Konkurrenz und Transfer: Das preußisch-österreichische Verhältnis im 18. Jahrhundert 9783839467770

Das Verhältnis zwischen Preußen und Österreich im 18. Jahrhundert war konfrontativ und es herrschte ein Gegensatz der Sy

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Konkurrenz und Transfer: Das preußisch-österreichische Verhältnis im 18. Jahrhundert
 9783839467770

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Transferprozesse
Entscheidung und Geheimnis
»Preußen in weiß«
Intellektueller Austausch im Finanzwesen
Konfessionelle Pluralität und religiöse Minderheiten in den Ländern der Hohenzollern und Habsburger im 18. Jahrhundert
Bildungskonzepte in der Verflechtung
Arenen der Konkurrenz
Geteiltes Land – intensivierte Kooperation
Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750
Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen
Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
»Wie der Affe mit der Katze«?
Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs unter Friedrich dem Großen und Maria Theresia
Siglenverzeichnis
Personenregister

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Bettina Braun (Hg.) Konkurrenz und Transfer

Mainzer Studien zur Frühen Neuzeit Band 3

Editorial In der Reihe Mainzer Studien zur Frühen Neuzeit werden Forschungsergebnisse veröffentlicht, die kulturwissenschaftliche Methoden und Theorien mit frühneuzeitlichen Forschungsfeldern verbinden. Grundlegend ist eine quellenorientierte Perspektive, wobei sowohl die untersuchten Materialien und Medien als auch die behandelten Regionen ein breites Spektrum einnehmen können. Die Reihe führt unter anderem geschichtswissenschaftliche, kunstgeschichtliche, musik- und literaturwissenschaftliche sowie buch- und translationswissenschaftliche Forschungsansätze zusammen und ist für Beiträge zu politischer Kultur und Gemeinschaftsbildungen, zur Geschichte des Wissens, der Emotionen, Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswelten sowie für andere historischkulturwissenschaftliche Forschungsfelder offen. Ziel der Reihe ist es, ein Forum für innovative Arbeiten und aktuelle Diskussionen auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Kulturwissenschaften zu bieten. Verantwortet wird die Reihe durch die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelte Forschungsplattform Frühe Neuzeit. Die Reihe wird herausgegeben für die Forschungsplattform Frühe Neuzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz von Matthias Müller, Klaus Pietschmann und Elke Anna Werner.

Bettina Braun (Prof. Dr.), geb. 1963, lehrt Neuere Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Bettina Braun (Hg.)

Konkurrenz und Transfer Das preußisch-österreichische Verhältnis im 18. Jahrhundert

Gefördert von der Forschungsplattform Frühe Neuzeit, der Johannes GutenbergUniversität Mainz und der Forschungsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Das Titelbild zeigt die Begegnung König Friedrichs II. mit Kaiser Joseph II. in Neiße 1769. Für die »Geschichte Friedrichs des Großen« von Franz Kugler, die 1842 erstmals erschien, fertigte Adolph Menzel unzählige Zeichnungen an, darunter auch diese Darstellung von dem »Gipfeltreffen« der beiden Monarchen im schlesischen Neiße. Neue durchges. Aufl. Leipzig 1856, Seite 448, zur Verfügung gestellt durch: Werke Friedrichs des Großen. Digitale Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier, www.friedrich.uni-trier.de Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839467770 Print-ISBN 978-3-8376-6777-6 PDF-ISBN 978-3-8394-6777-0 Buchreihen-ISSN: 2941-1327 Buchreihen-eISSN: 2941-1335 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Vorwort Bettina Braun ........................................................................7

Einleitung Bettina Braun ........................................................................9

Transferprozesse Entscheidung und Geheimnis Zur monarchischen Herrschaftspraxis des Kabinetts in Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert Wolfgang Neugebauer ............................................................... 21

»Preußen in weiß« Die k. k. Armee und die »Verpreußung« der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Michael Hochedlinger............................................................... 59

Intellektueller Austausch im Finanzwesen Die Rechenkammern in der Habsburgermonarchie und in Preußen Simon Adler........................................................................ 95

Konfessionelle Pluralität und religiöse Minderheiten in den Ländern der Hohenzollern und Habsburger im 18. Jahrhundert Frank Kleinehagenbrock ............................................................ 131

Bildungskonzepte in der Verflechtung Johann Ignaz von Felbiger und seine Ideen in den Reichen der drei schwarzen Adler Jan Kusber ........................................................................ 161

Arenen der Konkurrenz Geteiltes Land – intensivierte Kooperation Schlesien als gemeinsame Agenda Österreichs und Preußens Ellinor Forster..................................................................... 183

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750 Wahrnehmungen – Verflechtungen – Methoden Michael Rohrschneider .............................................................201

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen Eine Studie zur österreichisch-preußischen Konkurrenz Bettina Braun ..................................................................... 233

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Anette Baumann ...................................................................281

»Wie der Affe mit der Katze«? Kurhannover-England, Kurbrandenburg-Preußen und die Kaiser des Hauses Österreich im 18. Jahrhundert, konkurrenztheoretisch betrachtet Gabriele Haug-Moritz .............................................................. 297

Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs unter Friedrich dem Großen und Maria Theresia Jacek Kordel.......................................................................321

Siglenverzeichnis .............................................................. 357 Personenregister ............................................................... 359

Vorwort Bettina Braun

Die Idee zu diesem Sammelband entstand im Anschluss an die von mir geleitete Sektion »Die preußisch-österreichische Konkurrenz im 18. Jahrhundert« auf der 13. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands in Rostock im September 2019. In dem begrenzten Rahmen einer Tagungssektion konnten nur wenige Gesichtspunkte der Thematik angesprochen werden, und auch die Tagungspublikation erlaubte nur eine knappe Dokumentation der Vorträge.1 Gleichzeitig äußerten verschiedene Kolleginnen und Kollegen die Hoffnung, dass das Sektionsthema in ein größeres Projekt oder wenigstens eine umfassendere Publikation münden würde, da hier doch ganz offensichtlich ein Desiderat vorliege. Derart ermuntert und zugleich von den Diskussionen in Rostock über verschiedene Ausprägungen der Konkurrenz angeregt, habe ich deshalb bei Kolleginnen und Kollegen angefragt, die entweder aus preußischer oder aus habsburgischer oder idealiter aus beiden Perspektiven etwas zum Thema beitragen könnten. Ich danke den Autorinnen und Autoren, dass sie sich bereit erklärt haben, auch ohne Zusammenhang zu einer Tagung einen Beitrag zu schreiben, und ich danke ihnen für die Geduld, als die Fertigstellung des Bandes länger auf sich warten ließ als ursprünglich geplant. Ich freue mich, dass der Band in der neuen Reihe »Mainzer Studien zur Frühen Neuzeit« erscheinen kann, die von der »Forschungsplattform Frühe Neuzeit« der Johannes Gutenberg-Universität herausgegeben wird, und ich danke dem Leitungsteam der Forschungsplattform Prof. Dr. Matthias Müller, Prof. Dr. Klaus Pietschmann und Prof. Dr. Elke Werner für diese Möglichkeit. In der Forschungsplattform Frühe Neuzeit haben sich Wissenschaftlerinnen

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Neumann, Franziska/Poettering, Jorun/Thiessen, Hillard von (Hg.), Konkurrenzen in der Frühen Neuzeit. Aufeinandertreffen – Übereinstimmung – Rivalität (FrühneuzeitImpulse 5), Köln/Wien/Weimar 2023.

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und Wissenschaftler, die ganz unterschiedlichen Disziplinen angehören, die aber das Interesse für die Frühe Neuzeit teilen, zusammengefunden. In den letzten drei Jahren haben wir uns vor allem mit »Figurationen des Nationalen« vor der Epoche der Nationalstaaten beschäftigt. In diesen größeren Kontext gehört auch der hier vorgelegte Band. Denn indirekt geht es auch hier um die Nation und um Nationales, nämlich um die spezifische Situation im Heiligen Römischen Reich als eine der möglichen Ursachen für die verspätete deutsche Nationswerdung. Mein Blick auf diese Bedingungen wurde durch unsere zahlreichen Diskussionen im Rahmen der Forschungsplattform enorm geschärft und auch verändert. Dafür möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken. Ich habe die Freitagnachmittage über die »Figurationen des Nationalen« stets als sehr konstruktiv und fruchtbar empfunden, und das selbst unter den Bedingungen langer Zoom-Sitzungen während der Pandemie. Danken möchte ich auch für die Übernahme der Reisekosten für Archivaufenthalte in Wien und Berlin, die die Voraussetzung für meinen eigenen Beitrag bildeten. Bei der Herstellung des Bandes haben mich die wissenschaftlichen Hilfskräfte der Forschungsplattform, Sebastian Herold und Alina Hauch, unterstützt, auch ihnen gilt mein Dank.

Einleitung Bettina Braun

Am Ende seiner »Deutsche[n] Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen« zieht Bernhard Erdmannsdörffer eine positive Bilanz des Lebenswerks des preußischen Königs Friedrich Wilhelms I., indem er konstatiert, »das deutsche Volk lebte wieder, nachdem es lange nur gelitten hatte.« Allerdings schränkt er dann ein: »Nur auf dem Gebiete der nationalen politischen Gemeinschaft kein rettender Gedanke, kein zukunftsvoller neuer Anfang.« Als Ursachen macht er den Fortbestand der »erstarrten Formen der alten Reichsverfassung« und die außerdeutschen Verbindungen wichtiger Territorialstaaten verantwortlich, die diese »aus dem natürlichen Zusammenhang des deutschen Nationallebens herausgerissen« hätten, und er fährt fort: »Es gibt nur zwei auf sich selbst gestellte deutsche Staaten: Österreich und Preußen. Auf ihrem Gegensatz beruht die Fortentwicklung der nationalen Geschicke.« Dabei standen sich die »durch alte Mißregierung entkräftete[...], durch neue Mißgeschicke gelähmte[...] österreichische Monarchie« und das »neugeborene Preußen Friedrich Wilhelms, in strotzender Gesundheitsfülle, mit gesammelter Kraft« gegenüber.1 Diese Charakterisierung der Lage in Deutschland um 1740 enthält die zentralen Elemente, die lange Zeit das Bild der deutschen Geschichte des 18. Jahrhunderts bestimmten. Die als wünschenswert und historisch notwendig erachtete Nationswerdung habe in Deutschland nicht stattfinden können, nachdem die Fortentwicklung des Reichs zu einem mächtigen Nationalstaat endgültig durch den Westfälischen Frieden verhindert worden sei und die nachfolgenden Generationen nicht in der Lage gewesen seien, diesen Fehler zu korrigieren. Angesichts des Versagens des Kaisertums und der Egoismen der Territorialstaaten sei Preußen seit Friedrich Wilhelm I. in die Bresche gesprungen und habe praktisch im Alleingang die Wende zum Besseren erreicht. Hier

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Erdmannsdörffer, Geschichte, 1932, Bd. 2, S. 469.

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klingt bereits der »nationale Beruf Preußens« an, der in der Reichsgründung 1871 seine Erfüllung fand.2 Das 18. Jahrhundert jedoch, von einer nationalen Einigung weit entfernt, sei geprägt worden durch den preußisch-österreichischen Gegensatz, der kaum groß genug gedacht werden konnte. Dieses Geschichtsbild ist in seiner Bewertung und in seiner Teleologie längst überwunden. Weiterhin aber wird von einem preußisch-österreichischen Dualismus ausgegangen, dem zwar nicht mehr die Verantwortung für die verzögerte Nationswerdung angelastet wird, der aber nach wie vor von der Existenz zweier konkurrierender und kategorial unterschiedlicher Formen von Herrschaft ausgeht.3 Dabei besteht durchaus Anlass, dieses Modell zu hinterfragen. Denn immerhin waren sowohl Österreich als auch Preußen Teil der das Reich und Europa überwölbenden Adelsgesellschaft, und standen beide Mächte vor ganz ähnlichen Herausforderungen (zusammengesetzte Staatlichkeit, Ressourcenknappheit, Integration neu erworbener Gebiete, dynastische Kontinuität, religiöse Pluralität). Dieses Wissen um die gemeinsamen Strukturen und Probleme führte freilich bisher kaum zu einer Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Interdependenzen zwischen den beiden um die Vorherrschaft im Reich ringenden Konkurrenten oder zu einer Analyse von Transfervorgängen zwischen den beiden Mächten oder über Dritte. Dies ist auch deshalb erstaunlich, weil manche dieser Transferprozesse seit langem bekannt sind (Militär, Verwaltung), ebenso wie manche »Grenzgänger« (Friedrich Wilhelm von Haugwitz, Abt Johann Ignaz von Felbiger). Diesen Beispielen ist freilich gemeinsam, dass der Transfer jeweils von Preußen in Richtung Habsburgermonarchie lief, die umgekehrte Richtung (oder auch ein Transfer über Dritte) wurde aufgrund der Annahme von der Fortschrittlichkeit Preußens und der korrespondierenden Rückständigkeit Österreichs erst gar nicht in Erwägung gezogen. In dem vorliegenden Sammelband wird hingegen eine andere Perspektive eingenommen. Den Ausgangspunkt bildet der Handlungsraum Reich, in dem 2

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Siehe dazu z.B. Johann Gustav Droysen: »Die Sache der Nation ist jetzt bei Preußen […] Die deutsche Macht zu sein ist seine geschichtliche Aufgabe«; Droysen, Preußen, 1933 [1849], S. 227 bzw. 228f. Daneben wird dann eventuell noch von der Existenz eines »dritten Deutschland« ausgegangen, worunter die Territorien des Reichs zu verstehen sind, die sich keiner der beiden Großmächte anschließen wollten, d.h. es handelt sich eher um eine bündnispolitische Kategorie als um eine Aussage über das Herrschaftsmodell. Der eigentlich primär für den Deutschen Bund des 19. Jahrhunderts verwendete Begriff bei Burkhardt, Geschichte, 2006, S. 442 für das Reich nach 1763.

Einleitung

die beiden konkurrierenden Mächte agierten. Dieses Agieren geschah auf vielfältige Weise und erfolgte nicht notwendigerweise und ausnahmslos konfrontativ. Der Paukenschlag des preußischen Einmarschs in Schlesien, die Auseinandersetzungen des Österreichischen Erbfolgekrieges und des Siebenjährigen Krieges, die beide Mächte an ihre Grenzen führten und die sich dramatisch auch zu einem Zweikampf zwischen Maria Theresia und Friedrich II. stilisieren ließen, verdecken leicht den Blick dafür, dass der agonale Kampf nicht die einzige Erscheinungsform dieser Konkurrenz war. Konkurrenz konnte eben auch bedeuten, den anderen zu beobachten, erfolgreiche Konzepte des Gegners zu übernehmen oder auf vergleichbare Probleme mit ähnlichen Maßnahmen zu reagieren. Konkurrenz setzte aber auch voraus, sich in einem gemeinsamen Raum zu bewegen, oder wie Gabriele Haug-Moritz das in ihrem Beitrag formuliert: »Konkurrenz braucht […] einen Ort, an dem sie immer wieder aufs Neue aufgeführt werden kann.«4 Wenn zwei Akteure in völlig unterschiedlichen Sphären unterwegs sind, stehen sie eben nicht (mehr) in Konkurrenz zueinander. Dieser gemeinsame Raum war – bei allem Ausgreifen über die Reichsgrenzen hinaus – zunächst primär das Reich und dann das dynastische Europa. Diese Vielfalt der Aktionsformen jenseits der kriegerischen Auseinandersetzungen versucht der Band einzufangen, indem zwei unterschiedliche Zugänge zum Handeln der beiden Mächte gewählt werden, die aber beide nicht von vornherein nur auf Abgrenzung und Konflikt fokussieren. Zum einen werden Transferprozesse untersucht und zum anderen Arenen des Kontakts und der Konkurrenz analysiert. Für die Transferprozesse wird von verschiedenen Handlungsfeldern und Herausforderungen ausgegangen, um zu analysieren, mit welchen Mitteln auf beiden Seiten versucht wurde, die Probleme anzugehen und welche Rolle dabei der Austausch von Personen und Konzepten spielte. Dabei werden ausdrücklich beide Transferrichtungen und auch indirekte Vermittlungsprozesse für unterschiedliche Politikfelder berücksichtigt. Im Bereich Politik und Verwaltung untersucht Wolfgang Neugebauer die Regierung aus dem Kabinett. Den Bereich des Militärs deckt Michael Hochedlinger mit seiner Studie über die »Verpreußung« der habsburgischen Armee ab. Simon Adler nimmt aus dem großen Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik die Rechenkammern exemplarisch in den Blick. Frank Kleinehagenbrock widmet sich dem auch für das 18. Jahrhundert weiterhin wichtigen Bereich der Religionspolitik anhand der Frage nach dem Umgang mit konfessionellen und religiösen Minderheiten. Und 4

Siehe den Beitrag von Haug-Moritz in diesem Band, S. 304.

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für das Bildungswesen konzentriert sich Jan Kusber auf einen zentralen Akteur, Johann Ignaz von Felbiger, und stellt ihn in größere, auch über Preußen und Österreich hinausreichende Zusammenhänge. Dass in dieser Zusammenstellung viele, auch wichtige Handlungsfelder fehlen und innerhalb der einzelnen Felder auch andere Schwerpunkte denkbar gewesen wären, ist offensichtlich. Selbstverständlich wäre ein Beitrag zur dynastischen Politik der beiden Häuser wünschenswert gewesen. Neben dem Kabinett wären sicherlich auch die Zentral- oder die Lokalverwaltung oder das Verhältnis einzelner Länder zur Zentrale interessante Untersuchungsobjekte gewesen. Auch nach dem Umgang mit dem Adel und dem Ständewesen hätte gefragt werden können. Die Integration neugewonnener Gebiete stellte beide Mächte vor erhebliche Herausforderungen, die auf ihre gegenseitige Wahrnehmung und eventuell Beeinflussung hin zu untersuchen wären. Auf dem weiten Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik wären weitere Sonden z.B. zum Steuerwesen, zur Wirtschaftsförderung oder zur Zunftpolitik denkbar gewesen. Zudem fehlt der ganze Bereich der Kultur. Der Erfüllung eines solchen Wunschzettels setzt freilich nicht nur der Umfang eines Buches Grenzen, sondern auch die Forschungslage und die Verfügbarkeit der einschlägigen Expertinnen und Experten. Vollständigkeit konnte deshalb von vornherein nicht angestrebt werden. Statt dessen wurde versucht, zentrale Bereiche mit einzelnen Studien abzudecken, wobei eher überblicksartige Beiträge neben in die Tiefe gehenden Fallbeispielen stehen. In der zweiten Sektion werden verschiedene Arenen untersucht, in denen preußische und österreichische Vertreter und/oder Interessen direkt aufeinandertrafen. Für diese Arenen wird nach den Kontakt- und Abgrenzungsmechanismen gefragt, nach Strategien der Konkurrenz oder auch der Zusammenarbeit. Die von Ellinor Forster aufgesuchte Arena ist mit Schlesien die Region, in der die preußischen und österreichischen Interessen 1740 direkt und höchst konfrontativ aufeinandertrafen, und wo doch anschließend manche Zusammenarbeit nötig wurde. Sodann werden zentrale Arenen der Reichspolitik untersucht: der Reichstag (Michael Rohrschneider), das Reichskammergericht (Anette Baumann) und die Reichskirche (Bettina Braun). Auch hier sind manche Lücken evident: Neben das Reichskammergericht hätte der Reichshofrat treten können, auch die Reichskreise wären sicherlich eine Untersuchung wert gewesen. Mit Kurhannover-England und Kursachsen geraten in den Beiträgen von Gabriele Haug-Moritz und Jacek Kordel dann zwei Kurfürstentümer in den Blick, die sich – aus ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen heraus – zu beiden Großmächten positionieren muss-

Einleitung

ten. Um die Sicht auf die weltlichen Kurfürsten zu vervollständigen,5 hätte als ganz anders gelagerter Fall auch Pfalz-Bayern herangezogen werden können, aber auch Akteure jenseits der Kurfürsten wären interessant gewesen, wie z.B. wichtige Reichsstädte. Auf eine Untersuchung der Außenwahrnehmung durch auswärtige Mächte wurde hingegen zugunsten einer Konzentration auf das Reich von vornherein verzichtet. Nach diesem kurzen Überblick möchte ich im Folgenden einige Beobachtungen teilen, die sich mir in der Zusammenschau der Einzeluntersuchungen ergeben haben, in der Hoffnung, auf diese Weise weiterführende Perspektiven aufzeigen zu können. Die Beiträge über die Transferprozesse offenbaren eine erhebliche Bandbreite an Möglichkeiten. Während sich für das Militär – wenig erstaunlich – feststellen lässt, dass Österreich in vielerlei Hinsicht – vom Schnitt der Uniformen über die Exerzierregeln bis zum Rekrutierungsprozess – dem preußischen Vorbild folgte, ist das Bild für andere Bereiche weniger eindeutig. Hinsichtlich der Organisation der obersten Finanzverwaltung orientierte man sich in Wien an den bereits unter Friedrich Wilhelm I. eingeführten Rechenkammern, war damit allerdings so erfolgreich, dass Friedrich II. sich schließlich die österreichische »Kopie« ganz genau anschaute, um die Effizienz der eigenen Behörde zu verbessern. Auch für den Bereich der Volksschulbildung lässt sich die Richtung des Transfers von Preußen Richtung Österreich genau bestimmen, ist sie doch verbunden mit dem Wechsel Johann Ignaz von Felbigers aus preußischem in österreichischen Dienst. Allerdings schöpften die Bildungsreformer auf beiden Seiten aus demselben Reservoir aufgeklärter Ideen, die im internationalen Diskurs ventiliert wurden. Hat man es also im ersten Fall mit einem klassischen Transfer zu tun und müsste man für die beiden zuletzt genannten Bereiche eher von Verflechtung sprechen, so sind in anderen Bereichen relativ unabhängige parallele Entwicklungen zu beobachten. So bildete die Regierung aus dem Kabinett durchaus kein preußisches Alleinstellungsmerkmal, sondern existierte in ähnlicher Ausprägung auch am Wiener Kaiserhof. Der Wille und die Notwendigkeit, manche, vor allem außenpolitische Entscheidungen und Überlegungen geheim zu halten und diese Vorgänge beim Herrscher oder der Herrscherin zu konzentrieren, führten parallel und unabhängig voneinander zu ähnlichen Lösungen

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Von den geistlichen Kurfürstentümern geraten Mainz und Köln im Zusammenhang mit der Reichskirche in den Blick.

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in beiden Reichen. Die Regierungspraxis und auch ihr Niederschlag in Aktenführung und Schriftverkehr wiesen nur graduelle, aber keine kategorialen Unterschiede auf. Dass sich hier kein Transfer von Konzepten von der einen auf die andere Seite festmachen ließ, liegt freilich auch in der Natur der Sache begründet. Denn das Ziel dieser Art der Geschäftsführung und Entscheidungsfindung war nicht zuletzt die Geheimhaltung, weshalb über die jeweils geübte Praxis eher Gerüchte kursierten, als dass gesicherte Informationen vorlagen, an denen man sich andernorts hätte orientieren können. Eine ganz andere Ursache für die parallele Etablierung solcher herrscherzentrierter Arbeitsund Entscheidungsformen dürfte persönlicher und damit weitgehend zufälliger Natur sein. Denn eine solche Regierung aus dem Kabinett erforderte eine Herrscherpersönlichkeit, die fähig und willens war, selbst zu regieren, und zwar intensiv und tagtäglich. Und über solche Herrscherpersönlichkeiten verfügten sowohl Preußen als auch Österreich in der hier untersuchten Epoche: So unterschiedlich Friedrich Wilhelm I., Friedrich II., Maria Theresia und Joseph II. auch sein mochten, an ihrem Willen, die Regierungsgeschäfte selbst in die Hand zu nehmen, gab es keinen Zweifel. Weniger auf persönlichen Voraussetzungen als auf einer gemeinsamen Rechtsgrundlage beruhte zunächst die Konfessionspolitik: Jedenfalls für ihre Territorien im Reich waren nämlich beide Mächte an das Reichsreligionsrecht gebunden. Aber auch für die Gebiete jenseits der Reichsgrenzen war die für das Reich gefundene Lösung einer Parität der drei zugelassenen Konfessionen so prägend, dass sie auch dort, wo dafür keine rechtliche Notwendigkeit bestand, in angepasster Form zum Tragen kam, was dann eben in entsprechend ähnliche Regelungen mündete. Im Umgang mit konfessionellen Minderheiten wiesen die österreichische und die preußische Politik also größere Gemeinsamkeiten auf, als es die so unterschiedlichen persönlichen religiösen Einstellungen Maria Theresias und Friedrichs II. vermuten ließen. Noch größer wurden die Gemeinsamkeiten in den 1780er Jahren nach dem Regierungswechsel von Maria Theresia zu Joseph II., da jegliche Vorstöße zu einer über die reichsrechtlichen Regelungen hinausgehenden Toleranzgesetzgebung bei der Kaiserin stets auf entschiedenen Widerstand gestoßen waren. Allerdings dürften die von Joseph II. erlassenen Gesetze kaum eine Reaktion auf ein preußisches Vorbild, also ein Transfer im engeren Sinne, gewesen sein, sondern Konsequenz seiner aufgeklärten Überzeugungen. Schwieriger als die Transferrichtung anzugeben oder eine parallele Entwicklung zu diagnostizieren, ist es, die Transferwege im Detail nachzuzeichnen. Das ist noch vergleichsweise einfach, wenn der Transfer mit Einzelper-

Einleitung

sonen wie Friedrich Wilhelm von Haugwitz oder Johann Ignaz von Felbiger in Verbindung gebracht werden kann oder wenn Karl von Zinzendorf nach Berlin reiste und sich ausführlich mit Friedrich II. und seinen Ministern über einschlägige Finanzthemen unterhielt. Meist aber liegen die genauen Wege der Weitergabe von Informationen und Ideen mehr oder weniger im Dunkeln. Hier könnten erst umfangreiche archivalische Recherchen vielleicht Auskunft geben, ob man gezielt Gesandte mit Nachforschungen beauftragte oder auch andere Reisende nach ihren Beobachtungen fragte, ob man sich schriftliche Ausarbeitungen beispielsweise über Behördenstruktur und Geschäftsverteilung von der Gegenseite beschaffen konnte, ob man gezielt »Überläufer« anwarb oder sie wenigstens ausfragte, wenn sie ohnehin verfügbar waren, und welche Rolle in diesem Zusammenhang Schlesien als Grenzregion, die den Besitzer gewechselt hatte, spielte oder welche Bedeutung eventuell gemeinsamen Vorbildern zukam. Diffus ist das Bild hinsichtlich der Chronologie. Unstrittig dürfte sein, dass der Schock der militärischen Niederlage nach 1740 im Habsburgerreich die Bereitschaft zu Reformen drastisch erhöhte, ja: diese wohl überhaupt nur in einer solch dramatischen Krisensituation eine Chance hatten, angegangen und verwirklicht zu werden, zumal wenn es dabei um die Orientierung am überlegenen preußischen Gegner ging. Dies erklärt die Transferprozesse im Militär und in der – hier nicht behandelten – Zentralverwaltung6 nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg, aber auch die Weiterentwicklung der Finanzbehörden in der zweiten Reformwelle um 1760, als manche der Maßnahmen von 1748/49 revidiert oder Nachjustierungen vorgenommen wurden. Für andere Bereiche wie die Bildungspolitik lassen sich nicht in diesem Maße auslösende Faktoren identifizieren, und schon gar nicht existierte ein allgemeiner Masterplan, nach dem verschiedene Bereiche des staatlichen Lebens auf ihre Wettbewerbsfähigkeit hin geprüft und in ihrem Zusammenwirken analysiert worden wären, um auf Defizite dann mit Reformen reagieren zu können. Parallele Entwicklungen sind für die Toleranzgesetzgebung der 1780er Jahre ebenso zu beobachten wie in der ersten Jahrhunderthälfte bei der Ausbildung der geheimen Kabinette. Es scheint sich abzuzeichnen, dass nicht einzelne Phasen eher von Transfer und

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D.h. die Orientierung am preußischen Generaldirektorium (General-Ober-FinanzKriegs- und Domainendirektorium) bei der Einrichtung des Directorium in publicis et cameralibus, bei der freilich der Name »Generaldirektorium« sorgfältig vermieden wurde.

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andere eher von Parallelität gekennzeichnet gewesen wären, sondern dass je nach Bereich Transferprozesse oder parallele Entwicklungen überwogen. Die Transferprozesse und Verflechtungen, Übernahmen der Konzepte Dritter wie parallel ablaufende eigenständige Entwicklungen modifizieren also die Vorstellung von der Existenz deutlich unterscheidbarer Modelle von Staatlichkeit. Diese Prozesse fanden aber in einer Situation vehement ausgetragener Konkurrenz statt7 und sollten der Herstellung oder Sicherung der eigenen Konkurrenzfähigkeit dienen. Der Raum, in dem diese Konkurrenz vorzugsweise ausgetragen wurde, war das Reich und damit die Reichsinstitutionen, die deshalb als Arenen der Konkurrenz untersucht wurden. Die Beiträge zu den Reichsinstitutionen bestätigen die Erkenntnisse der Forschung in den letzten Jahrzehnten, dass Preußen durchaus eine aktive Reichspolitik betrieben hat, was freilich nicht heißt, dass Friedrich II. das Reich besonders wertgeschätzt hätte. Aber es bildete ein Feld, auf dem der österreichische Gegner bekämpft werden konnte und das Preußen diesem deshalb nicht von vornherein kampflos überlassen wollte. Allerdings wird auch deutlich, dass Österreich durch die Kaiserwürde einen nicht wettzumachenden strukturellen Vorteil besaß, sei es auf dem Reichstag, sei es am Reichskammergericht8 und wohl am stärksten in der Reichskirche. Auch deshalb war Preußen nicht im gleichen Maße am Funktionieren des Reichs interessiert, weil es ihm nicht dieselben Möglichkeiten bot wie dem habsburgischen Kaiserhaus. Die preußische Reichspolitik war demzufolge eher obstruktiv, weil dies den eigenen Interessen mehr entsprach, und Berlin nicht in gleicher Weise von funktionierenden Reichsinstitutionen profitieren konnte. Da diese aber nun einmal existierten, versuchte Preußen sie im eigenen Interesse zu nutzen. Allerdings stellten nicht alle Reichsinstitutionen gleichermaßen und stets ein Betätigungsfeld für die beiden Konkurrenten dar. Insbesondere die geistlichen Fürstentümer wurden von Preußen als Handlungsraum eher zufällig und recht spät – im Siebenjährigen Krieg – entdeckt. Überhaupt spitzte sich die Konfrontation beider Mächte in den untersuchten Institutionen nicht direkt nach 1740 zu, sondern erst ab den 1750er Jahren oder gar erst nach 1761. Interessanterweise liegt damit die

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Diese Konkurrenzsituation dürfte die Wahrnehmung der Gegensätze begünstigt haben. Am hier nicht behandelten zweiten höchsten Reichsgericht, dem Reichshofrat, war die kaiserliche Position noch einmal deutlich stärker als am Reichskammergericht.

Einleitung

Hochphase preußisch-österreichischer Konkurrenz im Reich erst in der Zeit nach den großen militärischen Auseinandersetzungen. Konkrete Orte in Gestalt von Territorien geraten als Arenen der Konkurrenz dann in den letzten drei Beiträgen in den Blick. Der erste Ort, an dem die preußisch-österreichische Konkurrenz vehement und gewalttätig ausgetragen wurde, war Schlesien. Aber auch nach bzw. zwischen den kriegerischen Auseinandersetzungen prallten hier österreichische und preußische Interessen direkt aufeinander, versuchten beide Seiten, Einfluss und Parteigänger zu gewinnen bzw. zu erhalten. Um die Bestimmungen der Friedensverträge umzusetzen und so z.B. auch die Abgrenzung sichtbar zu machen und die Verwaltung unter den veränderten Eigentumsverhältnissen arbeitsfähig zu erhalten, bedurfte es allerdings auch der Kooperation auf verschiedenen Ebenen. Kooperation und Konkurrenz bzw. Konfrontation schlossen sich also nicht aus, sondern standen, wenn auch nicht gleichberechtigt, nebeneinander. Dabei kam der Kooperation möglicherweise eine größere Bedeutung zu, als der vorherrschende Blick auf die Konfrontation vermuten lässt, und die es deshalb noch weiter zu entdecken gilt. Anders gelagert als Schlesien, das den Besitzer wechselte, sind die Beispiele Kursachsen und Kurhannover. Beide verfügten ebenso wie Preußen Mitte des 18. Jahrhunderts über eine Königskrone, die Sachsen freilich 1763 wieder verlieren sollte. Zudem konkurrierten die beiden Kurfürstentümer bzw. die sie tragenden Dynastien in unterschiedlichen Räumen des Reichs seit längerem mit den brandenburgischen Hohenzollern: Sachsen bereits seit der Zeit um 1500 in der Mitte des Reichs, Braunschweig und Brandenburg im Nordwesten des Reichs nach der Zusammenfassung der verschiedenen Linien des Welfenhauses und den territorialen Gewinnen der Hohenzollern im Westen. Österreich spielte in diesen Konkurrenzkonstellationen lange Zeit keine Rolle. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts aber wurden diese Konkurrenzen von der preußisch-österreichischen Konkurrenz überlagert, was zunächst einmal ein erklärungsbedürftiger Vorgang ist, der nicht aus der Rückschau als geradezu zwangsläufig angenommen werden sollte. In diesem Prozess wurde Sachsen von einem Konkurrenten Preußens und Juniorpartner Österreichs bzw. des Kaiserhauses zu einem Objekt der Politik der beiden Großmächte und zuletzt zu einem Klienten Preußens. Dass von den einzig verbliebenen potentiellen Konkurrenten dann Preußen und nicht Hannover die Rolle des Rivalen übernahm, war keineswegs zwangsläufig und kann im Rahmen eines konkurrenztheoretischen Modells damit erklärt werden, dass die Öffentlichkeit als Publikum Preußen diese Konkurrenten-Rolle zuschrieb. Jenseits modelltheore-

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Bettina Braun

tischer Überlegungen ist aber wohl doch auch zu berücksichtigen, dass Preußen in der Person Friedrichs II. diese Rolle wesentlich zielstrebiger anvisierte als die Hannoveraner Kurfürsten, die mit Großbritannien noch eine zusätzliche und in ihrer Bedeutung bald dominierende Arena bespielten. Ungeachtet aller Diskussionen um ein Hinauswachsen der Habsburgermonarchie, aber auch der anderen mit königlichen Würden versehenen Kurfürstentümer aus dem Reich zeigen die Beiträge intensive Interaktionen und Kommunikation in den verschiedenen Arenen des Reichs. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Reich mit seinen vielen Bühnen und Teilräumen ein wichtiger Handlungsraum für die beiden Konkurrenten blieb, den sie intensiv bespielten und auf dem sie im Konkurrenzkampf Vorteile zu erlangen suchten. Das heißt aber auch, dass das Reich zugleich einen gemeinsamen Handlungsrahmen absteckte, mit rechtlichen Regelungen, festgelegten Verfahren, einer im Reich vernetzten und mobilen Elite, der durch den preußisch-österreichischen Gegensatz zweifelsohne einer ernsten Belastungsprobe ausgesetzt wurde, der aber nicht einfach ignoriert werden konnte, ohne sich selbst erheblicher Handlungsoptionen zu berauben und die eigene Handlungsfähigkeit empfindlich einzuschränken. Innerhalb dieses Handlungsraums nahmen die beiden Mächte einander wahr und entwickelten sich weiter, mit-, gegenund nebeneinander, als Konkurrenten, aber nicht als zwei Seiten eines Dualismus, oder zwei Vertreter unterschiedlicher Modelle, als ob sie durch einen frühneuzeitlichen »Eisernen Vorhang« getrennt gewesen wären. Den Bezugspunkt für das Handeln aber bildete das Reich, nicht die Nation, auch wenn diese in der Publizistik durchaus beschworen wurde.

Literatur Burkhardt, Johannes, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648–1763 (Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte 11), 10., überarb. Aufl. Stuttgart 2006. Droysen, Johann Gustav, Preußen und das System der Großmächte [1849], in: Ders., Politische Schriften, hg. von Felix Gilbert, München/Berlin 1933, S. 212–233. Erdmannsdörffer, Bernhard, Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen 1648–1740, 2 Bde., Meersburg/Naunhof/Leipzig 1932.

Transferprozesse

Entscheidung und Geheimnis Zur monarchischen Herrschaftspraxis des Kabinetts in Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert Wolfgang Neugebauer

Der Kabinetts-Sekretär August Friedrich Eichel war ein merkwürdiger Mann. Manchen galt er in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Preußens Mazarin.1 Aber er blieb in der politischen Gesellschaft fast invisibel. »Herr Eichel«, so berichtete 1751 der französische Gesandte in Preußen, Tyrconnell, »arbeitet täglich mit dem König von Preußen und besorgt die Kanzleigeschäfte. Er hat mehrere ebenso unsichtbare Sekretäre unter sich. Aber wo sich auch der König aufhalten mag, Herr Eichel folgt ihm stets und arbeitet jeden Morgen mit ihm. Er ist der einzige, der alle Geschäfte Sr. Majestät kennt. Er weiß alles, was den Ministern unbekannt ist, und von seinem Geschäftszimmer, das mit dem des Königs identisch [ist], gehen alle Befehle sowohl für die inneren wie für die äußeren Angelegenheiten aus. Nur wenige haben je mit Herrn Eichel gesprochen; umsonst bietet man alles auf, um ihn zu sehen; es gelingt nie. Er lebt allein und weiß alles, was vorgeht, ist aber nur sehr wenigen bekannt und verkehrt nicht mit ihnen.« Wenig später ergänzte Tyrconnells Nachfolger Latouche: »Herr Eichel ist tatsächlich für jeden Fremden unsichtbar«, doch verkehre er in Potsdam wie in Berlin dann »in der Gesellschaft«, wenn der König am Ort sei,2 und zwei Jahrzehnte später, 1774, bestätigte der französische Gesandte de Pons das Bild: »Soviel die Staatsgeschäfte betrifft, scheint der König es sich zum unwandelbaren Grundsatz gemacht zu haben, keinem Menschen seine Absichten und Pläne mitzuteilen. Er weiht nur die ein, denen die Ausführung

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Schmidt-Lötzen, Dreißig Jahre, 1907, S. 242. Das französische Original der beiden Zitate bei Koser, Korrespondenz, 1894, S. 94 mit der Namensvariante »Hecle«; die Übersetzung bei Volz, Friedrich der Große, Bd. 1, 1926, S. 269.

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obliegt, und auch dann nur nach und nach und soweit es die Sachlage erfordert. Die beiden Kabinettssekretäre Galster und Coeper sind von allen, die mit dem König in Berührung kommen, vielleicht die einzigen, die zwar nicht in das ganze Geheimnis eingeweiht sind, aber durch die Art ihrer Tätigkeit eher die Pläne des Königs ergründen können. Diese beiden Sekretäre sind mit allen Ausfertigungen und mit dem Geheimen Schriftverkehr betraut«, von dem selbst die Minister des auswärtigen Departements »oft nichts wissen«, da der König »jede fremde Hilfe ausgeschaltet hat«.3 Kein Abbild gibt es von August Friedrich Eichel, und im Adreß-Kalender, der Königlich Preußischen Haupt- und Residenz=Städte Berlin und Potsdam, besonders der daselbst befindlichen hohen und niedern Collegien, Instanzien, und Expeditionen gibt es auch noch um 1800 für das »Geheime Cabinett« keine Angabe, die auf den Ort dieser Institution hindeutete.4 Dabei galt es zu dieser Zeit als »höchste Landesbehörde«5 – was richtig und falsch zugleich ist, da sich fragen ließe, ob der Behördenbegriff, jedenfalls für das preußische Kabinett, zu dieser Zeit nicht fehlgreift. Wird also zunächst noch vage gefragt, was denn »Kabinett« in Preußen oder das »Geheime Kabinet Sr. r. k. a. k. k. a. p. Majestät«6 in Österreich ausmacht, wird man zunächst auf die Kategorie des Geheimnisses verwiesen, der in der neueren Forschung zur politischen Kommunikation in der Frühen Neuzeit große Bedeutung zugemessen wird:7 »Das Handeln des Monarchen wurde ohnehin zunehmend einer Sphäre der arcana imperii, einer Sphäre des 3 4 5

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Volz, Friedrich der Große, Bd. 2, 1926, S. 243. Adreß-Kalender 1799, S. 100f., Potsdamer Teil S. 6f. So der Geheime Sekretär im preußischen Generaldirektorium Bratring, Beschreibung, 1968, S. 173: »Höchste Landesbehörden. Diese sind das Kabinet und das Geheime Staatsministerium. Die von des Königs Majestät Allerhöchst selbst getroffenen Beschlüsse und Entscheidungen werden in dem Kabinett, durch die Geheimen Kabinetsräthe ausgefertigt und heißen Kabinetsresolutionen. Hier wird der Gang der ganzen Staatsmaschine von des Monarchen Höchsteigener Person geleitet […]« Und wenig später Gädicke, Lexicon von Berlin, 1806, S. 94f.: »Cabinet, geheimes. Das geheime Cabinet besorgt die unmitelbare Correspondenz Sr. Majestät des Königs in Civilsachen, und expedirt die von Höchstdenselben getroffenen Beschlüsse und Entscheidungen, welche dann Cabinetsresolutionen genannt werden. Militär=Angelegenheiten gehen durch die General=Adjutantur. Es begleitet den König überall, und ist nur bey Hierseyn des Monarchen in Berlin.« So die Überschrift in: Schematismus des kaiserlichen auch kaiserlich-königlichen Staates, 1806, S. 411. Besonders Gestrich, Absolutismus, 1994, S. 31, zu Entscheidung und Geheimnis.

Entscheidung und Geheimnis

politischen Geheimnisses zugerechnet, die dem Urteil einfacher Untertanen entzogen war.«8 Indem Geheimnis als »Symbol« von Herrschaft verstanden wurde,9 ließ sich dieses in ein Konzept gesteigerter politischer Performativität, von Kommunikation und Reproduktion von Rang, ja Magnifizenz gut integrieren. Die Forschung hat – eigentlich schon seit Jahrzehnten – erkannt, dass höfische Praxis nicht als ein von politischer Realität getrenntes »Theater« aufgefasst werden kann, dass vielmehr politisch-soziale Ordnungen durch permanenten Vollzug symbolischer Handlungen produziert und reproduziert worden sind, wie etwa Carl Hinrichs schon vor rund achtzig Jahren quellennah dargelegt hat.10 In jüngerer Zeit ließen sich diese Befunde grundsätzlich fortschreiben und mit dem Ansatz politischer Kommunikation und Performanz interdisziplinär vertiefen,11 freilich mit der Gefahr, dass durch die angeheizte »Konjunktur des Kommunikationsbegriffs« der »Öffentlichkeitsbegriff […] immer offener und unspezifischer« wurde.12 Zudem hat die Konzentration auf Zeichenwelt, Symbol und performative Medialität einen schon seit dem 17. Jahrhundert gegenläufigen Prozess ausgeblendet: Dass gerade der Ort monarchischer Letzt-Entscheidung dem Kommunikationsraum höfischer Visibilität zunehmend entzogen und – in Österreich und Preußen in je spezifischer Weise – in einen Ort dezidierter Invisibilität verlagert wurde. So ist die zweite Hälfte der Frühen Neuzeit von ganz gegenläufigen Prozessen von konstruierter Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gekennzeichnet, für die die lange Zeit nicht behördenförmig befestigte Kommunikationspraxis des Kabinetts steht, die hier am Beispiel vor allem Österreichs und sodann Preußens untersucht werden soll, freilich auch für andere politische Beispiele betrachtet werden könnte.13 Das bedeutet nicht, dass auf den Begriff der Kommunikation verzichtet wird, kann doch »Entscheidung« grundsätzlich

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Seit dem frühen 17. Jahrhundert: Asch, Krieg, 2020, S. 146, vgl. auch S. 317. Gestrich, Absolutismus, 1994, S. 35, 45, 55. Mit allen Belegen: Neugebauer, Wissenschaft, 2011, S. 172–178, bes. S. 174; Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., 1943, S. 154f. Vgl. zunächst (und hier für die neuere Forschung exemplarisch) Schlögl, Hof, 2004, S. 190f.; Präsenzmedialität: Bauer, Strukturwandel, 2011, S. 589 (Zeremoniell); Stollberg-Rilinger, Rituale, 2013, S. 90–114; Fischer-Lichte, Ästhetik, 2004, passim, bes. S. 31–34, 255–261. So Schlögl, Politik, 2008, S. 583. Klassisch: Hintze, Staatsministerien, 1970, S. 285f., 289, 297–301; Neugebauer, Monarchisches Kabinett, 1994.

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als »ein kommunikatives« Ereignis angesehen werden (Luhmann).14 Aber der Ort des Entscheidens wird nun im »Kabinett« der Beobachtung entzogen.15 Höfische Performanz und das Geheimnis der Invisibilität treten im 18. Jahrhundert auseinander, und in den je verschiedenen Graden, wie dies im Falle Wien/Österreich und Potsdam/Berlin geschah, liegt bei aller Ähnlichkeit struktureller Charakteristika in kommunikationsgeschichtlicher Perspektive die Differenz der Exempel. Das Kabinett – wortgeschichtlich: das kleine Arbeitszimmer des Monarchen selbst16 – markiert den Raum des Entscheidens im 18. Jahrhundert, in dessen letzten Jahrzehnten gerade die Invisibilität neue Potenziale von politischer Kritik freisetzte.17 Um 1700 »etablierten sich Räume, in die Politik aus der Interaktion des Hofes sich zurückziehen konnte.«18 Die im 16. Jahrhundert entstandenen (Rats-)Gremien standen in einem sich verschärfenden Spannungsverhältnis zwischen Organisationsrationalität und (geburts)ständischer Hierarchie der Anwesenden. Der »Ausweis definierter Sitzungsräume leistete einen nachhaltigen Beitrag zur Abgrenzung gegenüber dem sonstigen Getriebe des Hofes.«19 Das auf Schriftlichkeit angelegte Entscheiden in Ratsgremien, das in oberen Geburtsrängen etwa in der Sitzordnung mit Amtskompetenz kollidieren konnte, organisierte (Mehrheits-)Entscheidungen bei (zumindest potenzieller) Anwesenheit des Monarchen innerhalb einer höfischen Öffentlichkeit mit Öffnungspotenzialen zum Medialen.20 Noch lange waren in Wien Inhaber höchster Hofämter auch in den politischen Beratungsgremien präsent.21 Und die Monarchen, die im 1526/27 entstandenen österreichischen Geheimen

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Luhmann, Organisation und Entscheidung, 2000, S. 141f.; zum Begriff der Entscheidung aus philosophischer Perspektive Lübbe, Theorie, 1965/1971, S. 11, 19–21, 30; zu Zeitzwang und Entscheidung, ebd., S. 20; vgl. noch Hengerer, Hofzeremoniell, 2001, S. 359f. Vgl. so Hoffmann-Rehnitz u.a., Entscheiden, 2018, passim, das Zitat: S. 246f. Vgl. exemplarisch die Quelle oben bei Anm. 2; aus der Literatur Neugebauer, Kabinett, 2011, (Lit.); Meisner, Staats- und Regierungsformen, 1967, S. 233f.; Dülfer, Studien, 1956, S. 252; Meisner, Verfassung, 1962, S. 40. Neugebauer, Kabinett und Öffentlichkeit, 2005. Schlögl, Hof, 2004, S. 192, zum Folgenden vgl. S. 208, 210–212. Ebd., S. 206. Schlögl, Politik, 2008, S. 613, 615; Emich, Formalisierung, 2011, S. 85f.; Schlögl, Hof, 2004, S. 216 (»Sitzordnungen repräsentierten weiterhin den Rang.«), vgl. ferner S. 212f. Für die Thematik grundlegend: Sienell, Beratungsgremien, 1999, S. 131.

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Rat selbst arbeiteten und präsidierten,22 haben auch in den jüngeren Zentralgremien, sei es in der Geheimen Konferenz für außenpolitische Sachen oder seit 1760/61 im Staatsrat, den persönlichen, den Interaktionskontakt zu den administrativen Spitzen nicht abgebrochen.23 Presseberichte aus dem früheren 18. Jahrhundert, der Regierungszeit Karls VI., schufen Öffentlichkeit über die Geheime Konferenz und darüber, dass sie in Anwesenheit des Kaisers agierte.24 Es ist bekannt – und österreichische Historiker waren es, die die einschlägigen Quellenfunde publizierten –, dass auf administrative25 oder auch militärische26 Reformen in der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts wiederholt preußische Vorbilder eingewirkt haben. Derartige Transferphänomene lassen sich für die höchste monarchische Entscheidungssphäre nicht nachweisen, und sie wären auch unwahrscheinlich. Hier handelt es sich um Parallelentwicklungen, die die Praxis im Raum des Geheimnisses bestimmten. Erst die neuere Forschung hat ja zeigen können, wo die Anfänge des »Kabinetts« in Österreich zu suchen und zu finden sind – die Quellenlage ist, zumal nach den Katastrophen von 1945, noch schlechter als im Preußischen.27 Wäh22

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Aus der Lit.: Fellner/Kretschmayr, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. I/1, 1907, S. 37–43, Geheime Ratsstube: ebd., S. 48, Vorsitz des Kaisers: ebd., S. 50; Anfänge: Lhotsky, Zeitalter, 1971, S. 217f.; Press, Habsburg Court, 1986, S. 31; Hintze, Staatsrat, 1887, S. 138–153, jeweils mit weiteren Details. Gschliesser, Träger, 1956, S. 145–166, hier S. 155; Hochedlinger, Geheime Rat, 2019, S. 430–441, hier S. 432f. (auch zum Tagungsort in der Favorita); Gonsa, Staatsrat, 2019, S. 575–585, hier S. 577f. (Maria Theresia); Sienell, Beratungsgremien, 1999, S. 120. »Der Conferenz und Geheime Rat« unter Vorsitz des Kaisers: [Peetz], Staat-Theatrum, 1730, S. 10f. Mitgeteilt bei Gestrich, Absolutismus, 1994, S. 18f.; zum Begriff Geheime Konferenz nach 1711 Details bei Fellner/Kretschmayr, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. I/1, 1907, S. 57, Vorsitz: S. 59. Vor allem Walter, Preußen, 1938, bes. S. 422–427; ders., Grundlagen, 1937, S. 203; wichtige Dokumente: Kallbrunner/Winkler, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/2, 1925, S. 143, 151, 205f., S. 238 Anm. 1; die grundlegende Monographie von Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 109, 189f.; ders., Staatsreform, 1958, S. 36f., 59, 66; Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, Bd. 2, 1908, S. 319 (»nach den preußischen Exempel«, 1749). Zimmermann, Militärverwaltung, 1965, S. 111; vgl. HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Handbillettenprotokolle 1 a, S. 793 (»Auszug des Hofkriegsräthlichen Vortrags Vom 30: Novemb. 1770«: »Einführung der Militär-Cantors«). Coreth, Schicksal, 1958, S. 514–525, bes. S. 514–518, zu Verlusten besonders in der Überlieferung zum 18. Jahrhundert; Gonsa, Kabinett, 2019, S. 541–550, hier S. 548; Hoched-

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rend in der späteren Regierungszeit Leopolds I. die Zahl der (in der Hofrangordnung prominent platzierten) Geheimen Räte inflationär zunahm,28 der Rat und dann auch die Geheime Konferenz aber an praktischer Bedeutung verloren,29 lässt sich erkennen, wie sich der Kaiser nach und nach von den Ratsorganen des Hofes distanziert und sich in die Sphäre seines Kabinetts als eines eigenen Entscheidungsraumes zurückzieht.30 Seit den 1670er Jahren gibt es eigenhändige Approbationen Leopolds I. »Die Gegenstände, die vom Kaiser im Kabinett«, auch hier sein persönliches Regierungsgemach,31 »entschieden wurden, nehmen seit Anfang der 1690er Jahre nicht nur an ihrer Zahl, sondern auch in ihrer thematischen Breite zu – es ging um die Neunte Kur, Kursachsen oder Dänemark. – Es scheint sich ein Schwerpunkt bei den Brandenburgica abzuzeichnen […] Auch dies war eine Agende, die ›üblicherweise‹ bei der Geheimen Konferenz zu erwarten gewesen wäre. Ab 1695 lassen sich bis zum Tode Kaiser Leopolds […] noch 38 eigenhändige Approbationen finden, die bis zuletzt zur Geheimen Konferenz gehört haben konnten«.32 »In den Ak-

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linger, Staatsreform, 2019, S. 551–564, hier S. 563; in der Kabinettskanzlei wurde 1868 eine Zusammenstellung aller das Kabinett betreffender Einträge in Hofstaats-Schematismen und -Kalendern angefertigt; sie beginnen erst 1752: HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 26 (da ein erheblicher Teil der Akten zum Zeitpunkt der Benutzung unpag. waren, wird auf Blattzahlen verzichtet, ggf. Angaben nach Datierung). – Vgl. aber das in Leipzig erschienene Jährliche Genealogische Handbuch, 1737, S. 12 (»Cabinets-Secretarius, vacat«). Vgl. Fellner/Kretschmayr, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. I/1, 1907, S. 64; Press, Habsburg Court, 1986, S. 39, verwies auf die enge familiäre Verflechtung der (katholischen) Geheimratsfamilien; Ränge: Hengerer, Hofzeremoniell, 2001, S. 352, 356f. Sienell, Geheime Konferenz, 2001, S. 361; Hochedlinger, Geheime Rat, 2019, S. 433–435, mit Details. Entgegen älterer Literaturmeinungen datiert Sienell, Geheime Konferenz, 2001, S. 379, dieses Phänomen schon in die späten 1670er Jahre; ders., Sitzungen, 1997, S. 211; erst für die Zeit Josefs I.: Reinöhl, Kabinettsarchiv, 1937, S. 115; und ders., Kabinettskanzlei, 1963, S. 3–6 (auch zu den hier zu übergehenden Sekretären Rudolfs II. bis 1578); Gonsa, Kabinett, 2019, S. 544; Hochedlinger, Aktenkunde, 2009, S. 195. So wörtlich Gonsa, Kabinett, 2019, S. 541f.: »Unter Kabinettskanzlei ist also eine Kanzlei zu verstehen, die zur Entgegennahme und Bearbeitung unmittelbar an die Person des Fürsten gerichteter und zur Verfassung, Ausfertigung und Expedition unmittelbar vom Fürsten ausgehender Schriftstücke bestimmt ist«, mit Verweis auf Žolger, Hofstaat, 1917, S. 383. Sienell, Geheime Konferenz, 2001, S. 375, 380–382 (Zitat) zu speziellen Überlieferungen; Anm. 89: »180 eigenhändige Approbationen aus dem letzten Regierungsjahrzehnt bekannt«. Weiter S. 389–391.

Entscheidung und Geheimnis

ten« des Haus-, Hof- und Staatsarchivs »fällt der Begriff ›Kabinett‹ erstmals in einem Handschreiben des bayerischen Kurfürsten aus Brüssel vom 31. Januar 1701 auf«, in dem er vom »cabinet« des Kaisers spricht.33 Erst mit der Zeit differenzierte sich das Kabinettspersonal als solches deutlicher aus, Kräfte »ohne eigene behördliche Befugnisse«, angesiedelt in einem abgesonderten Kommunikationsraum. »Als mitunter bedeutender Faktor im Gefüge der an Verwaltung und Regierung beteiligen Stellen« lag seine Rolle »gerade auf einer informellen, der Außenwelt entzogenen, weil dem ZwischenmenschlichPrivaten zugehörigen Ebene begründet«34 – falls die Differenzierung von privat und öffentlich an dieser Stelle möglich ist. Die Hilfskräfte in dem intimen Umfeld der Majestät waren von den Ratsakteuren in Rang und Ort verschieden. Um 1700 waren es in Kanzleiarbeiten erfahrene Männer wie Kaspar Florentin von Consbruch, die Voten aus den hohen Beratungsgremien im Kabinett referierten, worauf Leopold I. ohne Interaktion mit der Ratsaristokratie entschied. Consbruch war kein Inländer, er stammte aus Westfalen, seit 1686 tätig an der Reichskanzlei, zugleich zu Zeiten »Privatsekretär« beim Hofkanzler Stratmann.35 Später besaß er das besondere Vertrauen Leopolds und Josephs I., die ihn, bezeichnend für seine Stellung, so förderten, dass er als »kurböhmischer Wahlgesandter im Jahre 1711« fungierte und bald danach zum Utrechter Friedenskongress entsandt wurde.36 Erst unter Karl VI. kam es dann zur Berufung besonderer Kabinettssekretäre. Halten wir inne: Die Entwicklung, wie wir sie zunächst in Wien kennen gelernt haben, wurde ganz von den Bedürfnissen einer monarchischen Arbeitspraxis bestimmt, die die Letztentscheidung dem Kommunikationsraum der hohen Rats- und Hofaristokratie ein Stück weit entzog. Sie konnte von fremden Vorbildern37 umso weniger abhängig sein, als auch diese – bis vor kurzem – gleichsam unsichtbar entstanden. Lange Zeit hat die Forschung hinsichtlich der Genese des preußischen Kabinetts zu einfache Antworten gegeben und zu sehr auf Friedrich Wilhelm I. und seinen Regierungsantritt 1713 geschaut. 33 34 35 36

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So Sienell, Geheime Konferenz, 2001, S. 376; in einem älteren Wortgebrauch 1629: Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 9f. So Gonsa, Kabinett, 2019, S. 541; zu Consbruch: S. 544. Mit Gross, Reichshofkanzlei, 1933, S. 394f. Ebd., S. 396; vgl. auch Sienell, Sitzungen, 1997, S. 211; ders., Geheime Konferenz, 2001, S. 386; ders., Beratungsgremien, 1999, S. 130; anderes Sekretärspersonal um 1700: HHStA Wien, Kabinettsakten No. 25, Ausarbeitung J. Fischers: v. Schweitzhardt, Hofsekretär v. Grevenbruch; und HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisationsakten A 1. Dazu die Diskussion bei Sienell, Geheime Konferenz, 2001, S. 394.

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Richtig ist, dass der zweite preußische König sein Personal aus Kronprinzentagen nun als Kabinettssekretäre um sich versammelte. Aber dies war nur ein Bruch in den Personen, nicht etwas prinzipiell Neues in dem persönlichen Regiment des jungen Königsstaates.38 Noch beiläufig ist in der Ordnung des Geheimen Rates von 1651 vom kurfürstlichen »Cabinet« die Rede.39 Wichtiger ist die Stellung, die die Kammersekretäre in der Umgebung des brandenburgischen Kurfürsten schon im späten 17. Jahrhundert besaßen: Sie trugen dem Monarchen alle immediat gerichteten Eingänge vor, und durch die Hand des Kammersekretärs gingen die Stücke an die Stellen weiter, die der Kurfürst persönlich bestimmte. Freilich wurden die Ausfertigungen nicht im Zimmer des Herrschers, sondern um 1700 noch in der Geheimen Kanzlei mundiert.40 In einer Bestallung für Levin Schardius vom Januar 1700 wird dieser schon zum »Geh. Cabinet und Cammer=Secretario« ernannt, den der Monarch durch seine »aufwartung kennen gelernt und Ihn nicht wenige zu allerhand wichtige Verrichtungen habil und geschickt […] befunden« hatte. Fortan sollte Schardius »bey Unsrer Persohn und in Unserm Cabinet mit Vortragen«, die Eingänge weiter befördern, auch »Revisiones« – wohl der ausgehenden Stücke – »nach wie vor continuiren«. Er sollte, »wo Wir solche oder Unsere Ministri Ihm absonderlich auf Reisen, da Wir Unsre gantze Cantzley nicht bey Uns haben(,) zu verrichten und auszufertigen auftragen werden«, dies »willig über sich nehmen«.41 Die Kammersekretäre hatten also auch in dieser Zeit – in bestimmten Situationen – schon Expedientenarbeiten auszuführen, behielten aber Fühlung mit hohen Amtsträgern und führten auch im Geheimen Rat bzw. im Geheimen Kriegsrat das Protokoll. Es gibt also auch im preußischen Falle eine längere Inkubationsphase der späteren Kabinettspraxis; auch die markanten Aktentypen der Kabinettsor-

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Alles weitere bei Hüffer, Beamte, 1892, S. 158f.; mit Abbildung einer Kabinettsorder vom 1.4.1713: Klinkenborg, Stellung, 1915, S. 49–51; Kabinetts-Registratur seit 1714: Lehmann, Ursprung, 1911, S. 154f.; und das oben Anm. 10 zit. Werk von Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., 1943, S. 74, 104, 214f., 342–345. Ordnung vom 4.12.1651, bester Druck bei Meinardus, Protokolle, 1896, Nr. 351, S. 394–398, hier S. 394 unten. GStAPK, I. HA, Rep. 9, L 3a, b , Fasc. 2; in Revision auch eigener älterer Publikationen Neugebauer, Herrschaft, 2001, S. 98f.; Schultze, Klinkenborg, 1930, S. 12, machte darauf aufmerksam, dass die brandenburg-preußischen Kammersekretäre schon »eine eigene Registratur« besaßen. Konzept, gez. v. Fuchs, 5/15.1.1701: GStAPK, I. HA, Rep. 9, L 3a, b , Fasc. 2; zu seiner Karriere: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 1, 1894, S. 83 Anm. 3.

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dern bzw. -dekrete lassen, dies sei hier nur angedeutet, mancherlei Vor- und Übergangsformen erkennen.42 Nach 1713 wird all das mit dem seit den Prinzenjahren Friedrich Wilhelms I. erprobten Personal fortgesetzt und nach einer Übergangszeit von Rats- neben Kabinettsregierung zum preußischen Typus, wie die eingangs zitierten Diplomatenberichte ihn recht gut schildern, gesteigert. Schon um 1730, als im Kabinett des Königs drei Sekretäre (und einige Kopisten) arbeiteten, ist in Ansätzen eine Ressortdifferenzierung unter den Kabinettssekretären durchgeführt worden,43 die in dieser frühen Zeit noch aus dem niederen (Amts-)Adel stammen und damals noch bis zu Ministerrängen aufsteigen konnten. Aber schon unter Friedrich Wilhelm begegnet, spätestens um 1730, ein neuer Sozialtyp, Leute bürgerlicher Herkunft, nicht mehr nobilitiert, mit Lebensschwerpunkt in der nahen Umgebung des Königs, also in Potsdam, wo Adelspalais nicht existierten, distanziert von der Rats- und Hofgesellschaft Berlins.44 Hier in Potsdam (und Wusterhausen) entsteht ein eigener Kommunikationsraum. Mit den Ministern des inneren Fachs wurde der Verkehr ein fast ausschließlich schriftlicher. Als die ersten publizistischen Mitteilungen zur preußischen Kabinettspraxis im Zimmer des Monarchen und – für die Reinschriften – in den Potsdamer Häusern der Kabinettssekretäre erschienen,45 hatte sich – ganz im Stillen und unbeachtet von der Öffentlichkeit46 – auch in und um Wien die monarchische

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Vgl. aus der Lit. Meisner, Regierungsform, 1958, S. 230; Hintze, Staat, 1967, S. 366f. Ohne auf die aktenkundlich-typologischen Details einzugehen, sei nur darauf hingewiesen, dass unter dem Großen Kurfürsten auch schon Handschreiben auf Quartbögen, ganz wie bei den Kabinettsordern des 18. Jahrhunderts, nachgewiesen werden können, so Opgenoorth, Friedrich Wilhelm, Bd. 1, 1971, S. 26. Mit allen Details und Quellennachweisen Neugebauer, Kabinett in Potsdam, 1993, S. 83–85; vgl. Hüffer, Beamte, 1892, S. 160f. mit Morgenstern, Friedrich Wilhelm I., 1793, S. 147f. Neugebauer, Kabinett in Potsdam, 1993, S. 83–85, 93, Topographie: ebd., S. 100–115; Mielke, Bürgerhaus, 1972, S. 305; Hüffer, Beamte, 1892, S. 159–168; und Hinrichs, Zentralverwaltung, 1964, S. 151–157; Stand 1740: Hintze, Einleitende Darstellung, 1901, S. 63–66; frühe Schilderung der Kabinettspraxis bei Fassmann, Leben, 1735, S. 876–880; Wohnsitze des Kabinettspersonals: Beispiel bei Haeckel, Beziehungen, 1917, S. 329–343, hier S. 335 (v. Marschall). Vgl. Lit. in Anm. 44, bes. Fassmann. Bezeichnend für diesen Raum des Geheimnisses ist, dass in dem ausführlichen Werk von Küchelbecker, Allerneueste Nachricht, 1. Aufl. 1730, über die »Kayserliche(n) Räthe und Hof-Secretarien« 167f. ohne Erwähnung des Kabinettssekretärs (Imbsen) im Oberst-Hofmeister-Stab berichtet wird; in der (etwas ausführlicheren angeblich aber

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Praktik stabilisiert, um neben den Kollegien einen geheimen Entscheidungsraum des Monarchen zu sichern. Karl VI. hat seinen Kammerdiener Johann Theodor (Freiherr) von Imbsen zum »Kabinettssekretär« ernannt, als der er zuerst 1716 bezeugt ist. Imbsen wurde selbst mit »vertraulichsten Behördenkorrespondenzen« befasst.47 Der berühmte Reichsvizekanzler von Schönborn bezeichnete Imbsen schon 1721 als Sekretär über allen Sekretären, ja als »Canzler über allen Canzelern«.48 Vielleicht schon in dieser Zeit, sicher aber um 1740, stand Imbsen, der 1742 mit großem Geldvermögen starb, unter dem Obersthofmeisterstab,49 dort an durchaus hoher Stellung, wiewohl Kabinettssekretäre, aus »niederem Adel«, formal zur mittleren Ämterhierarchie gezählt wurden.50 Die »Kabinettssekretäre« im Österreich des 18. Jahrhundert blieben, und das ist wichtig, Teil des höfischen Kommunikationsraumes, aus dem sie hervorgegangen waren. Joseph Ignaz von Wolfscron stammte aus der Kanzlei Franz Stephans von Lothringen, des Gemahls Maria Theresias, und wurde von ihr schon als junge Erzherzogin 1736 zum Kabinettssekretär bestellt und von ihr 1740 übernommen, bis 1742 mit Ignaz von Koch die markante Figur der theresianischen Regierungspraxis als Kabinettssekretär auftritt.51 Seine Bio-

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zensierten) 2. Aufl. 1732, Oberst-Hofmeister-Stab: S. 165–175, aber bis hinab zum Türhüter die Amtsträger erwähnt werden. Imbsen fehlt auch in den Registern. Gonsa, Kabinett, 2019, S. 544. Megerle von Mühlenfeld, Adels-Lexikon, 1822, S. 61: »Imbsen, Reichsritter, Johann Theodor, Hofrath, geheimer Staatssecretär und Kanzler des Ritterordens des goldenen Vliesses, […] im Jahre 1720 in den Böhmischen und erbländischen Herrn- und im Jahre 1721 in den Reichsfreiherrnstand«; zuerst »Kammerdiener«: Gonsa, Kabinett, 2019, S. 544f.; auch zu seiner Beziehung zur Hofkanzlei; Reinöhl, Kabinettsarchiv, 1937, S. 115; ders., Kabinettskanzlei, 1963, S. VII, 10–12; schließlich Matsch, Geschichte, 1980, S. 41, 46, 49, 182 Anm. 77. Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 11. HHStA Wien, Hofparteienprotokolle des Obersthofmeisteramtes, OMeA, Prot. 17 mit Stücken zum März 1741, die auf einen hohen Amtsrang Imbsens verweisen; für die Zeit um 1700 (mit Unsicherheiten) eine Zusammenstellung des früheren 19. Jhs.: HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisierungsakten A1; vgl. Küchelbecker, Allerneueste Nachricht, 1730/1732. Vgl. Kubiska-Scharl/Pölzl, Karrieren, 2013, S. 109; zum Obersthofmeister: S. 93, und die Übersicht für 1750: S. 95. Nach J. Fischer (HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25) unterstand Imbsen, zuvor »Saalkammerdiener«, anfangs dem Oberstkämmererstab; auch zu seinem stattlichen Gehalt; Tod Imbsens: die Notiz bei [Ranft], Genealogisch-Historische Nachrichten, 35. Teil, 1742, S. 1060. Gonsa, Kabinett, 2019, S. 545, 548; vgl. Pölzl, Schaltzentrale, 2018, S. 136; als »Hof-Secretarius« firmiert Wolfscron im März 1741: HHStA Wien, Hofparteienprotokolle des

Entscheidung und Geheimnis

graphie lässt Verflechtungsphänomene zwischen österreichischem Kabinett im Hofraum erkennen, zugleich das Anforderungsprofil für jenen Personenkreis, der ohne formale Normierung von Qualifikationen in der unmittelbaren Umgebung der Monarchen tätig war. Schon der Vater Ignaz (von) Kochs, Georg Gottfried Koch, war als »Generalverwaltung« desjenigen Vermögens, das Prinz Eugen angesammelt hatte, in die Hofgesellschaft der Monarchie gut integriert.52 Ignaz von Koch, geboren 1697, hatte zunächst ausländische Korrespondenzen für Eugen zu fertigen gehabt, was auf gute Sprachkenntnisse verweist; er wurde 1720 bei der Hofkanzlei und sodann in den Hofkriegsrat berufen, wo er zum engsten Mitarbeiter des Prinzen avancierte. Max Braubach hat berichtet, dass Koch jr. Korrespondenzen an den Preußenkönig expedierte; dem Kaiser war er wohlbekannt, alles das, bevor er dann bei Maria Theresia zum Kabinettssekretär berufen wurde.53 So wie er zuerst die geheime politische Korrespondenz des Prinzen geführt hatte, so besorgte er alsbald diejenige der Kaiserin-Königin und wurde »die persönliche Brücke zwischen den beiden großen Persönlichkeiten Österreichs im 18. Jahrhundert«.54 Maria Theresia selbst hat beschrieben, wie sie, in der Krisensituation nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg und angesichts eines massiven Reformbedarfs der Monarchie, »durch den Cabinettssecretariums Koch« den späteren Kanzler Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz »dahin veranleiten lassen«, seinen Plan »zu verfassen«, »die dann sotane Ausarbeitung bei mir und Ihro Majestät dem Kaiser eine umb so mehrere Approbation erreichet, als darinnen einerseits die Ruhe derer Länder und deren Sicherstellung von aller Militärbedrückung, andererseits aber die möglichste Militär-

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Obersthofmeisteramtes, OMeA Prot. 17. Zu Wolfscron in den 1750er Jahren: HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisierungsakten A 1; in beiden Aktenbänden wird etwas später neben Koch noch Josef Freiherr von Toussaint als »Geheimer Kabinets-Secretarius« erwähnt (nicht bei Reinöhl). Im Manuskript von J. Fischer (HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25) wird als Ernennungsdatum Kochs 1744 angegeben, zuvor schon seit 1742 provisorisch tätig, mit einem Gehalt von 3000, später 7000 Gulden, das »Intimatum« für Koch vom 24.12.1744: Ebd. OMeA, I, Prot. 17; im HHStA konnte der Verf. (unter Sign.: Diss 292) einsehen: Huber, Koch, Diss Masch. Wien 1983, dies zur Biographie passim. Braubach, Prinz Eugen, Bd. 5, 1965, S. 27. Nach Braubach, Prinz Eugen, Bd. 4, 1965, S. 246–248; Bd. 5, S. 188: »Kreatur Eugens«; zum Folgenden S. 320. Ebd., S. 166; vgl. auch Matsch, Geschichte, 1980, S. 53 und S. 184 Anm. 117; Arneth, Prinz Eugen, Bd. 3, 1888, S. 215, 484, 493, 501; Wurzbach, Koch, 1864, S. 182f. (auch zu seinem Sohn, der zum General aufstieg); Schlitter, Correspondance, 1899, S. XVII.

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wirtschaft, jedoch mit Beilassung eines jeglichen notdürftigen und hinlänglichen Auskommens, zum Grunde gelegt worden.«55 Kochs vorzügliche Bildung und seine Stellung in der Verwaltung, seine Kenntnisse in den Materien der Innen- und der Außenpolitik, dazu seine Fähigkeit zu offenbar ungewöhnlicher Verschwiegenheit waren Voraussetzung für seine Stellung bei der Monarchin im Raum des politischen Geheimnisses.56 Koch gehörte, so schrieb sie 1762, »zu Meinen vertrauten Ratgebern«.57 Dies schuf mancherlei Distanzen zur Hofaristokratie, zumal zu der reformkritischen Fraktion,58 gegen die Haugwitzens Reform durchzusetzen war. Gleichwohl blieb das Kabinett am Hofe der Habsburger in dessen Strukturen integriert. Der »Kaiserlich-Königliche geheime Cabinets-Secretarius Herr Ign. Freyherr von Koch, Ihro Kaiserl. auch zu Hungarn und Böhmen Königl. Majestät Hof-Rath«59 gehörte – um 1760 – zum Oberstkämmerer-Stab, er wurde 1762 zum Staatsrat ernannt mit – dies wird ausdrücklich vermerkt – Zutritt zu den herrschaftlichen Appartements und »Antikammern« bei Hofe, was die Sphäre war, in die sonst Generäle vorgelassen wurden.60 Schon 1748 war der Hofrat und Kabinettssekretär in den Freiherrnstand erhoben worden. Die Heiratskreise der »Kabinett- oder Hofsekretäre« belegen die Integration in die Ränge des mittleren Hofadels.61 Die österreichischen Kabinettssekretäre verblieben im Hofraum, freilich in der spezifischen Sphäre eines neuen herrschaftlichen Entscheidungsortes jenseits der großen Kollegien. Gegen die hohe Hof- und Amtsaristokratie war in den späten 1740er Jahren aus dem Kabinett die Behördenreform in die Wege 55

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Kallbrunner/Biener, Testament, 1952, S. 54; Koch als Inspirateur der Haugwitz’schen Reform: Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 341; Walter, Männer, 1951, S. 43; Arneth, Maria Theresia, Bd. 4, 1870, S. 12f.; vgl. S. 25; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 94; ergänzende Quelle: Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, Bd. 2, 1908, S. 320 (2.5.1749). Schon Arneth, Maria Theresia, Bd. 4, 1870, S. 25; Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 13–15, 340–342. Abschrift: Billet an den Staatsratsreferendar König, o. D. (1762): HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25. Vgl. schon die aus dem Jahre 1747 datierenden argwöhnenden Notizen bei Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, Bd. 2, 1908, S. 168. So: Kais. Kg. Hof- und Ehren-Kalender, 1762, unpag. unter »Obrist-Cammerer-Staab«; auch Gonsa, Kabinett, 2019, S. 545. HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25; Megerle von Mühlenfeld, Adels-Lexikon, 1822, S. 63: Erhebung Kochs in den Freiherrnstand 1748. Kubiska-Scharl/Pölz, Karrieren, 2013, S. 201; vgl. noch Gonsa, Kabinett, 2019, S. 548.

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geleitet worden. Sehr viel mehr im Sinne einer »Grenzstelle«62 zwischen Hofgesellschaft und Amtsinstanzen einerseits und dem politischen Staatssystem mit seinen Regionen und entstehenden Provinzen andererseits wuchs die Distanz des preußischen Kabinetts, nicht zuletzt in sozialer Hinsicht. Ein August Friedrich Eichel war, wie man weiß, das, was man heute ein Unterschichtenkind nennen würde, Feldwebelsohn, nicht aus den besten Gegenden der Residenz,63 und wenn er auch – ganz wie seine Wiener Kollegen – zu einem allerlei Mutmaßungen erregenden Vermögen kam, so blieb seine soziale Position doch die eines sehr gut bezahlten Sekretärs. Damals war es, bei günstigen personellen Konstellationen, in Preußen nicht unmöglich, als Sprössling einer Unteroffiziersfamilie zu studieren und ein umfassendes Wissen anzusammeln, das auch in Potsdam-Wusterhausen-Berlin an dieser arbeitsintensiven Stelle Bedingung war. Undenkbar war aber, dass ein Eichel in hohen Behörden oder auch an der Tafelrunde des Königs Platz gehabt hätte. Wenn Amtsträger gegenüber Eichel – vielleicht zur Sicherheit – in Anredeform das Adelsprädikat beilegten,64 so besagt dies nur, dass bei einem Manne an so zentraler und einflussreicher Stelle die Differenz von Stand und tatsächlicher Bedeutung schwer verständlich war: »Eichel übermittelte den Ministern die Befehle des Königs, indem er entweder brevi manu die ›mündlichen allergnädigsten Resolutionen‹ an den Rand ihrer Eingaben schrieb, oder indem er das, ›was er in der Eil notieren können‹ […] in officiellen Cabinetsordres oder in Privatbriefen an die Minister näher ausführte«.65 Die Umgangsformen der (adligen) Amtsträger aus Zentralkollegien oder aus den Provinzen mit ihm spiegeln die Stellung der Kabinettssekretäre jenseits ihres – sozial gesehen – subalternen Ranges.66 So wie Koch die Haugwitz’schen Behördenreformen durchsetzen half, so hat Eichel zur selben Zeit die erste friderizianische Justizreform,

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Im Sinne von Luhmann, Funktionen, 1999, S. 220–239; vgl. Hengerer, Hofzeremoniell, 2001, S. 362. Schultze, Herkunft, 1934; in Ergänzung zu dems., Eichel, 1930, S. 87f., Einfluss und Vermögen: S. 94–98 – alles auch zum Folgenden; Wissen: Hüffer, Kabinettsregierung, 1891, S. 58f. Beispiel: GStAPK, I. HA, Rep. 96, 402 G (1753). Koser, Staatsschriften, 1877, S. XX. Z. B.: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 6/2, 1901, S. 239–241 (Nr. 128), Bd. 9, 1907, S. 647, 685, Bd. 10, 1910, S. 134 (Nr. 99).

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die Samuel von Coccejis, durchgebracht.67 Mehr als dreieinhalb Jahrzehnte, seit 1730, hat Eichel nicht zuletzt die diplomatischen Materien bearbeitet, aus der Distanz seines privaten Potsdamer Hauses, aber in eigenartiger Freundschaft mit dem Minister des Auswärtigen.68 Der Justizminister Jariges setzte Eichel zu seinem Erben ein.69 Bei allen Veränderungen im Detail blieb es bis zur Zeit um 1800 dabei, dass zumal unter Friedrich II. in seinen kleinen Arbeitskabinetten in den Potsdamer Residenzschlössern, in seiner Berliner Schlosswohnung oder bei seinen Revuereisen Kabinettssekretäre bürgerlicher und subalterner Herkunft70 tätig waren, deren Sozialstatus die Integration in den höfischen Kommunikationsraum71 verhinderte, zumindest aber enge Grenzen setzte. Sie blieben bürgerlich, hatten, wie später Mencken, z.T. studiert, aber ihr Kultur- und Sozialprofil blieb das gleiche, auch über die Zeit um 1750 hinaus, als das Kabinettspersonal eine deutliche Vermehrung erfuhr, und auch nach der Reorganisation bei Eichels Tod im Jahre 1768.72 Diese bürgerliche Gegenelite73 weckte alsbald Argwohn und um 1800 heftige, auch publizistische Kritik.74 Nicht eigentlich die formale Stellung der Kabinettssekretäre im ratsfernen Entscheidungszimmer des Monarchen, in Österreich die »gemischte« Regierungsführung der Monarchen im (Staats-)Rat und in der Distanz ihres Kabinetts respektive die radikalere Distanzpolitik in Potsdam-Berlin, macht die wesentliche Differenz der Fälle aus. Auch das Wiener Pendant erlebte zur 67

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Springer, Justizreform, 1914, S. 198, 206f., 218, und die Stellen: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 7, 1904, S. 478f.; 503–520, ferner S. 139 Anm. 2, und Bd. 8, 1906, S. 132 Anm. 4, S. 135, 616, 646f.; 666f., 674. Eichels Hand 1730 in den frühen Minütenbänden: GStAPK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 3 und 4, zum Mai und Oktober. Zusammenfassend Schultze, Eichel, 1930, S. 89f.; Neugebauer, Kabinett in Potsdam, 1993, S. 85–90; Wohnsitz Eichels und seiner Kollegen in Potsdam: Ebd., S. 109–111; weiteres: GStAPK, I. HA, Rep. 9, L 3a, b , Fasc. 8; zu dem schlechten Gesundheitszustand Eichels Mitte der 1760er Jahre: eigenhändiger Brief an Finkenstein, 13.2.1766, GStAPK, I. HA, Rep. 9, L 12, Fasc. 5; Gehalt 1768: GStAPK, II. HA, Gen. Dir. Kurmark XIII, Varia 5. Büsching, Beyträge, 1783, S. 377, 379, 386. In diesem Sinne Hüffer, Kabinetsregierung, 1891, S. 55; ders., Mencken, 1890, S. 7; um 1800: Lehmann, Stein, 1902, S. 401–406, jeweils zu den anderen, hier übergangenen Namen; Naudé, Subalternbeamtentum, 1905, S. 371f.; Hüffer, Beamte, 1892, S. 167–170. Alles weitere bei Neugebauer, Hof, 2001. Wie Anm. 70. Neugebauer, Kabinett in Potsdam, 1993, S. 93 (Lit.). Neugebauer, Kabinett und Öffentlichkeit, 2005, S. 28–31.

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Jahrhundertmitte einen quantitativen und qualitativen Ausbau des Apparates: die Vermehrung des Personals, auch der Hilfskräfte, etwa die fünf »Hoff- und Cabinets-Courriers«, die schon 1742 in den Akten des Obersthofmeisteramtes auftauchen.75 Um 1780 war da der »geheime Kabinettssekretär« von Pichler, daneben ein »Geheimer Sekretär« und sechs »Geheime Kabinetskopisten«, darunter der rasch aufsteigende Joseph Franz Stephan von Kronenfels.76 Um 1800 gab es erst vier, dann sechs Kabinettssekretäre, dazu Kabinetts-Offiziale, Kanzlisten, vier Boten und zwei eigene Kanzleidiener.77 Nach dem Tode Kochs 1763 blieben die Kabinettssekretäre als Spitze der entstandenen Kabinettshierarchie adlig, nach Koch Cornelius von Nenny (Neny), einflussreich bis 1776.78 Die eigentlichen Kabinettssekretäre hatten hochgeheime Korrespondenzen zu führen, mit österreichischen Diplomaten im Ausland oder etwa auch mit hohem Klerus im Ungarischen.79 Joseph II. hat sich nach 1780 einerseits vielleicht noch stärker als zuvor auf das Kabinettspersonal gestützt, andererseits durch die Zuspitzung der persönlichen Kommunikationspraxis, die alle Chefs der Hofstellen in seinen unmittelbaren Kontakt zwang, das Informationsmonopol des Kabinetts untergraben.80 Unter Franz II. stand dann seit 1792 an der Spitze dieses Apparats mit dem Grafen von Colloredo-Waldsee ein förmlicher Kabinettsminister, unter dem siebzehn weitere Beamte wirkten. Colloredo kannte Franz II. als dessen Erzieher seit Jugendtagen, aber der Minister galt politisch doch als 75 76 77

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In den Einträgen zum Mai 1742: HHStA Wien, Hofparteienprotokolle des Obersthofmeisteramtes, OMeA Prot. 17; auch Stücke vom Juni 1743. Hof- und Staats-Schematismus, 1781, S. 400f. Alles nach HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 26; zur Entwicklung seit der Jahrhundertmitte auch (in diesem Bestand) Organisierungsakten A 1; Josef II. hatte schon als Prinz 1762 einen Kabinettssekretär (»Herr Philippe de la Mine, Kaiserl. Königl. Hof-Rath«, Kaiserlich-Königlicher Hof- und Ehren-Kalender, 1762, unpag.); vgl. Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 342–345. Kubiska-Scharl, Einleitung, 2018, S. 18; Gonsa, Kabinett, 2019, S. 546. Beispiele: Arneth, Maria Theresia, Bd. 7, 1876, S. 434–436, Bd. 10, 1879, S. 137; Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 16–18, 20 (Pichler/Püchler); ders., Kabinettsarchiv, 1937, S. 115f. Thematisiert bei Pezzl, Charakteristik, 1790, S. 83; zum Apparat: Hof- und Staats-Schematismus, 1789, S. 389f. (Kabinettssekretär v. Kronenfels, 5 Geheime Hofsekretäre, 3 Kanzlisten); verschiedene Beurteilungen zum Gewicht des Kabinetts vgl. nach 1780 bei Gonsa, Kabinett, 2019, S. 546, mit Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 74f., 89; und drastischer ders., Kabinettsarchiv, 1937, S. 116; wichtig nach wie vor Mitrofanov, Joseph II., 1. Teil, 1910, S. 275–277.

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schwach, wenn unter ihm auch der behördenmäßige Ausbau des Kabinetts Fortschritte machte.81 Aber es stellte sich die Frage, ob der Monarch noch in der Lage war, die Fülle der Eingänge und die Komplexität der Materien zu überblicken.82 Für unseren Fragenansatz bleibt das Faktum, dass Colloredo sowohl zum Konferenz- als auch zum Kabinettsminister ernannt worden ist, ein interessantes Indiz. Fast gleichzeitig wurde in Preußen mit der Ernennung von Kabinetts-Räten auch äußerlich nachvollzogen, was an politischem Gewicht gewachsen war.83 Aber das Organ »Kabinett« stand hier – auch topographisch – neben der Ministerial- und Hofgesellschaft und wurde als solches zum Objekt heftiger öffentlicher und solcher Diskussionen, die innerhalb der Hof- und Amtsaristokratie vor 1806/07 geführt wurden.84 In Österreich wurde unter Colloredo das Kabinett in diese Eliten eher integriert, der Entscheidungsraum zwischen Aristokratie und monarchischem Kabinett behielt Überschneidungsfelder: Um 1800 wurde Colloredo zum Oberstkämmerer ernannt, das Kabinettspersonal »wurde nun wieder im Oberstkämmererstab eingeteilt.«85 Die Hof- und Kabinettssekretäre blieben »intensiv in die alltäglichen Abläufe der Hofverwaltung eingebunden«,86 und vielerlei amtliche und gesellschaftliche Kontakte beeinflussten kleine und große Weichenstellungen der Majestäten, wie wir schon am Beispiel der Haugwitz’schen Reform

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HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 26; vgl. Colloredos Immediatbericht vom 28.1.1803; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/5, 1956, S. 15–19, Nr. 5, und ders., Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II//1/2/2, 1956, S. 35–40, 42–45, mit allen Details; ders., Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/5, 1956, S. 6, Nr. 2, S. 98–101 (31.8.1801); sehr kritisch Aretin, Reich, 1967, S. 276, 469; Hock/Bidermann, Staatsrath, 1879, S. 652f.; Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 37–39, 47–51. Siehe Christe, Erzherzog Carl, 1912, S. 182; in diesem Sinne auch Pezzl, Charakteristik, 1790, S. 314f.; 1797 wurde erstmals ein Mann mit Kenntnis des Ungarischen eingestellt: HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25 und 26. Zur Ernennung von Lombard und Beyme die diversen Aktenstücke: GStAPK, I. HA, Rep. 9, L 3a, b , Fasc. 8; Hüffer, Kabinettsregierung, 1891, S. 523f.; ders., Beamte, 1892, S. 171 mit Anm. 2. Wie Anm. 74, mit dort angegebener Lit. zu weiteren Quellen. Polzer-Hodlitz, Kaiser Karl, 1929, S. 595f.; Colloredo: HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisationsakten A 1, zu 1796; bis 1792 im Oberstkämmererstab: Direktionsakten No. 25; so auch: Hof- und Staats-Schematismus, 1776, S. 346f., Kabinettssekretäre unter dem »Obristkämmererstab«: Weiskern, Wien, 1770, S. 42. So Kubiska-Scharl, Einleitung, 2018, S. 40.

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gesehen haben.87 Koch wurde dafür eingesetzt, die Handschreiben Maria Theresias zu fertigen, aber auch mit eigenen Briefen Aufträge der Monarchin an die Amtsträger zu kommunizieren. »Die Berichte und Auskünfte dieser Beamten wurden daher gleichfalls nicht in die Form dienstlicher Vorträge an Maria Theresia, sondern in jene persönlichen Schreiben an den Kabinettssekretär gekleidet.« Auch zu Kommissionen ist Koch verwendet worden.88 Sein Arbeits- und Einflussbereich erstreckte sich auf die inneren, aber auch auf strategische Entscheidungen der auswärtigen Angelegenheiten. Damit in engem Konnex standen selbstredend die Rüstungen in der ersten Hälfte der 1750er Jahre, ein Thema, zu dem Koch auch in der Form von Denkschriften eigenständig Stellung nahm.89 So kamen Informationen über den Zustand des Landes »durch den Canal des Cabinettssecretarii Koch« zur Monarchin, um »geheime Informationes hier und in denen Ländern mir zu procurieren.«90 Von Kaunitz’ Pariser Mission gingen um 1750 die geheimen Berichte über Koch, der zudem mit dem Staatskanzler einen umfangreichen Austausch pflegte, meinend, dass Maria Theresia davon nichts wisse, worin er sich freilich täuschte; Ähnliches ließe sich für die Sekretäre v. Neny und v. Pichler zeigen.91 Im Jahre 1751 fungierte Koch sogar als »Bevollmächtigter« bei Verhandlungen mit Preußen, in denen es um Handels- und überhaupt um die Wirtschaftsbeziehungen ging.92 So lag es in der Logik, dass beim neuerlichen Organisationsrevirement in den frühen 1760er Jahren Koch auch zum Mitglied des Staatsrates ernannt wurde, und zwar so, wie Maria Theresia in einem Handschreiben an den Obersthofmeister ausdrücklich schrieb, dass Koch dort den »Rang vor allen meinen Hofräthen« haben solle, was alles seine Integration in die Hofgesellschaft schlagend belegt.93 Auch gesellschaftliche Kontakte 87 88 89 90 91

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Siehe oben bei Anm. 55. Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 15. Naudé, Beiträge, Teil 1, 1895, S. 30, 56–62, Teil 2, S. 220–223; Volz/Küntzel, Acten, 1899, S. 171 Anm. 6; Guglia, Maria Theresia, Bd. 2, 1917, S. 137; Szabo, Kaunitz, 1994, S. 117. Kallbrunner/Biener, Testament, 1952, S. 51. Die umfangreiche Edition von Schlitter, Correspondance, 1899, vgl. dort S. XVIII; dazu Arneth, Maria Theresia, Bd. 7, 1876, S. 434f., und Bd. 4, 1870, S. 326–329, 334, ferner das sprechende Stück bei Arneth, Briefe, Bd. 4, 1881, S. 249 (13.11.1754); Polzer-Hodlitz, Kaiser Karl, 1929, S. 592–594. Politische Correspondenz Friedrichs des Großen, Bd. 8, 1882, S. 216f., Nr. 4722 und S. 229, Nr. 4739. Erhalten in Abschrift: HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25, vom 1.6.1762; dort auch das Billet an Khevenhüller (o. D.): Koch hat Zugang zu »Antikammern und Appartements« bei Hofe, wo sonst die Geheimen Räte und Generäle er-

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zeigen dies, wie etwa privater Umgang Kochs mit dem Obersthofmeister Grafen Khevenhüller.94 Nehmen wir als Exempel noch einen der Nachfolger Kochs,95 eben Cornelius v. Nenny. Schon in der Spätzeit Kochs im Kabinett tätig, wurde dieser 1766 noch zum Niederländischen Geheimen Rat und zum wirklichen Hofrat ernannt und erhielt 1770 die Standeserhöhung zum Freiherrn.96 Er spielte in der am Hofe der 1760er Jahre geführten Diskussion um eine Reform der Finanzverwaltung eine durchaus nicht unbedeutende Rolle,97 während er in der Umgebung der Monarchin sowohl innen- als auch außenpolitische Sachen expedierte.98 In den frühen 1770er Jahren finden wir Nenny im Wiener Jansenistenkreis. Seine personalpolitischen Bestrebungen auf religionspolitischem Felde stießen bei der Herrscherin dann freilich auf massive Reserven: Dies markiert Grenzen des kabinettssekretärlichen Einflusses in dieser Zeit bei devianter Religiosität.99 Immer finden wir aber die Herren des Kabinetts eng verflochten in die gesellschaftlich-konfessionellen Fraktionen der Residenzgesellschaft, von Diplomaten sowohl als politischer Faktor beachtet als auch – je nach Parteistellung – beargwöhnt.100 Nenny sehen wir bei den Verhandlungen um einen Handelsvertrag mit der Toskana; 1767 gehörte er einer Kommission an, die sich mit der Gründung einer (Staats-)Bank zu befassen hatte.101 Dergleichen war im Preußen dieser Zeit ganz undenkbar, und auch die in Wien üblichen Nobilitierungen und Standeserhöhungen von Hofbediensscheinen durften; außerdem HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Organisationsakten A 1; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 313; Szabo, Kaunitz, 1994, S. 60. 94 Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, Bd. 5, 1911, S. 126 (12.9.1759), vgl. auch ebd., Bd. 3, 1910, S. 211. 95 Zu Pichler (Püchler) Arneth, Maria Theresia, Bd. 1, 1863, S. 140 (dort die Aussage der Monarchin: »[…] mein getreuer Pichler, für den ich noch mehr gutstehe als für mich selbst«; vgl. auch S. 734, 770). 96 So Megerle von Mühlenfeld, Adels-Lexikon, 1822, S. 73; etwas abweichend: HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25 (seit 1758 im Kabinett), und No. 26; Ratswürde: Ebd., Alte Kabinettskanzlei, Karton 16. 97 Szabo, Kaunitz, 1994, S. 138, 317. 98 Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 18f. 99 Hersche, Spätjansenismus, 1977, S. 129, 196f., 348. 100 Vgl. die Quellen bei Wertheimer, Schilderungen, 1880, S. 9, 32f., 11: »Freiherr v. Neny, Ist ein Intrigant, heftig und der Allianz nicht ergeben.« 101 HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisierungsakten A1; Arneth, Maria Theresia, Bd. 9, 1879, S. 433.

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teten102 finden für das sich rasch vermehrende Personal des Kabinetts in Potsdam-Berlin im ausgehenden 18. Jahrhundert kein Pendant. Damit sind Spezifika jenes monarchischen Entscheidungsraums markiert, wie er in und um Wien, in der Hofburg und in den Lust- und Jagdschlössern der Umgebung die politische Praxis bestimmte.103 Im markanten Unterschied zu Potsdam104 besaßen führende Familien des hohen Amtsund Hofadels, die Sinzendorf und die Schönborn, die Schwarzenberg und die Dietrichstein, »Sommersitze« ganz in der Nähe dieser landesherrlichen Nebenresidenzen.105 Wenn die Monarchin auf Reisen war, konnte ein Mann des Kabinetts im Gefolge sein, wie Wolfscron 1741, als sie mit Teilen des Hofs zur ungarischen Krönung nach Pressburg ging.106 Wie in Preußen so ist es auch im Falle Wiens noch lange nicht eine »Behörde«, als die das Kabinett erscheint, sondern ein Personen- und Geheimnisraum, in den die Letztentscheidungen (zurück-)gezogen werden konnten. Noch in den 1780er Jahren hat es aber in und um Wien »eine Arbeitsteilung der höheren Kabinettsbeamten […] nicht gegeben.«107 Der Arbeitsalltag der Kabinettssekretäre bestand unter Maria Theresia durchaus nicht nur aus Expedientendiensten »in so weit es Ihro Kays. Königl. Apostolischer Mayestät gefällig ist, mir den Vortrag, oder die Referirung ein und anderen weitläuffigen Schriften aufzutragen. So viel mir bekannt ist, werden jetzt die übrigen innländischen Geschäfte durch die Staats-Raths-Cantzley erlediget.«108 Als Cornelius Frhr. von Nenny dies schrieb, in den frühen 1770er Jahren, schilderte er eine bereits seit Jahrzehnten übliche Praxis. Sie betraf die all102 Vgl. Kubiska-Scharl/Pölzl, Karrieren, 2013, S. 110f. 103 Dazu die komparatistischen, dem österreichischen Fall gewidmeten Ausführungen bei Neugebauer, Staatsverwaltung, 1997, S. 252–255, auch zum Gebrauch verschiedener Schlösser im jahreszeitlichen Wechsel und zur Ausstattung dieser Orte mit »Ratsstuben«; vgl. Bérenger, Geschichte, 1996, S. 434; Benedik, Appartements, 1997, S. 559, 562: seit 1743 Schönbrunn als Sommerresidenz; »Schreibkabinett« in Laxenburg: Beck, Macht-Räume, 2017, S. 533. 104 Vgl. oben Anm. 44, bes. Mielke. 105 Beispiel: Zykan, Laxenburg, 1969, S. 18–21; illustrativ die 2. Aufl. von Küchelbecker, Allerneueste Nachricht, 1732, S. 253f., 416f., bes. S. 838, 841; Žolger, Hofstaat, 1917, S. 155f.; Ehalt, Ausdrucksformen, 1980, S. 150. 106 HHStA Wien, Hofparteienprotokolle des Obersthofmeisteramtes, OMeA Prot. 17. 107 Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 32; eine (nicht überlieferte) Instruktion erst unter Josef II.: S. 34; vgl. Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/2/2, 1956, S. 34f. 108 HHStA Wien, Staatsrat, Präsidialakten 1, Bericht Nennys vom 24.6.1773; auf diese Quelle hat erstmals Gonsa, Kabinett, 2019, S. 549 aufmerksam gemacht.

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täglichen Entscheidungen über amtlichen Schriftverkehr wie über Bittschriften Privater.109 In der spättheresianischen Zeit sandte der Staatsminister resp. Kanzler Blümegen die Ausgänge verschiedener Hofstellen regelmäßig an das Kabinett, um die Resolutionsentwürfe von den Majestäten, von Maria Theresia oder als »Conregent« von Joseph II. billigen zu lassen, was mit der eigenhändigen Marginalresolution, oft dem »placet« geschah; dies galt für Reichsmaterien, für erbländische oder auch ungarische Angelegenheiten.110 Wenn es sich um Ausgänge des 1760/61 begründeten Staatsrats handelte, wurden sie den Majestäten auf diesem Wege zur Letztentscheidung vorgelegt, aber in der Staatsratskanzlei formuliert und mundiert.111 Die Herren des Kabinetts und Maria Theresia hatten fortdauernd ein scharfes Auge auf der täglichen Detailarbeit des Staatsrats112 ; sie führten Akten über den Staatsrat, »die dessen Verrichtungen controlliren«.113 Das schloss nicht aus, »daß sich von Zeit zu Zeit Umstände ereignen, bey welchen es nöthig ist, geheime Befehle oder Erinnerungen, auch in innerlichen Angelegenheiten, durch das damalige geheime Cabinet expediren zu lassen«.114 Aus dem Kabinett konnte also selbstverständlich auch unabhängig von Vorlagen agiert werden, in Preußen ebenso wie in und um Wien, dort mit den berühmten Kabinettsordern bzw. -dekreten, hier – ganz analog – mit vom Monarchen (ohne Kontrasignatur) unterfertig-

109 So der Bericht des preußischen Gesandten Podewils aus Wien, 19.8.1747, gedruckt bei Hinrichs, Friedrich der Grosse, 1937, S. 97–99, hier S. 98, zur täglichen Arbeit Kochs bei der Kaiserin, »was ihm natürlich einen großen Einfluß verschafft, den er mit viel Bescheidenheit verbirgt. Alle, die sich um eine Stelle oder um irgendeine Gnade bemühen, unterlassen nicht, sich an ihn zu wenden.« Ebd. zu Koch als Teil der Fraktion Bartensteins. 110 Siehe die Immediatberichte Blümegens aus dem Jahre 1771 (»Allerunterthänigste Noten«, halbbrüchig): HHStA Wien, Alte Kabinettsakten, Karton 16. 111 Darauf bezieht sich Nennys Mitteilung, »daß keine ordentliche innländische Angelegenheiten, soviell sie die hungarischen und teutsche Erblanden betreffen, bey dem Kais. Königl. geheimen Cabinet behandelt, noch erledigt wurden«. Das Kabinett solle über die Arbeit der »Staats-Canzley« eine Art kontrollierende Aufsicht führen. 112 Nach dem Konvolut »A. H. Resolutionen und staatsräthliche Circulanden« mit Stücken der 1770er Jahre: HHStA Wien, Alte Kabinettsakten, Karton 16, mit schönen Exempeln für das »placet« der Monarchin; vgl. Hochedlinger, Aktenkunde, 2009, S. 196 (in Analogie zu »Marginaldekreten« Friedrichs d. Gr.); Hock/Bidermann, Staatsrath, 1879, S. 36. 113 So ein Bericht Nennys vom 24.6.1773; HHStA Wien, Staatsrat, Präsidialakten 1. 114 So Nenny 1773 ebd.

