Das katholische Europa im 16.-18. Jahrhundert 9783170354753, 9783170354760, 3170354752

Im Rahmen der Enzyklopädie "Die Bibel und die Frauen" behandelt der vorliegende Band den Süden Europas im konf

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Das katholische Europa im 16.-18. Jahrhundert
 9783170354753, 9783170354760, 3170354752

Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Bibel und Frauen in der Frühen Neuzeit: Terminologische Vorbemerkungen
Die Bibel, die Frauen und die Krise des neuzeitlichen Europa
1. Die Bibel, die Frauen und die Forderungen nach Reform
2. Das Konzil von Trient
3. Die Bibel im Spannungsfeld von Gegensätzen, Widerständen undallegorischen Interpretationen
4. Die Bibel – versteckt und verkündigt
5. Das kritische Bewusstsein
Frauen, die Bibel und die italienische Reformbewegung
1. Katharina von Siena
2. Girolamo Savonarola und seine Anhängerinnen
3. Frauen in der evangelischen Bewegung in Italien
4. Fazit
Im Namen des Paulus: Bibelhumanismus und Converso-Anklänge bei Isabel de la Cruz und María de Cazalla (1512–1534)*
1. Die Conversos und die Bibel
2. Isabel de la Cruz
3. María de Cazalla
4. Schlussfolgerungen
Die Bibel bei den Visionärinnen der Cisneros-Epoche
1. Einleitung
2. María de Ajofrín
3. Maria de Santo Domingo
4. Juana de la Cruz
5. Schlussfolgerungen
Das „Neue Gesetz“ als Raum der Geschlechtergleichstellung bei Juana de la Cruz (1481‒1534)
1. Einleitung
2. Besonderheiten der Bibelüberlieferung auf der iberischen Halbinsel
3. Der Streit der Propheten des Alten und des Neuen Testaments
4. Taufe vs. Beschneidung, oder: Die Erweiterung der gesellschaftlichen und geschlechtlichen Basis des Gottesvolks
Bibel und Theater. Das Beispiel der Margarete von Navarra
1. Margarete und die Bibel: Elemente einer Geschichte
2. Das Prinzip der Inkarnierung, eine spezifische Eigenschaft von MargaretesTheater
3. Das weltliche Theater, oder das Evangelium der Seligpreisungen
4. Fazit
Katholikinnen und Protestantinnen: Ikonographische Notizen zu zwei Arten der Bibelbeziehung
1. Mäzeninnen und Sammlerinnen
2. Die neuzeitliche Welt
3. Die Kapelle Unserer Lieben Frau von Guadalupe im Kloster der Descalzas Reales in Madrid
4. Die heilige Teresa von Ávila
5. Drucke
6. Genreszenen und Costumbrismo
7. Portraits
Frauenfiguren des Alten Testaments in der italienischen Malerei (1500–1650)
1. Rahel und Lea
2. Susanna
3. Judit
4. Ester
5. Delila
6. Fazit
Biblische Frauenfiguren in einem neapolitanischen Freskenzyklus aus dem frühen 17. Jahrhundert
1. Die Kapelle der Familie Belgioioso in Neapel
2. Rebekka, Judit, Ester und Jaël in der Capella Belgioioso
3. Marianische Präfigurationen
4. Ester als Ideal bürgerlicher Tugenden
Schwester Maria Clemente Ruoti und die Bibel im Theater der Frauenklöster
1. Maria Clemente Ruoti (1609/10‒1690)
2. Fazit
Das Juditbuch im österreichischen Barock
1. Rezeptionsgenres
2. Wahrnehmungsweisen Judits
3. Judit als Vorbild
4. Judit als Frau
5. Zusammenfassung
Biblische Frauengestalten in den Oratorien, Dialogen und Lamenti des 17. Jahrhunderts
1. Die Bedeutung des Oratoriums für die musikalische Darstellung biblischer Frauengestalten
2. Biblische Frauengestalten in Dialogen und Klagegesängen des 17. Jahrhunderts
3. Biblische Frauen in den Oratorien des 17. Jahrhunderts: Zwei Beispiele
4. Resümee: Ein reiches Forschungsfeld
Ester im französischen Theater des 16. Jahrhunderts
1. Die Beliebtheit des Esterstoffes im französischen Theater
2. Der Dichter André de Rivaudeau
3. Der Historiker Pierre Matthieu
4. Der Pfarrer Pierre Merlin
5. Resümee
Bibelleserinnen zwischen Schweigen und Wort. Frauen und die Heilige Schrift in den norditalienischen Inquisitionsdokumenten
1. Die Inquisitionsprozesse
2. Von der Inquisition verhörte Frauen und die Bibel
3. Die Täuferinnen aus dem Veneto
4. Gebildete Frauen mit Leidenschaft für das Wort: Isabella Frattina
5. Ordensfrauen und Bibelkompetenzen
6. Marta Fiascaris: Deuterin der Schrift und Neu-Erlöserin
Die Bibel im teresianischen Frauenkarmel des Siglo de Oro
1. Schwere Zeiten für die Bibel und für die Frauen in Spanien
2. Eine mystische Heimsuchung: biblische Bilanz und spiritueller Scheideweg
3. Mit der Heiligen Schrift beten, gründen, erinnern, zuhören, meditieren,lesen und schreiben
Biblische Lesungen und biblische Schriften der Teresa von Ávila
1. „Tausend Tode“ für die Heilige Schrift
2. Indirekte Bibellektüren: die Bücher
3. Gehörte Lektüre
4. Gemischte Lektüren: die gehörte und die vorgetragene Bibel
5. Die Latinismen in Teresas Schriften
6. Geistliche und mystische Lektüre
7. Die Bibel für die Frauen
8. „Ich würde am liebsten laut aufschreien …“
Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda
1. Von der Missionarin der Indios zur Briefpartnerin Philipps IV.
2. Der Libro serrado
Bibellektüre von Frauen in Portugal (16.‒18. Jahrhundert)
1. Bibelleserinnen
2. Bibelleserinnen im Kloster
Wort und Schweigen. Sor Juana Inés de la Cruz und die Bibel im Mexiko des 17. Jahrhunderts
1. Eine umstrittene Nonne
2. Heilige Unwissenheit und Heilige Schrift
3. Die Carta Atenagórica
4. Der Brief der Sor Filotea de la Cruz
5. Zensur und Ende
Bibliografie
Bibelstellenregister

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Die Bibel und die Frauen

Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie Herausgegeben von Irmtraud Fischer, Christiana de Groot, Mercedes Navarro Puerto, Adriana Valerio

Zeit der Reformen und Revolutionen Band 7.2

Maria Laura Giordano Adriana Valerio (Hrsg.)

Das katholische Europa im 16.–18. Jahrhundert Deutsche Ausgabe herausgegeben von Christian Handschuh, Ines Weber und Christian Wiesner

Verlag W. Kohlhammer

Die Herausgabe des Werkes wird unterstützt durch

1. Auflage 2019 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-035475-3 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-035476-0 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis EINLEITUNG Christian Handschuh – Ines Weber – Christian Wiesner Bibel und Frauen in der Frühen Neuzeit: Terminologische Vorbemerkungen ............... 7 Adriana Valerio Die Bibel, die Frauen und die Krise des neuzeitlichen Europa ..................................... 13 I. DIE FRAUEN UND DER BIBELHUMANISMUS Tamar Herzig Frauen, die Bibel und die italienische Reformbewegung ............................................ 41 Maria Laura Giordano Im Namen des Paulus: Bibelhumanismus und Converso-Anklänge bei Isabel de la Cruz und María de Cazalla (1512‒1534) .................................................. 51 Ronald E. Surtz Die Bibel bei den Visionärinnen der Cisneros-Epoche ................................................ 75 Ángela Muñoz Fernández Das „Neue Gesetz“ als Raum der Geschlechtergleichstellung bei Juana de la Cruz (1481‒1534) ................................................................................ 86 Violaine Giacomotto-Charra Bibel und Theater: Das Beispiel der Margarete von Navarra .................................... 106 II. FRAUEN UND BIBEL IN POSTTRIDENTINISCHER ZEIT María Leticia Sánchez Hernández Katholikinnen und Protestantinnen: Ikonographische Notizen zu zwei Arten der Bibelbeziehung .................................................................................................... 122 Heidi J. Hornik Frauenfiguren des Alten Testaments in der italienischen Malerei (1500‒1650) ........ 144 Viviana Farina Biblische Frauenfiguren in einem neapolitanischen Freskenzyklus aus dem frühen 17. Jahrhundert ................................................................................. 163 Elissa B. Weaver Schwester Maria Clemente Ruoti und die Bibel im Theater der Frauenklöster .......... 175

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Inhaltsverzeichnis

Elisabeth Birnbaum Das Juditbuch im österreichischen Barock ................................................................. 188 Linda Maria Koldau Biblische Frauengestalten in den Oratorien, Dialogen und Lamenti des 17. Jahrhunderts ................................................................................................... 210 Mariangela Miotti Ester im französischen Theater des 16. Jahrhunderts ................................................ 222 Giovanna Paolin Bibelleserinnen zwischen Schweigen und Wort. Frauen und die Heilige Schrift in den norditalienischen Inquisitionsdokumenten ...................................................... 241 María Pilar Manero Sorolla Die Bibel im teresianischen Frauenkarmel des Siglo de Oro ..................................... 260 Teófanes Egido López Biblische Lesungen und biblische Schriften der Teresa von Ávila ........................... 298 Sara Cabibbo Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda ...... 315 Zulmira C. Santos Bibellektüre von Frauen in Portugal (16.‒18. Jahrhundert) ....................................... 332 Francesca Cantù Wort und Schweigen. Sor Juana Inés de la Cruz und die Bibel im Mexiko des 17. Jahrhunderts ................................................................................ 348 Bibliografie ................................................................................................................. 375 Bibelstellenregister...................................................................................................... 405

Bibel und Frauen in der Frühen Neuzeit: Terminologische Vorbemerkungen Christian Handschuh – Ines Weber – Christian Wiesner Der vorliegende Sammelband nimmt eine für den deutschen Diskursraum mehrfach herausragende und zugleich ungewöhnliche Perspektive ein und bedarf insofern einiger einführender Bemerkungen. Grundsätzlich verfolgt das Werk ein epochenübergreifendes, in seiner Anlage innovatives Konzept: Sowohl die Bibelrezeption als auch insbesondere die Bibelrezeption von Frauen ist für die Zeit spätmittelalterlicher Reformbewegungen bis hin zu Reformation und Nachreformationszeit bislang kaum bis gar nicht erforscht; allein schon deshalb ist das Unternehmen, epochenübergreifend die Bibelrezeption von Frauen in Südeuropa zu erforschen und dazu einen Überblick vorzulegen, mehr als verdienstvoll und ergiebig. Für die deutsche Leserin und den deutschen Leser bieten die Beiträge dieses Bandes allerdings eine terminologische bzw. forschungsgeschichtliche Herausforderung. Hintergrund ist, dass gerade die südeuropäische Katholizismusforschung für deutsche Kirchenhistoriker*innen, zumal in dem hier behandelten Zeitraum zwischen dem ausgehenden 15. und dem 17. Jahrhundert, noch weitgehende Terra incognita ist. Zwar gibt es deutliche Indizien für eine wachsende Forschungsvernetzung1 der unterschiedlichen europäischen Katholizismen, doch erstrecken sich diese vornehmlich auf Italien2, das als Referenzpunkt der Reformation und der Konfessionalisierungszeit auch aus der Perspektive der deutschen Reformationsforschung immer von Interesse war. Gerade deshalb ist es von Herausgeber*innenseite notwendig, auf einige Besonderheiten in den Publikationen der hier versammelten Autor*innen hinzuweisen. Bei der Lektüre der Aufsätze fällt der/dem deutschsprachigen Leser*in vor allem die sehr heterogene Verwendung der Epochenbezeichnungen auf. Hier genutzte Interpretationsbegriffe wie „Zeitalter der Reform“ oder „Gegenreformation“, wie die Epoche der Reformation und die postreformatorischen innerkatholischen Reaktionen häufiger bezeichnet werden, klingt für deutsche Ohren ungewohnt bis überholt. Zurückzuführen ist dies auf die Sonderentwicklung, die der deutsche im Gegensatz zum italienischen und spanischen Forschungsraum genommen hat. Hier etablierte sich als forschungsleitender Theoriebegriff seit den 1980er Jahren das Konfessionalisierungsparadigma, das seither zuerst die sozialgeschichtliche, danach die kulturhistorische Forschung geprägt hat3 und mit so prominenten Namen wie Ernst Walter Zeeden4, Wolf1

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Vgl. etwa das epochen-, konfessions- und länderübergreifende Projekt einer „Geschichte des Christentums“ von Jean-Marie Mayeur, Charles Pietri, André Vauchez und Marc Venard: Histoire du christianisme des origines à nos jours (hg. v. Jean-Marie Mayeur et al.; 14 Bde.; Paris: Desclée, 1990–2001); dt. Ausgabe: Die Geschichte des Christentums: Religion – Politik – Kultur (hg. v. Norbert Brox et al.; 14 Bde.; Freiburg i. Br. u. a.: Herder, 1991–2010). Vgl. vor allem die im Rahmen des DFG-Langfristvorhabens entstandenen Arbeiten zur Römischen Indexkongregation von 1542 bis 1966 am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte in Münster. Das Konfessionalisierungsparadigma: Leistungen, Probleme, Grenzen (hg. v. Thomas Brockmann; Münster: Aschendorff, 2013).

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Christian Handschuh – Ines Weber – Christian Wiesner

gang Reinhard5 und Heinz Schilling6 verbunden ist. Obwohl bereits früh aufgrund von vermeintlichem Etatismus7 und Nähe zur Modernisierungstheorie8 mit massiver Kritik versehen, hat die Konfessionalisierungsthese insbesondere in der Kirchengeschichte nach 2000 eine intensive Rezeption erlebt und prägt die einschlägigen Handbücher bis heute.9 Die Kirchengeschichte zeichnet an dieser Stelle vor allem auch für eine Weiterentwicklung in Richtung auf kulturgeschichtliche Fragestellungen verantwortlich.10 Die jetzigen Kirchenhistoriker*innengenerationen haben also in vollem Umfang den Umstieg auf einen der Profangeschichte entlehnten Deutungshorizont mitgemacht und sich bewusst und absichtlich von den stärker konfessionell geprägten Begrifflichkeiten einer „Katholischen Reform“ oder „Gegenreformation“ verabschiedet.11 Ein kurzer Blick auf die jeweiligen europäischen Länder nach der Reformation zeigt aber, wie stark die deutschsprachige Kirchengeschichte hier Teil eines Sonderdiskurses ist: Außerhalb dieser Diskursgemeinschaft ist der Begriff der Konfessionalisierung kaum rezipiert worden; erst in den letzten Jahren finden sich Tendenzen, den Begriff auch außerhalb Deutschlands zu verwenden.12 Man darf gespannt sein, wie sich 4

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Ernst Walter ZEEDEN, „Grundlagen und Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe“, HZ 185 (1958): 249–299; DERS., Konfessionsbildung: Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Stuttgart: Klett-Cotta, 1985). Wolfgang REINHARD, „Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters“, ZHF 10 (1983): 257–277; Die katholische Konfessionalisierung (hg. v. dems. und Heinz Schilling; Münster: Aschendorff, 1995). Heinz SCHILLING, „Die Konfessionalisierung im Reich: Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620“, HZ 246 (1988): 1–45; Die katholische Konfessionalisierung. Vor allem Heinrich Richard SCHMIDT, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (München: De Gruyter, 1992); DERS., „Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung“, HZ 265 (1997): 639–682. Harm KLUETING, „„Zweite Reformation“ – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung: Zwanzig Jahre Kontoversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren“, HZ 277 (2003): 309–341. Vor allem Andreas HOLZEM, Religion und Lebensformen: Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster (Paderborn: Schöningh, 2000); zahlreiche weitere Aufsatzveröffentlichungen. DERS., „Katholische Konfessionalisierung – ein Epochenphänomen der Frühneuzeit zwischen Spätmittelalter und Aufklärung“, in: Die Frühe Neuzeit als Epoche (hg. v. Helmut Neuhaus; München: Oldenbourg, 2009), 251–289; Andreas HOLZEM, „Die Konfessionsgesellschaft: Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung“, ZKG 110 (1999): 53–85. Andreas HOLZEM und Thomas KAUFMANN, „„Konfessionalisierung“ und „konfessionelle Kulturen“: Der Prozess der Bekenntnisbildung“; Andreas HOLZEM, „Europäische Grundlagen einer katholischen Konfessionalisierung“; DERS., „Konfessionelle Kulturen in katholischen Territorien“; DERS., „Krisen der Konfessionalisierung“, in: Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 2: Vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit (hg. v. Thomas Kaufmann und Raymund Kottje; Darmstadt: WBG, 2008), 337–340, 355–372, 405–419, 419–429. Vgl. auch das aktuelle Standardwerk: Andreas HOLZEM, Christentum in Deutschland 1550–1850: Konfessionalisierung – Aufklärung – Pluralisierung (2 Bde.; Paderborn: Schöningh, 2015). Vgl. die umfangreiche Liste bei Cornel ZWIERLEIN, „Konfessionalisierung europäisch, global als epistemischer Prozess: Zu den Folgen der Reformation und zur Methodendiskus-

Bibel und Frauen in der Frühen Neuzeit

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hier der komparative Diskurs verändern wird. Gerade in Italien und Spanien13 stellte sich jedoch die Frage nach einer konfessionellen Pluralität gar nicht erst, hier trifft der Begriff „Katholische Reform“ sehr viel mehr den Kern der Vorgänge: Statt ganzer Staaten oder zumindest größerer Bevölkerungsgruppen, deren Glaubenswechsel für Mitteleuropa typisch waren, ist Nicht-Katholizität hier eher ein Phänomen Einzelner oder auch einzelner, aber höchst heterogener und bibelhumanistisch geprägter Reformkreise, die einige der Ideen der Reformation rezipierten.14 Das für Deutschland aber typische Element einer Verknüpfung mit der entstehenden bzw. sich entwickelnden Territorialstaatlichkeit findet sich dagegen nicht. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Forschungskontexte der Autor*innen des Sammelbandes haben sich die Herausgeber*innen deshalb entschlossen, an dieser Stelle nicht redigierend einzugreifen und die verwendeten Begriffe an den deutschen Sprachgebrauch anzupassen. An vielen Stellen wäre ein solcher Eingriff schlicht sinnund interpretationsentstellend gewesen. Dieses Vorgehen unterstützend ist abschließend zusätzlich darauf zu verweisen, dass momentan auch in neueren deutschen Publikationen alles andere als eindeutig geklärt scheint, ob und wie sich die Konfessionalisierungsforschung weiter entwickeln wird. Sowohl Harm Klueting15 als auch Cornel Zwierlein16 und allen voran Peter Hersche17 haben in den letzten Jahren die Konfessionalisierungsforschung für im Grunde genommen überholt erklärt, und im Gegensatz zum kirchenhistorischen Diskurs18 scheint das für den profanhistorischen Kontext auch

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sion“, in: Reformation und Recht (hg. v. Christoph Strohm; Tübingen: Mohr Siebeck, 2017), 1–51, hier 6 (FN 12). Vgl. den instruktiven Beitrag von Ludolf PELIZAEUS, „Die iberische Halbinsel und die Kolonien zwischen Konfessionalisierung und Sonderweg“, in: Das Konfessionalisierungsparadigma, 203–220. Zum evangelismo bzw. spiritualismo in Italien vgl. im vorliegenden Band den eröffnenden Aufsatz von VALERIO und HERZIG sowie darüber hinaus Paolo SIMONCELLI, Evangelismo italiano del Cinquecento: Questione religiosa e nicodemismo politico (Rom: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea, 1979); Klaus GANZER, Die religiösen Bewegungen im Italien des 16. Jahrhunderts (Münster: Aschendorff, 2003); Maria FORCELLINO, Michelangelo, Vittoria Colonna e gli „spirituali“: Religiosità e vita artistica a Roma negli anni Quaranta (Rom: Viella, 2009). Harm KLUETING, „Glaubensspaltung – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung: Theologische und historische Perspektiven“, in: Das Konfessionalisierungsparadigma, 45–65. ZWIERLEIN, „Konfessionalisierung europäisch“. Peter HERSCHE, Muße und Verschwendung: Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter (2 Bde.; Freiburg i. Br.: Herder, 2006). Zum aktuellen Stand der Kontroverse zwischen Hersche und Wolfgang Reinhard als einem der Architekten des Konfessionalisierungskonzepts: Peter HERSCHE und Wolfgang REINHARD, „Wie modern ist der Barockkatholizismus? Eine Disputation zwischen Peter Hersche und Wolfgang Reinhard“, in: Das Konzil von Trient und die katholische Konfessionskultur (1563–2013): Wissenschaftliches Symposium aus Anlass des 450. Jahrestages des Abschlusses des Konzils von Trient, Freiburg i. Br. 18.–21. September 2013 (hg. v. Peter Walter und Günther Wassilowsky; Münster: Aschendorff 2016), 489–518. Wenngleich es auch hier kritische Rückmeldungen gibt. Vgl. beispielsweise Klaus UNTERBURGER, Das Bayerische Konkordat von 1583: Die Neuorientierung der päpstlichen

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Christian Handschuh – Ines Weber – Christian Wiesner

durchaus zuzutreffen. Ferner arbeiten sowohl Überblickswerke als auch neuere Lexikonartikel19 nach wie vor mit dem Begriff der Katholischen Reform20, des konfessionellen Zeitalters21 oder gar der Gegenreformation.22 Und: Neben der etablierten und gut durchbuchstabierten, kulturgeschichtlich verstandenen Konfessionalisierung als Christentumsgesellschaft23 und dem gegenwärtig stark diskutierten Kombinationsterminus Konfessionskultur24 bietet der Begriff nach wie vor Möglichkeiten einer interpretativen Weitung. Es ist jedenfalls Cornel Zwierlein zuzustimmen, dass eine erneute Reflexion, und zwar durchaus in der von ihm intendierten europäischen und globalen Perspektive, dringend notwendig wäre. Seine Beobachtung, dass die innereuropäischen Entwicklungen (Katholiken, Lutheraner, Calvinisten) Auswirkungen bis in die orthodoxen Ostkirchen zeigten und einen vom Westen ausgehenden konfessionellen Selbstvergewisserungsprozess führten, und somit eine innerchristliche Konfessionalisierung um Momente einer interchristlichen Konfessionalisierung und einer Außenwirkung im globalen Kontext (Amerika, Afrika und Asien) zu begreifen, ist mehr als bedenkenswert.25

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Deutschlandpolitik nach dem Konzil von Trient und deren Konsequenzen für das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt (Stuttgart: Kohlhammer, 2006). Konstantin LINDNER und Damien TRICOIRE, Katholische Reform/Gegenreformation (https://www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/100274/; Zugriff am 15.05. 2018). Rolf DECOT, „Katholische Reform“, in: Enzyklopädie der Neuzeit 6 (2007): 454–461. Harm KLUETING, Das konfessionelle Zeitalter: Europa zwischen Mittelalter und Moderne (Darmstadt: WBG, 2007); Cornel ZWIERLEIN, „(Ent)konfessionalisierung (1935) und Konfessionalisierung (1981)“, Archiv für Reformationsgeschichte 98 (2007): 199–230. Dieter J. WEISS, Katholische Reform und Gegenreformation: Ein Überblick (Darmstadt: WBG, 2005); Rudolf LEEB, „Der Streit um den wahren Glauben – Reformation und Gegenreformation in Österreich“, in: Geschichte des Christentums in Österreich (hg. v. dems. et al.; Wien: Ueberreuter, 2013), 145–279; Staatsmacht und Seelenheil: Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie (hg. v. Rudolf Leeb, Susanne C. Pils und Thomas Winkelbauer; Wien: Oldenbourg, 2007). Holzem, Christentum in Deutschland, Bd. 1, 3–31. Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob der derzeitige Diskurs über „Konfessionskultur“ auch dazu führen wird, das Konfessionalisierungsparadigma weiter zu modifzieren oder gar abzulösen – wobei die neue Deutekategorie keineswegs beabsichtigt, grundlegende Anliegen und Erkenntnisse der Konfessionalisierungsforschung zu verwerfen: Thomas KAUFMANN, Konfession und Kultur: Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 7–26; Frühneuzeitliche Konfessionskulturen (hg. v. dems., Anselm Schubert und Kaspar von Greyerz; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2008); Andreas HOLZEM, „Katholische Konfessionskultur im Westfalen der Frühen Neuzeit: Glaubenswissen und Glaubenspraxis in agrarischen Lebens- und Erfahrungsräumen“, Konfessionelle Kulturen in Westfalen/Westfälische Forschungen. Zeitschrift des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes WestfalenLippe 56 (2006): 65–87; Günther WASSILOWSKY, „Das Konzil von Trient und die katholische Konfessionskultur: Zur Einführung“, in: Das Konzil von Trient und die katholische Konfessionskultur, 1–29. Vgl. Zwierlein, „Konfessionalisierung europäisch“.

Bibel und Frauen in der Frühen Neuzeit

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Dank An der Entstehung des vorliegenden Werkes haben viele Personen und Institutionen mitgewirkt, denen das Herausgeber*innenteam des deutschen Bandes zu aufrichtigem Dank verpflichtet ist: An erster Stelle danken wir den Autor*innen für ihre Beiträge und Kooperation. Ohne ihr rasches Mitwirken bei den Korrekturen wäre das Projekt wohl nicht in dem eng gesteckten Zeitplan der Schlussphase realisierbar gewesen. Besonders dankbar sind wir auch der Übersetzerin Gabriele Stein für ihre kompetente Arbeit. Für die Erstellung des Literaturverzeichnisses sei auch ganz herzlich den Hilfskräften des Instituts für Kirchengeschichte und Patrologie der Katholischen Privatuniversität Linz, Rebekka Sturmbauer und Doris Kastner, gedankt. Den Hauptherausgeberinnen des Projekts „Die Bibel und die Frauen“, insbesondere Irmtraud Fischer, gebührt unser Dank, dass sie unsere Arbeit mit Rat und Tat begleitet haben. Ebenso sei auch der Katholisch-Theologischen Fakultät und dem Vizerektorat für Forschung und Nachwuchsförderung wie auch dem Vizerektorat für Personal, Personalentwicklung und Gleichstellung der Karl-Franzens-Universität Graz in besonderer Weise für die Unterstützung gedankt. Last but not least bedanken wir uns herzlich beim Kohlhammer Verlag, namentlich bei Florian Specker, für die freundliche und unkomplizierte Zusammenarbeit bei der Drucklegung des Bandes. Köln – Linz, Juli 2018

Die Bibel, die Frauen und die Krise des neuzeitlichen Europa Adriana Valerio Universität Neapel Federico II

Vorbemerkung Die Bibel und die ihr zugesprochene Autorität bildeten das zentrale Problem, auf dem die Neuzeit aufbaute, denn die Schrift und ihre korrekte Auslegung waren der Anlass zur Spaltung Europas und der Christenheit, weil sie Konflikte zwischen den Konfessionen verursachten, die aus diesen Texten unterschiedliche Inspirationen schöpften und aus diesen Inspirationen wiederum unterschiedliche Lehraussagen und ekklesiologische Praktiken ableiteten. Überdies wagte das laikale Denken seine ersten Schritte und distanzierte sich – seit Lorenzo Valla in seinen Adnotationes (1444)1 einen kritischen Blick auf die heiligen Texte geworfen hatte – zunehmend und unaufhaltsam von deren apologetischer und dogmatischer Verwendung. So gesehen markierten die philologische Herangehensweise, die historische Sensibilität und die veränderten philosophischen Voraussetzungen, die der Humanismus geschaffen hatte und die später in die Aufklärung einmünden sollten, einen langen und gewundenen Weg in die Unabhängigkeit von der Autorität der Kirche und bereiteten den Boden für die historisch-kritische Methode des 19. Jahrhunderts. Der Beitrag, den die Frauen zur Geburt des modernen Europa geleistet haben, ist schwierig zu bewerten. Gewiss waren sie sowohl Protagonistinnen als auch Opfer der ideologischen und institutionellen Zusammenstöße, die jenes komplexe Gebilde aus Werten und Idealen hervorgebracht haben, das dann wiederum maßgeblich an der Ausdifferenzierung des modernen menschlichen Subjekts beteiligt war. Denn die Jahrhunderte, die hier untersucht werden sollen – das 15. bis 17. Jh. –, sind für die Genderforschung von entscheidender Bedeutung: In dieser Zeit werden die wesentlichen Bausteine der beiden Geschlechtsidentitäten herausgearbeitet und benutzt, um in ironischen und zuweilen bitterbösen Distanzgefechten über die charakteristischen Merkmale der männlichen und der weiblichen Natur nachzudenken. Auch in diesem Fall ist die Interpretation bzw. Rezeption der Bibel ein Schauplatz von Konfrontation und Konflikt, und wird als Arsenal von Argumenten für die eigene Sache genutzt. Disputationen, Traktate, Dialoge und satirische Kleinschriften argumentieren pro und kontra Gleichheit oder asymmetrische Ungleichheit der Geschlechter, und es entsteht ein Repertoire an Werken, die mit vollen Händen aus der Heiligen Schrift schöpfen. Denken wir nur an die Überlegungen der engagierten und gelehrten Isotta Nogarola (1418‒1466), die in ihrer Schrift De pari aut impari Evae atque Adae peccato2 ein öffentliches Gespräch mit dem Literaten 1

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Die Adnotationes von Lorenzo Valla (1444) wurden 1505 von Erasmus publiziert. Darin stellt Valla mittels einer antiaristotelischen und antischolastischen Position die Historizität der Sprache wieder her und legt so den Grundstein für eine neue, nicht von der Brille des Dogmatismus verzerrte Lesart der antiken Texte. Vgl. Margaret L. KING, „Isotta Nogarola, umanista e devota (1418‒1466)“, in Rinascimento

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Adriana Valerio

Ludovico Foscarini beginnt, um „die Frau“ von der Last der Erbsünde zu befreien. Ihrer Ansicht nach wurde sie nicht aus Machthunger, sondern aus Wissensdurst begangen: „Eva [...] strebte nicht danach, Gott an Macht, sondern nur an Erkenntnis des Guten und Bösen gleich zu sein.“3 Die später als Querelle des femmes bekannt gewordene Debatte, die sich, ausgehend von den Werken Christine de Pizans (Dit de la Rose, 1401 und Das Buch von der Stadt der Frauen, 1401‒1405) über die gesamte Neuzeit hinzog,4 wird Thema eines eigenen Bandes dieser Reihe sein und bildet lediglich den Hintergrund für die hier vorgelegte Untersuchung. In diesem Band geht es vielmehr darum, Hinweise auf eine kritische Haltung der Frauen gegenüber dem heiligen Text in den Ländern der katholischen Welt (Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Österreich) vor und nach dem Konzil von Trient (1545‒1563) exemplarisch vorzustellen.

1. Die Bibel, die Frauen und die Forderungen nach Reform 1.1 Der Zugang der Frauen zum heiligen Text Nicht anders als im Altertum und im Mittelalter blieb die Bibel auch im Humanismus der Sinnhorizont, in dem Frauen und Männer ihr eigenes Dasein verorteten. Sie taten dies jetzt mit einem besonderen spirituellen Zugang, der aus dem immer dringenderen Bedürfnis erwuchs, direkt aus den heiligen Texten zu schöpfen, und diese in ihrer Unmittelbarkeit zu rezipieren. Zeitgleich mit den Forderungen der Devotio moderna, die

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al femminile (hg. v. Ottavia Niccoli; Rom/Bari: Laterza, 1991), 4‒31. Zu Nogarolas in lateinischer Sprache verfassten Werken vgl. ISOTTAE NOGAROLAE VERONENSIS, Opera omnia quae supersunt... (hg. v. Eugen Abel; 2 Bde.; Wien/Budapest: apud Gerol et socios, 1886) und in der englischen Ausgabe: ISOTTA NOGAROLA, Complete writings: Letterbook, Dialogue on Adam and Eve, Orations (hg. u. übers. v. Margaret L. King u. Diana Robin; Chicago/London: University of Chicago Press, 2004). ISOTTAE NOGAROLAE VERONENSIS, Opera omnia, Bd. 2, 201f.: „Eva […] non appetivit se esse Deo similem in potentia, sed in scientia tantum boni et mali.“ Zur Querelle des femmes vgl. Joan KELLY, „Early Feminist Theory and the Querelle des Femmes. 1400‒1789“, Signs 1 (1982): 4‒28; Francine DAENENS, „Superiore perché inferiore: il paradosso della superiorità della donna in alcuni trattati italiani del Cinquecento“, in Trasgressione tragica e norma domestica. Esemplari di tipologie femminili della letteratura europea (hg. v. Vanna Gentili; Rom: Edizioni di Storia e Letteratura, 1983), 11‒50; Elisabeth GÖSSMANN, „Die Gelehrsamkeit der Frauen im Rahmen der europäischen Querelle des Femmes“, in Das Wohlgelahrte Frauenzimmer (hg. v. ders.; München: Iudicium, 1984), 7‒20; Valeria FERRARI SCHIEFER, La Belle Question (Luzern: Exodus, 1998) mit einer umfangreichen Bibliographie. Der Band 6.3 der Reihe „Die Bibel und die Frauen“ ist diesem Thema gewidmet und wird von Angela Muñoz und Xenia von Tippelskirch herausgegeben werden. Christine verwendet die Bibel als moralischen Unterbau ihrer auf die Vorzüge der Frauen gegründeten utopischen Stadt: Christine DE PIZAN, Das Buch von der Stadt der Frauen (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 41995); vgl. Charity WILLARD, Christine de Pizan: Her Life and Works (New York: Persea Books, 1984).

