Reichswehr durch bessere Konditionen für die eigentliche Produktion und vor allem durch Abnahmegarantien auszugleichen. 243 So notierte er im April 1922: „Ich habe immer auf die maßgebende Bedeutung der Bestellungen und Anzahlungen hingewiesen und [...] immer betont, daß bei angemessenen Anzahlungen Js. (Junkers, L.B.) gar kein Betriebskapital brauchen wird."244 Später war er je­ doch bereit, selbst hier auf Zusagen zu verzichten. Schon im März 1922 hatte der in Moskau verbliebene Spaleck die Frage nach der Höhe von Ab­ nahmegarantien mit den Worten abgetan, daß selbst die Verpflichtung der Russen, auf Dauer die Hälfte der Produktion des Werkes abzunehmen, nichts nützen werde, wenn nicht der Markt durch die technischen Vorzüge des Flugzeugs erobert und privates Kapital eingeworben würde.245 Dieses Argument betonte auch Junkers: „Da möglicherweise die Russen dem Ka­ pital zu großen Wert beilegen und bei Js. Kapitalmangel vermuten, so ist darauf hinzuweisen: A) Daß Js. beliebig viel Kapital haben kann. Angebot von den größten Banken und den Amerikanern. B) Daß die Js. Betriebe oh­ ne fremdes Kapital entstanden sind allein durch solide und tüchtige Arbeit; Js. hat sich absichtlich femgehalten von der Verkupplung mit dem Kapital, obschon manches dafür spricht, und das Kapital und die Großindustrie ihm manche Schwierigkeiten bereiten. Aber er kann jederzeit Verbindung her­ stellen."246 Je früher das Werk in Moskau produzieren könne, desto be­ gründeter seien die Hoffnungen auf eine Beteiligung von dritter Seite, schrieb Junkers. Die Vorbereitungen für die Fabrikation in Rußland erhiel-

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Zitate nach „Die Luftverkehrspolitik des Junkers-Konzerns", Anlage zu Schreiben Pat­ ze (Abteilung Luftverkehr der Junkers-Werke) an Köpke (AA), 3.4.23, ADAP Ser. A, Bd. VII, Dok. 177. Hasse an Junkers, 12.7.21, DMM/ASD JA 0618/1/25; Wissmann, Fili, S. 98f. 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 33. Tagebucheintrag Junkers' o.D. (ca. 19.4.22), NB 88, S. 5804, DMM/ASD N 21/3. 1. Schriftsatz Reichswehrministerium, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 8f. Tagebucheintrag Junkers', 4.7.22, NB 90, S. 6101, DMM/ASD N 21/3.

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ten Vorrang vor allen anderen Arbeiten in Dessau, die Forschungsanstalt und das Konstruktionsbüro der IFA nahmen die Konstruktion von Kriegs­ flugzeugtypen und Werkzeugen in Angriff. Im Mai 1922 traf Junkers Emil Georg von Stauß, um ihn - vergeblich - für die russische Sache zu begei­ stern, wobei er auch hier ausdrücklich die Chancen betonte, die der inter­ nationale Rüstungsmarkt bot.247 Das einzige finanzielle Problem, das bei den Verhandlungen mit den Sowjets über den Konzessionsvertrag schließlich noch eine Rolle spielte, ergab sich aus der eigenwirtschaftlichen Forschung. Es stieß auf ein derar­ tiges Unverständnis bei den Sowjets, daß der Preis für die Vorrichtungen und Werkzeuge, die in Fili eingesetzt werden sollten, ein Mehrfaches der Herstellungskosten ausmachte, daß Junkers im März 1922 den Vorschlag machte, es bei dem Provisorium zu belassen und nur Holzflugzeuge herzu­ stellen: „Wenn Ihr das Metallflugzeug haben wollt, so müßt Ihr eine ange­ messene Entschädigung dafür zahlen", notierte er.24S Zudem betonten die Sowjets mehr und mehr die mit der Errichtung des Werkes in Fili verbun­ dene Aufnahme einer Motorenproduktion und die Errichtung eines Duralminlagers.249 Die Herstellung von Flugzeugen geriet zeitweise ganz aus dem Blick.250 Schließlich konnte Sachsenberg dennoch, am 26. November 1922, drei Verträge in Moskau unterzeichnen, die mit der Ratifizierung durch die so­ wjetische Regierung am 29. Januar 1923 in Kraft traten. Durch den Konzes­ sionsvertrag Nr. 2 wurde Junkers die Einrichtung einer direkten Luftver­ kehrsverbindung von Schweden nach Persien, durch den Konzessionsvertrag Nr. 3 die Luftbildvermessung des russischen Territoriums übertragen251 beides Unternehmen, die ein Absatzfeld für Flugzeuge in Rußland öffneten und auf Gewinn hoffen ließen. Der Konzessionsvertrag Nr. 1 betraf den Ausbau des ehemaligen russo-baltischen Autowerks in Fili bei Moskau, und zwar auf einer Linie, die ungefähr dem früheren „kleinen" Programm I entsprach.252 Junkers sollte eine Metallflugzeugfabrik „nach dem letzten Stande der Technik" errichten, in der vom März 1924 an 300 Flugzeuge und 450 Flugmotoren (einschließlich Reservemotoren) jährlich produziert wer­ den konnten. Junkers verpflichtete sich, innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Vertragsgültigkeit einen Aluminium- und Materialvorrat für die

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Tagebucheintrag Junkers' über eine Besprechung mit Stauß, 3.5.22, NB 88, S. 5873, DMM/ASD N 21/3. Tagebucheintragung Junkers', o.D. (Ende März 1922), NB 87, S. 5698, DMM/ASD N21/3. 1. Schriftsatz Reichswehrministerium, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 21. Tagebucheintrag Junkers', 4.7.22, NB 90, S. 6087, DMM/ASD N 21/3. Ein entsprechendes Expose hatte Sachsenberg Junkers Ende August 1922 übergeben: Tagebucheintrag Junkers' v. 31.8.22, NB 92, S. 6350, DMM/ASD N 21/3. Die folgenden Ausführungen legen den in Wissmann, Fili als Anlage 2 abgedruckten Text zugrunde, s. a. ebd., S. 101-103.

Produktion von 750 Flugzeugen und 1125 Motoren in Fili zu schaffen. In den ersten fünf Jahren sollten Einheimische 50% der Arbeiter und 10% der Angestellten des Werkes stellen, danach 70 bzw. 50%. Für eine geplante Werkssiedlung erhielt Junkers kostenlos Baumaterialien. Die Dauer des Vertrages wurde auf 30 Jahre festgelegt, danach sollte das Werk entschädi­ gungslos in sowjetischen Besitz übergehen. Nach 12 Jahren kam die sowje­ tische Regierung in den Genuß eines Rückkaufrechts. Grundsätzlich hatten beide Seiten in strittigen Punkten nachgegeben. Rosengolz gestand Junkers die geforderte langfristige Laufzeit von dreißig Jahren253 und das volle Verfügungsrecht einschließlich der Ausfuhr über je­ ne Teile der Produktion zu, die nicht durch russische Aufträge abgedeckt waren. Der Bau von Holzflugzeugen wurde nicht mehr in den Vertrag auf­ genommen. Junkers verpflichtete sich, bei der Preisbildung lediglich einen Gewinnaufschlag von 10% - statt 25%254 - auf die Selbstkosten vorzusehen. Damit war eine Bezahlung nach dem Prinzip der eigenwirtschaftlichen For­ schung vom Tisch. Während Junkers noch im April eine Festbestellung auf 500 Flugzeuge und Anzahlungen auf 100 Flugzeuge vertraglich verankert wissen wollte,255 garantierte die sowjetische Regierung lediglich eine Ab­ nahme von 20% der festgesetzten Minimalproduktion. Gleichwohl orderten die Sowjets am 4. Dezember 1922 100 der Flugzeuge, die im ersten Jahr produziert werden sollten, während sie nach den Buchstaben des Vertrages nur 60 abnehmen mußten. Der Passus über die Niederlegung des Durai­ minvorrats bedeutete zwar eine erhebliche Festlegung von Kapital, ande­ rerseits erlosch dieser Paragraph, sobald Junkers die Aluminiumprodukti­ on in Rußland aufnahm, für die ihm die gewünschten Vorzugsrechte eingeräumt wurden. Für Junkers ergab sich zudem der Vorteil, daß über die Art der zu produzierenden Flugzeuge keinerlei Ausführungen gemacht wurden. Das Werk sollte zwar in der Hauptsache einmotorige Jagd- und Wasserflugzeuge herstellen, deren Spezifikation Junkers selbst festgelegt hatte. Großflugzeuge durften jedoch ebenso in Fili hergestellt werden wie die F13. Da schließlich die Präambel einen Billigkeitsparagraphen enthielt, in dem Junkers wie auch der sowjetischen Seite bei Eintreten einer grund­ sätzlich veränderten Ausgangslage die Revision des Vertrages zugebilligt wurde, war das Geschäftsrisiko in seiner Gesamtheit eingegrenzt. Die Konzessionsverträge müssen daher mit zweierlei Maß gemessen werden. Sie mochten, wie die Reichswehr später betonte, vom „wirtschaft-

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Tagebucheintrag Junkers' v. 14.7.22, NB 91, S. 6167, DMM/ASD N 21/3. Wesentliche Punkte des Konzessionsvertragsentwurfs Sigsfeld vom 8.4., 21.4.22, DMM/ASD JA 0618/1/29. So in einem Schreiben an den Militärvertreter in Moskau, Fischer, 22.4.22, s. 1. Schrift­ satz Reichswehrministerium, 13.1.26, BArch-MA RH 81/3682, fol. 8. Intern freilich setzte er voraus, daß mit einer Festbestellung von 100 Flugzeugen seinen Ansprüchen an den Vertrag Genüge getan sei, s. Tagebucheintrag Junkers' vom 3.5.22, NB 88, S. 5867, DMM/ASD N 21/3.

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liehen Standpunkt [...] eine Unmöglichkeit" darstellen, nach der unterneh­ merischen Strategie und dem Selbstvertrauen von Junkers boten sie eine Grundlage, um den internationalen Rüstungsmarkt wie auch den osteuropäi­ schen Verkehrsmarkt auf Dauer zu beherrschen,256 zumal die Option auf ei­ nen Ausbau des Werks in St. Petersburg nicht aufgegeben worden war. Der Meldung an das AA, daß der Betrieb in Fili zunächst mit 150 bis 200 Ar­ beitern aufgenommen werde, fügte die Moskauer Botschaft hinzu, daß „in Bälde" die Übernahme des Werks in St. Petersburg geplant sei.257 Der Luft­ verkehr auf der Trasse zwischen Moskau, Tiflis und Teheran begann im Mai 1923, die nördliche Ausdehnung nach Schweden schien nur eine Frage der Zeit zu sein, beteiligte sich die ILAG doch im gleichen Jahr an der neu gegründeten schwedischen Luftverkehrsfirma AB Aerotransport.258 Der Traum einer Direktverbindung von Nordeuropa nach Vorderasien nahm mit zwei Flugzeugwerken, die entlang dieser Strecke aufgereiht waren, Gestalt an. Vor allem konnte Junkers wieder Kriegsflugzeuge produzieren, um sei­ nen Konzern, wie er stets betonte, zur „ersten Waffenfabrik der Welt" zu ma­ chen.259 Das Moskauer Junkerswerk war eine strukturelle Fortsetzung der Rü­ stungsorganisation, die sich während des Ersten Weltkriegs herausgebildet hatte. Es stand in der Tradition der „selbstverantworteten" Rüstung des Hindenburg-Programms, in dem der „Industrie eine de-facto-Kontrolle über Produktion, Produktionsprozeß und Kalkulation übergeben"260 wurde. Da sich die Reichswehr im Sommer 1922 nicht zuletzt aus der finanziellen Verantwortung zurückgezogen hatte, diente das Werk in Fili zwar zuerst den Interessen von Junkers. Gleichwohl entlastete der Unternehmer durch seine Bemühungen um die Integration seines Flugzeugkonzerns die Reichswehr von Koordinationsaufgaben. Ohne politische Gefahren und ohne daß eine aufwendige Rüstungsorganisation unterhalten werden mußte, war das deutsche Militär in der Lage, Kriegsflugzeuge zu beziehen. Mit der Anlage, die seit Anfang 1923 in Fili aufgebaut wurde, konnten die im Konzessionsvertrag vorgesehenen Produktionszahlen durchaus er­ bracht werden. Freilich schwankte die Zahl der Beschäftigten des Junkers­ werks bis zu seiner Veräußerung an Sowjetrußland 1926 enorm. Zwischen März 1924 und Februar 1925 beschäftigte es über 1.000 deutsche und russi­ sche Arbeiter und Angestellte, nach einem rapiden Abbau seit Mitte 1925 nur noch 50.261 Die Bilanz zum 30. September 1925 wies Anlagen und In­ ventar im Wert von 2,7 Mio. Goldrubel aus (5,8 Mio. Reichsmark) - weit

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Junkers an Hasse, 9.2.23, DMM/ASD JA 0618/2/8. Botschaft in Moskau an das AA, 5.2.23, ADAP Ser. A, Bd. VII, Dok. 73. Groehler/Erfurth, S. 36; Bohme/Olsson, S. 150. Zu diesem roten Faden im unternehmerischen Credo von Junkers Tagebucheinträge vom 8.7.22 bzw. 22.7.22, NB 90, S. 6123 bzw. NB 91, S. 6185, DMM/ASD N 21/3. Geyer, Rüstungspolitik, S. 104. S. die Übersichten in DMM/ASD JA 0618/4.

mehr als die IFA in Dessau mit 4,6 Mio. Mark zur gleichen Zeit vorweisen konnte.262 Bis 1926 baute das Werk insgesamt 170 Flugzeuge der Typen, die Junkers Rosengolz im Oktober 1922 angeboten hatte, einen zweisitzigen Aufklärer in Hochdeckerform (J21) und ein ebenfalls zweisitziges Mehr­ zweckflugzeug in Tiefdeckerausführung (J20 bzw. A20).263 Zudem montierte Junkers-Moskau 50 Flugzeuge des Typs F13 für den russischen Luftver­ kehr.264 Die Produktion der Dessauer IFA lag 1930, bei einer vergleichbaren Arbeiterzahl, bei 116 Flugzeugen aller Typen. Diese Produktionsbilanz ent­ sprach bei weitem nicht den Erwartungen, die im Konzessionsvertrag zwi­ schen Junkers und Sowjetrußland niedergelegt worden waren. Sie war aber auch nicht so kümmerlich, wie später behauptet wurde; Sogar der be­ trächtliche Zeitverzug, der bei der Ablieferung der Flugzeuge des ersten russischen Auftrags auftrat - immerhin fast ein Jahr - und die technischen Probleme der Junkers-Flugzeuge waren für ein Rüstungsuntemehmen, das quasi aus dem Nichts geschaffen wurde, zu dieser Zeit und auch später zwar ärgerlich, aber nicht ungewöhnlich.265 Das Junkerswerk war zumindest für eine gewisse Zeit auf Aufträge der Reichswehr angewiesen. Nach dem Konzessionsvertrag hätte Fili zusam­ men mit der Ablieferung der Flugzeuge für die sowjetische Luftflotte etwa im Frühjahr 1924 die volle Kapazität erreichen sollen. Ein Auftrag der Reichswehr wäre dann eine willkommene Überbrückung gewesen, um Ab­ satzfelder in Drittländern zu erschließen. Er war zwar vorab nicht zugesagt worden, die politischen Entwicklungen 1922/23 ließen es jedoch erwarten, daß die Reichswehr in absehbarer Zeit einen Bedarf an Kriegsflugzeugen haben würde, sei es allein zur Ausbildung von Piloten.266 Daß Junkers mit 262

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Die Junkers-Bilanz des Werkes Fili ist Anlage 1 zu einem vom Heereswaffenamt initi­ ierten „Bericht über den Status des Junkers-Flugzeugwerks in Fili (Rußland)", 14. Juni 1926, BArch R 43 11/699, fol. 130; zur IFA s. Handbuch der deutschen Aktiengesell­ schaften 1926, S. 6075; die Vorräte in Dessau schlugen freilich mit 7,3 Mio. RM zu Bu­ che, während in Fili lediglich Materialien für umgerechnet 5 Mio. RM lagerten. Wagner, Junkers, S. 217ff. Zu den Kriegsflugzeugen s. Schreiben Rosengolz an das RWM v. 12.12.24, in: 1. Schrift­ satz RWM, 13.1.26, Anlage 22, BArch-MA RH 8 1/3682; Blunck, S. 169; Wissmann, Fili, S. 119f.; eine Abbildung der J21 findet sich in Langsdorff, Werner (Hg.): Fortschritte der Luftfahrt. Jahrbuch 1927/28, Frankfurt o.J., S. 64. Bis zum Jahr 1941, als eine deutsche Delegation die Luftfahrtindustrie der Sowjetunion besuchen durfte, wuchs die Beleg­ schaft des Werkes Fili auf 12-14.000 Personen, die auf 100.000 m2 überbauter Fläche ar­ beiteten. Der ältere Teil des Werks, der, nach der Gebäudeform zu urteilen, noch aus den zwanziger Jahren stammte, machte immerhin rund 30.000 m2 aus, s. die Beschrei­ bung und den Plan des Werks Nr. 22 in GL 1 5378/41: Bericht über die IndustrieBesichtigungs-Reise vom 28.3.-17.4.41 in Rußland, BArch-MA RL 3/2245, fol. 14-17, vgl. die Fotographien in Groehler/Erfurth, S. 34f. Dies waren die beiden Punkte der Kritik, die von der Reichswehr zumeist hervorgeho­ ben wurden, s. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 14f., 24, 30. Insofern kann man eine Bemerkung Gotthard Sachsenbergs (die von Seiten der Reichswehr stets ausgeschlachtet wurde, um die technische Unterlegenheit der Junkersschen Flugzeuge zu belegen) bei den an die Russen gelieferten Flugzeuge handele

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Aufträgen der Reichswehr rechnete, ließ sich an der Besetzung der leiten­ den Posten ablesen. Zum Direktor des Werks in Fili wurde der inoffizielle deutsche Militärattache in Moskau, Wilhelm Schubert, ernannt,267 als sein Assistent trat der frisch examinierte Sohn des Reichswehrministers Geßler hinzu. Als kaufmännischer Beirat komplettierte das Gespann der Ico-Direktor Spaleck, der sich allerdings nur sporadisch in Moskau aufhielt.268 Freilich ging nicht nur Junkers davon aus, daß die Reichswehr das Werk in Fili ei­ gentlich gefördert habe, um Rüstung zu betreiben: Ende April 1923 gab Brockdorff-Rantzau seiner Überraschung Ausdruck, als er während eines Ge­ sprächs mit dem Stellvertreter Trotzkis, Skljanski, erfuhr, daß deutsche Be­ stellungen trotz der „guten Arbeit" von Junkers noch nicht eingegangen seien.269 Angesichts eines drohenden Krieges mit Polen gab es seit Ende 1922 freilich Handlungsbedarf für eine Vertiefung der rüstungswirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und der Roten Armee.270 Im Fe­ bruar 1923 leitete Hasse selbst eine Militärmission nach Moskau. Die Ge­ spräche unter anderen mit Rosengolz verliefen jedoch unbefriedigend für beide Seiten, da weder über eine deutsche Förderung der russischen Rü­ stungsindustrie noch über deutsche Waffenlieferungen noch über die russi­ schen Gegenleistungen Einigkeit erzielt werden konnte.271 Zu allem Über­ fluß zeigte sich der deutsche Botschafter genauso verstimmt wie die sowjetischen Vertreter - Brockdorff-Rantzau, weil er erneut nur oberfläch­ lich informiert worden war, Tschitscherin, weil sich bestätigte, daß aus den großen Plänen eine „lächerliche Maus geboren" worden sei.272 Die zweite deutsche Militärmission, die im April 1923 nach Rußland reiste, diesmal unter Führung des Oberstleutnants Mentzel, wartete daher mit konkreteren Angeboten auf. Skljanski, der sich noch am Morgen des 27. April 1923 bei Brockdorff-Rantzau beklagt hatte, daß eine deutsche Bestellung von Flug­ zeugen ausgeblieben sei, erhielt am Abend die Zusage von Mentzel, daß Deutschland erhebliche Mengen von Rüstungsgütern bei Unternehmen in Rußland fertigen lassen wolle, darunter 100 Flugzeuge in Fili.273 Brockdorff-

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es sich um Schulmaschinen, auch so verstehen, daß Junkers die ihm durchaus bekannte Absicht der Reichswehr, in Sowjetrußland Piloten auszubilden (s.o.), technisch berück­ sichtigte: 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 33. Tagebucheintrag von Junkers, 22.2.22, NB 86, S. 5674, DMM/ASD N 21/3. S. Darstellung, 8.12.26, in: Junkers-Nachrichten 22 (1982), Nr. 1, S. 9. Anlage 1 zu Brockdorff-Rantzau an Cuno, 1.5.23, ADAP, Ser. A., Bd. VII, Dok. 215, S. 533, Aufzeichnung eines Gesprächs am Morgen des 27. April 1923. Am 21.3.23 schrieb Brockdorff-Rantzau an Cuno, angesichts einer verschleierten polni­ schen Mobilisierung gerate die Rüstungsfrage nach Ansicht der Russen in ein „akutes Stadium", ADAP, Ser. A., Bd. VII, Dok. 157, S. 373. Zu den Reisen der zwei Militärdelegationen im Frühjahr und Sommer 1923: Zeidler, S. 70ff.; ADAP, Ser. A., Bd. II, Dok. 102, 109,110, 118,125. Aufzeichnung von Brockdorff-Rantzau, 6.3.23, ADAP, Ser. A., Bd. II, Dok. 125, S. 303. Mentzel an Skljanski, 27.4.23, ADAP, Ser. A., Bd. II, Dok. 208.

Rantzau war ebenfalls zufrieden, als ihm Major a.D. Wilhelm Schubert am folgenden Tage die Auftragserteilung bestätigte. Der Aufbau einer Flug­ zeugindustrie in Rußland schien in einer Weise auf den Weg gebracht wor­ den zu sein, die den Interessen aller Beteiligten gleichermaßen entsprach bei Kosten von 35 Mio. Goldmark für das ganze Rüstungspaket freilich mit einer ziemlichen Belastung der Reichskasse.274 In Wahrheit hielt sich die Reichswehr nicht an die Versprechungen. Hasse hatte schon während seines Aufenthalts in Moskau bei Schubert an­ gefragt, ob Fili in der Lage sei, einen Auftrag über 100 Flugzeuge zu erledi­ gen, was Schubert, der späteren Darstellung Hasses zufolge, verneinte. Schubert wiederum erklärte später, er habe lediglich die Herstellung von 100 Flugzeugen im Laufe des Jahres 1923 ausgeschlossen. Wie auch immer, die Reichswehr bestellte entgegen der Zusage gegenüber Skljanski keine Flugzeuge. Junkers zögerte daraufhin die Erledigung des sowjetischen Auftrags hinaus - um Zeit zu gewinnen und in der Hoffnung, der offen­ sichtliche Verstoß gegen den Konzessionsvertrag ließe sich später bereini­ gen.275 Ende August beklagte sich Rosengolz, daß sich von den für die So­ wjets gedachten Flugzeugen, die bis zum April des folgenden Jahres ausgeliefert sein sollten, erst sechs in der Montage befänden. Bis zum Mai 1924 wurden tatsächlich nur 17 Flugzeuge in Fili hergestellt.276 Mit dem nächsten Schritt Seeckts und Hasses verkam das in nationa­ lem Ernst begonnene Unternehmen in Fili vollends zur Burleske: Im Spät­ sommer 1923 erfuhr auch Junkers, daß die Reichswehr, angeblich auf Betreiben Seeckts,277 jene 100 Kriegsflugzeuge, um die es bei den Verhand­ lungen in Moskau gegangen war, bei Fokker bestellt hatte. Der wichtigste Konkurrent der Junkers-Werke trat damit als der lachende Dritte im Spiel auf. Fokker erhielt nicht nur den Zuschlag auf den größten Auftrag, den die Reichswehr bis zur Weltwirtschaftskrise in der Luftrüstung überhaupt ver­ gab, sondern war auch Nutznießer der verzögerten Ablieferung der Flug­ zeuge aus Fili. Bis zum Jahr 1926 kauften die sowjetischen Luftstreitkräfte insgesamt 324 Flugzeuge bei Fokker, mehr als die Hälfte davon solche, die 1920 aus Schwerin gerettet worden waren.278 Der Ankauf der Fokker D XIII wurde durch das Stinnes-Netzwerk ab­ gewickelt und mit Mitteln des Ruhrfonds bezahlt. Die Flugzeuge kamen angesichts der militärischen Lage wenig überraschend - während der Ruhrbesetzung nicht zum Einsatz, sondern bestückten die geheime Flieger­ schule der Reichswehr in Lipezk, eine Verwendung, die allemal so langfri­ stig angelegt war, daß selbst das unfertige Werk in Fili die Ausrüstung

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Nachtrag zur Aufzeichnung vom 29. April, Anlage zu Brockdorff-Rantzau an Cuno, 1.5.23, ADAP, Ser. A., Bd. VII, Dok. 215, S. 533f. 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, fol. 40f., Anlage 10. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, Anlage 6 u. fol. 30. Völker, Entwicklung, S. 133; Rabenau, S. 530. 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, fol. 38. Wissmann, Fili, S. 142.

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hätte garantieren können.279 Der Grund für das merkwürdige Manöver der Reichswehr lag aber ohnehin tiefer. Die Kriegsflugzeuge, die Junkers pro­ duzieren konnte, waren, militärtechnisch gesehen, Versager. Sie brachten zwar die Vorzüge der Junkersschen Bauweise zum Tragen, erwiesen sich jedoch als zu langsam und zu schwerfällig, um für die Ausbildung von Jagdflugzeugpiloten geeignet zu sein.250 Hier schlug die verquaste Politik der Reichswehr aus dem Jahr 1921 zurück. Ein Werk, das den Köder des Technologietransfers auswarf, eignete sich nicht unbedingt für die aktuel­ len militärischen Zwecke der Reichswehr. Fokker dagegen fiel es leicht, die militärische Nachfrage zu bedienen. Er lieferte, wie es hieß, die besten Jagd­ einsitzer der Welt nach Lipezk.251 Der Kauf der Flugzeuge bei Fokker setzte den entscheidenden Schnitt in der Entwicklung des Moskauer Flugzeugwerks. Junkers verlor das Ver­ trauen in die Aufrichtigkeit der Reichswehrführung und forderte mit zu­ nehmender Schärfe Kompensationen für das in Sowjetrußland eingegange­ ne Risiko.252 Selbst Oskar von Niedermayer, dessen Tarnname quasi ein Synonym für die Anstrengungen des deutschen Militärs in Sowjetrußland geworden war - „Neumannsche Kohlen" - erklärte gegenüber BrockdorffRantzau im April 1924 in drastischer Form, seine Behörde habe sich „in ih­ rer Gesamtheit [...] bei den Verhandlungen als völlig unfähig erwiesen", er selbst sei „in der kläglichsten Weise" im Stich gelassen worden, „die bisher geschlossenen Verträge" seien allesamt „katastrophal". Es gehe nun ledig­ lich noch darum, sie auf das „wirtschaftliche Gebiet überzuleiten",253 da ei­ ne Annullierung der vertraglichen Bindungen zu Sowjetrußland aus politi­ schen Gründen ausgeschlossen sei. Als Junkers und seine Mitarbeiter Hasse im Herbst 1923 zur Rede stellten, hatte die Politik der Reichswehrführung bereits die Züge einer Restabwicklung angenommen, für die nun die Mittel zur Verfügung standen, die man dem Junkers-Konzern bis dahin verwei­ gert hatte. Während einer Besprechung im Oktober 1923 erklärte Hasse die Umlenkung des Auftrags in die Niederlande als ein bedauerliches Mißver­ ständnis und sagte die umgehende Bestellung von 100 Flugzeugen und Motoren bei Junkers zu. Obwohl der Auftrag später auf jeweils 50 Motoren und Flugzeuge reduziert wurde, stellte die „Sondergruppe" am 5. Novem­ ber 1923 ein zinsloses Darlehen über 500.000 $ auf diesen Auftrag zur Ver­ fügung, ein Betrag, der im Februar 1924 auf 1 Mio. $ aufgestockt wurde.284

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Völker, Entwicklung, S. 134. Vgl. Wagner, Junkers, S. 221ff. Bruno Maass, S. 508. Aktennotiz Junkers, 2.10.23, DMM/ASD JA 0618/2/42; Niederschrift einer Bespre­ chung im Kriegsministerium am 2.11.23, DMM/ASD JA 0618/2/45. Anlage zu Brockdorff-Rantzau an Stresemann, 9.4.24, ADAP Ser. A, Bd. X, Dok. 7, S. 19f. 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, fol. 41, vgl. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 17-20, Anlagen 8 und 10.

Freilich wurden auch daran Bedingungen geknüpft. In den Bespre­ chungen trat auf der Seite der Reichswehr in Gestalt des Hauptmanns Vogt das Heereswaffenamt, das eigentlich für die materielle Fliegerrüstung ver­ antwortlich war, verstärkt in Erscheinung. Vogt hielt sich im Oktober 1923 in Moskau auf und bemängelte insbesondere die ungenügenden Vorberei­ tungen für die Produktion von Flugmotoren. Daraufhin forderte die Reichswehr im November die Einschaltung der Firma BMW in das Pro­ jekt,285 was Junkers freilich verweigerte. Dennoch reiste im März 1924 der Direktor von BMW, Popp, zusammen mit Vogt und dem zum „Vertrauens­ mann der Sondergruppe" bestellten Oberst a. D. Thomsen nach Moskau, um dort zwar festzustellen, daß sich einiges bei der Motorenfabrikation getan habe, jedoch die Bevorratung mit Duraimin ungenügend sei.286 Jun­ kers war es indes nicht entgangen, daß sich durch das Auftreten Vogts eine neue Linie in der Politik der Reichswehr durchsetzte. Zu Recht stellte er fest, daß für Vogt die mittelfristige Verlagerung des Schwerpunkts der Fa­ brikation nach Deutschland im Vordergrund stand, womit die Einschaltung von BMW überhaupt erst einen Sinn bekam. „BMW Tendenz geht auf ihr Werk in Deutschland. Um für dieses Werk Aufträge zu bekommen, erklärt man sich zum Schein bereit in Russland zu bauen", vertraute er seinem Ta­ gebuch an.287 Den offensichtlichen Absetzbewegungen der Reichswehrgeneralität begegnete Junkers daher mit einer Doppelstrategie. Unter der Leitung des Ico-Direktors Pfeiffer wurde eine Gruppe von Junkers-Vertretern nach Moskau entsandt, um die innerbetriebliche Organisation des Werkes in Fili zu straffen - „Leerlaufarbeit wie in einer Kriegsgesellschaft"288 - und die Aufnahme der Serienfabrikation zu forcieren. Anfang April 1924 war die „Mobilisation" beendigt. „Es fehlt nur das Geld; dann brauchen wir nur auf den Knopf zu drücken" schloß Junkers.289 Gleichzeitig machte der JunkersKonzern die Vorgänge um Fili transparent, um den Druck auf die Sonder­ gruppe mit Blick auf eine weitere, diesmal bedingungslose, finanzielle Un­ terstützung zu verschärfen. Am 27. April 1924 suchte Sachsenberg Ago von Maltzan auf, den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Er informierte das AA erstmals in vollem Umfang über die Verwicklungen um das Werk in Rußland und präsentierte zugleich eine Art Ultimatum. Sachsenberg droh­ te, das Werk umgehend zu schließen, würde sich das Reich nicht mit einem Kredit in Höhe von 16 Mio. Mark an den Ausbaukosten beteiligen, die Jun-

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Niederschrift einer Besprechung im Kriegsministerium am 2.11.23, DMM/ASD JA 0618/2/45; 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, fol. 41f., vgl. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 17-20. G. Sachsenberg an Junkers, 23.2.24, DMM/ASD JA 0618/3/6; 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 23-25. Tagebucheintrag Junkers’ vom 12.2.24, NB 108, S. 8317, DMM/ASD N 21/7. Tagebucheintrag Junkers' „Pfeifer betreff Rußland", 12.4.24, NB 110, S. 8459, DMM/ ASDN21/7. Tagebucheintrag Junkers', 5.4.24, NB 110, S. 8457, DMM/ASD N 21/7.

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kers kurz zuvor mit etwa 20 Mio. beziffert hatte, oder eine Beihilfe über mindestens 8 Mio. Mark (unter Umwandlung des bereits empfangenen Kredits von $ 1 Mio. = 4,2 Millionen Mark) gewähren.290 Dieselbe Rechnung war am Tag zuvor in einer Besprechung zwischen Junkers und Sachsenberg einerseits sowie Hasse, Wurtzbacher, Vogt und Mentzel andererseitsder Reichswehr präsentiert worden.291 Dem vereinigten Druck des AA - Brockdorff-Rantzau forderte, Seeckt persönlich zur Rechenschaft zu ziehen292 Junkers' und schließlich sogar des Reichskanzlers Marx, der eine erneute Zusammenkunft vermittelte, hielt die Reichswehr nicht mehr stand. Anfang Mai formulierte Wurtzba­ cher ein Angebot, das ziemlich genau den Vorstellungen Junkers' ent­ sprach: Die bereits empfangenen Gelder sollten ohne Gegenleistung in eine Beihilfe umgewandelt und mit 4 Mio. Goldmark aufgestockt werden, um das Unternehmen in die Lage zu versetzen, die restlichen 12 Mio. Mark auf dem Kreditwege zu mobilisieren.293 Junkers akzeptierte den Vorschlag, die Lösung wurde vertraglich fixiert, bis September 1924 war das Geld auf den Konten des Konzerns. Die Reichswehr hatte sich mit einem Betrag von ih­ ren Verpflichtungen freigekauft, der mehr als dem Doppelten des Aktien­ kapitals der IFA entsprach.

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Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Hauschild, 28.4.24, ADAP, Ser. A, Bd. X, Dok. 48. S. a. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 25. Junkers hatte in einem Brief an das RWM vom 25.3. Aufschluß über die finanzielle Lage von Fili ge­ geben, die sich dann auch wegen der Weigerung der Sowjetrussen, ihren Verpflichtun­ gen nachzukommen, prekär darstellte. In einem weiteren Schreiben von 15.4. 13.1. tauchte 1---dann erstmals der Vorschlag der „4 plus 4"-Lösung auf, s. ebd., fol. 25f. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 27. Brockdorff-Rantzau an AA, 29.4.24, ADAP, Ser. A, Bd. X, Dok. 50. 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 29.

III. Rüstung durch Rationalisierung: Die Rüstungspolitik der Reichswehr und die Flugzeugindustrie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre A. Das Rüstungskonzept des Heereswaffenamtes und die Differenzierung der industriellen Struktur Die vorläufige Regelung des gleichermaßen kostspieligen wie blama­ blen Engagements in Moskau fiel mit dem Beginn eines fundamentalen Wandels in der Rüstungspolitik der Reichswehr zusammen und forcierte die Durchsetzung dieser neuen Politik in der Luftrüstung. Die ungenügen­ de Vorbereitung auf den Einmarsch der Franzosen und Belgier in das Ruhrgebiet und die mangelnde Umsetzung dieser Erfahrung in neuen Ausbildungs- und vor allem Rüstungskonzeptionen ließen die ersten kritischen

von jüngeren Offizieren, die forderten, daß die Reichswehr sich endlich der Frage stellen solle, wie die Kluft zwischen Anspruch und Realität in der Rüstungspolitik geschlossen werden könne.1 Angesichts der gültigen Re­ striktionen sei es eine Illusion, so die unter anderem vom Chef der Operati­ onsabteilung im Truppenamt, Joachim von Stülpnagel, vorangetriebene Kritik, die Reichswehr für eine klassische militärische Operation zu rüsten. Statt dessen müßten Formen der Kriegführung erwogen werden, die den gegebenen materiellen und politischen Beschränkungen angemessen seien. Stülpnagel propagierte 1924 den „Volkskrieg", der freilich eine Militarisie­ rung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft zur Voraussetzung hatte. Als Quintessenz dieser Überlegungen konzentrierte sich die Diskussi­ on auf die Planung für die mittelfristig zu erreichende „Notrüstung", die der Reichswehr eine begrenzte Kriegführung gestatten würde und auf lan­ ge Frist in die Schaffung einer großen Streitmacht für den „Krieg der Zu­ kunft" überleiten sollte. Zwar wurden die Vorhaben nicht aufgegeben, ei­ nerseits den Versailler Vertrag zu umgehen, und andererseits ein gewisses Potential zur Kriegführung in der Gegenwart aufrechtzuerhalten. Gleich­ wohl konnte man aus der Diskussion über die neue operative Planung auch die Erkenntnis herauslesen, daß die Anstrengungen um die geheime Rü­ stung in Rußland von vorneherein aussichtslos waren, da Produkte sol-

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Geyer, Aufrüstung, S. 77-90; Deist, Zukunftskrieg, S. 85.

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cherart getarnter Fabriken in der Gegenwart kriegerisch ohnehin nicht ein­ gesetzt werden konnten. Die neue operative Planung war tendenziell mit dem Abschied vom System der „getarnten Fabrikationsstandorte" im Aus­ land und der Hinwendung zu einer Rüstungspolitik verbunden, die sich auf Unternehmen im Inland konzentrierte. Der Wandel der operativen Planung wurde auf der Seite der Industrie durch zwei Entwicklungen flankiert. Nach der durch die Demobilisierung, das Bauverbot und die „Begriffsbestimmungen" erzwungenen radikalen Schrumpfung der Industrie, aus der Junkers als technisch führendes und größtes Unternehmen hervorgegangen war, wurden bis 1924/25 mehrere Firmen gegründet, die technische Alternativen zum Flugzeugbau Junkers' boten. Zugleich kam der deutsche Staat nach dem Währungsschnitt in die Lage, durch eine gezielte Subventionierung Industrie- und Rüstungspolitik zu betreiben. Die Lehren aus Fili, die neue operative Planung, die neuen Firmen, die Subventionspolitik und das aus diesen Komponenten entste­ hende Rüstungskonzept sind der Gegenstand des folgenden Kapitels.

1. Strategien der Nachinflationsuntemehmen: Rohrbach und Heinkel

Der zweite Vertreter der Friedrichshafener Schule, Adolf Rohrbach, verbrachte die Zeit des Bauverbots an der Technischen Hochschule zu Ber­ lin-Charlottenburg. Hier freilich bekam er Kontakt zu zwei Wissenschaft­ lern, die sich während des Krieges über die theoretische Luftfahrtforschung hinaus mit industriellen Problemen des Flugzeugbaus befaßt hatten: Emil Everling und Wilhelm Hoff, die beide 1923/24 zu außerordentlichen Pro­ fessoren für Flugmechanik bzw. Luftfahrt an der TH Berlin-Charlottenburg ernannt wurden. Everling, während des Krieges Leiter der wissenschaftlichen Haupt­ stelle der DVL, propagierte die Förderung des Flugzeugbaus als techni­ schen Impuls für den Maschinen- bzw. Leichtbau, was er zumeist am Rumplerschen Tropfenauto demonstrierte.2 HofP, im Krieg Leiter der Flug­ zeugabteilung der DVL und seit 1921 Vorsitzender der Anstalt, verfolgte noch weitergehende Ziele. Er forderte unablässig die Sicherung und Wei­ terentwicklung der Erfahrungen, die während des Ersten Weltkriegs ge­ macht worden waren, etwa durch die Neuausgabe der „Technischen Be­ richte der Flugzeugmeisterei" oder durch die Schaffung einer Luftfahrt­ sammlung der DVL. Seine Antrittsvorlesung 1923 widmete er einem The­ ma, dessen Behandlung angesichts der geringen Produktion der Flugzeug­ firmen paradox anmuten mußte, nach militärischen Denkmustern aber na2 3

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Programmatisch dazu Everling, S. 491f. Zu Hoff: Trischier, S. 95 u. 116 sowie den Artikel in der NDB und Supf, S. 143f.; zu Hoffs Einschätzung der Flugzeugentwicklung: ders., passim.

heliegend war - den „Normen im Flugzeugbau".4 Auf der Luftfahrttagung, die den Rahmen für die Hauptversammlung des VDI 1924 bildete, verkün­ dete Hoff sein Credo: Erst durch die Rüstungsnachfrage werde die techni­ sche Weiterentwicklung des Flugzeug- und Leichtbaus angefacht. 5 Das erklärte Ziel Hoffs, den Metallflugzeugbau erneut für die Ansprü­ che des Rüstungsmarktes zu öffnen, nahm Adolf Rohrbach auf. Während er seine Dissertation abschloß, ließ er keine Möglichkeit ungenutzt, an seinem Renommee als Konstrukteur zu arbeiten. Ein Artikel Rohrbachs über sein „1000-PS Flugzeug der Zeppelinwerke" erschien 1920/21 in mehreren Zeit­ schriften,6 auf der Tagung der WGL von 1922 erhielt er die Gelegenheit, über seinen Beitrag zur „Vergrößerung der Flugzeuge" zu sprechen.7 Im Sommer 1921 erreichten Rohrbach Angebote Fokkers und Junkers'8, im Ja­ nuar 1922 war er kurzzeitig für ein Engagement durch die sowjetische Re­ gierung im Gespräch.9 Diese Stellungen schlug er jedoch zugunsten eines Auftrags der Firma Mitsubishi für zweimotorige Hochseeflugboote aus.10 Nach Abschluß der Verträge gründete Rohrbach im Juni 1922 die Rohrbach Metallflugzeugbau GmbH mit Sitz in Berlin und mit einer Tochtergesell­ schaft in Dänemark. In der Nähe von Kopenhagen entstanden auch die Werkstätten. Abgesehen davon, daß der Umzug nach Dänemark eine besondere Standortvariante zur Umgehung der „Begriffsbestimmungen" darstellte, zeichnete sich die Konzeption des Unternehmens durch mehrere Besonder­ heiten aus. Konsequent war Rohrbach in der Frage, welchen Rang die an­ gewandte Aerodynamik in seiner Firma einnehmen sollte. Obwohl die Be­ hauptung übertrieben ist, die Aerodynamische Versuchsanstalt in Göttingen habe nur durch die Aufträge Rohrbachs überlebt,11 beteiligte Rohrbach die Göttinger Versuchsanstalt in einem Maße an der Konstrukti­ on seiner Flugzeuge, wie es nur noch mit dem Verhältnis der IFA zur For­ schungsanstalt Hugo Junkers' verglichen werden kann.12 Während jedoch die Kosten der Forschungsanstalt die Bilanz des Junkers-Konzerns zuse­ hends mehr belasteten, war das Konzept Rohrbachs finanziell wesentlich günstiger: Sein Unternehmen blieb eine reine Flugzeugfirma mit einer de-

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S. die Meldung in Z-VDI 67 (1923), S. 552. S. die Zusammenfassung des Vortrags in Z-VDI 68 (1924), insbes. S. 928. So u.a. in der ZFM, der Z-VDI und in Industrie und Technik. S. den Bericht in Z-VDI 66 (1922), S. 731. Seitz (Berliner Büro) an Rohrbach, 12.8.21 und Rohrbach an Seitz, 16.8.21, DMM/ ASD JA 0501/6/21. Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 24.1.22, DMM/ASD JA 0501/6/22. Herb, S. 95f.; Hans Justus Meier, passim. Vgl. Herb, S. 98; Rotta, S. 227, 257 u. 280f. Trischier, S. 127; Herb, S. 98; Wagner, Tank, S. 16f. Nicht umsonst wählte der VDI Adolf Rohrbach aus, um die erste geschlossene Darstellung der Göttinger Forschungsarbei­ ten, die 1921 publizierten „Ergebnisse der Aerodynamischen Versuchanstalt zu Göttin­ gen", für sie zu besprechen (Z-VDI 66 (1922), S. 862). 131

zidierten organisatorischen Trennung zwischen Forschung und Konstruk­ tion, aber einer breiten Transferschiene zwischen ihnen. Damit zeichnete sich eine Verbindung ab, die sich als allgemeines Cha­ rakteristikum der Flugzeugindustrie durchsetzten sollte.13 Während Jun­ kers wahllos die Integration von wissenschaftlichen Dienstleistungen und von Vorprodukten in seinen Konzern betrieb, stand Rohrbach für ein Mo­ dell, in dem die Flugzeugfirma auf ein differenziertes Netz erworbener Vorleistungen aufgesetzt wurde. Dabei blieben zwar die Lieferanten wis­ senschaftlicher Dienstleistungen prinzipiell außer Haus, im Gegenzug mußte das Unternehmen aber eine breite Qualifikationspalette aufweisen, um mit potentiellen Lieferanten in Verbindung treten zu können. Das be­ deutete aber wieder zweierlei: In dem Modell, das Rohrbach repräsentierte, differenzierten sich die Binnenfunktionen nicht weniger - eher mehr - aus als bei Junkers. Während jedoch der Akzent der Tätigkeit der Ingenieure

der Komplexität der Fragestellungen wuchs, lag der Akzent bei Rohrbach auf der intellektuellen Verarbeitung und Umsetzung von Wissenschaft.14 Die Ingenieure bei Rohrbach waren zwar in erster Linie keine Erfinder und auch keine technischen Universalisten - wie etwa Otto Mader - mehr, sie mußten jedoch mindestens ebenso mit wissenschaftlichen Spezialfragen vertraut sein wie die Mitarbeiter Hugo Junkers7. Dem entsprach die Rekru­ tierung des Personals bei Rohrbach. Statt den Arbeitsmarkt nach etablierten Konstrukteuren abzusuchen, engagierte der selbst erst dreiunddreißigjäh­ rige Rohrbach vorzugsweise frisch examinierte Ingenieure der Berliner TH. Unter ihnen fanden sich etliche, die in der deutschen Luftfahrt eine zentrale Stellung einnehmen sollten und allesamt durch die Schule von Hoff gegan­ gen waren: Kurt Tank, später Generaldirektor des Focke-Wulf-Konzerns und einer der bekanntesten deutschen Konstrukteure, Karl Frydag, im Zweiten Weltkrieg der allmächtige Leiter des Hauptausschusses Flugzeug­ bau und Generaldirektor des Heinkel-Konzerns, sowie Herbert Wagner, der mit einer Arbeit über Probleme der Tragflügeltheorie bei Hoff promo­ viert hatte.15 Mit diesem in mehrfacher Hinsicht jungen Unternehmen schlug Rohrbach auf dem Markt ein. Den japanischen Aufträgen folgte ei­ ner für die britische Marine, danach baute Rohrbach Flugboote für die Tür­ kei und seit Januar 1926 zweimotorige Landflugzeuge für die Luft-Hansa.16 Zwischen 1922 und 1926 stiegen die Rohrbach Metallbauten zum dritt-