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ten Handbillets.115 Die Resolutionspraxis, auch in Form von Marginalien, ist in Österreich und in Preußen sehr ähnlich. Die Überlieferung des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien lässt seit den 1770er Jahren tiefe Blicke in den Kabinettsalltag zu. Allein aus dem Staatsrat konnten nach einer Sitzung mit einem Immediatbericht mehr als ein Dutzend Vorträge zum Kabinett gelangen, von wo aus in die Detailarbeit der Hofstelle eingegriffen wurde.116 Durchaus nicht alle vorgelegten Resolutionen wurden vom Herrscher gebilligt und nach Vorlage über das Kabinett expediert. Aber auch andere Zentralstellen hatten sich mit Vorlagen an die Majestät zu wenden, etwa die Böhmische und österreichische Hofkanzlei. Die Handbillettenprotokolle verzeichnen die wesentlichen Inhalte der Eingänge und die bisweilen ausführlichen Resolutionen, auch solche an den die Außenpolitik führenden Fürsten Kaunitz. Die »Resolutio Augustissima« auf dem halbbrüchig geschriebenen Eingang verweist darauf, dass die Letztentscheidung ganz im sekreten Raum des Kabinetts erfolgte. Auch Reichsangelegenheiten, solche des Reichhofrats, gelangten dahin,117 ferner Protokolle hoher Kollegien, z.B. Einzelfälle zum Robot in Böhmen und ausführliche Resolutionen, diese von Schreiberhand. Auszüge aus »Hofkriegsräthlichen« Vorträgen gelangten in das Kabinett, um dort die »Entscheidung« in prinzipiellen Fragen, etwa wenn es das Rekrutierungssystem betraf, einzuholen.118 Zudem gingen chiffrierte

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Zur archivwissenschaftlichen Diskussion sei mit allen Details verwiesen auf Meisner, Aktenkunde, 1935, S. 29; Reinöhl, Kabinettsarchiv, 1937, S. 155f. (auch zu den »Reisebilletten«, wenn der Monarch außerhalb seiner Residenz fungierte); Hochedlinger, Aktenkunde, 2009, S. 189–194, 197 (auch zum Quartformat der Handbilletts); Korn, Kabinettsordres, 1973, Sp. 229 (»Österreichische Handbillets«); Meisner, Regierungs- und Behördensystem, 1967, S. 212, 224f., 426 Anm. 106. »Allerunterthänigste Nota«, gez. Kreßl, Wien, 16.10.1773 (mit Marginalie »placet M«); HHStA Wien, Alte Kabinettsakten, Karton 16. HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Handbillettenprotokolle 1 a, ab Januar 1770; vgl. zu den »Billetprotokollen« Meisner, Gesamtinventar, 1939, S. 232; vgl. auch »Protocollum separatum aller erlassenen allerhöchsten Handbillets vom November 1774. bis Ende 1778.«; HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Handbillettenprotokolle Bd. 11. Passim die Texte ohne Schlusskourtoisie, aber 1. Person sing. HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Handbillettenprotokolle 1 a, 30.11.1770, mit Abschrift der »Resol. Augustissima«: »Meiner Kanzley gebe unter einem mit, was für ein Patent an die Länder […] in Gemäsheit dieser meiner Entscheidung Kund gethan werden solle, wovon dieselbe dem Hofkriegsrath die Mittheilung zu machen ebenfalls nicht anstehen wird.« Siehe auch zur Vielzahl der sich an das Kabinett wendenden Kollegien den Band Handbillettenprotokolle Bd. 4.

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Eingänge für die Staatskanzlei zwecks Dechiffrierung an das Kabinett, wie auch diplomatische Berichte dorthin zur Kenntnisnahme gelangten.119 Wo die praktischen Grenzen einer solchen Regierungsführung lagen, wurde natürlich evident. Die Versuche, durch regelmäßige Berichtserforderung aus dem Kabinett einen Überblick über die Tätigkeit auch noch der Landesjustizstellen zu gewinnen, scheiterte an permanenten Rückständen einerseits, aber auch an der Unmöglichkeit, auch das noch durch die Hand der Monarchin gehen zu lassen, die sich gezwungen sah, Resolutionen an Kabinettspersonal zu delegieren.120 Joseph II. versuchte, die Zentralstellung des Kabinetts einerseits weiter zu stärken, andererseits aber auch dessen organisatorische Struktur zu festigen.121 Er beabsichtigte, beim, wie er ausdrücklich sagte, »geheimen Kabinett« eine »Kontrolle« zu schaffen, die die Arbeit der höchsten Hofstellen und die Praxis der Landes-Gubernien sowohl in den deutschen Ländern als nun auch in Ungarn überwachen sollte.122 Das Kabinett sei, so schreibt er 1773, »anetzo das einzige centrum, wo alles aus der monarchie zusammen fliesset, euer Mt. allerhöchste person ist.«123 Aber es werde dort »ohne mindeste canzleyordnung« und auch mit mangelnder Übersicht über die Geschäfte gearbeitet. Josephs Vorschläge fanden bei seiner Mutter keine Unterstützung, und auch nach 1780 wurden sie von ihm selbst nicht mehr aufgegriffen, wiewohl er dazu tendierte, Entschlussräume etwa des Staatsrates weiter einzuschränken und bei sich persönlich und dem Kabinett zu monopolisieren.124

119 Alles weitere bei Stix, Ziffernkanzlei, 1937, S. 134. 120 Diverse Stücke aus 1761: HHStA Wien, Alte Kabinettsakten, Nr. 15, mit der Marginalresolution von der Hand Maria Theresia: »wan ihr es Vor gutt findet so setzet die resolution also auff«. 121 Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 447–449, mit hier zu übergehenden Details. 122 Abschrift: Denkschrift Josephs II., 24.6.1773; HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25, mit Vorschlägen für eine Ressorteinteilung im Kabinett; ergänzend zu: Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 1–60 (»Nota« Josefs II., 27.4.1773). 123 Ebd., S. 51; vgl. zu Vorschlägen Josephs II. vom November 1771: Matsch, Geschichte, 1980, S. 69f., auch zur Ablehnung dieser Vorschläge durch Maria Theresia; Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 23–26 (auch nach 1780 nicht ausgeführt). 124 Wichtig: Hock/Bidermann, Staatsrath, 1879, S. 99–101. Auf die Versuche um 1791 und 1801, durch Kombinationen von Kabinett und Staatsrat einerseits, dann Kabinett und Staatskanzlei andererseits die Probleme zu lösen, kann nicht im Detail eingegangen

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Diesem Ziel entsprach allerdings die materielle Ausstattung des Kabinetts nicht – nicht in Österreich und nicht in Preußen. Wir dürfen uns das »Kabinett« hier wie dort nicht als bürokratischen Apparat, als »Behörde« vorstellen. Wir hörten eingangs, dass zu Zeiten Friedrichs II. das Büro des Kabinetts(sekretärs) mit dem Raum, in dem der König arbeitete und entschied, identisch war,125 in Potsdam etwa im Stadtschloss ein kleines Zimmer an der Südostecke, in dem der Raum keinen Ofen gestattete und in dem die Kabinettssekretäre nicht einmal über ein eigenes Pult verfügten, sondern wo sie die Notizen stehend mit weichem Blei auf den zusammengefalteten Aktenstücken zur weiteren Bearbeitung zu notieren hatten. Unter Friedrich Wilhelm I. war das »Kabinett« als Entscheidungsort mit dem schmucklosen Wohn- und Arbeitszimmer des Monarchen identisch.126 Um 1800, als auch in Preußen über Funktion und Ausstattung des Kabinetts diskutiert wurde, war es eine Forderung, dass künftig die Kabinettsbeamten einen Arbeitsraum im Schloss zur Verfügung haben sollten.127 Bis dahin fand die Formulierungs- und Schreibarbeit in maximierter Invisibilität, in den Privatwohnungen und -häusern der Kabinettssekretäre statt, und deren Hauptwohnsitz war eben Potsdam.128 Von einer geordneten Akten- und Registraturführung war keine Rede, also auch nicht von einer halbwegs rationalen Aktenförmigkeit der Regierungspraxis. Gleichwohl galt der Grundsatz, alle Eingänge, auch Bittschriften, umgehend, lange Zeit sogar innerhalb von 24 Stunden zu beantworten. Zweifel klingen bei Zeitgenossen Friedrichs II. an, ob so, wenn ein supplizierender Untertan gar zweimal in einer Woche ein Kabinettsschreiben erhalten könne, in Zukunft weiter zu regieren sei.129

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werden; vgl. HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisierungsakten A 1; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/2/2, 1956, S. 42f., 212. Wie oben bei Anm. 2 (Tyrconnell). Mit der (auch orts- und kunstgeschichtlichen) Spezialliteratur Neugebauer, Kabinett in Potsdam, 1993, S. 101–104; ders., Potsdam-Berlin, 1993, S. 278–281, auch zu Wusterhausen und der Reisepraxis. Hüffer, Kabinettsregierung, 1891, S. 501; Reisepraxis: z.B. Büsching, Character, 1. Aufl., 1788, S. 216f., 299; zur Arbeitsweise auch Meisner, Aktenkunde, 1935, S. 131; Preuß, Friedrich der Große, 1832, S. 351. Neugebauer, Potsdam-Berlin, 1993, S. 283, und das Material S. 294f.; ders., Kabinett in Potsdam, 1993, S. 107–111; Koser, Gründung, 1921, S. 107, Anm. 3; vgl. Nicolai, Beschreibung, Bd. 3, 1786, S. 1259. Mit Details Neugebauer, Schloß und Staatsverwaltung, 2005, S. 86–88; Beneckendorf, Karakterzüge, 1787, S. 33; Dohm, Denkwürdigkeiten, 1819, S. 94; Büsching, Character, 2. Aufl., 1788, S. 25f., 207f., 227, 229, 231.

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Auch in Österreich war die Aktenführung, also die Organisation des Informationsfundus im unmittelbaren Umfeld der Monarchen, alles andere als behördenförmig. So wie in Preußen auch130 gaben die Wiener Hof- und Staatsschematismen unter der Rubrik des Geheimen Kabinetts keine Amtsadresse an.131 Nach dem Tode Nennys wurde dessen Nachlass nach solchen Papieren durchforstet, die besser in »meine Cabinets-Canzley« übernommen werden sollten.132 Seine Wohnung war also bis dahin zugleich ein Aktendepot. Die Aktenhaltung des »Kays. Königl. geheimen Cabinets« war auf ein Minimum beschränkt.133 Nur die notwendigsten Abschriften wurden zurückbehalten und im »Cabinets-Archiv«, gegliedert nach Ländern und Materien, gebunden in Faszikeln, aufbewahrt.134 Die Kabinettssekretäre wurden – bis in die Spätzeit Maria Theresias – bei Bedarf in das Schreibzimmer der Majestät gerufen. Denn Joseph II. schrieb noch 1773, dass es nötig »wäre […], dass ein secretarius oder Rath aus der Cabinetskanzlei von frühe morgens bis abends in einem euer Mt. vorzimmern hier und in Schönbrunn sich befinde«, um zugleich alle Ausgänge zu befördern.135 Tatsächlich waren auch im österreichischen Falle die (Privat-)Wohnungen des Kabinettspersonals Orte der Kabinettspraxis. Nenny erwähnt 1773, »daß [ich] da in Wien sowohl als zu Schönbrunn, die Gnade habe sehr nahe bey der Allerhöchsten Residenz zu wohnen, ich auch stets an der Hand bin, um alle Befehle Unserer Allergnädigsten Frauen [!] zu vollziehen, und bey Allerhöchstdero Person, augenblicklich aller Art Arbeit zu verrichten, und zu erledigen, wie es die tägliche Erfahrung seit viellen Jahren beweiset; wobey noch allerunterthänigst vorstellen muß, daß ich nicht im Stande wäre, denen schweren

130 Siehe oben Anm. 4. 131 Vgl. bei Anm. 6; Schematismus des kaiserlichen auch kaiserlich-königlichen Staates, 1806, S. 411; vgl. Jg. 1776, S. 347. 132 So: Handbillet an den Kabinettssekretär Pichler, 7.1.1776; HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Handbillettenprotokolle Bd. 11, Nr. 288; gemeint waren die Akten von Nennys Funktion für den Orden vom Goldenen Vließ. 133 Was die problematische Quellenlage zum Teil erklärt; vgl. Reinöhl, Kabinettsarchiv, 1937, S. 118. 134 So Nennys Bericht vom 24.6.1773; HHStA Wien, Staatsrat, Präsidialakten 1. 135 »Entwurf« Josephs II. vom 27.4.1773; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 57, Hervorhebung von Verf. (W. N.); vgl. Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, Bd. 3, 1910, S. 132: Arbeit Maria-Theresias im Schönbrunner »Spiegelzimmer« »mit dem Cabinets-Secretario«.

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Ausarbeitungen mit dem nämlichen Fleiß, und Emsigkeit zu obliegen, wenn ich den größten Theil des Tages bey Hof angebunden bleiben müßte.«136 Die Kabinettsarbeit selbst war zu dieser Zeit nicht nur der Visibilität entzogen, sondern auch sozialräumlich in Distanz zur Hofpraxis lokalisiert. Die Reformvorschläge Josefs wollten daran zunächst nichts ändern. Er hielt es ja für wünschenswert, »daß übrigens ein geheimer Kabinets-Secretär immer an der Hand sein kann, um die Allerhöchste Befehle augenblicklich zu vollziehen, daß dieser der Allerhöchste Dienst in diesem Departement allezeit besser und nützlicher befördert sein wird, wenn man diesen Secretarien fortan noch die Bequemlichkeit beilässet, wenigstens die wichtigsten Ausarbeitungen zu Hause zu verrichten und daß […] es nur zur Erhaltung der besten Ordnung in den Cabinets-Expeditionen und in dessen Archiv noch nöthig wäre, einem jeden Cabinet-Secretaire seine Pflichten dergestalten zu bestimmen, daß jeder die nämlichen Angelegenheiten einer oder anderen Gattung durch das ganze Jahr zu besorgen, und solche in einer ständigen Verbindung zu leiten hätte.«137 Die Frage, wo das Kabinettspersonal arbeite, in Preußen bzw. in und um Wien, besaß nicht nur große praktische Bedeutung. Sie entschied auch darüber, wie weit die Kabinettssphäre als besondere Kommunikationssphäre am oder außerhalb des Hofes konstruiert wurde. Insofern ist es signifikant, dass im ausgehenden 18. Jahrhundert die Hofburg in Wien mehr und mehr zum Wohnort des österreichischen Kabinettspersonals wurde, vor allem der Hofstallburgtrakt, wo dann auch die Amtsräume der »Ziffernkanzlei« für Dechiffrierungsarbeiten und die Postüberwachung untergebracht waren.138 In den 1780er Jahren verfügte zunächst die »Kabinets-Kanzlei in der Stallburg« über eine »Unterkunft«.139 Der Monarch hat die Raumbeziehungen weiter intensiviert. Joseph II. selbst »bewohnte drei Zimmer im ersten Stockwerk

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Nennys Bericht vom 24.6.1773; HHStA Wien, Staatsrat, Präsidialakten 1. Josephs II. Denkschrift vom 24. Juni 1773; HHStA Wien, Kabinettskanzlei, Direktionsakten No. 25 (Kopie). Stix, Ziffernkanzlei, 1937, S. 132f.; vgl. Matsch, Geschichte, 1980, S. 49, 182 Anm. 77 (Beziehung zum Kabinett); Reinöhl, Kabinettskanzlei, 1963, S. 16f., 21, 33; Wohnungen in der Stallburg für Kabinettssekretäre und -kanzlisten: Hof- und Staats-Schematismus, 1789, S. 389f. (u.a. v. Kronenfels); Polzer-Hodlitz, Kaiser Karl, 1929, S. 594; HHStA Wien, Kabinettsarchiv, Organisationsakten A 1 zur Zeit um 1788. Allerhöchstes Billet vom 9.4.1787, Kopie ebd. Die Kabinettskanzlei solle in die bisherige Wohnung des Kabinettssekretärs Zephyris verlegt werden; im Akt: Direktionsakten No. 25: Notiz aus einem alten Repertorium: »1787 Unterbringung der Kabinetskanzlei in der Stallburg«; vgl. Lhotsky, Führer, 1939, S. 20f.; Kühnel, Hofburg, 1964, S. 40.

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des Leopoldinischen Traktes«, die dann, wie bezeugt wird, »unmittelbar über den Räumen des Kabinettssekretariats« lagen. »Mittels eines Aufzuges wurden die Ausfertigungen in des Kaisers geheimes Schreibzimmer befördert.«140 Das war praktisch, aber alles andere als repräsentativ. Wir besitzen eine Schilderung der Räume des Geheimen Kabinetts aus etwa dieser Zeit: drei miteinander verbundene Zimmer, denkbar einfach eingerichtet und dunkel, wo die Marginalresolutionen des Herrschers, fertig zur Unterschrift, sauber mundiert wurden.141 In Wien lagen die Räume des entscheidenden Geheimnisses in der Residenz, am »Controlgang«, im Halbgeschoss unter den herrscherlichen Wohnräumen der theresianisch-josefinischen Zeit.142 Nicht die Organisation des Kabinetts und seine Arbeitsweise macht den Unterschied des preußischen und des habsburgischen Falles aus,143 sondern der je verschiedene Grad von Distanz des geheimen Entscheidungs- und Mundierungsraumes zu Residenzschloss und höfischem Kommunikationsraum. In Wien, so darf geschlossen werden, intensivierte sich im 18. Jahrhundert die Integration des Kabinetts in die höfische Sphäre, aber auch hier blieb es angelegt auf Invisibilität und Geheimnis.

140 Polzer-Hodlitz, Kaiser Karl, 1929, S. 594. 141 Mitgeteilt bei Beales, Joseph II., 2013, S. 428–430. 142 Man kombiniere Gonsa, Kabinett, 2019, S. 547; Dreger, Baugeschichte, 1914, S. 308 Anm. 388; Raschauer, Wohn- und Zeremonialräume, 1959, S. 283–291, bes. S. 287, 289, darunter »Geheimes, Arbeits-, Schreib-, Spielkabinett« der Majestäten; zum »Controlgang« auch Benedik, Appartements, 1997, S. 561, 564; Hock/Bidermann, Staatsrath, 1879, S. 40, 101 zur Zeit um 1780/90: »[…] daß die Arbeitszimmer des Kaisers, seine Cabinettskanzlei und die Departements des Staatsrathes hart an einander stießen, und daher manche Sache, über welche im Staatsrathsarchive die Acten fehlen, mündlich mit einzelnen Staatsräthen berathen worden sind.« 143 Vgl. zur (angeblichen) Besonderheit des preußischen Kabinetts Hintze, Staatsministerien, 1970, S. 303; ders., Beamtenstaat, 1970, S. 345, 356f.; Meisner, Regierungs- und Behördensystem, 1967, S. 209, 212, 223f.

Entscheidung und Geheimnis

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höchsten und hohen unmittelbaren Hofstellen, Chargen und Würden […] auf das Jahr 1781, Wien o. J. Hof- und Staats-Schematismus der röm. kais. und kais. königlich und erzherzoglichen Haupt- und Residenzstadt Wien [,] derer daselbst befindlichen höchsten und hohen unmittelbaren Hofstellen, Chargen und Würden […] auf das Jahr 1789, Wien o. J. Hof- und Staats-Schematismus der röm. kais. und kais. königlich und erzherzoglichen Haupt- und Residenzstadt Wien [,] derer daselbst befindlichen höchsten und hohen unmittelbaren Hofstellen, Chargen und Würden […] auf das Jahr 1806, Wien o. J. Kaiserlich-Königlicher Hof- und Ehren-Calender […] 1762. Zum Gebrauch des Kaiser-Königlichen Hofes […], Wien o.J. Kallbrunner, Josef/Biener, Clemens (Hg.), Kaiserin Maria Theresias politisches Testament, Wien 1952. Kallbrunner, Josef/Winkler, Melitta (Bearb.), Die österreichische Zentralverwaltung, II. Abt.: Von der Vereinigung der Österreichischen und Böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848), Bd. 2: Die Zeit des Directoriums in publicis et cameralibus (Vorstadien 1743–1749). Das Directorium 1749–1760). Aktenstücke, Wien 1925. Khevenhüller-Metsch, Johann Joseph Fürst, Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch […] 1742–1778, hg. von Rudolf Graf Khevenhüller-Metsch/Hanns Schlitter, 8 Bde., Wien 1907–1972. Koser, Reinhold (Bearb.), Preussische Staatsschriften aus der Regierungszeit König Friedrichs II. Im Auftrage der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 1, Berlin 1877. Ders., Aus der Korrespondenz der französischen Gesandtschaft zu Berlin 1746–1756. Mitteilungen aus dem Pariser Archiv, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 7 (1894), S. 71–96. Küchelbecker, Johann Basilius, Allerneueste Nachricht vom Römisch. Kayserl. Hofe […], Hannover 1730, 2. Aufl., Hannover 1732. Meinardus, Otto, Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 4 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 66), Leipzig 1896. Morgenstern, [Salomon Jakob], Ueber Friedrich Wilhelm I. Ein nachgelassenes Werk, o. O. 1793.

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»Preußen in weiß« Die k. k. Armee und die »Verpreußung« der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Michael Hochedlinger

Wer sich für das Verhältnis zwischen Preußen und der Habsburgermonarchie interessiert, wird Krieg und Militär als zentrale und langfristig prägende Faktoren unmöglich übersehen können; auch nicht auf dem unerquicklichen Feld der »Ethnophaulismen«. Das blanke »Preuße« brachte es nämlich anders als in Teilen Süddeutschlands in Österreich durchaus nicht zum gängigen Schimpfwort. Der in der Alpenrepublik als abwertende Bezeichnung für das Feindbild des zackig-unsensiblen (Nord-)Deutschen immer noch gängige »Piefke« ist ein revanchistisches Memento aus der konfliktreichen gemeinsamen Vergangenheit und wird auf den preußischen Militärkapellmeister Johann Gottfried Piefke zurückgeführt, der im traumatisierenden Schlüsseljahr 1866 mit triumphalistischer Marschmusik in Erscheinung trat, noch dazu auf kernösterreichischem Boden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konnte, ja musste »Preuße« selbst beim habsburgischen Feind als Ehrentitel aufgefasst werden, namentlich in Militärkreisen und vor allem dann, wenn ihn Friedrich II. persönlich verlieh. Es war wohl als hohes Lob gedacht und wurde in Wien auch durchaus so empfunden, als der König im Rückblick auf das Zusammentreffen mit Joseph II. in Mährisch Neustadt Anfang September 1770 die k. k. Truppen in ihren seit Anfang des Jahrhunderts perlgrauen bzw. weißen Röcken huldvoll als »Prussiens en blanc« bezeichnete.1 Dabei hatte die »Verpreußung« der

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Bericht des Geschäftsträgers Hauptmann Josef Weber aus Berlin (15.9.1770) über ein Gespräch mit Friedrich II.: HHStA Wien, Staatskanzlei Preußen, Karton 53.

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Habsburgermonarchie zu diesem Zeitpunkt – Maria Theresia legte dem Reformradikalismus ihres Mitregenten Joseph II. einstweilen noch mütterliche Zügel an – längst nicht ihren Höhepunkt erreicht. Der ehrende Ausspruch des alternden Fritz bezog sich wahrscheinlich ohnedies auf Äußerlichkeiten, vielleicht am Rande auf von ihm frühzeitig erkannte Tendenzen einer viel tieferliegenden und weitergehenden Annäherung des Feindes an das preußische Vorbild. Das äußere Erscheinungsbild der k. k. Truppen hatte sich tatsächlich radikal gewandelt. 1748 und nochmals in den späten 1760er Jahren wurden die einst mantelartig weiten und langen kaiserlichen Uniformröcke auf preußische Art drastisch zurückgekürzt und viel knapper – manche meinten sogar: gesundheitsgefährdend eng – geschnitten. Für die sprichwörtliche Putzsucht der Preußen, die man im habsburgischen Militär in den 1750er Jahren recht exzessiv imitiert hatte, zeigte Joseph II. aber kein Verständnis. Er griff vielmehr energisch zur Entlastung der mit Waffenputzen und einer absurden Haar- und Bartdressur schikanierten Mannschaft ein und durch. 1775 wurden zumindest die aufwendigen Seitenlocken abgeschafft, der sprichwörtliche Zopf aber musste noch bis 1805 geflochten werden.2 Auch bei Äußerlichkeiten zählten für den Radikalutilitaristen unter der Kaiserkrone in erster Linie Kostenersparnis und handfester Nutzen. Die k. k. Regimenter gaben so wider den Zeitgeist des Rokoko ein eher prosaisches Bild ab. Vor allem das Ende der 1760er Jahre bei der Infanterie durchgehend eingeführte Kaskett, ein Vorläufer des Tschako, galt als nicht besonders ansehnlich. Vielleicht schwang im Diktum von den »Preußen in weiß« auch ironisches Eigenlob mit, denn Friedrich und sein Gefolge erschienen zum Treffen mit dem Kaiser und seiner Entourage aufsehenerregenderweise nicht im gewohnten Preußischblau, sondern – äußerlich austrifiziert – in weißen Uniformen; sie waren also die wirklichen Preußen in weiß! Obwohl sintflutartige Regenfälle die Schaumanöver der habsburgischen Truppen buchstäblich ins Wasser fallen ließen, zeigten sich auch die Österreicher zufrieden. Selbst Staatskanzler Fürst Kaunitz, alles andere als ein Freund des eigenen Militärs oder gar seiner rasant wachsenden innenpolitischen Bedeutung, bilanzierte erfreut in einem Schreiben an Maria Theresia: »Die Trup-

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Hochedlinger, Haarige Angelegenheiten, 2019.

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pen Eurer Majestät, Infanterie wie Cavallerie, haben uns viel Ehre gemacht und einen sehr günstigen Eindruck auf die Preußen hervorgebracht.«3 Dass man gegenüber dem preußischen Schreck- und Vorbild massiv aufholte, musste man sich in Wien alleine schon aus psychologischen Gründen einreden und vom Gegner möglichst bestätigen lassen. In dieses Psychogramm latenter Minderwertigkeitsgefühle passt auch, dass sich Joseph II. im Jahr davor, bei der Entrevue im schlesischen Neisse Ende August 1769, von der preußischen Leistungsschau betont unbeeindruckt gezeigt, ja sich eher abfällig über sie geäußert hatte. Nur die Offiziere Friedrichs II. hielt er für den österreichischen weiterhin überlegen, sie seien »gewandter und thätiger«.4 Wir werden auf die in Summe fraglos systemprägenden Unterschiede im Aufbau der Offizierskorps beider Mächte noch zurückkommen müssen. Friedrich II. selbst hatte schon am Beginn des Siebenjährigen Krieges eingeräumt, dass die in der lähmenden Spätzeit des Prinzen Eugen von Savoyen und im desaströsen Türkenkrieg von 1737–39 stark herabgekommene bewaffnete Macht der österreichischen Habsburger bereits in der frühen Regierungszeit Maria Theresias große Reformfortschritte erzielt hatte. Bekannt ist sein Ausspruch, es seien nicht mehr die gleichen Österreicher wie jene, denen er in den Schlesischen Kriegen von 1740 bis 1745 gegenübergestanden sei. Der Einführung des eisernen Ladestocks 1744 kommt im Rahmen dieser Aufholjagd weniger Bedeutung zu als beispielsweise der (verspäteten) Herausgabe von allgemeinverbindlichen Dienst- und Exerzierreglements für Infanterie und Kavallerie (1749–1751), aber sie bleibt doch ein schaurig-schönes Symbol für die noch mitten im Krieg einsetzende Nachahmung des organisatorisch und soldatisch als überlegen empfundenen neuen Erb- und Erzfeindes.5

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Arneth, Maria Theresia, Bd. 8, 1877, S. 225. Ebd., S. 186. Ich fasse im Folgenden essayhaft einige Erkenntnisse meiner Studie Hochedlinger, Thron und Gewehr, 2021 zusammen. Die Nachweise beschränken sich daher auf das Allernotwendigste, oft auf eigene Produkte, weil diese die hier leider nicht mögliche ausführliche Literatur- und Quellendiskussion leisten.

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Bella gerant alii … »Parallelbiographien« der Hohenzollern- und der Habsburgermonarchie liegen längst vor,6 doch die Synopsis lief am Ende doch immer mehr auf die Betonung, ja Stilisierung der Gegensätze hinaus, weniger auf die Herausarbeitung ganz erstaunlicher Gemeinsamkeiten. Diese merkwürdige Situation ist ohne Zweifel pari passu von politischer Propaganda und Geschichtswissenschaft geschaffen worden. Namentlich die nach 1945 in Deutschland und Österreich aus offensichtlichen Gründen ziemlich radikal vollzogene historiographische Wende ins Geistesgeschichtliche hat für einige Jahrzehnte die Einsicht weitgehend verschüttet, dass der »Aufgeklärte Absolutismus«, jedenfalls in Ostmitteleuropa, keine durch Philosophie und eudämonistische Herrschaftspraxis gemilderte Entwicklungsstufe im Prozess kontinuierlicher staatlicher Machtverdichtung gewesen ist, sondern im Gegenteil dessen radikale Zuspitzung.7 Die gezielte Funktionalisierung staatlicher Steuer-, Wirtschafts- und Innenpolitik für die militärische Hochrüstung und die Bewährung im internationalen Wettbewerb sowie die Armee als »Schwungrad an der Staatsmaschine« wurden für Preußen wiederholt gründlich untersucht und außer Streit gestellt,8 vor der Katastrophe des Nationalsozialismus affirmativ, danach meist unter negativen Vorzeichen als bedenkliche Abzweigung auf den »Sonderweg« in den Abgrund. Dass es sich bei der systematisch betriebenen »Herrschaftsverdichtung« des 18. Jahrhunderts aber im Kern um keine preußische Besonderheit, sondern um ein allgemeines Charakteristikum »aufgeklärter«, d.h. modernisierungswilliger Groß- und Mittelmächte gehandelt hat, predigt gerade die anglo-amerikanische Forschung seit langem, freilich mit relativ geringem Missionierungserfolg. »Aufklärung« wäre aus dieser Perspektive also besser mit »Effizienzsteigerung« zu übersetzen.

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Hintze, Beamtenstaat, 1962. Populär Hochedlinger, König und die Habsburgermonarchie, 2007. Das lässt sich freilich schon bei Burckhardt, Fragmente, 1942, S. 211f. (»Die Zeiten der Reform von oben«) nachlesen: »Die Reform hat mit sich: unbedingte Zentralisation; die Aufklärung hat mit sich: die Feindschaft gegen alles Traditionelle. Der aufgeklärte, das heißt der absolutistische Staat, strebt nach völliger innerer Einheit und völliger Disponibilität aller Kräfte.« Zuletzt etwa von Müller-Weil, Absolutismus, 1992.

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Das nicht zuletzt zu Propagandazwecken als gezielter Gegenentwurf konstruierte Selbstbild der Machtrivalen Preußens, insbesondere der Habsburgermonarchie, und dessen Abspiegelung in der Geschichtswissenschaft haben hier lange Zeit in die Irre geführt. Ein friedlicher Koloss, geschaffen und behauptet bloß durch geschickte Heiratspolitik, so das Klischee, ist die Monarchia Austriaca nie gewesen.9 Ihre bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts grundsätzlich eher defensive Haltung im internationalen Konzert war nicht bedingt durch fehlenden Machtwillen oder geringen territorialen Appetit, sondern schlichtweg durch die dem Großmachtstatus nicht angemessene Unfähigkeit, die gewaltigen Ressourcen des Riesenreichs effizient abzuschöpfen. Alfred von Arneth (1819–1897), dem Monumentalbiographen Maria Theresias, gelang – nicht zufällig am Höhepunkt des preußisch-österreichischen Ringens um die Vorherrschaft in Deutschland – das beachtliche Kunststück, seinen Lesern mit brillanter Feder die von Kriegen und Krisen, aber auch von eisernem Willen zu mehr Machtstaatlichkeit geprägte Regierungszeit der Kaiserin-Königin in der Bilanz als menschlich-mildes Matriarchat, als echtes Kontrastprogramm zum erbarmungslosen Walten des kaltherzigen Menschenfeindes in Potsdam vorzuführen. Mit dauerhaftem Erfolg. Für Österreich fehlten und fehlen zudem die wegweisenden Arbeiten der Historischen Schule der Nationalökonomie und der borussischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, speziell der Hintze-Schule, zum unauflöslichen Konnex Militär – Staat – Gesellschaft (»StaatsverfassungHeeresverfassung«), die über Schülerfiliationen bis weit ins 20. Jahrhundert fortwirkte. Während also die von Maria Theresia ab 1748/49 durchgepeitschte Staatsund Militärreform in Wahrheit eine unleugbare Annäherung an preußische Strukturen brachte und Joseph II. als deklarierter Soldatenkaiser diese Mimikry seit Antritt der Mitregentschaft 1765 schließlich auf die Spitze trieb, ja preußischer sein wollte als der Preußenkönig, blieb unser Bild der beiden deutschen Vormächte doch unverrückbar das eines scharfen strukturellen Gegensatzpaares: Donau-Athen versus Spree-Sparta! Friedrich der Große selbst mochte es zuzeiten ganz anders gesehen haben. Schon nach dem ersten Kennenlerntreffen von Neisse 1769 attestierte er Joseph II. einen »ernsthaften Sinn für das Militär«, äußerte aber auch die Befürchtung, dass Europa in Flammen stehen werde, sobald der Kaiser »wirklich« zur Herrschaft gelange.10 9 10

Hochedlinger, Abschied, 2001. Arneth, Maria Theresia, Bd. 8, 1877, S. 190f.

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Außerhalb Preußens, dem der auf dem Schlachtfeld glänzend nachgewiesene Erfolg mildernde Umstände zusprach, galt die exzessive Betonung des Militärischen und die europaweit allerdings ziemlich verbreitete Bevorzugung der Militäruniform als Arbeitskleidung für gekrönte Häupter schon kritischen Zeitgenossen als Aberration, als »Soldatenspielerei« wie namentlich bei Zar Peter III., den Landgrafen von Hessen-Kassel oder anderen deutschen Duodezfürsten, die mit ihren Landeskindern Soldatenhandel trieben. Maria Theresia weinte nicht nur über die Spoliierung Polens und verleibte ihrer Monarchie dennoch eine fast unverdaulich riesige Portion der Adelsrepublik ein. Sie »militarisierte« auch ihr Reich mit einiger Leidenschaft, war dem Militär mehr zugetan, als ihr die Geschlechterrollengrenzen eigentlich gestatteten, während sie sich bei Bedarf immer wieder recht bemüht und letztlich wenig glaubhaft vom preußischen Vorbild und seinem »menschenverachtenden Militarismus« distanzierte.11 Das Klischee vom unversöhnlichen Gegensatzpaar hat seine eigentlichen Wurzeln aber im 19. Jahrhundert, als der Hohenzollernstaat sich weniger mit dem Zündnadelgewehr als vielmehr mit neuen nationalen Energien und dem revolutionären Militarisierungsschub der Allgemeinen Wehrpflicht nach der Katastrophe von 1806 rasch wieder an die Spitze der europäischen Militärmächte zu kämpfen vermochte. Nun konnte die Donaumonarchie endgültig nicht mehr mithalten und hörte 1866 konsequenterweise auf, deutsche Vormacht zu sein. Die konfliktreiche Waffenbrüderschaft mit PreußenDeutschland im Ersten Weltkrieg, die mit dem Untergang des Vielvölkerreichs endete, vertiefte dann manche Animositäten mehr als sie zu sanieren. Dem Anschlusswillen des alpenrepublikanischen Zwergstaates Österreich nach 1919 hat dies vorerst keinen Abbruch getan. Erst dem austrofaschistischen »Ständestaat« ab 1933 wurde das von den Nationalsozialisten gekaperte Preußen-Deutschland wieder zum historischen Erzfeind. Vom faschistischen Italien Mussolinis ließ man sich gerne darin bestärken. »Deutschland«, so der Duce, historisch belesen, im Gespräch mit ei-

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Im Sommer 1759, mitten im Siebenjährigen Krieg, schrieb sie Feldmarschall Daun: »Am meisten aber lieget mir die Beysorge auf dem Herzen, daß über Vermögen gewaffnet bleiben und meine getreuen Unterthanen statt der ihnen zu gönnenden Erleichterung noch mehrer mit Auflagen belegen, mithin eine militarische Regierungsform auf den Fuß der preussischen eingeführet werden müsse, welcher Vorgang auch andere Mächte zur Nachfolge nöthigen und endlichen ganz Europa zur unerträglichen Last fallen würde«. Kunisch, Ausgang, 1975, S. 220.

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nem hohen österreichischen Funktionsträger, »ist von Preußen geführt, Preußen bedeutet aber Ordnung und militärische Tüchtigkeit, bedeutet aber auch Krieg und Brutalität. Preußen ist Barbarei. Darum kämpfen Sie für ein österreichisches Österreich.«12 Als sich die politisch gewollte Distanzierung Österreichs von PreußenDeutschland nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft 1945 dann teilweise ins Hysterische steigerte, konnte, ja musste mit alten Schablonen weitergeschrieben werden. Dass die biographische Würdigung des daueruniformierten Erzmilitaristen Joseph II. im Wesentlichen ausländischen Historikern überlassen blieb, überrascht vor diesem Hintergrund weniger als die verfehlte Stilisierung seines Bruders und Kurzzeit-Nachfolgers Leopold II. (1790–1792) zum liberalen, ja konstitutionell ambitionierten Friedensfürsten. An Franz II./I. (1792–1835), der – obwohl von seinem Onkel Joseph II. seit Jugendtagen zur Fortführung des josephinischen Erbes buchstäblich gedrillt – die Monarchie im Überlebenskampf mit dem revolutionären und napoleonischen Frankreich fast nolens volens in die innenpolitische Verknöcherung der Metternich-Zeit und ein gesamtgesellschaftliches Biedermeier mit langfristig retardierendem Effekt führte, wollte sich natürlich kein österreichischer Historiker heranwagen. So blieb die Entwicklung von Josephinismus und Militärstaatlichkeit in der longue durée zwangsläufig im Dunkeln.

Absolutismus – Machtstaat – Kriegsstaat Peter Hersche hat in seiner radikalen Abrechnung mit einer Geschichtsbetrachtung, die wie der »penetrante protestantisch geprägte Borussismus redivivus« der Bielefelder Schule den historischen Prozess nur als Fortschrittsgeschichte zu fassen vermag, den radikalen »aufgeklärten« Reformwettlauf katholischer Absolutisten als kulturrevolutionäre Protestantisierung (und Entbarockisierung), als nachgeholte Reformation charakterisiert.13 Blickt man auf Programm und Werk Josephs II. (nicht zuletzt auf die weitreichende Enteignung bzw. Umwidmung von Kirchengut), so spricht einiges für die Richtigkeit dieser These. Auch aus dem eingeschränkten Blickwinkel des Militärhistorikers scheint der Befund zutreffend, dass mit der Reformation die Führungsrolle unter den 12 13

Starhemberg, Memoiren, 1971, S. 79. Hersche, Muße und Verschwendung, 2006, passim.

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innovativen und beispielgebenden Militärmächten allmählich auf protestantische Länder überging, zunächst auf die Vereinigten Niederlande, dann auf Schweden und schließlich auf Preußen. Spanien und Italien hingegen verloren im 17. Jahrhundert endgültig ihre einstige Vorbildwirkung. Frankreichs militärische Präponderanz im Grand Siècle wiederum entsprang gleichsam automatisch seiner wirtschaftlichen und politisch-administrativen Stärke, teils auch dem großen Potential einer traditionsreichen und immer noch diensteifrigen noblesse militaire, aber nicht bahnbrechenden Neuerungen auf taktischem oder militärorganisatorischem Gebiet.14 Dennoch hat Ulrich Muhlack nicht ohne Berechtigung festgestellt, dass selbst in Frankreich seit Mitte des 17. Jahrhunderts ein »Zusammenhang zwischen Absolutismus und Militarismus« anzutreffen sei, die Verstaatlichung der Armee gleichzeitig die Militarisierung des Staates bedingt habe.15 Aber doch nur in Ansätzen und in einer anderen Qualität als später in Preußen, da die Bourbonen kein vergleichbar strenges Zwangsrekrutierungssystem über ihre Untertanenschaft legten wie die Hohenzollern und andere ostmitteleuropäische Dynastien, und zeitlich eindeutig beschränkt auf die Ära Ludwigs XIV. Schon die Regierungszeit seines Nachfolgers erwies sich als gefährliche Dekadenzphase, in der das militärische Ansehen Frankreichs durch die peinlichen Rückschläge des Siebenjährigen Krieges schweren Schaden litt. Ja, es lässt sich von einer regelrechten Traumatisierung sprechen, die zu einer die 1756 gegen Preußen geschlossene Allianz mit dem österreichischen Erbfeind offensiv befehdenden »Prussomanie« gerade im französischen Offizierskorps führte. Die Militäruniform hat sich im Frankreich des Ancien Régime bei Hof nicht durchsetzen können. Erst die Militärdiktatur Napoleons I. schuf hier nachhaltigen Wandel. Hersches Protestantisierungs-Verdacht scheint tragfähig. Nicht umsonst hat die Sozialdisziplinierungsthese ihre Wurzeln in der Befassung Gerhard Oestreichs, eines Hintze-Enkelschülers, mit der »Oranischen Heeresreform«, 14

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Die Vertreibung der hugenottischen Intelligenz und hugenottischer Militärs 1685 hatte offensichtlich keine unmittelbar negativen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der alleine schon zahlenmäßig konkurrenzlosen Militärmaschinerie Ludwigs XIV. In anderen Staaten wie in Brandenburg hat man die Refugiés gerne und, wie es scheint, mit Gewinn aufgenommen. Interessant die Betonung des Einflusses hugenottischer Emigranten auf das brandenburgisch-preußische Militärwesen bei Willems, Militarismus, 1984, S. 43–46. Muhlack, Absoluter Fürstenstaat, 1986, S. 250. Zur Demilitarisierung der Bourbonen im 18. Jahrhundert Wrede, Des Königs Rock, 2014.

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und auch ihre Fortentwicklung, die »Konfessionalisierung«, gilt – historisch wie historiographisch – als protestantische »Erfindung«. Auf »Sozialdisziplinierung« und »Konfessionalisierung« folgte schließlich nach Ansicht des Autors dieser Zeilen im Spätabsolutismus – egal, ob wir diesen nun »aufgeklärt« oder doch bloß, wie manche nicht ohne Grund empfehlen, »bürokratisch« nennen – die »Militarisierung« als dritte und vielleicht radikalste Stufe der Indienstnahme der Gesellschaft wie auch des Einzelnen von oben. Schweden und vor allem Preußen gingen hier voran. Staaten mit besonders großem Aufhol- und Innovationsbedarf wie die Habsburgermonarchie sahen in gezielter »Militarisierung« nicht nur das einzige Mittel, ihren Feinden Paroli zu bieten, sondern erkannten bald auch das große Modernisierungspotential, das im Herauswachsen bzw. Herausheben des Militärs aus seiner eigentlichen Sphäre und seiner Umgestaltung zu einem besonders scharfen Herrschaftsinstrument lag. Beiläufig 100 Jahre nach der Zähmung der ständisch verfassten großgrundbesitzenden Eliten und Machtkonkurrenten im Dreißigjährigen Krieg, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, enttarnte der zentralisierende habsburgische Machtstaat auch Kirche und Klerus, ehemals enge Verbündete bei der konfessionellen Homogenisierung der Monarchie, nicht nur als dem tonangebenden Zeitgeist widerstrebende Fortschrittshemmnisse, sondern mehr noch als die weitere Durchstaatung hindernde und daher zu entmachtende bzw. zu instrumentalisierende intermediäre Gewalten. Da gleichzeitig die administrativen Apparate der Stände in den einzelnen Ländern definitiv beseitigt bzw. von neu geschaffenen landesfürstlichen Behörden aufgesogen wurden, bedurfte es eines nachgerade revolutionären »Verstaatlichungsschubs« und ersatzweise ausführender Organe, die die bisher von Dritten wahrgenommenen Fürsorge-, Erziehungs-, Überwachungs- und Verwaltungsaufgaben schultern zu können meinten. Neben der massiv ausgebauten und rasch verbürgerlichenden landesfürstlichen Zivilverwaltung sollte dies in allererster Linie das Militär sein, das zwar schon bisher unbestrittener Träger und Verteidiger der österreichischen Großmachtstellung gewesen, als Söldnerarmee aber dennoch weitgehend isoliert und jedenfalls außerhalb der Staats- und Gesellschaftsordnung geblieben war.16 Mit diesem von oben gewollten Rollenwechsel und der bewussten Verknüpfung von Militär und Gesellschaft in einem Rekrutierungssystem preu16

Hochedlinger, Austria’s Wars, 2003.

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ßischer Art musste zwangsläufig das Ende jener noch heute tourismusfördernden Gemütlichkeit (auch im Dienst!) verbunden sein, die Otto Hintze einmal spöttisch als Menschenrecht habsburgischer Untertanen apostrophiert hat.17 Viel interessanter als die militärische Binnendisziplinierung oder gar wackelige Zahlenakrobatik mit Heeresstärken, die für sich wenig aussagt, weil sie allzu oft die innere Zusammensetzung der Armeen außer Acht lässt, sind struktur- und makrogeschichtlich die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen besonders eingriffiger Heeresergänzungsmethoden wie des preußischen Kantonsystems bis hin zur fast völligen Ausfüllung früher staatsferner oder -freier Räume. Auf dieses von der zwar militäraffinen, aber doch weithin im Ereignisgeschichtlichen gefangenen älteren Forschung lediglich ansatzweise begangene Neuland wollte sich die sonst so konzeptbeflissene neuere Geschichtswissenschaft im deutschen Sprachraum indes nicht mehr begeben. Die (gespielte) Unbeholfenheit, mit der manch einer vorgab, zwischen »Militarisierung« und »Militarismus« nicht unterscheiden zu können, scheint vielsagend. Die Zeichen der Zeit standen eben seit den 1990er Jahren nicht nach einem neuen etatistischen Paradigma. Nicht als »Militarisierung« wurde die fortschreitende Verschränkung von Militär und Gesellschaft, die selbstverständlich auch eine »Sozialisation« der Armee gewesen ist, daher gedeutet, sondern als »Verbürgerlichung« oder sogar »Urbanisierung« der Soldaten – freilich anhand eines nicht repräsentativen Beispiels einer deutschen Mittelmacht ohne Militärzwangssystem.18 Mit der Entsorgung auch durchaus konstruktiver Begriffe, Epochenbezeichnungen und »Meistererzählungen« war längst die Ära der revisionistischen Depostamentierung konventioneller Zugänge und Sichtweisen angebrochen. Während 1989 John Brewer endlich England/Großbritannien, bisher meist klischeehaft zum militärzwangfeindlichen Verfassungs- und Marinestaat verniedlicht, in die Reihe der hocheffizienten »military-fiscal states« einführte,19 machte sich die »neue deutsche Militärgeschichte« (ein österreichisches Pendant gibt es nicht20 ) mit einem gewissen Übereifer daran,

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Hintze, Beamtenstaat, 1962, S. 358. Pröve, Stehendes Heer, 1995. Brewer, Sinews of Power, 1989. Wirklich durchkonzeptualisiert und ausgereift ist die Diskussion um den »military-fiscal state« trotz einer ganzen Reihe einschlägiger Publikationen nicht. Hochedlinger, Bella gerant alii, 1999.

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Otto Büschs insgesamt wohl plausible These von der sozialen Militarisierung Alt-Preußens im Zeichen des Kantonsystems zu hinterfragen bzw. ganz zu verabschieden.21 Büschs Konzept passte zwar perfekt in die nach 1945 angesagte Negativisierung Preußens bzw. Preußen-Deutschlands, nicht allerdings in die Normalisierung des Geschichtsbildes ab 1989. Nicht unähnlich der Diskussion um Sein oder Nichtsein von »Absolutismus« als realer Herrschaftsform handelt es sich auch bei der schrittweisen Umdeutung der Hohenzollernmonarchie zu einem von vormodernen Freiräumen und Widerstandsnestern durchlöcherten Möchtegern-Machtstaat auf tönernen Füßen wohl um eine zu weit in die Gegenrichtung ausgeschlagene Pendelbewegung historiographischer Moden, deren Verdrängungswille dem Denken in Nuancen nicht eben förderlich ist. An der Diskussion um den »military-fiscal state« als Gestaltungsnorm für europäische Großmächte zeigte die deutsche Forschung jedenfalls ebenso geringes Interesse wie an der im englischsprachigen Raum schon seit den 1970er Jahren mit großer Leidenschaft geführten »Military Revolution«-Debatte, die die Frage der gesellschaftlichen Auswirkungen explodierender Heeresstärken und sie ermöglichender administrativer Zwangssysteme freilich nur spät und sehr am Rande berührte und sich lange mit Fragen von Taktik und Festungsbau aufhielt. Dass Preußen nicht Einzelfall war, sondern (aufgrund seiner schmalen Machtgrundlage natürlich besonders scharf ausgeprägtes) Muster für jene finanz- und wirtschaftsschwachen, agrarisch geprägten Staaten Mittel- und Osteuropas, die Wehrkraft nicht zukaufen konnten, sondern – steuertechnisch und was Unterhalt und Ergänzung des Stehenden Heeres betraf – mit oppressiven Methoden auf ihre Untertanen zugreifen mussten, wurde nicht zum Ansporn für weiter- oder tiefergehende Forschungsansätze.22 Gerade die österreichischen »18th-century studies« forschen gerne am »Geist der Epoche« vorbei und beschäftigen sich lieber mit »Aufklärung« als mit deren machtpolitischer Konkretisierung.23

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Büsch, Militärsystem, 1962. Klarer und zugespitzter ders., Militarisierung, 1981. Weniger bekannt die sehr interessante Strukturanalyse von Skalweit, Eingliederung, 1944. Ausführlich dazu Hochedlinger, Bürokratisierung, 2007; ders., Habsburg Monarchy, 2009; ders., Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte, 2010, S. 49–56. Hochedlinger, Political History, 2011.

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Die Haugwitz-Reform Unter dem schockhaften Eindruck des nur mit äußerster Mühe überstandenen Österreichischen Erbfolgekrieges entschloss sich Maria Theresia 1748 zu einer radikalen Umgestaltung der Zentral- und Länderverwaltung. Im Zentrum der Reform stand erklärtermaßen die Stabilisierung des Heeresbudgets für die geplante Revanche gegen Preußen. Der Initiator und Motor der Staatsund Verwaltungsreform, Friedrich Wilhelm Haugwitz, ein sächsisch-schlesischer Konvertit, hatte als Leiter der Landesverwaltung in Habsburgisch Restschlesien vom neuen preußischen Nachbarn in Nahsicht gelernt, wie sich latente Ressourcen viel effizienter kanalisieren und nützen ließen. Der Umbau der Strukturen folgte schon für Zeitgenossen ganz offensichtlich dem »preußischen Fuß«. Die neue zentrale Mammutbehörde für Inneres (»Directorium in publicis et cameralibus«) und die Länderstellen (»Repräsentationen und Kammern«) nahmen Anleihen beim Generaldirektorium und den Kriegs- und Domänenkammern. Damit verdiente sich die Habsburgermonarchie selbst in den Augen Otto Hintzes nun endlich den Ehrentitel eines modernen Militär- und Beamtenstaates.24 Auch die Radikalität, mit der Haugwitz und Maria Theresia die aus Landesverwaltung und Heeresversorgung immer noch nicht wegzudenkenden Landstände jetzt ganz offen als Hemmschuhe des Fortschritts, ja überhaupt als Feinde des bonum commune verteufelten, trug Züge des mühsamen, aber am Ende doch sehr erfolgreichen Ringens der Hohenzollern mit ihren Ständen und grundbesitzenden Eliten. Dass die zentralstaatliche Verdichtung in habsburgischen Landen um einiges schwerer fallen musste als in Brandenburg-Preußen, ergab sich schon aus der ungleich größeren Heterogenität der Monarchia Austriaca und der Komplexität ihrer Verwaltungsstrukturen, die – bis in die Wiener Zentrale – durch die bloße Addition territorialer Zuwächse nach dem Baukastenprinzip und die weitgehende Beibehaltung des Vorgefundenen charakterisiert war. Die obersten Länderverwaltungsbehörden am allerhöchsten Hoflager spiegelten bis Mitte des 18. Jahrhunderts Gebautheit und Traditionalismus

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Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938 bleibt das unüberholte Standardwerk, zumal schwere Überlieferungsverluste (1927, 1945) die Quellenlage zwischenzeitlich katastrophal verschlechtert haben. Walter war Nationalsozialist der ersten Stunde und stand der »Verpreußung« der Habsburgermonarchie positiv gegenüber.

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wider. Am Vorabend der Haugwitz-Revolution kritisierten die Reformer die Hofkanzleien bereits ungeschminkt als Anwälte egoistischer ständischer Partikularinteressen. Die Staatsreform schuf zwar mit viel Druck einen böhmisch-österreichischen Kernstaat, nahm aber die dislozierten Achillesfersen, die Österreichischen Niederlande und die Lombardei, und natürlich das alte Problemkind Ungarn aus. Diese blieben also in ihrem »vormodernen« Zustand. Derart »unterschiedliche Geschwindigkeiten« hemmten selbstverständlich weiterhin eine optimale Ressourcenmobilisierung und ließen später noch weitergehende Korrekturversuche umso radikaler erscheinen. Dem Haugwitz’schen Modell eines stabilen Heeresbudgets ging es in erster Linie darum, die enge Verflechtung zwischen bewaffneter Macht und »Civile« endlich aufzubrechen, also das »Outsourcing« zentralstaatlicher Aufgaben an die Stände ein für allemal abzustellen, weil es seiner Ansicht nach unhaltbare Abhängigkeiten schuf. Der Landesfürst als Kriegsherr war in der Habsburgermonarchie bis dahin lediglich eine Art Ressourcenvermittler gewesen zwischen den Financiers der bewaffneten Macht, den Landständen und den sie ausmachenden Grundbesitzern, auf der einen Seite und den Militärfachleuten, den semi-feudalen Regimentsinhabern, auf der anderen Seite, die aber längst nicht mehr mit Eigenmitteln wirtschafteten. Kriegskommissare als Durchgriffsorgane des werdenden Zentralstaats gab es bei den Habsburgern nicht. Nach der Niederwerfung der böhmisch-österreichischen Ständerebellion 1620 hatte sich der Kaiser zwar das bisher durchaus strittige Monopol auf Aufbringung und Unterhalt einer bewaffneten Macht gesichert (die in Frankreich zu dieser Zeit anzutreffende systematische Entfestigung von Adelsresidenzen war angesichts der weiterhin akuten Türkengefahr nicht ratsam). Seine finanzielle und infrastrukturelle Schwäche machte die errungene Autonomie aber zu einer bloß papierenen: Zunächst lieferte sich der Herrscher dem Militärgroßunternehmer Albrecht von Waldstein aus, der 1634 beseitigt werden musste. Die Armada des allzu mächtig gewordenen Condottiere wurde buchstäblich über Nacht »verkaiserlicht«, die Finanzierung, Versorgung und schließlich auch die Rekrutierung überbürdete Wien aber kurzerhand den Ständen, die jetzt nicht mehr wirkliche Machtkonkurrenten, sondern unerlässliche Transmissionsriemen in der kaiserlichen Militärmaschine, gewissermaßen mittelbar staatliche Heereslieferanten, waren. Die in den 1620er Jahren entstandene neue Militärsteuer, die Kontribution, erwachsen aus der handfesten Versor-

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gung der Soldateska im Quartier, bildete die wesentliche Finanzierungsgrundlage des habsburgischen Militärstaates auch über das Ende des Dreißigjährigen Krieges hinaus, als ein zahlenmäßig stark reduziertes Stehendes Heer auf dem Fuße blieb. Offenen Widerstand wagten die Stände nicht mehr, aber das ihnen verbliebene Recht der Steuer- und Rekrutenbewilligung behinderte und verzögerte natürlich weiterhin Ressourcenmobilisierung und »Mobilmachung«, sogar in akuten Krisenzeiten.25 Im Großen Türkenkrieg von 1683–1699 hatte sich die in Friedenszeiten meist ausreichende »freie Werbung« gegen Handgeld in den Erblanden und im Reich bald als untaugliches Mittel erwiesen, die schweren Verluste auch nur eines Feldzuges auszugleichen. Ab Ende der 1680er Jahre – in den Grundzügen war das System schon während des Dreißigjährigen Krieges erprobt worden – übernahm die sogenannte »Landrekrutenstellung« die Belieferung der Feldarmeen mit massenweisem Kanonenfutter: Der Rekrutenbedarf wurde nach dem geltenden Steuerverteilungsschlüssel auf die böhmischen und österreichischen Länder umgelegt (12–25.000 Mann pro Jahr), das Postulat von den Landtagen (nicht ohne heftiges Feilschen) bewilligt und sodann nach der Größe des Grundbesitzes bzw. der steuerlichen Leistungsfähigkeit auf die Grundherrschaften ausgeschrieben. Letztere stellten das auf sie entfallende Kontingent aus dem Kreise ihrer eigenen bäuerlichen Untertanen, meist mit erheblichem (körperlichem) Zwang, durchaus auch zur Strafe. In Ländern ohne »Leibeigenschaft«, aber mit einem eigenwilligen Bauernstand zog man womöglich die Auslagerung des nicht unproblematischen Rekrutierungsgeschäfts ins Reich vor. Die Landstände sorgten sogar für Einkleidung und Bewaffnung der unfreiwilligen Bauernsoldaten. Auch der Pferdeersatz für die Kavallerie wurde auf diesem Wege für das Heer des Kaisers beschafft, um beim teuren Einkauf auf dem internationalen Pferdemarkt nach Möglichkeit einzusparen. Eigene »Abholkommandos« der Regimenter transportierten die Rekruten sodann von den Landeshauptstädten direkt an die Front. Die kostenintensive freie Werbung durch Werbkommandos der Regimenter lief weiter, ging aber mehr auf Qualität, also auf Bessergebildete oder Männer mit Diensterfahrung, nicht auf Quantität aus. Das Institut der »Landrekrutenstellung« war verfassungsgewohnheitsrechtlich nur in Kriegszeiten bzw. zur Aufrüstung für den Krieg zulässig und ohne Zweifel, auch wenn der Landesfürst die teilweise Ablöse der Mannschaft 25

Hochedlinger, Doppeladler, 2006; ders., Onus militare, 2010.

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in Geld gestatten konnte, sozial und wirtschaftlich stark disruptiv. Mehrere hunderttausend Männer wurden den böhmisch-österreichischen Ländern zwischen 1688 und 1748 durch die Zwangsstellung entzogen. Nach Haugwitz’ Vorstellungen sollten ab dem Militärjahr 1749 im Gegenzug für höhere und über einen längeren Bewilligungszeitraum sicherzustellende Militärsteuern der böhmisch-österreichischen Kernländer endlich alle Naturalleistungen wie die Einquartierung von Soldaten bei Bürger und Bauersmann, die Versorgung mit Basisverpflegung (Brot) und natürlich die besonders umstrittene Rekrutenstellung wegfallen. Die Haugwitz-Reform musste der Armee nicht aufoktroyiert werden. Ganz im Gegenteil spielten führende Militärs bei ihrer Durch- und Umsetzung eine aktiv unterstützende Rolle. Dass Haugwitz bei Maria Theresia überhaupt so rasch Gehör und vorbehaltlose Unterstützung fand, noch dazu gegen anfangs lebhafte Opposition bei Hof und in den Ländern, scheint der hofferne Technokrat dem engen Kontakt mit General Leopold Graf Daun verdankt zu haben. Dieser war mit der Tochter der Aja Maria Theresias, der legendären Gräfin Fuchs, verheiratet und setzte sich Ende der 1740er Jahre innermilitärisch mit seiner Linie einer vorsichtigen Annäherung an das preußische Vorbild durch. Daun wurde also zum kongenialen Partner Haugwitz’. Die angestrebte Entkoppelung von ziviler und militärischer Welt erwies sich in der Praxis als einigermaßen realitätsfern. Denn für eine derart radikale Autonomisierung des Militärs fehlten noch die Voraussetzungen. Die schlagartig benötigten Kasernen ließen sich nicht über Nacht errichten, und die zur Norm erklärte freie Werbung konnte den laufenden Abgang auch nach Kriegsende 1748 nicht decken, zumal die Deserteurszahlen um 1750 nachgerade explodierten.

Das Konskriptions- und Werbbezirkssystem Zunächst experimentierte Wien mit einer Art Ersatzreserve, die zwar nicht umgesetzt wurde, aber immerhin 1753/54 die erste einigermaßen professionelle und, was den durch die Reform neu erschaffenen böhmisch-österreichischen Kernstaat betraf, flächendeckende Volkszählung veranlasste. Bald wurde offensichtlich, dass einzig die Rückkehr zur Landrekrutenstellung den Mannschaftsbedarf zu decken in der Lage war. Den Siebenjährigen Krieg ab

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1756 konnte Wien nur mit diesem archaischen Mittel der Heeresergänzung durchstehen. Preußen musste bekanntlich zu noch radikaleren Notmaßnahmen greifen. Im Dezember 1757 geißelte Maria Theresia (bzw. der ihr die Feder führende Staatskanzler Kaunitz) in einem Reskript an ihren k. k. Botschafter in St. Petersburg die wesenhaft, also auch durch einen Herrscherwechsel nicht mehr korrigierbare kriegerische Natur ihres preußischen Erzfeindes, der die Zahl seiner Soldaten von Jahr zu Jahr durch »Menschenstehlen« außer Landes erhöhe und alles »auf den militärischen Fuß« einrichte, um so jederzeit gegen seine Nachbarn losschlagen zu können. »Unter den gesitteten Völkern«, hieß es mit Blick nicht auf die preußischen Sklavenjagden im Mecklenburgischen, sondern auf die Zwangseinreihung der sächsischen Truppen im Jahr davor, »haben seit jeher die Einwohner auch im Krieg bei Haus und Hof bleiben können. Türken und Tartaren führen zwar dieselben in die Sclaverei. Der König in Preußen aber macht es noch ärger, denn er raubt fremde Unterthanen und zwingt sie, Eid und Pflicht zu brechen, Soldaten zu werden und gegen ihre eigenen Landesherren zu streiten. Sein ganzes Militär ist eine solche künstliche Maschine, welche jeden gemeinen Soldaten auch wider Willen nützlich und fechten macht.«26 Ohne Menschenhandel und Menschenjagd fand freilich auch das k. k. Heer bald nicht mehr sein Auslangen. Kriegsgefangene und Deserteure anderer Puissancen, sogar »echte Preußen«, wurden, wann immer möglich, bei den dahinschmelzenden Regimentern »untergestoßen«. Das war freilich bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Aufsehenerregende Rekrutierungsexzesse und die fortwährenden Reibungsverluste im Dauerkonflikt mit Ständen und Grundherren machten allmählich die Einsicht zur Gewissheit, dass eine viel effizientere, sozial und wirtschaftlich vertretbare Form der inländischen Heeresergänzung Not tat wie etwa das in Preußen Mitte der 1730er Jahre eingeführte Kantonsystem, das für laufenden Nachschub von Landeskindern sorgte. Im Sündenregister der Hohenzollern von 1757 blieb es unerwähnt. 1744 aber, als das Kantonsystem auf Schlesien ausgedehnt werden sollte, hatte Wien es aus propagandistischen Gründen genüsslich an den publizistischen Pranger gestellt und als finsterste Sklaverei gebrandmarkt.27

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Arneth, Maria Theresia, Bd. 5, 1875, S. 279–282, hier S. 281. Preußen habe »das gesambte Land durch die errichtete Enrollirungs-Cantons in einige Sclaverey versetzet, so daß kein Vatter mehr mit seinen Kindern zu disponiren im

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1761 schließlich, also noch während des Krieges, begannen an der Staatsspitze Diskussionen, ob nicht allenfalls die Übernahme des preußischen Kantonsystems (dessen Funktionieren freilich gar nicht näher thematisiert wurde, den Beteiligten aber offensichtlich bekannt war) einen Ausweg aus der Misere bieten könnte. Die Gespräche, in die Erzherzog bzw. Kaiser Joseph als neue Zentralfigur einer sich formierenden Militärpartei eingriff, offenbarten, dass die Haugwitz’sche »Trennungsideologie« nicht mehr dem Zeitgeist entsprach. Im Gegenteil: Die »Falken« am Kaiserhof mit Joseph II. und dem 1766 zum Hofkriegsratspräsidenten bestellten Feldmarschall Franz Moritz Graf Lacy an der Spitze träumten von einer systematischen Verquickung von Bürger- und vor allem Bauernstand einerseits, Soldatenstand andererseits; das seit 1749 gepredigte Wegsperren des Militärs in Kasernen lehnten sie konsequenterweise als gefährliches Signal in die falsche Richtung ab und forderten – sie hatten ihren Montesquieu gelesen – die »gemeinsame Bequartierung«, also möglichst engen Kontakt. Selbstverständlich wandten sich die Aufklärer in Uniform scharf gegen das exzessive Prügeln, doch ist es zu einer ernstzunehmenden Humanisierung des Dienstbetriebes (oder auch nur zu einer Abschaffung des »Gassenlaufens«) vorläufig noch nicht gekommen. Kernstück der ersten Reformen ab Mitte der 1760er Jahre waren (wieder nach preußischem Vorbild) die großzügige Beurlaubung von arbeitswilligen Soldaten sowie die gezielte Förderung von Ehen unter den Gemeinen (nicht bei den Offizieren, die man mit Heiratskautionen möglichst zölibatär halten wollte!). Ganz im Sinne des merkwürdig verstiegenen Ideals vom Bürger-Soldaten sollten die Militärurlauber für den Großteil des Jahres als helfende Hände in die Wirtschaft, insbesondere in die Landwirtschaft, zurückkehren, aber auch als uniformierte Missionare die Militärskepsis der Zivilbevölkerung aufbrechen helfen. Die Männer unterstanden später sogar während des Urlaubs der Militärjurisdiktion, was in der Theorie ihren Status als »missi dominici« erheblich stärken musste. Die rasch und in großer Zahl gegründeten Soldatenfamilien dachte man sich ganz abgesehen von der erwünschten Heranzüchtung von Mannschaftsnachschub durch Selbstreproduktion als proto-industrielle Kleinbetriebe der Textilerzeugung. Bald freilich wuchsen die Scharen der diesen Ehen entstammenden Soldatenkinder der Militärverwaltung über den Kopf. Diesem enormen sozialen und menschlichen Problem standen immerhin gewaltige EinStand gewesen« (»Aufruf an die Schlesier«, 1. Dezember 1744); Bein, Schlesien, 1994, S. 267.

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sparungen gegenüber, weil man die Löhnung der Urlauber einbehalten konnte. Es bedurfte fast eines Jahrzehnts sehr intensiver Debatten, ehe sich Maria Theresia unter vielerlei Gewissensbissen 1769 endlich bereitfand, der Einführung einer österreichischen Abwandlung des Kantonsystems für die böhmisch-österreichischen Länder die allerhöchste Sanktion zu erteilen. Ungarn, Vorderösterreich, Tirol, Belgien und die Lombardei blieben ausgenommen. Das Schreckenswort »Kanton« durfte auf ausdrücklichen Befehl der Herrscherin nicht verwendet werden, auch waren das Messen der Militärpflichtigen und ihre Kennzeichnung durch Halsbinden o. ä. anders als in Preußen strengstens verboten. Die Armeeführung und das mit Mühe durchgesetzte »Konskriptions- und Werbbezirkssystem«, wie man das neue Rekrutierungsmodell umständlich nannte,28 hatten überaus mächtige Feinde in der Zivilverwaltung. Namentlich Staatskanzler Kaunitz, ein Gegner Haugwitz’ und seines Systems, das sich der Belastungsprobe des Krieges nicht gewachsen zeigte, aber doch nach westeuropäisch-handelsliberalem Vorbild ein sehr engagierter Befürworter einer weitgehenden Isolierung der bewaffneten Macht vom Rest der Gesellschaft, hat die drohende »Verpreußung« der Monarchie von Anfang an vehement bekämpft. Das Kantonsystem erklärte er 1761 für »die größte Sclaverey und Gewaltthat […], so die preussische Regierung verabscheuen macht«.29 Wir können hier den Details der Ein- und Durchführung des neuen Rekrutierungssystems nicht nachspüren. Erst zu Beginn der 1780er Jahre war es nach vielerlei Rückschlägen wirklich operativ. Die erforderlichen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen bedeuteten jedenfalls einen in seiner Tragweite nicht zu überschätzenden Quantensprung für die zentralstaatliche Durchdringung eines bis dahin kaum ansatzweise vermessenen Herrschaftsraums und seiner Population. Was die Josephinische Landesaufnahme ab 1764 kartographisch leistete, das bewirkten ab 1770 in Hinblick auf die Durchleuchtung des Untertanenverbandes amtliche Volkszählung, Häusernummerierung und ein strenges Meldewesen, dessen rigorose Mobilitätsbeschränkungen verhindern sollten, dass die erhobenen Daten wieder durcheinandergerieten. Auch

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Dass es keine getreue Kopie des preußischen Vorbilds war, hat schon Berenhorst, Betrachtungen, 1827, S. 271f. erkannt. Bleckwenn, Graf Kaunitz, 1974, S. 37. Szabo, Kaunitz, 1994 hat den Staatskanzler zum Haupt einer liberalen »Enlightenment party« aufgebaut, was die Innenpolitik betrifft, wohl zu Recht.

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größere Städte blieben anders als in Preußen nicht aus dem neuen Rekrutierungssystem ausgenommen.

Militärdiktatur? Joseph II., ab 1780 Alleinherrscher, ging als deklarierter Verächter historischer Vorrechte noch weiter als seine Mutter: 1784 dehnte der Kaiser das Konskriptions- und Werbbezirkssystem auf Ungarn und Tirol, 1786 auch auf Vorderösterreich aus. 1788 schließlich wurden die bisher »wehrunwürdigen« Juden der Monarchie, seit der Annexion Galiziens 1772 ein auch zahlenmäßig bedeutender Faktor, militärpflichtig. Die Toleranzgesetzgebung hatte ihren Preis.30 Spätestens um 1780 scheint die Habsburgermonarchie, darf man kritischen Reiseberichterstattern Glauben schenken, bereits viel von ihrer einstigen »Gemütlichkeit« verloren zu haben. Das kasernenhofartige Abkanzeln von Beamten im direkten Kontakt oder in wütenden Marginalresolutionen kannte auch Joseph II., der mildernde Effekt barockkatholischer Schlampigkeit war im Abnehmen begriffen. Manche hörten den Korporalstock förmlich über ihren Köpfen schwingen, fühlten sich durch die Omnipräsenz des Militärs gestört. Selbst Josephs Bruder Leopold, damals Großherzog von Toskana, bedauerte in seinen geheimen Reiseaufzeichnungen nach einem Wienbesuch, dass sich nun auch in böhmisch-österreichischen Landen das Militär zur alles dominierenden, tyrannischen Kraft aufzuschwingen drohte.31 Am Beginn der Regierungszeit Josephs II. waren ca. 20 Prozent der Bevölkerung, an die 40 Prozent aller Männer, potentiell militärpflichtig, doch federte man wie in Preußen den gefährlich hohen Militarisierungsdruck besonders auf die bäuerlichen und unterbürgerlichen Schichten durch eine 1765 neu organisierte Dauerwerbung im Reich ab. Ein Drittel des Armeestandes sollte im Schnitt aus dem Ausland kommen. Über 120.000 Ausländer konnten auf diese Weise zwischen 1765 und 1790 den k. k. Regimentern zugeführt werden. Es lässt sich nicht leugnen, dass sich das habsburgische Militär seit der spätmariatheresianischen Zeit zu einer Art »Staat im Staat« entwickelte, der sich zwar nur zu gerne in fremde, jedenfalls nicht-militärische Angelegenheiten mengte, sich selbst aber von allen Abhängigkeiten und externen Kontrollen möglichst freizumachen trachtete: weitgehende Selbsterzeugung der Uni30 31

Hochedlinger, »Verbesserung«, 2004. Wandruszka, Leopold II, 1963–1965, Bd. 1, S. 298, 343, 356, 365.

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formen und Ausrüstungsgegenstände, autonomes Verpflegungs- und Fuhrwesen, Ausdehnung der Militärgerichtsbarkeit und der Militärseelsorge und natürlich das neue Rekrutierungssystem, das die Stände völlig aus dem Stellungsprozess ausschaltete und direkt über die Grundherrschaften auf den einzelnen militärpflichtigen Untertanen zugriff, all das machte die Armee in hohem Maße unabhängig. »Militarismus«, die übertriebene Hochschätzung des Militärischen und seine bewusste Bevorzugung und Bevorrechtung gegenüber der zivilen Welt, ist das Ergebnis eines erfolgreichen Militarisierungsprozesses, so auch in der Habsburgermonarchie insbesondere während der josephinischen Dekade (1780–1790).32 Die Prädominanz der Uniform als Staatslivree und Trägerin einer Ideologie des bedingungslosen Dienstes, sogar in der kaiserlichen Familie und bei Hof, war nur die weithin sichtbare modische Konkretisierung einer viel breiteren Entwicklung,33 zu der auch die zwangsweise Einstellung pensionierter Offiziere bei Stadtverwaltungen, selbst als Bürgermeister, gehört. Ausgerechnet in den Österreichischen Niederlanden, in denen die Einführung des Konskriptions- und Werbbezirkssystems auch für Joseph II. bestenfalls als Drohung in Frage kam, wurde nach den ersten reformfeindlichen Unruhen des Jahres 1787 eine Art Militärdiktatur errichtet, die den kommandierenden General im Lande zur eigentlichen Schlüsselfigur aufwertete. Bewährt hat sich die Politik der harten Hand dort bekanntlich nicht. 1789 versagten die k. k. Regimenter als Polizeitruppe gegen eigene Untertanen kläglich und wurden, soweit sie sich nicht ganz auflösten, mit Schimpf und Schande aus den belgischen Provinzen hinauskomplimentiert. Dennoch: Der Wind militärischen Geistes frischte unter Joseph II. auch in der Habsburgermonarchie lebhaft auf. Soldatisches Befehlen und Gehorchen war dem Absolutismus eben viel angemessener als der Schlendrian und die zum Teil offene Obstruktion, die der Kaiser nicht von ungefähr in der Zivilverwaltung witterte. War es traditionell die Kollegialverfassung gewesen, die das Funktionieren fast aller Behörden und sogar die Entscheidungsfindung in den Beratungsgremien an der Staatsspitze charakterisierte, so förderte der drängende Reformgeist schon unter Maria Theresia vergleichsweise einsame Entscheidungen im unmittelbaren Zusammenwirken von Herrscher und Ressortminister. Die Behördenverfassung wurde tendenziell monokratisiert. 32 33

Für Preußen zuletzt nochmals zusammenfassend Kroener, Armee, 2012. Hochedlinger, Uniformzwang, 2022 .

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Reformskeptische Angehörige des großgrundbesitzenden Hoch- und Hofadels haben die Verpreußung der Monarchie schon zur Jahrhundertmitte als revolutionären Geschwindschritt durchaus erkannt und auch scharf verurteilt, allerdings nur privatim. An aktiven Widerstand dachten nur die wenigsten, wagten ihn jedenfalls bloß in Ausnahmesituationen.

Systemunterschiede Es scheint, dass das österreichische Konskriptions- und Werbbezirkssystem dem preußischen Kantonsystem ungeachtet der viel größeren Herausforderungen in nichts nachstand, ja diesem vielleicht sogar, was das verwaltungstechnische Raffinement betraf, überlegen war.34 Es blieb denn auch bis zur Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 1868, also fast ein Jahrhundert lang, die unersetzliche Grundlage der Heeresergänzung und ermöglichte der Habsburgermonarchie selbst im Kampf mit der ganz neue Energien freisetzenden Französischen Revolution und gegen den Militärkoloss des napoleonischen Frankreich das militärisch-politische Überleben. Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem preußischen Modell und seiner österreichischen Abwandlung sind an der Spitze der Befehlshierarchie und in der Struktur des Offizierskorps zu suchen. Dass Maria Theresia ihr Militär besonders schätzte und nach Möglichkeit förderte, war schon für Zeitgenossen offensichtlich. Das Amazonenhafte wurde in ihren jungen Jahren offen angesprochen, danach erlaubte die zunehmende Leibesfülle solch durchaus schmeichelhaft gemeinte Bilder nicht mehr. Der preußische Gesandte Podewils machte sich in seinen Berichten nach Berlin Ende der 1740er Jahre über den unweiblichen »Militarismus« der Habsburgerin bekanntlich offensiv lustig, die exzessive Militärbegeisterung des kleinen Kronprinzen Joseph fand er freilich mit Blick auf die Zukunft der preußisch-österreichischen Beziehungen weniger amüsant denn beunruhigend.35 Mater castrorum war ein schöner Ehrentitel in Zeiten der Friedensroutine, gerade im Krieg brauchte man aber einen roi-connétable, der an der Spitze

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Wenn ich recht sehe, ist das Verwaltungsdetail für das preußische Kantonsystem mittlerweile weniger gründlich untersucht als für das Konskriptions- und Werbbezirkssystem, vielleicht eine Folge der preußischen Überlieferungskatastrophe von 1945. Vgl. Winter, Untertanengeist, 2005. Ein synoptischer Vergleich wäre verlockend. Vgl. auch Braun, Kaiserin, 2018; dies., Maria Theresia, 2020.

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seiner Truppen ins Feld zog und dort auf Grundlage eigener Lagebeurteilung die nötigen Entscheidungen traf. Dies freilich blieb der Kaiserin-Königin verwehrt, so sehr sie sich in jedes Detail der Militärverwaltung und selbst in strategische Fragen einmischte (übrigens auch nachdem sie ihrem Sohn und Mitregenten 1765 die Hauptverantwortung für das Militärwesen übertragen hatte). Für die Truppenführung und die unmittelbare Kontrolle des Militärapparats war Maria Theresia im Gegensatz zu ihrem preußischen Gegenüber auf vermittelnde Funktionsträger und einige hervorgehobene »Militärberater« angewiesen. Bei der Auswahl Letzterer zeigte sie übrigens eine erstaunlich glückliche Hand. Auf den rauhbeinigen Drillmeister Feldmarschall Andreas Khevenhüller († 1744), der zur Not die anmaßenden Zivilbeamten des Hofkriegsrates ohrfeigte und mit neidvollem Blick auf Frankreich eine radikale »Nationalisierung« von Offizierskorps und Armee forderte, war auf dessen Empfehlung Leopold Daun gefolgt, der wiederum seinen eigenen Schützling Lacy zum »Erben« und Nachfolger bestimmte. Dem Wirken Dauns verdankte die Monarchin die erfolgreiche Umsetzung der ersten großen Modernisierungstherapie für ihr krisengeschütteltes Militärwesen. Diese Etappe als militärische Konkretisierung der Haugwitz-Reform war zu Beginn des Siebenjährigen Krieges im Wesentlichen abgeschlossen. Daun gelang in der Schlacht von Kolin im Juni 1757 zudem der psychologisch so ungemein wichtige Nachweis, dass Friedrich der Große keineswegs unbezwingbar war. Aber als Oberbefehlshaber der gegen Preußen mobilisierten k. k. Streitkräfte passte der vorsichtige, ja zaudernde und uncharismatische Marschall nicht in das politische und gesamtstrategische Konzept, das Staatskanzler Kaunitz mit dem Ziel einer vollständigen Niederringung des Hohenzollernstaates entworfen hatte. Wenn die Wiener dem österreichischen Fabius Cunctator bei seinen Fronturlauben Schlafmützen nachwarfen, um ihrer Unzufriedenheit mit der trägen Kriegführung Luft zu machen, so übersahen sie, was Maria Theresia sehr wohl richtig einzuschätzen wusste: Daun wurde nicht nur von praxisfernen Wiener Schreibtischstrategen dirigiert, er war auch als Oberkommandierender im Felde letztlich nur primus inter pares unter selbstbewussten, ja unbotmäßigen Generälen mit guten Verbindungen nach Hof, die lieber intrigierten als gehorchten. Dauns Vorgänger im Oberbefehl, Karl Alexander von Lothringen, mag als Schwager der Kaiserin über mehr Geburtsautorität verfügt haben, aber er

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hatte deutlich weniger Talent und Glück. Wie viele k. k. Generäle profitierte der Bruder des Kaisers über einen viel zu langen Zeitraum von der exzessiven Milde Maria Theresias gegenüber nachweislichem Versagen. Für die Aufrechterhaltung der Disziplin und den Aufbau von gesundem Erfolgsdruck war die sprichwörtlich gewordene clementia austriaca gewiss nicht von Vorteil, zumal im Angesicht der durchaus »motivierenden« höchstpersönlichen Terrorherrschaft Friedrichs II. über seine Generäle und Offiziere. Ob die anhaltende Buntheit des habsburgischen Offizierskorps und die offensichtlich sehr weitgehende Abwesenheit des indigenen Adels negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Truppe hatten, ist bei gegenwärtigem Forschungsstand nicht bekannt. Diese signifikante Abweichung vom preußischen Vorbild nahm aber dem habsburgischen Nachbau jedenfalls Geschlossenheit und Schärfe. Wir wissen, dass Junkertum und Offizierskorps auch in Preußen nicht deckungsgleich waren, Kanton und Gutsherrschaft nicht zusammenfielen, aber die systematisch betriebene und in Summe doch sehr erfolgreiche militärische Indienstnahme und Disziplinierung des brandenburgisch-preußischen Adels lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, ebenso wenig die systemkonforme, aber überraschend unaufgeklärte Entfernung von nicht-adligen Offizieren aus den klassischen Waffengattungen nach 1763. In der Habsburgermonarchie verlief die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Nicht, dass Wien nicht aktiv versucht hätte, den alteingesessenen Adel der Länder zur Ergreifung des Offiziersberufs zu motivieren: Ein beachtliches Bündel an Attraktivierungsmaßnahmen sollte Interesse am Militärdienst wecken und das um 1750 recht negativ eingeschätzte Sozialprofil (vielleicht eine Nachwirkung der von Khevenhüller verbreiteten xenophoben Grundstimmung nach dem Verlust der Kaiserkrone 1740) heben. Eine verbesserte Hinterbliebenen- und Invalidenversorgung auch für Offiziere, Ausbildungseinrichtungen (Militärakademie und Pflanzschule, 1751), die anfänglich wohl in erster Linie als Versorgungsanstalten für Sprösslinge aus finanziell schlecht gestellten Familien aufgefasst wurden, die Hoffähigkeit der Militäruniform (1751) oder die Schaffung eines Militärverdienstordens (1757/58) müssen hier genannt werden.36 Der Erfolg blieb aus, und zwar in einem Ausmaß, das Maria Theresia höchlichst erzürnte. 1758, mitten im Krieg, noch dazu in einer eher kritischen Phase, gingen schallende Ohrfeigen in Gestalt landesfürstlicher Patente hinaus in

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Zum Gesamtkomplex Hochedlinger, Adlige Abstinenz, 2020.

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die Länder, in denen die dienstunwilligen Adligen, aber auch ihre nicht minder dienstscheuen Untertanen schonungslos an den Pranger gestellt wurden. Missionierungserfolg war dieser verschriftlichten Bloßstellung natürlich keiner beschieden. Auch der vom allerhöchsten Tadel nicht mitumfasste Adel aus den Ländern der Stephanskrone freundete sich erst allmählich mit der Aussicht auf eine Militärkarriere an, wozu ihm insbesondere die ungarischen Nationalinfanterieregimenter und die Husaren offenstanden. Überproportional vertreten waren nur die belgischen Wallonen, die iro-schottischen Emigranten (»Wild Geese«) und – schon seit dem 17. Jahrhundert – die Exillothringer. Die einst tonangebenden Italiener verloren demgegenüber massiv an Bedeutung. Lediglich der Hofadel fühlte sich in Maßen verpflichtet, seine jüngeren Söhne als Offiziere in der Armee dienen zu lassen, zu groß war wohl der unmittelbare Druck, den Monarchin und Monarch aufbauten, vielversprechend außerdem die Aussicht auf eine rasche und steile Karriere. Aristokratisch ließ sich freilich bestenfalls ein Teil der Stabsoffiziersstellen besetzen, wobei man außerdem Abstriche bei den Anforderungen an Ausbildung und Talent machen musste. Woher aber sollten die Subalternoffiziere kommen, die man zu Tausenden benötigte? Die Lösung lag, zumindest teilweise, in der Umgestaltung des auf den unteren Hierarchieebenen sehr offenen Offizierskorps zu einem Beschleuniger des sozialen Aufstiegs. 1757 wurde verfügt, dass bürgerliche Offiziere mit mehr als dreißigjähriger tadelloser Dienstzeit um die Erhebung in den einfachen Adelsstand ansuchen konnten. Militäradel hieß also in der Habsburgermonarchie zwangsläufig Dienst- und Briefadel, da der Geburtsadel eben nicht bzw. nicht ausreichend ansprach.37 Vom Angebot einer Standeserhöhung im Dienstwege wurde reichlich Gebrauch gemacht, wobei die Tatsache, dass die Verleihung des prestigiösen Militär-Maria-Theresien-Ordens nach 1758 nicht-adligen Ordensträgern automatisch den Ritterstand und auf Antrag sogar den Freiherrnstand oder das ungarische Baronat verschaffte, zusätzlich dynamisierend wirkte. Auch an den Ausbildungs- und Versorgungsplätzen der Militärschulen zeigten in allererster Linie aufstiegswillige Bürgerliche Interesse. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet die leichten Truppen der Militärgrenze zu einem besonders beliebten Einfallstor für einheimische slawischstämmige, aber auch für von Linienregimentern zuversetzte Offiziere wurden, die früher kaum Chan-

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Ders., Mars Ennobled, 1999.

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cen auf einen glänzenden Aufstieg gehabt hätten, nun aber dank der vielen Kletterhilfen die Karriereleiter mit großen Schritten emporstürmten. Die wirtschaftlich gut gestellten Geburtseliten ließen sich mit bloßen Prestigealmosen oder bescheidener Alters- und Hinterbliebenenversorgung natürlich nicht anlocken, zumal Joseph II. unleugbar eine gewisse Adelsfeindlichkeit kultivierte. Eine wesentliche Attraktion für den im Schnitt weniger wohlhabenden und daher umso dienstwilligeren brandenburgisch-preußischen Niederadel gab es in der Habsburgermonarchie überhaupt nicht: die Kompaniewirtschaft als letztes Relikt eines staatlich subventionierten Militärunternehmertums, die Hauptmann bzw. Rittmeister – gewiss nach gefährlich langer Durststrecke – relativ substantielle, sogar in die Gutsherrschaft reinvestierbare Einkünfte verschaffte. Der Druck auf den skeptischen Altadel des böhmisch-österreichischen Kernstaates musste in der Habsburgermonarchie auch deshalb nicht über Gebühr erhöht werden, weil k. k. Offizierskorps und Generalität in Fortsetzung einer alten, dem preußischen Konkurrenten nicht in gleicher Weise offenstehenden Tradition weiterhin stark international konfiguriert blieben und der »Dienst für Kaiser und Reich« insbesondere auf den reichsritterschaftlichen (süd-)deutschen Adel, aber auch auf Sprossen regierender Häuser (auf dieser Hierarchieebene allerdings in zunehmender Konkurrenz mit den Hohenzollern) noch bis zum Zerfall des Reichs 1806 und sogar ein wenig darüber hinaus in hohem Maße anziehend wirkte.

Sozialrevolutionäre in Uniform Nicht nur in Preußen war die Armee ein »Instrument der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung im Innern« (Otto Büsch). Aber im Hohenzollernstaat verpuffte der bereits von Hintze und Büsch angedeutete, später von Hans Bleckwenn besonders herausgestellte (potentiell) emanzipatorische Effekt des direkten landesfürstlichen Zugriffs auf seine militärpflichtigen Untertanen.38 Denn Bauernschutz war Soldatenschutz, Adelsschutz aber gleichbedeutend mit Offiziersschutz und daher mindestens genauso wichtig, wollte man das System nicht durchlöchern. In der Habsburgermonarchie bedurfte es solcher Rücksichtnahme nicht, im Gegenteil.39 38 39

Bleckwenn, Bauernfreiheit, 1987. Hochedlinger, Rekrutierung, 2000.

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Angetrieben von Joseph II. und seinem kongenialen Heeresreformer Feldmarschall Lacy, der als Landfremder ohne ererbten Grundbesitz die Mediatisierung der Herrschaft über Land und Leute durch Stände und Grundherren offensiv hinterfragte, versuchte sich das Militär bzw. eine Gruppe aufgeklärter oder wenigstens neuerungswilliger Offiziere ab den 1770er Jahren an der ungelösten Frage der Agrarsozialreformen. Die Armee wünschte sich einen starken, körperlich und steuerlich leistungsfähigen Bauernstand, aus dem sich ja die Regimenter ganz überwiegend rekrutierten. Volkszählung und Häusernummerierung, an der das Militär 1770/71 federführend mitwirkte, gaben Anlass zu einer gründlichen Röntgenisierung der böhmisch-österreichischen Länder und gewährten schockierende Einblicke in die vielfach katastrophale wirtschaftliche, soziale und hygienische Lage der ländlichen Bevölkerung. Der Geheimauftrag des Hofes, die unerfreulichen Beobachtungen in ausführlichen Lagebeschreibungen festzuhalten, mündete in ein vernichtendes Panorama atemberaubender Unzulänglichkeiten, menschenverachtender Unterdrückung und chaotischer Nicht-Verwaltung.40 Gewiss werden die Offiziere nicht selten auf Rührgeschichten schlauer Untertanen hereingefallen sein und selbst gern ein wenig übertrieben haben. Gleichwohl basierte die dichte Reformagenda der letzten Jahre Maria Theresias und der Alleinherrschaft Josephs II. zu einem sehr erheblichen Teil auf den damals vorgelegten Untersuchungsergebnissen des Militärs: Verdichtung und Rationalisierung des Verwaltungsnetzes, Verbesserung des bäuerlichen Besitzrechts, Ablöse der Naturalrobot in Geld usw. Der Sturm der Entrüstung, der losbrach, als die Zivilverwaltung schließlich die militärische Einmischung in ihren ureigensten Zuständigkeitsbereich aufdeckte, war heftig; der Reformkurs ließ sich aber nicht einmal mehr durch die Unterstellung aufhalten, dass die Offiziere mit ihren provokanten bauernschützerischen Ambitionen den böhmischen Bauernaufstand von 1775 überhaupt erst losgetreten hätten. 1781 wurde die »Leibeigenschaft« (Schollenpflichtigkeit) dort, wo sie noch bestand, zugunsten einer gemäßigten Untertänigkeit beseitigt. 1789 folgte der revolutionärste Schritt, eine radikale Steuerreform, die den Bauern den Großteil ihrer Ernte beließ, die Einnahmen der Grundherren aber dramatisch reduzierte und die Fronarbeit beseitigte. Die josephinische Steuer- und Urbarialreform überdauerte den Tod des »Revolutionärs auf dem Thron« im Februar 1790 nicht. Auch die Einbeziehung 40

Hochedlinger/Tantner, Untertanen, 2005.

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Tirols, Vorderösterreichs und Ungarns in das Konskriptions- und Werbbezirkssystem wurde rückgängig gemacht. Juden durften sich von der Militärdienstpflicht loskaufen. Ansonsten aber blieb dem reaktionären Sturmlauf der Stände und anderer konservativer Kräfte gegen die Militärstaatlichkeit der Monarchie der Erfolg versagt. Auch für Nicht-Militärs gehörte die bewaffnete Macht längst zu den Kronjuwelen der Habsburgermonarchie und rangierte auf einer Stufe mit jener Preußens. »Die österr. Miliz hat dermal in Rücksicht der Waffenübungen wenigstens mit der Preußischen gleiche Behendigkeit und Geschicklichkeit. Die Artillerie hingegen behauptet vor allen übrigen den entscheidensten Vorzug.«41 Der fast ununterbrochene Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ab 1792 ließ eine Operation am offenen Herzen als viel zu gefährlich erscheinen, und der nächste große Reformer der österreichischen Militärgeschichte, Erzherzog Karl, war ein Bewunderer Lacys, dessen Konskriptions- und Werbbezirkssystem er im Wesentlichen unangetastet ließ, es aber insofern entschärfte, als er 1802 die bisher für unabdingbar erklärte lebenslängliche Dienstpflicht abschaffte. Preußen hatte diesen Schritt bekanntlich schon 1792 getan.

Schleichwege des Wissenstransfers Wie das fraglos vorhandene Detailwissen um die Betriebsgeheimnisse der preußischen Militärmaschinerie nach Wien kam, ist nicht näher untersucht, die Quellenlage wenig ermunternd.42 Taktisches und Waffentechnisches konnten die Österreicher natürlich schon auf den Schlachtfeldern der frühen 1740er Jahre direkt erleben und erfahren. Die Brandenburger hatten bereits im Türkenkrieg von 1683–1699 als sehr brauchbare Kampftruppe gegolten, ebenso kurz danach im Spanischen Erbfolgekrieg die königlich preußischen Kontingente. Der wirkliche Vormarsch in eine Vorreiterrolle erfolgte aber erst unter dem »Soldatenkönig«, der seine Männer freilich nach Möglichkeit nicht mehr als Subsidientruppen in Kriegen verheizen wollte, so dass Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit der hochgedrillten Soldatenpuppen in blau aufkamen. Friedrich II. glückte schon 41 42

Lichtenstern, Staatsverfassung, 1791, S. 313. Dazu auch Allmayer-Beck, Armee, 1987.

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1741 bei Mollwitz die blutige Beweisführung, dass die preußische Armee nicht nur auf dem Paradeplatz, sondern auch gegen die ungleich kriegserfahreneren Kaiserlichen zu beeindrucken vermochte. Die ungewöhnliche Feuergeschwindigkeit der preußischen Infanterie und Artillerie galt dem überraschten Gegner zunächst als wahres Teufelswerk. In weiterer Folge spielte sicher Spionage eine große Rolle, wobei sich auch hier das 1745 endgültig an Preußen verlorene Schlesien als Betätigungsfeld für Informationssammler und Geheimagenten besonders empfahl.43 Die offensive Abwerbung führender preußischer Militärs glückte den Habsburgern nicht, während Hochverrat in die Gegenrichtung durchaus vorkam. Großes Aufsehen erregte die freche Desertion des kaiserlichen Feldmarschalls Samuel Schmettau († 1751) zu Kriegsausbruch 1740, die aber weniger mit wiedererwachender Loyalität zum Haus Hohenzollern zu tun hatte als vielmehr mit der drohenden gerichtlichen Verfolgung finanzieller Malversationen Schmettaus und seines Bruders als Regimentsinhaber bzw. -kommandant. Auch der Sohn des aus der Schweiz stammenden kaiserlichen Generals Caesar Joseph Lentulus († 1744), Robert Scipio († 1786), später preußischer Generalleutnant, verdient als prominenter Überläufer genannt zu werden. Sein Biograph machte für den Dienstwechsel den schleppenden Karriereverlauf verantwortlich, hinter dem er konfessionelle Vorurteile Maria Theresias vermutete. Freilich: Der Kosmopolitismus des kaiserlichen bzw. k. k. Offizierskorps war ebenso real wie dessen konfessionelle Vielfalt, gerade im reichsdeutschen Element. Das Gegenteil behauptete eigentlich nur die preußische Propaganda.44 Offensichtlich unterhielten selbst in k. k. Diensten verbliebene Preußen während des Siebenjährigen Krieges verräterische Kontakte in ihre alte Heimat. General Konrad Emanuel von Brunyan († 1787), ein gebürtiger Pommer, wurde solch zwielichtiger Beziehungen beschuldigt und offensichtlich überführt (1763). Er verlor den Maria-Theresien-Orden. Die preußische Husarenwaffe konnte wie schon ein halbes Jahrhundert zuvor die französische überhaupt nur mithilfe ungarischer Deserteure aus k. k. Diensten aufgebaut werden. Friedrichs berühmter Husarengeneral Paul von Werner wurde 1750 von den Preußen abgeworben.45

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Material dazu findet sich für die 1750er Jahre in Österreichisches Staatsarchiv/ Kriegsarchiv, Alte Feldakten (Kabinettsakten). Haller, Leben, 1982. Kienast, König Friedrich II., 1895.

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Selbst unter den Militärschriftstellern der Zeit war die Fluchtrichtung eine einseitige;46 der k. k. Offizier blieb schreibfaul und stumm, sieht man vom Prince de Ligne († 1814), Feldmarschall und belgischer Grandseigneur, ab, dessen vielbändiges Geschnatter freilich sachlich kaum weiterführt. Der bedeutendste österreichische Militärpublizist der Zeit wurde erst dazu, als er nach Verwicklung in die »Affäre Brunyan« nach Preußisch Schlesien übersiedelt war: der ehemalige k. k. Rittmeister Jakob von Cogniazo (1732–1811). Sein Werk ist von habsburgisch-patriotischer Seite oft verteufelt worden, zeigt sich aber bei unbefangener Lektüre durchaus um Objektivität bemüht und ist jedenfalls eine wichtige Quelle für die innere Geschichte der Armee Maria Theresias bis zum Siebenjährigen Krieg. Manch spätere Entwicklung, durch die sich Österreich und Preußen in Riesenschritten annäherten (wie etwa das Konskriptions- und Werbbezirkssystem), hat Cogniazo im schlesischen Exil sichtlich nicht mehr zur Kenntnis genommen.47 Die legendären preußischen Friedensmanöver beobachteten die Österreicher spätestens ab den frühen 1750er Jahren insgeheim und sehr genau. Auch die Konzentration größerer Truppenverbände zu Übungszwecken, die sogenannten »campements«, die Maria Theresia 1749 ihren Regimentern verordnete, waren ein Innovationsimport aus Preußen. Der spätere FeldmarschallLeutnant und Maria-Theresien-Ordensritter Ernst Friedrich Graf Giannini († 1775), dessen Familie über reichen Grundbesitz in Schlesien verfügte, spielte bei der geheimen Feindbeobachtung in dieser frühen Zeit eine besondere Rolle.48 Nach dem Siebenjährigen Krieg verfolgten dann die k. k. Gesandten in Berlin, nicht umsonst durchwegs Generäle, die Revuen ganz offiziell, also gleichsam als Staatsgäste, und berichteten ausführlich nach Wien.49 46

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Der mehr als schrulliger, ewig Zopf tragender Exzentriker denn als Militärschriftsteller in die Geschichte eingegangene Karl Friedrich von Lindenau († 1817) wechselte erst 1789 aus preußischen in k. k. Dienste. Vgl. Allmayer-Beck, Von Hubertusburg nach Jena, 2008. Cogniazo, Freymüthiger Beytrag, 1780; ders., Geständnisse, 1788–1791. Die Publikationen erschienen ohne Autorennennung. Auf den mit Daun enger verbundenen Giannini hat schon Thadden, Feldmarschall Daun, 1967, S. 188–200 aufmerksam gemacht. Gianninis Frau, eine reiche schlesische Erbin, soll von Friedrich II. angeblich zur Scheidung gezwungen worden sein. 1746–1748 Joseph Anton Karl Graf Bernes de Rossana (General der Kavallerie); 1748/49 Johann Karl Graf Chotek (Feldmarschall-Leutnant); 1748–1756 Anton Marqués de la Puebla (Generalfeldwachtmeister); 1763/64 Joseph Freiherr von Ried (FeldmarschallLeutnant); 1764–1770 Jakob Robert Graf Nugent (Generalfeldwachtmeister). Vgl. Hausmann, Repertorium, 1950, S. 77f.; Winter, Repertorium, 1965, S. 86. Informationsmate-

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Ein besonderer Glücksfall für einseitigen Wissenstransfer zwischen den beiden Rivalen war die Gefangennahme des preußischen Generals Heinrich August de la Motte Fouqué († 1774) in der Schlacht von Landeshut im Juni 1760, der unvorsichtigerweise einen wesentlichen Teil seiner Dienstregistratur mit ins Feld genommen hatte. Der Rest seiner Papiere fiel den Österreichern bei der Eroberung der Festung Glatz einen Monat später in die Hände. Damit verfügte Wien nicht nur über die recht umfangreiche Korrespondenz zwischen Friedrich II. und dem ihm persönlich nahestehenden General, sondern auch über Reglements, Instruktionen und selbst über ein Exemplar der »Generalprincipia vom Kriege«. Das Interesse der k. k. Heeresleitung hielt sich aber in überraschend engen Grenzen.50 *** Von einem zentralistisch-etatistischen Standpunkt aus betrachtet konnte sich die Bilanz der maria-theresianisch-josephinischen Aufholjagd durchaus sehen lassen. In manchem mag man Preußen, zumal das nachfriderizianische, deutlich überholt haben. Wir zitieren Otto Hintze als durchaus unverdächtigen Zeugen: »Österreich ist von allen europäischen Staaten derjenige, in dem der bedeutendste und energischste Versuch einer Reform vor der Revolution gemacht worden ist […]. Ein großer Teil der Neuerungen, die die Französische Revolution und die preußische Reform hervorgebracht haben, ist nichts als die konsequente Durchführung von Prinzipien, die dem Geiste des aufgeklärten Absolutismus angehören. Soweit es darauf ankommt, ist Joseph II. ein Vorläufer der Französischen Revolution und ein Vertreter der neuen durch sie begründeten Staatsordnung gewesen.«51 Dass, wie Hintze bemängelte, der österreichische Vorsprung bald verspielt war, weil in der Habsburgermonarchie die »moralisch-politische Kraft«, auch

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rial über die preußische Armee findet sich auch im Nachlass Lacy, der im HHStA Wien verwahrt wird (z.B. Karton 1 und 2), dort u.a. ältere Revueberichte an Feldmarschall Daun. Hochedlinger, Fridericus Rex, 2015. Auch bei dem ebenfalls 1760 in (kurzzeitige) österreichische Kriegsgefangenschaft geratenen General Ernst Heinrich von Czettritz wurden wichtige Papiere gefunden. Hintze, Beamtenstaat, 1962, S. 354.

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das Nationale der Stein-Hardenberg’schen Reformen fehlten, gehört nicht mehr in unseren zeitlichen Rahmen.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen [Cogniazo, Jacob de], Freymüthiger Beytrag zur Geschichte des österreichischen Militairdienstes, Frankfurt/Leipzig 1780. [Ders.], Geständnisse eines oestreichischen Veterans in politisch-militarischer Hinsicht auf die interessantesten Verhältnisse zwischen Oestreich und Preußen, 4 Bde., Breslau 1788–1791. Haller, Fr. Ludwig, Leben des Herrn Robert Scipio von Lentulus […], Bern 1787 (Nachdruck Osnabrück 1982). Lichtenstern, Joseph Freiherr von, Staatsverfassung der oesterreichischen Monarchie im Grundrisse, Wien 1791.