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zwecks weiterer Verbreitung und Verstehbarkeit der Schrift auch aufseiten der Laien auf den Gebrauch der Volkssprache drängte, sorgten sich manche Intellektuelle um eine korrekte Auslegung der christlichen (biblischen und patristischen) Quellen mit den geeigneten philologischen Methoden. Das muttersprachliche Idiom,– das sich schon seit dem 13. Jahrhundert ausprägte und durchsetzte, erschien vor allem vielen Humanisten als das nötige sprachliche Medium, um die Wahrheiten des Glaubens zu verstehen, während das Lateinische ihrer Ansicht nach den subtilen Ausführungen der Akademiker überlassen bleiben sollte. Die Notwendigkeit, zum biblischen Originaltext zurückzukehren, verband sich also im Lauf des 16. Jahrhunderts mit der Forderung, diesen Text für alle, auch für Frauen, zugänglich zu machen. Zudem begünstigte die revolutionäre Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern die Verbreitung von Büchern zum Privatgebrauch, die ein immer größeres Publikum erreichten. Nicht zufällig gab Johannes Gutenberg als erstes Buch die lateinische Bibel heraus (1454‒1456). Zehn Jahre später erschien eine für den Verleger überaus erfolgreiche deutsche Übersetzung von Johann Mentelin. Es war mithin unvermeidlich, dass die Debatte darüber, ob man den Laien die Verwendung der Bibel in der Volkssprache (in Auszügen oder einzelnen Büchern) gestatten sollte, in Europa noch lebhafter entbrannte als dies in der Vergangenheit schon geschehen war. In den vorangegangenen Jahrhunderten waren Gemeinschaften wie die Waldenser und später die Hussiten und Lollarden, die ebendiese Lesepraxis unterstützt und favorisiert hatten, innerkirchlich gescheitert. Die Möglichkeit, dass die Gläubigen mit dem lebendigen Wort des heiligen Texts in Berührung kamen, bereitete der kirchlichen Institution keine geringen Sorgen. Sie fürchtete, die volkssprachlichen Übersetzungen könnten auf Kosten der Autorität von Kirche und Tradition einer persönlichen Interpretation Vorschub leisten. Die erste vollständige Bibelübersetzung in Italien stammte von Nicolò Malerbi (Venedig 1471) und machte keinen Hehl aus ihrer Absicht, einen verständlichen Text ohne „irgendeinen Unterschied zwischen Mann und Frau oder nach Alter“ vorzulegen.5 Auch Erasmus unterstrich in der Einleitung seiner Ausgabe des Neuen Testaments (Paraklesis, 1516) die Notwendigkeit, die Schrift wieder ins Zentrum zu stellen und in die gesprochene Sprache zu übersetzen, damit sie für jeden Christen eine Gelegenheit der direkten Erkenntnis und inneren Erneuerung werde. Die Botschaft Christi richtete sich an alle ohne Unterschied des Geschlechts und des Standes, damit alle sie verstehen können: „Ich würde wünschen, dass alle Weiblein [mulierculae] das Evangelium lesen, auch dass sie die Paulinischen Briefe lesen“6 ‒ das sind dieselben Weiblein, auf die schon

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Epistola a Laurentio, 1478. Vgl. Edoardo BARBIERI, Le bibbie italiane del Quattrocento e del Cinquecento. Storia e bibliografia ragionata delle edizioni in lingua italiana dal 1471 al 1600, Bd. I (Mailand: Editrice bibliografica, 1992), 37‒70; 43. Originalzitat: „alcuna differentia de maschio o de femina o de età“. ERASMUS VON ROTTERDAM, In Novum Testamentum Praefationes. Paraclesis – Aufruf an den frommen Leser, in DERS., Ausgewählte Schriften, Bd. 3 (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1967), 15.

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Jean Gerson (De laude scriptorum,1423)7 verwiesen hatte, als er verlangte, die Heilige Schrift in die Volkssprache zu übersetzen, und an die sich auch Girolamo Savonarola im Zuge seiner Renovatio Ecclesiae gewandt hatte, welche sich auf die zentrale Stellung und das Studium der Bibel gründete.8 Auf der anderen Seite spiegelte auch das Programm der Kirchenreform, das Leo X. von Paolo Giustiniani und Pietro Quirini vorgelegt wurde (Libellus ad Leonem X, 1513), als wesentlichen Punkt das Anliegen wider, den Gläubigen den heiligen Text nahezubringen: die weitverbreitete Forderung nach nationalsprachlichen Bibelübersetzungen, die dann tatsächlich innerhalb weniger Jahre entstanden: Luther übersetzte das Neue Testament (1522) und die ganze Bibel (1534) ins Deutsche, Lefèvre d’Etaples die Evangelien ins Französische (1523), William Tyndale das Neue Testament (1526) und den Pentateuch (1530) ins Englische.9 Noch in seinem Vorwort zur italienischen Fassung des Neuen Testaments von 1530 betonte Antonio Brucioli10 die unersetzliche Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben und die Notwendigkeit ihrer Übersetzung, damit auch „eine Frau oder ein Schuhmacher“ sie mit einfachem Herzen verstehen könnten.11 Offenbar standen Kirchenreform und Gebrauch der Volkssprache in einem engen Zusammenhang. Die Bibel und ihre Übersetzungen erwiesen sich als der Pulsschlag dieser notwendigen Veränderung und Öffnung hin zu einer immer breiteren Beteiligung der Laien. Diese wurden nicht nur zum Indikator ihrer weiten Verbreitung und verstehenden Rezeption unter den Frauen, sondern, wie wir noch sehen werden, auch zu einem Hin7

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Rursus oporteret libros ipsis etiam laicis et mulierculis propinare ut docerentur per se legendo eos, facta translatione ad vulgare suum si non aliter conciperent: Jean GERSON, Œuvres complètes, Bd. 9 (hg. v. Palémon Glorieux; Paris: Desclée, 1973), 432. Für Savonarola war die zentrale Stellung der Heiligen Schrift im Leben des Christen entscheidend für die Reform der Kirche. Deshalb hatte er einerseits aus dem Kloster San Marco in Florenz ein aktives Zentrum für Bibelstudien gemacht, das der philologischen Forschung und der Kenntnis orientalischer Sprachen aufgeschlossen gegenüberstand; andererseits hatte er seine Predigttätigkeit so angelegt, dass die von Leidenschaft, prophetischer Sensibilität und einer existentiellen Hermeneutik getragenen Interpretationen für sein (auch weibliches) Publikum verständlich wurden. Vgl. Girolamo SAVONAROLA, Fede e speranza di un profeta (ausgew., eingel., übers. u. m. Anm. vers. v. Adriana Valerio; Mailand: Paoline, 1998) und zuletzt: Donald WEINSTEIN, Savonarola: The Rise and Fall of a Renaissance Prophet (New Haven: Yale Univ. Press, 2011). Die erste Bibel in kastilischer Sprache ist die Biblia Alfonsina (1270‒1284), die erste auf Katalanisch gedruckte Bibel die Biblia Valenciana (1478). Gigliola FRAGNITO, „Per una geografia delle traduzioni bibliche nell’Europa cattolica (sedicesimo e diciassettesimo secolo)“, in Papes, princes et savants dans l’Europe moderne: Mélanges à la mémoire de Bruno Neveu (hg. v. Jean-Louis Quantin u. Jean-Claude Waquet; Genf: Droz, 2007), 51‒77; 53ff., auch erschienen in DIES., Cinquecento italiano: Religione, cultura e potere dal Rinascimento alla Controriforma (Bologna: Il Mulino, 2012). Robert N. LEAR, Brucioli, Antonio, Dizionario Biografico degli Italiani XIV (1972): 480‒485. Antonio BRUCIOLI, Il Nuovo Testamento (Venedig: Lucantonio Giunta, 1530), 177. In der Übersetzung von 1532 betont er in der Widmung an Francesco I. die Notwendigkeit der Volkssprache, die es auch einfachen Menschen ermögliche, das Wort zu verstehen.

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dernis auf dem Weg zu der ersehnten Erneuerung des christlichen Lebens. Es überrascht also nicht, dass das von Reformbewegungen durchzogene Italien zwischen dem Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts in Bezug auf die Zahl der gedruckten volkssprachlichen Bibeln und Lektionare – und vermutlich auch die Verbreitung der entsprechenden Lesegewohnheiten ‒ gleich hinter Deutschland an zweiter Stelle stand.12 Und ebenso wenig überrascht es, dass der Benediktiner Massimo Teofilo, Verfasser einer Übersetzung des Neuen Testaments in die toskanische Volkssprache (Lyon, 1551), sich vor der römischen Inquisition verteidigen musste, weil er mit seinem Werk ungebildeten Laien (den Schweinen, denen man laut Mt 7,6 keine Perlen vorwerfen soll) den Zugang zur Offenbarung ermöglichte und sie so zu Hochmut und Kritik an der Autorität angestachelt habe.13 Die Schrift mit der Reinheit des Herzens und nicht mit den Anmaßungen der Wissenschaft zu verstehen, weil das Evangelium „den Unmündigen geoffenbart“ worden ist (vgl. Mt 11,25), war auch in der weiblichen Mystik, die glaubte, gerade in puncto Schwäche und Unwissenheit eine privilegierte Stellung für sich in Anspruch nehmen zu können, ein beliebtes, bereits paulinisch belegtes Thema: „Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen […], damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott“ (1 Kor 1,27‒29). Insbesondere den Ordensfrauen war dies deutlich bewusst, und so bauten sie hinter den Mauern der Klöster durch ihren regelmäßigen Umgang mit den heiligen Texten eine Beziehung zur Bibel auf, die ihnen nicht nur die Lektüre, Meditation und Betrachtung derselben, sondern, da sie sich von Gott erwählt fühlten, auch deren kühne Auslegung erlaubte. 1.2 Sinnieren über die Heilige Schrift Caterina Vigri aus Bologna (1413‒1463) machte die Heilige Schrift zur Nahrung jedes Christen und Waffe, mit der der Gläubige sich rüsten musste, zur Grundlage des Ordenslebens. In ihrem Werk Le sette armi spirituali („Die sieben geistlichen Waffen“) war die siebte Waffe die Notwendigkeit, sich der heiligen Texte zu erinnern, deren Rat man sich zu Herzen nehmen müsse wie den Rat einer Mutter.14 12

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Edoardo BARBIERI, Panorama delle traduzioni bibliche in volgare prima del Concilio di Trento (Mailand: CUSL, 2011). Andrea DEL COL, „Il Nuovo Testamento tradotto da Massimo Teofilo e altre opere stampate a Lione nel 1551“, Critica storica 15 (1978): 138‒171. „La memoria della santa Scriptura, la quale dovemo portare nel core nostro e da essa, si como da fidelissima madre, prendere consiglio in tutte le cose che abiamo a fare“: Caterina VIGRI, Le sette armi spirituali (hg. v. Antonella degl’Innocenti; Florenz: Edizioni del Galluzzo, 2000), 14. Übersetzung des Eingangszitats: „Die Erinnerung an die Heilige Schrift, die wir in unserem Herzen tragen und bei der wir als unserer treuesten Mutter in allen Dingen, die wir zu tun haben, Rat holen.“

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Das beweisen ihre eigenen Schriften, die mit – ausdrücklichen oder angedeuteten ‒ Schriftzitaten vor allem aus den Evangelien und aus Paulus gespickt sind, den Caterina besonders liebte.15 Eine andere Ordensfrau, Cecilia Coppoli (1426‒1500), kommentierte die Heilige Schrift nicht zuletzt dank ihrer Griechisch- und Lateinkenntnisse mit großer Autorität.16 Die Bibel bestimmte auch das Denken der vornehmen Klarissin Camilla Battista da Varano (1458‒1524), die, von Geburt an in der von Humanismus und Renaissance geprägten Atmosphäre des Hofs der Varano beheimatet, eine breite literarische Bildung erwarb, was sich auch daran ablesen lässt, dass sie Abschnitte aus der Heiligen Schrift in lateinischer Sprache zitiert. Jede Etappe ihres spirituellen Wegs hatte ihre eigene biblische Basis: So repräsentierte der Exodus das „große Ereignis“, das ihrer Berufung zugrunde liegt. Er lieferte gemeinsam mit dem Hohelied, den Prophetenbüchern und den Psalmen auch den Handlungsfaden für den ersten Teil ihrer Autobiographie. Besonders lieb waren ihr das Lukasevangelium und die paulinische Theologie. Insbesondere Letztere bildete den Bezugsrahmen, innerhalb dessen sich ihre Spiritualität ausprägte.17 Eine besonders gründliche Reform brachte Girolamo Savonarola in Florenz auf den Weg. Sein Interesse an einer aufmerksamen und stetigen Lektüre der Heiligen Schrift hatte ihn dazu veranlasst, das Kloster San Marco in ein aktives exegetisches Studienzentrum zu verwandeln. Der Dominikanermönch hatte sich dafür eingesetzt, dass jeder Christ den heiligen Text verstehen und so die Gelegenheit zu einer inneren Erneuerung erhalten sollte, die auf einer direkten Beziehung zum Wort Gottes beruht. Das beweist die beständige Aufmerksamkeit für den heiligen Text auch aufseiten seiner Schüler, von denen hier nur zwei erwähnt seien: der Prediger Tommaso Caiani (gest. 1528), der Lucrezia Borgia (1480‒1519), die Herzogin von Ferrara, in der persönlichen Meditation der Heiligen Schrift unterwies,18 und der Exeget Santi Pagnini (1470‒1541), der die Spiritualität der Mystikerin Domenica Narducci da Paradiso (1477‒1533)19 prägte, für die 15

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Paola RUBBI, Una Santa, una Città, Caterina Vigri, co-patrona di Bologna (Florenz: Edizioni del Galluzzo, 2004); Elisabeth BÄBLER, Susanne ERNST und Elisabeth ZACHERL (Hgg.), Katharina (Vigri) von Bologna (1413–1463), Leben und Schriften (Münster: Fachstelle Franziskanische Forschung, 2012). Vgl. Antonio FANTOZZI, „Documenti intorno alla beata Cecilia Coppoli clarissa (1426‒ 1500)“, Archivum Franciscanum Historicum 19 (1926): 334‒384; 357 u. 363. Pietro LUZI, Camilla Battista da Varano, Una spiritualità tra papa Borgia e Lutero (Turin: Gribaudi, 1989). Pietro MESSA und Massimo RESCHIGLIAN (Hgg.), Un desiderio senza misura: La santa Battista Varano e i suoi scritti (Assisi: Ed. Porziuncola, 2010). P. Gottfried EGGER (Hg.), Es begann mit einer Träne...: Leben und Schriften der heiligen Camilla Battista von Varano OSC (Wienerwald: Be&Be-Verlag, 2012). Zur Beziehung zwischen dem Mönch Tommaso Caiani und Lucrezia Borgia vgl. Gabriella ZARRI, La Religione di Lucrezia Borgia: Le lettere inedite del confessore (Rom: Roma nel Rinascimento, 2006). Der Hebraist Santi (oder Sante) Pagnini war seit Hieronymus der Erste, der eine lateinische Übersetzung der Bibel aus den Originalsprachen (Lyon 1527) verfaßte und in diese nummerierte Verse einführte: Timoteo M. CENTI , „L’attività letteraria di Santi Pagnini (1470–1536) nel campo delle scienze bibliche“ Archivum Fratrum Praedicatorum 15 (1945): 5–51; Anna

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die Bibel von zentraler Bedeutung und primäre geistliche Nahrungsquelle war (s. den Beitrag von Tamar Herzig in diesem Band). In engem Kontakt mit den Dominikanern von San Marco, von denen sie 1506 das Drittordenskleid empfängt, übernahm die ungebildete Domenica eine unangefochtene Rolle als charismatische Lehrmeisterin. Sie trug dazu bei, jenes umfangreiche Werk der geistlichen und gesellschaftlichen Erneuerung umzusetzen, das Savonarola auf den Weg gebracht hatte und dessen bevorzugte Protagonistinnen die Frauen waren: die sogenannte Reform der Frauen.20 Schwester Domenicas umfangreiches Briefkorpus enthält zahlreiche Verweise auf die Heilige Schrift: Die Episoden und Personen aus dem Alten und Neuen Testament dienten ihr bei der Deutung der zeitgenössischen Geschichte als Folie. So verwies sie auf Jona oder auf die Sintflut, um eine offenbar allzu tief in die Logik der Macht verstrickte Christenheit zur Reue aufzurufen. Das Wort Gottes ist nach ihrem Verständnis nicht dem Klerus und den Gelehrten vorbehalten, sondern für alle bestimmt, und muss daher verkündet werden. Deshalb predigt sie. Aus ihren Sermoni spricht eine keineswegs nur oberflächliche Kenntnis der Bibel, auch wenn sich die eher volkstümliche Prägung ihrer Bildung daran zeigt, dass sich ihr Interesse auf einige wenige typische Bibelepisoden, auf die zentralen Personen der Geschichte Israels – Adam und Eva, Noah, Abraham und Isaak, Mose ‒ und auf die repräsentativsten Ereignisse aus dem Leben Christi beschränkte: Verkündigung, Geburt, Beschneidung, Darstellung im Tempel, Leiden, Tod und Auferstehung. Jede ihrer Predigten, die sie stets am Vorabend vorbereitete, wird mit einem Vers oder einer Episode aus der Heiligen Schrift eingeleitet, die sodann anhand weiterer biblischer Verweise oder Beispiele aus dem Alltag erläutert und entwickelt werden. Die Synoptiker, unter denen Matthäus dominiert, sind breit vertreten und untermauerten die sittlichen Ermahnungen und geistlichen Hinweise, die Domenica nicht nur ihren Mitschwestern, sondern auch ihren SchülerInnen mit auf den Weg geben wollte: die Notwendigkeit des Gebets (Mt 7,7), tätigen Glaubens (Mt 7,16–21), der Demut (Mt 23,12), der Klugheit (Mt 10,16), der Wachsamkeit (Mt 25,1), des aktiven und energischen Einsatzes (Mt 11,12), der Armut (Mt 19,24) und der heiligmachenden Gnade (Lk 7,36‒50). Die florentinische Mystikerin bereitete ihre Predigten also akkurat vor, obwohl ihre Deutung der Heiligen Schrift oft von prophetischer Inspiration getragen und begleitet wurde. Das galt auch für ihre Interpretation der Perikope „Die Frauen sollen in der Versammlung schweigen“ (vgl. 1 Kor 14,34), die ihrer Ansicht nach „von vielen nicht richtig verstanden“ wurde.21 Sie überwand die traditionelle exegetische Auslegung, die den

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MORISI GUERRA, „Santi Pagnini traducteur de la Bible“, in Les Églises et le Talmud: ce que les Chrétiens savaient du judaïsme (XVIe–XIXe siècles) (hg. v. Daniel Tollet; Paris: 2006), 35‒42. Tamar HERZIG, Savonarola’s Women: Visions and Reform in Renaissance Italy (Chicago/London: University of Chicago Press, 2008). Adriana VALERIO, „Le prediche di Domenica da Paradiso tra esperienza mistica e riforma della Chiesa“, in I Sermoni di Domenica da Paradiso: Studi e testo critico (hg. v. Rita Librandi und Adriana Valerio: Florenz: SISMEL, 1999), XV–LXVII.

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Frauen das Predigen verbot, indem sie sich auf eine direkte Offenbarung des Paulus beruft, der ihr erklärt habe, dass Gott es den Frauen erlaubt, zu sprechen, zu predigen und prophetisch zu reden, um die Hochmütigen zu erniedrigen, weil er „nicht das Wissen oder den Reichtum, sondern die Güte und die Einfachheit erwählt.“ Nur den Frauen von Korinth habe Paulus das Sprechen verboten, weil sie gelärmt und gezankt hätten. Doch natürlich habe er die Freiheit des Geistes nicht einschränken können, der ruft, wen er will. Die Männer der Kirche seien mithin schlechte Exegeten gewesen. Sie hätten sich von einem trügerischen Deutungshorizont in die Irre führen lassen, sich in eine falsche Lesart verrannt und seien daher unfähig, die wahre Botschaft der Heiligen Schrift zu erkennen.22 Auch die spanischen Visionärinnen aus der Epoche von Kardinal Cisneros (1436‒ 1517), die uns in diesem Band von Ronald Surtz, Angela Muñoz Fernández und Maria Laura Giordano vorgestellt werden, fühlten sich durch ihre direkte Beziehung zum Wort als Protagonistinnen einer religiösen Erneuerung, die keinen Aufschub duldete. In einem von der Idee der Reinheit des Blutes (limpieza de sangre) besessenen Kastilien, das die (nur äußerlich zum Katholizismus übergetretenen) Conversos verfolgte und die Juden aus dem Land jagte (1492), brachten María de Ajofrín (gest. 1495), Juana Rodríguez (gest. 1505), María de Toledo (1447‒1507), Juana de la Cruz (1481‒1534), María de Santo Domingo (1486‒1524), María de Cazalla (1487‒1534) und Isabel de la Cruz (1512‒1532) mit ihren Schriften Widerstand und Dissens zum Ausdruck. Die Einrichtung der spanischen Inquisition (1478) hatte die Zusammensetzung der spanischen Gesellschaft tiefgreifend verändert und das Zusammenleben mit der islamischen und insbesondere mit der jüdischen Gemeinschaft unheilbar beschädigt. Die schon früh etablierte Gewohnheit, die Bibel in der Volksprache zu verwenden – man denke nur an die sogenannte Biblia Alfonsina (1280) in kastilischer Sprache, ein Gemeinschaftswerk christlicher und jüdischer Gelehrter – wurde im Zuge der neuen Politik der Monarchen Ferdinand und Isabella, die einen unerbittlichen Säuberungsprozess in Gang setzten, abgeschafft. Die volkssprachliche Bibel geriet dabei in den Verdacht des Kryptojudaismus: Sie zu drucken, zu besitzen oder in Umlauf zu bringen, wurde verboten. Und doch lebte die Heilige Schrift in den Alumbradas fort, jenen Frauen, die, von Gottesliebe durchdrungen, biblische Passagen nachlebten, darüber predigten und sie im Licht ihrer eigenen spirituellen Erfahrung bearbeiteten, wobei sie sich auf das Pauluswort beriefen: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor 3,6).23 Einen Kontrapunkt zum Panorama der Beatas der Cisneros-Zeit (s. den Beitrag von Roland Surtz in diesem Band) bildete die vielleicht umstrittenste Persönlichkeit dieser Epoche, Sor Juana de la Cruz, deren egalitäre, direkt aus den Worten Christi abgeleitete Botschaften im vorliegenden Band zum ersten Mal vorgestellt werden (s. den Beitrag von Angela Muñoz Fernández). Die sozio-spirituelle Dimension ihrer Predigten und der 22

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Zu dieser Predigt und ihrer Interpretation vgl. VALERIO, „Le prediche di Domenica da Paradiso“, LXLXII u. 157‒159. Maria PALACIOS ALCALDE, „Las Beatas ante la Inquisición“, Hispania Sacra 40 (1988): 107‒ 131; Michele OLIVARI, „La spiritualità spagnola nel primo trentennio del Cinquecento“, Rivista di Storia e Letteratura Religiosa 1 (1993): 175‒233.

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humanistische Universalismus von Isabel de la Cruz und María de Cazalla (s. den Beitrag von Maria Laura Giordano) sind eindeutige Beispiele für eine Wiederaneignung des Wortes: Auf ähnlichen Wegen wie die meist unterschwellig präsente Bewegung des Freien Geistes24 gelangten die beiden zu einer innerlichen Religiosität, die für das Heil aller Völker offen war: Diesen Versuch ‒ den man angesichts der Situation, die Ende des 15. Jahrhunderts auf der iberischen Halbinsel herrscht, nur als kläglich gescheitert bezeichnen kann ‒ hatte der Philosoph Ramon Llull bereits im 13. Jahrhundert unternommen (Buch vom Heiden und den drei Weisen, 1274). 25 Zu den Alumbrados gehörte auch der Spanier Juan de Valdés (1500‒1542), der nach der Verurteilung seines Werks Diálogo de doctrina cristiana (1529) ins Exil nach Italien ging.26 Von 1534 bis zu seinem Tod versammelte er in Neapel einen Kreis von Frauen und Männern um sich, die unter Vernachlässigung der äußerlichen Formen des Ritus nach einer innerlichen Dimension des Glaubens suchten. 1.3 Frauen der Aristokratie und die Bibel Der Valdesianismus27 in Italien war maßgeblich von den Frauen der Adelsschicht geprägt. Aus der intensiven geistlichen Beziehung zu Giulia Gonzaga,28 die Valdés 1535 in Fondi kennenlernte und als seine spirituelle Erbin betrachtete, ging der Alfabeto cristiano (1545) hervor, ein Text, in dem der Spanier in einem tiefgründigen Dialog mit Giulia die Schrift als eine Etappe auf dem Weg zur Liebe Gottes und als ein Wort bezeichnete, das mit dem inneren Auge des Glaubens gehört werden müsse: 24

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Zur Präsenz der Brüder und Schwestern des Freien Geistes in Spanien vgl. die Überlegungen von Romana GUARNIERI, „Il movimento del Libero Spirito dalle origini al secolo XVI“, Archivio Italiano per la Storia della Pietà 4 (1965): 353‒499; 483f. Ramon LLULL, Libre del gentil e dels tres savis (hg. v. Antoni Bonner; Palma de Mallorca: Patronat Ramon Llull, 22001). Eine nach der lateinischen Fassung erstellte deutsche Übersetzung ist bei Reclam erschienen: Ramon LULL, Das Buch vom Heiden und den drei Weisen (übers. u. hg. v. Theodor Pindl; Stuttgart: Reclam, 1998). Daniel A. CREWS, Twilight of the Renaissance: The Life of Juan de Valdès (Toronto/ Buffalo/London: Univ. di Toronto, 2008). Wolfgang OTTO, Juan de Valdés und die Reformation in Spanien im 16. Jahrhundert (Frankfurt a. M.: Lang, 1988). Giulia Gonzaga (1512‒1566) übt in Fondi die Funktionen einer Regentin aus und kümmert sich um die Staatsverwaltung und die politischen Beziehungen; ihr Hof wird schon bald zum Zentrum kultureller und religiöser Debatten. 1535 siedelt sie in das Kloster S. Francesco delle Monache in Neapel über und schart dort eine Gruppe von Valdés-Anhängern um sich, der zahlreiche für das reformatorische Gedankengut aufgeschlossene Personen wie Costanza d’Avalos, Maria d’Aragona, Ferrante Sanseverino, Bernardo Tasso, Galeazzo Caracciolo, Marcantonio Flaminio, Mario Galeota, Pietro Carnesecchi oder Isabella Bresegna angehören ‒ allesamt aufmerksame Leser der Heiligen Schrift. Susanna PEYRONEL RAMBALDI, Una gentildonna irrequieta: Giulia Gonzaga fra reti familiari e relazioni eterodosse (Rom: Viella, 2012). Camilla RUSSEL, Giulia Gonzaga and the religious controversies of sixteenth-century in Italy (Brepols: Turnhout, 2006).

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Und wenn ihr in Dingen der Heiligen Schrift lest, dann sollt ihr bedenken, dass Gott mit euch spricht, und deshalb sollt ihr in demütigem und gehorsamem Geist zu ihr hingehen und bedenken, dass ihr nicht lest, um argumentieren zu können, sondern um zu verstehen, wie ihr leben sollt.29

Die Schrift war also für die Valdesianer keine Wissenschaft, die mit dem Intellekt studiert werden musste, sondern vielmehr eine Erfahrung des Glaubens, die den Gläubigen auf seinem Weg erleuchtete. Das Leben der Giulia Gonzaga liefert uns weitere Informationen über das dichtgeknüpfte Netz, das die Vertreterinnen des weiblichen Humanismus miteinander verband: gebildete Frauen mit hervorragenden Beziehungen zur europäischen Aristokratie, die die Erneuerung unterstützten und zur Verbreitung ihrer Forderungen – in denen die Bibel eine unverzichtbare Rolle spielte ‒ beitragen wollten. Zu ihnen gehörte auch Vittoria Colonna, Markgräfin von Pescara (1490‒1547), maßgebliche Protagonistin der evangelischen Bewegung in Italien und aktive Vertreterin der Reformbestrebungen in der Kirche der Renaissance. Die Dichterin hatte eine direkte Beziehung zur Bibel, wie die Analyse ihrer Werke zeigt: der Rime – in denen biblische Themen und Personen Anlass zu spirituellen Überlegungen geben ‒ und des Carteggio, der deutlich macht, welche zentrale Rolle die heiligen Texte für ihren persönlichen Glaubensweg gespielt haben.30 Sie unterhielt intensive und überaus reiche Beziehungen zu den wichtigsten Vertretern der katholischen Reform. 1530 nahm sie in Neapel an den Treffen des Kreises der Giulia Gonzaga teil, der sich um die Person und das Denken des Juan de Valdés herum formiert hatte. 1537 hatte sie in Ferrara am umtriebigen Hof der Renée de France, der 29

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Juan DE VALDÉS, Alfabeto cristiano: Dialogo con Giulia Gonzaga (hg. v. Benedetto Croce; Bari: Laterza, 1938), 106f. Giulia ist eine Anhängerin von Valdés’ Lehre und setzt sich für die Verbreitung seiner Werke ein: 1543 lässt sie den Beneficio di Cristo, 1545 den Alfabeto cristiano und 1550 Le centodieci divine considerazioni veröffentlichen. Marcantonio Flaminio wird ihr seine Meditationi et orationi formate sopra l’epistola di San Paolo ai Romani (1542) widmen und sie dazu ermutigen, biblische Texte auszulegen, da sie die Möglichkeit habe, sie zu verstehen: Marcantonio FLAMINIO, Apologia del „Beneficio di Christo“ e altri scritti inediti (hg. v. Dario Marcatto; Florenz: Olschki, 1996), 70. Vittoria COLONNA, Rime (hg. v. Alan Bullock; Rom/Bari: Laterza, 1982) (nachfolgend Rime); DIES., Carteggio (hg. v. Ermanno Ferrero und Giuseppe Müller mit Erg. v. Domenico Tordi; Turin: Loescher, 1892) (nachfolgend Carteggio). Zu Vittoria Colonna vgl. Adriana VALERIO, „Bibbia, ardimento, coscienza femminile: Vittoria Colonna“, in DIES., Cristianesimo al femminile (Neapel: D’Auria, 1990), 151‒170; Concetta RANIERI, „Premesse umanistiche alla religiosità di Vittoria Colonna“, Rivista di Storia e Letteratura Religiosa 32 (1996): 531‒548, mit umfangreicher Bibliographie. Vittoria Colonna ist die einzige Frau, die während der Regensburger Gespräche 1541 mit der Epistula de justificatione von Kardinal Contarini vertraut war, in der dieser eine Verständigung mit den Protestanten befürwortete. Die Zahl der Arbeiten über Vittoria Colonna hat sich in den letzten Jahren vervielfacht, und es ist unmöglich, hier alle zu nennen. Daher hier der Verweis lediglich auf die jüngste Untersuchung: Maria MUSIOL, Vittoria Colonna: A Woman’s Renaissance: An Approach to her life and to herself (Berlin: epubli GmbH, 2013).