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Zu dieser Charakterisierung der Luftfahrtindustrie Mowery/Rosenberg, Technical Change, S. 163-165 u. 168. Generalisierende Überlegungen zur Rolle der Grundlagenforschung im Unternehmen bei Mowery/Rosenberg, Technology, S. 10-15. Zum sog. Wagner-Problem s. Försching, passim; zur Rolle Wagners in der Aerodyna­ mik und der Luftfahrtforschung generell: Constant, Origins, S. 201-204. Herb, S. 99-101; Welt-Luftfahrzeugindustrie, Rohrbach Metall-Flugzeugbau GmbH, S. 203.

größten deutschen Flugzeugunternehmen auf, das sich anschickte, Dornier als den Hersteller von Wasserflugzeugen schlechthin auszustechen. Das 1927 gebaute Flugboot Rohrbach „Rocco" war mit 38 Metern Spannweite zeitweise das größte Flugboot der Welt. Der Angriff auf der technischen Ebene galt jedoch nicht Dornier, son­ dern Junkers. Den Kontrapunkt zu Junkers setzte Rohrbach durch die Prä­ missen, die er dem Flugzeugbau im Hinblick auf die industrielle Produkti­ on unterlegte.17 Mit den Flugzeugen, die Rohrbach nach 1922 baute, knüpfte er konzeptionell an die Überlegungen an, die zu dem Staakener „1000-PS-Flugzeug" geführt hatten, nämlich die größtmögliche aerodyna­ mische Perfektion mit der weitgehenden Verwendung von Duraimin zu verknüpfen. Neben Junkers war Rohrbach in den zwanziger Jahren der Pu­ rist des Ganzduralbaus. Bei der Verwirklichung dieses Ziels setzte er frei­ lich andere Prioritäten als Junkers. Während jener die von Otto Reuter 1916 entworfene Rohrholm-/Wellblechbauweise bis in die dreißiger Jahre hinein gegen jede Innovation einkapselte, setzte Rohrbach die Anforderungen der Produktion ganz eindeutig über die der Konstruktion. Das Dogma Rohr­ bachs bestand darin, Wartung und Produktion schon während der Kon­ struktion den Vorrang einzuräumen, solange dies nicht die Leistungsfähig­ keit des Flugzeugs beeinträchtigte. Die Flugzeuge Rohrbachs zeichneten sich bereits äußerlich durch rela­ tiv einfache geometrische Formen aus. Flügel und Leitwerk waren in der Regel trapezförmig, ohne schwierig herzustellende Abrundungen. Als Aus­ gangsmaterial verwendete Rohrbach ausschließlich Duraimin-Halbzeuge aus Blechen oder Bändern, die im Gegensatz zum Junkersschen Rohrholm zu offenen Profilen verarbeitet wurden. Daraus entstanden kastenförmige Großbauteile, die verschraubt oder mit Scharnieren untereinander verbun­ den wurden. Das Flugzeug setzte sich somit aus einer Vielzahl von einzeln herstellbaren Großteilen zusammen, die eine Dezentralisierung der Werk­ stattarbeit ermöglichten und die Wartung vereinfachten.18 Die Vorteile die­ ses Aufbaus in der Produktion waren offensichtlich. Offene gezogene Pro­ file benötigten 20% weniger Bauzeiten und Baukosten als geschlossene und waren zwischen 40 und 60% günstiger als die Junkersschen Rohrholme, die während der Herstellung, wie Rohrbach mehrfach betonte, dreißig- bis vierzigmal ausgeglüht werden mußten. Die Beplankung des Flugzeugs mit Duraiminblechen erwies sich zwar als teurer und schwerer als die Stoffbe­ spannung, zu der Dornier überging, die Metallhaut war aber deutlich halt­ barer. In sechs Jahren, schätzte Rohrbach, müsse die Stoffbespannung der Tragflächen eines Flugzeugs etwa achtmal erneuert werden, während eine 17

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Rohrbach äußerte sich bei mehreren Gelegenheiteni zu Problemen des industriellen Flugzeugbaus: Rohrbach, Entwurf, S. 64-70; ders., Bemerkungen, passim; ders.: Meine Grundsätze für die Konstruktion von Flugzeugen. Vortrag vor Offizieren des kaiserli­ chen japanischen Heeres, 16.6.25, BArch-MA RH 8 1/8606. Zur Beschreibung der Rohrbachschen Bauweise s. ders., Bemerkungen, S. 296-302. 133

Metallhaut nahezu unbegrenzt haltbar sei, so daß der höhere Einstands­ preis der Metallhaut (4 - 6% des Flugzeugzellenpreises) durch die mehrfa­ che Erneuerung der Stoffbespannung aufgewogen werde.19 Grundsätzlich unterschied sich die ausschließlich auf Duraimin basie­ rende Bauart Rohrbachs nur wenig von der Dorniers. Die bewußt weit ge­ triebene Vereinfachung der Konstruktion ließ es jedoch zu, für weit mehr Arbeitsgänge in Teilebau und Montage, als dies bei Junkers und Dornier der Fall war, einfach aufgebaute Vorrichtungen und Schablonen zu entwer­ fen. Während Junkers mit dem Rohrnietapparat eine aufwendige, aber im­ mer noch wenig produktive Spezialmaschine schaffen mußte, um die ferti­ gungstechnischen Nachteile seiner Bauweise zu kompensieren, erlaubte der Aufbau der Flugzeuge bei Rohrbach die Verwendung konventioneller Blechnietmaschinen. Die zahlreichen Vorrichtungen und Maschinen in der Werkstatteinrichtung ließen zudem die Einstellung von Arbeitern zu, die aus der Gruppe jenseits der hochbezahlten gelernten Metallarbeiter rekru­ tiert werden konnten, die Junkers beschäftigte.20 Die Vereinfachung der Flugzeugherstellung bei Rohrbach richtete sich ausdrücklich auf Veränderung der Kosten- und Qualifikationsstrukturen im Flugzeugbau aus. Während Junkers die vermeintliche Philosophie Fords lediglich zum Negativ seines Forschungskonzepts erklärte, griff Rohrbach gezielt auf das Vorbild der Automobilfabrikation bei Ford zurück, um die Ziele der Weiterentwicklung der Flugzeugproduktion zu umschreiben. Der Preis eines Ford-Autos setze sich zu 85% aus Material- und nur zu 15% aus Lohnkosten zusammen, während das Verhältnis im Flugzeugbau fast um­ gekehrt sei (20 zu 80%). Wenn es gelänge, dieses Verhältnis wenigstens in­ soweit zu ändern, daß Material- und Lohnkosten sich die Waage hielten, würde, so schätzte Rohrbach 1926, der Preis eines Flugzeugs nur noch 40% dessen betragen, was Mitte der zwanziger Jahre gefordert wurde.21 Rohr­ bach nahm ausdrücklich die Denkmuster Frederick W. Taylors auf:22 „Eine solche Verbilligung der Herstellung kann nur erreicht werden, wenn die gleichen Maßnahmen angewendet werden, die zur Verbilligung anderer technischer Erzeugnisse dienen. Diese Mittel sind: Zerlegung des ganzen Herstellungsvorgangs in voneinander unabhängige Einzeloperationen und

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Ebd., S. 311ff. Richthofen, S. 41-43, Tafel 17. Bis zum Ende der zwanziger Jahre entsprach der durch­ schnittliche Stundenlohn der produktiven Arbeiter bei Junkers stets der obersten Lohngruppe für Facharbeiter in der Dessauer metallverarbeitenden Industrie: 1929/30 wurde bei Junkers mit einem durchschnittlichen Stundenlohn für produktive Arbeiter von 0,98 RM kalkuliert; der Tarifstundenlohn für Facharbeiter in der Metallindustrie lag zur gleichen Zeit in Dessau bei 0,95 RM (Zeitlohn/höchste Alterstufe), Jahr- und Handbuch des Deutschen Metallarbeiter Verbandes 1929, S. 257 bzw. 1930, S. 297. Rohrbach, Bemerkungen, S. 305f.; zum Verhältnis von Arbeits- und Materialkosten im amerikanischen Flugzeugbau: Vander Meulen, S. 48. Zur Diskussion der Taylorschen Prinzipien: Wupper-Tewes, S. 51ff.; ansonsten immer noch: Braverman, bes. S. 73ff.; Burchardt, passim; Höron, passim.

Ausführung dieser Einzelarbeiten durch maschinelle Hilfsmittel, wo un­ vermeidlich, durch ungelernte Arbeiter, aber möglichst wenig Operationen, die nur geschickte Facharbeiter ausführen können".23 Bei Rohrbach ent­ standen erste Nachkalkulationssysteme und Zeitstudien sowie Bauzeiten­ vergleiche zur Aufstellung von sogenannten Serieneinlaufkurven, die Aus­ kunft über erwartete Einsparungen bei der wiederholten Herstellung eines Flugzeugmusters geben konnten.24 Die Vorgaben, die das Konstruktionsbü­ ro für die Werkstätten erarbeitete, überhöhte Rohrbach im Sinne der tayloristischen Organisation der Produktion ausdrücklich: „Die Werkstatt kann nur dann billig arbeiten, wenn [...] möglichst nichts mehr nachzudenken bleibt."25 Was sich bei der Produktion der F13 bei Junkers angedeutet hatte, machte Rohrbach zu ihrer Leitlinie. Die enorme Zahl von Stücklisten und Werkstattzeichnungen, ein besonderes Charakteristikum des industriellen Flugzeugbaus, wurde in seinem Betrieb erstmals vorgegeben. Der Bau des Flugboots Ro III war in 1800 Zeichnungen und 700 Stücklisten niederge­ legt.26 Selbst wenn fraglich bleibt, ob die forcierte Trennung von Werkstatt und Büro durchgehalten wurde, war schon allein diese Zielsetzung ein be­ merkenswerter Fortschritt angesichts der „Meisterwirtschaft", die sich in anderen Flugzeugfabriken immer wieder durchsetzte. Bei Albatros ent­ standen noch Ende der zwanziger Jahre „lebenswichtige Bauelemente" oh­ ne Zeichnungen, lediglich nach Anweisungen der Werkstattmeister, selbst bei Junkers wurden noch 1933 Zeichnungen gepaust, auf denen einzelne Facharbeiter und Meister nachträgliche Änderungen ohne Mitwirkung des Konstruktionsbüros angebracht hatten.27 Die Konzentration auf Produktionsformen, die die Bewältigung „plötzlicher Serienaufträge" ermöglichten, machte den innovativen Impuls des Rohrbach-Flugzeugbaus aus.28 Bedeutete die Verwendung von Dural­ min als Baustoff, wie Junkers sie pflegte, zunächst einmal einen Rückzug vom militärischen Anforderungsprofil, so näherte die Rohrbachsche Kon­ zeption den Metallflugzeugbau der militärischen Nachfrage an. Während Junkers den Duralbau unter dem Vorzeichen der statischen und aerodyna­ mischen Optimierung betrieb, denen sich produktionstechnische Anforde­ rungen unterzuordnen hätten, arbeitete Rohrbach mit einem gegenteiligen Konzept.29 Seine Ziele legte er auch öffentlich dar: „Es ist selbstverständ-

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Rohrbach, Bemerkungen, S. 309f. Rohrbach, Leichtbau, S. 68. Ebd., S. 67. Ebd.; der komplette Zeichnungssatz für ein einmotoriges Serienjagdflugzeug während des Zweiten Weltkriegs umfaßte freilich 50-70.000 Zeichnungen. WaB6 an T2V(1) u.a., Ueberblick über die Entwicklung der Gemischtbaufirmen in der Zeit vom 1.4.27-1.4.28, 20.5.28, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 16f. Koppenberg an Deich­ mann, 22.10.57, S. 3f., BArch-MA Lw 103/28. Rohrbach, Leichtbau, S. 67. Richthofen, S. 39, 43, 48.

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lieh, daß diese Herstellung durch möglichst wenige, ungelernte Arbeiter nicht nur wegen ihrer Billigkeit vorteilhaft ist, sondern auch für den Kriegsfall um so wertvoller ist, je weniger Facharbeiter gebraucht wer­ den/'30 Bereits im Herbst 1923 wandte sich Adolf Rohrbach ungefragt mit ei­ nem Memorandum, in dem er die Vorzüge seiner Bauweise anpries und um finanzielle Unterstützung für die Erweiterung seiner Fabrik warb, an das Reichswehrministerium. Er wolle sich nicht in die Hände von „kapitalistisch orientierten Großfirmen geben", sondern seine Ideen viel­ mehr „nationalen Interessen" nutzbar machen.31 Ziel einer Zusammenarbeit mit der Reichswehr sei es, den in Berlin bestehenden Versuchsbetrieb zu einer Fabrik mit 200 - 300 Facharbeitern zu erweitern, um dort alle Arten von Flugzeugen (auch militärische) zu bauen und nur noch zur Umgehung der „Begriffsbestimmungen" in Dänemark zu montieren. Ebenso wie bei Junkers fand sich in Rohrbachs Anfrage auch die versteckte Drohung, daß er angesichts der Erfolge der Konstruktionen im Ausland „nur den Bau vollkommen nach England oder Dänemark zu verlegen und dem Einfluß dieser Länder ganz preiszugeben" brauche, „um vom reinen Finanzstand­ punkt aus ein gutes Geschäft zu machen".32 Die Summe, die der Flugzeug­ industrielle forderte, war nicht klein. Einen Kredit von 200.000 $ brauche er für die von ihm geplante große Fabrik, schrieb er zunächst,33 nach der Wäh­ rungsreform war von 600.000 - 1.000.000 Mark die Rede.34 Mit diesem Ersuchen geriet Rohrbach freilich an eine Stelle, die zwar für Rüstungswirtschaft im Flugwesen verantwortlich war, aber erst spät in die Diskussion über das Junkerswerk in Fili eingeschaltet worden war, die Abteilung Wa.L des Hauptmanns Vogt im Heereswaffenamt. Nach anfäng­ lichem Zögern gab der wiederholte Verweis auf die produktionstechni­ schen Vorteile den Ausschlag für das Heereswaffenamt, auf die Anfrage Rohrbachs einzugehen. Hatte Vogt in der ersten Besprechung noch gefragt, „warum gerade Rohrbach?"35, setzte sich in den ersten Monaten des Jahres 1924 die Ansicht durch, daß die Rohrbachschen Visionen der Verbindung von anspruchsvoller Konstruktion mit Massenproduktion ein günstiges Konzept für die Rüstungsplanung der Wa.L bildeten. Bevor die Gruppe Vogt sich freilich auf eine finanzielle Stützung Rohrbachs einließ, gab sie über das Reichsverkehrsministerium ein Gutachten in Auftrag, das dann

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Rohrbach, Bemerkungen, S. 310. Niederschrift einer Besprechung im WA zwischen Vogt, W. v. Richthofen, Rasch und Lerp, 1.12.23, BArch-MA RH 8 1/3606. Rohrbach an das RWM, 2.1.24, BArch-MA RH 8 1/3606. Niederschrift einer Besprechung im WA zwischen Vogt, W. v. Richthofen, Rasch und Lerp, 1.12.23, BArch-MA RH 8 1/3606. Rohrbach an das RWM, 2.1.24, BArch-MA RH 8 1/3606. Niederschrift einer Besprechung im WA zwischen Vogt, W. Richthofen, Rasch und Lerp, 1.12.23, BArch-MA RH 8 1/3606.

ausgerechnet Wilhelm Hoff verfaßte. Er bestätigte erwartungsgemäß, daß sich mit Rohrbach den Bauarten von Junkers und Dornier eine dritte hin­ zugesellt habe, „die zu großen Hoffnungen berechtigt".36 Ende März 1924 erhielt die Rohrbach-Metallflugzeugbau GmbH ein erstes Darlehen über 450.000 Mark aus Mitteln des Reichsverkehrsministeriums. Das war zwar weniger, als man sich dort erhofft hatte, gleichwohl begann die Firma mit der Errichtung eines Fabrikgebäudes in Berlin-Wedding, wohin sich in den folgenden Jahren ihr Schwerpunkt verlagerte. Der Kredit an Rohrbach markierte einen Bruch mit dem Prinzip der Rüstung, das die Verbindung zwischen Junkers und der Reichswehr im Werk in Fili ausgedrückt hatte. Die nachdrückliche Orientierung der Fir­ menpolitik auf Serienfertigung bildete, wie Hoff und Rohrbach selbst be­ tonten, einen technologischen Kontrast zu Junkers.37 Ähnlich bedeutend für die Intentionen der Reichswehr war aber, daß Rohrbach eine funktionale Integration der Herstellung von Vorprodukten in sein Unternehmen nicht anstrebte. Da er darauf bestand, alles das, was nicht unbedingt in die Flug­ zeugzellenproduktion gehörte, auf Märkten zu erwerben, seien es wissen­ schaftliche Dienstleistungen, Flugmotoren oder Aluminiumhalbzeuge, konnte sein Unternehmen viel leichter in eine Rüstungspolitik eingeordnet werden, die sich der Lenkung dieser Märkte verschrieben hatte. Das mini­ mal integrierte Unternehmen des Adolf Rohrbach war der geeignete Typ für eine Rüstungspolitik, die sich nicht darauf beschränkte, Rüstungsgüter zu erwerben. Mitte der zwanziger Jahre bildeten die Firmen, die während des Ersten Weltkriegs das neue technologische System des Flugzeugbaus begründet hatten, den Kern der deutschen Flugzeugindustrie. Die Flugzeuge von Jun­ kers und Dornier stellten nicht nur den weit überwiegenden Anteil an den Drittel des Weltluftverkehrs bestritten. Bei einer für 1926 errechneten werktäglichen Solleistung38 aller Luftverkehrsunternehmen der Erde von 128.850 km entfielen mindestens 43.717 km auf Flugzeuge von Dornier und Junkers. Fokker, der mit den Konstruktionen von Reinhold Platz vor allem auf dem deutschen und nordamerikanischen Verkehrsmarkt präsent war, stand für weitere 25.382 km. Die englischen und französischen Hersteller waren dagegen auf den geschützten heimischen Verkehrsmarkt abgedrängt worden. Von den insgesamt 22.680 km der werktäglichen Solleistung, die von Flugzeugen französischer Firmen erbracht wurden, entfielen 19.632 km auf französische Fluggesellschaften.39

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Gutachten Hoff, 28.2.24, BArch-MA RH 8 1/3606. Anlage zu Rohrbach an RWM, 2.1.24, BArch-MA RH 8 1/3606. Zur Definition der „werktäglichen Solleistung": Pollog, Entwicklung, S. 346 . Ebd., S. 354*-360*. Da Pollog den Anteil deutscher Flugzeuge am Luftverkehr in den Vereinigten Staaten unberücksichtigt lassen mußte, stellt die Zahl für Junkers und Dor137

Um den von Junkers, Dornier und Rohrbach gebildeten Kern entstand ein Kranz von Firmen, die nach der Aufhebung des Bauverbots mit wech­ selndem Glück versuchten, jene Segmente des Flugzeugmarktes zu bedie­ nen, in denen spezielle Anforderungen an die Leistungen der Flugzeuge gestellt, gleichzeitig aber nur zu relativ geringen Preisen nachgefragt wur­ den. Die Flugzeuge von Dornier, Junkers und Rohrbach zeigten sich zwar bei den Flugleistungen überlegen und garantierten vor allem eine längere Haltbarkeit bei dauernder Nutzung. In dem Maße jedoch, wie der Produk­ tionsapparat auf die Herstellung von Metallflugzeugen eingestellt wurde, sank die Fähigkeit zur Bedienung der Nachfrage nach Spezialflugzeugen, die aus Holz schneller und mit geringeren Kapitalvorleistungen zu erstel­ len waren. Die Flugzeuge des Holz- bzw. Gemischtbaus (geschweißtes Stahlrohrgerüst und Holzbeplankung) machten zudem ein grundsätzlich anderes Qualifikations- und Ausrüstungsprofil notwendig. Während Klempner, Schlosser und Spengler den Hauptanteil der Arbeiterschaft im Metallflugzeugbau ausmachten, gab es im Holz- und Gemischtbau einen Beruf, um den sich die gesamte Produktion gruppierte, den Tischler. Im rei­ nen Holzflugzeugbau war die Hälfte der Arbeiter Tischler, im Gemischtbau lag ihr Anteil immerhin noch bei knapp einem Viertel. Weder die Teileherstellung noch die Montage der Flugzeuge bedurften Spezialmaschinen, die über das in Möbelfabriken übliche Maß hinausgin­ gen, andererseits blieben die Anforderungen an die handwerklichen Fer­ tigkeiten (vor allem bei Leimarbeiten) bei der Verarbeitung von Holz so hoch, daß kaum an- oder ungelernte Arbeitskräfte eingesetzt werden konnten. Bei der Verwendung von Stahlrohren als Konstruktionsmaterial konnten zwar angelernte Schweißer einen Teil der Arbeiten übernehmen. Gleichwohl trug der Gemischtbau höhere Lohnkosten als der Metallbau. Lag 1927 der durchschnittliche Satz pro Stunde im Holzbau bei 1,06 RM und im Gemischtbau bei 1,04 RM, so zahlten die Firmen des Metallbaus durchschnittlich zehn Pfennig weniger. Die Materialkosten wogen diesen Vorteil allerdings mehr als auf. Während für ein Kilogramm Sperrholz durchschnittlich 3,50 RM und für dieselbe Menge schweißbares Stahlrohr 1,80 RM verlangt wurde, lag der Preis für 1 kg Duraimin bei 9,26 RM für Blech und 13,70 RM für Rohr.40 Auf dem Feld des Gemischtbaus betätigte sich die Firma, die noch im Ersten Weltkrieg das Flaggschiff der IdFlieg gewesen war, Albatros. Walter Huth verfolgte die Strategie, durch die Vermeidung einer verbindlichen Bautradition relativ offen für neue Erfahrungen beim Bau von Flugzeugen zu bleiben. Jene Ziele, die Junkers und vor allem Rohrbach verkündeten eine weitgehende Festlegung auf Bauformen, die detaillierte Vorarbeit im

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nier das Minimum der tatsächlichen Leistung dar. Zur Beziehung zwischen französi­ schen Luftverkehrsfirmen und französischen Flugzeugbauern: Chadeau, S. 157f. Richthofen, Tafel 19 (Lohn-) und 1 (Materialkosten).

Zeichenbüro, die Trennung von Werkstatt und Büro - besaßen bei Albatros nur geringe Priorität. Nach ihrer relativen Marginalisierung machte Alba­ tros aus der technischen Unterlegenheit eine Tugend und nutzte die Improvisierbarkeit des alten Flugzeugbaus als Marktchance.41 Seit 1919 baute die Firma jegliche Arten von Flugzeugen, vom verspannten Verkehrsdop­ peldecker aus Holz, Stahl und Duraimin bis zum freitragenden Rennein­ decker. Seit 1927 befand sich Albatros auf dem Weg zum Ganzmetallbau, freilich mit einer eigentümlichen Verknüpfung von Duralminteilen mit ge­ schweißten Stahlrohren. Während die Firma zunächst noch für den freien Markt produzierte, z.B. Verkehrsflugzeuge für den deutschen Aero-Lloyd oder ein Zeitungstransportflugzeug für das Hamburger Fremdenblatt, kon­ zentrierte sie sich zum Ende der zwanziger Jahre ausschließlich auf die Er­ stellung von Flugzeugen für Reichsbehörden oder die DVL. Der Erpro­ bungsflugplatz der Reichswehr am Müritzsee bei Rechlin gehörte nominell Albatros, die Konstruktion des einzigen in Serie hergestellten deutschen Kriegsflugzeugs der zwanziger Jahre stammte ebenfalls aus dem Büro der Firma.42 Neben Albatros, die im ersten Quartal 1925 150 Arbeiter beschäftigte, bemühten sich an der Peripherie der Flugzeugindustrie einige Firmen um Aufträge, die im Gegensatz zur IFA (1.332 Arbeiter im ersten Quartal 1925), Dornier (317) und Rohrbach (308) kaum mehr als Handwerksbetriebe dar­ stellten. Der Udet-Flugzeugbau (66 Arbeiter) schnitt dabei noch relativ gut ab. Das Schulflugzeug Udet-Flamingo gehörte mit 65 produzierten Einhei­ ten zu den wenigen Konstruktionen des Gemischtbaus, die in relativ gro­ ßen Stückzahlen produziert wurden.43 Die 1925 aus der Stinnesschen DinosAutomobil AG hervorgegangen Arado-Werke in Warnemünde verzeich­ neten mit Schul- und kleinen Verkehrsflugzeugen Erfolge auf dem zivilen Markt. Durch ihre neuen Besitzer, den ehemaligen Leiter der Waffenfabrik von Fokker, Heinrich Lübbe, und Felix Wagenführ hatte diese Firma gute Voraussetzungen für eine Berücksichtigung bei der Rüstung der Reichs­ wehr und spezialisierte sich in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre auf den Bau von Jagdflugzeugen.44

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Zum Credo Walter Huths s. ders., passim. Dabei handelte es sich um das mehrfach verbesserte Flugzeug von Typ Albatros L 76 (später: L77v bzw. L78); s. WaB6 75/1.28, Bericht über die Tätigkeit der Gruppe im Dienstjahr 1926/27, 30.9.27, S. 8, BArch-MA RH 8 1/1366 (= IMT Dok. NIK 12821) sowie WaB6 2868/28, Bericht über die Tätigkeit der WaB6 im Dienstjahr 27/28, 30.11.28, S. 5, BArch-MA RH 2/2228, fol. 182. Ishoven, S. 141-145; Udet, S. 102; Gossow, 1927, S. 622f. Kranzhoff, passim; Gossow, 1929, S. 599; Welt-Luftfahrzeugindustrie, Arado, passim; WaB6 an T2V(1) u.a., Ueberblick über die Entwicklung der Gemischtbaufirmen in der Zeit vom 1.4.27-1.4.28, 20.5.28, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 21-23, 33.

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Die 1924 gegründete Firma Focke-Wulf in Bremen errang einen dauer­ haften Stellenwert auf dem Markt, weil Henrich Focke mit seinen Kon­ struktionen ausdrücklich darauf abzielte, die Vorteile des reinen Holzbaus auf dem Markt umzumünzen, bei gleichzeitiger enger Anbindung an die angewandte Aerodynamik.45 Focke-Wulf baute hauptsächlich aerodyna­ misch hochwertige Kleinverkehrsflugzeuge, die bei dem niedrigsten Satz für Betriebskosten (100% auf Lohnkosten) im Flugzeugbau und der Konzen­ tration auf Holz als Baumaterial das günstigste Preis-Leistungsverhältnis der Industrie aufwiesen.46 Entsprechend stieg Focke-Wulf rasch zu einem der wichtigsten Lieferanten der regionalen Fluggesellschaften vor allem in Norddeutschland auf.47 In der Nische des Kleinflugzeugbaus fand sich auch eine der erfolgreichsten Nachkriegsgründungen wieder, der Flugzeugbau Klemm. Hans Klemm war 1917 bei Dornier eingetreten, ging 1918 als Kon­ strukteur zur Flugzeugabteilung der Daimler Motoren-Gesellschaft und begann nach Kriegsende den Kleinflugzeugbau systematisch voranzutrei­ ben. Auch er legte einen Schwerpunkt auf die aerodynamische Perfektio­ nierung des Flugzeugs.48 Klemm erlangte nach Gründung seiner Firma 1926 bis zum Ende der zwanziger Jahre eine dominierende Stellung auf dem Ge­ biet des Sport- und Leichtflugzeugs.49 Der Führer jener Handvoll von mittleren Unternehmen, die den an­ spruchsvollen Konstruktionen von Junkers, Dornier und Rohrbach ein Höchstmaß an Flexibilität entgegensetzten, war jedoch Ernst Heinkel. Wäh­ rend des Krieges einer der erfolgreichsten angestellten Flugzeugkonstruk­ teure, machte sich Heinkel nach dem Ende des Bauverbots mit einem Be­ trieb in einer der Hallen der ehemaligen Seeversuchsabteilung in Warnemünde bei Rostock selbständig. In seiner Werkstatt entstanden Flug­ zeuge, die eine Vielfalt von Bauarten und Materialzusammensetzungen re­ präsentierten: Post- und Zeitungsflugzeuge, Schul- und Sportflugzeuge, Wasser- und Landflugzeuge. Das Angebot Heinkels entsprach am meisten dem, was in den zwanziger Jahren als Gemischtbau bezeichnet wurde. Sei­ ne Flugzeuge besaßen Rumpfgerüste aus Stahlrohren, die mit Holz oder Leinwand versehen wurden, hatten Tragflächen aus Holz, manchmal auch

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Entgegnung Henrich Fockes auf den Vortrag Adolf Rohrbachs, in: Jahrbuch der WGL 1926, München und Berlin 1927, S. 77/78; zu den Aufträgen Fockes an die Göttinger AVA: Rotta, S. 259 u. 281 ff. WaB6 an T2V(1) u.a., Ueberblick über die Entwicklung der Gemischtbaufirmen in der Zeit vom 1.4.27-1.4.28, 20.5.28, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 23-26, 34; Bericht über die Besichtigung der norddeutschen Flugzeugfabriken und -werke, 15.5.26, BArch-MA RH 2/2220. S. die Übersicht bei Wagner, Luftverkehr, S. 276ff. Rotta, S. 228, 230 u. 273. Brütting, S. 226; Hermann, S. 41-43.

aus Duraimin, und waren zumeist verspannte Doppeldecker, bisweilen aber auch freitragende Eindecker.50 Seinen Aufstieg zum viertgrößten deutschen Flugzeugunternehmen verdankte das Werk von Heinkel der japanischen Aufrüstung und dem Ruf der Wasserflugzeuge, die Heinkel während des Krieges konstruiert hatte. Durch die japanischen Vertreter in den alliierten Überwachungskommis ­ sionen abgeschirmt, wurden in Warnemünde Flugzeuge für die japanische Marine gebaut. Anders als Rohrbach und Dornier lieferte Heinkel direkt an die militärischen Stellen, ohne eine auf den Technologietransfer zielende Verbindung mit einer bestimmten Firma einzugehen. Die Durchsetzungs­ fähigkeit Heinkels, die im Vergleich zu anderen Firmen des Gemischtbaus effektive Werkstattorganisation und die Tatsache, daß die Firma einige ausgezeichnete Konstrukteure verpflichten konnte, sorgten im Verein da­ für, daß der Heinkel-Flugzeugbau Albatros bis 1927/28 gemessen an der Zahl der Beschäftigten (100 Arbeiter im ersten Quartal 1925) überrundete, obwohl das Unternehmen bis zur Weltwirtschaftskrise stets weniger als 400 Arbeiter und Angestellte beschäftigte. Die Fliegerstäbe des Reichsheeres nahmen direkt nach der Gründung des Werkes Kontakt zu Heinkel auf. Seit 1923 unterhielten Heinkel, Alba­ tros und andere Gemischtbaufirmen bilaterale Beziehungen zur Reichswehr wie Junkers oder Rohrbach. Während das fliegerrüstungswirtschaftliche Referat des Hauptmanns Vogt die Rohrbach Metallbauten unterstützte, die die Brücke vom anspruchsvollen Metallflugzeugbau zur Serienproduktion schlagen wollte, lagen die Interessen bei der Fliegerabteilung in der In­ spektion für Waffen und Gerät (IWG) ganz anders. Kurt Student und sei­ nem Referat Flugtechnik in der IWG kam es darauf an, die Herstellung von Flugzeugen zu forcieren, die kurzfristig für militärische Übungen zur Ver­ fügung standen.51 Student vergab seit 1923 Aufträge auf einzelne Versuchs­ flugzeuge mit guten Manövrier- und sonstige Flugleistungen und konzen­ trierte sich dabei ausschließlich auf die mittelgroßen Holz- bzw. Gemischtbaufirmen, namentlich Albatros, Arado und Heinkel.52 Die besondere Bedeutung Heinkels für die deutsche Rüstung ergab sich jedoch durch die Sonderbeziehungen zum Fliegerstab der Marine. Die Marinefliegerei nahm in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre eine ähnli-

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Zu Heinkel s. vor allem sein Autobiographie aus den fünfziger Jahren, die trotz be­ schönigender Tendenzen für die Zeit des „Dritten Reiches" im wesentlichen quellen­ getreu ist: Heinkel, Stürmisches Leben, hier S. 94-128. WaB6 an T2V(1) u.a., Ueberblick über die Entwicklung der Gemischtbaufirmen in der Zeit vom 1.4.27-1.4.28, 20.5.28, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 18-21, 32. Zu diesem Punkt, der in den innermilitärischen Auseinandersetzungen über die Indu­ striepolitik einige Bedeutung erlangen sollte s. Wa.Prw. 6 (Gruppe Student) 302/28 an Wa.B.6 u. T 2 V (L), 23.6.28, BArch-MA RH 2/2202 fol. 4. Hertel, Flugzeugbeschaffung, Bd. 1, fol. Hf., MGFA Lw 16/1; Völker, Entwicklung, S. 133; zu Arado: Kranzhoff, S. 25f.

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ehe Entwicklung wie die auf drei Stäbe aufgeteilte Heeresfliegerei. Die für die Rüstung verantwortliche Dienststelle (BS X) besaß eine eigene Erpro­ bungsstelle, die später formell dem Reichsverband der Deutschen Luft­ fahrtindustrie angegliedert wurde, nahm in geringem Umfang an der Flie­ gerausbildung in Lipezk teil und bestückte an der Nord- und Ostseeküste Flugstationen, die an die deutsche Verkehrsfliegerschule angebunden wa­ ren, in der seit 1925 Piloten für den Luftverkehr, aber auch für die Reichs­ wehr ausgebildet wurden.53 Bei der Marine waren die Voraussetzungen für die Rüstungspolitik in organisatorischer Hinsicht jedoch günstiger als beim Heer. Es gab nur eine Stelle, die für die personelle und materielle Rüstung verantwortlich war, und diese wurde von Seeoffizieren mit vergleichsweise hohem Rang geleitet. Den Hauptleuten Vogt und Student sowie dem Major bzw. Oberstleutnant Wilberg im Reichswehrministerium stand seit 1925 Rudolf Lahs im Rang eines Kapitäns z. See (Oberst) gegenüber.54 Die Reichsmarine bestand bis zum Ende der Weimarer Republik auf einer eigenen Beschaffungsorganisation und speziellen Flugzeugtypen. Zu­ nächst war der BS X für diese Zwecke eine Stammfirma, die CasparFlugzeugwerke Travemünde, zugewiesen worden, die sie mit Resten aus dem Ruhrfonds kurzerhand kaufte,55 später weitete sie ihre Beschaffungen auch auf Dornier, Rohrbach und vor allem Heinkel aus. Die Eröffnung des Dornier-Zweigwerks auf Schweizer Territorium wurde durch die Marine finanziert und führte 1926 zu einer förmlichen Beteiligung an den DornierMetallbauten, die bei Junkers als Verstaatlichung des wichtigsten Konkur­ renten gewertet wurde.56 Heinkel hingegen wurde aus drei Gründen von der Marine bevorzugt, einmal wegen seiner Kriegskonstruktionen, zwei­ tens wegen seiner kurzzeitigen Anstellung bei Caspar, drittens aber wegen des besonderen Gespürs für den Aufbau der bilateralen Beziehungen zwi­ schen Militär und Industrie. Gerade bei der Marine zeigte sich die Bedeu­ tung jener Grauzone, in der verabschiedete ehemalige Berufsoffiziere die informellen Kontakte knüpften. Beispielhaft war die Karriere von Walter Hormel. Als designierter Luftschiffkapitän und ehemaliger Präses der Warnemünder Seeversuchsabteilung der Marine war er 1919 als Leiter der Werft Warnemünde des Flugzeugbaus Friedrichshafen übernommen wor­ den und auch nach deren Verkauf an Stinnes auf dieser Position geblieben. 53 54

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Der Kampf der Marine gegen Versailles 1919-1935, bearbeitet von Kapitän z. S. Schüssler, IMT Dok. 156-C, Bd. XXXIV, S. 581-585; Völker, Entwicklung, S. 145,151,156. Zum Problem der niedrigen Ränge der Fliegerstäbler in der Reichswehr s. Deichmann, S. 44. IMT Dok. 156-C, Bd. XXXIV, S. 557 u. 586, vgl. Protokoll der Sitzung am 24.2.28 über die Flugzeugzellen-Leistungstabellen, BArch-MA RH 8 1/908. Die Caspar-Werke ge­ hörten zu jenem eigentümlichen Komplex von Firmen, die der Kapitän z. S. Lohmann seit 1923 zusammenkaufte und dessen Enttarnung im Rahmen des sog. LohmannSkandals u.a. den Umfang der geheimen Rüstungsvorbereitungen der Reichswehr be­ kannt machte. IMT Dok. 156-C, Bd. XXXIV, S. 558; Zur Lage am 9. Juli, DMM/ASD JA 0301/12/78.

1923 regelte er als Strohmann Stinnes' sowohl den Ankauf der FokkerFlugzeuge der Reichswehr als auch den Export der ersten HeinkelFlugzeuge nach Japan. Nach dem Tod von Stinnes war er 1925 zeitweise Hauptinhaber von Arado, gelangte 1926 auf den Posten des kaufmänni­ schen Leiters von Rohrbach, wechselte 1927 zu Heinkel, trat 1931 bei Alba­ tros ein, leitete 1932 die Junkers-Betriebsgesellschaft und beendete mit dem Eintritt bei den Henschel Flugzeug-Werken im Dezember 1932 seinen un­ steten Berufsweg.57 In Gestalt seines ehemaligen Untergebenen bei der See­ versuchsabteilung, Siburg, später Leiter des Referats Seefliegertechnik in der BS X, verfügte Hormel über vorzügliche Beziehungen, die sich für seine jeweiligen Arbeitgeber nur positiv auswirken konnten.58 Heinkel versuchte gezielt, seine Firma durch informelle Verbindungen abzusichern. Als mittelständischer Unternehmer finanzierte er ein kost­ spieliges Berliner Büro, für dessen Leitung er Rittmeister a.D. Baron von Pfistermeister gewann, einen persönlichen Freund Rudolf Lahs'. Bei abend­ lichen Umtrunken und Sonntagsspaziergängen im Grünewald erfuhr Pfi­ stermeister von Lahs „allerlei, was Sie interessieren wird".59 Heinkel war der einzige Industrielle, der in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre um­ fassend nicht nur über die Absichten des Militärs, sondern auch über die Probleme seiner Konkurrenten informiert war.60

2. Heereswaffenamt, Truppenamt, Reichsverkehrsministerium und das Konzept der fabrikatorischen Vorbereitungen Die Chancen der deutschen Hersteller beruhten 1925 immer noch auf einem relativen technischen Vorsprung. Die Bedürfnisse des freien Marktes trugen und strukturierten den deutschen Flugzeugbau mehr als den ande­ rer Länder. Was sich freilich ankündigte, war ein Wandel in der Haltung des deutschen Militärs. Nachdem die Reichswehr viel Energie auf das Junkerssche Unternehmen in Sowjetrußland verwandt hatte, begann sich nun ein Modell durchzusetzen, in dem die Abteilungen im Heereswaffenamt, in der Inspektion für Waffen und Gerät, im Truppenamt und in der Marine

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Zur frühen Karriere von Hormel s. Bengelstorff, M.A.: Ein alter Adler, in: Henschelstem, März 1937, S. 63-67; beim Flugzeugbau Friedrichshafen: Unterstaatssekretär des Reichsluftamtes 3801.19, Protokoll über die Sitzung am 10. Mai 1919, 12. Mai 1919, BArch N 1103/299; Strohmann für Heinkel-Export: IMT Dok. 156-C, Bd. XXXIV, S. 579; Strohmann für Fokker: Kranzhoff, S. 14; bei Rohrbach: Schriftwechsel mit der Reichs­ wehr in BArch-MA RH 8 1/3661; bei Arado: Kranzhoff, S. 164; bei Heinkel: Dokumente in HeA Korr. BB1; bei Junkers: Hormel an Junkers, 28.6.32, DMM/ASD JA 0301/28/78. Völker, Entwicklung, S. 164. Pfistermeister an Heinkel, 27.12.27, HeA Korr. BB1, s.a. Nuß, S. 276. Das Dankschreiben von Lahs an Heinkel zum Ausscheiden aus dem aktiven Marine­ dienst, 29.3.29, gibt diese enge Beziehung wieder: HeA Korr. Lahs. 143

Sonderbeziehungen zu einzelnen Industrieunternehmen anbahnten. Wäh­ rend die TA(L) des Hauptmanns Wilbergs ausschließlich daran gearbeitet hatte, das Junkers-Werk in Fili für außenpolitische Übereinkünfte und erst in zweiter Linie auch als Lieferant für Übungsflugzeuge einzusetzen, zeig­ ten die Verbindungen, die die Gruppe des Hauptmanns Student und die BS X zu den Gemischtbaufirmen anknüpften, vor allem aber der Kontakt der Gruppe Vogt zu Rohrbach, bereits technische Prioritäten einer neuen Linie in der materiellen Rüstung auf, die auf der Industrie im Inland auf­ baute. Das Arbeitsfeld der fliegerrüstungswirtschaftlichen Referate diffe­ renzierte sich nicht nur, sondern es deuteten sich seit 1924 auch andere Schwerpunkte in den Beziehungen der Fliegerreferate untereinander an, die eine neue Form der Koordination nötig machten. Die Diskussion über die neue operative Planung zog eine Neubestim­ mung der Funktionen der verschiedenen Organisationen und Institutionen innerhalb und auch außerhalb der Reichswehr nach sich. Dies galt vor al­ lem für das Heereswaffenamt, was angesichts des Standes der rüstungs­ wirtschaftlichen Vorbereitungen nicht verwunderlich war: „Die Friedens­ vorarbeit auf dem Gebiete der Wirtschaft entbehrt der Erfahrungen, die auf dem Gebiete der Bereitstellung der personellen Streitkräfte in so reichem Maße zur Verfügung stehen", wurde die besondere Lage im Heereswaffen­ amt noch 1928 begründet.61 Während Fragen der personellen Mobilma­ chung seit jeher zum Kembestand militärischer Arbeit gehörten, mußten die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges in der wirtschaftlichen Mobilma­ chung überhaupt erst verarbeitet und zu Konzepten umgemünzt werden, die für die besondere Situation der Reichswehr tragfähig waren. Seit 1924 gab es Bemühungen, das Mißverhältnis zwischen den chaoti­ schen Waffenkäufen und der fehlenden wirtschaftlichen Mobilmachungs­ planung zu bereinigen. Den diversen Beschaffungsabteilungen des Waffen­ amtes, die bis dahin mit unterschiedlicher Intensität Beziehungen zu einzelnen Industrieunternehmen in Deutschland gepflegt hatten, wurde im November 1924 der Nachschubstab des Waffenamtes übergeordnet.62 Der Nachschubstab hatte zwei Aufgaben. Er sollte in einem ersten Schritt die rüstungswirtschaftliche Basis in Deutschland erkunden und fortlaufend Unterlagen zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie beschaffen, um so überhaupt ein Feld zu definieren, auf dem Rüstungsvor­ bereitung stattfinden konnte. In einem zweiten Schritt sollte der Nach­ schubstab Kontakte zu der einschlägigen Industrie aufbauen, die zur plan­ mäßigen Vorbereitung auf den Kriegsfall genutzt werden konnten.63

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Vortragsnotizen über Zweck, Notwendigkeit und Umfang der wirtschaftlichen Auf­ stellungsvorbereitungen, 22.11.28, abgedr. bei Thomas, Geschichte, Dok. 1, S. 488-497. Hansen, Reichswehr, S. 64; der Nachsschubstab war der organisatorische Vorläufer des Wirtschaftsstabes bzw. des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes von Georg Thomas (Thomas, Geschichte, S. 54f.). Ebd., S. 68.

Darüber hinaus entstanden im Nachschubstab Konzepte zur Gestaltung der materiellen Rüstung, teils, um Erfahrungen aus dem Weltkrieg zu sichern, teils, um den übrigen Reichswehrstellen überhaupt einen Eindruck von dem Umfang der Aufgabe zu vermitteln, industrielle Produktion auf die Zwecke der Waffenherstellung umzustellen. Das wichtigste dieser Kon­ zepte legte der Nachschubstab bereits zehn Monate nach seiner Gründung vor. Auf der Basis eines Memorandums, das die Gruppe Technik im Stab des Heereswaffenamts entwickelt hatte,64 entstand eine Handbuch, mit dem die Pflöcke für das System der materiellen Rüstung der Reichswehr einge­ setzt wurden. Das „Rüstungshandbuch für die industrielle Mobilisierung"65 wurde den Dienststellen des Reichswehrministeriums im September 1925 in 126 Exemplaren zugeleitet und umriß die Zielsetzung der Zusammenarbeit mit der Industrie. Es setzte sich aus einer vergleichsweise einfachen Bestim­ mung der Voraussetzungen der deutschen Rüstung nach den Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und einer ebenso einfachen Schlußfolgerung zu­ sammen. Diese Schlußfolgerung markierte jedoch einen radikalen Bruch mit den Projekten, die vor 1924 in Rußland und anderswo durchgeführt worden waren, auch mit den Traditionen der materiellen Rüstung in Deutschland überhaupt. Der Nachschubstab ging in seiner Argumentation von drei Voraussetzungen aus. Erstens: Das deutsche Militär dürfe ledig­ lich Bestände an Waffen halten, die für den Kriegsfall nicht im entfernte­ sten ausreichten. Zweitens: Da Rüstungsgüter ohnehin rasch veralteten, sei es sinnlos, sie illegal in großem Stil zu horten. Drittens: Bei Ausbruch eines Krieges werde den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zufolge ein „zusammengeballter Massenbedarf an allem, was eine Wehrmacht braucht, eintreten".66 Das Spannungsfeld zwischen diesen Determinanten über­ brückte der Nachschubstab mit der Schlußfolgerung, daß die von der Reichswehr anzustrebende materielle Rüstung eben nicht in der illegalen oder legalen Beschaffung von Rüstungsgütern für einen Krieg bestehen könne, sondern vielmehr und vorwiegend in der Vorbereitung der Indu­ strie auf die Massenfertigung von Rüstungsgütern. Die Fähigkeit zur Rü­ stung, so schloß der Nachschubstab, werde vor allem durch die Fähigkeit bedingt, die Rüstungsindustrie auf Massenproduktion umzustellen.

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Beitrag zur technisch-wissenschaftlichen Organisation der Landesverteidigung (vom Standpunkt der Fertigung), Anlage zu Watech 27/25 tech. an NSS, 5.2.25, BArch-MA RH 8 1/918. Rüstungshandbuch für die industrielle Mobilisierung, an Verteiler mit Anschreiben Pfennig (Deckname für das Heereswaffenamt bis 1.10.25) Nr. 419/25 Andreas (Nachschubstab), 12.9.25, BArch-MA RH 8 1/918. Im Folgenden werden die im Schrift­ verkehr gebräuchlichen Decknamen nach dem Verzeichnis in BArch-MA RH 8 1/909, fol. 180-183 aufgeschlüsselt, s. a. Hansen, Reichswehr, S. 210. Rüstungshandbuch ..., Kap. 1, S. lf., Kap. 2, S. 1-4, BArch-MA RH 8 1/918.