Literatur Allmayer-Beck, Johann Christoph, Die friderizianische Armee im Spiegel ihrer österreichischen Gegner, in: Friedrich der Große und das Militärwesen seiner Zeit (Vorträge zur Militärgeschichte 8), hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Herford/Bonn 1987, S. 33–54. Ders., Von Hubertusburg nach Jena. Die preußische Armee am Ende des 18. Jahrhunderts von außen gesehen, in: Die preußische Armee zwischen Ancien Régime und Reichsgründung, hg. von Peter Baumgart u.a., Paderborn u.a. 2008, S. 121–132. Arneth, Alfred Ritter von, Geschichte Maria Theresias, Bd. 5, Wien 1875; Bd. 8, Wien 1877. Bein, Werner, Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 26), Sigmaringen 1994. Berenhorst, Georg Heinrich von, Betrachtungen über die Kriegskunst, über ihre Fortschritte, ihre Widersprüche und ihre Zuverlässigkeit, 3. Aufl., Leipzig 1827. Bleckwenn, Hans, Graf Kaunitz – Votum über das Militare 1762, in: Zeitgenössische Studien über die altpreußische Armee, Osnabrück 1974, S. 3–45.

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Intellektueller Austausch im Finanzwesen Die Rechenkammern in der Habsburgermonarchie und in Preußen1 Simon Adler

Übersicht Ludwig Zinzendorf (1721–1780) und sein Halbbruder Karl Zinzendorf (1739–1813) sind mit den Anfängen der Hofrechenkammer in der Habsburgermonarchie eng verbunden. Ludwig war ihr Gründer und erster Präsident (1762–1773), Karl folgte ihm als vierter Präsident nach (1782–1792).2 Ludwig Zinzendorf war der führende Finanztheoretiker in der Regierung Maria Theresias und ein Protégé und enger Berater des österreichischen Staatskanzlers Wenzel Anton von Kaunitz (1711–1794). Er war Teil einer intellektuellen Elite in Europa, die sich mittels persönlicher Kontakte, Manuskripten und gedruckter Schriften zu ökonomischen und finanzpolitischen Themen austauschte. Ich habe in meinem Buch über Ludwig Zinzendorf gezeigt, wie sein Denken von den Ideen anderer Autoren geleitet wurde und wie er das europäische Finanz- und Handelswesen studierte, um geeignete Modelle zu finden, die er den politischen Gegebenheiten der Habsburgermonarchie anpassen konnte.3 Seine Ideen für die Errichtung einer neuen Börse und einer politischen Bank beruhten auf den Beispielen der Pariser Bourse und der Bank of England. Es

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Ich danke Hamish Scott für Hinweise zur Literatur. Mein besonderer Dank gilt Gerhard Gonsa, der nicht nur den Text kommentierte, sondern mich zudem großzügig – trotz Covid-bedingten Lockdowns – bei der Quellensuche im Haus-, Hof- und Staatsarchiv unterstützte. Für Biographisches zu beiden siehe von Pettenegg, Selbstbiographien, 1879. Obwohl es sich dem Titel nach um eine »Selbstbiographie« in zwei Teilen handelt, hat Karl auch den Teil über Ludwig verfasst; ebd., S. 8. Adler, Political Economy, 2020.

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liegt nahe, dass Zinzendorf sich auch für sein großes Projekt einer neuen, unabhängigen Rechenkammer an bestehende europäische Modelle angelehnt hat und dass die preußische Generalrechenkammer von Friedrich Wilhelm I., die der König als unabhängige Behörde gegründet hatte, ein wichtiger Impulsgeber für Zinzendorf war.4 Als scharfer Beobachter der Verhältnisse in Europa war Zinzendorf gut über die Verhältnisse in Preußen informiert und verfolgte auch die Abläufe bei der 1765 neu gegründeten königlichen Bank in Berlin.5 Mein Beitrag über den intellektuellen Austausch im Finanzwesen untersucht zweierlei: zum einen, inwieweit sich Zinzendorf für seine Ideen über die Rechenkammer am preußischen Beispiel Friedrich Wilhelms I. orientierte; und zum zweiten, inwieweit es einen intellektuellen Transferprozess in die umgekehrte Richtung gab, also von Österreich nach Preußen, bei dem Friedrich II. sich für den Aufbau seiner Rechenkammer vom Beispiel Zinzendorfs inspirieren ließ. Es ist eine erste vergleichende Betrachtung der österreichischen und preußischen Rechenkammern ausgehend von den Schriften und Ideen Zinzendorfs.6 Die grundlegenden Quellen dieses Aufsatzes sind für die Habsburgermonarchie Zinzendorfs Denkschriften und Memoires der 1760er Jahre über die Finanzverwaltung sowie für Preußen die institutionellen Verordnungen und Instruktionen von Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohn Friedrich II. über die Rechenkammer. Die Ideen stehen im Vordergrund, ihre politische Umsetzung spielt hier eine untergeordnete Rolle. Der relativ große Bestand an Material und Schriften in den Archiven zu den Verwaltungsreformen in der Habsburgermonarchie ist wahrscheinlich das Resultat des bitteren Kampfs, den Zinzendorf und die anderen Minister schriftlich führten, um die neue Verwaltung zu etablieren.7 Zu den preußischen Rechnungskammern un-

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Hanns Leo Mikoletzky zum Beispiel leitet damit seinen Aufsatz über die Hofrechenkammer ein: Mikoletzky, Puechberg, 1961/62, S. 133–148. Die französische Chambre des Comptes war nicht unabhängig und daher als Vorbild ungeeignet; ebd. Vgl. hierzu auch die Voten von Tobias Philipp Freiherr von Gebler, Friedrich Binder und Wenzel Anton Kaunitz über die französischen Finanzen im Staatsrat von Mai 1771, in: Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 326, Fußnote 2. Adler, Political Economy, 2020, S. 184. Für Zinzendorfs Schriften siehe vor allem die Denkschrift über die »Errichtung der Hofstellen von anno 1761–1771«; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2b-4. Der Stand der Forschung hierzu ist Hochedlinger, Verwaltungsgeschichte, 2019; siehe auch Aktenstücke über die Verwaltungsreformen in: Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934.

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ter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. ist die Forschungslage bescheidener und stützt sich im Wesentlichen auf die Quellenedition in den Acta Borussica.8 Weitere Arbeiten wären notwendig um das Forschungsdefizit aufzuarbeiten.

Die Errichtung von Zinzendorfs Finanzsystem Zinzendorf entwickelte seine grundlegenden Ideen für eine Neuordnung der Finanzen in einem detaillierten Vorschlag vom 7. Oktober 1761.9 Für ihn waren drei Einrichtungen für die Staatsfinanzen erforderlich: für die Verwaltung die Hofkammer, für das Geldwesen eine Generalkasse und für die Kontrolle eine von anderen Ministerien unabhängige Rechenkammer. Bei den Staatsfinanzen, so Zinzendorf, gebe es zwei grundlegende Bereiche: zum einen die »Verwaltung und Verbeßerung der verschiedenen Zweige der Einkünfte«; und zum anderen die administrativen Tätigkeiten des Kassenwesens und der Rechnungslegung. Die Verwaltung der Einkünfte sei der wesentlichere Bereich von beiden: Für den Herrscher sei es wichtig, einen umfassenden Überblick über die gesamten öffentlichen Einkünfte zu haben, die sich vor allem aus den Kontributionszahlungen der Erbländer, den Kameraleinkünften und anderen Abgaben wie Maut und Salz- sowie Tabakmonopolsteuern zusammensetzten. Zinzendorf wertete damit die Rolle der Hofkammer auf: Sie sollte die zentrale Einrichtung für die Administration der Gefälle werde.10 Eine neue Generalkasse sollte die Zahlungen empfangen und die Geldanweisungen tätigen. Sie benötigte als vereinigte Kreditinstitution der Gesamtmonarchie die gemeinsame Garantie der böhmischen und österreichischen Erblande.11 Die gute Kreditwürdigkeit einzelner Stände, meinte Zinzendorf,

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Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 16/1, 1970. Weitere Archivquellen zu den preußischen Finanzeinrichtungen sind, denke ich, nicht dezidiert bearbeitet worden. Vorschlag des Grafen Ludwig von Zinzendorf über die Einrichtung der Finanzen, Wien, 7.10.1761; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2b, fol. 90r-103r. Ebd., fol. 90r-93r. Mein Augenmerk hier liegt vor allem auf der Rechenkammer. Für Details zu Zinzendorfs Vorschlägen für die Hofkammer und Generalkasse siehe Adler, Political Economy, 2020, S. 228–231. Um Kritiker zu beschwichtigen, stellte Zinzendorf klar, dass die Generalkasse keine radikal neue Einrichtung wäre, sondern im Wesentlichen eine Weiterentwicklung der bestehenden Ständischen Kredit Deputation; Vorschlag des Grafen Ludwig von Zinzendorf über die Einrichtung der Finanzen, Wien, 7.10.1761; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2b, fol. 101r-101v. Ungarn würde vorerst separat bleiben: der ungarische

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sei für einen öffentlichen Fonds, der die Gelder des gesamten Staates vereinigen sollte, zu wenig. Zudem seien bestehende öffentliche Einrichtungen, wie die Wiener Stadtbank, hierfür ungeeignet.12 Um Transparenz in den Finanzgeschäften zu gewährleisten, sollten sämtliche Gefällskassen regelmäßig alle 14 Tage Journale mit Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben sowie einer Übersicht über das verfügbare Bargeld, zusammen mit den Originalbelegen, an die Generalkasse senden. Die Regierung habe damit genaue Kenntnis über die zur Verfügung stehenden baren Mittel und könne problemlos ihre Zahlungen richtig einplanen.13 Die Ausgaben der Monarchie sollten einem Budgetplan folgen, der einmal jährlich von den Präsidenten der Hofkammer, der Generalkasse und der Rechenkammer gemeinsam festgelegt würde. Außerordentliche Ausgaben sollten vor Ablehnung oder Genehmigung von der Rechenkammer dementsprechend bewertet werden. Da, so Zinzendorf, die Rechenkammer unabhängig sei und keine partikularen finanziellen Interessen verfolgen sollte, könne man sich auf den Wert ihrer Gutachten verlassen.14 Die Rechenkammer mit ihrem Präsidenten als »Rechnungsführer in der Monarchie« sollte alle Einnahmen und Ausgaben der Generalkasse prüfen und eine neue, verbesserte Rechnungslegung mit doppelter Buchführung anwenden.15 Zinzendorf beklagte, dass zuvor in der Monarchie das konsequente chronologische Führen eines Journals, in dem alle finanziellen Bewegungen erfasst wurden, um den Stand der liquiden Mittel des Staates bestimmen zu können, unbekannt gewesen sei. Die Buchhaltung in der Monarchie sei unvollständig und Rechnungen würden nur lückenhaft in Rubriken-Bücher eingetragen. Zinzendorf beklagte auch, dass viel Zeit verschwendet werde, um alte fehlende Rechnungen nachzubuchen. Es fehlten lückenlose chronologische Einträge, ohne die es unmöglich sei, den täglichen Kassenstand des Staates zu kennen. Auf lokaler Ebene sah Zinzendorfs neues System der Rechnungsführung vor, dass die Generalkasse monatlich die Journale, die sie von den verschiedenen Hauptkassen erhielt, gemeinsam mit allen Rechnungsbeilagen an die Rechenkammer sendete. Die lokalen Rechnungsführer sollten in den Journalen

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Kredit sollte bei der ungarischen Hof-Cammer bleiben und würde dann später mit jenem der Erblande vereint werden. Ebd., fol. 93r-93v. Ebd., fol. 94v-95r. Ebd., fol. 95v-96r. Ebd., fol. 96v.

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die Ausgaben und Einnahmen der Rubriken-Bücher sachlich vermerken. Als Kontrolle musste die Rechnungskammer ihre eigenen Rubriken-Bücher führen, die für das gesamte Jahr mit den eingesandten Büchern übereinstimmen sollten. Damit war es nunmehr möglich, kurzfristig etwaige Abweichungen bei den Zahlen zu erkennen und den lokalen Rechnungsführern monatlich Anweisungen über Fehler oder Verbesserungen zu geben. Auch Bewegungen von Naturalien (landwirtschaftliche Erzeugnisse) und Bargeld sollten von den lokalen Rechnungsführern in besonderen Journalen vermerkt und an die Rechenkammer gesendet werden.16 In der Rechenkammer selber, war Zinzendorf überzeugt, würde die Anwendung der doppelten Buchführung »Ordnung und Deutlichkeit« erzeugen. Jeder Hauptzweig der öffentlichen Einnahmen, wie zum Beispiel Kontributionen oder Kameraleinkünfte, sollte eine eigene sachgerechte Zuteilung in einem »Hauptbuch« erhalten.17 Die verschiedenen Hauptbücher wiederum sollten in einem generellen Hauptbuch zusammengefasst werden, aus dem alle Einnahmen und Ausgaben und die finanzielle Situation der Monarchie ersichtlich sein sollte. So sollte es nunmehr möglich sein, am Jahresende eine genaue Bilanz für jeden Zweig der öffentlichen Einkünfte sowie für die Monarchie insgesamt zu ziehen und den Zustand der Staatsfinanzen zu beurteilen.18 Die zentrale Voraussetzung war, bekräftigte Zinzendorf, dass die Rechenkammer ihre Prüfarbeit als von anderen Verwaltungsstellen »vollkommen unabhängige Stelle« durchführen könnte.19 Für die Umsetzung, meinte Zinzendorf, sei es erforderlich, tüchtige Beamte aus den einzelnen Buchhaltereien zu rekrutieren und sie täglich zwei Stunden auf den »neuen Kameral-Fuß« zu schulen. Innerhalb von längstens sechs Monaten, zeigte sich Zinzendorf zuversichtlich, hätte man eine ausreichende Anzahl von kompetenten Beamten, die in den Hauptämtern der Provinzen die neue Rechnungsart anwenden könnten.20 Für die neue Rechenkammer sollte es sogar noch leichter fallen, die erforderliche Anzahl an Buchhaltern mit Erfahrung in doppelter Buchführung zu finden: Erfahrene Leute aus Amsterdam, Hamburg, Frankfurt, Leipzig und Nürnberg ließen sich gegen gute Ent-

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Ebd., fol. 96v-97v. Zu den Arten der Staatseinkünfte siehe Winkelbauer, Grundzüge, 2019, S. 780–791. Vorschlag des Grafen Ludwig von Zinzendorf über die Einrichtung der Finanzen, Wien, 7.10.1761; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2b, fol. 98r-v. Ebd., fol. 98v-99r. Ebd., fol. 99r.

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lohnung nach Wien holen.21 Alles in allem rechnete Zinzendorf mit einer Übergangsfrist von einem guten Jahr, bis die richtigen Begriffe routinemäßig in die Rechnungslegung übertragen und die Rubriken-Bücher angepasst und neu gedruckt würden. Nach zwei Jahren dann sollte die neue Rechnungsart auch vollständig auf lokaler Ebene in den Filialkassen umgesetzt werden können.22 Obwohl die drei Finanzeinrichtungen unabhängig voneinander agieren sollten, sah Zinzendorf eine Koordination ihrer Arbeit vor: Die Präsidenten sollten regelmäßig wöchentlich in Wien zu einem Meinungsaustausch zusammenkommen. Offene Diskussionen sollten ausschließen, dass überraschenderweise außerordentliche Finanzausgaben getätigt wurden, die Zinsoder Kapitalrückzahlungen an Staatsgläubiger gefährden könnten. Neu zu errichtende Finanzkammern in den Ländern mit eigenen Präsidenten sollten den zentralen Einrichtungen in Wien zuarbeiten und die »gesammten FinanzAngelegenheiten in jedem Lande« übernehmen. In Ungarn sei ein besonderes deutschsprachiges Finanzkollegium zu errichten. Um finanziellen Schaden zu vermeiden, dürften die Finanzkammern jedoch nur schon Beschlossenes ausführen, wie zum Beispiel Zahlungen an Gläubiger und festgelegte budgetierte Ausgaben.23 In seinem umfangreichen Gutachten vom 20. November 1761, in dem er der Kaiserin die Herausforderungen der Habsburgermonarchie in der Verwaltung und in den Finanzen darlegte, bekräftigte Kaunitz die Ideen Zinzendorfs.24 Im Dezember 1761 schließlich genehmigte Maria Theresia Zinzendorfs Vorschlag.25 Johann Seyfried Herberstein (1706–1771) wurde Präsident der Hofkammer, Karl Friedrich Hatzfeld (1718–1793) wurde die Generalkasse und die Leitung der Ministerial-Bankalität-Deputation, der die

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Zinzendorf dachte hier wahrscheinlich an Kaufleute. Ebd., fol. 99r-99v. Ebd., fol. 99v-100r. Gutachten von Kaunitz an Maria Theresia, 20.11.1761, auszugsweise in Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 101–122. »Künftig sollen alle Stellen, Cassen und Administrationen controllirt seyn, also auch der Banco nach seinem Instituto. Ich will dahero eine controle generale und eine caisse generale haben. Hiernach ist die ganze Sache auszuarbeiten und die Meinung einzugeben.«, ebd. S. 109. Zur Rechnungsführung und Errichtung einer unabhängigen Rechenkammer mit eigenem Präsidenten, siehe ebd. S. 115–116. Maria Theresia an Ludwig Zinzendorf, 23.12.1761, gedr. in: Pettenegg, Selbstbiographien, 1879, S. 84–86.

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Wiener Stadtbank unterstellt war, anvertraut. Zinzendorf erhielt die Rechenkammer übertragen.26 Letztere sollte neben der Erstellung des Staatsbudgets und der zentralen Rechnungsabschlüsse, inklusive des Standes der staatlichen Finanzschuld, auch die Kontrolle ab ante für sämtliche staatlichen Finanzbehörden übernehmen. Zinzendorf selbst informierte die Hauptleute der Länder über die neuen Bestimmungen in der zentralen Verwaltung.27 Gleich am Anfang seines Schreibens verlangte er von ihnen präzise und umfassende Informationen über das lokale Rechnungswesen und stellte klar, dass alle lokalen Kameral- und Militärbuchhaltungen sowie Kassenbeamten nunmehr der Rechenkammer untergeordnet seien. Auszüge der Abrechnungen mussten ab sofort mit erhöhter Frequenz alle zwei Wochen und in zweifacher Ausführung, für die Generalkasse und für die Rechenkammer, erstellt werden. Auch sollten die Länder jetzt öfters, nämlich halbjährlich im November und April, die gesamten Abrechnungen der Militärkassen an die Rechenkammer senden.28 Für Zinzendorf war es wichtig, verlässliche Informationen zu erhalten, um sich ein gutes Bild über die örtlichen Finanzkontrollen machen zu können. Er ersuchte um sehr genaue Auskünfte über die derzeitigen »Rechnungsmodalitäten« und die Agenden der Buchhaltereien sowie über die Beschaffenheit der Rubriken-Bücher. Bei letzteren, zum Beispiel, fragte er nach, ob sie gebunden seien oder nur der Länge nach zusammengeheftet. Kenntnisse über lokale Arbeitsabläufe zwischen Kassierern und Kontrolleuren gaben Aufschluss darüber, ob aufgetragene Revisionsarbeiten zügig erledigt wurden oder aber sich verzögerten und dadurch Rechnungen liegen blieben.29 Zinzendorfs neue Aufgabe war nicht einfach. Er musste in der Regierung kämpfen, um seine neue Behörde zu etablieren. So bekräftigte er den Anspruch der Rechenkammer, über die Rechnungskontrolle hinaus Berater des Hofes in Finanzangelegenheiten zu werden und damit Einfluss auf die Entwicklung der Finanzwirtschaft zu nehmen.30 Weiters musste die Rechen26 27 28 29 30

Zur Verwaltung der Ministerial-Bankalität-Deputation und Wiener Stadtbank ab 1748, siehe auch Winkelbauer, Banco del Giro, 2019, S. 952–955. Ludwig Zinzendorf an die Länder Capi, 20.2.1762; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2b, fol. 311r-312r. Ebd., fol. 311r-311v. Ebd., fol. 312r. Die Rechenkammer, so Zinzendorf, sollte »auf das Steigen und Fallen der Gefällen und auf die Ursache eines oder des anderen die sorgfältigste Obsicht tragen, die ergründende Ursachen des Abfalls zu beheben und jene des aufnams zu beförderen trachten«, sowie den »consumo des Salzes und seine Schwankungen inquiriren und dar-

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kammer durch die ihr zugewiesene Kontrolle ab ante von allen anderen Stellen in wichtigen Finanzangelegenheiten zu Rate gezogen werden. Sie konnte gegen geplante Maßnahmen ein Veto einlegen, das einen Aufschub bewirkte, bis es zu einer kaiserlichen Entscheidung kam. Diese neuen Kompetenzen waren allen übrigen Ministern ein Dorn im Auge. Es gab von Anfang an ein heftiges Ringen um Befugnisse zwischen den drei Behörden, das mehr als zehn Jahre dauern sollte und die Umsetzung von Zinzendorfs System erheblich erschwerte. Die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den drei Stellen ließen sich trotz Konferenzen und regem Schriftverkehr zwischen ihren Präsidenten nicht beseitigen. Maria Theresia musste fortwährend einschreiten. Um einen Konsens zu erreichen und voranzukommen, schwächte sie die von Zinzendorf vorgesehenen Kompetenzen von Rechenkammer und Bankalität ab.31 Nichtsdestotrotz besserte sich auch in den Folgejahren die Zusammenarbeit in der Finanzverwaltung nicht. Zinzendorf und Hatzfeld präsentierten daher gemeinsam im September 1764 Vorschläge, um die Arbeitsabläufe in der Verwaltung zu beschleunigen.32

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auf fürdenken, ob und was für eine Gefälle durch eine Pachtung oder Ferme Mixte in eine bessere Ertragnis zu bringen wären«, in: Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 332. Siehe auch Ludwig Zinzendorf, Vortrag der Rechenkammer, 21.10.1762; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2c-1-12, S. 35–37, hier: S. 35. Zum Kompetenzringen 1762 zwischen Bankalität (Hatzfeld) und Hofkammer (Herberstein) sowie zwischen Rechenkammer (Zinzendorf) und den beiden anderen Behörden siehe Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 326–338. So, zum Beispiel, verfügte Maria Theresia am 19. April 1762, dass die »Rechenkammer keineswegs in der Verwaltung [von Hofkammer, Bankalität und Generalkasse] eingreifen, noch auch deren Manipulation erschwären oder in dem schleunigen Vollzug hemmen, sondern an der Beobachtung der controle, und zwar der Einnahm und Ausgabe, dann der hiernächstigen Rechnungsrevision sich begnügen müsse«; ebd., S. 331f. Auch die Bankalität erhielt weniger Kompetenzen als von Zinzendorf ursprünglich vorgesehen: Maria Theresia teilte Hatzfeld in einem Handschreiben (September 1764) mit, dass der Kaiser selbst die Aufsicht der staatlichen Schuldenkasse übernehmen werde; Beer, Finanzverwaltung, 1894, S. 245, Fußnote 2; siehe dazu auch Dickson, Finance and Government, Bd. 2, 1987, S. 63f. Gemeinschaftlicher alleruntertänigster Vorschlag des Generalkassadirektionspräsidenten Grafen von Hatzfeld und des Rechenkammerpräsidenten Grafen Ludwig von Zinzendorf über die Einrichtung des Finanzwesens und Verbesserung des gegenwärtigen Finanzsystems, 11.9.1764; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2c-2-1. Ein wesentlicher Auszug davon ist abgedruckt in: Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 223–233. Für eine Zusammenfassung des Vortrages siehe auch Beer, Fi-

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Sie schlugen eine Konzentration in der Administration vor, um das Konkurrenzverhalten zwischen den Ämtern einzudämmen. Damit versuchten sie wieder eine stärkere Anlehnung an Zinzendorfs ursprünglichen Vorschlag vom Oktober 1761 zu erreichen. Es sollte aber nur Notwendiges angepasst werden, um die Bevölkerung und ausländische Kreditgeber nicht zu beunruhigen. Künftig waren nur zwei, anstatt wie bisher drei, Finanzpräsidenten vorgesehen: mit Hatzfeld ein stark aufgewerteter Hofkammerpräsident, der nicht nur für Kontribution und das Kameralgefälle zuständig sein sollte, sondern auch der Ministerial-Bankalität-Deputation und der Generalkasse vorstehen sollte; und mit Zinzendorf, wie bisher, der Präsident der Rechenkammer.33 Der eigentliche Leiter der Ministerial-Bankalität-Deputation war Franz Stephan, der 1763 von seiner Gemahlin Maria Theresia die Aufgabe erhielt, das Staatsschuldenwesen zu leiten.34 In der »Rechnungsrevision«, dem ersten Teil des Rechnungswesens, sollte es kurze Arbeitswege durch »unmittelbare Correspondenz zwischen der Rechenkammer und dem Rechnungsführer« geben, ohne, wie bisher, Kassenbeamte miteinzubeziehen. Es sollte weiters die Kompetenz der Rechenkammer auf die Länder ausgedehnt werden, indem ihr alle ständischen Buchhaltereien und das Oberkammeramt in Wien unterzugeordnet werden sollten.35 Dies, meinten die Verfasser, sei notwendig, da in dem für die Monarchie so wichtigen ständischen Rechnungswesen große Unordnung herrsche und es bei ständischen Kassenbeamten wiederholt ungeklärte Vorfälle von Insolvenzen gegeben habe. Zudem verweigerten die ständischen Buchhaltereien der Regierung

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nanzverwaltung, 1894, S. 247–250; für den Teil des Vortrages über die Rechenkammer siehe ebd., S. 267–269. Gemeinschaftlicher alleruntertänigster Vorschlag des Generalkassadirektionspräsidenten Grafen von Hatzfeld und des Rechenkammerpräsidenten Grafen Ludwig von Zinzendorf über die Einrichtung des Finanzwesens und Verbesserung des gegenwärtigen Finanzsystems, 11.9.1764; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 230f. Zur Ernennung Franz Stephans, siehe Fußnote 29 oben. Für seine Rolle bei der Staatsschuldentilgung und Führung der Wiener Stadtbank, siehe Mikoletzky, Franz Stephan von Lothringen als Wirtschaftspolitiker, S. 238–239; und ders. Kaiser Franz I. Stephan und der Ursprung, S. 28. Buchhaltereien aus 18 Städten waren der Rechenkammer bereits untergeordnet. Das Wienerische Oberkammeramt verwaltete einen wichtigen Teil der Staatsschulden; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 231. Laut Helmuth Tesar gab es elf Buchhaltereien in Wien und neun Gubernial-Buchhaltereien in den Ländern; Tesar, Oberste Rechnungskontrollbehörde Österreichs, 1961, S. 5.

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Einsicht in ihre Zahlen und lehnten auch die von ihr vorgeschlagenen »neuen, deutlicheren und bündigeren Formularien der Praeliminar Sistematum und Hauptlandeskassen Extrakte« ab.36 Diese neuen Maßnahmen, erklärten die Verfasser, würden die Stände in keiner Weise benachteiligen. Es gebe ein einheitliches System, bei dem, genauso wie bei anderen Buchhaltereien auch, die Stände von einer unabhängigen Stelle beurteilt werden würden. In der »Rechnungsmodalität«, dem zweiten Teil des Rechnungswesens, sei es unumgänglich, die bisherigen fehlerhaften Rechnungsmethoden durch die neue Methode der Rechenkammer zu ersetzen.37 Zuletzt sollte im Rahmen der controle général die Korrespondenz zwischen der Rechenkammer und den administrierenden Stellen direkter und schneller werden, damit Berichte und Auskünfte zeitnahe bewertet werden könnten.38 Es sei ein Irrglaube, meinte Zinzendorf, daß die controle général der Rechenkammer eine Verzögerung der Geschäfte auslöse.39 Sie ermögliche lediglich eine genauere Kontrolle. Die Natur der controle général, die es zuvor nicht gegeben hatte, war der ›effectus suspensivus‹. Entscheidungen der Rechenkammer hatten somit eine aufschiebende Wirkung,

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Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 232. Zur neuen Methode siehe unten. Zu Zinzendorfs Bestrebungen, die neuen Methoden bei den Ständen einzuführen, siehe Godsey, Sinews of Habsburg Power, 2018, S. 267–270. Gemeinschaftlicher alleruntertänigster Vorschlag des Generalkassadirektionspräsidenten Grafen von Hatzfeld und des Rechenkammerpräsidenten Grafen Ludwig von Zinzendorf über die Einrichtung des Finanzwesens und Verbesserung des gegenwärtigen Finanzsystems, 11.9.1764; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 233. Auch Kaunitz erkannte klar die Schwierigkeiten, die es zu bewältigen galt, um eine controle général und die neue Rechnungsmethode umzusetzen: »Eine Rechenkammer war etwas Neues, und die Perspective einer controle générale führte natürlicher Weise die Abneigung aller Hof- und Länderstellen mit sich. Hiemit vereinigte sich noch die zum Theil schon eingeführte neue Rechnungsmethode, welche den allgemeinen Aufstand, den Hass und das Missvergnügen der Rechnungsofficialen um so mehr erweckte, da deren Eigenliebe notwendig beschädigt werden musste, dass sie nach langjährigen Dienstjahren erst was Neues erlernen und unter einer strengeren Aufsicht stehen sollten.«; Kaunitz, Vortrag, 10.10.1765, in: Beer, Finanzverwaltung, 1894, S. 270, Fußnote 1. Ludwig Zinzendorf, Anmerkungen über den sechsten Punkt der wegen des festgesezten neuen Einrichtung der Finanz-Stellen den 4ten May 1765 herabgelangten allerhöchsten Hand-Billettes, die Ausübung der controle der Rechenkammer betreffend, HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2, fol. 285–290.

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bis über den Widerspruch bzw die Sachlage die allerhöchste Entscheidung getroffen wurde.40 Die ›wesentliche und wahre Verbesserung‹ wären abgekürzte Kommunikationswege, die die Arbeit zwischen Rechenkammer und administrierenden Stellen direkter gestalten und erleichtern würden.41 In der Regierung waren die Meinungen über die Methoden der Rechenkammer gespalten. Eine außerordentliche Kommission unter dem Vorsitz von Kaunitz, die im Mai 1765 tagte, befürwortete die generelle Einführung der neuen Rechnungsmethode. Sie lehnte jedoch zugleich die Unterordnung der ständischen Buchhaltereien unter die Rechenkammer ab. Die Kommissionsmitglieder bezweifelten, dass es dem Hofe zustand, eigenmächtig Rechnungskontrolleure für das ständische Vermögen zu ernennen, die von den Ständen selbst zu bezahlen wären. Zinzendorf hatte zudem mit Nachdruck gefordert, dass, aufgrund von Missständen, die Rechenkammer auch die Kontrolle über die unabhängige ungarische Buchhalterei erhalten solle.42 Generell wurde der Ton von Zinzendorfs Kritikern zunehmend schärfer. Sie bemühten sich nicht nur, den Wirkungskreis der Rechenkammer immer stärker zu beschränken, sondern stellten auch Zinzendorfs Finanzsystem insgesamt in Frage. Sie forderten pauschal eine Rückkehr zum »alten Finanzsystem«.43 Dies jedoch, so meinte Zinzendorf, ohne genau verstanden zu haben, was genau dies war. Als Antwort auf die Angriffe verfasste Zinzendorf 1765 eine vergleichende Analyse zwischen dem »alten« und seinem neuen Finanzsystem.44 Er unterstrich dabei vier grundsätzliche Punkte: erstens, dass sein System nichts radikal Neues sei, sondern auf dem alten aufbaue; zweitens, dass im alten System Grundsätze missachtet worden seien, die sehr große Missbräuche hervorgerufen hätten; drittens, dass sein Finanzsystem den Staat vor dem finanziellen »Untergang« gerettet habe; und viertens, »dass die rechen-cammer und die derselben anvertraute controle générale das einzige und wahre mittel sey, der einschleichung aller mißbräuche auf beständig vorzubeugen«.45 Die Bezeichnung »altes System«, erklärte Zinzendorf, verlange die Unterscheidung zwischen dem System Karls VI., des Vaters Maria Theresias, 40 41 42 43 44 45

Ebd., fol. 285–286. Ebd., fol. 289. Beer, Finanzverwaltung, 1894, S. 269; siehe auch Dickson, Finance and Government, Bd. 1, 1987, S. 245f. Ludwig Zinzendorf, Vergleichung des alten und neuen Finanz-sistems, 11.4.1765; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2c, fol. 85–108, hier fol. 85. Ebd., fol. 85–108. Ebd., fol. 107–108.

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das von 1717 bis 1745 in Kraft gewesen sei, und den Verwaltungsreformen, die 1748 von Friedrich Wilhelm von Haugwitz (1702–1765) initiiert worden seien. Die Grundsätze der Finanzsysteme von Zinzendorf und Karl VI. waren ähnlich. Die Hofkammer und die Bankalität waren unter Maria Theresias Vater gleichgestellt. Sie kontrollierten sich gegenseitig und sollten im Kreditwesen gemeinsam vorgehen. Die Hofkammer verwaltete sämtliche Gefälle; die Bankalität wiederum war für das Kassenwesen, die oberste Rechnungskontrolle und den Staatskredit verantwortlich. In der Praxis jedoch, so Zinzendorf, seien alle lokalen Buchhaltereien der Hofkammer untergeordnet gewesen, sodass sie weiterhin die Rechnungskontrolle ausgeübt habe. Wollte man die Hofkammer damals mit Zinzendorfs System vergleichen, so war sie sowohl verwaltende Stelle als auch Rechenkammer. Seit 1716 gab es mit der Finanzkonferenz eine neue Stelle, die der Hofkammer und der Bankalität übergeordnet war. Die Finanzkonferenz als beratendes Organ sollte den Monarchen in Finanzangelegenheiten unterstützen und Konflikte zwischen der Hofkammer und der Bankalität lösen.46 Für Zinzendorf waren daher die Grundsätze des alten Systems nicht falsch. Die Ausführung sei jedoch erschreckend schlecht gewesen. Zinzendorf führte Beispiele an, die verdeutlichten, dass die damalige Finanzverfassung kein gutes Vorbild für die heutige Zeit sein könne.47

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Ebd., fol. 85–87. Für Zinzendorf waren vier Beispiele bezeichnend: Erstens, die Wiener Stadtbank sei nicht in das alte Finanzsystem eingegliedert gewesen. Damit habe weder die Hofkammer noch die Bankalität Einblick in ihre Arbeit gehabt; der Monarch habe daher unmöglich Kenntnis über die gesamten Einkünfte und Ausgaben des Staates haben können. Zweitens gebe es bei der Kontribution, die die wichtigste Einnahmequelle des Staates darstelle, eine beträchtliche Misswirtschaft. Der Staat habe weder Überblick noch Kontrolle über die Zahlungen an das Heer. Die Gelder, die hierfür vorgesehen seien, flössen nicht in die Kassen der Bankalität, sondern würden von den Ländern direkt an die einzelnen Regimenter überwiesen. Soldaten erhielten weniger Besoldung, als ihnen zustehe, oder erhielten ihren Sold erst mit großer Verspätung. Den Unmut darüber habe die Zivilbevölkerung zu erdulden, die sich mit Übergriffen von Soldaten konfrontiert sehe. Die Länder hätten hohe Domestikal-Schulden aufgenommen, um die Kontributionsvorschreibungen der Regierung, die sie für viel zu hoch erachteten, leisten zu können: Der dritte Kritikpunkt galt der generellen Unwissenheit über das

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Die zweite Epoche des alten Finanzsystems habe begonnen, als Maria Theresia 1745 die Bankalität aufhob.48 Die richtigen Grundsätze des Finanzsystems ihres Vaters seien dadurch verworfen worden, da mit der Bankalität jene Stelle aufgelöst worden sei, in der Rechnungs- und Kassenwesen angesiedelt gewesen seien. Für Zinzendorf bedeutete dies einen Rückschritt in der Finanzverwaltung. Der Dualismus aus Bankalität und Hofkammer wurde auf drei Stellen aufgeteilt, ohne jedoch ein gemeinsames Zentrum zu schaffen.49 Die effektiven Reformen von Haugwitz 1748, mit der Errichtung des Directoriums in publicis et cameralibus, konnten diese Missstände aber schnell beheben.50

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Kreditwesen. Obwohl die Monarchie zu dieser Zeit mehr Ländereien und ein kleineres Heer als heute gehabt habe, habe es einen chronischen Geldmangel gegeben. Dieser sei ausschlaggebend für den Verlust des Krieges von 1733 gewesen, da der Staat sich damals gezwungen gesehen habe, teure Finanzierungen über Kredit-Wechsel aufzunehmen. Das vierte Beispiel betraf die Unwissenheit in Bezug auf das Rechnungswesen. Die Bücher der Bankalität, die bis zum Jahre 1727 reichten, hätten nur dem »Schein nach« eine doppelte Buchhaltung gehabt. Sie seien allesamt so fehlerhaft geführt worden, dass kein einziges sachgemäß habe abgeschlossen werden können. Somit sei auch nicht ersichtlich gewesen, ob der Staat Überschüsse oder Verluste erwirtschaftet habe; ebd., fol. 87–91. Für einen guten Überblick zur Bankalität, die schon 1723 auf die Funktion einer einfachen Staatskasse reduziert worden war, siehe Winkelbauer, Banco del Giro, 2019, S. 949–952 (Unterkapitel »Die Universalbankalität und die Geheime Finanzkonferenz«). Es gab drei voneinander unabhängige Behörden – die Hofkammer für die Militär- und Kameralkassa, ein »Hofkolleg« für das Münz- und Bergwesen und die Stadtbank –, die eigenständig administrierten und sich auch selber kontrollierten; Ludwig Zinzendorf, Vergleichung des alten und neuen Finanz-sistems, 11.4.1765; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2c, fol. 91–93. Die Kontributionszahlungen wurden nicht nur fast verdoppelt, sondern gelangten endlich auch zu ihrer richtigen Verwendung in die Kriegskassen. Der Staat war nun in der Lage, seine Truppen rechtzeitig zu bezahlen. Die militärische Disziplin konnte erneuert werden, und es gab keine Übergriffe mehr auf die Zivilbevölkerung. Haugwitz beendete auch die willkürlichen Kontributionsvorschreibungen und die Aufnahme von neuen Domestikalschulden durch die Stände. Die Reformen setzten das kamerale und ständische Schuldenwesen neu auf. Auch im Rechnungswesen gab es wichtige Erneuerungen: Mit der Errichtung der monatlichen Haupt-Landes-Kasse-Extrakten konnten Einnahmen und Ausgaben jedes Monats nachverfolgt werden; die »Erogations-Tabellen« erlaubten es, auf die Ausgaben des bevorstehenden Monats zu schließen, und mit dem am Jahresanfang zu verfassenden »Präliminar-Systemal Entwürfe« gab es eine neue Budgetregelung, bei der die Länder ihre gesamten Militär-, Kame-

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Gleichzeitig, bemerkte Zinzendorf, sei es Haugwitz jedoch nicht möglich gewesen, das Verwaltungssystem von Karl VI. mit drei Finanzbehörden neu umzusetzen. Einzelne Minister stemmten sich dagegen und wollten ihren Einfluss ausweiten.51 Sie arbeiteten autonom und verdeckt, sodass die wahren Zustände bei den Behörden für Außenstehende ein »Geheimniß« waren. Der Kaiser übertrug zudem die Sistemal-Schulden-Kassa in private Hände.52 Ohne controle général war die Tür für Missbräuche weit geöffnet, und mit geteilten Kassen, also ohne Generalkasse, ging dem Staat finanzielle Effizienz verloren. Niemand in der Monarchie, meinte Zinzendorf, sei in der Lage, die Finanzen als Gesamtes zu übersehen. Es sei somit auch unmöglich, ein richtiges Urteil über die Finanzkraft des Staates zu treffen.53 Die Mängel im System kamen durch die eklatanten Fehlentwicklungen bei der Stadtbank stärker ans Licht. Die Bank konnte für jede neue Verbindlichkeit, die sie für den Staat aufnahm, von ihm eine Hypothek fordern und sie eigenständig verwalten. Zugleich verlangte sie vom Staat Einlagen aus Steuereinnahmen, die die Zins- und Kapitalrückzahlungen der übernommenen Schulden überstiegen hatten. Die Bank konnte sich damit ein erhebliches Kapitalpolster verschaffen, das sich, ungeachtet des für den Staat übernommenen Schuldenstands, nicht verringerte. Nach und nach übernahm die Bank auch alle Kameraleinkünfte, die sie, zum Teil durch bessere Verwaltung, vermehren konnte. Die Fehler im System wurden 1761 augenscheinlich, als, in einem für den Staat sehr kritischen Stadium, aufgrund hoher Kriegsausgaben und des Verlusts von Ländereien, die Stadtbank sich weigerte, der Regierung Liquidität zur Verfügung zu stellen. Das, so Zinzendorf, sei der Anstoß für

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ral- und Lokalausgaben auszuweisen hatten und gleichzeitig dafür ihre vorhandenen Bedeckungsfonds anführen mussten; ebd., fol. 93–94. Zinzendorf führte aus, dass Karl Ferdinand Graf von Königsegg-Erps aus dem Kupferamt einen neuen Kredit Fond gemacht und nach dem Tod von Graf Dietrichstein auch die Hofkammer in seine Kontrolle gezogen habe; Franz Ludwig Graf von Sallaburg das Kriegskommissariat zu einer unmittelbaren Hof-Stelle aufgewertet habe; und Graf Rudolf Chotek als Präsident der Ministerial-Banco-Deputation/Stadtbank darum gekämpft habe, ihre Unabhängigkeit zu behaupten; ebd., fol. 95. Die Hauptschuldenkasse wurde vom Kaiser kontrolliert. Zu ihren Arbeiten und ihrer Struktur siehe Dickson, Finance and Government, Bd. 2, 1987, S. 25–29. Ludwig Zinzendorf, Vergleichung des alten und neuen Finanz-sistems, 11.4.1765; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2c, fol. 96.

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die Errichtung seines Finanzsystems gewesen.54 Obwohl es letztendlich nicht genauso umgesetzt worden sei, wie es von ihm gewünscht gewesen sei, erklärte Zinzendorf, bestehe kein Zweifel, dass es »die Monarchie in gedachten gefährlichen Zeiten gerettet habe«. Mit geeinten Kräften – den Geldreserven der Bank und den neuen Papieren, die von der Ständischen Kreditdeputation 1761 ausgegeben wurden und in allen Kassen angenommen wurden – konnte der Staat die finanziell fordernden Jahre 1762 und 1763 meistern. Es ist der Rechenkammer zuzuschreiben, dass es nach dem Kriegsende 1763 zu keinem Staatsbankrott kam: Nach genauer Durchsicht der Bücher fand sie anstatt eines Fehlbetrages einen Überschuss von 4,5 Mio. fl.55 Der erhebliche Nutzen seines neuen Finanzsystems, unterstrich Zinzendorf, sei die controle général durch die Rechenkammer und ihre neue Rechnungsmethode.56 Am Ende seines Vortrages war es ihm wichtig, den Einwand zu entkräften, wonach es nicht notwendig gewesen sei, die alten Funktionen zu ersetzen. Die bisherigen Finanzstellen, so der Einwand, hätten eigene Buchhaltereien, die durchweg verlässlich gearbeitet hätten. Zudem habe es in der Hofkammer eine besondere Rechnungskommission gegeben, die die Buchhaltereien geprüft habe. Sie habe im Vergleich zur jetzigen Rechnungskammer einen eingeschränkteren Wirkungskreis gehabt und habe somit gründlicher prüfen können. Zinzendorf entgegnete, dass seine Rechenkammer den Buchhaltereien erlaube, unabhängig und frei zu arbeiten. Die Buchhalterei der Bank sei ein gutes Beispiel dafür: Sie habe über mehrere Jahre vergeblich versucht, ihrer vorgesetzten Stelle, der Buchhalterei der Bankalität, über die Salzmanipulation zu berichten. Die controle général der neuen Rechenkammer erlaube es nun der Buchhalterei, dies offen aufzuzeigen und die Mängel zu beheben. Weiters, erläuterte Zinzendorf, sei das Rechnungswesen in der alten Hofkammer auf eine Vielzahl von Abteilungen aufgeteilt worden, sodass die damalige Rechnungskommission, im Unterschied zur Rechenkammer, keinen wirkungsvollen Mechanismus gehabt habe, das gesamte staatliche Kameralgefälle zu erfassen. Auch die Stadtbank habe seit fast 50 Jahren Wege gefunden, sich der

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Zu Zinzendorfs herber Kritik an der Wiener Stadtbank siehe Adler, Political Economy, 2020, S. 146–152. Die österreichische Währung hier ist der Gulden (»florenus«), abgekürzt »fl.«. Ludwig Zinzendorf, Vergleichung des alten und neuen Finanz-sistems, 11.4.1765; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 2c, fol. 97–101. Siehe dazu unten »Die Arbeit der Rechenkammer«.

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Kontrolle durch die Hofkammer zu entziehen und ihren Status geheim zu halten. Für Zinzendorf war somit die unabhängige Rechenkammer eine wichtige Erneuerung, mit der die Regierung zum ersten Mal gute Kenntnis ihrer gesamten Einnahmen und Ausgaben erlangte.57 Das Jahr 1765 war für Zinzendorf und den Fortbestand der Rechnungskammer wegweisend. Hatzfeld konnte zu diesem Zeitpunkt seine Machtposition in der Regierung entscheidend ausbauen und bekam zur Präsidentschaft der Bankalität auch die Verantwortung für die Hofkammer.58 Es entwickelte sich eine erbitterte Rivalität zwischen ihm und Zinzendorf.59 Mit der Unterstützung durch Joseph II. gelang es Hatzfeld, die Position Zinzendorfs kontinuierlich zu untergraben. Im Dezember 1768 bewirkte er bei Maria Theresia die Einschränkung der ex ante-Kontrolle der Rechenkammer und beantragte dann am 5. Februar 1771 ihre Beseitigung.60 Am 20. Januar 1773 schließlich wurde die Rechenkammer von der Kaiserin aufgehoben und, nach dem Vorbild der niederländischen Chambre des Comptes, durch eine Behörde mit stark geschwächten Kompetenzen unter der Präsidentschaft von Heinrich Auersperg ersetzt.61 Zinzendorf wurde mit einer Abfindung in den Ruhestand geschickt.62

Die Arbeit der Rechenkammer Aus Zinzendorfs Biographie geht klar hervor, dass die Rechenkammer 1766 zu einer bedeutenden Behörde mit breitem Wirkungsfeld wurde. Sie hatte viel Personal: Über 360 Leute arbeiteten in den ihr untergeordneten Buchhaltereien. Der entsprechende Lohnaufwand von über 260.000 fl. war beachtlich. Die

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Ebd., fol. 101–106. Beide Behörden wurden im Januar 1769 zusammengelegt; Winkelbauer, Banco del Giro, 2019, S. 953. Hatzfelds berufliche Ambitionen waren groß: Er beabsichtigte, dem Vorbild von Haugwitz zu folgen und strebte eine Personalunion von Staatskanzler, Hofkammer- und Bankalitätspräsident an; Dickson/Rauscher, Hofkammer, 2019, S. 852. Für eine hilfreiche Auswahl an Aktenstücken zu den heftigen Debatten über die Kompetenzen der Rechenkammer 1765–1774 siehe Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 317–342. Beer, Finanzverwaltung, 1894, S. 271. Das auch war eine Idee Hatzfelds von September 1771; Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/3, 1934, S. 372. Zinzendorf erhielt eine Pension von 2.000 fl. und 30.000 fl., um seine Schulden zu begleichen; Pettenegg, Selbstbiographien, 1879, S. 140–143.

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Agenden der Rechenkammer umfassten neben der Ausarbeitung einer neuen Rechnungsmethode und der controle général auch die Aufarbeitung des beträchtlichen Rechnungsrückstandes, die jährliche Erstellung einer Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben und das Schuldenwesen des Staates sowie die Aufsicht über sämtliche administrierende Stellen in Städten und Ländern.63 Das Bestreben Zinzendorfs, die neue Rechnungsmethode in allen Teilen der Verwaltung, inklusive Stände, einzuführen, war durchaus erfolgreich. Seine Leistung wurde 1764 durch eine hierfür eigens einberufene Regierungskommission anerkannt.64 Mit der Umsetzung der Rechnungsmethode, bei der die doppelte Buchführung der Staatsverrechnung angepasst wurde, hatte Zinzendorf Johann Matthias Puechberg betraut.65 Puechberg hatte sich seine buchhalterischen Kenntnisse in kaufmännischen Betrieben angeeignet und sie auch auf Zinzendorfs niederösterreichischer Herrschaft in Enzersfeld angewendet. Am 30. August 1762 wurde er erster Hauptbuchhalter der Rechenkammer und leitete fortan ihre operative Tätigkeit.66 Seine, wie er selbst sagte, größte Leistung war die Zusammenstellung des aus neun Bänden bestehenden Staatsinventariums für das Jahr 1763.67 Er benötigte ein Jahr, um mit der neuen Rechnungsmethode eine Gesamtübersicht der staatlichen Einnahmen und Ausgaben und der Staatsschuld zu erstellen.68 Seine Berechnungen zeigten, im Unterschied zu dem zuvor verfassten und mangelhaften Universal Summarium, einen Überschuss von fast 5 Mio. fl. und retteten, wie

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Ebd., S. 106. Ebd. Siehe auch Dickson, Finance and Government, Bd. 2, 1987, S. 84. Ludwig Zinzendorf hatte im September 1762 zur Rechnungsmethode eine eigene Ausarbeitung vorgelegt: »Die Verbesserung des gesamten Rechnungswesens in der Monarchie betreffend«. Sie wurde von Walter, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. II/1/1, 1938, S. 337 zitiert, jedoch mit fehlerhafter Quellenangabe. Ich konnte das Original nicht in den HHStA-Beständen finden. Zu Puechbergs Arbeit in der Rechenkammer siehe Mikoletzky, Puechberg, 1961/62. Mikoletzky zitiert darin aus den Memoiren Puechbergs, die sich in der Bibliothek des statistischen Zentralamtes in Wien befanden, aber mittlerweile aus der Bibliothek verschwunden sind. Abschriften der Memoiren befinden sich im Nachlass Zinzendorf: Johan Mathias Puechberg, Memoire über die Hofrechenkammer; HHStA Wien, Nachlass Zinzendorf, HS 10, fol. 1–110. Mikoletzky, Puechberg, 1961/62, S. 139f. Ebd., S. 143. Dickson, Finance and Government, Bd. 2, 1987, S. 83.

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Zinzendorf mehrmals selber unterstrich, die Monarchie vor einem Staatsbankrott.69 Die Arbeit zum Staatsinventarium war jedoch zu umfangreich, um jährlich wiederholt werden zu können. Für 1765 und 1766 gab es einbändige Zusammenfassungen und in den Folgejahren erstellte Puechberg kürzere Staatsinventarien.70 Maria Theresia, so Zinzendorf, wollte die neue Rechnungsmethode in der gesamten Monarchie einführen, sogar wenn dies mit erheblichen Kosten verbunden sei.71 Zinzendorf, sowie auch Puechberg, veröffentlichten zwischen 1762 und 1774 mehrere Bücher über die neuen Rechnungsmethoden. Zinzendorf führte die neuesten Grundsätze für eine verbesserte doppelte Buchhaltung an. Sie bauten auf den Rechnungsmethoden französischer Kaufleute und der Mathematik deutscher Wissenschaftler auf, und Zinzendorf zeigte anhand von mehreren Rechenbeispielen, wie sie auf verschiedene Rechnungsgattungen anzuwenden waren.72 Die Methoden waren auch für die Finanzen des Staates grundlegend.73 Auch Vorlesungen dazu wurden gehalten.74 Das Zielpublikum waren Staatsbeamte. Mit der Zeit wurden zudem Außenstehende auf die fortschrittliche Arbeit von Zinzendorfs Rechenkammer aufmerksam und wollten sie für ein breiteres Publikum propagieren. 69 70

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Siehe z.B. Zinzendorfs Vortrag über das alte und neue Finanzsystem. Dickson, Finance and Government, Bd. 2, 1987, S. 85f. Für die Berechnungen zu Einnahmen und Ausgaben und den Unterschieden zwischen Brutto- und Nettoeinkünften siehe Dickson, Finance and Government, Bd. 2, S. 86–113. Zu den neuen Rechnungsarten siehe Mikoletzky, Puechberg, 1961/62, S. 144–146 und Legay, Beginnings of Public Management, 2009. »Sie wollten die neue Rechnungsart baldmöglichst und noch bei deren Lebzeiten in der ganzen Monarchie eingeführt haben, wenn sich auch die Unkosten auf eine halbe Million belaufen sollten. Am 12. Mai 1769 versicherten Ihre Majestät die Rechenkammer bei Gelegenheit des allerhöchstderselben überreichten sehr wohl verfassten Abschlusses des Staatsschulden-Hauptbuches der vollkommenen Zufriedenheit mit ihrem unermüdeten Eifer.«; Pettenegg, Selbstbiographien, 1879, S. 129. Zinzendorf, Grundsätze der Rechnungswissenschaft, 1774, ÖNB Wien, *48.B.3. Für Details zu Zinzendorfs Büchern über das Rechnungswesen siehe Adler, Political Economy, 2020, S. 244f. Zu Puechbergs Veröffentlichung siehe Mikoletzky, Puechberg, 1961/62, S. 145. Für eine Auswahl von Zinzendorfs Rechnungsentwürfen für die Staatsfinanzen siehe Rationes explicatae et probationes C.R. Camerae aulicae de statu aerarii Austriae a.1762-1773, annexis Mariae Theresiae Imperatricis resolutionibus, formulariis partim typis expressis, aliisque additamentis. Collectio camerae supradictae praeside, comite Zinzendorf, jubente collata; ÖNB Wien, Cod. 14.357. Pettenegg, Selbstbiographien, 1879, S. 142.

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So druckte der deutsche Historiker, Statistiker und aufgeklärte Publizist August Ludwig Schlözer 1782 einen längeren Bericht über die Vorzüge der neuen Buchführung.75 Mit Bezugnahme auf zwei Publikationen über die Finanzoperationen der Rechenkammer und mit Beispielen von Antizipationsrechnungen erläuterte der Verfasser des Beitrages, wie es Puechberg gelungen sei, die Missstände der alten Rechnungsart in den Staatsfinanzen zu beseitigen.76 Am Ende seines Beitrages bemerkte der Verfasser eher überschwänglich: »Die großen Summen, die auf jene Operation gewendet worden, werden immer zu den rümlichsten Ausgaben der österreichischen Monarchie gehören.«77

Die preußische Rechenkammer unter Friedrich Wilhelm I. Die Gründung der unabhängigen preußischen Generalrechenkammer ging auf die Anstrengungen Friedrich Wilhelms I. (1688–1740) zurück, die Finanzen des Staates genau zu kontrollieren und das Militär zu finanzieren. Sein Leitfaden war Sparsamkeit. Er wurde als »Baumeister« bezeichnet, der mit seinen Maßnahmen den wichtigen Grundstein legte, auf dem Preußen seine Vormachtstellung in Europa etablieren konnte.78 Das notwendige Detailwissen hierfür konnte er sich schon als Kronprinz aneignen. Durch Einblick in die Praxis der Staatsgeschäfte seines Vaters Friedrich I. (1657–1713) kannte er die finanziellen Nöte Preußens und auch die vorherrschende verschwenderische Verwaltung am Hofe.79 So bemühte sich Friedrich Wilhelm früh um 75

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Schlözer, Rechnungs-Wesen, 1782. Zu Schlözer siehe Duchhardt/Espenhorst, August Ludwig (von) Schlözer, 2012. Schlözer veröffentlichte auch 1784 und 1785 in der Zeitschrift ›Stats-Anzeigen › einen öffentlichen Streit über die Arbeitsweisen der preußischen Ober-Rechnungskammer im Zusammenhang mit der Kirchenrevision und den Kostenabrechnungen eines Pfarrers; Wittrock, als kontrolliert wurde, 1997, S. 56–59. Die zwei Publikationen waren: Philip Engel Eckstein, Lehre von der Auseinandersetzung im Rechnungswesen, Leipzig 1781, und ders., Ausführliche Erklärungen der dermaligen im Jahr 1770 von der Rechenkammer eingeführten Staatsbuchführung, welche dem über solche ertheilten kurzen Begriffe, zum Nachtrage zu dienen hat, Wien 1772. Aus ihr hatte der Verfasser seine Anmerkungen über die alte und die verbesserte Rechnungsmethode genommen. Die Publikation war jedoch nie in Buchgeschäften erhältlich; Schlözer, Rechnungs-Wesen, 1782, S. 306. Ebd., S. 315. Dorwart, Administrative Reforms, 1953, S. 32f. Ebd.

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eine umfassende administrative Reorganisation des Staates. Die Schaffung einer Rechenkammer war eine seiner ersten Erneuerungen, bald nachdem er 1713 König geworden war. In Anbetracht einer fehlenden Stiftungsurkunde werden in der Literatur verschiedene Daten für die Errichtung der Generalrechenkammer angeführt. Obwohl das am häufigsten genannte Datum der 2. Oktober 1714 ist, gibt es Vermutungen, dass Friedrich Wilhelm schon mehr als ein Jahr zuvor, am 4. März 1713, ganz am Beginn seiner Regierung, mit der Bestellung von Ehrenreich Boguslaw von Creutz (1670–1733) zum »Wirklichen Geheimen Estats- und Kriegesrath« die Rechenkammer ins Leben gerufen hatte.80 Creutz war durchaus geeignet. Er war »sparsam, haushälterisch, knapp, ordnungsliebend, ein Mann der Zahlen, der Etats und der Rechnungen, hart und unnachsichtig, wie die meisten Lieblinge des Königs; aber von jener scharfsichtigen Menschenkenntniß und jenem thätigen Ordnungssinn, welche beide zusammen allein eine Beamtenmaschine in guten Gang bringen können.«81 Vor allem war er durch und durch loyal und dem König ergeben. Er war ein langjähriger Vertrauter Friedrich Wilhelms und sein Privatsekretär als Kronprinz gewesen. In seiner Bestellung zum »Wirklichen Geheimen Rath« sprach der König ihm sein ganzes Vertrauen aus und bestärkte ihn, in Geheimen Ratsversammlungen seine Meinung offen zu äußern. Er ernannte Creutz zum Generalkontrolleur der Finanzen und übertrug ihm die Aufsicht über alle Kassen, also sowohl der Militär- als auch der Zivilkassen. Creutz war für die Vorab-Kontrolle außerordentlicher Ausgaben und die nachträgliche Kontrolle der Rechnungen der Kassen verantwortlich. Bei Unrichtigkeiten oder Unklarheiten hatte er alle Freiheiten, von den Kassen Erklärungen und Richtigstellungen zu verlangen. Bei der Rechnungsabnahme vertrat er den

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Über den 2. Oktober 1714 als Errichtungsdatum siehe ebd., S. 158; auch Hertel, OberRechnungskammer, 1884, S. 9 und dort Fußnote 3. Hertels Buch bietet im Wesentlichen eine Sammlung von Originalurkunden ab dem Jahre 1714 und basiert zu einem wichtigen Teil auf Roden, Historisch chronologische Beschreibung, 1781. Roden wurde unter Friedrich II. im Mai 1768 Präsident der Oberrechnungskammer. Zu Roden siehe auch weiter unten. Zu einer detaillierten Diskussion über das genaue Datum der Errichtung der Ober-Rechnungskammer und den Hinweisen, dass die Gründung schon 1713 erfolgt sei, siehe Haase, Errichtung, 1922, S. 3–25. Zu Mutmaßungen, dass es bei der Errichtung eine schriftliche Instruktion gab, deren genauer Wortlaut jedoch unbekannt ist, siehe ebd., S. 25–27. Schmoller, Beamtenstand, 1870, S. 156.

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König als »Commissarius perpetuus«.82 Die Verbindung der uneingeschränkten Aufsicht über alle Kassen mit der Rolle des »Commissarius perpetuus« bedeutet, dass schon ab März 1713 Creutz offensichtlich Leiter und Präsident der neuen preußischen Ober-Rechnungskammer wurde.83 Die Ober-Rechnungskammer vereinheitlichte das preußische Rechnungswesen. Sie war ein unabhängiges Kontrollorgan und nur dem König unterstellt.84 Der Historiker Hans Haase, der mutmaßte, dass die erste Instruktion zeitgleich mit der Ernennung von Creutz zum Generalkontrolleur erlassen wurde, unternahm den Versuch, die Aufgaben der neuen Behörde aus den Quellen der Acta Borussica zu rekonstruieren: Die Ober-Rechnungskammer war ein selbständiges Kolleg. Es hatte für sorgfältige und rechtzeitige Rechnungslegung der Zivil- und Militärkassen zu sorgen und deren Ausgaben auf Angemessenheit zu überprüfen. Gleiche Grundsätze mussten für beide Kassen angewendet werden: Keine der beiden durfte bevorzugt werden. Die Rechnungen mussten sorgfältig und auf ihre Vollständigkeit geprüft werden. Die Einzelrechnungen wurden von den Provinzialbehörden geprüft und an die OberRechnungskammer gesendet. Letztere vollzog die Oberprüfung und erstattete darüber dem König Bericht. Die Provinzen waren aufgefordert, die OberRechnungskammer vollends zu unterstützen und ihr Berichte über ihre Arbeiten zuzusenden. Das Arbeitspensum war hoch. Alle Rechnungen sollten innerhalb von vier Wochen nach dem Jahresabschluss geprüft werden, um dem König die Kontrolle der Verwaltung und ein überschaubares Kassenwesen zu ermöglichen. Eine Registerführung über die eingegangenen Rechnungen sollte das fristgerechte Arbeiten erleichtern.85 Die Ober-Rechnungskammer hatte nicht nur eine ex post-Aufgabe. Sie erhielt vom König auch eine erweiterte Funktion als beratendes Organ. So war sie zum Beispiel in die Erstellung der Etats der Provinzen eingebunden und 82

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Friedrich Wilhelm I., Bestallung des Geheimen Kammerraths von Creutz zum Wirklichen Geheimen Etats- und Kriegsrath und Generalkontrolleur von allen Kassen, in: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 1, 1894, S. 322–324; auch abgedruckt in: Haase, Errichtung, 1922, S. 53f. Haase versucht am Schluss seines detaillierten Aufsatzes auch zu rekonstruieren, inwieweit die Instruktion den Vorbildern anderer Staaten – Niederlande, England, Frankreich oder Sachsen – entsprach; ebd., S. 48–52. Ordnung Friedrich Wilhelms I. für das Generaldirektorium, Berlin, 16.6.1717, gedr. in: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 3, 1901, Nr. 280, S. 575–651. Haase, Errichtung, 1922, S. 31–75. Haases Rekonstruktion der Instruktion umfasste elf Paragraphen; ebd., S. 44–48.

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sollte sie begutachten.86 Die Instruktion vom 20. Dezember 1722 dehnte den Beratungsauftrag weiter aus und verlangte, dass die Minister die Ober-Rechnungskammer aufsuchten, um dort gemeinsam das Budget zu besprechen. Es war eine umfassende Diskussion des Etats vorgesehen, bei der sämtliche Planzahlen erörtert werden sollten.87 Die Meinungen und die Erfahrung der Räte der Ober-Rechnungskammer waren gefragt, um finanzielle Risiken früh zu erkennen und etwaige Schäden für den Staat abzuwenden. Kurz nach ihrer Errichtung erhielt die Behörde ein eigenes Gebäude mit Diensträumen. Das Personal unter von Creutz wurde nach und nach aufgestockt und bis 1717 um 14 Räte vermehrt.88 Sie kamen zum überwiegenden Teil aus bürgerlichen Verhältnissen.89 Creutz selbst stammte aus einfachen Verhältnissen und wurde 1708 geadelt. Die ständische Herkunft der Beamten war sekundär. In der Ober-Rechnungskammer, wie in der übrigen Verwaltung Friedrich Wilhelms I., zählten die Fähigkeiten. Es galt das Leistungsprinzip. So gelang es, mittels sorgfältiger Auswahl ein engagiertes und gut eingespieltes Team zu bilden, das profunde Kenntnisse im Rechnungswesen besaß. Für den deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts Siegfried Isaacson war die Ober-Rechnungskammer zwischen 1717 und 1723 ein intellektuelles »Powerhouse« an Finanzwissen: »Vielleicht nie vorher war in einer preußischen Kontrolbehörde dieser Art so viel Sachkunde, praktisches Geschick und Diensteifer vereint gewesen, wie in der Ober-Rechnungskammer um das Jahr 1722. Männer wie Creutz, Wenzel, Schöning, Kühtze, Mancke, Herold, Hille und Bötticher sehen wir hier einträchtig miteinander arbeiten, sie alle von der Pike auf gediente Männer, die ihr Emporkommen nur der eignen Thätigkeit, der eignen Initiative zu Reformen und Neuorganisation verdanken. Männer, die zur Hälfte, sei es als Auditeurs oder Zahlmeister, ihre Schule im Heer gemacht und sich dort mit denselben Ideen von Sparsamkeit, Ordnung, Klarheit, energischer Reform durchdrungen hatten, die den König erfüllten. 86 87

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Ebd., S. 41; Bestallung Schraders zum Magdeburgischen Landrentmeister, Berlin, 4.1.1720; ebd., Anlage 33, S. 64. Es handelt sich um die Instruktion, mit der das General-Finanz-Direktorium mit dem General-Kriegs-Kommissariat zusammengelegt wurde. Ordnung Friedrich Wilhelms I. für das Generaldirektorium, Berlin, 16.6.1717, gedr. in: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 3, 1901, Nr. 280, S. 575–651. Alle fünf dirigierenden Minister sollten sich in die Ober-Rechnungskammer begeben, um dort den Etat nochmals durchzugehen; Haase, Errichtung, 1922, S. 43f. Isaacsohn, Beamtenthum, 1884, S. 111. Schmoller, Beamtenstand, 1870, S. 163.

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Ihnen und ihren Gehilfen verdanken die preußischen Finanzen ihre Stetigkeit und Übersichtlichkeit.«90 Die Maßnahmen waren erfolgreich. Das gut eingeführte System der Kontrolle führte in der Verwaltung zu einem disziplinierten Umgang mit Ausgaben. Auf der anderen Seite konnten die Einnahmen während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. erheblich gesteigert werden. Domänen-, Steuer- und Abgaben-Einkünfte wurden deutlich vermehrt. Die Ober-Rechnungskammer verfolgte zum Beispiel genau die Entwicklungen der Erträge der Domänenpächter, die sich auf mehr als 3 Millionen Taler pro Jahr verdoppelten.91 Trotz ihrer sorgfältigen Arbeit wurde die Behörde ein Opfer der großen Verwaltungsreorganisation Friedrich Wilhelms. Sie verlor 1723 ihre Unabhängigkeit und wurde als ein Hilfsorgan der neu geschaffenen Zentralbehörde, dem General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänen-Direktorium (kurz Generaldirektorium), unterstellt. Die Ober-Rechnungskammer sollte weiterhin Abrechnungen prüfen, musste aber darüber an das Generaldirektorium berichten. Creutz war nunmehr Teil eines fünfköpfigen Ministerkollegiums, das gemeinsam die Verwaltung Preußens lenkte und als Kollektiv direkt dem König unterstand. Streit und Rivalitäten zwischen dem Kriegskommissariat und der Zivilbehörde, der General-Domänen-Direktion, hatten Friedrich Wilhelm veranlasst, die beiden weitgehend unabhängigen Behörden aufzuheben. Interessanterweise behielt der König in der Instruktion vom 20. Dezember 1722, die er eigenhändig schrieb, die beratende Funktion der General-Rechenkammer u.a. um die Budgets zu prüfen, bei.92 In der Instruktion vom 2. März 1723 wurde jedoch auch das gestrichen. Die gesamte Verwaltung war nun von einer großen ›Super-Behörde‹ getragen, die an den König berichtete. Eine separate unabhängige Rechenkammer, losgelöst vom Generaldirektorium, war mit dieser neuen Struktur nicht mehr vereinbar.93

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Isaacsohn, Beamtenthum, 1884, S. 111f. Über die große Rolle der Militärs in der Zivilverwaltung siehe ebd., S. 22f. Wittrock, Als kontrolliert wurde, 1997, S. 16. Instruktion Friedrich Wilhelms I. für das General-Direktorium, 20.12.1722, Artikel 32, § 8, in: Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 3, 1901, S. 637. Isaacsohn, Beamtenthum, 1884, S. 112f.; auch Hausherr, Verwaltungseinheit und Ressorttrennung, 1953, S. 21.

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Die Rechnungskontrolle unter Friedrich II. Für Friedrich II. (1712–1786), den Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelms I., der 1740 den preußischen Thron bestieg, war das Generaldirektorium zu sklerotisch und ineffizient. Im Finanzbereich fehlte ihm der richtige Überblick über die staatlichen Einnahmen, die sich aus Domänenerträgen, festen Kontributionsabgaben, Steuereinkünften und Regalien zusammensetzten. So waren zum Beispiel die Steuerkassen, an die die Kontributionsabgaben gezahlt wurden, schlecht verwaltet.94 Friedrich wollte Veränderungen und erließ am 20. Mai 1748 für das Generaldirektorium eine neue Instruktion. Als Grundlage diente ihm die Instruktion seines Vaters von 1722, die er eigenhändig, Punkt für Punkt, umarbeitete.95 Fahrlässigkeiten in der finanziellen Verwaltung sowie Trägheit, Unredlichkeit und Unterschlagungen von Geldern durch hohe Beamte bereiteten ihm Sorgen.96 Beamte suchten nach Möglichkeiten, ihre dürftigen Gehälter aufzubessern und sich nach den beiden Schlesischen Kriegen (1740–1742 und 1744–1745) Rücklagen für die wirtschaftlichen Nöte und Teuerungen zu schaffen.97 Auch die Ober-Rechnungskammer war davon betroffen. Vertrauliche Informationen wurden sowohl mündlich als auch schriftlich an Außenstehende weitergegeben und auch verkauft, Budgets und Instruktionen wurden kopiert und unrechtmäßig verteilt. Der König drohte, bei Verstößen hart durchzugreifen und verlangte, um Vertraulichkeit zu wahren, dass alle Arbeiten ausschließlich in den Räumlichkeiten der Rechnungskammer durchgeführt würden, auch um zu verhindern, dass Unterlagen aus dem Gebäude entwendet werden konnten.98

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Isaacsohn, Beamtenthum, 1884, S. 236. Hertel, Ober-Rechnungskammer, 1884, S. 5f., Fußnote 1. Hubatsch, Frederick, 1975, S. 152f. Ein Paradebeispiel für Unterschlagungen war die Entwendung von 46.000 Talern durch Joachim Liebeherr, einen Kriegsrat aus Pommern; ebd., S. 152. Siehe Anderson, War of the Austrian Succession, 1995. Ordre vom 13.11.1746, in: Hertel, Ober-Rechnungskammer, 1884, S. 51–53. Friedrich ließ die Ordre von den alten Ministern unterzeichnen, die schon unter seinem Vater gearbeitet hatten: Adam Otto von Viereck, Franz Wilhelm von Happe, August Friedrich von Boden, Adam Ludwig von Blumenthal. Vgl. auch die Verordnung vom 2. April 1750 an die Ober-Rechnungskammer, in der Friedrich nochmals verlangte, keinen Kontakt mit fremden und verdächtigen Leuten zu pflegen und das Direktorium aufforderte, Dokumente in Schränken zu verschließen; ebd., S. 90.

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Im Zuge der Neuordnung im Frühjahr 1748 wurde die Ober-Rechnungskammer wieder dem König direkt unterstellt, freilich ohne dass ihr Präsident, Joachim Matthias Piper, Mitglied des Generaldirektoriums wurde.99 Als Behörde blieb sie dem Generaldirektorium nachgestellt. Im Gegensatz zu seinem Vater, der durch die Ober-Rechnungskammer Kontrolle ausübte, zog Friedrich es vor, sich mittels gut vorbereiteter Inspektionsreisen über die finanzielle Lage in den Provinzen zu informieren. Obwohl er der Ober-Rechnungskammer nur eine eingeschränktere Aufgabe als Ordnungsorgan für Finanzen zuwies, war sie ein wichtiges Instrument seiner Machtausübung. Mit einer Reihe von Instruktionen bemühte er sich, der Ober-Rechnungskammer wieder eine bessere Arbeitsdisziplin zu verordnen und die Qualität des Berichtswesens zu erhöhen. Er warf ihr jedoch Nachlässigkeit vor.100 Im Frühjahr 1750 forderte er eine prompte Erledigung von Rechnungsabnahme und Revision, das Vier-Augen-Prinzip bei Prüfungen durch Referent und Co-Referent und eine Verlaufskontrolle aller Eingänge, damit nichts übersehen wurde oder liegen blieb. Wichtige Hauptrechnungen sollten in Anwesenheit eines Finanzrates vollständig geprüft und die Inhalte auch verstanden werden. Aufgrund von fehlender Arbeitsdisziplin und Motivation seien genaue Regelungen über Arbeitszeiten notwendig. Das Kolleg sollte außer sonntags täglich am Vormittag zusammenkommen. Ein Nicht-Erscheinen bzw. ein verspätetes Erscheinen ohne Entschuldigung sollte eine Strafe von 50 Talern nach sich ziehen.101 Das war eine gewaltige Summe und etwa der halbe Jahreslohn eines Kalkulators.102 Es konnten auch Strafen über die Kriegs- und Domänen-Kammern verhängt werden, wenn sie Fragen zu ihren Vorjahrsrechnungen nicht beantwortet hatten.103 Die Rechenkammer konnte dies jedoch nicht gut genug umsetzen. Sie erfüllte Friedrichs hohe Erwartungen an selbständiges Arbeiten und Verantwor-

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Isaacsohn, Beamtenthum, 1884, S. 261. Piper war schon seit 1717 als Geheimer Rechnungsrath in der Ober-Rechnungskammer tätig; ebd., S. 111. Nach dem Tode Pipers 1752 wurde Joachim Friedrich Resen sein Nachfolger. Auf Resen folgte 1764 Christian Ludwig von Tieffenbach. 100 Wittrock, Als kontrolliert wurde, 1997, S. 39. 101 Instruktion Friedrichs II. vom 12.5.1750, in: Hertel, Ober-Rechnungskammer, 1884, S. 32–37. 102 Wittrock, Als kontrolliert wurde, 1997, S. 39. 103 Instruktion Friedrich II. vom 12.5.1750, in: Hertel, Ober-Rechnungskammer, 1884, S. 32–37.

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tungsübernahme nicht.104 Auch erzeugten die finanziellen Erfordernisse des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) einen hohen Leistungsdruck. Es gab betrügerische Vorfälle in der Verwaltung, bei denen sich Beamte höhere Gehälter auszahlten.105 Der Krieg hatte ein erhebliches Maß an Zerstörung und wirtschaftlicher Not gebracht und hinterließ tiefe Spuren in Preußen. Er stärkte auch die exekutive Rolle des Königs, der fortan in Eigenregie in seiner Potsdamer Residenz, losgelöst von der Verwaltung in Berlin, die Staatsgeschäfte lenkte. Einen direkten Zugang zum König zu erhalten wurde immer schwieriger. Karl Zinzendorf war einer der ganz wenigen ausländischen Besucher, dem es gelang, 1770 eine Audienz beim König in Potsdam zu erhalten.106 Der Krieg hatte Friedrichs Gesundheit angegriffen und ihn altern lassen: In seiner späteren Regierungszeit bekam er den Spitznamen »alter Fritz«.107 Mit der Ernennung von Johann Rembert Roden zum ersten Präsidenten der Ober-Rechnungskammer im Mai 1768 unterzeichnete Friedrich eine neue Instruktion, deren Bezeichnung »Einrichtungsplan« ihre grundlegende Bedeutung unterstreichen sollte. Sie war umfangreich und umfasste 20 Paragraphen.108 Die Instruktion für die Ober-Rechnungskammer wiederholte die Anweisungen von 1750, vor allem in Bezug auf eine schnelle und genaue Erledigung der Prüfungsarbeiten sowie auf eine straff organisierte tägliche Arbeitseinteilung. Aber auch neue Anweisungen sollten helfen, Arbeiten besser und vor allem noch schneller abzuwickeln: Mit zwei Referenten und in Anwesenheit eines Präsidenten konnten drei und mehr Rechnungen auf einmal abgenommen werden. Räte sollten mit Stichproben von Buchungen helfen, die Fehlerquote zu minimieren. Einnahmen erforderten Belege, die Ausgaben einen Vergleich mit Budgetzahlen, um sie gegebenenfalls kürzen zu können. Der König verlangte ei-

104 Hubatsch, Frederick, 1975, S. 88. 105 In der Verwaltung in Cleve hatten mehr als 60 Beamte ihre Gehälter eigenmächtig verdoppelt sowie Gehälter von anderen unter sich aufgeteilt; siehe Wittrock, Als kontrolliert wurde, 1997, S. 46. 106 Über die logistischen Herausforderungen von Karl Zinzendorfs Besuch bei Friedrich siehe Scott, Eastern Powers, 2001, S. 92–93. Zum Karls Besuch siehe auch die Zusammenfassung unten. 107 Scott, Seven Years War, 2011, S. 426, 429 und 440. Zur Regierung aus dem Kabinett in Potsdam siehe Neugebauer, Kabinett in Potsdam, 1993; dazu auch Hubatsch, Frederick, 1975, Kap. 4–6. Für einen Vergleich mit den Kabinettsfunktionen in Österreich, siehe Neugebauer, Kabinett und geheimer Rat, 1994. 108 Friedrich II., Einrichtungsplan und Instruktion für die Ober-Kriegs- und Domainen-Rechen-Kammer vom 30.5.1768, in: Hertel, Ober-Rechnungskammer, 1884, S. 38–50.

Intellektueller Austausch im Finanzwesen

ne genaue Klassifizierung und Struktur für Buchungen, mit Seitenzahlen und Gliederungen nach Haupt- und Nebenjournalen. Für eine erfolgreiche Durchführung waren »geschickte« und »besonders fleissige« Beamte unumgänglich. Sie sollten entsprechend belohnt und natürlich auch innerhalb des Direktoriums befördert werden. Sie sollten, so der König, nicht nur die Mechanismen der Finanz- und Buchführung verstehen, sondern auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die den Rechnungen zugrunde lagen, beurteilen können. Nebenarbeiten, die Beamte ablenken konnten, waren nicht erlaubt. Diese Instruktion verbesserte jedoch kaum die Arbeitsbedingungen in der Ober-Rechnungskammer. Ihre Diensträume, die ihr seit 1745 zugewiesen wurden, waren düster. Auch die deutliche Personalaufstockung 1768 und der erhöhte Prüfaufwand vermochten den König nicht dazu zu bewegen, die Verhältnisse zu verbessern. Er war auch nicht sonderlich gewillt, die Bezüge der Beamten aufzubessern und erklärte sich erst nach mehrmaliger Intervention des Generaldirektoriums bereit, eingesparte Gehälter neu zu verteilen.109 Im Februar 1770 unterstrich Friedrich in zwei weiteren Instruktionen die Wichtigkeit von zeitnahen Buchungen und umfassender Aufklärung von Fragen im Zusammenhang mit eingegangenen Rechnungen.110 Der Kassenverwalter (Rendant) erhielt eine Geldstrafe, wenn nach dreimaligem Nachfragen die Beantwortung unzureichend und »légèr« blieb.111 Unter Roden verbesserte sich tatsächlich die Arbeitsweise und das Prüfungsvolumen der Ober-Rechnungskammer. Friedrich zollte den Beamten Anerkennung und sprach im Zusammenhang mit diesen Fortschritten von einem »aufgeräumten alten Sauerteig«. Gleichzeitig bestärkte er die Beamten, sich mehr mit den »Materialien der Rechnungen selbst« zu befassen, um die Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen prüfen zu können.112 Hierfür war es wichtig, dass Räte ein fundiertes inhaltliches Verständnis mehrerer wirtschaftlicher Branchen mitbrachten. Es wurden Auswahlkommissionen gebildet, um Räte nach ihren Kompetenzen und Fähigkeiten zielgerichtet auszusuchen.113 Die Räte erhielten die Möglichkeit, sich in Berlin im Rechnungswesen weiterzubilden und das Domänen-

109 Wittrock, Als kontrolliert wurde, 1997, S. 51–54. 110 Instruktion Friedrichs II. vom 13.2.1770, in: Hertel, Ober-Rechnungskammer, 1884, S. 63–71, § 1, S. 68. 111 Ebd., § 9, S. 65. 112 Ebd., § 1, S. 68. 113 Ebd., § 6, § 9, §11, S. 70f.

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sowie das Steuerwesen direkt kennenzulernen. Durch die Fortbildungen sollten sie befähigt werden, Maßnahmen zur Erhöhung der Einnahmen und zur Senkung der Ausgaben eigenständig einzuschätzen. Im Dezember 1774 konnte Roden stolz und zur vollen Zufriedenheit Friedrichs berichten, dass mehr als 10.000 Rechnungssachen erledigt worden und mehr als 24.000 Taler in die Kassen geflossen seien.114 Friedrich förderte die Ober-Rechnungskammer und nutzte sie, um in den Staatsfinanzen für Ordnung zu sorgen. Er wollte mit qualifiziertem Personal und straffen Arbeitsmethoden nicht nur verlässliche rechnerische Prüfungen erreichen, sondern auch eine Bewertung der Wirtschaftlichkeit von getroffenen Maßnahmen erzielen. Sein Vorgehen war hart. Er wollte schnellere und bessere Resultate und wiederholte häufig seine Forderungen nach besserer Ordnung. Er verfolgte ein System aus Strafen und Belohnungen, um den Nachlässigkeiten und Betrügereien von Beamten, die mit Geld umgingen, vorzubeugen. Letztendlich war er jedoch nicht bereit, höhere Gehälter zu bewilligen und die Arbeitsbedingungen in der Ober-Rechnungskammer merklich zu verbessern. Friedrich hatte alle Fäden in der Hand und arbeitete zum Teil an seiner Verwaltung vorbei. So durften seine Ausgaben für die Bauten in Potsdam keiner Kontrolle durch die Ober-Rechnungskammer unterzogen werden, und er wies sein Kabinett an, die Rechnungen hierfür zu vernichten.115

Zusammenfassung Die Rechenkammern von Friedrich Wilhelm I. und Zinzendorf weisen Parallelen auf, die gute Hinweise geben, dass Zinzendorf sich für seine Ideen zur Rechenkammer am Beispiel der preußischen Behörde orientierte. Im Unterschied zu den Verhältnissen in Österreich waren in Preußen die Herrscher selbst die Impulsgeber bei den Reformen. Für Friedrich Wilhelm I. und Zinzendorf war die Ausgangslage ähnlich: Der Ausbau der Strukturen für das stehende Heer hatte einen starken finanziellen Druck auf den Staat erzeugt. Bei Friedrich Wilhelm waren es der Aufbau einer starken Armee, um auf Kriege vorbereitet zu sein, und auch die Verschwendungen am Hofe seines Vaters, bei Zinzendorf die Notwendigkeit, genügend Ressourcen zu 114 115

Wittrock, Als kontrolliert wurde, 1997, S. 42. Ebd., S. 54.

Intellektueller Austausch im Finanzwesen

schaffen, um den Siebenjährigen Krieg und weitere militärische Konflikte finanzieren zu können. In beiden Fällen hatte es an adäquaten Finanzstrukturen gefehlt, die es dem Staat erlaubt hätten, seine finanziellen Möglichkeiten richtig einzuschätzen. Für Zinzendorf wie auch für Friedrich Wilhelm I. war es daher unumgänglich, ein von anderen Stellen unabhängiges Kontrollorgan zu schaffen, das direkt dem Herrscher unterstellt war und die Verwaltung uneingeschränkt prüfen konnte. In Preußen hatte von Creutz als Vertrauter des Königs die Kontrolle über alle Kassen. Zinzendorf und Friedrich Wilhelm I. verfolgten eine effiziente Arbeitsweise zwischen lokalen und zentralen Stellen: Sorgfältig geführte Bücher über Einnahmen und Ausgaben sollten nach gleichem Schema in Städten und Provinzen erstellt werden und von der Rechenkammer zentral auf Vollständigkeit überprüft werden. Grundlegend hierfür war die Etablierung von direkten Kommunikationswegen zwischen führenden Beamten in den Kassen und der Rechnungskammer. Zur Funktion der Nachkontrolle (ex post) kam die wichtige Aufgabe der Vorkontrolle (ex ante) hinzu. Für Zinzendorf wie auch für Friedrich Wilhelm I. war die Rechenkammer ein beratendes Organ. Sie sollte die Gründe von Schwankungen bei Einnahmen und Ausgaben hinterfragen und Gutachten über außerordentliche Aufwendungen vorlegen. Die Rechenkammer war auch in die Budgetplanungen miteinbezogen, um finanzielle Schäden für den Staat zu vermeiden. In beiden Ländern war die unabhängige Rechenkammer eine neue Behörde, die ein Gebäude mit eigenem Personal erhielt. In der Rechenkammer der Habsburgermonarchie mit den ihr untergeordneten Buchhaltereien waren mehr als 300 Beamte tätig. Für Zinzendorf und Friedrich Wilhelm I. waren Kompetenz und eine gute Schulung essentiell. Die Abstammung der Beamten war für beide sekundär, und so holten sie Außenstehende in ihre Behörden. Zinzendorf suchte talentierte, praxis-orientierte Männer, auch aus dem Ausland, die buchhalterische Erfahrungen in kaufmännischen Betrieben gesammelt hatten. Puechberg, der die täglichen Geschäfte der Rechenkammer führte, war hierfür ein gutes Beispiel. Aufgrund seiner profunden Kenntnisse, und obwohl schon 75 Jahre alt, wurde er 1782 von Karl Zinzendorf in die Rechenkammer zurückberufen.116 Auch für Friedrich Wilhelm I. galt das Leistungsprinzip und persönliches Engagement, und er wählte genau aus, um

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Zu Puechbergs beruflichem Werdegang siehe Mikoletzky, Puechberg, 1961/62, S. 139, 141.

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Beamte mit umfassenden Finanzkenntnissen in der Rechenkammer zu vereinen. Im Gegensatz zur österreichischen Behörde gibt es jedoch nur spärliche Angaben darüber, mit welchem Erfolg die Rechnungskammer in Preußen tatsächlich arbeitete. Es gab zudem einen Wissenstransfer in die umgekehrte Richtung, von der Habsburgermonarchie nach Preußen, mit Parallelen zwischen den Instruktionen Friedrichs II. 1768 und 1770 an seine Rechenkammer und den Arbeitsweisen von Zinzendorfs Behörde. Sie deuten darauf hin, meine ich, dass der Preußenkönig gut über die erfolgreichen Rechnungsmethoden der Rechenkammer in Wien Bescheid wusste und versuchte, sie zu emulieren. In den späten 1760er und frühen 1770er Jahren kam es im Rahmen der ersten Teilung Polens zu einer kurzen Periode diplomatischer Annäherung zwischen Preußen und Österreich.117 So reiste Karl Zinzendorf im Sommer 1770 nach Preußen und traf sowohl Friedrichs Staatsminister Ewald Friedrich von Hertzberg als auch den König selbst. Mit Hertzberg führte er in Charlottenburg lange Gespräche über Finanz-, Zoll- und Steuerangelegenheiten, und Friedrich erkundigte sich eingehend bei ihm über die Arbeit seines Halbbruders Ludwig.118 Friedrich kämpfte nämlich in den späten 1760er Jahren weiterhin mit einer für ihn unzulänglichen Finanzverwaltung, während Zinzendorf schon seit mehr als fünf Jahren erfolgreich arbeitete. Friedrich II., wie auch die Rechenkammer in Wien, verfolgten straffe und effiziente Arbeitsweisen mit klaren und einheitlichen Buchungsvorgängen. Er bemühte sich, wie auch Zinzendorf, um hohe Qualität im Berichtswesen und ermutigte Finanzbeamte, sich ein breites wirtschaftliches Verständnis anzueignen, um die Wirtschaftlichkeit von Rechnungen besser beurteilen zu können. Staatswissenschaftler in Deutschland, wie Schlözer, wurden auf die neuen Rechnungsmethoden aus Wien aufmerksam, und es liegt daher sehr nahe, dass auch Friedrich II. und seine Regierung die Publikationen Ludwig Zinzendorfs über das Rechnungswesen kannten. Friedrich, der seine Staatsgeschäfte selbst mit starker Hand führte, war jedoch letztendlich nicht gewillt, gute Arbeitsbedingungen für eine unabhängige Rechenkammer mit weitläufigen Kompetenzen zu schaffen. In der Habsburgermonarchie ist klar ersichtlich, dass die Anwendung der neuen Rechnungsmethode und der doppelten Buchhaltung für die Arbeiten

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Scott, Kaunitz and the Western Powers, 1996, S. 96. Vgl auch Anonym, Memoire, ohne Titel, 1772, auf französisch, über Handel, Wirtschaft und die königliche Bank in Preußen; NÖLA St. Pölten, Karton 40, Archiv Zinzendorf. HHStA Wien, Tagebuch Karl Zinzendorf, 10.8.1770 und 16.8.1770.

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von Zinzendorfs Rechenkammer entscheidend war. Die doppelte Buchhaltung war eine effiziente Technik, um dem Staat die selektive Erfassung von wirtschaftlichen Ereignissen über einen definierten Zeitraum zu ermöglichen und die Zusammenhänge und die Qualität von finanziellen Vorgängen zu beleuchten.119 Maria Theresia unterstütze Zinzendorfs Bestrebungen, sie überall einzuführen. Auch ihr Sohn Joseph II. richtete sein Augenmerk auf die staatliche Rechnungskontrolle und beauftragte 1782 Karl Zinzendorf mit der Ausarbeitung einer verbesserten Rechnungsmethode für alle Provinzen der Habsburgermonarchie, inklusive der österreichischen Niederlande und der Lombardei.120 Im österreichischen Staatsarchiv, Abteilung Finanz und Hofkammerarchiv, finden sich möglichweise weitere lohnende Quellen zur Rechenkammer und ihrer Arbeitsweise. Für Preußen gibt es, meines Wissens nach, keine stichhaltige Literatur zu den Rechnungskammern und den von ihnen angewandten Methoden. Hier dürfte, sofern gutes Archivmaterial vorhanden ist, Potential für neue Forschungen liegen.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. von der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung, Bd. 1–16/2, Berlin 1894Hamburg/Berlin 1982. Hertel, Karl Theodor (Hg.), Die preussische Ober-Rechnungskammer (Rechnungshof des Deutschen Reichs). Ihre Geschichte, Einrichtung und Befugnisse, Berlin 1884. Rationes explicatae et probationes C.R. Camerae aulicae de statu aerarii Austriae a.1762-1773, annexis Mariae Theresiae Imperatricis resolutionibus, formulariis partim typis expressis, aliisque additamentis. Collectio camerae supradictae praeside, comite Zinzendorf, jubente collata [ÖNB: Cod. 14.357].

119 Siehe dazu Vogl, Poetik des ökonomischen Menschen, 2007, S. 548–551. 120 Dickson, Count Karl von Zinzendorf’s »New Accountancy«, 2007.

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Roden, Johann Rembert, Historisch chronologische Beschreibung von der Stiftung des General-Ober-Finanz-Kriegs und Domainen-Direktorii, Berlin 1781. Schlözer, August Ludwig, Rechnungs-Wesen bei der Finanz in Wien, in: August Ludwig Schlözer’s Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts, Heft LV-LX, S. 305–323, Göttingen 1782. Walter, Friedrich, Die österreichische Zentralverwaltung, II. Abtl.: Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749–1848), Bd. 3: Vom Sturz des Directoriums in Publicis et Cameralibus (1760/61) bis zum Ausgang der Regierung Maria Theresias. Aktenstücke, Wien 1934. Zinzendorf, Ludwig, Grundsätze der Rechnungswissenschaft auf das Privatvermögen angewendet, zum Gebrauche der öffentlichen Vorlesungen bei den k.k. Ritterakademien und der Realschule. Erster Theil, Wien 1774 [ÖNB: 48.B.3].

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Intellektueller Austausch im Finanzwesen

Wittrock, Karl, Als kontrolliert wurde, was mit dem Thaler geschah. Unbekanntes aus preußischer Geschichte 1713–1866, Opladen 1997.

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Konfessionelle Pluralität und religiöse Minderheiten in den Ländern der Hohenzollern und Habsburger im 18. Jahrhundert Frank Kleinehagenbrock

Ein zentrales Element der Meistererzählungen von der preußischen wie der österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts ist Toleranz.1 In diesem Zusammenhang wird gerne auf die Toleranzpatente Kaiser Josephs II. verwiesen oder jener berühmte Satz König Friedrichs II. von Preußen zitiert, in dem es heißt, dass »jeder nach Seiner Fasson Selig werden« müsse.2 Aus der Rechtstradition des Heiligen Römischen Reiches heißt Toleranz, dass der werdende Staat der Vormoderne immer mehr das Ziel verfolgte, die Gewissensentscheidung des Einzelnen gegen jeden äußeren Druck anderer gesellschaftlicher Gruppen einschließlich der Kirchen zu schützen.3 Seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 verstärkte sich die Säkularisierung des Rechts, um konkurrierende konfessionelle Ansprüche und auch anderskonfessionelle Übergriffe zu beschränken; darin liegt eine Wurzel der modernen Religionsfreiheit in Deutschland.4 Die auf Joseph II. und Friedrich II. geworfenen Schlaglichter sind jedoch kaum geeignet, die sehr komplexen konfessionellen und religiösen Situationen in den Ländern der Hohenzollern und der Habsburger und die daraus re-

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An dieser Stelle sind nur einige schlaglichtartige Verweise möglich: Zur österreichischen Geschichtsschreibung etwa das ältere Standardwerk von Zöllner, Geschichte Österreichs, 1990, S. 324, mit dem Hinweis auf die Toleranzpolitik als Kern josephinischer Reformen oder zur preußischen Geschichte – in kritischer Perspektive – Münkler, Deutsche, 2015, S. 229. Verfügung an einem Immediat-Bericht des Geistlichen Departements, Berlin, 22.5.1740, in: Lehmann, Preußen, 1881, S. 4. So etwa die kirchenhistorische Perspektive bei Angenendt, Toleranz, 2018, S. 146. Heckel, Religionskonflikt, 2007, S. 33.

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Frank Kleinehagenbrock

sultierenden Probleme und politischen Notwendigkeiten zu erhellen. Darüber hinaus erweist sich auch das Wort Toleranz – hier bereits verengend auf Religionsfreiheit verwendet – bei genauerer Betrachtung als missverständlich: Auf jeden Fall entspricht der heutige Sprachgebrauch nicht zeitgenössischem Verständnis, und es muss stets gefragt werden, was im 18. Jahrhundert gemeint war und ob es damals einen einheitlichen Sprachgebrauch gab.5 Letztlich geht es auch darum, wer tolerant behandelt wurde und wer nicht. Der folgende Problemaufriss möchte genauer hinschauen, worum es den Herrschern der Häuser Habsburg und Hohenzollern eigentlich ging, als sie sich im Jahrhundert der Aufklärung in ihrer Politik den konfessionellen und religiösen Minderheiten in ihren Ländern zuwandten, und ihr Handeln in seit dem 16. Jahrhundert andauernde Entwicklungen einordnen. Was waren die jeweiligen Ausgangslagen für die spezifische Toleranzpolitik in den Ländern der Habsburger und Hohenzollern? Was veränderte sich? Wie entwickelte sich der Toleranzbegriff und welche unterschiedlichen Vorstellungen sind erkennbar? Dabei soll auf knappem Raum eine vergleichende Perspektive eingenommen werden. Die vertiefende Frage nach der gegenseitigen Wahrnehmung der Maßnahmen muss an dieser Stelle unbehandelt bleiben. Ziel ist es zugleich, en passant noch immer wirkmächtige Stereotypen kleindeutschborussischer oder österreichischer Nationalgeschichtsschreibung in den Traditionen des 19. Jahrhunderts zu hinterfragen. Am Ende steht eine grobe Skizze, die viele weitere Fragen aufwerfen und zu weiteren Forschungen anregen möchte.

Dynastische Herrschaft und konfessionelle Vielfalt: zu den strukturellen Voraussetzungen von Toleranzpolitik im 18. Jahrhundert Die Reformationen des 16. Jahrhunderts und die sich anschließenden Konfessionalisierungsprozesse hatten viel länger, als die ältere Forschung glauben machen wollte, uneinheitliche Verhältnisse zur Folge.6 Ein wichtiges Erbe

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Besier, Toleranz, 1990; Niggemann, Toleranz, 2021. An dieser Stelle sei dazu allgemein auf den auf die Zeit bis ins frühe 17. Jahrhundert bezogenen, vergleichenden Überblick von Lecler, Geschichte, 1965, verwiesen. Siehe dazu auch Kleinehagenbrock/Klein, Einführung, 2019, S. 1–6.

Konfessionelle Pluralität und religiöse Minderheiten

der Reformation ist somit nicht nur eine Pluralisierung der christlichen Bekenntnisse, sondern auch die Entwicklung der Fähigkeiten (vor)moderner Gesellschaften, konfessionelle und religiöse Spannungen zu befrieden und integrierend zu wirken. Trotz des Ideals, demzufolge ein Territorium in Hinblick auf das Bekenntnis der Untertanen möglichst homogen sein sollte, gab es überall in Europa konfessionelle oder religiöse Minoritäten, deren Existenzen Konflikte hervorriefen und die Grenzen der Integrationsbereitschaft vor Augen führten7 – so auch in den hier behandelten Gebieten. Diese einzuhegen, musste also ein Anliegen frühmoderner Herrschaft werden, um inneren Frieden zu erlangen. Gleichzeitig konnten diese Konflikte, die nicht selten auch mit sozialen Spannungen einhergingen, jedoch auch für politische Zwecke instrumentalisiert werden.8 Dies gilt insbesondere auch für die Zeit nach dem Westfälischen Frieden von 1648, der lediglich Verfahren zur Konfliktbewältigung zur Verfügung stellte, die konfessionellen Gegensätze und die daraus resultierenden Konflikte jedoch nicht löste sowie das gegenseitige Misstrauen nicht beseitigte.9 Und auch dies ist für die Territorien und Länder, die von den Hohenzollern und den Habsburgern beherrscht wurden, festzustellen. Die dynastischen Mehrfachherrschaften der brandenburgischen Hohenzollern und der Habsburger, für die sich im 18. Jahrhundert immer mehr die Bezeichnungen Preußen und Österreich durchgesetzt haben,10 waren die größten und wichtigsten Player in der Reichspolitik, doch ihre Interessen gingen weit darüber hinaus nach Ostmitteleuropa und Südosteuropa. Dies ist für das hier behandelte Thema von großer Relevanz: Es sind nämlich neben der konfessionellen und religiösen Vielfalt auch die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse – einerseits mit der klaren Unterscheidung der Gebiete innerhalb und außerhalb des Heiligen Römischen Reichs und andererseits die konstitutionellen Sonderstellungen der reichsständischen Territorien der Habsburger und der Hohenzollern – zu beachten.

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Schindling, Nachbarn, 1998; Kleinehagenbrock, Multikonfessionalität, 2019, S. 498–502. Um Beispiele hervorzuheben sei an dieser Stelle lediglich auf zwei verwiesen, den Dresdener Tumult des Jahres 1726 in der Analyse von Leibetseder, Hostie, 2009, und die mediale Inszenierung des Auszugs der Salzburger Protestanten 1731/32 bei Kleinehagenbrock, Konfessionell bedingte Migration, 2014, S. 119–125. Kleinehagenbrock, Erhaltung des Religionsfriedens, 2006, bes. S. 154–156; Westphal, Westfälischer Frieden, 2015, S. 111; Milton u.a., Towards a Westphalia, 2018, S. 82. Zu Mehrfachherrschafen siehe Bosbach, Mehrfachherrschaft, 2005.

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Die Länder des Hauses Habsburg Im 18. Jahrhundert verblieb allein der deutsche Zweig des Hauses Habsburg, das zu Zeiten Karls V. ein Reich regiert hatte, in dem – so das geflügelte Wort – die Sonne niemals unterging.11 Die Ausweitung der habsburgischen Mehrfachherrschaft war indes zu Beginn der Frühen Neuzeit zunächst zu einem gewissen Abschluss gekommen, um dann im 18. Jahrhundert eine neue Dynamik zu entfalten. Nach dem Verlust der Länder der spanischen Krone mit Ausnahme der vormals spanischen Niederlande ganz im Westen des Alten Reiches konzentrierte sich der innerreichische Territorialbesitz vor allem auf den Südosten und den Süden, der jenseits der Reichsgrenze liegende Herrschaftsbereich zu einem geringeren Teil auf Italien, mit der Rückeroberung der von den Osmanen besetzten Gebiete und aufgrund der Teilungen Polens dann zunehmend auf Ostmitteleuropa sowie Südosteuropa. Trotz dieser Expansion, die dem Hause Habsburg neue politische und wirtschaftliche Optionen eröffnete, blieb es doch zutiefst mit der Reichspolitik verwoben.12 Auch wenn das Haus Habsburg katholisch profiliert war, die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches eine Schutzfunktion für die römische Kirche für sich reklamierten und für ihre Territorien im 18. Jahrhundert mit der sogenannten Pietas Austriaca, also katholischen Frömmigkeitsformen, eine einende Klammer besaßen,13 ist vielerorts – zumindest untergründig – eine konfessionell uneinheitliche Situation zu konstatieren.14 Die habsburgischen Erblande konstituierten sich aus dem Erzherzogtum Österreich unter und ob der Enns, dem Herzogtum Steyer, dem Herzogtum Kärnten, dem Herzogtum Krain, der Grafschaft Tirol sowie den vorderösterreichischen und elsässischen Territorien. In all diesen Ländern war die Reformation im Laufe des 16. Jahrhunderts vorgedrungen, und es hatten sich be-

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Zu den von Karl V. beherrschten Territorien im knappen Überblick Körber, Habsburgs europäische Herrschaft, 2002, S. 16–71. Verwiesen sei an dieser Stelle auf Kulenkampff, Österreich, 2005; Rohrschneider, Österreich, 2014. Siehe dazu die einschlägig gewordene Studie von Coreth, Pietas Austriaca, 1982. Als Beispiel für die konkrete Ausformung sei an dieser Stelle lediglich auf Born, Marienund Dreifaltigkeitssäulen, 2013, verwiesen. Ein ganz knapper Überblick über die Konfessionalisierungsprozesse in den habsburgischen Ländern bei Strohmeyer, Habsburger Reiche, 2012, S. 60–62. Verwiesen sei auch auf die Aufzählung von Barton, Toleranz und Toleranzpatente, 1981.