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ein Treffpunkt für reformerische Intellektuelle war, Gelegenheit, sich mit Marguerite de Navarre, einer zentralen Figur der religiösen Reform in Frankreich, anzufreunden. 1538 lernte sie in Lucca, wo sie die Predigten von Bernardino Ochino hörte, den Humanisten Pietro Carnesecchi kennen. Im selben Jahr begegnete sie auch Michelangelo, mit dem sie eine von tiefem und intensivem spirituellen Austausch geprägte Freundschaft verband.31 1541 war sie im Kloster S. Caterina in Viterbo ein regelmäßiger Gast im reformerischen Zirkel um den englischen Kardinal Reginald Pole, mit dem sie über die Bibel und die Kirchenreform diskutierte. Die Heilige Schrift musste nach Ansicht der Markgräfin von Pescara mit dem inneren Auge des Glaubens interpretiert werden; ihre Meditation ging über eine rein devotionale Akzentuierung hinaus und gestaltete sich eher als ein intensives Zwiegespräch mit dem heiligen Text, damit er sie erleuchtete und zur inneren Erneuerung hinführte, in deren Zentrum der fleischgewordene und leidende Christus stand. Die Personen des Evangeliums gewannen für die Dichterin eine besondere Bedeutung, wobei das Johannesevangelium bei dieser Wahrheitssuche zu ihrer bevorzugten Lektüre wurde: Der Blindgeborene (Joh 9,1ff.), der helleren Glanz im Inneren entdeckte,32 der ungläubige Thomas (Joh 20,24‒29), der nicht das Verdienst hatte, „das Unsichtbare zu glauben“,33 die Samariterin (Joh 4), die von Jesus lernte, „dass man im Geist und in der Wahrheit beten muss“,34 erscheinen als Figuren, die auf dem Weg des Glaubens nach einem inneren Licht suchen müssen, das ihnen hilft, eine Freiheit zu gewinnen, die im Gewissen wurzelt. Die Frauen der Evangelien erhielten ein besonders einmaliges Profil. So lehnte Vittoria Colonna die traditionelle Deutung ab, der zufolge die Ehebrecherin vor dem Urteil Jesu gezittert habe, und sandte dem Prediger Bernardino Ochino eine persönliche Meditation über diese Episode (Joh 8,1‒11), in der sie betonte, es sei der Ehebrecherin bewusst gewesen, dass sie vor der Milde einer heilsbringenden Liebe und vor einem „benigno Signore“, einem „gütigen Herrn“, gestanden habe: Einige sagen, dass sie zitternd dagestanden habe [...]. Doch ich erkühne mich, das Gegenteil zu sagen, ja, ich glaube, dass ihr, als jene fortgingen, alle Last von ihren Schultern genommen schien und ein überaus großer Glaube in ihr aufkam, dass dieser gütige Herr sie freisprechen würde.35

Auch die Gestalt der Magdalena gab zu verschiedenen Interpretationen Anlass, die über das damals traditionelle hagiographische Bild vom Inbegriff der Sünderin und Büßerin hinausgingen. Die Liebe der Magdalena, die im Unterschied zu den von Furcht erfüllten 31

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Claudio SCARPATI, „Le rime spirituali di Vittoria Colonna nel codice Vaticano donato a Michelangelo“, Aevum 78 (2004): 693‒717. S2: 28, Rime, 191: „splendor maggior dentro scoperse“. S1:118, Rime, 144: „di creder l’invisibile“. S2: 29, Rime, 191: „che in spirto e verità doveasi orare“. Michelangelo hat für sie eine Samariterin am Jakobsbrunnen gezeichnet. Carteggio, Epistola CXLIV, 244 (Kursivsetzung d. Verf.). Originalzitat: „Dicono alcuni che là restò tremando (…). Et io ardisco dire il contrario: anzi credo che in partirsi coloro gli parve che ogni grave peso se le togliesse dalle spalle, et gli nacque una grandissima fede che questo benigno Signore l’assolveria.“

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Männern nicht aufgibt ‒ „Daher [...] muss den Frauen der innere Wert zugesprochen werden, dass sie ein entflammteres und beständigeres Herz haben“36 –, ist ein wiederkehrendes Thema und gibt Vittoria Colonna Gelegenheit zu weiterreichenden Betrachtungen über das weibliche Geschlecht, das ihrer Ansicht nach größere Beachtung verdient hätte, weil es ein glühenderes und beständigeres Herz habe.37 Dieses „cor fermo“, das „standhafte Herz“ nämlich – so wird die Marchesa an den Kardinal Giovanni Morone schreiben – erlaubte es der geliebten Jüngerin, dem auferstandenen Meister alleine zu begegnen,38 den sie nicht mit den Augen „della carne“, d.h. des Fleisches, sondern mit dem Glauben erkannte, der aus der Liebe erwuchs. Ergänzt wurden die Themen der Umkehr und der glühenden Liebe durch Verweise auf die aktive Funktion der Magdalena, der der Herr, „um sie als seine Apostelin zu bestätigen, gebot, die erste Verkündigerin […] seiner Auferstehung zu sein.“39 Die geliebte Apostelin, die perfekt geschaffen und mit der Verkündigung des Wortes Gottes begabt gewesen sei, wurde in ihrer komplexen Symbolhaftigkeit, ihrer außergewöhnlichen Verschmelzung aus aktivem und kontemplativem Leben zur Geltung gebracht, die der Humanismus wieder zu einem Ganzen zusammenfügen wollte. Originalität der Auslegung finden wir schließlich auch in dem Prosatext Pianto sopra la Passione di Cristo (1539‒1541, aber erst 1556 postum veröffentlicht),40 in dem Vittoria Colonna das Leiden Christi aus der Sicht der Mutter betrachtet. Es handelte sich einerseits um eine Meditation über den Schmerz der Mutter, die den toten Sohn in ihren Armen hält und mit der die Dichterin sich identifiziert, und andererseits um einen Ausblick auf einen Glauben, der den Schmerz in der Erwartung der Auferstehung und im Bewusstsein der überströmenden Gnade Gottes überwindet. Diese Erwartung teilte die Dichterin mit Michelangelo, der eine Pietà, einen Christus am Kreuz und einen Jesus mit der Samariterin am Jakobsbrunnen für sie zeichnete und so den außergewöhnlichen Gleichklang des Glaubens dieser beiden Suchenden zum Ausdruck brachte. Ebenfalls mit der Bibel vertraut war die gebildete und feinsinnige Herzogin Caterina Cibo (1501‒1557). Mit ihrer ausgeprägten Sensibilität für die religiösen Fermentie-

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„che ’l cor, ch’arde d’amor, di nulla teme “. „Onde […] convien dar a le donne il preggio intero / d’aver il cor più acceso e più costante“: S1: 155,8, Rime, 162; s. auch S2: 36, 124‒138, Rime, 198. Übersetzung des Zitates im Text: „weil das Herz, das vor Liebe brennt, nichts fürchtet“. „[…] quando, cercandolo, resuscitato li apparve et intendendo lei la voce amata dirgli ‘Maria’, conobbe col cuore il maestro in altra più divina cognitione“, Carteggio, Epistola CLXIV, 278: „[...] als ihr, da sie ihn suchte, der Auferstandene erschien und sie hörte, wie die geliebte Stimme ‘Maria’ zu ihr sagte, erkannte sie den Meister mit dem Herzen in einer anderen, göttlicheren Erkenntnis“. Carteggio, Epistola CLXX, 299ff.: „per certificarla che era sua apostola le comandò che fosse la prima annunciatrice […] della sua resurrezione“. Der Pianto ist abgedruckt in: Paolo SIMONCELLI, Evangelismo italiano del Cinquecento (Rom: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea, 1979), 423‒428. Vgl. auch Abigail BRUNDIN, „Vittoria Colonna and the Virgin Mary“, The Modern Language Review 1 (2001): 61‒81.

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rungsprozesse ihrer Zeit war Caterina maßgeblich an der Entstehung des Kapuzinerordens beteiligt, der 1527 mit ihrer Hilfe in Camerino seine ersten Gemeinschaften gründete. Sie stand in intensivem geistlichen Austausch mit dem Prediger Bernardino Ochino, wie ihre Präsenz in den Dialogi sette (genauer gesagt in den Dialogen I, II, IV und VII) beweist: Hier war Cibo die bevorzugte Gesprächspartnerin in Fragen des Glaubens und der Rechtfertigungslehre. Von Bedeutung war auch ihre Verbindung zu der Mystikerin Domenica Narducci: Die Herzogin bat sie um ihren Rat bei der Auslegung einiger Bibelstellen, die die Themen der Gnade und der Werke betreffen (s. den Beitrag von Tamar Herzig).41 Das Geflecht der Beziehungen zwischen den europäischen Höfen, in dessen Zentrum die Bibel stand, breitete sich von Italien nach Frankreich und Spanien aus. Wir wissen von der tiefen religiösen Bildung der Marguerite d’Angoulême, Königin von Navarra (1492‒1549), einer gebildeten Frau, Mäzenin von Künstlern und Literaten und selbst Schriftstellerin. Sie unterhielt Verbindungen zum Kreis von Meaux und stand der Exegese von Lefèvre d’Étaples sowie der Spiritualität des Bischofs Guillaume Briçonnet nahe. Marguerite ist eine bedeutende Figur im Umfeld der französischen Reformation, die sich ausgehend von Erasmus’ Ideen entwickelt hatte und die Elemente der mittelalterlichen Mystik und des Neuplatonismus der Renaissance integrierte.42 Ausdrückliche Verweise auf die Heilige Schrift fanden sich in ihren Theaterstücken (s. den Beitrag von Violaine Giacomotto-Charra), in ihren Dichtungen, ihren Erzählungen und auch in ihren Briefen. Genau wie bei Vittoria Colonna wird auch bei Marguerite die Nüchternheit des biblischen Erzählens greifbar: Die spirituellen Bezüge sind maßvoll und folgen den Vorgaben einer ausgewogenen patristischen Exegese. Ihre Schriftlektüre ist beharrlich und persönlich, nicht mechanisch und passiv, sondern aufmerksam und anteilnehmend – eine Übung, die es täglich zu pflegen gilt. Das belegt Marguerites Hauptwerk, das Heptaméron (postum 1558), eine an Boccaccio angelehnte Novellensammlung zum Thema Liebe, die in ihren vielfältigen sinnlichen und mystischen Aspekten behandelt wird. Im Heptaméron begegnet uns neben der beißenden Kritik am korrupten und unwissenden Klerus, an der bloß äußerlichen Religiosität und an der schlechten Verwaltung des Gottesworts und der Sakramente vor allem das Wissen um die Notwendigkeit einer täglichen und regelmäßigen Bibellektüre vonseiten jedes Christgläubigen. Denn nicht den Mönchen der Abtei Notre-Dame de Serrance, in der eine sorglose Gesellschaft (devisants) junger Leute Schutz vor einem Unwetter suchte, wird die Aufgabe anvertraut, das Wort Gottes auszulegen, sondern einer Frau namens 41

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Adriana VALERIO, „Caterina Cibo e la spiritualità savonaroliana attraverso il magistero profetico di Domenica da Paradiso“, in Munera Parva, Bd. II (hg. v. Gennaro Luongo; Neapel: Fridericiana, 1999), 141‒154. Jonathan A. REID, King’s Sister ‒ Queen of Dissent: Marguerite of Navarre (1492‒1549) and her Evangelical Network (2 Bde.; Leiden/Boston: Brill 2009). Pierre JOURDA, Margherite d’Angoulême Duchesse d’Alençon, Reine de Navarre (1492‒1549), Bd. I (Paris: Honoré Champion, 1930 [Nachdr. Turin: Bottega d’Erasmo, 1966]), 904‒911 („Le idee religiose“); Marguerite SOULIÉ, „Le théatre et la Bible au XVIe siècle“, in Le temps des Réformes et la Bible (hg. v. Guy Bedouelle und Bernard Roussel; Paris: Beauchesne, 1989), 635–658.

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Oisille – wahrscheinlich ein Anagramm zum Namen von Marguerites Mutter Luise von Savoyen. Die Witwe Oisille, die die Älteste in der Gruppe ist, verkörpert die Autorität und Wirksamkeit der Bibel und leitet jeden Morgen, ehe mit der Erzählung der Novellen begonnen wird, die Bibellesung und das anschließende Nachdenken über die Heilige Schrift, „die wahre und vollkommene Freude des Geistes, aus welcher leibliche Ruhe und Gesundheit hervorgehen.“43 Marguerite bringt, allerdings in spielerischer und satirischer Form, ihre spirituelle Sicht in erotischen Erzählungen und Liebesgeschichten zum Ausdruck und nutzt jede Gelegenheit, um hervorzuheben, dass das Christentum eine Religion der Liebe ist, in der Gott allein rettet und die Gnade als Heilsinstrument dient. In diesem Zusammenhang veranschaulicht das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner (Lk 18,9‒14), dass die Gnade Gottes nicht auf Adel oder Reichtum, sondern auf die Innerlichkeit des religiösen Lebens achtet. Auch Renée de France (1510‒1575) stand mit dem humanistischen Kreis um Marguerite de Navarre in Kontakt. Renée, Tochter Ludwigs XII., hatte die Gemeinschaft von Meaux mit ihrer Atmosphäre intensiver spiritueller Erfahrung in ihrer Kindheit kennengelernt. Nachdem sie mit Ercole II., dem Herzog von Ferrara, verheiratet worden war, hatte sie bei Hof einen Zufluchtsort für die französischen Exilierten und reformatorischen Abweichler geschaffen und auf diese Weise die Debatte über die Notwendigkeit einer auch religiösen Rinascita begünstigt.44 Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die Irrtümer der Kirche in der Auslegung der Schrift und damit die Autorität des Papstes, die Realpräsenz in der Hostie, die Gültigkeit der Sakramente, die Mittlerfunktion Marias und der Heiligen und die Existenz des Fegefeuers. Mit Johannes Calvin, der Ferrara 1536 besuchte, begann Renée eine Korrespondenz, die ihr Leben lang andauern sollte. Trotz ihrer Zugehörigkeit zum reformatorischen Glauben war sie in politischer Hinsicht um Neutralität bemüht. Nach dem Tod ihres Mannes, der sie aus Furcht vor der Inquisition unter Hausarrest gestellt hatte, kehrte Renée 1558 in ihre Heimat zurück. Auf ihrem kleinen Landgut in Montargis unweit von Orléans gewährte sie Katholiken wie Hugenotten gleichermaßen Aufnahme und brachte ihre Achtung vor der Gewissensfreiheit dadurch zum Ausdruck, dass sie Kriegsflüchtlingen und -opfern half, ohne nach ihrem Glaubensbekenntnis zu fragen. Dieses weibliche Führungscharisma aus mutigen Entscheidungen, die zuweilen in die Heterodoxie, zuweilen aber auch in gemäßigte, nicht von Unnachgiebigkeit, sondern von Respekt diktierte Positionen mündeten, begegnet uns auch bei anderen Persönlichkeiten ersten Ranges wie Maria von Ungarn (1505‒1558). Die Tochter Philipps des Schönen und Johannas der Wahnsinnigen heiratete im Alter von 17 Jahren Ludwig II.,

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Prolog zum ersten Tag: MARGHERITE DE NAVARRE, Heptaméron (hg. v. Simone de Reyff; Paris: Flammarion, 1982), 45; dt. Ausg.: MARGARETE VON NAVARRA, Das Heptameron (München: dtv, 21999), 15. Eleonora BELLIGNI, Renata di Francia (1510‒1575): Un’eresia di corte (Turin: UTET, 2011). Fanny COSANDEY, La reine de France: Symbole et pouvoir, XV‒XVIII siécle (Paris: Gallimard, 2000).

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den König von Böhmen und Ungarn. Als aufmerksame Leserin des Evangeliums sympathisierte sie mit den Lutheranern (Luther selbst widmet ihr vier seiner Predigten über die Psalmen), die sie vor Kerkerhaft und Tod zu bewahren suchte. Sie war gegen den Einsatz von Zwang und Gewalt und engagierte sich mit einer toleranten Religionspolitik für eine Versöhnung zwischen den unterschiedlichen Parteien. 1530 nahm die maßvolle und kluge Frau am Reichstag zu Augsburg teil. Von 1531 an war sie Regentin der Niederlande und versuchte, die gegen die Lutheraner gefällten Urteile abzumildern. Genauso beherbergte auch Isabella Bresegna (1510‒1567), gebürtige Spanierin, die aber in Neapel von Giulia Gonzaga erzogen wurde, an ihrem Hof in Piacenza Persönlichkeiten, die den lutherischen Ideen nahestanden. Dem Calvinismus zugeneigt, den sie 1553 in Ferrara am Hof der Renée de France kennengelernt hatte, entkam sie im Juni 1559 in die Schweiz – wahrscheinlich hatte Giulia Gonzaga sie davor gewarnt, dass ein Ketzerprozess gegen sie angestrengt werden würde ‒ und ging nach Chiavenna, wo sie Landsleuten und EmigrantInnen Gastfreundschaft gewährte. In diesen Jahren widmete Bernardino Ochino ihr seinen Traktat Disputa intorno al sacramento della Cena di Cristo (1561).45 Nicht wenige Frauen traten von der katholischen Kirche zur Reformation über, doch nicht einmal in den betreffenden Regionen sollte ihnen ein einfaches Leben vergönnt sein: ein dramatisches und prägendes Kapitel in der Geschichte der europäischen Frauen, die gerade dabei waren, ihre eigene Geschlechtsidentität zu konstruieren.46 Diese religiöse Unruhe bei den Frauen der aristokratischen Elite, die zwischen kritischem Denken, Dissens und Parteinahme hin und her gerissen waren, und nach einer verinnerlichten Religiosität suchten, zeigt, dass sie dank der besonderen Sensibilität, mit der sie den biblischen Text befragten, in ganz Europa im Zentrum der spirituellen Erneuerung und der Vorschläge für eine Reform der Kirche standen. Auch die Rolle der Adligen, die als Mäzeninnen und Sammlerinnen im wahrsten Sinne des Wortes Kulturförderinnen waren, darf nicht unterbewertet werden. Margareta von York (1446‒1503), Isabella die Katholische (1451‒1504) und Margarete von Österreich (1480‒1530) sind nur einige Beispiele aus drei verschiedenen europäischen Kontexten, die die leidenschaftliche Aktivität der Frauen im Bereich der Künste und ihre grundlegende Aufmerksamkeit für die ikonographische Wiedergabe biblischer Inhalte belegen (s. den Beitrag von María Leticia Sánchez Hernández).

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Benedetto NICOLINI, Una calvinista napoletana: Isabella Bresegna (Neapel: Archivio storico del Banco di Napoli, 1954); Ronald H. BAINTON, Donne della Riforma, Bd. 1: In Italia, Germania e Francia (Turin: Claudiana, 1992 [Original: Minneapolis: Ausburg, 1971]), 271‒286. Vgl. BAINTON, Donne della Riforma, Bd. 1 und Bd. 2: In Inghilterra, in Scozia, in Polonia, in Ungheria, in Transilvania, in Danimarca, in Svezia e in Spagna (Turin: Claudiana, 1997 [Original: Bd. 2 u. 3; Minneapolis: Augsburg, 1973‒1977]). Dieses Thema wird in einem anderen Band (7.3) der Reihe Die Bibel und die Frauen behandelt werden; der betreffende Band wird sich mit den europäischen Ländern befassen, die sich der Reformation angeschlossen haben, und von Charlotte Methuen, Lothar Vogel und Tarald Rasmussen herausgegeben werden. Dort wird unter anderem von analogen Bestrebungen in der reformierten Welt die Rede sein, die darauf abzielten, den Frauen in der Öffentlichkeit das Wort zu erteilen.

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Auch in Portugal fehlte es nicht an einfühlsamen Mäzeninnen und Leserinnen (s. den Beitrag von Zumira C. Santos): angefangen bei der Infantin Maria d’Aviz (1521‒1577) über die Philosophin Luisa Sigea (‒1560) und Maria von Portugal (1538‒1577), die Herzogin von Parma und Piacenza, bis hin zur gelehrten Públia Hortênsia de Castro (‒1595) begegnen uns gebildete Frauen, deren Bedeutung wir gerade erst zu ahnen beginnen. Sie verdienen bei dem Versuch, die Kenntnis, Verwendung und Verbreitung der Bibel im Europa der Reformationszeit so zuverlässig wie nur möglich zu rekonstruieren, ganz sicher größere Aufmerksamkeit. Der intellektuelle oder adlige Stand dieser Frauen und das Netz von Freundschaften, das sie nicht nur zu Zwecken des Austauschs, sondern auch des Schutzes geknüpft hatten, bewahrte sie jedoch nicht vor der gewaltsamen Unterdrückung durch die Inquisition, die ohne Zögern jeden vor Gericht stellte und einkerkerte, der die Unterordnung unter die Kirche und ihre Lehre nicht akzeptierte: Damit befinden wir uns im Zeitalter der sogenannten „Gegenreformation“.

2. Das Konzil von Trient Die protestantische Spaltung, die durch die Ergebnisse kontroverser Exegesen herbeigeführt worden war, hatte die katholische Hierarchie dazu veranlasst, die Grenzen der Lektüre und Auslegung der Bibel enger zu ziehen, die nun als „Mutter und Quelle der Irrlehre“ galten, wie es der spanische Theologe Alfonso de Castro47 am 9. März 1546 in einer der Arbeitssitzungen des tridentinischen Konzils zu Protokoll gegeben hatte. Diese Stellungnahme besiegelte die Trennung von Theologie und Spiritualität und beschädigte jenes im christlichen Altertum und Mittelalter so ausgeprägte Bewusstsein, dass die Bibel durch die Gabe des Geistes gelesen und verstanden werden müsse und die Unkenntnis der Schrift – nicht ihre Kenntnis – die Ursache aller Übel darstelle.48 Während des Konzils prallten zwei Lager aufeinander: Auf der einen Seite die Spanier, die sich in der Gestalt des Kardinals Pietro Pacheco und des bereits genannten Alfonso de Castro gegen die Verwendung der Volkssprache stemmten, und auf der anderen Seite die Gruppe um den Kardinal Cristoforo Madruzzo und den französischen Theologen Gentian Hervet, die die volkssprachlichen Bibelübersetzungen befürworteten.49 Letztlich erkannten die Konzilsväter zwar einerseits an, dass die Schrift die Wahrheit in sich birgt, erklärten jedoch andererseits, dass sie in formaler Hinsicht unzulänglich sei: Deshalb sei es notwendig, dass die Tradition und die Kirche – genauer gesagt ihr 47

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Teodoro OLARTE, Alfonso de Castro (1495‒1558): Su vida, su tiempo y sus ideas filosóficasjurídicas (San José: Universidad Nacional de Costa Rica, 1946); Harald MAIHOLD, „Systematiker der Häresien – Erinnerung an Alphonso de Castro (1492‒1558)“, Zeitschrift für Rechtsgeschichte 118 (2001): 523–530; 523ff. Vgl. Sara CABIBBO, „Ignorantia Scripturarum, ignorantia Christi est: Tradizione e pratica delle Scritture nei monasteri femminili del XVII secolo“, Rivista Storica Italiana 1 (1989): 85‒124. Vgl. Guy BEDOUELLE, „La Réforme catholique“, in Le Temps des Réformes et la Bible (hg. v. Guy Bedouelle u. a.; Paris: Editions Beauchesne, 1989), 327–368; 347.

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hierarchischer Teil ‒ die heiligen Texte vor jeder falschen und häretischen Exegese schützen und so ihren authentischen Sinn garantieren müsse.50 Diese Position führte zu einer Neubewertung der Rolle und Priorität der Bibel zugunsten der Tradition, die von diesem Moment an den bevorzugten Ort der Schriftauslegung darstellte. Deren Garant war die Kirche in Gestalt der Hierarchie.51 Das Verbot, die Heilige Schrift zu übersetzen, wurde jedoch nicht vom Konzil, sondern vom Heiligen Offizium ausgesprochen, das drei Indizes der verbotenen Bücher (1558, 1564 und 1596) herausgab, um den Druck und die Verbreitung der volkssprachlichen Bibel zu verhindern. Von 1567 an bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurden keine italienischen Bibeln mehr gedruckt – mit einer einzigen Ausnahme: der 1607 in Genf publizierten Ausgabe von Giovanni Diodati. Im Lauf von etwa 30 Jahren gab es in den katholischen Ländern eine Reihe mehr oder weniger harscher Vorschriften (Frankreich und Österreich waren am wenigsten betroffen und am tolerantesten), die entweder den Zugang zur gesamten Bibel beschränkten oder dafür sorgen sollten, dass der Volkssprache in der religiösen Praxis weniger Raum gegeben wurde. In Spanien verboten der Index von Fernando de Valdés von 1559 und der von Kardinal Gaspar de Quiroga von 1583 auch die volkssprachlichen Stunden- und Gebetbücher.52 Wie man sich denken kann, trafen diese inquisitorischen Maßnahmen, die sogar dazu führten, dass Abschriften volkssprachlicher Werke biblischen Inhalts vom Markt genommen und in den Häusern und Klöstern beschlagnahmt wurden, vor allem die Laien und die Frauen. In den katholischen Ländern konnte man den heiligen Text nur mehr in einer von der amtskirchlichen Interpretation gefilterten Form rezipieren und sich der biblischen Botschaft allenfalls durch die fragmentarische Lektüre genehmigter Textausschnitte oder auf den üblichen Wegen der Liturgie, Predigt und Ikonographie nähern. An die Stelle der Bibellektüre trat der Katechismus. Das war das Ende jedweder Freiheit der Forschung und persönlichen Interpretation. Und es war das Ende der Freiheit für die Frauen, die entweder mit Einführung der Klausurpflicht hinter Klostermauern eingesperrt wurden oder sich im sakramental sanktionierten Rahmen der Ehe ihren Männern unterwerfen mussten.53 50

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Sitzung IV, Dekret vom 8. April 1546: Conciliorum Oecumenicorum Decreta (hg. v. Giuseppe Alberigo u. a.; Bologna: Dehoniane, 1991), 664, 14ff. Franco BUZZI, „Il Concilio di Trento e il dibattito sul ‘sola scriptura’ protestante“, in La Bibbia nella storia d’Europa dalle divisioni all’incontro (hg. v. Antonio Autiero und Marinella Perroni; Bologna: Dehoniane, 2012), 125‒140. Zur Problematik der Zensur insgesamt vgl. die grundlegende Studie von Gigliola FRAGNITO, La Bibbia al rogo: La censura ecclesiastica e i volgarizzamenti della Scrittura (1471‒1605) (Bologna: Il Mulino, 1997). DIES., Proibito capire: La Chiesa e il volgare nella prima età moderna (Bologna: Il Mulino, 2005). DIES., „La censura ecclesiastica in Italia: volgarizzamenti biblici e letteratura all’Indice“, in Reading and Censorship in Early Modern Europe (hg. v. María José Vega, Julian Weiss und Cesc Esteve; Barcelona: Universitat Autonoma de Barcelona, 2010), 39‒56. Zur Situation in Spanien vgl. Virgilio PINTO CRESPO, Inquisición y control ideológico en la España del siglo XVI (Madrid: Taurus, 1983). Zur Umsetzung der Beschlüsse des Konzils von Trient in den neapolitanischen Klöstern vgl.

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Die Auffassung von der Begrenztheit der weiblichen Natur gestand den Frauen keinerlei Aktivitäten oder Rollen zu, die denen der Männer vergleichbar waren, obwohl ihre Tugenden und Pflichten im Hinblick auf die Ausübung ihrer gesellschaftlichen Funktion als vorbildliche Ehefrauen und Mütter im familiären Kreis oder als fromme und, wenn die Vita activa ihnen dies zugestand, auch fleißige Schwestern im klösterlichen Umfeld betont wurden. Für die Frauen markierte das Konzil von Trient eine dramatische Wende und einen schmerzhaften Bruch mit der Vergangenheit. Insofern ist die Neuzeit für sie einerseits eine Zeit der Unterdrückung und Unterwerfung – die in allen, auch den protestantischen Ländern Europas in der Hexenjagd gipfelt ‒ und andererseits die erste Etappe auf dem mühevollen und widersprüchlichen Weg zu einer eigenen, selbstbewussten und kritischen Identität.

3. Die Bibel im Spannungsfeld von Gegensätzen, Widerständen und allegorischen Interpretationen 3.1 Vor der Inquisition Wie verbreitet die Bibel bei den Frauen der verschiedenen Gesellschaftsschichten tatsächlich war, versetzte sogar die Inquisitoren in Erstaunen, die sich dadurch jedoch in ihrem repressiven Vorgehen bestätigt sahen: Nicht wenige Frauen erwiesen sich vor den Inquisitionstribunalen als leidenschaftliche Bibelleserinnen, die mit fundierten, aus der Heiligen Schrift abgeleiteten Argumenten für ihren Standpunkt eintraten. Die Belege hierfür sind zahlreich und betreffen sowohl die Frauenklöster als auch die Welt der Laiinnen. In diesem Sinne hatte der Dominikaner Ambrogio Catarino in seinem Compendio d’errori von 1544 ironisch angemerkt, dass jeder beliebige Christ, „di qual vuoi condizione, così femina come maschio, così idiota come letterato, vuol intendere le profundissime questioni de la sacra teologia e Divina Scrittura“.54 Selbst die Madre divina Paola Antonia Negri (1508‒1555), die vor dem Konzil von Trient das Vertrauen der Barnabiten und Angeliken genoss und bei diesen beiden Ordensgemeinschaften eine unangefochtene pastorale, spirituelle und disziplinäre Autorität ausgeübt hatte, musste strenge Disziplinarmaßnahmen in Kauf nehmen (s. die Beiträge von Tamar Herzig und Giovanna Paolin). Ihre Überlegungen, die dem Leben der

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Adriana VALERIO, ‘Carche di dolore e bisognose d’aita’: La Cronaca di Fulvia Caracciolo, monaca di S. Gregorio Armeno (1580): Studio e testo critico di fonti del Cinquecento (Neapel: Fridericiana, 2013). Zu den Ehevorschriften vgl. Gabriella ZARRI, „Il matrimonio tridentino“, in Il Concilio di Trento e il moderno (hg. v. Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard; Bologna: Il Mulino, 1996), 437‒483. Ambrogio CATARINO POLITI, Compendio d’errori, 347 II, 8‒16, zitiert nach Edoardo BARBIERI, Le Bibbie italiane, 53; s. auch EBD., 179ff. Übersetzung: „ganz gleich, aus welchen Verhältnissen, weiblich oder männlich, töricht oder gebildet, die tiefsten Fragen der heiligen Theologie und göttlichen Schrift verstehen will“.

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Paulisten als Orientierung dienen sollten, stützte sie auf die Bibel, die sie ihrer geistlichen Leitung zugrunde legte. Negris Biograph Giovanni Battista Fontana hatte ihre außergewöhnliche Fähigkeit hervorgehoben, die Heilige Schrift wiederzukäuen und in einer Weise zu erklären, die Kirchenmänner und Theologen in Erstaunen versetzte. Serafino da Fermo erklärte, er habe in den Gesprächen mit ihr Erkenntnisse über viele tiefe Geheimnisse der heiligen Texte und insbesondere der Paulusbriefe gewonnen, wie sie ihm nicht einmal die Lektüre des heiligen Augustinus habe vermitteln können.55 Zentral in Paola Antonias Lettere spirituali ist der Bezug auf die paulinischen Schriften. Die Evangelien bleiben im Hintergrund, das Alte Testament ist praktisch nicht präsent. Negri beginnt mit dem Wortsinn, um die Bedeutung der Texte sodann auf sittliche und geistliche Implikationen und auf eine religiöse Freiheit hin auszuweiten, die über die strikte Wahrung der Formen hinauswächst.56 Der Inquisitionsprozess von 1552 wird die Erneuerungserfahrung dieses Kreises der Paulinisten im Keim ersticken und Negri verurteilen, weil sie unrechtmäßig „die Würde der Weissagung, den Geist der Prophetie und Offenbarung, die Autorität der Priester und Prälaten“57 für sich in Anspruch genommen habe.Die Dokumentation, die uns durch die Inquisitionsakten überliefert ist, zeigt uns eine große, vielgestaltige und bunte Präsenz von Frauen, die sich ihre eigene Identität als Christinnen im Wechselspiel mit den heiligen Texten konstruieren. Unter den vielen adligen und einfachen Ordensfrauen und Laiinnen ragt die Gestalt der Marta Fiascaris hervor, die 1653 wegen vorgetäuschter Heiligkeit vor Gericht gestellt wurde. Die Liebe zu Christus und die Leidenschaft für die Frauengestalten der Evangelien gaben ihr das Bewusstsein einer lehrenden Rolle, die auszuüben sie sich als Frau innerhalb der Kirche berufen fühlte (s. den Beitrag von Giovanna Paolin). Ihre Schülerinnen sahen in ihr eine neue Erlöserin, die nach ihrem Tod wie Christus auferstehen würde. Mit Marta Fiascaris lebte der Traum von der weiblichen Erlösung wieder auf, den schon die Anhänger der

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Sie kannte die Paulusbriefe „a maraviglia“ und „dichiarava li salmi e tutta la sacra scrittura tanto teologicamente“ (so gut, dass es an ein Wunder grenzte“ und „erklärte die Psalmen und die ganze Heilige Schrift so theologisch“), dass viele Bischöfe und berühmte Prediger wie Serafino da Fermo ihr ihren Besuch abstatteten, vgl. Giovanni Battista FONTANA, Lettere spirituali della devota religiosa Angelica Paola Antonia de’ Negri Milanese (Rom: Stamperia del popolo romano, 1576), 56f. Die Divina madre, das bezeugt auch ihr Biograph Fontana in ihrer Vita, erklärte „tutta la sacra scrittura tanto theologicamente e con dimostrazione di tanti alti misterii e con una eloquenza tanto abbondante che stupivano tutti li dotti della professione“ („die ganze Heilige Schrift so theologisch und mit Erläuterung so vieler erhabener Geheimnisse und mit einer so reichen Beredsamkeit, dass es alle Gelehrten dieses Berufsstandes in Erstaunen versetzte“): FONTANA, Vita della devota religiosa Angelica Paola Antonia de Negri, in DERS., Lettere spirituali, 57. Adriana VALERIO, „La predicazione femminile dagli anni pre-tridentini alla prima metà del Seicento“, in La predicazione in Italia dopo il concilio di Trento tra Cinquecento e Settecento (hg. v. Giorgio Martina und Ugo Dovere; Rom: Edizioni Dehoniane, 1996), 182–186. Originalzitat: „divinitatis titulum, prophetiae ac revelationis spiritum, sacerdotum ac praelatorum auctoritatem“.