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Diese Abkehr von dem Prinzip der Bevorratung und die Hinwendung zu den fortan „fabrikatorische Vorbereitungen" genannten Maßnahmen be­ zeichnete eine spezifische Innovation: Sie hatte zum Kern, daß die Reichs­ wehr sich der Situation stellte, in der sie seit 1918 war. Noch 1928, als dieser Gedankengang bereits den Charakter eines „Grundgesetzes" der materiellen Rüstung erhalten hatte, umriß der Chef des Heereswaffenamtes die Vorteile der fabrikatorischen Vorbereitungen in einer Art, die es erkennen läßt, wie fundamental der Schwenk war: „Der einfachste Weg der Abhülfe wäre an sich die Bereitlegung des Kriegsbedarfs für das aufzustellende Heer in sol­ chem Umfange, daß der Verbrauch bis zum Einsetzen ausreichender Indu­ strielieferungen sichergestellt ist. Eine einfache Berechnung zeigt, daß dazu viele hundert von Millionen Mark notwendig wären, ganz abgesehen da­ von, daß wir nicht in der Lage wären, das Vorhandensein von soviel Kriegsgerät zu tarnen, es zu lagern, aufzufrischen und modern zu erhalten."67 Demgegenüber biete die Verlegung auf die fabrikatorischen Vorbe­ reitungen den Vorteil einfacher Tarnung und garantiere bleibende Werte: Wenn die Reichswehr nurmehr Werkzeugmaschinen statt Waffen beschaf­ fe, werde nicht nur für den „ersten Kriegsbedarf, sondern für den Nach­ schub während des ganzen Krieges gesorgt," folgerte der Waffenamtschef Ludwig.68 Vor allem aber waren die fabrikatorischen Vorbereitungen weit­ aus preiswerter als die getarnte Hortung. Der zentrale Streitpunkt des Werks in Fili, die Abnahmegarantie für eine auf Touren laufende Serien­ produktion von Kriegsflugzeugen, war damit auf einen Schlag ausgeräumt. Die Erkenntnisse des Rüstungshandbuches waren nicht nur so bedeu­ tend, weil sie einen Ausweg aus dem spezifischen Dilemma der Reichswehr boten. Sie waren es auch, weil sie das Dilemma der Rüstung an sich opera­ tionalisierten. Das Heereswaffenamt und die Reichswehr mochten be­ schwören, daß die Mobilmachung der europäischen Groß- und Mittel­ mächte „verhältnismäßig einfach durch gesetzgeberische Anordnungen vorzubereiten" sei,69 aber auch in den Vereinigten Staaten, in England, Frankreich und Polen wurden Waffen immer teurer und die Streitkräfte dieser Länder sahen sich an einem bestimmten Punkt genauso wie die Reichswehr der Klage gegenüber, daß ihre Rüstung nicht mehr bezahlbar sei. In dieser Hinsicht münzte das Heereswaffenamt mit dem Rüstungs­ handbuch seinen grundlegenden Nachteil in einen bestechenden Vorteil um. Je intensiver die verfügbaren Mittel in die durch Restriktionen kaum eingeengten fabrikatorischen Vorbereitungen investiert wurden, um so mehr wurde die Reichswehr zu einer modernen Verteidigungsarmee, die sich eben dadurch auszeichnete, daß sie im Frieden ihr Möglichstes tat, die

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„Vortragsnotizen über Zweck, Notwendigkeit und Umfang der wirtschaftlichen Auf­ stellungsvorbereitungen", 22.11.28, abgedruckt bei Thomas, Geschichte, Dok. 1, S. 490. Ebd., S. 491. Ebd., S. 489.

Waffenherstellung und die Massenproduktion zu simulieren und innerhalb einer kurzen Frist eine weitgespannte Konversion industrieller Ressourcen beherrschte.70 1925 definierte der Nachschubstab drei Schwerpunkte der fabrikatori­ schen Vorbereitungen. Es sei erstens nötig, die Zeichnungen und Material­ listen herstellen zu lassen, mit denen im Fall der Mobilmachung die Seri­ enherstellung der Waffen und Geräte gesteuert werden könne. Zweitens müssten eine weitgehende Normierung der Einzelteile von „Heeresgerät" und drittens die umfassende Berücksichtigung produktionstechnischer An­ forderungen schon bei der Konstruktion dieses Geräts durchgesetzt wer­ den. Die Forderungen in diesem Zusammenhang nahmen bereits sehr pla­ stische Formen an: Die täglich 7000 Automobile bei Ford seien keine Folge der Konstruktion, sondern einer raffinierten Organisation der Fertigung. Es sei unabdingbar für die „Militärbehörde", Einfluß einerseits auf die Festle­ gung von Arbeitsgängen bei der Produktion von Waffen, die Beschaffung von Werkzeugmaschinen, Lehren und Vorrichtungen zu erhalten, und an­ dererseits auf die Arbeiten des Normenausschusses der Deutschen Indu­ strie zu nehmen, hieß es im Rüstungshandbuch.71 Das Arbeitsprogramm der zentralen rüstungswirtschaftlichen Instanz des Heereswaffenamtes wich somit nur wenig von den Schwerpunkten der Rationalisierungsdiskussion ab, die sich zur gleichen Zeit auf allen Ebenen der deutschen Wirtschaft Bahn brach. Dies war umsomehr der Fall, als das deutsche Militär aus seiner eigenen Rolle in der Geschichte dieser Rationa­ lisierungsbewegung die Legitimität seiner weitgespannten Forderungen ableitete. Der Nachschubstab knüpfte ausdrücklich an die Lehren an, die aus der Arbeit des Fabrikationsbüros (Fabo) abgeleitet werden konnten, das 1917 im Waffen- und Munitionsbeschaffungsamtes (Wumba) des preußi­ schen Kriegsministeriums eingerichtet worden war. Unter der Leitung von Otto Romberg, der später auf eine Professur an der TH Charlottenburg wechselte, arbeiteten in diesem Stab bei Ende des Krieges einige hundert Ingenieure. Das Fabo betrieb die Vereinheitlichung von Fabrikationsunter­ lagen, unternahm bei der Gewehrherstellung 72 die erste Versuche mit einer dezentralisierten Teilefertigung außerhalb der eigentlichen Rüstungsspezi­ alfabriken und legte mit seiner Arbeit nicht zuletzt die Grundlage für den Normenausschuß der Deutschen Industrie. Die Fortsetzung der „Faboarbei-

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Die beste Darstellung der konzeptionellen Überlegungen zur neuen Rüstung hat Hans v. Seeckt nach seinem Abschied verfaßt: ders., S. 95ff.; Carroll, S. 63. Rüstungshandbuch Kap. 4, S. 1-15, BArch-MA RH 8 1/918. Der Mythos des Fabo hing vor allem an der Erhöhung des Gewehrausstoßes von mo­ natlich 10.000 auf 250.000 Exemplare, die allein der Tätigkeit Rombergs gutgeschrieben wurde (s. Wurtzbacher an TA, 29.9.25, BArch-MA RH 8 1/898). 147

ten" sei eine der „vornehmsten Pflichten der Technik im Reichswehrministe­ rium", betonte daher die Vorstudie zum Rüstungshandbuch.73 Bei allen Details, die aufgelistet wurden, um die Nachfolge des Fabo anzutreten, übersahen die Militärs im Heereswaffenamt freilich wiederum eines. Die Vorstellung, die hinter der Konzeption des Nachschubstabes stand, das Heereswaffenamt könne sich zu einer Rationalisierungsanstalt für die deutsche Industrie entwickeln, setzte Verhältnisse voraus, die 1925 und auch in den folgenden Jahren realitätsfern waren. Das Fabo erfüllte Funktionen in einem Rüstungsprozeß, in dem die gesamte deutschen Indu­ strie auf die Zwecke der Rüstung verpflichtet war und in dem ein Bedarf für eine Vereinheitlichung der Waffenproduktion bestand.74 Die Reichs­ wehr des Jahres 1925 indes war weit hinter diesen Zustand zurückgefallen. Offiziell war ihre Rüstung auf einige Spezialfirmen beschränkt, inoffiziell mochten die deutschen Großindustriellen ihre Verbundenheit zur Idee des militärischen Wiederaufstiegs bekunden - eine Verpflichtung auf die An­ liegen der Reichswehr bedeutete das aber noch lange nicht.75 Angesichts des Umfangs der Rationalisierungsbewegung in der deutschen Industrie nahmen sich die Überlegungen der Reichswehr und ihr Potential zudem kümmerlich aus. Selbst wenn es schließlich gelang, einen Vertreter im DINAusschuß zu plazieren, war Rationalisierung in den zwanziger Jahren die Sache der Industrie, und diese hatte kein Interesse daran, die Initiative in diesem Feld zu teilen. Die deutschen Industriellen bestanden sogar darauf, daß es eigentlich ihre „Friedenspolitik" sei, die die technischen Chancen für eine erneute Rüstung eröffne, da die Innovationsfähigkeit von reinen Waffen­ fabriken deutliche Grenzen habe.76 Als das Reichsverkehrsministerium mit Unterstützung des Verbands der Luftfahrzeughersteller Ende 1923 den er­ sten zaghaften Versuch unternahm, die Flugzeugindustrie an die Arbeit des Normenausschusses heranzuführen, lehnte die IFA eine Beteiligung rund­ weg ab.77 Die Hindernisse, die sich für großangelegte Programme zur Rüstung durch Rationalisierung ergaben, zeigten sich deutlich bei der Erkundung der Industrie, also bei der Frage, ob der Nachschubstab überhaupt in der Lage war, Informationen über die Industrieproduktion abzurufen, um diese später in tragfähige Konzepte für die fabrikatorischen Vorbereitungen um­ zusetzen. In der Flugzeugindustrie war der Stand kläglich. Die Erkenntnis-

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Beitrag zur technisch-wissenschaftlichen Organisation der Landesverteidigung (vom Standpunkt der Fertigung), Watech 27/25 tech. an NSS, 5.2.25, S. 5, 14-16, BArch-MA RH 8 1/918. Zum Wandel des Beschaffungsvorgangs im Zuge des Hindenburg-Programms Geyer, Rüstungspolitik, S. 103-109; Hansen, Reichswehr, S. 27. Hansen, Reichswehr, S. 72-82; Nuß, S. 190f. Radkau, S. 253, vgl. Produktivkräfte, S. 23f. RVM an die Firmen der Flugzeugindustrie, betr. Normung im Flugzeugbau, 17.11.23, und Mader an RVM, 6.12.23, DMM/ASD JA 0301 /8/43.

se über die Leistungsfähigkeit der Industrie beruhten Mitte der zwanziger Jahre noch auf den Akten des Wumba aus der Spätphase des Ersten Welt­ kriegs.78 Das Bild der deutschen Flugzeugindustrie, welches sich aus diesen Informationen ergab, war grotesk. Auf der Basis der ersten, im Winter 1924/25 erstellten Firmenliste79 entstand die Schätzung, daß die Luftfahrt­ industrie in Innerdeutschland 80 fünf Monate nach dem Beginn einer Mobil­ machung 625 Flugzeuge pro Monat produzieren könne, nach sieben Mo­ naten sogar monatlich 2.450 Flugzeuge, mehr als während der Hochrüstung 1917/18. Zwar wurden Junkers/Dessau und Dornier dabei berücksichtigt, allerdings mit vergleichsweise geringen Prozentsätzen an der Gesamtlie­ ferzahl (jeweils 6%). Heinkel in Warnemünde dagegen sollte 7% (monatlich 150 Flugzeuge nach sieben Monaten) produzieren, Rohrbach fehlte ganz. Die Hauptlast der Rüstungsproduktion jedoch wollte der Nachschubstab entweder den Firmen der alten Technologie aufbürden (Albatros mit 10%) oder solchen, die überhaupt keine Flugzeuge mehr bauten, der Hannover­ schen Waggonfabrik (10%), der Gothaer Waggonfabrik (10%) und der ATG/Aviatik in Leipzig (zus. 13%). Nicht zuletzt die liquidierten FokkerWerke in Schwerin schlugen in dieser Planung aus dem Jahr 1924 immer noch mit einer Kapazität von 100 Flugzeugen nach sieben Monaten (4%) zu Buche, während die Werften der IFA in Fürth und Königsberg (86 bzw. 25 Beschäftigte im Juni 1924) für je 3% vorgesehen waren.81 Diese Liste de­ monstrierte eindrucksvoll das Dilemma des Nachschubstabes. Obwohl es später gelang, durch sogenannte Wirtschaftsoffiziere in den Wehrkreisen die Erkundung der Industrie zu intensivieren und die „statistische Gesell­ schaft" (Stega) die Datenerhebung über geeignete Unternehmen seit 1926 systematisch betrieb, waren diese Pläne Makulatur.82 Auf der anderen Seite zeigte sich 1925/26, daß die Verbindungen ein­ zelner Dienststellen des Waffenamtes zu bestimmten Industrieunterneh­ men nicht nur deren Erkundung erleichterte, sondern auch Ansätze zu je­ ner Rüstungspolitik boten, die im Rüstungshandbuch entworfen wurde.

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Hansen, Reichswehr, S. 89. Diese Ausarbeitung, (703/24 nss. o. D., ca. Dez. 1924) ist in Form von Deutschlandkar­ ten mit entsprechenden Eintragungen überliefert (Karte Nr. 21: Flugzeuge, Karte Nr. 22: Flugzeugmotore und Zubehör), BArch-MA RH 8 1/948. Für Zwecke der abteilungsintemen Information stellte die Luftrüstungsstelle Vogts aus diesen Karten eine undatierte Liste zusammen (BArch-MA RH 8 1/3605, fol. 68-70). Grob wurde jenes Gebiet als Innerdeutschland bezeichnet, welches durch die Oder im Osten und die Linie von der Wesermündung über Kassel und Ulm bis zum Bodensee im Westen begrenzt wurde. Zu diesem Begriff und den dahinter stehenden Vorstellun­ gen s. Thomas, Geschichte, S. 55f. u. 59f. Technischer Monatsbericht Ifa für Juni 1924, DMM/ASD JA 0301/9/2. Die 1922 ge­ gründete Werft Königsberg war freilich Ende 1924 nicht mehr in Betrieb, s. Tagebuch­ eintrag Junkers', 21.7.22, NB 91, S. 6179, DMM/ASD N 21/3. Zur Stega s. Heeereswaffenamt 29/26 Wa. Stab., 16.1.26, BArch-MA RH 8 1/918; Han­ sen, Reichswehr, S. 82-113; Thomas, Geschichte, S. 55f.

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Die bilateralen Kontakte intensivierten sich daher, was zwar mit der Zen­ tralisierung der wirtschaftlichen Mobilmachungsvorbereitungen im Nach­ schubstab nicht zu vereinbaren war, sich gleichwohl als notwendig erwies, da nur in einzelnen, eher abhängigen Bereichen der deutschen Industrie ein Einstieg in die fabrikatorischen Vorbereitungen erfolgversprechend war. Seit 1926 setzte sich daher durch, was Georg Thomas den Unterschied zwi­ schen Wehrwirtschaft und Rüstungswirtschaft nennen sollte.83 Während der Nachschub- bzw. Wirtschaftsstab seine weitreichenden Überlegungen über die Wehrwirtschaft formulierte, verlagerte sich der Schwerpunkt der Kontrolle der Rüstungswirtschaft auf die Beschaffungsstellen und Inspek­ tionen des Waffenamtes zurück. Hier entstand in der Folge, auch wenn dies nur als „Notrüstung" klassifiziert wurde, die Feinplanung der Rüstung, entlang der im Rüstungshandbuch niedergelegten Lehren.84 Die Entwicklung bei der - mittlerweile als Wa.l. bezeichneten - Dienst­ stelle des Hauptmanns Vogt war beispielhaft für die Aufwertung der Be­ schaffungsstellen des Heereswaffenamtes. Ihr standen keine Großunter­ nehmen gegenüber, sondern eine Industrie, die ebenso drastisch verkleinert worden war wie das Militär selbst. Zudem hatte sich die chaotische Rü­ stung der Jahre bis 1923 nirgendwo deutlicher niedergeschlagen als im Moskauer Junkerswerk. Der Schritt in eine geänderte Rüstungskonzeption für die Luftstreitkräfte war — das hatte bereits das Auftreten Vogts in der Junkers-Frage gezeigt - für das Heereswaffenamt immer auch der Versuch, die Lehren aus Fili zu ziehen. Vogt verfolgte 1925 bereits konkrete Ziele. Sie galten auf dem Flug­ zeugsektor Rohrbach, vor allem aber, wie schon bei seinem Engagement in der sowjetischen Frage, BMW. Die Reichswehr, schrieb er Anfang 1926, dürfe nichts unversucht lassen, um die Firma den Händen des Spekulanten und Ausländers Camillo Castiglioni zu „entreißen". Gleiches gelte für den Junkersschen Motorenbau, der wegen der Ähnlichkeit der Modelle beider Firmen in eine Interessengemeinschaft mit BMW überführt werden müsse.85 Mit Krupp hatten sich Verhandlungen über die Herstellung von Kurbel­ wellen für Flugmotoren und Edelstahlhalbzeug ergeben. Der Leiter des Re­ ferats II der Gruppe, der Diplomingenieur und Oberleutnant Wolfram von Richthofen, bearbeitete seit 1925 eine Denkschrift über ein Kernproblem der industriellen Rüstung: „Holz oder Metall", der Leiter des Referats Ib, Bul­ linger, stellte Unterlagen über die Möglichkeiten der Luftrüstung in Inner­ deutschland zusammen.86 Leopold Vogt freilich nahm an der Durchsetzung der fabrikatorischen Vorbereitungen in der Luftrüstung nicht mehr teil. Im Winter 1925 übergab 83 84

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Thomas, Geschichte, S. 51. Erläuternd: Herbst, Totaler Krieg, S. 96ff. Hansen, Reichswehr, S. 96f. u. 112f. spricht im Zusammenhang mit dem Scheitern der Stega von einer „Zweiteilung des Beschaffungsvorgangs" in Not- und Planrüstung. Vogt an Volkmann, 29.1.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 89. Ebd., fol. 91-98.

er die Gruppe an Hauptmann Hellmuth Volkmann,87 der in den folgenden dreieinhalb Jahren versuchte, aus den ambitionierten, aber eher vagen Überlegungen Vogts eine geschlossene Rüstungskonzeption zu erarbeiten. Volkmann konzentrierte sich auf zwei Ziele: Erstens, einen Plan für die materielle Rüstung der zukünftigen Luftstreitkräfte zu entwickeln, und zweitens, eine Organisation aufzubauen, die in der Lage war, die Kernfor­ derungen des Rüstungshandbuches des Nachschubstabes im Bereich der Flugzeugindustrie zu verwirklichen. Der Anspruch, einen Zustand zu er­ reichen, in dem die Wa.l. umfassend in die Belange der Flugzeugindustrie eingreifen konnte, barg jedoch nicht nur in der Hinsicht Illusionen, daß die Industrie bei weitem noch nicht so abhängig von staatlichen Subventionen war, wie es das Rüstungshandbuch des Nachschubstabes voraussetzte. An­ gesichts der Tatsache, daß es sich hier um eine kleine Gruppe im Stab des Heereswaffenamtes unter Führung eines siebenunddreißigjährigen Haupt­ manns handelte, schien auch die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den anderen Fliegerstäben in der Reichswehr, vor allem im Truppenamt, be­ grenzt zu sein. Der Bedeutungszuwachs der Wa.l. fußte daher vor allem auf der im März 1926 erfolgten Ernennung Max Ludwigs zum Chef des Heereswaffen­ amtes. Ludwig, der bis 1929 in dieser Stellung verblieb, wurde in der Folge der wichtigste Protagonist der Reorientierung der materiellen Rüstung. Er machte die Stellung der Wa.l. in der Fliegerrüstung zum Testfall für die Neubestimmung der Funktionen des Heereswaffenamtes in der Rüstungs­ wirtschaft insgesamt.88 Als Volkmann versuchte, die fabrikatorischen Vor­ bereitungen im begrenzten Segment der Flugzeugindustrie einzuführen, forderte Ludwig stets eine möglichst radikale Umsetzung des Konzepts, und ließ derweil keine Gelegenheit aus, auf ein Ende der nutzlosen, ver­ meintlich geheimen Bevorratungen zu drängen. Volkmann setzte sich deutlich gegen die Prämissen der Rüstungsan­ strengungen der Vorjahre ab. „Unsere zukünftige Luftrüstung baut sich auf

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Zu Hellmuth Volkmann: Stumpff, S. 36 u. Bongartz, S. 138. Ludwig, Max (1871-1961) hat in den Darstellungen zur Rüstung der Reichswehr fast keine Beachtung gefunden. Das liegt vor allem an der Hegemonie Georg Thomas’, der seine Rolle in der Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft so nach­ drücklich herausgestellt hat, daß die komplexe Entwicklung außerhalb des Nachschubbzw. Wehrwirtschaftsstabes aus dem Blick geraten ist und mit ihm die konzeptionellen Führer der zwanziger Jahre, als Thomas gerade einmal den Rang eines Hauptmanns bekleidete. Paradigmatisch Birkenfelds Anmerkung zu einem Dokument, in dem poin­ tiert die Leitgedanken der fabrikatorischen Vorbereitungen dargestellt wurden (Vortragsnotizen über Zweck, Notwendigkeit und Umfang der wirtschaftlichen Auf­ stellungsvorbereitungen, 22.11.28), Thomas, Geschichte, Dok. 1, S. 497, FN 5: „Das Do­ kument trägt die Unterschrift des damaligen Chefs des Heereswaffenamtes, General Ludwig, die Denkschrift wurde jedoch von Thomas erstellt".

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der heimischen Industrie auf"89 schrieb er in einem seiner ersten Papiere, und später: „Rohrbach krankt an Kopenhagen, Albatros hat Memel einge­ hen lassen müssen, Dornier hat Pisa in italienische Hand gleiten lassen müssen, Heinkel hat in Stockholm nur eine unbedeutende Filiale, Junkers hat für die Wirtschaftlichkeit seiner Auslandsstützpunkte recht negative Beweise erbracht".90 Zugleich wollte die Wa.l. auch mit dem System der bilateralen Kontakte brechen. Nicht jeder Fliegerstab der Reichswehr sollte seine eigene Firma pflegen, sondern der Anspruch der Wa.l. war es von Be­ ginn an, die wichtigsten Unternehmen der deutschen Flugzeugindustrie in ihr Programm hineinzunehmen: Die drei Metallbaufirmen (Junkers, Dornier und Rohrbach) und die jeweils besten drei Gemischtbaufirmen (1926 und in den folgenden Jahren stets Heinkel, daneben zu diesem Zeitpunkt Albatros und Arado) sollten als Adressaten der fabrikatorischen Vorbereitungen zu ei­ nem Kartell aus „Stammfirmen" zusammengefaßt werden.91 Auf der Folie dieser Abgrenzungen legte Volkmann im Mai 1926 ein Szenario für die Aufstellung einer Luftwaffe vor. Ausgehend von der Zahl von 2293 Flugzeugen, die für die Erstausrüstung einer Kriegsluftwaffe als taktisch tragbar angesehen wurde, und einer Monatsproduktion 971 Flug­ zeugen,92 die nach Berechnungen der Wa.l. die laufend anfallenden Kriegs­ verluste dieser Luftwaffe ausgleichen konnte, widmete sich Volkmann der Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Zeit diese Ziele zu erreichen seien.93 Aufbauend auf seinen Stammfirmen unterschied Volk­ mann, dessen Memorandum von Ludwig abgezeichnet und an die Reichs­ wehrämter versandt wurde, drei „Rüstungsfälle", die sich nach der Inten­ sität der fabrikatorischen Vorbereitungen voneinander unterschieden. Im Fall I waren zwar die Flugzeugtypen einer Kriegsluftwaffe konstruiert, er­ probt und „frontreif" erklärt, aber es gab weder Werkstattzeichnungen, noch waren Vorrichtungen und Werkzeuge für eine Serienproduktion er­ stellt, noch die Hersteller der Roh- und Werkstoffe erkundet. Die Wa.l. rechnete bei durchaus parallel laufenden Arbeiten mit zehn Monaten, bis Listen und Zeichnungen vervielfältigt, Vorrichtungen und Werkzeuge kon-

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Wa.l. 17/26Ia., Denkschrift über eine Entmilitarisierung der Wa.l., 1.2.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 106. Wa.B.6 577/3.27, 5.3.27, Stellungnahme zu T.A.(L) Nr. 97/27 III v. 28.1.27, betr. Techn. Arbeitsprogramm für 1927, S. 2, BArch-MA RH 8 1/908. Wa.l 922/26, 26.5.26: Die Rüstung der Luftstreitkräfte, BArch-MA RH 8 1/923. Es ist nicht genau zu klären, inwieweit die Zahl von 2293 Flugzeugen hier erstmals in Betracht gezogen wurde, diese Marke und eine Monatsproduktion von 971 Flugzeugen blieb jedoch als Zielsetzung für eine vollgültige Erstausrüstung der Kriegsluftwaffe bis zum Ende der Weimarer Republik erhalten, s. beispielsweise Entwurf eines Schreibens Nahe (Wa.A.) Neck. (Nss) an Isar (TA), Mai 1928, betr. Luftprogramm, BArch-MA RH 8 1/958; Suchenwirth, development, S. 35; Bruno Maass, S. 516. Wa.l 922/26, 26.5.26: Die Rüstung der Luftstreitkräfte, BArch-MA RH 8 1/923, über­ sandt an TA, Nss und IWG, wurde 1t. einer Randnotiz am 7.6 ergänzend vor Vertretern dieser Dienststellen vorgetragen; danach auch das Folgende.

struiert und gebaut sowie Rohstoffe und Halbzeuge bestellt und verteilt waren. Bis zur ersten Lieferung von Serienflugzeugen vergingen dann noch drei weitere Monate, und es dauerte weitere fünf, also insgesamt 18 Mona­ te, bis die Erstausstattung einer Kriegsluftwaffe bereitstand. Der Fall II setzte voraus, daß wenigstens die Werkstattunterlagen für den Bau der Flugzeuge und die Konstruktionszeichnungen für die Vorrichtungen bereit lagen - Arbeiten, die nach der „Frontreiferklärung" - die im Mai 1926 al­ lerdings für keinen einzigen Typ vorlag - in einer überschaubaren Zeit zu erledigen waren. Dann, so schloß Volkmann, verkürzte sich die Frist bis zum Erreichen der Erstausstattung einer Kriegsluftwaffe und einer monat­ lichen Produktion von 971 Flugzeugen auf 14 Monate. Erst im Fall III ergaben sich im Sinne einer Kriegführung erträgliche Fristen. Dieser setzte freilich einen Abschluß der fabrikatorischen Vorbe­ reitungen voraus. Bei den sechs avisierten „Stammfirmen" mußten Stückli­ sten, Arbeitspläne und Werkstattzeichnungen, Vorrichtungen und Werk­ zeuge für den Serienbau vorhanden und Werkstoffe eingelagert sein. Sodann rechnete Volkmann damit, daß spezielle „Großbaufirmen" (jene Waggonbauunternehmen, die im Plan des Nachschubstabes an vorderer Stelle rangierten) festgelegt waren, für die innerhalb von vier Monaten nach dem Beginn der Mobilmachung Unterlagen, Werkstoffe und Vorrich­ tungen bereitgestellt werden konnten. Durch diesen Kranz von Maßnah­ men ließ es sich erreichen, daß innerhalb eines Monats nach dem Beginn der Mobilmachung die Serienproduktion von Kriegsflugzeugen begann und nach 10 Monaten die Erstausrüstung bereitstand. Volkmann verwies freilich darauf, daß auch sein Plan noch Bevorratungen an Flugmotoren voraussetzte. Bereits in der „Vorrüstungszeit" mußte ein Vorrat an geeig­ neten Motoren angelegt werden, der aus den Bestellungen für den Luftver­ kehr und die Flugschulen abzuzweigen war und im Kriegsfall in die anlau­ fende Montage bei den Flugzeugfirmen einfließen konnte. Die Wa.l. schätzte, daß es unter den geltenden finanziellen und politischen Voraus­ setzungen nicht weniger als vier Jahre dauern würde, um den Motorenvor­ rat zusammenzubringen. Für das Konzept der fabrikatorischen Vorbereitungen erbrachte der Volkmannsche Plan eine wichtige Neuerung. Schon Vogt hatte die Grün­ dung eines zivilen Ingenieursbüros betrieben, das Konstruktionszeichnun­ gen der Flugzeuge für Zwecke der Massenproduktion überarbeiten sollte. Volkmann ging nun zusätzlich davon aus, daß es nötig sei, die Firmen der Flugzeugindustrie die Techniken des Serienbaus ständig trainieren zu las­ sen. Den Firmen seien „dauernd scharf beaufsichtigte festumrissene kleine­ re Reihenaufträge" zu geben, um sie daran zu „gewöhnen", auch für kleinste Serien Vorrichtungen zu bauen und sie dazu zu zwingen, „leistungssteigemde Arbeitsmethoden" einzuführen, die Verbesserung des Maschinen­ parks voranzutreiben, sowie die Trennung der Entwicklungsabteilungen

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und Produktionsbetriebe vorzunehmen.94 Über das Volumen der Reihen­ aufträge gab es konkrete Vorstellungen. Jede Firma solle soviel Aufträge erhalten, daß sie dauernd etwa 100 - 120 Arbeiter beschäftigen könne, schrieb Volkmann. Zusätzlich müßten jährlich Aufträge in Höhe von etwa 700.000 Mark für jede der Gemischtbaufirmen und 1,5 Mio. Mark für jede der Metallbaufirmen aufgebracht werden. Es erwies sich zwar später als nötig, die Schätzungen über die Untergrenze der dauernden Beschäftigung der Firmen zu korrigieren, im Kern wurde dieses Konzept aber die Leitlinie der Politik für die Flugzeugfirmen. Im Oktober 1926 gab die Wa.l. die Zahl von 80 - 100 produktiven Arbeitern (zwei einmotorige Flugzeuge im Mo­ nat) bei den Gemischtbaufirmen und 200 Arbeitern (ein Großflugzeug im Monat) bei den Metallbaufirmen an und veranschlagte das Auftragsvolu­ men auf jährlich 8,7 Mio. Mark, wobei 6 Mio. auf die Metallbaufirmen ent­ fielen.95 Als entscheidend erwies sich, daß die Wa.l. nicht die Forderung auf­ stellte, die mit diesen Aufträgen gebauten Flugzeuge müßten Kriegsflug­ zeuge sein. Volkmann bestand lediglich auf einer eindeutigen Kontrolle der Produktionsbedingungen: „Die Aufträge können [...] sich auf Kriegs- oder Verkehrs- oder Schulflugzeuge erstrecken, sofern ihnen gleichartige Un­ terlagen zu Grunde liegen."96 Gerade deshalb konnte aber auch die Forde­ rung aufgestellt werden, den seit 1924 ausgeschütteten Subventionsetat des Reichsverkehrsministeriums für diese Aufgabe heranzuziehen: „Alle weite­ ren erforderlichen Friedensvorbereitungen müssen derart erfolgen/' schrieb Volkmann, „dass 1.) die Gefahr einer Veraltung möglichst klein gehalten wird, 2.) keine zu hohen Geldmittel, und auch diese tunlichst produktiv, fest­ gelegt werden, 3.) die Mittel, soweit irgend angängig, offizielle Fonds (R.V.M.) und nicht geheime Rüstungsfonds belasten." Dieses Konzept eines „subventionierten Serienbaus" erfüllte damit mehrere Funktionen: Mit ihm war der wichtigste Schritt getan, um die Un­ ternehmen auf die fabrikatorischen Vorbereitungen zu verpflichten. Nicht Überredung oder der Appell an die patriotische Pflicht sollte als Bindeglied funktionieren, sondern eine dauernde, zielgerichtete Subventionierung, die ein System wirtschaftlicher und technischer Kontrolle der Flugzeugunter­ nehmen ermöglichte. Bevor die Firmen Aufträge erhielten, um ihre Fertig­ keiten im Serienbau zu erhöhen, müsse sichergestellt sein, schrieb Volk­ mann, „dass das zu unterstützende Werk innerlich gesund ist und dass damit die vom Reich gegebenen Mittel auch tatsächlich für den beabsich94 95 96

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Wa.B.6 577/3.27, 5.3.27, Stellungnahme zu T.A. (L) Nr. 97/27 III, 28.1.27, betr. Techn. Arbeitsprogramm für 1927, S. 2, BArch-MA RH 8 1/908. Wa.l. 1938.11/26 an TA (L), 5.11.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 2-12. Wa.l 922/26, 26.5.26: Die Rüstung der Luftstreitkräfte, BArch-MA RH 8 1/923; danach auch das Folgende.

tigten Zweck voll verwendet werden. Vor Zusicherung oder Erteilung lau­ fender Aufträge muss unbedingt Klarheit über die finanzielle Lage des Werkes vorhanden sein."97 Zugleich erfüllte der Versuch, die Industrie zum Flugzeugserienbau zu bewegen, den Zweck, die Kenntnisse über die Her­ stellung von Flugzeugen innerhalb des Militärs zu verbreitern: „Der Bau er­ folgt unter Aufsicht des Auftraggebers, um als Gegenwert Erfahrungen zu erhalten", schrieb Volkmann im November 1926.98 Die besondere Note des subventionierten Serienbaus ergab sich schließlich daraus, daß die Aufträge letztlich Rationalisierungsinvestitionen waren. Da die Serienaufträge es auch den Unternehmen ermöglichen würden, kostengünstiger zu arbeiten als mit ständig neuen Unikaten, glaubte Volkmann, daß sich das System subventionierter Serien, der Versuch, „die Industrie zu rationeller und sorg­ fältiger Arbeit und solider Wirtschaft zu erziehen"99, nach einer gewissen Anschubfinanzierung selbst tragen würde. Die Subventionen waren nicht nur mit dem Zwang verbunden, Techniken des Serienbaus anzuwenden, sondern sie schirmten die Firmen auch gegen die Schwankungen des Flug­ zeugmarktes ab. Als Quintessenz des im Mai 1926 präsentierten Konzepts ergab sich damit eine spiralförmige Aufwärtsbewegung des Rüstungsprozesses. Die Unternehmen erhielten Aufträge, um ihre Fertigkeiten in der Produktion zu verbessern, die Wa.l. rief Informationen über die Erfahrungen ab und setzte sie in neue Anforderungen um, die der Flugzeugindustrie als Serienaufträ­ ge abermals präsentiert wurden. Das Heereswaffenamt verbreiterte in die­ sem dauernden Wechselspiel sein Wissen über den Bau von Flugzeugen. Die Unternehmen wiederum erwarben Fertigkeiten, um auf anderen Märkten kostengünstiger anbieten zu können und waren damit langfristig in geringerem Maße auf die Aufträge der Reichswehr angewiesen. Der Anspruch der Wa.l., eine Rüstungsorganisation zu schaffen, in der die Flugzeugfirmen - und mit geringerer Intensität auch die Motorenfir­ men - zum Serienbau erzogen wurden, wirkte sich noch auf einer anderen Ebene aus. Eine Umgestaltung der Produktionsformen setzte eine Ordnung der Verteilungsstrukturen zwischen den Flugzeugfirmen und ihren Vorlie­ feranten voraus. Die Vorbereitung der Massenproduktion bedurfte eines Liefernetzes, über das im „Rüstungsfall" Werkstoffe und Halbzeuge, aber auch Dienstleistungen bei den Flugzeugfirmen verfügbar gemacht werden konnten. An diesem Problem setzte der Heereswaffenamtschef an, um das Aufgabenfeld der Beschaffungsabteilungen seines Amtes beispielhaft zu um­ reißen. Während Volkmann noch im Frühjahr 1926 lediglich die „Beobach­ tung" der „einschlägigen (Vor-)Industrie" als Aufgabe seiner Gruppe an-

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Wa.l. 1938.11/26 an TA (L), 5.11.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 5. Ebd., fol. 4. Ebd., fol. 8.

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sah,100 legte Ludwig den Akzent auf die Organisation und Vorbereitung dieser Industrie. Die Aufgabenpalette, die er im August 1926 als dem Waf­ fenamt (der Wa.l.) „vorzubehaltendes Arbeitsfeld" beschrieb, markierte zugleich den Abschluß der Konzeptionsphase für die neue Rüstung, die mit der Gründung des Nachschubstabes ihren Anfang genommen hatte. Das Heereswaffenamt wußte nun, an welchen Punkten anzusetzen war, um die materielle Rüstung der Reichswehr auf eine neue Grundlage zu stellen:101 „1. Vorbereitung der militärischen Mobilmachung bezügl. Aufstellung des Luftkriegsamtes mit den nachgeordneten Stellen. 2. Vorbereitung der industriellen Mobilmachung auf dem gesamten Ge­ biet der Luftstreitkräfte und des Reichsluftschutzes Verkehr mit der einschlägigen Industrie Organisation der Hilfsindustrie Verkehr mit der Wissenschaft bezügl. Fabrikations- und Wirtschafts­ fragen Beschaffungsfragen der Rohstoffe, Ersatzstoffe, Halbfabrikate Entwicklung des Geräts für die Massenfertigung Normung der Werkstoffe, Halbfabrikate und Konstruktionselemente Bearbeitung von Patentangelegenheiten102 Subventionen Arbeiterfragen Heranbildung von Arbeitskräften Ausarbeitung entsprechender Vorschriften Nachrichtensammlung 3. Beschaffung des gesamten jetzt bereits benötigten Geräts für Luft­ streitkräfte und Reichsluftschutz, soweit es sich nicht um eine Ver­ suchsanstalt QWG) handelt Vergebung der Lieferungen Preisprüfung Bauaufsicht Abnahme Lagerung und Pflege der Bestände." Die Forderung des Heereswaffenamtes, nicht nur alle fabrikatorischen und Beschaffungsfragen bearbeiten, sondern auch selbständig mit der In­ dustrie und zivilen Stellen verhandeln zu können, kam dem Versuch gleich, die anderen Fliegerstäbe in der Reichswehr aus der materiellen Rü­ stungsvorbereitung zu verdrängen. Als die TA (L) des Hauptmanns Wil­ berg im Oktober 1926 vergleichsweise allgemein gehaltene Erörterungen 100 101

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Wa.l. 367/26, Arbeitsgebiet der 'Wa.l.’, o. D. (ca. März 1926), BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 48-50. Wa.A. (Wa.l) vorzubehaltendes Arbeitsgebiet, Anlage 2 zu Ludwig H.Wa.A. 433/26 N.stab an Chef T.A., 28.8.26, BArch-MA RH 8 1/3600, fol. 105. (Entwurf des Nachschub­ stabes (Soldan), von Ludwig mit handschriftlichen Ergänzungen pers. gezeichnet). Im Entwurf von Volkmann nachgetragen.

zur Zusammenarbeit zwischen Verkehrsministerium und Reichswehr mit dem Ziel anstellte, den Einfluß der Reichswehr auf die Industrie zu erhö­ hen,103 nutzte Volkmann dies, um seine Vorstellungen zu präzisieren.104 Die militärische Einflußnahme müsse sich auf drei Feldern entfalten, schrieb er. Die Inspektion Students habe die Konstruktionsbüros der Firmen und Ver­ suchsarbeiten zu unterstützen und zu lenken. Die TA (L) habe sich in alle fliegerischen Unternehmungen inner- und außerhalb des Luftverkehrs ein­ zuschalten und allgemein organisatorische und operative Fragen zu bear­ beiten. Die Aufgabe der Wa.l. hingegen sei es, eine Luftfahrtindustrie auf­ zubauen und zu erhalten, die den Rüstungsmarkt ohne Schwierigkeiten bedienen könne. Die weitere Perspektive war schon 1925 benannt worden. Vogt hatte nicht nur gefordert, daß seine vergleichsweise kleine Gruppe im Stab des Heereswaffenamtes zu einer eigenen Beschaffungsabteilung auf­ steigen müsse, sondern auch auf die Übernahme der Gruppe Student hin-

sicht konkurrierende Interessen verfolgte.105 Die Aktivität der Wa.l. verschob somit die Gewichte zwischen den Fliegerstäben in der Reichswehr. Mit Berufung auf die Verfügung Seeckts vom 22. Januar 1925106 hatte Wilberg stets versucht, aus den verstreuten Fliegerabteilungen eine große Dienststelle zu bilden, in der alle operativen, organisatorischen und rüstungswirtschaftlichen Fragen einheitlich zu bear­ beiten waren. Als die Bestrebungen des Waffenamtes sichtbar wurden, sich in rüstungswirtschaftlichen Fragen vom Truppenamt abzukoppeln, inten­ sivierte Wilberg die Anstrengungen, die Abteilung Volkmanns in seine Dienststelle hineinzunehmen. Zunächst versuchte die TA(L), durch den Vorschlag einer Entmilitarisierung der Abteilung Volkmanns freien Raum innerhalb der Reichswehr zu erhalten,107 forderte die Eingliederung dann mit dem Verweis auf die unbedeutende Größe der Industrie108 und ging schließlich, als der Rationalisierungskommissar der Reichswehr, Kessel­ ring, die Dienststellen des Truppen- und Waffenamtes begutachtete, mit dem Argument der Kostenersparnis vor.109 Der wichtigste Hebel für das

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Cöthen TA (L), 592/26III an Brieg (Wa.l.) und Lahn 6F (Wa.Prw.6F, Gruppe Student) 18.10.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 15-17. Wa.l. 1938.11/26 an TA (L), 5.11.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 2-12. Vogt an Volkmann, 29.1.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 88. Chef der H.Ltg. 42/25 T2 III L pers. an Verteiler, 22.1.25, BArch-MA RH 8 1/908. T2 III L war die dann gültige Bezeichnung der Dienststelle Wilberg als Teil der Operations­ abteilung des TA. Wa.l. 17/26Ia., Denkschrift über eine Entmilitarisierung der Wa.l., 1.2.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 99-114. Antwort der TA(L.) auf H.Wa.A Nr. 433/26 etc. von Major Keitel im Auszug an Hptm. Volkmann kurzer Hand weitergegeben, o.D., BArch-MA RH 8 1/3600, fol. 94-98, sowie Volkmann 2056/11.26 an Keitel, 23.11.26, ebd., fol. 84-93. Zu den Vorschlägen Kesselrings, s. die Dokumente in BArch-MA RH 8 1/3667, v. a. Chef d. H.L. 87/10.28 an Personalamt, 4.10.28 und die Vorschläge Kesselring in HWaA

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Truppenamt war freilich seine Prärogative bei der Gestaltung des Luftrü­ stungshaushaltes der Reichswehr. In der „Fliegerrüstungsperiode 27/31", als Vorbereitung des 1. Rüstungsprogramms (1928/32) der Reichswehr110 waren für die von der Wa.l. beantragten Zwecke (fabrikatorische Vorbe­ reitungen, Forschung und Bauaufsichten) vergleichsweise geringe Summen vorgesehen, für 1927/28 gerade 360.000 Mark bei 4,8 Millionen Mark, die insgesamt für die materielle Luftrüstung (vor allem Beschaffung von Flug­ zeugen, Motoren, Waffen und Ausrüstung) dem Heereswaffenamt zuge­ wiesen wurden.111 Den Löwenanteil des Luftfahrtetats verwaltete die in der IWG (Wa.Prw. 6F) angesiedelte Gruppe Student. Das Rüstungskonzept der TA (L) und der Gruppe Student unterschied sich wesentlich von den Überlegungen Volkmanns. Hier lag die Betonung immer noch auf der Ausbildung von Piloten, zumal in der Sowjetunion.112 Das Truppenamt und die IWG brauchten zur Ausbildung reine Kriegsflug­ zeuge, die technisch möglichst den im Ausland gebräuchlichen Standards entsprachen. Das zog aber drei Schlußfolgerungen nach sich. Einmal, daß sie von den Flugzeugfirmen immer neue Konstruktionen forderten, die die­ sem Anspruch gerecht wurden. Zum zweiten, daß reine Kriegsflugzeuge am besten im Ausland zu bauen waren113, und drittens, daß Kompromisse bei der Konstruktionsauslegung möglichst nicht eingegangen wurden, also auch nicht im Hinblick auf eine effektive Serienproduktion. Während

penamt, selbst wenn Wilberg hier zu Kompromissen bereit war, auf der Er­ haltung und dem Ausbau der Auslandsstützpunkte — „auch wenn es Mil­ lionen kostet"114, und auch noch nach dem Fortfall der „Begriffsbestimmun-

138/1.29 Wa.Stab, 11.1.29. S. a. Truppenamt 464/29 T2 V (L), betr. Zusammenfassung no der Fliegerstellen des Reichsheeres, 16.4.29, BArch-MA RH 8 1/900, fol. 105-117. Zum 1. Rüstungsprogramm s. Hansen, Reichswehr, S. 119-129, bes. 125-127, Nuss, S. 218f., sowie Geyer, Rüstungsprogramm, S. 125f. in TA 437/27 T.2 V (L), 25.5.27, betr. Flieger-Rüstungs-Periode 1927/31, (abgezeichnet vom Leiter der T2, Blomberg) BArch-MA RH 8 1/893, fol. 35-40. Die dort genannten Summen wurden zuvor in der Anlage zum „technischen Arbeitsprogramm für 1927" TA(L) 97/27, 28.1.27, BArch-MA RH 2/2211 aufgeschlüsselt. 112 Nach TA 437/27 T.2 V (L), 25.5.27, betr. Flieger-Rüstungs-Periode 1927/31, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 35-40 plante das TA für das Ausbildungslager in Lipezk zwischen 2,5 Mio. Mark (1927/28) und 4 Mio. Mark (1930/31) ein. 113 „Vorbedingung [...] ist also das Vorhandensein einer Niederlassung der K-Flugzeuge bauenden Firma im Ausland," zit. n. „die Erhaltung und Fortentwicklung der Luft­ fahrtindustrie", o.D. (Anfang 1927), vermutlich verfaßt von der Wa.Prw. 6F, BArch-MA RH 2/2187, fol. 34. 114 Randbemerkung Wilbergs auf einem Schreiben des Stabs TA 167/26, 15.5.26, zur Frage des Erhalts von Fili, BArch-MA RH 2/2291, fol. 103, s.a. die Antwort Wilbergs vom 22.5.26, der forderte, vor einer weiteren Verplanung von Geldern für Fili erst die In­ landsproduktion zu stützen (ebd., fol. 102). Zur Haltung der Gruppe Student s. den Be­ richt Students über eine Reise in die Sowjetunion im August 1926, 10.9.26, Reichswehr, Dok. 1, S. 28, sowie „die Erhaltung und Fortentwicklung der Luftfahrtindustrie", o.D. (Anfang 1927) BArch-MA RH 2/2187, fol. 34/35.