Konfessionelle Pluralität und religiöse Minderheiten

achtliche Teile der Bevölkerung der neuen Lehre zugewandt.15 Trotz erheblichen gegenreformatorischen Drucks gelang es in späterer Zeit nicht, diese vollständig der nachtridentinischen katholischen Konfession zuzuführen, so dass im 18. Jahrhundert verbreitet von Strukturen eines Geheimprotestantismus auszugehen ist.16 Ganz ähnlich sah es zunächst auch in den zum Heiligen Römischen Reich gehörenden Ländern der Krone Böhmens aus, dem Königreich Böhmen und ihren Nebenländern, der Markgrafschaft Mähren und in Schlesien. Gerade in Böhmen hatte es vor den Reformationen des 16. Jahrhunderts mit den Hussiten bereits eine distinkte konfessionelle Gruppe mit eigener Theologie und Liturgie gegeben. Im 16. Jahrhundert traten Lutheraner, aber auch Täufer und Reformierte hinzu. Der gegenreformatorische Druck des Hauses Habsburg nach der Schlacht am Weißen Berge 1620 und dem Erlass der Verneuerten Landesordnung im Jahre 1627 war jedoch extrem groß und nachhaltig.17 Allein in Schlesien gab es vom Prager Frieden von 1635 und vom Westfälischen Frieden von 1648 gesicherte Schutzräume für Protestanten, so in Breslau und in den piastischen Fürstentümern.18 1648 wurden den Protestanten zudem vor den Städten Schweidnitz, Glogau und Jauer Friedenskirchen zugestanden. In der Altranstätter Konvention von 1707 setzte Schweden vor dem Hintergrund von Auslegungsdifferenzen über Bestimmungen des Westfälischen Friedens und von Wien gesteuerter gegenreformatorischer Maßnahmen weitere sechs Gnadenkirchen – in Sagan, Freystadt, Hirschberg, Landeshut, Militsch und Teschen – für schlesische Protestanten durch. Nach dem Sieg gegen die Türken in der Schlacht am Kahlenberg im Jahre 1683 begann die vor allem im 18. Jahrhundert fortschreitende Befreiung der Gebiete des Königreichs Ungarn von der osmanischen Herrschaft. Somit erschlossen sich die Habsburger aufs Neue Gebiete, in denen auch unter der islamischen Herrschaft – zumal unter dem Adel – reformierte und luthe-

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Einen Überblick über die Existenz protestantischer Gemeinden im heutigen Österreich vermittelt Zimmermann, Evangelische Kirche, 1968. Zum Geheimprotestantismus vor allem in den Ländern der Habsburger siehe Herzig, Zwang, 2000, S. 177–212 (mit Literaturangaben zu regionalen Situationen), und Leeb u.a., Staatsmacht und Seelenheil, 2007. Zu dieser spezifischen Konfessionalisierungsgeschichte im Überblick: Machilek, Böhmen, 1989; Prinz, Geschichte, 1993, bes. S. 195–204 und 230–235. Conrads, Schlesiens frühe Neuzeit, 1994, S. 258–269; Bahlcke, Religion und Politik, 1998.

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rische Gemeinden neben der katholischen Kirche Bestand gehabt hatten.19 Die rechtlichen Voraussetzungen im Königreich Ungarn unterschieden sich aber grundlegend von jenen im Heiligen Römischen Reich, es gab »Zonen unterschiedlicher religiöser Rechte« mit unterschiedlichen Möglichkeiten zur öffentlichen Religionsausübung, was an dieser Stelle nicht im Detail dargestellt werden kann.20 Allein in Siebenbürgen war bereits in vorosmanischer Zeit aufgrund des bemerkenswerten Ediktes des Thorenburger Reichstages von 1568 eine Form von Toleranz quasi grundgesetzlich geregelt worden, und zwar nach einem ganz ähnlichem Prinzip wie im Heiligen Römischen Reich für die vier zugelassenen Konfessionen der Reformierten, Lutheraner, Unitarier und Katholiken.21 Mit der ersten Teilung Polens kam zusätzlich am Ende des 18. Jahrhunderts jenes Gebiet unter die Herrschaft der Habsburger, das zum Königreich Galizien geformt wurde.22 Wie überall in Mitteleuropa waren hier – aus heutiger Sicht – nationale, kulturelle und konfessionell-religiöse Grenzen fließend. Hier traf die habsburgische Herrschaft nicht nur auf Katholiken und verschiedene protestantische Denominationen, sondern auch auf orthodoxe Christen und Juden.23 Östlich der Reichsgrenze hatte sich seit dem 16. Jahrhundert ein Raum gebildet, der vermutlich mehr noch als das Alte Reich als multikonfessionell beschrieben werden kann.24 Über die Konfessions- und in Hinblick auf die Juden Religionsverschiedenheit hinaus wurde diese Gemengelage durch ethnische und kulturelle Unterschiede geprägt. Die rechtlichen Grundlagen für die Existenz konfessioneller Gruppen waren, so denn überhaupt gegeben, höchst 19 20

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Koller, Südosteuropa, 2011, S. 254–276. Zur Genese der konfessionellen Situation vgl. Fata, Ungarn, 2000. Das 18. Jahrhundert wird berücksichtigt bei Brandt, Konfessionelle Existenz, 2008, bes. S. 302–310 (Zitat S. 303). Die Komplexität der Situation in Ungarn, übrigens noch verstärkt durch die habsburgische Siedlungspolitik, verdeutlicht der umfängliche Sammelband von Fata/ Schindling, Calvin und Reformiertentum, 2010. Binder, Grundlagen, 1976. Eine essayistische Annäherung bei Davies, Verschwundene Reiche, 2013, S. 485–539. Wie im Brennglas galt dies bis ins 20. Jahrhundert hinein für die Stadt Lemberg: Ther, Chancen und Untergang, 2001; Werdt, Lemberg, 2013. Für die Ukraine allgemein: Plokhy, Tor Europas, 2022, S. 140–154. Dies unterstreicht auch die Aufsatzsammlung von Bahlcke, Konfessionelle Vielfalt, 2020. Auch die Erinnerung an diese komplexe konfessionelle und religiöse Situation Ostmitteleuropas stellt bis heute eine Herausforderung dar; siehe dazu Wünsch, Einleitung, 2013.

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unterschiedlich. Dies stellte eine Herausforderung für die Herrschaft des Hauses Habsburg dar.

Die Länder der Hohenzollern Seit dem 17. Jahrhundert vergrößerten die brandenburgischen Kurfürsten, die erst nach Abschluss des Augsburger Religionsfriedens unzweifelhaft der lutherischen Konfessionspartei im Alten Reich zugetan waren, ihre territoriale Basis.25 Es kamen bis 1614 durch Erbgang zunächst das Herzogtum Kleve sowie die Grafschaften Mark und Ravensberg im Westen hinzu. Wiewohl die Bevölkerung in diesen Gebieten vorwiegend dem lutherischen Bekenntnis zuneigte, war unter den vormaligen Regenten, den Herzögen von Jülich-KleveBerg, eine einheitliche Konfessionalisierung ausgeblieben. Dies hatte zur Folge, dass es dort neben lutherischen auch reformierte und katholische Untertanen gab.26 Im Zuge der Auseinandersetzung um das Erbe der ausgestorbenen Herzogsdynastie, die von reichsweiter Brisanz war und die Gefahr eines Krieges unter Beteiligung des französischen Königs barg, trat der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund, der bei seiner Belehnung als Administrator im Herzogtum Preußen vom polnischen König verpflichtet worden war, katholischen Gottesdienst zu gestatten und in Königsberg eine katholische Kirche zu errichten, zum reformierten Bekenntnis über, womit er sich außerhalb des Augsburger Religionsfriedens von 1555 und gegen den Kaiser stellte. Diese persönliche Entscheidung brachte ihm aber auch Ärger mit seinen Landständen ein, was auch für das Herzogtum Preußen galt, das 1618 im Erbgang zu seinen Herrschaften hinzukam.27 Diese beharrten auf der lutherischen Konfession, sodass das reformierte Bekenntnis in den meisten der vom Kurfürsten regierten Territorien im Wesentlichen Sache des Hofes, der Beamtenschaft beziehungsweise der Universitäten in Frankfurt an der Oder sowie in Duisburg blieb. Gleichwohl wurden etwa am Niederrhein auch der Aufbau und der Ausbau reformierter Gemeinden gefördert. Der Westfälische Friede brachte weitere Gebietszuwächse, nämlich einen Teil des Herzogtums Pommern, die ehemaligen Hochstifte Magdeburg,28

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Siehe dazu noch immer Fix, Territorialgeschichte, 1884. Zum Überblick: Smolinsky, Jülich-Kleve-Berg, 1995; Weber, Konfessionelle Konflikte, 2013, an dieser Stelle bes. S. 71–144. Zum Überblick: Gundermann, Herzogtum Preußen, 1993. Zu Magdeburg im Überblick: Schrader, Magdeburg, 1993.

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Halberstadt und Minden. Auch hier dominierte das Luthertum, doch es gab konfliktträchtige Ausnahmen, die sich nicht aus der konfessionellen Divergenz zum Herrscherhaus ergaben. In Magdeburg und Halberstadt konnten sich aufgrund der Normaljahrsregelung des Westfälischen Friedens 17 katholische Klöster erhalten, die der Kölner Nuntiatur unterstanden und allen Widerständen zum Trotz zu Zentren kleiner katholischer Gemeinden wurden. Anders war es im Jahre 1702, als Kurfürst Friedrich III., zu diesem Zeitpunkt schon König Friedrich I. in Preußen, nach dem Tod Wilhelms III. von Oranien, des niederländischen Generalstatthalters und Königs von England, in den reformiert konfessionalisierten Grafschaften Steinfurt, Tecklenburg und Bentheim die Herrschaft übernahm.29 Allerdings gehörte zu diesem Territorialkomplex aus oranischem Besitz auch die Grafschaft Lingen, ein mehrheitlich katholisch konfessionalisiertes Territorium. Da sie 1648 im Besitz des Hauses Oranien gewesen war, war dort die Anwendung der Regeln des Westfälischen Friedens umstritten. Niederländischerseits betrachtete man die Grafschaft wie die restlichen Niederlande aufgrund des Friedensvertrages mit Spanien vom 18. Januar 1648 als aus dem Reich ausgeschieden, was aber die Reichsinstitutionen nie anerkannt haben. In der Folge stellte die Konfessionspolitik der brandenburgischen Kurfürsten und Könige in Preußen in der Grafschaft Lingen eine besondere Herausforderung dar, an der auch Ansätze für eine Toleranzpolitik erprobt werden konnten. Auch die Annexion Schlesiens durch König Friedrich II. von Preußen brachte ein Gebiet unter hohenzollerische Herrschaft, das zwar vorwiegend von Katholiken besiedelt war, jedoch – wie bereits erwähnt – eine sehr komplexe Konfessionalisierungsgeschichte durchlaufen hatte, die von habsburgischer Politik insbesondere während des Dreißigjährigen Krieges geprägt worden war. Insofern stellte die annektierte Provinz für König Friedrich II. eine besondere Herausforderung dar, weil die konfessionelle Differenz zu seinen übrigen Territorien einschließlich der Privilegierung des reformierten Bekenntnisses durch die Dynastie ein Integrationshemmnis für die Bevölkerung darstellte.30 Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die territorienübergreifenden Herrschaftsstrukturen in den Gebieten der hohenzollerischen Mehrfachherrschaft verdichteten und sich bis zur Mitte des

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Zum Überblick: Rohm/Schindling, Tecklenburg, Bentheim, Steinfurt, Lingen, 1995. Machilek, Schlesien, 1993; Conrads, Schlesiens frühe Neuzeit, 1994, S. 346–379.

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18. Jahrhunderts zu einem Subsystem des Alten Reiches entwickelten.31 Für das Werden des preußischen Staates blieb die Verflechtung in das Alte Reich ein von der älteren Forschung unterschätzter Faktor.32 Selbst die in der Forschung lange eher als immer weniger bedeutsam erachtete lehensrechtliche Bindung an den Kaiser blieb nicht nur formal bestehen,33 die Integration in die Reichsinstitutionen und die Wirksamkeit des Reichsrechts – nicht zuletzt in Konfessionsangelegenheiten – hielten an und blieben ein zu beachtender Faktor der Berliner Politik. Diese tradierten Bindungen der einzelnen hohenzollerischen Territorien standen in Konkurrenz zum innerhohenzollerisch-preußischen Staatswerdungsprozess, der erst 1806 mit dem Ende des Alten Reiches einen formalen Höhepunkt erreichte und dem König von Preußen Souveränität brachte.34 Mit den preußischen Erwerbungen aus den Teilungen Polens kamen schließlich ab 1772 immer mehr Gebiete hinzu,35 die vorwiegend katholisch geprägt und – wie [Ost]Preußen – zuvor nicht Teil des Alten Reiches gewesen waren. Ein Regelwerk wie der Westfälische Friede wurde dort nicht angewandt und seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert war das Land einer gegenreformatorisch-katholischen Konfessionalisierung unterworfen. Dies galt etwa für das Ermland, das dauerhaft bis ins 20. Jahrhundert ein katholischer Teil Ostpreußens blieb.36 In den Ende des 18. Jahrhunderts preußisch gewordenen Gebieten des ehemaligen Königreichs Polen lebten nicht nur Katholiken, sondern auch Juden und christliche Minderheiten wie die Mennoniten, denen der König von Polen die Ansiedlung ermöglicht hat, ebenso gab es deutschsprachige, überwiegend lutherische Bevölkerungsgruppen in den Städten.37 Diese knappe Übersicht verdeutlicht die Ausgangslage für die Toleranzpolitik der Hohenzollern im 18. Jahrhundert. In der brandenburgisch-

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Kleinehagenbrock, Brandenburg-Preußen, 2009. Schenk, Reichspatriotismus, 2020, S. 131. Diesen Problemkomplex erschließt sehr aufschlussreich Schenk, Reichsjustiz, 2013. Gleichwohl ist selbst um 1800 noch zu beachten, dass die integrativen Kräfte innerhalb Preußens an Grenzen stießen und – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – Regionalismen prägend blieben: Neugebauer, Marktbeziehung, 1999. Siehe dazu aus der Perspektive des Alten Reiches Cegielski, Alte Reich, 1988; ferner Michaleski, Polen und Preußen, 1982. Zum Überblick: Poschmann, Königlich Preußen, 1993. Siehe dazu Friedrich, Other Prussia, 2000.

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preußischen Mehrfachherrschaft gab es eine grundsätzliche Divergenz zwischen dem reformierten Bekenntnis der herrschenden Dynastie und den meisten Ständen sowie den überwiegend lutherischen Untertanen und Einwohnern in den einzelnen Territorien. Seit alters gab es mancherorts auch katholische Siedlungsinseln und Gemeinden. Durch den Zuwachs an Gebieten durch Erbschaft und Krieg wuchs aber die Herausforderung, katholisch geprägte Gesellschaften in das Herrschaftsgefüge zu integrieren. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass hinsichtlich der Konfessionen und Religionen in diesen Territorien unterschiedliche Rechtsgrundlagen galten. Der Westfälische Friede fand in der Grafschaft Lingen im Westen keine Anwendung und galt östlich der Reichsgrenze nicht. Paritätsgrundsätze, Normaljahrsregelungen sowie Rechte konfessioneller Minderheiten waren hier nicht durch die Reichsverfassung geschützt, deren Bruch immer vor der Öffentlichkeit des Reiches verhandelt und politisch instrumentalisiert werden konnte.

Toleranz als Nebeneinander zugelassener Konfessionen. Zu den reichsrechtlichen Bedingungen von Toleranzpolitik im 18. Jahrhundert Toleranz, wie sie sich insbesondere im Alten Reich seit den Reformationen des 16. Jahrhunderts entwickelt hat, ging kaum über das Ertragen und Erdulden genau definierter konfessioneller Devianz in einem fest abgesteckten Rahmen hinaus und akzeptierte das anderskonfessionelle Gegenüber, geschweige denn Angehörige anderer Religionen nicht als irgendwie gleichberechtigt.38 Bereits zur Mitte des 16. Jahrhunderts aufkommende Forderungen nach allgemeiner Gewissensfreiheit dienten eher dazu, die eigene Glaubenspraxis abzusichern als die der anderen zu ermöglichen.39 Angesichts der sich abzeichnenden Unmöglichkeit, einen Ausgleich in theologischen Konflikten zu erreichen, war es das Verdienst des Augsburger Religionsfriedens, einen reichsgrundgesetzlich verankerten politisch-juristischen Kompromiss geschaffen zu haben.40

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Kleinehagenbrock, Multikonfessionalität, 2019, S. 486–488; auch Kleinehagenbrock, Ideen, 2007, v.a. S. 417. Heckel, Freiheit, 2013, S. 359f. Zum Augsburger Religionsfrieden hier lediglich der Verweis auf Gotthard, Augsburger Religionsfrieden, 2004.

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Das Alte Reich bildete einen Schutzraum, in dem sich die zugelassenen Konfessionen hinsichtlich ihrer Lehre entfalten und organisatorisch ausformen konnten. Mit dem ius emigrandi säte es trotz aller damit verbundenen praktischen Probleme auch den Samen, aus dem über die folgenden Jahrhunderte in Deutschland die Religionsfreiheit im modernen Sinne sprießen konnte.41 Jedenfalls entwickelte sich der Toleranzbegriff im Alten Reich vom Augsburger Religionsfrieden aus.42 Während 1555 nur zwei Konfessionen, nämlich die katholische und lutherische, zugelassen wurden, trat im Westfälischen Frieden noch das reformierte Bekenntnis hinzu.43 Die Trikonfessionalität des Alten Reiches wurde im Westfälischen Frieden noch durch eine Reihe weiterer Maßnahmen ergänzt, die vor allem darauf zielten, den Status konfessioneller Minderheiten abzusichern. Die Normaljahrsregel, die – mit einigen Ausnahmen – den konfessionellen Besitzstand auf dem Stand des 1. Januars 1624 einfror – hebelte quasi das im Augsburger Religionsfrieden festgelegte ius reformandi des Landesherrn aus. Katholischen oder protestantischen Untertanen in Minderheitenposition wurde das Recht zu Hausgottesdiensten zugestanden. Die Reichsjurisprudenz unterschied darüber hinaus sehr penibel zwischen Hausgottesdiensten, Privatund öffentlichem Gottesdienst.44 Während der Hausgottesdienst abgeschirmt in der Sphäre des Privaten gefeiert werden durfte, wurden für Privatgottesdienste unterschiedliche Grade der Öffnung nach außen zuerkannt, die mitunter auf territorialen Sonderregelungen beruhten. Dazu zählte beispielsweise die Feier von Gottesdiensten in Zweckbauten, die nach außen hin nicht als Kirche erkennbar waren, das Fehlen von Geläuten oder Orgeln, die Festsetzung bestimmter Gottesdienstzeiten etc. Auch wenn der Westfälische Friede ein Diskriminierungsverbot vorsah, blieb dieses System der rechtlich normierten und reichsgrundgesetzlich gesicherten Parität nicht frei von Konflikten, die vor der Reichsöffentlichkeit ausgetragen und propagandistisch begleitet wurden.45 Sie entstanden vor allem dort, wo lutherische Reichsstände zum katholischen Bekenntnis

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Zur Entfaltung individuellen Rechtsschutzes in Gewissensfragen siehe die Analyse eines Fallbeispiels aus dem 18. Jahrhundert bei Kleinehagenbrock, Möglichkeiten, 2011. Siehe dazu Schulze, Pluralisierung, 1998. Siehe zum Folgenden u.a. Schindling, Friedensordnung, 2001; ders., Westfälischer Frieden, 2002; Fritsch, Religiöse Toleranz, 2004, bes. S. 7–12. Moser, Teutsche Religions-Verfassung, 1774, S. 122–138. Siehe hierzu Brachwitz, Autorität, 2011.

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wechselten und im Umfeld ihrer Höfe katholische Gemeinden etablieren wollten. Vor allem im Fränkischen und im Schwäbischen Reichskreis, aber auch entlang des Rheins konnten sich politische Auseinandersetzungen um konkurrierendes Herrschaftsrecht konfessionell aufladen. Und auch die immer mehr Bedeutung erlangende Konkurrenz der Habsburger und Hohenzollern in der Reichspolitik war nicht frei von konfessionellen Spannungen. Die die Reichspolitik im 18. Jahrhundert zunehmend prägende Klientelbildung der Habsburger und Hohenzollern im Reich verlief weitgehend innerhalb konfessioneller Lager. Die hier grob umrissenen Regelungen betrafen jedoch lediglich die drei genannten Konfessionen. Toleranz im Sinne der Reichsgrundgesetze nach 1648 entfaltete sich in der klar normierten Parität des trikonfessionellen Nebeneinanders. Andere christliche Bekenntnisse, die auch aus den Reformationsprozessen seit dem 16. Jahrhundert hervorgegangen sind, wie etwa die Mennoniten, hatten darin keinen Raum zur Ausübung ihres Glaubens. Noch einmal anders war die Rechtslage für nichtchristliche Gruppen, konkret also die Juden. Sie besaßen eine reichsrechtliche Absicherung, die jedoch keineswegs dieselbe Qualität wie jene für Katholiken, Lutheraner und Reformierte besaß.46 Dennoch können sie als rechtlich privilegierte religiöse Minderheit gelten, was freilich nicht von den antijudaistischen Vorurteilen und den daraus resultierenden sozialen und ökonomischen Nachteilen und Ausgrenzungen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft ablenken darf. So bestätigte Kaiser Karl V. den Juden im Heiligen Römischen Reich in einem Privileg des Jahres 1544 alle überkommenen Rechte und Freiheiten sowie den Besitz an Schulen und Synagogen. Die Reichspoliceyordnungen von 1548 und 1577 regelten – wenn auch gekennzeichnet von Vorurteilen – das Zusammenleben von Juden und Christen und ermächtigten die Reichsstände zum Erlass eigener Judenordnungen. Dies eröffnete den Juden auch den Zugang zu den Reichsgerichten. Der Gang vor die Reichsgerichte war den Untertanen der Habsburger und den meisten Untertanen der Hohenzollern aufgrund kurfürstlicher privilegia de non appellando indes verwehrt.47 Dies hemmte auch die Durchsetzung der reichsrechtlichen Bestimmungen in Konfessionsfragen in den habsburgischen und hohenzollerischen Territorien und eröffnete den

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Siehe hierzu (mit Verweisen auf weiterführende Literatur) Kleinehagenbrock, Juden, 2012, S. 206–213. Zu den Grundlagen dieser Entwicklung und zur gründlichen Kontextualisierung vgl. nun Siluk, Juden, 2021. Weitzel, Kampf, 1976, bes. S. 59–87, 137–147.

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Kaisern beziehungsweise den Kurfürsten-Königen Spielräume, die andere Landesherren im Alten Reich nicht hatten oder nur mühsam durchsetzen konnten. Dennoch wirkte sich das Reichsrecht in Konfessionsfragen auf die Toleranzpolitik des 18. Jahrhunderts aus.

Die Toleranz des 18. Jahrhunderts als Ausweitung des Konfessionellen Nebeneinanders Im Folgenden sollen die mit dem Begriff Toleranz verbundenen Maßnahmen in den habsburgischen Ländern und in Brandenburg-Preußen im Mittelpunkt stehen, wobei ein Schwerpunkt auf die 1780er Jahre gelegt wird. Sie sind durchaus unterschiedlich hinsichtlich ihrer Systematik, auch hinsichtlich der spezifischen Ausgangslage in den jeweiligen Herrschaftsbereichen und den unmittelbaren Wirkungen auf die Zeitgenossen. Sie sind jedoch durchaus vergleichbar hinsichtlich ihrer Nachwirkungen in der Historiographie, in der sie in der Regel mit dem Handeln von Monarchen im Zeitalter des sogenannten Aufgeklärten Absolutismus in Verbindung gebracht werden.

Die Toleranzpatente Kaiser Josephs II. Die hier zu betrachtenden Reformen Kaiser Josephs II. erfolgten in mehreren Schritten und nahmen ihren Ausgang im Oktober des Jahres 1781.48 Ein erstes Patent bezog sich auf die habsburgischen Erblande im Alten Reich.49 Hier wurde Angehörigen der im Westfälischen Frieden anerkannten Konfessionen unter Auflagen die Religionsausübung gestattet. Zusätzlich wurde dies noch den nicht unierten Griechisch-Orthodoxen zugestanden.50 Ihnen sollte die Ausübung ihrer Religion ebenso wie den Lutheranern und Reformierten, im österreichischen Kontext in der Regel als Protestanten Augsburger oder Helve48

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Siehe hierzu den knappen Überblick bei Baumgart, Joseph II., 1990, S. 268–271. Ganz wesentlich beziehen sich die folgenden Ausführungen auf die umfängliche Studie von Karniel, Toleranzpolitik, 1985, ohne dass detaillierte Verweise erfolgen. Zu den Inhalten und zur Publikationsgeschichte der im folgenden genannten Toleranzpatente siehe Barton, Toleranzpatent, 1981. Zu den besonderen Situationen der Orthodoxen, die in Serbien, Siebenbürgern und der Bukowina von großer Zahl und Bedeutung waren, siehe Suttner, Toleranzgesetzgebung, 1981. Das Toleranzpatent vom Oktober 1781 zielte vor allem auf die orthodoxe Minderheit in Wien.

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tischer Konfession bezeichnet, in Bethäusern oder Toleranzkirchen möglich sein. Dabei handelte es sich um möglichst nicht zentral gelegene Gebäude, die offiziell nicht als Kirchen bezeichnet wurden und auch nicht so aussehen durften. Das heißt, sie durften weder Turm noch Schmuckfassade haben, die Eingänge sollten nicht straßenseitig sein.51 Voraussetzung zur Errichtung eines solchen Bethauses war das Vorhandensein einer Mindestanzahl von Gläubigen vor Ort. Noch im selben Monat wurde dieses Patent – in angepasster Form – auch in Ungarn erlassen, im November 1781 für Galizien und die habsburgischen Niederlande, einen Monat später auch in Tirol sowie schließlich im Mai 1782 in der Lombardei. Damit wurden auf diese Länder im Grunde erprobte Prinzipien des Reichsrechts übertragen: eine auf drei Konfessionen beschränkte Form der Toleranz sowie Regeln für den Privatgottesdienst für konfessionelle Minderheiten. Trotz der Beschränkungen müssen diese Maßnahmen aus protestantischer Sicht befreiend gewirkt haben. So entstanden in den Folgejahren im gesamten Herrschaftsgebiet der Habsburger über 1.000 protestantische Toleranzgemeinden. Bemerkenswert ist, dass diese Toleranz gegenüber den beiden wichtigsten protestantischen Kirchen ergänzt wurde durch ein zu Beginn des Jahres 1782 erlassenes Patent, das den Juden größere Freiheiten und Sicherheiten geben sollte.52 Auch in diesem Fall bezog sich ein erstes Patent auf Wien und Niederösterreich und wurde dann nach und nach nuanciert auf andere Herrschaften übertragen. In den die Juden betreffenden Patenten ging es nur mittelbar um Fragen der religiösen Toleranz und Gewissenfreiheit. Vielmehr standen wirtschaftliche Fragen wie Berufsausübung oder Grunderwerb im Mittelpunkt. Das Ziel der besseren Integration der Juden in ökonomische Prozesse zeugt vom utilitaristischen Geist dieser Maßnahme, die auch auf kulturellem Gebiet Folgen zeitigte. Schlussendlich wurden im Herbst des Jahres 1785 die Freimaurer legalisiert, d.h. mit Beschränkungen unter kaiserlichen Schutz gestellt.53 Gerade diese letzten Maßnahmen zeugen davon, dass die josephinische Toleranzpolitik mehr war als die Umsetzung von in der Reichsverfassung an-

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Siehe dazu (mit ausführlichen Literaturangaben) Leeb, Josephinische Toleranz, 2013. Zu den Wirkungen siehe Karniel, Auswirkung, 1981. Zu beachten ist, dass es darüber im Alten Reich einen Spezialdiskurs gab: Moser, Duldung, 1776. Er macht deutlich, dass im späten 18. Jahrhundert allgemein über eine Ausweitung von Prinzipien des Westfälischen Friedens nachgedacht wurde.

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gelegten Prinzipien.54 Sie ging darüber hinaus, um Vorteile für den sich entwickelnden Staat zu gewinnen und gleichzeitig die Position des Monarchen zu stärken. Gewissenzwang wurde in diesem Kontext wohl als Hindernis betrachtet, Toleranz in Religionsangelegenheiten hingegen als nützlich.55 Dabei wurde im Kontext des Alten Reiches weniger die Gewissensfreiheit des Einzelnen betont – wie etwa in der angelsächsischen Tradition nach Locke und Hobbes. Vielmehr rückte immer stärker die Notwendigkeit, die Verfolgung religiösen Dissenses zu unterlassen und (freie) Religionsausübung zu schützen, in das Aufgabenportfolio von Monarchen, die die Regelungskompetenz in diesen Angelegenheiten aus ihrem ius circa sacra bezogen.56 An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass der Kaiser die Entfaltungsmöglichkeiten der katholischen Kirche in seinen Ländern beschnitt. Alle Bettelorden und kontemplativen Orden wurden aufgehoben und zugunsten eines Generalreligionsfonds enteignet, aus dem vor allem die Pfarrseelsorge und deren Ausbau finanziert wurde. Die Eingriffe des Herrschers machten auch vor der Gottesdienstordnung und dem Wallfahrtswesen nicht halt, was als rationale Beschränkung von in der katholischen Reform, die zumal in den habsburgischen Ländern als Gegenreformation zu begreifen ist, eingeübten Frömmigkeitspraktiken gesehen werden kann. Sie sind aber auch Ausdruck einer spezifisch katholischen Form der Aufklärung, die die katholische Konfessionskultur neu akzentuieren wollte.57 Während die Maßnahmen zur Beschneidung der Organisation der katholischen Kirche und vor allem der hergebrachten Frömmigkeitspraxis ihrer Gläubigen durchaus unpopulär waren,58 fassen die österreichischen Protestanten die Toleranzpatente Josephs II. bis heute als Ausgangspunkt einer

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Dies kann an dieser Stelle nicht vertieft werden, verwiesen sei aber auf die umfängliche Studie von Schmidt, Bedrohliche Aufklärung, 2020, hier besonders im Resümee S. 453 und 455. Siehe dazu knapp Besier, Toleranz, 1990, S. 506f.; ferner Sohn-Kronthaler, Toleranzgesetzgebung, 2012, S. 127f. Zur gründlichen Kontextualisierung der philosophischen Debatte siehe Fritsch, Religiöse Toleranz, 2004, der nicht zuletzt die wachsende Bedeutung naturrechtlichen Denkens im Blick hat. Weniger überzeugend ist die Kontextualisierung der josephinischen Toleranzpolitik von Kranjc, Problem, 2007. Fritsch, Religiöse Toleranz, 2004, bes. S. 368f. Schindling, Trient, 2016. Siehe dazu die Fallstudien von Schmidt, Daß alles beym Alten bleibet, 2018.

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Entwicklung, die im 19. Jahrhundert unter den Vorzeichen des Liberalismus schließlich zur Anerkennung ihrer kirchlichen Strukturen führte.59

Die Toleranzpolitik König Friedrichs II. und seiner Nachfolger König Friedrich II. zeichnete sich ebenso durch eine sehr reflektierte Politik gegenüber den Konfessionen in seinen Herrschaften aus. Diese wurde genauso durch seine persönliche Distanz zur Religion getragen wie von der aus dem Naturrecht gewonnenen Erkenntnis gespeist, dass sich ein Monarch in Religionsangelegenheiten am besten neutral verhalte: »Ich bin neutral zwischen Rom und Genf«, schrieb er in seinem Politischen Testament von 1752.60 Gleichwohl besaß auch er ein Interesse daran, die Hoheit des werdenden Staates über die Kirche auszubauen. Dies betraf natürlich vor allem die katholische Kirche, da er ja ohnehin als summus episcopus für die protestantischen Kirchen in seinen Herrschaften fungierte. So griff er in der von ihm annektierten Provinz Schlesien durchaus in die Belange der katholischen Kirche ein, in dem er – behutsamer als später Joseph II. – Feiertage reduzierte oder den Zugang zu Klöstern reglementierte. Dabei hatte er grundsätzlich im Breslauer Vertrag von 1742 im Sinne der Integration der durchaus zahlreichen neuen katholischen Untertanen die Erhaltung ihrer Religion im status quo und gleichzeitig volle Gewissenfreiheit für die Provinz zugestanden.61 Hierin liegt ein Balanceakt. Denn die Annexion Schlesiens wurde von konfessionell aufgeheizter Propaganda begleitet. Es mussten einerseits die Erwartungen der schlesischen Protestanten befriedigt werden, die unter dem Eindruck jahrzehntelanger gegenreformatorischer Politik nun eine endgültige Absicherung ihrer Position erwarteten. An sie vor allem richtete sich die Gewährung der Gewissensfreiheit. Andererseits mussten den schlesischen Katholiken sehr rasch Ängste genommen werden. So resümiert Anton Schindling: »Auf der Grundlage erklärter Toleranz und mit dem Instrument des territorialstaatlichen Staatskirchenrechts sollte der katholische Teil Schlesiens in den vergrößerten preußischen Gesamtstaat

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An dieser Stelle sei lediglich verwiesen auf Schwarz, Toleranz zur Religionsfreiheit, 2011. Dietrich, Testamente, 1986, S. 317. Baumgart, Schlesien, 1994, v.a. S. 366–371. Grundlegend wird das Thema behandelt von Bergerhausen, Friedensrecht, 1999.

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eingefügt und von der angestammten Bindung an die katholische Habsburger Monarchie gelöst werden.«62 Sinnbild dieser Politik wurde der Bau der Hedwigs-Kirche in Berlin, eines allein aufgrund seiner Größe repräsentativen Kirchenbaus, der architektonisch Grundsätze einer Privatkirche umsetzte. Er unterschied sich von ähnlich repräsentativen katholischen Kirchenbauten in Residenzstädten protestantischer Territorien, weil er als Einladung an die Katholiken gedacht war – und nicht als Hofkirche deklariert die protestantische Mehrheitsgesellschaft provozierte wie etwa die Hofkirche in Dresden, St. Elisabeth in Kassel oder St. Clemens in Hannover, die infolge von Fürstenkonversionen als Hofkirchen deklariert errichtet wurden.63 Von der praktischen Politik, die vor allem auf die Integration der Katholiken Schlesiens zielte, ist die philosophische Betrachtung von Religion zu trennen. Des Königs Vorbehalte gegen die katholische Kirche an sich kulminierten in ihm mitunter irrational erscheinenden religiösen Praktiken. Darin unterschied er sich kaum von seinen Vorgängern, die freilich daraus noch deutliche Konsequenzen für ihre Politik gezogen hatten. So hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm fraglos eine Politik verfolgt, die auf die Bevorzugung der Reformierten zielte.64 Dabei hatte er wiederholt versucht, die Grenzen zu überschreiten, die ihm der Westfälische Frieden zog, und lutherische Frömmigkeitspraktiken beschnitten. Dies gilt sogar für die sogenannten Toleranzpatente der Jahre 1662 und 1664. Das Neue an der Politik Friedrichs II. gegenüber den schlesischen Katholiken verdeutlicht auch ein Blick auf die 1702 unter die Herrschaft des brandenburgischen Kurfürsten respektive Königs in Preußen gelangte Grafschaft Lingen mit einer deutlichen katholischen Bevölkerungsmehrheit.65 Deren Lage verbesserte sich zwar gegenüber der Zeit der oranischen Herrschaft. 1717 wurde ihnen in Anlehnung an den Westfälischen Frieden, dessen Geltung in der Grafschaft umstritten war, die freie Religionsausübung in Form eines Privatexerzitiums (mit Kirchen, die als solche nicht zu erkennen waren) gewährt. Die Katholiken blieben aber von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, was in der Grafschaft bis in die 1790er Jahre wiederholt zu Konflikten führte. So wird

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Schindling, Friedrichs des Großen Toleranz, 1990, S. 262. Darauf macht Schindling, Friedrich des Großen Toleranz, 1990, S. 270, aufmerksam. Kleinehagenbrock, Friedrich Wilhelm, 2009. Siehe dazu auch Mühling, Große Kurfürst, 2021, S. 507. Dazu sei an dieser Stelle nur auf zwei Aufsätze verwiesen: Höing, Lutheraner, 1975; Seegrün, Katholische Kirche, 1986.

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deutlich, dass Friedrich II. mit konfessionspolitischen Traditionen seiner Dynastie brach, indem er seinen eigenen konfessionellen Eifer zurückstellte, wobei ihm seine religiös indifferente Haltung half, und mittels aus naturrechtlichem Denken gewonnenen Vorstellungen Toleranz als Mittel seiner Herrschaft einsetzte. Dabei galt auch für ihn der Rahmen des Reichsrechts in Konfessionsfragen, der ihm sehr wohl bewusst war und den er zugleich auszudehnen verstand. Gleichwohl fußte seine Toleranzpolitik nicht auf systematischer Gesetzgebung. Diesbezüglich taten sich erst nach seinem Tode Veränderungen auf. Eine neue Stufe der Toleranz in Brandenburg-Preußen wurde unter dem Nachfolger Friedrichs II., Friedrich Wilhelm II., im Juli des Jahres 1788 erreicht. Mit dem Erlass des »Edikts betreffend die Religionsverfassung in den preußischen Staaten [sic!]«, dem sogenannten Woellnerschen Religionsedikt, wurde die reichsgrundgesetzliche Ordnung in Konfessionsfragen ausgedehnt.66 Im Hintergrund standen die Notwendigkeit, nach der ersten Teilung Polens weitere Gebiete mit überwiegend katholischer Bevölkerung zu integrieren, sowie theologisch-philosophische Auseinandersetzungen insbesondere der lutherischen Orthodoxie mit Reformansätzen im Sinne der Aufklärung. Strittig war etwa die strenge Auslegung der Bibel als Gottes Offenbarung in Abgrenzung naturrechtlicher Ansätze wie jenem Christian Wolffs, der eine wortgetreue Auslegung der Bibel infrage stellte. Ausdrücklich wurde in dem Religionsedikt auf jeglichen Gewissenszwang verzichtet. Die drei christlichen Konfessionen wurden nun im Bereich der Herrschaften der Hohenzollern ausdrücklich gleichgestellt. Zugleich wurde die trikonfessionelle Ordnung dadurch erweitert, dass alle bereits in den »Preußischen Staaten« existierenden und irgendwie tolerierten Sekten und Religionsparteien – das betraf neben den bereits hervorgehobenen Mennoniten andere täuferische Gruppen wie die Angehörigen der Herrnhuter Brüdergemeinde und die Böhmischen Brüder vor allem die Juden – ein Bleiberecht erhielten. Diese waren jedoch keineswegs den drei großen Bekenntnissen gleichgestellt. Sie wurden nicht als öffentliche Konfessionen betrachtet, waren lediglich geduldet und ihre Gottesdienste unterstanden landesherrlichem Schutz. Es handelte sich somit um eine abgestufte Toleranz, in der die tradierten paritätischen Prinzipien auf einer niedrigeren

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Siehe dazu knapp Besier, Toleranz, 1990, S. 507–509. Grundlegend dazu die Studie von Wiggermann, Woellner, 2010.

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Stufe auf klar definierte, organisierte religiöse Gruppen angewandt wurden.67 Aber schon das nur sechs Jahre später in Kraft tretende Allgemeine Preußische Landrecht, das subsidiär dort gelten sollte, wo andere, territoriale gesetzliche Regelungen nicht griffen, ging über die Regelungen des Woellnerschen Religionsediktes hinaus, indem es allen Einwohnern Glaubens- und Gewissensfreiheit konzedierte. Der Unterschied zwischen den privilegierten Kirchen und den geduldeten Bekenntnissen mit privater Religionsausübung blieb jedoch bestehen.

Fazit Die konfessionelle und religiöse Pluralität ihrer Territorien stellte die Herrscher der Häuser Habsburg und Hohenzollern im 18. Jahrhundert gleichermaßen vor große Herausforderungen, die im Grunde ab den 1780er Jahren auf ganz ähnliche Weise angegangen wurden. Diese Inhomogenität und die daraus erwachsenden Probleme, auch in regional vergleichenden Analysen, detaillierter zu erforschen ist eine Aufgabe künftiger Forschung. Dabei sind auch jene Räume stärker in den Blick zu nehmen, die jenseits der Grenzen des Alten Reiches lagen. Auf diese Art und Weise verändert sich auch die Perspektive auf die Mehrfachherrschaften der Habsburger und Hohenzollern. Ihre Entwicklung innerhalb und außerhalb des Reiches verlief im 18. Jahrhundert zweifellos in einer eigenen Dynamik, die in der Historiographie seit dem 19. Jahrhundert national vereinnahmt wurde. Durch das Ablegen der Brille des 19. Jahrhunderts können retardierende und alternative Entwicklungslinien genauer betrachtet und neu bewertet werden. In diesem Zusammenhang sind die Rechtstraditionen des Alten Reiches und ihre Bedeutung für das politische Handeln in Wien und Berlin bis 1806 stets im Blick zu behalten.68 Dies gilt zumal für die Beschäftigung mit der Toleranzpolitik der Habsburger und Hohenzollern im 18. Jahrhundert. Selbst aus einer sehr holzschnittartigen Betrachtung, wie hier geschehen, wird deutlich, wie sehr das System der Parität von drei zugelassenen Konfessionen, das andere christliche Denominationen sowie andere Religionen wie das Judentum

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Wolfgang Neugebauer sieht darin einen Bruch mit der Politik Friedrichs II.: Neugebauer, Brandenburg-Preußen, 2009, S. 369. Vgl. dazu auch die Ansätze von Rudolph, Öffentliche Religion, 1981, v.a. S. 248f.

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ausschloss, für die Toleranzpolitik der Habsburger und Hohenzollern hintergründig prägend blieb. Weder im entstehenden Österreich noch im entstehenden Preußen ging es im 18. Jahrhundert um die Konzession einer umfänglichen Gewissensfreiheit, die sich aus den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen ableitete. Vielmehr versuchte der Staat des späten 18. Jahrhunderts auf die Inhomogenität seiner Landesteile und der in ihnen lebenden Gesellschaften zu reagieren. Dabei entwickelte sich auf der Basis der Rechtstradition des Alten Reiches in Konfessionsfragen, angereichert durch naturrechtliche Vorstellungen, die Idee eines geschützten Toleranzraumes mit abgestuften Privilegierungen weiter, in dem sich für den Einzelnen Gewissensfreiheit entwickeln konnte, die allerdings immer von allgemeinen Normen begrenzt erscheint. Diese Entwicklung ist – und das gilt für Preußen und Österreich gleichermaßen – abzugrenzen von Toleranztraditionen, wie sie in England und Frankreich während der Aufklärung entstanden sind. Dabei gilt eigentlich für ganz Europa, dass »toleration remained after 1650 what it always had been, a pragmatic arrangement for the limited accomodation of regrettable realities«.69

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Bildungskonzepte in der Verflechtung Johann Ignaz von Felbiger und seine Ideen in den Reichen der drei schwarzen Adler Jan Kusber

Johann Ignaz von Felbiger (1724–1788) besuchte nie das Russische Imperium. Und doch: Seine Bildungsideen und Konzepte fanden dort fruchtbaren Nährboden, vielleicht sogar einen umfänglicheren als in Schlesien, das bekanntermaßen nach zwei Kriegen in den territorialen Bestand Preußens übergegangen war, oder im Habsburger Reich, in dem er Maria Theresias Wunsch nach einer Bildungsreform umsetzte. Seine Vorstellungen von dem, was ein Untertan an schulischer Bildung zu erlernen hatte und wie er dies zu tun hatte, sollten den aufgeklärten Herrschern und Herrscherinnen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unmittelbar einleuchten. In Preußen, Österreich-Ungarn und in Russland ging es jeweils um die Ausbildung von Untertanen in einer ständisch gegliederten Gesellschaft, die den Schüler – in Russland auch Schülerinnen – mit jenem Wissen ausstatten sollte, das er im Rahmen der ständischen Ordnung benötigte, um seiner Aufgabe in seinem weiteren Leben und damit für den Staat gerecht zu werden. Das Interesse der Herrschenden und ihrer Ratgeber in den drei Reichen war damit ähnlich, die Herangehensweise und die jeweiligen Problemlagen waren jedoch jeweils spezifisch. Vor diesem Hintergrund wurden Felbigers Ideen und Umsetzungsversuche, die aus dem pädagogischen und theologischen Diskurs der Zeit schöpften, zu einem »travelling concept«,1 und es ist damit zugleich ein Beispiel für die Verflechtung Preußens, Österreichs und Russlands, in dessen Mittelpunkt hier die Bildungspolitik Katharinas II. stehen soll. »Der Apfel taugt nichts, bevor er nicht reif ist«, schrieb Katharina II. Anfang Februar 1780 an ihren Briefpartner und Agenten Friedrich Melchior

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Hallet, Transfer, 2012.

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Grimm,2 um ihr langes Nachdenken im Bereich der Bildungsgesetzgebung zu erklären. Nur wenige Monate später, am 25.5.1780, teilte sie Grimm jedoch nach ihrem Treffen mit Kaiser Joseph II. in Mogilev mit, dass sie sich für ein flächendeckendes Schulsystem im Russischen Reich in Form von »Normalschulen« entschieden habe, eine Schulart, die in den Reformen des habsburgischen Schulsystems eingerichtet worden war. Grimm war nicht der einzige, mit dem sie seit 1775 über ihre diesbezüglichen Pläne korrespondiert und gesprochen hatte. Was hatte ihren dann doch relativ raschen Entschluss beflügelt? Zunächst hatte der Physiker Franz Ulrich Theodor Aepinus,3 der seit den frühen 1760er Jahren einen gewissen Einfluss auf Katharina ausübte, ein umfängliches Memorandum vorgelegt, das, wiewohl nicht genau datiert, ihr vor dem Treffen mit Joseph zur Kenntnis gelangt war.4 In dieser Denkschrift hatte Aepinus den Blick der Kaiserin auf das reformierte österreichische Unterrichtswesen gerichtet, sodass Katharina II. bei ihrer Zusammenkunft mit dem österreichischen Herrscher ausführlich über dieses System diskutieren konnte.5 Die Kaiserin zeigte sich von der habsburgischen Schulreform beeindruckt,6 und Joseph bot ihr an, sie mit kundigen Beratern zu unterstützen. Umgehend bat Katharina den Kaiser um die Übersendung von Schulbüchern, aus denen die sogenannte »Normalmethode« für die slavischen Untertanen des Kaisers zu ersehen sei. Joseph kam dieser Bitte unverzüglich nach.7 Unter diesen Schulbüchern befand sich auch das 1776 von Teodor [Fedor] I. Janković de Mirievo kompilierte »Handbuch für die Magister der illyrischen, nicht unierten kleinen Schulen«.8 Zwei Jahre sollte es noch dauern, bis Katharina endgültig entschied, Joseph II. zu bitten, einen in der Organisation von Bildung erfahrenen und

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SIRIO, 1878, S. 173. Aepinus (1724–1802) wurde 1755 aus der Berliner an die Sankt Petersburger Akademie berufen, bald zum Lehrer des Thronfolgers Paul ernannt sowie zum Direktor des Kadettenkorps und zum Mitarbeiter des Kollegiums für Auswärtige Angelegenheiten. Schließlich betätigte er sich in den siebziger und achtziger Jahren wie kein anderes Akademiemitglied als Wissenschaftsorganisator. Zu seiner Biographie siehe Home, Science, 1973, S. 75–94. Tolstoj, Stadtschulen, 1887, S. 12f. Joseph II. unternahm von April bis Juni eine dreimonatige Reise ins Zarenreich; vgl. Donnert u.a., Rußlandreise, 1996. SIRIO, 1878, S. 180f. Helfert, Gründung, 1860, S. 590f. Kusber, Volksbildung, 2004, S. 184.

Bildungskonzepte in der Verflechtung

zugleich orthodoxen, slavischen Untertanen nach Sankt Petersburg zu entsenden. So unmöglich es zu bestimmen ist, ob Grimms, Aepinus’ oder gar Josephs Anregungen letztlich den Ausschlag gegeben haben, das österreichische System für das Zarenreich zu übernehmen, so deutlich wird, dass Katharina gründlich nachdachte, bevor sie zur Tat schritt.9 Die Erfahrungen, die sie seit ihrem Herrschaftsantritt mit Experimenten avancierter, auf der Vervollkommnung des Individuums aufruhender Konzepte gemacht hatte – etwa mit dem Bildungsplan Ivan Beckojs, der Rousseaus Gedankenwelt nach Russland zu übertragen versucht hatte und damit in seinen Erziehungs- und Waisenhäusern ebenso gescheitert war wie mit seiner Reform des Kadettenkorps und den ersten Lehrplänen des adligen Mädcheninstituts im Smo’lnyj –, hatten die Kaiserin vorsichtig werden lassen.10 In dem Ziel, mit der Einrichtung eines flächendeckenden Schulsystems »ein Kleid zu schneidern, dass für alle passt«,11 suchte sie nach einem Modell, das ihrem Pragmatismus und ihren Ambitionen gerecht zu werden versprach. Im Folgenden sollen die Charakteristika dieses auf Felbigers Ideen und Konzepten beruhenden »Normalschulsystems« und seine historischen Wurzeln knapp skizziert werden, um dann die modifizierte Übertragung auf Russland bis hin zum Volksschulstatut von 1786 nachzuzeichnen, mit dem das Russische Imperium ein erstes, dem Anspruch nach, flächendeckendes säkulares Schulsystem erhalten sollte. Zugrunde liegt die Annahme, dass die Reiche der drei Schwarzen Adler, also Preußen, Österreich und Russland, im Rahmen aufgeklärter Herrschaft aus dem gleichen Arsenal an Ideen und Konzepten schöpften und Transfer und Adaption solcher Konzepte im Bereich der Bildung eine Verflechtung mit sich brachten, die klaren Konkurrenzen auf anderen Politikfeldern deutlich widersprachen.12 Das Memorandum des Staatsrates Aepinus, in dessen Kenntnis sich Katharina im Mai 1780 mit Joseph II. in Mogilev traf, skizzierte das in den Habsburger Landen favorisierte dreigliedrige Schulsystem, an dessen Spitze

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SIRIO, 1881, S. 30. Kusber, Katharina, 2021, S. 150–153. Katharina an Voltaire aus Kazan’, 29.5./9.6.1767, in: Schuman, Katharina die Große, 1991, S. 54f.; SIRIO, 1876, S. 204. Ähnlich auch aus Kazan’ an Nikita Panin, in: SIRIO, 1872, S. 206. Etwa im Falle der Konkurrenz der drei schwarzen Adler um die Außensteuerung der polnisch-litauischen Adelsrepublik; siehe dazu Zernack, Polenpolitik, 1974, S. 144–159. Zu Verflechtung und Transfer siehe Kusber, Cultural transfer, 2014.

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die sogenannte Normalschule stand.13 Der Physiker hatte Katharina geraten, auch in ihrem Reich ein solches reichsweites Schulsystem einzuführen, für das nach seiner Auffassung trotz erfolgreich arbeitender Einzelinstitutionen bislang noch zu wenig getan worden sei. Entsprechend dem österreichischen Modell schlug er vor, Trivial- oder Landschulen, Haupt- oder Stadtschulen und schließlich Normalschulen zu gründen, die sowohl organisatorisch als auch vom Lehrplan her ineinandergreifen sollten: Jeder Normalschule sollte eine Haupt- und eine Trivialschule angegliedert sein, jeder Hauptschule eine Trivialschule. Je weiter die Unterrichtung fortgeschritten war, umso vertiefter sollten die Fächer der jeweils vorhergehenden Schulstufe vermittelt werden und neue hinzutreten. Die Normalschule, einzurichten in jeder Provinzhauptstadt, war für die Ausbildung des Lehrpersonals in der eigens dafür vorgesehenen Abschlussklasse verantwortlich. Die Schaffung einheitlich ausgebildeter Schüler und Lehrer war das Ziel der habsburgischen Schulreform, das schon nach außen hin durch die Bezeichnung »Normalschule« (von lateinisch norma – Richtschnur, Regel, Vorschrift) kenntlich gemacht wurde und das Aepinus auch für Russland als unbedingt sinnvoll herausstrich. Zu diesem Zweck mussten der Unterricht und das eingesetzte Lehrmaterial normiert werden, von dem die Lehrer im Interesse der Einheitlichkeit keinesfalls abweichen durften. Der Erfolg der Lehrerausbildung sollte durch eine Lehrprobe vor den Mitgliedern des Schuldirektoriums der Provinz überprüft werden, das wiederum der Kontrolle eines Generalschuldirektoriums überantwortet wurde. Nach Aepinus’ Auffassung ließ sich dieses ebenso schlichte wie effektive System ohne Probleme auf das Zarenreich übertragen – es kam seiner Meinung nach nur auf eine straffe, zentrale Organisation durch eine nationale Schulbehörde, die richtigen Unterrichtsmethoden und die Ausbildung einer ausreichenden Zahl von Lehrern an. Gerade die letzten beiden Punkte veranlassten ihn dazu, das österreichische Modell zu empfehlen: »Viele der Österreichischen Herrschaft unterstellten Provinzen reden die slavonische Sprache, oder Dialecte derselben. Selbst der Schul-Plan ist schon bis in einige dieser Provinzen ausgedehnt. Man würde also, wahr-

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Der auch im Original in deutscher Sprache verfasste Plan Aepinus’, abgedruckt in: Tolstoj, Stadtschulen, 1887, S. 169–185.

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scheinlicher Weise, von dorther solche Personen erhalten können, die den einen oder den anderen slavonischen Dialekt verstehen.«14 Neben der sprachlichen Nähe sah Aepinus noch einen weiteren Vorteil: »Vielleicht könnte man noch außerdem Leute von der nicht unirten orthodoxen christlichen Kirche erhalten (denn auch bis zu diesen haben sich die dortigen Schulanstalten schon angefangen auszubreiten): und dieser Umstand würde sehr glücklich sein, damit nicht das Volk, wenn die ersten Lerer katholisch wären, aus übel verstandenem Religionseifer, gegen diese SchulAnstalten ein Vorurteil und eine Abneigung faßte.«15 Die ersten Lehrer sollten aus der Moskauer Universität oder den Geistlichen Akademien rekrutiert werden, was Aepinus mit einem dringenden Appell an Katharina verband, das von ihm als niedrig angesehene Bildungsniveau der Geistlichkeit nicht hinter dasjenige der übrigen Bevölkerung zurückfallen zu lassen: »Ich kann nicht anderes als I. K. M. flehentlich zu bitten, keinen Schritt zur Aufklärung des Volks zu tun, der nicht von einem Schritt zur Aufklärung der Geistlichkeit begleitet wäre.«16 Sehr deutlich sah Aepinus, dass, wollte man in überschaubarer Zeit eine genügende Anzahl von Lehrern qualifizieren, man vorerst nicht ohne die von der Geistlichkeit vermittelte Elementarbildung auskommen würde, bis aus dem säkularen Schulsystem die ersten geeigneten Kandidaten für die Lehrerausbildung hervorgegangen seien. Das Akademiemitglied Aepinus, das die habsburgische Schulgesetzgebung ebenso kenntnisreich wie anschaulich referierte, verwies mit keinem Wort auf ihre Wurzeln. Ebenso unbekannt wie das exakte Datum der Entscheidung zugunsten des österreichischen Modells der Normalschule bleibt, ob der Kaiserin bewusst war, dass sie dieses Modell nicht eigentlich dem habsburgischen, sondern dem preußischem Vorbild und damit in gewisser Weise Friedrich II. verdankte, den sie in der Konkurrenz um Reputation in den europäischen Salons wie in der großen Politik wesentlich mehr beargwöhnte als Maria Theresia oder den jüngeren Joseph II.17 Dem habsburgischen Modell lag seinerseits das nach der Annexion des katholischen Schlesiens eingeführte uniforme Schulwesen zugrunde, das vom Grundsatz her sowohl 14 15 16 17

Ebd., S. 177. Ebd. Ebd., S. 179. Kusber, Konkurrenz, 2013.

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dem Gedanken der preußischen Realschule als auch protestantisch-pietistischen Leitlinien der Pädagogik verpflichtet war, was unter dem Aspekt des Staatsnutzens durchaus keinen Widerspruch in sich bergen musste. Treibende Kraft bei der Reform der katholischen Schulen Schlesiens und der Grafschaft Glatz war der im Titel stehende Abt des Chorherrenstiftes im schlesischen Sagan, Johann Ignaz von Felbiger, gewesen.18 Felbiger repräsentierte eine theologische Variante einer disziplinierenden Aufklärung durch Bildung, was sich sehr gut mit der russischen Spielart der Aufklärung, die schon in dem Begriff prosveščenie (Erleuchtung) angelegt war, vertrug.19 Felbiger trat 1746, nach theologischen Studien in Breslau und einer zweijährigen Tätigkeit als Hauslehrer, in das Augustiner-Chorherrenstift zu Sagan (Schlesien) ein, wo er 1758 Erzpriester und wenig später Abt wurde. Angeregt durch den Prior Benedikt Strauch, widmete er sich der Reform des Schulwesens. Der Augustinerabt begab sich zu Beginn der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts an das Lehrerseminar Johann Julius Heckers in Berlin. Dort machte er sich mit den Organisationsprinzipien der Realschule vertraut und machte sich auf der Folie dieser Erfahrungen an die Schulreform in Sagan, die die Heranbildung treuer Mitglieder der Kirche und brauchbarer Bürger des Staates bezweckte. Zugleich machte er König Friedrich II. von Preußen auf sich aufmerksam und verfasste in dessen Auftrag in Ergänzung des Generalschulreglements von 1763, das auf den Ideen Heckers aufruhte,20 ein katholisches »Generallandschulreglement« (1765), durch das die Schulreform auf ganz Schlesien ausgedehnt wurde. Unterstützt durch den Minister Ernst Wilhelm von Schlabrendorff trug Felbiger dadurch wesentlich zur friedlichen Eingliederung Schlesiens in den preußischen Staat bei.21 In Berlin 1762 hatte sich Felbiger auch mit jenen von Johann Friedrich Hähn (1710–1789) popularisierten Buchstaben- oder Tabellenmethoden vertraut gemacht, die Aepinus in seinem Memorandum keine zwanzig Jahre später als »Normalmethode« zusammenfasste und der Zarin schilderte. Nach dieser Methode wurde ein bestimmtes Thema oder der Lehrstoff eines ganzen 18

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Zu seiner Person siehe Schönebaum, Johann Ignaz Felbiger, 1961; Melton, Absolutism, 1988, S. 91–105. Nur knapp gewürdigt wird seine Rolle in dem noch immer unverzichtbaren »Klassiker« der deutschen Bildungsgeschichte: Paulsen, Geschichte, 1965, S. 114f. Zum Verhältnis von Aufklärung und Orthodoxie siehe Wirtschafter, Religion, 2013. Hecker war stark vom Halleschen Pietismus geprägt, der im Russischen Bereich insbesondere in der Epoche Peters I. intensiv rezipiert worden war: Bloth, Johann Julius Hecker, 1970; Mühlpfordt, Petersburg, 1982. Neugebauer, Absolutistischer Staat, 1985, S. 415.

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Faches für eine Altersstufe in Tabellenform komprimiert, in der verkürzte Kapitelüberschriften den Inhalt vorstrukturierten. In dem durch Fragen und Antworten streng strukturierten Unterrichtsgespräch zwischen Lehrer und Schüler sollten anhand dieser visualisierten Gedächtnisstützen die Inhalte memoriert werden, bis der Schüler sie derart verinnerlicht hatte, dass sie jederzeit abrufbar waren. Die eigentlichen Textbücher, mit denen vor allem der Lehrer zu arbeiten hatte, führten den Inhalt der Tabellen aus und folgten diesen exakt in der Anordnung des Stoffes. Auch das Alphabet wurde auf diese Weise vermittelt: Während des Lese- und Schreibunterrichts in den Tabellen oder an der Tafel wurde nur der erste Buchstabe des einzuübenden Wortes oder Begriffes vorgegeben, den die Schüler dann zu ergänzen hatten, was die Buchstabenkenntnis festigen und zugleich den Wortschatz erweitern sollte. Im Grunde handelte es sich um eine mit visuellen Hilfsmitteln aufbereitete Form des Auswendiglernens, bei der durch das Frage- und Antwortspiel zwischen Schüler und Lehrer sowie anhand der an der Tafel wieder entstehenden Tabellen Ohr und Auge angesprochen werden sollten.22 Diese Kombination machte die Attraktivität der Lernmethode aus, neu war sie in ihren einzelnen Aspekten allerdings nicht: Auch die Enzyklopädisten hatten in ihrem Werk auf die Visualisierung als eine Form der Aufbereitung des Lehrstoffes zurückgegriffen.23 Im Unterschied zu Hecker, Hähn, Felbiger und anderen hatten diese in ihren Bildungsprojekten ebenso wie Beckoj zwar den Lerninhalten viel Aufmerksamkeit geschenkt, nicht aber der Frage der Vermittlung dieser Inhalte. In schulorganisatorischer Hinsicht schien jedoch gerade diese Methode für eine schnelle Lehrerausbildung erfolgversprechend zu sein und zudem zu gewährleisten, dass der Lehrer seinerseits nicht vom Stoff abwich.24 Einer eher naturalistischen, von Rousseau beeinflussten Form der Stoffaneignung standen also die Verfechter einer älteren Tradition der Stoffvermittlung über striktes Lernen, Ordnung und Disziplin ablehnend gegenüber, weil für sie vor dem Hintergrund der Bedürfnisse des Staates die Kontrolle erworbenen Wissens entscheidend war.25 Auch Felbiger übernahm diese Grundsätze und

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Okenfuss, Education, 1979, S. 48–51. Ebd., S. 52–54. Je komplexer die Themen und Inhalte waren, desto schwieriger wurde die Komprimierung in Tabellenform, weshalb schließlich auf Textbücher zurückgegriffen wurde, sodass die Tabellen vor allem ein Instrument der Elementarschule blieben. Siehe hierzu generell den noch immer anregenden Aufsatz aus dem Jahre 1903 von Paulsen, Aufklärung, 1976, insbesondere S. 283–287.

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Methode in sein Kloster nach Sagan,26 das als Lehrerseminar fungierte, um einen nach den immer gleichen Lehrmethoden und -inhalten unterrichtenden Lehrkörper zu schaffen, der in einem ganz Schlesien überziehenden Schulnetz zum rétablissement der annektierten Gebiete beitragen und damit die Integration der nicht-protestantischen Bevölkerung über ein kompatibles Schulwesen in den preußischen Staat erleichtern sollte.27 Als Maria Theresia Felbiger dann 1774 von Sagan nach Wien einlud, der dort nicht nur die Leitung eines Lehrerseminars übernehmen, sondern auch die Vorarbeiten leisten sollte, damit das von ihm eingeführte System sukzessive auf sämtliche Nationalitäten des Habsburgerreiches übertragen werden konnte,28 interessierte sie einerseits das integrative Moment, andererseits das erprobte Reformmodell für ein katholisches Schulwesen. Felbiger formulierte innerhalb weniger Monate die »Allgemeine Schulordnung«,29 in der die Trivial-, Haupt- und Normalschulen für die österreichischen Teile der Monarchie verbindlich gemacht wurden. Mit nur geringfügigen Veränderungen wurde sie 1777/78 für Ungarn, Kroatien und Slovenien übernommen. Schon 1776 gab Teodor Janković de Mirievo (1741–1814),30 dem die Durchführung der Reform unter den serbischen Untertanen des Banats übertragen wurde und der sich mit der Normalmethode bei Felbiger vertraut gemacht hatte, das bereits erwähnte Schulbuch in serbischer Sprache heraus, das in der Konversation zwischen Katharina II. und Joseph II. schließlich eine bedeutsame Rolle spielen sollte. Bis etwa 1780 wurden in sämtlichen, rechtlich unterschiedlich gestellten und verfassten Territorien des Habsburgerreiches identische Schulen nach diesem pädagogischen Konzept eingerichtet, wobei sich die Ergebnisse je nach Territorium allerdings verschieden gestalteten.31 An der Finanzierung sollte 26 27

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Daher mitunter auch als »Sagansche Methode« bezeichnet. Zu den Schulreformen in Schlesien siehe Melton, Absolutism, 1988, S. 183–199. Nach Auffassung von Karl A. Schleunes fand über Felbiger auch die Rezeption protestantischer Erziehungsideale im katholischen Bayern statt; siehe Schleunes, Schooling, 1989, S. 14. Ausgenommen werden sollten allerdings die habsburgischen Niederlande. Helfert, Gründung, 1860, S. 134f.; »Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen« vom 6.12.1774, auszugsweise in: Klueting, Josephinismus, 1995, S. 192–194. Zu seiner Person noch immer unverzichtbar: Voronov, Fedor Ivanovič Jankovič de Mirievo, 1858; formelhaft dagegen: Konstantinov, Jankovič, 1945; Povarova, Sodružestvo, 1971; Povarova, Svjazach 1971, S. 110–113; siehe auch Polz, Janković, 1972. Neben den Arbeiten von Grimm und Melton siehe zur Vorgeschichte Klingenstein, Vorstufen, 1968; mit Schwerpunkt auf den höheren Lehranstalten in der Zeit des Josephi-

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es nicht scheitern: 1773 wurde der Jesuitenorden säkularisiert, und das theresianische Schulsystem füllte nicht nur die Lücke, die der Orden hinterließ, es konnte auch mit dessen Mitteln finanziert werden,32 um allen christlichen Untertanen zumindest zu Lese- und Schreibkenntnissen zu verhelfen.33 Janković, Absolvent der Wiener Universität, erwies sich als erfolgreicher Organisator und Administrator im Banat von Temesvár, wo bereits 1781 die Hälfte der männlichen serbischen Kinder die Trivialschulen besuchte.34 Als die beiden ersten katharinäischen Sonderkommissionen zu Schulfragen 1764 und 1768–1771 über ein landesweites Schulsystem berieten, existierte das habsburgische Modell noch nicht. Zwar war an ihm auch für die Diskussion in Russland nicht alles neu: Ein ähnlicher Fächerkanon für Elementar- und Mittelschulen war auch schon im Russischen Imperium erwogen, ein dreistufiges System ebenfalls bereits diskutiert worden. Hier begannen jedoch die Unterschiede zu den bisherigen Planungen im Zarenreich: Elementar- oder Trivialschulen des habsburgischen Modells konnten zwar für sich existieren, in jede Stadtschule aber hatte eine Trivialschule integriert zu werden, alle drei Stufen schließlich fanden in der Normalschule zusammen, während in den Konzepten der Sonderkommissionen jeweils der Übergang von einem zum anderen Schultyp vorgesehen war. Auch der Fächerkanon nahm sich selbst in der Normalschule vergleichsweise bescheiden aus und entsprach keinesfalls demjenigen der seinerzeit im Russischen Reich geplanten Gymnasien, die sich an einer klassischen Universalbildung mit starker Betonung der Fremdsprachen einerseits und der Naturwissenschaften andererseits orientiert hatten, so dass die dritte

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nismus: Wangermann, Aufklärung, 1978. Mit detaillierten Aussagen zur Finanzierung dieses Systems: Adler, Habsburg School Reform, 1974; siehe auch Kostić, Ausstrahlungen, 1972. Konfliktreich gestalteten sich die Versuche, dieses System auch in den Gebieten einzuführen, die mit den Teilungen Polens an Wien gefallen waren; eine derartige Integrationsaufgabe stand, bei aller Unterschiedlichkeit der Vielvölkerreiche, dem Zarenreich im Übrigen noch in ganz anderem Maße bevor. Für das Habsburgerreich siehe hierzu Röskau-Rydel, Kultur, 1993, S. 63–81; Pelczar, Szkolnictwo, 1996. Während Okenfuss die Etikettierung Maria Theresias als der letzten Habsburgerin der Gegenreformation übernimmt (vgl. Okenfuss, Education, 1979, S. 46), warf ihr Dmitrij A. Tolstoj, unter Alexander II. selbst zeitweise Volksbildungsminister, vor, mit der Schulreform weniger eine Katholisierung denn eine Germanisierung im Sinn gehabt zu haben (vgl. Tolstoj, Stadtschulen, 1887, S. 39). Adler, Habsburg School Reform, 1974, S. 36–44.

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Ebene, die Normalschule, nicht in einer Weise auf das Studium an der Universität vorbereitete, wie es etwa in der Konzeption einiger Petersburger Akademiemitglieder aus dem Jahre 1760 vorgesehen gewesen war und wie es die Gymnasien von Sankt Petersburg, Kazan’ und Moskau leisten sollten. Die Ideen der preußischen Realschule, in denen bewusst eine Abkehr vom »klassischen« Gymnasium und der Lateinschule zugunsten einer zielgerichteten Orientierung an der späteren Berufsausübung, letztlich aber auch am Staatsnutzen, propagiert wurde,35 fanden sich bislang in Konzepten, die im Zarenreich entwickelt worden waren, zwar für einzelne Fachschulen, nicht aber in den Überlegungen für ein gesamtstaatliches Schulsystem. Die Vereinheitlichung des Lehrmaterials sowie die reduktionistische Aufbereitung des als notwendig erachteten Wissens in Tabellenform in Verbindung mit dem bereits bekannten und praktizierten Frage- und Antwortspiel schienen kostengünstig und stellten den Lehrer vor überschaubare Anforderungen. Vor allem aber bot dieses System die Möglichkeit, eine ständige Versorgung mit Lehrpersonal sicherzustellen. Katharina II. dürfte allerdings zunächst das Argument überzeugt haben, ein bereits funktionierendes System, das offensichtlich von einer slavisch-orthodoxen Bevölkerung akzeptiert worden war, übernehmen zu können. Als die Zarin Joseph II. im Jahre 1782 bat, ihr einen geeigneten Kandidaten zur Umsetzung des habsburgischen Modells zu schicken, entsandte der Kaiser auf Empfehlung Felbigers mit Janković de Mirievo, dem »Direktor seiner illyrischen Schulen«, eine der fähigsten Persönlichkeiten.36 Als Janković Anfang September des Jahres 1782 in Russland eintraf,37 hatte die Zarin bereits erste Maßnahmen zur Einrichtung eines landesweiten Schulsystems eingeleitet. 1781/82 waren in der Hauptstadt auf Kosten der Zarin sieben Schulen gegründet worden,38 die als Experimentierfelder für die Anwendung der Unterrichtsmethoden und der Erprobung neuer Schulbücher gedacht, aber alle unterschiedlich

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Dabei machte sich der preußische Staat etwa zeitgleich an die Reform der alten Lateinschulen und Gymnasien, bei der staatlich-utilitaristische Erwägungen im Vordergrund standen; siehe Jeismann, Gymnasium, 1974, S. 75–96. Joseph II. an Katharina II., Laxenburg, 8.8.1780, in: Arneth, Briefwechsel, 1869, S. 141f. Dies mag vor allem aus dem Stellenwert zu erklären sein, den Joseph funktionierenden österreichisch-russischen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt beimaß; siehe auch die Antwort Katharinas in: Ebd., S. 142f. SIRIO, 1880, S. 213. RGIA, f. 730, op. 2, d. 18, ll. 1–101.

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geführt und organisiert waren, sodass sich Janković zunächst mit einer Visitation einen Überblick verschaffen musste. Diese Schulen wurden nach Auskunft des Petersburger prikaz obščestvennogo prizrenija, nach der Gouvernementsreform von 1775 für die Beaufsichtigung des Schulwesens zuständig, im September 1782 von 426 nichtadligen Kindern besucht, in denen 26 Lehrer unterrichteten;39 von den Schülern hielt Janković lediglich 14 für befähigt, später Lehrer zu werden, und separierte sie für eine entsprechende Ausbildung,40 die inhaltlich und formal noch nicht konzipiert worden war. Als am 7.9.1782 die Etablierung der »Kommission für die Einrichtung von Volksschulen« (Kommissija ob učreždenii narodnych učilišč) angeordnet wurde,41 war zunächst für die Öffentlichkeit nicht erkennbar, dass dieser Kommission ein anderes Schicksal beschieden sein sollte als ihren Vorgängern. Zu Mitgliedern wurden Petr A. Zavadovskij (1739–1812), als Priestersohn selbst ein sozialer Aufsteiger und kurzzeitig auch Favorit der Zarin, Petr I. Pastuchov (1739–1799), Mitglied des kaiserlichen Privatkabinetts, sowie Aepinus ernannt,42 der sich bereits bewährt hatte und als einziges reguläres Kommissionsmitglied über Erfahrungen als Bildungsorganisator verfügte. Janković, der Kommission lediglich als Sekretär und Protokollant attachiert, trug praktisch die Hauptlast der Arbeit.43 Zavadovskij, in dessen Haus die Sitzungen stattfanden, übernahm den Vorsitz. Der Arbeitsauftrag der Kommission wurde mit wesentlich konkreteren Handlungsanweisungen durch die Zarin verbunden, als dies in den Instruktionen für ihre Vorläufer geschehen war: Es sollte nicht wie in den vorherigen Sonderkomitees nur ein Curriculum aufgestellt werden, sondern auch die notwendigen Lehrbücher entweder durch die Kommissionsmitglieder selbst oder durch externe Fachkräfte erstellt werden. Schließlich waren einzelne Schulstandorte auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen und vor allem Lehrer auszubilden.44

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Ebd., op. 1, d. 18, ll. 1–12; ebd., op. 2, d. 2, ll. 16–23. Ebd., op. 2, d. 2, ll. 3–9, 24f. »[…] čtob sie poleznoe i neobchodimo nužnoe zavedenie vo vsej imperii našej v nailučšem porjadke i soveršennom edinoobrazii učineno bylo.« (Siehe PSZ 21, 1833, Nr. 15.507, S. 663). RGIA, f. 730, op. 2, d. 2, l. 6; Platonov, Opisanie, 1917, S. 4. Janković wurde erst 1797 Mitglied der Kommission bzw. deren Nachfolgerin beim späteren Ministerium für Volksaufklärung. PSZ 21, 1833, Nr. 15.507, S. 664.

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Noch im September 1782 wurde der Öffentlichkeit der von Katharina gebilligte Fahrplan für die Einrichtung eines Schulsystems bekanntgegeben,45 das ausdrücklich zunächst in den existierenden und zu gründenden Schulen des Gouvernements Sankt Petersburg zu erproben war. Das neue System sollte also nicht eingeführt werden, ohne dass es unter den freilich günstigen Laborbedingungen des hauptstädtischen Umfeldes getestet worden wäre und ohne der Kommission genügend Zeit für die Lehrerausbildung einzuräumen. Nach erfolgreicher Erprobungsphase, so der »Plan zur Errichtung von Volksschulen im Russischen Reich«,46 war eine flächendeckende Übernahme des ineinandergreifenden dreigliedrigen Systems vorgesehen, wobei ausführlich die Methoden durch Tabellen, Wiederholen und Katechisieren wie auch die einzelnen Fächer noch einmal aufgeführt wurden. Für die ersten beiden Klassen sollten Schreiben47 und Lesen, hier noch immer als getrennte Fächer verstanden, Katechismus und Arithmetik analog zu dem österreichischen System auf dem Lehrplan stehen, dagegen war in der dritten und vierten Klasse eine Erweiterung des Curriculums vorgesehen: In der dritten Klasse (Mittelschule) sollten allgemeine Geschichte, Geographie und Kirchengeschichte hinzukommen, in der zweijährigen vierten Klasse (für die Hauptvolksschule) Naturgeschichte, Mechanik, Physik, Zeichnen, Kalligraphie und Deutsch.48 In sehr viel stärkerem Maße als in Österreich sollten Naturwissenschaften unterrichtet und die Ausbildung durch Vermittlung der deutschen Sprache und der Kalligraphie auf den Verwaltungsdienst zugeschnitten werden, was auf den eigentlichen Zweck, die Gewinnung einer Funktionselite in der Provinz, verweist. Und – dies war überaus modern und Wunsch der Kaiserin – es sollten auch Mädchen die ersten beiden Klassen besuchen dürfen.49

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Ebd., Nr. 15.523, S. 685. Die Vorlage für diesen Entwurf war von Janković schon nach drei Tagen der Kommission vorgelegt worden; siehe RGIA, f. 730, op. 2, d. 1, ll. 3–16; ebd., op. 1, d. 5, ll. 5–9. Der Entwurf der Kommission in deutscher Übersetzung ist publiziert in: Tolstoj, Stadtschulen, 1887, S. 186–195. Der Erwerb von Schreibfähigkeiten stellte dem Plan nach für die Schüler eine doppelte Anstrengung dar: Einerseits waren die kyrillica, also die Buchstaben des kirchenslavischen Alphabets zu lernen, andererseits die graždanka, die Peter I. für den Verwaltungsgebrauch und säkulare Texte eingeführt hatte. Begonnen werden sollte – dies macht die Priorität deutlich – mit der graždanka. Tolstoj, Stadtschulen, 1887, S. 190. Etwa 10 % der Schülerschaft der Volksschulen war beim Tode Katharinas weiblich: Kusber, Katharina, 2021, S. 163.

Bildungskonzepte in der Verflechtung

Für die Drucklegung des Ukaz fügte Katharina eine Ergänzung hinzu, die dieses Ziel noch deutlicher werden ließ. Im Gegensatz zu einem von der Kommission erarbeiteten Vorentwurf hatte die Zarin hinsichtlich des Fremdsprachenunterrichts entscheidende Veränderungen vorgenommen: Französisch sollte künftig ausschließlich der häuslichen Erziehung vorbehalten bleiben, weil es Katharina für eine spätere Verwendung im Staatsdienst nicht zwingend notwendig erschien. Wenn der Adel solche Sprachkenntnisse für seinen Nachwuchs unbedingt wünschte, hatte er diese auf eigene Kosten zu realisieren. Für staatsnotwendig hielt Katharina jedoch, die ethnischen Spezifika ihres Vielvölkerreiches mit einzubeziehen: Griechisch sollte in den Gouvernements Kiev, Azov und Neurussland angeboten werden, Chinesisch im Irkutsker Gouvernement und unter den islamischen Nationalitäten auch Arabisch und Tatarisch.50 Die Uniformität des Lehrplans wäre also im Bereich des Fremdsprachenunterrichts durchbrochen worden, die Ausbildung von Dolmetschern entsprach den Bedürfnissen nach sprachlicher Vermittlung in den verschiedenen Regionen des Reiches und nütze damit gleichzeitig dem Staat.51 Seit Beginn der Arbeit der Kommission bestand einer ihrer Schwerpunkte in der Einrichtung des Lehrerseminars. Den Kommissionsmitgliedern lag vor allem daran, eine kontinuierliche Lehrerausbildung sicherzustellen. Unter ihnen herrschte Übereinstimmung, dass das Lehrerseminar den Maßstab für alle weiteren Schulen im Lande bilden sollte, deren Absolventen als Multiplikatoren in den Normalschulen des Landes wirken könnten.52 Um langfristig über genügend Nachwuchskräfte zu verfügen, hatte die Zarin im September 1782 hundert Stipendien für mittellose Kinder an der Sankt Petersburger Hauptvolksschule ausgelobt, an der das Lehrerseminar errichtet werden sollte. Die Stipendiaten sollten nach Vollendung ihrer schulischen Ausbildung in der Abschlussklasse zu Lehrern ausgebildet werden. Da aber der Effekt dieser Maßnahme noch mindestens vier Jahre auf sich warten lassen würde, wurden

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Sie wies 5.000 Rubel für die Erstellung entsprechenden Unterrichtsmaterials an; siehe PSZ 21, 1833, Nr. 15.523, S. 685. Der übergreifende Gesichtspunkt der Zweckorientierung führte Knjazkov und Serbov in ihrem vorrevolutionären Werk dazu, die achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts als praktičeskij period der Volksbildung zu bezeichnen; siehe Knjazkov/Serbov, Očerk, 1910, S. 113; siehe auch die allgemeinen Erwägungen von Vodarskij, Ekaterina, 1996. RGIA, f. 730, op. 2, d. 2, l. 69.

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1783 zunächst 70 Kandidaten aus den Geistlichen Seminaren von Sankt Petersburg, Smolensk und Kazan’ sowie aus der Slawisch-Griechisch-Lateinischen Akademie in Moskau als Zöglinge rekrutiert. Auch der Beginn einer staatlichsäkularen Lehrerausbildung kam eben, wie Aepinus in seiner Denkschrift richtig bemerkt hatte, nicht ohne das Fundament aus, das in den geistlichen Bildungsinstitutionen gelegt wurde – ganz im Sinne des nicht genannten »Paten« Felbiger. Alle Kandidaten mussten Eingangsexamina ablegen, bei denen sich zeigte, dass auch von denjenigen viele keine ausreichenden Vorkenntnisse mitbrachten, die schließlich doch für eine weitere Ausbildung angenommen wurden.53 Immer wieder berichtete der Kommissionsvorsitzende Zavadovskij von Widerständen des Synods, seinen Anforderungen nachzukommen, und äußerte den Verdacht, manche Seminare schickten mit Bedacht ungeeignete Kandidaten, um fürderhin nicht mit Anforderungen behelligt zu werden.54 In den Materialien der Schulkommission finden sich denn auch von Katharina persönlich unterzeichnete Anweisungen,55 die den Widerstand seitens der Geistlichkeit minimierten. Am 13.12.1783 erfolgte die Eröffnung des Lehrerseminars in Sankt Petersburg mit einer Festveranstaltung,56 die ähnlich der Eröffnungszeremonie für die Moskauer Universität die Bedeutsamkeit des Augenblicks auch der Öffentlichkeit vermitteln sollte, wenn auch in bescheidenerem Maße als 1755 in Moskau. Bis 1786 blieben Hauptvolksschule, hervorgegangen aus einer katharinäischen Gründung des Jahres 1781, und das Lehrerseminar dem Modell der österreichischen Normalschule entsprechend gemeinsam untergebracht. Die Zarin hatte dafür eigens ein Haus im Ščukin dvor erworben.57 Ihr erster Direktor wurde Janković, der auch den Lehrplan und die Statuten des Seminars erstellt hatte. Besonderer Wert wurde in dem Lehrerseminar, auch dies ein Zug der Zeit, neben dem Umgang mit den Tabellen auf die Arbeit mit Anschauungsmaterial gelegt. Mit Modellen und Instrumenten sollten Mathematik, Mechanik sowie Geometrie in den höheren Klassen unterrichtet und für den naturgeschichtlichen Unterricht naturkundliche Sammlungen an jeder Schule ein53 54 55 56 57

Ebd., d. 1, ll. 16–24. RGIA, f. 802, op. 1, S. 3; Znamenskij, Školy, 1881, S. 603, 612f. RGIA, f. 730, op. 2, d. 4, ll. 1–228. Ebd., op. 1, d. 5, ll. 32f. PSZ 21, 1833, Nr. 15.790, S. 981. Heute stehen an dieser Stelle nach einem Brand, der auch Teile der Archivalien der katharinäischen Schulkommission vernichtet hat (vgl. RGIA, f. 730, op. 1, ll. 10f.), die Handelsreihen des Apraksin dvor. Erst 1786, nach Erlass des Schulstatuts, wurden beide Einrichtungen organisatorisch getrennt.

Bildungskonzepte in der Verflechtung

gerichtet werden, deren unterrichtsgerechte Nutzung im Lehrerseminar geprobt wurde. Auch eine Bibliothek, Grundstock der späteren Sankt Petersburger Universitätsbibliothek, wurde eingerichtet. Unter den 1.000 Bänden der Erstausstattung fand sich auch die »Encyclopédie«.58 Modern mutet bei aller Disziplin, die auch im Lehrerseminar geübt wurde,59 die Organisation von Lerngruppen an (tovariščestva), in denen sich die Lehreraspiranten gegenseitig unterstützen sollten. Durchaus in Übereinstimmung mit den Beckojschen Vorstellungen stand, dass man im Lehrerseminar – im Gegensatz zu dem verbindlichen Unterricht in der angegliederten Schule – auf die Begabung des Einzelnen schauen sollte, allerdings nicht, um zu seiner individuellen Entfaltung beizutragen, sondern um zu beobachten, für welche Fächer und vor allem welche Klassenstufen er sich als Lehrer eignen würde.60 Das katharinäische Schulsystem befand sich noch im Aufbau, als in der Reformzeit Alexanders I. die nächste Bildungsreform implementiert wurde, die Felbigers und Jankovics Vorstellungen als veraltet erscheinen lassen sollte. Der neue Zar ließ 1802–1804 Universitäten neugründen und reformieren und ersetzte die Normalschulen durch ein Netz von Gymnasien, die anderen pädagogischen Konzepten und Inhalten folgten. Über den langen Weg vom preußischen Schlesien, über das Habsburger Reich, insbesondere zu den südslavischen Untertanen, ins Russische Imperium waren die Konzepte veraltet und unmodern geworden. Aber sie entsprachen Katharinas Wunsch nach Ordnung. Die kleinen Volksschulen blieben, vor allem blieben die Lehrmaterialien, die sich an Felbiger orientierten, bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Konkurrenz und Verflechtung der »drei schwarzen Adler« in dem Bemühen um eine aufgeklärte Regierung – hier im Bereich der Volksbildung – lagen eng beieinander. Johann Ignaz von Felbiger, sein Wirken und seine Ideen, war hier eine Schlüsselfigur.

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Smagina, Akademija, 1996, S. 105. Zwar war die Körperstrafe verboten, doch wurden die Schüler bei Disziplinverstößen auf Wasser und Brot gesetzt und mussten grobe Bauernkittel anlegen und im Karzer einsitzen, siehe RGIA, f. 730, op. 2, d. 4, l. 45. Mit idealisierender Sichtweise Jankovićs: Voronov, Jankovič, 1858, S. 106f.

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Arenen der Konkurrenz

Geteiltes Land – intensivierte Kooperation Schlesien als gemeinsame Agenda Österreichs und Preußens Ellinor Forster

Begleitet von der zwischen Friedrich II. und Maria Theresia publizistisch ausgetragenen Debatte über die rechtliche Legitimation ihrer jeweiligen Ansprüche auf Schlesien1 und eingebettet in den Gesamtkontext des Österreichischen Erbfolgekrieges waren es die militärischen Erfolge Preußens, die Maria Theresia und ihre Berater2 zur Aufgabe fast des gesamten Landes zwangen. Schon im Oktober 1741 hatte Maria Theresia mit Friedrich einen geheimen Waffenstillstand abgeschlossen und dabei auf Niederschlesien verzichtet, im Vorfrieden von Breslau/Wrocław im Juni darauf wurde die Teilung Schlesiens konkreter festgelegt und im Friedensvertrag vom 28. Juli 1742 in Berlin bestätigt.3 Mit dieser Aufteilung Schlesiens setzte eine intensive Zusammenarbeit der preußischen und österreichischen Behörden ein, die zwar in den ersten Jahren stärker war, in manchen Belangen jedoch bis 1918 andauerte. Zur Entflechtung der Verwaltung und Aufrechterhaltung der Grenze brauchte es ein Miteinander, sowohl der beiden Höfe als auch der lokalen Beamten im Grenzraum, das zwar immer wieder auch von gegenseitigem Misstrauen geprägt war, aber die Kommunikation in Gang halten und Kompromisse finden musste. Obwohl Maria Theresia die Wiedergewinnung Gesamtschlesiens auch in den folgenden Auseinandersetzungen mit Preußen weiterverfolgte,4 konnte sie nicht umhin, die im Friedensvertrag von 1742 festgelegten Bestimmungen 1 2

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Mazura, Kriegspropaganda, 1996. Zum wesentlichen Anteil Maria Theresias an den militärischen Entscheidungen vgl. Braun, Maria Theresia, 2020, S. 169–187; dies., Kaiserin, 2018, S. 117–151; Stollberg-Rilinger, Maria Theresia, 2017, S. 115–118. Bein, Schlesien, 1994, S. 240–255. Braun, Kaiserin, 2018, S. 118, 125, 130; Stollberg-Rilinger, Maria Theresia, S. 108, 110.

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zur Abtrennung der beiden Landesteile auch tatsächlich durchführen zu lassen. Verzögerung auf dieser höchsten Ebene war offensichtlich keine Option. Zunächst galt es, die Grenzziehung sichtbar zu machen. Die ungefähren Grenzen waren im Friedensvertrag mit den Flüssen Olsa und Oppa festgelegt worden – damit verblieben die Herzogtümer Teschen, Troppau und Jägerndorf zum größten Teil ebenso wie etwa die Hälfte des geistlichen Fürstentums Neisse im Westen des Landes unter habsburgischer Herrschaft. Eine Grenzkommission, bestehend aus Beamten und Zuständigen von beiden Seiten, fuhr im Herbst 1742 von Osten nach Westen die Grenze ab und legte fest, wo die vorbereiteten Grenzsäulen eingesetzt werden sollten. Dazu zog sie lokale Bevölkerung und Vertreter der jeweiligen Grundherrschaften als Auskunftspersonen über die Rechtsverhältnisse zu Rate. Nicht alle Grundkonflikte, die zum Teil schon länger geschwelt hatten, konnten sofort gelöst werden.5 Vor allem im Norden der bei Österreich verbliebenen Herzogtümer Troppau und Jägerndorf kam eine Reihe von Dörfern durch die Grenzziehung auf preußischer Seite zu liegen, einige wurden auch in der Mitte geteilt.6 Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Grenze erforderte auch weiterhin eine enge Zusammenarbeit beider Länder. Wann immer Grenzsäulen oder deren Beschriftung nachzubessern waren, weil etwa Naturereignisse den Fluss verändert und damit Säulen weggerissen hatten oder diese bzw. die Blechtafeln, die die Herrschaft anzeigten, entwendet worden waren, mussten neue Grenzkommissionen zusammengestellt werden, die für die Wiederherstellung der Grenze sorgten. In den weiteren militärischen Konflikten zwischen Preußen und Österreich wurden die Vorgänge an der Grenze mit sehr argwöhnischen Augen beobachtet und Streitigkeiten etwa über Festnahmen von Personen, die Straßen und Wege auf der »falschen« Seite begingen oder befuhren, ausgetragen.7 Darüber hinaus war zur Fortführung einer effizienten Verwaltung eine weitere Kooperation nötig. Um den nötigen Wissensstand über Privilegien, Rechtsansprüche und Pflichten der verwalteten Personen in den Dörfern, Märkten und Städten sicherstellen zu können, mussten sich beide Seiten über den Austausch der dazu notwendigen Akten, Urkunden und Aufzeichnungen verständigen. Diese lagen zum Großteil in Breslau, zum Teil in Wien und hinsichtlich der Herzogtümer Troppau und Jägerndorf in Troppau/Opava. In dieser Aushandlung, die eine dichte Korrespondenz erforderte, lässt sich 5 6 7

Protokoll der Grenzbegehung, 12.9.-19.10.1742; ZAO, KrÚ, Kart. 848, Fasz. 1298. Bein, Neuordnung, 1990, S. 63f. Forster, Transkulturalität, 2020, S. 131–146.

Geteiltes Land – intensivierte Kooperation

das vorsichtige Ausloten der jeweils eigenen und anderen Position gut nachvollziehen. In der gegenseitigen Titulierung sowohl der Beamten als auch der Institutionen ebenso wie in der Bezeichnung der Landesteile, die beide als Schlesien galten oder gelten konnten, zeigt sich, wie sich die neuen Räume langsam verfestigten und sich eine neue Orientierung einstellte. Um diese Aspekte wird es im Folgenden am Beispiel der ersten Jahre nach dem Friedensvertrag gehen – wie man die Teilung des Landes auch begrifflich vollzog und wie die erforderliche Zusammenarbeit am Beispiel des Aktentransfers funktionierte. In beiden Bereichen kamen gegenseitige Vorbehalte zum Ausdruck, die teils von Unsicherheit aufgrund der neuen Situation, teils von versuchter Aushandlung von Machtansprüchen zeugten. Trotzdem wurden die Konflikte immer wieder eingehegt.

Tastende Neuorientierung: Auslotendes Festschreiben der neuen Gegebenheiten Sowohl Friedrich II. als auch Maria Theresia besaßen ab 1742 rechtsgültig Teile eines Landes, die zuvor ein gemeinsames Herzogtum Schlesien gebildet hatten. Die Struktur dieses territorialen Gebildes war sehr komplex – im Lauf des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit hatte sich durch Teilungen und Vereinigungen eine Reihe von Einzelherzogtümern und aus diesen herausgetrennte Standesherrschaften gebildet. 1740 handelte es sich dabei immer noch um 14 Herzogtümer, sechs freie Standesherrschaften und zehn Minderstandesherrschaften. Die Herzöge sowie die freien Standesherren hatten als erste Kurie Sitz und Stimme in den beiden gesamtschlesischen Einrichtungen, dem Fürstentag sowie dem Ober- und Fürstenrecht. Hierarchisch übergeordnet war diesen Herzögen und Standesherren der Herzog von Schlesien, dessen Funktion und Titel seit dem 14. Jahrhundert dem König von Böhmen zukam. Mit dem Erwerb der böhmischen Krone 1526 hatten die Habsburger auch diese Würde übernommen. Immer mehr Herzogtümer kamen durch das Aussterben einzelner Linien unter die unmittelbare Herrschaft des böhmischen Königs.8 1740 bestanden noch sieben Mediatfürstentümer, dazu zählten auch jene Herzogtümer, die unter österreichischer Regentschaft verblieben. Teschen, das im 17. Jahrhundert an die Habsburger als Könige von Böhmen gefallen war, hatte Karl VI. 1722 als Ausgleich für Montserrat, das im Kontext 8

Ptak/Mrozowicz, Binnenstruktur, 2010, S. 42–57.

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des Bündnissystems im Spanischen Erbfolgekrieg statt Lothringen Savoyen zugesprochen worden war, an Herzog Leopold von Lothringen übertragen – von dem es an seinen Sohn, den späteren Schwiegersohn Karls VI., Franz Stephan, überging.9 Die Herzogtümer Troppau und Jägerndorf unterstanden seit dem frühen 17. Jahrhundert der Familie Liechtenstein, das Fürstentum Neisse war hingegen schon seit dem Mittelalter im Besitz der Bischöfe von Breslau.10 Friedrich II. hatte sich nach der Konvention von Klein-Schnellendorf vom 9. Oktober 1741, in der Maria Theresia gegen den Verzicht auf weitere militärische Aktionen und weitergehende Forderungen der Überlassung Schlesiens links der Oder bis zur Glatzer Neiße und rechts der Oder zugestimmt hatte, sehr rasch von den niederschlesischen Ständen als »Herzog von Schlesien« huldigen lassen.11 Als es im Herbst darauf an die Bezeichnung der Zugehörigkeit der jeweiligen Landesteile auf den Grenzsäulen ging, ließen beide Seiten zunächst Vorsicht walten.12 Den Herzogs- bzw. Herzoginnentitel abzubilden maßte sich weder Friedrich noch Maria Theresia an. Als Wappen hätte es zudem schwerlich funktioniert, da der weiße schlesische Adler für beide Seiten galt. Als Lösung wurden auf die Blechtafeln die entsprechenden Buchstabenfolgen aufgemalt – F. R. für Fridericus Rex und ein M. T. H. B. R. für Maria Theresia Hungariae Bohemiae Regina. Wenn die Grenze durch einen der Flüsse definiert war, hatte man Grenzsäulen auf jeder Seite angebracht, wenn sie aber über Land verlief, gab es nur eine Säule, die an beiden Seiten je eine Blechtafel mit Beschriftung trug. Damit kamen die beiden Herrschaftszugehörigkeiten hier sehr eng in Berührung. Als nach dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges die Grenze zum ersten Mal erneuert wurde, berichteten die österreichischen Beamten, dass einige der Tafeln auf preußischer Seite mittlerweile ein F. R. »mit oben aufgestelten Hertzog Hüttel« aufwiesen.13 Dem ließ Maria Theresia daraufhin die »böhmische Kron« entgegensetzen, die nicht nur

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Conrads, Übergang, 2009, S. 161–173. Klueting, Integration, 1990, S. 44–46. Klueting, Integration, 1990, S. 48. Auf die Beschriftungen der Grenzsäulen habe ich bereits an anderer Stelle verwiesen. Forster, Transkulturalität, 2020, S. 132f. Konzept Repräsentation und Kammer an Maria Theresia, Troppau, 29.7.1749; ZAO, KrÚ, Kart. 850, Fasz. 1298. Es ist davon auszugehen, dass die preußischen Tafeln nicht von Beginn an so gestaltet waren, da dies wohl Protest auf der österreichischen Seite hervorgerufen hätte.

Geteiltes Land – intensivierte Kooperation

eine höhere Würde symbolisierte, sondern zugleich die ursprüngliche Oberhoheit über das Herzogtum Schlesien signalisierte. Zudem erweiterte sie den Namenszug um ihren neuen Titel einer Kaiserin, nachdem Franz Stephan zum Kaiser des Reichs gewählt worden war. Die neue Buchstabenfolge sollte nun also M. T. R. J. H. B. R. lauten für Maria Theresia Romanorum Imperatrix Hungariae Bohemiae Regina.14 Dass diese Botschaft auch ankam, wurde bei einer gemeinsamen Grenzbegehung 1750 deutlich, als der preußische Beamte diese neuen Beschriftungen beanstandete und seine Einwände im gemeinsamen Protokoll vermerkt haben wollte.15 Zu diesem Zeitpunkt gab es auch auf preußischer Seite einige neue Tafeln mit der Beschriftung P. L. G. bzw. K. P. L. G., die für Preußische bzw. Königlich Preußische Landesgrenz-Säule standen, an denen die österreichischen Beamten jedoch nichts auszusetzen hatten.16 Erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Bezeichnungen Preußisch-Schlesien und Österreichisch-Schlesien üblich, die sich schließlich auch auf den Grenzsäulen abbilden sollten – mit den Abkürzungen P. S. und Ö. S.,17 wenngleich das Land in der österreichischen Titulatur offiziell nach wie vor als Herzogtum Ober- und Niederschlesien geführt wurde.18 War also zu Beginn die Bezeichnung des Landes auf symbolischer Ebene nicht nötig, so mussten die beiden Landesteile doch in der Korrespondenz, wenn es um schlesische Belange ging, aus rein praktischen Gründen in irgendeiner Weise benannt werden. Nahe lag ein Zurückgreifen auf die schon seit dem Mittelalter übliche Unterscheidung zwischen Nieder- und Oberschlesien. Ganz Niederschlesien gehörte, wie erwähnt, mittlerweile zu Preußen, allerdings war Oberschlesien auf beide Herrschaften aufgeteilt. Diese Verortungen taugten daher zwar als ungefähre Bestimmungen, etwa für den Hinweis von österreichischer Seite, dass der frühere Generaleinnehmer in Breslau nun »wiederum in Oberschlesien zu Unseren allerhöchsten Diensten angestellt« sei,19 aber nicht, wenn es um den gesamten Umfang des Herrschaftsgebiets ging. Präzise Benennungen dafür schien es noch nicht zu geben. Meist war die Rede vom »diesseitigen« und »jenseitigen Teil«, was immer eine Frage der 14 15 16 17 18 19

Extract aus dem Kais.-König. Reskript, Wien, 9.8.1749; ZAO, KrÚ, Kart. 850, Fasz. 1298. Bericht Ernst Freiherr von Mittrowsky an Repräsentation und Kammer, Schwarzwasser, 5.7.1750; ZAO, KrÚ, Kart. 850, Fasz. 1298. Berichte der Landesältesten aus Troppau und Jägerndorf, 9.-11.7., Neisse, 16.-19.7.1750; ZAO, KrÚ, Kart. 850, Fasz. 1298. Reparatur der Grenzsäulen bis 1843; ZAO, KÚ, Fasz. 57.37.9. Gawrecki, Schlesien, 2005, 133–135. Maria Theresia an Königliches Amt, Wien, 2.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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Perspektive darstellte, etwa wenn aus der Sicht von Breslau von Akten die Rede war, die den »diesseitigen Anteil Schlesiens«20 betrafen. Manchmal erfolgte eine Präzisierung als »Oberschlesischer Anteil«21 von Seiten Troppaus oder »König. Ungar. Anteil Ober-Schlesien«22 in der Bezeichnung der Beamten in Breslau. Der jeweilige Anteil Schlesiens ließ sich auch auf die herrschaftliche Zugehörigkeit beziehen. So hieß es in offiziellen Dokumenten »Ihro Antheil Schleßiens«23 aus österreichischer Perspektive. Eher selten wurde der Umstand ausgedrückt, dass der bei den Habsburgern verbliebene Anteil Schlesiens nur noch einen geringen Gebietsanteil ausmachte, wie etwa der erwähnte Generalsteuereinnehmer in einem Bericht nach Troppau von den »unter der Allerhöchsten Beherrschung Unser allergnädigsten Königin, und Frauen gebliebenen Statibus minoribus« schrieb.24 Wenn diese Bezeichnungen eher auf Verlegenheitslösungen hindeuteten, vielleicht auch auf eine Vermeidung vorschneller Festlegung, so lässt sich hinter der Benennung und Adressierung der Behörden viel deutlicher ein Kalkül ausmachen. Als zentrale Behörde für Schlesien hatte in Breslau das königliche Oberamt fungiert, dessen Bezeichnung »königlich« aus der erwähnten Zugehörigkeit des Herzogtums Schlesiens zur böhmischen Krone rührte. Der preußischen Verwaltungslogik entsprechend richtete Friedrich sehr früh in Breslau anstelle des Oberamts eine Kriegs- und Domänenkammer nach dem Muster der Provinzial- und Exekutivbehörden für die Finanz-, Polizei- und Militärverwaltung in allen preußischen Landesteilen ein. Diese Behörden unterstanden im Prinzip dem Generaldirektorium in Berlin, allerdings wurde im schlesischen Fall noch eine Zwischenbehörde eingeschoben – das ebenfalls in Breslau situierte schlesische Finanzdepartement. Ihm unterstand neben dieser Kriegs- und Domänenkammer auch die zweite gleichnamige Behörde in Glogau.25 20 21 22 23 24 25

Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 9.6.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Maria Theresia, Troppau, 6.5.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Abschrift Dekret Kriegs- und Domänenkammer an Christoph Anton von Beer, Breslau, 17.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt für die Vollmacht für Christoph Anton von Beer, Troppau, 6.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 27.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Straubel, Handbuch, 2009, S. XVIIIf.