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als Inkarnation des Heiligen Geistes verehrten Guglielma von Böhmen (1210‒1281) geträumt hatten.58 Es ist kein Zufall, dass gerade in zwei Epochen (der gregorianischen und der tridentinischen Reform), in denen die Kirche bestrebt war, ihre institutionelle Macht zu festigen, inmitten einer hierarchisch und androzentrisch strukturierten kirchlichen Realität die Sehnsucht nach einem Heil aufkam, das über die weibliche Erlösung führte. Vielleicht wies auch deshalb der übergroße Raum, den damals die Marienverehrung in Anspruch nahm, gerade durch den Kontrast besonders dramatisch auf die Unsichtbarkeit der realen Frauen hin. 3.2 Die Künste im Dienst der Lehre Auf dem Konzil von Trient wurden auch die Normen der künstlerischen Produktion festgeschrieben, die der Kontrolle der örtlichen Hierarchien unterstand und gemäß den Richtlinien der Kirche den Kriterien des Anstands und der Sittenstrenge zu entsprechen hatten. In diesem Zusammenhang wurden auch die nackten Körper in Michelangelos Jüngstem Gericht (Sixtinische Kapelle), die als anstößig galten, die Fresken Die Versuchung von Adam und Eva und Masaccios Vertreibung aus dem Paradies (in der Cappella Brancacci in Florenz) und viele Werke von Caravaggio zensiert, denen man mangelnden Respekt vor der Heiligen Schrift vorwarf. Künstler führten nämlich oft nicht nur im materiellen Sinne Auftragsarbeiten aus, sondern betätigten sich insofern zugleich als Theologen, als sie eine Stelle aus der Heiligen Schrift interpretierten. Sie sollten mit den ikonographischen Mitteln den Gläubigen, die aus diesem Werk Belehrung und Erbauung schöpfen sollten, eine Wahrheit des Glaubens veranschaulichen. Ausgehend von Gabriele Paleottis Text (Discorso intorno alle immagini sacre e profane, 1582) begegnen wir einer neuen Wahrnehmung der Kunst, die das Konzil von Trient reformieren und mit einer pädagogischen Aufgabe betrauen wollte: Unter der Kontrolle der Hierarchie sollte die Kunst von nun an eine seelsorgerische Funktion ausüben, durch die Darstellung der heiligen Geschichte die Lehre der Kirche vermitteln und so die Andacht und Frömmigkeit fördern.59 Die Gemälde in der Kapelle Unserer Lieben Frau von Guadalupe im Kloster der Descalzas Reales in Madrid sind ein gutes Beispiel für eine getreuliche Umsetzung der tridentinischen Vorgaben: Das gilt sowohl für die biblischen Heldinnen, die als Vorläuferinnen Marias und deshalb als nachahmenswerte Vorbilder der Tugend dargestellt werden, als auch für die Negativbeispiele von biblischen Frauen, deren lasterhaftes und aufrührerisches Verhalten verurteilt werden muss und anderen zur Warnung dienen soll (s. 58

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Marina BENEDETTI, Io non sono Dio: Guglielma di Milano e i Figli dello Spirito Santo (Mailand: Edizioni Biblioteca Francescana, 1998). Die Bibliographie zu diesem Thema ist beinahe unüberschaubar; ich verweise nur auf Hubert JEDIN, „Genesi e portata del decreto tridentino sulla venerazione delle immagini“, in DERS., Chiesa della fede, Chiesa della storia (Brescia: Morcelliana, 1972), 340‒390; Daniele MENOZZI, La Chiesa e le immagini: I testi fondamentali sulle arti figurative dalle origini ai nostri giorni (Mailand: San Paolo, 1995).

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den Beitrag v. María Leticia Sánchez Hernández). Zu diesen Darstellungen, die der Bibel noch eine gewisse Aufmerksamkeit entgegenbrachten, kamen die Reliquien- und Heiligenverehrung und, damit verbunden, eine ausufernde ikonographische Produktion, die die religiöse Kultur der Gegenreformation prägte und das Augenmerk von der Lektüre der Bibel auf die Frömmigkeits- und Andachtsübungen verlagerte. Wenn wir Darstellungen biblischer Frauenfiguren aus der Übergangszeit zwischen Humanismus und Gegenreformation analysieren, begegnet uns so manche Abwandlung und Adaption. Die Gestalt der Judit zum Beispiel gab nicht nur zu einer großen Vielfalt bildlicher Umsetzungen (von Cranach bis Botticelli, von Michelangelo bis Tizian, von Tintoretto bis Caravaggio, von Allori bis Artemisia Gentileschi), sondern auch zu zahlreichen literarischen Bearbeitungen des Stoffes Anlass, die die veränderte religiöse Atmosphäre widerspiegelten. Der Humanismus hatte eine besondere Sensibilität für Lesarten bewiesen, die die alten biblischen Gestalten neu deuteten und mit einem originellen Symbolwert bekleideten. Die Medici-Kultur, die nicht zuletzt in der Mutter Lorenzos des Prächtigen, Lucrezia Tornabuoni (1424‒1482), eine illustre Vertreterin fand, lädt viele Personen aus dem Alten Testament mit politischer Bedeutung auf.60 In Florenz verfasste die überaus gebildete Lucrezia (in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts) neben einer eindrucksvollen volkssprachlichen Übersetzung des Magnifikat fünf kleine Sakralgedichte über Ester, Judit, Susanna, Tobias und Johannes.61 Ähnlich wie der über Goliat triumphierende David für Florenz zum Symbol der republikanischen Freiheit wird – denken wir nur an die Werke von Donatello und Michelangelo –, wächst auch Judit mit dem Sieg über den Feind Holofernes aus ihrer angestammten Rolle als demütige und keusche Witwe heraus und wird zur Inkarnation einer neuen Heldin, die bereit ist, das Volk vor dem Feind zu beschützen.62 Während der Regentschaft von Cristina di Lorena und Maria Maddalena d’Austria spielte die Gestalt der Judit, beeinflusst durch die Stücke von Federico della Valle (1560‒1628) wie auch durch die ikonographischen Darstellungen von Cristofano Allori und Artemisia Genti-

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Sophie STALLINI, „Giuditta sulla scena fiorentina del Quattrocento: Donatello, Lucrezia Tornabuoni e l’anonimo della ‘Devota rappresentazione di Iudith ebrea’“, in Giuditta e altre eroine bibliche tra Rinascimento e Barocco: Orizzonti di senso e di genere, variazioni, riscritture (hg. v. Luciana Borsetto; Padua: Padua University Press, 2011), 11‒23 mit Bibliographie. An Lorenzo Ghibertis Porta del Paradiso (Baptisterium in Florenz) ist Judit zum ersten Mal aus der Szene herausgehoben und, den Kopf des Feindes in der Hand, alleine im Relief dargestellt. Fulvio PEZZAROSSA, I poemetti sacri di Lucrezia Tornabuoni (Florenz: Olschki, 1978); Lucrezia TORNABUONI, La istoria della casta Susanna (hg. v. Paolo Orvieto; Bergamo: Moretti e Vitali, 1992). Die Handschriften der Geschichten von Ester, Tobias, Judit, Susanna und Johannes werden in der Nationalbibliothek in Florenz aufbewahrt, Magl. VII, 338, inzwischen ediert in: PEZZAROSSA, I poemetti sacri. Vgl. auch Gerry MILLIGAN, „Unlikely Heroines in Judith and Esther“, Italica 4 (2011): 538‒564. Francesco CAGLIOTI, Donatello e i Medici: Storia del David e della Giuditta (2 Bde.; Florenz: Olschki, 2000).

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leschi im Theater des mediceischen Großherzogtums eine zentrale Rolle (vgl. den Beitrag von Heidi Hornik).63 Aufgrund seiner Dramatik eignet sich der Stoff gut für die vielfältigen literarischen, theatralischen, musikalischen und ikonographischen Umsetzungen. Vor allem in der Epoche der Gegenreformation bot sich die Gelegenheit, die Figur und ihre Geschichte mit neuem Sinn zu füllen und immer neuem Symbolgehalt umzudichten.64 So erschien Judit bald als fromme Witwe und bald als erotische Verführerin, bald als Liebhaberin, die den Geliebten tötet und bald als Rächerin der eigenen Würde gegen die männliche Gewalt, bald als ambivalente und betörende Frau und bald als Sinnbild des Kampfs gegen die Feinde (Türken und Protestanten). Dieselbe Doppelung der Bedeutungen findet sich im österreichischen Barock, wo Judit zu einem Prototyp der Maria und gleichzeitig zum Typos der Kirche, aber auch zu einem Muster heroischer und politischer Tugenden und damit zum Archetyp der Königin Maria Theresia wurde: einer gottesfürchtigen und starken, zugleich tugendhaften und gegen ihre Feinde siegreichen Frau (vgl. den Beitrag von Elisabeth Birnbaum). Auch die Gestalt der Ester bietet sich als politisches Muster- und Sinnbild an. Wir finden ihre Geschichte im französischen Theater der Gegenreformation, das die Rolle der biblischen Königin in Stücken von Claude Roillet (Aman, 1556) bis Jean Racine (Esther, 1689) als die einer Frau darstellt, die sich ihrer Sendung bewusst und imstande ist, beim Herrscher zu intervenieren, um dem Volk Frieden und Gerechtigkeit zu garantieren. Wie Judit wird auch Ester als politisches Vorbild dargestellt, das den Herrschern einer von inneren Kriegen zerrissenen Zeit vor Augen geführt werden muss (vgl. den Beitrag von Mariangela Miotti). Doch auch die Kirche machte sich die Frauengestalten des Alten Testaments zunutze, indem sie sie marianisch interpretierte. So sind die Malereien in der Cappella Belgioioso in Neapel ein anschauliches Beispiel für die pastorale und pädagogische Vorgehensweise der nachtridentinischen Ikonographie, die die Aufmerksamkeit auf die Heilsbedeutung der alttestamentlichen Episoden lenkte. Rebekka, Judit, Ester und Jaël erlauben eine allegorische Darstellung der Mariengeschichte. Sie sind Präfigurationen der Jungfrau und ihrer Rolle als Mittlerin, die das Böse besiegt (s. den Beitrag von Viviana Farina). Ein ganz eigenes Thema waren die Theaterdarbietungen in den Frauenklöstern. Die Forschungen von Elissa Weaver befassen sich mit der Aufführungstradition in den italie63

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Die Bibliographie zum Thema ist überaus umfangreich, vgl. z. B. Claudio PIZZORUSSO, Ricerche su Cristofano Allori (Florenz: Olschki, 1982); Mary D. GARRARD, Artemisia Gentileschi and the Image of Female Hero in Italian Baroque Art (Princeton: Princeton University Press, 1989) und den erst kürzlich erschienenen Ausstellungskatalog von Roberto CONTINI und Francesco SOLINAS, Artemisia Gentileschi, Storia di una passione (Pero: 24ORE cultura, 2011). In einem der vier Zwickel der Sixtinischen Kapelle wird Judit als Gegenstück zu David und Goliat dargestellt. Kevin R. BRINE, Elena CILETTI und Henrike LÄHNEMANN (Hgg.), The sword of Judith: Judith studies across the disciplines (Cambrigde: OpenBook, 2010). Darin insbesondere Roger J. CRUM, „Judith between the Private and Public Realms in Renaissance Florence“, 291‒306.

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nischen Klöstern, wo schon seit Ende des 15. Jahrhunderts Komödien oder andere Stücke über sakrale und profane Sujets auf die Bühne gebracht wurden, die wie L’Amor di virtù (1548) der Dominikanerin Beatrice del Sera oder La rappresentazione di Moisè (1559) der Augustinerin Raffaella de’ Sernigi nicht selten von den Schwestern selbst verfasst worden waren.65 Die alttestamentlichen Heldinnen entsprachen den Bedürfnissen der Nonnen, Episoden zu dramatisieren, mit denen sich moralische Lehren transportieren ließen. Das gilt unter anderem für Schwester Maria Clemente Ruoti (1606/10‒ 1690) und ihr Stück Giacob patriarca. Darin stellte sie Gestalten aus der Bibel neben frei erfundenen Personen, die es ihr gestatteten, die biblische Episode mit künstlerischem Erfindungsgeist so zu bearbeiten, dass daraus nicht nur ein didaktisch-moralisches Lehrstück für die Nonnen, sondern zudem ein Schäferstück wurde, das auch einem weltlichen Publikum gefiel. In der Musik stellt sowohl die Verwendung der Bibel im barocken Oratorium als auch das neue Phänomen der komponierenden Nonnen, die vor allem im 18. Jahrhundert in dieser musikalischen Gattung dilettieren, ein bedeutendes Forschungsgebiet dar.66 Wie in den bildenden Künsten stand die Musik in diesen Fällen in Diensten einer Kommunikationsstrategie, die darauf ausgerichtet war, Emotionen zu wecken, um einen Konsens zu erzielen. Insbesondere die Oratorien zeichneten sich durch den erbaulichen Akzent ihrer Rezitativtexte aus und wurden durch die Verwendung biblischer Stoffe zu richtiggehenden geistlichen Melodramen (vgl. den Beitrag von Linda Maria Koldau).

4. Die Bibel – versteckt und verkündigt Trotz aller Repressalien und Zensurvorschriften, die – wie schon gesagt – nicht überall mit derselben Enge und Strenge gehandhabt wurden, können wir festhalten, dass es in der praktischen Realität Freiräume gab, die das Kursieren von Texten und das Nachdenken über biblische Geschichten und Gestalten ermöglichten, mit denen man auf den üblichen Wegen vertraut geworden war: aus Liturgie- und Andachtstexten, die man gelesen, Predigten, die man gehört, und Bildern, die man gesehen hat. Mithin gab es innerhalb der Ordensgemeinschaften nach wie vor autonome Randbereiche und Freiräume, die einigen Frauen die Möglichkeit boten, in eine direkte Bezie-

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Vgl. Elissa WEAVER, „Le muse in convento“, in Donne e fede (hg. v. Lucetta Scaraffia und Gabriella Zarri; Rom/Bari: Laterza, 1994), 253‒276. DIES., Convent Theatre in Early Modern Italy: Spiritual Fun and Learning for Women (Cambridge: Cambridge University Press, 2002). Unter den von Laiinnen verfassten Werken mit sakralem Charakter seien hier erwähnt: La vita di M. Vergine und Le lacrime di S. Pietro von Lucrezia Marinella (1571‒1653); La Passione di Cristo (1582) und La Resurrezione di Cristo (1592) von Moderata Fonte (1555‒ 1592). Vgl. hierzu Robert KENDRICK, Celestial Sirens: Nuns and Music in Early Modern Milan (Oxford: Oxford University Press, 1996) und Annamaria BONSANTE und Roberto Matteo PASQUANDREA (Hgg.), Celesti Sirene: Musica e monachesimo dal Medioevo all’Ottocento (Foggia: Claudio Granzi, 2010) und die betreffenden Bibliographien.

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hung zur Heiligen Schrift zu treten, auch wenn dies auf eine andere Weise und aus anderen Gründen geschah als noch in der Epoche zuvor.67 Teresa von Ávila (1515‒1582) – deren Religiosität gleichwohl nicht frei war von der typisch volksfrommen Liebe zu sakralen Gegenständen (zum Beispiel dem Jesuskind) und Bildern ‒ besaß eine überraschende Gabe, den heiligen Text zu verinnerlichen, umzuarbeiten und in einer kreativ gestalteten, persönlichen Fassung wiedervorzulegen. Die Repressalien in Spanien waren überaus hart, und die Bibel war für Laiinnen wie Ordensfrauen verbotene Lektüre. Doch Teresa gelang es dank ihrer Fähigkeit, sich an das zu erinnern, was sie (auf Bildern) gesehen, (in religiösen Werken) gelesen, (in Predigten und geistlicher Leitung) gehört und (in der Liturgie) erlebt hatte, in ihren Schriften eine außergewöhnliche, biblisch inspirierte Symbolwelt zu erschaffen. Angesichts der Härten ihrer Zeit und der ungerechten Beschränkungen, die den Frauen auferlegt werden, vertraute Teresa von Ávila ihrem mystischen Schrifttum den Entwurf einer spirituellen Theologie an, die die Stofflichkeit des heiligen Texts überwand, um zu einer kontemplativen Erfahrung zu gelangen: der Vorstufe des direkten Kontakts mit dem „lebendigen Buch“, das Christus selber ist (Vita 26,5). Über sie haben wir gerade wegen der Komplexität und Größe dieser Frau, die zu kontroversen Deutungen einlädt, zwei Beiträge aufgenommen: einen von M. Pilar Manero Sorolla, die uns Teresa in einem großen Gemälde als Gründerin, Leserin, Schriftstellerin und Reformerin im Kontext der Katholischen Reform vor Augen führt, und einen zweiten von Teófanes Egido López, der sie als eher rebellische, weniger angepasste Gestalt auf der hauchdünnen Linie zwischen Orthodoxie und Heterodoxie ansiedelt. Beachtung verdient ferner das Interesse an der Heiligen Schrift vonseiten jener Gründerinnen, die im 17. Jahrhundert Inspirationen für ein Glaubensleben suchten, das die Notwendigkeit eines weltabgewandten Lebens mit einem aktiven, karitativen Engagement zu verbinden wusste. Ich denke hier an Johanna Franziska von Chantal (1572‒1641), die gemeinsam mit Franz von Sales den Orden von der Heimsuchung gegründet und, ausgehend von der biblischen Episode vom Besuch Marias bei Elisabet (Lk 1,39ff.), eine von Fürsorglichkeit und liebevoller Aufnahme geprägte Ordenskultur geschaffen hat. Auch an Louise de Marillac (1591‒1660) und ihren Wunsch, die Heilige Schrift zu verstehen, ist zu erinnern. Durch die Erlaubnis des Bischofs Jean-Pierre Camus ist belegt, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann allabendlich in der ganzen Bibel (die sogenannte Löwener Bibel) gelesen hat.68 Die Töchter der christlichen Liebe, die sie gemeinsam mit Vinzenz von Paul gründete, waren eine weibliche Gemeinschaft apostolischen Lebens unter der aufmerksamen Leitung einer Frau mit ausgeprägtem biblischen Gespür. 67

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Danilo ZARDIN, „Libri e biblioteche negli ambienti monastici dell’Italia del primo Seicento“, in Donne filosofia e Cultura nel Seicento (hg. v. Pina Totano; Rom: CNR, 1999), 347‒383. Brief vom 8. März 1623: La Compagnie des filles de la charité aux origines : Documents (hg. v. Schwester Elisabeth Charpy; Paris: Compagnie des Filles de la Charité, 1989), 980. Die sogenannte „Löwener Bibel“, die ursprünglich von dem Dominikaner Johannes Hentenius herausgegeben worden war, stellt einen Versuch dar, nach dem Verbot neuer Ausgaben von katholischer Seite eine revidierte Fassung des Texts der Vulgata vorzulegen.

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An ein Wunder grenzt andererseits auch die außergewöhnliche biblische Bildung der spanischen Visionärin María d’Ágreda (1602‒1665), die Philipp IV. von Spanien als geistliche Beraterin zur Seite stand. Ihre Mystica ciudad de Dios (1670) war ein Traktat aus Offenbarungen, dem die Heilige Schrift, von apokrypher Literatur flankiert und im Sinne der politischen Prophetie aufbereitet, seine narrative Textur verlieh. Die Unbefleckte Empfängnis war der entscheidende Schlüssel zur Interpretation der Gegenwart (vgl. den Beitrag von Sara Cabibbo). Von beispielhafter Bedeutung ist schließlich auch der Fall der Bernardina Floriani (1603‒1673), die ins Klarissenkloster von Rovereto eintrat und den Namen Giovanna Maria della Croce annahm. 1634 verfasste sie einen Bericht über ihre mystischen Erfahrungen und ergänzte diese Esposizione de evangelici et spirituali sentimenti mit Kommentaren zu den Evangelienlesungen von Pfingsten.69 Die unablässig von liturgischen, homiletischen oder parabiblischen Bezügen umspielten Bibelverse zitierte sie nach der Vulgata oder in volkssprachlichen Paraphrasen des lateinischen Texts und interpretierte die kurzen Stellen aus der Heiligen Schrift mithilfe der Lehre der Kirchenväter, der Hagiographie und der liturgischen Praxis. Im Wissen um die Schwierigkeit und die Notwendigkeit der Exegese arbeitete Giovanna della Croce einige Figuren spirituell um und erlaubte sich dabei diverse kreative Ausschmückungen: So enthielt zum Beispiel ihre Nacherzählung der Begegnung zwischen Maria Magdalena und dem auferstandenen Christus (Joh 20,14‒17) zahlreiche persönliche Anmerkungen.70 Die Bibelrezeption von Frauen ist also allem Anschein nach kleinteilig, zerstückelt, gefiltert, domestiziert, kontrolliert und auf die Unterstützung der politischen oder kirchlichen Institution ausgerichtet. 1643 wurde besagte Schwester Giovanna von der Inquisition überprüft, doch die Richter, die sie befragten – der Augustiner Angelico Tapparelli und der Jesuit Alberto Alberti ‒ forderten sie auf, weiterzumachen, da sich ihre Schriften in vollkommener Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre befänden. Der Kontakt zur Bibel war also für Frauen nicht unterbrochen, sondern nur gebrochen möglich, weil die Ersatzlektüre (geistliche Bücher, Kompendien, Handbücher, Kommentare, Predigtbücher, Legendensammlungen, Bilder) auf die Bibel verwies und, wenn auch im Rahmen einer „ethisch-präskriptiven, frei nachdichtenden und erbaulichen“ Herangehensweise an sie erinnerte.71 Die großen Themen der Heilsgeschichte wurden ohne kritischen Filter verinnerlicht, weil sie im Hinblick auf die Seelsorge und Lehre der katholischen Kirche zweckdienlich waren.

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GIOVANNA MARIA DELLA CROCE, Discorsi per le domeniche di Pentecoste: Libro primo a laude di Dio (hg. v. Giuseppe Cremascoli, Valentina Lunardini und Rosanna Sibono; Florenz: Il Galluzzo, 2005). 1636 schrieb sie die Esposizione del Cantico dei Cantici. EBD., 147f.; 200‒203. Danilo ZARDIN, „Bibbia e apparati biblici nei conventi italiani del Cinque-Seicento: Primi appunti“, in Libri, biblioteche e cultura degli ordini regolari nell’Italia moderna attraverso la documentazione della Congregazione dell’Indice (hg. v. Rosa Maria Borraccini und Roberto Rusconi; Vatikanstadt: Biblioteca Apostolica Vaticana, 2006), 63‒103 mit Bibliographie zum Thema (78).

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5. Das kritische Bewusstsein Waren mystische Erfahrung und interpretativer Ansatz vor dem Konzil von Trient gewissermaßen Hand in Hand gegangen, so ordnete sich die Forderung nach Vertrautheit mit der Heiligen Schrift gegen Ende des 17. Jahrhunderts in den größeren Kontext einer Debatte ein, die die gesamte Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts durchzog und um die Frage kreiste, welche Bedeutung die Beschäftigung mit diesem Thema für die Ausbildung der Frauen haben sollte. In den letzten Jahren waren zahlreiche intellektuelle Frauen in den Blickpunkt der Forschung gerückt – von der französischen Philosophin Marie de Gournay (1566‒1645) über die niederländische Wissenschaftlerin und Theologin Anna Maria van Schurman (1607‒1678) bis hin zur französischen Mystikerin Jeanne Guyon (1648‒1717), um nur einige zu nennen –, deren Werke meines Erachtens auch im Hinblick auf die Lektüre der Bibel, von der sie durchzogen sind, untersucht werden müssten.72 Hier soll lediglich nur noch kurz auf zwei Vertreterinnen der klösterlichen Welt hingewiesen werden, die aus ihrer Beziehung zur Heiligen Schrift die Kraft geschöpft haben, weibliche Identität und Frauenrechte einzufordern und Wege zu einem neuen Bewusstsein zu bahnen, die im 18. Jahrhundert sodann mit geeigneteren argumentativen Hilfsmitteln befestigt werden sollten. Elena Cassandra Tarabotti (1604‒1652), als fünftes von elf Kindern von ihrem Vater zum Ordensleben bestimmt, trat mit 13 Jahren in das Benediktinerkloster Sant’Anna ein, wo sie unter dem Namen Schwester Arcangela ihr ganzes Leben verbrachte.73 Berühmt geworden durch ihr harsches und gnadenloses Urteil über erzwungene Klostereintritte, bewies sie in ihren Werken ‒ L’Inferno monacale (1633),74 Paradiso monacale (1643), 72

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Zu Marie de Gournay, Adoptivtochter von Montaigne und Verfasserin von Egalité des Hommes et des Femmes (1622) vgl. Elisabeth GÖSSMANN, „Marie de Jars de Gournay: Égalité des hommes et des femmes 1622“, in Das wohlgelahrte Frauenzimmer, Bd. 1 (hg. v. ders.; München: Iudicium, 1984), 22‒30. Michèle FOGEL, Itinéraires d’une femme savante (Paris: Fayard, 2004). Zu der niederländischen Gelehrten van Schurman vgl. Solange DEYON, „Anna Maria van Schurman: une hollandaise très savante“, in Donne filosofia e cultura (Totano), 79‒85; Michael SPANG, Wenn sie ein Mann wäre: Leben und Werk der Anna Maria van Schurmann (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009); Pieta VAN BEEK, The first female university student: Anna Maria van Schurman (1636) (Utrecht: Igitur, 2010). Zu der französischen Mystikerin Madame Jeanne Guyon vgl. Francesca BREZZI, „Jeanne Guyon: una voce da re-interrogare“, in DIES., La passione di pensare (Rom: Carocci,1998), 85‒139. Patricia A. WARD, Experimental theology in America: Madame Guyon, Fénelon, and their rea-ders (Waco, TX: Baylor University Press, 2009). Guyon hat Kommentare zu alt- und neutestamentlichen Texten hinterlassen, deren eingehende wissenschaftliche Erforschung bislang noch aussteht. Francesca MEDIOLI, „Tarabotti Arcangela“, in Women’s World Dictionary, Bd. 15 (hg. v. A. Cammire und D. Klezmer; Waterford: Yorkin, 2000), 237‒246. Zur Hypothese von Tarabottis jüdischer Abkunft vgl. DIES., „Tarabotti fra omissioni e femminismo: il mistero della sua formazione“, in Spazi, poteri, diritti delle donne a Venezia in età moderna (hg. v. Anna Bellavitis, Nadia M. Filippini und Tiziana Plebani; Verona: Quiedit, 2012), 221‒239. Francesca MEDIOLI, L’‘Inferno monacale’ di Arcangela Tarabotti (Turin: Rosenberg & Sellier, 1990).

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L’antisatira (1644),75 Che le donne siano della spezie degli uomini (1651),76 Tirannia paterna (1654) und La semplicità ingannata (1654)77 ‒ ein recht solides Bildungsniveau und zeigte, dass sie die Sprache und Kunst der Rhetorik beherrschte. Was die Verwendung der Bibel betrifft, die sie in ihren Hauptwerken mehrfach zitierte, ist vor allem die apologetische Kleinschrift Dass die Weiber Menschen seien78 interessant, die sie als Erwiderung auf die Disputatio des deutschen Frauenfeindes Horatius Plata (Simon Gedik aus Magdeburg) verfasste. Dieser erklärte 1547, Männer und Frauen gehörten nicht derselben Spezies an, und untermauerte diese Behauptung mit Bibelstellen.79 Plata betrachtete die Frauen als von Natur aus minderwertig und daher dem Mann nicht ebenbürtig. Als Beleg hierfür führte er an, dass der Sündenfall allein durch Adam geschehen sei und Christus daher nicht für die Frauen gelitten und sie auch nicht erlöst habe. Auf die 57 von Plata verfassten Inganni antwortete Schwester Arcangela mit ebenso vielen Disinganni, in denen sie den verdrehten Gebrauch der Bibel kritisierte: „Diabolica è la vostra interpretazione e fallace il metodo di che vi servite nell’interpretare le Scritture.“80 An den Herrn Falschausleger der Heiligen Schrift gewandt („Teuflisch ist Eure Deutung und trügerisch die Methode, deren Ihr Euch bedient, wenn ihr die Schrift auslegt.“81), wies sie seine Thesen zurück, um im Licht des Buches Genesis zu bekräftigen, dass Mann und Frau von Natur aus gleich, beide als Gottes Abbild geschaffen und beide gleichermaßen dafür verantwortlich sind, dass die Sünde in die Welt gekommen ist. Um geltend zu machen, dass Gott den Stammeltern die gleiche Freiheit eingeräumt hatte, musste Tarabotti paradoxerweise auf die Sünden verweisen, die in der Bibel von Frauen begangen werden. Durch die Anerkennung der Sünde wird die Frau zum ethischen Subjekt, erreiche die Ebene der Erlösung und empfängt die Vergebung der Sünden. Christus, der aus dem Leib einer Frau geboren worden wurde, ist gekommen, um alle, auch die Frauen, zu erlösen, und hat allen dieselben Vorrechte gewährt. Die Frauen gehören zu Christus, weil sie ihm immer nahe gewesen sind. Als erwählten und wahrhaftigen Zeuginnen war Christus ihnen dankbar für ihre Hilfe und ihr Mitleid. Mit Bezug auf den Apostel Paulus erklärte Arcangela, dass die Frauen ihr Haupt nicht deshalb bedecken müssten, weil sie unrein wären, sondern weil sie kostbar seien, und dass sie nicht sprechen dürften, damit die Lieblichkeit ihrer Worte die Männer nicht überwältige.82 75

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Francesco BUONINSEGNI, Schwester Arcangela TARABOTTI, Satira e Antisatira (hg. v. Elissa Weaver; Neapel: Salerno), 1988. Arcangela TARABOTTI, Che le donne siano della spezie degli uomini. Women are no less rational than Men (hg. v. Letizia Panizza; London: Institute of Romance Studies, 1994). Arcangela TARABOTTI, La Semplicità ingannata (hg. v. Simona Bortot; Padua: il Poligrafo, 2007). Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? (hg. v. Elisabeth Gössmann; München: Iudicium, 1988). Das Buch von Horatius Plata stand 1651 auf dem Index. TARABOTTI, Che le donne, 11. Originalzitat: „Vi ingannate: o non avete letta la Scrittura o non l’intendete.“ „Ihr täuscht Euch: Entweder habt ihr die Schrift nicht gelesen, oder Ihr versteht sie nicht.“ TARABOTTI, Disinganni 41 u. 52, in DIES., Che le donne, 67 u. 84.

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Es ist unverkennbar, dass Tarabotti die Bibel zu apologetischen Zwecken verwendete, um zu zeigen, dass sie zur Rechtfertigung einer ebenso illegitimen wie oberflächlichen Ausgrenzung und Diskriminierung benutzt wurde. Von tragischer Symbolkraft ist hingegen die Geschichte von Juana Inés de Asbaje y Ramírez de Santillana. Sie führt uns nach Mexiko in einen Kontext nicht nur der Mission, sondern auch der kulturellen Unruhen, die die Neue Welt erschüttern (vgl. den Beitrag von Francesca Cantù). Schwester Juana schrieb Gedichte und interessierte sich für Mathematik, Astronomie und Musik. Überdies erwarb sie eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Bibelinterpretation, die sie bei einer Disputation mit dem Jesuiten und geschätzten portugiesischen Prediger Antonio Vieira (1608‒1697) unter Beweis stellte.83 Als sie sich gegen den Vorwurf verteidigte, sie habe sich – was ihr als Nonne verboten war – dem Studium der Heiligen Schrift gewidmet, entwickelte sie ihren Gedankengang anhand von autobiographischen Erinnerungen (ihrer Studierleidenschaft), biblischen und weltlichen Bezugsgrößen (weiblichen Vorbildern, die sich durch ihre Weisheit und Bildung auszeichnen) und historisch-doktrinellen Überlegungen (zur Rolle der Frau in der Geschichte der Kirche und zur Bildung der Frauen, die sie als nützlich, vorteilhaft und daher notwendig erachtete). Durch die historischen Zeugnisse aus dem Leben gelehrter Frauen verteidigte Juana ihr Recht auf das Studium der Bibel, das all jenen Männern und Frauen erlaubt und zugestanden werden müsse, die talentiert und tugendhaft genug dazu seien. Für die mexikanische Ordensfrau begann die Auslegung der Heiligen Schrift mit einer präzisen Kontextualisierung des untersuchten Texts. Diese Methode veranlasste sie zu der Aussage, dass die Aussage in 1 Kor 14,34, Die Frauen sollen in der Versammlung schweigen gegen die in der Urkirche übliche und von Eusebius überlieferte Gepflogenheit gerichtet war, dass die Frauen einander in den Kirchen die Lehre erläuterten. Doch da ihr Getuschel die Apostel bei der Predigt störten, wies man sie an, zu schweigen. Genauso wie man ja auch heute nicht laut betet, während der Prediger predigt.84

Wie für Schwester Domenica Narducci hatte Paulus also auch für Schwester Juana einen situativen Grund, die Frauen zum Schweigen aufzufordern, war aber nicht grundsätzlich der Auffassung, dass sie nicht studieren und lernen sollten. Von ihrem Beichtvater und der Ortskirche unter Druck gesetzt, verschenkte sie ihre reichhaltige Bibliothek (über 4000 Bände) sowie ihre musikalischen und mathematischen Instrumente an den Erzbischof Agujar y Seijas, damit er sie verkaufe, und führte von diesem Zeitpunkt an ein streng asketisches Leben, das schon bald ihren Tod zur Folge hatte. Bis zu einer freien und befreienden Auslegung der Heiligen Schrift war es für die Frauen noch ein weiter Weg.