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gen". Während das Heereswaffenamt einen Akzent auf die Einübung von Techniken der Serienproduktion legte, erklärte Wilberg, „daß das Interesse der Wehrmacht Typenentwicklung" verlange115 und diese Student zufolge „von allen hemmenden Fesseln der Beschaffungsgesichtspunkte befreit sein" müsse.116 Während die Arbeit der Abteilung Volkmanns auf der Überlegung beruhte, daß die Industrie in großen Stückzahlen produzieren und gerade deshalb bei der Entwicklung von Verkehrsflugzeugen von militä­ rischen Ansprüchen befreit sein mußte, die gegebenenfalls die Marktfähigkeit beeinträchtigten, forderte die Gruppe Student eine „Beeinflußung der Kon­ struktion aller Zivilflugzeuge", um Flugzeuge zu erhalten, die behelfsmäßig für den Kriegsfall benutzt werden konnten.117 Die Konflikte, die sich aus diesen widerstreitenden Interessen ergaben, waren dabei durchaus handfest. Als der zweite Mann in der TA (L), Ritt­ meister Adolf Baeumker, eine theoretische Denkschrift, die sogenannte A.N. Luft, vorlegte, die die Feinplanung für die zukünftigen Luftstreit­ kräfte anmahnte, reagierte Volkmann mit scharfem Einspruch, da jede Festlegung der Truppenorganisation ohne eine vorherige Klärung der indu­ striellen Produktionsgrundlagen sinnlos sei.118 Persönliche Animositäten spielten aber, wie es die teilweise sehr scharf geführte Auseinandersetzung nahelegen mag, kaum eine Rolle. Als der ehemalige Referent für Flieger­ technik in der TA (L), Wilhelm Wimmer, 1929 die Nachfolge Volkmanns antrat,119 verfolgte er wenig andere Ziele als sein Vorgänger.120 Was sich hier statt dessen äußerte, war der Wandel in einer Beziehung, in der die Prioritäten vor dem Ersten Weltkrieg vergleichsweise unproblematisch ge­ regelt waren, die im Ersten Weltkrieg aber vom Kopf auf die Füße gestellt wurde: jene zwischen Entwicklung und Beschaffung. Auch im Zeitalter der Massenheere galt der Grundsatz, zunächst eine Waffe zu haben und dann zu überlegen, wie die Waffe in größeren Stückzahlen hergestellt werden könnte. Das Hindenburg-Programm kehrte diese Beziehung jedoch um: „Das Militär wurde mit dem 'Hindenburg-Programm7 zum bloßen Abneh­ mer von Rüstungsgütern, die in der Selbstverwaltung der Industrie nach

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Aktenvermerk betr. Rohrbach-Sanierung, Bespr. im RVM am 22.2. und 24.2.27, BArchMA RH 8 1/908. (Hervorhebung i. O.) 302/28 Wa.Prw. 6 (Gruppe Student) an Wa.B.6 u. T 2 V (L), 23.6.28, BArch-MA RH 2/2202 fol. 3. Die Erhaltung und Fortentwicklung der Luftfahrtindustrie, o.D. (Anfang 1927), ver­ mutlich verfaßt von der Wa.Prw. 6F, BArch-MA RH 2/2187, fol. 42. Hertel, Walter: Die Flugzeugbeschaffung in der Deutschen Luftwaffe, Bd. 1, MGFA Lw 16/1, S. 11; Baeumker, S. 21. Uber die Gründe des Auscheidens Volkmanns liegen keine Angaben vor. Er kehrte nach weiteren vier Jahren als Oberstleutnant in das Reichsluftfahrtministerium zurück. Freilich ist bemerkenswert, daß Volkmann das Waffenamt fast gleichzeitig mit Max Ludwig verließ, der aus Altersgründen ausschied (Thomas, Geschichte, S. 52). So in der Stellungnahme zum Anfang 1930 vorgelegten Entwurf einer Spitzengliede­ rung der Wehrmacht: Wa.Prw.8 317/30 v, 4.3.30, BArch-MA RH 8 1/3599, fol. 76-83.

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betriebswirtschaftlichen (statt haushaltsbezogenen) und ökonomischen (statt waffenspezifisch-ingenieursmäßigen) Gesichtspunkten angefertigt wurden/'121 Zwischen 1916 und dem Kriegsende galt, daß das Wumba und die Rüstungsindustrie zunächst die Produktionsgrundlagen klärten und nach ihren Prioritäten die Waffen auswählten, die zu produzieren waren, die Beschaffung also den Vorrang vor der Entwicklung besaß.122 Für die kleine Reichswehr kehrte sich diese Beziehung erneut um. Wenn man sich im Truppenamt Gedanken darüber machte, eines fernen Tages wieder eine Wehrmacht zu besitzen, für die Rüstungsgüter in gro­ ßem Stil beschafft werden mußten, so hatte dies doch für die alltägliche Arbeit, also beispielsweise für die Sammlung von Flugzeugen für die Aus­ bildung von Piloten in Lipezk, eine so untergeordnete Bedeutung, daß es leicht fiel, die Fragen zu verdrängen, wie und wo große Mengen von Waf­ fen zu bekommen waren. Die Vorstellungen Wilbergs und Students waren in diesem Punkt außerordentlich schlicht. Wenn die Industrie einmal dazu gebracht war, das beste Jagd-, Bomben-, Aufklärungsflugzeug zu entwikkeln, dann war es der Industrie selbst zu überlassen, diese Militärtypen unbegrenzt zu vervielfältigen. Nicht zuletzt deshalb bevorzugten die TA (L) und die Gruppe Student die Gemischtbaufirmen, da diese sich flexibler spezifischen Wünschen anpassen konnten. Ob diese Firmen auch dazu in der Lage waren, die Vervielfältigung ihrer Konstruktionen vorzunehmen diese Frage stellten sich Wilberg und Student nicht. Was der Nachschubstab statt dessen in seinem Rüstungshandbuch verkündete und Volkmann dezi­ diert aufgriff, zielte auf eine dauerhafte Präponderanz der „Beschaffungs­ gesichtspunkte" ab, also darauf, erst einmal sicherzustellen, daß die Industrie überhaupt in der Lage war, zu vervielfältigen, was in den Konstruktions­ büros entstehen sollte. So hatte schon Vogt die Übernahme der Gruppe Student begründet: „Konstruktion und Fabrikation gehören eng zusam­ men".123 Der Konflikt über das Primat der Entwicklung oder der Beschaffung fiel besonders scharf aus, weil die Stäbe im Waffenamt sich die Aufgabe zumaßen, die Gestaltung der Bedingungen industrieller Produktion selbst in die Hand zu nehmen. Das Heereswaffenamt war auf dem „Sprung von der bloßen Beschaffungspolitik zum Rüstungsmanagement"124 und strebte einen Modus der militärisch-industriellen Beziehungen an, der noch über das hinausging, was der Krieg gelehrt hatte, eine durchgängige militärische Kontrolle von Konstruktion und Produktion. Die Waffenentwicklung sollte in die ausschließliche Prärogative des Waffenamtes hineingezogen werden, um sie dort den Gesichtspunkten der Waffenbeschaffung zu unterwerfen. 121

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Geyer, Rüstungspolitik, S. 104. Zur Entwicklung dieses Konflikts in der Flugzeugindustrie der Vereinigten Staaten: Vander Meulen, S. 28ff. Vogt an Volkmann, 29.1.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 88. Geyer, Rüstungsprogramm, S. 125.

Zwei Aspekte waren für die Durchsetzung dieses Ziels freilich bedeutsam. Die Ansprüche an die Entwicklung von Flugzeugen waren relativ leicht zu formulieren. Es genügte, sich auf bestimmte militärisch-taktische Grundty­ pen festzulegen und in der Erprobung von Prototypen feststellen zu lassen, ob die Wendigkeit, die Sichtverhältnisse und die Bewaffung den Anforde­ rungen entsprachen. Der Gruppe Student gelang es bereits früh, Hauptrü­ stungstypen der Luftwaffe festzulegen, auf die sich alle Fliegerstäbe einig­ ten.125 Für die Definition der Beschaffung galt das nicht. Zwar nannte Volkmann Voraussetzungen für einen reibungslosen Übergang zur Serien­ fertigung - vollständige Zeichnungssätze, einfache Vorrichtungen und an­ deres mehr —, eine Prioritätenliste der „Beschaffungsgesichtspunkte' be­ durfte jedoch noch eingehender Untersuchungen, nicht nur über die Eigenschaften der Produktion in den einzelnen Firmen, sondern auch über Vorlieferanten, Produktionsformen und anderes. Nach militärisch­ taktischen Gesichtspunkten konnte der Rüstungsmarkt für Flugzeuge ver­ gleichsweise eng definiert werden, nach rüstungswirtschaftlichen nicht. Dieser Mangel war ein Hindernis für die Durchsetzung des Programms des Waffenamtes. Der zweite Aspekt der Auseinandersetzung über das Primat der Be­ schaffung betraf den Wandel der militärischen Organisation. Indem das Waffenamt versuchte, die industrielle Produktion so weit wie möglich zu steuern, war es wohl oder übel gezwungen, auf die Begriffe,' Bedürfnisse und Problemstellungen industrieller Produktion einzugehen. Letztlich be­ deutete dies, daß die Rüstungsorganisation der industriellen Organisation tendenziell immer ähnlicher wurde.126 Für den Widerspruch zwischen Ent­ wicklung und Beschaffung galt dies besonders, da er ein Gegenstück in den Unternehmen selbst fand. Letztlich hing die innermilitärische Diskussion an einem Grundmuster der Auseinandersetzung über die Einführung der Massenproduktion im Unternehmen. Wenn ein Gut in Massen hergestellt wurde, verlor sich nicht nur der Einfluß des gelernten Facharbeiters, son­ dern auch des Konstrukteurs. Der „Aufstieg der Massenproduktion" ver­ drängte nicht nur die „Handwerksökonomie", sondern berührte auch Gruppeninteressen innerhalb der Industriebetriebe.127 In allen Branchen des

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Dabei handelte es sich um einen „Heimatjagdeinsitzer Tag" (Heitag); ein „Erkundungs­ flugzeug für Divisionsnahaufklärungsstaffeln" (Erkudista); ein „Nachtjagd- und Er­ kundungsflugzeug" (Najaku) sowie ein „Erkundungsflugzeug für mittlere Höhen und größte Entfernungen", gleichzeitig mittlerer Bomber (Erkunigros) (Völker, Entwick­ lung, S. 156). Zu diesm Effekt Brady, Rationalization, S. 360f. Diese Auseinandersetzung hat fast überzeitlichen Charakter - etwa im Verhältnis der „deutschen" zur „amerikanischen" Technik (s. Radkau), im Verhältnis von Kunst und Technik bei Walter Benjamin, in den heutigen Debatten über das „Ende der Massen­ produktion": Piore/Sabel, passim.

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Maschinenbaus, vor allem im Werkzeugmaschinenbau, 128 läßt sich dieser Konflikt pointiert verfolgen. Im Flugzeugbau fiel diese Auseinanderset­ zung jedoch besonders scharf aus. Die Erfinderpiloten der ersten Generati­ on wurden nicht nur damit konfrontiert, daß ihre aus Flugerfahrungen ab­ geleiteten Konstruktionen durch wissenschaftliche Abstraktion hinterfragt wurden, sondern auch, daß sie sogar dann noch gegenüber den Anforde­ rungen der Produktion zurücktreten mußten. Die Gegenbewegung, die au­ ßertechnische Stilisierung des Flugzeugkonstrukteurs in der Nachbarschaft des Künstlers, fiel daher in diesem Industriezweig besonders gravierend aus und erzeugte einen Kult, der mit der Realität des Industriebetriebes beispielsweise, daß ein Flugzeug in den dreißiger Jahren von hunderten In­ genieuren „konstruiert" wurde129 - nicht im Einklang stand. In der Frage nach dem Primat des Konstrukteurs oder des „Fertigungsmannes" bün­ delte sich ein Kernproblem des Flugzeugbaus in den dreißiger und vierzi­ ger Jahren, das sich schon in den zwanziger Jahren im Militär abbildete, als Konkurrenz zwischen den militärisch-taktischen, auf Konstruktion/Entwicklung fixierten Stäben und den Rüstungsorganisatoren, die Produkti­ on/Beschaffung in den Vordergrund stellten. Der Dualismus in der Luftrüstung verbarg daher eine grundsätzliche Auseinandersetzung. Es ging um Entwicklung und Beschaffung, aber vor allem um eine Neubestimmung des Verhältnisses von Militär und Indu­ strie. Den Auffassungen, die Wilberg und seine Nachfolger (Hugo Sperrle und Hellmut Felmy) für das Truppenamt einerseits und Volkmann (bzw. Wilhelm Wimmer) für das Waffenamt andererseits vortrugen, war zwar ge­ meinsam, daß die Industrie sich entsprechend der Programmatik der neuen Rüstungspolitik in eine nationale Gewaltorganisation einordnen müsse. Wäh­ rend jedoch Wilberg und das Truppenamt die unmittelbare Subordination der wirtschaftlichen Rüstung unter das bestehende militärische Kommando betrieben, der Industrie aber, was die Gestaltung der Produktion anging, weitgehende Freiheit einräumen wollten, gingen Ludwig und Volkmann gegenteilig vor. Ihnen lag die Beeinflußung der Produktion am Herzen,

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Gemeint ist das Paradoxon des Werkzeugmaschinenbaus: Um Spezialmaschinen für die rationalisierte Massenproduktion herzustellen, bedurfte es in den Werkzeugmaschinenuntemehmen hochspezialisierter Facharbeiter und Konstrukteure (Freyberg, Rationalisierung, S. 81ff. et passim). Zu diesem Kult, der von der populären Luftfahrtliteratur hagiographisch gepflegt wird, s. einen Brief eines Abteilungsleiters der Firma Focke-Wulf, Otto Pabst, an Wolf­ gang Wagner, einen der wichtigsten Vertreter dieser Literaturgattung, vom 14.1.79, DMM/ASD LRD LR 02324: Als Typenleiter der Ta 183 - einer jener mythischen Dü­ senjäger der letzten Kriegswochen - angesprochen, erläutert Pabst den Aufbau der Konstruktionsabteilung von Focke-Wulf und schließt mit den Worten: „Ich hoffe, dass sie damit ein Bild haben, dass die Arbeit doch sehr einer Teamarbeit heutiger Art ent­ sprach/'

In der Diskussion über die Spitzengliederung der zukünftigen Wehr­ macht, die zwischen 1925 und 1930 in der Reichswehr geführt wurde, schlugen sich die unterschiedlichen Positionen deutlich nieder. Den Kon­ zeptionen zufolge, die das Waffenamt vortrug, sollte die materielle Rü­ stung ohne Beteiligung des Wirtschaftsministeriums in einem Kriegsamt konzentriert werden, das der direkten Kommandogewalt der einzelnen Wehrmachtsteile entzogen war.130 Dieses Modell bedeutete, daß die klassi­ sche Trennung zwischen Militär und Wirtschaft aufgehoben wurde. Lud­ wig forderte einen Industriebeirat für das Kriegsamt und die Anhörung „geeignete(r) Vertreter der Industrie" zur Frage der Spitzenorganisation der Wehrmacht.131 Für Volkmann stand in diesem Sinne fest, daß seine Abteilung im Endzustand nur Teil eines allgemeinen Wehrmachtswaffen­ amtes im Kriegsamt sein konnte, das über Entwicklung und Beschaffung von Gerät entschied und dabei lediglich dem Kriegsamt bzw. dem Chef der Wehrmacht, aber nicht dem Luftwaffenchef verantwortlich war. Die Vor­ schläge des Fliegerstabs im Truppenamt dagegen sahen eine Unterstellung der „Technik" unter die militärische Leitung vor, außerhalb des Kriegsam­ tes, welches lediglich die Waffenämter der Wehrmachtsteile mit Rohstoffen und Arbeitskräften versorgte, aber keine Rüstungsgüter beschaffte.132 Der Widerstand des Truppenamtes gegen die erweiterte Aufgaben­ stellung des Waffenamtes zeigte somit, daß die neue operative Planung nicht ohne Widersprüche war.133 Die Vorstellungen über den „Volkskrieg mochten ebenso revolutionär sein wie der Versuch, zivile Behörden, etwa das Wirtschafts- oder Verkehrsministerium, in die Rüstungsplanung einzu­ beziehen, da sie die militärische Situation der Reichswehr in einer ange­ messenen operativen Planung berücksichtigten, und die Reichswehr aus der katastrophalen Isolation herausführten, in die sie sich bis 1924 hinein­ manövriert hatte.134 Den Stäben im Truppenamt entging aber, daß die Aus­ dehnung der militärischen Organisation in die Gesellschaft mit einer einfa­ chen Unterstellung der Industrieproduktion unter den militärischen Befehl

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Zu der Auseinandersetzung über die Spitzengliederung der Wehrmacht s. die Doku­ mente in BArch-MA RH 8 1/900, so Weser (Truppenamt/Organisationsabteilung) an Nahe (Wa.A.) über Neckar (Nss.) 316/25, 12.10.25, BArch-MA RH 8 1/900, fol. 9-13 und Nahe (Wa.A.) 47/26 Neckar (Nss.) an Isar (T.A.) 29.1.26, ebd., fol. 17f., und die ab­ schließende Diskussion über die Spitzengliederung 1929/30, fol. 66-156 (div. Schrift­ wechsel). H.Wa.A 5/29 Wi.Stab. an TA, 17.1.29, BArch-MA RH 8 1/900, fol. 104. Die Forderung wurde nachträglich von Soldan an ein von Thomas entworfenes Schreiben angefügt. Unsere Auffassung über eine Spitzenorganisation. Internes Memo der Wa B 6, 13.3.28, BArch-MA RH 8 1/3600, fol. 132-136 (hier auch der Spitzengliederungsvorschlag der T2V (L)) und Jena (Wa.L.) 2134/27 an Neckar (NSS) 25.10.27, BArch-MA RH 8 1/900, fol. 48-52. Wilberg und Baeumker gehörten beide zu jenem Kreis von jüngeren Offizieren, die die Überlegungen Stülpnagels seit 1924 diskutierten (Geyer, Aufrüstung, S. 82f.). Deist, Problem, S. 295f.

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nicht in Einklang zu bringen war. Eine militärische Adaption der Bedürf­ nisse industrieller Produktion veränderte die militärische Organisation selbst, und sei es auch nur, um die Industrie umfassend zu beherrschen. Sie entfachte eine innermilitärischen Auseinandersetzung, die neue Organisa­ tionsformen und Qualifikationen in den Stäben135 ebenso nach sich zog wie die funktionale Aufspaltung der Reichswehr in eine operativ-militärische und einen rüstungswirtschaftliche Agentur.136 Der Wandel der materiellen Rüstung stellte auch die Tätigkeit der zi­ vilen Luftfahrtinstitution auf eine geänderte Basis. Das Konzept des sub­ ventionierten Serienbaus setzte voraus, daß ein beträchtlicher Teil der In­ dustriesubventionen des Reichsverkehrsministeriums für die Zwecke des Heereswaffenamtes zur Verfügung gestellt wurde, was nun wiederum die­ ses Ministerium zwang, seine Rolle in der Luftfahrt zu definieren. Die Abteilung Luftfahrt des Reichsverkehrsministeriums war aus dem Reichsluftamt hervorgegangen, das unmittelbar nach dem Waffenstillstand gegründet worden war, um die Demobilisierung der Luftstreitkräfte und die Konversion der Flugzeugindustrie zentral zu lenken.137 Die Leitung hatte August Euler138 übernommen, Erfinderpilot und Besitzer einer kleinen Flugzeugfabrik bei Frankfurt/Main. Das Reichsluftamt besaß jedoch keinen eigenen exekutiven Unterbau und nur eine schlecht definierte Aufgaben­ stellung. Ihm war zunächst lediglich die Funktion verblieben, beratend an Entscheidungen der Reichs- und Landesbehörden zur Luftfahrt, insbeson­ dere im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen, mitzuwirken.139 Nach der Durchsetzung des Bauverbots stellte Euler sein Amt zur Verfü­ gung, weil ihm nun jede Arbeitsgrundlage nach der ursprünglichen Defi­ nition entzogen war. 1924.140 Mit der Währungsreform wurden die bis dahin eher marginalen Luftverkehrssubventionen des Verkehrsministeriums schlagartig aufge­ wertet. Zudem wurde dessen Luftfahrtabteilung die Aufgabe zugewiesen,

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Um ihre Aufgaben zu erfüllen, müsse die Wa.l. neben „angelernten" aktiven Offizieren auch Fachingenieure beschäftigen, schrieb Volkmann im Februar 1926 (Wa.l. 17/26Ia. Denkschrift über eine Entmilitarisierung der Wa.l., 1.2.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 107). Das betraf natürlich auch einen Wandel der militärischen Vorstellungen über die tech­ nische Rüstung, vgl. Boog, Luftwaffenführung, S. 549-559, der von einem geschlosse­ nen archaischen Standesdenken des Offizierskorps ausgeht, das die geschilderten Kon­ flikte nicht wahrnehmbar macht - Volkmann lehnte die Entmilitarisierung der Wa.l. auch deshalb ab, weil er und seine militärischen Mitarbeiter damit dem Ausreiten in Uniform entsagen müßten. Sein gutes Verhältnis zur „Technik" schmälerte das nicht. Zum Reichsluftamt s. Appel, S. 76-90; Kieselbach, S. 18-21. Zu Euler siehe NDB. Memorandum des Unterstaatssekretärs des Reichsluftamts, Nr. 136/19, 9.1.1919, S. 1, BArchN 1103/299. Appel, S. 86f.

als eine Art legaler Arm der Reichswehr die Verhandlungen über die Auf­ hebung der „Begriffsbestimmungen" zu führen. Die daraus resultierende Bindung der Abteilung Luftfahrt an die Interessen der Reichswehr zeigte sich bei der Wahl der Persönlichkeiten, die sie führten. Unmittelbar auf Betreiben Seeckts wechselte 1924 ein typischer Vertreter der verabschiede­ ten Berufsoffiziere an die Spitze der Abteilung:141 Ernst Brandenburg, der erste Führer der Geschwader, die seit 1917 London und Städte an der engli­ schen Südküste bombardiert hatten, Träger des p.l.m., Ehrendoktor der TH Charlottenburg und auf der Liste der Kriegsverbrecher. Dem Troupier Brandenburg standen zwei Vertreter der Elite der deutschen Fliegerkräfte zur Seite, Willy Fisch und Albert Mühlig-Hoffmann. Beide hatten wie auch Wilberg und Vogt zu jener Cr£me von knapp fünfzig Offizieren der aktiven Vorkriegsfliegerkräfte gehört. Fisch war zudem einer der engsten Mitar­ beiter des Chefs der IdFlieg, Siegert, gewesen und hatte bereits seit dessen Gründung im Reichsluftamt Dienst getan. Mühlig-Hoffmann arbeitete nach dem Krieg zeitweise bei Junkers und wechselte auf ausdrücklichen Wunsch des Truppenamtes in das Verkehrsministerium.142 Diese personellen Verflechtungen gewährten eine gewisse Garantie da­ für, daß die Luftfahrtgelder im Etat des Verkehrsministeriums vornehmlich den militärischen Interessen zugute kommen würden. Im ersten Haus­ haltsjahr nach dem Währungsschnitt waren erstmals Industriesubventionen im Haushalt des RVM vorgesehen. Der Posten wuchs bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ähnlich rapide wie der bereits zuvor, freilich in Pa­ piermark, ausgeschüttete Betrag für die Luftverkehrssubventionen. 143

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Völker, Entwicklung, S. 142f. Fisch und Mühlig-Hoffmann absolvierten beispiellos kontinuierliche Karrieren in der zweiten Reihe der staatlichen Agenturen, die mit der Luftfahrtindustrie befaßt waren. Beide wurden vor dem Krieg als Leutnante zum Militär-Flugfeld nach Döberitz kom­ mandiert und wechselten 1916 zur IdFlieg. Fisch kam vom Reichsluftamt zum Ver­ kehrsministerium und war schließlich bis 1945 Chef des allgemeinen Luftamtes (LB) im Reichsluftfahrtministerium (RLM), wohin auch Mühlig-Hoffmann gelangte. Zu Bran­ denburg: Supf, S. 407-411. Zu Fisch: Flugwelt 1956, S. 611. Zu Mühlig-Hoffmann: Flug­ welt 1956, S. 52; Supf, S. 98f. sowie Protokoll der Sitzung am 5.9.25 bei General Hasse, BArch-MA RH 2/2291, fol. 143. Zur Einschätzung Brandenburgs („Prachtmensch") und Mühlig-Hoffmanns („getreuer Schildträger") durch Junkers s. Tagebucheintrag, 11.11.24, NB 117, S. 9313f., DMM/ASD N 21/7. Zur Subventionspolitik des RVM s. Appel, S. 166ff., 187ff. u. 200ff.; Voss, S. 7-14, 23f. u. 47.

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Tabelle 4: Im Haushalt des RVM vorgesehene Ausgaben für Luftverkehr und Luftfahrtindustrie 1924 - 1932 (in eintausend Reichsmark)

Jahr

Luftverkehr

Luftfahrtindustrie Entwurf inkl. Nachtrag/Kürzung 1924 4.900 2.9501 2.950 1925 8.200 4.870 23.0702 1926 15.571,5 5.300 16.000 1927 22.065 8.700 8.700 1928 20.165 19.500 17.485 1929 13.050 14.505 15.480 1930 21.000 12.445 12.445 1931 21.425 12.130 12.445 1932 16.130 1 1924/25 einschließlich je ca. 500.000 RM für Kraftfahrtwesen und wissenschaftliche Zwecke. 2 Da die Ausgaben für 1925 und 1926 durch die Folgen der Junkers-Sanierung verfälscht werden, ist in der Tabelle jeweils der Entwurf des Haushalts mit angeführt.

Quellen: Luftverkehr: Voss, S. 25; Luftfahrtindustrie: Entwürfe für den Reichshaushaltsplan 1924-1931, Anlage XI, (1924/25: Kap. In, Titel 4; 1926-1928: Kap. 14, Titel 34; 1929: Kap. 15, Ti­ tel 31; 1930/31: Kap. 7, Titel 1 und 2) und Plan über die Verwaltung der Einnahmen und Aus­ gaben des Reichs im Rechnungsjahr 1932 (Kap. 7, Titel 1 und 2), jeweils die für das laufende und das Vorjahr ausgewiesenen Beträge.

Die Industrie- und Verkehrssubventionen machten den überwiegenden Teil des Lufthaushaltes des RVM aus. Die nächstgrößeren Posten entfielen auf die Ausbildung von Flugzeugführern (1929: 3,55 Mio. Mark) und die Wissenschaftsförderung (1929: 2,24 Mio. Mark).144 Seit 1926 lag allein der Betrag für Industriesubventionen, den das RVM vorsah, in der Regel über jenen durchschnittlich 10 Mio. Mark, die das Truppenamt für den gesamten Luftbereich einschließlich der Kosten für Lipezk ausschütten konnte.145 Die Reichswehr hatte Anspruch auf die dauerhafte Nutzung eines Teils des Etats der Abteilung Luftfahrt im RVM. Auf ihre Initiative ging zudem die Praxis zurück, den für den Luftverkehr bereitgestellten Betrag teilweise als sogenannte Materialbeihilfen auszugeben. Das RVM stellte den Luft­ fahrtgesellschaften im Auftrag des Reichs entwickelte Flugzeuge zur Verfügung und rechnete sie über den Titel der Verkehrssubventionen ab. Auf diese Weise wurde beispielsweise die Entwicklung des Großverkehrsflug-

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1929 wurde der Luftfahrtetat des RVM (außer Flugsicherung) neu unter einem einzigen Kapitel zusammengefaßt, gleichzeitig gab man bestimmte Tarnungen (etwa „Förde­ rung des Segelflugwesens" als Tarnung für Ausgaben in der Pilotenausbildung) auf, s. Reichshaushaltsplan 1929, Band II, Anlage XI: Haushalt des Reichsverkehrsministe­ riums, S. 106-118. TA 437/27 T.2 V (L), 25.5.27, betr. Flieger-Rüstungs-Periode 1927/31, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 36.

zeugs G24 bei der IFA durch eine Subventionsvergabe an die ILAG unter­ stützt.146 Auch den Firmen war klar, daß die Höhe der Subventionen ur­ sächlich mit den Interessen der Reichswehr zusammenhing.147 Die Kosten der in der Fliegerrüstungsperiode 1927/31 vorgesehenen Beschaffung einer Serie von jährlich sechs Flugzeugen des Nahaufklärers Albatros L 76 trug das RVM mit jährlich RM 960.000 und einer einmaligen Zahlung von knapp 4 Mio. Mark, während die Reichswehr selbst für diese Aufgabe nur jährlich RM 540.000 und einmalig RM 350.000 aus ihren Mitteln vorsah.148 Als sich die Auftragsvergabe nach dem Konzept der subventionierten Serien kon­ kretisierte und 1927 die Aufteilung der Gelder für die laufende Beschäfti­ gung von dann zwei Metall- (Dornier und Rohrbach, je 2,4 Mio. RM) und drei Gemischtbaufirmen (damals Albatros, Heinkel, Udet, je RM 0,84 Mio.) berechnet wurde, ergab sich, daß nur 1,1 Mio. aus dem von der Reichswehr mitfinanzierten direkten Kriegsflugzeugbau nötig waren, der Rest sollte durch Aufträge der Luft-Hansa, Verkehrsschulen und Versuchsbauten ab­ gedeckt werden, für die mittel- und unmittelbar das Reichsverkehrsmini­ sterium aufkam.149 Gleichwohl war Brandenburgs Abteilung mehr als eine schwarze Kas­ se für die Interessen des Militärs, etwa in dem Sinne, daß sie die „Entwick­ lung der zivilen Luftfahrt in Übereinstimmung mit militärischen Gesichts­ punkten und in enger Zusammenarbeit mit den leitenden Fliegeroffizieren des RWM zu einem entscheidenden Baustein für den Wiederaufbau der deutschen Luftstreitkräfte" (Völker) kanalisierte. Zwar war die Luftfahrt­ abteilung im RVM auch offiziell darauf festgelegt, den Ersatz für die nach dem Versailler Vertrag fortfallenden militärischen Aufträge zu bieten: „Die schwierige Lage des deutschen Luftfahrzeug- und Flugmotorenbaus, der wegen des Mangels an militärischen Aufträgen nur auf den Absatz in der Verkehrsluftfahrt angewiesen ist, läßt die Aufwendung größerer Mittel für die Erhaltung und den Ausbau der wissenschaftlichen Grundlagen und für die Entwicklung neuer Geräte nicht zu. Deswegen, und um die deutsche Luftfahrtindustrie mit der ausländischen wettbewerbsfähig zu halten, muß die Allgemeinheit helfend eingreifen," hieß es in der Begründung des Etats.150 Die Aufgabe, die sich daraus ergab, war freilich weiter gesteckt als die, welche die Reichswehr der Abteilung Luftfahrt zumaß. Brandenburg trat an, eine Regulierung der Industrie durchzusetzen, die diese in den Stand versetzen sollte, den Rüstungs- und den zivilen Markt gleichermaßen

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Appel, S. 231f. Hauptbüro (Plauth), Niederschrift zur Besprechung am 30.4.25, DMM/ASD JA 0618/3/56. BArch-MA RH 8 1/893, fol. 39. Die Erhaltung und Fortentwicklung der Luftfahrtindustrie, o.D. (Anfang 1927) vermut­ lich verfaßt von der Wa.Prw. 6F, BArch-MA RH 2/2187, fol. 40. Erläuterung zu Kap. 15, Titel 31 des Haushalts des RVM, in: Reichshaushaltsplan 1929, Band II, Anlage XI: Haushalt des Reichsverkehrsministeriums, S. 107.

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effektiv zu bedienen. Die Idee war, durch eine dauerhafte Stabilisierung der Stellung der deutschen Flugzeugindustrie auf dem internationalen Markt und durch eine Konzentrationsbewegung bei den heimischen Her­ stellern — „wir haben eher zu viel als zu wenig Flugzeugindustrie"151 - ei­ nen Zustand zu erreichen, in dem der zivile Markt die dauernde Beschäfti­ gung der Kernindustrie bei sinkenden Subventionen garantierte. Branden­ burg wollte auf die Typenkonstruktion einwirken - „die Entwicklung in der Herstellung von Luftfahrtgerät ist darauf gerichtet, ständig leistungsfä­ higere und größere Geräte (mehrmotorige Flugzeuge, größere Luftschiffe) zu bauen"152 —, die ausufernde Entwicklungsarbeit beschneiden und statt dessen preiswerte, in Serie hergestellte „Standard-Typen" fördern.153 Dieses Regulierungskonzept enthielt zwar durchaus den Blickwinkel, daß eine sich auf diese Weise selbsttragende Industrie dereinst die Anforderungen des Rüstungsmarktes würde bedienen können. Das hatte für Brandenburg aber erst in zweiter Linie Bedeutung. Zunächst ging es darum, neue Märkte zu erschließen und die Leistungsfähigkeit der Flugzeugfirmen zu erhöhen. Dazu brauchte Brandenburg soviel wie möglich von dem Geld, das ihm die Reichsregierung zuwies. Klagen darüber, daß sich das Verkehrsministeri­ um von der Verpflichtung gegenüber den militärischen Stellen zu befreien suchte, wurden in der Reichswehr schon früh laut.154 Entscheidend war aber, daß die Politik Brandenburgs den Interessen des Heereswaffenamtes entgegenkam. Seit 1926 formte sich eine Achse der Industriepolitik aus, an deren Enden zwei Partner standen, deren Interes­ sen sich bei allen Streitigkeiten ergänzten. Brandenburg steuerte mit seiner Abteilung die Kontrolle der zivilen Produktgestaltung und des zivilen Ab­ satzes der Flugzeugindustrie an, um einen Zustand zu erreichen, in dem die Firmen durch den Serienbau von exportfähigen und technisch hoch­ wertigen Flugzeugen so weit kostendeckend arbeiten konnten, daß sich die Industriesubventionen verringerten. Volkmann und das Heereswaffenamt drängten darauf, die Bedingungen der Produktion in den Betrieben im Sin­ ne der Rüstung zu beeinflußen. Sowohl dem Verkehrsministerium als auch der Luftfahrtabteilung im Heereswaffenamt ging es dabei um die Standorte in Deutschland, um eine Konzentration der Hersteller, die alle technologi­ schen Chancen wahrte, und vor allem um einen Produktionsapparat bei

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Rede des Herrn Ministerialdirigenten Brandenburg, RVM, anläßlich der WGL-Tagung Danzig, 12.6.28, mit Randbemerkungen Volkmanns, BArch-MA RH 81/3593, Erläuterung zu Kap. 14, Titel 34 des Haushalts des RVM, in: Reichshaushaltsplan 1927, Band II, Anlage XI: Haushalt des Reichsverkehrsministeriums, S. 103. Text einer Rede Brandenburgs o.D. mit Randbemerkungen Volkmanns, BArch-MA RH 8 1/3593, fol. llOf. Protokoll über die Besprechung zur gemeinsamen Vertretung der W-Interessen von Dessau/Leine (TA/HWaA) gegen Referat L. (RVM), Dessau III 93/26, 11.2.26, BArchMA RH 2/2223.

den Unternehmen, der den Ansprüchen der Serienproduktion gewachsen war. Hier griffen somit die Zähne einer zunächst zivilen und einer rustungsmäßigen Beeinflußung ineinander. Die Interessenkoalition zwischen der Abteilung Luftfahrt und der Wa.l. zeigte sich am deutlichsten in den Konflikten über die Aufhebung er „Begriffsbestimmungen". Die Maßnahmen gegen die Angebotsbesc rän kung der deutschen Flugzeugindustrie hatten sich lange auf eine o iti der Nadelstiche beschränkt. Als die volle Freiheit des Überfliegens un Landens für zivile Luftfahrzeuge der Entente-Mächte endete, gestanden die deutschen Luftfahrtbehörden seit Januar 1923 nur solchen Flugzeugen as Recht zum Einflug nach Deutschland zu, die den „Begriffsbestimmungen entsprachen.155 Die ersten Nachverhandlungen zum Problem der qua itati ven Beschränkungen des deutschen Luftfahrzeugbaus 1924 erbrac ten el lieh nur leichte Lockerungen bei den zugelassenen Leistungen er ug zeuge, aber keine durchgreifenden Verbesserungen.156 Im Schlepptau er deutsch-französischen Verständigung ergab sich jedoch die C ance, ie „Begriffsbestimmungen" insgesamt zugunsten eines Kontrollsystems zu beseitigen, das dem „Geist von Locarno" besser entsprach. Am 20. November 1925 nahmen ein Vertreter des AA und Fisch die Gespräche mit der alliierten Botschafterkonferenz auf; bereits eine oc e später wurde eine Verständigung dahingehend erzielt, daß die „Begn js e Stimmungen" weitgehend zugunsten einer Kontrollregelung für die Pilo tenausbildung fortfallen sollten. Diese Regelung bedeutete im Sinne er Industriepolitik des RVM einen geradezu revolutionären Wandel, jedoch auf Kosten einer mindestens ebenso gravierenden Einschränkung er Reichswehr, oder genauer, der TA (L) Wilbergs. Die Kontrolle der Piloten­ ausbildung lief auf eine Beschränkung der Zahl der Flugschüler insgesamt und ein Ende der militärischen Ausbildung hinaus.157 Während Volkmann innerhalb des Reichswehrministeriums ein Primat der Beschaffung gegen Wilberg durchsetzen wollte, brach zwischen Brandenburg und Wilberg ein Konflikt über den Vorrang der personellen oder materiellen Rüstung auf. Nachdem Seeckt schon am 9. Dezember 1925 gegen das Ergebnis er Vorverhandlungen protestiert hatte, brachte Reichswehrminister Ge 1er m der Kabinettssitzung am 16. Dezember die Alternative der Militärs auf den Punkt: „Es sei leichter, die „Begriffsbestimmungen" noch länger zu ertragen, als eine Beschränkung der Zahl der Flugschüler .I58 Wie tief der or

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Völker, Entwicklung, S. 130; Zindel, Geschichte, S. 41f.; Weigelt; S. 15. So war nach der alliierten Luftfahrtnote vom 24.6.25 die maximale Geschwindigkeit von 160 auf 180 km/h heraufgesetzt worden, die maximale Nutzlast von 600 auf 900 kg, s. Weigelt, S. 14; Kabinettssitzung, 9.11.25, AdR, Luther I und II., Bd. 2, Dok. 219, S. 845 Fn 5. Chefbesprechung, 15.12.25, AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 253, S. 1002, Fn 1. S. a. Geyer, Aufrüstung, S. 74ff. Kabinettssitzung, 16.12.25,11 Uhr, AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 254, S. 1006. 169

schlag von AA und RVM den Nerv der personellen Rüstung traf, zeigte sich im Anschluß an die Sitzung. Es kam zu einer derart heftigen Ausein­ andersetzung zwischen Wilberg und Brandenburg, daß nicht mehr nur die Luftfahrtfrage auf der Tagesordnung der folgenden Vermittlungsgespräche stand, sondern auch der „Fall Brandenburg-Wilberg".159 Obwohl sich AA und RVM in der Folge mit ihrer Generallinie durch­ setzten, erhielt die deutsche Delegation in Paris (Fisch und zwei Vertreter des AA) den Auftrag, mit den Alliierten über die Flugschülerfrage zu feil­ schen. Die Verhandlungen gestalteten sich außerordentlich zäh und stan­ den mehrmals vor dem Abbruch. Sie konnten jedoch im April 1926 beendet werden.160 Während die Reichswehr zunächst gefordert hatte, daß 200 Mi­ litärangehörigen auf privater Basis die Ausbildung zum Piloten gestattet sein solle und die Alliierten die Zahl von 15 zugestehen wollten, einigte man sich schließlich auf insgesamt 72 Reichswehrangehörige, die auf eige­ ne Kosten der „Sportfliegerei" nachgehen durften. Im Sinne der Politik des RVM und des Heereswaffenamtes jedoch war das Luftfahrtabkommen, das am 21. Mai 1926 in Paris unterzeichnet wurde, ein voller Erfolg. Sämtliche Einschränkungen für den zivilen Flugzeug- und Motorenbau fielen fort, und selbst der Bau von unbewaffneten Jagdeinsitzern für Rekordflüge wurde gestattet. Das internationale Luftfahrtindustrie-Kommitee zog sich aus Deutschland zurück, die deutsche Luftgesetzgebung trat in vollem Um­ fang — auch in den besetzten Gebieten — in Kraft, so daß sich gleichzeitig die Möglichkeit ergab, das europäische Luftverkehrsnetz um Direktverbin­ dungen zwischen Brüssel, Paris, Prag und Warschau zu bereichern.161

3. Die erste Krise des Junkers-Konzerns

Die Abteilung Luftfahrt im Reichsverkehrsministerium, die BS X der Reichsmarine, die TA (L) des Hellmut Wilberg, die Gruppe Student in der Inspektion für Waffen und Gerät und die Wa.l. konstituierten 1925/26 die Interessengruppen, die nach dem Debakel des Junkerswerks in Fili antra­ ten, die gewandelte Rüstungspolitik umzusetzen. Die deutsche Flugzeug­ industrie, die sich bis zur Inflation gerade dadurch ausgezeichnet hatte, daß sich ihre Produkte auf einem weitgehend ungeregelten Markt durch­ setzten, wurde damit mehr als alle anderen Sparten der deutschen Indu­ strie das Objekt einer staatlichen Politik, die — mit differierenden Rahmen-

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Ministerbesprechung, 16.12.25, 12 Uhr, AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 255, S. 1008f., Fn 2. Zu der Entwicklung im Einzelnen s. AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 260, 284, 301, 307, 309 u. 320, sowie ADAR Ser. B, Bd. 1,1, Dok. 25, 44, 49, 53, 82, 89,124,149,167 u. 201. Kabinettssitzung, 30.4.26, AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 349, S. 1318 Fn 8, vgl. RVM Kröhne an StS Kempner, 20.3.26, ebd., Dok. 320.

vorgaben - nichts weniger anstrebte, als jedes einzelne Unternehmen in ei­ ne maximale Abhängigkeit zu den Anforderungen eines Rüstungsmarktes zu bringen, der noch nicht einmal existierte. Die Reichswehr mußte sich freilich der Tatsache stellen, daß es mit Junkers einen potentiellen Klienten gab, dessen unternehmerisches Credo gerade darauf ausgerichtet war, eine ungeschmälerte Autonomie der Entscheidung zu beanspruchen und die Rüstung, wenn überhaupt, nur aus eigener Initiative und nach selbstge­ setzten Regeln zu bedienen. Die Nagelprobe für die neue Rüstungspolitik bildete daher die Frage, ob es gelingen würde, den Junkers-Konzern einzu­ binden.162 Hatte bereits der Abschluß des Konzessionsvertrages den Weg für eine weitere Differenzierung der Flugzeugfertigung und die Rückkehr zum Rü­ stungsmarkt gesichert, so hielt die unverhoffte Risikoübernahme der Reichswehr vom Mai 1924 Junkers finanziell den Rücken frei, die Expansi­ on seines Unternehmens nach dem Ende der Inflation mit erhöhter Ge­ schwindigkeit zu betreiben. Der Junkers-Konzern nahm die letzten Hürden des Aufstiegs zum universellen Luftfahrtuntemehmen. Ende 1922 beschäf­ tigte der Konzern in den Dessauer Betrieben 1.000 Menschen, Ende 1923 2.000, 1924 über 3.000 und 1925 schließlich, auf dem Höhepunkt der Ent­ wicklung, weit über 5.000 Mitarbeiter. Nach dem absoluten Tiefpunkt der Beschäftigung der IFA im Winter 1921/22 wuchs die Belegschaft des Flug­ zeugwerks rapide. Ende 1922 arbeiteten 700 Personen bei der IFA, Ende 1923 1.240. Nach einem kurzen Abflachen der Expansion wurde im Ge­ schäftsjahr 1924/25 sogar die Spitze der Beschäftigung im Ersten Weltkrieg (2.050 Arbeiter und Angestellte am 1. November 1918) übertroffen. Im Ok­ tober 1925 arbeiteten 2.333 Arbeiter und 564 Angestellte in dem damals größten Flugzeugwerk der Welt.163 Die Ausdehnung der Belegschaft schuf nicht nur Probleme bei der Auswahl und der Anlernung neuen Personals, sondern erzeugte auch einen Wohnungsengpaß. Es gebe nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten, die neu engagierten Arbeiter mit Wohnungen zu versorgen, hieß es bereits im Juni 1923, zumal sich die Standortkonkurrenz zu den Chemiewerken in Wolfen und Bitterfeld empfindlich bemerkbar machte.164 Bereits 1922 hatte Junkers vergeblich versucht, die Ansiedlung eines Reichsbahnausbesse­ rungswerkes in Dessau zu verhindern, da die dann eintretende Nachfrage nach qualifizierten Metallarbeitern die Ausdehnung der Werke behindern

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Aktennotiz (vermutlich von G. Sachsenberg), Zur Lage am 9. Juli (1926), o.D., DMM/ASD JA 0301/12/78. Übersicht über die Belegschaftsentwicklung 1915-1924, DMM/ASD JA 0301/9/1; Bericht des Vorstandes über den Verlauf des achten Geschäftsjahres 1924/25 der IFA, 28.6.26, DMM/ASD JA 0301/10/29; Aktenvermerk R. Müller vom 12.12.30, DMM/ASD N 21/1. Mierzinsky (Hauptbüro) an Junkers, betr. Flugzeug-Produktionssteigerung, 8.6.23, DMM/ASD JA 0301 /8/25. 171

wurde.165 Da die Stadt Dessau bis Ende 1924 den Verkauf und die Ver­ pachtung zusätzlicher Grundstücke verweigerte, wurde zeitweise die Ver­ legung der IFA nach Stettin oder Lübeck verfolgt.166 Als die Stadt Dessau sich daraufhin bereit fand, die notwendigen Grundstücke zur Verfügung zu stellen, konnte der seit langem geplante Werksflugplatz angelegt, eine Werkssiedlung errichtet und schließlich die Fabrikanlage erweitert wer­ den.167 In den Jahren von 1922 bis 1925 differenzierte sich die Angebotspalette weiter aus. Schon seit 1922 produzierte der Konzern Metallpropeller, womit auch „das letzte Stückchen Holz" aus dem Flugzeugen verschwand.168 Neben neuen Produkten erschlossen sich auch weitere Einsatzfelder für das Flugzeug. Mit der Gründung der Abteilungen Junkers-Luftbild (1922) und JunkersSchädlingsbekämpfung (1925) waren alle denkbaren Anwendungen des Flug­ zeugs im Konzern repräsentiert. Im Fall der Jumo verfolgte Junkers die gleiche Expansionsstrategie wie bei der IFA. Die „Eigenmassenfabrikation" des Ben­ zinflugmotors stand ganz oben auf der Rangliste der Vorhaben. Selbst die Entwicklung des Schweröl(Diesel-)motors müsse zurückstehen, schrieb Junkers im April 1924, um binnen eines Jahres die Produktion des Junkers L2 zu ver­ dreifachen und damit endgültig von BMW unabhängig zu werden.169 Der Ho­ rizont der Expansion war freilich auch im Motorenbau noch weiter gesteckt. Als Castiglioni 1924 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, schlug Sachsenberg ganz im Einklang mit den Forderungen der Reichswehr - vor, die Aktienmehr­ heit von BMW zu erwerben.170 Nicht zuletzt die Entwicklung der ILAG dokumentierte, daß die Pro­ jekte, die sich bis auf das Jahr 1921 zurückführen ließen, Mitte der zwanzi­ ger Jahre zur vollen Blüte gediehen waren. Junkers und die DAL konkur­ rierten darin, regionale Luftverkehrsgesellschaften zu gründen, um Kapital der Kommunen zu mobilisieren. Das Kapital beispielsweise der im Februar 1925 mit 2.050.000 Mark gegründeten Luftverkehrsgesellschaft Ruhrgebiet AG zeichneten neben der ILAG die Städte Essen, Gelsenkirchen, Mülheim, Oberhausen, Duisburg und Hamborn, die Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet, der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, die Witwe Hugo Stinnes', die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke und das Bankhaus Hirschland in Essen.171 Das Kapital von 1.000.000 Mark der daraufhin ent­ standenen Luftverkehrs-AG Westfalen zeichneten neben der DAL u.a. die

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Hesse, Residenz, S. 171. Reisebericht (Spaleck) über Besuch in Stettin und Lübeck, 6.6.24, DMM/ASD JA 0301/9/15. Bericht des Vorstandes über den Verlauf des achten Geschäftsjahres 1924/25 der IFA, 28.6.26, DMM/ASD JA 0301/10/29. Pollog, Junkers, S. 135. Ittner, S. 142ff. u. 150ff.; Tagebucheintrag Junkers' o.D. (Anfang April 1924), NB 110, S. 8509-8511, DMM/ASD N 21/7. G. Sachsenberg an Junkers, 10.10.24, DMM/ASD JA 0503/8. Max Maaß, S. 37.