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Die neue übergeordnete Institution in den bei Österreich verbliebenen Herzogtümern benannte Maria Theresia demgegenüber bewusst in Anlehnung an die alte Landesbehörde als »Königliches Amt«. Die Provokation wurde offensichtlich verstanden, denn die Beamten der Kriegs- und Domänenkammer nannten diese Institution nicht bei diesem Namen, sondern umschrieben sie stets. Auch wenn die österreichischen Beamten in ihren Schreiben ihre eigene Behörde entsprechend bezeichneten, so erfolgte die Rückantwort meist an die »Kayserl. König. Ungarische und Boheimbsche Regierung zu Troppau«.26 Den ehemaligen und neuen schlesischen Generalsteuereinnehmer benannte man in Breslau als »König.en Hungarischen, und Böheimbischen Gevollmächtigten«.27 Als Alternative findet sich auch die Adressierung als Gubernium.28 Diese Bezeichnung für die Landesstellen der österreichischen Provinzen wurde allerdings erst 1763 eingeführt, als erste Umgestaltung waren diese Behörden zuvor als »Repräsentation und Kammer« benannt worden, was auch das Königliche Amt in Troppau betraf. Eng verbunden mit den Verwaltungsreformen ist Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz, der aus schlesischem Adel aus dem Herzogtum Liegnitz stammend schon das Königliche Oberamt in Breslau geleitet hatte und im Januar 1743 mit dem Königlichen Amt in Troppau betraut wurde.29 Nicht nur Haugwitz stellte eine der Kontinuitäten in der Verwaltung Schlesiens dar, auch einzelne andere Beamte wurden in gleicher oder neuer Funktion im nunmehr österreichischen Anteil des Landes weiter beschäftigt. Dies betraf auch den schon erwähnten Generalsteuereinnehmer Christoph Anton von Beer.30 Er wurde 1743 mit der Übernahme von Archivalien in Breslau beauftragt, die er nach Troppau bringen sollte. Wenn er von seinen Verrichtungen

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Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 9.6.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Abschrift Schreiben Kriegs- und Domänenkammer an Christoph Anton von Beer, Breslau, 17.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 10.11.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Walter, Haugwitz, 1969, S. 95f. Christoph Anton von Beer war 1735 in den böhmischen Adelsstand erhoben worden, in den Schematismen scheint er als Generalsteuereinnehmer und von 1771 bis zu seinem Tod 1799 als General-Landesbestellter der Conventual-Kanzlei des Conventus publicus der »Herren Fürsten im Herzogthume Schlesien« auf. Schematismus für Mähren und Schlesien, 1785, S. 220; d’Elvert, Verfassung, 1854, S. 210, Anm. *; Kneschke, Adels-Lexicon, 1859, S. 266.

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schrieb, sprach er zwar von den »König. Preuß. Instanzien«, zu denen er sich verfügt habe und an anderer Stelle nannte er die Behörde Domänenkammer.31 Ging es jedoch um konkrete Gebäude und weniger um die Institution an sich, dann bezeichnete er diese nach wie vor in der ihm vertrauten Diktion, wenn er etwa vom Erhalt der »Archiva aus der König. Ober-Amts-Cantzley« schrieb.32 Umgekehrt waren auch nunmehrige preußische Beamte noch die alten Benennungen gewohnt. So titulierte der neue Landrat im preußischen Leobschütz/ Głubczyce Johann Carl Freiherr von Morawitzky33 das Königliche Amt im österreichischen Troppau 1743 noch als »Königliches Oberamt in Schlesien«.34

Archivalien als Machtinstrument: Verhandeln von Ansprüchen über die Ausfolgung von Akten und Steuerunterlagen Im Friedensvertrag von Berlin war festgehalten worden, dass die Akten der jeweils anderen Landesteile auszufolgen waren. Die Initiative für die tatsächliche Übergabe der Archivalien ging vom preußischen Bevollmächtigten Friedrich Ludwig Graf Dohna in Wien aus. Die entsprechenden Akten seien in Breslau schon »separiret« und müssten nur noch abgeholt werden, informierte daraufhin Maria Theresia das Königliche Amt in Troppau im März 1743.35 Was auf dieser höchsten Regierungsebene jedoch als einfacher Akt erschien, stellte sich in der Ausführung als viel komplexer dar. Die für das Regieren und Verwalten notwendigen Unterlagen wurden auf diese Weise zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen, über den Austausch wurden Vertrauen und Misstrauen ausgehandelt. Unter umgekehrten Vorzeichen wiederholten

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Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 17.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 27.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Johann Carl Freiherr von Morawitzky wurde 1711 in Troppau geboren und saß als Erbherr – der Freiherrenstand war 1695 verliehen worden – auf Burg und Dorf Branitz/ Branice direkt an der Grenze auf nunmehr preußischem Hoheitsgebiet. 1743 wurde er zum Landrat von Leobschütz ernannt. Straubel, Handbuch, 2009, S. 655. Johann Carl von Morawitzky an Königliches Amt, Branitz/Bránice, 3.5.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Maria Theresia an Königliches Amt, Wien, 2.4.1743; Konzept Königliches Amt für die Vollmacht für Christoph Anton von Beer, Troppau, 6.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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sich die Vorgänge 1746, als von preußischer Seite die noch fehlenden Steuerakten zu den geteilten Dörfern entlang der Grenze eingefordert wurden.36 Die lokalen Beamten schöpften eine Reihe von Mitteln aus, um die eigene Macht zu demonstrieren und die Ausfolgung als Gnadenakt erscheinen zu lassen. Rasch zeigte sich, dass sich die Bedenken einer Übergabe nicht auf die Urkunden und Akten älteren Datums aus dem 17. Jahrhundert bezogen,37 von Christoph Anton von Beer als »3 Kästen Acta« bezeichnet, die tatsächlich bereitstanden, die aber eben nicht »das Hauptwerck der Sach« ausmachten.38 Schwierigkeiten wurden Beer vor allem bei jenen Akten in den Weg gelegt, die konkrete finanzielle Ansprüche betrafen. Das war bei den Steuererhebungsunterlagen von 1740 wie auch bei den sogenannten »Mährischen Obligationen« der Fall, die Forderungen der vorhergehenden Jahre belegten.39 Umgekehrt beharrten die preußischen Behörden 1746 auf der Herausgabe der Steuerrektifikationsakten der geteilten Dörfer der Herzogtümer Troppau, Jägerndorf und Neisse. Hinter der Steuerrektifikation stand die von Haugwitz begonnene Steuerreform, mit der ihn noch Karl VI. beauftragt hatte. Für Haugwitz stellte Schlesien schon zu diesem Zeitpunkt und noch mehr ab 1743 ein »Reformlaboratorium« für die Entwicklung von Verwaltungsideen dar.40 Geplant war eine Besteuerung auf der Basis des Grundstückswertes, der zum Teil auf »Selbstbekenntnissen«, den Fassionen, und zum Teil auf Schätzungen beruhte. Die daraus entwickelte neue Besteuerung trat für die österreichischen Erbländer 1756 in Kraft, wobei in der Forschung meist angeführt wird, dass die Erhebungen dazu erst 1748 begonnen worden seien.41 Tatsächlich lagen diese Erhebungen für Schlesien aber zum Zeitpunkt der

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Siehe z.B. Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Troppau, 10.6.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Ausführlicher werden diese Vorgänge unten besprochen. Vgl. beigelegte Auflistungen der Archivalien, in: Konzept Königliches Amt an Maria Theresia, Troppau, 30.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 17.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Die Mährischen Obligationen waren Schuldscheine, die der Prälat des Klosters Wellehrad/Velehrad, die Stadt Hradisch/Hradisko und die Jesuiten in derselben Stadt, wie auch das Domkapitel in Olmütz/Olomouc und das Kloster in Raigern/Rajhrad laut Protokoll vom 20.6.1742 unterzeichnet hatten. Konzept Königliches Amt an Maria Theresia, Troppau, 17.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Hochedlinger, Staatsreform, 2019, S. 552. Drobesch, Bodenerfassung, 2009, S. 165–167.

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Teilung bereits vor.42 Das machte diese Unterlagen für beide Landesteile gleichermaßen wertvoll, weshalb sie weder die preußischen Behörden 1743 noch die österreichischen 1746 übergeben wollten. Beide Seiten setzten auf Verzögerungstaktiken. Als Christoph Anton von Beer bei der Kriegs- und Domänenkammer in Breslau im April 1743 seine Vollmacht zur Übernahme der Akten vorwies,43 wurde ihm beschieden, dass man Zweifel habe, ob man die General-Steuer- und Militär-Rechnung des Jahres 1740 überhaupt aus der Hand geben dürfe. Ohne Zustimmung des Geheimen Etats-Ministers könne das nicht geschehen, und da dieser allerdings nicht anwesend sei, müsse man auf dessen Rückkehr warten.44 Was Dohna in Wien zunächst wie eine Kleinigkeit klingen hatte lassen, dass man dort im Gegenzug sicher bereit sei, »einige Piecen, deren man in Schlesien benöthiget, vorläufig zu extradieren«, nahm offensichtlich an Bedeutung zu und entwickelte sich schließlich zu einem zeitgleich geplanten Vorgang.45 Der Wert der Akten wurde offensichtlich so hoch bemessen, dass keine Seite der anderen traute und die Akten nicht zu früh aus der Hand geben wollte, denn auch bei den Akten in Wien handelte es sich um Steuer- und Militärrechnungen. Ein gemeinsamer Zeitpunkt wurde gesucht, an dem Beer in Breslau und gegengleich der erwähnte preußische neue Landrat von Leobschütz Johann Carl Freiherr von Morawitzky die Akten in Troppau übernehmen sollte.46 Nach monatelangem Ringen wurde mit dem 15. August ein Tag gefunden, an dem die Akten übergeben werden sollten.47 Offensichtlich hatte man bei dieser Terminfindung jedoch nicht mitbedacht, dass der 15. August als katholischer Feiertag (Maria Himmelfahrt) für Wien nicht günstig fiel, vielleicht wurde dies von österreichischer Seite aber auch bewusst so vereinbart, um eine Ausweichmöglichkeit zu haben. Jedenfalls musste die dadurch entstehende Verzögerung früher bekannt gemacht worden sein, denn als Beer am 15. August in Breslau bei der Kriegsund Domänenkammer vorsprach, erfuhr er, dass statt des 15. nun der 16. August bestimmt sei, weil in Wien wegen des Marienfestes die Übernahme der 42 43 44 45 46 47

Bein, Neuordnung, 1990, S. 70–73. Konzept Königliches Amt für die Vollmacht für Christoph Anton von Beer, Troppau, 6.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 17.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Maria Theresia an Königliches Amt, Wien, 20.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 30.4.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Maria Theresia an Königliches Amt, Wien, 2.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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Akten um einen Tag verschoben worden sei. Davon habe man sofort die Kriegsund Domänenkammer benachrichtigt und damit musste sich auch Beer vertrösten lassen.48 Doch auch dieser Termin hielt nicht, alles hing an der »zurückhaltung derer in Wienn befindlichen – nacher Breßlau zu transportirenden actorum«.49 Von Seiten der Kriegs- und Domänenkammer bestand man schließlich wieder darauf, dass die Akten von Wien nach Troppau gebracht und dort dem preußischen Bevollmächtigten zu übergeben seien,50 was Beer als Bruch der Vereinbarung der beiden Höfe sah51 und als Verzögerungstaktik klassifizierte. In seinen Unmut, den er in seinem Bericht zum Ausdruck brachte, in dem er beschrieb, wie er den zuständigen Direktoren deutlich zu verstehen gegeben habe, dass er sich nicht länger »aufziehen« lasse, mischte sich ein Argument, das auch 1746 immer wieder ins Treffen geführt wurde – dies sei gegen die gute Nachbarschaft, die in Freundschaft zu erhalten sei. Er erreichte damit allerdings nicht viel, der eine Direktor meinte, dass er sich in nichts mehr einmischen wolle, da seine Amtierung zu Ende gehe und der zweite bat ihn wiederum um Geduld.52 Erst gegen Ende August 1743 wurden die »Niederschlesische[n] Acta« tatsächlich ausgefolgt und nach Breslau transportiert.53 Was sich in Troppau befunden hatte, war Morawitzky gegen Quittung ausgehändigt und ihm versichert worden, dass jenes, was hierbei noch fehlen sollte, aus den vorhandenen gebundenen Büchern durch beglaubigte Abschriften auf Verlangen ergänzt werden sollte – das betraf vor allem die durch die Grenzziehung geteilten Dörfer.54 Genau darauf kam der preußische Resident in Wien Johann Friedrich von Graeve im Mai 1746 – in der Zwischenzeit hatte der Zweite Schlesische Krieg

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Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 17.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Maria Theresia, Troppau, 19.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Abschrift Kriegs- und Domänenkammer an Christoph Anton von Beer, Breslau, 23.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Promemoria Christoph Anton von Beer, Breslau, 26.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 27.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Maria Theresia, Troppau, 31.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Breslau, 29.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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stattgefunden – zurück. Er sprach am Wiener Hof vor und ersuchte darum, dass die Steuerrektifikationsakten jener Dörfer der Herzogtümer Troppau und Jägerndorf sowie des Fürstentums Neisse, die durch die Grenzziehung nunmehr zu Preußen gehörten, ausgefolgt würden. Dies wurde von Seiten Wiens gutgeheißen und dem Königlichen Amt in Troppau ein entsprechender Auftrag erteilt.55 Haugwitz selbst beeilte sich, die Bereitschaft dazu nach Wien zu signalisieren – mit der Betonung der guten Nachbarschaft und Willfährigkeit.56 In Richtung preußische Kriegs- und Domänenkammer beteuerte man die Bereitwilligkeit, von allem, was die jenseits der Oppa gelegenen Dörfer betreffe, beglaubigte Abschriften herzustellen, man müsse nur wissen, was genau benötigt werde.57 Doch zeigt der weitere Verlauf der Korrespondenz, dass unter dem Mantel der »freundnachbarlichen« Beziehung doch versucht wurde, die Ausfolgung der nötigen Akten und Informationen nach Möglichkeit zu erschweren, bis die Gegenseite ihrem Unmut Luft machte und die »gute Nachbarschaft« einforderte. Zudem gab es bei der Ausfolgung von Akten und der Herstellung von Abschriften auch rein praktische Probleme, die schon 1743 zu bewältigen gewesen waren. Beispielsweise stellte sich die Frage, was man mit Akten tun sollte, die unvermittelt zum Vorschein kamen und eventuell noch von Belang waren. So hatten sich etwa im Königlichen Salzamt in einem verschlossenen Kästchen noch Prozess- und Inquisitionsakten gefunden, die zehn oder zwölf Jahre alt gewesen seien und mit einem alten strafrechtlichen Prozess zu tun hatten, der zwar beendet worden war und daher die Akten zu nichts mehr zu gebrauchen seien, aber schon lange der Hauptregistratur in Wien hätten übergeben werden sollen.58 Beer klagte zudem darüber, dass die Rektifikationsakten ziemlich durcheinander geworfen gewesen seien.59 Er habe nur jene Akten erhalten, »so viel deren noch vorhanden gewesen, welche herumgestreuter in einer Cammer auf dem Vormahligen König. Cammer-Cantzlei Hauß gelegen haben, und

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Maria Theresia an Königliches Amt, Wien, 27.5.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz an Maria Theresia, Troppau, 10.6.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Troppau, 10.6.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Promemoria Christoph Anton von Beer, Breslau, 26.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 27.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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ziemlich weitläuffig aus andern gar nicht dazugehörigen Actis zusammenzuklauben gewesen« seien.60 Für die noch fehlenden Sachen hatte die Kriegsund Domänenkammer jemanden beauftragt, die ausgefüllten Fassionen über die Roboten und Silberzinse sowie weitere Tabellen zu suchen. Was jedoch die Zoll- und Salzrechnungen betreffe, so wähnte man diese in österreichischer Hand. Im Gegenteil würde man also umgekehrt von dort Quittungen und Belege zu den »hierher gehörigen Rechnungen« erwarten.61 Auch 1746 mussten die entsprechenden Unterlagen erst eingesammelt werden. Damit hatte man in Troppau zwei ehemalige Kommissäre beauftragt. Der eine vor 1742 mit dieser Arbeit befasste war mittlerweile allerdings aufgrund der Grenzziehung in Leobschütz – auf nunmehr preußischer Seite – als Sekretär beschäftigt und weigerte sich, die Akten der nun preußischen Dörfer an das Königliche Amt zu schicken, sondern wollte sie direkt den preußischen Kommissären übergeben. Der andere Beauftragte aus Jägerndorf gab hingegen an, dass ihm die Akten bei den »vorgewesenen Kriegs-Troublen« abhanden gekommen seien. Stattdessen bot man eine Lokaluntersuchung an.62 Weitere Aspekte kamen hinzu, wenn es sich nicht um die Ausfolgung von Originalen handelte, sondern Abschriften anzufertigen waren. Dies wurde meist zunächst sehr großzügig angeboten. Von den »Acta publica«, die das gesamte Land beträfen »und füglich nicht getheilet werden« könnten, werde man »nicht Ermangeln« vidimierte Abschriften zu erstellen, falls das »eine oder andere Piece künfftig bei dem König. Ungarischen Antheil Von nöthen« sei, hieß es im August 1743 aus Breslau.63 Das Problem stellte sich 1746 in Bezug auf die geteilten Dörfer an der Grenze auf ähnliche Weise. Hier wurde von österreichischer Seite ins Treffen geführt, dass man aus gebundenen Faszikeln und Büchern Akten nicht herausschneiden könne, um das Ganze nicht verderben zu lassen, sondern es sich nur um Abschriften handeln könne.64 In beiden Fällen gestaltete sich die Anfertigung von Abschriften jedoch 60 61 62 63 64

Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Breslau, 27.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Abschrift Kriegs- und Domänenkammer an Christoph Anton von Beer, Breslau, 22.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an die Preußischen Classifications-Commissarien, Troppau, 29.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Abschrift Kriegs- und Domänenkammer an Christoph Anton von Beer, Breslau, 22.8.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an die Preußischen Classifications-Commissarien, Troppau, 29.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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nicht als so problemlos wie angekündigt. Als Beer die Abschriften in Breslau übernehmen wollte, sei, so berichtete er nach Troppau, eine Remuneration von ihm gefordert worden mit dem Verweis, dass man auch in Wien etwas dafür verlangt hatte. Zwar könne er das schwerlich glauben, aber in Breslau sei man davon überzeugt und begehre nun im Gegenzug »ein Douceur«.65 In ähnlicher Weise verzögerten sich die gewünschten Abschriften 1746 in Troppau.66 So fragte man in Breslau zunächst nach, ob diese Abschriften durch eigene nach Troppau geschickte preußische Schreiber oder aber gegen Erlegung einer Schreibgebühr für die Schreiber an Ort und Stelle angefertigt werden sollten.67 Die Entscheidung fiel für die zweite Variante aus mit der Bitte, diese Akten durch zuverlässige Personen abschreiben zu lassen, beglaubigt nach Breslau zu senden und die entsprechenden Schreibgebühren zu nennen.68 Offensichtlich blieb den Beamten in Breslau nichts anderes übrig, als auf die Korrektheit in der Durchführung zu vertrauen, da sie – wie sie später argumentierten – keine eigenen Schreiber entbehren konnten.69 Einen Monat später hieß es jedoch von Seiten des Königlichen Amts, dass die Schreiber diese Arbeit nur gegen ein wöchentliches Schreibgeld verrichten wollten, daher erwarte man einen preußischen Beauftragten, der diese Gebühren regelmäßig bezahlen könne.70 Daraufhin wurde der Ton aus Breslau schärfer. Angesichts dieser letzten Aufforderung könne man kein anderes Urteil fällen, als dass die bis dahin bewiesene Willfährigkeit von preußischer Seite sich nun zum Nachteil wende. Man habe sich aus Freundlichkeit schon mit beurkundeten Abschriften statt der Originale zufriedengegeben. Der Antrag auf die Zwischenzahlungen würde aber vom bisher bezeugten freundnachbarlichen Betragen sehr abweichen. Man sei zu allem bereit, was dem »Unterhalt« und der »Beförderung

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Christoph Anton von Beer an Königliches Amt, Troppau, 27.9.1743; Konzept Königliches Amt an Maria Theresia, Troppau, 30.9.1743; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 9.6.1746; Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Troppau, 17.9.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Troppau, 29.10.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 10.11.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 17.1.1747; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Troppau, 17.12.1746; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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Freundnachbarlicher Harmonie« diene, aber es sei nicht möglich, in einen »dergleichen Uns so sehr Despectirlichen Antrag« einzuwilligen. Daher müsse man wieder auf die Ausfolgung der Originale bestehen, zumal die Abschriften auch, wenn sie nicht von kundigen offiziellen Schreibern, sondern nur von bloßen Lohnschreibern vorgenommen würden, nicht so zuverlässig seien, dass man sich darauf verlassen könne. Den Buchbinderlohn, der aufgrund der Trennung und neuerlichen Zusammenheftung der Akten erforderlich sei, wolle man gerne übernehmen. Darüber hinaus sei es auch möglich, die Akten nach Breslau zu schicken, wo sie abgeschrieben und danach zurückgesendet werden könnten. Aufgrund ihrer laufenden Arbeit könnten sich die Schreiber jedoch nicht nach Troppau begeben. Damit stellte man die Beamten in Troppau vor die Wahl, entweder die Originale der betreffenden Orte zu schicken oder aber der Kriegs- und Domänenkammer sämtliche Akten »sub fide remissionis« für einige Zeit zu überlassen.71 Daraufhin lenkte man in Troppau wieder ein. Man sei über die »gebrauchte harte Außdruckung sehr betroffen«, habe man doch nur ein »Zeithero zu unterhaltung der genauesten harmonie eußerst beflissen« entsprechendes Betragen an den Tag gelegt. Obwohl sich die Abschreibarbeiten sehr schwierig gestalteten, seien sie nun jedoch schon sehr weit fortgeschritten, so dass sich keine Änderung in der Arbeitsweise empfehle. Von dem wöchentlichen Schreibgeld war keine Rede mehr.72 Bis zur Anfertigung aller Abschriften vergingen allerdings noch sieben Monate und selbst dann fehlten noch einige Akten, die erst später zum Vorschein gekommen waren.73 Die Entflechtung der beiden Landesteile sollte also noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Fazit Die hier vorgestellten Ausführungen über die intensive Kommunikation zwischen den Beamten der preußischen Kriegs- und Domänenkammer in Breslau und dem österreichischen Königlichen Amt in Troppau über die Entflechtung

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Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 17.1.1747; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Konzept Königliches Amt an Kriegs- und Domänenkammer, Troppau, 3.2.1747; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298. Kriegs- und Domänenkammer an Königliches Amt, Breslau, 23.9.1747; ZAO, KrÚ, Kart. 849, Fasz. 1298.

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der beiden Teile des Herzogtums Schlesien betrafen zwar nur die ersten Jahre nach dem entscheidenden Friedensschluss in Berlin, aber sie machen eindrücklich sichtbar, dass einige der Agenden auch weiterhin für Kontakt und Austausch sorgten. In dem Maß, in dem Österreich und Preußen aufeinander angewiesen waren, um die Verwaltung in ihren schlesischen Landesteilen aufrechtzuerhalten, mussten sie auch aufeinander zugehen. Das war sowohl in der Kommunikation der Höfe, vertreten durch die jeweiligen Bevollmächtigten, als auch auf der Ebene der lokalen Beamten der Fall. Dass dabei Spielräume zu gegenseitigen Machtdemonstrationen ausgenützt werden konnten, spielte letztlich keine große Rolle. Am Ende führten die praktischen Bedürfnisse zur Bewahrung einer funktionierenden Nachbarschaft.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Schematismus für Mähren und Schlesien sammt einem Schreibkalender für das Jahr 1785, Brünn 1785.

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Geteiltes Land – intensivierte Kooperation

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Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750 Wahrnehmungen – Verflechtungen – Methoden Michael Rohrschneider

Zu den lange Zeit vernachlässigten Schauplätzen der österreichischen und preußischen Außen- und Reichspolitik im 18. Jahrhundert zählt der Immerwährende Reichstag. Die neben dem Kaisertum bedeutendste politische Institution des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation hat in historiographiegeschichtlicher Sicht einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen.1 Während die ältere, an macht- und nationalstaatlichen Vorstellungen orientierte Forschung in der Regel sehr deutliche Kritik an der Tätigkeit und Leistungsfähigkeit des Reichstags übte, hat sich in den letzten Jahrzehnten eine fundamentale Neubewertung durchgesetzt, die mit einer – inzwischen oft beschriebenen – generellen Revision des Urteils über das Alte Reich insgesamt einhergeht.2 Das Reich und seine Institutionen werden inzwischen nicht mehr mit dem Verdikt der inneren Zersplitterung und außenpolitischen Ohnmacht bzw. dem Vorwurf nahezu sprichwörtlicher Schwerfälligkeit gebrandmarkt, wie dies vielfach in der älteren, insbesondere borussisch geprägten Historiographie zu lesen ist.3 Vielmehr wird in neuerer Zeit die rechts- und 1

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Den Aufsatz widme ich Arno Strohmeyer zum 60. Geburtstag. – Zur Forschungsgenese vgl. aus jüngerer Zeit insbesondere Härter, Forschung, 2012; Lanzinner, Arbeitsfelder, 2012; Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 12–20; Rudolph, Einleitung, 2015; Whaley, Legacy, 2015; Wilson, Reichstag, 2015; siehe zuletzt auch den konzisen Aufriss bei Quaasdorf, Kursachsen, 2020, S. 22–26, sowie Goetze u.a., Reichstag, 2020. Zur Revision des Urteils über das Alte Reich in der neueren Forschung siehe die instruktiven Überblicke von Schindling, Kaiser, 2001; Liebmann, Rezeptionsgeschichte, 2006; Schnettger, Kleinstaaterei, 2007; Carl, Forschungsliteratur, 2010; Whaley, Reich, Bd. 1, 2014, S. 19–36; Schnettger, Kaiser, 2020, S. 330–338. Vgl. am Beispiel Heinrich von Treitschkes und Bernhard Erdmannsdörffers Wolgast, Sicht, 2002.

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friedenswahrende Kraft der erstaunlich resilienten Reichsverfassung betont4 und damit ein deutlicher Kontrapunkt zu den vormaligen Tendenzen gesetzt, das Alte Reich primär als zunehmend verkrustendes politisches Gemeinwesen zu charakterisieren. Ähnliches gilt für den Immerwährenden Reichstag. Gerade die preußischkleindeutsche Geschichtsschreibung tat sich mit der wichtigsten Ständeversammlung des Reiches besonders schwer und trug maßgeblich zu dem traditionellen Bild vermeintlicher Ineffizienz bei, das bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bei der Beurteilung des Regensburger Geschehens dominierte.5 Ein besonders markantes Beispiel hierfür ist Friedrich II. von Preußen, der sich in seinen Briefen und historischen Schriften ausgesprochen abfällig über den Reichstag äußerte. In seinem zeitgeschichtlichen Werk Histoire de mon temps schreibt der König in der für ihn typischen Weise mit beißendem Spott: »Der Reichstag zu Regensburg ist nur ein Schattenbild und eine schwache Erinnerung an das, was er einstens war. Jetzt ist er eine Versammlung von Rechtsgelehrten, denen es mehr auf die Formen als auf die Sache ankommt. Ein Minister, den ein Reichsfürst zu dieser Versammlung schickt, gleicht einem Hofhunde, der den Mond anbellt. Soll ein Krieg beschlossen werden, so weiß der kaiserliche Hof seine Privatstreitigkeiten geschickt mit den Reichsinteressen zu verflechten, um die deutsche Macht zum Werkzeug seiner ehrgeizigen Absichten zu benutzen.«6 Kontrastierend dazu haben sich in den vergangenen Jahrzehnten neue Akzentsetzungen herauskristallisiert, die nicht mehr den einseitigen, zu Anachronismen neigenden Urteilen der älteren Geschichtsschreibung folgen. Johannes Burkhardt bezeichnet die Beurteilung des Immerwährenden Reichstags durch die Zeitgenossen und die Historiker des 19. Jahrhunderts sogar als einen »der unglaublichsten Fälle einer Fehlbewertung in der Geschichte«.7 Ausgehend von den Arbeiten Walter Fürnrohrs und den beiden zu Beginn der 1990er Jahre erschienenen Monographien von Anton Schindling über die frühe Phase des Immerwährenden Reichstags bzw. von Karl Härter zur Geschichte des

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Siehe beispielshalber Härter, Sicherheit, 2003. Vgl. hierzu ausführlicher Rohrschneider, Beziehungen, 2013; ders., Österreich, 2014, S. 13f. Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung in Volz, Werke, 1913, S. 39. Burkhardt, Verfassungsprofil, 1999, S. 152.

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

Reichstags im Zeitalter der Französischen Revolution, hat die jüngere Forschung eine deutlich positivere Neubewertung dieser Ständeversammlung vorgenommen.8 Für Karl Otmar von Aretin war Regensburg für 143 Jahre geradezu die »heimliche Hauptstadt«9 des Reiches. Zu konstatieren ist jedenfalls, dass die aktuelle Forschung unisono die Bedeutung des Immerwährenden Reichstags als Kommunikations- und Informationszentrum (»Drehscheibe Regensburg«)10 sowie als »institutioneller Knotenpunkt«11 und »ClearingStelle«12 hervorhebt. Vor dem Hintergrund dieser skizzierten Neuorientierung der jüngeren Forschung gilt es im Folgenden, die traditionelle Meistererzählung vom österreichisch-preußischen Dualismus13 mit Blick auf den Immerwährenden Reichstag auf den Prüfstand zu stellen. Dies erscheint gerade deshalb besonders weiterführend, da das Geschehen in Regensburg eine geradezu ›klassische‹ Arena der Interaktion und Konkurrenz der beiden Vormächte im Reich war14 und da in neuerer Zeit herausgearbeitet wurde, dass der österreichischpreußische Antagonismus des 19. Jahrhunderts von der Geschichtswissenschaft nicht selten in anachronistischer Weise bis ins 17. Jahrhundert hinein zurückprojiziert wurde.15 Auch das letztlich vom Ende des Alten Reiches her gedachte allmähliche ›Herauswachsen‹ Österreichs und Preußens aus dem Reichsverband ist in neuer Zeit aufgrund seiner teleologischen Implikationen kritisch hinterfragt worden.16 Gerade in der jüngsten Forschung ist ein verstärktes Bewusstsein dafür erkennbar, die Politik der Höfe von Wien und Berlin wieder stärker im Alten Reich zu verorten, als dies in der älteren Geschichtsschreibung der Fall war, und in diesem Zusammenhang vor allem

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Vgl. insbesondere Fürnrohr, Reichstag, 1987, und ders., Come Back, 2001, bzw. Schindling, Anfänge, 1991, und Härter, Revolution, 1992. Aretin, Ruhe, 1993, S. 127. In Anlehnung an Friedrich, Drehscheibe, 2007. Härter, Revolution, 1992, S. 20. Fürnrohr, Kurbaierns Gesandte, 1971, S. 11. Zur traditionellen Deutung des österreich-preußischen Dualismus (»Hie Österreichisch – hier Fritzisch«) vgl. unter Bezugnahme auf Goethes Dichtung und Wahrheit Neuhaus, Wende, 1993. Zum Immerwährenden Reichstag als Forum reichsständischer und mächtepolitischer Konkurrenz vgl. jüngst einführend Goetze u.a., Reichstag, 2020. Vgl. Rohrschneider/Sienell, Hohenzollern, 2003. Vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten in Kapitel »Grundlagen der österreichischen und preußischen Reichstagspolitik um 1750«.

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auch die übrigen Reichsstände nicht aus dem Blick zu verlieren. Insofern ist es das Ziel der vorliegenden Studie, den Reichstag als wichtige Plattform der um die Mitte des 18. Jahrhunderts konkurrierenden Außen- und Reichspolitik Österreichs und Preußens zu charakterisieren und in diesem Kontext der Frage nachzugehen, ob und inwiefern die beiden Vormächte in diesem Zeitraum das Regensburger Forum nutzten, um mittels Klientelpolitik und »Parthey«-Bildung Unterstützung für den eigenen politischen Kurs im Reich und in Europa zu erlangen. Zu Beginn erfolgt ein Überblick über wichtige Grundlagen, Rahmenbedingungen und Voraussetzungen der österreichischen und preußischen Reichstagspolitik um 1750. Im Anschluss daran werden die wechselseitige Wahrnehmung der Höfe von Wien und Berlin sowie entsprechende Muster bipolaren Denkens als Strukturelemente des Geschehens am Reichstag vorgestellt. Schließlich wird anhand von ausgewählten Aspekten der Klientelpolitik und Parteibildungsprozesse Österreichs und Preußens ein konkreter Beitrag zu den leitenden Fragen des vorliegenden Sammelbandes geleistet, welche Arenen des Kontakts und der Konkurrenz bei der Erforschung der österreichisch-preußischen Beziehungen im Zeitalter Maria Theresias und Friedrichs II. in den Blick genommen werden müssen und mit welchen Mitteln und Strategien beide Seiten arbeiteten, um das Ringen um die Vorherrschaft im Reich zu eigenen Gunsten zu gestalten.

Grundlagen der österreichischen und preußischen Reichstagspolitik um 1750 Der Stellenwert, den der Regensburger Reichstag um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Kalkül der Höfe von Wien und Berlin einnahm, ist lange Zeit unterschätzt worden.17 Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass erst in neuerer Zeit Arbeiten zur friderizianischen und theresianischen Reichs- und Reichstagspolitik vorgelegt wurden, die sich von den Prämissen der älteren Forschung gelöst und die Verortung Österreichs und Preußens im Alten Reich neu austariert haben.18 Somit ist man in der Frage, ob und inwiefern beide

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Zum Folgenden vgl. ausführlich Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 35–44 und 55–63 (mit weiteren Hinweisen). Zur Grundtendenz der älteren Geschichtsschreibung vgl. das treffende Urteil von Stollberg-Rilinger, Maria Theresia, 2017, S. 157: »Die Tatsache, dass das Heilige Römische

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

Seiten den Reichstag instrumentalisierten, um Unterstützung für die eigene Außen- und Reichspolitik zu erhalten und das eigene Vorgehen zu legitimieren, nicht mehr auf die wenigen älteren Untersuchungen angewiesen, die – trotz ihrer unbestrittenen Verdienste – den Ansprüchen der gegenwärtigen Forschung nicht mehr genügen.19 Sowohl Österreich als auch Preußen konnten um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf mehrere Gesandtschaften in Regensburg zurückgreifen. Im Falle der Habsburgermonarchie – einem klassischen composite state20 – waren dies die Prinzipalkommission, die kurböhmische und die österreichische Gesandtschaft.21 Der Prinzipalkommissar, der in seiner Arbeit von dem jeweiligen Konkommissar unterstützt wurde, galt als Alter Ego des Kaisers am Reichstag.22 Er »repräsentierte den Kaiser im vollen Sinne des Wortes, das heißt, er trat auf und wurde behandelt, als ob er der Kaiser selbst wäre«.23 Im Kurfürstenrat verfügte der Wiener Hof über die kurböhmische Stimme,24 und in der Fürstenkurie führte der österreichische Direktorialgesandte neben der Stimme für das Erzherzogtum Österreich auch die Voten Burgunds (für die

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Reich deutscher Nation im Jahre 1806 aufhörte zu existieren und der letzte Kaiser Franz II. sich seit 1804 nur mehr Kaiser von Österreich nannte, hatte zur Folge, dass dieses frühneuzeitliche ›Alte Reich‹ weder in der preußisch-deutschen noch in der österreichischen Nationalgeschichte eine Rolle spielte. Wenn man eine schlüssige, lineare Erfolgsgeschichte darüber erzählen wollte, wie die ›modernen‹ Staaten des 19. und 20. Jahrhunderts entstanden waren, sei es die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, sei es das deutsche Kaiserreich, dann stand das Alte Reich beiden Seiten nur im Weg.« Für den im Zentrum der vorliegenden Studie stehenden Zeitraum um 1750 vgl. vor allem folgende ältere Dissertationen: Meisenburg, Reichstag, 1931; Hein, Reichstag, 1953; Koch, Reichstag, 1950. Vgl. in vergleichender österreichisch-preußischer Perspektive mit einem Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert zuletzt Simon, Staat, 2019. Vgl. hierzu und zum Folgenden Rohrschneider, Strukturgegebenheiten, 2012, sowie ausführlich ders., Österreich, 2014, S. 70–97. Zu den Funktionen, den Lebensläufen und zur Bedeutung der Prinzipalkommissare vgl. insbesondere Hellwig, Rechtsstellung, 1955; Fürnrohr, Vertreter, 1983, S. 86–139; Piendl, Prinzipalkommissariat, 1994; Grillmeyer, Diener, 2005; Styra, Karriere, 2013; Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 72–84; Stöckl, Principalkommissar, 2018; die Akten der Prinzipalkommission sind als Mikorofiche-Ausgabe greifbar: Akten der Prinzipalkommission, 1993. Stollberg-Rilinger, Maria Theresia, 2017, S. 173. Vgl. Fürnrohr, Die kurböhmischen Gesandten, 1977; ders., Vertreter, 1984, S. 99–118; Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 84–87.

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Österreichischen Niederlande) und der kleinen lothringischen Markgrafschaft Nomeny.25 Der Prinzipalkommissar, der Konkommissar und der Gesandte für Nomeny wurden vom Kaiser ernannt, wohingegen die Ernennung der Gesandten Österreichs, Böhmens und Burgunds durch Maria Theresia erfolgte. Sie und ihr Gemahl Franz I. Stephan legten allerdings sehr viel Wert darauf, in diesem Kontext als handelnde Einheit aufzutreten.26 Auch der preußische König verfügte als Herrscher über einen aus unterschiedlichen territorialen Bestandteilen zusammengesetzten composite state27 über mehrere Stimmen am Reichstag: Im Kurfürstenrat führte sein Gesandter das Votum des Kurfürstentums Brandenburg und im Fürstenrat die Voten von Halberstadt, Hinterpommern, Kammin, Magdeburg, Minden und Ostfriesland. Darüber hinaus hatte er im Fürstenrat Anteil an der Kuriatstimme der Westfälischen Grafen.28 Dem eigentlichen (Ost-)Preußen, also dem ehemaligen Deutschordensland und späteren Herzogtum, stand kein Votum zu, da es bekanntlich nicht zum Heiligen Römischen Reich zählte.29 Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war die Reichstagspolitik Österreichs und Preußens nahezu spiegelbildlich davon geprägt, im jeweils anderen den Hauptkonkurrenten zu sehen.30 Daraus darf jedoch nicht abgeleitet werden, die österreichisch-preußischen Beziehungen seien nach 1740 in deterministischer Weise durch einen grundsätzlichen Antagonismus geprägt gewesen, wie es die borussisch-kleindeutsche Meistererzählung des 19. und frühen 20. Jahr-

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Vgl. Fürnrohr, Vertreter, 1984, S. 118–142; Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 87f. Vgl. Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 71; zur Aufgabenteilung und Geschlechterhierarchie im Verhältnis von Maria Theresia zu Franz I. Stephan siehe jüngst ausführlich Braun, Herrscherin, 2016; dies., Kaiserin, 2018, insbesondere S. 39–67 und 99–116; Stollberg-Rilinger, Herrschaft, 2020, S. 30–33; vgl. in diesem Zusammenhang auch das Urteil von Thomas Lau, der Maria Theresia mit Blick auf die Rollenverteilung des Herrscherpaares als »die wohl wirkungsmächtigste Abwesende in den Reichsgremien« bezeichnet; Lau, Kaiserin, 2016, S. 99. Zur brandenburg-preußischen ›Mehrfachherrschaft‹ vgl. die Beiträge in Kaiser/ Rohrschneider, Membra unius capitis, 2005, und – eher ältere Forschungen rezipierend – jüngst auch Schneider/Simon, Gesamtstaat, 2019; vgl. ferner Rohrschneider, Staatlichkeit, 2008; Friedrich, Brandenburg-Prussia, 2012. Vgl. Neuhaus, Werden, 2006, S. 247. Wenn also im Folgenden der Einfachheit halber von ›preußischer‹ Reichstagspolitik die Rede ist, dann ist der genannte Sachverhalt stets mitzuberücksichtigen. Das Folgende in enger Anlehnung an Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 52–63 (mit ausführlicheren Darlegungen und Nachweisen).

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

hunderts suggeriert.31 Dieser Befund hat auch begriffliche Konsequenzen: Der von der Forschung geprägte Terminus ›Dualismus‹ sollte im Hinblick auf die österreichisch-preußischen Beziehungen stets als ›Zweiheit‹ und ist nicht im Sinne eines zwangsläufigen Gegensatzes interpretiert werden.32 Phasen der Konfrontation wechselten nämlich mit Jahren, in denen man bemüht war, einen Modus Vivendi zu etablieren. Die internen österreichischen Akten offenbaren gleichwohl, dass der preußische Konkurrent auch nach dem Dresdener Friedensschluss von 1745 als hochgradiger Unruhe- und Bedrohungsfaktor perzipiert wurde.33 Mit dem wahrgenommenen Anwachsen der preußischen Anhängerschaft und dem direkt auf Friedrich II. abzielenden Vorwurf der »vergrösserungsbegierde«34 gingen auch konfessionelle Befürchtungen einher, die sich seit dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges 1756 noch weiter verfestigten.35 Gut erforscht sind in diesem Zusammenhang die Anschauungen des Staatskanzlers Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg, für den Preußen zu den ›natürlichen‹ Feinden Österreichs zählte,36 was ihn in seiner viel zitierten Denkschrift vom 24. März 1749 zu der Schlussfolgerung veranlasste,

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So hält etwa die Vorstellung eines prinzipiellen Konfrontationskurses des Wiener Hofes gegenüber Preußen auf dem Forum des Reichstags dem Quellenbefund nicht stand. Vielmehr gab es zum Beispiel nach der Wahl Franz I. Stephans Phasen, in denen die Hofburg sehr darauf achtete, in Regensburg unnötige Konflikte mit Preußen zu vermeiden. So Haug-Moritz, Ständekonflikt, 1992, S. 127. Zu den Friedensschlüssen des friderizianisch-theresianischen Zeitalters vgl. jüngst Dauser, Friedensschlüsse, 2021. Vgl. den Vortrag des Reichsvizekanzlers Rudolph Joseph Graf von Colloredo-Waldsee, Wien, 23.6.1749; HHStA Wien, Reichskanzlei, Diplomatische Akten, Vorträge 6d, fol. 401; zur preußischen »vergrösserungsbegierde« vgl. auch das Zirkularschreiben an die österreichischen Minister, Wien, 9.2.1757; HHStA Wien, Reichskanzlei, Diplomatische Akten, Reich, Weisungen 18, unfoliiert. Vgl. etwa die Weisung an die Reichstagsgesandten Johann Otto Venantius Graf von Frankenberg und Ludwigsdorff sowie Marquard Paris Anton Freiherr von Buchenberg, Wien, 19.2.1752; HHStA Wien, Reichskanzlei, Diplomatische Akten, Regensburg, Österreichische Gesandtschaft, Weisungen 1, fol. 346–349v. Zum Faktor Konfession im Siebenjährigen Krieg vgl. insbesondere Burkhardt, Abschied, 1985, sowie Fuchs, Religionskrieg, 2006; siehe jüngst auch die Einschätzung von Füssel, Preis, 2019, S. 130f. und 190–205. Vgl. ausführlich Schilling, Kaunitz, 1994, S. 19–52.

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»daß die Preußische Politique, zu Erhaltung Ihrer Conquete [Schlesien, M.R.], beständig dahin gerichtet seye, Oesterreich immer mehrers zu schwächen, mithin ihm die Kräfften und Mittel, zu ausführung seiner weitern Absichten zu benehmen, und daß solchergestalten die beyden Höfe, auch für das Künfftige in der grösten Eifersucht, und ohnversöhnlichen Feindschafft fortleben werden.«37 Dies korrespondierte ganz offensichtlich mit der Haltung Franz I. Stephans und Maria Theresias. Während der Kaiser offenbar der Überzeugung war, der preußische König »travaillait dans l᾽Empire à renverser tout, et à diriger tout selon sa convenance«,38 sah Maria Theresia im preußischen König bekanntlich ein Monstrum und einen Scharlatan.39 Selbst Joseph II., der eine gewisse Affinität zu Friedrich II. entwickelte, bezeichnete den König in einem Schreiben an Maria Theresia aus späteren Jahren als »ennemi aussi redoutable qu᾽irréconciliable«.40 Angesichts der befürchteten Verschiebungen der Kräfteverhältnisse im Reich zugunsten Preußens reagierte die Wiener Hofburg in fast seismographischer Weise auf jedwede Versuche, in Regensburg die kaiserliche Stellung zu unterminieren. Der Hinweis auf das angebliche Streben des Hohenzollernstaates nach einer Umwälzung der Reichsverfassung gehörte dabei zum Standardrepertoire der Reichstagsgesandten des Wiener Hofes. Sie sollten das Forum des Reichstags nutzen, um den Reichsständen die existenzielle Bedrohung des gesamten Reichssystems vor Augen zu führen, die aus österreichischer Sicht von der preußischen Politik und Kriegführung ausging. »Solte es Churbrandenburg gelingen, die oberhand zu erhalten, so ist es sicher, daß das band des Reichs nicht mehr bestehen und ein stand nach dem andern von dessen gewalt werde verschlungen werden«, heißt es in einer Weisung an die Prinzipalkommission vom 22. März 1757, also nach der Durchsetzung des Reichskrieges gegen Preußen am Reichstag.41

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Pommerin/Schilling, Denkschrift, 1986, S. 205. Vgl. die Aufzeichnung des Grafen Willem Bentinck, 10.10.1749; Beer, Bentinck, 1871, S. 18. Vgl. Kunisch, Friedrich der Große, 2004, S. 509; siehe in diesem Kontext zuletzt auch Braun, Kaiserin, 2018, S. 117–130. Schreiben vom 3.4.1761; Arneth, Correspondenz, 1867, S. 2. HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Weisungen 8b, unfoliiert; zur Reichskriegserklärung von 1757 vgl. ausführlich Düwel, Reichskriegserklärung, 2016, sowie zuletzt Westphal, Landfrieden, 2018.

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

Ähnliches ist im Hinblick auf die Wahrnehmung der Politik Österreichs auf preußischer Seite zu beobachten. So war die Perzeption der österreichischen Reichspolitik durch Friedrich II. von der unverrückbaren Überzeugung geprägt, dass Maria Theresia den Verlust Schlesiens nie verschmerzen werde.42 Diese – letztlich durchaus zutreffende – Wahrnehmung bildete einen ganz zentralen Faktor der Reichspolitik des Königs. Sie ging einher mit starken Ressentiments gegenüber dem Wiener Hof, die auch und gerade eine historische Dimension aufweisen.43 Seit Kaiser Ferdinand I. strebe das Haus Österreich nach einer despotischen Herrschaft im Reich, liest man in Friedrichs Histoire de mon temps.44 Der kaiserliche Hochmut vererbe sich faktisch von Generation zu Generation45 und ziele darauf ab, die Kaiserwürde dauerhaft dem Haus Österreich zu erhalten,46 die protestantischen Reichsstände zu unterdrücken und die reichsständische Libertät womöglich abzuschaffen.47 Friedrichs Kabinettsordre vom 24. Juni 1750, mit der die traditionelle Fürbitte für den Kaiser im Kirchengebet seiner Untertanen abgeschafft wurde,48 sowie seine beharrliche Weigerung, seine Lehen mit Kniefall seines Gesandten vor dem Kaiserthron zu empfangen,49 sind symptomatisch für seine – sowohl politisch als auch emotional – außerordentlich große Distanz zum Reichsoberhaupt. Die erwähnten feindbildartigen Überzeugungen hatten typischerweise statischen Charakter und waren an Schemata ausgerichtet, die auf einem polarisierten Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien und stereotypen Wahrnehmungsmustern beruhten. So konstatierte man auf preußischer Seite beispielsweise »l᾽arrogance et l᾽orgueil insupportable de la maison d᾽Autriche«50 oder auch den »ohnveränderliche[n] Dessein des wienerschen Hofes […], sich

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Vgl. beispielshalber die Einschätzung Friedrichs II. in seinem Politischen Testament von 1752; Dietrich, Testamente, 1986, S. 330–333. Ähnlich auch das Urteil von Tischer, Kriegsbegründungen, 2012, S. 121, 133 und 215. Vgl. Volz, Werke, 1913, S. 230. Vgl. das Politische Testament von 1752; Dietrich, Testamente, 1986, S. 330f. Vgl. das Politische Testament von 1768; ebd., S. 670f. Vgl. Rohrschneider, Friedrich der Große, 2007, S. 116–118. Vgl. Koser, Brandenburg-Preußen, 1906, S. 225; Wilson, Politics, 2007, Absatz 20. Vgl. Noël, Reichsbelehnungen, 1968, S. 115f.; Aretin, Reich, Bd. 3, 1997, S. 51f.; StollbergRilinger, Kleider, 2008, S. 287–297; dies., Rituals, 2011, S. 367f.; Schenk, Friedrich der Große, 2012, S. 386. Schreiben Friedrichs II. an seinen Minister Heinrich von Podewils, Camp de Divetz, 25.6.1745; PC 4, S. 197.

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zu agrandiren und die völlige Oberhand in Teutschland zu gewinnen«.51 Eine bekannte Ausnahme in diesem Denkrahmen bildete Maria Theresia, über die sich Friedrich wiederholt durchaus respektvoll äußerte.52 Die ältere borussische Historiographie neigte jedenfalls zu Urteilen im Stile der eingangs erwähnten abfälligen Äußerungen Friedrichs II. über das Reich und die Reichsinstitutionen. Zudem wird in der gegenwärtigen Forschung – allerdings nur vereinzelt – die reichspolitische Kompetenz des Preußenkönigs infrage gestellt.53 Es überwiegen inzwischen jedoch anders gelagerte Einschätzungen.54 Friedrich habe gelernt, »die reichspolitische Klaviatur immer virtuoser zu beherrschen«, betont Gabriele Haug-Moritz.55 Zwar hielt der Preußenkönig die Reichstagsgesandten für »die schwerfälligsten Pedanten, die in den äußerlichen Lappalien am erfahrensten sind« und deren beschränkter Verstand nicht vermöge, »die Dinge im großen zu erfassen«.56 Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Friedrich sehr wohl den besonderen Wert erkannte, den das Regensburger Forum seinen außen- und reichspolitischen Ambitionen bot. So hob Wolfgang Neugebauer 51 52

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Schreiben des preußischen Kabinetts- und Geheimen Kriegrats August Friedrich Eichel an Podewils, Potsdam, 11.10.1750; PC 8, S. 103. Vgl. als Quellenbeispiel das Politische Testament von 1768; Dietrich, Testamente, 1986, S. 670f. Zum Bild Maria Theresias in der borussischen Geschichtsschreibung vgl. Telesko, Maria Theresia, 2012, S. 143f.; Stollberg-Rilinger, Maria Theresia, 2017, S. XIXf.; vgl. jüngst auch die Einschätzung von Braun, Kaiserin, 2018, S. 11: »Zwar wird heute kein ernstzunehmender Historiker mehr die preußischen Siege des 18. Jahrhunderts als wichtige Etappe der deutschen Mission des Hauses Hohenzollern betrachten, die in die Reichsgründung von 1870/71 mündeten, aber die vorwaltende preußische Perspektive auf die Ereignisse ist doch vielfach geblieben.« Vgl. Burkhardt, Geschichte, 2009, S. 108: Friedrich habe »vor allem gar nichts von Reichsgeschichte und Reichsrecht [verstanden] – vielleicht der historisch folgenreichste Fall einer Bildungslücke«. Zum Verhältnis Preußens zum Reich siehe aus jüngerer Zeit insbesondere den profunden Überblick von Kleinehagenbrock, Brandenburg-Preußen, 2009, sowie zuletzt Wieland, König, 2020. Vgl. darüber hinaus die instruktiven Arbeiten von Tobias Schenk; exemplarisch genannt sei hier Schenk, Geschichte, 2014. Haug-Moritz, Gegenkaiser, 2002, S. 39. Vgl. auch das Urteil von Volker Press, »daß Friedrich der Große einer der erfolgreichsten Reichspolitiker war, die es je gegeben hat«; Press, Reichspolitiker, 2000, S. 261; vgl. hierzu auch Hahn, Nation, 2007, S. 185f. Siehe zuletzt zudem Whaley, Reich, Bd. 2, 2014, S. 17: »Friedrich der Große selbst arbeitete als virtuoser Reichspolitiker ebenso viel innerhalb und mit dem System wie dagegen.« Zitiert nach der deutschen Übersetzung in Volz, Werke, 1913, S. 95f.

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vor einigen Jahren mit guten Gründen hervor, dass »die These von Friedrich als ewigem Reichszerstörer«57 zu kurz greife. Phasen antireichischer Aggression und der Reichsferne Preußens hätten sich mit solchen abgewechselt, »in denen Friedrich das Reich respektierte«; dies sei »ein Grundzug seiner Politik von Anfang an« gewesen.58 Auch Peter H. Wilson betont, dass das Reich »an enduring fact of his political life« blieb und dass Friedrich »never seriously contemplated radical revisions to its structure«.59 Im Reich betrieb Preußen im Untersuchungszeitraum jedenfalls auf allen Ebenen Obstruktionspolitik gegenüber Österreich, und zwar gerade auch auf dem Reichstag, den Friedrich als Bühne gegen den Wiener Hof nutzte.60 Die ›negativen‹, erkennbar gegen Österreich gerichteten Züge von Friedrichs Reichspolitik61 gingen einher mit seinem Streben, die preußische Großmachtstellung in Europa zu festigen und die eigene Unabhängigkeit innerhalb des Reiches im Sinne eines Primats preußischer Interessenpolitik zu vergrößern.62 Das Reich war für Friedrich somit eine Art von »Manövrierfeld«,63 auf dem um Einflusszonen gerungen wurde. Eine Unterordnung unter das Haus Österreich kam für den preußischen König nicht mehr in Frage. Maßgeblich

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Neugebauer, Hohenzollern, Bd. 2, 2003, S. 45; in diesem Sinne schon Press, Reichspolitiker, 2000, S. 261, sowie Schindling, Friedrich der Große, 1986, S. 13. Neugebauer, Hohenzollern, Bd. 2, 2003, S. 45. Wilson, Relations, 2008, S. 345. Vgl. Press, Reichspolitiker, 2000, S. 280 und 287; Schindling, Friedrich der Große, 1986, S. 14 und 22; Aretin, Reich, Bd. 3, 1997, S. 50; Haug-Moritz, Gegenkaiser, 2002, S. 36; Gotthard, Reich, 2003, S. 136; Burkhardt, Vollendung, 2006, S. 441; Schmidt, Wandel, 2009, S. 155. Vgl. hierzu Wilson, Positionierung, 2012, S. 151: »Letztendlich war Friedrich nicht in der Lage, über die Rolle der negativen Opposition hinauszuwachsen. Er vermochte nichts Konstruktives beizutragen, da sein Interesse am Reich einzig von seinem Verlangen bestimmt war, sich den Habsburgern zu widersetzen.« Siehe hierzu auch ders., Armies, 1998, S. 262; Press, Reichspolitiker, 2000, S. 267f.; Haug-Moritz, Ständekonflikt, 1992, S. 138; Burkhardt, Vollendung, 2006, S. 441; Schmidt, Wandel, 2009, S. 155. Eine kritische Haltung gegenüber dem Schlagwort der ›negativen‹ Reichspolitik Friedrichs findet sich bei Schindling, Friedrich der Große, 1986, S. 13. Vgl. Wilson, Positionierung, 2012, S. 142. Schieder, Friedrich der Große, 1987, S. 261.

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waren eher Gleichgewichtsvorstellungen64 oder auch das Ziel, den Kaiser auf die Rolle eines bloßen Primus inter Pares herabzusetzen.65 Die Wiener Hofburg wurde jedenfalls ständig mit den Versuchen Preußens konfrontiert, die »pro-kaiserlichen Wirkmechanismen«66 in den Reichsinstitutionen zu torpedieren. Sicherlich war es nicht die Intention Friedrichs, die von Preußen dominierte Einflusssphäre, die quasi einem »Subsystem des Alten Reiches«67 gleichkam, vollkommen vom Reichsverband loszureißen. Aber der König »hat eben auch nie daran gearbeitet, das gemeinsame Dach, unter dem zumindest auch die brandenburgischen Kurlande beheimatet waren, so auszubessern, daß es allen Schutz bieten konnte«.68

Bipolare Wahrnehmungen auf dem Immerwährenden Reichstag Um die Mitte des 18. Jahrhunderts kristallisierte sich am Immerwährenden Reichstag eine signifikante Polarisierung des Geschehens heraus, die letztlich ein Reflex der österreichisch-preußischen Konflikte war und von der nahezu alle Reichstagsakteure mittel- oder unmittelbar betroffen waren. »Der zunehmende Antagonismus zwischen Preußen und Habsburg bildete sich in Regensburg unter den Gesandten gleichsam maßstabsgetreu ab.«69 In der österreichischen Reichstagskorrespondenz wurden die eigenen Anhänger typischerweise als die »Wohlmeinenden«, »Gutgesinnten«, »bien intentionnés« oder auch »Vertrauteren« bezeichnet, die Anhängerschaft Frank64

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Vgl. insbesondere die Ausführungen Friedrichs in seinem Politischen Testament von 1768; Dietrich, Testamente, 1986, S. 632f.; siehe darüber hinaus Keppler, Friedrich der Grosse, 1944, S. 133; Schieder, Friedrich der Große, 1987, S. 270f.; Schindling, Friedrich der Große, 1986, S. 14 und 17; Althoff, Gleichgewicht, 1995, S. 48; Wilson, Politics, 2007, Absatz 3; ders., Relations, 2008, S. 344; auf Friedrichs Ziel der Gleichrangigkeit Preußens mit Österreich verweist ders., Positionierung, 2012, S. 142 und 146. Vgl. Keppler, Friedrich der Grosse, 1944, S. 34; Bringmann, Friedrich der Große, 2006. S. 699. Haug-Moritz, Ständekonflikt, 1992, S. 170; vgl. auch dies., Gegenkaiser, 2002, S. 34; dies., Einungswesen, 2012, S. 208; Schmidt, Reich, 2009, S. 303. Kleinehagenbrock, Brandenburg-Preußen, 2009, S. 926. Kunisch, Friedrich der Große, 2004, S. 522. Stollberg-Rilinger, Maria Theresia, 2017, S. 167. Das Folgende nach Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 102–106. Zu den »Partheyen« am Reichstag zum Zeitpunkt der Beratungen über die Reichskriegserklärung an Preußen 1756/57 siehe darüber hinaus auch Düwel, Reichskriegserklärung, 2016, S. 190–276.

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

reichs (bis zum Renversement des alliances von 1756) und Preußens dagegen als die »Übel-« oder »Widriggesinnten«.70 Letztere Gruppierung wurde gelegentlich noch differenziert in die »ganz Übeldenkenden« einerseits und die »nicht durchaus Wohldenkenden« andererseits, bei welchen noch die Hoffnung bestehe, sie für die eigenen »Parthey« zu gewinnen.71 Es finden sich in den österreichischen Quellen Beispiele dafür, dass die Bezeichnungen »Klienten«, »Anhänger«, »Freunde« und »Adhärenten« für die Parteigänger Preußens vergleichsweise neutral, jedenfalls nicht in einem ausgeprägt pejorativen Sinn verwendet wurden.72 Die Schreiben enthalten aber auch stark wertende Umschreibungen der preußischen Anhänger, wie zum Beispiel »Adversarii« oder »Antagonisten«, die deutlich negativ konnotiert waren.73 Ein Äquivalent, das sich in der preußischen Korrespondenz häufiger findet, ist der Begriff »Gegenparthey«.74 Am stärksten tritt die abwertende Tendenz beim Gebrauch der Bezeichnung »Faktion« zutage, die ausschließlich

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Vgl. hierzu auch die Beobachtungen von Haug-Moritz, Ständekonflikt, 1992, S. 130–132; Gotthard, Reich, 2003, S. 136; Friedrich, Drehscheibe, 2007, S. 254–262. Vgl. die Weisung an die Reichstagsgesandten Frankenberg und Buchenberg, Wien, 13.2.1751; HHStA Wien, Staatskanzlei, Diplomatische Korrespondenz, Regensburg, Kurböhmische Gesandtschaft, Weisungen 1, unfoliiert. Vgl. etwa den Bericht des Konkommissars Carl Joseph von Palm an Colloredo, Regensburg, 14.9.1746; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 77b, unfoliiert (»um sich publice et coram Imperio als einen formalen clienten« der Könige von Frankreich und Preußen darzustellen); Palm an Franz I. Stephan, Regensburg, 11.8.1753; ebd., Berichte 91a, unfoliiert (»anhänger und clienten« des preußischen Königs); Bericht Buchenbergs an Kaunitz, Regensburg, 2.12.1757; HHStA Wien, Staatskanzlei, Diplomatische Korrespondenz, Regensburg, Österreichische Gesandtschaft, Berichte 138, unfoliiert (»freunde und anhänger« des preußischen Reichstagsgesandten Erich Christoph Edler Herr und Freiherr von Plotho); Bericht des Konkommissars August Friedrich Graf von Seydewitz an Colloredo, Regensburg 13.8.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 110b, unfoliiert (Adhärenten Preußens und Hannovers). Vgl. beispielsweise Seydewitz an Colloredo, Regensburg, 27.4.1761; ebd., Berichte 110a, unfoliiert (»unsere bekannten adversarii«); ders. an dens., Regensburg, 8.10.1761; ebd., Berichte 110b, unfoliiert (»antagonisten«); vgl. außerdem den Bericht Palms an Colloredo, Regensburg, 2.1.1747; ebd., Berichte 78a, unfoliiert. Hier ist von einer Zusammenkunft »malevolorum« bei dem hessen-kasselischen Gesandten August Ludwig von Wülcknitz die Rede. Vgl. die Berichte Plothos, Regensburg, 20.12.1756 und 20.1.1757; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 114 bzw. 124, jeweils unfoliiert.

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im negativen Sinn verwendet wurde.75 Gleiches gilt für den Wortgebrauch auf preußischer Seite. Friedrich II. und seine Minister bezeichneten die österreichische Klientel darüber hinaus auch als Kreaturen Wiens, wobei sie diesen im 17. Jahrhundert noch in neutralem Sinne verwendeten Begriff mit einer deutlich abwertenden Bedeutung versahen.76 Anders verhält es sich mit dem Begriff »Parthey«, der unter anderem auch als Bezeichnung für das eigene Lager oder neutral verwendet wurde77 – im Unterschied zum Begriff der »Partheylichkeit«, der ähnlich wie der Begriff »Faktion« ausnahmslos negativ besetzt war.78 Weitere geläufige Umschreibungen von personalen Bindungen, die klientel- und patronageartigen Charakter hatten oder im Sinne einer Parteigängerschaft gedeutet werden können, waren in der Reichstagskorrespondenz die Begriffe »Connexion«, »Dependenz« und »Attachement«.79 Derartige Umschreibungen waren immer dann mit einem eindeutig negativen Be-

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Vgl. die Nachweise bei Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 103 Anm. 18. Vgl. zum Beispiel den Bericht Podewils’ und Karl Wilhelms Graf Finck von Finckenstein an Friedrich II., Berlin, 28.12.1753; PC 10, S. 201 (»les princes créatures de la maison d᾽Autriche«). Vgl. auch die Ausführungen über die geistlichen Reichsstände im Politischen Testament Friedrichs des Großen von 1768; Dietrich, Testamente, 1986, S. 630f.; ein Beispiel aus den österreichischen Quellen: Bericht des Prinzipalkommissars Joseph Wilhelm Ernst Fürst zu Fürstenberg-Stühlingen und des Konkommissars Palm an Franz I. Stephan, Regensburg, 17.12.1745; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 75, unfoliiert (Bezeichnung des Reichstagsgesandten Rudolf Anton von Heringen als französische Kreatur). Vgl. etwa die Berichte Plothos, Regensburg, 31.1. und 15.7.1757; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 124 bzw. 130, jeweils unfoliiert; Bericht Palms an Franz I. Stephan, Regensburg, 25.4.1754; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 92b, unfoliiert. Anders verhielt es sich etwa im Kontext des Hofes Kaiser Karls VI., wo der Begriff »Parthey« stets im negativen Sinne verwendet wurde; vgl. Pečar, Ökonomie, 2003, S. 92. Vgl. die Berichte Plothos, Regensburg, 31.1.1757 bzw. das PS vom selben Tag; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 124 bzw. 127, jeweils unfoliiert. Vgl. zusätzlich die Begriffsbestimmung bei Zedler, Universal Lexicon, Bd. 26, 1740, Sp. 1057: »Partheylichkeit […] ist der Zustand eines Menschen, da er aus andern Ursachen, als aus Liebe zu der Wahrheit, mehr auf die eine als auf die andere Seite hänget. Solche andere Ursachen können vielerley seyn: Ansehen, Verwandschafft, Freundschafft, Furcht vor dem zu erwartenden Bösen, das Verlangen nach dem davon zu erwartenden Guten etc.« Vgl. die Belege bei Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 104 Anm. 22.

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

deutungsgehalt versehen, wenn sie im Verbund mit dem Vorwurf blinder Ergebenheit vorgebracht wurden.80 Als sich die Höfe von Wien und Berlin nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges intensiv darum bemühten, die eigene Anhängerschaft im Reich zu mobilisieren und sie nach Möglichkeit noch weiter auszubauen, entstand ein regelrechter Zwang für die Reichsstände, sich für eine der beiden »Partheyen« zu entscheiden. Denn die Einnahme einer neutralen Haltung brachte die Gefahr mit sich, dem politischen und militärischen Druck beider Kontrahenten ausgesetzt zu werden.81 Der mecklenburgische Reichstagsgesandte Karl Wilhelm Freiherr Teuffel von Birkensee hat die daraus resultierende Notwendigkeit, sich politisch und militärisch zu positionieren, in einem Schreiben an seinen Dienstherrn unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: »Eure Durchlaucht müssen durchaus optiren, welche Partei Sie nehmen wollen, die preußische oder die kaiserliche, auf beiden Achseln läßt sich nicht tragen.«82 Dass sich beide Seiten, sowohl Wien als auch Berlin, gegenseitig vorwarfen, die Reichsstände mit Zwang in die eigene Anhängerschaft zu pressen und sie dann durch die Ausübung von Druck fest an sich zu binden,83 zählt zu den bemerkenswerten Stereotypen in den damaligen österreichischen und preußischen Korrespondenzen bzw. Reichstagsakten und offenbart letztlich die im Rahmen der Konstruktion von Feindbildern typische Spiegelbildlichkeit der wechselseitigen Anklagen. Diese Beobachtungen zum Denken in bipolar ausgerichteten Kategorien um 1750, das nahezu einem Nullsummenspiel gleichkam,84 bestätigen insge80

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Vgl. den Bericht des Fürsten von Thurn und Taxis und Palms an Franz I. Stephan, Regensburg, 26.4.1753; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 89b, unfoliiert (»blinde adhærirung«); vgl. ferner die Berichte Plothos, Regensburg, 7.10.1756; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 112, unfoliiert (dem Kaiserhof »blindlings attachirte« Reichsstädte), sowie Regensburg, 6.2.1757; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 125, unfoliiert (»blindes attachement« vieler Reichsstände an den Kaiserhof). Vgl. Koch, Reichstag, 1950, S. IX. Zitiert nach Schultz, Mecklenburg, 1888, S. 225. Ein Beispiel aus der österreichischen Korrespondenz: Bericht Palms an Franz I. Stephan, Regensburg, 11.8.1753; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 91a, unfoliiert (erwähnt werden hier die »meistens nothgedrungener weise sich dargestellten anhänger und clienten« des preußischen Königs). Aus Sicht des Wiener Hofes war dies nicht zuletzt ein Signum der preußischen Vergrößerungsbegierde (siehe oben). Auf preußischer Seite sah man darin kaiserlichen Despotismus am Werk, der sich gerade auch gegen die protestantischen Reichsstände richte. Vgl. Schmidt, Staatlichkeit, 2009, S. 545.

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samt gesehen das generelle Urteil Susanne Friedrichs über die »Drehscheibe Regensburg«: »Am Reichstag sind […] Prozesse zu beobachten, wie sie ›wegroups‹ und ›other-groups‹ kennzeichnen. Während gegenüber den Angehörigen der eigenen Gruppe Solidarität, Sympathie, Loyalität und Vertrauen auftraten, entstanden gegen Außenstehende Gefühle der Entfremdung, des Argwohns und der Angst.«85

Klientelpolitik und Parteibildung In einer Resolution Friedrichs II. vom 28. Februar 1757, mit der er auf einen Bericht seiner Minister über die Probleme bei der anvisierten Formierung einer Union protestantischer Reichsfürsten reagierte, findet sich folgende aufschlussreiche Weisung: »Sie müssen es machen, wie die Wiener: öfters probiren, sich nicht decouragiren lassen, keine Gelegenheit vorbei lassen, sondern attent seind. Was heute nicht gehet, gehet morgen.«86 Die neuere Forschung hat mit guten Gründen herausgestellt, dass Friedrich II. im Hinblick auf die konkreten Methoden preußischer Reichspolitik in mancherlei Hinsicht Wege beschritt, die in ähnlicher Form auch der Kaiserhof seiner Politik im Reich zugrunde legte.87 Zu diesem »mix of methods«,88 den der preußische König gekonnt einzusetzen verstand, zählten zum Beispiel gezielte Stellenbesetzungen, Nobilitierungen, Geschenke und Geldzahlungen, ferner wiederholte Versuche der Bildung reichsständischer Unionen und Assoziationen, eine dynastisch geprägte Ehestiftungspolitik sowie nicht zuletzt die Demonstration konfessioneller Solidarität. Als Instrumente zu nennen sind ferner die mediale Beeinflussung der Öffentlichkeit(en) im Reich und eine Ausreizung der Möglichkeiten, welche die Reichsinstitutionen boten – etwa ein aktives Vorgehen auf dem Reichstag und auf der Ebene der Reichskreise sowie Vorstöße auf dem Gebiet der Reichsgerichtsbarkeit –, darüber hinaus die Etablierung eines Netzes von Konfidenten und Informanten an den Höfen sowie

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Friedrich, Drehscheibe, 2007, S. 261. PC 14, S. 329. In Wilson, Armies, 1998, S. 262, ist sogar von einer Kopie der Methoden der Habsburger die Rede; vgl. auch ders., Politics, 2007, Absatz 49; ders., Positionierung, 2012, S. 150; vgl. ferner den ähnlich gearteten Befund bei Press, Reich, 2000, S. 50. Siehe hierzu und zum Folgenden Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 62f. Wilson, Politics, 2007, Absatz 6.

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

nicht zuletzt die Formierung einer festen Klientel und satellitenhafter Parteigänger. Die Mittel, welche der Wiener Hof traditionell zur Herausbildung und Bewahrung eines Netzwerkes reichsständischer Anhänger einsetzte, waren ebenfalls ausgesprochen vielfältig. Der Kaiser verfügte über eine breite Palette an Möglichkeiten, mittels des Einsatzes bestimmter Ressourcen Anhänger an sich zu binden.89 Dies haben bereits die Zeitgenossen sehr deutlich erkannt. So findet sich – um hier ein konkretes Beispiel anzuführen – in der 1766 erschienenen Schrift Friedrich Carl von Mosers Was ist: gut Kayserlich, und: nicht gut Kayserlich? eine Unterscheidung dreier Gruppen von Gnadenbezeugungen des kaiserlichen Hofes: erstens Pensionen, zweitens Standeserhöhungen und drittens ansehnliche Geschenke, Lehnserteilungen, Exspektanzen und andere Vorteile.90 Dahinter stand das Ziel Österreichs, den Status quo im Reich zu eigenen Gunsten zu verändern.91 Die Vermehrung der Anzahl der »Wohlgesinnten« und die Einwirkung auf die »übel oder zweydeutig« gesinnten Höfe, damit sie »die für das Teutsche reichswesen und deßen grundverfaßung so fatale Preussische obermacht einschräncken helffen möchten«,92 waren dabei Leitlinien im politischen Kalkül der Wiener Hofburg. In einem Bericht an den Reichsvizekanzler Colloredo vom 8. November 1747 fasste der Konkommissar Palm diese reichspolitische Agenda treffend zusammen und forderte nachdrücklich, die »gutgesinnten« Reichsstände, »insonderheit diejenige, welche etwas unempfindlich und schläffrig sich bezeigen, aufzumuntern und zu einer werckthätigen vereinigung zu bringen«. Besonders die geistlichen Stifter müsse man dazu bringen, die »Parthey« des Kaisers und des Hauses Österreich zu halten. Allerdings sei dabei ein vorsichtiges Vorgehen erforderlich: Sobald der Eindruck entstehe, der Wiener Hof wolle nur »neue uniones und verbindungen« im Reich bilden, könnte dies nachteilig sein, weil die Gegenseite vergleichbare Bündnisse schließen werde, »wodurch die reichsverfassung und das noch übrige schwache band, so haupt und glieder

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Besonders aufschlussreich ist in diesem Kontext Pons, Kunst, 2009. Vgl. Moser, Was ist: gut Kayserlich, 1766, S. 242–256. Vgl. hierzu und zum Folgenden Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 117f. Weisung an Palm, Wien, 19.5.1745; HHStA Wien, Staatskanzlei, Diplomatische Korrespondenz, Regensburg, Österreichische Gesandtschaft, Weisungen 5, fol. 660v; vgl. auch die Weisung an Frankenberg und Buchenberg, Wien, 13.2.1751; ebd., Kurböhmische Gesandtschaft, Weisungen 1, unfoliiert.

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unter sich zusammenhaltet, vollendts gar verrißen und zertrümmert werden könte«. Schon zu Zeiten Karls V. und Ferdinands II. sei »das systema des Römischen Teutschen Reichs durch eine zwyspaltige partheynehmung [beinahe] völlig über den hauffen gegangen«.93 Erklärbar wird diese vorsichtige Haltung des Kaiserhofes, wenn man die existenzielle Besorgnis hinsichtlich der Wirkungsmacht der »Widriggesinnten« bedenkt. Diese hatten aus Sicht der Hofburg nicht nur am Reichstag »leyder die oberhand«94 , sondern sie wurden vor allem auch aufgrund ihrer militärischen Stärke gefürchtet. Die Macht der Protestanten und insbesondere Preußens sei ungemein angewachsen, heißt es in einer Weisung des Wiener Hofes an die Reichstagsgesandten vom 19. Februar 1752. So habe die bisherige Erfahrung gezeigt, dass die Protestanten »für einen mann stehen«, sobald es um die Unterdrückung der Katholischen gehe.95 Preußen werde in der Reichsfürstenkurie von den armierten Reichsständen unterstützt, wobei die katholischen Reichsstände, ohne Österreich gerechnet, nur über einen Bruchteil der Kriegsmacht der Protestanten verfügten. Zudem seien die katholischen Reichsstände uneins und Kurköln sowie die Kurpfalz sogar eng mit Preußen verbunden. Vor diesem Hintergrund waren Gunsterweise unterschiedlichster Art nahezu unerlässlich und fester Bestandteil der konkreten Gestaltung der Reichstagspolitik der Habsburgermonarchie. So setzte der Wiener Hof gezielt Gnadenbezeugungen ein, um im Gegenzug ein ihm genehmes Abstimmungsverhalten der betreffenden reichsständischen Gesandten in Regensburg zu erwirken. Um Preußen auf reichspolitischem Terrain Paroli bieten zu können, nutzte die Hofburg sowohl die Spielräume, die das komplexe formale Reichstagsprozedere bot ‒ beispielshalber erwähnt seien hier die Steuerungsmöglichkeiten, über die der österreichische Direktorialgesandte im Reichsfürstenrat verfügte ‒, als auch Möglichkeiten der Einflussnahme auf die politische Willensbildung, die jenseits der formalen Beratungen in den Reichskurien lagen, und zwar nicht selten nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung (do ut des, manus manum lavat).

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HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 79c, unfoliiert; in ähnlichem Tenor auch der Bericht Palms an Colloredo, Regensburg, 31.11.1747; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte, unfoliiert. Weisung an die Prinzipalkommission, Wien, 28.11.1750; ebd., Weisungen 7a, unfoliiert. Weisung an Frankenberg und Buchenberg, Wien, 19.2.1752; HHStA Wien, Reichskanzlei, Diplomatische Akten, Regensburg, Österreichische Gesandtschaft, Weisungen 1, fol. 346–349v, hier fol. 347.

Die österreichische und preußische Reichstagspolitik um 1750

Einigkeit herrschte in der Wiener Hofburg darüber, dass man auf jeden Fall den Kurfürstenrat für die eigene Politik gewinnen musste.96 Im Reichsfürstenrat baute man dagegen grundsätzlich auf die Mehrheit der katholischen Reichsstände.97 Eine Relation des österreichischen Direktorialgesandten Buchenberg an Maria Theresia vom 15. Februar 1754 zeigt jedoch, wie sehr man darauf bedacht war, die Unwägbarkeiten des Abstimmungsverhaltens einzuplanen. Die Mehrheitsverhältnisse im Reichsfürstenrat seien aufgrund der großen Stimmenzahl gerade im Falle enger Entscheidungen unsicher; »noch in limine deliberationis«, so führte Buchenberg aus, könne »das gantze blatt auf einmahl sich umwenden«.98 Gerade die Anhäufung mehrerer Voten in den Händen von einigen wenigen Gesandten und die Tatsache, dass nicht zuletzt auch Preußen über eine ganze Reihe von Voten im Reichsfürstenrat verfügte, wurden als Unsicherheitsfaktoren angesehen.99 Es sei sehr zu bedauern, dass die fürstlich-sächsischen Häuser »ihre so wichtigen vota«100 einem einzigen Gesandten anvertrauten, sodass sich die »Widriggesinnten« diese Stimmen leicht sichern könnten, da sie es nur mit einer einzigen Person zu tun hätten, monierte der Konkommissar Seydewitz am 23. August 1756.101 Für eine Bewertung der gerade skizzierten Parteibildungsbemühungen und reichspolitischen Zielsetzungen des Wiener Hofes ist die zeitgenössische Außenperspektive ein nützlicher Indikator. Bemerkenswert ist insbesondere die preußische Wahrnehmung. Sie lässt erkennen, dass man nicht nur die Intensität des entsprechenden Vorgehens der Hofburg sehr aufmerksam zur Kenntnis nahm, sondern dass man die Praktiken des Kaiserhofes, wie das weiter oben angeführte Zitat Friedrichs II. zeigt,102 in gewisser Hinsicht sogar für 96

Vgl. exemplarisch den Vortrag [Colloredos, Wien, 1748?]; HHStA Wien, Reichskanzlei, Diplomatische Akten, Vorträge 6d, fol. 119, sowie Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 118f. 97 Vgl. die Instruktion für den kurböhmischen Gesandten Christian August Graf von Seilern, Wien, 30.10.1752, Druck: Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 307–322, hier insbesondere S. 315. 98 HHStA Wien, Reichskanzlei, Diplomatische Korrespondenz, Regensburg, Österreichische Gesandtschaft, Berichte 131, unfoliiert. 99 Vgl. ebd., unfoliiert. 100 Bericht Seydewitz᾽ an Colloredo, Regensburg, 23.8.1756; HHStA Wien, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 98, unfoliiert; vgl. auch ders. an dens., Regensburg, 13.3. und 10.7.1756; ebd., Berichte 97 bzw. 98, jeweils unfoliiert. 101 Zur Haltung des Wiener Hofes in der Frage von Mehrfachstimmführung vgl. auch Rohrschneider, Karg, 2017, S. 128f. 102 Vgl. das mit Anm. 86 nachgewiesene Zitat.

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nachahmenswert hielt. So hatte der preußische Reichstagsgesandte Plotho am 20. Dezember 1756 angesichts des Verhaltens einiger protestantischer Reichsstände mit einer Mischung aus Erstaunen und Verärgerung aus Regensburg vermeldet: »Es ist nicht zu begreifen, was der Kayserliche hoff vor wege und canaele müße gebraucht haben, solche höfe so umzukehren.«103 Die hier kurz skizzierte Wahrnehmung der österreichischen Parteibildungsanstrengungen zu Beginn des Siebenjährigen Krieges zeigt jedenfalls, dass die Anhänger Österreichs aus preußischer Perspektive als monolithischer Block erschienen, dem man auf verschiedenen Ebenen eigene Parteibildungsbemühungen entgegensetzte. Dies galt auch für das Regensburger Forum, obwohl das dortige Geschehen nach der Erklärung des Reichskrieges gegen Friedrich den Großen im Januar 1757 aus der Sicht Plothos zeitweise sogar den Anschein erweckte, als erübrigten sich dort weitere Aktivitäten Preußens.104 Aufgrund der Furcht und Scheu der noch »Wohlgesinnten« werde, so Plotho, »Euer Königliche Majestät parthey und anhang so geringe, daß bei hiesigem reichstage nichts mehr anzufangen und zu unternehmen seyn wird«.105 Sollte sich der Wiener Hof durchsetzen, meldete Plotho einige Tage später, dann sei es um die Freiheit und Rechte der Reichsstände geschehen »und das hauß Oesterreich erhielte die vollkommene monarchie über das ganze Teutsche Reich, wodurch es in stand kommen würde, ganz Europa gesetze vorschreiben zu können«.106 Friedrich II. selbst hatte rund einen Monat zuvor in einem Schreiben an den Nürnberger Magistrat einen ähnlichen Appell lanciert: »[…] niemalen aber ist es bisher, gottlob, dahin gekommen, dass das Teutsche Reich in einer solchen Dépendance des wienerschen Hofes gestanden, dass solches und dessen Stände den despotischen Willen des wienerschen Ministerii als Reichsgesetze erkennen und annehmen; die göttliche Providence wird auch hoffentlich nicht zulassen, dass erwähntes Ministerium in

103 GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 114, unfoliiert. Vgl. auch den Bericht Plothos, Regensburg, 1.11.1756 (ebd., Fasz. 113, unfoliiert), in dem der beunruhigte Reichstagsgesandte darüber berichtete, dass die kaiserlichen Minister Himmel und Hölle bewegen würden und die Gesandtschaften »um Gottes willen« dahin zu lenken versuchten, dass sich deren Höfe gegen Preußen erklären. 104 Vgl. Rohrschneider, Österreich, 2014, S. 121. 105 Bericht Plothos, Regensburg, 15.7.1757; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 130, unfoliiert. 106 Bericht Plothos, Regensburg, 21.7.1757; ebd., unfoliiert.

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solchen seinen, obschon von vielen Zeiten her geführten Absichten jemals reussiren werde.«107 Aus preußischer Sicht gestaltete sich das Zieltableau der österreichischen Reichspolitik insgesamt gesehen so, dass es unbedingt erforderlich erschien, dem vermeintlich »allezeit vorgehabten despotismum«108 der Wiener Hofburg entgegenzuwirken. Der Aufbau einer möglichst schlagkräftigen Anhängerschaft im Reich wurde in diesem Kontext – gewissermaßen in Analogie zu den Bestrebungen der österreichischen Seite – als ein mögliches und nicht zu unterschätzendes Instrument angesehen.

Fazit Insgesamt gesehen ergibt sich bei der Analyse der österreichischen und preußischen Akten keineswegs der von der älteren Historiographie vermittelte Eindruck, als hätten die Höfe von Wien und Berlin den Reichstag um die Mitte des 18. Jahrhunderts bei der Durchsetzung reichspolitischer Ziele als quantité négligeable angesehen. Der Reichstag war und blieb aus österreichischer und preußischer Perspektive als Plattform reichsständischer Interaktion ein bedeutender Handlungsraum für die Bildung von Mehrheiten im Reich. Damit soll überhaupt nicht bestritten werden, dass es noch andere wichtige Interaktionsräume gab, in denen um die Formierung und Mobilisierung von Klienten und Parteigängern gerungen wurde (Reichskreise, Höfe usw.). Dem Regensburger Reichstag kommt in diesem Mosaik reichspolitischer Foren jedoch ohne Zweifel zentrale Bedeutung zu. Er war ein wichtiger Schauplatz des Kontaktes, aber auch der Abgrenzung und der Konkurrenz der beiden dualistischen Vormächte Österreich und Preußen. Aus wahrnehmungsgeschichtlicher Sicht ist jedenfalls zu konstatieren, dass sich hier um die Mitte des 18. Jahrhunderts Tendenzen zur Bipolarisierung verfestigten, die den Akteuren immer wieder abverlangten, sich positionieren zu müssen, wollte man nicht Gefahr laufen, im Spannungsfeld der außen- und reichspolitischen Ambitionen der Höfe von Wien und Berlin zerrieben zu werden. Es deutet also einiges darauf hin, die erkennbare Perzeption zweier Lager seitens der

107 Friedrich II. an den Nürnberger Magistrat, im Lager vor Prag, 5.6.1757; PC 15, S. 132. 108 Bericht Plothos, Regensburg, 31.3.1757; GStAPK, I. HA, Rep. 10, Nr. 79, Fasz. 127, unfoliiert.

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Zeitgenossen als Indikator eines sich um 1750 am Reichstag verstärkt manifestierenden österreichisch-preußischen Dualismus anzusehen. Dies sollte in der Forschungspraxis gleichwohl nicht dazu führen, die Beziehungen der Höfe von Wien und Berlin isoliert zu betrachten. Vielmehr gilt es stets, der Komplexität des Reichs-Systems adäquat Rechnung zu tragen und auch und gerade diejenigen Glieder des Reiches angemessen einzubeziehen, die bei einer reduktionistischen Gegenüberstellung der beiden Vormächte außer Acht geraten würden. Dadurch kann die Vielfalt der Glieder des Alten Reiches zweifellos besser abgebildet werden, als dies in der älteren Historiographie in aller Regel der Fall war.

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Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen Eine Studie zur österreichisch-preußischen Konkurrenz Bettina Braun

Reichskirchenpolitik gehört sicherlich nicht zu den Feldern, die man auf Anhieb mit der preußisch-österreichischen Konkurrenz im Reich im 18. Jahrhundert verbinden würde. Zu ungleich scheinen hier die Rollen und die Einflussmöglichkeiten, aber auch die Interessen verteilt. Auf der einen Seite stand der katholische, habsburgische Kaiser, der, wie die Forschung in den letzten Jahren noch einmal verdeutlicht hat, seine Herrschaft auf die Mindermächtigen im Reich, darunter nicht zuletzt die geistlichen Reichsstände, stützte1 und der als oberster Schutzherr der Kirche zu jeder Bischofswahl einen kaiserlichen Wahlkommissar entsandte2 und damit über Einflussmöglichkeiten verfügte, die Friedrich II. folgendermaßen auf den Punkt brachte: »Les princes Eclessiastiques sont atachéz a La Maisson d’autriche, a la quelle ils sont redevables de leur Elevation.«3 Ungewollt verweist der preußische König mit dieser Aussage zugleich auf die spezielle Konstellation, dass das Haus Österreich – mit Ausnahme der Jahre 1740–1745 – stets den Kaiser stellte, ein Faktor, der für die Wiener Reichskirchenpolitik von immenser Bedeutung war, der es aber auch schwierig macht, jeweils die österreichische von der kaiserlichen Reichskirchenpolitik zu trennen.4 Friedrich II. wiederum hatte mit seinen Säkularisationsplänen zu Beginn der 1740er Jahre die Reichskirche aufgeschreckt5 und war ohnehin für seine kritische Haltung gegenüber Kirchen und Religion im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen bekannt. Hinzu 1 2 3 4

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Zuletzt Schnettger, Kaiser, 2020, S. 267f. Christ, Praesentia regis, 1975. Politisches Testament Friedrichs II. von 1752, in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 340. Dies zeigt sich auch in der archivarischen Überlieferung zu den Bischofswahlen, die sich überwiegend, aber nicht ausschließlich im Bestand der Reichskanzlei befinden. Ergänzend ist deshalb die Überlieferung der Staatskanzlei heranzuziehen. Baumgart, Säkularisationspläne, 1984.

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kam die Rekonfessionalisierung der Reichspolitik, die es Friedrich insbesondere nach der Umgruppierung der Bündnisse entlang konfessioneller Linien 1756 erleichterte, sich als Führungsmacht des Corpus Evangelicorum zu profilieren, eine Positionierung, die ihm aber umgekehrt eine aktive Rolle im katholischen Deutschland und insbesondere in der Reichskirche erschwerte.6 Die Rollen- und Gewichtsverteilung scheint damit zu klar zu sein, um wirklich von einem Konkurrenzverhältnis sprechen zu können. Allerdings finden sich in der Forschung auch andere, ernstzunehmende Stimmen, die die Auffassung vertreten, dass »auch die Besetzung der Reichsbistümer mit unerbittlicher Konsequenz in das Kampffeld des österreichisch-preußischen Dualismus geraten« musste – so Friedrich Keinemann auf der Grundlage seiner genauen Kenntnis der Wahlen in den westfälischen Fürstbistümern im ausgehenden 18. Jahrhundert.7 Bisher erlaubt die Forschungslage kein fundiertes Urteil in dieser Frage. Untersuchungen liegen nur punktuell zu einzelnen Bischofswahlen vor. Diese thematisieren zumeist die Parteiungen in den Domkapiteln und die regionalen Machtverhältnisse.8 Übergreifende Arbeiten zur habsburgischen oder gar zur preußischen Reichskirchenpolitik fehlen.9 Eine umfassende Analyse kann auch an dieser Stelle selbstverständlich nicht erfolgen. Es soll aber der Versuch unternommen werden, für die Zeit zwischen dem Siebenjährigen Krieg und 1786 die Mächtekonstellationen bei ausgewählten Bischofswahlen im Reich so weit nachzuzeichnen, dass ein fundiertes Urteil zu der Frage gefällt werden kann, ob die Reichskirche in dieser Zeit eine Arena im Konkurrenzkampf zwischen Preußen und Österreich bildete. Dabei erfolgt eine Konzentration auf einige wenige Bistümer, da die Mehrzahl der Bistümer, vor allem diejenigen im Süden des Reichs, weit jenseits des preußischen Horizonts und Interesses lagen. Von den geistlichen Kurfürstentümern werden Mainz und Köln untersucht, während Trier außer Betracht bleibt, da es für Preußen kaum interessant war und auch für das Kaiserhaus

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Bezeichnenderweise beschreibt Gabriele Haug-Moritz als Handlungsfelder des »Gegenkaisers« Friedrich die dynastische Politik, den Reichstag sowie die Publizistik, nicht jedoch die Reichskirche; Haug-Moritz, Friedrich der Große, 2002, v. a. S. 35–42. Siehe auch Kalipke, Verfahren, 2015. Keinemann, Wahlbewegungen, 1969, S. 52. Eine Nennung erfolgt bei den jeweiligen Wahlen, weshalb hier eine Aufzählung unterbleiben kann. Knappe Hinweise für die 1780er Jahre bei Guglia, Geschichte, 1913.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

in der Bedeutung deutlich hinter Mainz und Köln zurücktrat.10 Die beiden anderen Schwerpunkte bilden die westfälischen Bistümer, die Preußen schon rein geographisch näher lagen, und die fränkischen Bistümer,11 zumal Franken aufgrund der dynastischen Situation in den dortigen Markgrafentümern in den Fokus Berlins geriet. Dem Erkenntnisinteresse dieser Studie entsprechend werden die Wahlen ausschließlich aus der österreichischen bzw. preußischen Perspektive – und d.h. unter Beschränkung auf die Wiener und Berliner Archivbestände – betrachtet, nicht aus der der Domkapitel, der Kandidaten oder der Kurie. So soll herausgearbeitet werden, wie die Höfe in Berlin und Wien auf diese Wahlen blickten, wo sie den Gegner verorteten, wo sie Chancen und Risiken sahen, woraus sich dann auch Einsichten in die unterschiedlichen Handlungsspielräume – als Folge von rechtlichen Voraussetzungen, konfessionellen Zugehörigkeiten, der politischen Gemengelage und den zur Verfügung stehenden Wissensbeständen – ergaben. Die Wahlkämpfe in der Germania Sacra wurden lange Zeit vom habsburgisch-französischen Gegensatz bestimmt – am spektakulärsten sicher bei der Kölner Wahl von 1688. Wenn auch in abgeschwächter Form lässt sich diese Konstellation noch in den Wahlen der 1740er und 1750er Jahre greifen. Als während der Sedisvakanz in Würzburg und Bamberg 1746 ein preußischer Gesandter in Franken unterwegs war, erregte das zwar das Misstrauen Wiens, war aber tatsächlich rein zufällig und nicht Folge der veränderten Machtkonstellation im Reich. Denn der Flügeladjutant Freiherr von Goltz war von Friedrich II. ausschließlich mit dem Auftrag nach Süddeutschland geschickt worden, von den dortigen Reichsständen die Zustimmung zu den Friedensschlüssen von Breslau und Dresden zu erlangen.12 Erst mit den Wahlen in

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So auch für die Zeit zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und der Mitte des 17. Jahrhunderts Schnettger, Bischofswahlen, 1999, S. 222. Aufgrund der eher marginalen Bedeutung Eichstätts erfolgt hier eine Beschränkung auf Würzburg und Bamberg. Die ausführliche Analyse der Eichstätter Bischofswahlen in Zürcher, Bischofswahlen, 2008, zeigt, dass Preußen in Eichstätt nicht als Akteur in Erscheinung trat. Friedrich an das Departement des Äußeren, Potsdam, 16.7.1746; PC 5, Nr. 2278, S. 134. Missverständlich ist deshalb die Formulierung bei Romberg, Bischöfe, 2020, S. 117, der das »unerwartete Erscheinen eines preußischen Gesandten« als »ein Novum bei den Würzburger Bischofswahlen« bezeichnet und schreibt, dass dem kaiserlichen Wahlkommissar Chotek dadurch »[u]nverhoffe Konkurrenz« entstanden sei. Auch Christ sieht in Goltzʼ Entsendung »erstmals ein[en] stärkere[n] Einfluß Preußens«; Christ,

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den westfälischen Bistümern nach dem Tod Erzbischof Clemens Augusts 1761 wird Preußen als Akteur der Reichskirchenpolitik fassbar.13 Diese Studie setzt deshalb mit jenen Wahlen ein und endet 1786, also mit dem Todesjahr Friedrichs II. Denn die darauffolgende Mainzer Koadjutorwahl des Jahres 1787 fand bereits unter den durch den Fürstenbund grundlegend geänderten Voraussetzungen statt, während die Paderborner und Hildesheimer Wahl der Jahre 1785/86 noch in einem engen Zusammenhang mit der Kölner und Münsteraner Wahl von 1780 stand. Für diesen Zeitraum sollen die Wahlen zunächst auf eine mögliche Konkurrenz zwischen Österreich und Preußen hin befragt werden. Im Anschluss an den chronologischen Überblick wird in zwei kurzen resümierenden Abschnitten dargelegt, welcher Mittel sich die beiden Mächte bei den Bischofswahlen vorzugsweise bedienten und welche Argumentationsmuster sie einsetzten, um für »ihre« Kandidaten zu werben. Mit dem Tod des Kölner Kurfürsten Clemens August von Bayern am 6. Februar 1761 standen das Kurfürstentum und Erzbistum Köln sowie die nordwestdeutschen Bischofsstühle zur Neubesetzung an, und das mitten im Siebenjährigen Krieg.14 Im Frühjahr 1761 konzentrierte man sich zunächst auf die Kölner Wahl. Dabei wurden die Parteiungen primär – sozusagen in alter Tradition – nach dem französisch-österreichischen Gegensatz strukturiert, obwohl diese Alternative nach dem renversement des alliances eigentlich obsolet geworden war. Dass die Verhältnisse sich geändert hatten, lässt sich freilich daran ablesen, dass Frankreich dem von ihm favorisierten – und von Wien strikt abgelehnten – Johann Theodor von Bayern erklärte, dass »man mit dem kayserl. Hof concert gehen müsse.«15

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Hochstift, 1967, S. 191. Damit wird der Mission eine Intention unterstellt, die sie tatsächlich nicht besaß. Gegen einen solchen Zusammenhang spricht schon die zeitliche Abfolge: Die Anweisung Friedrichs zu der Entsendung Goltzʼ (und anderer Gesandter mit gleichem Auftrag an andere Höfe) datiert vom 16. Juli, Friedrich Karl von Schönborn starb aber erst am 26. Juli. Die Durchsicht der einschlägigen Bestände im GStAPK sowie der Politischen Correspondenz Friedrichs des Großen lieferte keine Hinweise auf eine aktive Beteiligung Preußens an den Bischofswahlen in den ersten beiden Jahrzehnten der Regierungszeit Friedrichs des Großen. Ausgenommen war lediglich die Nachfolge in Osnabrück, wo aufgrund der im Westfälischen Frieden festgeschriebenen alternierenden Sukzession auf den katholischen Wittelsbacher ein protestantischer Fürst folgen musste, dessen Benennung dem Haus Braunschweig-Lüneburg, also Großbritannien-Hannover, oblag. Johann Anton Graf Pergen an Reichsvizekanzler Rudolf Joseph Graf Colloredo, Frankfurt, 19.2.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Berichte aus dem Reich 68, unfol.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Da sich im Domkapitel rasch die Tendenz abzeichnete, nach fast 180 Jahren wittelsbachischer Erzbischöfe einen nichtfürstlichen Kandidaten aus den eigenen Reihen wählen zu wollen, war der Weg frei für Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels, der als Kompromisskandidat für alle Seiten akzeptabel war.16 Die westfälischen Stiftsländer waren zu dieser Zeit von hannoverschen Truppen besetzt, sodass man in Wien befürchtete, dass unter diesen Bedingungen keine freien Wahlen stattfinden könnten. Der Kaiserhof bestand deshalb auf der Anwesenheit eines kaiserlichen Wahlkommissars, was wiederum für Hannover nicht akzeptabel war. Hannover verbot daraufhin die Wahl in Münster und untersagte den Domherren, die Stadt zu verlassen, um zu verhindern, dass diese an einem anderen Ort die Wahl durchführten.17 Die Verhandlungen um die Wahlen in den westfälischen Bistümern kreisten also zunächst einmal mehr um die Rahmenbedingungen der Wahl als um konkrete Kandidaten.18 Als die Diskussion über eine Wahl in Münster ein ganzes Jahr später, im Frühjahr 1762, erneut an Fahrt aufnahm, glaubte der als Wahlkommissar vorgesehene Thaddäus von Reischach zu wissen, dass der englische König nicht mehr auf einer Säkularisation bestehe, wohl aber der preußische König.19 Erkennbar hatte sich auf der österreichischen Seite die Wahrnehmung der Ge-

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Zur Wahl in Köln Stoecker, Wahl, 1910, S. 18–25. Stoecker, Wahl, 1910, S. 27. In Wien besaß man keine genaue Kenntnis der Domherren in Münster und Paderborn und ihrer politischen Orientierungen, wie in einem Appendix zur Instruktion für den Wahlkommissar offen eingeräumt wurde; Appendix zur Instruktion für Thaddäus von Reischach, Wien, 6.3.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 12 – Reischach, fol. 27r-v. Der zum Wahlkommissar für Münster bestimmte Thaddäus von Reischach, der österreichische Vertreter in den Niederlanden, machte sich zwar auf den Weg nach Münster, kehrte aber nach dem Verbot der Wahl und der Verweigerung eines Passepartouts durch den Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, Herzog Ferdinand von Braunschweig, wieder um; Domkapitel Münster an Franz I., Münster, 26.3.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 27, fol. 103r-104v. Thaddäus von Reischach an Colloredo, Delden, 28.3.1761; ebd., fol. 112r-v, 118r-119v. Reischach an Colloredo, Haag, 7.4.1761; ebd., fol. 152r-v, 161r. Reischach an Colloredo, Haag, 22.5.1761; ebd., fol. 245rv. Siehe auch die Darstellung bei Stoecker, Wahl, 1910, S. 26–28. Reischach an Colloredo, Haag, 12.3.1762; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 27, fol. 385r-v, 389r-v. Reischach an Colloredo, Haag, 30.3.1762; ebd., fol. 391r-v, 395r. Reischach an Colloredo, Haag, 27.4.1762; ebd., fol. 402r-403r, hier fol. 402v.