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JUANA INÉS DE LA CRUZ, Risposta della poetessa alla molto illustre suor Filotea de la Cruz, in DIES., Poesie (hg. v. Roberto Paoli; Mailand: BUR, 1983), 274. JUAN DIAZ DE ARCE, „An liceat foeminis sacrorum Bibliorum studio incumbere? Eaque interpretari?“, in DERS., Quaestionarium expositivum pro clariori intelligentia Sacrorum Bibliorum, Buch IV: De Studioso Bibliorum (Mexico 1648). JUANA INÉS DE LA CRUZ, Risposta, 302.

Frauen, die Bibel und die italienische Reformbewegung Tamar Herzig Universität Tel Aviv Die Verbreitung reformatorischer Ideen in Italien folgte ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Aufgrund der starken Position des Katholizismus war die Kommunikation über reformatorische Ideen und Reformvorstellungen nur unter großen Problemen möglich, was die Interpretation sowohl für die Zeitgenossen als auch für heutige HistorikerInnen schwierig macht.1 Nichtsdestoweniger gab es prominente italienische Reformbefürworter – Männer wie Frauen – , die den protestantischen Glauben annahmen, oder sich auf der Ebene der Reform des zeitgenössischen Katholizismus engagierten, beispielsweise indem sie neue religiöse Orden gründeten oder förderten und damit ein Wiederaufleben des Katholizismus ermöglichten.2 Aus diesem Grund konzentriert sich dieser Beitrag nicht auf Frauen, die in Italien zum Protestantismus konvertierten; es befasst sich vielmehr mit Frauen, die die Reformströmungen miterlebten und teilweise aktiv mitgestalteten, welche zwischen dem späten 14. und dem 16. Jahrhundert die italienische Halbinsel durchfluteten.3 Ein besonderes Augenmerk gilt dabei deren Bezug auf die biblischen Schriften.

1. Katharina von Siena Die berühmteste Vertreterin dieser Gruppe von Frauen mit religiösem Reforminteresse war Katharina von Siena (1347–1380). Sie vertrat die Ansicht, die Kirche müsse „an Kopf und Gliedern“ reformiert werden; einen besonderen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit legte sie auf die Reform des gemeinschaftlichen Lebens bei den Bettelorden.4 Referenzpunkt hierfür war die zeitgenössisch breit aufgestellte volkssprachliche Bibelrezeption. Zu Katharinas Lebzeiten war es Laien (und damit allen Frauen) nicht untersagt, Bibeln in der Volkssprache zu besitzen. Nur in Regionen, in denen wiederholt Probleme mit Ketzerei auftraten, sprachen die kirchlichen Autoritäten solche Verbote aus.5 In den 1 2 3

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Silvana SEIDEL MENCHI, „Italy“, in The Reformation in National Context (hg. v. Bob Scribner u. a.; Cambridge: Cambridge University Press, 1994), 181–201; 181–182. Vgl. Robert BIRELEY, „Early Modern Catholicism as a Response to the Changing World of the Long Sixteenth Century“, Catholic Historical Review 95 (2009): 219–239; 232–234. Wenn ich von Einzelpersonen spreche, die von protestantischen Ideen beeinflusst wurden, benutze ich die Begriffe spirituali, evangelisch und philoprotestantisch, um alle mit einzubeziehen. Vgl. Abigail BRUNDIN, Vittoria Colonna and the Spiritual Poetics of the Italian Reformation (Aldershot: Ashgate, 2008), XI–XII. Venturino ALCE, „La riforma dell’ordine domenicano nel ’400 e nel primo ’500 Veneto“, in Riforma della chiesa, cultura e spiritualità nel Quattrocento Veneto (hg. v. Giovanni Trolese; Cesena: Badia di Santa Maria del Monte, 1984), 333–343; 336–37; Karen SCOTT, „Catherine of Siena, Apostola“, Church History 61 (1992): 34–46. Andrew GOW, „Challenging the Protestant Paradigm: Bible Reading in Lay and Urban Contexts of the Later Middle Ages“, in Scripture and Pluralism: Reading the Bible in the Reli-

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Städten Zentralitaliens waren das Lesen, Hören und Interpretieren der Bibel wichtige Aspekte im Leben zeitgenössischer Frömmigkeit. Die größte Verbreitung erfuhr die volkssprachliche Bibel – oder Teile von ihr, besonders die Evangelien und Psalmen – in der Toskana. Die fleißigsten Übersetzer und Kopisten dieser Bibeln waren Dominikaner.6 Katharina kam in Siena früh mit dieser Form der Frömmigkeit in Berührung, da sie enge Verbindungen zu Dominikanern unterhielt und las wahrscheinlich solche Bibelübersetzungen.7 Ebenfalls typisch für die Frömmigkeit der Zeit rezitierte sie nachweislich Verse aus den Psalmen, während sie unterwegs war, und während der Mahlzeiten las sie ihren Anhängern Bibeltexte vor. Einen weiteren Hinweis auf ihre Bibelkenntnis liefern ihre eigenen Briefe: Die hier verwendeten Losungen waren oft direkte Zitate oder Paraphrasen aus der Heiligen Schrift. Oft bot sie hier innovative allegorische Interpretationen des Evangeliums, was deutlich belegt, dass sie eben nicht nur las, sondern auch selbständig auswertete und deutete. Katharinas Bibelauslegung war christologisch. Sie bevorzugte das Neue Testament, kritisierte die alttestamentarischen Propheten und stellte eine Analogie zwischen den Paulusbriefen und ihren eigenen Anweisungen an die Empfänger ihrer Briefe her. Ihr liebster biblischer Autor war Paulus, den sie in ihren Briefen mehr als zwanzigmal zitierte.8 Ein Beispiel für eine solche eigenständige Interpretation findet sich in einem Brief, den sie 1378 an Urban VI. verfasste: Sie zog Mt 15,21–28 – die Geschichte der kanaanitischen Frau, die Jesus bat, ihre besessene Tochter zu heilen – heran, den Papst von einer aus ihrer Perspektive dringend notwendigen Kirchenreform zu überzeugen.9 In Katharinas Briefen tauchte auch oft Maria Magdalena auf, die im späten Mittelalter zu einer legendären Wunderwirkerin und zur Schutzheiligen des Dominikanerordens geworden war. Während die Bettelmönche den Frauen predigten, dass sie Magdalenas emotionales Leiden am Fuß des Kreuzes nachahmen sollten, nahm Katharina sie sich zum Vorbild für ihr eigenes aktives Apostolat. Sie bezeichnete sie als ihre Lehrerin und ließ sich von deren Apostolat in Marseille in ihrer eigenen Mission bestärken, öffentlich zu predigen und die Reform der Kirche voranzutreiben.10

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giously Plural Worlds of the Middle Ages and Renaissance (hg. v. Thomas J. Heffernan und Thomas E. Burman; Leiden: Brill, 2005), 161–191; 176. The Cambridge History of the Bible, Bd. 2 (hg. v. G. W. H. Lampe; Cambridge: Cambridge University Press, 1969), 452–465; Gigliola FRAGNITO, La Bibbia al rogo: La censura ecclesiastica e i volgarizzamenti della Scrittura (1471–1605) (Bologna: Il Mulino, 1997), 57–60. Francesco SANTI, „La Bibbia di Caterina da Siena“, in La Bibbia nell’interpretazione delle donne: Atti del Convegno di Studi del Centro Adelaide Pignatelli, Napoli 27–28 maggio 1999 (hg. v. Claudio Leonardi u. a.; Florenz: SISMEL, 2002), 77–83; 79. EBD., 78–83. Jane TYLUS, Reclaiming Catherine of Siena: Literacy, Literature, and the Signs of Others (Chicago: University of Chicago Press, 2009), 37, 56, 128–141, 156–160, 255, 265. Katherine L. JANSEN, The Making of the Magdalen: Preaching and Popular Devotion in the Later Middle Ages (Princeton: Princeton University Press, 2000), 275–277; Tylus, Reclaiming Catherine, 196–198.

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2. Girolamo Savonarola und seine Anhängerinnen Katharina von Siena kann als der Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von weiteren reformorientierten Bewegungen gelten, an denen häufig auch Frauen beteiligt waren. Nach Katharinas Tod erwählten insbesondere die Befürworter der Dominikanischen Observanz sie zur Ikone der Reform. Im späten 15. Jahrhundert zeigte Girolamo Savonarola (1452–98) seine Bewunderung für Katharina als dominikanische Reformerin, deren prophetische Mission in Florenz seine Kampagne in dieser Stadt vorweggenommen hätte. Es finden sich noch mehr Parallelen, auch Savonarola sprach der Heiligen Schrift eine sehr hohe Bedeutung zu: Seiner Meinung nach sollte man statt Philosophie und allem weltlichen Wissen lieber die Bibel studieren. Anders als Erasmus und andere nordeuropäische Reformer wollte Savonarola die Heilige Schrift jedoch nicht in die Hände aller Gläubigen legen, sondern betrachtete die Predigt als besten Weg, das Wort Gottes zu vermitteln. Er selbst strebte nach einer Tätigkeit als Bibelprediger, wobei er sich insbesondere von den Propheten des Alten Testaments inspirieren ließ.11 Ein Spezifikum Savonarolas war die außerordentlich große Bedeutung, die er im Rahmen seiner eigenen Reformen den Frauen zumaß: Obwohl er dem weiblichen Mystizismus grundsätzlich misstraute, beharrte er doch auf der spirituellen Gleichheit von Frauen und Männern.12 Er hielt Frauen für fähig, die Bedeutung biblischer Darstellungen in seinen Predigten zu begreifen, und stellte seinen Anhängerinnen die alttestamentarische Figur der Ruth als Vorbild eines korrekten ethischen Verhaltens vor.13 Bei Savonarola findet sich Bibelrezeption aber mit einem völlig anderen Schwerpunkt als noch bei Katharina von Siena. Er legte großen Wert darauf, dass Frauen sich an zeitgenössische traditionelle Geschlechterrollen hielten. Er verehrte besonders Maria Magdalena, aber anders als Katharina von Siena sah er diese Heilige nicht als Vorbild eines aktiven Apostolats von Frauen. Er wies seine Anhängerinnen vielmehr an, die passive spirituelle Andacht der Magdalena nachzuahmen. Im 16. Jahrhundert wurde das Singen von laude zu Ehren von Maria Magdalena zu einem Erkennungsmerkmal der Anhänger Savonarolas, insbesondere bei savonarolanischen Nonnen in der Toskana.14 Dieses Programm setzten seine Schüler fort. Auch sie verfassten als spirituelle Führer Briefe an Frauen, in denen sie ihnen die Heilige Schrift erklärten. Noch Tommaso Caiani (gest. 1528) benutzte in allen Briefen an Lucrezia Borgia zwischen 1514 und 1519 eine Bibelstelle als Grundlage, um daran theologische oder spirituelle Argumentationen zu 11

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Michael O’CONNOR, „The Ark and the Temple in Savonarola’s Teaching (Winter 1494)“, in The Bible in the Renaissance: Essays on Biblical Commentary and Translation in the Fifteenth and Sixteenth Centuries (hg. v. Richard Griffiths; Aldershot: Ashgate, 2001), 9–27; 10–11. Girolamo SAVONAROLA, Prediche sopra l’esodo (hg. v. Pier Giorgio Ricci; Florence: Belardetti, 1956), Bd. 2, 256. Adriana VALERIO, „La predica sopra Ruth, la donna, la riforma dei semplici“, in Una città e il suo profeta: Firenze di fronte al Savonarola (hg. v. Gian Carlo Garfagnini, Florenz: SISMEL, 2001), 249–261. Patrick MACEY, „Infiamma il mio cor: Savonarolan Laude by and for Dominican Nuns in Tuscany“, in The Crannied Wall: Women, Religion, and the Arts in Early Modern Europe (hg. v. Craig A. Monson; Ann Arbor: University of Michigan Press, 1992), 161–189.

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erläutern.15 Der Ausgangspunkt bei der Bibel erklärt vor allem, warum auch nach Savonarolas Hinrichtung im Jahr 1498 sein Kloster San Marco ein wichtiges Zentrum für Bibelstudien blieb.16 Der Savonarolanermönch Sante Pagnini (1470–1536) verfasste lateinische Übersetzungen des Alten Testaments (aus dem Hebräischen) und des Neuen Testaments (aus dem Griechischen) sowie einen Kommentar zum Buch der Psalmen. Für eine kurze Zeit war Pagnini außerdem Beichtvater von Domenica Narducci von Paradiso (1473–1553), der prominentesten Savonarola-Visionärin nach 1498. Diese aus einfachen sozialen Verhältnissen stammende Frau, vermutlich Zeit ihres Lebens Analphabetin, hatte die Bibel bei Lesungen gehört, eine Praxis, die die Savonarolaner von San Marco förderten. Ihre anfängliche Nähe zu Pagnini könnte erklären, wieso in ihren Predigten die Bibelauslegung so viel Platz einnahm. In ihren Predigten interpretierte Narducci Bibelepisoden (vor allen aus dem Neuen Testament) meist wörtlich, nur manchmal allegorisch, moralisch oder eschatologisch. Sie verglich das Predigen der Heiligen Schrift mit dem Brechen des Brotes: wie das Essen für das menschliche Überleben notwendig ist, so ist es für das spirituelle Wohl der Christen unabdingbar, Predigten zu hören, die die Bibel erklären.17 Narducci erzählte, sie habe eine Vision von Jesus gehabt, der ein Buch in der Hand halte, und diese habe sie zum Predigen inspiriert. Sie beharrte darauf, dass sie nicht als eine Frau predigte, sondern als eine von Gott erleuchtete Prophetin. Auf den Vorwurf ihrer Gegner, sie interpretiere die Bibel, antwortete sie, dass sie einfach nur die Worte ausspreche, die Gott ihr in den Mund gelegt habe.18 Insbesondere unter weiblichem Publikum scheint Narducci mit ihrem Vorgehen Erfolg gehabt zu haben. In den Jahren nach 1530 pflegte sie eine enge Verbindung zu Caterina Cibo (1501–1557), der Herzogin von Camerino und Patronin des neuen Kapuzinerordens. Cibo war die belesenste Frau im Umfeld der Reform im Italien des 16. Jahrhunderts. Sie war bekannt dafür, Latein, Griechisch und Hebräisch zu beherrschen und so die Bibeltexte im Original lesen zu können. Cibo und Narducci teilten ein gemeinsames Ziel: eine moralische Reform der Kirche war für sie eine notwendige Bedingung für die spirituelle Erneuerung der Christenheit.19 Dieses Ziel, das – wenn auch unter anderen Vorzeichen – auch das Motiv für Savonarolas Reform in den 1490er Jahren gewesen war, hatte viele individuelle Mitstreiter in der italienischen Reformbewegung des 16. Jahrhunderts. Und obwohl Savonarola den direkten Kontakt der Laien mit der Bibel nicht befürwortete, hielt er doch die Bibel für die Hauptquelle der religiösen Bildung, 15 16 17

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Gabriella ZARRI, La religione di Lucrezia Borgia: Le lettere inedite del confessore (Rom: Roma nel Rinascimento, 2006), 171–176. Vgl. FRAGNITO, La Bibbia, 27–28. Adriana VALERIO, „La predicazione femminile dagli anni pre-tridentini alla prima metà del seicento“, in La predicazione in Italia dopo il concilio di Trento tra Cinquecento e Settecento (hg. v. Giorgio Martina und Ugo Dovere; Rom: Edizioni Dehoniane, 1996), 177–206; 182– 186. Adriana VALERIO, „‚Et io expongo le Scripture’: Domenica da Paradiso e l’interpretazione biblica: Un documento inedito nella crisi del Rinascimento fiorentino“, Rivista di storia e letteratura religiosa 30 (1994): 499–534. Adriana VALERIO, „Per una storia dell’esegesi femminile“, in La Bibbia nell’interpretazione delle donne, 3–22; 3–4, Nr. 4.

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was den Gefallen vieler spirituali fand und ihnen ausreichend Anknüpfungspunkte für eine eigene Beschäftigung mit biblischen Texten lieferte.20 Eine Nähe zu reformatorischen Interessen wie der Bibellektüre bedeutete aber noch lange keine Nähe zu den deutschen Reformatoren. Im Jahr 1534 bat Cibo Narducci um eine Predigt über die Geschichte von Jesus, der einen Feigenbaum zum Vertrocknen bringt. In ihrer Exegese dieser Episode aus dem Matthäusevangelium übte Narducci harsche Kritik an Luthers Doktrin von der Rechtfertigung durch den Glauben allein, und betonte, wie wichtig es sei, die monastischen Gelübde zu befolgen und die Heiligen zu verehren.21 Mit ihrer antilutherischen Predigt zeigte Narducci dieselbe Sichtweise wie andere Savonarola-Anhänger. Sie alle unterschieden deutlich Fra Girolamos Aufforderung zu einer disziplinarischen Reform der Kirche von Luthers Reformation, die ihrer Ansicht nach doktrinaler Natur war.22 Cibo schloss später Freundschaft mit dem Kapuzinerprediger Bernardino Ochino (1487–1564), einer führenden Figur in der italienischen Reformbewegung, der ihr als Gesprächspartnerin in den Dialoghi sette ein Denkmal setzte. Als Ochino 1542 beschloss zu fliehen, half Cibo ihm bei der Abreise nach Genf. Narducci setzte ihre Korrespondenz mit Cibo fort, aber im Laufe der Zeit kristallisierten sich unterschiedliche Grundverständnisse und Zielsetzungen heraus. Wie aus Narduccis schon erwähnter Predigt von 1534 hervorgeht, konnte diese – anders als Cibo – Ochinos Missachtung seiner monastischen Gelübde nicht akzeptieren.23 Eine dritte Variante, die der mystischen Bibelrezeption, fand sich bei Narduccis Zeitgenossin Lucia Brocadelli (1476–1544), einer weiblichen Schlüsselfigur der Savonarola-Bewegung außerhalb von Florenz. Wie Narducci war auch Brocadelli eine Laiendominikanerin, die eine gründliche Reform der Kirche befürwortete. Ihre Visionen bekräftigten den Inhalt von Savonarolas Predigten und bestätigten seinen Ruf der Heiligkeit. In der post-tridentinischen Zeit verbargen Brocadellis Anhänger die Beweise für ihre Teilnahme an Savonarolas Reform. Da sie ein Bild von ihr zeichnen wollten, das den neuen Kriterien für weibliche Heiligkeit entsprach, zerstörten oder versteckten sie ihre Schriften und andere Quellen, die von ihren mystischen Erfahrungen zeugten. Die Manuskripte, in denen ihre subversiven Visionen beschrieben werden, wurden erst am Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt.24 Im Buch ihrer Visionen, Sette rivelazioni (1544), das von Savonarolas Compendio di Rivelazioni beeinflusst wurde, spielte Brocadelli mehrmals auf Bibelverse an, ohne diese 20 21 22

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Salvatore CAPONETTO, La Riforma protestante nell’Italia del Cinquecento (Turin: Claudiana, 1992), 54, 104–107, 324. I sermoni di Domenica da Paradiso: Studi e testo critico (hg. v. Rita Librandi und Adriana Valerio; Florenz: SISMEL, 1999), 143–156. Vgl. Paolo SIMONCELLI, Evangelismo italiano del Cinquecento: Questione religiosa e nicodemismo politico (Rom: Istituto storico italiano per l’età moderna e contemporanea, 1979), 1–42. Adriana VALERIO, „Caterina Cibo e la spiritualità savonaroliana attraverso il magistero profetico di Domenica da Paradiso“, in Munera Parva: Studi in onore di Boris Ulianich, Bd. 2 (hg. v. Gennaro Luongo; Neapel: Fridericiana Editrice Universitaria, 1999), 141–154. Tamar HERZIG, Savonarola’s Women: Visions and Reform in Renaissance Italy (Chicago: University of Chicago Press, 2008), 179–186.

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jedoch auf eine traditionell akzeptierte Art und Weise zu interpretieren. Sie zitierte nicht direkt aus der Bibel, sondern spielte nur lose darauf an, indem sie Phrasen aus dem Kontext herausgriff, um ihre Argumente (christozentrischer Art) zu unterstreichen.25 Brocadelli konnte in Volkssprache lesen und schreiben, und da zu ihrer Zeit Nonnen und Laien Bibeln in Volkssprache besitzen durften, steht zu vermuten, dass sie die Bibel auf Italienisch las. Ein früherer Bericht über ihre mystischen Erfahrungen wies darauf hin, dass ihr Verständnis der Bibel auch durch Andachtsliteratur beeinflusst wurde, die dem Leben Christi apokryphe Details hinzufügte. Diese frühe Erzählung beschreibt, wie Brocadelli 1496 ihre Stigmata erhielt. Sie wurde zwar in Italien geschrieben, aber später ins Lateinische übersetzt und 1501 in Mähren veröffentlicht.26 Darin wird Brocadellis Verhalten kurz vor und nach dem Erhalten der Stigmata beschrieben: als die Wunden sichtbar wurden, habe ihr Beichtvater sie gefragt, wo ihre Seele während des ekstatischen Anfalls gewesen sei. Brocadelli antwortete, es sei ihr nicht erlaubt, hiervon zu berichten, weil auch Jesus den Aposteln verboten habe, ihre Erlebnisse auf dem Berg Tabor anderen zu erzählen.27 Brocadellis Äußerung ist eine Anspielung auf die Verklärung Christi. In den synoptischen Evangelien wird der Ort der Verklärung nur als hoher Berg beschrieben;28 die Identifikation als Berg Tabor geht auf später erschienene Andachtsliteratur zurück, wie zum Bespiel die Meditaciones Vitae Christi von Pseudo-Bonaventura.29 Volkssprachliche Übersetzungen der Meditaciones waren in Italien sehr populär, bevor sie nach dem Konzil von Trient auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurden.30 Fromme Literatur über das Leben Christi wurde sicher auch von anderen Visionärinnen innerhalb von reformistischen Strömungen des Dominikanerordens gelesen, wie Stefana Quinzani (1457–1530), die für ihre theatralische Imitation der Passion berühmt geworden war.31 Brocadellis kreativer Bezug auf diese Art der Passionserzählung war jedoch ziemlich einzigartig. Wie in den Sette Rivelazioni spielte sie auch hier auf eine Episode aus der Bibel an, um eine eigene Argumentation zu stützen, indem sie eine 25

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E. Ann MATTER, „Dissenso religioso e uso della bibbia nell’Italia del XVI secolo: La bibbia idiosincratica di Lucia Broccadelli da Narni“, Archivio italiano per la storia della pietà 18 (2005): 249–264. Tamar HERZIG, „Witches, Saints, and Heretics: Heinrich Kramer’s Ties with Italian Women Mystics“, Magic, Ritual, and Witchcraft 1 (2006): 24–55; 44–53. Carmen theocasticon de Lucia Narniensis, in Stigmifere virginis Lucie de Narnia aliarumque spiritualium personarum feminei sexus facta admiratione digna (hg. v. Heinrich Kramer; Olomouc: Konrad Baumgarten, 1501), ohne Seitenzahlen. Mt 7,1–6; Mk 9,1–8; Lk 9,28–36; Joh 1,14. Siehe auch 2 Petr 1,16–18. Iohannis DE CAULIBUS, Meditaciones Vite Christi olim S. Bonauenturo attributae (hg. v. M. Stallings-Taney; Turnhout: Brepols, 1997), 154f. Lawrence F. HUNDERSMARCK, „Preaching the Passion: Late Medieval Lives of Christ as Sermon Vehicles“, in De ore Domini: Preacher and Word in the Middle Ages (hg. v. Thomas L. Amos u. a.; Kalamazoo: Medieval Institute Publications, 1989), 147–167; Edoardo BARBIERI, „Tradition and Change in the Spiritual Literature of the Cinquecento“, in Church, Censorship and Culture in Early Modern Italy (hg. v. Gigliola Fragnito; Cambridge: Cambridge University Press, 2001), 111–133; 122–125. HERZIG, Savonarola’s Women, 90f.

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Analogie zwischen ihren eigenen mystischen Erfahrungen und der Verklärung Christi herstellt. Narducci und Brocadelli verehrten beide Savonarola, waren von Katharina von Siena inspiriert und gründeten Laienorden, aber ihre Verwendung der Bibel und die Kanäle, über die sie Kenntnis von Phrasen und Episoden aus der Heiligen Schrift erhielten, waren ziemlich unterschiedlich. Brocadelli kam aus einer höheren sozialen Schicht und konnte besser lesen und schreiben als Narducci, aber ihr fehlte die Führung eines Bibellehrers wie Pagnini, und auch ihre Kenntnis der Heiligen Schrift war wohl indirekter und erratischer als Narduccis. Brocadellis Tod im Jahr 1544 markierte die Abschwächung der Savonarola-Strömungen in Norditalien. In der Mitte des 16. Jahrhunderts waren diese fast nur noch in der Toskana zu finden. 32 Im Jahr 1554 gründete eine Gruppe von Savonarola-Anhängerinnen ein Waisenhaus für Mädchen, die auf Anregung der Leiterinnen an Bibel-Lesezirkeln teilnahmen. Im Jahr 1570 erschien jedoch das neue Statut des Institutes, das es den Mädchen verbot, bei ihren Treffen die Bibel zu lesen; bei Laien galt das Bibellesen zu jener Zeit als Hinweis auf protestantische Tendenzen.33

3. Frauen in der evangelischen Bewegung in Italien Die Reformbewegung in Italien wurde, außer von Savonarola, auch stark vom biblischen Humanismus des Erasmus inspiriert. Gläubige aus allen gesellschaftlichen Schichten trafen sich bei Lesetreffen, wo sie sich das Evangelium „aneigneten“.34 Frauen aus der städtischen Arbeiterschicht nahmen an solchen Treffen teil, wobei sie sich die Bibel von religiösen oder semireligiösen Frauen (oder des Lesens kundigen Freundinnen) vorlesen und erklären ließen. In Pirano organisierte eine Gruppe von Frauen in den Jahren nach 1540 Veranstaltungen, bei denen die Laien-Franziskanerin Francesca Petronio aus der Bibel vorlas. Die venezianische Witwe Franceschina de Ronchis interpretierte nach ihrer Rückkehr aus Genf die Bibel für philoprotestantische Frauen.35 1570 schockierte die verwitwete Gräfin Laura Gavardi die Bewohner von Sondrio, indem sie Bibeltexte auf einem öffentlichen Platz vorlas. Eine popolana in Verona versuchte ebenfalls, Menschen für die lutherische Bewegung zu gewinnen, indem sie die Paulusbriefe verteilte und versuchte, Kirchenmänner zur Konversion zu überreden.36 32 33 34 35

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EBD., 183–187. Nicholas TERPSTRA, Lost Girls: Sex and Death in Renaissance Florence (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2010), 123, 134, 208 Nr. 16. SEIDEL MENCHI, „Italy“; 192; Cinzia TOZZINI, „La Bibbia nel Cinquecento. Un sito web dedicato alle edizioni e alle interpretazioni della sacra scrittura“, Rinascimento 45 (2006): 399–411. Federica AMBROSINI, „Libri e lettrici in terra veneta nel sec. XVI. Echi erasmiani e inclinazioni eterodosse“, in Erasmo, Venezia e la cultura padana nel ‘500 (hg. v. Achille Olivieri; Rovigo: Minelliana, 1995), 75–86; 83f.; Susanna PEYRONEL RAMBALDI, „Donne ed eterodossia nell’Italia del Cinquecento“, Archiv für Reformationsgeschichte 92 (2001): 286–288; John MARTIN, Ve-nice’s Hidden Enemies: Italian Heretics in a Renaissance City (Berkeley: University of California Press, 1993), 83. CAPONETTO, La Riforma, 210, 277.

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In diesen Jahren waren Frauen, die den neuen katholischen Orden beitraten, auch eifrig auf der Suche nach anderen Frauen, die die Bibel für sie interpretieren sollten. So war es sicherlich bei den Angeliken, dem weiblichen Ableger des Barnabitenordens in Norditalien. Die Angelikin Paola Antonia Negri (1508–1555) betrachtete die Bibel als Grundlage für ihre spirituelle Führung. In den Predigten, die sie in Anwesenheit männlicher Theologen für die Angeliken hielt, interpretierte Negri oft die Bibel. Wie Katharina von Siena war auch sie durch das aktive Apostolat der Magdalena motiviert. Außerdem verehrte sie den heiligen Paulus, den Patron der Barnabiten. Negri konzentrierte sich in ihren Predigten auf die Paulusbriefe und die Evangelien. Mithilfe der Bibel unterstrich sie ihre Argumente für eine individuelle spirituelle Erneuerung, die eine moralische Reform der Gesellschaft begleiten sollte.37 Negri und ihre Anhängerinnen hatten sich 1548 in Venedig niedergelassen, aber wie bei den weiblichen Laien, die in jenen Jahren an Bibellesungen teilnahmen, wurden auch sie der Heterodoxie verdächtigt. Infolge einer apostolischen Visitation in ihrer Gemeinde wurde Negri 1552 in einen geschlossenen Konvent verbannt.38 Negri war zum Schweigen gebracht worden, aber zu jener Zeit fürchtete die kirchliche Autorität auch volkssprachliche Bibelübersetzungen schon als potentielle Quelle der Ketzerei.39 Der dominikanische Polemiker Ambrogio Catarino Politi (1484–1553) war ein ehemaliger Verehrer Savonarolas, der sich später gegen ihn wandte und zum militanten Luthergegner wurde. In seinem Speculum haereticorum (1539) schrieb er, der Zugang unwissender Gläubiger zur volkssprachlichen Bibeln sei der Ursprung der protestantischen Ketzerei gewesen. Politi merkte an, dass zu seiner Zeit jeder – auch ungebildete Laien und sogar Frauen – die Bibel läsen und dächten, dass dies sie befähige, über komplexe theologische Themen zu debattieren.40 Er widmete sein Speculum einer Frau, die die Bibel tatsächlich gut kannte: der Dichterin Vittoria Colonna (1492–1547), Marchesa von Pescara, einer einflussreichen Figur unter den italienischen spirituali. Gemeinsam mit Cibo gehörte Colonna zu jener kleinen Gruppe gebildeter adliger Frauen, die einige reformatorische Anliegen übernahmen und mit männlichen italienischen Reformatoren zusammenarbeiteten.41 Colonna, die von den Humanisten als die moderne Königin von Saba verehrt wurde, war die berühmteste der italienischen evangelischen Frauen. Sie war stark von Juan de Valdés (1509?–1541) beeinflusst, der Aspekte der spanischen mystischen Kontemplation mit den Lehren Erasmus’ und den Ideen Luthers kombinierte und darauf bestand, dass die Bibel die einzige gültige Quelle spirituellen Wissens sei und über allen anderen 37 38

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VALERIO, „La predicazione femminile“, 186–190. Andrea ERBA, „Il ‚caso’ di Paola Antonia Negri nel Cinquecento italiano“, in Women and Men in Spiritual Culture XIV–XVII Centuries: A Meeting of South and North (hg. v. Elisja Schulte van Kessel; Den Haag: Netherlands Government Publications Office, 1986), 193– 211. Adriana VALERIO, „Le prediche di Domenica da Paradiso tra esperienza mistica e riforma della chiesa“, in I sermoni di Domenica, XV–LXVII; XLI–XLII. Giorgio CARAVALE, Sulle tracce dell’eresia: Ambrogio Catarino Politi (1484–1553) (Florenz: Olschki, 2007), 100; FRAGNITO, La Bibbia, 69–73. Constance FUREY, „Intellects Inflamed in Christ: Women and Spiritualized Scholarship in Renaissance Christianity“, Journal of Religion 84 (2004): 1–22.