Städte Dortmund (440.000 Mark), Hagen, Bielefeld, der Provinzialverband Westfalen sowie auch hier der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk.172 Zwar wurden im Luftverkehr große Summen festgelegt, es gelang der ILAG jedoch in der Regel, bei Gesellschaftsgründungen ein Mehrfaches des Kapitals zu mobilisieren, das Junkers selbst investierte. Obwohl bis 1926 nur 9,39% des Umsatzes der IFA in Beteiligungen umgemünzt wurden, sorgten die Luftverkehrsgesellschaften im Gegenzug für einen beträchtli­ chen Auftragsbestand. Sachsenberg zufolge brachte der JunkersLuftverkehr zwischen 1922 und 1926 Aufträge im Wert von insgesamt 25 Mio. Goldmark herein.173 Ausschlaggebend für die starke Beteiligung der Kommunen waren die besonderen Infrastrukturbedürfnisse im Luftverkehr. Die Kapitalkosten zur Herstellung der Bodenorganisation einer Luftverkehrslinie betrugen nur 1/50 dessen, was etwa zur Herstellung einer entsprechenden Eisenbahn­ strecke nötig war.174 Entfiel bei Eisenbahnen 70% des Gesamtanlagekapitals auf die Erstellung von Wegen bzw. Stationen und nur 30% auf die Anschaf­ fung der Fahrzeuge, war das Verhältnis im Luftverkehr mehr als umge­ kehrt: 20% entfielen Ende der zwanziger Jahre auf die Bodenanlagen, 80% auf die Flugzeuge.175 Flächen für Start und Landung, Gebäude und Hangars waren ohne größere Belastungen zu erstellen. Viele Städte verfügten sogar noch über Flugplätze, die vor oder während des Krieges für Militärzwecke eingerichtet worden waren, so daß sich gerade im Junkersschen Modell der Verkehrsorganisation eine nahezu automatische Interessenkongruenz er­ gab: Junkers lieferte die Flugzeuge, stellte Piloten und organisierte den Flugbetrieb, die jeweilige Großstadt stellte die Infrastruktur und zumeist das Betriebskapital.176 Gerade im regionalen Kontext zeigten sich jedoch nach einer anfängli­ chen Euphorie die Grenzen des Flugzeugs als Verkehrsmittel.177 Lediglich in der Sicherheit wurden die Hoffnungen, die in die Konstruktion der F13 gelegt worden waren, erfüllt. Die Ursachen von Abstürzen und Bruchlan­ dungen lagen in der überwiegenden Zahl der Fälle an Bedienungsfehlern und Motorschäden, so daß mit einer systematischen Ausbildung der Pilo­ ten, verfeinerten Navigationshilfen und vor allem störungsfreien Motoren der Weg vorgegeben war, der dann auch bis zum Ende der zwanziger Jahre allgemein zu einer deutlichen Verringerung von Flugunfällen führte.178 Die

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Ebd., S. 24f. Da diese Behauptung freilich in einer Streitschrift anläßlich des Ausscheidens Sachsen­ bergs aus dem Konzern erhoben wurde, ist sie wenigstens in dieser Höhe anzuzwei­ feln, s. Antwort an Professor Junkers. Als Manuskript gedruckt: Dessau, den 25.8.1932, zit. n. Gehrisch, S. 60. Pirath, Luftfahrt, S. 8. Pirath, Gestaltung, S. 6. Haslinger, S. 143*. Allgemein: Wronsky, deutscher Luftverkehr, passim. Pirath, Stand, S. 10. 173

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ILAG konnte schon 1924 darauf verweisen, daß in diesem Jahr nur drei leicht verletzte Fluggäste als Folge von Unfällen zu verzeichnen waren.179 Bestimmte psychologische Barrieren waren jedoch auch durch eine erhöhte Sicherheit nicht zu beseitigen. Die Enge des Flugzeugs, das ungedämmte Motorengeräusch und die lange Dauer von Flügen waren Argumente, die gegen die Flugreise vorgebracht wurden. In mancher Hinsicht wiederholte sich das, was für die Geschichte der Eisenbahn bekannt ist.180 Für das Ver­ gnügen sei das Flugzeug nicht geschaffen, gab sogar einer der Protagoni­ sten des Luftverkehrs, Kurt Weigelt, zu schon allein wegen der „ungeheu­ ren Monotonie", die sich mit einer Luftreise verbinde.181 Mitte der zwanziger Jahre war das Flugzeug von einer Konkurrenzfä­ higkeit mit anderen Verkehrsmitteln noch weit entfernt. Zwar flog das Verkehrsflugzeug etwa 116 bis 2 mal so schnell wie die Eisenbahn fuhr,182 die weit höheren Fracht- und Beförderungskosten wog das jedoch nicht auf. Hier kehrte sich das Kostenverhältnis, welches für die Erstellung der Infra­ struktur galt, um. Eine Flugreise kostete vier- bis fünfmal soviel wie eine Eisenbahnfahrt in der 1. Klasse, der Transport von Gütern erforderte sogar das Zehn- bis Zwölffache des höchsten Eisenbahntarifs.183 Lediglich auf längeren Strecken konnte das Flugzeug einen Teil des Verkehraufkommens der Eisenbahn abschöpfen. Sobald jedoch eine bestimmte Streckenlänge überschritten war, hoben die Nachtverbindungen der Eisenbahn den Ge­ schwindigkeitsvorteil des Flugzeugs wieder auf: Der Stand der Navigations­ technik ließ bis weit in die zwanziger Jahre hinein einen Nachtflugverkehr nicht zu.184 Verkehrsstrecken im europäischen Raum, auf denen die Vorteile des Flugzeugs gegenüber dem Schiff ausgespielt werden konnten (etwa auf der Strecke Paris-London), waren rar und rasch übersetzt. Die unternehme­ rischen Ziele, die sich aus den Unzulänglichkeiten des Flugzeugs als Ver­ kehrsmittel ergaben, waren daher überwiegend technischer Natur. Die IFA mußte Flugzeuge entwickeln, die schneller flogen, größere Reichweiten er­ zielten und mehr trugen, um als Konkurrent zu anderen Verkehrsmitteln auftreten zu können. Noch 1927 ergab die Untersuchung der Selbstkosten einer Luftverkehrsgesellschaft, daß Abschreibungen und Versicherungen sowie die Unterhaltung der Flugzeuge fast 50% der Kosten verursachten.185 Die mangelnde Rentabilität der Regionalflüge ließ mehr und mehr die Linien in den Vordergrund des Interesses der Luftverkehrsgesellschaften rücken, welche die Geschäfts- und Industriezentren innerhalb Europas ver­ banden. Ende der zwanziger Jahre wurde errechnet, daß in den Verkehrs-

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Gehrisch, S. 45. Schievelbusch, S. 28. Weigelt, S. 12. Pirath, Verkehrsprobleme, S. 9., s. a. die Tabellen bei Gehrisch, S. 43f. Pirath, Weltluftverkehr, S. 66. Weigelt, Zusammenschluß, S. 6f. Pirath, Weltluftverkehr, S. 66.

mäßig erschlossenen Gebieten Europas eine Einwohnerzahl von 300.000 das absolute Minimum darstellte, um die Anbindung einer Stadt an das kontinentale Luftverkehrsnetz zu rechtfertigten.186 Das Ideal stellten aber Märkte dar, auf denen eine Konkurrenz anderer Verkehrsmittel höchstens rudimentär existierte.187 Auf den beiden letzteren Punkten lag der Schwer­ punkt der Strategie der ILAG. Während die DAL über die International Air Traffic Association (IATA) mit den großen Luftverkehrsgesellschaften Europas verbunden war und daher eigene Linien im Ausland nur in Ausnahmefällen eröffnete, ver­ suchte die ILAG in verschiedenen europäischen Ländern Linien aufzubau­ en, die wiederum ausschließlich die IFA mit Flugzeugen bestückte. Dies gelang in allen deutschen Nachbarländern, die überhaupt angeflogen wer­ den konnten: in Österreich, der Schweiz, Litauen, Dänemark und den Nie­ derlanden.188 Zudem gründete Junkers Gesellschaften in Ungarn, Norwe­ gen, Italien, Spanien, Bulgarien und Portugal. Die regionalen und inter­ nationalen Linien faßte die ILAG nacheinander in Betriebsgemeinschaften, „Unionen", zusammen, die ihre Streckennetze untereinander abstimmten. Die Transeuropa-Union (Mitteleuropa und Deutschland), die NordeuropaUnion und die Ost-Europa-Union wurden schließlich in einem letzten Schritt 1925 zur Europa-Union zusammengeschlossen, um ein Netz euro­ päischer Hauptlinien mit Deutschland als Zentrum zu erhalten.189 Der Junkers-Luftverkehr expandierte nach dem Ende der Inflation in einem atemberaubenden Tempo. Legten die Flugzeuge der Abteilung Luft­ verkehr 1921 gerade 350.000 km zurück, wobei sie 2.230 Fluggäste (AeroUnion: 566.326 km; 7.042 Passagiere) transportierten, so wies die Ge­ samtflugleistung der ILAG 1924 626.805 km mit 17.299 Passagieren und 58.448 kg Fracht aus. In diesem Jahr kamen die von der ILAG technisch und wirtschaftlich betreuten Verkehrsunternehmen im In- und Ausland hinzu, deren Flugzeuge 1,5 Mio Kilometer zurücklegten und dabei 37.501 Passa­ giere und 109.637 kg Fracht beförderten. 1925 schließlich flog die ILAG 2,5 Mio. km, die betreuten Unternehmen 3,3 Mio. km.190 Junkers, der wich­ tigste deutsche Produzent von Flugzeugen, übernahm damit eine vielleicht noch bedeutendere Rolle als Anbieter von Verkehrsleistungen. DAL und

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Pirath, Gestaltung, S. 11. Zur Prioritätenliste des Luftverkehrs s. Blum, S. 178. Mit der Tschechoslowakei und Polen gab es wegen politischer Unstimmigkeiten über die Rechte, die der Versailler Vertrag diesen Staaten im deutschen Luftverkehr ein­ räumte, keine Luftverkehrsverbindung; das Überfliegen des besetzten Rheinlandes war nach den Bestimmungen des Besatzungsstatuts für deutsche Flugzeuge verboten, und somit waren Belgien und Frankreich von einer direkten Anbindung an deutsche Linien ausgeschlossen (Haslinger, S. 150*f.). Max Maaß, S. 38f.; Radandt, S. 100-102. Die genannten Zahlen differieren, vermutlich wegen der Schätzung für die auswärtigen Gesellschaften, enorm: Heimann, S. 82ff., vgl. Blunck, S. 154 und Pollog, Junkers, S. 155. Zur Übersicht über die insgesamt zurückgelegten Flugkilometer s. Voss, S. 5. 175

ILAG bedienten zusammengenommen einen großen Teil des europäischen Luftverkehrsmarktes; Deutschland war Mitte der zwanziger Jahre das Land mit dem dichtesten Luftverkehrsnetz der Welt. 1926 betrug die Gesamt­ streckenlänge in Deutschland 18.500 km, die nächstgrößeren Netze über­ spannten Frankreich mit 12.400 km und die Vereinigten Staaten mit 10.100 km. Großbritannien besaß ein Steckennetz von gerade 2.100 km Länge.191 Die in zeitgenössischen Arbeiten konstatierte Teilung des deutschen Luftverkehrsmarktes in zwei etwa gleich große Anbieter192 konnte in An­ betracht der forcierten Expansion und der technischen und organisatori­ schen Vorteile der ILAG jedoch nur von vorübergehender Natur sein. Die von der Deutschen Bank beherrschte DAL stand für einen organisatori­ schen Rahmen, in dem die Beschaffung des Verkehrsmittels der Kapitalbe­ schaffung für den Ausbau und der Unterhaltung der Infrastruktur nachge­ ordnet war. Freilich zog dies nach sich, daß der Flugzeugpark der DAL weit weniger einheitlich war als jener der ILAG. Bevor die DAL seit 1924 auf Universalverkehrsflugzeuge vom Typ Dornier „Merkur" zurückgriff, war sie gezwungen, als Übergangslösung Lizenzbauten von FokkerFlugzeugen in den ehemaligen Betrieben des Zeppelin-Konzerns in BerlinStaaken herzustellen, die als Fokker-Grulich F II bzw. F III bis in die zweite Hälfte der zwanziger Jahre im Betrieb blieben.193 Noch 1925 flog die DAL mit Flugzeugen von zehn verschiedenen Herstellern, selbst dann noch mit konvertierten Kriegstypen.194 Die ausschließliche Verwendung von JunkersFlugzeugen bei der ILAG erleichterte hingegen die Unterhaltung von Repa­ raturwerften, die Ersatzteilbeschaffung und das betriebliche Rechnungswe ­ sen,195 während die „Unionen" die Voraussetzung für ein zentralisiertes Abrechnungssystem schufen.196 Mit Beteiligungen an 29 in- und ausländi­ schen Verkehrsgesellschaften (1925) schickte sich der Junkers-Luftverkehr an, die dominierende Fluggesellschaft der Welt zu werden.197 Das intensivste Engagement des Junkers-Luftverkehrs richtete sich auf die Erschließung von Strecken, auf denen das Flugzeug als Anbieter von Verkehrsleistungen konkurrenzlos war. Durch zwei werbewirksam aufge­ zogene Expeditionen 1922 und 1924 sollte der südamerikanische Markt weiter erschlossen werden,198 während 1923 eine Spitzbergen-Expedition unternommen wurde, um den Luftweg über die Polkappe hinweg zu er-

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Pollog, Entwicklung, S. 353*f. Wronsky, S. 271; Pollog, Entwicklung, S. 345*; Haslinger, S. 154*f. Gossow, 1927, S. 622f.

Heimann, S. 92. Denkschrift 25.6.26, S. 8, DMM/ASD N 21/19. Bongers, S. 28f. u. 32. Die Motive des Junkerschen Luftverkehrs sind umschrieben in „Die Luftverkehrspoli­ tik des Junkers-Konzerns", Anlage zu Patze (Abteilung Luftverkehr der JunkersWerke) an Köpke (AA), 3.4.23, ADAP Ser. A, Bd. VII, Dok. 177. Pollog, Entwicklung, S. 358* und 360*f.; Blunck, S. 144-148; Rinke, passim; Schmitt, S. 238ff.

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künden. 1926 begann der Junkers-Luftverkehr in Persien. Finanziell be­ deutete das Engagement in Asien und Südamerika sicher einen Verlust. Als Werbung für Junkers und das Flugzeug schlechthin entfaltete es aber eine Wirkung, die weit über das Unternehmen hinausreichte. Die Expeditionen nach Südamerika, über den Nordpol, nach Persien, Afghanistan und in den Irak reflektierten die kulturellen Folgen der unternehmerischen Tätigkeit Hugo Junkers'. Der durch populäre Zeitschriften, Jugendbücher und die militante Luftfahrtpublizistik199 nachhaltig vertiefte Eindruck der Expediti­ onen verhalf dem Flugzeug schlechthin und Junkers insbesondere zu einer enormen Popularität. Das Flugzeug stellte in den zwanziger Jahren ein spe­ zifisch „deutsches" Signum der Modernität dar. Während sich mit Ford und Jazz, Massenproduktion, Massenkonsum und Massenkultur „Amerika" verband, stand „Deutschland" für Technikbeherrschung, nicht zuletzt für die perfektionierte Herstellung und Handhabung der kompliziertesten von Menschenhand geschaffenen Maschine.200 Dessau avancierte zum Mythos der Neuen Sachlichkeit, nicht nur weil das Bauhaus hier seinen Sitz nahm, sondern weil Junkers schon lange hier war. Hugo Junkers und Walter Gro­ pius nutzten sehr wohl diese eher zufällig, durch die Energie des Dessauer Oberbürgermeisters Hesse zustandegekommene Verbindung: Junkers ließ seine Werkssiedlung in Dessau-Törten von Gropius bauen, die Werbean­ zeigen der vor allem für den Exportmarkt gedachten „Junkers-Nach­ richten" gestaltete seit 1926 das Bauhaus, Gropius wiederum zog als Illu­ stration seines legendären Aufsatzes zur Verbindung von Techniker und Künstler ausschließlich Bilder von Junkers-Flugzeugen heran.201 Aus dieser überhöhten Selbstsicht formulierte Junkers während der schärfsten Auseinandersetzungen über Fili die nächsten Schritte. Ziel war ein Weltluftverkehr, der in Zusammenarbeit mit englischen Stellen zu­ nächst das Empire mit Luftverkehrslinien vernetzen sollte.202 Junkers' Lö­ sung für die verschärfte Konkurrenz zwischen seiner Gesellschaft und der DAL war nicht weniger großzügig. In einer Denkschrift an die Reichsregie­ rung entwickelte er im Januar 1924 den Gedanken, mit 18 Millionen Gold­ mark eine deutsche Einheitsgesellschaft mit 200 Flugzeugen zu gründen, die als größte Handelsluftflotte der Welt die machtpolitischen Nachteile des Fehlens einer Kriegsluftflotte kompensieren könne.203 199

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Der einflußreichste Luftfahrtpublizist der zwanziger Jahre, Werner von Langsdorff, schrieb unter seinem Pseudonym Thor Goote einige verbreitete militante Jugendroma­ ne, Hopster/Nassen, S. 547ff.; zu Langsdorff s. s. Biographie in NDB. Peukert, Weimarer Republik, S. 176 u. 180. Zur deutschen Luftfahrteuphorie generell: Fritzsche, passim. Die Luftfahrteuphorie in Deutschland hing zwar auch an Lindbergh, vornehmlich standen aber deutsche Piloten im Vordergrund, beispielsweise Hermann Köhl, der Pilot der ersten Ost-West Überquerung des Atlantiks, oder Emst Udet. Zu Bauhaus und Junkers: Jablonowski, passim; Kegler, passim; Gropius, passim. Tagebucheintrag Junkers', 28.3.24, NB 110, S. 8441-8445, DMM/ASD N 21/7; Aktenno­ tiz Junkers, betr. Weltluftverkehr, 29.3.24, DMM/ASD JA 0503/8. Groehler/Erfurth, S. 37.

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i Unterdessen nahmen die Kriegsflugzeuge im Produktionsprogramm der Flugzeugwerke einen breiten Raum ein. Nach einem im April 1924 vor­ gelegten Programm sollte das Dessauer Werk allein im Laufe des Jahres ei­ nen monatlichen Ausstoß von je 12 Verkehrs- (F13, J16) und Kriegsflugzeu­ gen (A20, J21, J23) erreichen.204 Zwar blieb die IFA wegen der Vorbereitung der G24 hinter dieser Vorgabe zurück.205 Als die Produktion des Großflug­ zeugs im September 1925 angelaufen war, baute die IFA monatlich sechs G24, zwei F13 und fünf A20, welche - gemessen am Stundenaufwand - zu­ sammengenommen einem Äquivalent von 30 F13 entsprachen.206 Die Begründung für die Rüstungsproduktion im Dessauer Werk lie­ ferte Gotthard Sachsenberg, der „Napoleon von Dessau", wie ihn eine fran­ zösische Zeitung nannte.207 Als Hugo Junkers Anfang 1925 Bedenken we­ gen des wachsenden Absatzes von Kriegsflugzeugen äußerte, da die IFA in der Öffentlichkeit zunehmend als Waffenschmiede gesehen werde, erwi­ derte Sachsenberg, daß die von Junkers vorgegebene „Eigenmassenfabrika­ tion" zur Erweiterung der Forschung letztlich nur in diesem Bereich zu realisieren sei. Der Absatz im Luftverkehr allein könne die steigenden Ko­ sten der Forschung nicht tragen, während die ausländischen Abnehmer von Verkehrsflugzeugen ohnehin darauf hofften, dadurch mittelbar einen Ansatz zur Produktion von Kriegsflugzeugen im Lande zu gewinnen. Da es unmöglich sei, das Flugzeug seiner militärischen Bedeutung zu entkleiden, sei es vielmehr günstiger, die politischen Chancen des Absatzes von Kriegs­ flugzeugen für eine Verbesserung der Stellung gegenüber den Reichsbe­ hörden zu nutzen.208 In einer an das Reichswehrministerium gerichteten Denkschrift vom November 1924 brachte Sachsenberg das Interesse des Konzerns am Kriegs­ flugzeugbau auf den Punkt: Lediglich ein Massenabsatz garantiere die Lei­ stungsfähigkeit der Flugzeugunternehmen in Forschung und Konstruktion. Da jedoch die Nachfrage im Ausland durch Fabriken in Deutschland nur in Grenzen befriedigt werden könne und ein sicherer Absatz nur dann herzu­ stellen sei, wenn wenigstens ein Teil der Produktion in das Abnehmerland verlagert werde, sei es nötig, ausländische „Fabrikationsstützpunkte" zu bilden: „Die ausländischen Fabrikationstützpunkte sind das Rückgrat einer Absatzorganisation."209 Erst wenn der Massenabsatz und damit die Mas­ senproduktion von Flugzeugen deutscher Firmen im In- und Ausland ga­ rantiert sei, seien diese zudem „plötzlich auftretenden Bedürfnissen nach

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Bauprogramm der Ifa, 4.4.24, DMM/ASD JA 0301/9/9. Aufteilung der für erlösfähige Fabrikate in der Zeit vom 1.1. bis 1.10.24 aufgewendeten Lohnstunden, 16.12.24, DMM/ASD JA 0301/9/3. Bericht des Vorstandes über den Verlauf des achten Geschäftsjahres 1924/25 der IFA, 28.6.26, DMM/ASD JA 0301/10/29. Levetzow an Prinz Heinrich von Preußen, 28.11.25, BArch-MA N 239/65. G. Sachsenberg an Junkers, 6.3.25, DMM/ASD JA 0503/9. G. Sachsenberg an RWM, 25.11.24, BArch-MA RH 2/1130, fol. 105-108, hier 106.

schneller Lieferung in grosser Zahl von Flugzeugen" gewachsen. „Fabrika­ tionsstützpunkte" und von deutschen Firmen betriebene Luftverkehrslinien hätten, mutmaßte Sachsenberg, eine strategische Bedeutung, die im Falle von Persien und der Türkei einer modernen Bagdadbahn gleichkämen. Trotz der vielfältigen Schwierigkeiten, die sich beim Aufbau des Werks in Fili ergaben, wurde das Unternehmen in Rußland Vorbild für die Ab­ satzgestaltung im Kriegsflugzeugbau. 1925 errichtete der Junkers-Konzern Fabrikationsstätten in den wichtigsten Abnehmerländern für Kriegsflug­ zeuge, die zugleich die Endpunkte der geplanten Nord-Süd-Interkontinen ­ talstrecke markierten. Nachdem das türkische Heer 20 jener zweisitzigen Mehrzweckflugzeuge A20 erworben hatte, wurde im Juni 1925, diesmal mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und unter Federführung von Hans Sachsenberg, die „Tomtasch" gegründet.210 Das Kapital der Gesellschaft brachten zur Hälfte Junkers und die türkische Regierung ein. Ursprünglich als Hauptlieferant zum Aufbau der türkischen Luftwaffe mit einem Auf­ tragsvolumen von zunächst 250 Exemplaren der A20 vorgesehen, geriet die Errichtung des Werkes jedoch ähnlich in Verzug wie die des russischen und endete 1930 in einem Konkurs, aus dem Junkers nur knapp ein Drittel des eingebrachten Kapitals retten konnte.211 Erfolgreicher entwickelte sich die Verbindung zur A.B. Flygindustri (AFi) bei Malmö. Nachdem Junkers 1924 die Flugzeuge der schwedischen Luftverkehrsgesellschaft AAB als Beteiligung eingebracht hatte, wurde dieses Werk im März 1925 mit einer Kapitalbeteiligung von Junkers in Höhe von 82% gegründet. Die AFi pro­ duzierte militärische Ausrüstung, montierte und versandte die Kriegsflug­ zeuge des Junkers-Konzerns.212 Sachsenberg paßte seine Überlegungen zum Zusammenhang von Mas­ senabsatz und Rüstung freilich in eine Konzeption ein, die letztlich auf eine Verschiebung des Gewichts zwischen Militär und Industrie hinauslief und seit 1923 in verschiedenen Denkschriften niedergelegt wurde.213 Darin hieß es, die in der Kriegsführung „ständig an Bedeutung gewinnende Entwikkelung der technischen Hilfsmittel als Menschenersatz" müsse dazu füh­ ren, daß „dem Techniker bei der Ausgestaltung dieses rein technischen Kampfmittels eine bevorzugte Stellung eingeräumt" werde. Die eigentliche

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Gegen den Widerstands Seeckts - „er sei nicht sehr an der Türkei interessiert, aber wenn schon, dann nicht mit Junkers" - steuerte das AA 2 Mio. Mark zu dem Unter­ nehmen bei, nicht ohne den spitzen Verweis auf die „100 Millionen", die die Reichs­ wehr in Rußland „verpulvere", Tagebucheintrag Junkers', 11.8.25, NB 123, S. 10153, DMM/ASD N 21/7. Semler/Schlomann, S. 55-58, DMM/ASD N 21/14; Wagner, Junkers, S. 288ff. Bohme/Olsson, passim; Wagner, Junkers, S. 243ff. Betrachtungen über die Notwendigkeit engster Arbeitsgemeinschaft zwischen Technik und Wehrmacht bei der Schaffung moderner Verteidigungsmittel unter besonderer Be­ rücksichtigung der Luftwaffe, o.D., DMM/ASD JA 0302/4/7; eine erste Fassung ist er­ halten als Anlage zu G. Sachsenberg an Junkers, 8.8.23, DMM/ASD JA 0618/2/30, nachfolgend wird nach der endgültigen Fassung belegt. 179

Aufgabe des Militärs bestehe dann lediglich noch in der „Eingliederung der technischen Waffen" und der „Sorge um den damit vertrauten Mann­ schaftsersatz", während die Rüstungsindustrie über die Formgebung und Produktion der Waffen entscheiden müsse. Der Techniker übersehe in er­ ster Linie „die Möglichkeiten des Kampfmittels, das er schafft" und sei so­ mit auch bei der Entwicklung neuer taktischer Ideen vorrangig zu berück­ sichtigen. Insoweit Sachsenberg forderte, daß der Modus der Beschaffung weitgehend der Organisationsfähigkeit der Industrie überlassen werden mußte, setzten sich seine Ausführungen deutlich von den Konzepten von Volkmann und Ludwig ab, die im Grunde eine genau gegenteilige Organi­ sation des Beschaffungswesens forderten, und sie ähnelten den Vorstellun­ gen, die im Truppenamt und in der Inspektion für Waffen und Gerät der Reichswehr zu gleichen Zeit propagiert wurden. Freilich war das Militär in den Ideen Sachsenbergs letztlich vollständig entbehrlich, da unter den besonderen Bedingungen, die in Deutschland herrschten, die innige Zusammenarbeit von Soldat und Techniker in den zahlreichen ehemaligen Kriegspiloten repräsentiert war, die bei den Flug­ zeugfirmen arbeiteten. Der „größte Teil derjenigen, die heute in den techni­ schen Werkstätten arbeiten, (haben) die Grundbedingung der praktischen Kriegsführung im Weltkrieg 1914/18 direkt oder indirekt kennengelernt und geistig verarbeitet". Rüstung war Sachsenberg zufolge in erster Linie die Aufgabe von zwei Institutionen, der „Außenpolitik", deren Situation und Handeln den Umfang der notwendigen Rüstung festlegte, und der Rü­ stungsindustrie, die die Entwicklung und Beschaffung eigenverantwortlich organisierte. Die Flugzeugentwicklung und -produktion Junkers' richtete sich daher an taktischen und operativen Prämissen aus, die von den Sol­ dateningenieuren im Konzern aufgestellt wurden, und den politischen und militärischen Stellen in einer zähen Überzeugungsarbeit aufgedrängt wer­ den sollten. Die taktisch-technischen Konzepte des Junkers-Konzerns wurden maßgeblich von dem im März 1923 eingestellten Carl Plauth entwickelt. 1924 legte Plauth die ersten von zahlreichen Studien über die zukünftige Entwicklung im Kriegsflugzeugbau vor.214 Getreu der Vorgabe Sachsen­ bergs, einen Ausgleich militärischer und industrieller Interessen herzustel­ len, galt die Aufmerksamkeit Plauths vor allem dem „Einheitsflugzeug", das eine Vielzahl von militärischen Aufgaben in angemessener Weise be­ dienen und daher auch im Frieden in relativ großen Zahlen bestellt würde. Plauth sah dieses Flugzeug im Jagdzweisitzer, der zugleich als Nah- und Fernaufklärer sowie Infanterieflugzeug eingesetzt werden könnte. Er

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Hauptbüro (Plauth), Zur Frage: Jagd-Einsitzer oder Jagd-Zweisitzer, 17.5.24, DMM/ASD JA 0302/4/8; Hauptbüro (Plauth), Großflugzeug-Jagdflugzeug, 29.10.24, DMM/ASD JA 0302/4/9; Hauptbüro (Plauth), Die taktische Grundlage des Jagdflug­ zeugs, 4.8.25, DMM/ASD JA 0302/4/13.

räumte jedoch ein, daß sich das taktische Passepartoutflugzeug nur bei ei­ ner wesentlichen Steigerung der Motorenleistung und einer Veränderung der technischen Grundform des Junkers-Flugzeugs ergeben könnte. Er er­ blickte daher, „so bedauerlich dies vom wirtschaftlichen und fabrikatori­ schen Standpunkt aus zunächst sein mag", aus der militärisch-taktischen Perspektive nur die Möglichkeit, die Luftwaffe vorläufig mit spezialisierten Typen auszustatten, die für den industriellen Flugzeugbau von geringem Interesse waren.215 Plauth empfahl vielmehr die Strategie, vorläufig die be­ reits vorhandenen Typen abzusetzen, mittelfristig die Entwicklung des Hochleistungszweisitzers im Blick zu halten, bis die Möglichkeit bestehe, hier eine „Monopolleistung" wie bei der F13 zu erbringen, aber einstweilen von der weiteren Entwicklung von reinen Kriegsflugzeugen abzusehen.216 Bis 1928 konzentrierte sich der Kriegsflugzeugbau bei Junkers daher auf Maschinen, die unter Verwendung von bestimmten Baukastenstücken in die Produktion von Zivilflugzeugen eingeschleust werden konnten, vor al­ lem durch ein sogenanntes K-Mittelstück im Rumpf der G24 (K30), das von der AFi hergestellt wurde.217 Trotz allem war die Ertragslage im Flugzeugbau Junkers' insgesamt keineswegs günstiger als zu Beginn der zwanziger Jahre. Die Flugzeuge Rohrbachs brachten die Aerodynamik und die strukturellen Vorteile des Ganzduralbaus bei den mittleren und großen Verkehrsflugzeugen zum Tragen, ohne daß ihr Preis durch Aktivitäten außerhalb des eigentlichen Flugzeugbaus belastet wurde. Die Flugzeuge von Dornier, die seit 1924/25 bei der DAL zum Einsatz kamen, waren der F13 von den Leistungen her gleichwertig. Die Monopolstellung Junkers' im Metallflugzeugbau war En­ de 1924 erloschen. Plauth forderte eine drastische Revision des konstrukti­ ven Aufbaus der Junkers-Flugzeuge, da deren aerodynamische und stati­ sche Güte hinter den Produkten der Konkurrenz zurückstand.218 Der Verlust des technischen Vorsprungs setzte sich in einer Kostenkri­ se um. Der IFA war es weder gelungen, die „mit der Reihenherstellung leicht verbundene Schwerfälligkeit" zu vermeiden, noch hatte sie, bedingt durch das Festhalten an dem komplizierten Aufbau der Junkers-Flugzeuge, die Kostenvorteile des Serienbaus abschöpfen können. Das Universalver­ kehrsflugzeug Komet II von Dornier wurde im Frühjahr 1924 für $ 11.000 angeboten, während Junkers immer noch mindestens $ 13.000 für eine F13

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Hauptbüro (Plauth), Zur Frage: Jagd-Einsitzer oder Jagd-Zweisitzer, 17.5.24, DMM/ ASD JA 0302/4/8. Hauptbüro (Plauth), Zur Frage des technischen Aufgabenprogramms des Flugzeug­ baus, 29.11.26, DMM/ASD JA 0302/7/35. Zu den Flugzeugtypen der IFA s. Wagner, Junkers, passim, hier S. 230ff. sowie Haupt­ büro (Plauth), Typenübersicht, 1.12.26, DMM/ASD JA 0302/7/36. Hauptbüro (Plauth), Aufgabe: Überprüfung des grundsätzlichen Aufbaues unserer Flugzeuge, 12.8.25, DMM/ASD JA 0302/7/23; Hauptbüro (Plauth), zur Frage des tech­ nischen Aufgabenprogramms des Flugzeugbaus, 29.11.26, DMM/ASD JA 0302/7/35. 181

verlangte.219 Der Aufwand für den Vertrieb der Junkers-Flugzeuge wuchs daher ebenso wie die Zahl der Änderungen an der in Serie laufenden F13, die zur Befriedigung spezifischer Bedürfnisse der Käufer nötig waren.220 Hinzu kamen die strukturellen Sonderbelastungen durch die Forschungsi­ deologie Junkers'. Allein die bizarre Vorstellung, daß feste Arbeitsverträge den schöpferischen Geist beeinträchtigten, brachte der IFA erhebliche Ko­ sten ein. Das Durchschnittsgehalt im Hauptbüro stieg zwischen Januar 1924 und Dezember 1925 von 162 auf 370 Mark,221 so daß es nicht die For­ schungsanstalt, sondern deren Schwert und Schild war, die die Bilanz der IFA am meisten belastete. Der „Eigenmassenfabrikation" wurden 1924 monatliche Kosten der Konzemstellen von 238.000 Mark aufgebürdet, von denen die IFA drei Viertel zu tragen hatte. Das Flugzeugwerk hatte Monat für Monat eine Summe an den Konzern zu überweisen, die knapp 40% der durchschnittli­ chen Aufwendungen entsprach. Allein diese Bürde sorgte dafür, daß der Verlust des technischen Vorsprungs nicht durch eine geschickte Preispoli­ tik kompensiert werden konnte. Zwar betrugen die Selbstkosten zur Her­ stellung einer F13 einschließlich aller Zuschläge 1924 immer noch nur knapp zwei Drittel des Verkaufspreises. Nach Einrechnung der Überwei­ sungen an den Konzern lagen die Selbstkosten mit insgesamt 53.000 Mark jedoch nur noch knapp unter dem Verkaufspreis auf dem freien Markt/-222 “ nicht mehr hingegen bei den Ersatzbeschaffungen der Verkehrsgesell­ schaften, denen Junkers einen Rabatt von 33,33% garantierte. Der ausländische Absatz schrumpfte unterdessen kontinuierlich. Ob­ wohl der Konzern Vertretungen in 36 Staaten unterhielt,223 gab es neben den eigenen Verkehrsgesellschaften nur noch ein bedeutendes Abnehmer­ land. Von den 47 F13, die 1923 abgesetzt werden konnten, kauften die sowjetsche Luftverkehrsgesellschaft Dobrelet und die Rote Luftwaffe allein 25, während 17 in diverse Verkehrsgesellschaften eingebracht und drei für Expeditionen verwendet wurden. Lediglich zwei F13 konnten auf dem frei­ en Markt untergebracht werden.224 Ähnlich schleppend entwickelte sich der Vertrieb der Kriegsflugzeuge, wenngleich in der zweiten Jahreshälfte 1925 umfangreiche Aufträge für die Kampfflugzeugversion der G24 (K30) gesi-

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IFA, Aufstellung von Konkurrenzpreisen für Verkehrsflugzeuge, 4.4.24, DMM/ASD JA 0301/9/9. Aktennotiz (Hans Müller) betr. Verkaufspreis-Gestaltung, 19.2.31, DMM/ASD N 21/1, insbes. S. 3f. Durchschnitt der Gesamtgehälter Angestellte Hauptbüro von 1924-Oktober 1927, 16.10.27, DMM/ASD JA 1305. Veiel (IFA) Aufstellung über den Kostenaufwand der IFA in den ersten neun Monaten 1924, 16.12.24, DMM/ASD JA 0301/9/3. Liste und Etat der Konzemvertretungen im Ausland, o.D. (Mitte 1924), DMM/ASD JA 0301/12/30. Abnahmeliste der F13, o.D. [Nov. 1924], DMM/ASD JA 0303/1/1; Wagner, Junkers, S. 205 u. 207.

chert werden konnten.225 Kritisch wurde die Situation der IFA freilich erst, als der durch die Absatzschwierigkeiten bei den Kriegsflugzeugen entste­ hende Kapazitätsüberhang in die Herstellung der F13 investiert wurde. Obwohl der Auslauf der Produktion für 1924 vorgemerkt war, bauten so­ wohl die IFA in Dessau als auch das Moskauer Werk kontinuierlich die F13.226 Angesichts der spärlichen Nachfrage mußten die nach September 1923 abgenommenen Flugzeuge gelagert werden. Bereits im April 1924 war das Fertiglager auf 44 F13 angewachsen, was einer Festlegung von ziemlich genau der Hälfte des Aktienkapitals der IFA entsprach.227 Die Entwicklung der Investitionen im Werk in Fili gibt die prekäre Fi­ nanzentwicklung der IFA spiegelbildlich wieder. Bei einer 1933 im Auftra­ ge Junkers' erarbeiteten Überprüfung der Investitionskosten für Fili wurde errechnet, daß Junkers nach Abzug der Anzahlungen der Sowjetrussen rund $ 6 Mio., das entsprach 25 Mio. RM, in das Unternehmen investiert hatte. Die größten materiellen Posten in dieser Rechnung machten die Lie­ ferung von Flugzeugen und Einzelteilen ($ 1.2 Mio), Vorrichtungen (0,8 Mio.), Rohmaterial (0,6 Mio.) und Motoren (0,4 Mio.) aus. Die Barleistungen (Überweisungen, Löhne und Gehälter in Deutschland, Zinsen und Spesen) bezifferte das Gutachten der Wirtschaftsprüfer Semler und Schlomann so­ gar auf insgesamt $ 3,1 Mio.228 Dem standen $ 2,3 Mio. (9,6 Mio. Mark) ge­ genüber, die Junkers zwischen 1922 und September 1924 vom Reich als Beihilfe erhielt.229 Diese Aufrechnung, die Junkers bereits 1926 präsentierte, hielten die Gegengutachter der Reichswehr in allen Punkten für manipu­ liert. Strittig waren insbesondere die enorme Zinsbelastung ($ 1,2 Mio.) und vor allem die Kosten, die angeblich durch Flugzeuge, Einzelteile und die Vorrichtungen des Werks in Fili entstanden waren. So wandte das Heereswaffenamt ein, daß für Vorrichtungen das Siebzigfache und für den Junkersschen Hohlnietapparat das Fünfundzwanzigfache der Herstellungsko­ sten berechnet worden sei. Es setzte die Gesamtinvestitionen Junkers' nach Abzug aller fraglichen Posten auf lediglich $ 830.000 (3,5 Mio. Mark), kaum ein Siebtel der von Junkers veranschlagten Summe, an.230 Das entscheidende Problem bei der Klärung der Investitionshöhe be-

heit, die Kosten für Forschung und Entwicklung auf die nach Fili geliefer225

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Bericht des Vorstandes über den Verlauf des achten Geschäftsjahres 1924/25 der IFA, 28.6.26, DMM/ASD JA 0301/10/29; Bericht Student über eine Reise in die Sowjetunion im August 1926, 10.9.26, Reichswehr, Dok. 1, S. 23. Mierzinsky (Hauptbüro) an Junkers, betr. Flugzeug-Produktionsteigerung, 8.6.23, DMM/ASD JA 0301/8/25. Bestand an fertigen F13 - Flugzeugen, 4.4.24, DMM/ASD JA 0301/9/9. Semler/Schlomann, S. 38ff., DMM/ASD N 21/14. Ebd., S. 49ff. Schlußbetrachtung des Heereswaffenamtes zum Status des Junkers-Flugzeugwerkes in Fili, 15.6.26, BArch R 43 11/699, fol. 129-134; die im Original in Goldrubel angegebenen Summen sind hier in Dollar bzw. Mark umgerechnet (1$ = 2,1 Rbl. = 4,2 RM bzw. GM).