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genpartei geändert. Preußen wurde nun zumindest stets in einem Atemzug mit England genannt, immer häufiger auch allein.20 Da der vom Wiener Hof favorisierte Clemens Wenzeslaus von Sachsen von Großbritannien, Preußen, aber auch den Niederlanden vehement abgelehnt, wurde,21 stiegen auch in Münster die Chancen für den Kölner Erzbischof Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels, der allen Seiten als akzeptabler Kompromisskandidat galt. Entscheidend für den Fort- und Ausgang der Wahl waren das Votum König Georgs III., der im August 1762 die Wahl genehmigte und sich für Königsegg-Rotenfels aussprach, sowie das von den Niederlanden bereitgestellte Geld.22 Was Preußen angeht, spielte es in den Überlegungen der gegnerischen Partei zeitweise wohl eine größere Rolle, als es der Beachtung der Wahl durch die Berliner Politik entsprach. So berichtete der preußische Geschäftsträger in Münster direkt nach dem Tod Clemens Augusts sowohl von der Wahl in Köln als auch von der in Münster als einer zwar interessanten Angelegenheit, aber eben auch als einer, die kein preußisches Eingreifen erfordere.23 Alles deutet darauf hin, dass Friedrich der Große und seine Minister im weiteren Verlauf Hannover die Initiative überließen.24 Zwar unterstützte der preußische Resi20 21

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Colloredo an Reischach, Wien, 13.4.1762; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 27, fol. 396r-v, 401r. Reischach an Colloredo, Haag, 6.7.1762, ebd., fol. 424r-v. Der preußische Gesandte Ammon hatte bereits Ende 1761 über ein Empfehlungsschreiben Maria Theresias für Clemens Wenzeslaus von Sachsen an das Domkapitel berichtet; Christoph Heinrich von Ammon an Friedrich II., Münster, 11.12.1761; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 1134, fol. 12r-v. Zu den Bemühungen, Clemens Wenzeslaus von Sachsen zum Bistum Münster zu verhelfen s. Raab, Clemens Wenzeslaus, 1962, S. 154–168. Stoecker, Wahl, 1910, S. 37 und 41–45; Hanschmidt, Fürstenberg, 1969, S. 68–77. Der kaiserliche Gesandte in den Niederlanden, Reischach, lag mit seiner Einschätzung, dass die Niederlande wohl kaum willens seien, für die Wahl Geld auszugeben, also gründlich daneben; Reischach an Colloredo, Haag, 11.9.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, fol. 224r-225v, hier fol. 224v. Ammon an König Friedrich II., Münster, 3.3.1761; GStAPK, I. HA, Rep. 96, Nr. 36Cc, fol. 28r-29r; Ammon an König Friedrich II., Münster, 7.3.1761; ebd., fol. 30r-v. Das schloss nicht aus, dass Friedrich verärgert war, wenn er über die englischen Entscheidungen nicht informiert wurde, so über die englische Unterstützung für Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels; Friedrich II. an Herzog Ferdinand von Braunschweig, Breslau, 14.5.1762; PC 21, Nr. 13685, S. 437. Letztlich traf es wohl zu, wenn der preußische Kabinettsminister Finckenstein schrieb, »que le Roi n’a pas eu la moindre part à l’Election de Munster«; Kabinettsminister Karl Wilhelm von Finckenstein an Hermann Werner von der Asseburg, Berlin, 23.11.1762; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 8451, fol. 20r-v, hier fol. 20r.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

dent die Kandidatur des Domherrn Ferdinand von Droste zu Füchten,25 doch scheint er dabei weitgehend auf eigene Faust gehandelt zu haben.26 Wie in Münster war auch in Paderborn und Hildesheim die Wahl verboten worden. Obwohl noch keine Aufhebung des Verbots absehbar war, nutzte der als kaiserlicher Wahlkommissar nach Münster abgeordnete Thaddäus von Reischach seinen dortigen Aufenthalt, um sich auch über die Parteienverhältnisse in den Domkapiteln von Paderborn und Hildesheim zu erkundigen und gleichzeitig, insbesondere für Paderborn, für Clemens Wenzeslaus von Sachsen zu werben. Seine Erkundigungen erbrachten die für den Kaiserhof enttäuschende Erkenntnis, dass Clemens Wenzeslaus keinerlei Chancen habe und dass die Wahl mit ziemlicher Sicherheit auf Wilhelm Anton von der Asseburg fallen würde, oder auf dessen Neffen Friedrich Wilhelm von Westphalen, falls Asseburg »wegen seiner allhier von jedermann Vorgegebenen nahen Connexion mit dem königl. Preüß. Interesse Sr. Kayl. Majt. absolute nicht anständig seyn sollte.«27 In der Tat war Berlin im Vorfeld der Paderborner Wahl, anders als in Münster, frühzeitig und durchgehend aktiv geworden, wie z.B. die Korrespondenz Hermann Werner von der Asseburgs, des Bruders des späteren Bischofs, mit dem preußischen Minister Finckenstein zeigt, wobei Asseburg angab, »en Consequence des ordres Gracieuses de Sa Majesté« [= Friedrich, B.B.] von Zeit zu Zeit über die Wahlen in Westfalen zu berichten.28 Zu dieser frühzeitigen Sondierung und Unterstützung durch Preußen kam dann die hannoversche Hilfe, als Großbritannien schließlich im Dezember 1762 die Wahl erlaubte.29 In seinem Bericht legte der kaiserliche Wahlkommissar Reischach anschließend

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Stoecker, Wahl, 1910, S. 44. Angeblich hatte Droste dem preußischen König für den Fall seiner Wahl versprochen, Gebiete an Preußen abzutreten, die eine Landverbindung zwischen den preußischen Territorien Kleve und Ostfriesland hergestellt hätten; Reischach an Colloredo, Haag, 6.7.1762; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 27, fol. 424r-v. Für dieses Angebot findet sich jedoch keine Bestätigung in der einschlägigen preußischen Überlieferung. Ammon an Friedrich II., Münster, 27.5.1762; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 8451, fol. 13r-14v, hier fol. 14r. Reischach an Colloredo, Münster, 19.9.1762; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, fol. 234r-236v, hier fol. 235r. Hermann Werner von der Asseburg an Finckenstein, Hildesheim, 6.11.1762; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 8451, fol. 17r-18v, hier fol. 17r. Domkapitel Paderborn an Franz I., Paderborn, 16.12.1762; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, fol. 245r-v.

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dar, dass es völlig aussichtslos gewesen sei, die Wahl Asseburgs zu hintertreiben, da dessen Partei von dem hannoverschen Minister unterstützt worden sei und zudem hannoversche Truppen das Bistum besetzt hielten.30 Anders als in Köln und Münster standen sich also in Paderborn zwei Kandidaten gegenüber, die die beiden gegnerischen Kriegsparteien vertraten: der kaiserliche Kandidat Clemens Wenzeslaus von Sachsen und der als »preußisch« bezeichnete, aber auch von Großbritannien unterstützte Wilhelm Anton von der Asseburg. Erstmals ist also die österreichisch-preußische Konkurrenz bei einer Bischofswahl direkt zu fassen. Dennoch betrieb der Kaiserhof das Paderborner Wahlgeschäft nicht sehr engagiert; ob aus der – zutreffenden – Einschätzung heraus, dass die Wahl bereits entschieden sei, oder weil Paderborn aus Wiener Sicht dann doch eher von marginaler Bedeutung war, sei dahingestellt. Zum Erfolg des »preußisch-britischen« Kandidaten trug freilich auch bei, dass sich die französisch-österreichische Gegnerkoalition nicht auf einen Kandidaten einigen konnte.31 In Hildesheim war die Ausgangslage ähnlich wie in Paderborn. Auch hier stand dem von der Mehrheit der Domherren favorisierten Kandidaten aus den eigenen Reihen, Friedrich Wilhelm von Westphalen, ein Bewerber aus fürstlichem Haus gegenüber, nämlich erneut Clemens Wenzeslaus von Sachsen.32 Der unbedingte Willen des Domkapitels, einen Kandidaten ex gremio zu wählen, traf sich mit der Ablehnung eines Kandidaten aus fürstlichem Haus durch Preußen und Großbritannien-Hannover, das bei der Wahl eines nicht-fürstlichen Kandidaten darauf hoffen konnte, künftig größeren Einfluss auf das Stift auszuüben und das sich diese Wahl durchaus etwas kosten ließ.33 Friedrich Wilhelm von Westphalen reüssierte also nicht, weil er ein Kandidat Preußens oder Hannovers gewesen wäre, sondern weil er deren Anforderungsprofil entsprach. 30 31

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Reischach an Colloredo, Paderborn, 25.1.1763; ebd., fol. 312r-313v, hier fol. 312v. Siehe auch Reischach an Colloredo, Paderborn, 20.1.1763; ebd., fol. 331r-332r. Während der Kaiserhof für Clemens Wenzeslaus warb, hielt sich Frankreich zurück, machte aber deutlich, dass es eine Wahl des für den Kaiserhof akzeptablen Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels vehement ablehne, was diesen aber nicht davon abhielt, weiter seine Kandidatur zu verfolgen; Raab, Clemens Wenzeslaus, 1962, S. 169. Siehe dazu die Darstellung der Wahl bei Raab, Clemens Wenzeslaus, 1962, S. 170–176. Zu der Wahl jetzt Aschoff, Geschichte, 2022, S. 172–174, fußend auf den detaillierteren, vor allem auch die Positionen der einzelnen Domherren berücksichtigenden Darstellungen von Keinemann, Fürstbischofswahlen, 1971, S. 68–80 und Dylong, Domkapitel, 1997, S. 230–241.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Angesichts der eher geringen Bedeutung Hildesheims nutzte der Kaiser auch nicht die Klage einiger Domherren, dass die Wahl angesichts der Anwesenheit fremder Truppen nicht wirklich frei sei.34 Franz I. reagierte auf die Beschwerde mit der Aufforderung an das Domkapitel, nichts zu übereilen, was durchaus eine versteckte Unterstützung für Clemens Wenzeslaus von Sachsen darstellte,35 ohne dessen Namen erwähnen zu müssen und sich somit dem Vorwurf auszusetzen, seinerseits die Wahlfreiheit der Domkapitel zu beschneiden. Erleichtert wurde dem Kaiserhof die Zurückhaltung dadurch, dass der Kandidat der Mehrheit als ein Kandidat ex gremio auftrat und auch nicht offensichtlich ungeeignet war, sodass man über die Unterstützung aus Hannover eher hinwegsehen konnte.36 Zudem war man am Kaiserhof ebenso wie an der Kurie froh, dass mit der Wahl die Säkularisationsgefahr erst einmal gebannt war.37 Preußen spielte in diesen Verhandlungen keine Rolle, in Berlin kümmerte man sich vorrangig um die parallel stattfindende Wahl in Paderborn, sofern man sich überhaupt für diese Belange interessierte. Zu einer kaiserlich-preußischen Auseinandersetzung stilisiert wurden die Wahlen in den westfälischen Bistümern hingegen von Hermann Werner von der Asseburg, dem früheren kurkölnischen Staatsminister sowie Bruder des 1763 zum Paderborner Bischof gewählten Wilhelm Anton von der Asseburg. Er behauptete, die von ihm unterstützten Kandidaten (Droste zu Füchten in Münster, sein Bruder in Paderborn und Westphalen in Hildesheim) würden beschuldigt, »nicht eben allzu große Ehrfurchte für kaiserliche Majestät zu hegen«, sondern »bons Prussiens« zu sein, ein Vorwurf, den er wortreich zurückwies, wobei er mit seinem Hinweis auf Verdienste der Familien Asseburg und

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Einige Domherren des Domkapitels Hildesheim an Franz I., Hildesheim, 4.1.1763; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, unfol. Keinemann, Fürstbischofswahlen, 1971, S. 77f. Dahinter stand die Hoffnung, bei einer Verschiebung der Wahl doch noch genügend Stimmen für Clemens Wenzeslaus gewinnen zu können; Keinemann, Fürstbischofswahlen, 1971, S. 77–79. Dass die unterstützende Macht hinter Westphalen Hannover und nicht Berlin war, hatte man in Wien bereits unmittelbar nach Eintreten der Sedisvakanz richtig gesehen; Appendix zur Instruktion für Graf Carl Joseph von Raab nach Hildesheim, Wien, 7.3.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 12 – Raab, fol. 7r-8r, hier fol. 7v. Dieses Interesse Roms betont Burkhardt in seiner Darstellung der Wahlen 1761–1763; Burkhardt, Abschied, 1985, S. 302–322.

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Westphalen für das Kaiserhaus allerdings bis in die Zeit Kaiser Ferdinands III. zurückgehen musste.38 Der Siebenjährige Krieg gilt als die entscheidende Auseinandersetzung zwischen den beiden führenden Mächten im Reich, als Kulminationspunkt des preußisch-österreichischen Dualismus. Angesichts dessen mutet es zunächst erstaunlich an, dass die beiden Kontrahenten die Vakanz von gleich fünf Bistümern nicht dazu nutzten, diesen Entscheidungskampf auch über die Reichskirche auszutragen. Sucht man nach Erklärungen, so scheint es, dass Preußen zu diesem Zeitpunkt in den Stiften wohl eher eine territoriale Verfügungsmasse sah als ein Feld der Reichspolitik, das man erfolgreich im eigenen Interesse bespielen konnte. Erst als nach dem Siebenjährigen Krieg die Säkularisationsoption endgültig vom Tisch war, konnte dieser Gedanke Platz greifen. Am Kaiserhof scheinen die nordwestdeutschen Bistümer in diesen Jahrzehnten etwas aus dem Blickfeld geraten zu sein, nachdem sich dort der bayerische Einfluss durchgesetzt hatte und Kandidaten aus dem eigenen Haus nicht mehr zur Verfügung standen.39 Man beschränkte sich deshalb auf die eher halbherzige Unterstützung Clemens Wenzeslaus’ von Sachsen. Auch die »konfessionelle Karte« hat der Kaiserhof bei diesen Wahlen nicht gezogen, obwohl z.B. das Hildesheimer Domkapitel den Kaiser mit dem Argument um Schutz gebeten hatte, Hildesheim sei die letzte Stütze des Katholizismus im niedersächsischen Kreis.40 Bei der Wahl in Mainz 1763 traten die Parteiungen des gerade zu Ende gegangenen Kriegs nicht in Erscheinung. Rasch zeichnete sich eine Wahl ex gremio ab, ohne dass die mächtepolitischen Präferenzen eine größere Rolle spiel-

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Keinemann, Fürstbischofswahlen, 1971, S. 72–75. Seine Vermutung, der Gegner versuche, eine kaiserliche Exklusive gegen die genannten Kandidaten zu erwirken, beruhte freilich auf einer groben Fehleinschätzung der kaiserlichen Politik: Nach dem Misserfolg der kaiserlichen Exklusive in Münster 1706 und der damit verbundenen Blamage stand dieses Instrumentarium kaiserlicher Bistumspolitik nicht mehr ernsthaft zu Debatte. Das war im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert noch anders gewesen. S. Schnettger, Bischofswahlen, 1999. Dass nur die Durchsetzung eigener oder verwandter Kandidaten zu einem verstärkten Engagement führte, zeigte die Wahl in Münster 1706, als der Kaiserhof sich – vergeblich – für Karl Joseph von Lothringen einsetzte; Wolf, Reichskirchenpolitik, 1994, S. 95–153. Domkapitel Hildesheim an Franz I., Hildesheim, 26.2.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, unfol. Domkapitel Hildesheim an Franz I., Hildesheim, 20.4.1761; ebd.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

ten. Großbritannien-Hannover und Preußen scheinen bei dieser Wahl überhaupt nicht tätig geworden zu sein. Der Kaiserhof war v.a. daran interessiert, den künftigen Kurfürsten an sich zu binden und ihn auf eine Wahl Josephs zum Römischen König zu verpflichten. Auch wenn Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim nicht der von Wien bevorzugte Kandidat war, hatte der Kaiserhof mit der Wahl Josephs zum Römischen König im März 1764 schließlich sein Hauptziel erreicht.41 Bekanntlich folgte Joseph seinem Vater bereits gut ein Jahr später als Kaiser nach. Damit stellt sich die Frage, inwieweit dieser Wechsel eine Veränderung in der Politik des Wiener Hofs bei den Bischofswahlen mit sich brachte. In dem Fragenkatalog zur Reichspolitik, den Joseph Reichsvizekanzler Colloredo und Staatskanzler Kaunitz übersandte, wollte der Kaiser auch wissen, was »für Vorsichten künftighin bei geistlichen Wahlen im Reich, besonders jener Erz- und Bischöffen, so zugleich Kreiß-Directores oder ausschreibende Fürsten sind, erforderlich seien, damit solche nicht nur auf gut gesinnte und dem kaiserl. Hofe devote, sondern auch auf fähige und geschickte Subjecta ausfallen«. Als abschreckendes Negativbeispiel nannte Joseph die letzten Wahlen in Köln und Münster, wo der Kaiserhof »in seiner Erwartung sich so betrogen finde«.42 In seiner Antwort breitete Colloredo auf über 80 Blättern seine Überlegungen zu allen denkbaren Feldern der Reichspolitik aus.43 Er lässt die Reichsstände Revue passieren, wobei unter den protestantischen Mächten für ihn klar Preußen an erster Stelle steht, während Hannover sich mit der zweiten Rolle begnügen müsse. Von den geistlichen Territorien sind für ihn Bamberg und Würzburg am wichtigsten, wobei das angelegte Kriterium der militärische Nutzen ist. Mainz könne seine Truppen nur mit fremder Hilfe unterhalten, von Trier sei in dieser Hinsicht (trotz guter Gesinnung) nichts zu erwar-

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Instruktion für Pergen nach Mainz, Wien, 16.6.1763; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 10 – Pergen, unfol. Eine Unzufriedenheit des Kaiserhofs sieht dagegen Weber, Aufklärung, 2013, S. 58. Deliberanda [November 1766]; Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, 1917, S. 479–482, hier § 13, S. 481. Allerunterhänigst-ohnmaßgebliche Anmerkungen des Reichs-Hof-Vice-Canzlers zu denjenigen Deliberanda, welche Sr. Kayerl. Mayt. ihm mitteilen zu lassen allergnädigst geruhet haben, um darüber seine Meinung Pflicht-Schuldigst zu eröffnen, o.D. (1766); HHStA Wien, Reichskanzlei Vorträge 7a, unfol.; gedr. in Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, 1917, S. 482–502.

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ten, während Köln ganz dem problematischen Einfluss Belderbuschs44 unterliege. Die anderen geistlichen Staaten seien keiner Erwähnung wert. Trotz dieser eher skeptischen Beurteilung des Werts der geistlichen Staaten geht Colloredo auf die von Joseph gestellte Frage der Wahlen der geistlichen Reichsfürsten ein und entwickelt bei dieser Gelegenheit Prinzipien kaiserlicher Politik bei den Bischofswahlen: Colloredo unterscheidet dabei »zweyerlei Gestalt« dieser Politik. Als erstes erläutert er die »öffentliche Sprache«, die der Kaiser als Reichsoberhaupt und oberster Vogt sowie Schutz- und Lehnsherr der deutschen Kirche führe. Diese öffentliche Sprache setze die kanonische Wahlfreiheit der Domkapitel voraus und trete nur ein, wenn bei den Wahlen so große Zwistigkeiten entstünden, dass sie die allgemeine Ruhe störten oder wenn der zu Wählende »mit solchen Ausstellungen und Unfähigkeit behafftet ist«, dass der Kaiser das Recht habe, ihn nicht als Vasallen und Reichsstand anzuerkennen. Der Reichsvizekanzler machte hier das Recht des Kaisers als obersten Lehnsherrn stark, notfalls einem Vasallen die Belehnung zu verweigern – eine allerdings eher theoretische Möglichkeit. De facto beschränkte sich die »öffentliche Sprache« des Kaisers bei Bischofswahlen auf die geradezu mantrahaft vorgetragene Betonung der Wahlfreiheit der Domkapitel. Daneben gab es laut Colloredo aber die »geheime Verwendung«, »welche anzustellen, damit die Capituln und deren Mitglieder auf eine solche glimpfliche Art in zeiten zubereitet werden, um denjenigen, welcher Kayser und Reich am nützlichsten zum Ertz- und Bistum zu befördern.« Dabei sei freilich äußerste Behutsamkeit nötig, damit nicht die Bemühungen des Kaiserhauses und der mit ihm verbündeten fremden Mächte als Beschränkung der Wahlfreiheit interpretiert würden und es zur Regel würde, dass der vom Kaiserhof Begünstigte gerade nicht gewählt würde oder sogar mit Hilfe fremder Mächte, »als sich zu Münster ereignet«, ein Bischof gekürt würde.45 Colloredo plädiert hier also dezidiert für eine interessengeleitete kaiserliche Wahlpolitik, die freilich nicht als solche erkennbar sein durfte. Deshalb gelte es, das Vorurteil von der kaiserlichen

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Kaspar Anton von Belderbusch hatte bereits in der Endphase der Regierungszeit Clemens Augusts in Köln eine wichtige Rolle gespielt. Unter Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels, der sich kaum um die Staatsgeschäfte kümmerte, avancierte er zur zentralen Figur der kurkölnischen Politik. Wie von Joseph in seiner Frage vorgegeben, ist dabei an die Wahl von 1762 zu denken, bei der mit niederländischer Unterstützung Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels gewählt worden war.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Zwangsausübung auszuräumen, um die Domkapitel gegebenenfalls »zu denen Absichten des kayl. Hofs willfährig« zu machen. Die kaiserlichen Minister im Reich, also die Gesandten bei den Reichskreisen, sollten deshalb jährliche Berichte über die Gesinnung der Domkapitel erstellen, sodass der Kaiser erkennen könne, wer die besten Chancen habe und gegebenenfalls Unterstützung verdiene.46 Dieses Gutachten ist in mehrerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Es zeigt die Bedeutung der Reichskirche im Kalkül Wiens, trotz der als gering veranschlagten militärischen Schlagkraft. Es offenbart zudem eine gewisse Frustration über die Wahlergebnisse der Vergangenheit, wobei Colloredo allerdings nur Münster als Beispiel nennt. Erkennbar ist aber auch der Wille, dies künftig zu ändern, indem eine systematische Beobachtung der Domkapitel vorgeschlagen wurde, um jederzeit informiert und handlungsfähig zu sein. Deutlich werden aber auch die Strukturen – die kaiserlichen Gesandten in den Kreisen ebenso wie die kaiserlichen Wahlkommissare – und eine gewisse Routine, auf die der Kaiserhof zurückgreifen konnte. Gleichzeitig aber durfte das österreichische bzw. kaiserliche Interesse nicht zu offen in Erscheinung treten, um nicht durch ein zu offensives Vorgehen die Gegner, also vor allem Preußen, erst recht auf den Plan zu rufen.47 Bewähren mussten sich diese Prinzipien zuerst in Mainz, wo nach dem Tod Emmerich Josephs von Breidbach-Bürresheim am 11. Juni 1774 der wichtigste Posten der Germania Sacra nach gut zehn Jahren schon wieder zu besetzen war. Freilich hatte man in Wien nicht das Eintreten der Vakanz abgewartet, sondern bereits Jahre zuvor mit Sondierungen begonnen.48 Diese waren aber offenbar nicht Ausfluss der von Colloredo 1766 angemahnten systematischen und regelmäßigen Beobachtung des Domkapitels, sondern sie reagierten auf

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Allerunterhänigst-ohnmaßgebliche Anmerkungen des Reichs-Hof-Vice-Canzlers zu denjenigen Deliberanda, welche Sr. Kayerl. Mayt. ihm mitteilen zu lassen allergnädigst geruhet haben, um darüber seine Meinung Pflicht-Schuldigst zu eröffnen, o.D. (1766); HHStA Wien, Reichskanzlei Vorträge 7a, unfol.; gedr. in Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, 1917, S. 482–502, hier § 13, S. 495f. Die Notwendigkeit, behutsam vorzugehen, hatte auch Kaunitz in seinem Gutachten, das ansonsten nur kurz auf diesen Punkt einging, betont. Insgesamt sah er in dieser Frage aber wenig Handlungsbedarf. Gutachten von Kaunitz zu den Deliberanda Josephs II., 30.11.1766; ebd., S. 502–518, hier § 13, S. 516. S. auch Krüger, Groschlag, 1970, S. 187f.

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Vorstöße, die an den Kaiserhof herangetragen wurden.49 Auch im Domkapitel brachten sich früh verschiedene Kandidaten in Stellung und suchten dafür Unterstützung am Kaiserhof. Besonders erfolgreich agierte Friedrich Karl Joseph von Erthal, der von Ende 1770 bis 1773 kurmainzischer Gesandter in Wien gewesen war und in dieser Zeit einen engen Kontakt mit dem Reichsvizekanzler gepflegt und sich somit für eine künftige Wahl empfohlen hatte. Die Wahl selbst barg freilich kaum Spannungspotential. Bereits in der ersten Sitzung des Domkapitels nach dem Tod des Erzbischofs zeichnete sich ein Sieg Erthals ab.50 Da Erthal dies dem Reichsvizekanzler auch sogleich mitteilte,51 konnte der Kaiser in der Instruktion für seinen Wahlkommissar deshalb getrost ein weiteres Mal die Wahlfreiheit des Domkapitels betonen und feststellen, »so bedarf es solchemnach ohnehin keiner weiteren ministerialbeschäftigung in dasiger jetziger Wahl«52 – in dem Wissen, dass die Wahl zu dem gewünschten Ergebnis führen würde.

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Dazu zählte z.B. eine Initiative des englischen Gesandten in Mainz, der eine Vereinbarung des Domkapitels angeregt hatte, bei der nächsten Wahl in gremio bleiben zu wollen, um so einen Erzbischof aus einem fürstlichen Haus zu verhindern, wobei in erster Linie an Clemens Wenzeslaus von Sachsen zu denken ist, der sich weiterhin um Mainz bemühte. Wenzel Anton Fürst Kaunitz an Colloredo, Wien, 2.1.1768; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 24b, Antrag zur künftigen Nachfolge in Mainz 1768–1773, unfol. Colloredo an Kaunitz, Wien, 3.1.1768; ebd. Raab, Clemens Wenzeslaus, 1962, S. 309. Die Wahl Clemens Wenzeslaus’ in Trier erfolgte erst am 10.2.1768. Aber auch danach zeigte er weiterhin Interesse an dem prestigeträchtigeren und bedeutenderen Erzbischofsstuhl in Mainz; ebd., S. 314. Zu der Vereinbarung des Domkapitels s. Schulte, Gesandter, 1971, S. 142–145; Blisch, Erthal, 2005, S. 41; Pelgen, Fuchs, 2009, S. 246. Auch in den folgenden Jahren taucht die Mainzer Wahl immer wieder einmal in der Korrespondenz des Reichsvizekanzlers auf: Colloredo an Kurfürst Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim, Wien, 30.12.1771; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 24b, Fasz. Wahl Erthals 1774, unfol. Colloredo an Joseph II., Wien, 26.4.1773; ebd., Fasz. Antrag zur künftigen Nachfolge in Mainz 1768–1773, unfol. Trotzdem kam es während der Sedisvakanz zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen um die Aussetzung oder Rücknahme zahlreicher aufgeklärter Reformen, v.a. im Bereich der Schul- und Klosterpolitik, gerungen wurde. Siehe dazu Raab, Interregnum, 1962; Krüger, Groschlag, 1970, S. 191–205; Jürgensmeier, Frieden, 2002, S. 442–445; Blisch, Erthal, 2005, S. 35–50; Pelgen, Fuchs, 2009, S. 463–491; Weber, Aufklärung, 2013, S. 320–334. Friedrich Karl Joseph von Erthal an Colloredo, Mainz, 13.6.1774; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 24b, Wahl Erthals 1774, unfol. Instruktion für Leopold von Neipperg nach Mainz [Juni 1774]; ebd.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Während man in Wien also frühzeitig die Weichen gestellt hatte, löste in Berlin erst das Gerücht über einen genuin österreichischen Kandidaten eine genaue Beobachtung der Mainzer Vorgänge aus. Als Erzherzog Maximilian Franz, der jüngste Sohn Maria Theresias, im Rahmen seiner Kavalierstour im Frühjahr 1774 von Frankfurt über Mainz in die Niederlande reiste,53 verbreitete sich das Gerücht, dass der junge Erzherzog zum Koadjutor in Mainz bestimmt sei.54 Friedrich II. beauftragte deshalb seinen Residenten in Mainz, sich genauer zu erkundigen, da eine solche Koadjutorwahl große Bedeutung für die deutschen Reichsangelegenheiten habe. Eine gewisse Verwunderung klang in der Bemerkung an, dass dieses Vorhaben dem Prinzip des Domkapitels, nur ex gremio zu wählen, widerspreche. Der König stellte fest, dass sehr wirksame Mittel zur Anwendung gekommen sein müssten, um das Domkapitel, das der Wahl eines Prinzen, d.h. eines Kandidaten aus fürstlichem Haus, so abgeneigt sei, zu einem solchen Beschluss zu veranlassen.55 Diese von Friedrich geäußerten Zweifel fochten seinen Vertreter in Mainz freilich nicht an, der von der Koadjutorwahl als einer beschlossenen Tatsache nach Berlin berichtete und sich auch dadurch nicht beirren ließ, dass der Kurfürst ihm erklärte, ihm liege noch keine entsprechende kaiserliche Anfrage vor.56 Wie falsch der Gesandte die Angelegenheit einschätzte, zeigt nicht zuletzt seine Annahme, dass Erthal während seines Aufenthalts in Wien über die Koadjutorie für Maximilian Franz verhandelt habe – bekanntlich sondierte Erthal damals seine eigenen Chancen.57 Ob diese Berichte größere Aktivitäten in Berlin auslösten, ist nicht erkennbar. Mit dem Tod Kurfürst Emmerich Josephs am 11. Juni 1774 hatten sich sämtliche Koadjutorie-Spekulationen ohnehin erledigt, sodass auch der preußische Gesandte bald melden konnte, dass die Wahl Erthal wohl

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Zu der Reise Braubach, Max Franz, 1961, S. 28–32. Weber, Aufklärung, 2013, S. 304. Friedrich II. an Gottfried Adam von Hochstetter, Berlin, 23.4.1774; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6249, fol. 10r. Friedrich II. an Hochstetter, Berlin, 14.5.1774; ebd., fol. 11r. Hochstetter an Friedrich II., Praunheim, 26.5.1774; ebd., fol. 17r-v. Hochstetter an Friedrich II., Praunheim, 24.5.1774; ebd., fol. 21r-v. Auch mit der Vermutung, dass dem Kurmainzer Großhofmeister Groschlag für seine Dienste in der Koadjutorangelegenheit das Amt des Reichsvizekanzlers versprochen worden sei, lag Hochstetter daneben. Zwar hatte Groschlag dieses Amt früher durchaus angestrebt, diese Hoffnung inzwischen aber längst begraben. Es war also mehr als verfrüht, wenn Hochstetter schon die positiven Folgen einer solchen Ernennung Groschlags ausmalte, da dieser stets eine untertänigste Verehrung für den preußischen König gezeigt habe; ebd.

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kaum mehr zu nehmen sei. Dabei erwähnte er auch, dass von einer Wahl Maximilian Franzʼ nicht mehr die Rede sei und dass der kaiserliche Gesandte Neipperg behaupte, der kaiserliche Hof habe diesen Gedanken überhaupt nie verfolgt.58 Das dürfte der Wahrheit näher kommen als die Spekulationen, die der preußische Gesandte als Tatsachen ausgegeben hatte. Denn obwohl das Gerücht des Koadjutorieplans retrospektiv im Lichte der Koadjutorwahl in Köln und Münster 1780 vielleicht plausibel klingen mag, entbehrte es 1774 jeder Substanz, da Maximilian Franz trotz seiner Wahl zum Koadjutor des Hochmeisters des Deutschen Ordens zu diesem Zeitpunkt nicht für eine geistliche Karriere vorgesehen war.59 Auch wenn 1774 also kein Erzherzog zum Kurfürsten von Mainz gewählt wurde, war doch allen Beteiligten und Beobachtern klar, dass der kaiserliche Kandidat sich durchgesetzt hatte.60 Wie unterschiedlich die Aufmerksamkeit für verschiedene Bischofswahlen ausfallen konnte, zeigte im Unterschied zu den Mainzer Vorgängen die Koadjutorwahl in Paderborn 1773. Dass sich Wilhelm Anton von der Asseburg mit seinem Neffen, dem Hildesheimer Bischof Friedrich Wilhelm von Westphalen, einen Koadjutor nahm, löste weder in Wien noch in Berlin größere Aktivitäten aus, weil die Wahl »von keiner besonderen Beträchtlichkeit ist«, wie der Reichsvizekanzler dem Kaiser mitteilte.61 Vor allem aber waren sowohl Preußen als auch der Kaiserhof mit der Wahl Friedrich Wilhelms von Westphalen einverstanden. Im Falle Berlins überrascht das nicht, nachdem man 1763 die Wahl Asseburgs durchgesetzt hatte, der die Erwartungen offenbar nicht enttäuscht hatte, sodass man jetzt auch bereitwillig dessen Wunsch nach einem Koadjutor aus der eigenen Familie unterstützte – in der Hoffnung auf eine Fortsetzung der preußenfreundlichen Politik. Aber Friedrich Wilhelm von Westphalen hatte sich auch dem Kaiserhof schon Monate vor der Wahl als gut

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Hochstetter an Friedrich II., Praunheim, 28.6.1774; ebd., fol. 27r-v, hier fol. 27v. Gegen Krüger, Groschlag, 1970, S. 186, die basierend auf einem Bericht des französischen Gesandten in Mainz von einem solchen Versuch Wiens ausgeht. Zu diesem Zeitpunkt aber lehnte Maria Theresia eine geistliche Laufbahn für Maximilian Franz ab. Dies war allgemein bekannt. S. auch Hochstetter an Friedrich II., Praunheim, 24.5.1774; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6249, fol. 18r-20r, hier fol. 18r-v. Dennoch ließ sich Hochstetter nicht von seinen Koadjutoriephantasien abbringen. So auch Hochstetter an Friedrich II., Praunheim, 28.6.1774; ebd., fol. 27r-v, hier fol. 27v. Colloredo an Joseph II., Wien, 15.2.1773; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, fol. 373r-374r, hier fol. 374v.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

kaiserlich gesinnter Kandidat empfohlen,62 sodass der kaiserliche Wahlkommissar Neipperg die Anweisung erhielt, dem Domkapitel mitzuteilen, dass der Kaiser die Wahl Westphalens gutheiße.63 Am 18. Februar 1779 starb nach einem Vierteljahrhundert an der Regierung der Bamberger und Würzburger Bischof Adam Friedrich von Seinsheim, ein treuer Parteigänger des Kaiserhofs. Wien besaß ein erhebliches Interesse daran, auf beiden Bischofsstühlen weiterhin einen Gefolgsmann zu wissen.64 Die Chancen dafür standen gut, da sich Franz Ludwig von Erthal, ähnlich wie sein älterer Bruder Friedrich Karl Joseph vor der Mainzer Wahl 1774, das Vertrauen des kaiserlichen Hofes erworben und Anhänger in den Domkapiteln von Bamberg und vor allem Würzburg gesammelt hatte.65 Wie üblich wurde der kaiserliche Wahlkommissar aufgefordert, »seine offentliche Sprache und handlungen« nach dem Prinzip auszurichten, dass der Kaiser dem Domkapitel die Freiheit lasse, aus seinem Kreis eine Person auszuwählen.66 Nicht öffentlich wurde der Wahlkommissar hingegen explizit angewiesen, sich für die Wahl Erthals einzusetzen.67 Auch in diesem Fall wurde dem Kaiserhof die deutliche 62 63

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Friedrich Wilhelm von Westphalen an Colloredo, Hildesheim, 31.10.1772; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, fol. 348r-350r. Keinemann, Koadjutorwahl, 1968, S. 393. Bezeichnenderweise ließen sowohl der Wiener als auch der Berliner Hof Gegenkandidaten, die sich in Stellung zu bringen versuchten, brüsk abblitzen. Dies gilt für den Paderborner Domherrn Friedrich Joseph von Böselager ebenso wie für das sächsische Kurhaus, das für Anton, den jüngeren Bruder des Kurfürsten von Sachsen und Neffen Clemens Wenzeslausʼ, in Wien vergeblich um Unterstützung nachsuchte; Colloredo an Johann Wilhelm Graf Wurmbrand, o.D.; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, fol. 341r-342v. Zu den Wahlen in Würzburg und Bamberg 1779 Renner, Erthal, 1962, S. 243–248; Berbig, Hochstift, 1976, S. 65–76; Weiß, Bischöfe, 2016, S. 311–315; Romberg, Bischöfe, 2020, S. 388–391. Erthal war als Würzburger und Bamberger Gesandter 1767/68 am Kaiserhof gewesen und anschließend vom Kaiserhof abgeworben worden. Er war zunächst Mitglied der kaiserlichen Visitationskommission des Reichskammergerichts und ab 1776 kaiserlicher Konkommissar am Reichstag in Regensburg. Auf die Nachricht von der Erkrankung Seinsheims hin reiste er sofort nach Würzburg, wo er bereits einen Tag nach dem Tod des Bischofs eintraf; Romberg, Bischöfe, 2020, S. 387–389. Instruktion für Joseph Freiherr von Ried zur Wahl nach Bamberg, Wien, 1.3.1779; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 12 – Ried, fol. 96r-v, 112r-v, 110r-111r, hier fol. 112r-v. Instruktion für Ried zur Wahl nach Würzburg, Wien, 25.2.1779; ebd., fol. 84r-v, 89r-v, 85r, hier fol. 89r-v. Instruktion für Ried zur Wahl nach Bamberg, Wien, 1.3.1779; ebd., fol. 96r-v, 112r-v, 110r-111r, hier fol. 110r. Nur für den Fall, dass sich abzeichne, dass Erthal

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Stellungnahme dadurch erleichtert, dass sich der Erfolg Erthals zumindest in Würzburg sehr rasch abzeichnete. Da der Kaiserhof – ebenso wie Erthal selbst – die Fortsetzung der Personalunion mit Bamberg wünschte, bemühte man sich auch unmittelbar um ein Eligibilitätsbreve für Erthal für die etwas später angesetzte Bamberger Wahl. Außerdem wurde der als kaiserlicher Wahlkommissar vorgesehene Gesandte im Fränkischen Kreis, Joseph Freiherr von Ried, angewiesen, dem Bamberger Domkapitel klarzumachen, dass »bey jetzigen Zeitumständen eine Nothwendigkeit seye die beede Bisthümer Wurtzburg und Bamberg unter einen Regenten zu stehen.«68 Da man zu diesem Zeitpunkt in Wien bereits davon ausgehen konnte, dass Erthal in Würzburg gewählt würde, stellte die allgemeine Empfehlung für eine Kumulation beider Bistümer eine Parteinahme für Erthal dar, ohne dass dessen Name erwähnt werden musste und dem Kaiser damit ein Eingreifen in die Wahl hätte vorgeworfen werden können. Andere Kandidaten standen gegen dieses konzertierte Vorgehen Erthals und des Kaiserhofs praktisch von vornherein auf verlorenem Posten. Das gilt insbesondere für den als »preußische Partie« bezeichneten Carl Dietrich Joseph von Guttenberg.69 Allerdings deutet nichts darauf hin, dass Preußen diesen Kandidaten aktiv unterstützt hätte.70 Zudem erfolgte insbesondere in Würzburg die Wahl auch zu schnell – exakt einen Monat nach dem Tod Seinsheims –, als dass der Berliner Hof entsprechende Maßnahmen hätte ergreifen können, zumal man im Vorfeld offensichtlich keinerlei Erkundigungen eingezogen hatte. Möglicherweise konzentrierte sich die Berliner Aufmerksamkeit in Bezug auf Franken so sehr auf die Nachfolge in den fränkischen Markgrafentümern, dass die dortigen Bistümer keine Beachtung erfuhren.71

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nicht erfolgreich sein werde, solle Ried aufpassen, den aussichtsreichsten Kandidaten nicht zu verärgern, sondern ihn sich auch verpflichten. Weisung an Ried, Wien, 2.3.1779; HHStA Wien, Reichskanzlei, Weisungen in das Reich 45, fol. 25r-v, hier fol. 25r. Renner, Erthal, 1962, S. 246; Christ, Hochstift, 1967, S. 191; Romberg, Bischöfe, 2020, S. 289. Auch Christ geht davon aus, dass das »Engagement Berlins zu gering und nicht zuletzt auch die Stellung seiner Parteigänger im Kapitel zu schwach war«; Christ, Hochstift, 1967, S. 192. Dafür spricht auch, dass Friedrich über die Lage dort offenbar nur unzureichend informiert war. Als er Ende Oktober 1779, also ein halbes Jahr nach der Wahl Erthals, seinem Gesandten in St. Petersburg einen Überblick über die Lage im Reich gab, schrieb er,

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Dass die Wahlen so schnell und mit dem vom Kaiserhof gewünschten Ergebnis erfolgten, lag sicherlich auch an den von der Reichskanzlei angeführten »jetzigen Zeitumständen«. Damit war vor allem der noch andauernde Bayerische Erbfolgekrieg gemeint. Gleichzeitig aber rückte auch der Erbfall in den fränkischen Markgrafentümern näher, womit Preußen direkter Nachbar der Hochstifter und Mit-Kreisstand würde. Die Kombination aus diesen Faktoren dürfte die Domherren veranlasst haben, für die – an sich ungeliebte – Personalunion zu votieren und sich an den einzig möglichen Verbündeten anzulehnen. Angesichts dieser Konstellation bedurfte es keiner besonderen Anstrengungen von Seiten Wiens, um die Wahl Erthals in beiden Bistümern zu erreichen. Auch wenn Preußen als Gegner im »Wahlkampf« kaum direkt präsent war, spielte es eine wichtige, ja vielleicht sogar entscheidende Rolle, nämlich die einer Gefahr, die die Domkapitel zusammenrücken ließ und sie an die traditionelle Schutzmacht verwies. Bereits kurz nach den Wahlen in Bamberg und Würzburg deutete sich jedoch an, dass es bei der allgemein für die nahe Zukunft erwarteten Koadjutorwahl in Köln und Münster tatsächlich zu einem direkten Engagement der beiden führenden Mächte im Reich kommen würde. Ab Oktober 1779 nämlich verfolgte der Wiener Hof den Plan, Maximilian Franz, dem jüngsten Sohn Maria Theresias, die Koadjutorie in Köln und Münster zu verschaffen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Erzherzog den gesundheitlichen Anforderungen an die eigentlich für ihn vorgesehene militärische Laufbahn nicht gewachsen war.72 Von vornherein kalkulierte man in Wien den energischen Widerstand Preußens gegen diese Pläne ein und bemühte sich deshalb um Geheimhaltung, um Gegenmaßnahmen des Berliner Hofs so lange wie möglich zu verhindern. Dass Wien mit dieser Annahme richtig lag, zeigt die Ankündigung Friedrichs auf – zu diesem Zeitpunkt allerdings noch jeglicher Grundlage entbehrende –

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dass die Bischöfe von Bamberg und Würzburg unerschütterlich an einer strikten Neutralität festhielten, weshalb man nicht auf sie zählen könne. Friedrich II. an Staatsminister Johann Eustach Graf Goertz, Potsdam, 30.10.1779; PC 43, Nr. 27634, S. 344–348, hier S. 347. Der Plural deutet darauf hin, dass Friedrich die Personalunion zwischen Bamberg und Würzburg nicht präsent war, und die Aussage über die angebliche Neutralität der Bistümer muss angesichts der betont kaisernahen Position Erthals (wie auch bereits Seinsheims) als grobe Fehleinschätzung gelten. S. bereits Burkhardt, Beitrag, 1996, S. 192. Im Verlauf des Oktober 1779 wurde Maximilian Franz über die ihn betreffenden Pläne informiert; Braubach, Max Franz, 1961, S. 53–55; zur Wahl insgesamt ebd., S. 53–64.

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entsprechende Gerüchte,73 ein solches Vorhaben »auf alle mögliche Weise vereiteln« zu wollen.74 Aus habsburgischer Sicht ging es bei dem Koadjutorieprojekt in erster Linie um eine dynastische Angelegenheit, nämlich um die angemessene Versorgung des Erzherzogs. Deshalb firmiert das Projekt in der internen Wiener Korrespondenz auch vielfach als »Etablissement für Erzherzog Maximilian«.75 Diese dynastische Zielsetzung wird auch von Reichsvizekanzler Colloredo und von Staatskanzler Kaunitz in ihren im November 1779 verfassten Gutachten deutlich ausgesprochen. Beide gehen von der Versorgung Maximilian Franzʼ als primärem Ziel aus und rechtfertigen damit den Einsatz erheblicher Mittel, der sich aber durch die auf diese Weise erreichte Versorgung des Erzherzogs amortisieren würde, da dann das Erzhaus nicht mehr für seinen Unterhalt aufkommen müsse.76 Sekundiert wird dieses Hauptargument durch eine Aufzählung der politischen Vorteile, die im Kern darauf hinausliefen, die »als Fürstenbergische, mit Preußen, Hannover und selbst mit Holland verwickelte Partey« bezeichnete Gegenseite zurückzudrängen, was allein durch eine Kandidatur Maximilian Franzʼ gelingen könne.77

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Die Gerüchte beruhten auf einem Auszug aus einem Brief aus Ahaus in einem französischen Zeitungsartikel vom 22.9.1779, in dem behauptet worden war, dass Maximilian Franz dem entsprechenden Drängen seiner Mutter nachgegeben habe (PC 43, S. 289, Anm. 3), was für diesen Zeitpunkt aber noch nicht zutraf. Vgl. Arneth, Maria Theresia 10, 1879, S. 699 über entsprechende Verhandlungen mit Maximilian Franz im November 1779. Friedrich II. an Generalleutnant Karl Friedrich von Wolffersdorff, Potsdam, 1.10.1779; PC 43, Nr. 27580, S. 290. Siehe auch Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 1.10.1779; ebd., Nr. 27579, S. 289f.; Friedrich II. an Goertz, Potsdam, 30.10.1779; ebd., Nr. 27634, S. 344–348, hier S. 346. Vgl. z.B. die Korrespondenz in HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 20c. Auch Maria Theresia selbst verwendet diesen Ausdruck, wenn sie in einer Randbemerkung »dies ansehnliche Etablissement meines jüngsten Sohnes« erwähnt; Kaunitz an Maria Theresia, Wien, 6.4.1780; ebd., unfol. Kaunitz an Maria Theresia, Wien, 26.11.1779; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 19, fol. 138r-151r, in Auszügen gedr. in: Aretin, Reich, 1967, Nr. 5, S. 24–28, die betreffende Passage S. 27. Colloredo an Joseph II. und Maria Theresia, Wien, 18.11.1779; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 19, fol. 103r-119r, Zitat fol. 108v. Gemeint war die Partei um den Domherrn, Minister und Generalvikar Franz Friedrich von Fürstenberg, der sich vor allem als aufgeklärter Schulreformer einen Namen gemacht hatte und der hoffte, bei der nächsten Wahl in Münster zum Bischof gewählt zu werden.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Die Bemühungen Wiens um die Koadjutorie für Maximilian Franz sind vielfach geschildert worden und müssen hier nicht erneut im Detail ausgebreitet werden.78 Deutlich ist, wie der Kaiserhof in diesem sich über ein Dreivierteljahr hinziehenden Prozess auf sein informelles wie institutionelles Netzwerk zurückgreifen konnte und dieses virtuos und letztlich erfolgreich einsetzte. Die größte Hürde bildete der Widerstand des amtierenden Kurfürsten Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels gegen die Wahl eines Koadjutors.79 Um den Widerwillen des Kurfürsten zu überwinden, musste Wien – neben finanziellen Zusagen – deshalb den Einsatz erhöhen, indem Maria Theresia in einem persönlichen Schreiben Maximilian Friedrich bat, ihren Sohn zum Koadjutor zu nehmen. Dieser Schritt barg ein erhebliches Risiko, da die Blamage für den Kaiserhof bei einer Ablehnung durch den Kölner Kurfürsten immens gewesen wäre und zudem stets befürchtet werden musste, dass man dem Kaiserhof eine Beschränkung der Wahlfreiheit der Domkapitel vorwerfen würde.80 Es erstaunt deshalb nicht, dass Maria Theresia monatelang zögerte, bis sie sich Anfang April 1780 doch zu diesem Schritt durchrang.81

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Siehe z.B. Braubach, Max Franz, 1961, S. 51–64; sowie vor allem für Münster Keinemann, Wahlbewegungen, 1969, S. 53–68; Braubach, Domkapitel, 1927; Hanschmidt, Fürstenberg, 1969, S. 259–288. Da nur der Amtsinhaber den Antrag auf Koadjutorie stellen konnte, war seine Zustimmung unabdingbar. Beide Punkte führte z.B. Kaunitz als Ursache für das Zögern Maria Theresias an; Kaunitz an Franz Georg Graf Metternich, Wien, 9.3.1780; HHStA Wien, Staatskanzlei, Weisungen 30; die einschlägige Passage gedr. bei Mathy, Metternich, 1958, S. 129. Ein ähnliches Risiko war Wien zuletzt 1706 in Münster eingegangen – und damit gescheitert. Auch damals spielten dynastische Überlegungen eine gewisse Rolle, ging es doch um die Versorgung Karl Josephs von Lothringen aus der dem Erzhaus eng verbundenen lothringischen Dynastie; Wolf, Reichskirchenpolitik, 1994, S. 95–153. Dem waren lange interne Beratungen vorausgegangen. Erst ein konzertiertes Plädoyer von Staatskanzler Kaunitz und Reichsvizekanzler Colloredo vermochte Maria Theresia schließlich umzustimmen, dazu einige Korrespondenz in HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 20c, unfol. Die Kaiserin schickte auf Vorschlag von Kaunitz ein kurzes eigenhändiges Billet und ein ausführliches offizielles Schreiben; Maria Theresia an Kurfürst Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels, Wien, 9.4.1780; ebd. Welche Überwindung Maria Theresia dieser Schritt kostete, erhellt ihre Randbemerkung: »folgen hier die zwey schreiben die kaiserl. Majt probierte, kann also expediert werden. Mir hat es nicht wenig gekostet selbe zu schreiben, erwarte anjetzo vom fürsten kluge einleitung, ein baldes Ende, damit auch noch dies ansehnliche Etablissement

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Erst nachdem dieses Hindernis überwunden war – Maximilian Friedrich stimmte am 19. April 1780 zu –, konnte Wien direkt bei den beiden Domkapiteln tätig werden und versuchen, dort jeweils eine Mehrheit zu gewinnen. Das gelang in Köln wesentlich rascher als in Münster, wo mit Franz Friedrich von Fürstenberg ein zwar umstrittener, aber doch profilierter Kandidat aus den Reihen des Domkapitels zur Kandidatur antrat.82 Selbst die ansonsten wenig aussagekräftigen Instruktionen für den kaiserlichen Wahlkommissar zeigen, dass es nicht um eine politische Richtungsentscheidung ging, sondern allein um die Etablierung Maximilian Franzʼ. Der Wahlkommissar wurde nämlich für den Fall, dass die Mehrheit für den Erzherzog fraglich sei, angewiesen, die Wahl ganz auf sich beruhen zu lassen, d.h. es sollte entweder Maximilian Franz gewählt werden oder gar nicht.83 Während Wien das Koadjutorieprojekt ab April 1780 energisch vorantrieb und dabei stets auf den Fortbestand der Personalunion zwischen Köln und Münster abzielte, konnte von einem zielgerichteten Vorgehen in Berlin zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede sein – trotz der vollmundigen Ankündigung Friedrichs vom Herbst 1779.84 Zwar gingen alle Beteiligten selbstverständlich davon aus, dass eine Koadjutorie von Maximilian Franz oder auch eines anderen österreichischen Kandidaten unerwünscht und deshalb möglichst zu verhindern sei. Doch zweifelte man in Berlin lange, ob der junge Erzherzog sich wirklich um die Koadjutorie bewerben wolle. Noch Mitte April 1780 schrieb Friedrich vage von der Gefahr, dass ein österreichischer Prinz

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meines jüngsten Sohnes ihm schuldig sey«; ebd. Knappe Darstellungen bei Braubach, Max Franz, 1961, S. 58f.; Hanschmidt, Fürstenberg, 1969, S. 264. Hegel, Erzbistum Köln, 1979, S. 66f.; Braubach, Max Franz, 1961, S. 59–63. In Köln trat Joseph von Hohenlohe-Bartenstein als Gegenkandidat auf, der allerdings keinerlei Chancen hatte und im Domkapitel nicht im entferntesten den Rückhalt besaß wie Franz Friedrich von Fürstenberg in Münster. Instruktion für Metternich als kaiserlicher Wahlkommissar nach Köln, Sankt Petersburg, 11.7.1780; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 9 – Metternich, unfol. Instruktion für Metternich als kaiserlicher Wahlkommissar nach Münster, Sankt Petersburg, 11.7.1780; ebd. Zu der Politik Berlins aufgrund der ungenügenden Quellengrundlage und einer allzu positiven Wahrnehmung Friedrichs wenig erhellend Niemann, Friedrich der Große, 1928. Niemanns Darstellung des preußischen Agierens im Zusammenhang der Koadjutorwahl sieht Friedrich, den rational und energisch handelnden Monarchen mit den besten Absichten, als ein Opfer der Unfähigkeit seiner Minister und Gesandten sowie des mangelnden Engagements der potentiellen Verbündeten, der deshalb am Ende allein und von allen betrogen dasteht.

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oder Anhänger die Koadjutorie in Köln erhalte,85 also zu einem Zeitpunkt, als Maria Theresia bereits den Kölner Kurfürsten um die Koadjutorie für ihren Sohn gebeten hatte. Und einen Monat später glaubte der König zu wissen, dass allein Joseph II. die Wahl vorantreibe, während Maria Theresia zögere, da Maximilian Franz eine Aversion gegen den geistlichen Stand habe.86 Auch hinsichtlich der österreichischen Chancen schwankte die Einschätzung im Laufe der Monate erheblich. Während Friedrich Ende Februar noch glaubte, dass die österreichischen Intrigen kaum mehr zu fürchten seien, da Maximilian Franz sich weigere, in den geistlichen Stand zu treten,87 konstatierte er drei Wochen später, dass die Verhandlungen aus seiner Sicht nicht die gewünschte Entwicklung nähmen.88 Insgesamt aber gewinnt man den Eindruck, dass Friedrich der Angelegenheit so lange eher untergeordnete Relevanz beimaß, bis er sicher war, dass wirklich Maximilian Franz zur Wahl stehen würde. Am 28. Februar teilte der König dem Departement des Äußeren mit, dass er sich gerade nicht mit den Ansprüchen Hohenlohes und Fürstenbergs auf Köln bzw. Münster beschäftigen könne, was nicht anders zu verstehen ist, als dass es in den Augen Friedrichs durchaus wichtigere Angelegenheiten gab.89 Und am 16. Mai 1780, als der Kaiserhof sich bereits vehement um die Mehrheit in den beiden Domkapiteln für Maximilian Franz bemühte, ließ der preußische König seinen Staatsminister Finckenstein wissen, dass die Koadjutorie in Köln und Münster ihm zu kompliziert erscheine, um sich unmittelbar damit zu befassen, weshalb er ihm die Sache vollständig überlasse.90 Erst gegen Ende Mai gewann die Sache für Friedrich offenbar eine erhöhte Dringlichkeit, nachdem sein Gesandter in Wien ihm deutlich gemacht hatte, dass Maximilian Franz tatsächlich kandidieren werde und dass der Kaiserhof in dieser Sache äußerst

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Friedrich II. an seinen Gesandten beim niederrheinisch-westfälischen Kreis, Theodor Emminghaus, Berlin, 15.4.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 58r. Friedrich II. an seinen Gesandten in Paris, Bernhard Wilhelm von Goltz, Berlin, 20.5.1780; ebd., fol. 92v-93r. Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 28.2.1780; PC 44, Nr. 27847, S. 101. Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 19.3.1780; PC 44, Nr. 27887, S. 142. Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 28.2.1780; PC 44, Nr. 27847, S. 101. Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 16.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 80r, gedr.: PC 44, Nr. 28001, S. 257.

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tätig sei.91 Nun wagte sich der König auch insofern aus der Deckung, als er ein Schreiben an die beiden Domkapitel unterzeichnete, das diese zu einer Wahl ex gremio aufforderte, was Maximilian Franz ausschloss, ohne seinen Namen nennen zu müssen.92 Denn nach wie vor wollte Friedrich nicht offen als Partei in Erscheinung treten, sondern eher im Windschatten der Niederlande agieren.93 Überhaupt versuchte Berlin andere Mächte für eine Opposition gegen die österreichischen Pläne zu gewinnen, neben den Niederlanden auch England und Frankreich.94 Insbesondere der französische Hof sollte davon überzeugt werden, dass die Wahl eines Erzherzogs nicht in seinem Interesse liegen kön-

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Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 24.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 104r; gedr.: PC 44, Nr. 28011, S. 266. Maximilian Franz gehörte zunächst keinem der beiden Domkapitel an und wurde erst kurz vor den Wahlen zum Domherrn in Köln und Münster (am 7. August) aufgeschworen, sodass dann die einfache Mehrheit für eine Wahl ausreichte; Keinemann, Domkapitel, 1967, S. 184. Finckenstein an Friedrich II., Berlin, 30.5.1780; PC 44, Nr. 28023, S. 279f.; Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 31.5.1780; ebd. Die Übergabe der Schreiben erfolgte aber erst am 2. Juli wegen der Erkrankung des ursprünglich vorgesehenen Boten; Instruktion Friedrichs II. für Christian Wilhelm Dohm, Berlin, 2.7.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6366, fol. 2r-4v, hier fol. 2r. Die Antwort Maximilian Friedrichs war zwar freundlich im Ton, der Kurfürst machte aber unmissverständlich klar, dass er an der Beantragung einer Koadjutorie für Maximilian Franz festhalten werde; Maximilian Friedrich von Königsegg-Rotenfels an Friedrich II., Augustusburg, 9.7.1780; ebd., fol. 89r-92v. Friedrich II. an Emminghaus, Berlin, 15.4.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 58r. Der preußische Kommandant von Hamm, Generalleutnant Wolffersdorff, hatte zu bedenken gegeben, dass eine offene preußische Beteiligung die Gewinnung einer Stimmenmehrheit für Hohenlohe und Fürstenberg und die spätere kaiserliche Bestätigung des Gewählten (gemeint war wohl die kaiserliche Belehnung) erschweren würde; Wolffersdorff an Friedrich II., Hamm, 6.1.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 17r-18v; in Auszügen gedr. in PC 44, Nr. 27769, S. 25f. Friedrich II. an Goltz, Berlin, 20.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 92v-93r. Friedrich II. an Goltz, Cörbelitz, 25.5.1780; PC 44, Nr. 28012, S. 267f.

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ne.95 Allerdings musste Berlin bald erkennen, dass keine Aussicht bestand, Frankreich von seinem Bündnispartner Österreich zu trennen.96 Diese Zurückhaltung nach außen korrelierte mit einer gewissen Zurückhaltung, was den Einsatz finanzieller Mittel angeht. Zwar beschwor Friedrich geradezu poetisch die Wirksamkeit eines »pluie abondante de Danae«, der »douceur de notre or« oder von »armes dorées«,97 was einer seiner Minister dann prosaisch als »Korruption« bezeichnete.98 De facto aber setzte Friedrich vor allem auf die Bereitschaft der Niederlande, den entscheidenden Beitrag zu leisten. Über Wochen und Monate zogen sich die Verhandlungen, bei denen sich beide Partner gegenseitig belauerten, wer wie viel geben wollte.99 Anders als Österreich setzte Preußen auf unterschiedliche Kandidaten für Köln und Münster, da man niemanden ins Rennen schicken konnte, der in beiden Kapiteln Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.100 Man plädierte folgerichtig für 95

Friedrich II. an Goltz, Berlin, 20.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 92v-93r. Friedrich II. an Goltz, Cörbelitz, 25.5.1780; PC 44, Nr. 28012, S. 267f. Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 24.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 104r, gedr.: PC 44, Nr. 8011, S. 266. Friedrich II. an Goltz, Mockrau, 11.6.1780; PC 44, Nr. 28036, S. 293f. 96 Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 26.6.1780; PC 44, Nr. 28062, S. 322. Dabei spielte nicht nur das Bündnis eine Rolle, sondern auch die Tatsache, dass Maximilian Franz ein Bruder der französischen Königin Marie Antoinette war. 97 Danaerregen: Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Berlin, 13.1.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 16r, gedr.: PC 44, Nr. 27769, S. 25f; erneut: Friedrich II. an seinen Gesandten in Wien, Johann Hermann von Riedesel, Potsdam, 21.6.1780; ebd., Nr. 28055, S. 313f. Die Lieblichkeit unseres Goldes: Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 28.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 107r; gedr.: PC 44, Nr. 28016, S. 271. Vergoldete Waffen: Friedrich II. an Finckenstein, Berlin, 16.1.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 20r; gedr.: PC 44, Nr. 27777, S. 34; erneut Friedrich II. an Finckenstein; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 126r, gedr.: PC 44, Nr. 28022, S. 278. 98 Finckenstein an Friedrich II., Berlin, 15.1.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 19rv; in Auszügen gedr.: PC 44, Nr. 27777, S. 33. 99 Freilich wären die Niederlande und Preußen selbst bei dem raschen und vollständigen Einsatz der anvisierten Summe von knapp 200.000 fl. nicht im entferntesten konkurrenzfähig gewesen mit den von Österreich eingesetzten Geldern. Friedrich II. an Finckenstein, Graudenz, 8.6.1780; PC 44, Nr. 28029, S. 286: Die Niederlande seien bereit, 150.000 fl. zu geben, er selbst wolle 30–40.000 Ecus geben. Die österreichischen Ausgaben beliefen sich auf rund 950.000 fl.; Mathy, Metternich, 1958, S. 166; Keinemann, Wahlbewegungen, 1969, S. 66; Braubach, Max Franz, 1961, S. 64; Braubach, Domkapitel, 1927, S. 250. 100 Das lag auch an der unterschiedlichen ständischen Zusammensetzung der beiden Kapitel. Wenn man in Preußen, um die Kandidatur eines fürstlichen Kandidaten zu verhindern, auf eine Wahl ex gremio setzte, kamen zwangsläufig nur zwei unterschiedliche

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eine Wahl ex gremio.101 Das konnte eine durchaus erfolgversprechende Strategie sein, da sie mit dem grundsätzlichen Interesse der Domherren in Einklang stand und insbesondere in Münster erhebliche Vorbehalte gegen die Personalunion, die praktisch gleichbedeutend mit einem Bischof aus fürstlichem Haus war, bestanden. Franz Friedrich von Fürstenberg verwies die preußischen Verhandlungspartner dabei auf die Wahl von 1706, bei der ein Kandidat mit preußischer Unterstützung gegen einen fürstlichen, vom Kaiserhof unterstützten Bewerber gewonnen hatte.102 Überhaupt konzentrierten sich die Auseinandersetzungen bald auf Münster, als sich ein Sieg von Maximilian Franz in Köln rasch abzeichnete.103 Zudem betrieb Fürstenberg seine Kandidatur mit Nachdruck und wurde nicht müde, den preußischen Vertretern immer neue Forderungen und Vorschläge zu unterbreiten. Dabei ging er freilich weit über die Grenze hinaus, die in Berlin intern als »rote Linie« markiert worden war und die Friedrich mit den Worten »Passe pour l’argent; mais pour la guerre, cela est trop« auf den Punkt brachte.104 Auch zu einem Rekurs an Kaiser und Reichstag war Friedrich nicht bereit und legte überdies dar, dass ein solcher angesichts der Mehrheitsverhältnisse völlig aussichtslos sei.105 Wenn man die Korrespondenz dieser Monate Revue passieren lässt, drängt sich der Eindruck auf, dass zwischen der vollmundigen Rhetorik Friedrichs

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Kandidaten in Frage, da Köln ein hochadliges, Münster hingegen ein ritterschaftliches Kapitel war. Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 28.5.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6363, fol. 107r, gedr.: PC 44, Nr. 28016, S. 271. Wolffersdorff an Friedrich II., Hamm, 11.3.1780; PC 44, Nr. 27888, S. 143. Friedrich erteilte daraufhin die Anweisung, im Archiv die Akten von 1706 zu suchen; Friedrich II. an Wolffersdorff, Potsdam, 20.3.1780; PC 44, Nr. 27886, S 142. Der preußische Kandidat für Köln, Joseph von Hohenlohe-Bartenstein, war am 22. Juni 1780 ins österreichische Lager gewechselt; Braubach, Max Franz, 1961, S. 62. Finckenstein und Ewald Friedrich von Hertzberg an Friedrich II., Potsdam, Juli 1780; PC 44, Nr. 28070, S. 330f., Zitat S. 331. Fürstenberg bestritt freilich, eine militärische Unterstützung verlangt zu haben; Franz Friedrich von Fürstenberg an Hertzberg, Münster, 11.7.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6366, fol. 112r-113r, hier fol. 113r. Es bleibt völlig rätselhaft, was sich die Fürstenberg-Partei ausgerechnet von einem Rekurs an den Kaiser, also den Bruder von Maximilian Franz, versprach. Franz Friedrich von Fürstenberg an Hertzberg, Münster, 11.7.1780; ebd., fol. 112r-113r, hier fol. 113r. Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 27.7.1780; ebd., fol. 194r; gedr.: PC 44, Nr. 28109, S. 371f.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

in Verbindung mit den von ihm entworfenen Horrorszenarien einer drohenden österreichischen Diktatur im Reich106 und seiner eigenen Risikobereitschaft sowie seiner Zurückhaltung in Bezug auf Ressourceneinsatz und persönliches Engagement doch eine große Lücke klaffte. Die preußischen Bemühungen standen hinter den österreichischen in allen Belangen zurück, sodass der Wahlausgang nicht erstaunt. Ganz offensichtlich war die Verhinderung der Koadjutorie für Maximilian Franz dem Berliner Hof wesentlich weniger wert als dessen »Etablissement« dem Wiener Hof. Auch wenn in diesem Wahlkampf die beiden vorherrschenden Mächte im Reich unmittelbar aufeinandertrafen und Preußen die Rhetorik einer drohenden österreichischen Hegemonie im Reich bemühte, kann man dennoch kaum sagen, dass der Kampf um die Vorherrschaft im Reich hier auf das Feld der Reichskirchenpolitik getragen worden wäre, da von habsburgischer Seite allzu deutlich das dynastische Versorgungsinteresse im Vordergrund stand. Was von Preußen als Konkurrenzkampf eingeordnet und angenommen wurde, war von Österreich nicht als solcher gedacht. Gleichzeitig aber galt die Reichskirchenpolitik Berlin offenbar nicht als eine wichtige Arena in diesem Kampf, sonst hätte man wohl kaum diese Zurückhaltung an den Tag gelegt. Wie sehr Preußen in diesen Konkurrenzkategorien dachte und dies auch bei Österreich voraussetzte, zeigt die Reaktion auf die sich in Köln und Münster abzeichnende Niederlage. Noch bevor dort die Koadjutorwahlen stattgefunden hatten, richteten Friedrich und seine Minister ihre Aufmerksamkeit auf die beiden anderen westfälischen Bistümer Paderborn und Hildesheim sowie auf Lüttich, da man ganz selbstverständlich davon ausging, dass Österreich als nächstes dorthin ausgreifen und Maximilian Franz auch dort als

106 Friedrich II. an Finckenstein, Potsdam, 13.6.1780; PC 44, Nr. 28037, S. 295. Ein Vierteljahr später, nach der Wahl Maximilian Franz’ in Köln und Münster sah Friedrich den »esprit d’agrandissement de la Maison d’Autriche« außer in Lüttich auch noch in Salzburg, Freising, Regensburg und ungenannten anderen Domkapiteln am Werk, weshalb selbst bei einem nur teilweisen Erfolg der kirchliche Arm Österreichs in Deutschland, Frankreich und Holland furchtbar wäre; Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 4.9.1780; PC 44, Nr. 28175, S. 434f. In einem Schreiben an seinen Gesandten in St. Petersburg fürchtete er gar den Umsturz der Reichsverfassung; Friedrich II. an Goertz, Potsdam, 4.9.1780; ebd., Nr. 28176, S. 435f. Wenige Tage später berichtete Friedrich von Ambitionen Österreichs in Würzburg und sah ein neues Pontifikat in Deutschland voraus; Friedrich II. an Hertzberg, Potsdam, 7.9.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6367, fol. 137r; gedr.: PC 44, Nr. 28182, S. 442f.

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Koadjutor installieren wolle.107 Dabei dürfte den preußischen Akteuren das Bischofsreich Clemens Augusts von Bayern vor Augen gestanden haben.108 Erkennbar ist der unbedingte Willen, dieses Mal nicht zu spät kommen zu wollen, sondern Österreich, das sich noch auf den Vollzug der Wahlen in Köln und Münster konzentrierte, zuvorzukommen. Mindestens ebenso bezeichnend sind freilich die Defizite der preußischen Bemühungen. Denn die preußischen Korrespondenzen offenbaren einen erheblichen Mangel an Vertrautheit mit Rahmenbedingungen, rechtlichen Gegebenheiten und handelnden Personen in der Reichskirche. Das fing schon damit an, dass ein Bischofsreich ähnlich dem Clemens Augusts von vornherein nicht zu befürchten war, weil die päpstliche Haltung zu Bistumskumulationen sich inzwischen – auch als Reaktion auf die bayerischen Kumulationen – grundlegend geändert hatte und keine Dispens für ein drittes und viertes Bistum erwarten ließ109 – was man in Berlin aber offenbar nicht wusste. Erstaunt stellte man zudem fest, dass der Bischof von Paderborn, Wilhelm Anton von der Asseburg, bereits einen Koadjutor besaß, nämlich in der Person seines Neffen Friedrich Wilhelm von Westphalen, des Bischofs von Hildesheim,110 dass hier also ein solches 107 Dieser Gedanke taucht in der Korrespondenz erstmals am 27. Juli 1780 auf. Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 27.7.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6366, fol. 221r; gedr.: PC 44, Nr. 28115, S. 378f. Friedrich setzte z.B. selbstverständlich voraus, dass Österreich sich um das Fürstbistum Lüttich für Maximilian Franz bemühen würde. Friedrich II. an Goltz, Arnoldsmühle, 30.8.1780; PC 44, Nr. 28167, S. 429. Friedrich II. an seinen Gesandten im Haag, Friedrich Wilhelm von Thulemeier, Arnoldsmühle, 30.8.1780; ebd., Nr. 28168, S. 429f. In einer Randbemerkung zeigte er sich zufrieden mit den Anstrengungen seiner Minister, eine Ausdehnung des neuen Koadjutors, also von Maximilian Franz, nach Hildesheim, Paderborn, Osnabrück und Lüttich zu verhindern. Departement des Auswärtigen an Friedrich II., Berlin, 8.8.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 5166, fol. 13r. 108 Lediglich das fünfte Bistum Clemens Augusts, Osnabrück, stand nicht zur Debatte, da der dortige (protestantische) Bischof Friedrich von York erst 17 Jahre alt war. 109 Papst Clemens XII. hatte mit seinem Motu proprio »Quamquam invaluerit« vom 5. Januar 1731 die Kumulation von mehr als zwei Bistümern verboten und dabei auf den Missbrauch einer Kumulation von fünf Bistümern und damit implizit auf Clemens August Bezug genommen; Reinhardt, Reichskirchenpolitik, 1998; der Text des Motu proprio auf S. 115f. 110 Am 30. Juli wurde Christian Wilhelm Dohm von Friedrich beauftragt, von Münster aus, wo ohnehin nichts mehr zu gewinnen war, nach Paderborn und Hildesheim zu reisen und unter anderem in Erfahrung zu bringen, ob der Bischof von Paderborn schon einen Koadjutor besitze, der »uns« nicht bekannt sei; Friedrich II. an Dohm, Berlin, 30.7.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6366, fol. 280r-282v, hier fol. 280r. Noch von Münster aus be-

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Ausgreifen Österreichs jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt rein kirchenrechtlich gar nicht möglich war. Dieses Informationsdefizit korreliert mit der Nichtbeachtung der Paderborner Koadjutorwahl im Jahre 1773. Wenn Friedrich sich außerdem über die österreichischen Absichten, in Osnabrück einen Erzherzog als Koadjutor zu nominieren, ausließ, offenbart diese Bemerkung seine Unkenntnis der speziellen Osnabrücker alternierenden Sukzession, die eine Koadjutorwahl praktisch unmöglich machte.111 Während diese Wissensdefizite dem preußischen König offenbar nicht bewusst waren bzw. erst nach und nach deutlich wurden, sah er sehr klar, dass Preußen Österreich hinsichtlich der Kenntnis der Mitglieder der Domkapitel und des Einflusses auf jene hoffnungslos unterlegen war.112 Obwohl Friedrich das Gespenst einer völligen Dominanz Österreichs in der Reichskirche und im Reich geradezu lustvoll an die Wand malte und damit unterstellte, dass der Kaiserhof die Reichskirchenpolitik als Instrument seiner Reichspolitik einsetzte,113 zog er daraus nicht die Konsequenz, den österreichischen Anstrengungen entsprechende eigene Bemühungen entgegenzusetzen. Offensichtlich ging er – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt im Herbst 1780 – davon aus, dass Preußen auf diesem Feld ohnehin chancenlos war. Ähnlich wie bei der Koadjutorwahl in Köln und Münster setzte er auch für die anderen westfälischen Bistümer vor allem auf Geld, wobei die Rolle des Hauptgeldgebers dieses Mal Hannover zufallen sollte, das an der Besetzung der Bistümer ein noch größeres

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richtete Dohm nach Berlin, dass der Paderborner Bischof bereits einen Koadjutor besitze und die Koadjutorie eines Koadjutors unkanonisch sei. Des weiteren wusste er, dass das noch nicht sehr fortgeschrittene Alter des Hildesheimer Bischofs dort einer Koadjutorwahl entgegenstehe. Dohm an Staatsminister N.N., Münster, 2.8.1780; ebd., Nr. 5166, fol. 1r-7r, hier fol. 1v-2r. Dohm an Friedrich II., Münster, 4.8.1780; ebd., Nr. 6367, fol. 45r-50r; hier fol. 46r. Finckenstein und Hertzberg an Friedrich II., Berlin, 7.8.1780; ebd., fol. 51r; gedr.: PC 44, Nr. 28137, S. 404. Friedrich II. an Staatsminister Gebhard Werner Graf Schulenberg, Breslau, 27.8.1780; PC 44, Nr. 28164, S. 426. Friedrich II. an Goertz, Potsdam, 4.9.1780; PC 44, Nr. 28176, S. 435f. Friedrich II. an Hertzberg, Potsdam, 5.9.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6367, fol. 134r: gedr.: PC 44, Nr. 28180, S. 440f. Friedrich II. an Hertzberg, Potsdam, 7.9.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6367, fol. 137r; gedr.: PC 44, Nr. 28182, S. 442f. Mehr noch als für die westfälischen galt dies für die süddeutschen Bistümer. Anders ist Friedrichs Formulierung vom »geistlichen Arm« Österreichs kaum zu verstehen. Friedrich II. an Hertzberg, Potsdam, 5.9.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6367, fol. 134r: gedr.: PC 44, Nr. 28180, S. 440f.

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Interesse habe als Preußen.114 Erneut tut sich also eine Lücke auf zwischen den düsteren Prophezeiungen Friedrichs, die eigentlich ein vehementes Engagement erfordert hätten, und der tatsächlichen Bereitschaft zu einer aktiven und risikobereiten Politik. Das blieb freilich ohne Auswirkungen, da im Moment keine konkreten Handlungsoptionen bestanden: Der Paderborner Bischof besaß bereits einen Koadjutor und der Hildesheimer verweigerte sich einer Koadjutorie. Auf die von dem preußischen Emissär Dohm vorgeschlagene langfristige Verpflichtung von Domherren durch regelmäßige Pensionszahlungen scheint man in Berlin überhaupt nicht eingegangen zu sein.115 An den preußischen Grundannahmen hatte sich nichts Wesentliches geändert, als im Frühjahr 1785 durch eine ernste Erkrankung Friedrich Wilhelms von Westphalen, der seit dem Tod seines Onkels Wilhelm Anton von der Asseburg auch Bischof von Paderborn war, die Nachfolgefrage in den beiden westfälischen Fürstbistümern wieder akut wurde.116 Nach wie vor gingen auf preußischer Seite alle Akteure davon aus, dass der Kölner Kurfürst Maximilian Franz sich um die beiden Bistümer, zumindest aber um Paderborn, bewerben wolle. Davon ließen sie sich auch durch die wiederholten Erklärungen des Kurfürsten, dass er kein weiteres Bistum anstrebe, nicht abbringen, sondern stuften dies als bewussten Beschwichtigungsversuch ein.117 Wohl gerade weil man in Berlin von einer Kandidatur des Erzherzogs ausging und außerdem befürchtete, dass die tiefen Parteiengegensätze in den beiden Domkapiteln Österreich in die Hände spielten,118 agierte man in Berlin 114 115

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Friedrich II. an das Departement des Äußeren, Potsdam, 25.10.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6368, fol. 60r; gedr.: PC 44, Nr. 28273, S. 532f. Dohm an Staatsminister N.N., Münster, 2.8.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 5166, fol. 1r-7r, hier fol. 3v-4r. Dohm an Friedrich II., Hannover, 20.8.1780; ebd., fol. 27r-30r, hier fol. 29r-v. Dohm wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich dabei kaum vermeiden lasse, dass manche der Pensionen umsonst investiert würden, weil z.B. der Pensionsempfänger vor der nächsten Wahl starb. Dies dürfte bei dem – jedenfalls, wenn es um andere ging – notorisch sparsamen Friedrich gleich das Aus für diesen Vorschlag bedeutet haben. Zu dieser Wahl und zu den preußischen Bemühungen ausführlich Dylong, Domkapitel, 1997, S. 241–255; eine knappe Zusammenfassung bei Aschoff, Bistum, 2022, S. 178–181. Friedrich II. an Dohm, Berlin, 18.5.1785; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 5168, fol. 11r-12r. Dohm an Friedrich II., Hildesheim, 27.5.1785; ebd., fol. 26r-28v. Christian Wilhelm Dohm, den Friedrich erneut nach Westfalen schickte, war überzeugt, dass die jeweils unterlegene Partei sich Maximilian Franz anschließen und diesem damit zu der nötigen Mehrheit verhelfen würde, ohne dass Österreich dafür

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

jetzt ähnlich zielgerichtet, wie der Kaiserhof dies 1780 in Köln und Münster getan hatte. Wunschkandidat Preußens war Franz Egon von Fürstenberg, der Generalvikar und Domprobst in Hildesheim und Bruder des ehemaligen Münsteraner Ministers Franz Friedrich; das Minimalziel war jedoch, die Wahl von Maximilian Franz zu verhindern. Freilich trat Preußen nicht offen als Unterstützer Fürstenbergs auf, sondern agierte im Verborgenen, weil man zu dem Ergebnis gelangt war, dass eine offene Parteinahme für Fürstenberg kontraproduktiv wäre, da sie nur die Aktivitäten und den Zusammenhalt der gegnerischen Partei stärken würde.119 In der Überzeugung von der drohenden Gefahr einer Wahl Maximilian Franzʼ ließ man sich in Berlin auch nicht beirren, als Informationen auftauchten, dass nicht einmal der Papst eine Dispens für ein drittes Bistum erteilen dürfe.120 Man stufte diese – korrekte – Information als eher unglaubwürdig ein und sah sich in dieser Skepsis bestätigt, weil man die Kumulation von fünf Bistümern durch Clemens August von Bayern und die Regierung Clemens Wenzeslausʼ von Sachsen in Trier, Augsburg und Ellwangen für den Beweis des Gegenteils hielt, nicht wissend, dass die Breven für Clemens August vor dem einschlägigen päpstlichen Erlass von 1731 erteilt worden waren und dass Ellwangen als Propstei nicht unter diese Regelung fiel.121 Diese Annahme offenbart nicht nur erneut die mangelnde Vertrautheit der preußischen Akteure mit der Reichskirche und dem Kirchenrecht,122 sondern auch das Geld würde aufwenden müssen. Dohm an Friedrich II., Hildesheim, 27.5.1785; ebd., fol. 26r-28v, hier fol. 27r. Dohm an Friedrich II., Hildesheim, 30.5.1785; ebd., fol. 30r-31v, hier fol. 30r. Dohm an Friedrich II., Hannover, 12.6.1785; ebd., fol. 39r-40r, hier fol. 39v. 119 Dohm an Friedrich II., Braunschweig, 6.6.1785; ebd., fol. 34r-35r. 120 Friedrich II. an Dohm, Berlin, 4.6.1785; ebd., fol. 32r-v, hier fol. 32v. 121 In der preußischen Korrespondenz aus dem Sommer 1785 kann man geradezu den Lernprozess der preußischen Akteure in Bezug auf diesen kirchenrechtlichen Sachverhalt nachvollziehen. Friedrich II. an Dohm, Berlin, 4.6.1785; ebd., fol. 32r-v, hier fol. 32v. Dohm an Friedrich II., Hannover, 12.6.1785; ebd., fol. 39r-40r, hier fol. 40r. Dohm an Friedrich II., Detmold, 29.6.1785; ebd., fol. 54r-57v, hier fol. 56r. Dohm an Friedrich II., Detmold, 27.7.1785; ebd., fol. 99r-101v, hier fol. 101r-v. 122 Erstaunlicherweise zog man aber auch auf habsburgischer Seite die Möglichkeit einer Kandidatur von Maximilian Franz in Lüttich, Paderborn oder Hildesheim, also die Kumulation von mehr als zwei Bistümern, durchaus in Erwägung, ohne dieses Hindernis zu thematisieren. Entsprechende Überlegungen traten allerdings nicht in ein konkretes Stadium, weil Maximilian Franz sich entsprechenden Plänen rundweg verweigerte. Kurfürst Maximilian Franz an Metternich, Poppelsdorf, 2.9.1785; HHStA Wien, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A 51–12-3, fol. 122r-124r. Mathy, Metternich, 1958, S. 206f.

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tiefe Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche, der man eine solche Selbstbeschränkung schlicht nicht zutraute. Allerdings lag Berlin mit dieser Annahme ebenso falsch wie mit der einer österreichischen Kandidatur. Denn tatsächlich agierte das Kaiserhaus in diesem Fall äußerst zurückhaltend und hielt ein größeres Engagement weder für erfolgversprechend noch für notwendig. Hier machte sich bemerkbar, dass der Kaiserhof in dieser Gegend des Reichs personell nur schwach vertreten war123 und dass Kurfürst Maximilian Franz, der eigentlich der geborene Außenposten des Kaiserhofs im Nordwesten des Reichs gewesen wäre, eigene Ambitionen tatsächlich nicht hegte, zudem die Reichspolitik seines kaiserlichen Bruders sehr kritisch sah und nicht ohne Weiteres bereit war, als Sachwalter habsburgischer Hausinteressen tätig zu werden.124 Schon früh gaben Maximilian Franz und der kaiserliche Vertreter Metternich die Wahlen verloren.125 Der Kölner Kurfürst warnte sogar davor, den kaiserlichen Hof durch ein öffentliches Auftreten zu exponieren und dadurch jene Rolle zu spielen, die Preußen bei der Koadjutorwahl in Köln und Münster gespielt hatte.126 Dass dies in Wien relativ gelassen aufgenommen wurde, lag sicher zum einen an der relativen Bedeutungslosigkeit der beiden Bistümer, zum anderen aber daran, dass Franz Egon von Fürstenberg dem Kaiserhof bisher nicht negativ aufgefallen war,127 und war zum dritten darauf zurückzuführen, dass das Haus Österreich in diesem Fall keine eigenen dynastischen Interessen verfolgte. 123

Kaunitz an Colloredo, Wien, 30.8.1785; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, Fasz. 3: Antrag auf Koadjutorie 1785, unfol. 124 Kurfürst Maximilian Franz an Metternich, Poppelsdorf, 2.9.1785; HHStA Wien, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A 51–12-3, fol. 122r-124r. Maximilian Franz klagt hier beredt und auch resigniert, wie schwierig es sei, in diesen Gegenden für den kaiserlichen Dienst tätig zu sein, »ohne für einen Maulmacher zu passieren«, da die kaiserliche Gnade hier nicht spürbar sei und die Warnung vor den Säkularisationsgerüchten nicht mehr verfange; ebd. fol. 124r. 125 Metternich an Colloredo, Koblenz, 19.9.1785; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, Fasz. 3: Antrag auf Koadjutorie 1785, unfol. 126 Metternich an Kaunitz, Koblenz, 19.9.1785; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, Fasz. 3: Antrag auf Koadjutorie 1785, unfol. 127 Colloredo an Joseph II., Wien, 22.1.1786; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, Fasz. 4: Koadjutorwahl 1786, fol. 23r-25r, hier fol. 23r-v. Während Franz Egon von Fürstenberg für den Kaiserhof offensichtlich ein relativ unbeschriebenes Blatt war, galten die Wiener Befürchtungen dessen Bruder Franz Friedrich und seinem Einfluss auf den künftigen Koadjutor; ebd.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

Preußen aber verdankte seinen Erfolg wohl gerade seinen falschen Grundannahmen, die die eigene Partei angesichts der postulierten österreichischen Kandidatur in ihrer Ge- und Entschlossenheit stärkten. Wenn in den Wahlkämpfen von 1780 und 1785/86 auf den ersten Blick Vertreter der beiden führenden Mächte im Reich gegeneinander antraten, der Kampf um die Vorherrschaft im Reich also scheinbar über die Bischofswahlen ausgetragen wurde, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass das nur teilweise richtig ist. Zutreffend ist, dass die Parteiungen sich tatsächlich entlang des österreichischpreußischen Gegensatzes sortierten, wobei 1785/86 Preußen-Hannover als eine Partei agierte und auch wahrgenommen wurde. Andere Mächte spielten nur eine sekundäre Rolle. Österreich jedoch führte den Wahlkampf 1780 nicht für eine Stärkung seiner Position im Reich, sondern für eine Versorgung Erzherzog Maximilian Franzʼ, während es 1785/86 den Erfolg Preußens relativ gelassen akzeptierte, auch wenn man durchaus sah, dass »in selbigem Reichs bezirk an dem Coadjutore v. Fürstenberg […] bey zwey ihm zugehende bisthümer die Preussisch und hannöversche Parthie eine merkliche Verstärckung erhaltet«.128 Preußen wiederum verstand zwar beide Wahlkämpfe als Teil des großen Konkurrenzkampfs um die Vorherrschaft im Reich, war aber kaum bereit, auf diesem Feld allzu viel zu investieren, was doch zu einer signifikanten Diskrepanz zwischen Rhetorik und praktischer Politik führte. Unter ganz anderen Vorzeichen stand dann bereits die Mainzer Koadjutorwahl des Jahres 1787.129 Zwar spielten erneut Preußen und Österreich zentrale Rollen in diesem turbulenten Wahlkampf, aber die Rahmenbedingungen hatten sich doch spürbar verändert. Denn es ging nicht nur um die Nachfolge auf dem Mainzer Erzstuhl, sondern auch um eine Reform des Reichs, die man je nach Standpunkt von Carl Theodor von Dalberg erhoffte oder befürchtete, sowie um die Zukunft des Fürstenbundes, der in den Überlegungen rund um die Wahlen 1785/86 eine erstaunlich geringe Rolle gespielt hatte.130 Erst nach dem Tod Friedrichs des Großen am 17. August 1786 gewann der Wahlkampf dann

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Colloredo an Joseph II., Wien, 16.4.1786; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 29, Fasz. Koadjutoriewahl 1786, fol. 18r-20r, hier fol. 18v. 129 Siehe dazu z. B. Aretin, Reich, 1967, Teil I, S. 198–202 und zuletzt aus der Perspektive Dalbergs Hömig, Dalberg, 2011, S. 109–127. 130 Nur sehr selten wird in der engeren Wahl-Korrespondenz auf den Fürstenbund Bezug genommen. Siehe z.B. Friedrich II. an Dohm, Berlin, 11.6.1785; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 5168, fol. 37r-38r, hier fol. 37v.

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erkennbar eine neue Dynamik und ist deshalb nicht mehr Gegenstand dieses Aufsatzes. Wenn man von den einzelnen Wahlen abstrahiert und danach fragt, welche Mittel die konkurrierenden Mächte jeweils einsetzten, um das gewünschte Wahlergebnis zu erzielen, zeigt sich nicht nur die soeben für die Wahlen von 1780 und 1785/86 beobachtete Asymmetrie des Wissens und Willens, sondern auch ein erhebliches Ungleichgewicht in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Mittel und Handlungsspielräume. Nur schwer abzuschätzen ist, inwieweit die katholische Konfession dem Kaiserhaus einen wirksamen strukturellen Vorteil verschaffte.131 Denn es lässt sich kaum nachvollziehen, ob die Domkapitel sich in ihrer Entscheidung davon beeinflussen ließen, ob ein Kandidat von einer katholischen oder einer protestantischen Macht unterstützt wurde. Interessanterweise wurde die Konfession in den Verhandlungen von österreichischer Seite nicht thematisiert, es wurde also nicht darauf hingewiesen, dass ein Kandidat von einer akatholischen Macht protegiert wurde. Österreich spielte die konfessionelle Karte mithin nicht aus. Umgekehrt ging man auf preußischer Seite durchaus davon aus, dass die Religion neben anderen ein entscheidender Faktor sei.132 Zweifelsohne im Vorteil war das Haus Österreich allerdings durch seine – ungeachtet gelegentlicher politischer Differenzen – engen und traditionsreichen Beziehungen zur römischen Kurie, über die protestantische Mächte wie Hannover und Preußen nicht verfügten. Preußen knüpfte erst nach der Eingliederung Schlesiens diplomatische Beziehungen zur Kurie an, scheint diese aber nicht im Kontext der Bistumswahlen in der Germania Sacra genutzt zu haben.133 Der Kaiserhof nutzte seine Verbindungen nach Rom insbesondere für die Beantragung von Eligibilitätsbreven, und zwar nicht nur für Kandidaten aus 131 132

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In der Konkurrenz mit Frankreich hatte die Konfession keine Rolle gespielt, da beide Herrscherhäuser katholisch waren. Kabinettsminister Finckenstein zählt bei den Vorteilen für das Kaiserhaus neben der Verfügungsgewalt über Benefizien, der allgemeinen politischen Lage und der zögerlichen Haltung Englands und Frankreichs auch den Einfluss der katholischen Religion in den Kapiteln auf. Finckenstein an Hertzberg, Potsdam, 28.6.1780; PC 44, Nr. 28063, S. 323. Hanus, Vatikangesandtschaft, 1954, S. 1–3. Hanus konzentriert sich für die Zeit Friedrichs auf die Verhandlungen zur Lage der katholischen Kirche in Schlesien und die Bemühungen um den Fortbestand des Jesuitenordens in Preußen und thematisiert an keiner Stelle die Bischofswahlen in den Reichsbistümern. Aber auch eine Durchsicht

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

der eigenen Familie wie Maximilian Franz, sondern auch für andere Bewerber wie Johann Friedrich Karl von Ostein, dessen Wahl in Bamberg und Würzburg Wien wünschte.134 Statt ein Breve für den eigenen Kandidaten zu erbitten, konnte auch versucht werden, wenigstens ein Breve für den gegnerischen Kandidaten zu verhindern. So unternahm Wien – wenn auch vergeblich – einen entsprechenden Vorstoß, um ein Breve für Johann Theodor von Bayern zu verhindern.135 Da die in den sogenannten päpstlichen Monaten freiwerdenden Kanonikate in den Domkapiteln von der Kurie besetzt wurden, konnte es sich auch anbieten, den Papst um bestimmte Ernennungen zu bitten, um insbesondere kurz vor einer Wahl die eigene Partei in einem Domkapitel zu stärken. Als die Reichskanzlei im Juli 1785 dem österreichischen Vertreter in Rom einen entsprechenden Auftrag erteilte, musste man allerdings feststellen, dass der Papst die beiden Pfründen bereits vergeben hatte,136 weshalb Joseph II. vorschlug, geeignete Kandidaten dem österreichischen Vertreter in Rom im Voraus zu benennen, damit dieser dann gegebenenfalls ohne Zeitverzug handeln könne.137 Auch wenn Wien zweifelsohne über die wesentlich besseren Verbindungen zur Kurie verfügte als Berlin, waren die in preußischen Akten gelegentlich geäußerten Vorstellungen über die Einflussmöglichkeiten des Kaiserhauses doch maßlos übertrieben. Weder konnte Maria Theresia vom Papst einfach die Übertragung des Erzbistums Wien oder Prag an Joseph von HohenloheBartenstein, den von Preußen unterstützten Gegenkandidaten gegen Maximilian Franz, erbitten, damit dieser auf seine Kandidatur in Köln verzichtete,138 noch konnte oder wollte Wien dem Bischof von Hildesheim versprechen, ihm

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der einschlägigen Bände der Edition »Preußen und die katholische Kirche« ergab, dass die Bischofswahlen außerhalb Preußens nicht Gegenstand der Korrespondenz zwischen der preußischen Regierung und ihren Vertretern in Rom waren. Nota; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 3, Fasz. 1746, fol. 115r-116r, hier fol. 115v. Colloredo an Franz I., Wien, 7.3.1749; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 18, fol. 254r-261v, hier fol. 255r-v. Colloredo vermutete in diesem Fall eine Intervention Preußens an der Kurie. Reichskanzlei an Staatskanzlei, Wien, 23.7.1785; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 15b, Fasz. Antrag auf Koadjutorie 1785, fol. 23r-v. Colloredo an Joseph II., Wien, 26.8.1785; ebd., fol. 28r-32r, hier fol. 32r. Emminghaus an Friedrich II., Köln, 8.7.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6366, fol. 53r-56v, hier fol. 55r.

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zu einer Kardinalswürde zu verhelfen, falls er seinen Widerstand gegen eine Koadjutorie aufgebe.139 Anders sah es aus mit der Möglichkeit des Kaiserhauses, Stellen in den Reichsinstitutionen zu vergeben, um Parteigänger in den Bistümern zu belohnen. Dabei handelte es sich nicht um preußische Verschwörungstheorien, da sich solche Überlegungen durchaus in den Wiener Akten nachweisen lassen.140 Grundsätzlich bildete die Vergabe von Posten in der österreichischen und Reichsadministration ein gängiges Instrument habsburgischer Klientelpolitik, um die katholischen Adelsfamilien vor allem Süddeutschlands an das Kaiserhaus zu binden. Gerade für Mainz wirkten sich auch die aus der Stellung als vornehmster Kurfürst und Reichserzkanzler resultierenden engen personellen Verbindungen zwischen Mainz und Wien aus. So war der Mainzer Minister Karl Friedrich Willibald von Groschlag ein Schwager des kaiserlichen Gesandten im kurrheinischen Kreis und Wahlkommissars Johann Anton Graf Pergen.141 Vergleichbare Verbindungen führender Männer bzw. Familien in den Bistümern in die Berliner Administration existierten hingegen nicht. Freilich hätten auch die verstreuten preußischen Besitzungen und die Zentralverwaltung in Berlin prinzipiell ein Reservoir an Posten geboten, das im Sinne einer Klientelbildung hätte genutzt werden können. Allerdings kam der preußische Dienst bevorzugt für protestantische Familien in Frage, schied also als ein Mittel im Zusammenhang der Bischofswahlen weitgehend aus. Und die Zahl anderer, nicht direkt staatlicher Ämter und Pfründen dürfte eher gering gewesen sein. Erst sehr spät und äußerst zögerlich scheint dieses Potential genutzt worden zu sein. Im Vorfeld der Hildesheimer Koadjutorwahl von 1786 schlug der preußische Gesandte Christian Wilhelm Dohm vor, dem Hildesheimer Domherrn Clemens August von Schorlemmer die Expektanz auf die Propstei zu Lippstadt zu erteilen, um seine Stimme zu gewinnen. Dass dieser Vorschlag für preußische Verhältnisse ungewöhnlich war, kann man der Bemerkung Dohms entnehmen, ihm sei durchaus bekannt, dass Friedrich üblicherweise keine Anwartschaften vergebe, weshalb er hinzu fügte, dass Schorlemmer die Anwartschaft nur gegen eine schriftliche Zusage seiner Stimme

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Dohm an Friedrich II., Hannover, 2.9.1780; ebd., Nr. 5166, fol. 36r-v, 40r-v, hier fol. 40r. Finckenstein an Friedrich II., Berlin, 29.5.1780; PC 44, Nr. 28022, S. 278. 140 Z. B. Colloredo an Joseph II., Wien, 13.6.1771; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 24, Fasz. Antrag zur künftigen Nachfolge in Mainz 1768–1773, unfol. 141 Krüger, Groschlag, 1970, S. 92–97.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

erhalte.142 Gerade diese letztere Bedingung, die Friedrichs Bedenken wegen eventuell unnützer Ausgaben antizipierte, war freilich kirchenrechtlich höchst problematisch, wäre damit doch der Tatbestand der Simonie erfüllt gewesen. Mit der Praxis und Rechtslage der Besetzung kirchlicher Pfründen vertrautere Akteure mieden deshalb solche schriftlichen Verpflichtungserklärungen. Eine kaum zu überschätzende Bedeutung für eine kontinuierliche Reichskirchenpolitik dürfte der vergleichsweise flächendeckenden Präsenz des Kaiserhauses im Reich durch die Gesandten bei den Reichskreisen zugekommen sein. Durch diese Vertretungen war ein beständiger Informationsfluss zwischen verschiedenen Gegenden des Reichs und der Reichskanzlei in Wien gewährleistet, ohne dass dies Verdacht erregte und die gegnerische Partei auf den Plan rief. Nicht zufällig hatte der Reichsvizekanzler in seinem Gutachten zur Reichspolitik für den jungen Kaiser Joseph II. empfohlen, die Gesandten in den Kreisen mit jährlichen Berichten über die Parteiungen in den Domkapiteln zu beauftragen.143 Die Bedeutung dieser Präsenz des Kaiserhauses zeigen auch die entsprechenden Klagen, wenn diesbezüglich Defizite zu beobachten waren. So hielt es der Reichsvizekanzler 1748 für nötig, dass sich in Köln ein kaiserlicher Minister aufhalte, der nur für diesen Hof zuständig sei, d.h. die übliche Zuständigkeit eines Gesandten für alle kurrheinischen Höfe wurde als nicht ausreichend erachtet, um den Kurfürst-Erzbischof Clemens August von Bayern von der Beantragung einer Koadjutorie abzuhalten und dem Zusammenwirken Frankreichs und des päpstlichen Nuntius entgegenzuarbeiten.144 Im Herbst 1785 wiederum zeichnete Kurfürst Maximilian Franz ein recht düsteres Bild von der Prä-

142 Dohm an Friedrich II., Lemgo, 23.7.1785; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 5168, fol. 94r-v, 99r, hier fol. 94v. Friedrich ging auf den Vorschlag ein, maß der Koadjutorwahl und damit der Verhinderung einer Wahl von Maximilian Franz also offenbar so hohe Bedeutung bei, dass er von seinen Grundsätzen abwich. Friedrich II. an Finckenstein und Hertzberg, Potsdam, 3.8.1785; ebd., fol. 108r. Friedrich II. an Dohm, Berlin, 9.8.1785; ebd., fol. 111r. 143 Allerunterhänigst-ohnmaßgebliche Anmerkungen des Reichs-Hof-Vice-Canzlers zu denjenigen Deliberanda, welche Sr. Kayerl. Mayt. ihm mitteilen zu lassen allergnädigst geruhet haben, um darüber seine Meinung Pflicht-Schuldigst zu eröffnen, o.D. (1766); HHStA Wien, Reichskanzlei Vorträge 7a, unfol.; gedr. in Khevenhüller-Metsch, Tagebuch, 1917, S. 482–502; hier § 13, S. 495f. 144 Colloredo an Franz I., Wien, 25.4.1748; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 18, fol. 90r-99r, hier fol. 91r-v. Extractus relationis des Grafen von Cobenzl, Mainz, 29.1.1748; ebd., fol. 87r. Nota ad conferentiam, 25.4.1748; ebd., fol. 88r-89r.

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senz bzw. Nichtpräsenz des Kaiserhauses im Nordwesten des Reichs, wenn er konstatierte, dass man dort zwar die kaiserliche Allmacht in den schwärzesten Farben male – eine durchaus zutreffende Beobachtung, wenn man an die Lagebeschreibungen des preußischen Königs denkt –, gleichzeitig aber die kaiserliche Gnade dort nicht erfahrbar sei. Gleichzeitig hielt er fest, dass die Warnung vor einer gewalttätigen Säkularisation, wie sie zuletzt gegen Preußen und Hannover vor allem im Kontext der Wahlen nach dem Tod Clemens Augusts 1761 eingesetzt worden war, nicht mehr glaubwürdig sei.145 Auch wenn man sich auf habsburgischer Seite also gelegentlich eine noch bessere flächendeckende Präsenz im Reich wünschte, bildeten die Gesandten bei den Reichskreisen doch ein Instrument für kontinuierliche Sondierungen und eine aktive Reichskirchenpolitik, dem Preußen nichts auch nur halbwegs Vergleichbares entgegenzusetzen hatte. Anders als man vielleicht zunächst vermuten könnte, zählte die Anwesenheit kaiserlicher Wahlkommissare bei den Bischofswahlen, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts als konstitutiv für eine rechtsgültige Wahl angesehen wurde, nicht zu den wirksamen Mitteln kaiserlicher Reichskirchenpolitik. In personeller Hinsicht waren der kaiserliche Wahlkommissar und der kaiserliche Gesandte im jeweiligen Reichskreis zumeist identisch, da üblicherweise der beim Reichskreis akkreditierte Gesandte zu den in seinem Bezirk stattfindenden Wahlen als Wahlkommissar abgeordnet wurde.146 Für die Wahlen entscheidend waren freilich die Sondierungen und Praktiken des Gesandten beim Kreis im Vorfeld, nicht die Präsenz des Wahlkommissars bei der Wahl selbst. Denn sehr häufig war die Wahl bereits entscheiden, wenn das Dom-

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Kurfürst Maximilian Franz an Metternich, Poppelsdorf, 2.9.1785; HHStA Wien, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A 51–12-3, fol. 122r-124r; Mathy, Metternich, 1958 S. 206f. 146 Die Regel zeigt sich auch darin, dass ein Abweichen von dieser Praxis explizit begründet wurde. So wären für die Wahlen in Paderborn und Hildesheim eigentlich unterschiedliche Gesandte zuständig gewesen, also z.B. 1785/86 Metternich als Gesandter beim niederrheinisch-westfälischen Kreis für Paderborn und Anton Freiherr von Binder für Hildesheim im niedersächsischen Kreis. Aufgrund des engen Zusammenhangs beider Wahlen und seiner größeren Erfahrung in dieser Materie wurde jedoch Metternich für beide Wahlen mit der Vertretung des Kaisers beauftragt, was offenbar als begründungspflichtig angesehen wurde; Mathy, Metternich, 1958, S. 201.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

kapitel zusammentrat und der kaiserliche Vertreter offiziell den Status eines Wahlkommissars annahm.147 Preußen setzte vor allem auf zwei Mittel, die für die österreichische Politik kaum eine Rolle spielten, nämlich auf das Engagement verbündeter Mächte sowie auf Geld. Während die Wiener Politik seit dem renversement des alliances höchstens darauf achtete, dass der französische Hof den eigenen Interessen bei Bischofswahlen nicht in die Quere kam, ansonsten aber eine völlig eigenständige Reichskirchenpolitik betrieb, kalkulierte Preußen durchgängig wenigstens die Unterstützung verbündeter Partner mit ein oder wollte diesen sogar die Federführung überlassen. Das konnten wie in Münster die Niederlande sein, das war zumeist Hannover, wobei die Interessen beider Partner nicht unbedingt deckungsgleich sein mussten. Diese Zurückhaltung Preußens hängt mit dem zweiten Mittel zusammen, nämlich Geld. Aufgrund der strukturellen Nachteile in Bezug auf die Verfügbarkeit der anderen Mittel setzte Preußen primär auf finanzielle Anreize für die Domherren, war aber gleichzeitig nicht bereit, nennenswerte Summen zur Verfügung zu stellen, sondern hoffte dafür auf die genannten Mächte. Die über die Aufbringung der Gelder geführten Verhandlungen pflegten jeweils eher zäh zu verlaufen und waren mit Sicherheit einem preußischen Erfolg nicht zuträglich. Für den Kaiserhof aber galt, was Staatskanzler Kaunitz Ende 1779 in einem ausführlichen Gutachten anlässlich der Bemühungen um Köln und Münster formulierte, dass nämlich der Kaiserhof noch über andere Mittel verfüge als über Geld.148 Joseph II. hatte 1771 sogar erklärt, dass er bei Bischofswahlen

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Die Teile der Instruktion für die Wahlkommissare, die sich auf die offizielle Vertretung des Kaisers bezogen, galten deshalb fast ausschließlich der angemessenen Repräsentation der kaiserlichen Würde im Zeremoniell der Bischofswahl. Die politischen Implikationen der Wahl finden sich dagegen in den Teilen der Instruktionen, die die Sondierungen vor der Wahl betrafen. 148 Kaunitz stellte fest, dass der kaiserliche Hof gegenüber anderen im Vorteil sei, »weil er vorzüglich imstande ist, zur Gewinnung der Wahlstimme nicht nur bloß bares Geld, sondern auch verschiedene Protektionen im Reich und zu Rom, Ehrentitel, Orden etc. geltend zu machen. Wie dann von Seiner Königlichen Hoheit [= Maximilian Franz, B.B.] selbst sowohl den Stiftskapitularen als ihren Anverwandten Beneficia, Dienste oder andere Begünstigungen zugesagt und alle diese Mittel zum Teil statt barem Geld angenommen werden können.« Gutachten Kaunitz’ für Maria Theresia, Wien, 26.11.1779; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 19, fol. 138r-151r, in Auszügen gedr.: Aretin, Reich, 1967, Bd. 2, S. 24–28, hier S. 27f.