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religiösen Autoritäten stehe. Ebenso wie Cibo hatte auch Colonna Verbindungen zu Ochino, dessen Predigten ihren Glauben nachhaltig beeinflusst hatten. Aus Colonnas Schriften ging eine bemerkenswerte Vertrautheit mit der Bibel hervor; ihre Interpretationen der Bibelpassagen waren stets originell. Bei ihr begegnen zahlreiche bereits bekannte Motive: Auch sie war stark von der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit geprägt und kannte vermutlich die Meditationes vitae Christi. Auch sie erhielt Inspiration von Maria Magdalena und verehrte besonders die Jungfrau Maria.42 Colonna traf Politi, während dieser in Rom predigte. Besonders seine Erklärungen zu den Paulusbriefen interessierten sie, und die beiden führten lange Unterhaltungen. In seiner Widmung des Speculum an Colonna zitiert Politi Colonnas Kritik an der Korruption der Kirche: er stimme ihr zwar in der Sache zu, aber das Bedürfnis nach einer Korrektur der Missstände sei keine Rechtfertigung dafür, zum Protestantismus überzulaufen oder heterodoxen Doktrinen anzuhängen. Die Beziehung zwischen Politi und Colonna kühlte sich bald ab. Colonna blieb zwar loyal zum Papsttum und versuchte, sich nach Ochinos Flucht nach Genf von diesem zu distanzieren, aber sie näherte sich mit ihrem Glauben der Doktrin der sola fide, wodurch sie schließlich der Inquisition auffiel.43 Colonnas Cousine und Freundin Giulia Gonzaga (1513–1566), Witwe des Grafen von Fondi, war ebenfalls eine eifrige Bibelleserin. Sie traf Juan de Valdés im Jahr 1536 und wurde bald zu seiner wichtigsten Patronin.44 Valdés behauptete, seine Konversationen mit ihr seien die Grundlage für sein Alfabeto cristiano, in dem sie seine Gesprächspartnerin sei. Er vermachte sein Manuskript des Dialogs Giulia, die es im Jahr 1545 editierte und veröffentlichte. Giulia bezeichnete das Alfabeto als Gemeinschaftswerk der beiden, und zusätzliche Beweise untermauern diese These. Angesichts ihrer aktiven Beteiligung an der Entstehung dieses Reformwerks ist es lehrreich, dass der Dialog besondere Betonung auf die Vertrautheit des individuellen Gläubigen mit der Bibel legt. Das Alfabeto erkennt an, dass es wichtig sei, Predigten anzuhören, die die Bibel erklären, aber im Anschluss an diese solle es Gruppendiskussionen geben. Die Lektüre der Bibel biete eine wichtige Hilfe bei der Führung eines spirituellen Lebens, das von der Liebe zu Gott geprägt sei.45 1559 wurde das Alfabeto auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Trotz ihrer aktiven Beteiligung an seiner Veröffentlichung entkam Gonzaga der Verfolgung, aber nach ihrem Tod beschlagnahmte die römische Inquisition ihre Papiere.46 Eine weitere belesene Adlige, Lucrezia Gonzaga (ca. 1521–1576), wurde in einem Prozess dazu verurteilt, ihren häretischen Ansichten abzuschwören. Lucrezia korrespondierte mit Ortensio Lando, einem Sympathisanten der Protestanten (ca. 1512–1553), und erscheint als 42 43 44 45 46

Adriana VALERIO, Cristianesimo al femminile. Donne protagoniste nella storia delle Chiese (Neapel: D’Auria, 1990), 151–170; BRUNDIN, Vittoria Colonna, 37–65, 133–154. CARAVALE, Sulle tracce dell’eresia, 95–105. Camilla RUSSELL, Giulia Gonzaga and the Religious Controversies of Sixteenth-Century Italy (Turnhout: Brepols, 2006); CAPONETTO, La Riforma, 86–88. Diana ROBIN, Publishing Women: Salons, the Presses, and the Counter-Reformation in Sixteenth-Century Italy (Chicago: University of Chicago Press, 2007), 18–26. Christopher F. BLACK, The Italian Inquisition (New Haven: Yale University Press, 2009), 13, 45, 124–130.

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seine Gesprächspartnerin in seinem 1552 verfassten Dialog über die Wichtigkeit der Heiligen Schrift. Lando und Lucrezia Gonzaga sahen beide die Bibel als einzig gültige Quelle des Lernens an, unterstützten die Forderung der Laien, direkten Zugang dazu zu erhalten, und ermutigten Frauen, die Evangelien zu lesen. Sie forderten, dass die heiligen Texte vom Einfluss der Bibelkommentatoren befreit werden sollten, und warnten vor Predigern, die sich zu weit von den Bibelgeschichten entfernten.47 Die letzte Frau, die unsere Aufmerksamkeit verdient, ist Laura Battiferra degli Ammananti (1523–1589), uneheliche Tochter eines patrizischen Prälaten und einer Freundin Cibos. Battiferra verfasste eine teilweise Übersetzung der Psalmen ins Toskanische und veröffentlichte diese 1564, als das Verbot Pauls IV. von Bibelübersetzungen zwischenzeitlich aufgehoben wurde. Dass es Battiferras Wunsch war, die Bibellektüre unter Frauen zu fördern, zeigen die Widmungen: die gesamte Übersetzung an die Herzogin von Urbino, und jeder einzelne Psalm an eine bestimmte Nonne in Urbino oder Florenz. Battiferras Übersetzung wurde vom Clementinischen Index im Jahr 1596 verboten: er untersagte die Verbreitung von Texten in Volkssprache, die biblische Worte enthielten.48

4. Fazit Die Verbreitung von volkssprachlichen Bibelübersetzungen spielte seit der Mitte des 14. Jahrhunderts eine wichtige Rolle, als es galt, italienische Frauen für die großen Reformströmungen zu gewinnen. Trotz einer andauernden Opposition gegen Frauen, die predigten oder die Bibel interpretierten, scheuten Frauen wie Narducci und Negri nicht davor zurück, diese Tätigkeiten auszuüben. Die meisten beteiligten Frauen gingen zwar nicht so weit, akzeptierte Geschlechterrollen herauszufordern, aber ihre Schriften zeugen von einer Vertrautheit mit der Bibel und von deren großem Einfluss auf ihre religiöse Bildung. Im 16. Jahrhundert förderten Giulia und Lucrezia Gonzaga aktiv die Produktion und Veröffentlichung von Dialogen, die das Primat der Heiligen Schrift verteidigten. Von den wenigen humanistisch erzogenen Aristokratinnen abgesehen, hatten italienische Frauen vor allem Zugang zu volkssprachlichen Bibelübersetzungen und volkstümlicher frommer Literatur. Der Clementinische Index, der alle Bibelübersetzungen und apokryphen Bibelüberarbeitungen verbot, machte es für die meisten Frauen endgültig unmöglich, mit dem heiligen Text vertraut zu werden. Am Übergang zum 17. Jahrhundert protestierten zahlreiche Frauen gegen die Konfiszierung ihrer Evangelien, Psalmen, Briefe und frommen Bücher, aber ohne Erfolg.49 Der Vollzug des Clementinischen Verbots versperrte Frauen den Weg zu den wichtigsten Quellen der spirituellen Inspiration, in deren Genuss sie seit dem Anfang der Ära der katholischen Reform gelangt waren. 47

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Meredith K. RAY, „Textual Collaboration and Spiritual Partnership in Sixteenth-Century Italy: The Case of Ortensio Lando and Lucrezia Gonzaga“, Renaissance Quarterly 62 (2009): 694–747. Victoria KIRKHAM, „Introduction“, in Laura Battiferra degli Ammannati and Her Literary Cicle: An Anthology (hg. v. DERS.; Chicago: University of Chicago Press, 2006), 1–54; 1–11; 42. FRAGNITO, La Bibbia, 200–202, 294–306.

Im Namen des Paulus: Bibelhumanismus und Converso-Anklänge bei Isabel de la Cruz und María de Cazalla (1512–1534)* Maria Laura Giordano Universität Abat Oliba-CEU, Barcelona

1. Die Conversos und die Bibel Die Geschichte der Bibel in Spanien ist untrennbar mit den Conversos verbunden. Eine lebhaftere und notwendigere Beziehung als die, die diese jüdischstämmigen Christen seit dem Mittelalter zu den heiligen Texten geknüpft haben, lässt sich kaum denken. Auf beiden Seiten ihrer religiösen Erfahrung präsent, brachte die Bibel die jüdische Identität wieder neu zur Geltung und ins Spiel – im Rahmen einer Heilsgeschichte, die seit dem christlichen Ereignis unter anderen Vorzeichen stand: Das schwere „Joch“ des mosaischen Gesetzes war vom „leichten Joch“ des Geistgesetzes Christi abgelöst worden.1 Ein indirekter Beweis für die tiefe Beziehung der Conversos zur Bibel ist gerade das Verbot der volkssprachlichen Bibelübersetzungen, das nach der Judenvertreibung in einem entsprechenden Dekret der Katholischen Könige gipfelte.2 Damit wurde eine lange Tradition unterbrochen, die seit König Alfons X., dem Weisen, im 13. Jahrhundert Schirmherr einer berühmten Schule von Übersetzern heiliger Texte, zu einer Blüte der sogenannten Biblias judeorromances geführt hatte. Diese von Juden übersetzten Bibeln basierten nicht nur auf der lateinischen Vulgata, sondern berücksichtigten auch die volkssprachlichen Übersetzungen der masoretischen Texte. Das erklärt, weshalb alle volkssprachlichen Bibeln des Mittelalters einen „jüdischen Vorgänger“ hatten, der, je nach Stellenwert des Vulgata-Texts, mehr oder weniger ins Gewicht fiel.3

* Die in diesem Beitrag zitierten spanischsprachigen Textfragmente aus Inquisitionsakten oder aus Werken von Autoren, die nicht in italienischer Übersetzung vorliegen, habe ich selbst übersetzt. 1 Stefania PASTORE, Un’eresia spagnola. Spiritualità conversa, alumbradismo e Inquisizione (1449‒1559) (Florenz: Leo S. Olschki, 2004), 133‒154; Maria Laura GIORDANO, Apologetas de la fe: Elites conversas entre Inquisición y Patronazgo en España, (siglos XV–XVII) (Madrid: FUE, 2004), 146‒154. 2 Jesús ENCISO, „Prohibiciones españoles de las versiones bíblicas en romance antes del Tridentino“, Estudios Bíblicos IV (1944): 537‒541. Sergio FERNÁNDEZ LÓPEZ, Lectura y prohibición de la Biblia en lengua vulgar (Universidad de León: Secretariato de publicaciones y medios audiovisuales, 2003), 96‒111; 18f. 3 Sehr nützlich ist in diesem Zusammenhang dank der wissenschaftlichen Strenge und Präzision der darin gebotenen Erklärungen der Beitrag von Gemma AVENOZA VERA, „Las traducciones de la Biblia en Castellano en la Edad Media y sus comentarios“, in La Biblia en la Literatura Española, Bd. I.2: Edad Media. El texto: fuente y autoridad (hg. v. Gregorio Del Olmo Lete; Madrid: Trotta, 2008), 13‒75.

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In der frühen Neuzeit wurden nach der Vertreibung der Juden aus Spanien die volkssprachlichen Übertragungen der Heiligen Schrift verboten, damit die im Land verbliebenen Juden, die nach einer hastigen Konversion Christen geworden waren, sie nicht für proselytische Zwecke nutzen konnten. Die öffentlichen Bibelverbrennungen, die im 13. Jahrhundert eingesetzt hatten, nahmen daher gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu und erfolgten mit Erlaubnis der Katholischen Könige, denen gesagt worden war, die Juden würden die Bibel benutzen, um die Christen im mosaischen Gesetz zu unterweisen.4 Dennoch muss in Kastilien in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts noch das eine oder andere Exemplar einer volkssprachlichen Bibel in Umlauf gewesen sein, wenn der Erzbischof von Toledo, Bartolomé de Carranza, 1558 in seinen Comentarios sobre el Catechismo Christiano schreiben konnte: „Bevor die Irrlehre des Übeltäters Luther aus der Hölle heraufstieg, um an das Licht dieser Welt zu kommen, scheint mir die Heilige Schrift in der Volkssprache nicht verboten gewesen zu sein.“5 Damit ist Carranza nicht etwa ein Lapsus unterlaufen: Was nach 1492 auf den Scheiterhaufen geworfen wurde, war die nach rabbinischer Tradition glossierte, aus dem Hebräischen übersetzte Bibel, die hauptsächlich von den Conversos verwendet wurde und sich von der für die Christen bestimmten, ausschließlich auf der Vulgata basierenden Übersetzung unterschied. Dennoch kann selbstverständlich niemand, der über die volkssprachlichen Bibelübersetzungen des Mittelalters forscht, die Berührungspunkte und Kontaminationen zwischen der einen und der anderen Tradition außer Acht lassen. Einzelne, für den privaten Gebrauch erworbene Exemplare volkssprachlicher Bibeln fanden sich, diskret gehütet, noch in den Bibliotheken einiger weniger Adliger ‒ doch auch das hatte ein Ende, als die von Fernando de Valdés 1551, 1554 und 1559 erlassenen Indizes das endgültige Verbot und die Beschlagnahmung der betreffenden Werke anordneten und damit nicht einmal vor den Privaträumen der Häuser des hohen kastilischen Adels Halt machten.6 Obwohl die volkssprachliche Bibel bis zu diesem Zeitpunkt nicht offiziell verboten war, geht aus den Quellen der damaligen Zeit doch hervor, dass die Art und Weise ihrer Verwendung sehr ambivalent beurteilt wurde.7

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Vgl. den Text des Dekrets über die Vertreibung der Juden, das die Katholischen Könige am 31. März 1492 erließen und in dem es heißt, die Juden hätten „stets versucht, […] die Christgläubigen von unserem heiligen katholischen Glauben abzubringen […], indem sie sie die Zeremonien und Riten des Judentums lehrten.“ Vgl. Nicolás LÓPEZ MARTÍNEZ, Los judaizantes castellanos y la Inquisición en tiempos de Isabel la Católica (Burgos: Publicaciones del Seminario Metropolitano, 1954), 354f. BARTOLOMÉ DE CARRANZA MIRANDA, Comentarios sobre el Catechismo Christiano, Bd. I (hg. v. José Ignacio Tellechea Idigoras; Madrid: BAC, 1972), 110. Sergio FERNÁNDEZ LÓPEZ, Las biblias judeorromances y el ‘Cantar de los Cantares’ (Rioja: Cilengua, Fundación San Millán de la Cogolla), 44‒63. Diese Ambivalenz lässt sich an zwei Inquisitionsdokumenten gut veranschaulichen: Das erste wird bei Marcel BATAILLON zitiert (Erasmo y España: Estudios sobre la historia espiritual del siglo XVI [Madrid: Fondo de Cultura Económica, 1995], 551) und stammt aus dem Jahr 1545 (AHN. Inq. libro 322, f. 392 r.); darin verfügt der Inquisitor, die Evangelien und die Paulusbriefe nicht zu beschlagnahmen; das zweite ist das 1529 bei der Inquisition eingereichte

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Seit Ende der 1480er Jahre richteten sich die Aktivitäten der Inquisition vor allem gegen das Phänomen des sogenannten Kryptojudaismus, ein Delikt, das man in erster Linie den Judaizantes, also denjenigen Juden zur Last legte, die unmittelbar vor der Vertreibung Christen geworden waren und sich in den Augen der Katholischen Könige nicht von den Conversos unterschieden: Diese gewiss problematische Gleichsetzung sollte die fest etablierte sozio-ökonomische Oligarchie treffen, die diese Gruppe großenteils darstellte.8 In den Zwanzigerjahren des darauffolgenden Jahrhunderts hingegen konzentrierte sich das Heilige Offizium vorrangig auf das Ziel, die Bewegung der Alumbrados oder Iluminados zu zerschlagen, die als Vehikel einer implizit luthernahen und deshalb äußerst gefährlichen Irrlehre betrachtet wurde. An der Spitze dieser Bewegung standen in den ersten drei Jahrzehnten zwei sehr unterschiedliche charismatische Frauenpersönlichkeiten, die beide von Conversos abstammten: Isabel de la Cruz,9 Franziskanertertiarierin, die in der Gegend von Toledo, Guadalajara und Pastrana bekannt war, weil sie um das Jahr 1512 herum dort gepredigt hatte; und die Laiin María de Cazalla, Mutter von sechs Kindern und Frau eines wohlhabenden Bürgers. Dass Letztere Isabel die Erziehung ihrer Töchter anvertraute, beweist ihre wechselseitige Freundschaft und Wertschätzung.10 Als Isabel 1524 von der toledanischen Inquisition verhaftet und der Zugehörigkeit zur Sekte der „alumbrados, dejados y perfectos“ beschuldigt wurde, übernahm María de Cazalla stellvertretend für sie die Gruppenleitung. Diese Verhaftung war der Auftakt zu einer langen Reihe inquisitorischer Verfolgungen, die schließlich mit der Auflösung der Alumbrados- und wenig später auch der Erasmisten-Bewegung von Toledo endeten. Das Denken der Meisterin der Alumbrados ließe sich einfacher rekonstruieren, wenn die von ihr verfassten Abhandlungen erhalten geblieben wären. Doch sie sind verlorengegangen, und man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Beata selbst sie vernichtet hat, damit sie nicht dem Heiligen Offizium in die Hände fielen. Da wir zudem auch über Isabels Inquisitionsprozess keinerlei Dokumente besitzen, sind wir gezwungen, uns auf die einzige Quelle zu stützen, die ihre religiöse Erfahrung direkt dokumentiert: die Akten des Verfahrens gegen ihren Schüler Pedro Ruíz de Alcaraz.11

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Gesuch einer Adligen, die Heilige Schrift lesen zu dürfen (AHN, Inq., Libro 320, f. 149v), zitiert nach FERNÁNDEZ LÓPEZ, Lectura y prohibición de la Biblia en lengua vulgar, 50. Zu den unterschiedlichen historiographischen Interpretationen des Phänomens des Judaizante und zu der Schwierigkeit, ihn tout court als Converso zu kategorisieren, vgl. Francisco MÁRQUEZ VILLANUEVA, „Sobre el concepto de judaizante“, in Encuentros and Desencuentros. Spanish Jewish Cultural Interaction throughout History (hg. v. Carlos Carrete Parrondo, Marcelo Dascal, Francisco Márquez Villanueva und Angel Sáenz Badillos; Tel Aviv: University Publishing Projects, 2000), 519‒542; 528. Maria Laura GIORDANO, „Isabel de la Cruz“, in Dizionario dell’Inquisizione (hg. v. Adriano Prosperi, unter Mitarb. v. Vincenzo Lavenia und John Tedeschi; Pisa: Edizioni della Normale, 2010), 438. Milagros ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición contra María de Cazalla (Madrid: FUE, 1978), 87. Vgl. auch Maria Laura GIORDANO, María de Cazalla (Madrid: Ediciones Clásicas, 1998). GIORDANO, „Pedro Ruíz de Alcaraz“, in Dizionario dell’Inquisizione, 1349f.

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2. Isabel de la Cruz Das Hauptquartier des Iluminismo – eine weniger inquisitorische Bezeichnung für die „Irrlehre“ der Alumbrados12 – befand sich am Hof der Herzöge von El Infantado unweit des Wohnhauses von Isabel de la Cruz,13 die ihre Vorstellungen unter den Mitgliedern des Haushalts der Mendoza verbreitete. Die Herren von El Infantado lebten in Guadalajara in einem Palast mit schönem Renaissanceinnenhof, den man dank der Arbeit der Restauratoren noch heute bewundern kann. Von dieser ersten Keimzelle aus, die aus der Dienerschaft der herzoglichen Familie, aus Letrados (humanistisch und juristisch gebildeten Lesern) und aus Bediensteten von niederem Rang bestand, gelangte die Bewegung in die Gebiete von Pastrana, Cifuentes und Toledo. Es gelang Isabel de la Cruz und María de Cazalla, eine innige Beziehung zur Heiligen Schrift aufrechtzuerhalten, obwohl die volkssprachlichen Bibelfassungen schon seit Ende des 15. Jahrhunderts verboten waren. Das sagt die Beata selbst, und sie erklärt außerdem, dass die Volkssprache ihrem Eindruck nach die göttliche Botschaft nicht so wiedergebe, wie sie es am Lateinischen schätze.14 Im Kontakt mit den biblischen Texten, sei es nun in der Sprache der Kirche oder auf Kastilisch, materialisierte sich für sie die direkte Erfahrung der Liebe Gottes. Ihr Ire ad Deum per Deum („Ir a Dios por Dios“) verstand sich gar nicht so sehr als ein mystisches Modell, sondern bezog sich eher auf die Möglichkeit, Gott in seiner Dimension von Liebe und Mysterium zu erkennen, wie die Heilige Schrift sie darstellt.15 Als ihr späterer Schüler Pedro Ruíz de Acaraz, ein Buchhalter in Diensten des Markgrafen von Priego, zum ersten Mal bei ihr vorstellig wurde, sagte sie ihm, er müsse als Erstes die Bibel lesen.16 Dieser heiligen Pflicht, diesem grundlegenden Ziel des christlichen Lebens seien alle übrigen, sogenannten äußeren Praktiken – körperliche Abtötungen, Prozessionen oder die Heiligenverehrung ‒ nicht nur untergeordnet, sondern sogar abträglich, insofern sie von dem ablenkten, was eigentlich zähle. Nicht zufällig bezeichnete Isabel de la Cruz diese Praktiken als „ataduras“, Fesseln, die das eigentliche geistliche Wachstum hemmten, denn dieses könne nur im Inneren des Gläubigen erfolgen. Isabel hatte früh gelernt, sich davon zu befreien, als sie – in einem Akt der Rebellion, der an Mt 10,37 gemahnt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich …“ ‒ schon als ganz junges Mädchen ihre Familie verließ.17 Auch die Angst vor der Hölle – hier ist die Übereinstimmung mit den großen Reformatoren wie Erasmus, Luther und, wenn man weiter in die Vergangenheit zurückgeht, 12

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María de Cazalla erklärte den Inquisitoren, dass gemeinhin jeder Mensch als alumbrado bezeichnet werde, der sich mehr als andere durch eine Haltung der „inneren Sammlung“ auszeichne. ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición contra María de Cazalla, 209. GIORDANO, Apologetas de la fe, 113ff. Vgl. John LONGHURST, „La beata Isabel de la Cruz ante la Inquisición, 1524‒1529“, Cuadernos de historia de España 25/26 (1957): 279‒303; 288. EBD., 294. EBD., 291. EBD., 287.

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auch mit dem Alexandriner Origenes unverkennbar18 – war eines dieser Kontrollinstrumente, von denen es sich zu befreien galt.19 Diese Fesseln abzuschütteln, weil „die Seelen sich frei fühlen mussten“,20 wurde zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer religiösen Sensibilität und zu einem Ziel ihres pädagogischen Programms. Den Inquisitoren gegenüber erklärte sie selbstsicher, der „Verkündigung und Lektüre der Heiligen Schriften“ könne man sich nur widmen, wenn man die Cosas exteriores hinter sich gelassen habe – ein Schritt, den sie selbst offenbar bereits vollzogen hatte.21 Diese ihre Überzeugung erstreckte sich auch auf den moralischen Bereich: Keine Einschränkung, Zurückhaltung, Verzichtleistung oder gute Tat kann einem Menschen helfen, zur Vollkommenheit zu gelangen, wenn sie nicht Ausdruck der „Gottesliebe“ ist.22 Die Begriffe „Vollkommenheit“ und „vollkommen“ kehren im Wortschatz der Beata häufig wieder und bezeichneten den Status derer, die die Schrift zu verstehen und zu verkündigen vermochten. Isabel de la Cruz war es gewohnt, den Inhalt ihrer Predigten nicht vorzubereiten – was ihrer Ansicht nach eine „Unvollkommenheit“ gewesen wäre ‒, sondern darauf zu warten, dass der Heilige Geist sie führte. Wie sie während des Prozesses erklärte, hatte sie die Worte Jesu an die Apostel: „Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden“ (Mt 10,20), voll und ganz verinnerlicht.23 Ein anderes Mal betonte sie, wie wichtig es sei, die Gebote zu halten ‒ auch dies gewiss eine Erkenntnis aus dem Matthäusevangelium (Mt 19,18).24 In Ausübung ihrer Tätigkeit – das Wort Gottes zu verkündigen ‒ hatte sie die Grenzen überschritten, die die Gesellschaft ihrer Zeit den Frauen auferlegte. Das war ihr bewusst, und wie Teresa de Cartagena vor und Teresa von Ávila nach ihr protestierte sie gegen diese Grenzen,25 weil die Vorstellungen von der Unterlegenheit ihres Geschlechts sie 18

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Auch wenn Isabel de la Cruz Origenes in diesen Erklärungen nicht zitiert, erinnert ihr Denken doch an das des Alexandriners, den Erasmus gemeinsam mit Ambrosius, Hieronymus und Augustinus zu den Theologen zählte, die Scotus und der Scholastik vorzuziehen seien. Erasmus’ Begeisterung für Origenes und seine paulinische Theologie war von dem Franziskaner Jean Vitrier beeinflusst. Vgl. ERASMUS VON ROTTERDAM, El Enquiridion o manual del caballero cristiano (hg. v. Dámaso Alonso, Vorw. v. Marcel Bataillon; Madrid: Junta para la ampliación de estudios. Centro de estudios históricos, 1932); 9f.;184f. Jose C. NIETO, Juan de Valdés and the origin of Spanish and Italian Reformation (Genf: Droz, 1970), 106‒112. Deutsche Ausgabe: ERASMUS VON ROTTERDAM, Handbüchlein des christlichen (Übertr. und eingeleitet von Hubert Schiel, Münsterschwarzach: Vier Türme, 2015). LONGHURST, „La beata Isabel de la Cruz“, 290. EBD., 288. EBD., 285f. EBD., pass. EBD., 287. Diesen Vers glossiert Origenes in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium. ORIGENES, Commento al Vangelo di Matteo/2 (hg. v. Maria Ignazia Danieli; Rom: Città Nuova), 215. Vgl. TERESA DE CARTAGENA, Admiraçión operum Dey, in der von Lewis Joseph Hutton besorgten Ausgabe, der diese Schrift gemeinsam mit dem ersten Werk der Ordensfrau, Arboleda de los enfermos, ediert hat (Anejos del Boletín de la Real Academia Española XVI; Madrid:

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daran hinderten, das umzusetzen, was Gott ihr ins Herz gelegt hatte. „Herr, lass mich die Sehnsucht erfüllen, die du mir gegeben hast“,26 flehte sie und ließ sich durch nichts von ihrem Vorhaben abbringen. Diese Kühnheit, so erklärte sie vor den Richtern, sei der einzige „Irrtum“, dessen sie sich schuldig gemacht habe: Alles andere sei aus Liebe zu Gott und zum Nächsten geschehen.27 Im Übrigen gab es für sie nur eine einzige Versicherung gegen teuflischen Trug und Ketzerei, nämlich „sich von der Liebe Gottes erfüllt zu fühlen“.28 Diese Worte bringen das Wesen der Bewegung auf den Punkt und dienen Alcaraz als Vorlage für ein denkbar kurzes, aber überaus wirkungsvolles Manifest des toledanischen Iluminismo: „Die Gottesliebe im Menschen ist nichts anderes als Gott selbst“ („El amor de Dios en el hombre es el mismo Dios“). Doch die Beata sprach eine andere Sprache als die, die sie befragten: Sie verstanden sie nicht und werteten diese Worte, mit denen die Angeklagte sich eigentlich hatte entlasten wollen, als Beweis für einen weiteren wichtigen Anklagepunkt: den Hochmut eines Menschen, der sich gegen die Sünde gefeit glaubt (Sündenlosigkeit). Ein Missverständnis, das leicht aufkommen konnte, weil ihr Wortschatz einem anderen als dem vorherrschenden spirituellen Register angehörte: Sie sprach von einer Kirche der „Vollkommenen“,29 denen allein sie Gehorsam schulde, während sie ihre Mutter Oberin und sogar die Superioren für „unvollkommen“ hielt. Sie erklärte, die Existenz der Hölle sei lediglich ein Schreckgespenst, um die Einfältigen zu ängstigen. Vor allem aber fragte sie sich, wie ein barmherziger Gott den schlechten Menschen, die doch schon durch den Fluch ihrer Natur bestraft seien,30 durch seine Braut, die Kirche, zürnen könne, für deren Wahrheiten die Inquisitoren eintraten und in deren Namen sie handelten. Mit dieser Frage sprach Isabel de la Cruz dem Heiligen Offizium, einer unbarmherzigen und „schlechten“ Menschen gegenüber wenig mildtätigen Einrichtung, seine geistliche Legitimation ab. Was ihre Lesart der Heiligen Schrift betrifft, wissen wir nur, was aus den Akten der Verhandlung gegen ihren Schüler Alcaraz hervorgeht: Sie leugnete nicht, alle, die lesen konnten, ermutigt zu haben, sich den biblischen Texten ohne Furcht zu nähern. Doch sollten sie dies ohne die Wissbegierde der Gelehrten und der Letrados tun, denen es

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Fundación Conde de Cartagena, 1967); TERESA VON ÁVILA, Weg der Vollkommenheit (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Gesammelte Werke Band 2; Freiburg i. Br.: Herder, 2003), 90 (4,1). LONGHURST, „La beata Isabel de la Cruz“, 291. EBD., 285: „Sie sagte, sie mache sich keine Sorgen wegen ihrer Feinde und sie denke, dass die Freiheit, die die Liebe ihr gebe, so wirkmächtig sei, dass sie nicht demütig sein könne, da sie sicher sei, dass sie sich nicht werde täuschen können, und daher so kühn gewesen sei, über die Schriften zu sprechen und andere darin zu unterweisen“. EBD. Die Vorstellung von einer „Kirche der Vollkommenen“ hatte bereits im 14. Jahrhundert in Margereta Porete, der Verfasserin des Mirouer des simples ames, eine große Unterstützerin gefunden. Dieses „Hauptwerk“ der Bewegung des freien Geistes kursierte in ganz Europa und propagierte eine unvermittelte Gottesbeziehung, eine innerliche Religiosität und die Sündenlosigkeit. Vgl. Romana GUARNIERI, „Il movimento del Libero Spirito dalle origini al secolo XVI“, Archivio Italiano per la Storia della Pietà 4 (1965): 353‒499; 353. LONGHURST, „La beata Isabel de la Cruz“, 288.

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darum gehe, die in den Text hineingewobenen Bedeutungen zu verstehen: Wer allein darauf aus sei, verhindere die „göttlichen Wirkungen“, die Gott denen gewähren könne, die mit Einfachheit und Demut läsen.31 Diese Mahnung könnte auf Isabels Lebenswirklichkeit gemünzt sein: Ihr Umfeld bestand aus gebildeten Lesern, die darin geübt waren, über die verschiedenen Auslegungen der Schriftworte zu diskutieren. Doch war nicht das, was der Beata wie eine Art Götzendienst am biblischen Buchstaben erschien, womöglich das Überbleibsel einer durch und durch jüdischen Herangehensweise, wie sie jahrhundertelang in den alchemistischen Konstruktionen der Kabbala erprobt worden war? Wahr ist jedenfalls auch, dass aus diesem Nachgrübeln über die Worte der Heiligen Schrift eine neue philologische und humanistische Sensibilität erwachsen sollte, die wenig später eine der bedeutendsten bibelexegetischen Schulen in ganz Europa hervorbringen würde – eine Schule, der so illustre Persönlichkeiten wie Cipriano de la Huerga, Luis de León und Arias Montano angehörten. Wie dem auch sei: Isabels Enttäuschung über jene Art der Lektüre verdichtete sich in einer Ermahnung, in der sie sich auf den Paulusvers vom „Buchstaben, der den Geist tötet“, berief (2 Kor 3,6), um gegenüber einem pomphaften Bibelwissen, das ihr aufgebläht und besserwisserisch erschien, intellektuelle Armut einzufordern. In dieser affektiven und anti-intellektuellen Vorstellung vom Glauben erkennt man die Treue der Franziskanertertiarierin zum Charisma der Minderbrüder, die sich zu einer emotionalen und intuitiven Religiosität bekannten. Die Inquisitoren ihrerseits glaubten, die Beata wolle sich für eine inspirierte, vom Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Lehramt losgelöste Lesart der heiligen Texte aussprechen: ein nicht unbegründeter Verdacht, da der Gegensatz zwischen den paulinischen Begriffen von Buchstabe (dem mosaischen Gesetz) und Geist (dem Gesetz des Evangeliums) geradewegs zu einer Bibellektüre führte, die sich in der persönlichen Gottesbeziehung vollzog. Auch wenn diese Sichtweise die Bedeutung der Mittler zwischen dem Menschen und dem Göttlichen und damit vor allem die Rolle der Kirche relativierte – und deshalb der lutherischen Irrlehre gleichgesetzt wurde –, war sie doch Ausdruck einer breiten Strömung in der Geschichte der Exegese, die von Origenes bis zu Augustinus und Dionysius Areopagita reichte32 und letztlich auf den Völkerapostel zurückging

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EBD.: „Sie sagte auch, sie werde beschuldigt, Laien und anderen, die lesen könnten, beigebracht zu haben, nicht mit Wissensdurst und dem Verlangen, verborgene Bedeutungen freizulegen, an die Schriften heranzugehen, sondern sich mit dem zu begnügen, was Unser Herr ihnen gewähre, weil der Buchstabe den Geist tötet und weil jene andere Art, sie zu lesen, die göttlichen Wirkungen behindere, die Gott ihnen vielleicht gewähren werde.“ Luther hatte sich gegen Origenes und Dionysius Areopagita und all jene gewandt, die zwischen der „geistlichen“ und der „buchstäblichen“ Lesart der Schrift unterschieden, und davor gewarnt, dass das Verständnis der biblischen Erzählung durch diese Unterscheidung erheblich verfälscht werde. Martin LUTHER, „Concerning the letter and the Spirit (1521)“, in Martin Luther’s basic theological writings (hg. v. William R. Russel; Minneapolis: Fortress Press, 2012), 53‒70. Deutsche Ausgabe: Martin LUTHER, „Auf das überchristlich, übergeistlich und überkünstlich Buch Bocks Emsers zu Leipzig Antwort. Darin auch Murnarrs seines Gesellen gedacht wird“ von 1521 (WA 7, Weimar: Böhlau, 1897), 621‒688.