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ten Werkzeuge, Maschinen und Flugzeuge aufzuschlagen, womit teilweise horrende Summen anfielen,231 von den Zinsumlagen und anderen fragli­ chen Posten ganz abgesehen. In der Tat bestand darin das wichtigste Mo­ ment der Manipulation. Der Hauptbuchhalter der IFA sagte 1934 aus, daß neben einem Konto I, auf dem das zum Aufbau von Fili zu verwendende Geld gesammelt wurde, ein Wertberichtigungskonto II existierte, auf das die zur Vergütung der Forschungsvorleistungen und anderer Aufwendun­ gen in Dessau gedachten Mittel zurückflossen. Im Geschäftsjahr 1923/24 betrug die für Investitionen in Fili auf das Konto I gebuchte Summe knapp 11 Mio. Mark, während im selben Zeitraum über das Konto II knapp 5 Mio. Mark zurückflossen. Im Geschäftsjahr 1924/25 jedoch standen einer Sum­ me von 10,6 Mio. Mark an zu investierenden Mitteln 10 Mio. Mark gegen­ über, die nach Dessau zurückgebucht wurden. Nach dieser Rechnung belie­ fen sich die von Junkers bis zum 30. September 1925 in Fili effektiv verwendeten Gelder auf wenig mehr, als die Reichswehr veranschlagte. Den nominell investierten 21,5 Mio. Mark standen Rückbuchungen im Um­ fang von 14,9 Mio. Mark gegenüber, womit die tatsächlich investierte Summe auf 6,6 Mio. Mark schrumpfte ($ 1,6 Mio). Da Junkers aber ein­ schließlich Zinsen mehr als 10 Mio. Mark aus Reichsmitteln erhalten hatte, landeten durch diese Umwegfinanzierung mindestens 3,5 Mio. Mark auf Konten der IFA.232 Folgerichtig belief sich der in den Bilanzen des Moskau­ er Junkerswerks bis zum 30. September 1925 ausgewiesene Gesamtverlust auf nicht weniger als 15,7 Mio. Mark.233 Die Ausplünderung des Werks in Fili, das im Februar 1925 stillgelegt wurde, stand im direkten Zusammenhang mit der Krise des Konzerns. Während Junkers die Vermutung, der Konzern habe für Fili gedachte Reichsmittel für die diversen Expeditionen verwendet, Anfang 1924 selbst in seinem Tagebuch mit Entrüstung kommentierte,234 mißbrauchte der Konzern das Rüstungsprojekt in Rußland seit Ende des Jahres 1924 ledig­ lich noch zur Linderung der Finanzkrise in Dessau.235 Die Bemühungen um eine Nachbesserung des Vertrages mit den Sowjetrussen und die Ver­ handlungen über eine erneute finanzielle Beteiligung der Reichswehr, die mit einem Brief Junkers' an Seeckt vom Juli 1924 ihren Auftakt nahmen und

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Gegen das Gutachten Semler/Schlomann wurde dann auch eingewandt, daß jeder der Gegenstände, die in Fili eingebracht wurden, mit Aufschlägen von 1.000-2.000% in den Büchern nachgewiesen wurde: Mühlig-Hofmann (RLM) an Oberstaatsanwalt Lämmler, 27.7.34, LA Oranienbaum, Rep. Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 167, fol. 16f. Aussage des Otto Pupke, 19.4.34, LA Oranienbaum, Rep. Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 170, fol. 1-4. Schlußbetrachtung des Heereswaffenamtes zum Status des Junkers-Flugzeugwerkes in Fili, 15.6.26, Anlage 3, BArch R 43 11/699, fol. 131. Tagebucheintrag Junkers', 5.4.24, NB 110, S. 8455, DMM/ASD N 21/7. Hauptbüro (Plauth), Niederschrift zur Besprechung am 30.4.25, DMM/ASD JA 0618/3/56; Wissmann, Fili, S. 176-196.

sich bis Oktober 1925 hinzogen, erscheinen so in einem anderen Licht.236 Es ging nicht mehr um die Frage, ob und wie die Fabrik in Fili finanziert wer­ den könne, sondern darum, die Stammwerke in Dessau zu retten. Die Finanzschwache des Konzerns dokumentierte sich nach außen in der Luftverkehrsfrage. Die Konkurrenz zwischen ILAG und DAL war bis zu einem Punkt gediehen, an dem das Verkehrsministerium auf einen Zu­ sammenschluß beider Gesellschaften, wenigstens aber auf einen Ausgleich der Interessen drängte. Bedingt durch den Geldbedarf seiner Unterneh­ mungen ließ sich Junkers zögerlich darauf ein. Im Zusammenhang mit der Gründung der Europa-Union warb er Ende 1924 - nachdem er kaum ein Jahr zuvor das Projekt einer deutschen Einheitsgesellschaft unter seiner Führung propagiert hatte - bei Emil Georg von Stauß um eine Beteiligung der Deutschen Bank an der Europa-Union, um den von Kurt Weigelt, eben­ falls Direktor der Deutschen Bank und Mitglied im Aufsichtsrat der DAL, vorgetragenen Fusionskonzepten zu begegnen.237 Gleichzeitig bemühte sich Junkers um Kapitalgeber, die im Gegensatz zur Deutschen Bank weniger eindeutig gebunden waren. Nachdem der ehemalige Admiral der kaiserli­ chen Flotte, Magnus von Levetzow, im Oktober 1924 die Junkers-Werke be­ sucht hatte, deutete Sachsenberg die prekäre Lage des Konzerns an: „Wie Herr Admiral ganz richtig ausführen, brauchen wir gerade in den nächsten Jahren nicht nur für den Luftverkehr, sondern auch für Forschung und Entwicklung sehr große Mittel/'238 Bald darauf gab Junkers preis, um wel­ che Summen es bereits ging. Er habe ursprünglich an einen Betrag von 10 Mio. gedacht, sei aber auch bereit, Kredite in Höhe von bis zu 30 Mio. Mark aufzunehmen, schrieb er Levetzow,239 der daraufhin in den Nieder­ landen und Dänemark um potente Teilhaber für den Luftverkehr Junkers' warb. Das Allheilmittel für seine Geldsorgen suchte Hugo Junkers 1924/25 erneut in den Vereinigten Staaten. Zwischen Mai und Juli 1924 besuchte er Amerika, um vor Ort mit Vertretern von Ford und anderen Firmen über ei­ ne Zusammenarbeit zu verhandeln. Zwar konnte Junkers mit einem von Mader entworfenen Projekt eines Nurflügelflugzeugs aufwarten, das dieser

triebsgesellschaft (Jucoram) blieben die Verhandlungen jedoch ohne Ergeb­ nis.240 Seit der Jahreswende 1924/25 hatte Junkers freilich ein Projekt auf dem Tisch, das so aussichtsreich zu sein schien, daß er es erneut Ford an-

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G. Sachsenberg an Junkers, 10.10.24, DMM/ASD JA 0503/8; 1. Schriftsatz RWM, 13.1.26, BArch-MA RH 8 1/3682, fol. 31-47. Tagebucheintrag Junkers', 19.12.24, „Deutsche Bank Stauss", NB 118, S. 9501-9504, DMM/ASD N 21/7; s. a. Weigelt, passim; Appel, S. 245f. Sachsenberg an Levetzow, 14.12.24, BArch-MA N 239/65, fol. 4f. Junkers an Levetzow, 19.1.25, BArch-MA N 239/110, fol. 10. Wagner, Junkers, S. 173ff. Zur Amerikareise aus der Sicht von Erhard Milch: Irving, Tragödie, S. 37f. 185

bot: Technisch gesehen, schrieb er, sei die Aufnahme eines Transozeanver­ kehrs kein Problem mehr. Der Weg von Berlin nach New York könne mit eigens für diesen Zweck konstruierten Großflugzeugen in etwa 30 - 40 Stunden zurückgelegt werden.241 Im April 1925 entwarf Junkers ein Ange­ bot für Ford auf zwei Großflugzeuge mit 8 bzw. 20 t Nutzlast, die bis Ende 1927 zum Preis von $ 2 bzw. $ 5 Mio. geliefert werden sollten,242 worauf der amerikanische Industrielle freilich $ 1 Mio. innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsabschluß anzahlen sollte. Henry Ford indes dachte nicht daran, diese horrende Summe an Junkers zu geben, sondern nahm stattdessen selbst den Flugzeugbau auf. Die Tatsache, daß die unter der Regie von Edsel Ford bei der Stout Metal Airplane Company hergestellten Flugzeuge mit Wellblechhaut und Stahlrohrrumpf die Vorteile der Bauarten von Junkers und Fokker - unter Verletzung einiger Patente - in sich vereinigten, signa­ lisierte, wie weit die Geheimnisse der vormaligen technischen Überlegen­ heit der IFA Allgemeingut geworden waren.243 Angesichts der „schwierigen Lage" sah Junkers seit dem Frühsommer 1925 die Gefahr eines „behördlichen oder kapitalistischen Eingreifens" her-

chen hatten, das Prinzip der eigenwirtschaftlichen Forschung und die hemmungslose Expansionspolitik. Bei dem schlesischen Industriemagnaten von Donnersmarck beklagte er sich, daß es wohl nur zwei Wege gebe, nämlich entweder auf seinen wirtschaftlichen Grundsätzen zu bestehen und dann auf Dauer ohne Unterstützung des „Großkapitals" auskommen zu müssen, oder eine nach betriebswirtschaftlichen Prämissen fundierte Forschungstätigkeit zu betreiben und damit auf die eigenwirtschaftliche Forschung zu verzichten.245 Die unkontrollierte Dynamik der Konzernent­ wicklung lastete er freilich Sachsenberg an: Sobald sich dieser einer Ange­ legenheit annehme, werde sie zusehends ganz unabhängig von seiner 0unkersz) Entscheidung betrieben.246 In Wahrheit war dies aber nur eine Folge des eigenen Führungsstils. Die nach außen als Teile eines in sich ge­ schlossenen Konzepts präsentierten Projekte des Konzerns waren Aus­ wüchse einer Untemehmensstrategie, die auf der umfassenden Beherr­ schung aller Entwicklungsstränge eines technologischen Systems beruhten, das zu Mitte der zwanziger Jahre eine enorme Dynamik entwickelte. Das Fehlen einer wie auch immer koordinierenden Instanz verhinderte aber, daß die isoliert voneinander vorangetriebenen Projekte an ein Bezugssystem rückgekoppelt wurden, das wenigstens ein betriebswirtschaftlich fundier­ tes Maß der Entwicklung vorgegeben hätte. Sachsenberg verstand es, die241 242 243 244 245 246

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Notiz’ Junkers 21.1.25, Akte Nr. 71362 (Levetzow), S. 2f., DMM/ASD N 21 /15. Tagebucheintrag Junkers’, 24./25.4.25, NB 120, S. 9693-9697, DMM/ASD N 21/7. Blunck, S. 247; Ford, S. 255-261; Fokker/Gould, S. 335f. Aktennotiz Junkers’, 5.6.25, DMM/ASD JA 0618/3/59. Tagebucheintrag Junkers' „Donnersmarck" 14.12.24, NB 118, S. 9495, DMM/ASD N 21/7. Tagebucheintrag Junkers’ 31.7.25, NB 129, S. 10767, DMM/ASD N 21/7.

sen Effekt machtbewußt auszunutzen. Dem Verlust der technischen Füh­ rerschaft der Produkte der IFA konnte aber auch er nichts entgegensetzen. Obwohl im Laufe des Jahres 1925 noch verschiedene Gelegenheiten gesucht wurden, um Geld für Dessau zu mobilisieren, etwa durch verschiedene Kontakte zur Ruhrindustrie,247 half das nicht mehr. Am 30. September 1925 wies die Bilanz der IFA ein Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital von 1 zu 5 auf, der Wert des Lagers wurde auf das Doppelte des Eigenka­ pitals angesetzt, der ausgewiesene Verlust für 1924/25 betrug 1,4 Mio. Mark.248 Zum 1. Oktober 1925 stellte die IFA die Lohn- und Gehaltszahlun­ gen ein. Als Gotthard Sachsenberg am 3. Oktober bei Brandenburg erschien und um eine finanzielle Stützung des Konzerns bat, waren die Würfel über dessen Zukunft längst gefallen.249 Mit Rücksicht auf die Tatsache, daß Jun­ kers seit 1924 Aufträge und Beihilfen vom Verkehrsministerium erhalten hatte250 und „dauernd weitere große Geldmittel [...] erbeten werden", hatte Brandenburg schon im August 1925 die Notbremse gezogen. Gegenüber Vogt äußerte er die Absicht, eine Generalprüfung bei Junkers vornehmen zu lassen - nicht nur, um die korrekte Verwendung der Reichsmittel si­ cherzustellen, sondern vor allem auch, um „einen massgebenden Einfluß auf die Geschäftsführung der Junkers-Unternehmen zu sichern, um sie rentabel zu gestalten".251 Vogt ließ sich nicht lange um Vorschläge bitten. Sein Konzept für die Sanierung sah scharfe Schnitte vor. Zunächst, schrieb er in einem von Wurtzbacher unterzeichneten Schreiben an Hasse, sei „das Luftamt" in vollem Umfang über Fili aufzuklären, um eine Prüfung der Bü­ cher aller Junkersschen Unternehmungen zu ermöglichen. Sodann müßten zum einen das Moskauer Werk und zum anderen alle restlichen Unterneh­ men des Konzerns jeweils in einer GmbH zusammengefaßt werden, in wel­ chen die Reichswehr bzw. das Verkehrsministerium die Führung zu über-

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Zur Beziehung zwischen Junkers und Krupp s. die Schriftstücke im Archiv der Krupp Stiftung, FAH 4 E 828 sowie zum Besuch einiger Industrieller in Dessau den Redeent­ wurf Junkers', 5.8.25, NB 123, S. 10075, DMM/ASD N 21/7. Jahresrechnung zum 30.9.25,14.6.26, DMM/ASD JA 0301/10/29. Bericht zum Fall Junkers, 28.IV.34, S. 40, LA Oranienbaum, Rep. Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 162. Zuletzt hatte Junkers eine Beihilfe von 0,9 Mio. Mark erhalten, die Pfingsten 1925 nach „ultimativer Forderung" gewährt worden war, und eine weitere über 0,4 Mio. Mark, die im Juli 1925 an Junkers ging: G. Sachsenberg an Junkers, 10.10.24, DMM/ASD JA 0503/8; Appel, S. 232; s. die Ausführungen Brandenburgs auf einer Sitzung am 6. Sep­ tember 1925, BArch-MA RH 2/2291, fol. 144. Nach Abzug der getätigten Lieferungen beliefen sich die insgesamt an Junkers gegebenen Gelder am 1. Oktober 1925 auf 2,8 Mio. Mark. S. Bemerkungen zu dem Schreiben des Reichsgerichtspräsidenten vom 5. Juni..., Anlage zu Kröhne an Stresemann, 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, S. 26, s. a. BArch R 43 11/699, fol. 108. H.Wa.A. Wa.l. 650/25 an TA, 25.8.25, BArch-MA RH 2/2291, fol. 150. Junkers selbst erwartete diesen Schritt allerdings schon seit dem Frühjahr 1925, s. Tagebucheintrag, 24./25.4.25, NB 120, S. 9694, DMM/ASD N 21/7.

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nehmen habe. Ziel sei es, unrentable Betriebe abzustoßen, den Luftverkehr vom Konzern abzutrennen und die Flugzeugproduktion auf eine „wirtschaft­ lichere Bauweise" umzustellen.252 Das Truppenamt trat den Vorschlägen Vogts zwar bei, monierte jedoch den Anspruch, die technische Gestaltung der Flugzeugproduktion bei Jun­ kers verändern zu wollen: „Die Konstruktions-Elemente von Junkers bieten auf konstruktiver Basis anderen Konstruktionen gegenüber manche Vor­ teile, die nicht durch wirtschaftliche Belange in ihrer Auswertung beein­ trächtigt werden dürfen". Über die Verhältnisse im „Werk in F" seien zu­ dem nur die leitenden Personen der Abteilung Luftfahrt im RVM zu informieren, auf keinen Fall die ganze Behörde.253 Freilich war die Reichs­ wehr selbst im Zweifel, ob sie korrekte Zahlen über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Fili besäße; eine erste Prüfung hatte im Mai 1925 stattge­ funden, und es mehrten sich die Anzeichen, daß die Kommission schon damals „eingewickelt worden sei".254 Die Überlegungen Brandenburgs zur Zukunft des Junkers-Konzerns wichen nur wenig von denen Vogts ab. Auf einer gemeinsamen Sitzung mit den Chefs der Luftfahrtabteilungen von Truppen- und Waffenamt am 6. September entwickelte er anhand von Zahlen, die das RVM anläßlich der Gewährung der letzten Beihilfe im Juli 1925 erhalten hatte, das Szenario für die Übernahme des Konzerns.255 Junkers brauche bis zum Ende des Jahres 8-10 Mio. Mark, davon für den 9. Oktober 600.000 Mark, in der Woche darauf weitere 1,5 Mio. Mark. Dies sei die Chance, schloß Brandenburg, „bei Aufbringung eines ganz geringen Geldbetrages (M 600.000,-) den gan­ zen weiteren Lauf der Entwicklung in die Hand zu bekommen". Branden­ burg beschrieb auch, um welche Alternative es bei dieser Übernahme ging. Wenn Junkers an „die Banken" verwiesen werde, bestehe die Gefahr, daß der „gesamte Luftverkehr aus privater, industriell eingestellter Hand in die Hände der reinen Finanzwirtschaft übergehen" würde. Er schlug deshalb vor, an die Gewährung des Betrages für den 9. Oktober (aus laufenden Mitteln) die Übergabe der Aktien des Junkers-Luftverkehrs an das Reich zu knüpfen, für die weiter fälligen Summen einen Vorschuß auf das folgende Haushaltsjahr beim Finanzministerium zu beantragen und diese einzuset­ zen, um die Ernennung eines im Auftrag des Reichs arbeitenden Generaldi­ rektors für den gesamten Konzern zu erwirken. Die weitere Entwicklung stellte sich Brandenburg unkompliziert vor. Ein Zeitraum von drei Mona-

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H.Wa.A. Wa.l. 650/25 an TA, 25.8.25, BArch-MA RH 2/2291, fol. 150. TA 39/25 T 2 III an das H.Wa.A, 5.9.25 (von Wilberg abgezeichneter Entwurf), BArchMA RH 2/2291, fol. 154f. Protokoll einer Sitzung von Vertretern des TA (Hasse, Wilberg, Baeumker) und des Wa.A. (Senfftleben, Vogt), am 5.9.25 (nachmittags), BArch-MA RH 2/2291, fol. 143. Protokoll einer Sitzung am 6.9.25 im RVM (Brandenburg, Fisch, Mühlig-Hoffmann, Wilberg, Baeumker; Senfftleben (Stabschef H.Wa.A.) und Vogt), BArch-MA RH 2/2291, fol. 143-149. Danach das Folgende.

ten sollte genügen, um unrentable Betriebe in Dessau abzustoßen und fest­ zustellen, ob der Auftragseingang bei voll weiterlaufender Produktion aus­ reiche, um die Junkers-Werke zu tragen. Dann sei über die weiteren Schritte zu entscheiden, auch über die Zukunft des russischen Werks. Einstweilen sei es ausreichend, eine GmbH mit einem Anteilverhältnis von 2 (Reichswehr) zu 1 (Junkers) für die Übernahme des Werks in Fili zu gründen. Die Reichswehrvertreter traten, wie bereits zuvor Reichsverkehrs­ minister Kröhne, dieser Vorgehensweise bei. Die Falle schnappte zu, als Sachsenberg am 4. Oktober eine Übersicht über die finanzielle Lage der IFA bei Brandenburg einreichte, in der zwar 12,5 Mio. Mark ungedeckte Verbindlichkeiten eingeräumt, jedoch auch an­ stehende Aufträge im Wert von 40 Mio. Mark versprochen wurden.256 Die Bedingungen, die dem Konzern präsentiert wurden, wichen nur wenig von den Septemberplanungen ab. Am 7. Oktober forderte Brandenburg von Hugo Junkers ultimativ die Übergabe von 80% der Aktien der ILAG und die Gründung einer GmbH für Fili, allerdings mit einem Beteiligungsver­ hältnis von lediglich 3 zu 2 zugunsten des Reichs, beides als Gegenleistung für eine einmalige Beihilfe von 655.000 Mark. Heftig protestierend willigte Junkers am 8. Oktober ein.257 Auch die weitere Entwicklung verlief im Prinzip nach dem Plan Bran­ denburgs. Mit der Generalüberprüfung beauftragte das RVM eine der füh­ renden Persönlichkeiten der staatseigenen Rüstungsspezialindustrie, den Direktor der Vereinigten Aluminium Werke und Reichstagsabgeordneten Moritz von der Porten,258 sowie Bruno Heck, Direktor der Continental-Gas Gesellschaft in Dessau, der als Vertreter eines der größten Dessauer Unter­ nehmen bereits seit 1919 in dem völlig bedeutungslosen Aufsichtsrat der IFA und seit 1924 auch in dem der ILAG saß.259 Ihre Untersuchungen er­ brachten niederschmetternde Ergebnisse. Mitte Oktober 1925 stand fest, daß es mindestens 17,5 Mio. Mark kosten würde, allein die IFA zu sanie­ ren.260 In den daraufhin nach Vorschlägen von Heck ausgearbeiteten Ver­ trägen wurden in der Hauptsache drei Forderungen an Junkers gestellt: Er­ stens, das Aktienkapital der IFA (zu diesem Zeitpunkt immer noch 3,5 Mio. Mark) um 7 Mio. Mark in Stammaktien zu erhöhen, die vom Reich zu er-

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1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, Anlage 26. Brandenburg an Junkers, 7.10.25 und Antwort Junkers, 8.10.25, 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, Anlage 27 u. 30; Entwurf eines Schreibens Junkers an das RVM, 7.10.25, DMM/ASD JA 0301 /10/30. Zu von der Porten, der bald darauf Generaldirektor der VIAG-Holding wurde: Hansen, Reichswehr, S. 167. Zu Heck s. Hesse, Bd. 2, S. 37. Zur Zusammensetzung des Aufsichtsrates und des Vor­ standes der IFA s. die laufenden Meldungen im Handbuch der deutschen Aktiengesell­ schaften, so 1920/21, S. 1027; 1926, S. 1390 bzw. 6075. Bemerkungen zu dem Schreiben des Reichsgerichtspräsidenten vom 5. Juni ..., Anlage zu Kröhne an Stresemann, 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, S. 26-28, s. a. BArch R 43 11/699, fol. 108-111. Danach auch das Folgende. 189

werben und von Heck treuhänderisch zu verwalten seien, zweitens, die Jumo gegen den Ausgleich von Buchschulden in den Besitz der IFA über­ zuleiten, drittens, einen Lizenzvertrag zwischen Hugo Junkers und der IFA über die weitere Nutzung der auf ihn eingetragenen Patente abzuschließen. Bei Erfüllung dieser Bedingungen sei das Reich bereit, auf das dann 10,5 Mio. Mark betragende Aktienkapital die gleiche Summe als Kredit zu gewähren.261 Am 20. Oktober akzeptierten Gotthard Sachsenberg und Her­ mann Schleissig als Generalbevollmächtigte diese Bedingungen. Obwohl sich die Stimmen mehrten, die IFA angesichts der benötigen Summen in Konkurs gehen zu lassen,262 stimmte auch das Kabinett Luther am 24. Oktober 1925 den Verträgen zu. Als ausschlaggebend erwies sich das außenpolitische Argument. Die Locarno-Verhandlungen sollten nicht durch den Konkurs Junkers' und daraus resultierende Indiskretionen bela­ stet werden. Die Reichsregierung spielte auf Zeit, was in der Planung Brandenburgs schon einkalkuliert war: Die IFA solle bis zum Frühjahr 1926 weiter produzieren, erst dann sei zu entscheiden, ob sie auf den Stand eines Konstruktionsbüros zurückgestutzt werden oder in Konkurs gehen solle. Einen anderen Punkt hatte Brandenburg freilich nicht kalkuliert. Die Sum­ men, die zur Sanierung notwendig waren, ließen sich nicht durch Vor­ schüsse des Finanzministeriums decken, es war vielmehr notwendig, den Haushaltsausschuß des Reichstags zur Gewährung eines Nachtragshaus­ halts einzuschalten, der die erforderlichen Mittel freilich bewilligte. Am 15. Dezember 1925 fand die Generalversammlung der IFA statt, auf der die Kapitalerhöhung beschlossen und das neue organisatorische Gerüst des Unternehmens festgelegt wurde. Im neuen Aufsichtsrat der IFA verblieb als Vertrauensmann Junkers' nur noch der Reichstagsabgeordnete der DVP für Magdeburg, Kuhlenkampff, neben Hugo Junkers selbst. Hinzu traten Vertreter des Reichs, unter anderen der ehemalige Reichsfinanzmini­ ster Schlieben. Ähnlich reibungslos verlief die weitere Abwicklung der Luftverkehrsfrage. Kaum daß die Aktien der ILAG bei der Reichsbank hinterlegt waren, begannen die Vorbereitungen zur Gründung einer Ein­ heitsgesellschaft. Auf einer Generalversammlung der ILAG ließ das RVM am 14. November 1925 die Fusion mit der DAL beschließen. Die Absicht Brandenburgs, aus den beiden Gesellschaften eine „Aero-Union" als alleini­ gen zukünftigen Empfänger von Subventionen unter Beteiligung des Rei­ ches zu bilden, traf zwar auf haushaltsrechtlich begründete Widerstände des Finanzministeriums,263 dennoch stellten beide Gesellschaften ihren 261 262 263

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Der Text des Hauptvertrages findet sich im 1. Schriftsatz Junkers, 12.1.26, BArch-MA RH 8 1/3683, Anlagen 26-35. Vgl. Groehler/Erfurth, S. 40f. S. hierzu den der Reichskanzlei übersandten Schriftwechsel zwischen RVM und RFinM in BArch R 43 11/699, fol. 2-11. Die Weigerung des Finanzministeriums, einem Nach­ tragshaushalt zuzustimmen, der aus technischen Gründen auch dann notwendig war, wenn die ILAG-Aktien als Einnahme und Ausgabe des RVM verbucht wurden, führte schließlich zu der sehr undurchsichtigen Finanzkonstruktion der Luft-Hansa, wobei ein

Luftverkehr zum ersten Weihnachtstag 1925 ein, um am 6. Januar 1926 als Deutsche Luft-Hansa AG zurückzukehren.264 Mit der Gründung der LuftHansa zerfiel das Luftverkehrsimperium Junkers'. Die neue Gesellschaft übernahm Anlagen, Flugzeuge, Beteiligungen und das Personal ihrer Vor­ gänger sowie als technischen Direktor das ehemalige Vorstandsmitglied der ILAG, Erhard Milch.265 Während Junkers sich zunächst in die Entwicklung fügte, drängte Sachsenberg auf Widerstand. Bereits am dem Tag, als Junkers die ILAGAktien abtrat, konterte Sachsenberg die Ankündigung Brandenburgs, das RVM beabsichtige eine „Einmischung [...] in die Geschäftsführung der JunkersFlugzeugwerke", mit der Forderung, das Reich schulde der Firma Junkers 12 Mio. Mark.266 Damit war bereits die Argumentation zur Abwehr der Sanie­ rungsaktion des RVM vorgegeben. Mit den 12 Mio. war jener Betrag ge­ meint, den Junkers im Mai 1924 aufnehmen sollte, als das Reichswehrmini­ sterium anläßlich der letzten Stützungsaktion des Werks in Fili seinen Beitrag auf 8 Mio. Mark Beihilfe aufgerundet hatte. Rein zufällig stimmte die Summe in etwa mit dem überein, was die IFA bei ihrer Übernahme selbst als Verlust auswies. So abstrus die Behauptung war, die Schulden der IFA seien darauf zurückzuführen, daß das Unternehmen jene Summe habe aufnehmen müssen, eröffnete diese Argumentation die letzte taktische Chance, der dauernden Verstaatlichung der Junkersschen Unternehmen doch noch zu entgehen. Der Vorstoß Sachsenbergs war freilich eine ver­ steckte Drohung, das 1922 begonnene Rüstungsuntemehmen öffentlich zu ma­ chen. Der Zeitpunkt für diese Drohung war gut gewählt. Die Luftfahrtver­ handlungen in Paris traten in ihre entscheidende Phase, die Gründung der Luft-Hansa und die Sanierung der IFA hatten schon wegen der Geldsummen, die im Spiel waren, ein großes Echo gefunden. Die Reichswehr ließ sich zwar, wie auch schon im Vorjahr, nicht zu einem Schiedsgericht bewegen.267 Um aber

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Kernstück wohl war, daß die Deutsche Bank als Hauptanteilseigner der alten DAL sämtliche Aktien (25 Mio. Mark) der neuen Gesellschaft übernahm, diese an interes­ sierte Kreise veräußerte, vor allem aber dazu benutzte, die Anlagen der ILAG und der DAL zu kaufen, welche diese Aktien wiederum dazu benutzten, ihre Passiven abzu­ gelten. Die in der Reichsbank hinterlegten ILAG-Aktien blieben bei dieser Geldschöp­ fung unberührt (Max Maaß, S. 46f.). Appel, S. 248f. Die Gründung vom 6.1.26 war zunächst nur als Provisorium zum orga­ nisatorischen Abgleich der beiden Gesellschaften gedacht; die konstituierende Gene­ ralversammlung fand dann auch erst im Juni 1926 statt bei einer gleichzeitigen Erhö­ hung des Kapitals von 50.000 auf 25 Mio Mark, s. Heimann, S. 90-92. Zur Beteiligung der Deutschen Bank an der Gründung der Luft-Hansa: James, Frühge­ schichte, S. 7ff.; Feldman, Deutsche Bank, S. 246f.; James, Deutsche Bank, S. 358; Irving, Tragödie, S. 39f. „Bericht zum Fall Junkers", 28.IV.34, S. 43f., LA Oranienbaum, Rep. Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 162; Notiz (vermutlich v. G. Sachsenberg), o.D. (von Junkers am 7.11.25 er­ halten), DMM/ASD JA 0618/3/73. S. Entwicklung der Beziehungen zwischen Junkers und dem Reich: ADAP, Ser. B, Bd. 11,2, Anhang I, S. 507.

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zu verhindern, daß die Vorgänge in Fili einem „unbefugten Kreis" bekannt wurden, bat Hasse den Präsidenten des Reichsgerichts und ehemaligen Au­ ßenminister Walter Simons um eine Stellungnahme. Sachsenberg gab sich da­ mit zufrieden. Beide Lager begannen fieberhaft mit der Zusammenstellung von Dokumenten, die Simons als Schriftsätze im Januar 1926 überreicht wurden. Die Argumentationslinien, die die Reichswehr und Junkers/Sachsenberg schließlich gegeneinanderstellten, waren verhältnismäßig einfach. Der erste Schriftsatz Junkers7 behauptete, daß die Reichswehr im November 1921 eine Übernahme des gesamten geschäftlichen Risikos in Sowjetruß­ land garantiert habe; die Wa.l. Volkmanns, die die Angelegenheit für die Reichswehr bearbeitete, bestritt dagegen jede derartige Verpflichtung und ließ durchblicken, Junkers habe die für Fili gegebenen Gelder in andere Projekte umgelenkt. Junkers stand den Winkelzügen Sachsenbergs freilich eher mit Unverständnis gegenüber: „Es ist mir noch nicht ganz klar, wie es erreicht werden soll, dass die Missetaten des Verkehrsministeriums wieder gut gemacht werden sollen. Durch das Schiedsgericht, wenn nur das Wehr­ ministerium unter Anklage steht."268 Die Vorgänge vom Oktober führten nur dazu, daß er sich noch mehr an die eigenwirtschaftliche Forschung klammerte und danach auch den Schriftsatz formuliert wissen wollte: Es müsse „klar zum Ausdruck kommen, daß es sich um ein Unternehmen handelt, welches auch wirtschaftlich durch und durch gesund ist und daß an dieser Tatsache nichts ändert, wenn hier und da einige Unvollkommen­ heiten sich zeigen sollten".269 Dem neuen Aufsichtsrat erklärte er: „Nach­ dem Sie, meine Herren, durch Uebernahme des Amts eines Aufsichts­ ratsmitgliedes die Verpflichtung übernommen haben, für das Gedeihen der Ifa zu sorgen, gebe ich der Erwartung Ausdruck [...], daß sie selbst zu der Erkenntnis gelangen werden, daß das Werk seine großen Aufgaben, die Luftfahrt zu fördern und dadurch zum Wiederaufbau des Reiches in wirk­ samer Weise beizutragen am besten erfüllen kann, wenn der frühere Zu­ stand der Selbständigkeit und Unabhängigkeit wiederhergestellt wird".270 Die IFA arbeitete unterdessen mit allmählich verringerter Kapazität weiter. Beschäftigte sie Ende 1925 zusammen mit der Jumo 4300 Arbeiter und Angestellte, so waren es im April 1926 immerhin noch 3000.271 Neue Aufträge, die die Junkers-Vertreter auf mindestens 21 Großflugzeuge des Typs G24 und 30 F133 veranschlagt hatten, gingen freilich nicht ein.272 Das

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Aktennotiz Junkers', 26./27.12.25, „Schiedsgericht", S. 2, DMM/ASD N 21/15. Ebd., S. 1. Aktennotiz (Redeentwurf) Junkers', 15.12.25, „Umwandlung Ifa", S. 3, DMM/ASD N 21/15. Aktennotiz betr. Junkerswerke, 1.5.26, BArch R 43 11/699, fol. 38f. Andernorts wurde die Zahl mit 3500 angegeben, s. Aufzeichnung des Legationsrats Lütgens, 4.5.26, ADAP, Ser. B, Bd. 11,1, Dok. 188, S. 445. Notiz (vermutlich v. G. Sachsenberg), o.D. (von Junkers am 7.11.25 erhalten), DMM/ASD JA 0618/3/73; Denkschrift zur Klärung der Lage zwischen den JunkersWerken und dem Reich, 1.5.26, DMM/ASD N 21/19, S. 3.

lag an dem Eindruck der Sanierungsaktion im Ausland,273 aber auch an der zeitweiligen Verengung des Binnenmarktes für Flugzeuge, der durch die Luft-Hansa eintrat. Die Gründung der Luft-Hansa bereinigte zwar das deutsche Flugnetz um solche Linien, die von DAL und ILAG parallel beflo­ gen worden waren, schuf aber auch einen Überhang an Flugzeugen.274 Das Hauptbüro Junkers' konnte in einer Denkschrift, in der die Entwicklung seit der Verstaatlichung resümiert wurde, darauf verweisen, daß sich die Ertragslage im Vergleich zur Situation im Oktober 1925 noch verschlechtert hatte.275 Im Januar 1926 offenbarten sich freilich weitere finanzielle Ver­ pflichtungen der IFA, die vor allem aus den Werken in Rußland und der Türkei resultierten,276 so daß das Reichsverkehrsministerium zusätzlich zu den bereits festgelegten Mitteln nochmals 2,65 Mio. Mark aus seinem Etat zur Verfügung stellen mußte. Dadurch erreichte die Summe der Mittel, die Junkers seit 1922 von verschiedenen Reichsbehörden erhalten hatte, die Marke von 30 Mio. Mark - ein Betrag, von dem Brandenburg später be­ hauptete, man hätte dafür während der Inflation „halb Deutschland" kau­ fen können. Anfang 1926 stand fest, daß die IFA, wenn sie nicht in Konkurs ging, mindestens drastisch verkleinert werden müßte.277 Die Optionen des RVM waren freilich alle mit weiteren Ausgaben ver­ bunden. Inakzeptabel war die von Hugo Junkers geforderte ungeschmä­ lerte Weiterführung, die nochmals mit 17,3 Mio. Mark zu Buche geschlagen hätte.278 Den Abbau auf einen Zustand, der die Erledigung laufender Auf­ träge und die Entwicklung neuer Typen ermöglicht hätte, bezifferte das RVM mit 8,25 Mio. Mark, von denen 5,3 Mio. als Ausfallgarantien für unsi­ chere Zahlungen aus den Werken im Ausland angesetzt wurden, die auch bei einer gänzlichen Stillegung des Werkes ohne Konkurs angefallen wä­ ren. Die Liquidation der IFA schließlich erschien mit 2,9 Mio. vordergrün­ dig als die günstigste Lösung, hätte jedoch den Verlust aller bis dahin an Junkers gegebenen Geldbeträge nach sich gezogen.279 Die Entscheidung fällte schließlich die Reichsregierung. Das Kabinett verwarf auf seiner Sit­ zung am 5. Mai 1926 den vom Finanzministerium (und seinem ehemaligen Chef im Aufsichtsrat der IFA) beantragten Konkurs und sanktionierte den

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Dazu die Aktennotizen Junkers', 26./27. u. 31.12.25, „Schiedsgericht S.Gr.", DMM/ASD N 21/15. Zu den doppelt beflogenen Linien s. Max Maaß, S. 43f.; Wagner, Junkers, S. 210. Denkschrift zur Klärung der Lage zwischen den Junkers-Werken und dem Reich, 1.5.26, DMM/ASD N 21/19. Anlage C zu Kröhne an Stresemann, 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, S. 30-32. Aktennotiz über eine Besprechung bei We(hrministerium) über die Frage der JunkersStützung, 1.4.26, BArch-MA RH 2/2291. Junkers an v. Schlieben, 14.1.26, DMM/ASD JA 0301/12/10. Abschrift einer Vorlage RVM Kröhne an den Reichskanzler 3.5.26, BArch-MA RH 2/1130, fol. 154f., in Auszügen wiedergegeben in: Kabinettssitzung, 5.5.26, AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 355, S. 1337 Fn 3; Aktennotiz betr. Junkerswerke, 1.5.26, BArch R 43 11/699, fol. 38f.

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drastischen Abbau der Werke entsprechend der Vorschläge des Reichsver­ kehrsministeriums. Im Mai begannen die Entlassungen, im Juni zählte die IFA nur noch 650 Beschäftigte. Um das verkleinerte Werk weiterhin zu stützen, faßte das Kabinett gleichzeitig den Beschluß, den Reichstag um die Bewilligung eines weiteren Kredits außerhalb der laufenden Haushalts­ mittel anzugehen.280 Das Kabinett Luther konnte die radikale Verkleinerung der IFA wagen, da mit dem Abschluß der Luftfahrtverhandlungen in Paris die Veröffentli­ chungsdrohung stumpf wurde. Noch Ende April 1926 richtete der Vertreter Junkers im Aufsichtsrat der IFA, Kuhlenkampff, einen Brief an Strese­ mann, in dem er unverhohlen mit einem Prozeßantrag Junkers7 und der Veröffentlichung der Vorgänge um Fili drohte.281 Der mit dem Schiedsge­ richt beauftragte Reichsgerichtspräsident Simons schrieb fast gleichzeitig seinem Nachfolger, die Entlassung vieler Mitarbeiter der Werke würde so­ gar gegen den Willen Hugo Junkers7 Dinge ans Tageslicht bringen, die im Interesse des Reichs geheim bleiben sollten.282 Als Simons jedoch wenige Wochen später seinen Vorschlag zur Rettung „der großen ideellen und or­ ganisatorischen Werte, die in dem einzigartigen Organismus des Junkers­ sehen Unternehmens enthalten sind77, einreichte, wies er zwar erneut auf die politischen Folgen hin, die ein öffentlicher Prozeß mit sich bringen würde, gab allerdings zu, dieser sei „jetzt nicht mehr so gefährlich77.283 Simons7 Vermittlungsvorschlag unterstützte nachdrücklich die Positi­ on Junkers . Da das russische Abenteuer der Ausgangspunkt der ganzen „unglücklichen Entwicklung77 gewesen sei, schlug Simons — dessen Schwie­ gersohn 1920 als Ingenieur bei Junkers angestellt gewesen war284 - vor, das Reich solle auf die seit 1921 gewährten Beträge und die Beteiligungen an der ILAG und der IFA ersatzlos verzichten sowie Junkers einen Kredit für die Fortführung seiner Unternehmen gewähren. „Das ist die Höhe77 notierte Volkmann am Rand seiner Kopie.285 Fast gleichzeitig legten die Reichswehr und das RVM die Bilanz des Junkers-Werks in Fili vor, die eine Ahnung

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Kabinettssitzung, 5.5.26, AdR, Luther I u. II, Bd. 2, Dok. 355, S. 1337. Bemerkungen zu dem Schreiben des Reichsgerichtspräsidenten vom 5. Juni ..., Anlage zu Kröhne an Stresemann, 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, S. 30, s.a. BArch R 43 11/699, fol. 110. Kuhlenkampff an Stresemann, 24.4.26, ADAP, Ser. B, Bd. 11,1, Dok. 172. Kuhlenkampff an Luther, 1.5.26, Aktennotiz betr. Junkerswerke, 1.5.26, BArch R 43 11/699, fol. 39; Ab­ schrift einer Aktennotiz Brandenburgs o.D. (23.4.26), BArch-MA RH 8 1/3585 fol. 68f. S. a. Tagebucheintrag Junkers’, 17.4.26, NB 132, S. 11114, DMM/ASD N 21/7. Simons an Stresemann, 23.4.26, ADAP, Ser. B, Bd. 11,1, Dok. 165. Anlage A zu Kröhne an Stresemann, 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, S. 22; die Reichswehr hatte Simons nach seinem Schreiben an Stresemann freilich wegen unzu­ lässiger Parteinahme von seiner Vermittlerrolle entbunden, Abschrift eines Schreibens Wetzells (Chef TA) an Simons, 15.5.26, BArch-MA RH 8 1/3685, fol. 49f. Seitz (Büro Berlin) an Junkers, 24.9.20, DMM/ASD JA 0301/4/14. Gedruckt als Anlage A zu Kröhne an Stresemann, 15.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 9, s. a. Abschrift des Schreibens Simons an Marx, 5.6.26, BArch-MA RH 8 1/3685, fol. 24.

von der tatsächlichen Verwendung der Reichszuschüsse vermittelte. Das gab den Ausschlag. Die Reichsregierung hatte nun gute Gründe und konnte es sich politisch leisten, den Schiedsspruch des Reichsgerichtspräsidenten als „nicht vorhanden anzusehen". In seiner Sitzung am 28. Juni verwies es Junkers auf den ordentlichen Rechtsweg.286 Damit waren die Angriffe Junkers7 und Sachsenbergs auf die Verstaat­ lichung der IFA abgewehrt. Die aus politischer Sicht gravierenden Ver­ wicklungen, die sich nun anschlossen, die erneut aufflammenden Bedenken des Auswärtigen Amtes über eine mögliche Erpressung, diesmal von so­ wjetischer Seite,287 Artikel im „Manchester Guardian" und im „Vorwärts" sowie die Reichstagsrede Philipp Scheidemanns288, spielten für die wirt­ schaftliche Entwicklung der IFA nur noch in zweiter Linie eine Rolle. Es erwies sich jedoch, daß sich das Reichsverkehrsministerium mit dem An­ spruch, ein Flugzeuguntemehmen als Staatsbetrieb führen zu können, ver­ schätzt hatte. Das organisatorische Chaos innerhalb der IFA besaß ein Be­ harrungsvermögen, dem sich der neue Vorstand nicht gewachsen zeigte.289 Zudem gingen selbst für die verkleinerte IFA nicht genügend Aufträge ein, obwohl schon Anfang 1926 eine Vertriebsabteilung als „Ersatz" für die ILAG gegründet worden war. Die IFA baute Flugzeuge für das Verkehrs­ ministerium und produzierte sonst auf Vorrat. In mancher Hinsicht löste sich ein, was Junkers im April 1926 dem Finanzausschuß der IFA prophe­ zeit hatte: „Wenn Sie noch 100 Millionen zur freien Verfügung hineinstekken, so wird das Werk doch zu Grunde gehen bei der jetzigen Verfas­ sung".290 Im Herbst 1926 stellte sich erneut die Frage, wie die Zukunft der ver­ staatlichten IFA gestaltet werden sollte. Da das Unternehmen das RVM monatlich 1 Mio. Mark an Zuschüssen koste, erklärte Kröhne gegenüber Stresemann, strebe sein Ministerium mit allem Nachdruck die Veräußerung der Reichsbeteiligung an.291 Nun aber erwies sich die Halsstarrigkeit Jun­ kers7 als ausschlaggebend. Nach der Ablehnung des Vermittlungsvorschla­ ges von Simons wurde bei Junkers erwogen, die IFA der „Reichsinvasion" zu überlassen und mit dem Werk in Schweden eigene Wege zu gehen.292 Da Junkers somit aus einer gewissen Position der Stärke heraus verhandeln

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Ministerbesprechung, 25.6.26, AdR, Marx III und IV, Bd. 1, Dok. 38, S. 92. Das AA be­ fürwortete zunächst die Annahme des Vergleichsvorschlags Simons’, ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 20, S. 50. S. ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 48, 52-59, 76, 79, 91. S. ADAP Ser. B, Bd. 11,2 Dok. 150, 155, 158, 160 und Anhang II. AdR, Marx III und IV, Bd. 1, Dok. 157-161. Denkschrift zur Klärung der Lage zwischen den Junkers-Werken und dem Reich, 1.5.26, DMM/ASD N 21/19, S. 3. Tagebucheintrag Junkers’, 17.4.26, NB 132, S. 11114, DMM/ASD N 21/7. Kröhne an Stresemann, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 161. Aktennotiz (vermutlich von G. Sachsenberg), Zur Lage am 9. Juli (1926), o.D., DMM/ ASD JA 0301/12/78.