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»niemahlen einiges Geld verwenden will noch werde.«149 Dass 1780 dann von österreichischer Seite doch in erster Linie Geld in erheblicher Menge eingesetzt wurde, war der besonderen Situation der Wahlen 1780 mit ihrem vorwiegend dynastischen Ziel geschuldet. Die an den Bischofswahlen in der Reichskirche interessierten Mächte versuchten also mit unterschiedlichen Mitteln, unterschiedlicher Intensität und durchaus wechselndem Erfolg ihnen treu ergebene Kandidaten bei den Wahlen zu fördern oder wenigstens missliebige Kandidaten zu verhindern. Dieses Ziel konnte so freilich nur in der internen Kommunikation ausgesprochen werden. Nach außen musste auf andere Begründungen zurückgegriffen werden, die allerdings häufig genug den Nachteil aufwiesen, nicht eindeutig für einen und gegen einen anderen Kandidaten Position zu beziehen. Diese argumentative Rahmung der Wahlen in der Germania Sacra soll abschließend kurz betrachtet werden. Standardmäßig forderte der Kaiser die Domherren bei Eintreten einer Vakanz auf, ihre Wahl zur Ehre Gottes, zum Nutzen und Frommen der Kirche und zum Besten des jeweiligen (Erz-)Stifts und zum Wohl des Reichs zu treffen.150 Auch wenn die Formulierungen in den Instruktionen für die Wahlkommissare dann teilweise etwas konkreter ausfielen und z.B. vom »Wohl unserer heiligen katholischen Religion« oder der Hoffnung auf einen »frommen« Erzbischof sprachen,151 ließ sich daraus keine Empfehlung für einen bestimmten Bewerber oder der Ausschluss eines anderen ableiten. Denn anders als in der zweiten Hälfte des 16. und bis weit ins 17. Jahrhundert hinein waren alle Kandidaten zweifelsfrei katholisch, die Katholizität war also kein Distinktionsmerkmal mehr. Eine »konfessionelle« Argumentation jenseits dieses allgemeinen Verweises auf das Wohl der Kirche lässt sich deshalb kaum beobachten. Dass eine solche von Preußen nicht ins Feld geführt wurde, versteht sich ohnehin von selbst. Auch eine direkt nationale Argumentation findet sich in den Texten nicht, und zwar auch nicht für den Zeitraum, in dem noch der österreichisch-fran-

149 Joseph II. an Colloredo, Wien, 18.4.1771; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 24b, Fasz. Antrag zur künftigen Nachfolge in Mainz 1768–1773, unfol. 150 Hier paraphrasiert auf der Grundlage des Handschreibens Kaiser Franz’ I. an die Kölner Domherren, Wien, 25.2.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 18, fol. 404r. 151 Instruktion für Pergen nach Köln, 20.2.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 10 – Pergen, unfol., [S. 1].

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

zösische Gegensatz die Parteiungen bei den Bischofswahlen strukturierte. Statt dessen begegnet vielfach der Verweis auf die »patriotische« oder auch »deutsch-patriotische« Gesinnung der Bewerber. In den Wahlen der 1740er Jahre war diese Charakterisierung gegen von Frankreich protegierte Kandidaten gerichtet. Ausführlich wurde z.B. in der Instruktion zur Wahl in Mainz 1743 beschrieben, welcher Schaden für alle Erz- und Hochstifter, die Religion und das Reich zu erwarten sei, falls ein schwacher, von Frankreich abhängiger Erzbischof in Mainz gewählt würde. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass »Uns ein jeder Candidat recht seye, so nur Teutsch patriotische principia heget.«152 »Deutsch-patriotisch« oder auch nur »patriotisch« diente also in dieser Zeit als Gegenbegriff zu »französisch« bzw. »von Frankreich abhängig«. Gleichzeitig wurde eine weitgehende Identität von patriotisch und proösterreichisch postuliert. So galt Johann Friedrich Karl von Ostein, dessen Wahl in Würzburg das Kaiserhaus 1749 wünschte, nicht nur als »patriotisch«, sondern er habe sich auch große Verdienste um das Erzhaus erworben, was aus Sicht des Wiener Hofes offensichtlich deckungsgleich war.153 Durch diese Gleichsetzung von patriotisch und pro-österreichisch ließ sich die Forderung nach einer patriotischen Gesinnung nicht nur gegen von Frankreich protegierte Kandidaten wenden, sondern später auch in Wahlen einsetzen, in denen Preußen oder Hannover den Gegenpart bildeten.154 Wahlweise war dabei von »patriotisch«, »deutsch-patriotisch« oder auch »reichs-patriotisch« die Rede, ohne dass sich eine spezifische Füllung der unterschiedlichen Begriffe ablesen ließe. Allerdings konnte Österreich den Patriotismus nicht exklusiv für die eigene Partei reklamieren. Insbesondere im Zusammenhang mit den Wahlen 1780 und erneut 1785/86 beanspruchte Preußen ebenfalls, dass die eigene Partei die

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Instruktion für Johann Karl Graf Cobenzl, 23.1.1743; HHStA Wien, Staatskanzlei, Instruktionen 3 – Cobenzl, unfol. Vgl. z.B. Colloredo an Johann Friedrich Karl von Ostein, 18.2.1749; HHStA Wien, Reichskanzlei, Geistl. Wahlakten 46, fol. 27r-v. Franz I. an Ostein, Wien, 22.2.1749; ebd., fol. 40r. So wurde z.B. im Zusammenhang der Kölner Wahl von 1761 der Würzburger und Bamberger Bischof Adam Friedrich von Seinsheim als der Wunschkandidat bezeichnet, da er eine patriotische Denkungsart und eine gute Gesinnung für den Kaiser und das Erzhaus vereinige. Instruktion für Pergen nach Köln, 20.2.1761; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 10 – Pergen, unfol., [S. 5]. Siehe auch ebd., Appendix: die Hoffnung auf »ein patriotisches und Uns ergebenes Subjectum«. Aus dem Text wird die antipreußische Stoßrichtung der Argumentation deutlich.

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patriotische oder auch reichspatriotische sei und setzte diesen Patriotismus der »österreichischen Gier« und der Abhängigkeit von Wien entgegen.155 Wenn im Wahlkampf um Münster 1780 die Fürstenberg-Partei schlichtweg als die patriotische Partei bezeichnet wurde und sich auch selbst so bezeichnete, war in diesem Fall der – von Preußen mit der Forderung nach einer Wahl ex gremio geförderte – Patriotismus ein Stiftspatriotismus, der für einen Kandidaten aus dem eigenen Domkapitel und gegen einen auswärtigen, fürstlichen Kandidaten eintrat, konkret also für Franz Friedrich von Fürstenberg und gegen Maximilian Franz von Österreich.156 »Patriotisch« war also weder im österreichischen noch im preußischen Sprachgebrauch im Zusammenhang der Bischofswahlen auf die deutsche oder Reichs-Nation gerichtet, sondern diente eher dazu, die eigene Partei zu bezeichnen und positiv zu markieren. Weil dem Begriff – trotz der wiederholten Kombination mit »deutsch« – ein klar zu definierender nationaler Charakter fehlte, ließ sich der Begriff von beiden Seiten gleichermaßen einsetzen. Insgesamt bildete die Reichskirchenpolitik also kaum und auch erst sehr spät eine Arena des Konkurrenzkampfs zwischen Österreich und Preußen. Dieser Befund mag vielleicht zunächst wenig überraschen, gleichzeitig förderte die Analyse der Bischofswahlen aber etliche Details zutage, die zur Zurückhaltung bei allzu einfachen Erklärungen mahnen. Denn weder verschaffte die katholische Konfession des Kaiserhauses noch die traditionelle Klientelbindung der geistlichen Fürsten an den Kaiser dem Erzhaus einen uneinholbaren Vorsprung, noch ließen die Säkularisationsgerüchte Preußen von vornherein auf verlorenem Posten stehen. Es zeigte sich, dass die Bischofswahlen als ein mögliches Betätigungsfeld preußischer Politik eher zufällig durch die Besetzung der westfälischen Stiftslande im Siebenjährigen Krieg in das Blickfeld Berlins gerieten, und auch dies zunächst nur als Juniorpartner Hannovers. Preußen dürfte in diesen Jahren in der Wiener Wahrnehmung eine größere Rolle gespielt haben, als ihm tatsächlich zukam. Überhaupt scheint die Wahrnehmung der gegnerischen Rolle und damit auch

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Hauptpunkte des Vortrags an den Fürsten zu Hildesheim; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 5166, fol. 22r. Dohm an Friedrich II., Münster, 4.8.1780; ebd., Nr. 6367, fol. 45r-50r, hier fol. 48v. Die Formulierung begegnet vielfach in der preußischen Korrespondenz zur Wahl in Münster 1780, siehe z.B. Friedrich II. an Dohm, 2.7.1780; GStAPK, I. HA, Rep. 11, Nr. 6366, fol. 2r-4v.

Bischofswahlen zwischen Habsburg und Preußen

ihre mögliche Verortung in der Konkurrenz mehrfach seltsam verzerrt. So können gerade die von Preußen als Teil dieses Konkurrenzkampfes eingeordneten Wahlen von 1780 und 1785/86 mitnichten als solche gelten. Mit der Wahl von Maximilian Franz in Köln und Münster 1780 verfolgte das Haus Österreich allein ein dynastisches Ziel, bei dem die Stärkung der eigenen Position im Nordwesten des Reichs bestenfalls ein angenehmer Nebeneffekt war. Und 1785/86 trat Österreich überhaupt nicht zum Konkurrenzkampf an und überließ Preußen das Feld. Erst diese Fehleinschätzungen führten Preußen aber dazu, sich ernsthaft auf dieses Feld zu begeben, wenn Berlin auch nach wie vor nennenswerte Ausgaben und Risiken scheute.

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Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Anette Baumann

Einleitung und Forschungsüberblick Die Rivalität zwischen Preußen und Habsburg im 18. Jahrhundert ist hinlänglich bekannt und quasi für jede Forschergeneration ein neu zu diskutierender Sachverhalt. Der vorliegende Sammelband zeigt dies augenscheinlich. Wie sich die Konkurrenz zwischen Brandenburg-Preußen und dem Kaiser auf die Arbeit am Reichskammergericht in Wetzlar auswirkte, war lange Zeit ein eher vernachlässigtes Thema. Grund hierfür dürfte der schlechte Ruf des Gerichts und seiner Arbeit gewesen sein. Mit dem Interesse an dem Gericht als Friedensstifter und der Neubewertung seiner täglichen Arbeit hat sich das jedoch in den letzten 25 Jahren entscheidend geändert. Zahlreiche Monographien und Aufsätze zeugen davon: An erster Stelle muss hier die Arbeit von Sigrid Jahns zu den Richtern (zeitgenössisch Assessoren, Urteiler oder Beisitzer) erwähnt werden.1 Neben Biographien zu jedem Assessor, der ab 1740 am Reichskammergericht tätig war, finden sich dort unter anderem genaue Analysen zur Präsentationspraxis der Reichsstände und den damit verbundenen Strategien, ihre Kandidaten durchzusetzen.2 Hinzu kommt ein Band, der die Wetzlarer Prokuratoren, also Anwälte am Gericht, behandelt.3 Darin geht es vor allem um die Zeit nach der Jahrhundertmitte. Durch die Entdeckung des Nachlasses des brandenburg-preußischen Prokurators Caspar Friedrich Hofmann lassen sich zudem spannende Einblicke hinter die Kulissen gewinnen.4 Es werden Prak-

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Jahns, Reichskammergericht, Teil I, 2011; Dies., Reichskammergericht, Teil II, 2003. Jahns, Reichskammergericht, Teil I, 2011. Baumann, Advokaten, 2006. Historisches Archiv der Stadt Wetzlar, Nachlass Hofmann.

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tiken der Kommunikation mit den Angehörigen des Gerichts und der Versuch der Einflussnahme Preußens auf verschiedenen Ebenen sichtbar. Eine weitere Arbeit von Maria von Löwenich erforscht die Kammerrichter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.5 Die Kammerrichter – der Titel gibt leider oft Anlass zur Verwirrung – wurden direkt vom Kaiser eingesetzt und waren die Leiter der Behörde. Sie hatten keine Urteilskompetenz, besaßen aber die Aufgabe, die Prozessfälle den entsprechenden Richtern zuzuteilen.6 Ihr Einfluss und damit auch der indirekte Einfluss des Kaisers ist deshalb nicht zu unterschätzen. Von Löwenichs Arbeit konzentriert sich vor allem auf die Strategien der einzelnen Kammerrichter, um das Amt auszufüllen und den entsprechenden Anforderungen gerecht zu werden. Die Erörterung größerer politischer Zusammenhänge ist nicht die Intention der Dissertation. Trotzdem erhalten wir interessante Einblicke in die Kommunikationsmechanismen des Gerichts mit dem Kaiser und den Reichsständen. Hinzu kommen neue Arbeiten zur Visitation am Reichskammergericht. In seinem umfangreichen Werk zur letzten Wetzlarer Visitation unter der Ägide von Joseph II. kann Alexander Denzler den Reformwillen des Kaisers und das Interesse Habsburgs an dem Gericht aufzeigen.7 Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr die Reform des Gerichts durch die beiden Mächte Preußen und Habsburg für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert wurde. Die kleine Reichsstadt Wetzlar an der Lahn wird damit zum Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Habsburg. Hatte das Reichskammergericht ein Urteil gefällt, musste dieses auch vollzogen werden. Hiermit wurden üblicherweise die benachbarten Reichsstände beauftragt. Ein Mechanismus, der meist nur bei kleinen Reichsständen funktionierte. Gerade die Exekutionsaufgaben Preußens für das Reichskammergericht wurden in jüngster Zeit intensiv untersucht. Ein besonders eindrückliches Beispiel sind die Umstände um die Lütticher Revolution.8 Hierzu gibt es Untersuchungen mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen. So hat Heike Wüller die Rolle des Preußen Christian Wilhelm von Dohm in der Lütticher Affäre erforscht. Sie kann zeigen, dass die Lütticher Ereignisse stark vom Reichskammergericht und der Rivalität zwischen Preußen und Habs-

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Loewenich, Amt, 2019. Ebd., S. 93. Denzler, Schriftalltag, 2016. Nève, Lütticher Revolution, 1989.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

burg beeinflusst waren.9 Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch die jüngste Arbeit von Simon Reuter mit dem Titel »Revolution und Reaktion im Reich. Die Intervention im Hochstift Lüttich 1789–1791«. Sie gewährt zusätzlich neue Einblicke in das Zusammenspiel zwischen Kreisdirektoren, Kaiser und Gericht und kann damit eine wichtige Forschungslücke schließen. Strategien und Handlungsoptionen von Österreich und Preußen im Spannungsbogen von Formalität und Informalität im Rahmen der Reichsverfassung werden diskutiert und der damit verbundene Kommunikationsaufwand deutlich gemacht.10 Auch Karl Härter und Monika Neugebauer-Wölk haben sich zur Lütticher Revolution und dem Reichskammergericht umfassend geäußert.11 Diese neuere Literatur bietet die Möglichkeit, das Reichskammergericht als Kampfarena zwischen Preußen und Habsburg zu begreifen und das Gericht unter diesem Aspekt etwas näher in den Augenschein zu nehmen. Altbekannten Ergebnissen können so neue Facetten hinzugefügt werden. Im Folgenden sollen deshalb die oben skizzierten neu erforschten Themenkomplexe im Mittelpunkt stehen und zusammengefasst werden. Es gilt zu fragen, welche Einwirkungsmöglichkeiten Brandenburg-Preußen und Habsburg am Reichskammergericht auf welchen Ebenen hatten und welcher Praktiken sich der Reichsstand und die Kaiser bedienten.

Die Finanzierung des Reichskammergerichts Brandenburg-Preußen war, wie alle anderen Reichsstände auch, an der anteiligen Unterstützung der Finanzierung des Gerichts in Form der Kammerzieler beteiligt. Schon bei der Gründung des Gerichts war vereinbart worden, dass jeder Reichsstand einen Beitrag zum Unterhalt des Gerichts leisten sollte. Oft blieb es jedoch bei dieser Absichtserklärung. So benutzte gerade Brandenburg-Preußen die Kammerzieler häufig, um Druck auf den Spruchkörper bezüglich der Stellenbesetzung auszuüben. Der Streit um die Kammerzieler begann bereits unter Friedrich III./I. Dieser zeigte sich höchst unwillig bei der Begleichung der Kosten und stellte 1703 die Zahlung der Gebühr vollständig ein. 1719 nach der ersten Wetzlarer Visitation beschloss der Reichstag eine

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Wüller, Systemkrise, 2004. Reuter, Revolution, 2018. Härter, Soziale Unruhen, 2002, S. 43–104; Neugebauer-Wölk, Preußen, 1991, S. 59–76.

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Erhöhung der Steuer auf den 3,5-fachen Satz, um die vakanten Richterstellen besetzen zu können. Preußen trug diese Entscheidung aus taktischen Gründen mit, sah sich dadurch aber nicht selbst verpflichtet, irgendwelche Zusatzzahlungen zu leisten.12 1736 versuchte das Reichskammergericht Brandenburg-Preußen zur Begleichung der Schulden zu zwingen, indem es ein Exekutionsmandat gegen Preußen aussprach. Ausführende Reichsstände sollten Köln, Pfalz, Sachsen und Hannover sein. Die Reichsstände beachteten das Mandat des Gerichts jedoch nicht, und alles blieb beim Alten.13 Bei der brandenburg-preußischen Präsentation des Kandidaten Johann Wilhelm von Summermann für eine Richterstelle sah das Gericht erneut die Chance, die ausgebliebenen Gelder einzufordern. Aber auch hier zog sich BrandenburgPreußen geschickt aus der Affäre.14 Danach gab es immer wieder erfolglose Versuche der Richter, Friedrich II. zur Zahlung der Kammerzieler zu bewegen. 1785 waren schließlich rund 52,2 % der Gesamtrückstände des Gerichts Brandenburg-Preußen anzulasten.15 Eine neue Situation trat erst mit dem Thronwechsel von Friedrich II. zu Friedrich Wilhelm II. ein. Dem Agent Preußens am Reichskammergericht, dem Prokurator Caspar Friedrich Hofmann, gelang es nach einigen Mühen und zähen Verhandlungen unter der Assistenz der Richter Neurath und von Riedesel,16 und auf Grund seiner guten Bekanntschaft mit dem Staatsminister Hertzberg, Preußen zur vollständigen Bezahlung der Beiträge zu bewegen. Allerdings war dies erst 1791 der Fall.17 In der Öffentlichkeit kursierte bald die Darstellung Hofmanns, dass die Zahlung des Unterhalts nur wenigen Männern zu verdanken sei. Preußen war darüber sehr verärgert, weshalb Friedrich Wilhelm II. empört an Hofmann schrieb: »Dorten [in der Reichsversammlung in Regensburg] betrachtet man sie [die Bezahlung des Unterhalts] als eine Wirkung und Folge unserer patriotischen Gesinnung und Großmuth, in Wetzlar aber hält man sie sichern Nachrichten zufolge, obgleich höchst unrecht, für eine Wirkung von privater Correspon-

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Jahns, Reichskammergericht, Teil II, 2003, S. 1419. Smend, Brandenburg-Preußen, 1907, S. 162–199, hier S. 195. Ebd., S. 192f. Hartmann, Reichskreise, 1995, S. 313. Baumann, Advokaten, 2006. S. 78; Jahns, Reichskammergericht, Teil II, 2003, S. 394. Baumann, Advokaten, 2006, S. 79.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

denz und Privatverwendungen, welche nicht das geringste dazu beizutragen haben.«18 Die Gründe, warum der Kammerzieler schließlich durch Preußen wieder entrichtet wurde, bleiben letztlich im Dunkeln. Entscheidend ist, dass Preußen selbst damit ein neues Image als Retter oder Unterstützer der Reichsverfassung verband. Es zeigt sich, dass Brandenburg-Preußen durch seine Nichtbeteiligung an der Finanzierung einer zentralen Institution des Reiches deutlich seine Missachtung der Reichsverfassung zu erkennen gab. Erst unter Friedrich Wilhelm II. setzte hier ein Umschwung ein. Über Habsburg gab es in der ganzen Verlaufszeit des 18. Jahrhunderts bezüglich des Unterhalts des Gerichts keine Klagen.

Die Besetzung der Richterstellen als machtpolitisches Mittel Ein weiteres Mittel, um das Reichskammergericht nach den Wünschen eines Reichsstandes lenken zu können, bot die Besetzung der Richterstellen. Sie wurde bereits in der Reichskammergerichtsordnung von 1555, die mit einer geänderten, aber nie vom Reichstag angenommenen Fassung auch im 18. Jahrhundert gültig war, geregelt.19 Dort ist klar festgelegt, dass Brandenburg-Preußen das Recht besaß, einen Urteiler (heute würde man Richter sagen) als Teil des Spruchkörpers zu präsentieren. Dieser Richter musste ein juristisches Studium vorweisen, Berufserfahrung besitzen und die durch die bereits am Gericht installierten Kollegen gestellte Eignungsprüfung in Form einer Proberelation bestehen.20 Diese Anforderung mussten alle, auch die kaiserlichen Präsentati, erfüllen. Allerdings gab es unterschiedliche Voraussetzungen. Während die Anzahl der zu präsentierenden Richter für Habsburg konstant blieb, erhielt Brandenburg-Preußen im Laufe der Jahrhunderte immer mehr Möglichkeiten, Kandidaten für das Reichskammergericht zu präsentieren.21 Am Anfang stand die Kurpräsentation, die Preußen für seine Kurstimme inne hatte. Hinzu kamen weitere Präsentationen auf Grund von Erwerbungen westlicher Provinzen im 18 19 20 21

Historisches Archiv der Stadt Wetzlar, Nachlass Hofmann, 26.7.1791. Laufs, Reichskammergerichtsordnung, 1976. Ebd., § 1–3. Jahns, Reichskammergericht, Teil I, 2011, S. 406.

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Reich, bei denen Preußen in größeren Zeitabständen zum Zuge kam. Konkret hatte Preußen ein Mitspracherecht im Obersächsischen, Niedersächsischen und im evangelischen Niederrheinisch-Westfälischen Kreis.22 Nach dem Anfall von Ansbach-Bayreuth 1791 an Preußen verfügte der Kurfürst nun auch über das Präsentationsrecht im evangelischen fränkischen Kreis. Gleichzeitig war es den brandenburgischen Kurfürsten bereits 1586 gelungen, ein Appellationsverbot an das Reichskammergericht und den Reichshofrat durchzusetzen, so dass keine Prozesse aus dem kurbrandenburgischen Kernland nach Speyer und später auch aus den westlichen Provinzen nach Wetzlar gelangen konnten.23 In der Konsequenz bedeutete dies, dass Brandenburg-Preußen keine einheimischen Richter vorschlug, obwohl gerade dies Sinn und Zweck der Anordnung gewesen war. So sollte sichergestellt werden, dass die Richter des jeweiligen Territoriums, die mit dem jeweiligen Landesrecht vertraut waren, dieses Wissen auch dem Reichskammergericht mitteilen konnten. Gut ausgebildete Juristen behielten die preußischen Könige jedoch lieber im eigenen Land.24 Man war so auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Um sie präsentieren zu können, wurde ein umfassender Kommunikationsprozess in Gang gesetzt, in den unter anderem auch der preußische Agent und Prokurator am Gericht, Caspar Friedrich Hofmann, involviert war. Einige Hinweise über dieses mühselige Geschäft im Vorfeld sind aus seinem Nachlass überliefert: So korrespondierte der preußische Minister Hertzberg 1783 mit Hofmann wegen der Präsentation von Christian Samuel von Gatzert, der vom Obersächsischen Kreis vorgeschlagen werden sollte.25 Gatzert arbeitete gerade als Direktor des Oberappellationsgerichts in Gießen und lehrte an der dortigen Universität die gerichtliche Praxis der obersten Reichsgerichte. Hofmann sollte die Reputation und den Charakter Gatzerts prüfen, der dann aber nicht zum Zuge kam.26 1789 mussten wieder neue Kandidaten gefunden werden. Ein Unterfangen, das sich wegen des Mangels an geeigneten Juristen sehr zeitraubend und mühselig gestaltete. Auch hier war Hofmann erneut involviert. So beklagte sich der preußische Minister Hertzberg bei Hofmann, dass sie niemanden hätten, der die Kameraljustiz verstehe27 und bat ihn, sich zur Eignung des sachsen-cobur-

22 23 24 25 26 27

Ebd., S. 407. Ebd., S. 415. Ebd., S. 417. Historisches Archiv der Stadt Wetzlar, Nachlass Hofmann, 16.9.1783. Baumann, Advokaten, 2006, S. 69f. Historisches Archiv der Stadt Wetzlar, Nachlass Hofmann, 10.2.1789.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

gischen Rates am Gericht von Beulwitz zu äußern. Hertzberg hatte ihn von dem hannoverischen Minister gleichen Namens als möglichen Kandidaten für Preußen empfohlen bekommen.28 Bei den Präsentationen von Juristen am Gericht versuchte Preußen zudem geschickt, das Reichskammergericht und den Kaiser mit ihren verschiedenen Interessen gegeneinander auszuspielen. Zwei Beispiele machen dies besonders deutlich: Brandenburg-Preußen versuchte im April 1741 den Juristen Johann Wilhelm von Summermann zu präsentieren. Da der Reichsstand aber nach wie vor die erhöhten Zahlungen zum Unterhalt des Gerichts verweigerte, stellte das Gericht Bedingungen, indem es die Aufnahme Summermanns mit der Begleichung der Schulden durch Preußen verknüpfte. Friedrich II. weigerte sich bekanntermaßen und drohte die Zahlungen ganz einzustellen.29 Das Kameralkollegium gab nach, intervenierte aber beim Reichstag und ließ 1749 anfragen, ob es die preußischen Präsentationen wegen des Rückstandes überhaupt annehmen solle. Der Reichstag bejahte die Frage jedoch erst im Jahre 1774, also ein Vierteljahrhundert später. Hintergrund hierfür war die laufende Reichskammergerichtsvisitation in Wetzlar – eine Art Evaluation des Gerichts –, die nicht gefährdet werden sollte. Ursache für die endlich erfolgte Reaktion des Reichstages war die Präsentation von Georg Ludwig Meckel von Hemsbach durch Brandenburg-Preußen. Es handelte sich um einen ehemaligen Wetzlarer Prokurator von zweifelhaftem Ruf. Friedrich II. präsentierte Meckel 1772 »während einer schwierigen Phase der Visitation«.30 Die Situation unter den einzelnen Visitatoren war in dieser Zeit extrem angespannt, so dass der Reichsvizekanzler alles daransetzte, dass das Gericht den Kandidaten akzeptierte. Er wollte mit der Ablehnung von Meckel keinen zusätzlichen Konfliktpunkt heraufbeschwören. So beauftragte der Reichsvizekanzler im Oktober 1772 den neuen Prinzipalkommissar Franz Gundacker von Colloredo, privat Erkundigungen einzuziehen, um die Angelegenheit diskret zu lösen. Preußen wich trotz aller Anstrengungen von der Präsentation Meckels nicht ab, sondern verlangte die Annahme. Colloredo blieb nichts weiteres übrig, als das Gericht zu Gunsten des Fortgangs der Visitation umzustimmen.31 Das Reichskammergericht, durch eine Korrupti-

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Baumann, Advokaten, 2006, S. 71. Jahns, Reichskammergericht, Teil II, 2003, S. 1417. Ebd., S. 341. Ebd., S. 342.

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onsaffäre mit den Richtern Papius, Reuß und Nettelbla geschwächt und um den Fortgang der Visitation bemüht, gab schließlich erneut nach.32 Habsburg verfolgte ab den 1750er Jahren dagegen eine deutlich andere Politik gegenüber dem Reichskammergericht. War das Gericht bis zu diesem Zeitpunkt nur eine lästige Pflichtaufgabe gewesen, schätzte Kaiserin Maria Theresia die Präsentation eines Kandidaten an das Reichskammergericht jetzt als eine wichtige Staatssache ein. Die Wiener Zentralbehörden bemühten sich sehr um die Besetzung der Richterstellen, die neben der kaiserlichen Präsentation die kurböhmische, österreichische und burgundische Präsentation einschloss. Habsburg hatte dabei ähnliche Probleme wie Preußen, da auf Grund seines Exemtionsprivilegs kaum juristisches Wissen über den Kameralprozess in den österreichischen Ländern vorhanden war. Habsburg verfolgte deshalb die gleiche Strategie wie Brandenburg-Preußen und griff zwangsläufig auf Ausländer zurück. Ab den 1770er Jahren wurden jedoch die österreichischen Landeskinder explizit dazu angehalten, sich reichsgerichtlichen Studien zu widmen. Gleichzeitig bemühte man sich in der Wiener Zentrale, die einmal ausgewählten Kandidaten perfekt für das Probeexamen in Wetzlar vorzubereiten: So wurden sie mit Hilfe von Reichshofratsakten vorgeprüft, d.h. sie mussten erst in Wien eine Proberelation verfassen und diese beurteilen lassen, bevor sie in Wetzlar antreten durften. Häufig stammten die Kandidaten zudem aus dem direkten Umfeld des kaiserlichen Hofes. Ein Beispiel hierfür ist Maximilian Joseph Anton von Martini, der von 1784 bis 1806 ein Assessorat innehatte. Martini wurde im Alter von 24 Jahren als Präsentatus in Erwägung gezogen. Man wollte damit dem Lehrer der kaiserlichen Kinder und Vater des Präsentierten einen Gefallen tun.33 Martini lieferte aber bei dem Probeexamen nur eine ungenügende Arbeit ab. Deshalb wurde veranlasst, dass Martini mit Hilfe seines Vaters die vorhandenen Wissensmängel aufarbeiten sollte.34 Gleichzeitig verlangte der Reichsvizekanzler, dass der bereits präsentierte österreichische Richter Maurer von Kronegg einen Bericht über den Inhalt und Ablauf einer Prüfung am Reichskammergericht sowie die entsprechenden Akten schickte, um Martini optimal vorbereiten zu können.35 Der Vergleich des Präsentationsverhaltens von Habsburg und Preußen macht den Unterschied der Wertschätzung des Gerichts mehr als deutlich:

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Ebd., S. 343; allgemein Baumann/Eichler, Affäre Papius, 2012. Jahns, Reichskammergericht, Teil II, 2003, S. 548. Ebd. Jahns, Reichskammergericht, Teil II, 2003, S. 548f.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

Preußen missachtete das Reichskammergericht als Institution des Reiches und nutzte das Gericht nur als Kampfplatz in der Auseinandersetzung mit Habsburg und dem Reich. Habsburg setzte dagegen ein immer eindeutigeres Zeichen. Es respektierte die Regeln des Gerichts und richtete sich danach, auch wenn man Mittel und Wege wusste, wie man seine Kandidaten auch ohne Protest des Gerichts durchsetzen konnte.

Die Zweite Visitation in Wetzlar als Arena Im Visitationsgeschäft wurde der Dualismus zwischen Habsburg und Preußen für die interessierte politische Öffentlichkeit besonders deutlich. Die Visitationen, die eigentlich jährlich am Gericht stattfinden sollten, wurden auf Grund der religiösen Spannungen nach 1588 nicht mehr regelmäßig praktiziert.36 An der Visitation waren neben dem Kaiser die Reichsstände beteiligt, die bei den anstehenden Reformen des Gerichts ein Wörtchen mitreden wollten. Preußen sah hier eine besondere Chance, zumal sich Friedrich II. in der Stellung eines protestantischen Gegenkaisers ausnehmend gut gefiel.37 Hinzu kamen konfessionelle Auseinandersetzungen: Kurbrandenburg hatte sich seit 1750 an die Spitze des Corpus evangelicorum gestellt und dies für den preußisch-österreichischen Gegensatz genutzt. Daran gekoppelt waren Streitigkeiten über Art und Umfang der oberstrichterlichen Gewalt des Kaisers.38 Die Protestanten forderten darum eine Konfliktregulierung im Reich, die nicht im Namen des Kaisers stand. Der preußische König und sein Minister Hertzberg wollten deshalb eine grundlegende Reform des Reiches, in der die Autorität des Kaisers, des Reichshofrates und des Reichskammergerichts reduziert werden sollten.39 Ähnlich ging es weiteren daran beteiligten Ständen, die hofften, mit der Reform des Gerichts angesichts des habsburgisch-preußischen Dualismus ihre Eigenstaatlichkeit behaupten zu können.40 Darüber hinaus beeinflusste die Rivalität zwischen Habsburg und Preußen die internationale Politik. Davon blieb die Visitation nicht unberührt, denn mit Kurbraunschweig, das seit 1714

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Baumann, Visitationen, 2018. Denzler, Schriftalltag, 2016, S. 176. Ebd., S. 185. Ebd., S. 177. Ebd., S. 183.

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die Könige von England stellte, saß eben auch Großbritannien mit am Tisch.41 Gerade das Reichskammergericht als eine verfassungspolitische Grundsäule des Reiches prägte gemeinsam mit dem Reichshofrat das Reich und bot so eine geeignete öffentliche Arena, um unterschiedliche Ordnungsvorstellungen der Reichsstände vom Reich artikulieren und durchsetzen zu können. Die geplante Visitation sollte nach dem Willen Kaiser Josephs II. die Missstände am Reichskammergericht in personeller und struktureller Hinsicht untersuchen und Verbesserungsvorschläge vorlegen bzw. sie auf ihre Tauglichkeit überprüfen. Hinzu kam die Revision von Urteilen. Die Visitatoren wurden in fünf Klassen eingeteilt, um so möglichst viele Reichsstände beteiligen zu können. Jede Klasse sollte ein Jahr amtieren. Der Kaiser war durch zwei Kommissare vertreten, während die einzelnen Stände durch Subdelegierte repräsentiert wurden. Dabei gab es jeweils die gleiche Anzahl von katholischen und protestantischen Delegierten. Im ersten Jahr der Visitation beschäftigten sich die Delegierten ausschließlich mit Standesfragen. Es ging vor allem um die unstandesgemäße Herkunft des Kammerrichters Graf Spaur, der nicht – wie in der Kammergerichtsordnung 1555 gefordert – aus dem Reichsadel stammte.42 Deshalb dauerten die Verhandlungen der ersten Klasse nicht ein Jahr, sondern sieben. Während dieser Zeit fiel keine einzige konstruktive Entscheidung. 1774 gelang es schließlich, die Absetzung der ersten Klasse durchzusetzen. Damit wurde auch der ständige Delegierte und Querulant Falcke, der mit seiner Weitläufigkeit trotz bester Absichten den Fortgang der Visitation geradezu unmöglich machte, abgesetzt.43 Jetzt konnte die Arbeit endlich beginnen: Nachdem aber einige wichtige Veränderungen, wie die Verteilung der Prozesse an die Senate durch Los, durchgesetzt worden waren, um so Korruption zu verhindern, kam es zu einem weiteren Eklat. Denn der kurbrandenburgische Delegierte Böhmer sah durch die Anwesenheit des Delegierten aus Vorpommern die Religionsgleichheit gefährdet.44 Ihm stimmten die Visitatoren aus Lübeck und Hersfeld zu. Ein Teil der Delegierten zog daher ab. Die zurückgebliebenen Visitatoren erklärten daraufhin, dass die Visitation von Kurbrandenburg öffentlich abgebrochen worden sei.45

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Ebd., S. 178. Löwenich, Amt, S. 136–140; Jahns, Reichskammergericht, Teil II, 2003, S. 942. Baumann, Advokaten, 2006, S. 43. Denzler, Schriftalltag, 2016, S. 381; Baumann, Advokaten, 2006, S. 43. Denzler, Schriftalltag, 2016, S. 381.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

Es ist offensichtlich: Brandenburg-Preußen nutzte nicht nur die Visitation, um seine Interessen durchzusetzen. Es gelang dem Reichsstand auch, vor den Augen der Öffentlichkeit Kaiser Joseph II. zu demütigen. Die grundlegende Reform des Reichskammergerichts blieb bei dieser Konstellation auf der Strecke. Es kam nur zu kleineren Änderungen, die vor allem versuchten, die Korruption einzudämmen.

Die Lütticher Revolution als Schauplatz der Konkurrenz Eine weitere Einflussmöglichkeit Brandenburg-Preußens bestand bei der Mitsprache oder Mitgestaltung an der Exekution im Rahmen der Kreisverfassungen, denn die Reichskreise waren für die Exekution von Urteilssprüchen des Reichskammergerichts zuständig. Brandenburg-Preußen spielte vor allem bei der Lütticher Exekution eine entscheidende Rolle: Das Bistum Lüttich, heute in Belgien gelegen, war der westlichste Teil des Heiligen Römischen Reiches. Bei der Einteilung des Reiches in Reichskreise unter Kaiser Maximilian I. war das Stift dem Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis zugeordnet worden. Das bedeutete, dass die Bischöfe Sitz und Stimme auf den Reichstag besaßen. Das Bistum Lüttich konnte kein Appellationsprivileg erwerben, so dass das Reichskammergericht häufig von Prozessparteien aus dem Stift angerufen wurde. So auch im Sommer 1789: Der dritte Stand forderte vom Bischof ein freies Magistratswahlrecht. Er berief sich dabei auf einen Friedensvertrag aus dem Mittelalter, der aber 1648 durch den amtierenden Fürstbischof aufgehoben worden war. Der jetzige Fürstbischof von Hoensbroech stimmte – wohl aus Sorge wegen der Ereignisse um die Fronde in Frankreich – der geforderten Verfassungsänderung zu.46 Kurze Zeit später floh er jedoch nach Trier und klagte vor dem Reichskammergericht, um seine Zugeständnisse zurücknehmen zu können. Der zweite Senat mit dem Referenten Balemann stimmte mit fünf zu zwei Stimmen für zwei Mandate auf Landfriedensbruch zugunsten des Bischofs.47 Während das zweite Mandat die Einwohner Lüttichs zur Kooperation aufforderte, wurden im ersten Mandat die Kreisdirektoren des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises dazu aufgefordert, ein »mandatum poenale auxiliatorium et protectorium« durchzuführen. Das bedeutete praktisch eine Bestrafung der 46 47

Neugebauer-Wölk, Preußen, 1991, S. 59. Härter, Soziale Unruhen, 2002, S. 43–104, hier S. 55.

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Untertanen durch die Kreisdirektoren.48 Einer der Kreisdirektoren war neben dem Kölner Kurfürsten und dem Kurpfälzer als Herzog von Jülich Preußen als Herzog von Kleve.49 Preußen wollte aber keine Exekution durchführen, sondern gegen den Willen des Reichskammergerichts eine Mediation, um sich als Bewahrer der Reichsverfassung profilieren zu können. Preußen hatte verschiedene Gründe, dieses Vorgehen vorzuschlagen. Zum einen sah Preußen in Lüttich den Stützpunkt für eine potentielle militärische Operation gegen die österreichischen Niederlande,50 die sich ebenfalls in Aufruhr befanden. Zum anderen beklagte der Reichsstand die mangelnde Kommunikation mit den anderen Kreisdirektoren. Entsprechend wurde der preußische Agent Hofmann instruiert.51 Er sollte dem Reichskammergericht mitteilen, dass Preußen den Schutz und die Vermittlung eines Vergleichs übernehmen wolle, wenn der Landesherr nach Lüttich zurückkehre und eine Zusammenarbeit mit den Landständen aufnehme.52 Das Reichskammergericht nahm dieses Angebot zur Kenntnis, war aber vor allem um seine eigene Außenwahrnehmung besorgt und ging deshalb nicht weiter auf die Vorschläge ein. Für die Richter des Reichskammergerichts war es unerlässlich, dass der status quo in Lüttich wieder hergestellt wurde. Erst dann – so die überwiegende Meinung der Richter – könne eine Neuordnung der Landesordnung erfolgen.53 Hofmann, der auch Lütticher Landstände vertrat, plädierte in diesem Sinne. Der Einmarsch in Lüttich konnte so sogar als Sicherheitsmaßnahme gewertet werden und hätte keinen Gesichtsverlust für eine Partei zur Folge gehabt.54 Die übrigen Kreisdirektoren reagierten auf das Ansinnen Preußens ähnlich verhalten wie das Reichskammergericht. Während die Kurpfalz zwischen den einzelnen Mächten hin und her lavierte, stellte sich der Kölner Kurfürst als Bruder Josephs II. auf die Seite des Kaisers.55 Die Absicht Preußens, unter der Fassade der Reichsverfassung als souveräner Herrscher zu agieren, wurde im Verlauf der Auseinandersetzung immer offensichtlicher. Das Reichskammergericht sah dieses Problem

48 49 50 51 52 53 54 55

Reuter, Revolution, 2018, S. 53. Neugebauer-Wölk, Preußen, 1991, S. 59–76, hier S. 60. Neugebauer-Wölk, Preußen, 1991, S. 61. Reuter, Revolution, 2018, S. 64f. Neugebauer-Wölk, Preußen, 1991, S. 65. Reuter, Revolution, 2018, S. 70. Ebd., S. 91. Ebd., S. 92.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

deutlich. Die Richter versuchten dieser Entwicklung indirekt entgegenzusteuern, indem sie veranlassten, dass der Reichsfiskal gegen die Urheber des Aufstandes formal Anklage erhob.56 Inzwischen hatte Hofmann dem zweiten Senat im Sinne Brandenburg-Preußens erklärt, dass die Mandate des Sommers ungültig seien, da kein Landfriedensbruch vorliege. Die Richter sahen dies nach wie vor anders. Im Dezember 1789 erging deshalb ein neues Mandat, das die vollständige strenge Exekution vorsah. Das Reichskammergericht war nämlich der Meinung, dass nicht nur die Sicherheit eines Reichsstandes, sondern die Sicherheit des ganzen Reiches gefährdet sei.57 Das Gericht bestand damit auf der Einhaltung seiner Regeln. Eine Mediation, wie sie Preußen vorgeschlagen hatte, wurde als nicht verfassungskonform abgelehnt. Ein Tauziehen mit dem Kurfürsten von Mainz, der zeitweise Preußen zuneigte, der unentschlossenen Kurpfalz und dem ebenfalls wankelmütigen Lütticher Fürstbischof um die finale Exekution entstand.58 Schließlich stellte Preußen ein Ultimatum an den Fürstbischof, das dieser ablehnte. Das Reichskammergericht reagierte einstweilen mit einem weiteren Mandat, um andere Kreise um Unterstützung bei der Exekution bitten zu können. Preußen, das inzwischen in Lüttich einmarschiert war, musste sich fügen und Lüttich im April 1790 verlassen.59 Der Kurrheinische Kreis war nun mit dem NiederrheinischWestfälischen Kreis für die Exekution zuständig. Preußen gab aber nicht auf, sondern setzte immer noch auf eine autonome Rolle als Mediator. Vermittler in dieser Angelegenheit war nach wie vor der Reichskammergerichtsprokurator Hofmann. Schließlich änderte der Tod Josephs II. die Situation grundlegend. Die bevorstehende Kaiserwahl wurde als eine Möglichkeit betrachtet, auf formaler Ebene unter genauer Zuweisung der Rollen noch einmal neu zu verhandeln. Eine Lösungsmöglichkeit schien, den künftigen Kaiser als Mitglied des Burgundischen Kreises in die Verhandlungen um Lüttich miteinzubeziehen.60 Er sollte in seiner Rolle als Herzog von Brabant an der Exekution Lüttichs teilnehmen, falls sich die Parteien nicht einigen konnten. Die Schwierigkeit bestand aber darin, dass das Gericht dem Kaiser nicht befehlen konnte, sich als Exekutor zu betätigen. Eine Lösung hierfür wurde jedoch schnell gefunden. Das

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Ebd., S. 121; Härter, Soziale Unruhen, 2002, S. 58. Härter, Soziale Unruhen, 2002, S. 62. Reuter, Revolution, 2018, S. 180. Ebd., S. 193. Ebd., S. 295; Neugebauer-Wölk, Preußen, 1991, S. 76.

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Reichskammergericht schrieb dem Kaiser eine Requisition, womit die Handlungen des Kaisers legitimiert wurden. Leopold II. folgte der Requisition und stellte sich damit ganz bewusst in eine Reichstradition, die Habsburg nicht als Großmacht handeln ließ, sondern als ein einfacher Reichsstand, dem es unter der Wahrung der Rechte der minderen Reichsstände auf die Erhaltung des Reiches ankam.61 Habsburg gelang es damit, Preußen in den Schatten zu stellen. Die Exekutionsarmee marschierte in Lüttich ein. Der Fürstbischof kehrte aus seinem Exil in Trier zurück und die Exekution der reichskammergerichtlichen Mandate war möglich. Habsburg hatte sein Prestige dadurch im Reich enorm gesteigert. Der Erfolg war jedoch nur von kurzer Dauer, denn am 28. November 1792 wurde Lüttich von französischen Revolutionstruppen eingenommen.

Fazit Fassen wir die Ergebnisse zusammen: Brandenburg-Preußen versuchte auf verschiedenen Ebenen, die Rolle Habsburgs beim Reichskammergericht zu unterminieren. Konfliktfelder waren die Besetzung der Richterstellen, die nur noch durch ausländische Richter erfolgte, da man eigenes Personal nicht mehr abordnen wollte, sowie die Zahlung des Unterhalts des Gerichts. Brandenburg-Preußen konnte hier im großen Maßstab seine Interessen durchsetzen. Wesentlich gemischter war der Erfolg des Reichsstandes beim Streit um Einfluss bei der Visitation des Reichskammergerichts. Hier gelang es Brandenburg-Preußen nur partiell, seine Rolle neu zu definieren. Allerdings auf Kosten eines hohen Preises: eine große grundlegende Reform des Gerichts war so zum Scheitern verurteilt beziehungsweise konnte nur auf sehr wenigen Gebieten, wie der Korruptionsvermeidung, einen Erfolg verbuchen. Auch bei der Exekution der Urteile des Gerichts konnte Preußen seine neu definierte Rolle als Mediator nicht durchsetzen. Kaiser Leopold gelang es hier ein deutliches Zeichen zu setzen. Gerade seine Auffassung, als Gleicher unter Gleichen zu handeln, konnte den brandenburg-preußischen Bestrebungen Einhalt gebieten. Letztlich bleibt die Bilanz gemischt. Brandenburg-Preußen formulierte einen Anspruch, dem die schwerfällige Reichsverfassung mit einem auf formalen Regeln beharrenden Reichskammergericht nur mit größten Anstrengungen Paroli bieten konnte. 61

Reuter, Revolution, 2018, S. 339.

Habsburg-Preußen und das Reichskammergericht

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»Wie der Affe mit der Katze«? Kurhannover-England, Kurbrandenburg-Preußen und die Kaiser des Hauses Österreich im 18. Jahrhundert, konkurrenztheoretisch betrachtet Gabriele Haug-Moritz

Selbst für Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn, ansonsten erklärter politischer Gegner Friedrich Wilhelms I. von Brandenburg-Preußen, gab es nach dem langjährigen Konflikt um die Konfessionsverhältnisse der Kurpfalz (seit 1699) keinen Zweifel mehr, wo der eigentliche Opponent kaiserlicher Politik zu suchen war.1 Rudolf von Wrisberg, Vertreter Kurhannover-Englands auf dem Immerwährenden Reichstag in Regensburg, mache es mit dem Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 auch König in Preußen, »wie der Affe mit der Katze, welcher dieser ihre Pfoten gebrauchte, umb die Kastanien aus dem Feuer zu holen.«2 Plakativ bringt diese (zutreffende) Schönbornsche Erkenntnis auf den Punkt, wovon dieser Beitrag handeln wird, wenn es um »Arenen der Konkurrenz« geht. Die »Arena«, die betrachtet werden wird, ist das Reich als multipolarer Interaktionszusammenhang mit vertikaler Machtteilung.3 Eine seiner zentralen Bühnen, wenn auch, wie deutlich werden wird, nicht die einzige, ist der seit 1663 »immerwährend« in Regensburg tagende Reichstag.

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Zu Friedrich Karl von Schönborn als Reichsvizekanzler (1705–1734) immer noch am detailliertesten Aretin, Reich, Bd. 2, 2005, v.a. S. 140–142, 162–172, 180f. u. ö.; zuletzt, die bisherige Forschung differenzierend, Wieland, Protestantischer König, 2020, v.a. S. 162–175. Zitiert nach Borgmann, Religionsstreit, 1937, S. 81; zu Wrisberg selbst vgl. Thompson, England, 2014, S. 256–258; ders., Confessional dimension, 2007, S. 171f. Dass in der Pfälzer Religionskontroverse die Initiative oft von Hannover ausging, sieht auch die Literatur zum Reich, vgl. z.B. Schmidt, Geschichte, 1999, S. 252. Zum Begriff der vertikalen Machtteilung vgl. Riklin, Machtteilung, 2006, S. 17–30.

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Gabriele Haug-Moritz

Der Anlass, der Schönborn die La Fontainesche Fabel als adäquate Wirklichkeitsbeschreibung der Mächte, die der kaiserlichen Politik widerstrebten, erscheinen ließ, ist das Feld, auf dem die Akteure sich bewegen. Gegenüber dem zeitgenössischen Publikum wurde es als die Frage nach dem recht(lich)en Umgang mit den »Religions-Beschwerden« präsentiert. Mit dieser diffusen Terminologie wurde (und wird von der Forschung vielfach bis heute) im Unspezifischen belassen, was sich seit Beginn der 1720er Jahre präzise definieren lässt: der druckmedial umfänglich reproduzierte Dissens darüber, was Religions-Beschwerden sind und wessen Definition die »richtige« ist. Die These, die entfaltet werden soll, lautet: Betrachtet man diese Arena mit der analytischen Kategorie »Konkurrenz«,4 so wird der Fokus auf einen Aspekt scharfgestellt, der, ex negativo, besser zu verstehen erlaubt, warum der kaiserlichen Politik zwar immer mehrere Opponenten widerstritten, warum aber gerade der brandenburgische und nicht der hannoversche Kurfürst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum wichtigsten Konkurrenten des kaiserlichen Reichsoberhaupts avancierte. Als Konkurrent lebt er im »Deutschen Dualismus«, einem historiographischen Konstrukt der borussischen Geschichtsschreibung, fort.5 Erst in jüngster Zeit, wie z.B. in diesem Sammelband, wird diese Deutung kritisch hinterfragt. Ich werde zuerst in ganz wenigen, sehr groben Strichen, denn anderes ist im Rahmen eines Aufsatzes nicht leistbar, den Reichsverband des 18. Jahrhunderts als Handlungsarena kurz umreißen, in dem sich kaiserliches Reichsoberhaupt und, neben anderen, die Kurfürsten von Hannover und Brandenburg begegnen. Sodann benutze ich gegenwärtige soziologische Konzeptualisierungen von Konkurrenz als heuristisches Instrumentarium, um etwas detaillierter das kaiserlich – kurfürstlich-königliche Beziehungsgefüge in den Blick zu nehmen. Ob es dieses Theorieangebot erlaubt, die Veränderungsdynamiken des Reichs als politischen Verbands im 18. Jahrhundert analytisch präziser zu beschreiben als bislang, ist die Frage, auf die hier die Probe aufs Exempel gemacht werden soll. Dass es auch hier »nur« darum gehen kann, einige Sichtachsen anzudeuten, die differenzierterer Erforschung bedürften, sei betont.

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Vgl. hierzu die Arbeiten von Tobias Werron, jüngst Werron, Form, 2019; ders., Konkurrenz, 2018; Albert, Vergleichen, 2019. Zum »Vergessen« Kurhannovers in der englischen wie deutschsprachigen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts jetzt Thompson, Confessional dimension, 2007, S. 163–167.

»Wie der Affe mit der Katze«?

Der Reichsverband als Handlungsarena Das Reich als Arena des englischen und preußischen Königs in den Blick zu nehmen, heißt eine Betrachtungsperspektive zu wählen, die im vergangenen Vierteljahrhundert zunehmend häufiger eingenommen wurde, nicht zuletzt auch von der neueren englischsprachigen Forschung zur Zeit der drei George (1714–1820),6 die aber noch immer in der Forschungslandschaft zur Geschichte des 18. Jahrhunderts randständig ist. Immer noch wird der König von England, Schottland, Irland, Prince of Wales und nicht der Kurfürst von Braunschweig(-Lüneburg) (seit 1692) sowie der König in (seit 1772: von) Preußen und nicht der Kurfürst von Brandenburg, um nur deren vornehmsten Rang anzuführen, Österreich gegenübergestellt. Österreich aber wird, meist implizit, mit dem Kaisertum Österreich des Jahres 1804, vulgo: der Habsburgermonarchie, gleichgesetzt und nicht, wie es die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts taten,7 mit dem vielgestaltigen, von Nordwest-, über (Ost-)Mittel- bis Südosteuropa reichenden Herrschaftsbereich des Hauses Österreich. Diese forschungsgeschichtliche Prämierung der machtpolitischen Perspektive reduziert Komplexität um den Preis, ein Proprium frühneuzeitlicher Staatlichkeit, ihren Charakter als composite monarchies, analytisch nicht fruchtbar machen zu können.8 Gleiches gilt für das Feld, auf dem die Akteure konkurrieren – dem »der« Religion. Religion wird, auch hier meist implizit, mit Konfession bzw., als gesamtgesellschaftliche Erscheinung, mit konfessioneller Identität »übersetzt«.9 Immer wieder wird für die politischen Akteure der Nachweis geführt, besonders intensiv für die Kriegszeit der Jahre 1756 bis 1763, dass ihre konfessionelle Zugehörigkeit ihr politisches Handeln nicht beeinflusst habe, denn ansonsten wäre, so ein beispielhaftes Argument, ein schwedisch-österreichisch-französisches Bündnis 1756 nicht zustande gekommen.10 Nahtlos in

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10

Vgl. in knappem Überblick Backerra, Rezension, 2018 sowie Simms/Riotte, Hanoverian Dimension, 2007 und Riotte, Transfer, 2012. Klingenstein, »Österreich«, 1995. Dass damit das Entscheidende nicht in den Blick gerät, zeigt z.B. für Georg III. Riotte, George III., 2007, S. 62–69 in vergleichender Perspektive. Zu Identität als analytischem Begriff, der von modernem Verständnis von Identität als etwas »Wesenhaftes« (Duhamelle, Grenze, 2018, S. 16), »Dauer, Konstanz und Abgeschlossenheit« (ebd., S. 285) Suggerierendes, abgegrenzt wird, vgl. ebd., S. 15–17. Füssel, Preis, 2020, S. 190.

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eine der wirkmächtigsten Meistererzählungen des Westens lässt sich dergestalt das Handeln der politischen Eliten einfügen, nämlich in diejenige von der Säkularität des Aufklärungsjahrhunderts.11 Dass dieser Krieg von den Potentaten und ihren Helfern im Reich mit der Unterscheidung katholisch/evangelisch kommuniziert wurde, erscheint daher als strategisches kommunikatives Handeln, das allein deswegen der Erwähnung wert ist, weil es gesellschaftlich mobilisierend gewirkt habe. So zutreffend damit die intendierte gesellschaftliche Wirkung beschrieben sein dürfte, so unklar bleibt, warum gerade im Reich des 18. Jahrhunderts wie in keinem anderen europäischen Gemeinwesen – mit Ausnahme der Eidgenossenschaft im ersten Drittel dieses Saeculums12 – Politik im Code des Konfessionellen beobachtet wurde. Dergestalt, implizit, elitäre Säkularität und populare Religiosität kontrastieren kann man jedoch nur, wenn man die Selbstdeutung der aufklärerischen Eliten in Stadt und Land von ihrer eigenen aufgeklärt-undogmatischen und der »rückständigen« Religiosität des »Volkes« für die Wirklichkeit erachtet13 und außerdem ignoriert, dass in dieser Gesellschaft Konfession weniger als theologisch fundierte Glaubenslehre und -praxis begegnet denn als Konzept und Praxis, um eigene Ansprüche – und das ist entscheidend – juristisch begründbar zu machen.14 Nimmt man freilich die Ergebnisse der neueren Forschung ernst, so erstaunt es wenig, wenn in der Zeit um 1800 so unterschiedliche Zeitdiagnostiker wie der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder der kaiserliche Rat Peter Anton Freiherr von Frank für die Erosion des Reiches als politischen Handlungszusammenhangs »die Religion« maßgeblich verantwortlich machten. Sie taten dies freilich nicht deswegen, weil sich die Anhänger der seit 1648 drei reichsrechtlich anerkannten christlichen Denominationen unversöhnlich gegenüberstanden, sondern weil, so die Hegelsche Diagnose, die 11 12 13

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Cavanaugh, Myth, 2009, v.a. S. 181–230. Im knappen Überblick: Bächtold, Landfriedensbünde, 2014. Duhamelle, Grenze, 2018, S. 85–147 arbeitet, für lokale Amtsträger, dieses Selbstverständnis detailliert heraus. Selbst einer fortschrittlichen »vernünftigen Religion« (S. 148) verpflichtet, nahmen sie ihre Amtsbefohlenen als »rückständig«, an den altüberkommenen, konfessionelle Differenz markierenden Frömmigkeitsformen festhaltend, wahr. Zum langen Nachleben dieses Konstrukts knapp Holzem, Christentum, Bd. 2, 2015, S. 845f. Vgl. prägnant Duhamelle, Grenze, 2018, S. 215: »Die konfessionelle Identität wurde stärker von der Sorge bestimmt, sich durch die eigene Religion zu definieren, als eben diese eigene Religion zu definieren.«

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Religion »gesetzlich« geworden sei.15 Dieses »Gesetzlich-Werden« der Religion lässt sich exakt bestimmen. Mit den im reichstäglichen wie publizistischen Schlagabtausch mit dem Kaiser in den Jahren 1716 bis 1721 entwickelten sog. Principia Evangelicorum waren alternative, d.h. sich wechselseitig ausschließende, aber im Rahmen der gegebenen politischen Ordnung unentscheidbare Vorstellungen publik gemacht worden, wer auf welcher Grundlage gegenüber wem welche Rechte für sich beanspruchen konnte, um den Bestimmungen des Westfälischen Friedens Rechnung zu tragen, die den konfessionellen Status quo der drei reichsrechtlich anerkannten christlichen Bekenntnisse festschrieben (Normaltag und -jahr). Es ist dieses »Gesetzlich-Werden« der Religion, das maßgeblich dafür ist, wie konfessionelle Pluralität in Stadt und Dorf begegnet, und auch dafür, wie sich Konkurrenz im Reich gestaltet.16 Vieles lässt sich anführen, um zu verstehen, warum im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts die Unterscheidung evangelisch/katholisch seitens der »beschwerten« Evangelischen, so ihre die dogmatische Heterogenität des protestantischen Lagers17 dissimulierend umschreibende Bezeichnung, an Bedeutung gewann. Es reicht von einer um 1700 europaweit konfessionalisierten Zeitdeutung18 und, in der Schweiz, militärischen Konflikteskalation (1712)19 bis hin zu zahlreichen hochadeligen Konversionen im Reich, die in der Mitte des dritten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichten. Deren folgenreichste war die Konversion des Kurfürsten von Sachsen 1697, die ihm die polnische Königskrone einbrachte, zugleich aber seine, bis dahin unangefochtene, auf altem Herkommen beruhende Führungsrolle im Kreis der evangelischen Reichsstände prekär werden ließ.20 15 16

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Hegel, Reichsverfassung, 2004, S. 92; Treichel, Quellen, 2000, S. 333. Übereinstimmend zeigt die neuere Forschung, wie die unvereinbaren juristischen Konzeptualisierungen des Reichsrechts den Umgang mit konfessioneller Vielfalt vor Ort prägten. Vgl. neben Duhamelle, Grenze, 2018, v.a. S. 169–192, 261–282, 286–288 die von ihm leider nicht rezipierte Studie von Vötsch, Religionsstreitigkeiten, 1993 sowie Kalipke, Konfessionsgesellschaft, 2015, S. 263–274; Kleinehagenbrock, Reich der Konfessionsparteien, 2017. Zur Genese der Principia Evangelicorum zuletzt differenzierend Wieland, König, 2020, S. 129–181. Zu den Unionsbemühungen evangelischer Theologen in den Jahren 1720–1722, die von Brandenburg auf dem Reichstag jedoch konterkariert wurden, vgl. Wieland, König, 2020, S. 326–347. Grundlegend: Mühling, Debatte, 2018. Lau, Villmergerkrieg, 2013. Zu den Konversionen Mader, Fürstenkonversionen, 2019, v.a. S. 186–188, 194. Beispielhaft manifestiert sich dies im Konflikt um das von Kursachsen beanspruchte Direkto-

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Kursachsen steht zugleich für eine zweite Entwicklung, die die Statusansprüche der sog. altfürstlichen Häuser, die, mit Ausnahme Bayerns, allesamt protestantisch waren, »sichtbar« machte – ihr Bestreben nach Rangerhöhung. Denn Rang war die gesellschaftliche Währung, die sich (auch) politisch ausmünzte.21 Waren die Könige von Dänemark-Norwegen als Herzöge von Schleswig und Holstein (seit 1474) und diejenigen Schwedens als Herzöge von Pommern (seit 1648) und zudem als Landgrafen von Hessen (1720–1751) auf dem Immerwährenden Reichstag vertreten, so wurden die Reichsstände im 18. Jahrhundert immer »vornehmer«. Königskronen trugen die Kurfürsten in Dresden (1697–1706, 1709–1763), Berlin (seit 1701) und Hannover (seit 1714), wobei die preußische, mit Abstand, die am wenigsten prestigeträchtige Krone von allen war. Allein schon deswegen war dem so, weil, worauf schon der Titel König in Preußen verweist, es neben dem Königreich Preußen noch ein unter polnischer Lehenshoheit stehendes Preußen gab, bis 1763 dem Herrschaftsbereich der sächsischen Kurfürsten zugehörig. Die Dresdner Kurfürsten als polnisch-litauische Könige aber regierten ebenso ein Reich, die Rzeczpospolita (seit 1569), wie der englische König. Letzterer freilich herrschte, im Gegensatz zu Ersteren, über einen globalen und nicht »nur« einen kontinentaleuropäischen Herrschaftsbereich, der zudem ein hohes Maß an politischer Stabilität (Revolution Settlement) und ökonomischer Dynamik aufwies. Doch der größte Erfolg, von der ständischen Rangskala her betrachtet, war den Angehörigen der Häuser Holstein-Gottorf und Anhalt-Zerbst beschieden. Sie regierten in den Jahren von 1762 bis 1796 als russische Zaren. Dass aber nicht die Holstein-Gottorfer Herzöge als, was ihre Rangstellung in der société des princes des 18. Jahrhunderts anbelangt, erfolgreichste Aufsteigerdynastie die »Teutsche Libertät« im Code des Konfessionellen verfechten konnten, sondern die englischen und preußischen Könige, indiziert zweierlei: zum einen, dass das im Reich aufgeführte politische Theater nicht einer von europäischen Mächtekonstellationen unabhängigen, aber doch einer eigenen Logik gehorchte; und sie gibt, zum anderen, zugleich den Kern dieser Eigenlogik zu erkennen. Es ist die Rangordnung des Reiches. Mit Ausnahme der Pfalz

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rium des Corpus Evangelicorum, dessen Verlauf maßgeblich von dem einmal engeren, einmal loseren Zusammenspiel Kurhannovers und -brandenburgs gegen den kursächsischen Direktor geprägt war; Kalipke, Konfessionsgesellschaft, 2015, S. 222–249; vgl. auch Wieland, König, 2020, S. 282–284. Von den zahlreichen Arbeiten Barbara Stollberg-Rilingers sei hier nur auf ihre Studie im thematisch einschlägigen Sammelband verwiesen; Stollberg-Rilinger, Logik, 2014.

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waren seit 1714 in der kurfürstlichen Kurie des Reichstags sämtliche weltlichen Kurfürsten Könige und damit den 1708 readmittierten böhmischen Königen aus dem Haus Österreich ebenbürtig.22 Evangelischen Glaubens aber waren, seit 1697, nur noch der kurbrandenburgische und kurhannoversche Kurfürst. Dieser zeitgenössischen Logik, die nun mit dem Werkzeug der Konkurrenztheorie beleuchtet werden soll, ist die Forschung im Kern immer noch verpflichtet. So stellt sie zwar jüngst dem brandenburgischen Kurfürsten den braunschweigischen an die Seite, doch das religionspolitische Engagement z.B. der dänischen Könige im Reich übersieht sie bis heute.23

Der Reichsverband, konkurrenztheoretisch betrachtet Mit einer konkurrenztheoretischen Brille auf das Machtgeflecht des Reichs zu blicken, erlaubt es, sowohl die kurbraunschweigisch-kurbrandenburgischen Beziehungen in ihrer Janusköpfigkeit von »protestantischer Solidarität und regionaler Rivalität«24 klarer zu konturieren als auch zu einer präziseren Bestimmung des Verhältnisses von (katholischem) Kaiser und (protestantischem) Reich zu gelangen. Demzufolge stehen hier weniger Hintergründe, Kontexte und Verlauf der Phasen rekonfessionalisierter Reichspolitik im Zentrum – 1699 bis 1723 und 1750 bis 1780 mit einem Höhepunkt in der zweiten Hälfte der 1750er und ersten Hälfte der 1760er Jahre – bzw., unter gänzlich veränderten Vorzeichen, die Fürstenbundzeit, sondern die Geschichte dieser Zeit dient als Folie, den heuristischen Ertrag des Konzepts »Konkurrenz«

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Zu der im Zusammenhang mit der Etablierung der Braunschweiger Kurwürde 1692 erfolgten Readmission (Wiedereinführung) des Königreichs Böhmen in das Kurkolleg Begert, Böhmen, 2003. Als Garant der Reichsreligionsverfassung profiliert sich Dänemark in den 1750er/60er Jahren mehrfach – sei es als Garantiemacht der Religionsreversalien des hessen-kasselischen Kurprinzen (Haug-Moritz, Ständekonflikt, 1992, S. 192–199), sei es als Intervenient in den württembergischen Ständekonflikt (ebd., S. 299–318). Das württembergische Beispiel gibt die personellen Netzwerke, die der dänischen Intervention zugrunde liegen, klar zu erkennen. Auf die Vorgeschichte dieses religionspolitischen Engagements in den 1720er Jahren wirft Wieland, König, 2020, S. 328f. ein Schlaglicht. Press, Kurhannover, 1986, S. 56.

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auszuloten.25 Die Konstellationen, die die soziologische Konkurrenztheorie26 als Merkmale heranzieht, um Konkurrenz zu definieren und überdies von anderen Formen kompetitiver Beziehungen zu unterscheiden, strukturieren die folgenden Ausführungen. (1) Identische Ziele verfolgen – der Reichstag als Arena: Bereits angedeutet wurde eine erste Annahme der neueren Konkurrenztheorie, die besagt, dass Konkurrenz weder ontologisiert noch individualisiert angemessen zu beschreiben ist, sondern dass Konkurrenz nur dann entstehen kann, wenn sie als ein institutionalisiertes, im Sinne von regelhaft-wiederholbares Verhalten konzeptualisiert wird. Konkurrenz braucht demnach einen Ort, an dem sie immer wieder aufs Neue aufgeführt werden kann. Diese Arena ist der sich endgültig in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts institutionalisierende Reichstag. Im Modus des Sich-Vergleichens begegnen sich der König auf der einen, das Reich auf der anderen Seite, d. i. die (Hoch-)Adelsnation, allen voran die Kurfürsten, und, während der gesamten Frühen Neuzeit von nachgeordneter Bedeutung, die Freien und Reichsstädte. Seit 1663 sind sie dort »immerwährend« versammelt, um sich über das Gemeine Beste des Dritten, des Heiligen Reiches und seiner »armen Untertanen«, zu beraten. Indem sie darüber beraten, mit welchen Mitteln dieses Ziel zu erreichen ist, vor allem aber in ihrem gemeinsamen Deliberieren selbst, geben sie zu erkennen, dass ihre Ziele zwar inhaltlich divergieren, in der unterstellten Handlungsorientierung aber identisch sind. Diese besteht darin, ›Ehre, Nutz und Wohlfahrt‹, so die topische Formel, die mit grundverschiedenen Inhalten gefüllt werden kann, durch gemeinsame, für alle verbindliche Regelungen zu befördern.27 Der Anspruch, auch für solche, die nicht anwesend oder mit dem Beratungsergebnis nicht einverstanden sind, verbindlich beschließen zu können, wird medial stabilisiert. Seit Beginn des 16. Jahrhunderts kommuniziert man die Beratungsergebnisse unbeteiligten Dritten druckmedial. Mit dieser Form des Öffentlich-Machens ist seit dem 16. Jahrhundert das, was man öffentlich 25

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An Arbeiten zum religionspolitischen Engagement Kurhannovers im 18. Jahrhundert, die belegen, dass die Schönbornsche Einschätzung nicht nur für die Zeit der 1720er Jahre gilt, sei neben den älteren Studien von Rohr, Reichstag, 1968, S. 152–224; Press, Kurhannover, 1986, S. 71f.; Aretin, Reich, Bd. 3, 2000, S. 135–159, Stievermann, Fürstenbund, 1995 jetzt vor allem auf die Arbeiten von Andrew C. Thompson und Torsten Riotte verwiesen; vgl. auch Wieland, England-Hannover, 2014. Siehe oben Anm. 4. Zur Genese dieses ›Topos‹ und zu seinem Stellenwert (nicht nur) für die Geschichte des Reichstags zuletzt Haug-Moritz, Deliberieren, 2021, S. 121–131.

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macht, als »alle betreffend« ausgeflaggt, anders formuliert: ein disperses Publikum adressiert.28 Dieses Publikum ist Folge wie Bedingung des Geheimen der Beratungen und damit eine Erscheinungsform öffentlicher Kommunikation, wenn auch nicht von Kommunikation in der Öffentlichkeit, die voraussetzt, was erst im Laufe des 18. Jahrhunderts ganz allmählich zu entstehen beginnt, eine funktional differenzierte Gesellschaft. (2) Sich Vergleichen – »die« Religion: Mit dem Hinweis auf das Sich-(miteinander-)Vergleichen ist ein weiteres Merkmal benannt, das gegeben sein muss, damit sich Akteure potentiell als Konkurrenten wahrnehmen oder damit sie, ist ein Publikum als Dritter involviert, als solche wahrgenommen werden. Vergleichen im vorliegenden Zusammenhang meint dabei sowohl das Sich-wechselseitig-beobachten, z.B. durch Aufschreiben und Speichern des für wichtig Erachteten (z.B. Votenprotokolle), als auch die »gesprächsweise Herstellung einer Übereinkunft«. Jenseits der Akteure, die auf dem Reichstag im Modus des Sich-Vergleichens operieren, ist Vergleichen auch eine logische Operation, die nur möglich wird, wenn es ein gemeinsames Drittes gibt, in concreto: ›Ehre, Nutzen und Wohlfahrt‹, auf das hin sich zumindest zwei Akteure vergleichen können. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gewinnt, wie Willibald Steinmetz zeigt, in Wissenschaft wie allgemeinem Sprachgebrauch, diese Form des Vergleichens an Bedeutung.29 Bringt das, als ergebnis- und gemeinwohlorientierte soziale Praxis kommunizierte Sich-Vergleichen die politischen Arenen des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lateineuropas hervor, auch, wie ausgeführt, diejenige des Reichstags, so verändert »die Religion« im nachwestfälischen Reich sowohl die Grundlagen als auch die Praktiken des Sich-Vergleichens grundlegend. Neben die tradierte, in den Personen verankerte, performativ immer wieder aufs Neue beglaubigte, hierarchisch strukturierte Legitimität des altüberkommenen Sich-Vergleichens,30 die seit 1663 »immerwährend« statthat, tritt die als Legalität definierte Legitimität.31 Es sind die religionspolitischen Vorgaben des Westfälischen Friedens, die eine altüberkommene Agende des Reichstags

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Zu diesem, mit der Etablierung der Printmedien im zeitgenössischen Medienensemble Hand in Hand gehenden Verständnis immer noch Giesecke, Buchdruck, 1980, v.a. S. 377–389 sowie Thum, Öffentlich-Machen, 1980. Steinmetz, Vergleich, 2015, S. 94 (Zitat). Zu dieser, sich im Spätmittelalter ausformenden Praxis lateineuropäischer Ständeversammlungen grundlegend Hébert, Parlementer, 2014, S. 397–416. Haug-Moritz, Protestantisches Einungswesen, 2012.

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in eine andere, neue Form des Sich-Vergleichens überführen (müssen), d. i. das In-Teile-treten (itio in partes) und die anschließende »freundschaftliche Beratung« (amicabilis compositio32 ) zwischen dem »katholischen« und »evangelischen« Teil (IPO Art. 5 § 52, Verfahrensparität). Die Eigenlogik ist damit von Rang auf Konfession umgestellt und zugleich von Asymmetrie auf Symmetrie (aequalitas exacta mutuaque). In dem Moment, in dem, um 1720, in der protestantischen Lesart, aus den »Teilen« politische Korporationen werden (Corpus Evangelicorum/Catholicorum) und postuliert wird, dass der neue Modus des Sich-Vergleichens den alten ersetze und nicht, so die kaiserlich-katholische Deutung, das altüberkommene Sich-Vergleichen für inhaltlich eng begrenzte Fälle ergänze, wenn Protestanten und Katholiken in ihrer Gesamtheit als je Einzelne »in Teile gehen«, zeitigt die auf Gleichheit basierende Legitimität weitreichende Folgen. Das weiterhin um die Wahrung der reichsgrundgesetzlichen Ordnung zentrierte politische Theater gehorcht nun zwar immer noch den Regeln, die es dem Kaiser erlauben, in wechselnden Konstellationen wechselnde reichsständische Partner zu finden und damit in actu die öffentlich kommunizierte Dualität von Kaiser und Reich zu verflüssigen, doch die Bühne wird jetzt vielgestaltiger. Die Protestanten eröffnen ein neues, publizistisch je länger desto eindeutiger definiertes Spielfeld, in dem das dargebotene Stück differenten Regeln gehorcht. Der Kaiser ist auf diesem Feld nicht mehr über-, sondern, als primus inter pares, dem katholischen politischen Körper eingeordnet. Und der evangelische Körper ist ihm zwar »freundschaftlich« verbunden, aber gerade indem er ihm verbunden ist, ist er als eigener Körper beglaubigt.33 Auf der Hinterbühne kann das Reichsoberhaupt, um im Bild zu bleiben, zwar weiterhin die Spieler von einem Feld auf das andere locken, was ihm aus ganz unterschiedlichen Gründen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts vielfach gelingt, doch aus der Welt schaffen kann er die neue Arena nicht. Das Entstehen einer neuen Arena des Leistungsvergleichs ist der entscheidende Unterschied zur Zeit vor 1648/1720. (3) Konkurrieren – das knappe Gut: Ein letztes notwendiges Merkmal von Konkurrenz ist die Knappheit des Gutes, für dessen Realisierung sich die Konkurrenten gleichermaßen einsetzen. Knappheit begegnet in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen. Sie ist manchen Gütern immanent, 32 33

Zum mittellateinischen Begriff der Compositio MLW, Bd. 2, Sp. 1099–1103, 1486f. Hierzu zuletzt differenziert, jedoch nicht grundsätzlich Neues bietend Kalipke, Konfessionsgesellschaft, 2015, S. 59–121.

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man denke an begrenzt verfügbare Ressourcen wie Land oder standesgemäße Ehepartner. Im Gegensatz dazu sind Rang, aber auch die Wahrung des Gemeinen Besten, im 18. Jahrhundert als die Wahrung der »Reichsgrundgesetze« ausbuchstabiert, als das Dritte des Vergleichs wechselseitig aufeinander verweisende knappe Güter, denen gemeinsam ist, dass sie zugemessen werden. Immer wieder auf das Neue befinden Dritte darüber, wer besser performt und daher den ersten Platz einnimmt, sei es im wörtlichen Sinn oder auch im übertragenen, indem er sich z. B. am nachdrücklichsten für die Wahrung der Reichsgrundgesetze einsetzt. Letzteres, das Legale als das politisch Legitime, gewann gegenüber Ersterem, Status(re)präsentationen, in dem Maß Gewicht, in dem, beschleunigt seit den 1740er Jahren, die »Vernunft« und der Fortschritt den Rang als Modus der Weltbeobachtung relativierten. Nun war nicht mehr nur der Modus des Sich-Vergleichens zukunftsträchtig verändert, sondern auch die Kriterien, nach denen man sich verglich.34 Doch welchen Kriterien auch immer der Leistungsvergleich gehorcht, in beiden Formen liegt es nicht im Ermessen der Akteure, aus der Konkurrenzsituation auszusteigen, sondern in demjenigen des Publikums.35 Schon die Beschreibung, wer als religionspolitischer Opponent des Kaisers von den Zeitgenossen (und lange auch der Forschung) wahrgenommen wurde und wer nicht, hat auf das Proprium des Reiches aufmerksam gemacht, die die Beobachtung der politischen Akteure durch Dritte präformierte. Die formalisierte Differenzierung der Fürsten in solche, die »küren« und solche, die das nicht tun (Goldene Bulle36 ), wurde seit dem Spätmittelalter sowohl in performativer Anwesenheits- als auch in Schrift und Bild vermittelter Abwesenheitskommunikation37 immer wieder beglaubigt. Die kurfürstliche »Präeminenz« reduzierte die Komplexität des Reiches als Konkurrenzarena erheblich. Als Rangstreit unter Standesgleichen manifestiert sich Konkurrenz als »Konkurrenz wider Willen«.38 Nicht nur Friedrich Karl von Schönborn »übersah«, dass nicht nur die Kurfürsten-Könige von England-Hannover und Preußen-Brandenburg gegen die kaiserlich-katholische Lesart der religionspoliti34 35

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Stollberg-Rilinger, Logik, 2014, S. 220 (»antiritualistischer Affekt«). Demzufolge strukturiert die Unterscheidung dyadische-triadische Konkurrenz i. S. von Konkurrenz mit und ohne Exitoption die Konkurrenztheorie (Werron, Form, 2019, S. 26–39). Zuletzt Monnet, »Bulle d’or«, 2019. Zur medialen Dimension vgl. die Beispiele in Herbers/Neuhaus, Reich, 2014; Müller, Bilder, 1997; Puhle/Hasse, Reich, 2006. Stollberg-Rilinger, Logik, 2014, S. 198 (Zitat), 203–217.

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schen Bestimmungen des IPO opponierten, sondern auch die altfürstlichen Häuser.39 Liegt bei der Konkurrenz wider Willen die Knappheit der sozialen Interaktion voraus, so müssen andere Güter, wie z.B. postulierte gemeinsame ideelle Interessen der Akteure, kommunikativ verknappt werden. Kein Zufall ist, dass die Narrationes der druckmedial immer vielfältiger multiplizierten reichstäglichen Verlautbarungen, seien es die des Kaisers oder des Corpus Evangelicorum, an die Präambeln von Gesetzen »erinnern«.40 Ihnen wies schon Diokletian die Aufgabe zu, von den »mißlichen Zuständen«, anders formuliert: vom knappen Gut eines wohlgeordneten Gemeinwesens, zu berichten, auf dass »das Publikum von der Legitimität, Notwendigkeit und Nützlichkeit des folgenden Gesetzes«41 überzeugt werden möge. Auf das Reich des 18. Jahrhunderts gewendet: Erst das kommunikativ vermittelte stetige Bedroht-Sein der Rechtsordnung als Fundament des Gemeinwesens durch die »falsche« Rechtsauslegung der katholischen bzw. evangelischen Reichsstände erlaubt es den Akteuren, sich auf diesem Feld dauerhaft als Konkurrenten zu positionieren. (4) Konkurrieren – sich in einem Nullsummenspiel befinden: Doch all das – das gemeinsame Dritte, das man verfolgt und dem anderen ebenfalls zu verfolgen unterstellt, das Sich-Vergleichen auf das gemeinsame Ziel hin und die Knappheit des Gutes – sind nur notwendige, keine hinlänglichen Bedingungen von Konkurrenz. Konkurrenz entsteht nur dann, wenn Knappheit als Nullsummenspiel konzeptualisiert wird, d.h. der Gewinn des einen zwangsläufig der Verlust des anderen ist. Und umgekehrt: Sie ist dort stillgestellt, wo das Gegenteil der Fall ist und der Gewinn (oder auch Verlust) des einen zwangsläufig der Gewinn des anderen ist. In beiden Formen, als stillgestellte wie aktivierte Konkurrenz, begegnet sie, wann immer im 18. Jahrhundert das Politische als das Konfessionelle begegnet. Joseph II. erkannte 1768, woran es lag, dass »die Einzelnen [dem Corpus Evangelicorum zugehörigen Reichsstände] sich zu Sklaven aller Einfälle oder Interessen des Königs von Preußen und des Ministeriums von Hannover gemacht« und dies selbst dann, wenn »die Entscheidung seiner [des einzelnen Mitglieds] Neigung oder selbst seinen wesentlichsten Interessen entgegen-

39 40 41

Haug-Moritz, Reichspolitik, 2014, S. 259–263. Vgl. z.B. für die Zeit des Immerwährenden Reichstages die Zusammenstellung bei Senckenberg/Schmauß, Reichsabschiede, 1747, Bd. 3. Vismann, Akten, 2011, S. 39.

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stehen könnte«.42 Zweierlei, beides gleichermaßen Ableitungen aus der von den Evangelischen postulierten korporativen Verfasstheit, führte er ins Feld: einerseits die korpusinterne – in konkurrenztheoretischer Perspektive nicht relevante, da sich im Geheimen vollziehende – Möglichkeit zu Mehrheitsabstimmungen, andererseits der – konkurrenztheoretisch entscheidende – Anspruch, die Beschlüsse als korporative Beschlüsse zu präsentieren (Votum commune). Zwar war es möglich, korpusintern Dissens zu markieren,43 doch dem Publikum gegenüber wurde er systematisch verdeckt. Konsequent wurde in der druckmedialen Repräsentation der in Regensburg zur Diktatur gebrachten Verlautbarungen des Corpus veranschaulicht, dass dessen Beschlüsse, Vorstellungsschreiben etc. als einhellige Willensäußerung aller, dem Corpus zugehörigen Mitglieder zu verstehen und daher nicht Einzelnen, sondern der Korporation als Ganzer zuzurechnen sind.44 Damit aber sind die Gewinne (wie Verluste) des Einen zwangsläufig diejenigen aller Anderen, zumindest so lange, wie man das Korporative als ideelle Fundierung des eigenen Handelns nicht preisgeben wollte. Dazu aber waren die Akteure, die die altüberkommene Teutsche Libertät immer mehr als Souveränität lasen, im 18. Jahrhundert je länger desto weniger willens.45 Kurzum: Wettbewerb und Rivalität, aber keine Konkurrenz existiert zwischen dem braunschweigischen und brandenburgischen Kurfürsten. Zwischen den Regenten der im Corpus Evangelicorum zusammengeschlossenen (im Normaljahr 1624) evangelischen Territorien und der kaiserlich-katholischen Reichstagsmehrheit aber herrscht Konkurrenz. Seit den 1720er Jahren existiert eine klar definierte und im Laufe des Jahrhunderts immer schärfere Konturen gewinnende Alternative, die – denn das ist das definitorische Merkmal von Alternativen – den Gewinn der einen Seite, in concreto: ihr Verständnis von Legalität, zum Verlust der anderen macht, wann immer es gelingt, ihre Verfassungsdeutung Wirklichkeit werden zu lassen: Bei jeder Itio in partes, die den Reichstag, teils jahrelang wie etwa 1764 oder 1775, lahmlegte, bei jedem Konflikt, in den das Corpus Evangelicorum intervenierte, 1750 sogar militärisch (Hohenlohe), und der nicht bzw. nicht nur, wie z.B. der württembergische Ständekonflikt der 1760er Jahre, vor den kaiserlichen Gerichten in Wetz-

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Conrad, Verfassung, 1974, S. 168. Beispiele bei Kalipke, Konfessionsgesellschaft, 2015, S. 215–222. Zahlreiche Beispiele finden sich in der https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de (Suchwort: Evangelicorum; 25.10.2021). Stollberg-Rilinger, Logik, 2014, S. 221f.

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lar oder Wien geschlichtet wurde.46 D.h. wann immer die evangelische Lesart der Reichsverfassung obsiegte, hatte die kaiserlich-katholische Seite verloren. Freilich nur dann, wenn auch das Publikum diese Geschichte als eine Geschichte von Gewinn und Verlust perzipierte.

Erkenntnispotential Das heuristische Potential einer konkurrenztheoretisch inspirierten Betrachtung der Reichsgeschichte besteht also darin, so lässt sich das bisher Gesagte bilanzierend zusammenfassen, dass das qualitativ Neue, das das Reich des 18. Jahrhunderts als politischen Interaktionszusammenhang kennzeichnet, analytisch präzise auf den Begriff gebracht werden kann. Dergestalt lässt sich das Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel neu vermessen, auch deswegen, weil es synchronem wie diachronem Vergleich zugänglich gemacht werden kann. Inwieweit das Konstrukt »Konkurrenz« unser Verständnis dieses historischen Wandels über das bereits Bekannte hinaus erhellen könnte, wenn Aspekte, die hier nur angedeutet werden konnten, auch untersucht würden, wie z.B. die Strategien kommunikativer Verknappung, ist eine offene Frage. Keine offene Frage aber ist, dass der Teil des theoretischen Konstrukts, der bislang nur aufgerufen, nicht aber erörtert wurde, d. i. das Öffentliche als konstitutive Bedingung von Konkurrenz, grundlegend neue Perspektiven eröffnet. Um mehr als einige Fragen aufzuwerfen, kann es hier freilich nicht gehen. Denn füglich wurde jüngst »die Rolle von Publikumsvorstellungen in der Herstellung und Stabilisierung von Konkurrenzbeziehungen in unterschiedlichen Feldern historisch-vergleichend zu erforschen« als Forschungsdesiderat benannt.47 Zumindest plausibilisieren aber möchte ich die Hypothese, dass es auch – wenn auch selbstverständlich nicht nur – mit den beobachtenden Dritten zu tun hat, dass der brandenburgische und nicht der braunschweigische Kurfürst den Affen geben konnte. An den Beginn des Nachdenkens sei das bereits Bekannte, teils kursorisch Erwähnte gestellt. Ständeversammlungen in Lateineuropa im Allgemeinen, der Reichstag im Besonderen waren im 16. Jahrhundert Ereignisse, in denen das Politische entstand, weil im Öffentlich-Machen das Andere, das Geheime 46 47

Diese Konstellationen in knappem, systematischem Überblick bei Haug-Moritz, Religion, [2022]. Albert, Vergleichen, 2019, S. 9.

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des Beratens, hervorgebracht und zugleich verdeutlicht wurde, dass die Ergebnisse des Beratens »alle« betreffen. Ein Spezifikum des Reichstags stellt dar, dass dessen mächtige Akteure sich von Anbeginn des ganzen zeitgenössischen Spektrums medialer Möglichkeiten bedienten, sich über den Sinn ihres Miteinanders zu verständigen, aber auch Abwesenden diesen Sinn mitzuteilen.48 Ersteres, die körpergebundene, rituelle Anwesenheitskommunikation fand in wesentlich größerem Umfang das Interesse der Forschung als Letzteres, der skripto- wie typographisch-diskursive sowie, in marginalem Umfang, visuelle Kommunikationsmodus. Doch erst die Untersuchung der je zeitspezifischen Verschränkung der medialen Praktiken, kurz: der Medialität, erlaubt es, sich dem anzunähern, was seit dem 18. Jahrhundert auf den Begriff des Publikums gebracht wird. Dieses methodologische Postulat kann freilich nur formuliert, aber ihm kann nicht einmal ansatzweise Rechnung getragen werden. Schlagend verdeutlicht der semantische Wandel, der vom »Publicieren« des 16. Jahrhunderts zur sozialen Konfiguration Publikum als »die gesamtheit der leute eines landes oder ortes, die leute, die menge« führt,49 die weitreichenden Transformationen des Medienensembles in der Frühen Neuzeit. Ein immer größerer gesellschaftlicher Stellenwert wächst den, qua Medienform, »die (unspezifischen) Leute« adressierenden Druckmedien zu. Ausdruck wie Ursache dieses wachsenden Stellenwerts für gesellschaftliche Kommunikationsprozesse ist, dass sie in immer größerer Vielfalt zur Verfügung stehen.50 In welchem Ausmaß der Reichstag als Konkurrenzarena in den Druckmedien als »die Leute« adressierenden Medien präsent war, gibt, bei allen methodologischen Problemen,51 eine ngram-Recherche (Suchwort: Evangelicorum) zu erkennen:

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Dieses Spezifikum des Reichstags erkannte bereits Schubert, Reichstage, 1966. Grimm, Wörterbuch, Bd. 13, Sp. 2201. Überblick bei Würgler, Medien, 2013 und zu den periodischen Nachrichtenmedien des 18. Jahrhunderts differenzierend Blum, Nachrichtenformung, S. 15–24; zur Europäischen Fama ebd., S. 24–37. Wenn nicht, wie hier, nur ein erster Eindruck vermittelt werden soll, bedarf es komplexerer Suchstrategien (Younes/Reips, Guideline, 2019); vgl. auch Steinmetz, Vergleich, 2015, S. 98f.

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Verblüffend ist die weitreichende Kongruenz der »Spitzen« mit den Phasen, in denen das Reich im Modus der Konkurrenz operierte.52 Aufschlussreich ist auch der förmliche »Absturz« des druckpublizistischen Interesses am Corpus Evangelicorum um 1770. Denn er liefert ein erstes Indiz, wer dem Publikum als Konkurrent präsentiert wurde, und/oder auch, wen »die Leute« für das Corpus Evangelicorum erachteten. Die ostentative Abwendung Kaiser Josephs II. von einer Politik des öffentlichen Schlagabtauschs mit dem Corpus Evangelicorum auf der reichstäglichen Bühne kulminierte in seinem Treffen mit Friedrich II. 1769 in Neiße (25.-28.8.1769), über das beispielsweise der im dänischen Altona erscheinende »Reichspostreuter« in seiner Ausgabe vom 8. September 1769 ausführlich berichtete.53 Und auch wenn, was die französische Diplomatie bereits 1772 erkannte, die Inszenierung monarchischer Freundschaft die Konkurrenz nur sistieren, nicht beseitigen konnte,54 so sollte es doch bis 1776 dauern, bis der preußische König wieder in den Modus der 52

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Die auf das Corpus Evangelicorum bezogene Druckpublizistik wurde bislang schlaglichtartig, jedoch nicht systematisch erhellt, vgl. bislang Becker, Corpus Evangelicorum, 2009; Brachwitz, Autorität, 2011 zusammen mit Wieland, Rezension, 2011. Ein Digitalisat dieses Berichts und auch ein, bezeichnenderweise anders akzentuierender Artikel der »Wiener Zeitung« vom 6. September sind zugänglich über : https://an no.onb.ac.at, 25.10.2021. Recueil des Instructions, Bd. 8, 1912, S. 312 : »Ce qu’il y a peut-être de plus important à prévoir, c’est que la façon de penser de la Cour de Berlin changera probablement avec ses intérêts, et qu’elle retrouvera les protestants toujours prêts à se ranger de-

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Konkurrenz zurückkehrte.55 Erst dann aber wuchs auch das mediale Interesse wieder, das in den Jahren der kurhannoverschen Führung des Corpus gleichsam inexistent war. Und so lautet die These: Die Katze wurde zum Affen, weil sie die Gunst des Publikums besaß. Wie sie diese Gunst erringen konnte, ist in Umrissen bekannt.56 Bereits diese Umrisse geben Entscheidendes zu erkennen. Sie verdeutlichen, auch wenn wir über die druckmediale Präsenz des englischen Königs als braunschweigischen Kurfürsten nahezu nichts wissen,57 dass das Berlin König Friedrichs II. und nicht das Hannover Georgs II. und III. dem Publikum eine Rolle zuwies, der die Zukunft gehören sollte. Die (entstehende) Öffentlichkeit wurde zum integralen Bestandteil des Politischen.58 Damit aber erlaubt die Konkurrenztheorie nicht nur Machtantagonismen des 18. Jahrhunderts analytisch präziser zu beschreiben als bislang, sondern sie stellt den Fokus auf einen Aspekt dieser Machtantagonismen scharf, der zwar auch, aber nicht nur in historischer Perspektive von Interesse ist. Nicht erst in unserer Gegenwart – Stichwort: »fragmentierte Öffentlichkeit(en)« – erscheinen die Transformationen des Medialen und des Gesellschaftlich-Politischen unauflöslich verwoben und differenzierter wissenschaftlicher Analyse bedürftig. Dass die soziologische Konkurrenztheorie eine solche Einsicht befördert, erscheint mir als gutes Argument, sie als heuristisches Instrument umfänglicher zu nutzen als dies in der gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Forschung, so weit ich sehe, der Fall ist.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Über die Reichsverfassung, hg. von Hans Maier. Nach der Textfassung von Kurt Rainer Meist, Hamburg 2004.

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rechef sous ses étendards«; zur Phase der kaiserlich-preußischen Annäherung vgl. auch Wieland, England-Hannover, 2014, S. 284f. Aretin, Reich, Bd. 3, 2005, S. 148–156. Böning, Friedrich II., 2013; Pečar, Masken, 2016. Die These von der Abwendung England-Hannovers vom Reich, insbesondere für die 1780/90er Jahre, wird partiell modifiziert bei Riotte, George III., S. 68–76; vgl. auch Thompson, Confessional dimension, S. 163–167, 179f. u. ö. Werron, Publikum, 2014, S. 239–246.

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Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs unter Friedrich dem Großen und Maria Theresia Jacek Kordel

Der vorliegende Aufsatz setzt sich zum Ziel, die preußische und österreichische Sachsenpolitik in der Regierungszeit Friedrichs II. und Maria Theresias zu analysieren. Da diese Monarchen den politischen Grundsätzen ihrer Vorfahren treu blieben, ist es notwendig, auch die Sachsenpolitik ihrer Vorgänger zu betrachten. Das Verhältnis Berlins und Wiens zum Dresdner Hof leitete sich weitgehend aus der Politik beider Höfe gegenüber der polnisch-litauischen Adelsrepublik ab, mit welcher das Kurfürstentum Sachsen fast sieben Jahrzehnte lang (1697–1706, 1709–1763) durch eine Personalunion verbunden war. Daher muss auch die preußische und österreichische Polenpolitik berücksichtigt werden. Um die Haltung Preußens und Österreichs gegenüber Sachsen zu verstehen, muss schließlich auch Russland mit einbezogen werden, das unter der Herrschaft Peters I., wie Voltaire es treffend bemerkt hat, »commença à influer sur toutes les affaires, et à donner des lois au Nord«, d.h. in Polen, Schweden und dem nordöstlichen Reich.1 In den Jahren 1709–1717 gewann der Zar erheblichen Einfluss auf den Verlauf der politischen Ereignisse in Polen. Sowohl den Hohenzollern als auch den Habsburgern fiel es in ihrem Bemühen um gute Beziehungen zum Zarenreich immer leichter, die russische Vorherrschaft in der polnisch-litauischen Adelsrepublik zu akzeptieren.2 Die langfristigen Ziele der brandenburgisch-preußischen Sachsenpolitik waren bereits von Friedrich Wilhelm, dem Großen Kurfürsten, formuliert worden. Jegliches Erstarken des südlichen Nachbarn musste seiner Ansicht nach

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Voltaire, Précis du siècle de Louis XV, 1878, S. 179. Feldman, Polska w dobie, 1925; ders., Polska a sprawa wschodnia, 1926; Gierowski, Między saskim absolutyzmem, 1953; ders., W cieniu wojny północnej, 1971.

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mit allen Mitteln verhindert werden.3 Im Ringen um die Vorherrschaft in Mitteldeutschland erzielten die Hohenzollern im späten 17. Jahrhundert mit Magdeburg, Halberstadt und Minden tatsächlich beachtliche Erfolge. Die Wettiner gewannen zwar die Markgrafschaft Lausitz, doch ihr Einfluss in Thüringen nahm infolge der Neutralisierung der kursächsischen Schutzrechte deutlich ab. Die Position des Dresdner Hofes wurde auch durch die Gründung der Sekundogenituren in Merseburg, Weißenfels und Zeitz geschwächt.4 Die Erhebung Friedrich Augusts I. (Augusts II. in Polen) auf den polnischen Thron brachte eine bedeutende Erweiterung des politischen Horizonts Sachsens (1697). Der Kurfürst wollte Sachsen in den Kreis der europäischen Mächte einführen, und die Adelsrepublik strebte danach, ihren früheren Ruhm wiederherstellen, den sie durch Kriege, innere Unruhen und politische Krisen im 17. Jahrhundert verloren hatte.5 In eine ganz andere Richtung zielten die Pläne des Berliner Hofes, der sich 1657 durch die Verträge von Wehlau und Bromberg aus der Lehnsabhängigkeit von Polen befreite und die Souveränität im Herzogtum Preußen erlangte. Wie im Falle Sachsens wurden die grundlegenden Ziele des brandenburgisch-preußischen Staates gegenüber der polnisch-litauischen Adelsrepublik auch im Politischen Testament des Großen Kurfürsten formuliert. Er empfahl seinem Nachfolger, keine politischen Reformen zuzulassen, die die »Freiheiten des Adels« einschränken würden, d.h. die Macht des Monarchen vergrößern und die Funktionsfähigkeit des Sejms verbessern würden, der im System der Adelsrepublik eine zentrale Rolle spielte.6 Die brandenburgisch-preußische Diplomatie entdeckte bald die Bedeutung des liberum veto, eines Instruments, das die Lähmung des polnischen Parlaments ermöglichte.7 In seinem Politischen Testament 3

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»Dessen Hauses gar zu grosses aufnehmen aber keinem Hausse schedlicher, als dem Hausse Brandenburg ist«, Entwurf des Großen Kurfürsten zur Erwerbung von Schlesien, in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 206. Vötsch, Kursachsen, 2002, S. 261–392. Vgl. Staszewski, »Jak Polskę przemienić w kraj kwitnący…«, 1997. »Musset ihr der Republick zu manutenirung Ihrer Alten freiheitt alzeitt beistehen«, Politisches Testament des Großen Kurfürsten, 1667, in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 189. Die Klauseln über die Wahrung der »Freiheiten des Adels« wurden vom Berliner Hof in die von Brandenburg eingegangenen Allianzverträge eingeführt. Bestimmungen dieser Art finden sich in den preußisch-schwedischen Bündnisverträgen (1667, 1686, 1696) und dem preußisch-österreichischen Vertrag von 1686; Mörner, Kurbrandenburgs Staatsverträge, 1867, S. 314–316, 478–486, 618–620. Nur der Sejm konnte Gesetze erlassen. Für die Verabschiedung eines Gesetzes war die Zustimmung aller Landboten erforderlich. Wenn auch nur einer von ihnen Einspruch

Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs

von 1722 empfahl Friedrich Wilhelm I. seinem Nachfolger ausdrücklich, »auf den Reihtag euch bestendig eine Partey machen, das Ihr den reihtag brechen könnet, wen ihr es euer Interesse apropos findet. Ihr müßet mit aller macht bearbeiitten, das es eine Republicke bleibe und das nicht ein suwerener König sein, sondern bestendig eine freie Republicke verbleibe«.8 Die Schwächung der Adelsrepublik bot eine Chance für Gebietserwerbungen auf Kosten Polens, vor allem ging es um das sogenannte Königliche Preußen, das eine territoriale Verbindung zwischen Brandenburg und dem Herzogtum Preußen schaffen würde. Es sei hinzugefügt, dass schon zu Zeiten Friedrichs III./I. und Friedrich Wilhelms I. die preußischen Herrscher nicht nur vom Königlichen Preußen träumten, sondern auch von anderen Besitzungen der Adelsrepublik u.a. Kurland, Samogitien und Großpolen.9 In der Zeit des Großen Nordischen Krieges stellte sich heraus, dass ähnliche Postulate den Kern der russischen Außenpolitik bildeten. Nach der Schlacht von Poltawa (1709) setzte der triumphierende Peter I. August II. wieder auf den polnischen Thron, der zuvor vom schwedischen König Karl XII. zur Abdankung gezwungen worden war. Der polnisch-litauische Staatsverband wurde zwischen 1709 und 1717 zum russischen Protektorat. Als sich 1715 der Adel gegen den König erhob, übernahm die russische Diplomatie, unterstützt von russischen Korps, die in Polen stationiert waren, die Vermittlung. Das Ergebnis war der sogenannte Warschauer Vertrag von 1716, der 1717 vom »stummen Sejm« angenommen wurde. Er versteinerte, entsprechend den Absichten Peters I., die »Freiheiten des Adels«. Aufgrund des Widerstands Peters I. und seiner Nachfolger waren fortan weder politische Reformen noch eine Erhöhung der Truppenstärke möglich. Die Zaren wünschten sich Polen-

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erhob, konnte das Parlament seine Arbeit nicht fortsetzen. Der Sejm wurde zerrissen und seine Gesetzgebungsarbeit wurde für ungültig erklärt. Unter König Michael (1669–1673) traf dies auf 66 % der Sejms zu, unter Johann III. (1674–1696) auf 50 %, unter August II. (1697–1733) auf 40 %. In der Herrschaftszeit Augusts III. wurde nur ein einziger Sejm mit einer Entscheidung abgeschlossen. Vgl. Czapliński, Sejm, 1984, S. 262–283; Michalski, Sejm, 1984, S. 300–349. Instruktion Friedrich Wilhelms I. für seinen Nachfolger, in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 239f. Diese Gedanken sind auch im Politischen Testaments Friedrichs II. zu finden : »[nous devons] travailler a rompre les diettes de Pologne en depensant quelque somme apropos comme nous l’avons fait«; Friedrich II., Testament politique (1752), ebd., S. 350. Kamieński, Polityka, 2010, S. 190–232.