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– wenn wir Origenes Glauben schenken, für den der erste „geistliche“ (allegorische) Ausleger der Bibel kein anderer war als Paulus selbst.33 Isabel de la Cruz begnügte sich jedoch nicht damit, eine Gruppe von Gelehrten zu ermahnen, die gerne über die Heilige Schrift diskutierte, sondern entfaltete parallel dazu eine Aktivität, die in erster Linie darauf ausgerichtet war, die Innerlichkeit der Religion (wieder)herzustellen. Mit dieser Predigttätigkeit, die vor allem, aber nicht ausschließlich als Maßnahme gegen die weithin herrschende Verwirrung und missglückte Indoktrinierung gedacht war, wollte sie die Verletzungen heilen, die den Menschen zugefügt worden waren, weil die Kirche es an einer planvollen Seelsorge und Umerziehung hatte fehlen lassen: Die Neukonvertierten aus den Kreisen der jüdischen Conversos, zu denen sie selbst gehörte, wussten oft nur wenig über ihre neue Religion: ein Christentum, das sie mit geringer Überzeugung und einer allenfalls dürftigen Vorbereitung angenommen hatten. Das Phänomen der Judaisierer oder Kryptojuden, die die Inquisition seit der Judenvertreibung und das ganze 16. Jahrhundert hindurch im Visier hatte,34 beruhte großenteils auf einem synkretistischen Geflecht, in dem die Vorschriften der neuen Religion Seite an Seite mit den nach wie vor praktizierten jüdischen Riten fortbestanden. Man gewinnt eine Vorstellung von den Dimensionen, wenn man sich vor Augen hält, dass an den Gerichtshöfen von Toledo, Ciudad Real, Guadalupe und Belalcázar Anfang des 16. Jahrhunderts gegen etwa 6125 Criptojudíos prozessiert wurde, von denen 669 relajados en estatua, das heißt in effigie, und 346 in persona hingerichtet wurden; 1530 wurde für das Kapitel der Capilla de los Reyes Nuevos in der Kathedrale von Toledo ein Estatuto de limpieza de sangre erlassen.35 Die Kirche als ganze war offenbar nicht darauf vorbereitet, durch einen gezielten Einsatz ihrer Kräfte konstruktiv gegen diese religiöse Orientierungslosigkeit vorzugehen. So ergriffen Einzelne, häufig Laien, die Initiative – wie der Admiral von Kastilien und Grande von Spanien Fadrique Enríquez, der den Franziskanern nahestand und eine Evangelisierungskampagne protegierte: Die Apostel von Medina de Rioseco – unter diesem Namen wurden die Kleriker der von dem Iluminado Juan López de Celain angeführten Gruppe bekannt – sollten von 1526 an auf Enriquez’ Ländereien ein neues, paulinisch geprägtes Christentum verbreiten.36 Auch bei Isabel de la Cruz wurde der Glaube lebendiges Handeln und Anlass zu einer intensiven Missionstätigkeit, die sich in einem anspruchsvollen Evangelisierungsprogramm niederschlug. Es bestand aus zwei Teilen: Der erste wandte sich hauptsächlich an die „Anfänger“, die aufgefordert wurden zu fasten und sich körperlich abzutöten, heilige Bildnisse zu betrachten, über das Leiden Jesu zu meditieren oder das mündliche 33

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ORIGENES, Von den Prinzipien (hg., übers. u. mit kritischen und erl. Anm. versehen v. Herwig Görgemanns und Heinrich Karpp; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 31992), 714ff. (IV, 2, 6). Zu den Conversos-Prozessen von Ciudad Real (1483‒1485) vgl. Haim BEINART, Conversos on trial (Jerusalem: Magnes Press, Hebrew University, 1981). Juan BLÁZQUEZ MIGUEL, Inquisición y criptojudaismo (Madrid: Kaydeda, 1988), 140, 308. GIORDANO, Apologetas de la fe, 189‒202; PASTORE, Un’eresia spagnola, 119‒133.

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Gebet zu pflegen. Hatten sie diese Phase durchlaufen, gingen sie einen Schritt weiter und befreiten sich von allem Überflüssigen, das sie in dieser ersten Phase kennengelernt hatten. Mit anderen Worten, die Beata lud ihre Schüler ein, die Actos exteriores zu praktizieren, damit sie feststellen konnten, dass sie für das Wachstum des Glaubens nutzlos waren und gleichzeitig zu spiritueller Verarmung führten. Nunmehr „instruiert“, hatten die Eingeweihten sodann in der zweiten Phase Gelegenheit, die Liebe Gottes zu erwidern und sich für die Geschenke, die ihnen zuteilgeworden waren, dankbar zu erweisen.37 Für María de Cazallas Bruder Juan, Bischof und Mitarbeiter von Cisneros, war es diese Dankbarkeit, die die angestrebte Beziehung zwischen Mensch und Gott wesentlich ausmachte: eine Dankbarkeit, wie sie in Psalm 116,12 zum Ausdruck kommt: „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“38 Hinter der unendlichen Vielzahl von Geschenken, die Gott den Menschen machte, stand die in der Spiritualität der Conversos allgegenwärtige göttliche Gnade: als Segen für einen Menschen, der nicht wie in der lutherischen Anthropologie von einem rätselhaften und unerbittlichen Schicksal verfolgt, sondern mit Willensfreiheit begabt ist. Bei dieser von Isabel de la Cruz entworfenen etappenweisen Hinführung zum innerlichen Christentum39 handelte es sich anscheinend um eine Anwendung der paulinischen Lektion aus 1 Kor 2,6: Die „Weisheit Gottes“ war nur den „Vollkommenen“, also jenen zugänglich, die einen Weg zurückgelegt hatten und so zum Verständnis der „geistlichen Dinge“ im Sinne von 1 Kor 2,4ff. gelangt waren. Alle anderen, die Nicht-Eingeweihten, blieben von dieser Art der Erkenntnis ausgeschlossen (1 Kor 2,14). Im Wesentlichen schlug die Beata vor, den christlichen Glauben als eine innerliche Religion neu zu begründen. Offenbar besteht gerade darin das Besondere an der Art und Weise, wie die Conversos auf ihre religiöse Entwurzelung reagierten: Der Paulinismus war ihr Ankerplatz in einem Hafen, der so schlecht auf ihre Ankunft vorbereitet war, dass er sich in einen ungastlichen Ort voller „Feinde“ und Gefahren verwandelte.40 Um das zu verstehen, muss man bis zu den schlimmen Vorfällen des Jahres 1449 zurückgehen, die in einem Umsturz und einer Gesetzgebung gipfelten, die den Cristianos nuevos jedwede Übernahme eines öffentlichen Amtes in der Stadt Toledo verbot. 37 38 39

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LONGHURST, „La beata Isabel de la Cruz“, 289f. JUAN DE CAZALLA, Lumbre del Alma (Madrid: FUE, 1974), 57. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Vorstellung vom Christentum als einer Religion der Eingeweihten eine interessante Koinzidenz zwischen dem Denken der Isabel de la Cruz und dem des Origenes darstellt. Letzterer teilt in seinen Schriften die Christen in zwei Kategorien ein: die Einfachen, die sich mit den ihnen gebotenen Belehrungen begnügen müssen, und die Gnostiker oder „Vollkommenen“, die eine Wegstrecke zurücklegen und vom Glauben der Einfachen zu jener Weisheit gelangen, von der Paulus im Korintherbrief spricht (1 Kor 2,6), vgl. ORIGENES, Contra Celsum III, 59. Die Hinweise auf Origenes sind zwar zahlreich, genügen zurzeit aber noch nicht, um zwischen Isabel de la Cruz und dem alexandrinischen Denker eine nachweisbare Verbindung herzustellen, die mithin lediglich als eine Arbeitshypothese angesehen werden darf. Das geht aus den Schriften von Alonso und Teresa de Cartagena hervor. Vgl. Maria Laura GIORDANO, „‘La ciudad de nuestra conciencia’: los conversos y la construcción de la identidad judeocristiana (1449‒1556)“, Hispania Sacra 125 (2010): 43‒91.

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Die blutigen Zusammenstöße, die darauf folgten, machten allen deutlich, dass es eine „Conversos-Frage“ gab, die dringend der Lösung bedurfte. Noch unter dem Eindruck der unerhört gewaltsamen Ereignisse von Toledo verfasste Alonso de Cartagena, Bischof von Burgos und Vertrauter des Monarchen Johann II. von Kastilien, eine bedeutende Abhandlung mit dem Titel Defensorium unitatis Christianae.41 Darin entwarf er das Bild einer christlichen Gesellschaft, die fähig war, die Konvertiten – eine Realität, die er im Namen der paulinischen Begriffe vom mystischen Leib und von der Liebe anerkannt und integriert sehen wollte ‒, die jetzt noch Verfolgung litten, als neue Brüder in ihrer Mitte willkommen zu heißen. Vor diesem Hintergrund lieferten die Schriften des Völkerapostels ‒ die, gerade was die Aufhebung der durch Geschlecht und Herkunft bedingten Unterschiede zugunsten der Gleichheit aller in Christus betraf, gänzlich missachtet wurden (Gal 3,26‒28) ‒ wichtigen intellektuellen Conversos eine maßgebliche theologische Grundlage, auf der sie ihre neue religiöse Identität legitimieren konnten,42 und machten so die Angriffe derer unglaubwürdig, die sie aus der christlichen Zitadelle hinausjagten; parallel dazu führte diese Treue in der Rezeption der paulinischen Botschaft letztlich zur Entstehung eines neuen religiösen Subjekts, dem die Inquisition den Stempel der „gefährlichsten“ Häresie des 16. Jahrhunderts aufdrücken sollte. Die Schriften des Paulus wurden so zu einem echten Mutterschoß, in dem sich schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Form einer neuen christlichen Kirche abzuzeichnen begonnen hatte, die sich selbst nicht außerhalb der katholischen Kirche verortete, aber gleichwohl deren kritisches Gewissen und Reformwillen repräsentierte. Dieser kurze Exkurs war notwendig, um die Zusammenhänge zwischen der Situation und Sichtweise der Conversos und jener Auffassung aufzuzeigen, die Isabel de la Cruz einigen Zeugenaussagen zufolge vertrat – einer Auffassung, die sich damit als überaus bedeutsam erweist, weil sie die spirituellen Koordinaten der Anführerin der toledanischen Iluminados einerseits bestätigt und andererseits erweitert und die Ökumene im Spanien der drei Kulturen wiederaufleben lässt: Und so hörte er, wie sie in jener Zeit mit einer Frau aus Ecija sprach, einer Witwe aus Guadalajara, die eines Tages, als sie bei Isabel de la Cruz war, einen anderen Gesichtsausdruck bekam, und als sie wieder erwachte, sagte: „Oh heilige Maria, was ich gesehen habe!“ Und Isabel de la Cruz fragte sie, was sie gesehen habe, und die Frau aus Ecija antwortete ihr, sie habe gesehen, dass alle Völker und die guten Seelen gerettet werden würden. Da sagte Isabel de la Cruz zu ihr: „Sei still, Verräterin, das ist doch das Geheimnis“, und brachte sie zum Schweigen.43

An der paulinischen Herkunft der Vorstellung von der Allerlösung besteht kein Zweifel. Origenes, der Theologe und Exeget aus Alexandria, Urheber der Lehre von der Allerlösung oder Apokatastasis, berief sich direkt auf die Worte des Völkerapostels: „Zuerst

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ALONSO DE CARTAGENA, Defensorium unitatis christianae (hg. v. Manuel Alonso; Madrid: Publicaciones de la escuela de Estudios Hebraicos, 1943). GIORDANO, „‘La ciudad de nuestra conciencia’“. LONGHURST, „La beata Isabel de la Cruz“, 296f.

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werden die in Christus Verstorbenen auferstehen“ (1 Thess 4,16),44 doch auch auf 1 Kor 15,22‒28; 2 Kor 5,19; Röm 5,12‒21; 11,26‒36 und Phil 2,6‒11.45 Sicherlich waren die Iluminados im Zuge ihrer intensiven Lektüre der Paulusbriefe darauf gestoßen. Dennoch müssen die Worte der Beata über die Allerlösung auf einen größeren Kontext und auf ein Zusammenspiel von Wirkungen und Wechselwirkungen bezogen werden, die diese Idee schon im mittelalterlichen Spanien ausgelöst hatte. Die Lehre von der Allerlösung stand im Zentrum der unter Conversos und Kryptojuden verbreiteten messianischen Strömungen. Das geht aus den Akten der zahlreichen Prozesse hervor, die zwischen dem Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts in Kastilien geführt wurden und eindeutig beweisen, dass es einen religiösen Synkretismus zwischen Judentum und Christentum gegeben hat.46 Darin wurde die in der jüdischen Tradition historisch, öffentlich und kollektiv verortete Messiasgestalt auf eine eher metahistorische, innere und persönliche Ebene (das Seelenheil) übertragen, wie sie für das Christentum typisch war:47 Für viele war der Messias nun kein politischer Leader und mächtiger Feldherr mehr, sondern eine göttliche Gestalt, die ihre Seelen zu retten vermochte.48 Eine Conversa, die Ende des 15. Jahrhunderts vom Heiligen Offizium in Toledo verhaftet worden war, schilderte eine Vision, in der der Messias sie in den Himmel entrückt habe; dort habe sie die Märtyrer der Inquisition auf goldenen Thronen sitzen sehen.49 Die Allerlösung, die uralte Verheißung des Judentums, würde also von diesem neuen Messias in einer überirdischen Dimension erfüllt werden. Inwieweit diese Conversos tatsächlich konvertiert und inwieweit sie Juden geblieben waren, ist unmöglich zu sagen, doch eine solche Vermengung von Traditionen und Vorstellungen spricht jedenfalls für eine gewisse Anpassung, so unvollständig diese auch gewesen sein mag.50

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Ilaria RAMELLI, „The Syntax of εν χριστω in 1Thessalonian 4:16“, Journal of Biblical Literature 3 (2007): 579‒593. In dieser Arbeit beweist die Verfasserin durch eine strenge syntaktische Analyse von 1 Thess 4,16, dass die Lehre von der Allerlösung auf alle Menschen und nicht nur auf die bezogen ist, die an Christus glauben. DIES., „Christian Soteriology and Christian Platonism: Origen, Gregory of Nyssa and the Biblical and Philosophical Basis of the Doctrine of Apokatastasis“, Vigiliae Christianae 3 (2007): 313‒356. Die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema ist sehr umfangreich, und ich verweise hier lediglich auf einige Beiträge: M. Eugen BORING, „The language of universal salvation in Paul“, Journal of Biblical Literature, 105 (1986): 269‒292; Mark S. M. SCOTT, „Guarding the mysteries of salvation: The pastoral pedagogy of Origen’s universalism“, Journal of Early Christian Studies 18 (2010): 347‒368. John EDWARDS, „Elijah and the Inquisition: Messianic Prophecy among Conversos in Spain, c.1500“, Nottingham Medieval Studies 28 (1984): 79‒94. David M. GITLIZ, Secrecy and Deceit: the Religion of the Crypto–Jews (Philadelphia/Jerusalem: The Jewish Publication Society, 1996), 100ff. EBD., 106f. Diese Prophetin aus den Reihen der Conversos hieß Inés Esteban. 77 ihrer Anhänger wurden 1501 beim Autodafé von Toledo verbrannt. Vgl. GITLIZ, Secrecy and Deceit, 109. Viele der Kryptojuden sahen in den Tragödien ihrer Zeit – der Vertreibung und der Einrichtung des Inquisitionstribunals ‒ ein Zeichen dafür, dass die Conversos mit ihrer verbreiteten

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In diesem Zusammenhang dürfen neben den Wechselwirkungen zwischen der jüdischen und der christlichen Kultur auch die Einflüsse des muslimischen Substrats nicht unerwähnt bleiben. Sein Beitrag besteht unter anderem in der unter Conversos, Altchristen, Morisken und nicht zuletzt in der einfachen Bevölkerung verbreiteten Überzeugung, dass jeder in seiner eigenen Religion gerettet wird51 ‒ eine Sichtweise, die ganz eindeutig nicht mit der Lehre übereinstimmt, wonach es außerhalb der römischen Kirche kein Heil gibt.52 Dieser religiöse Universalismus im spätmittelalterlichen Kastilien war in den Jahrhunderten des ‒ allerdings nicht immer gewaltfreien und konfliktlosen ‒ „Zusammenlebens“ zwischen den Völkern der Buchreligionen gewachsen. Das Beispiel der Isabel de la Cruz zeigt bei aller Sorgfalt, mit der seine Anhänger ihn geheim zu halten suchten, dass er auch in der Neuzeit noch lebendig war. Unter anderem begegnet er uns in dem Iluminado Juan del Castillo, einem Converso, der 1537 von der Inquisition verbrannt wurde und die Auffassung vertrat, das Gesetz des Evangeliums solle nicht das Heil, sondern den Frieden unter den Menschen gewährleisten, weil ohnehin alle, Gläubige wie Nichtgläubige, gerettet werden würden.53 Auch wenn wir dieses komplexe Beziehungsgeflecht im Blick behalten müssen, sprechen die beiden folgenden Hinweise doch dafür, dass sich die Beata in ihrem Glauben

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Tendenz zur Anpassung das göttliche Strafgericht auf sich herabgerufen hätten, GITLIZ, Secrecy and Deceit, 115f. Der Converso Gonzalo de Torrijos (Toledo 1538) erklärte: „Gott existiert und die Mauren waren im Recht, als sie sagten, sie würden in ihrer eigenen Religion genauso gerettet werden wie die Christen in ihrer.“ Vgl. GITLIZ, Secrecy and Deceit, 120ff., und Stephen GILMAN, The Spain of Fernando de Rojas; the intellectual and social landscape of La Celestina (Princeton: University Press, 1972), 84; vgl. zu diesem Aspekt auch Mercedes GARCÍA ARENAL, „Religious Dissent and Minorities: The Morisco Age“, The Journal of Modern History 81 (2009): 888‒920; 906f. Das, worum es in dieser Frage eigentlich ging, brachte ein Bauer aus Soria treffend auf den Punkt, als er zu einem Müller, einem überzeugten Verfechter des Krieges gegen die Mauren zwecks Verbreitung des einzig wahren Glaubens, sagte: „Und wie finden wir heraus, welche unter den Religionen die ist, die Gott am meisten liebt?“ Diese Episode soll sich 1480 zugetragen haben. Vgl. John EDWARDS, „Religious Faith and Doubt in Late Medieval Spain: Soria circa 1450–1500“, Past and Present 120 (1988): 3–25; 16f. Andere Zeugnisse von ähnlichen Ereignissen, die Stuart B. SCHWARTZ auf der Grundlage von Inquisitionsdokumenten aus der Zeit zwischen 1490 und 1502 zusammengetragen hat, bestätigen, wie verbreitet diese „visión relativista de la salvación“ in der betreffenden Zeit gewesen ist. Vgl. DERS., Cada uno en su ley: Salvación y tolerancia religiosa en el Atlántico ibérico (Madrid: Akal, 2010), 87f. „Das Gesetz Gottes, unseres Herrn, ist aufgestellt worden, damit wir in Frieden leben, und nicht, um uns durch es zu retten, denn in Wirklichkeit wird gerettet, wer es hält und wer es nicht hält.“ Petronila de Lucena, Proceso, AHN, Inq, leg. 111, exp. 14, f. 8. Der Rekonstruktion von Stefania PASTORE zufolge ist der Universalismus des Juan del Castillo Ausdruck einer „vollendeten Lehre“, die im Gesetz – im Sinne einer dem Menschen und jedem Christen gegebenen religiösen Norm ‒ kein Paradigma sah, dem man Folge leisten musste, um das Heil zu erlangen, sondern lediglich ein Werkzeug, um das irdische Zusammenleben zu regeln. Vgl. DIES., Un’eresia spagnola, 150ff.

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an die Allerlösung in erster Linie auf das Evangelium stützte. Der erste betrifft die Schwester des Juan del Castillo, Petronila de Lucena, die genau wie Isabel de la Cruz am herzoglichen Hof verkehrte. Sie sagte, sie habe „ein Evangelium“ verkündigen hören (möglicherweise bezog sie sich auf Röm 10,9),54 dem zufolge jeder Getaufte, der geglaubt habe, gerettet werden würde.55 Hierbei handele es sich in jedem Fall um eine Botschaft, die geheim gehalten werden müsse und nur einigen wenigen Eingeweihten vorbehalten sei, die klug genug seien, dies nicht als Einladung zum moralischen Laxismus zu verstehen. Der zweite Hinweis betrifft den Converso Juan de Valdés, der nach einem Aufenthalt am Hof des Markgrafen von Villena in Escalona nach Italien floh. In seinen Schriften – er war ein bedeutender Bibelübersetzer und Exeget ‒ beschrieb er das Christentum als eine Religion für die Wenigen, die die Größe Gottes „vollkommen“ gemacht hatte. Dennoch konnte dem spanischen Exilanten zufolge niemand aus dem „fürstlichen und großartigen Palast“ der christlichen Kirche „ausgeschlossen“ werden:56 Gott hatte die Macht, auch die in jenen „göttlichen Palast“ eintreten zu lassen, die den Zugang bisher noch nicht gefunden hatten. Hinter diesem Bild verbirgt sich, wie Massimo Firpo gezeigt hat, die zuversichtliche Hoffnung der Alumbrados auf das Heil aller Völker.57 Für den jungen Valdés scheint sein Aufenthalt in Escalona – dort traf er 1523 mit Pedro Ruíz de Alcaraz zusammen, der genau wie seine Lehrmeisterin im darauffolgenden Jahr verhaftet wurde ‒ also äußerst lehrreich gewesen zu sein. Warum aber ging Isabel de la Cruz genau wie Petronila mit solcher Zuversicht davon aus, dass alle Völker gerettet werden würden (vgl. Jes 66,18)? Obwohl das Stigma der Ketzerei Conversos wie sie an den Rand der Kirche und der Gesellschaft, in die Isolation und in die Niederlage gedrängt hatte, vermochte es sie doch nicht vom Heil zu trennen: Dass sie heimlich am Ideal von der Allerlösung festhielten, scheint für die Neuchristen 54 55 56

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Röm 10,9: „Denn wenn du mit deinem Mund bekennst: ‘Jesus ist der Herr’ und in deinem Herzen glaubst: ‘Gott hat ihn von den Toten auferweckt’, so wirst du gerettet werden.“ Petronila de Lucena, Proceso, f. 15v. Vgl. GIORDANO, Apologetas de la fe, 148f. „Niemand soll die Hoffnung verlieren, denn es ist zu bedenken, dass nicht einmal die dem göttlichen Palast fremd sind, die ihn noch von außen betrachten, weil Gott die Macht hat, sie eintreten zu lassen und auch dafür zu sorgen, dass die, die bereits eingetreten sind, noch etwas weiter hineingehen […], wer nicht in diesen göttlichen Palast eingetreten ist, der wisse mit Zuversicht, dass er dort eintreten wird, und wenn er dort eingetreten ist, dass er bis ins Innerste gelangen wird. Denn, wie unser Herr Jesus Christus sagt, regnum caelorum vim patitur et violenti rapiunt illud (Mt 11,12: Dem Himmelreich wird Gewalt angetan; die Gewalttätigen reißen es an sich).“ Vgl. JUAN DE VALDÉS, Suma de la predicación cristiana, in DERS., Trataditos (hg. v. Edward BOEHMER; Colección Reformistas Antiguos Españoles Nr. XXIV; Bonn: Carl Georgi, 1880; Nachdruck Barcelona: Editorial Vosgos S. A., 1983), 181ff. Laut Massimo Firpo sind nur der erste und der letzte dieser 1545 erschienenen Kleintraktate (wie auch der oben zitierte) Valdés selbst zuzuschreiben. Vgl. Massimo FIRPO, Tra Alumbrados e ‘Spirituali’: Studi su Juan de Valdés e il valedesianesimo nella crisi religiosa del ‘500 italiano (Florenz: Leo S. Olschki Editore, 1990), 23. EBD., 79f.

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von Guadalajara, die sich am herzoglichen Hof versammelt hatten,58 ein Weg gewesen zu sein, sich an der Inquisitionsmaschinerie zu rächen, die, so todbringend sie auch sein mochte, diesen von der Gnade Gottes erfüllten Christen – und genau das wollte Isabel mit ihrem Auftreten den Inquisitoren gegenüber deutlich machen ‒ doch letztlich nichts anhaben konnte.59 Andererseits hatte schon Hernando de Talavera, erster Erzbischof von Granada und Berater der Katholischen Könige, dasselbe Heil, das diese Conversos – die ja inzwischen überzeugte Christen waren ‒ so hartnäckig in einer Dimension außerhalb der Kirche suchten, als eine Möglichkeit verstanden, die selbst den unverbesserlichsten Judaisierern offenstand. Einer von ihnen, Verfasser eines „häretischen“ Buchs, lieferte ihm den Anlass, 1487 seine Catolica impugnación, ein Meisterwerk der christlichen Katechese, zu verfassen. Darin ist Talavera, ein großer Apostel eines Christentums, das Juden und Muslime auf friedliche und respektvolle Weise für sich zu gewinnen vermag, ganz offensichtlich bemüht, den schwierigen Knoten der Kompatibilität/Kontinuität zwischen mosaischem Gesetz und Evangelium zu lösen. Für den Erzbischof von Granada stand die Tür weiterhin offen: Auch die Judaisierer, die sich nicht zwischen den beiden Gesetzen entscheiden konnten, würden wieder neu in den Olivenbaum eingepfropft werden, von dem sie sich getrennt hatten. Denn, so schreibt Talavera unter dem Eindruck der im 15. Jahrhundert verbreiteten, von Cartagena vertretenen Utopie von einem einheitsstiftenden Christentum: „Ganz Israel wird gerettet werden“ (Röm 11,26).60

3. María de Cazalla María de Cazalla wurde 1532 verhaftet. Ihr Inquisitionsprozess ist vollständig erhalten und kann in der sehr sorgfältig gearbeiteten Ausgabe von Milagros Ortega Costa eingesehen werden. Wie wir noch sehen werden, lassen die in diesen Dokumenten enthaltenen Zeugnisse keinen Zweifel daran, dass die Bibel in der Erfahrung der toleda58

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Petronila de Lucena teilte die Überzeugung von der Allerlösung mit ihrem Bruder Juan del Castillo. Ein Zeuge beschreibt sie als eine Frau, die es gewohnt war, auf Fragen mit Bibelzitaten zu antworten. Sie soll den Herzog mit den „neuen Ideen“ von der Allerlösung und der Willensfreiheit bekannt gemacht haben (Proceso, ff. IIr‒IIIv). GIORDANO, Apologetas de la fe, 148f. Wir wissen nicht, wie sehr Isabel de la Cruz und ihre Mitverfolgten tatsächlich von dieser christlichen Umdeutung des von den Juden erwarteten Messias, in der sich der lebhafte religiöse Synkretismus der Epoche niederschlägt, beeinflusst gewesen sind. Gleichwohl erinnert diese Art der Reaktion auf eine Bedrohung der eigenen Existenz an jene Grenzsituation, die Mercedes García Arenal als „mythe d’identité“ bezeichnet hat. Mercedes GARCÍA ARENAL, „‘Un réconfort pour ceux qui sont dans l’attente’: Prophétie et millénarisme dans la péninsule Ibérique et au Maghreb (XVI‒XVII siècles)“, Revue de l’histoire des religions 4 (2003): 445‒486; 448. HERNANDO DE TALAVERA, Católica impugnación (hg. u. eingel. v. Francisco Márquez und Francisco Martín Hernández; Barcelona: Juan Flors, 1961), 230, 243. Die Católica impugnación stand 1559 auf dem Index von Valdés. Danach geriet sie fast völlig in Vergessenheit, bis Eugenio Asensio in der Biblioteca Vallicelliana in Rom ein Exemplar entdeckte: „El erasmismo y las corrientes espirituales afines“, Revista de Filologia española 36 (1952): 31‒99.

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nischen Iluminados eine zentrale Rolle gespielt hat. Zudem werfen sie Licht auf eine Welt von Leserinnen, die mit dem biblischen Text vertraut waren und die von Cazalla gehaltenen Lectiones regelmäßig hörten. Einer dieser Hörerinnen verdanken wir die Erinnerung an folgende Worte, die María de Cazalla vor einem ausschließlich weiblichen Publikum gesprochen hat: Ich bin sicher, Schwestern, dass ihr alle ins Paradies eingehen werdet, und sie sagte: „Liebt Gott und haltet seine Gebote“, und danach nahm sie ein Buch in der Volkssprache und las eine Weile aus einem Brief des heiligen Paulus.61

María de Cazalla las mit Begeisterung Erasmus und Juan de Valdés; von Letzterem kannte sie auf jeden Fall den Diálogo de doctrina cristiana, der 1529 anonym in Alcalá de Henares veröffentlicht wurde. Vermutlich hatte sie das eine oder andere volkssprachliche Exemplar der Bibel oder auch die von Gonzalo de Santa María in die Volkssprache übersetzten Epístolas y Evangelios in Händen gehalten, die 1485 in Zaragoza erschienen,62 von Montesinos korrigiert und 1512 in Toledo wiederaufgelegt worden waren. Es war durchaus denkbar, dass ein Buch wie dieses in der Bibliothek einer Adelsfamilie wie etwa der Herzöge von El Infantado in Guadalajara stand und damit für María mit ihren guten Beziehungen zu Personal und Dienerschaft ohne Weiteres zugänglich war. In ebendieser Bibliothek ist übrigens auch das Fragment einer Biblia judeorromance gefunden worden,63 das vielleicht dazu benutzt wurde, handschriftliche Kopien anzufertigen und in Umlauf zu bringen, wie es zu jener Zeit nicht selten vorkam.64 Im Verlauf des Prozesses warf man ihr vor, eine bekannte paulinische Idee – vom Menschen als Tempel des Heiligen Geistes (1 Kor 3,16 u. 6,19; 2 Kor 6,16) ‒ geäußert zu haben, was ihr Gelegenheit gab, einen wahren Hymnus auf die innere Religion anzustimmen: „Oh Herr“, sagte sie wieder, „warum solche Blindheit“, „eine Blindheit der Welt, die dazu führt, dass die Orte, an denen du verehrt wirst, dich einschränken; obwohl du doch grenzenlos bist, sucht dich das Volk im Tempel, und in ihrem eigenen Inneren finden

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ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición contra María de Cazalla, 44f. EBD., 55, Anm. 7. Vgl. Margherita MORREALE, „Los Evangelios y las Epístolas de Gonzalo García de Santa María y las Biblias romanceadas de la Edad Media“, Archivo de Filología Aragonesa 10‒11 (1958‒1959): 277‒290. Vgl. auch BATALLION, Erasmo y España, 45. Mario SCHIFF, La bibliotèque du marquis de Santillane (Paris: Bouillon, 1905), 235‒246. Im Hinblick auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Thematik sei auf die wichtigen Schlussfolgerungen der jüngsten Untersuchung von F. Javier PUEYO MENA und Andrés Enrique ARIAS verwiesen: „Los romanceamientos castellanos de la Biblia hebrea compuestos en la Edad Media: manuscritos y traducciones“, Sefarad 1 (2013): 165‒224; 210‒215. Sergio FERNÁNDEZ LÓPEZ zufolge sind ganze Generationen heimlicher Kopisten von den Inquisitoren unentdeckt geblieben: Dass diese Praxis in den Akten der Inquisition so selten Erwähnung findet, ist seiner Ansicht nach ein Beleg dafür, dass es den Kopisten gelungen ist, der Wachsamkeit des Heiligen Offiziums zu entgehen. DERS., Lectura y prohibición de la Biblia en lengua vulgar, 52ff.