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konnte, weigerte er sich schlicht, mit Heck, dessen Gas-Continental-Gesell­ schaft das RVM die Aktien anbieten wollte, zusammenzuarbeiten.293 Zwar durchdachte das Verkehrsministerium daraufhin erstmals ernsthaft einen Konkurs, doch mußte dieser Gedanke verworfen werden. Eine Liquidation der IFA hätte Produktionsanlagen auf den Markt gebracht, die nur für den Flugzeugbau zu nutzen waren und selbst dann nur mit den auf Hugo Jun­ kers eingetragenen Patenten. Der Markenname Junkers wäre verfallen. Vor allem aber hätten die Schadensersatzansprüche fortgewirkt, mit freilich nicht mehr so gravierenden politischen, aber finanziellen Lasten für das Reich.294 Hier spielten nun nicht nur die betroffenen Reichsministerien, sondern auch der Haushaltsausschuß des Reichstages nicht mehr mit. Bereits im Juni 1926 forderte der Haushaltsausschuß als Grundlage weiterer Kredite für die IFA eine rückhaltlose Aufklärung über das russi­ sche Unternehmen, was die Reichsregierung jedoch kategorisch ablehnte.295 Junkers, der durch Kuhlenkampff, der selbst Mitglied im Ausschuß war, über diesen Konflikt informiert wurde, entwarf eine Denkschrift, die den Mitgliedern des Haushaltsausschusses zugeleitet wurde. In ihr wurden die Vorgänge, wenngleich ohne Nennung der Reichswehr, so detailliert darge­ stellt, daß der Text auch für Außenstehende ohne Mühe zu entschlüsseln war.296 Im August 1926 sahen sich daher das RVM und die Reichswehr ge­ zwungen, wenigstens dem Berichterstatter des Haushaltausschusses, Rein­ hold Quaatz (DNVP), die nötigen Informationen zu geben.297 Obwohl er sich deshalb später einen Bestechungsvorwurf einhandelte,298 bot Quaatz seine Vermittlung an und präsentierte nach langwierigen Verhandlungen mit Brandenburg im Dezember 1926 einen Vorschlag, der im Prinzip auf 293

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Aufzeichnung des Ministerialrats Fisch über eine Besprechung am 11.12.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 166. S. a. Ministerbesprechung vom 13’.12.26, AdR, Marx III und IV, Bd. 1, Dok. 152, S. 444f. Aufzeichnung des Ministerialdirektors Haas, AA, 15.12.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 169. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 25.6.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 21. Denkschrift zum Fall Reichsfiskus-Junkers, 25.6.26, DMM/ASD N 21/19. Eine zweite Fassung der Denkschrift gab angeblich die Vorgänge mit Klarnamen wider, was 1933/34 dazu diente, den Hochverratsvorwurf gegen Junkers zu begründen, s. Bericht zum Fall Junkers, 28.IV.34, S. 58ff., LA Oranienbaum, Rep. Oberstaatsanwalt Dessau Nr. 162. Zum Empfängerkreis s. a. Aufzeichnung Dirksens, 7.8.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 76. Aufzeichnung Dirksens über eine Besprechung im RVM am 18.8.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 91. Quaatz, einer der Abgeordneten der DNVP mit jüdischer Herkunft und Intimus des späteren Reichsverkehrsministers Treviranus, wurde von dem rechtsradikalen Schrift­ steller Heinrich von Gleichen-Russwurm bei zwei Gelegenheiten (Dezember 1926/ Januar 1927) beschuldigt, von Junkers Geld angenommen zu haben, s. RVM Koch an Reichskanzlei, 31.10.27, BArch R 43 11/699, fol. 202-204 sowie die Klageschriften und Prozeßprotokolle in DMM/ASD N 21/1; die im Bundesarchiv aufbewahrten Tagebü­ cher Quaatz' (für den Fall Junkers freilich unergiebig) sind in Auszügen veröffentlicht bei: Weiss, passim. Zum Schicksal Quaatz' im „III. Reich" s. M.d.R., Nr. 1028.

ii den Schiedsspruch Simons' zurückgriff und nun allerdings von allen Reichsministerien getragen wurde.299 Am 18. Dezember 1926, fast genau ein Jahr nach der Übernahme der IFA, ging das Reichskabinett auf das Quaatzsche Vermittlungsangebot ein. Demnach erloschen die Verträge vom Okto­ ber 1925, das Reich übertrug Junkers die Aktien der IFA, die durch die Ka­ pitalerhöhung angefallen waren (7 Mio. Mark), und verzichtete auf die Rückzahlung der Darlehen und Vorschüsse, die auf 26,45 Mio. Mark ohne Zinsen veranschlagt wurden. Dafür übergab Junkers dem Reich seine rest­ lichen ILAG-Aktien (nom. 0,4 Mio. Mark), Flugzeuge im Wert von 2,7 Mio. Mark sowie eine Million Mark in bar und verpflichtete sich zur entschädi­ gungslosen Fertigstellung aller auf Rechnung des RVM laufenden Aufträge und zu Abfindungen für die von Reich bestellten Mitglieder des IFAVorstands.300 Während damit für die Reichsstellen ein endgültiger Schlußstrich un­ ter das seit 1921 betriebene Rüstungsunternehmen bei Moskau gezogen war, trat dies für Junkers erst einige Monate später ein. Junkers nahm schon im August 1926 durch Levetzow Kontakt zum Chef der Danat-Bank, Jakob Goldschmidt, auf, der es ihm ermöglichte, die im Vergleich vorgese­ henen Barleistungen zu erbringen.301 Da jedoch auch die Ansprüche der Reichswehr und des Auswärtigen Amtes auf die Unternehmen in der So­ wjetunion und in der Türkei erloschen, konnte Junkers nun das Werk in Fili verkaufen und das vom Auswärtigen Amt bereitgestellte Geld aus der Tür­ kei abziehen. Dadurch flössen im März 1927 weitere acht Millionen Mark (sechs davon aus dem Verkauf von Fili) auf die Konten der IFA, was die Fi­ nanzierung der Flugzeugproduktion sicherte und die geplante Beteiligung der Danat gegenstandslos werden ließ.302 Bei den folgenden Aktivitäten, auch jenen im Rüstungssektor, konnte Junkers freilich zunächst nicht mehr mit dem Reichswehrministerium als potentiellem Abnehmer rechnen. Nach der Rückgabe des Dessauer Werks entschied die Reichswehr, jeden Kontakt zu der Firma aufzugeben und statt dessen auf einen erneuten Bankrott zu warten. Junkers erhielt zwar auch 1927 Aufträge des Reichsverkehrsmini­ steriums, verschwand aber aus den Rüstungsplanungen der Reichswehr: „Vom Rw.Min. wird Verbindung mit Junkers in keiner Weise gesucht."303

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Zu den Verhandlungen Quaatz' mit Brandenburg s. Auszug aus den Sitzungen des Ausschusses für den Reichshaushalt, 9./10.2.27, S. 3-9, DMM/ASD N 21/1. S. Kröhne an Junkers, 20.12.26, ADAP Ser. B, Bd. 11,2, Dok. 177 und Kabinettssitzung, 18.12.26, AdR, Marx III und IV, Bd. 1, Dok. 162. Aktennotiz G. Sachsenberg, 4.10.27, DMM/ASD JA 0302/7/45. Zu Junkers und Goldschmidt s. den Briefwechsel zwischen Donnersmarck und Levetzow in BArch-MA N 239/65 und 81. Levetzow an Donnersmarck, 8.3.27, BArch-MA N 239/81, fol. 289. Protokoll e. gemeinsamen Sitzung v. Vertretern d. Verkehrsministeriums, des Truppenund Waffenamtes sowie der Marine, 12.12.27, BArch-MA RH 8 1/3672, fol. 71 f. (im Ori­ ginal gesperrt). 197



B. Die Formierung des Luftrüstungskartells

Die Sanierung der IFA und die Abtrennung der ILAG vom JunkersKonzern sind im Zusammenhang mit den Folgen der Inflation in der deut­ schen Industrie zu verstehen. Die IFA geriet in eine Krise, als durch das Steigen der Lohnkosten in der Flugzeugherstellung der Spielraum zur Finanzierung der vielfältigen Aktivitäten des Konzerns rasch enger wurde und eine Konsoli­ dierung nicht stattfand.304 Junkers fiel freilich besonders tief, da sich in seinem Fall die Folgen der Inflation mit einer Absatzkrise potenzierten, die sich aus ökonomischen und technischen Fehlentscheidungen und der mangelnden Ein­ sicht ableitete, daß auch der Markt für Flugzeuge an die Grenzen seines Wachstums geriet. Das Unternehmen brach ein, als die Erstausstattung der di­ versen Luftverkehrsgesellschaften komplett war und neue Fluglinien und Märkte nur noch unter erheblichem finanziellen und politischen Aufwand er­ schlossen werden konnten, während um die mageren Ersatzbeschaffungen des nach seiner technischen Auslegung extrem langlebigen neuen Flugzeugs ein heilloser Konkurrenzkampf entbrannte. Es ist kaum zu klären, welches Ziel Brandenburg vor Augen hatte hatte,z als er davon sprach, „alles in die Hand zu bekommen". Seine Attacke stand gewiß im Zusammenhang mit dem Beginn einer „spezifizierten, direkten Subventionierung einzelner Branchen" nach dem Währungsschnitt.305 Es ging aber auch darum, einen Unternehmer zu binden, der peinlich darum bemüht war, jegliche Bindungen an staatliche Vorgaben, wissenschaftliche und wirtschaftliche Verbandsstrukturen zu vermeiden. Da Junkers seine Forschung eben nicht an die staatlich gestützten Einrichtungen delegierte, da er nicht darauf vertraute, daß die Außenpolitik des Reiches ihm Absatz­ felder eröffne sondern durch Gotthard Sachsenberg seine Absatzpolitik als Vorreiterin der Außenpolitik betrieb, war er ein Unsicherheitsfaktor für die zivile wie militärische Luftfahrtpolitik. Insoweit war die Übernahme zu­ nächst einmal Selbstzweck. Außer der Majorisierung des Unternehmens und der Abwehr der Banken hatte Brandenburg im Oktober 1925 noch kei­ ne konkreten Ziele. Dieser Mangel jedoch war ausschlaggebend dafür, daß das ganze Unternehmen in einem finanziellen Desaster endete, das die Junkers-Sanierung in die Reihe der großen Subventionsskandale der Wei­ marer Republik stellte.306 Brandenburg sah sich mit der Erkenntnis konfrontiert, daß die Inter­ vention dem Reichsverkehrsministerium über den Kopf wuchs. Das wan­ kelmütige Auswärtige Amt, dessen Vertreter nicht so recht wußten, ob die Veröffentlichung von Fili nun politisch bedenklich oder tragbar war, das Finanzministerium, das ohne Unterlaß den Konkurs von Junkers forderte, und der Haushaltsausschuß des Reichstags, der mit vollem Recht schließlich

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Feldman, Disorder, S. 843f. Petzina, Staatliche Ausgaben, S. 74. Ebd., S. 86ff.

die Initiative übernahm, sorgten dafür, daß das Ergebnis eine paradigmati­ sche Erfahrung der Luftfahrtpolitiker im Reichsverkehrsministerium und in der Reichswehr war. Die Junkers-Sanierung stellte sie vor die Aufgabe, die informellen Interessenskoalitionen institutionell zu verankern, die gemein­ samen Ziele der Luftfahrtpolitik festzuschreiben und vor allem eine ent­ sprechende Auswahl der Instrumente zu treffen, die zur Durchsetzung die­ ser Ziele zu benutzen waren. Zumindest mußte die Zahl der Akteure bei künftigen industriepoliti­ schen Aktionen möglichst gering gehalten werden, um eine kalkulierbare Ziel-Mittel-Relation zu schaffen. Das aber bedeutete, die Entscheidungsge­ walt möglichst unterhalb der Ebene des Reichskabinetts anzusiedeln, vor allem aber, das Eskalationsniveau wenigstens finanziell so niedrig zu hal­ ten, daß das Parlament haushaltsrechtlich ausgespart blieb. Es mußte mög­ lich sein, die Regelung der staatlichen Interessen im Rahmen der Stäbe aus RVM, Reichswehr und Reichsmarine zu vollziehen, nur in Ausnahmefällen andere Reichsministerien zu bemühen und das Parlament überhaupt nicht. Die Ankündigung des Reichswehrministers Geßler auf der Kabinettssit­ zung vom 29. November 1926, das Kabinett zukünftig über alle illegalen Rüstungsvorbereitungen umfassend zu informieren, um im Gegenzug eine reibungslose Aufnahme dieser Vorbereitungen in den Haushalt zu errei­ chen, resultierte somit auch aus der Erfahrung der Junkers-Sanierung.307 Die zweite Sanierung des Jahres 1926 verlief daher schon wesentlich weniger aufsehenerregend. Der Udet-Flugzeugbau hatte versucht, von der Konstruktion eines viermotorigen Großflugzeugs begonnen. Wegen dieser Wende in der Firmenpolitik schied Ernst Udet aus der nach ihm benannten Firma aus. Die weitere Entwicklung gab ihm recht. Während der UdetFlamingo weiterhin der Marktführer für Schulflugzeuge blieb, übernahm sich das Unternehmen mit dem „Kondor" getauften viermotorigen Flug­ zeug. Nach den „Begriffsbestimmungen" ausgelegt und daher deutlich untermotorisiert, erwies sich das Flugzeug als ein derartiger Fehlschlag,308 daß das Reichsverkehrsministerium auch hier mit einem Sanierungspro­ gramm eingreifen mußte. Der Udet-Flugzeugbau fusionierte mit den klei­ neren Bayerischen Flugzeugwerken (BFW), die die Anlagen der Firma Rumpler in Augsburg nutzten, und nahm gleichzeitig das Büro des relativ unbekannten Bamberger Ingenieurs Willy Messerschmitt herein. Am Ende entstand so das einzige Flugzeugunternehmen mit regionalem Zuschnitt, eine Art bayerischer Flugzeugtrust. Am Stammkapital der neuen BFW (1,4 Mio Mark) waren das Reich mit 250.000 Mark, der Freistaat Bayern mit 100.000 Mark und die Privatbank Merck, Finck & Co mit ebenfalls 250.000 Mark beteiligt. Den Vorsitz des Aufsichtsrates übernahm der Direktor der 307 308

Deist, Aufrüstung, S. 296. Trans-Europa-Union an ILAG, 29.10.25, DMM/ASD JA 0501/1/26; Wagner, Luftver­ kehr, S. 267ff.

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BMW, Popp, während Willy Messerschmitt die technische und Fritz Hille die kaufmännische Leitung erhielt. Hille war bereits während der „Reichszeit" in den Vorstand der IFA delegiert worden.309 Modellartig wurde der verdeckte Staatseingriff aber Anfang 1927 durchgeführt, als sich Schwierigkeiten bei der Firma Rohrbach ergaben. Hier agierte auf staatlicher Seite erstmals jene Gruppe von Akteuren, die in der Folge die Industriepolitik im Luftfahrtbereich tragen sollte, die Abtei­ lung Luftfahrt im Reichsverkehrsministerium, die Wa.l. des Heereswaffenamtes, die Gruppe Student aus der Inspektion für Waffen und Gerät, die TA (L) des Truppenamtes und schließlich die Marine. In mancher Hinsicht ähnelte die Situation Rohrbachs der von Junkers. Nach dem ersten Kredit 1924 hatte er im folgenden Jahr weitere 500.000 Mark erhalten, um den Aufbau seiner Firma in Berlin abzuschließen, was gleichzeitig die Bedin­ gung für die ersten größeren Aufträge deutscher Stellen war, die im Januar 1926 (drei Großverkehrsflugzeuge für die Luft-Hansa) und Juni (zwei Flug­ boote für Zwecke der Marine) eingingen. Es erwies sich jedoch, daß die Angebote, die Rohrbach abgegeben hatte, angesichts der Lieferbedingun­ gen der Luft-Hansa zu niedrig angesetzt waren. Im April 1926 erhielt Rohrbach daher ein weiteres Darlehen über 580.000 Mark aus dem Indu­ strietitel des Verkehrsministeriums. Als er sich jedoch im August 1926 er­ neut um einen Kredit bemühte,310 geriet er an eine Stelle, die das Heereswaffenamt unterdessen eingesetzt hatte, um die Gelder für die geheimen Industriebeziehungen zu verwalten, die Stahl- und Maschinenbau GmbH (Stamag). Die Stamag als Institution war an sich nicht ungewöhnlich für die ge­ heime Rüstung der Reichswehr. Junkers hatte bereits 1922 seine ersten Reichsgelder aus den Händen der Gesellschaft für Gewerbliche Unterneh­ mungen mbH (Gefu) erhalten, die ebenfalls als Tamunternehmen verhin­ dern sollte, daß die Geldquellen der diversen Rüstungsbetriebe bis in den Bendlerblock zurückverfolgt werden konnten. Anders als jene institutiona­ lisierte die Stamag aber eine Funktion, die im Falle der Junkers-Sanierung erst improvisiert werden mußte.311 Sie prüfte im Bedarfsfall die Bonität der

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Aktenvermerk Volkmanns über eine Besprechung im RVM, 11.8.26, BArch-MA RH 8 1/3661; Ishoven, Udet, S. 141-145; Udet, S. 102; Gossow, 1927, S. 622f. Zu den BFW s. WaB6 an T2V(1) u.a., Ueberblick über die Entwicklung der Gemischtbaufirmen in der Zeit vom 1.4.27-1.4.28, 20.5.28, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 26-28, 35; IFAKonstruktionsbüro (Bilieb), betr.: Besuch bei BFW, 25.9.29, DMM/ASD JA 0501/1/21. Zur weiteren Entwicklung der Teilhaber bei den BFW: Ishoven, Messerschmitt, S. 74ff. u. S. 84ff. Aktenvermerk Volkmanns über eine Besprechung im RVM, 11.8.26, BArch-MA RH 8 1/3661. Ob die im April 1924 gegründete Stamag unmittelbar auf die Erfahrung der JunkersSanierung zurückgeführt werden kann, geht aus den Akten nicht hervor, s. Hansen, Reichswehr, S. 60 u. 118.

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Unternehmen, die Kredite aus der Hand des Reichs erhalten sollten, und formulierte nach dieser Prüfung die Vorschläge für eine tragfähige Sanierung. Das Urteil, welches die Stamag im Falle Rohrbachs abgab, war zwei­ schneidig. Zum einen stellte sie fest, daß die Firma mit knapp 2,5 Millionen Mark ungedeckter Verbindlichkeiten sanierungsbedürftig war, zum ande­ ren führte sie diese Lage aber darauf zurück, daß die Firma sich mit ganz unterschiedlichen Typenkonstruktionen überlastet hatte, die jeweils erheb­ liche finanzielle Vorleistungen bedeutet hatten. So baute Rohrbach nicht nur die zu knapp kalkulierten Großflugzeuge für die Luft-Hansa und die Marine, sondern arbeitete seit 1925 unter anderem auch an einem Jagdein­ sitzer für die türkische Luftwaffe, der zwar einen Folgeauftrag von 50 Ma­ schinen versprach, aber im November 1926 mit allein 250.000 Mark Verlust zu Buche schlug.312 Die Vorschläge zur Sanierung, die die Stamag beim RVM und der Reichswehr einreichte, fußten auf dem Konzept der subventionierten Seri­ en. Die Stamag forderte nicht nur eine Änderung des Anzahlungssystems für Reichsaufträge, sondern vor allem ein langfristig angelegtes Arbeitspro­ gramm für die Firma, das es ihr ermöglichen würde, über die Herstellung von größeren Serien einmal festgelegter Typen die Basis für weitere Konstruktions­ arbeit zu schaffen. Die Stamag bezifferte das Volumen des durch Reichsaufträge jährlich garantierten Umsatzes auf 3,6 Millionen Mark und folgerte: „Der hier verlangte Jahresumsatz der Firma Rohrbach von 2 Typen und 10 Serien­ maschinen stellt gleichzeitig den optimalen, wie auch den minimalen Umsatz der Firma dar, unter den einerseits nicht gegangen werden darf, wenn man nicht bald in Verlust kommen will. Wird jedoch dieser Umsatz durch wei­ tere Serienbauten überschritten, so dürfte sich sehr bald eine wesentliche Steigerung der Gewinnquote ergeben [...]".313 Um jedoch der Firma über­ haupt die Möglichkeit zur Weiterarbeit zu verschaffen, sah es die Stamag als notwendig an, daß das Reich die bereits gewährten Darlehen (1,18 Mio. Mark) in Beihilfen umwandelte und der Firma zusätzlich noch rund 2 Mio. Mark zur Verfügung stellte. Der Erfolg der ganzen Aktion, schlug die Sta­ mag vor, sollte durch eine Erhöhung des Grundkapitals der Firma auf eine Millionen Mark gesichert werden, wovon die Stamag 82,5% übernahm. Wenngleich dieses Vorgehen sehr an die Sanierung der IFA erinnerte, so zeigten die Einzelheiten der Übernahme der Geschäftsanteile bei Rohr­ bach doch den Wandel auf, der nach der Junkers-Sanierung stattgefunden hatte. Der Vertragsentwurf, den die Stamag vorlegte, definierte einen stil-

312 Bericht über die Prüfung der Rohrbach Metall-Flugzeugbau G.m.b.H., Berlin und der Rohrbach Metall-Aeroplan-Compagnie a.A., Kopenhagen, nach kaufmännischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, 16.12.26, BArch-MA RH 8 1/3661, fol. 17. Bereits im April 1926 hatte Hormel in seiner Eigenschaft als Repräsentant bei Rohrbach Volkmann auf dieses Problem und die sich daraus ergebende schlechte Ertragslage hingewiesen: Hormel an Volkmann, 14.4.26, BArch-MA RH 8 1/3661. 313 Anschlußbericht über die Prüfung der Rohrbach Metall-Flugzeugbau G.m.b.H., 15.1.27, BArch-MA RH 8 1/3662, fol. 275.

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len Gesellschafter. Die Stamag verpflichtete sich, ihr Stimmrecht nicht aus­ zuüben, forderte jedoch von Rohrbach, ihren Anteil mit den Gewinnen der Firma zurückzukaufen, und zwar zu 150% des Nennwertes. Dafür ver­ zichtete sie auf eine Beteiligung an den Erlösen, verbot jedoch Rohrbach, seine Anteile an der Firma vor Ablösung des Stamag-Anteils zu veräußern. Zur Kontrolle der Firma räumte sich die Stamag einen uneingeschränkten Einblick in sämtliche Bücher und Korrespondenzen ein und behielt sich vor, ein Gremium zu errichten, das gegenüber Rohrbach die Rechte eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft wahrnahm, dann auch unter Wahr­ nehmung ihres Stimmrechts. Um haushaltsrechtlich relevante Zugeständ­ nisse des RVM zu umgehen, tauchte die Verpflichtung zu einem mehrjähri­ gen Auftragsprogramm nicht in dem Vertrag auf, wurde Rohrbach aber mit dieser Begründung mündlich zugesichert.314 Der Vorlage des Vertrags bei Rohrbach gingen intensive Verhandlun­ gen voraus. Der Direktor der Stamag, Schieber, besprach den Entwurf mit Volkmann, der zwar einzelne Bestimmungen zunächst bemängelte, so den Verzicht auf das Stimmrecht, sich jedoch dem Vorgehen anschloß, als ein Punkt geklärt werden konnte, der der Reichswehr besonders aufgestoßen war: Rohrbach erhielt lediglich noch ein Geschäftsführergehalt, was in Zu­ kunft den Vorwurf entkräftete, er würde seine bohemehafte Lebensführung, die sich etwa darin äußerte, daß er zu einem Flugtag in St. Moritz seine Reitpferde einfliegen ließ, auf Kosten des Reiches finanzieren.315 Schärfer war dagegen die Reaktion der TA(L): Eine Firma müsse durch eine gute kaufmännische Leitung in der Lage sein, sich selbst zu helfen. Die Sa­ che der Reichsstellen könne es nicht sein, langfristige Bauprogramme zu fördern, sondern lediglich, solche Preise zu zahlen, die den Firmen die Möglichkeit zu dauernder Konstruktionsarbeit bieten würden, schrieb Wil­ berg an die Wa.l. Er äußerte die gleichen Bedenken wie im Jahr zuvor bei der Junkers-Sanierung, nämlich im Sinne einer erfolgreichen Typenent­ wicklung den Eingriff in die Belange der Firma so weit wie möglich auszu­ schließen, und wehrte sich vor allem gegen die Form des geplanten Vorge­ hens. „Vor allen Dingen hat aber der Gedanke einer laufenden Kontrolle der Firma durch die Stamag erhebliche Bedenken. [...] Die Rolle der Stamag kann vielmehr nach Ansicht von T.A.(L) höchstens die sein, dass sie einzelne.Gutachten abgibt, aus denen die Amtsstelle selbst die Schlußfolgerungen ziehen kann. Auch dies scheint aber schon nicht einwandfrei zu sein, dass

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Der Vertragsentwurf findet sich in BArch-MA RH 8 1/3662, fol. 221-227; s.a. die Streit­ schrift Rohrbachs aus dem Jahr 1931: Die RMF seit ihrer Gründung und ihre Beziehun­ gen zum Reich, Anlage zu RVM an RWM, 29.12.31, BArch-MA RH 12-1/40, fol. 6-54, insbes. fol. 24. Aktenvermerk zur Rohrbach-Sanierung, Bespr. zw. Schieber, Volkmann und Grosch (Wa.l), 21.1.27, BArch-MA RH 8 1/3662, fol. 253-255.

einer Firma zugemutet wird, einer anderen privaten Firma vollen Einblick in ihre Bücher zu gewähren/'316 Die Auseinandersetzung über den Fall Rohrbach ging somit erneut um zwei Kernfragen der Luftrüstung: Einmal um den Nutzen der Serienfabri­ kation und zum zweiten um den Modus des staatlichen Eingriffs in die Be­ lange eines Unternehmens. Hier übernahm nun die Wa.l. die konzeptionelle Führerschaft. Volkmann, der sich der Unterstützung Ludwigs versichert hatte,317 entgegnete auf den Brief Wilbergs, die Serienfabrikation sei die weitaus günstigste Form, den Firmen Geld für ihre Konstruktionsarbeit zu­ kommen zu lassen, zumal dadurch verhindert werde, daß eine Firma bei dem Fehlschlag einer einzigen Konstruktion automatisch mit dem Konkurs bedroht sei. Dabei könne allein die Einschaltung der Stamag eine fachmän­ nische Treuhänderschaft für die Reichsinteressen sichern und ermögliche im Gegensatz zum Fall Junkers eine „Regie in verschleierter Form".318 Nachdem die Ansichten der Gruppe Student, des Reichsverkehrsmini­ steriums und der Marine zu der Kontroverse eingeholt waren,319 kam es am 22. und 24. Februar zum entscheidenden Zusammentreffen der fünf Luft­ fahrtstäbe.320 Dabei war nicht allein von Bedeutung, daß sich Volkmann mit seiner Argumentation durchsetzte. Es kam vielmehr zu einer regelrechten Abstimmung über das Schicksal Rohrbachs, deren Ergebnis quer zu der formellen Ressorttrennung lag. Während sich die Gruppe Student der Stimme enthielt und Volkmann sowie Fisch und Mühlig-Hoffmann das langfristige Bauprogramm billigten, stimmten Wilberg und Lahs dagegen. Da die Abteilung Luftfahrt im RVM den überwiegenden Teil der Mittel für die Sanierung und das Bauprogramm aufbringen sollte, überwog ihre Stimme. Nach Klärung weiterer Einzelheiten unterzeichnete Rohrbach im Mai 1927 den Vertrag. Der Fall Rohrbach erbrachte eine Innovation der staatlichen Industriepo­ litik. War die Zielvorstellung bei der Junkers-Sanierung mit der Vorgabe, Junkers zu mehr Wirtschaftlichkeit anzuhalten, vergleichsweise vage defi­ niert, so gab es in diesem Fall eindeutig umrissene Interessenlagen. Die Sanie­ rung wurde mit einem Programm zur Förderung der Serienfertigung ver­ knüpft, das die Firma auf Dauer in die Lage versetzen sollte, ihre

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TA (L) 9/27III an Wa.l., 17.1.27, BArch-MA RH 8 1/3662, fol. 262-264. Hervorhebungen i. O. Der Brief Wilbergs trägt Anmerkungen von der Hand des Chefs des Heereswaffenamtes, Ludwig. Wa.l. 212/1.27 an T.A.(L), 24.1.27, BArch-MA RH 8 1/3662, fol. 242-247. S. Protokoll einer Sitzung im Reichsverkehrsministerium, 7.2.27, BArch-MA RH 8 1/ 3662. Protokoll von Sitzungen zur Rohrbach-Sanierung am 22. und 24.2.27, BArch-MA RH 8 1/908. Die Teilnehmer waren für das RVM: Fisch, Mühlig-Hoffmann, Panzeram und Schädel; für die Marine: Lahs und Coeler; für die TA(L): Wilberg und Jeschonnek; für die Wa.l: Volkmann; zeitweise für die Stamag: Schieber und für die Wa.Prw. 6F: Student und Lorenz.

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Konstruktionsarbeit zu tragen, sie gleichzeitig aber auf Parameter der Pro­ duktion festlegte, die den Rüstungsanstrengungen des Waffenamtes, der Sta­ bilisierungspolitik des Reichsverkehrsministeriums und nicht zuletzt der technologischen Strategie Rohrbachs gleichermaßen dienlich waren. Gleich­ zeitig zeigte die Sanierung den Wandel der militärischen Rüstungsarbeit auf. Die Rüstungsforderungen wurden den Interessen der Firma nicht aufge­ pfropft. Das Ziel der Abteilung Volkmann war vielmehr so definiert, zum Zwecke der Rüstung eine dauerhafte kaufmännische Kontrolle über die Firma auszuüben und sich dafür Instrumente und Qualifikationen anzueignen, die über die klassische militärische Aufgabenerfüllung hinausgingen. Die Stamag als ausführendes Organ spielte hierbei die zentrale Rolle. Ein letztes Resultat betraf die Form der Entscheidung über den Fall Rohrbach. Die Diskussionen über die Sanierung signalisierten einerseits, daß das Heereswaffenamt als autonomer Akteur in der Rüstungspolitik auftrat. Andererseits wurde das Truppenamt nach den Erfahrungen der Sanierungen von Junkers und Rohrbach eng in die Entscheidungen im Reichsverkehrsministerium eingebunden. Seit Ende 1926 forderte das Trup­ penamt, die Beziehungen zum Verkehrsministerium zu intensivieren, mit dem Ziel, wie die TA (L) schrieb, eine „vermehrte Einflußnahme [...] auf die Unterstützung und Erziehung (!) der Luftfahrtindustrie" und „eine Betei­ ligung [...] bei der Vergebung aller direkten oder indirekten Aufträge an die Industrie" zu erzielen.321 Während zunächst vorgeschlagen wurde, einen „Vertrauensmann in den Verwaltungsrat der Luft-Hansa" zu entsenden,322 kam es, etwa zur gleichen Zeit als Rohrbach den Vertrag mit der Stamag unterschrieb, dazu, daß Adolf Baeumker, der zweite Mann in der TA (L), aus der Reichswehr verabschiedet wurde und im Mai 1927 als Referent für technische Neuentwicklung der Verkehrsluftfahrt in das Reichsverkehrs­ ministerium übertrat, auf eine Stelle, die der Mühlig-Hoffmanns gleichge­ ordnet war.323 Damit war ein plurales Gremium konstituiert, das sich aus der Marine, dem Truppenamt, dem Heereswaffenamt und der Abteilung Luftfahrt im Reichsverkehrsministerium zusammensetzte und nun wirklich jene Politik verfolgte, die Junkers schon Mitte 1926 bei der Sanierung seines Unternehmens am Werk gesehen hatte: „Die Bildung eines staatlichen Mo­ nopol-Luftfahrt-Trustes wurde in konsequenter Weise in den letzten drei Jahren vorbereitet und steht nun nahezu vor seiner Vollendung. Angefan­ gen von der technischen Forschungsanstalt (D.V.L.) und den verschiedenen Produktionsstätten (Dornier, Rohrbach usw.) bis zu den Fliegerschulen, der Deutschen Luft-Hansa einschließlich ihrer Verkehrspolitik und darüber hinaus aller Kreise und Mittel, welche die Einstellung der Öffentlichkeit 321 322 323

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Cöthen (TA (L)) 592/26III an Brieg (Wa.l) und Lahn 6F (IWG 6F; Gruppe Student) 18.10.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 15. Aktenvermerk Bullinger, 6.11.26, zu Schreiben Cöthen vom 18.10.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 14. Zum Selbstverständnis Baeumkers s. ders. an Schleicher, 16.5.31, BArch-MA N 42/44, fol. 161; Baeumker, S. 75.

zur Luftfahrt massgebend beeinflussen, [...] - stellt dieses ganze machtvolle Gebilde einen gewaltigen Avio-Trust dar, wie er erstmalig in Rußland or­ ganisiert worden ist. Es kann nicht der geringste Zweifel mehr sein, dass die deutschen Reichsstellen diese Organisationsform der Luftfahrt für Deutschland beschlossen haben. In dieser Einstellung fanden sich sowohl diejenigen Kreise des RVM, welche ihre Ressorts entsprechend vergrößern wollten, [...] als auch die Kreise des Rw.M., welche das Fehlen einer militä­ rischen Luftflotte durch eine derartige wirtschaftliche Mobilmachung der Luftfahrt im Dauerzustande schaffen und erhalten wollte/'324 Die Politik und die Institutionen dieses Rüstungskartells sind der Gegenstand des fol­ genden Abschnitts.

1. Entstehung und Ziele des Luftdepartements im Heereswaffenamt Der Sanierung der Firma Rohrbachs folgte eine doppelte Institutionalisierung des Rüstungskonzepts des Heereswaffenamtes: durch die Bi ung es Luftdepartements und die Verabschiedung des Fabrikationsprogramms. Die Dienststelle Volkmanns wuchs zusehends. Anfang 1927 erhielt sie den tatus einer eigenen Beschaffungsabteilung im Heereswaffenamt, aus Tarnung5 gründen freilich als Teil der Abteilung für Kraftfahrwesen unter er e Zeichnung Wa B 6. Im selben Jahr übernahm die Abteilung federführend auch die industrielle Rüstungsvorbereitung für die Marine.3 Der *atan satz für 1928/29 gestand Volkmann bereits 2,3 Mio. Mark für die fabnkatogerrüstung von 6,8 Mio. Mark. Die endgültige Ausprägung der funktionalen Spaltung zwischen einem militärisch-operativen und einem Rüstungsstab in der Reichswehr wurde durch das Ende der Ära Seeckt ermöglicht. Nach dem Abschied Seeckts im Oktober 1926 kam es zu einer Neugliederung der Ämter des Reichswehr­ ministeriums, durch die das Heereswaffenamt zwar dem Chef der Heeres­ leitung unmittelbar unterstellt wurde,326 zugleich aber die Inspektion für Waffen und Gerät vereinnahmte. Hellmut Wilberg, der wichtigste Oppo­ nent der Fliegerabteilung im Heereswaffenamt, wechselte 1927 in den Truppendienst. Als die Versuche, eine zentrale Fliegerstelle im Truppenamt zu schaffen, vorläufig gescheitert waren - einen letzten Vorstoß unternahm Werner von Blomberg als Leiter der Organisationsabteilung des Truppen-

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Aktennotiz (vermutlich von G. Sachsenberg), Zur Lage am 9. Juli (1926), o.D., DMM/ ASD JA 0301/12/78. BS x 3868/27, Abkommen zwischen der Heeres- und Marineleitung v. 1.6.27, Anlage zu WaB6 1415/6.27 an WiStab, 2.6.27, BArch-MA RH 8 1/908; WaB6 159/9.27 an H.Wa.A, 20.9.27, ebd. Matuschka, S. 315f. 205

amtes im April 1929327 - verfügte Ludwig zur Jahreswende 1928/29 schließlich die Vereinigung der beiden Fliegerdienststellen im Heereswaffenamt unter dem Kommando Volkmanns.328 Die neue, erst als Wa.L. und ein Jahr darauf, nach ihrer Eingliederung in das Abteilungsgefüge des Waffenamtes, als Wa.Prw.8 bezeichnete Organi­ sation repräsentierte die Rüstung der Luftstreitkräfte. Sie vereinigte als einzige Stelle des Heereswaffenamtes Beschaffung und Entwicklung, seit August 1929 mit einem eigenen Stab und fünf Gruppen für Flugzeugentwicklung, Ausrü­ stungsentwicklung, Erprobung, Beschaffung und Industriewirtschaft.329 Da damit auch eine einzigartiger organisatorischer Status erreicht war, der zwi­ schen „Amt" und „Abteilung" lag, einigte man sich darauf, ein „unschönes Fremdwort"330 einzuführen, um dieser Qualität in der informellen Bezeichnung gerecht zu werden: Luftdepartement. Das Luftdepartement, das in Verhand­ lungen mit den Unternehmen als „Stelle Nikolaus" firmierte, verwaltete selbst nach rigorosen Kürzungen noch 1930 einen Etat von rund 5,6 Mio. Mark aus Reichswehrmitteln und von 1,8 Mio. Mark aus Mitteln des Verkehrsministeri­ ums - weit mehr, als die Fliegerrüstungsperiode 1927/31 für die Zwecke des Heereswaffenamtes ursprünglich vorsah.331 Parallel zu der institutionellen Verfestigung der Rüstungsarbeit im Luftdepartement gelang es dem Heereswaffenamt insgesamt, die rüstungs­ wirtschaftliche Vorbereitung in seiner Hand zu zentralisieren. Dem Prinzip der fabrikatorischen Vorbereitungen wurde Rechnung getragen, indem sie in eine für die gesamte Reichswehr bindende Programmstruktur umgesetzt wurden. Das im März 1929 nach längeren Verhandlungen mit der Marine beschlossene „Fabrikationsprogramm" band die bis dahin getrennt betrie­ benen Vorbereitungen des Heeres, der Marine, der Stega und der Wa.L. er­ neut unter der Verwaltung des Wirtschaftsstabes (des vormaligen Nach­ schubstabes) zusammen332 und unterfütterte das im September 1928 vom Kabinett gebilligte 1. Rüstungsprogramm der Reichswehr. Aus dieser Ver­ einheitlichung der Rüstungsarbeiten in der Reichswehr ergab sich ein spe­ zifischer Modus des Rüstungsdiskurses. Das Fabrikationsprogramm des Heereswaffenamtes schloß im Prinzip aus, daß das Truppenamt sich auf bestimmte Kriegsflugzeugtypen festlegte und diese willkürlich in Auftrags­ bündel für die Industrieunternehmen übersetzte. Vielmehr ging es fortan im-

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330 331 332

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Truppenamt 464/29 T2 V (L), betr. Zusammenfassung der Fliegerstellen des Reichshee­ res, 16.4.29, BArch-MA RH 8 1/900; zur Argumentation s. Völker, Entwicklung, S. 162. H.Wa.A. Wa.B.6 2840/28, 29.11.28, BArch-MA RH 8 1/898. Zur Binnenorganisation der Wa.L., Wa.L. 1/28, 1.12.28, BArch-MA RH 81/3600, fol. 197-199 und Wa.L. 452/29.A., 20.7.29, BArch-MA RH 8 1/3599, fol. 59-62. Die verti­ kale Gliederung (Entwicklung und Beschaffung in einer Dienststelle) wird von den zeitgenössischen Betrachtern stets hervorgehoben: Bruno Maass, S. 512f. Betr. Organisation des Kriegsamtes, Wa.Prw.8 317/30 V, 4.3.30, BArch-MA RH 8 1/ 3599, fol. 77. Nach dem Haushaltsentwurf für 1930, T2 V(L) III, Juni 1929, BArch-MA RH 2/2228. Hansen, Reichswehr, S. 132f.; Thomas, Geschichte, S. 57ff.

mer um zwei Programme, die parallel entwickelt wurden, eines, das die militä­ risch-taktischen Anforderungen nach bestimmten Plangrößen umfaßte, und ei­ nes, welches fortlaufend Daten über die Entwicklung der industriellen Lei­ stungsfähigkeit bereithielt. Die Koordination dieser beiden Programme war die zentrale Leistung des militärischen Rüstungsmanagements. Das System des ständigen Abgleichs langfristiger Programme fußte je­ doch auf einer entscheidenden Prämisse, die gleichzeitig die Grenzen der Rüstung vorgab. Eine willkürliche Verbreiterung der militärischen Verbän­ de ohne ausdrückliche Rückkopplung zur rüstungswirtschaftlichen Pla­ nung war ausgeschlossen, freilich auch eine Expansion der materiellen Rü­ stung ohne Berücksichtigung der militärischen Planung. „Eine Umstellung der Industrie auf eine zur Sicherheit beliebig erhöhte Produktion darf kei­ neswegs geduldet oder gar angeregt werden, denn sie würde das von der Wirtschaftsgruppe (des Luftdepartements L.B.) sorgfältig ausgearbeitete System des Ineinandergreifens der verschiedenen Werke erschüttern oder sogar zerstören warnte ein Vertreter des Luftdepartements noch im April 1933 333 Seit 1929 arbeitete das Luftdepartement in drei miteinander verflochte­ nen Arbeitsgebieten, denen jeweils ein langfristiges Programm unterlegt war.334 Neben das Fabrikationsprogramm und das darin enthaltene Indu­ strieprogramm, das konkret der Sicherung des Nachschubs im sogenannten A-Fall galt, traten zwei weitere.335 Das Entwicklungsprogramm fußte auf den taktischen Forderungen des Truppenamtes (bzw. der Inspektion 1) und zielte auf die technische Weiterentwicklung der Hauptrüstungstypen, wäh­ rend das Beschaffungsprogramm der „friedensmäßigen Aufrüstung" einer „schwarzen Friedensluftwaffe7' galt. Die zeitlichen Etappen, in denen diese Vorgaben zu verwirklichen waren, bildeten jene zwei mal fünf Jahre der 1. (1927/32) und 2. (1933/38) „Rüstungsperiode". 336 Die Programme drehten sich um die „schwarze Friedensluftwaffe". Sie entstand seit 1930 aus Flugzeugen, die im Auftrag der Reichswehr und des Verkehrsministeriums gebaut worden waren und in Lipezk, bei der DVL, an Standorten der Deutschen Verkehrsfliegerschule und bei der Luft-Hansa la­ gerten. Bis zum 31. März 1933 sollte diese Luftwaffe mit 120 Flugzeugen aufge­ stellt sein. Die zweite Rüstungsperiode bis zum 31. März 1938 war dann zur 333

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Vortrag über die wirtschaftliche Rüstung, Mitte April (1933), BArch-MA RL 3/2290. Zur generellen Programmgliederung s. Geyer, Rüstungsprogramm, S. 128f. Protokoll über die am 26. und 27.2.31 vor dem Herrn Amtschef gehaltenen Vorträge über das Arbeitsgebiet der Wa.Prw. 8., Wa.Prw. 8 1359/31, Oktober 1931, BArch-MA RH 8 I/991a, fol. 263-265. Zur Entstehung des zweiten Rüstungsprogramms s. Geyer, Rüstungsprogramm, pas­ sim, als Vorgeschichte der Rüstung im „Dritten Reich", sowie Rautenberg, Dokumente, passim, und Deist, Aufrüstung, S. 459-474. Nach dem Erscheinen des 1. Rüstungspro­ gramms wurden die vorhandenen Planungen diesem angeglichen: Manuskript der Vorträge vor dem Chef des Heereswaffenamtes vom Februar 1931, Anlage zu Wa.Prw.8 669/31V an Inl, 16.5.31, Abschnitt D, S. 3, BArch-MA RL 3/2290. Zur zwei­ ten Fliegerrüstungsperiode: Völker, Entwicklung, S. 169.

207

Vermehrung der Verbände, der Modernisierung des Flugzeugparks und insbe­ sondere der Niederlegung einer Materialreserve für die ersten sechs Wochen eines Krieges vorgesehen. Der Planung zufolge standen der „schwarzen" Luftwaffe dann 200 Flugzeuge der ersten Linie und 120 Flugzeuge als Material­ reserve zur Verfügung, was auch als Maß für die international auszuhandelnde „offizielle" Luftwaffe galt.337 Für die Erstausstattung der Kriegsluftwaffe blie­ ben freilich die Zahlen des ersten Rüstungsplans Volkmanns maßgebend. Am Ende eines ersten Kriegsjahres rechnete das Luftdepartement mit 2.293 Flug­ zeugen.338 Im Vordergrund des Fabrikationsprogramms stand die Erkundung und Beeinflussung der Flugzeugindustrie und ihrer Vorindustrien. Es ging darum, zum Zweck einer reibungslosen Einrichtung der Serienfertigung von Flugzeu­ gen im Kriegsfall die Lieferbeziehungen der Flugzeugfirmen unter Kontrolle zu bekommen. Die Industrieerkundung erfaßte so nicht nur die eigentlichen Flugzeug- und Flugmotorenfirmen, sondern von Beginn an auch mögliche Lizenzuntemehmen sowie Hersteller von Halbfabrikaten und Werkstoffen. Das wichtigste Instrument waren dabei die Bauaufsichten. Formell im Auftrag der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL), tatsächlich aber mit Ingenieu­ ren des Luftdepartements besetzt, betrieben sie „Handelsspionage" und liefer­ ten Angaben über die Leistungsfähigkeit und die Erweiterungsmöglichkeiten der einzelnen Werke. Ständige Bauaufsichten existierten seit 1928 bei allen grö­ ßeren deutschen Flugzeugfirmen außer Junkers sowie im Flugmotorenbau bei BMW und Siemens.339 Besuche bei den Firmen und Fragebogenaktionen runleten die Erkundung ab.340 Es zeigte sich, daß dieses System vor allem wegen ler vergleichsweise geringen Größe der Industrie handhabbar war. Hier lag die entscheidende Differenz zur Arbeit des Wirtschaftsstabes des Heereswaffenamtes, der mit der Aufgabe, die gesamte deutsche Industrie nach den Be­ dürfnissen der Rüstung zu kategorisieren, glatt überfordert war. Es gab schließlich nur jene sechs Flugzeugfirmen und eine überschaubare Zahl von

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339

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Protokoll über die am 26. und 27.2.31 vor dem Herrn Amtschef gehaltenen Vorträge über das Arbeitsgebiet der Wa.Prw. 8., Wa.Prw. 8 1359/31, Oktober 1931, BArch-MA RH 8 I/991a, fol. 279-280, 283. Diese Beschaffungplanung änderte sich bis 1933 nur we­ nig, vgl. Aufstellung der A-Verbände der Heeres-Luftstreitkräfte und die Nachschub­ lage derselben. Vortrag, gehalten am 29.11.32 vor den Lehrgängen der Führergehilfen, BArch-MA RL 3/2290. Hier wird für Sommer 1933 mit einer ersten Rüstungsbereit­ schaft von 6 statt zunächst 8 Aufklärungsstaffeln gerechnet und für 1938 mit 174 statt 120 Flugzeugen der Reserve. „Übersicht für den Herrn Staatssekretär", eine undatierte, wohl 1933 aus Unterlagen aus dem Jahr 1931 montierte Aufstellung über die fabrikatorische Rüstung, hand­ schriftlich von Wegner (WaPrw8V) korrigiert, BArch-MA RL 3/2290. Protokoll einer Besprechung über die Zusammenarbeit zwischen Heer und Marine am 24.2.28, 27.2.28, S. 2, BArch-MA RH 8 1/908. Seit April 1928 wurden die Bauaufsichten auf Veranlassung des RVM auch von der DVL bezahlt, Wa.B.6 2868/28, Bericht über die Tätigkeit der Wa.B.6 im Dienstjahr 1927/28, 30.11.28, BArch-MA RH 2/2228, fol. 194. Ebd., fol. 208ff.

Lieferanten für Motoren, Ausrüstung, Bewaffnung, Rohstoffe und Halbzeuge, insgesamt 33 Firmen (1927), die berücksichtigt werden mußten, während sich in der Firmenkartei des Wirtschaftsstabes mehr als 5.000 Betriebe wiederfanden.341 Die Einbindung in die Datenerhebung des Luftdepartements war mi der Erteilung eines Bauauftrags verbunden. Schon wenn eine irn3^ ei Volkmann oder Wimmer vorsprach, wurde sie angehalten, Auskünfte zu geben, die die Leistungsfähigkeit der Firma im Serienbau en transparent machten. Als Heinkel beispielsweise im Novern er zwe seiner neuesten Muster anbot, terer Diskussionen einen Plan zu erstellen, in dem die Produktion dieser Flugzeuge mit einer Belegschaftt von a) 200-250 Arbeitern, b) 350 Arbeitern und c) bei maximaler Kapazitätsauslastung simuliert wurde.342 Bei den Erzeugern von Rohstoffen und Vorprodukten lag eine präzise definierte Interessenlage vor. Seit dem Beginn der Planung des Fabrikati­ onsprogramms strebte das Waffenamt eine weitgehende Autarkie der in­ nerdeutschen Wirtschaft bei zentralen Vorprodukten an. Bedeutete es für die gesamte Rüstungsplanung des Heereswaffenamtes schon ein gravie­ rendes Hindernis, daß das Ruhrgebiet außerhalb des innerdeutschen Ge­ biets lag, so war die Situation für die Rüstungsplanung im Flugzeugbau in mancher Hinsicht noch problematischer. Die hochlegierten Stahlrohre für den Gemischtbau konnten in Deutschland nur von der Firma Mannesmann bezogen werden.343 Das weithin verwendete Birkensperrholz wurde dage­ gen lediglich in Ostpreußen hergestellt. Vor allem lagen die Dürener Me­ tallwerke, die bis 1932 das Monopol auf die Legierung des Duraimins in Deutschland besaßen, nur etwa dreißig Kilometer von der belgischen Gren­ ze entfernt — das bedeutete, daß sie im Fall eines kriegerischen Konflikts innerhalb von Stunden für den Nachschub der Luftwaffe ausfielen.344 Ähn­ lich beschwerlich stellte sich die Situation bei den Vorprodukten für Flug­ motoren dar. Der hochfeste Flugmotorenstahl kam aus Essen oder Bochum, bei Kurbelwellen besaß Krupp in Essen, bei Magnetapparaten die Firma Bosch „eine Art Monopol". Eine der wichtigsten Aufgaben des Luftdepartements bestand so darin, innerdeutsche Produktionstätten für die wichtigsten Vorprodukte des Flugzeugs mit oder gegen die zentralen Vorlieferanten durchzusetzen. We­ nig Erfolg war den Bemühungen in der Flugmotorenfrage beschieden. Nachdem seit 1925 zusammen mit Krupp die Verlegung der Produktion von Kurbelwellen und Flugmotorenstahl in das Krupp-Gruson Werk bei _____ 1

341 342

M3 344

\

t

Ebd., fol. 182. Hansen, Reichswehr, S. 141f. Aktennotizen Pfistermeister für Heinkel über Besprechungen mit Sperrle und Volk­ mann am 5.11.28, HeA Korr. BB1. Zur Stahlrohrproduktion bei Mannesmann s. Wessel, S. 199-203 u. S. 225f. Manuskript der Vorträge vor dem Chef des Heereswaffenamtes vom Februar 1931, Anlage zu Wa.Prw.8 669/31V an Inl, 16.5.31, Abschnitt E, S. 7-34, BArch-MA RL 3/2290, danach auch das Folgende. 209

Magdeburg betrieben worden war, verlegte sich das Luftdepartement schließlich aus Kostengründen (die Verlagerung wurde mit 2,5 Mio. Mark angesetzt) auf die Bevorratung dieser Teile. Die gleiche Lösung wurde für die Bosch-Magnetapparate gefunden. Anders verlief die Entwicklung bei den Unterlieferanten für den Flugzeugbau. Die Gemischtbaufirmen stellten auf Druck des Luftdepartements seit 1926 auf Buchen- und Kiefernsperr­ holz um, neue Leimungen ließ die Wa.l. an der TH Charlottenburg erfor­ schen, die Versuchsausführungen entstanden bei Focke-Wulf.345 Bei der Stahlrohrproduktion sah die Abteilung Volkmann ihre Aufgabe zunächst darin, österreichische und schwedische Produzenten aus dem deutschen Flugzeugbau zu verdrängen, zugleich jedoch eine zentrale Beschaffung von Stahlrohren bei Mannesmann in Remscheid zu installieren, um zu einem späteren Zeitpunkt die Einrichtung von innerdeutschen Standorten zu för­ dern.346 Die wichtigsten Anstrengungen auf dem Rohstoffsektor galten jedoch der innerdeutschen Produktion von Leichtmetall. Um die Monopolstellung der Dürener Metallwerke zu brechen, verlegte sich die Abteilung Volk­ mann seit 1926 darauf, die Erforschung einer zweiten Legierung des Al-CuMg-Systems zu befördern und den Flugzeugunternehmen „schmackhaft zu machen"347, nämlich des im Lautawerk der staatlichen Vereinigten Alumi­ niumwerke (VAW) in der Lausitz hergestellten „Lautal". Hier war es aber­ mals die DVL, die die wissenschaftlichen Dienstleistungen erbrachte.348 Das Luftdepartement setzte sich zudem für die Fortführung der Versuche ein, deutsche Tone als Rohstoff für Aluminium zu verwenden. Durch diese Be­ mühungen ergaben sich enge Beziehungen zu der Firma, die in den zwan­ ziger Jahren ein verfeinertes Verfahren zur Verarbeitung von Tonen hand­ habte, dem Werk in Bitterfeld,349 das nach einer wechselvollen Geschichte seit 1925 je zur Hälfte den LG. Farben und der staatlichen Metallgesell­ schaft gehörte und den größten deutschen Aluminiumproduzenten nach der VAW darstellte.350

345

346

347 348 349 350

210

Wa.B.6 2868/28, Bericht über die Tätigkeit der Wa.B.6 im Dienstjahr 1927/28, 30.11.28, BArch-MA RH 2/2228, fol. 200. Ebd., fol. 204f. Manuskript der Vorträge vor dem Chef des Heereswaffenamtes vom Februar 1931, Anlage zu Wa.Prw.8 669/31V an Inl, 16.5.31, Abschnitt E, S. 8, BArchMA RL 3/2290. Wa.B.6 75/1.28 an Wa.A., Bericht über die Tätigkeit der Gruppe im Dienstjahr 1926/27, 30.9.27, S. 16f., BArch-MA RH 8 1/1366, (=IMT Dok. NIK 12821). S. Brenner, S. 35-94. Zum Bitterfelder Verfahren, dem Aufschluß der Tone mit Salzsäure, Fulda/Ginsburg, S. 183ff. Zum Werk Bitterfeld: G. Plumpe, S. 396-409, Wallace, S. 82-86. Der Anteil der Quoten am internationalen Aluminiumkartell gibt die Größenverhältnisse wieder: VAW 16,65 %, Bitterfeld 3 % (G. Plumpe, S. 406). Obwohl die Beteiligungen am Werk Bitter­ feld nur zu 50% von der LG. gehalten wurde, firmierte es zeitgenössisch als I.G. Farben-Werk. Dieser Sprachgebrauch wird hier beibehalten.