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Litauen in interner Trägheit verstrickt und auf der internationalen Bühne untätig zu halten. Die Gemeinschaft der negativen Interessen gegenüber Polen, die Klaus Zernack als negative Polenpolitik bezeichnet hat, spiegelte sich in den russisch-preußischen Bündnissen wider, die in den Jahren 1720, 1726, 1729, 1730, 1733, 1740 und 1743 unterschrieben wurden. Die langfristigen Ziele beider Höfe zeigten sich in der Verpflichtung, keine Reformen in Polen-Litauen zuzulassen und die »Freiheiten des Adels« zu bewahren.10 Die Klausel über die Bewahrung der Unveränderlichkeit der polnischen Verfassung wurde von Russland auch Schweden, das nach dem Tod Karls XII. in zunehmende Abhängigkeit vom Zarenstaat geriet, auferlegt (Vertrag vom 22. Februar/4. März 1724).11 Diese Umstände besaßen erheblichen Einfluss auf die Bedingungen, unter denen die sächsischen Kurfürsten als Könige von Polen in der Adelsrepublik agierten. Das sächsische Kurfürstentum war ein treues Mitglied der kaiserlichen Partei im Reich. Für seine Loyalität gegenüber dem Kaiserhof hatte Johann Georg I. die Markgrafschaft Lausitz erhalten (1635). Dieser Kurs wurde von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Friedrich August I., der spätere polnische König, nahm am Pfälzischen Erbfolgekrieg teil und trat als Befehlshaber der sächsisch-österreichischen Truppen in Ungarn während der Militärkampagne 1695–96 hervor. Eine weitere Annäherung an den Kaiserhof erfolgte durch die Konversion des Fürsten zum katholischen Glauben (1697). Auch seine Wahl auf den polnischen Thron wurde an der Donau begrüßt, schon allein deshalb, weil der Hauptgegner des sächsischen Kurfürsten der französische Kandidat, François Louis de Bourbon, prince de Conti, war.12 Der Wiener Hof unterhielt in der Frühen Neuzeit gute Beziehungen nicht nur zu Sachsen, sondern auch zur Adelsrepublik. Im 16. und 17. Jahrhundert waren die dynastischen Beziehungen zwischen den Habsburgern und den Häusern Jagiellon und Wasa sehr eng: Österreichische Erzherzoginnen heirateten Sigismund II. Augustus (reg. 1530/48-1569), Sigismund III. (1587–1632), Ladislaus IV. (1632–1648) und auch König Michael (1669–1673). Auch die politischen und militärischen Aspekte spielten eine wichtige Rolle. Ihre Grundlage stellte vor allem der gemeinsame Kampf gegen die Hohe Pforte dar. Es sei nur an die Teilnahme Johanns III. an der Schlacht am Kahlenberg erinnert. Im

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Zernack, Polenpolitik, 1991, S. 243–259; Zielińska, Rosja, 1999, S. 203–205; Kordel, Commonwealth, 2017, S. 212–232. Boëthius, Sverges traktater, 1922, S. 32; vgl. Ahnlund, Fred, 1915, S. 279–283. Vgl. Milewski, Königswahl, 2008.

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letzten Viertel des 17. Jahrhunderts begann Russland eine immer wichtigere Rolle in der Türkenpolitik der Wiener Hofburg zu spielen. Ein Ausdruck dieses Wandels war die Einladung des Zarenreiches zur Heiligen Liga (ab 1686). Angesichts der Schwäche der Adelsrepublik wurde Russland seit den 1670er Jahren zunehmend als Vormauer des Christentums (antemurale christianitatis) angesehen.13 Österreichische und russische Interessen deckten sich gerade in Bezug auf die türkischen Angelegenheiten am stärksten: Sowohl an der Donau als auch an der Newa träumte man davon, die Türken aus Europa zu vertreiben und sich auf Kosten ihres Territoriums zu vergrößern. Obwohl Russland für den Wiener Kaiserhof ein wünschenswerter Verbündeter an der türkischen Front war, wurde der Aufstieg des Zarenreiches in Polen, Schweden und im Nordosten des Reichs von österreichischen Staatsmännern mit wachsender Sorge betrachtet. Nach den glorreichen Siegen bei Peterwardein (1716) und Belgrad (1717) wurde in der Hofburg beschlossen, den russischen Einfluss im Ostseeraum einzudämmen. Diese Bestrebungen kamen zum Ausdruck im Bündnisvertrag, den im Januar 1719 Diplomaten Kaisers Karls VI., König Georgs I. und Augusts II. als Kurfürst von Sachsen unterzeichneten. Zu der sogenannten Wiener Allianz wurde auch die Adelsrepublik eingeladen. Der Sejm, der den Vertrag ratifizieren sollte, wurde aber von den russischen Diplomaten, die mit den preußischen Gesandten eng zusammenarbeiteten, zerrissen. Dies schwächte das Wiener Abkommen, zumal auch England nicht stärker gegen Russland vorgehen wollte.14 Es sei daran erinnert, dass der sächsische Kurprinz Friedrich August 1719 die Tochter Kaiser Josephs I., Maria Josepha (eine Nichte Kaiser Karls VI.), heiratete.15 Die Ehe bewirkte jedoch keine Vertiefung der sächsisch-österreichischen Verbindung, ganz im Gegenteil. Die Phantasie der sächsischen Politiker wurde nämlich von der Hoffnung beflügelt, nach dem Tod Karls VI. für den Kurfürsten die Kaiserkrone zu erlangen. Der Umstand, dass August II. die Pragmatische Sanktion nicht anerkennen wollte und in den 1720er Jahren eine Annäherung an Frankreich anstrebte, brachte erhebliche Risse in die sächsisch-österreichische Freundschaft.16

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Vgl. Benz, Leibniz, 1947. Kosińska, Sejm, 2003. Knöfel, Dynastie, 2009, S. 203–214. Kosińska, August II., 2012; Schilling, Wiener Hof, 1998, S. 120–125.

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In den 1720er Jahren kam es zu einem Durchbruch in den russisch-österreichischen Beziehungen. Am 6. August 1726 schlossen Österreich und Russland in Wien ein Bündnis, das das außenpolitische System der Hofburg für viele Jahrzehnte prägte. Der Vertrag, der sich in erster Linie gegen das Osmanische Reich richtete, sicherte auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit in wichtigen deutschen Fragen. Auf Wunsch Karls VI. wurde in den Vertrag zwar eine Klausel aufgenommen, die eine Möglichkeit vorsah, August II. als König von Polen oder – falls die Adelsrepublik nicht beitreten sollte – als Kurfürsten von Sachsen zu kooptieren. Die Allianz mit dem Zarenreich musste aber zur Anerkennung der russischen Vorherrschaft über die polnisch-litauische Adelsrepublik führen.17 Bereits im April 1726, noch vor der Unterzeichnung des Wiener Vertrags, trat der Kaiserhof auf ausdrückliche Aufforderung Russlands dem schwedisch-russischen Vertrag von 1724 bei, der eine Klausel über die Bewahrung der »Freiheiten des Adels« enthielt.18 Für den Kaiser, der sich um die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion durch die europäischen Mächte bemühte, war die Sicherung der Ostgrenzen des Habsburgerreiches von großer Bedeutung. Karl VI. fiel es umso leichter, den russischen Primat in der Adelsrepublik anzuerkennen.19 Die schwierige internationale Lage Sachsens in den 1720er und frühen 1730er Jahren wird durch die dramatischen Versuche, einen strategischen Partner zu gewinnen, deutlich illustriert. Die Bemühungen der sächsischen Diplomatie, die sich aktiv um Unterstützung in fast ganz Europa bemühte, blieben erfolglos. Als August II. 1733 starb, war Sachsen international isoliert. Schließlich wurde der neue Kurfürst, Friedrich August II., zum König von Polen (als August III.) gewählt. Seine Wahl wurde durch den Willen der russischen Kaiserin Anna entschieden.20 Der sächsische Erfolg war jedoch nur scheinbar. Die Zarin wirkte nämlich gegen die Wahl von Stanisław Leszczyński, dem Schwiegervater Ludwigs XV., der auf Frankreichs diplomatische Unterstützung hätte zählen können. Den neuen König zwang sie, jegliche Reformabsichten in Polen aufzugeben und sich dem russischen Einfluss im

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Martens, Recueil, Bd. 1, 1874, S. 34–44. Ebd., S. 29–32. Leitsch, Wandel, 1958, S. 33–91; Bagger, Russlands alliancepolitik, 1974. Ger’e, Bor’ba, 1862; Beyrich, Kursachsen, 1913, S. 13–41; Kosińska, Portuguese Prince, 2016, S. 497–508; Strohm, Kurländische Frage, 1999, S. 153–176; Dygdała, Politik, 2000, S. 123–143.

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Herzogtum Kurland, das formell ein polnisches Lehen blieb, nicht entgegenzustellen. Für Karl VI., der nicht an ein ernsthafteres Engagement bei der polnischen Wahl denken wollte, kam die Wahl Augusts III. nicht ungelegen. Der Kurfürst-König musste die Pragmatische Sanktion anerkennen, und Sachsen kehrte in die kaiserliche Klientel zurück.21 Im Politischen Testament von 1752 kam Friedrich II. zu dem Schluss, dass August III., als er 1733 die polnische Krone aus russischer Hand angenommen hatte, in eine Falle geraten war. Die enge Verflechtung des Dresdner Hofes mit der russischen Politik war seiner Ansicht nach ein grundlegender Fehler. August III. war somit nicht nur gezwungen, sich auf der internationalen Bühne passiv zu verhalten, sondern er konnte auch nicht darauf hoffen, in der Adelsrepublik unerlässliche Reformen durchzuführen.22 Wie unterschiedlich die politischen Grundsätze Russlands und Österreichs gegenüber Polen in den 1730er Jahren waren, zeigt das Beispiel des Krieges gegen die Hohe Pforte, der 1736 begann und dem Österreich 1737 beitrat. In der im Januar 1737 geschlossenen österreichisch-russischen Konvention wurde die Hoffnung geäußert, dass auch polnische Truppen an den Kriegshandlungen gegen die Pforte teilnehmen würden, oder, falls sich dies als unmöglich erweisen sollte, zumindest sächsische Truppen. Aus russischer Sicht diente der Beitritt von Polen-Litauen zum Krieg lediglich Propagandazwecken, um die Türken davon zu überzeugen, dass sie völlig isoliert waren. In Wien hingegen wurden die auf dem Sejm von 1738 unternommenen Versuche, die polnische Armee zu vergrößern, nicht ablehnend beurteilt. Die Beteiligung der sächsischen Truppen, die mehr als 5.000 Infanteristen zählten und an den Feldzügen gegen die Hohe Pforte teilnahmen, stellte mehr als nur eine symbolische Unterstützung für die österreichische Armee dar.23

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Wenck, Codex, Bd. 1, 1781, S. 708–711; Martens, Supplément, Suppl. Bd. 3, 1807, S. 1–10; Martens, Recueil, Bd. 1, 1874, S. 66–69. »La Saxe suit aveuglement les ordres de la Russie […]. Comme ce Roy devoit sa Couronne a la Czariene, il fut obligé de s’engager qu’il ne contracteroit aucuns engagements sans sa volonté«, Friedrich II., Testament politique (1752), in : Dietrich, Testamente, 1986, S. 342. Martens, Recueil, Bd. 1, 1874, S. 78f.; Konopczyński, Polska a Turcja, 2013, S. 110–133; Zielińska, Rosja, 2000, S. 3–25; Böttcher, Türkenkriege, 2019, S. 204–224.

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Der Österreichische Erbfolgekrieg Aufgrund der strategischen Lage des Kurfürstentums hätte August III. nach dem Tod Karls VI. die Rolle des Züngleins an der Waage spielen können, denn die Neutralität Sachsens war eine potenzielle Gefahr für die beiden rivalisierenden deutschen Mächte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Obwohl Friedrich II. in erster Linie die Eingliederung Schlesiens in die preußische Monarchie anstrebte, die bereits vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und von Friedrich Wilhelm I. erträumt worden war,24 vergaß der König nicht die Ratschläge seiner Vorgänger in Bezug auf Sachsen. Eine Stärkung des Kurfürstentums, so Friedrich II. in einem wenige Tage nach dem Tod Karls VI. verfassten Memorial, widerspreche den Interessen der preußischen Monarchie.25 Diesen Gedanken brachte er einige Tage später noch deutlicher zum Ausdruck: »c’est le droit du jeu de l’écraser [la Saxe], avant qu’elle puisse entreprendre la moindre [chose]«.26 August III., der zunächst auf der Seite der Pragmatischen Koalition stand, entschloss sich unter dem Eindruck der militärischen Erfolge Friedrichs II. zu einer Kehrtwende und verbündete sich 1741 mit den Gegnern Maria Theresias. Die sächsischen Politiker erhofften sich eine territoriale Erweiterung um Mähren, Teile Oberösterreichs und Oberschlesiens, eine ungehinderte Kommunikation mit der Adelsrepublik und die böhmische Königskrone für den Kurfürsten. Friedrich II., der die Neuausrichtung der sächsischen Außenpolitik freudig begrüßte, hatte jedoch keineswegs die Absicht, die politischen und territorialen Ambitionen seines südlichen Nachbarn mit zu verwirklichen: »Tant que je respirera […] je ne souffrirai point qu’on démembre une métairie de Bohême en faveur du Roi saxon«.27 Am Ende fiel die Bilanz für Dresden äußerst ungünstig aus. Obwohl die sächsische Armee Ende November 1741 maßgeblich 24

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Entwurf des Großen Kurfürsten zur Erwerbung von Schlesien, in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 205–210. Vgl. Baumgart, Annexion, 1984, passim; Press, Friedrich der Große, 1997, S. 265. Wenn wir uns nicht beeilen, schrieb der König, »nous ne saurions empêcher la Saxe de s’agrandir, ce qui est cependant entièrement contraire à nos intérêts, et nous n’avons, en ce cas, aucun bon prétexte«; Idées sur les projets politiques à former au sujet de la mort de l’empereur, in : PC 1, S. 92.] Friedrich II. an Heinrich von Podewils, preußischer Staatsminister, Rheinsberg, 7.11.1740, in: PC 1, S. 92. Friedrich II. an Charles Louis Auguste Fouquet de Belle-Isle, Marschall von Frankreich, Berlin, 8.1.1742, in: PC 2, S. 7.

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an der Einnahme Prags beteiligt war, wurden die Früchte ihrer Bemühungen vom Kurfürsten von Bayern geerntet, der als Karl III. die Přemysliden-Krone erhielt. Verlockt durch die Eroberungen in Mähren, gelang es dem Dresdner Hof noch in den ersten Monaten des Jahres 1742 mit erheblichem Aufwand, zusätzliche Korps aufzustellen und sie dem persönlichen Befehl Friedrichs II. zu unterstellen. Der preußische König, dem es nicht gelang, Brünn zu erobern, ließ die sächsischen Soldaten in Mähren zurück, das von den Preußen völlig ausgeplündert worden war. Infolgedessen wurde die Armee Augusts III. von Friedrich II. vernichtet, und in dem in Breslau geschlossenen und später in Berlin bestätigten Frieden, in dem Österreich auf Schlesien verzichtete (1742), erhielt das Kurfürstentum die gewünschten Gebietsgewinne auf Kosten der Wenzelskrone nicht. Dies bedingte eine erneute Annäherung Dresdens an den Kaiserhof. Die neue Orientierung des Dresdner Hofes spiegelte sich in den Allianzen mit Österreich (vom 20. Dezember 1743) und Russland (vom 24. Januar/4. Februar 1744) wider, die gegen den Berliner Hof gerichtet waren. Sowohl der österreichisch-sächsische als auch der russisch-sächsische Vertrag sahen die Möglichkeit einer Teilnahme Polen-Litauens an einem Krieg gegen Frankreich und Preußen vor. August III. verpflichtete sich jedoch dazu, dass ein möglicher Beitritt der Adelsrepublik zur Pragmatischen Koalition keine politischen Reformen und Einschränkungen der »Freiheiten des Adels« mit sich bringen würde. Als Friedrich II. im August 1744 durch Sachsen in Böhmen einrückte und den Zweiten Schlesischen Krieg auslöste, hielt August III. treu zu Maria Theresia. Der König-Kurfürst lehnte jegliche Vorschläge ab, nach dem Tod Karls VII. Anfang 1745 die Kaiserkrone zu beanspruchen. Trotz der beachtlichen Erfolge der österreichischen und sächsischen Armeen, die den Kampf um Schlesien aufnahmen, gelang es dem preußischen König, die Verteidigungslinien der Koalition zu durchbrechen, in das Kurfürstentum einzudringen und dessen Hauptstadt einzunehmen. Der Frieden von Dresden, der Ende Dezember 1745 unter dem Einfluss der militärischen Siege des preußischen Königs geschlossen wurde, bestätigte die früheren Bestimmungen des Friedens von Breslau-Berlin. Die Folgen des Krieges waren für die sächsischen Städte, die heimischen Manufakturen und die Landwirtschaft besonders schmerzhaft. Die kurfürstliche Armee, die seit Ende der 1720er Jahre unter erheblichen Opfern aufgebaut worden war, wurde schwer geschädigt, die Staatskasse hatte noch jahrzehntelang hohe Kriegstribute an

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den Berliner Hof zu zahlen.28 Mit einem gewissen Abstand zu den Grundsätzen der sächsischen Außenpolitik zur Zeit des Zweiten Schlesischen Krieges schrieb Friedrich II. im Frühjahr 1746 : »On y voit un fonds de présomption qui a donné lieu à toutes les fausses démarches de cette cour, des plans faits sans compter sur ce que les ennemis peuvent y opposer, changés avec légèreté; aucune fermeté dans les résolutions; de la faiblesse dans l’exécution, et, en un mot, une rage envenimée […] contre les Prussiens.«29 Diese Bemerkung war nicht nur Ausdruck der Haltung des preußischen Königs zur sächsischen Politik, sondern hatte eine ernstere Bedeutung: Der Berliner Hof unternahm eine groß angelegte Diffamierungsaktion, vor allem in Versailles, um die europäischen Höfe davon zu überzeugen, dass August III. ein schwacher und unzuverlässiger Partner sei.30 Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg, der schließlich mit dem Frieden von Aachen (1748) endete, wurde Preußen endgültig zu einer Großmacht. Dies verhieß nichts Gutes für die sächsischen Angelegenheiten. Im Politischen Testament von 1752 empfahl Friedrich II. der Aufmerksamkeit seines Nachfolgers : »De toutes les provinces de l’Europe il n’en est aucune qui conviennent mieux à l’État que la Saxe, la Prusse polonaise et la Pomeranie suédoise, a cause que toutes trois l’arrondissent«.31 Aus der Sicht des Berliner Hofes blieb Sachsen somit Mitte des 18. Jahrhunderts das Gebiet für potenzielle territoriale Erweiterungen. Der Österreichische Erbfolgekrieg war für die Stellung Österreichs in den europäischen Mächteverhältnissen von grundlegender Bedeutung. Maria Theresia verlor Niederschlesien und einen großen Teil Oberschlesiens, und die Hohenzollernmonarchie wurde zum Erbfeind Wiens erklärt. Die Rückgewinnung der verlorenen Provinz wurde seither zum Grundprinzip der österreichischen Außenpolitik. Die österreichischen Staatsmänner waren davon überzeugt, dass dieses Ziel nur mit Russlands Hilfe erreicht werden könnte. Die Hoffnungen auf die Unterstützung durch das Zarenreich waren so groß, dass man in der Hofburg schnell vergaß, dass Russland Maria Theresia im Ersten Schlesischen Krieg nicht unterstützt hatte, obwohl es durch das Bündnis von

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Koser, Geschichte, Bd. 1, 1912, S. 265–538; Hübner, Geschichte, 1892; Becker, Dresdner Friede, 1902, S. 38–45; Ziekursch, Sachsen, 1904; Odernheimer, Legationsrat, 1925, S. 80–86; Hanke, Brühl, 2006, S. 31–194. Friedrich II. an Podewils, Potsdam, 24.4.1746, in: PC 5, S. 70. Friedrich II. an Joachim Wilhelm von Klinggräffen, preußischer Gesandter in Dresden, Berlin, 7.1.1747, in: Ebd., S. 283–285. Friedrich II., Testament politique (1752), in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 368.

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1726 dazu verpflichtet gewesen wäre, und den Besitz Schlesiens durch Preußen bereits 1743 anerkannt hatte. Zudem kam es weder Österreich noch Sachsen während des Zweiten Schlesischen Krieges (1744–1745) zu Hilfe. Dennoch erneuerte Österreich im Juli 1746 das Bündnis mit Russland. Auf die österreichisch-sächsischen Beziehungen hatte es kaum Einfluss. August III. blieb als Kurfürst von Sachsen ein wichtiger Partner für Österreich, auch wenn Sachsen, zerstört durch die Schlesischen Kriege, nicht mehr seinen früheren militärischen Wert besaß. Die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Dresdner Hof war für den Kaiserhof wichtig, um die Zersetzung der antipreußischen Koalition im Reich zu verhindern. Auch Sachsens strategische Lage, die eine Rolle bei der Rückgewinnung Schlesiens spielen könnte, war nicht unwichtig. Auf eine andere Art und Weise entwickelte sich die Polenpolitik der Hofburg. In den Jahren 1738–1748 versuchte August III. trotz seiner vertraglichen Verpflichtungen, die er vor und während des Österreichischen Erbfolgekriegs erneuert hatte, politische, steuerliche und militärische Reformen in Polen durchzuführen. An der Donau erhob sich kein Protest gegen diese Absichten, denn sie boten eine Möglichkeit, die antipreußische Koalition zu stärken. In einem künftigen Krieg gegen den Berliner Hof könnte Polen, auch um seiner selbst willen, ein wichtiger Verbündeter werden. Das Scheitern der Reformpläne in den Jahren 1738, 1744, 1746 und vor allem 1748 führte dazu, dass man in Wien den Glauben an die Möglichkeit einer Wiederbelebung der Adelsrepublik endgültig verlor. In der Hofburg war man sich darüber im Klaren, dass Russland gegen politische Reformen und eine Vergrößerung der polnischen Armee war. In Wien erkannte man auch, dass in der polnischen Frage die Ziele Preußens und Russlands weitgehend deckungsgleich waren: Beide Höfe wollten die Adelsrepublik schwach halten.32 Die Veränderung der österreichischen Polenpolitik lässt sich am besten anhand der Ergebnisse einer Umfrage veranschaulichen, die im Frühjahr 1749 unter den Mitgliedern des österreichischen Ministeriums durchgeführt wurde. In Bezug auf Polen fasste Johann Christoph von Bartenstein die Ausführungen der Minister folgendermaßen zusammen: Österreichs Ziel sollte es sein, »Bestrebungen auf Veränderung der Verfassung der Republik Polen in Gemeinschaft mit dem russischen Hof entgegenzutreten«.33 Maria Theresia musste nicht nur Desinteresse gegenüber Polen-Litauen zeigen, sondern auch die russischen Staatsmänner davon überzeugen, dass Wien bereit war, sich mit Russland 32 33

Konopczyński, Sejm, 1911; Zielińska, Walka, 1983; dies., Rosja, 2001. Beer, Aufzeichnungen, 1871, S. XXXI.

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allen Reformversuchen in Polen zu widersetzen. Der Kaiserhof übernahm den russischen Standpunkt und akzeptierte den Status von Polen als Protektorat des Zarenreiches – all dies, um sich Russlands Unterstützung in einem künftigen Krieg gegen Preußen zu sichern. Unter diesen Voraussetzungen war es eine natürliche Konsequenz, dass Österreich dem um die Jahreswende 1750/51 vorgebrachten Projekt, den sächsischen Prinzen Franz Xaver mit einer österreichischen Erzherzogin zu verheiraten und ihm vivente rege die Königskrone in der Adelsrepublik zu verschaffen, ablehnend gegenüberstand.34

Der Siebenjährige Krieg Die richtige Hekatombe sollte noch auf Sachsen fallen. Dies geschah Ende August 1756 mit dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges. Die preußische Armee rückte ohne formelle Kriegserklärung in Sachsen ein und führte sofort in den besetzten Gebieten ein hartes Besatzungsregime ein. Die Ausplünderungspolitik der preußischen Armee, die bis 1763 in Sachsen stationiert war, führte das Land in den Ruin. Die Bevölkerung wurde durch hohe Kontributionen, Kriegssteuern und Requisitionen geschwächt. Die Bevölkerungszahl sank um beinahe 10 %, zum Teil bedingt durch die gewaltsame Rekrutierung nahezu sämtlicher sächsischer Soldaten für preußische Dienste. Das Leeren der Staatskasse sowie die Übernahme der Münzstempel durch Preußen bedeuteten enorme finanzielle Einbußen. Der Gesamtbetrag der Besatzungskosten wurde auf 250 bis 300 Millionen Taler geschätzt, was fast das Dreißigfache der jährlichen Einnahmen Kursachsens darstellte. Es wird angenommen, dass die sächsische Staatskasse ein Drittel der Kriegsausgaben des preußischen Königs während des Siebenjährigen Krieges deckte.35 Trotz der überaus schwierigen Lage des Kurfürstentums gab es für August III., der während des Siebenjährigen Krieges mit seinen engsten Beratern in Warschau residierte, auch Anlass zur Hoffnung. Schließlich war Sachsen Mitglied einer Koalition, in der Österreich, Frankreich, Russland und Schweden gemeinsam gegen Preußen kämpften. Für die Bündnispartner war die La-

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Konopczyński, Sejm, 1911, S. 54f., 65f. Koser, Finanzen, 1900, S. 153–217, 329–375; Göhler, Studien, 1908, S. 118–149; Blaschke, Bevölkerungsgeschichte, 1967, S. 126; Salisch, Deserteure, 2009, S. 272; Loehr, Finanzierung, 1925, S. 95–101; Kroener, Grundlagen, 1989, S. 76; Hanke, Brühl, 2006, S. 255–322; Luh, Sachsens Bedeutung, 2001, S. 29; Metasch, Münzwesen, 2014, S. 280–285.

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ge des Kurfürstentums, das die habsburgischen Erblande zum Teil gegen Preußen abschirmte und gleichzeitig einen Rückzugsraum bot, der Militäroperationen in Brandenburg und Schlesien erleichterte, von entscheidender Bedeutung.36 Sachsen hoffte, seine Position in Europa wiederherstellen zu können, die Union mit der polnischen Rzeczpospolita über den Tod Augusts III. hinaus zu verlängern und Gebiete im Reich als Entschädigung für die während des Krieges erlittenen Verluste zu erhalten. Das Scheitern der sächsischen Pläne war größtenteils auf Ereignisse in Russland zurückzuführen. Nach dem Tod Kaiserin Elisabeths Anfang 1762 richtete ihr Nachfolger Peter III. die russische Außenpolitik neu aus und strebte eine Annäherung an Preußen an. Frankreich erlitt jenseits des Ozeans eine Niederlage, und Österreich war allein nicht imstande, der preußischen Armee Widerstand zu leisten, der es letzten Endes gelang, Schlesien zu halten. Leere Staatskassen, fehlende Perspektiven, die preußische Hydra endgültig zu besiegen, und schließlich der allgemeine Wunsch nach Frieden sorgten dafür, dass an der Wiener Hofburg und in Versailles niemand bereit war, für die politischen Ambitionen Sachsens ein zusätzliches Opfer zu erbringen.37 Die sächsischen Politiker waren jedoch weiterhin von der wichtigen Rolle des Dresdner Hofes auf der politischen Karte Europas überzeugt. Dies war jedoch nicht der Fall. Wie Friedrich II. im August 1762 zu Recht konstatierte : »Il est étonnant que cette cour ne sache jamais revenir de son illu-

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Entsprechende Deklarationen enthielt bereits das österreichisch-russische Bündnis von 1746. Ein Novum war allerdings, dass Sachsen sich jetzt auch Hilfe von Frankreich erhoffen durfte. Die Frage wurde im 3. Artikel des österreichisch-russischen Bündnisses vom 22. Januar/2. Februar 1757 behandelt. Grundlegende Bedeutung hatte der österreichisch-französische Vertrag vom Dezember 1758, dem Russland im März 1760 beigetreten war. Darin wurde den Wettinern Unterstützung bei ihren Bemühungen um die polnische Krone nach dem Tod Augusts III. zugesichert. Und obwohl die Verpflichtung recht allgemein gehalten und zudem an die Bedingung geknüpft war, dass die Bündnispartner nichts unternehmen würden, was dem Grundsatz einer freien Wahl widersprechen würde, machte der Vertrag im sächsischen Ministerium Hoffnung, eine Verlängerung der Union mit der polnischen Rzeczpospolita erreichen zu können; vgl. den 20. Artikel der russischen Beitrittserklärung zum österreichisch-französischen Bündnis vom 30. Dezember 1758/18. März 1760; Martens, Recueil, Bd. 1, 1874, S. 243. Herrmann, Andeutungen, 1881, S. 1–60; ders., Beziehungen, 1881. Die Grundzüge der russischen Politik im Zusammenhang mit dem Interregnum nach dem Tod Augusts III. erörtert Zofia Zielińska, Polska w okowach, S. 47–50.

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sion, malgré de ce qu’elle en a déjà expérimenté, comme si ses affaires faisaient l’objet principal de toutes les cours étrangères.«38 In Hubertusburg, im geplünderten Jagdschloss Augusts III., wurde im Februar 1763 der Friedensvertrag unterzeichnet, der jedoch dem durch den jahrelangen Krieg und die militärische Besatzung belasteten Kurfürstentum keine Erleichterung brachte. Nur der neuen russischen Zarin Katharina II. war es zu verdanken, dass das Kurfürstentum vor der Teilung bewahrt wurde. Auf die nachdrückliche Forderung Russlands hin musste der preußische König seine Armeen aus Sachsen abziehen, obwohl er ursprünglich vorhatte, einige Territorien für sich zu behalten.39 Der Dresdner Hof wurde für seine Kriegsverluste nicht entschädigt, was die Beziehungen des Kurfürstentums zu den westlichen Alliierten, insbesondere Österreich, belastete. Obwohl der Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz den Standpunkt vertrat, »dass wir uns für ChurSachsen […] mehr als vor unser eigenes Interesse verwendet [haben]«40 , war die Wahrheit anders: Die österreichischen Diplomaten in Hubertusburg waren in erster Linie mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

Nach der sächsisch-polnischen Union Der Dresdner Hof nach dem Tod Augusts III. (1763), wie Hamish M. Scott treffend bemerkte, »was to be a pawn in the relations of the great powers«.41 Dieses Problem illustrieren am besten die Bemühungen des Dresdner Hofs, die Union Sachsens mit der polnischen Rzeczpospolita zu verlängern.42 Die Versuche, eine Unterstützung für die sächsische Kandidatur in Polen zu gewinnen, zunächst für den neuen Kurfürsten Friedrich Christian und nach dessen frühem Tod Ende 1763 für einen seiner jüngeren Brüder, blieben erfolglos. Diese

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Friedrich II. an Gedeon de Benoît, preußischer Legationssekretär in Warschau, Peterswaldau, 30.8.1762, in: PC 22, S. 182. Die diplomatischen Initiativen Sachsens bei den Hubertusburger Friedensverhandlungen sind bisher nicht Gegenstand der Forschung gewesen. Vgl. Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte, S. 101–106. Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg an Franz Joseph von Wurmbrand, österreichischer bevollmächtigter Minister in Dresden, Wien, 30.6.1765; HHStA Wien, Staatskanzlei, Instruktionen 10. Scott, Emergence, 2001, S. 112. Ausführlicher über die Situation Sachsens nach dem Siebenjährigen Krieg: Kordel, Außenpolitik, 2020, S. 151–185 (dort wird auch der Forschungsstand erörtert).

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Enttäuschung muss umso größer gewesen sein, als, wie Friedrich II. schrieb : »Ces gens-là se sont fait l’illusion de se flatter que toutes les puissances lèveraient l’étendard pour placer un prince saxon sur le trône de Pologne.«43 Friedrich Christian und Maria Antonia zählten unter anderem auf die Hilfe Friedrichs II, der die russische Zarin gegenüber der sächsischen Kandidatur positiv beeinflussen sollte. Dies stand freilich im Widerspruch zu den Interessen des preußischen Königs, der keinen Grund hatte, die Ambitionen des Hauses Wettin zu unterstützen. Außerdem sah die russische Kaiserin Katharina II., mit der Friedrich II. ein Bündnis anstrebte, ihren ehemaligen Geliebten und sächsischen Gesandten in St. Petersburg, Stanisław Antoni Poniatowski, auf dem polnischen Thron. Friedrich II. informierte Maria Antonia direkt über die mangelnden Chancen für die sächsische Kandidatur.44 Auch Maria Theresia, die mit der sächsischen Kandidatur sympathisierte, hatte nicht die Absicht, dem Dresdner Hof zu helfen. Die Wiener Hofburg, die große demografische und wirtschaftliche Verluste erlitten hatte, musste ihre Kräfte wieder aufbauen.45 Der Kaiserhof blieb fast völlig passiv, obwohl er gleichzeitig versuchte den Eindruck zu erwecken, dass er in der Lage sei, eine unabhängige Polenpolitik zu betreiben und auf diese Weise Katharina II. an der Verwirklichung ihrer politischen Pläne an der Weichsel zu hindern. So gab es in Wien keine Pläne, die Bemühungen des neuen Kurfürsten von Sachsen, Friedrich Christian, um die polnische Krone zu unterstützen, und doch drängte Staatskanzler Kaunitz die sächsischen Politiker nicht zum Rückzug aus dem Wahlkampf. In Dresden hätte sogar der Eindruck entstehen können, dass Österreich tatsächlich den sächsischen Kandidaten unterstützen würde.46 Abgesehen von der Schwäche, die aus den Verlusten des Siebenjährigen Krieges resultierte, war die Passivität der Wiener Hofburg auch von der Rücksicht auf Russland diktiert. In Wien war man sich bewusst, dass in Fragen des polnischen Interregnums der Wille der Zarin entscheidend sein würde. Ungeachtet der russisch-preußischen Annäherung, die an der Donau aufmerksam verfolgt wurde, hofften die österreichischen Staatsmänner, dass Katharina II. in

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Friedrich II. an Adolf Friedrich von Buch, preußischer außerordentlicher Gesandter in Dresden, Potsdam, 9.4.1764, in: PC 23, S. 325. »Je ne vois pas par quelle voie l’Électeur pourra parvenir au trône de Pologne«, Friedrich II. an Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen, Potsdam, 3.11.1763, in : PC 23, S. 170. Vgl. Dickson, Finance, 1987. Beer, Theilung, Bd. 1, 1873, S. 88–91.

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der Zukunft das Bündnis mit der Hohenzollernmonarchie aufgeben und zur Idee der Zusammenarbeit zwischen den Kaiserhöfen zurückkehren würde. Obwohl Friedrich II. betonte, dass Sachsen ein unbedeutender Staat sei, achtete er sehr auf dessen internationale Isolierung und versuchte, jegliche Projekte zur Stärkung der sächsisch-russischen Beziehungen zu konterkarieren. Als 1766 russische Politiker dem preußischen König zu verstehen gaben, dass Katharina II. die Möglichkeit erwäge, Sachsen in das »nördliche System« einzugliedern, protestierte er energisch und tat alles, um die Zarin davon zu überzeugen, dass Dresden durch ein dauerhaftes Bündnis mit Versailles und Wien gebunden sei. Außerdem, so schrieb er an die Zarin, könne das stark geschwächte Kurfürstentum keine bedeutende Rolle im internationalen Kräfteverhältnis spielen: »il n’y aurait rien à gagner par le peu de poids que la Saxe peut mettre dans la balance des pouvoirs.«47 Als zwei Jahre später der sächsische Abgeordnete an der Newa, Karl von der Osten-Sacken, der für seine prorussische Haltung bekannt war, zum sächsischen Kabinettsminister ernannt wurde, erschrak Friedrich II. über die Möglichkeit einer russisch-sächsischen Annäherung. Er belehrte seinen Gesandten in Petersburg über die grundlegenden Widersprüche zwischen den preußischen und den sächsischen Interessen.48 Der preußische Diplomat sollte den russischen Ministern erklären, dass jeder Versuch, ein Bündnis mit dem Dresdner Hof zu schließen, zum Bruch des russisch-preußischen Bündnisses führen würde: »Point de Saxons, ou je regarde notre alliance dès ce moment comme rompue! Ce sont des paroles sacramentales.«49 Der preußische König mag befürchtet haben, dass eine mögliche sächsisch-russische Annäherung den Petersburger Hof langfristig an Österreich heranführen und das Bündnis der Kaiserhöfe erneuern könnte. Möglicherweise war er auch darüber besorgt, dass er seine Position als einziger russischer Verbündeter im Reich verlieren würde. Er könnte auch gedacht haben, dass eine russisch-sächsische Allianz eine Stärkung Sachsens bedeuten würde und unter Umständen zu einer Erneuerung der polnisch-sächsischen Union führen könnte. Dies würde natürlich eine mögliche territoriale Annexion auf Kosten der Adelsrepublik erheblich erschweren. Friedrich II. hätte sei-

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Friedrich II. an Katharina II., Charlottenburg, 24.5.1766, in: PC 25, S. 118. »L’expérience du passé m’avait appris que mes intérêts ne sauraient être conciliés avec ceux de cette cour«, Friedrich II. an Victor Friedrich von Solms, preußischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Petersburg, Potsdam, 24.4.1768, in: PC 27, S. 141. Ebd.

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nen territorialen Ehrgeiz nicht nur auf Polen, sondern auch auf Sachsen zügeln müssen, und doch, wie er im Politischen Testament von 1768 schrieb : »Si je ne consulte que le droit de bienséance, je trouve que le pays qui nous convient le mieux, c’est la Saxe : il nous arrondirait, il couvrirait la capitale contre les incursions des Autrichiens. Il est déjà lié avec notre commerce et procurerait, s’il nous étoient joint, les plus grands avantages à l’État.«50 Der Dresdner Hof hatte viele Schwierigkeiten durch die merkantilistische Politik seiner Nachbarn.51 Hohe österreichische und preußische Schutzzölle und das Einfuhrverbot für viele sächsische Waren verhinderten die Wiederaufnahme früherer Handelskontakte nach dem Siebenjährigen Krieg. Dies behinderte die Entwicklung der Manufakturen, verzögerte die Sanierung der Staatsfinanzen und die Erholung der sächsischen Wirtschaft von den Kriegszerstörungen.52 Die Wiener Hofburg unterstützte bis zu einem gewissen Grad die sächsische Kirchenpolitik. Mit der Hilfe Maria Theresias wurde der jüngste Sohn Augusts III., Clemens Wenzeslaus, im November 1764 zum Koadjutor des Bischofs von Augsburg gewählt. Seit Anfang 1766 setzte sich die französische, bayerische, pfälzische, sächsische und – gegen den Widerstand Josephs II. – österreichische Diplomatie für die Wahl des sächsischen Prinzen ein.53 Auch die finanzielle Unterstützung durch den spanischen Hof spielte eine wichtige Rolle. Maria Theresia und Maria Antonia waren persönlich an den Bemühungen Clemens Wenzeslaus’ um den Trierer Bischofsstuhl beteiligt, die mit der Wahl des Fürsten im Februar 1768 endeten. Die Ansprüche der sächsischen Kurfürsten-Witwe, die den sächsischen Einfluss in der Reichskirche ausbauen und ihrem jüngeren Sohn, Prinz Anton (dem späteren König von Sachsen), lukrative Kirchenpfründen sichern wollte, entzweiten schließlich Maria Theresia und Maria Antonia.54 Trotz der fehlenden Unterstützung für die kirchlichen 50 51

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Friedrich II., Testament politique (1752), in: Dietrich, Testamente, 1986, S. 658. Wie Friedrich II. im Herbst 1764 treffend feststellte, hatte der Dresdner Hof »aucune autre cour alliée hormis celle de Vienne, quoique encore celle-ci lui en coûte assez cher, parce qu’elle emploie tout moyen possible pour ruiner ou affaiblir considérablement son commerce, et peut-être par d’autres déboires«, Friedrich II. an Legationsrat Buch, Potsdam, 1.10.1764, in : PC 24, S. 1. Kordel, Außenpolitik, 2020, S. 172–179. Siehe dazu auch den Beitrag von Bettina Braun in diesem Band. Die wichtigste Arbeit zu diesem Thema ist die Studie von Raab, Clemens Wenzeslaus, 1962. Weitere wichtige Werke sind: Ders., Kursächsische Absichten, 1958; ders., Kurfürst, 1962; ders., Romreise, 1977. Dass sich die beiden Herrscherinnen voneinander

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Pläne des Hauses Wettin durch die Wiener Hofburg unterhielt Clemens Wenzeslaus freundschaftliche Beziehungen zu seinen österreichischen Verwandten und weihte Erzherzog Maximilian Franz 1785 zum Bischof.55 Für die sächsisch-österreichischen Beziehungen war dies jedoch unerheblich. Auch die sächsisch-österreichischen dynastischen Verbindungen sollen erwähnt werden. 1766 heiratete Albert Casimir, Sohn Augusts III., Maria Christina, die Lieblingstochter Maria Theresias. Die Heirat führte jedoch nicht zu einer engeren politischen Bindung zwischen Dresden und Wien. Stattdessen trugen die Bemühungen, eine weitere sächsisch-österreichische Ehe zu schließen, zu einer Krise in den gegenseitigen Beziehungen bei. Bereits im November 1763, während der Krankheit Isabellas von Bourbon-Parma, der Gemahlin Josephs II., schlug die sächsische Kurfürstin Maria Antonia in ihrer Korrespondenz mit Maria Theresia ihre Schwägerin Maria Kunigunde als Ehefrau für Joseph II. nach dem absehbaren Tod seiner Frau vor. Das im September 1764 arrangierte Treffen zwischen dem zukünftigen Kaiser und der Prinzessin verlief nicht gut, und Joseph II. entschied sich für die Heirat mit der Schwester des bayerischen Kurfürsten Maximilians III. Joseph, Maria Josepha.56 Maria Theresia wollte Maria Kunigunde für die Enttäuschung über das nicht verwirklichte Heiratsprojekt entschädigen und bot ihr noch Ende 1764 eine Kirchenpfründe in Prag an. In Dresden wurde dieses Angebot abgelehnt, weil die Pfründe der böhmischen Krone unterstellt war. Für Maria Kunigunde wollte man ein reichsunmittelbares Stift finden. Die Wahl fiel auf die Fürstabteien Essen und Thorn. Die Prinzessin konnte auf die diplomatische und finanzielle Unterstützung Maria Theresias zählen, die trotz der Missbilligung Josephs II. der sächsischen Partei versicherte, dass sie bereit sei, die Wahlkosten zu übernehmen. Im Februar 1775 wurde Maria Kunigunde

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entfernten, zeigt die Tatsache, dass 1771 der Briefwechsel, den Maria Antonia und Maria Theresia viele Jahre lang regelmäßig gepflegt hatten, schließlich eingestellt wurde; Lippert, Briefwechsel, 1908. Braun, Princeps, 2013, S. 281. Knöfel, Dynastie, 2009, S. 241–262. Die Frage nach dem politischen Engagement Albert Casimirs im Rahmen der sächsisch-österreichischen Beziehungen ist noch immer ein Forschungsdesiderat. Interessante Schlüsse könnte eine Analyse des Tagebuchs des Herzogs ermöglichen, das im Ungarischen Nationalarchiv in Budapest aufbewahrt wird (Magyar Nemzeti Levéltár, Budapest, Országos Levéltár, P298, Albert herceg, A.II.12/1.-4., Albert herceg francia nyelvű önéletírása, Bd. 1–4).

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schließlich zur Koadjutorin der Fürstabteien Essen und Thorn gewählt, wobei die Wahl durch den Dresdner Hof finanziert wurde.57

Das sächsische »Renversement des alliances« Gleichzeitig wuchs an der Donau das Misstrauen gegenüber dem einstigen Verbündeten, den man zunehmend als undankbaren Schützling wahrnahm. Im Juni 1765 schrieb Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz in einer Instruktion für Franz Joseph von Wurmbrand, den österreichischen Gesandten in Sachsen: »Wir haben […] auf das eifrigste […] ganz allein für Chur Sachsen am Laden gelegt, mithin in Ansehung dieses Hofes alles geschehen ist, was nur immer von der Aufmerksamkeit eines wahren Freundes, welcher zu nichts durch Tractaten verbunden war, mit Billigkeit angehoffet werden können, so haben wir uns doch keiner vollkommenen Zurückgabe des ernannten Hofes zu berühmen.«58 Man machte den sächsischen Hof, der das Direktorium in Evangelicis ausübte, dafür verantwortlich, dass zahlreiche Sachverhalte, die keinen religiösen Bezug hatten, auf dem Reichstag unter konfessionellen Gesichtspunkten erörtert wurden.59 Die Schuld für die sich verschlechternden Beziehungen schob man den Protestanten zu, die am Dresdner Hof die höchsten Ämter bekleideten. Selbst wenn der Kurfürst die Absicht gehabt hätte, sich den Habsburgern zu nähern, davon war man in Wien überzeugt, wäre dieser Plan von der protestantischen Fraktion vereitelt worden.60 Auch andere Probleme trübten die

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Schroeder, Wahl, 1906, S. 551–560, 729–738; ders., Maria Kunigunde, 1907, S. 3–11; Ascherfeld, Maria Kunigunde, 1930, S. 16–31. Wenzel Anton von Kaunitz an Franz Joseph von Wurmbrand, 30.6.1765; HHStA Wien, Staatskanzlei, Instruktionen 10. Franz Stephan und Maria Theresia (verfasst von Reichsvizekanzler Rudolph Joseph Reichsfürst von Colloredo-Waldsee) an Franz Joseph von Wurmbrand, Wien, 30.6.1765; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 18, fol. 313v. Reichsvizekanzler Rudolph Joseph Reichsfürst von Colloredo an Franz von Sternberg, österreichischer bevollmächtigter Minister in Dresden, Wien, 22.2.1764; HHStA Wien, Reichskanzlei, Dresden, Weisungen 2b; Joseph II. (Colloredo) an Philipp Franz Knebel von Katzenelnbogen, österreichischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Dresden, Wien, 27.4.1771; HHStA W, RK, Instruktionen 7, fol. 4v-5r; Wenzel Anton von Kaunitz an Philipp Franz Knebel von Katzenelnbogen, Wien, 7.10.1774, ebd., fol. 22v-24v.

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sächsisch-österreichischen Beziehungen. An der Donau konnte man nicht vergessen, dass Sachsen 1771, als der Kaiserhof beim Kurfürstenkollegium um die Zustimmung für die Investitur Ferdinand Karl Antons, des vierten Sohns von Maria Theresia und Franz Stephan und Schwiegersohns von Ercole III. d’Este, mit dem Herzogtum Modena warb, zurückhaltend geblieben war.61 Österreichische Politiker vertraten die Ansicht, dass die habsburgischen Diplomaten am Dresdner Hof nicht angemessen behandelt würden, man ihnen nicht den gebührenden Respekt entgegenbringe.62 Außerdem warf man dem sächsischen Ministerium vor, auf kurfürstlichem Gebiet festgenommene Deserteure aus den kaiserlichen Truppen nicht an Österreich auszuliefern und von der habsburgischen Gesandtschaft reklamierte konsularische Angelegenheiten häufig zu ignorieren.63 Nach Ansicht des österreichischen Staatskanzlers Wenzel Anton Reichsfürst von Kaunitz-Rietberg durfte man von der sächsischen Seite kein Wohlwollen erwarten. In einer Instruktion an den österreichischen Gesandten an der Elbe schrieb er im Oktober 1774: »Die täglichen Beispiele liegen vor Augen, dass den Absichten des kaiserlichen Hofes […] vorzüglich von dem chursächsischen Hofe alle mögliche Hindernisse in Wege gelegt werden.«64 In der zweiten Hälfte der 1770er Jahre befanden sich das Kurfürstentum und der Kaiserhof in einem doppelten Konflikt: Zum einen ging es hierbei um den scheinbar unbedeutenden Streit um die Landes- und Lehnshoheit über

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»Der dortige Hof hat sich durch dieses Betragen weder einer bereitwilligen Gefälligkeit, noch Verdienstes zu rühmen«, Wenzel Anton von Kaunitz an Philipp Franz Knebel von Katzenelnbogen, Wien, 27.4.1771, HHStA Wien, Staatskanzlei, Instruktionen 6, fol. 125r-125v. Franz Stephan und Maria Theresia (Colloredo) an Wurmbrand, Wien, 30.6.1765; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 18, fol. 315v-323r. Ebd., fol. 324r-335r. Kaunitz an Wurmbrand, Wien, 13.1., 5.3., 13.4., 4.8.1770; HHStA Wien, Staatskanzlei, Sachsen 17, fol. 3r-v, 8r-v, 12r-v, 28r-29r. Wurmbrand an Kaunitz, Dresden, 8., 30.4.1770, ebd., fol. 349r-350v, fol. 25r-26v. Joseph II. (Colloredo) an Philipp Franz Knebel von Katzenelnbogen, Wien, 27.4.1771; HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 7, fol. 16r-17r; Kaunitz an Joseph Piller, Sekretär der österreichischen Gesandtschaft in Dresden, Wien, 22.6.1771; HHStA Wien, Staatskanzlei, Sachsen 18, fol. 33r-34r. Kaunitz an Knebel, Wien, 7.10.1774, HHStA Wien, Reichskanzlei, Instruktionen 7, fol. 21r. In ähnlicher Weise äußerte sich Kaunitz in zahlreichen Instruktionen an andere österreichische Gesandten, vgl. eine Anweisung an Joseph Kaunitz, Wien, 18.4.1777, in: Winter, Grundlinien, 1959, S. 107.

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die am Fuße des Erzgebirges gelegenen Schönburgischen Herrschaften,65 zum anderen um die Bemühungen Sachsens, sich einen Anteil am Erbe des kinderlos gebliebenen bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph zu sichern.66 In beiden Fällen war eine Konfrontation mit der Habsburgermonarchie unausweichlich. Die von Wien unternommenen Schritte, um das habsburgische Erbe zu integrieren, zu konsolidieren und die jahrzehntelang strittigen oberlehnsherrlichen Rechte des Kaiserhofs zu stärken, bargen für den sächsischen Kurfürsten beträchtliche Gefahren. Der bis ins Spätmittelalter zurückreichende Konflikt um die Schönburgischen Herrschaften zwischen Sachsen und der böhmischen Krone (und folglich der Wiener Hofburg) verschärfte sich im 18. Jahrhundert. Unter August II. und August III. nutzte der sächsische Hof die wachsenden finanziellen Schwierigkeiten der Schönburger aus und forderte, die sächsische Landeshoheit über die schönburgischen Gebiete anzuerkennen. 1740 wurden zwischen Sachsen und Schönburg zwei Rezesse geschlossen: August III. erkannte darin die persönliche Reichsunmittelbarkeit der Grafen von Schönburg an, während ihre Herrschaften dieses Privileg verloren. Die Landeshoheit wurde in den Rezessen dem sächsischen Kurfürsten zugesprochen. Das Kurfürstentum verfuhr im Übrigen mit anderen Herrschaften in dieser Zeit ähnlich, z.B. mit Stolberg-Stolberg (1738) oder Stolberg-Roßla (1740).67 In den 1760er Jahren erinnerte man sich in Wien an die Rechtstitel der böhmischen Krone über die Schönburgischen Herrschaften. Zugleich erbte der hoch verschuldete Graf Albert Christian Ernst, ehemals in preußischen Diensten, das Schloss Hinterglauchau, Hauptort der Schönburgischen Herrschaften. Er beabsichtigte, den seit langem bestehenden sächsisch-österreichischen Streit um die Schönburgischen Herrschaften auszunutzen. Er hoffte, dass er sich mit Hilfe des Kaiserhofes aus der Abhängigkeit vom sächsischen Kurfürsten befreien könne und dass seine habsburgischen Patrone zumindest einen Teil seiner Schulden übernehmen würden. Zudem war Albert Christians Tochter mit dem Sohn des preußischen Kabinettsministers

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Ausführliche Darstellung des Konflikts um die Schönburgischen Herrschaften und Erörterung des Forschungsstandes: Kordel, Sachsen, 2021. Analyse der sächsischen Politik in der bayerischen Erbfolgesache und Übersicht über die Forschung: Kordel, Bemühungen, 2018. Zu den wichtigsten Veröffentlichungen zur Geschichte der Schönburgischen Herrschaften gehören die Arbeiten von Walter Schlesinger: Ders., Die Schönburgischen Lande, 1935; ders., Landesherrschaft, 1954.

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Karl Wilhelm Finck von Finckenstein verheiratet, der zu den engsten Beratern des preußischen Königs Friedrich II. zählte. Wahrscheinlich ohne die weitreichenden Folgen dieses Schrittes vorhersehen zu können, schalteten sich die preußischen Staatsmänner in den Konflikt ein. Schönburg wollte seiner Tochter das mütterliche Erbe in Höhe von 20.000 Taler nicht auszahlen, das ihr vom Berliner Generalauditoriat zugesprochen worden war.68 Aufgrund bilateraler Verträge waren Sachsen und Preußen verpflichtet, einander bei der Vollstreckung von Gerichtsurteilen Rechtshilfe zu leisten.69 Da es sich um die Schwiegertochter des Kabinettsministers handelte, erwartete man an der Spree ein entschiedenes Handeln des Dresdner Hofes und eine Zwangsvollstreckung von Albert Christians Schulden. Im Frühjahr 1775 stellte der preußische Gesandte in Dresden eine offizielle Forderung zur Vollstreckung von Schönburgs finanziellen Verpflichtungen. Obwohl die preußische Note in einem eher unangenehmen Ton gehalten war, beunruhigte dies den sächsischen Außenminister Karl von der Osten-Sacken nicht. Erstens erkannte Friedrich II. damit die sächsischen landeshoheitlichen Rechte über die Schönburgischen Herrschaften an. Zweitens ging man davon aus, dass der preußische König bereit sein würde, seinen südlichen Nachbarn im Falle einer Verschärfung des Konflikts mit dem Kaiserhof zu unterstützen. Letzteres wurde in Dresden als ein sehr wichtiger Punkt angesehen. Die Internationalisierung des Streits und seine Verlagerung an die Spree schienen aus der Sicht des Dresdner Hofes eine sehr vorteilhafte Lösung zu sein: Sachsen könnte so einen mächtigen Verbündeten gewinnen.70 Aus Furcht vor möglichen Konsequenzen seitens des Kaiserhofes beabsichtigten die sächsischen Minister jedoch nicht, die Vollstreckung der Schuldverpflichtungen Albert Christians durchzuführen. Die Situation änderte sich erst durch den härteren Ton der preußischen Diplomatie. Im Januar 1776 kündigte der preußische Gesandte in Dresden an, dass der Kurfürst sein Land unangenehmen Folgen aussetzen würde, wenn 68 69 70

Wintzingerode, Schwierige Prinzen, 2011, S. 234–237. Codex Augusteus, Bd. 1, 1772, S. 419; Krug, Staatsverträge, 1856, S. 1–3. »In bemeldetem, obwohl nicht in gemäßigten terminis abgefassten Promemoria, dennoch übrigens unsere Landeshoheit über die gräflich-schönburgische Reichsafterlehn ausdrücklich anerkannt worden, mithin von sotaner Agnition, [könnte] bedürfenden Falles zu Unterstützung unserer Gerechtsame in gedachten gräflich-schönburgischen Herrschaften Gebrauch gemacht werden«; Reskript Friedrich Augusts III. (verfasst von Karl von der Osten-Sacken) an die Geheimen Räte, Dresden, 15.4.1775; SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 00881/0, fol. 162r-v.

Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs

er seinen Lehnsmann nicht zur Rückzahlung zwingen würde.71 Die Drohung wurde in Dresden sehr ernst genommen, da die Erinnerung an die preußische Besetzung des Kurfürstentums während des Siebenjährigen Krieges am Dresdner Hof noch allzu lebendig war. In den ersten Wochen des Jahres 1776 befand sich Kurfürst Friedrich August III. in einer recht schwierigen Lage: Sachsen wurde sowohl von der Wiener Hofburg als auch von Friedrich II. bedroht. Die Vollstreckung von Albert Christians Schuldverpflichtungen hätte die Feindschaft des Kaisers zur Folge haben können, die Unterlassung die feindlichen Schritte des Berliner Hofes. Der friderizianische Zorn schien weitaus schrecklicher, die Wirkungskraft des Kaiserhofes weitaus geringer. Karl von der Osten-Sacken, der bis dahin relativ zurückhaltend gewesen war, wenn es darum ging, um Unterstützung in Berlin zu bitten, begann nun, die Annäherung an Preußen zu suchen.72 Denn er befürchtete, dass die Schwäche des Kurfürstentums Joseph II. zu unfreundlichen Handlungen provozieren könnte. Gleichzeitig war er sich bewusst, dass sich eine Annäherung an Preußen als ebenso unratsam erweisen könnte – die Zukunft Sachsens blieb ungewiss. Im Mai 1776 erhielt Friedrich August III. jedoch eine förmliche Zusicherung Friedrichs II., dass er die sächsischen landeshoheitlichen Rechte über die Schönburgischen Herrschaften anerkenne und Sachsen diplomatisch unterstützen werde.73 Nach einem solchen Diktum musste der Dresdner Hof sofort mit der Vollstreckung der Schulden von Albert Christian beginnen. Derselbe hat aber alles getan, was er konnte, um genau dies zu verhindern. 71

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Note Karl Philipp von Alvenslebens an Sacken, Dresden, 4.1.1776, SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 00881/02, fol. 3r-v. Dossier des Falles: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam, Pr. Br. Rep. 37, Alt Madlitz, Nr. 508. Wiederholt brachte Sacken seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die preußische Hilfe eine dauerhafte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Kurfürstentums zur Folge haben würde. Vgl. Vortrag der sächsischen Kabinettsminister (Sacken, Leopold Nikolaus von Ende) für Friedrich August III., Dresden, 13.5.1775, SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 00881/01, fol. 246r-v). Anfang März 1776 kam es zu einer grundlegenden Neubewertung des politischen Systems von Sacken. Er verstand, dass unabhängige Verhandlungen mit der Wiener Hofburg die erwarteten Ergebnisse nicht bringen würden. Heinrich Gottlieb von Stutterheim, sächsischer bevollmächtigter Minister und außerordentlicher Gesandte in Berlin, an Friedrich August III., Berlin, 10.5.1776; SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 03397/06. Die preußischen Minister informierten gleichzeitig die sächsischen Geheimen Räte über diese Entscheidung; Note von Finckenstein und Hertzberg an die sächsischen Geheimen Räte, Berlin, 7.5.1776; SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 00881/02, fol. 233r.

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Anfang November 1776 wurden sächsische Kommissare in Glauchau, der Hauptstadt der Schönburgischen Herrschaften, bei der Vollstreckung der Schuldverpflichtungen Albert Christians überfallen. Den sächsischen Ministern zufolge wurde das Vorgehen von Wien angestiftet, das eine militärische Lösung des Konflikts anstrebte.74 An der Elbe wurde eine Präventivmaßnahme beschlossen: Ende Januar 1777 rückten sächsische Truppen in Glauchau ein und begannen mit der militärischen Besetzung der Schönburgischen Herrschaften. Die Bitterkeit in der Wiener Hofburg ließ sich nicht verbergen.75 Auf Befehl Josephs II. rückten in den ersten Apriltagen des Jahres 1777 Truppen in Glauchau ein. Die Expedition hat in Deutschland einen sehr starken Eindruck hinterlassen. Die Bedrohung durch die kaiserliche Despotie wurde im ganzen Reich und darüber hinaus diskutiert, und der sogenannte Glauchauer Krieg wurde in fast ganz Europa kommentiert.76 Der Einzug der österreichischen Soldaten in Glauchau ebnete den Weg für eine preußisch-sächsische Annäherung. Im Schönburgischen Konflikt konnte der sächsische Kurfürst nur auf preußische Hilfe zählen. Obwohl man an der Spree zunächst nur an die effiziente Exekution der Schuldverpflichtungen Albert Christians dachte, wurde in den folgenden Wochen des Konfliktes deutlich, dass der preußische König aus seinem Eingreifen in die Verteidigung Sachsens erhebliches politisches Kapital schlagen konnte. Friedrich II., Ares im Gewand der Eyrene, sah sich als Verteidiger der deutschen Freiheiten gegen die kaiserliche Despotie, als Hüter der politischen Rechte und Privilegien

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Kabinettsminister (Sacken, Ende) an Friedrich August III., Dresden, 17.11.1776; SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 00881/03, fol. 179v-181r. »Ich finde es nötig […], dass gegen den besagten Hof eine ernsthafte Sprache geführt werde«, Maria Theresia an Kaunitz, Wien, 20.2.1777; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 122, fol. 376r-v; »Ist dieses gewaltsame Benehmen des chursächsisches Hofes von einer solchen Art, wovon in dieser durch Jahrhunderte fürdauernden Streitigkeit noch kein Beispiel vorhanden«, Heinrich Kajetan von Blümegen, böhmischer Obrister und österreichischer erster Kanzler an Maria Theresia, Wien, 21.2.1777; HHStA Wien, Reichskanzlei, Kleinere Reichsstände 492. Vgl. Johann Ludwig von Wallmoden-Gimborn, hannoverscher bevollmächtigter Minister in Wien, an Georg III., Wien, 23.4.1777; Niedersächsisches Landesarchiv, Hannover, Cal. Br. 24, Nr. 4978, fol. 76v. Ludwig Friedrich von Beulwitz, hannoverscher Gesandter am Reichstag an Georg III., Regensburg, 1., 12.5.1777; ebd., Nr. 6953, fol. 6r-7v, 9r-10r. Heinrich von Bünau, Sächsisch-Weimarer Gesandter am Reichstag, an Karl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Regensburg, 5.5.1777; Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Eisenacher Archiv, Auswärtige Angelegenheiten Nr. 20, fol. 57r.

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gegen die Willkür der Wiener Hofburg.77 Der Einmarsch der österreichischen Soldaten in das Kurfürstentum lieferte Friedrich II. den überzeugenden Beweis, dass Friedrich August III. mit dem Kaiser nicht verbündet war.78 Sachsen wurde vor dem Angriff der Habsburger gerettet, der preußische König konnte das Vertrauen vieler deutscher Fürsten gewinnen. Dank der preußischen Vermittlung verließen die österreichischen Truppen im September 1777 das sächsische Territorium. Anschließend sollten österreichischsächsische Gespräche folgen, in deren Verlauf der rechtliche Status der Schönburgischen Herrschaften festgelegt werden sollte. Der Tod des bayerischen Kurfürsten Maximilians III. Joseph verhinderte die Aufnahme von Verhandlungen. Im Zuge des Schönburgischen Konfliktes wurde die offensive Politik des Kaiserhofes voll sichtbar. Sie erwies sich als der wichtigste Faktor für die sächsisch-preußische Annäherung.79 Die Bestrebungen der Wiener Hofburg, die kaiserliche Macht im Reich zu festigen, stellten eine reale Gefahr für den Dresdner Hof dar. Der scheinbar unbedeutende Streit um die landesund lehnshoheitlichen Rechte über die Schönburgischen Herrschaften war in Wirklichkeit der Versuch, die Souveränität und territoriale Integrität des Kurfürstentums gegen die Übergriffe des Kaiserhofes zu verteidigen. Das sächsische Kurfürstentum gewann in der preußischen Politik im Zusammenhang mit der bayerischen Erbfolge noch mehr an Bedeutung. Der kinderlose Kurfürst von Bayern Maximilian III. Joseph starb Ende 1777.80 77

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Der Kaiserhof »a agi en arbitre absolu, d’une manière diamétralement opposée à toutes les lois de l’Empire«; Friedrich II. an Johann Hermann von Riedesel, preußischer Sondergesandte in Wien, Potsdam, 4.5.1777, in: PC 39, S. 183. »Il appert […] qu’il n’existe certainement aucune harmonie entre la cour de Vienne et celle où vous êtes [Dresden, J. K.]«, Friedrich II. an Philipp Karl von Alvensleben, Potsdam, 3.5.1777; ebd., S. 180. Dass sich der Streit um die Schönburgischen Herrschaften erheblich auf die Intensivierung der Beziehungen zwischen Dresden und Berlin auswirkte, bemerkte bereits Schulze, Beziehungen, 1933. Da er jedoch ausschließlich die Akten der sächsischen Gesandtschaft in Berlin auswertete – ohne die ministeriellen Vorträge, Konferenzprotokolle, Denkschriften usw. zu berücksichtigen –, konnte er weder die sächsische noch die preußische Außenpolitik korrekt rekonstruieren. Die Probleme, die für ihn unklar blieben, versuchte er aufgrund der diplomatischen Korrespondenz des Berliner Hofes zu erklären, was zur Folge hatte, dass er kursächsische Projekte und Desiderate vom preußischen Standpunkt her bewertete. Ausführlich über die sächsische Außenpolitik im Frühjahr 1778: Kordel, Außenpolitik, 2020. Obwohl die bayerische Erbfolgefrage intensiv von Adolf Unzer erforscht wurde, gehörte die sächsische Außenpolitik nicht zu seinen Kernfragen. Die Archivalien säch-

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Viele deutsche Fürsten erhoben Anspruch auf sein Erbe, darunter auch der sächsische Kurfürst Friedrich August III., der ein Neffe des Verstorbenen war.81 Die gesamte europäische Öffentlichkeit war an dieser Angelegenheit interessiert: Bayern, einer der größten Reichsstände, würde die politische Position seines neuen Herrschers erheblich stärken. In Dresden dachte man jedoch nicht im Traum daran, das gesamte Allodialgut in Besitz zu nehmen. Der Kurfürst erhoffte sich einige Gebietserwerbungen und möglicherweise eine finanzielle Entschädigung, die die wirtschaftliche Situation Sachsens hätte stabilisieren können. An der Elbe war man sich darüber im Klaren, dass die Zukunft des bayerischen Erbes von den Großmächten entschieden werden würde. Interne Analysen zeigten, dass Friedrich August III. nur auf preußische Unterstützung hoffen konnte. Die sächsischen Politiker konnten jedoch keineswegs sicher sein, ob Friedrich II. dem südlichen Nachbarn tatsächlich zu Hilfe eilen würde. Es war nur bekannt, dass der preußische König, anders als der Kaiser und viele andere deutsche Fürsten, kein direktes Interesse daran hatte, den sächsischen Ansprüchen auf das bayerische Erbe zu schaden. Als die österreichischen Truppen im Januar 1778 in Bayern einmarschierten, hatte Friedrich II. nicht die Absicht, untätig zu bleiben. Er brauchte jedoch einen Vorwand, um sich in den bayerischen Erbfolgestreit einzumischen. Da die engsten Verwandten des verstorbenen Kurfürsten, Karl IV. Theodor, Kurfürst von der Pfalz, und Karl II. August, Herzog von Zweibrücken, nicht bereit waren, ihn zu bieten, kam man in Berlin auf die Idee, Sachsen für diesen Zweck zu nutzen. Eine Allianz mit dem sächsischen Herrscher sollte auch ein mögliches sächsisch-österreichisches Abkommen verhindern, das

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sischer Provenienz wurden von ihm nur insoweit ausgewertet, als sie die bayerische, österreichische und preußische Politik beleuchteten; Unzer, Entstehung, 1894; ders., Herzog von Zweibrücken,1897; ders., Hertzbergs Anteil, 1890; ders., Friede, 1903. In vielen Arbeiten, die die bayerische Erbfolge betreffen, wurde die sächsische Problematik nur marginal behandelt; z.B. Aretin, Bayerns Weg, 1976; Schmid, Max III. Joseph, 1987; Strauven, Familienverträge, 1969. 1747 heiratete der bayerische Kurfürst Maximilian III. Joseph Maria Anna, die Tochter Augusts III., und Friedrich Christian, der sächsische Thronfolger, nahm die ältere Schwester des bayerischen Kurfürsten, Maria Antonia Walpurgis, zur Frau. 1769 vermählte sich Kurfürst Friedrich August III. mit Maria Amalie Auguste, der Tochter von Friedrich Michael, dem verstorbenen Herzog von Zweibrücken. Die neue sächsische Kurfürstin war eine Nichte von Elisabeth Auguste, der Frau des Pfälzer Kurfürsten Karl Theodor (des Erben des bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph), und eine Urenkelin des Pfälzer Kurfürsten Karls III. Philipp; Knöfel, Dynastie, 2009, S. 214–263.

Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs

eine habsburgische Invasion in das brandenburgische Territorium erleichtert hätte. Ende Januar 1778 sondierten preußische Diplomaten in Dresden die Möglichkeit eines Bündnisses. Für ein formelles Bündnis zwischen Friedrich II. und Friedrich August III. setzte sich auch Sacken ein: Der ehemalige sächsische Außenminister zog im Frühling 1777 nach Berlin und nahm das ihm von Friedrich II. angebotene Amt des königlichen Oberkammerherrn am preußischen Hof an. Die Überlegungen der sächsischen Minister legten die Schwäche des Kurfürstentums offen. Ende Januar 1778 empfahlen sie dem Kurfürsten, die preußischen Bedingungen der Zusammenarbeit zu akzeptieren, die darin bestanden, die eigene Außenpolitik aufzugeben, und erklärten: »Wenn ja alles auf das schlimmste zu nehmen sei, man dennoch in keine üblere Lage zurückfallen könne, als worinnen man jetzt sei, da man ohne preußische Unterstützung […] ohnehin sich wenig oder nichts versprechen kann.«82 Mit dieser dramatischen Diagnose, die die Machtlosigkeit und Ohnmacht des Dresdner Hofes demonstriert, sahen die Minister keinen anderen Ausweg aus der Situation. Auch der Gedanke, dass Friedrich II. eine Belohnung für seine Unterstützung erwarten würde, hielt die sächsischen Minister nicht davon ab, sich mit dem Berliner Hof zu verbünden. Da sie nicht in der Lage waren, um die Forderungen allein durchzusetzen, beschloss man in Dresden, sich an Friedrich II. zu wenden. Man war sich freilich darüber im Klaren, dass ein Bündnis mit dem nördlichen Nachbarn das Kurfürstentum zu einem preußischen Klienten machen würde.83 Der Berliner Hof erhielt nicht nur einen formalen Vorwand für seine Einmischung in die bayerische Angelegenheit, sondern übernahm auch die Kontrolle über die Handlungen seines südlichen Nachbarn. Noch bevor die förmliche sächsische Erklärung zu den preußischen Vorschlägen in Berlin eintraf, hatte der König keinen Zweifel daran, dass es ihm gelungen war, Friedrich August III. für sich zu gewinnen: »La Saxe s’est jetée entièrement en nos mains.«84 Am 18. März 1778 wurde in Dresden die sächsisch-preußische politische Konvention unterzeichnet. Friedrich II. verpflichtete sich, die Wiederherstellung des Status quo ante mortem von Maximilian III. Joseph in

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Protokoll einer gemeinsamen Sitzung des Geheimen Konsiliums und des Geheimen Kabinetts, Dresden, 3.2.1778; SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 02652/06, fol. 203r. Ebd., fol. 203r-v. Friedrich II. an Prinz Heinrich, Potsdam, 6.2.1778, in: PC 40, S. 93.

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Bayern herbeizuführen und Friedrich August III. bei der Durchsetzung seiner Ansprüche zu unterstützen. Der Kurfürst von Sachsen wiederum verpflichtete sich, gemeinsam mit dem König von Preußen zu handeln und den Berliner Hof bei allen außenpolitischen Entscheidungen zu konsultieren.85 Die Bedeutung des sächsischen Kurfürstentums wurde auch in Wien erkannt. Mitte März 1778, als das preußisch-sächsische Bündnis bereits unterzeichnet war, war Kaiser Joseph II. zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz hatte jedoch keinen Zweifel: »Nach allem dem, was wegen Glaucha und sonst vorgegangen, sich in die diesseitige Arme schlechterdings zu werfen, gegen den König in Preußen und seine bisherige Verwendung zu Gunsten der sächsischen Allodial-Forderung eine offenbare Undankbarkeit zu zeigen, von dem mit ihm bisher unterhaltenen freundschaftlichen Verhältnis auf einmal abzuspringen, solchergestalt die Rache des Königs zu reizen«.86 Der scharfsinnige Politiker hatte nicht unrecht. Die aggressive Politik der Wiener Hofburg, insbesondere Josephs II., der die Bedeutung der Beziehungen zu kleineren Partnern nicht verstand, führte Sachsen ins preußische Lager. Der bayerische Erbfolgestreit nahm im Juli 1778 die Form einer bewaffneten Auseinandersetzung an. Der Krieg wurde auf dem Friedenskongress in Teschen (Cieszyn) im Frühjahr 1779 beendet. Im Verlauf der Gespräche wurden die sächsischen Forderungen durch die preußische Diplomatie unterstützt. Für Friedrich II. war die Verteidigung der sächsischen Ansprüche eine Frage der Staatsraison. Der König schrieb an seinen Bruder : »Si la Saxe n’obtient pas une satisfaction honnête, personne à l’avenir ne voudra s’allier avec la Prusse, ainsi j’insiste raide sur ce point : ou qu’on indemnise la Saxe, ou je continue la guerre.«87 Er ging davon aus, dass er sich und seinen Staat einem Glaubwürdigkeitsverlust aussetzen würde, wenn er nicht eine erfolgreiche Lösung für Sachsen herbeiführen könnte. Die Rolle des Kurfürstentums im preußischen System, so scheint es, wurde in Berlin nach den Erfahrungen von 1778–1779 nicht nur vorübergehend wahrgenommen. Im letzten Politischen Testament, das er 1782 verfasste, schrieb der

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Sächsisch-preußische Konvention, Dresden, 18.3.1778, SächsHStA Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 02653/03, fol. 35r-36r. Der Inhalt wird kurz bei Unzer, Hertzbergs Anteil, 1890, S. 15f. beschrieben. Wenzel Anton von Kaunitz an Maria Theresia, Wien, 15.3.1778; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 125, fol. 108r-v. Friedrich II. an Prinz Heinrich, Breslau, 28.3.1779, in: PC 42, S. 509.

Kursachsen in den politischen Plänen Preußens und Österreichs

preußische König : »Il ne reste donc dans toute cette Allemagne que l’Électeur de Saxe sur lequel on puisse compter.«88 Wenn wir versuchen, die Grundsätze der österreichischen und preußischen Politik gegenüber Sachsen und die im Winter und Frühjahr 1778 in Dresden gefassten Beschlüsse zu verstehen, kommen wir zu dem Schluss, dass die kleineren Höfe selbst versuchen mussten, die Beziehungen zu den deutschen Mächten zu gestalten. Fast alle deutschen Fürsten mussten die Vorherrschaft von Österreich oder Preußen anerkennen. Dies galt nicht nur für den Kurfürsten von Sachsen, sondern auch für die weitaus mächtigeren Fürsten, wie z.B. die Kurfürsten von Hannover, deren Stellung als Könige von Großbritannien unvergleichlich besser war. Wie das Beispiel des Fürstenbundes zeigt, mussten auch sie den Traum von einer unabhängigen Politik im Reich aufgeben.

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Siglenverzeichnis

BnF GStAPK

Bibliothèque Nationale de France Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz GStAPK, I. HA Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz, I. Hauptabteilung HHStA Wien Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien HHStA Wien, OMeA Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Obersthofmeisteramt MLW Mittellateinisches Wörterbuch (https://mlw.badw.de/da s-projekt.html) NÖLA St. Pölten Niederösterreichisches Landesarchiv St. Pölten ÖNB Österreichische Nationalbibliothek PC Politische Correspondenz Friedrich’s des Großen PSZ Polnoe sobranie zakonov RGIA Rossijskij gosudarstvennyj istoričeskij archiv SächsHStA Dresden Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden  SIRIO Sbornik Imperatorskogo Russkogo Istoričeskogo Obščestva ZAO, KrÚ Zemský Archiv v Opave [Landesarchiv Opava], Královský úřad [Königliches Amt] ZAO, KÚ Zemský Archiv v Opave [Landesarchiv Opava], Krajský úřad Opava [Kreisamt Opava]

Personenregister1

A Adler, Simon 11 Aepinus, Franz Ulrich Theodor 162–166, 174 Albert Casimir, Herzog von Sachsen 338 Alexander I., Zar von Russland 175 Alexander II., Zar von Russland 169* Alvensleben, Karl Philipp von 342f., 345* Ammon, Christoph Heinrich von 238*, 239* Anna, Zarin von Russland 326, 327* Anhalt-Zerbst, Dynastie 302 Anton, Herzog von Sachsen 249*, 337 Ares 344 Aretin, Karl Otmar Freiherr von 203 Arneth, Alfred von 63 Asseburg, Familie 241 Asseburg, Hermann Werner von der 238*, 239, 241 Asseburg, Wilhelm Anton von der, Bischof von Paderborn 239–241, 248, 260, 261*, 262 1

Auersperg, Heinrich Joseph Fürst von 110 August II., König von Polen 301, 322–326, 341 August III., König von Polen 323*, 325–334, 337f., 341 B Balemann, Georg Gottlob 291 Bartenstein, Johann Christoph Freiherr von 331 Baumann, Anette 12 Beckoj, Ivan 163, 167 Beer, Christoph Anton von 188*, 189, 190*, 191–194, 196* Belderbusch, Kaspar Anton Freiherr von 244 Belle-Isle, Charles Louis August Fouquet Duc de 328* Benoît, Gedeon de 334* Bentick, Willem Graf 208* Bernes de Rossana, Joseph Anton Karl Graf 87* Beulwitz, Ludwig Friedrich von 344* Beyme, Karl Friedrich 36* Binder, Anton Freiherr von 270* Binder, Friedrich 96*

Das Register enthält alle im Text und in den Anmerkungen genannten Namen. Nennungen ausschließlich in den Anmerkungen sind mit einem Asteriskus (*) gekennzeichnet.

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Konkurrenz und Transfer

Bleckwenn, Hans 83 Blümegen, Heinrich Kajetan Graf 40, 344* Blumenthal, Adam Ludwig von 118* Boden, August Friedrich von 118* Böhmer, brandenburgischer Delegierter 290 Boeselager, Friedrich Joseph von 249* Bötticher, Mitglied der OberRechnungskammer 116 Bourbon, François Louis de, Fürst von Conti 324 Braubach, Max 31 Braun, Bettina 12, 337* Braunschweig-Lüneburg, Dynastie 236* Breidbach-Bürresheim, Emmerich Joseph von, Erzbischof von Mainz und Bischof von Worms 243, 245–247 Brewer, John 68 Brunyan, Konrad Emanuel von 86f. Buch, Adolf Friedrich von 335*, 337* Buchenberg, Marquard Paris Anton Freiherr von 207*, 213*, 217*, 218*, 219 Bünau, Heinrich Graf 344* Büsch, Otto 69, 83 Burkhardt, Johannes 202, 241* C Chotek, Johann Karl Graf 87* Chotek, Rudolf Graf 108*, 235* Christ, Günter 235*, 250* Clemens XII., Papst 260* Clemens August von Bayern, Erzbischof von Köln und Bischof von Hildesheim,

Münster, Osnabrück und Paderborn 236, 244*, 260, 263, 269f. Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Erzbischof von Trier und Bischof von Augsburg 238–242, 246*, 249*, 263, 337f. Cobenzl, Johann Karl Graf 269*, 273* Cocceji, Samuel von 34 Coeper, Ludwig Ernst Heinrich 22 Cogniazo, Jakob von 87 Colloredo, Franz Gundacker Fürst von 287 Colloredo-Waldsee, Rudolph Joseph Fürst von 35f., 207*, 213*, 217, 218*, 219*, 236*-240*, 243–246, 248, 249*, 252, 253*, 264*, 265*, 267*, 268*, 269, 272*, 273*, 287f., 339* Consbruch, Kaspar Florentin 27 Cressener, George 246* Creutz, Ehrenreich Boguslaw von 114–117, 123 Czettritz, Ernst Heinrich von 88* D Dalberg, Carl Theodor von, Erzbischof von Mainz und Bischof von Konstanz und Worms 265 Danae 257 Daun, Leopold Joseph Graf 64*, 73, 80, 87* Denzler, Alexander 282 Dietrichstein, Familie 39

Personenregister

Dietrichstein, Johann Franz Gottfried Graf 108* Diokletian 308 Dohm, Christian Wilhelm 256*, 260*, 261*, 262, 263*, 265*, 268, 269*, 274*, 282 Dohna, Friedrich Ludwig Graf 190, 192 Droste zu Füchten, Ferdinand von 239, 241 Droysen, Johann Gustav 10* Duhamelle, Christophe 300

E Eichel, August Friedrich 21f., 33f., 210* Elisabeth, Zarin von Russland 333 Elisabeth Auguste von PfalzSulzbach, Kurfürstin von Pfalz-Bayern 346* Emminghaus, Theodor 255*, 256*, 267* Ende, Leopold Nikolaus von 343*, 344* Erdmannsdörffer, Bernhard 9 Erthal, Franz Ludwig von, Bischof von Bamberg und Würzburg 249–251 Erthal, Friedrich Karl Joseph von, Erzbischof von Mainz und Bischof von Worms 246f., 249, 293 Este, Ercole d’, Herzog von Modena 340 Eugen, Prinz von Savoyen 31, 61 Eyrene 344

F Falcke, Johann Philipp Conrad 290 Felbiger, Johann Ignaz von 10, 12f., 15, 161, 163, 166–168, 170, 174f. Ferdinand I., römisch-deutscher Kaiser 209 Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser 71, 218 Ferdinand III., römisch-deutscher Kaiser 242 Ferdinand von Bayern, Erzbischof von Köln und Bischof von Hildesheim, Lüttich, Münster und Paderborn 291 Ferdinand, Herzog von Braunschweig 237*, 238* Ferdinand, Erzherzog von Österreich 340 Finck von Finckenstein, Friedrich Ludwig Karl Graf 341 Finck von Finckenstein, Karl Wilhelm Graf 214*, 238*, 239, 252*, 255, 256*–259*, 261*, 266*, 268*, 269*, 341f., 343* Forster, Ellinor 12 Frank, Peter Anton Freiherr von 300 Frankenberg und Ludwigsdorff, Johann Otto Venantius Graf 207*, 213*, 217*, 218* Franz I., römisch-deutscher Kaiser 30, 81, 102*, 103, 108*, 186f., 206, 207*, 208, 213*-215*, 237*, 239, 241–243, 267*, 269*, 272*, 273*, 339*, 340 Franz II., römisch-deutscher Kaiser 35, 65, 205*

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Konkurrenz und Transfer

Franz Stephan, Herzog von Lothringen, s. Franz I. Franz Xaver, Herzog von Sachsen 332 Friedrich, Susanne 216 Friedrich I., König in Preußen 113, 122, 138, 283, 323 Friedrich II., König von Preußen 9, 11, 13–16, 18, 21f., 33f., 43, 59–61, 63, 74, 80f., 85f., 88, 96f., 114*, 118, 120–122, 124, 131, 138, 146–148, 165f., 183, 185f., 202, 204, 207–212, 214, 216, 219f., 221*, 233, 234*, 235–239, 247, 250*, 251, 252*, 254*, 255–259, 260*, 261f., 263*, 265, 266*, 267*, 268–270, 274*, 284, 287, 289, 312f., 321, 323*, 327–330, 333–337, 342–347, 349 Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, s. Friedrich I. Friedrich von York, Bischof von Osnabrück 260* Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen, s. August II. Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen, s. August III. Friedrich August III., Kurfürst von Sachsen 249*, 339, 342*, 343–348 Friedrich Christian, Kurfürst von Sachsen 334f., 346* Friedrich Michael, Herzog von PfalzZweibrücken 346*

Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 29*, 147, 321f., 328 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 9, 13f., 27f., 31, 43, 85, 96f., 113–119, 122f., 297, 323, 328 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 148, 284f. Fuchs, Karoline Gräfin 73 Fuchs, Maria Josepha Gräfin 73 Fürnrohr, Walter 202 Fürstenberg, Franz Egon von, Bischof von Hildesheim und Paderborn 263–265 Fürstenberg, Franz Friedrich von 252*, 254f., 256*, 258, 263, 264*, 274 Fürstenberg-Stühlingen, Joseph Wilhelm Ernst Fürst von 214* G Galster, Karl 22 Gatzert, Christian Samuel von 286 Gebler, Tobias Philipp Freiherr von 96* Georg I., König von Großbritannien 299, 325 Georg II., König von Großbritannien 299, 313 Georg III., König von Großbritannien 237f., 299, 313, 344* Giannini, Ernst Friedrich Graf 87 Giannini, Leopoldina Gräfin 87* Goertz, Johann Eustach Graf 250*–252*, 259*, 261*

Personenregister

Goethe, Johann Wolfgang von 203* Goltz, Bernd Henning Freiherr von 235, 236* Goltz, Bernhard Wilhelm von 255*–257*, 260* Gonsa, Gerhard 95* Graeve, Johann Friedrich von 193 Grimm, Friedrich Melchior 161–163, 168* Groschlag, Friedrich Carl Willibald Freiherr von 247*, 268 Guttenberg, Carl Dietrich Joseph von 250 H Haase, Hans 115 Habsburg(-Lothringen), Dynastie 132–134, 136f., 142, 144, 149f., 185, 188, 216*, 324 Hähn, Johann Friedrich 166f. Härter, Karl 202, 283 Hanus, Franciscus 266* Happe, Franz Wilhelm von 118* Hatzfeld, Karl Friedrich Anton Graf 100, 102f., 104*, 110 Haug-Moritz, Gabriele 11f., 210, 234* Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf 10, 15, 31–33, 36, 70f., 75f., 80, 106–108, 110*, 189, 191, 194 Hecker, Johann Julius 166f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 300 Heinrich, Prinz von Preußen 347*, 348 Herberstein, Johann Seyfried Graf 100, 102* Heringen, Rudolf Anton von 214* Herold, Christoph Werner 116 Hersche, Peter 65f.

Hertzberg, Ewald Friedrich von 124, 258*, 259*, 261*, 266*, 269*, 284, 286, 289, 343* Hessen-Kassel, Landgrafen 64 Hille, Christoph Werner 116 Hinrichs, Carl 23 Hintze, Otto 63, 66, 68, 70, 83, 88 Hobbes, Thomas 145 Hochedlinger, Michael 11 Hochstetter, Gottfried Adam von 247*, 248 Hoensbroech, Cäsar Constantin Franz von, Bischof von Lüttich 291, 293f. Hofmann, Caspar Friedrich 281, 284, 286, 292 Hohenlohe-Bartenstein, Joseph Fürst von 254*, 255, 256*, 258*, 267 Hohenzollern, Dynastie 74, 132f., 139, 142, 148–150 Holstein-Gottorf, Dynastie 302 I Imbsen, Johann Theodor Freiherr von 30 Isaacson, Siegfried 116 Isabella von Bourbon-Parma, römisch-deutsche Kaiserin 338 J Jagiellonen, Dynastie 324 Jahns, Sigrid 281 Janković de Mirievo, Teodor I. 162, 168–171, 172*, 174f. Jariges, Philipp Joseph von 34 Johann III., König von Polen 323*, 324

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Konkurrenz und Transfer

Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 324 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 137 Johann Theodor von Bayern, Kardinal, Bischof von Freising, Lüttich und Regensburg 236, 267 Joseph I., römisch-deutscher Kaiser 27, 325 Joseph II., römisch-deutscher Kaiser 14, 35, 40, 42, 44f., 59–61, 63, 65, 75, 77–80, 83f., 88, 110, 125, 131, 143, 145f., 162f., 165, 168, 170, 208, 243f., 246, 248f., 252*, 255, 258, 264, 265*, 267, 268*, 269, 271, 272*, 282, 290–293, 308, 312, 337f., 340*, 343–346, 348

K Karl V., römisch-deutscher Kaiser 134, 142, 218 Karl VI., römisch-deutscher Kaiser 25, 27, 30f., 105–108, 185f., 191, 216*, 301, 325–328 Karl VII., römisch-deutscher Kaiser 329 Karl III., König von Böhmen, s. Karl VII. Karl XII., König von Schweden 323f. Karl, Erzherzog von Österreich 85 Karl Alexander, Herzog von Lothringen 80f. Karl August, Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 344*

Karl II. August, Herzog von PfalzZweibrücken 346 Karl Joseph von Lothringen, Erzbischof von Trier und Bischof von Osnabrück 242, 253* Karl Philipp, Kurfürst von der Pfalz 346* Karl Theodor, Kurfürst von PfalzBayern 346 Katharina II., Zarin von Russland 161–166, 168, 170–175, 334–336 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst von 37, 40, 60, 74, 76, 80, 95, 96*, 100, 104*, 105, 207, 213*, 243, 245*, 246*, 252, 253*, 264*, 271, 334f., 339f., 344*, 348 Kaunitz-Rietberg, Joseph Graf 340* Keinemann, Friedrich 234 Khevenhüller, Andreas Graf 80 Khevenhüller-Metsch, Johann Joseph Fürst von 37f. Kleinehagenbrock, Frank 11 Klinggräffen, Joachim Wilhelm von 330* Knebel von Katzenelnbogen, Philipp Franz von 339*, 340* Knjazkov, S.A. 173* Koch, Georg Gottfried 31 Koch, Ignaz von 30–33, 35–38, 40* Königsegg-Erps, Karl Ferdinand Graf 108f. Königsegg-Rothenfels, Maximilian Friedrich Graf, Erzbischof von Köln und Bischof von

Personenregister

Münster 237f., 240*, 244*, 253f., 256* Kordel, Jacek 12 Kronenfels, Joseph Franz Stephan von 35 Kühtze, Mitglied der OberRechnungskammer 116 Kusber, Jan 12 L Lacy, Moritz Graf 75, 80, 84f. Ladislaus IV., König von Polen 324 Latouche, Charles Nicolas de 21 Lau, Thomas 206* Lentulus, Cäsar Joseph von 86 Lentulus, Robert Scipio von 86 Leopold I., römisch-deutscher Kaiser 26f. Leopold II., römisch-deutscher Kaiser 65, 77, 294 Leopold, Herzog von Lothringen 186 Liebeherr, Joachim 118* Liechtenstein, Familie 186 Ligne, Charles Joseph Prince de 87 Lindenau, Karl Friedrich von 87* Locke, John 145 Löwenich, Maria von 282 Lombard, Johann Wilhelm 36 Ludwig XIV., König von Frankreich 66 Ludwig XV., König von Frankreich 326 Luhmann, Niklas 24 M Mancke, Mitglied der OberRechnungskammer 116

Maria Amalie Auguste von PfalzZweibrücken, Kurfürstin von Sachsen 346* Maria Anna von Sachsen, Kurfürstin von Bayern 346* Maria Antonia von Bayern, Kurfürstin von Sachsen 335, 337f. Maria Christina, Erzherzogin von Österreich 338 Maria Josepha von Bayern, römischdeutsche Kaiserin 338 Maria Josepha von Österreich, Königin von Polen 325 Maria Kunigunde von Sachsen, Fürstäbtissin von Essen und Thorn 338 Maria Theresia von Österreich, römisch-deutsche Kaiserin 11, 14, 25*, 30–32, 36–40, 44, 60f., 63f., 70, 73f., 76–81, 84, 86f., 95, 100, 102f., 105–107, 110, 112, 125, 161, 165, 168, 183, 185–187, 189f., 192*-194*, 196*, 204, 206, 208–210, 219, 238*, 247, 251, 252*, 253, 255, 267, 271*, 288, 321, 328f., 331, 335, 337f., 339*, 340, 344*, 348* Marie Antoinette, Königin von Frankreich 257* Martini, Karl Anton Freiherr von 288 Martini, Maximilian Joseph Anton Freiherr von 288 Maurer von Kronegg, Aloys Dominik Johann Franz 288

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Konkurrenz und Transfer

Max Emanuel, Kurfürst von Bayern 27 Maximilian I., römisch-deutscher Kaiser 291 Maximilian Franz von Österreich, Erzbischof von Köln und Bischof von Münster 247f., 251–253, 255f., 257*, 258f., 260*, 262–265, 267, 269, 270*, 271*, 274f., 292, 338 Maximilian III. Joseph, Kurfürst von Bayern 338, 341, 345f. Mazarin, Jules 21 Meckel von Hemsbach, Georg Ludwig 287 Mencken, Anastasius Ludwig 34 Metternich, Franz Georg Graf 65, 253*, 254, 263*, 264, 270* Michael, König von Polen 323*, 324 Mikoletzky, Hanns Leo 96* Mine, Philippe de la 35* Mittrowsky, Ernst Freiherr von 187* Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 75 Morawitzky, Johann Carl Freiherr von 190, 192f. Moser, Friedrich Carl von 217 Motte Fouqué, Heinrich August de la 88 Muhlack, Ulrich 66 Mussolini, Benito 64 N Napoleon I., Kaiser von Frankreich 66 Neipperg, Leopold Graf 246*, 248f. Nenny, Cornelius von 35, 37–39, 40*, 44, 45* Nettelbla, Christian Freiherr von 288

Neugebauer, Wolfgang 11, 149, 210 Neugebauer-Wölk, Monika 283 Neurath, Johann Friedrich Albert Konstantin 284 Niemann, Friedrich Wilhelm 254* Nugent, Jakob Robert Graf 87* O Oestreich, Gerhard 66 Okenfuss, Max J. 169* Oranien, Dynastie 138 Ostein, Johann Friedrich Karl Graf, Erzbischof von Mainz und Bischof von Worms 267, 273 Osten-Sacken, Karl von der 336, 342f., 344*, 347 P Palm, Carl Joseph von 213*– 215*, 217, 218* Panin, Nikita 163* Papius, Johann Hermann Franz Freiherr von 288 Pastuchov, Petr I. 171 Paul I., Zar von Russland 162* Pergen, Johann Anton Graf 236*, 243*, 268, 272*, 273* Peter I., Zar von Russland 166*, 172*, 321, 323 Peter III., Zar von Russland 64, 333 Pichler, Karl von 35, 37, 38*, 44* Piefke, Johann Gottfried 59 Piller, Joseph 340* Piper, Joachim Matthias von 119 Pius VI., Papst 267 Plotho, Erich Christoph Freiherr von 213*– 215*, 220, 221*

Personenregister

Podewils, Heinrich Graf 209*, 210*, 214*, 328*, 330* Podewils, Otto Christoph Graf 40*, 79 Pons, Louis-Marie, Marquis de St.-Maurice et de Grignols 21 Press, Volker 210* Puebla, Anton Marquéz de la 87* Puechberg, Johann Matthias 111–113, 123 R Raab, Carl Joseph Graf 241* Reischach, Thaddäus von 237, 238*, 239, 240* Resen, Joachim Friedrich 119* Reuß, Philipp Heinrich Freiherr von 288 Reuter, Simon 283 Ried, Joseph Freiherr von 87*, 249*, 250 Riedesel, Johann Hermann von 257*, 345* Riedesel, Johann Wilhelm Freiherr von 284 Roden, Johann Remberg 114*, 120, 122 Rohrschneider, Michael 12 Rousseau, Jean Jacques 163, 167 S Sallaburg, Franz Ludwig Graf 108* Schardius, Levin 28 Schindling, Anton 146, 202 Schlabrendorff, Ernst Wilhelm von 166 Schlözer, August Ludwig 113, 124 Schmettau, Karl Graf 86 Schmettau, Samuel Graf 86

Schönborn, Familie 39 Schönborn, Friedrich Karl Graf, Bischof von Bamberg und Würzburg 30, 236*, 297f., 307 Schönburg, Grafen von 341 Schönburg, Albert Christian Ernst Graf 341–344 Schönburg, Caroline Wilhelmine Albertine 341f. Schöning, Christian 116 Schorlemmer, Clemens August von 238 Schulenberg, Gebhard Werner Graf 261* Schwarzenberg, Familie 39 Scott, Hamish M. 95*, 334 Seilern, Christian August Graf 219* Seinsheim, Adam Friedrich Graf, Bischof von Bamberg und Würzburg 249f., 251*, 273* Serbov, N.I. 173* Seydewitz, August Friedrich Graf 213*, 219 Sigismund III., König von Polen 324 Sigismund II. Augustus, König von Polen 324 Sinzendorf, Familie 39 Solms, Victor Friedrich Graf 336 Spaur von Pflaum, Franz Joseph Graf 290 Stanisław I. Leszczyński, König von Polen 326 Stanisław II. (Antoni) August Poniatowski, König von Polen 335 Steinmetz, Willibald 305 Sternberg, Franz von 339*

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Konkurrenz und Transfer

Stollberg-Rilinger, Barbara 302* Stratmann, Theodor Heinrich Graf 27 Strauch, Benedikt 166 Strohmeyer, Arno 201* Stutterheim, Heinrich Gottlieb von 343* Summermann, Johann Wilhelm von 284, 287 T Teuffel von Birkensee, Karl Wilhelm Freiherr von 215 Thulemeier, Friedrich Wilhelm von 260*, 269* Thurn und Taxis, Alexander Ferdinand Fürst von 215* Tieffenbach, Christian Ludwig von 119* Tolstoj, Dmitrij A. 169* Toussaint, Josef Freiherr von 31* Tyrconnel, Richard Talbot Graf 21 U Unzer, Adolf 345* V Viereck, Adam Otto von 118* Voltaire (François-Marie Arouet) 321 W Waldstein, Albrecht von 71 Wallmoden-Gimborn, Johann Ludwig Graf 344* Walter, Friedrich 70* Wasa, Dynastie 324

Weber, Josef 59* Wenzel, Jakob 116 Werner, Paul von 86 Westphalen, Familie 241 Westphalen, Friedrich Wilhelm von, Bischof von Hildesheim und Paderborn 239–241, 248f., 260, 261*, 262, 267, 274* Wettiner, Dynastie 322, 333*, 335 Wilhelm III. von Oranien, König von England und Statthalter der Niederlande 138 Wilson, Peter H. 211 Wolff, Christian 148 Wolffersdorf, Karl Friedrich von 252*, 256*, 258* Wolfscron, Joseph Ignaz von 30, 39 Wrisberg, Rudolf von 297 Wülcknitz, August Ludwig von 213* Wüller, Heike 282 Wurmbrand, Franz Joseph Graf 334*, 339, 340* Wurmbrand, Johann Wilhelm Graf 249* Z Zavadovskij, Petr A. 171, 174 Zephyris, Kabinettssekretär 45* Zernack, Klaus 324 Zinzendorf, Karl Graf 14, 120, 123–125 Zinzendorf, Ludwig Graf 95–112, 122–125

Geschichtswissenschaft Manuel Gogos

Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft DOMiD – Ein Verein schreibt Geschichte(n) 2021, 272 S., Hardcover, Fadenbindung, durchgängig vierfarbig 40,00 € (DE), 978-3-8376-5423-3 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5423-7

Thomas Etzemüller

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Thilo Neidhöfer

Arbeit an der Kultur Margaret Mead, Gregory Bateson und die amerikanische Anthropologie, 1930-1950 2021, 440 S., kart., 5 SW-Abbildungen 49,00 € (DE), 978-3-8376-5693-0 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5693-4

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Geschichtswissenschaft Norbert Finzsch

Der Widerspenstigen Verstümmelung Eine Geschichte der Kliteridektomie im »Westen«, 1500-2000 2021, 528 S., kart., 30 SW-Abbildungen 49,50 € (DE), 978-3-8376-5717-3 E-Book: PDF: 48,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5717-7

Frank Jacob

Freiheit wagen! Ein Essay zur Revolution im 21. Jahrhundert 2021, 88 S., kart. 9,90 € (DE), 978-3-8376-5761-6 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5761-0

Verein für kritische Geschichtsschreibung e.V. (Hg.)

WerkstattGeschichte 2022/2, Heft 86: Papierkram September 2022, 192 S., kart., 24 SW-Abbildungen, 1 Farbabbildung 22,00 € (DE), 978-3-8376-5866-8 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5866-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de