Die Verbindung zwischen dem Luftdepartement und demi Bitterfelder Werk entstand jedoch noch aus einem anderen Grund. Die I. . itter e war neben Dow Chemicals der zweite große und gleichzeitig der techmsc führende Hersteller von Elektron, das eine ganze Palette von Buntmetallen ersetzen konnte. Für die Herstellung von Elektron aus deutsc en o s o fen mußten im Gegensatz zur Aluminiumproduktion aus Ton keine eson deren Verfahren entwickelt werden. Bis zur Mitte der zwanziger Jahre ba­ sierte sie auf Karnallit, dem wichtigsten der mitteldeutschen Kalisalze. Das dann eingeführte sogenannte LG.-Verfahren nahm sogar nur noc ie raumsalze der Kaliherstellung zur Grundlage. Das ideale, wei c or reie Magnesiumerz war Magnesit oder Dolomit, ersteres ein Minera , von em weltweit mehrere größere Lagerstätten, so in Kärnten und im Riesengebir­ ge existierten, letzteres ein Grundbestandteil einer ganzen Re* e von mi teleuropäischen Gebirgszügen. Die Verarbeitung von Dolomit blieb freilich bis in die dreißiger Jahre hinein im Versuchsstadium.351 Das LG.-Verfahren senkte den Preis für ein Kilogramm Magnesium i zum Ende der dreißiger Jahre unter eine Mark (1913: 3,80 Mar ), wenn gleich sich die Anwendung des Elektrons nicht proportiona zu lesem Preisverfall entwickelte. Zwar fiel das Verhältnis von Gewicht zur Fes igkeit gerade im Flugzeugbau eindeutig zugunsten des Elektrons un gegen Duraimin aus. Das Mißtrauen gegen das Metall verlor sich aber trotz alle_ Bemühungen nicht über Nacht, zumal seine Korrosionsan ä ig ei sonders in Salzwasser - technisch nicht völlig beherrscht wur e. era weil die Flugzeugfirmen daher nur schwer dazu zu bewegen waren, neuen Stoff bei ihren Konstruktionen zu berücksichtigen, dieser aber ein ganze Reihe von Problemen in der Rüstungsplanung für die Luftwatte ei.

«



gener Regie durchzuführen. Die Ingenieure und Offiziere steigerten sich in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre in eine wahre Elektron-Euphorie hinein, mit der Folge, daß der weitaus größte Teil des zur Rohstoffsiche­ rung vorgesehenen Etats in dieses Feld floß. 1926 schloß die Wa.l. mit ei­ nem ehemaligen Angestellten der LG. einen Vertrag, der zum Inhalt hatte, in Rackwitz bei Leipzig mit Mitteln aus dem Etat der Gruppe das erste Walz­ werk für Elektron überhaupt zu errichten. Bald darauf erhielt die Elektronmetall-Gesellschaft in Bad Cannstatt den Auftrag, eine Spritzgußmaschine für Elektron zu bauen und zu erproben, wiederum die größte ihrer Art in der Welt.352 Bereits 1923/24 hatte der Hirth-Flugzeugbau im Auftrag der Gruppe

351 Zur Herstellung der Leichtmetalle bei den LG. Farben: G. Plumpe, S. 403ff. 352 Wa.B.6 75/1.28 an Wa.A., Bericht über die Tätigkeit der Gruppe im Dienstjahr 1926/27, 30.9.27, S. 17f., BArch-MA RH 8 1/1366, (=IMT Dok. NIK 12821) und Wa.B.6 2868/28, Bericht über die Tätigkeit der Wa.B.6 im Dienstjahr 1927/28, 30.11.28, BArch-MA RH 2/2228, fol. 203. Das auf diesen Vertrag zurückgehende Werk des Walter SchmidtRackwitz entwickelte sich bis 1945 zu einem der größten Leichtmetallhersteller

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1

Student größere Flugzeugteile aus Elektron gebaut, seit 1927 entstand die Al­ batros „Elektra", ein ausschließlich aus Elektron bestehendes Flugzeug, mit dem mehrere Versuchsreihen, nominell im Auftrag des RVM und von der DVL, durchgeführt wurden.353 Zwar schälte sich als Ergebnis dieser Versuche heraus, daß Elektron als Ersatz für Duraimin nicht uneingeschränkt brauchbar war. Der Ruf der I.G.-Legierung als Autarkiemetall blieb jedoch erhalten und setzte sich so weit durch, daß alle Flugzeuge der Luftwaffe schließlich Kon­ struktionsteile aus Elektron nutzten.354 Die Tatsache, daß die Abteilung Volkmann schon 1928 konstatieren konnte, daß es bei allen Flugzeugaufträgen, an denen das Heereswaffenamt beteiligt war, gelungen sei, die ausschließliche Verwendung „deutscher Werkstoffe und Teilfabrikate" durchzusetzen, charakterisierte den Stellen­ wert des Luftdepartements in der Politik der Flugzeugfirmen. Ende 1928 war die Formel, die drei Metall- und die besten drei Gemischtbaufirmen als Stammwerke in die Rüstung einzubauen, Wirklichkeit geworden. Dornier, Heinkel, Albatros, Rohrbach, die BFW und dann auch wieder Junkers bear­ beiteten je einen Kriegsflugzeugtyp, mit dessen Lieferung im ersten Monat nach dem Beginn der Mobilmachung gerechnet wurde. Arado, Focke-Wulf, die Raab-Katzenstein-Werke in Kassel und Klemm waren als Lizenzfirmen avisiert. Knapp 12,5 Mio. Mark sah das Heereswaffenamt im Haushaltsjahr 1928 für die Subventionierung der Luftfahrtindustrie vor, wovon lediglich 360.000 Mark aus dem Haushalt des Reichswehrministeriums, der Rest von der Abteilung Luftfahrt bereitgestellt werden sollten, die zwei Drittel ihrer

departement vergab.355

353

354 355

Deutschlands: Aluminium and Magnesium Fabrication at Leipziger Leichtmetall Werk Rackwitz, CIOS FR XXX-72, ÜB Bochum. S. die Berichte der Firma Albatros: Erfahrungen beim Bau des Flugzeugs „Elektra", 20.11.31; Neue Versuchsreihen für Elektron-Gerüstbau, 27.6.31; Einfluß von Elektron auf die Gewichte und Leistungen von Flugzeugen, 3.7.31, alle in BArch-MA, Sammlung v. Rhoden Nr. 1290, sowie Anlage zu DVL an RLM, 21.12.33, Stellungnahme zur Frage der Elektronverwendung im deutschen Flugmotorenbau, BArch-MA Sammlung v. Rhoden Nr. 1257. Die erste zusammenfassende Darstellung des Erprobungsprogramms des Heereswaffenamtes verfasste der spätere Chefingenieur des Luftdepartements (Nicolaus, passim). The German Magnesium Industry, BIOS Mise. Rep. No. 5, ÜB Bochum, zur Verwend­ barkeit des Magnesiums. Carroll, S. 64f.

212

1

Tabelle 5: Die Industriesubventionen des Reichsverkehrsministeriums nach Firmen und Arten der Vergabe Junkers

Sie- Summe Rohr- Dornier Udet/ Albatros Heinkel Focke- Arado BMW mens Wulf BFW bach 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 „1.100 0 0 0 0 50 0 50 0 500 3.243 93 1.140 0 0 0 0 60 300 0

Darlehen 1924 Beihilfe Aufträge

0 500 1.650

Darlehen 1925 Beihilfe Aufträge

0 16.265 1.530

0 600 0

0 200 200

0 0 200

280 61 213

0 40 327

0 0 165

0

Darlehen 1926 Beihilfe Aufträge

0 2.654 3.791

0

0 1.000 202

180 0 524

0

750

0 254 1.201

Darlehen 1927 Beihilfe Aufträge

0

919

5 1.164 2.181

801 446 751

0 148 711

Darlehen 1928 Beihilfe Aufträge

0 0 3.471

650 0 2.985

0 0 1.405

Summe Darlehen Beihilfe Aufträge

0 19.419 11.361

655 3.864

0 0 251

280 17.166

0

0 0 3.090

299

0 0 65

0 0 165

0 60 2.892

0 0 451

180 5.568 10.339

284 0 524

150 0 744

0 0 110

0 0 263

0 0 2.422

0 500 840

1.240 2.258 9.466

0 0 1.087

0 0 893

0 0 132

0 0 312

0 0 422

0 0 0 0 2.334 1.639

650 0 14.681

0 1.198 2.261

744 61 2.154

150

5.916

801 900 3.858

1.502

0 0 651

0 0 60 500 0 850 11.878 3.273

2.350 26.092 43.703

Gesamtsumme 30.780 10.434

5.559

3.459

2.959

1.742

651

850 11.938 3.773

72.145

0

1.600

0

90

0

0

5.975

Quelle: Übersicht des Reichsverkehrsministeriums zur Schlüsselung der 9 Millionen-Marks-

Anleihe, o.D. (1929), BArch-MA RH 12-1/39, Fol. 54.

Für die Durchführung der fabrikatorischen Vorbereitungen zeichnete jedoch eine Organisation verantwortlich, die nominell außerhalb des Luft­ departements angesiedelt war, die „Fertigungs-GmbH". Bereits 1925 be­ trieb Vogt die Einrichtung eines zivilen Büros, das die Konstruktionszeich­ nungen der Firmen auf ihre Eignung für den Serienbau überprüfen sollte.356 Für diese Aufgabe verpflichtete die Wa.l. Max Heinrich Bauer, nachdem zunächst ein Vertreter der Automobilindustrie als besonders geeignet für die Vorbereitung der Serienfertigung im Flugzeugbau angesehen wurde.357 Bauer, der Schiffbauingenieur war, hatte seit 1916 bei Albatros gearbeitet,

Vogt an Volkmann, 29.1.26, BArch-MA RH 8 1/3604, fol. 93. 57 Entwurf einer Verfügung Nahe (Wa.A.) 34/26 Brieg (Wa.l.), 1.3.26, BArch-MA RH 8 1/3604. An Stelle von Bauer war ursprünglich der der Direktor der Eisenacher Dixi-Fahrzeugwerke, Hüttner, für diese Aufgabe ausersehen worden.

213

zuletzt als Direktor der dortigen Seeflugzeugabteilung.358 Im März 1926 übernahm er die Leitung der als Tochter der Stamag gegründeten, aber aus dem Etat der Wa.l. bezahlten Fertigungs-GmbH. Ihr ursprüngliches Ar­ beitsfeld wurde schon 1926 weit ausgedehnt: „Der Fertigungs-GmbH ist die Aufgabe gestellt worden, die Vorbereitung der Herstellung von Flugzeugen in grosser Zahl unter einem möglichst geringen Aufwand an Zeit, Material und Menschenarbeit vorzubereiten" umriß Bauer das Ziel seiner Gesell­ schaft.359 Bis 1933 überarbeitete die Fertigungs-GmbH zwar auch die Kon­ struktionszeichnungen der Kriegsflugzeuge für die Bedürfnisse der Mas­ senfertigung. Vor allem aber forcierte Bauer die Rationalisierung des Flugzeugbaus. Er sah es als seine Aufgabe an, Vorgaben für die Kosten­ struktur, die Materialwirtschaft, die Qualifikation der Arbeiter und die Ar­ beitsvorbereitung sowie für die Aufteilung der Werkstätten, Baugruppen, Bauteile und Werkzeuge des Flugzeugbaus zu entwickeln. Den Schwerpunkt der Tätigkeit seiner Fertigungs-GmbH setzte Bauer bei der Normung. „Rationalisierung" sei „die Einstellung der Wirtschaft auf möglichste Einheitlichkeit" schrieb er 1930.360 Nachdem die Normen­ stelle der DVL bis 1927 erst eine Handvoll von Normblättern für die Flug­ zeugindustrie herausgegeben hatte, nahm nun die Fertigungs-GmbH das Heft in die Hand. Das Ergebnis dieser Normungsarbeiten war das soge­ nannte „Fliegwerkstoff-Handbuch", ein zwischen 1928 und 1935 zusammen mit der Luft-Hansa und der DVL erarbeitetes, bindendes Verzeichnis der Lieferbedingungen für alle in der Flugzeugindustrie gebräuchlichen Roh­ stoffe.361 Schon 1926 erstellten Bauer und seine Mitarbeiter detaillierte Pläne für den Reihenbau und — was zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal im deutschen Automobilbau Wirklichkeit war - für die Herstellung von Flug­ zeugen in Fließfertigung.362 Die theoretischen Arbeiten der Fertigungs-GmbH wurden in einer Rei­ he von Abhandlungen zusammengefaßt, die etwa Flugzeug-Baugruppen (Abhandlung Nr. 3), Flugzeug-Zeichnungen (Nr. 5) oder Maßnahmen zur Sicherstellung der Austauschbarkeit (Nr. 8) thematisierten.363 Mit diesen Abhandlungen unterwies und überwachte die Fertigungs-GmbH Kon­ struktion und Bau eines jeden Flugzeugs, das mit Mitteln des Reichswehr­ oder Reichsverkehrsministeriums entstand. Firmen, die Reichswehraufträ358 359 360 361

362 363

214

Zur Biographie Bauers (1876-1960): Krauß, J.: Max Heinrich Bauer +, in: Jahrbuch 1960 der WGL, S. 490f.; Flugwelt 1956, S. 944. Die Arbeit der Fertigungs-GmbH, 8.7.27, Anlage zu Jena (Wa.l.) 1764/27 an Neckar (NSS), 12.8.27, BArch-MA RH 8 1/908. M.H. Bauer, Rationalisierung, S. 630. Zur weiteren Tätigkeit der Fertigungs-GmbH als Dienststelle im RLM LCII6 bzw. GL3 s. die Akte mit Manuskripten Bauers in BArch-MA RL 3/1789, zu den Fliegwerkstoffen etwa den Vortrag „Normung und Austauschbarkeit" o.D. (ca. 1938), S. 5, ebd. Fertigung und Normung, Manuskript Bauers o.D., S. 5f., BArch-MA RL 3/1789. Die Arbeit der Fertigungs-GmbH, 8.7.27, Anlage zu Jena (Wa.l.) 1764/27 an Neckar (NSS), 12.8.27, S. 5f., BArch-MA RH 8 1/908.

ge übernahmen, mußten „Richtlinien zur Fertigung" unterschreiben, die nicht nur die Baugruppenaufteilung und die Art vorschrieben, wie Zeich­ nungen und Listen zu erstellen waren. Sie verpflichteten den Hersteller auch zu einer weitgehenden Verwendung von Normteilen, zur Vermei­ dung von komplizierten Teilekonstruktionen und zur Verwendung mög­ lichst einfach aufgebauter Schablonen und Vorrichtungen. Weiter schrieben sie einen Verzicht auf Sondermaschinen und Spezialwerkzeuge vor, ver­ langten Konstruktionen, die Arbeiter ohne besondere Qualifikationen bau­ en konnten, und eine detaillierte Arbeitsvorbereitung. Generell mußten die Herstellungsmethoden, die die Firmen anwandten, die Gewähr bieten, oh­ ne Änderung zu einer Reihenfertigung übergehen zu können. In den „Richtlinien" wurde der Fertigungs-GmbH zugestanden, die Einhaltung dieser Vorgaben zu überwachen und jederzeit in den Bau und die Kon­ struktion eines Flugzeugs eingreifen zu können.364 Die Vorschriften der Fertigungs-GmbH machten die betriebliche Wirt­ schaft der Flugzeugfirmen in einem Maße transparent, wie dies für keine andere deutsche Industrie galt. Sie schuf Kategorien, an denen sich die Flugzeugunternehmen wohl oder übel messen lassen mußten. An der Meßlatte der effizientesten Flugzeugproduktion, die die Fertigungs-GmbH anlegte, entschied sich die weitere staatliche Stützung eines Unternehmens und damit seine weitere Existenz. Die Fertigungs-GmbH repräsentierte somit die Funktion, die der Nachschubstab 1925 als Ziel für die Rüstungs­ agentur des Heereswaffenamtes ins Auge gefaßt hatte. Sie war das Ratio­ nalisierungsinstitut der Flugzeugindustrie. Die Erziehung der Flugzeugin­ dustrie zu einer rationellen Gestaltung der Produktion und des Betriebes hieße, schrieb Bauer 1930, sie zu einer gleichmäßigen Nutzung ihrer Res­ sourcen und zu einer ausgewogenen Kalkulation ihrer Marktchancen zu strie selbst entwickelten oder an Selbstverwaltungskörperschaften dele­ gierten, etwa das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW), das zwar teilweise durch staatliche Beiträge finanziert, aber im wesentlichen durch die Industrie gelenkt wurde, nahm im Falle der Flugzeugindustrie eine nominell private Gesellschaft im Auftrag des Luftdepartements im Heereswaffenamt wahr. Der Rationalisierungsdruck der Fertigungs-GmbH führte indessen zu den ersten Änderungen am Konzept des Luftdepartements. Die fabrikatori­ schen Vorbereitungen und der subventionierte Serienbau zielten darauf ab, durch ein ständiges Training der Firmen im Serienbau den Zeitraum zu verkürzen, der nötig war, um die Flugzeuge für eine große Kriegsluftwaffe herzustellen. Die Flugzeugfirmen sollten dazu gebracht werden, Wissen

361

Wa B 6 1418/6.27, Lieferbedingungen der Fertigungs-GmbH, o.D., BArch-MA RL 3/2276; Wa B 6 2018/28, Richtlinien zur Fertigung, o.D., BArch-MA RL 3/2279. 365 M.H. Bauer, Rationalisierung, S. 630. 215

vorzuhalten, um ihren Produktionsapparat im Mobilmachungsfall so schnell wie möglich umzustellen. Das Ziel der fabrikatorischen Vorberei­ tungen wurde im zweiten Rüstungsprogramm entsprechend definiert: „Schaffung aller fabrikatorischen Grundlagen für die Massenfertigung auf allen Waffen- und Gerätegebieten derart, dass der laufende Bedarf der Kriegswehrmacht von einem möglichst frühen Zeitpunkt ab in vollem Um­ fang durch laufende Fertigung gedeckt werden kann, um die Bevorratung so niedrig als möglich halten zu können/7366 Die ursprüngliche Überlegung Volkmanns ging freilich davon aus, daß die Kapazität der sechs im Serien­ bau trainierten Stammfirmen nicht ausreichen würde, um die geplanten 2.293 Flugzeuge innerhalb eines Jahres zu produzieren. Das Luftdeparte­ ment hatte daher stets die Einschaltung einer Reihe von „Großbaufirmen" vorgesehen, für die erst nach dem Beginn der Mobilmachung die Unterla­ gen und Werkzeuge hergestellt wurden. Im Flugzeugbau waren die Waggonbauuntemehmen stets ein Objekt dieser Überlegungen zur Schaffung einer Reservekapazität, im Flugmotorenbau die Automobilhersteller. 1928 wurden dem Luftdepartement 16 Hersteller von Automobilmotoren für die Flugmotorenproduktion im „A-Fall" zugeteilt.367 Die Lage entwickelte sich freilich günstiger, als ursprünglich erwartet worden war. Dies lag vor allem daran, daß sich weder das Luftdepartement noch die Abteilung Luftfahrt entschließen konnten, welche drei Gemischt­ baufirmen bzw. welche zwei weiteren außer Heinkel mit Aufträgen be­ dacht werden sollten.368 Es schälte sich statt dessen ein Quintett heraus: Udet/BFW, Albatros, Heinkel, Focke-Wulf und Arado, das zeitweise noch um Klemm und Raab-Katzenstein in Kassel ergänzt wurde. Diese, freilich als Zersplitterung kritisierte Auffächerung der Kapazität auf viele Firmen bedeutete, daß sich die Bearbeitung einer Reservekapazität in zusätzlichen „Umstellfirmen" erübrigte. Bauer konnte vielmehr errechnen und auch nachweisen, daß die Kapazitätserweiterung im Kriegsfall durch die Pro­ duktivitätsgewinne ersetzt werden könnte, die durch die Umstellung auf den Serienbau zu erreichen waren: „Durch gut eingerichteten Reihenbau lassen sich gegenüber der normalen Einzelherstellung eines bereits mehr­ fach gebauten Flugzeugs folgende Ersparnisse erzielen: Arbeitszeit 50%,

366 367

368

216

TA 957/30 T2IIL1, Rüstungsprogramm (Heer) 1933/38, 30.9.30, Anlage 9, BArch-MA RH 8 1/897. Manuskript der Vorträge vor dem Chef des Heereswaffenamtes vom Februar 1931, Anlage zu Wa.Prw.8 669/31V an Inl, 16.5.31, Abschnitt E, S. 34, BArch-MA RL 3/2290. Natürlich ergaben sich hieraus Konflikte über die gleichzeitige Durchführung des Motorisierungsprogramms des Heereswaffenamtes: Wa.L 995/29 an Heereswaffenamt, 22.3.29, BArch-MA Wi IF 5/1344. Waren zunächst Albatros und Arado für die Funktion als Stammfirmen in Aussicht ge­ nommen worden, so fielen zeitweise auch Focke-Wulf und die BFW unter diese Kate­ gorie (Wa.B.6 2735/28 an Verteiler, betr.: Fabrikatorische Forderungen, 14.11.28, BArchMA RH 8 1/893, fol. 67), vgl. Wa.B.6 2868/28, Bericht über die Tätigkeit der Wa.B.6 im Dienstjahr 1927/28, 30.11.28, BArch-MA RH 2/2228.

j

Arbeiterzahl 30 - 40%, Maschinenzahl 30%, Laufzeit durch die Werkstätten ca. 70%, Platz ca. 60%. [...] Reihenbau ermöglicht die Verwendung von ungelernten und angelernten Arbeitern männlichen und weiblic en e schlechts in größerem Umfange."369 Ende 1928 definierte Volkmann dar­ aufhin eine Leitlinie, die von den „Umstellfirmen" Abschied nahm: „Der Nachdruck liegt auf den ersten Monaten als den voraussichtlich knegsentscheidenden. Wenn wir also die Rü.-Lage im Aufstellungsfall betrac ten, so müssen wir unser Hauptaugenmerk auf die ausgesprochenen F ugzeug ir men richten, denn nur diese kommen für sofortige Lieferung in Frage. Fall beispielsweise die Entscheidung im ersten halben Jahr des Krieges, so„ die Lieferung der Umstellfirmen überhaupt nicht mehr in Erscheinung. Das Luftdepartement konzentrierte sich statt dessen darauf, die vor­ handenen Firmen nicht nur die Produktion ihrer eigenen Typen, sondern auch fremder Entwicklungen trainieren zu lassen. 1928 lie le ie eri^g von jährlich sechs Flugzeugen des Typs Albatros L77v bzw^ ie schwarze Friedensluftwaffe an,371 die Heinkel nach massiver egenwe r in Lizenz produzieren mußte.372 Das Luftdepartment steckte gleichwohl reent hohe Ziele für das Einüben der Lizenzproduktion fremder Typen un au arten. So erfuhr das Konstruktionsbüro der IFA bei einem Besuc zweier Gruppenleiter des Luftdepartements im Februar 1931, daß ür Jun ers in der zweiten Fliegerrüstungsperiode „allen Ernstes die Herste ung von sechs Flugzeugen im Gemischtbau vorgesehen war, währen OIJll^r em Kriegsflugzeug von Junkers, allerdings mit einem Stahlro rrump , auen sollte.373 Um die drohenden Schwierigkeiten mit der Lizenzvergabe auszu­ räumen, wurden daher 1930 heftig umstrittene Bestimmungen über le Abwicklung von Entwicklungsaufträgen erlassen, in denen sic as eic zugestand, ein mit Reichsmitteln entwickeltes Flugzeugmuster ei eJne beliebigen Lizenzhersteller bauen zu lassen, und zwar bei emer c za von bis zu drei Exemplaren ohne Lizenzabgeltung. Zugleich sicherten sic die militärischen und zivilen Auftraggeber die Rechte an tec nis^ ® Neuerungen, die durch Reichsaufträge ermöglicht wurden, und schrankten konsequent die Verwertung der Neuerungen ein. Lizenz- ° er er Verhandlungen mit ausländischen Stellen bedurften er i igung „Auftraggebers “.374

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Flugzeugherstellung, Vertragsentwurf M.H. Bauer, 26.2.32, BArch-MA RL 3/276. Wa.B.6 2735/28 an Verteiler, betr.: Fabrikatorische Forderungen, 14.11.28, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 66. Ebd., fol. 67. Akten-Notiz über Besprechungen auf dem Abschiedsabend für Student und Lorenz am 6.12.28, HeA Korr. BB1 und Aktennotiz über Besuch bei Volkmann am 11.12.28, ebd. IFA (Eichler), Aktennotiz betr. Besprechung mit Lucht und Mix am 7.2.31, DMM/ASD JA 0302/8/24. Anlagen zur Niederschrift über die außerordentliche Mitglieder-Versammlung des RDLI am 19.12.30, DMM/ASD JA 0502/6/66.

217

Die Einschränkung der Patentverwertung stand im Zusammenhang mit einem Projekt, das seit längerem in der Reichswehr diskutiert wurde. Die auf Typenentwicklung fixierte TA (L) hatte im Januar 1926 die Grün­ dung eines Patentsyndikats angeregt. Volkmann begrüßte die Idee zwar, gab jedoch zu bedenken, daß die Errichtung eines Patentpools sowohl fi­ nanzielle Vorleistungen des Reiches als auch die Unterhaltung einer Ver­ wertungsstelle erfordern würde und zudem die Gefahr drohe, daß die Lie­ ferfirmen auf dem Entwicklungssektor „bequem und unproduktiv" würden.375 Stattdessen schlug Volkmann die indirekte Sicherung der Schutzrechte durch eine entsprechende Abfassung der Entwicklungsauf­ träge vor. Das Vordringen der Fertigungs-GmbH auf diesem Sektor ent­ sprach daher dem 1926 gefundenen Kompromiß, wenngleich der Patent­ pool, nicht zuletzt wegen der heftigen Streitigkeiten über die Patente von Junkers, in der Diskussion blieb.376 Wie weitgehend das Luftdepartment und die anderen militärischen Stellen in die Geschicke der Flugzeugfirmen eingreifen wollten, erschließt sich freilich aus deren Standortpolitik. Seit 1927 bearbeitete das Luftdepar­ tement ein umfassendes Programm zur Konzentration der deutschen Flug­ zeugindustrie an der Ostsee, mit dem die Verlegung von Rohrbach nach Kiel, Heinkel nach Greifswald, Dornier nach Lübeck oder Travemünde be­ trieben wurde. Nachdem freilich im zweiten Rüstungsprogramm aus Ko­ stengründen von einer Verlagerung der Industrie Abstand genommen worden war,377 nahm dieses Standortdesign erst 1932/33 Formen an - ob­ wohl Heinkel bereits Ende 1927 Verträge mit dem Magistrat der Stadt keifswald geschlossen hatte.378 Die Essenz der Rüstungsvorbereitung des Luftdepartements war je-och eine Dissertation. 1929 promovierte Oberleutnant Wolfram von Richt­ hofen,379 seit 1925 Referent bzw. Gruppenleiter in der Wa.l., mit einer Ar-

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Zum Patent-Pool oder -Syndikat s. Wa.l 147/26 v. 4.2.26 an TA (L), BArch-MA RH 8 1/ 3604, fol. 78-82. Hauptbüro (Kottmeier) an RDLI, betr.: Gegenseitiger Patenttausch, 30.6.30, DMM/ASD JA 0502/6/49. TA 957/30 T2IIL1, Rüstungsprogramm (Heer) 1933/38, 30.9.30, Anlage 9, BArch-MA RH 8 1/897. Wa.B.6 2868/28, Bericht über die Tätigkeit der Wa.B.6 im Dienstjahr 1927/28, 30.11.28, BArch-MA RH 2/2228, fol. 206. Pfistermeister an Heinkel, 27.12.27, HeA Korr. BB1. Bemerkenswert ist vor allem an der Wahl Greifswalds zweierlei: Zum einen hatte sich die Stadt ungefragt an das Reichswehrministerium gewandt, zum zweiten machte sich hier erstmals das Moment der Standortkonversion von der Eisenbahn zum Flugzeug­ bau bemerkbar. Im Zuge der Rationalisierungsmaßnahmen der Reichsbahngesellschaft war das Greifswalder Reparaturwerk stillgelegt worden, das die Stadt nun als Standort für ein Flugzeugwerk anbot: Magistrat der Stadt Greifswald an das Reichswehrministe­ rium, 8.6.27, BArch-MA RH 12-1/38. Wolfram Freiherr v. Richthofen (1895-1945), ein Vetter Manfred v. Richthofens, 1918 als Leutnant Jagdflieger im JG1, danach Studium an der TH Hannover, 1925-1929 im Heereswaffenamt, 1929 informeller Luftattachö an der Botschaft in Rom, im RLM Abtei-

beit bei Wilhelm Hoff, die unter dem harmlos klingenden Titel „Der Ein­ fluß der Flugzeugbauarten auf die Wirtschaftlichkeit des Flugbetriebes in das Verzeichnis der deutschen Hochschulschriften aufgenommen wurde. Tatsächlich aber ging es — so auch der Titel des Exemplars in der Bibliothek der TH Charlottenburg - um den „Einfluß der Flugzeugbauarten auf die Beschaffung unter besonderer Berücksichtigung militärischer Gesichts­ punkte". Richthofen hatte seit 1925 an dieser Dissertation gearbeitet, die erwähnte Denkschrift aus dem Jahr 1926 - „Holz oder Metall" — war eine ihrer Vorstufen. Die Erkenntnisse des Luftdepartements bündelten sich in dieser Ar­ beit, weil Richthofen zu ihrer Erstellung die Daten über den deutschen Flugzeugbau abgerufen hatte, die seit 1925 erhoben und kontinuierlich im Heereswaffenamt gesammelt worden waren. Er definierte bestimmte Bau­ arten, die in der Mehrzahl für nur eine Firma charakteristisch waren: Du­ ralrohrbau (Junkers); Duralstahlbau (Dornier); Duralprofilbau (Rohrbach); Holzbau (Focke-Wulf, mit Einschränkungen BFW); reiner Gemischtbau (Heinkel, Arado); Stahlrohrduralbau (Albatros). Für jede dieser Bauarten stellte Richthofen eine Palette von Kennziffern und Merkmalen zusammen, die ihre Eigenschaften ökonomisch und technisch ausloteten: Kennziffern zur Zusammensetzung der Arbeiterschaft, Werkstatteinrichtung und -ausstattung, zu Materialkosten und Arbeitslöhnen, Produktionsabläufen und betriebswirtschaftlichen Kalkulationen, Statistiken über den Verschleiß ein­ zelner Flugzeugmuster, über Reparaturkosten und -aufwand, über den Be­ darf an Holz, Stahl und Leichtmetall, ihre Bezugmöglichkeiten in Inner­ deutschland und im Ausland und vor allem Übersichten über die Verände­ rung der technischen und ökonomischen Parameter der einzelnen Bauarten im Serienbau. Der lexikalische Wert der Arbeit war indes nur ein Nebenprodukt. Für Richthofen ging es um die Beantwortung der Frage, welche Bauart und damit welche Firma für welche Form der Rüstung am geeignetsten war, für die Rüstung im Frieden — „bei dauernder Unterhaltung von Flugzeugen — und für die Rüstung im Krieg — „bei der Beschaffung einer großen Menge von Flugzeugen in kürzester Frist". Richthofen definierte daher zunächst die Prioritäten der militärischen Beschaffung, differenziert nach den Ge­ sichtspunkten, die eine „stehende" und eine mobilgemachte Luftwaffe stellen müßte, und stellte diese Prioritätenlisten gegeneinander.

lungsleiter im Technischen Amt, 3. Kommandeur der Legion Condor, nach Kriegsaus­ bruch Kommandeur verschiedener Luftwaffeneinheiten, 1943 Generalfeldmarschall (Irving, Göring, S. 421).

219

Prioritäten der Flugzeugbeschaffung

1

2 3 _4 5_ 6

7_ 8_ 9 10 11 12

13 14 15 16 17

einer Friedensluftwaffe Bezugspreise der Flugzeuge Lebensdauer der Flugzeuge Widerstand gegen besondere Beanspruchungen____________ Reparaturaufwand___________ Brandgefahr__________________

Deckungsmöglichkeit der Werkstoffe___________________ Wetterbeständigkeit__________ Beschußempfindlichkeit______ Zusammensetzung der Belegschaft ___________________ Lagerfähigkeit der Flugzeuge Lagerfähigkeit der Werkstoffe Wiederverwertbarkeit verbrauchter Flugzeuge

einer Kriegsluftwaffe________ Deckungsmöglichkeit der Werkstoffe___________________ Lagerfähigkeit der Werkstoffe Bezugskosten der Werkstoffe

Aufwand an Arbeitszeit________ __ Zusammensetzung der Belegschaft Anlaufzeit der Produktion Wetterbeständigkeit________ Beschußempfindlichkeit Widerstand gegen besondere Beanspruchungen___________ Werkstatteinrichtungen_____ Gliederung der Werkräume Widerstand gegen Feuer

Lagerfähigkeit der Flugzeuge_______. Reparaturaufwand_________________ Wiederverwertbarkeit verbrauchter Flugzeuge__________________________ Bezugspreise der Flugzeuge_____ ___ Lebensdauer der Flugzeuge

Es zeigte sich somit, daß die Prioritäten bei der Unterhaltung einer Friedensluftwaffe und einer Kriegsluftwaffe unterschiedlich waren. Äh­ nelten die Anforderungen an Flugzeuge für die Friedensluftwaffe denjeni­ gen, die auch auf dem Verkehrsmarkt galten - etwa die hoch angesetzte Bedeutung des Bezugspreises und der Lebensdauer der Flugzeuge - so wa­ ren es genau diese Merkmale, die im Kriegsfall am wenigsten eine Rolle spielten. Gesichtspunkte wie etwa eine Werkstatteinrichtung ohne aufwen­ dige Spezialmaschinen oder eine Werkraumgliederung, die eine dezentrali­ sierte Gruppenfabrikation zuließ, fehlten unter den Prioritäten für die Frie­ densluftwaffe ganz. Als Voraussetzung seiner Liste formulierte Richthofen einen modus vi­ vendi für das Verhältnis von Beschaffung und Entwicklung in den beiden Stadien der Rüstung. Wenngleich die Serienfertigung „allein vom industriellen Standpunkt aus angestrebt werden muss, da nur so die Verdienstmöglichkei­ ten geschaffen werden können, die eine gesicherte Existenz und eine fort-

220

schreitende Entwicklung der Flugzeugindustrie verbürgen,"380 seien Konstruk­ tion und Typenentwicklung für einen dauernd unterhaltenen Flugzeugpark zweifellos ausschlaggebend, schrieb Richthofen. Bei der „Befriedigung eines besonderen Bedarfs" müßten Forderungen nach „besonders hohen Leistun­ gen auf konstruktivem Gebiet" jedoch gegenüber den Bedürfnissen einer effizienten Serienproduktion zurücktreten. Die Richthofensche Kategorisie­ rung bot somit einen Ansatz zur Versöhnung zwischen Beschaffung und Entwicklung. Wenn es gelang, eine Bauart zu ermitteln, die allen Anforde­ rungen, also einem „Friedensrüstungsmarkt" bzw. Zivilmarkt mit hoch an­ gesetzter Bedeutung von Entwicklung und Konstruktion und einem „Kriegs­ rüstungsmarkt" mit einem eindeutigen Akzent auf der Massenherstellung von Flugzeugen, gleichermaßen dienlich war, so war die Basis für einen Ausgleich der Interessen gefunden. In diesem Sinn ging Richthofen vor. Nachdem er für jeden einzelnen Punkt der zwei Prioritätenlisten Ränge für die diversen Bauarten ermittelt hat­ te, stellte er für die beiden möglichen Rüstungsfälle Tabellen zusammen, die darüber Auskunft gaben, welche Bauarten und damit welche Firmen unter die­ sen Prämissen auf dem Rüstungsmarkt eine Chance haben würden: Rangfolge der Bauarten381

bei Unterhaltung einer Friedensluftwaffe

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Duralprofilbau (Rohrbach) Duralstahlbau (Dornier) Duralrohrbau (Junkers) Reiner Gemischtbau Holzbau (Focke-Wulf) Stahlrohrduralbau (Albatros)

im Kriegsfall

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Holzbau (Focke-Wulf) Duralprofilbau (Rohrbach) Duralrohrbau (Junkers) Duralstahlbau (Dornier) Reiner Gemischtbau Stahlrohrduralbau (Albatros)

Der bemerkenswerteste Befund dieser Rangliste war das schlechte Ab­ schneiden der Firma Albatros. Die als Übergang zur Ganzmetallbauweise kultivierte Verwendung von Stahlrohren und Duralblechen ergab Richt­ hofen zufolge Flugzeuge, die kaum gelagert werden konnten und theore­ tisch außerordentlich empfindlich gegen Beschuß waren, dagegen aber hochlegierte Stahlrohre erforderten, die im Kriegsfall nur schwierig be­ schafft werden konnten. Ausschlaggebend für den in beiden Rüstungsfällen fast gegenteiligen Rang des Holzbaus war die Lebensdauer der so herge­ stellten Flugzeuge. Richthofen errechnete, daß sich bei den 1918 von den deutschen Fliegerkräften verwendeten Flugzeugen eine durchschnittliche Lebensdauer von nur „3 (drei)" Betriebsstunden ergeben hatte - die kaiser­ lichen Luftstreitkräfte hatten monatlich etwa 20% ihres Bestandes einge380 381

Richthofen, S. 3. Ebd., S. 88, Abb. 26 u. 28. 221

büßt.382 Da somit alle Parameter tendenziell marginalisiert wurden, die mit der Dauerhaftigkeit der Flugzeuge - also der Hauptanforderung des Ver­ kehrsmarktes und der „Friedensrüstung" - zusammenhingen, ergaben sich im Kriegsfall deutliche Vorteile für Flugzeuge aus Holz. Da die deutsche Luftrüstung auf absehbare Zeit finanziell nicht in der Lage sein würde, die Industrie dauernd zur Pflege zweier Produktionsfor­ men anzuhalten, die die größtmöglichen Extreme darstellten, den Holzbau und den ausschließlich auf Duraimin basierenden Flugzeugbau Rohrbachs, gab es nur einen Schluß, der aus den Untersuchungen Richthofens gezogen werden konnte. Die militärische Technikstrategie mußte darauf abzielen, alle Firmen bei der Umstellung auf eine Bauart zu unterstützen, die im Frieden die beste und im Krieg die zweitbeste Lösung darstellte: diejenige der Rohrbach-Metallbauten.383 Volkmann, der die Richthofensche Arbeit im Heereswaffenamt herumreichte - „Das Ergebnis der Untersuchungen achtungen und Ermittlungen überein; infolgedessen tritt die Gruppe ihm für jetzt und die nächsten Jahre voll und ganz bei" - zog diese Schlußfolge­ rung aus der Dissertation seines Mitarbeiters: „Die beschleunigte Umstel­ lung des Flugzeugbaus von den für die Bevorratung bevorzugten auf die während des Rüstungsfalls in Frage kommenden Bauarten wird den Anlauf erheblich verlängern. Es erscheint daher notwendig, die Mittel zu finden, die es ermöglichen, die für den Rü.-Fall in Frage kommenden Bauarten auch für die Bevorratung brauchbar zu machen."384 Richthofen steckte so­ mit den Rüstungsmarkt für Flugzeuge ab. War die militärische Vorgabe an die Unternehmen bis dahin darauf beschränkt, geeignete Konstruktionen für Angriff, Verteidigung und Aufklärung zu fordern, so konnte die Richt­ hofensche Prioritätenliste nun dazu benutzt werden, zugleich bindende Anforderungen an den strukturellen Aufbau und die Werkstoffwahl im Sinne einer effizienten Beschaffung zu formulieren. Das bedeutete zugleich, daß das Luftdepartement nun wußte, welche Parameter der Produktion zu ändern waren, um bei einer Firma die Fähigkeit zur effizienten Bedienung des Rüstungsmarktes zu erhalten. Wie effizient freilich die fabrikatorischen Vorbereitungen implementiert worden waren, zeigte sich in einer Opti­ mumrechnung des Luftdepartements von 1929. Darin wurde die Maximal­ kapazität der deutschen Flugzeugindustrie unter der Voraussetzung unbe­ grenzter Vor- und Unterlieferungen kalkuliert. Volkmann kam auf die gewaltige Zahl von fast 9.000 Kriegsflugzeugen, die die deutsche Flug­ zeugindustrie innerhalb eines Jahres herstellen könnte.385

382 383 384

385

222

Ebd., S. 85. Zur Bewertung der IFA-Bauweise s. Aktennotiz betr. Besprechung mit Lucht u. Mix am 7.2.31, DMM/ASD JA 0302/8/24. Wa.B.6: Stellungnahme zu der Arbeit des Oberleutnants Dipl.-Ing. Frhr. von Richt­ hofen, BArch-MA RH 8 1/893, fol. 61-64, mit Schreiben Wa.B.6 1051/10.28, 18.10.28, an die Abteilungen des Heereswaffenamtes versandt. Bruno Maass, S. 516; Hertel, Flugzeugbeschaffung, Bd. 1, fol 75ff. u. 78.

Die Aufgaben, die das Luftdepartement und seine Vorläufer zwischen 1926 und 1933 übernahmen, blieben freilich nicht ohne Rückwirkung auf die Zusammensetzung dieser Dienststelle selbst. Aktive Offiziere bildeten in der Wa B 6, der Wa.L. und der Wa.Prw.8 eine verschwindende Minderheit. Unter den 43 Personen, die 1931 in der Zentrale der Wa.Prw.8 arbeiteten, befanden sich insgesamt 19 Ingenieure (16 mit Diplom), ein Chemiker und ein Physi­ ker. Dagegen gab es nur insgesamt vier aktive Offiziere, wobei zwei von ih­ nen (der Leiter der Gruppe Entwicklung/Flugzeuge, Conrad, und der Leiter der Gruppe Entwicklung/Waffen u.a., Ploch) ebenfalls den Abschluß als Di­ plom-Ingenieur besaßen. Verabschiedete Offiziere und Unteroffiziere (9) tru­ gen neben einer Reihe von Sekretärinnen (10) die Verwaltungsarbeit. Ledig­ lich Wimmer und der Leiter der Gruppe Beschaffung waren in diesem Sinne reine Militärs. In den Bauaufsichten arbeiteten weitere 15 Ingenieure, in der Fertigungs-GmbH sechs Ingenieure und vier Konstrukteure. In der Erpro­ bungsstelle des Reichsverbandes in Staaken, die der Wa.Prw.8 unterstellt war, gab es noch elf Ingenieure, dazu 50 Arbeiter und Meister. Insgesamt beschäftigte das Luftdepartement 1931 etwa 160 Menschen und besaß dabei — gemessen an den vertretenen Qualifikationen — eher das Aus­ sehen einer gut ausgestatteten Entwicklungsabteilung eines Flugzeugpro­ duzenten denn einer militärischen Behörde. Die Rohrbach-Metallbauten hatten auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung (1928) gerade 171 Angestellte (104 im technischen Bereich), Heinkel damals 116, Albatros 62.386 Dabei war die Besetzung der Stellen durchaus hochkarätig. So beschäftigte das Luft­ departement den Mitherausgeber der ZFM, vormaligen Abteilungsleiter bei Dornier und Privatdozenten der TH Karlsruhe, Hans Georg Bader, der 1927 eine der ersten modernen Flugzeugbaukunden veröffentlichte.387 Ange­ sichts der Tatsache, daß jährlich nur eine Handvoll Diplom-Ingenieure des Flugzeugbaus die deutschen Hochschulen verließen, war die Verpflichtung von Ingenieuren, die oft eine Ausbildung als Zivilpiloten genossen hatten, durchaus ein Beleg für die Kompetenz, die in dieser Organisation versam­ melt war. Tatsächlich betrieb das Luftdepartement auch eine Art Nach­ wuchssicherung. Seit 1926 wurden kontinuierlich Mittel für die Ausbildung von Betriebsingenieuren und Werkmeistern bei den Flugzeugunternehmen ausgeschüttet (1930: 25.000 Mark) - „zur Vermehrung des für eine Rüstung brauchbaren Personalbestandes", wie es hieß.388

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Wa Prw 8 7220/31 A2, Arbeitsplan der Wa Prw 8, 29.5.31, BArch-MA RH 8 1/898; Stel­ lenbesetzung der Wehrmachts-Lu ft-Abteilung z.Zt. Wa Prw 8, o.D. (ca. 1931), BArchMA RH 8 1/3603, fol. 22-28; Die RMF seit ihrer Gründung und ihre Beziehungen zum Reich, Anlage zu RVM an RWM, 29.12.31, BArch-MA RH 12-1/40, fol. 20. Bader, passim. Bader blieb freilich auch nach der Gründung des Reichsluftfahrtministe­ riums im Heereswaffenamt, s. Kürschners Gelehrtenkalender Jg. 1931 u. 1936. Wa.B.6 75/1.28 an Wa.A., Bericht über die Tätigkeit der Gruppe im Dienstjahr 1926/27, 30.9.27, S. 9f., BArch-MA RH 8 1/1366, (=IMT Dok. NIK 12821); T2V(L) ..6/29, Entwurf zum Etat der Wa (L) für 1930, BArch-MA RH 2/2228.

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