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sie dich nicht und suchen dich auch nicht, und dazu verpflichten sie diese Gesetze, um jenen anderen Aspekt indes kümmert sich niemand.“65

Sie vertrat diese Position den Inquisitoren gegenüber, weil sie auf dem Evangelium und den paulinischen Schriften basierte. In ihrer Verteidigung zitierte sie Lk 17,21 („Das Reich Gottes ist mitten unter euch“) und 1 Kor 3,17 („Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr“).66 Aus den übrigen Prozessaussagen wissen wir allerdings, wie gleichgültig sie den typischen Riten und Inszenierungen des katholischen Kults und jedweder „äußerlichen“ Darstellung gegenüberstand, die dafür verantwortlich war, dass die persönliche Beziehung zu Gott in den Hintergrund gedrängt wurde.67 In alledem sah sie den inzwischen überwundenen mechanistischen Ansatz der jüdischen Zeremonien und erklärte voller Stolz, sie selbst lebe im Einklang mit der fünften Regel aus dem Enchiridion68 und mit dem Erasmismus überhaupt, jenem großen Editionsund Kulturphänomen, das in den 1520er Jahren seinen Höhepunkt erreicht und María definitiv für sich eingenommen hatte.69 Stark augustinisch beeinflusst erinnert ihr Ringen darum, ein „innerliches Geschöpf“ zu werden, an die paulinische Mahnung, dass der Leib dem Geist unterworfen werden müsse, ja, sie selbst beschreibt dieses Ringen mit den Worten des Paulus: Ich Arme! Wer wird mich von diesem Leib befreien, der zum Tod führt70 (Röm 7,11) [...] ich tue das Böse, das ich nicht will, und das Gute, das ich will, das tue ich nicht (Röm 7,19).

Zu Diego Hernández, einem Zeugen der Anklage in ihrem Prozess, der sich Sorgen darüber machte, dass er seinen Glauben wegen einer bevorstehenden Reise womöglich vernachlässigen werde, sagte María de Cazalla, dass ihr Bruder, der Bischof Juan de Cazalla, ihm helfen werde, sich von diesen „kleinen Ängsten“ freizumachen. Dann fügt sie hinzu: „Alles Land, das ihr betretet, wird euch gehören“ (vgl. Gen 28,13).71 Ganz sicher will sie den betreffenden Vers nicht streng buchstäblich verstanden wissen, und bestimmt meint sie nicht das Land, das Gott Jakob nach seinem Traum zum Geschenk gemacht hat, sondern spielt auf die Heilsverheißung an, die ein großzügiger Gott für sein Volk bereithält. 65 66 67

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ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición, 78. EBD., 219. EBD., 78. „Wenn ich manchmal an Ostern in die Kirche gehe und sehe, mit welcher Mühe Mönche und Nonnen den Schmuck und die Weihrauchfässer vorbereiten, dann muss ich lachen, auch wenn ich gleichzeitig blutige Tränen weine und mir sage: ‘Wenn das gottgefällig ist, umso besser.’“ „Fünfte Regel: über die äußeren Dinge, die wenig zählen, es sind jene, die der Apostel Fleisch nennt, und darüber, wie es glückt, die unsichtbaren zu erreichen.“ Vgl. ERASMUS VON ROTTERDAM, Enquiridion o manual del caballero cristiano, 231‒292. „Nichts Geschaffenes oder Äußerliches stellt mich zufrieden, und alles, was ich sehe, erscheint mir wie eine jüdische Zeremonie [...]. Erasmus sagt es aus voller Kehle, aber niemand bemerkt es.“ ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición, 78. EBD., 111. EBD., 77.

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Gemäß den Lehren ihrer Meisterin Isabel de la Cruz liefert sie hier den Beweis dafür, dass sie die Schrift auf „geistliche“ Weise deutet: Der Satz aus dem Buch Genesis wird rückblickend aus der Sicht der christlichen Offenbarung interpretiert. Mit dieser Auslegung will sie ihrem Gegenüber helfen, Gott zu vertrauen, der denen, die ihn lieben, seine Güte erweist – vielleicht auch dies ein leiser Nachhall der Lehre von der Allerlösung. Gleich nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, wurde sie von den anwesenden Frauen korrigiert: „Die Schrift sagt vielmehr, dass alles, was ihr unter euren Füßen haben werdet, euch gehören wird.“72 Diese Aufmerksamkeit für die Bedeutungsnuancen ist ein ganz unerwarteter Beleg für die hervorragenden Bibelkenntnisse der Frauen von Guadalajara, die im Haus der María Falconi, der Frau des Schatzmeisters des Herzogs von El Infantado, zusammengekommen waren, um María de Cazalla zuzuhören. Das große sozialkritische Potential eines weiteren Zitats blieb im Wirrwarr der in den Prozessakten enthaltenen Fakten und Erklärungen unbemerkt: „Viele Male hörte er die Angeklagte sagen, dass sie um ihrer Brüder willen verflucht oder geopfert werden wolle, wie es in jenem Vers des heiligen Paulus hieß.“73 María de Cazalla hätte demnach „viele Male“ Röm 9,3 zitiert. Warum? Sehnte sie sich danach, für ihre Brüder das Martyrium zu erleiden? Der Völkerapostel hatte sich in dem betreffenden Vers auf die Juden bezogen, die der Abstammung nach seine Brüder waren; daher ist es denkbar, dass auch María, wenn sie von ihren Brüdern sprach, die Conversos meinte, die in großer Zahl an den Versammlungen teilnahmen und mittlerweile schon seit vielen Jahren von der Inquisition beobachtet wurden. Dieser Zusammenhang wird auch durch die Psalmworte nahegelegt, die sie im Lauf der von ihr organisierten Treffen sprach: „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Ps 133,1):74 Der darin geäußerte Wunsch nach Einheit und Harmonie passt sehr gut zum Kontext eines Krieges zwischen Menschen, die doch eigentlich „Brüder“ in Christus sind. Die Verfolgungswelle gegen die Conversos, die das Heilige Offizium seit Ende des 15. Jahrhunderts ununterbrochen im Visier hatte, verleiht diesem Psalmzitat außerordentliche Brisanz. María de Cazallas Denken einzig und allein aus den Inquisitionsquellen zu rekonstruieren, wie es in der Vergangenheit mit großen Teilen der spirituellen Geschichte Spaniens gemacht worden ist, bedeutet, es durch die Maschen vorgefertigter Meinungen und Vorstellungen zu filtern, die keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen und kein echtes Verstehen ermöglichen. Die Ausschnitte aus ihrer Biographie und die der Angeklagten zugeschriebenen Satzfragmente ergeben im Durcheinander der in den Prozessakten zusammengeflossenen Informationen keinen erkennbaren Zusammenhang. Dem Historiker fällt die Aufgabe zu, sie auf einen präzisen Kontext zu beziehen, der ihre Bedeutung erhellt. Doch wenn schon die Bruchstückhaftigkeit eine rigorose Kontextualisierung erfordert, so gilt dies umso mehr für das, was gar nicht explizit zutage treten soll: das „Unge-

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sagte“, das Spiel der Andeutungen, die sich oft hinter vermeintlich zufälligen oder apodiktischen Aussagen verbergen – wie eben der oben erwähnte Vers aus dem 133. Psalm, der auf den ersten Blick „harmlos“ erscheint, sich jedoch bei näherem Hinsehen als Träger einer brisanten Kritik an der Inquisition und dem durch sie repräsentierten, exklusiven Gesellschaftsentwurf erweist. Doch die Anspielung war zu subtil, als dass sie dem Inquisitor aufgefallen wäre ‒ und zu diesem Zeitpunkt wohl auch schon zu anachronistisch. Der Traum von einem Spanien, das aus einem offenen und integrativen Christentum neu geboren werden würde, hatte sich angesichts der allgemeinen Gleichgültigkeit bereits Ende des 15. Jahrhunderts für immer zerschlagen. Auf den Trümmern dieser zerstörten Utopie hatte man die Statuten über die Limpieza de sangre und 1478 das Tribunal der Heiligen Inquisition errichtet, die just gegen die Conversos agierte. Doch auch wenn die Verteidigung der Einheit der Christen oder, anders ausgedrückt, die Verteidigung der Authentizität des Christentums dieser Cristianos nuevos kein wirklich brisantes Thema mehr war, war sie eben durch die Arbeit der Inquisition noch immer ein Punkt auf der Tagesordnung: Die Erinnerung an dieses Anliegen – das als Gesellschaftsentwurf definitiv begraben und durch den Gang der Ereignisse historisch für gescheitert erklärt worden war ‒, lebte im Fall einer Conversa aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder auf. Auch wenn nicht davon die Rede sein kann, dass die Iluminados diese Utopie wirklich wieder zum Leben erweckt hätten, ist doch in dem von María de Cazalla zitierten Psalmvers der Kern einer Kritik erhalten, die nicht offen geäußert werden durfte und deshalb im Schutz des biblischen Buchstabens auf die Divergenz zwischen dem herrschenden, ausgrenzenden und verschlossenen Gesellschaftsmodell und einem anderen, inklusiven und offenen, aber leider Gottes zu den Akten gelegten Entwurf hinwies, der auf dem paulinischen Ideal der Brüderlichkeit und Einheit (des mystischen Leibes) „in Christus“ beruhte. Ein anderer Aspekt ihres Denkens – die nachdrückliche Betonung der Gottheit Christi – lässt ahnen, wie schwer das Converso-Erbe auf ihr lastete. Alles hatte im Umfeld der Reformfranziskaner begonnen, wo man den Recogimiento und später auch den Dejamiento, das Sich-fallen-Lassen in Gott, praktizierte, eine Lehre, zu der sich auch die Iluminados bekannten.75 Diese beiden spirituellen Wege überschnitten sich tendenziell in einem Punkt: An das Leiden Christi zu denken war nicht mehr der einzige Weg. Die Räume der Innerlichkeit erschienen als eine neue Straße, auf der man sich verlieren und in Gott wiederfinden konnte, ohne sich in die Leidensbetrachtung zu versenken, wie es die traditionelle Frömmigkeit mittelalterlicher Prägung vorsah. Das war der Beginn der auch von María de Cazalla geübten Kritik an einem lamentierenden und traurigen Christentum. Denn als der Inquisitor ihr vorwarf, sich nicht in die Betrachtung der Passion Christi zu versenken, antwortete sie mit den Worten des Paulus (Hebr 2,7): „Du hast ihn nur für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt.“76 75 76

Melquiades ANDRÉS, La teología española en el siglo XVI, Bd. 2 (Madrid: BAC, 1977), 198‒ 218. ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición, 205.

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Das glorreiche Antlitz Christi, das die Macht Gottvaters widerspiegelte, sollte den Vorrang vor dem menschlichen und leidenden Antlitz haben. Für den konvertierten Juden gab es in der Heilsgeschichte keine Zäsuren: Sie war die untrügliche Erfüllung der Schriften, die in Christus ihren Höhepunkt erreichten. Deshalb war der von ihr geliebte Gott gleichzeitig der Vater des Alten Testaments und sein auferstandener, von Herrlichkeit umstrahlter Sohn: beides Erscheinungsformen jenes einen göttlichen Wesens, das der Converso Hernando de Talavera nicht umsonst „Jesus Christus, unseren Erlöser, Gott und Menschen“ nannte.77 María de Cazallas Prozess dauerte zwei Jahre; dann wurde sie freigesprochen. Die inquisitorischen Wechselfälle bereiteten ihrem Engagement für die Verbreitung eines von der paulinischen Lehre belebten Christentums ein abruptes und definitives Ende. Die Tatsache, dass ihr Todesdatum nicht auf uns gekommen ist, belegt, dass sie von der Bühne der Geschichte abgetreten war. Ihr Inquisitionsprozess ist ein Tribut an die biblische Bildung: Entscheidend für ihren Freispruch war – abgesehen davon, dass sie ihre Ankläger erkannte, deren Identität ihr, wie in Inquisitionsprozessen üblich, nicht enthüllt worden war ‒ die defensive Strategie ihres Anwalts, der, wann immer es ihm ratsam schien, aus den Psalmen, den Evangelien, den paulinischen Texten und aus Augustinus zitierte.

4. Schlussfolgerungen Der Paulinismus der Lehrmeisterinnen der Iluminados war nicht das Produkt spekulativer Gedankengänge oder gelehrsamer Interessen: Diese Strömung, die im 15. Jahrhundert dazu gedient hatte, die jüdische Identität ohne Traumata in den neuen christlichen Glauben zu überführen und den Conversos überdies die theologischen Argumente zu liefern, mit denen sie sich gegen ihre Ausgrenzung aus der christlichen Gemeinschaft zur Wehr setzen konnten,78 entwickelte sich bei Isabel de la Cruz und María de Cazalla im 16. Jahrhundert zu einer mit existentiellem Pathos aufgeladenen exegetischen Methode, die unmittelbar mit ihrer Lebenswirklichkeit als Neuchristen zu tun hatte. Wie fundiert der Hinweis darauf, dass Isabel de la Cruz die lateinische Bibel kannte, tatsächlich ist, bleibt zu überprüfen. Ihre Nähe zum Umfeld der Reformfranziskaner von La Salceda, einem zwischen Horche und Cifuentes gelegenen Kloster, und zum Hof der Herzöge von El Infantado, der seinerseits enge Beziehungen zur Universität von Alcalá unterhielt, wo sie die Sprache der Kirche hätte erlernen können, spricht vielleicht für die Stimmigkeit dieser Anspielung.79

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HERNANDO DE TALAVERA, Católica impugnación, 85, 167 u. pass. Encarnación MARÍN PADILLA, Relación judeoconversa durante la segunda mitad del siglo XV en Aragón: la ley (Madrid: Selbstverl., 1988), 64. Wenn dies zuträfe, dann würde die Möglichkeit, dass Isabel Origenes gelesen hat, der 1515 von Gelenius, einem Freund des Erasmus, ins Lateinische übersetzt worden war, die überraschende Ähnlichkeit ihrer beider Spiritualität erklären.

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„Die Autorität des heiligen Paulus ist grundlegend für mich […], und ich lese seine Briefe immer in der Volkssprache“, pflegte María de Cazalla zu sagen.80 Diese Leidenschaft ging über die von Erasmus geförderte Bildung hinaus. Die paulinische Lehre hatte schon vor der Verbreitung der Werke des Niederländers bei den Conversos Wurzeln geschlagen: Die Zugehörigkeit zu Christus bestand nicht darin, eine Reihe von Vorschriften zu akzeptieren; im historizistischen Rückblick verblasste das mosaische Gesetz und mit ihm die Vorstellung von einer regelbasierten Religion, die aus jüdischer Sicht von zentraler Bedeutung war, vor jenem Umschwung, den das Christentum herbeigeführt hatte. Das erklärt auch, weshalb viele der in den Kirchen und Klöstern gepflegten Praktiken in den Augen dieser spirituellen Lehrmeisterin fruchtlos waren: von der Aufmerksamkeit für den Altarschmuck bei der Messvorbereitung bis hin zur Verehrung des Gekreuzigten oder der Heiligen und der Bilder in den Klöstern, die oft geradezu abergläubische Formen annahm. Wie Isabel de la Cruz sah sie darin „ritos exteriores“: eine – wenngleich christliche ‒ Version einer regelbasierten Religion, die inzwischen definitiv der Vergangenheit angehörte. Die Pauluslektüre war also so tiefgreifend gewesen, dass sie sich in der Ausprägung neuer mentaler Kategorien spiegelte: eine davon war der Glaube als innerliches Geschehen. Wenn die Beata über den Gegensatz zwischen Geist und Buchstaben sprach, nahm sie die Formel vorweg, die der Humanist Juan de Valdés in seinen Werken wieder und wieder verwenden sollte, bis sie zum Schlüssel seines gesamten Denkens wurde: Das „christliche Geschäft“ erlernt man im Unterschied zu den anderen menschlichen Lehren nicht durch „Wissenschaft“, sondern aus dem „Buch der Erfahrung“.81 Wie Isabel de la Cruz glaubte Valdés, dass die Erleuchtung – die sich im Menschen auf dem Wege der „Inspiration“ und der „Erfahrung“ vollzog ‒ die Antinomie zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen der präskriptiven und der nicht-präskriptiven Norm aufhob. In der durch und durch biblischen Spiritualität der Isabel de la Cruz kündigte sich auch die Geburt oder Wiederentdeckung der Heiligen Schrift als eines Objekts der Liebe für den Christen an, die nicht nur in der protestantischen Welt, sondern auch von Valdés gefeiert wurde, der 1529 schrieb: „Es gibt keine andere Form der Betrachtung, als an die Bibel und an das Gesetz Gottes zu denken.“82 In diesem Sinne waren die beiden Lehrmeisterinnen des toledanischen Iluminismo wie viele andere Erasmistas und Spirituelle, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in die Alumbradismo-Prozesse verwickelt waren, „Kontemplative“ der Bibel. Ihre Lebensweise zu normalisieren war das Ziel, das die Inquisition, zentrales Kontrollorgan der herrschenden Ideologie, mit ihren hartnäckigen Bemühungen verfolgte. 80 81

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ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición, 206. JUAN DE VALDÉS, Diálogo de doctrina cristiana (Colección Reformistas Antiguos Españoles X u. XI; Madrid: Editora Nacional, 1979), 139. Dieselbe Vorstellung begegnet auch in anderen Werken von VALDÉS, so etwa in seinem Kommentar zum Römerbrief in La epístola de san Pablo a los Romanos i la I a los Corintios: Ambas traducidas i comentadas por Juan de Valdés (hg. v. Luis de Usoz y Río; Madrid: o. A., 1856). JUAN DE VALDÉS, Diálogo de doctrina cristiana, 139.

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Der Katholizismus der „äußerlichen Riten“ und der Limpieza de sangre erklärte den Linaje (Abstammung) zum sozialen Ausschlusskriterium und verriet damit die grundlegende paulinische Lehre von der Gleichheit aller in Christus.83 Bei María de Cazalla äußern sich die Anklänge an die Utopie des 15. Jahrhunderts in ihrer Exegese der Psalmen und der Paulusbriefe und im Zustand einer fortdauernden kollektiven Verfolgung und Bedrängnis, die Teresa de Cartagena als Vergegenwärtigung des diokletianischen „Martyriums“84 und Juan de Valdés als Beweis „christlicher“ Fügsamkeit interpretierten. Letzterer rief die Christen in seinem Kommentar zum ersten Korintherbrief dazu auf, untereinander die Eintracht und Nächstenliebe zu pflegen,85 aber auch zum „Martyrium“ bereit zu sein, wie María de Cazalla es gewesen war, die sich für ihre „Brüder“ opfern wollte. Die Zeit, da Frauen sich in der Küche trafen, um die Bibel miteinander zu lesen und zu kommentieren,86 sollte nicht mehr von langer Dauer sein. Valdés schien es zu ahnen: Sein Diálogo de doctrina cristiana, der 1529 erschien – im selben Jahr wurden Isabel de la Cruz und ihr Schüler Alcaraz verurteilt ‒, bot den Lesern eine knappe Zusammenfassung der Bibel und eine kastilische Übersetzung der Kapitel 5, 6 und 7 aus dem Matthäusevangelium. „Das ist es, was man allen Christen verkündigen müsste“, merkte der Verfasser an und war sich der Risiken bewusst, die jeder einging, der diesen Hinweis in die Tat umsetzte. Er selbst würde Spanien schon bald für immer verlassen und in Italien Zuflucht suchen.87 Nachdem die Theologen der Universität von Alcalá den Diálogo zunächst günstig beurteilt hatten, fiel er den Inquisitoren in die Hände, die ihn systematisch und beharrlich zerstörten.88 Gut 20 Jahre später landete er gemeinsam mit den volkssprachlichen Bibelübersetzungen auf dem Index der verbotenen Bücher von 1551 und dann auch auf dem von 1559, ein Verbot, das Quiroga in der betreffenden Liste von 1583 noch einmal bekräftigte. Das Geflecht aus Verbindungen, das in der vorliegenden Arbeit zum Teil rekonstruiert worden ist und in der Kontinuität und großen Übereinstimmung der spirituellen Erfahrungen von Isabel de la Cruz und María de Cazalla zum Ausdruck kommt, erweitert 83

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David NIRENBERG, „Mass conversión and genealogical mentalities: Jews and Christians in fifteenth century Spain“, Past and Present 174 (2002): 3‒41; 32. Albert A. SICROFF, Les controverses de status de ‘pureté de sang’ en Espagne du XVe au XVIIe siècle (Paris: Didier, 1960). TERESA DE CARTAGENA, Arboleda de los enfermos, 64f. Vgl. GIORDANO, „‘La ciudad de nuestra conciencia’“. Hierbei stützt er sich auf die Vorstellung vom mystischen Leib: „Wir Christen sind alle Glieder Christi […] also seid ihr Glieder eines einzigen Leibes.“ Vgl. JUAN DE VALDÉS, Epistola Iª a los Corintios, in La epístola de san Pablo a los Romanos i la I a los Corintios, 9. ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición, 252f.: „Sie sagte, dass viele Leute da waren, offensichtlich alles Frauen […] sie meinte, es seien über 20 gewesen, denn die Küche war groß, und sie war voll. María de Cazalla las ein Buch und sprach, und alle schwiegen, als hörten sie einer Predigt zu.“ JUAN DE VALDÉS, Diálogo de doctrina cristiana, 134. Marcel Bataillon entdeckte das bisher einzige bekannte erhaltene Exemplar 1922 in der Nationalbibliothek Lissabon.

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das komplexe Netzwerk aus Einflüssen, Anleihen und intellektuellen Ableitungen, von denen sich ein so lebhafter und offener Verstand wie der des jungen Valdés ernährte. Aus Platzgründen kann hier nicht näher auf seinen spanischen Hintergrund eingegangen werden, der für seine intellektuelle Entwicklung ganz sicher entscheidend gewesen ist. Eines muss jedoch zumindest erwähnt werden: In seinem ersten Werk, dem Diálogo, den María de Cazalla vor den Inquisitoren verteidigte, da er noch nicht verurteilt worden war,89 hat Valdés die Reformbedürftigkeit der Kirche meisterhaft auf den Punkt gebracht und dank einer freien und vorurteilslosen Lektüre im Namen der innerlichen Religion und der Bibel über alle ideologischen Gräben hinweg Entsprechungen aufgezeigt: Denken wir nur an die Lutherlektüre,90 von der jener Traktat ganz unverkennbar zeugt, aber auch an den Erasmianismus, den Bataillon in den Lehren von Alcaraz und Bischof Cazalla nachgewiesen hat:91 Sie hatten den Alumbrados von Pastrana einen „moralischen Radikalismus“ auf der Grundlage der Maximen der Bergpredigt verkündet, die sie als ganz konkrete und nützliche Vorschriften betrachteten, um das Zusammenleben der Menschen zu regeln,92 und Valdés’ Interpretation folgt der Spur dieser beiden Meister, wenn er erklärt, dass jener Abschnitt aus dem Matthäusevangelium kostbare „consejos“ enthalte, die notwendig seien, damit „der Friede und die christliche Ruhe gewahrt“ blieben.93 Doch selbst diese Übereinstimmung lässt die Spannung eines unabhängigen Denkens ahnen, dem es gelang, Vorschrift und Freiheit in einem „beinahe erhabenen“94 Gleichgewicht zu vereinbaren und das Verhältnis zwischen dem neuen und dem alten Gesetz in die Perspektive einer Überlagerung/Ersetzung einzuordnen, über die er noch weiter nachdenken sollte. Gewiss stellt das Zusammentreffen mit Pedro Ruíz de Alcaraz in Escalona einen Berührungspunkt zwischen Juan de Valdés und den „Lehrmeisterinnen der Alumbrados“ dar, doch ist nicht ausgeschlossen, dass es weitere gegeben hat.95 Der Erasmismus der Universität von Alcalá ist in Alonso Fernández de Madrid, Erzdiakon von Alcor und Übersetzer des Enchiridion, eindrucksvoll verkörpert, einer Persönlichkeit, die genau wie die zentrale Figur des Diálogo, der Bischof Pedro de Alba, mit der Schule des Hieronymiten und Erzbischofs von Granada Hernando de Talavera 89 90

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ORTEGA COSTA, Proceso de la Inquisición, 129, 230, 498. Valdés hat in seinem Traktat umfangreiche Passagen aus Luthers Decem praecepta wittenbergensi praedicata populo, aus der Explanatio dominicae orationis und aus Oekolampads Jesajas-Kommentar übernommen, vgl. Carlos GILLY, „Juan de Valdés traductor de los escritos de Lutero en el Diálogo de doctrina cristiana“, in Los Valdés. Pensamiento y Literatura (hg. v. Miguel Ángel Pérez Priego; Cuenca: Instituto „Juan de Valdés“, 1997), 91‒133. ERASMUS VON ROTTERDAM, Enquiridion o manual del caballero cristiano, Regla VI, 289. BATAILLON, Erasmo y España, 86, 173. JUAN DE VALDÉS, Diálogo de doctrina cristiana, 68f. BATAILLON, Erasmo y España, 348f. Im Hinblick auf seine Hypothese, Valdés sei ein direkter Schüler von Alcaraz gewesen, hat es Nieto nichts genützt, dass er jedwede – übrigens von ihm selbst gemutmaßte ‒ Verbindung zwischen Luthers und Valdés’ Denken kategorisch ausgeschlossen hat. José C. NIETO, Juan de Valdés and the Origins of the Spanish and Italian Reformation, 120.

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in Verbindung steht. De Talavera wirkte als Reformer, Katechet und Evangelisierer und bildete andere Evangelisierer aus, denen Valdés seine Zustimmung und intellektuelle sowie spirituelle Nähe bekundete.96 Der Prälat hatte sich „vor Ort“ vorbehaltlos für die Konversion der Moriscos des Königreichs Granada eingesetzt, das eben erst von den Katholischen Königen zurückerobert worden war, und seine Priester ermutigt, die arabische Sprache zu verwenden, um die Cristianos nuevos an den devotionalen Praktiken und der Bedeutung der Liturgie teilhaben zu lassen und überdies die Inhalte des Evangeliums zu verbreiten. Die Iluminados bewahrten in ihrem Namen eine Vorstellung vom Glauben als der Erleuchtung oder Ent-hüllung des Wortes – die Hülle, die Mose zwischen das Volk Israel und den Blick Gottes gelegt hat, wird entfernt ‒, die jenen gewährt wird, die sich zum neuen Gesetz Christi bekennen (2 Kor 3,13‒16). Die Zeugenaussagen aus den Conversos-Prozessen des 15. und 16. Jahrhunderts und die Erklärungen von Juan del Castillo spiegeln einen interessanten Synkretismus zwischen der christlichen Lehre von der Allerlösung und dem jüdischen und islamischen Hintergrund der Conversos und Moriscos wieder – eine Verflechtung, die die vom Evangelium geprägte Frömmigkeit der Isabel de la Cruz, Lehrmeisterin einer Kirche der „Vollkommenen“, womöglich gerade dank der durch die paulinische Religiosität eröffneten Räume der Freiheit und Brüderlichkeit aufgenommen haben könnte. Es wird zunehmend klar, dass die „Häresie“ der Alumbrados aus einem Magma von Ideen und einer zuweilen kühnen Experimentierfreudigkeit erwachsen ist, die im Kastilien der 1520er Jahre nach einer neuen religiösen Sprache suchte. Obwohl die paulinisch verbürgten Appelle an die Liebe im Sinne des Evangeliums mit der Inquisition und den Statuten der „limpieza de sangre“ endgültig gescheitert waren, setzte die Rezeption der Paulustexte bei den Conversos einen Reifungsprozess in Gang, der die Konstruktion der Moderne beschleunigte: Früchte dieses Prozesses waren die Gewissensfreiheit, die Urteilsfreiheit, das durch die Ausübung der Willensfreiheit stimulierte Selbstvertrauen, die Religion als innerliches Geschehen; und der anthropologische Optimismus von Menschen, die sich als erlöste Geschöpfe wiederentdecken ‒ ein Optimismus, der María de Cazalla sagen ließ: „Alles Land, das wir betreten, ist unser.“ Das tatsächliche Gewicht dieses Beitrags muss großenteils erst noch bewertet werden – und zwar jenseits der vereinfachenden Kategorien der Inquisitionsmaschinerie ‒, um die zentrale Bedeutung der Dialektik sichtbar zu machen, die die spirituelle Geschichte Spaniens vorangetrieben hat: jener hartnäckigen Schlacht, die das Christentum der „äußerlichen Riten“ gegen das Christentum der „innerlichen Riten“ führte. Folgt man dem Auf und Ab dieses zuweilen entsetzlichen und nicht selten im Untergrund geführten Krieges, der das Leben zahlreicher Männer und Frauen nachhaltig geprägt hat, ahnt man, welchen Beitrag Spanien zu den kirchlichen Reformbewegungen und zu den Anliegen einer innerlichen Spiritualität geleistet hat. 96

Der Analyse von Stefania Pastore zufolge war diese zentrale Person des valdesianischen Dialogs der Knotenpunkt in einem Geflecht aus Beziehungen zwischen der Schule von Granada, die aus Talaveras Schülern und Nachfolgern bestand, und Juan de Valdés. PASTORE, Un’eresia spagnola, 189‒202.

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Erst seit Kurzem werden ihre gedanklichen Wege nicht mehr als Abwege betrachtet. Wie Tellechea bereits mehrfach geschrieben hat,97 steht die Rechtgläubigkeit ihrer Protagonisten, denen man zu ihren Lebzeiten lutherische Positionen vorgeworfen hat, inzwischen außer Frage: Dank der mit dem II. Vatikanischen Konzil vollzogenen Öffnung hat die Kirche dieses Erbe wiederentdeckt. Auch wer die Auffassung vertritt, die Welt der Conversos sei aus der offiziellen Geschichte herausgestrichen worden, kann nicht umhin, anzuerkennen, dass das Paradigma, mit dem die Inquisition der bedeutendsten und meistgefürchteten spanischen „Häresie“ des 16. Jahrhunderts begegnete, ad hoc konstruiert worden ist, um seine ganze unterdrückerische Kraft gegen zwei entscheidende Aspekte der Spiritualität der Conversos zu richten: den antiritualistischen Zugang und die unbeirrbare Vertrautheit mit der Heiligen Schrift. Ersteres wurde in der Gestalt des Alumbradismo als Häresie verfolgt,98 und Letzteres führte zum Verbot der Bibel, schuf nachfolgend aber auch die Voraussetzungen dafür, dass Spanien einen der größten und bedeutendsten Beiträge zur neuzeitlichen Bibelforschung in ganz Europa leisten konnte. Unsterblicher Beweis hierfür sind insbesondere zwei Bibelausgaben: die von Kardinal Francisco Jiménez de Cisneros geförderte Biblia Políglota (Alcalá de Henares, 1517), die von einem Team aus Gelehrten ‒ unter ihnen die Conversos Alfonso de Zamora und Pablo Coronel, die zu den herausragendsten Hebraisten ihrer Zeit gehörten ‒ erarbeitet wurde; und die von Benedictus Arias Montanus herausgegebene Regia (Antwerpen, 1568‒1572). Neben diesen beiden Hauptwerken der Bibelwissenschaft waren trotz aller Verbote und Zensurmaßnahmen zahlreiche Übersetzungen, volkstümliche Bearbeitungen und Interpretationen im Umlauf: Juan de Valdés, Cipriano de la Huerga, Luis de León, Constantino Ponce de la Fuente, Juan de Ávila und Bartolomé Carranza sind nur einige der umstrittensten und ebendeshalb wichtigsten Vertreter dieses Jahrhunderts der Bibel.

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Juan Ignacio TELLECHEA IDIGORAS, „Melanchton y Carranza: Préstamos y afinidades (III)“, Dialogo ecuménico 48 (1978): 301‒363; 363. Milagros ORTEGA COSTA, „Las proposiciones del Edicto de los Alumbrados: Autores y calificadores“, Cuadernos de investigación histórica 1 (1977): 23‒36.

Die Bibel bei den Visionärinnen der Cisneros-Epoche Ronald E. Surtz Universität Princeton, N.J. (USA)

1. Einleitung Die Cisneros-Epoche war geprägt vom Maravillosismo, einer Haltung des wohlwollenden Interesses gegenüber visionären Beatas, Prophetinnen und geistlichen Lehrmeisterinnen, die sogar an den Höfen der Adligen – von König Ferdinand bis hin zu Kaiser Karl V. – empfangen wurden. Aus der Geschichte der Observanzbewegung, die sie großenteils mit in Gang gesetzt haben, sind diese Frauengestalten nicht wegzudenken. In jenen Jahren zwischen dem Ende des 15. und dem Beginn des 16. Jahrhunderts war die Bibel in Spanien bereits ein verdächtiger Text und Gegenstand von Erlassen der katholischen Könige, die die Anfertigung volkssprachlicher Übersetzungen unterbinden wollten, weil sie fürchteten, diese könnten von den Conversos, die nach der Judenvertreibung des Jahres 1492 noch in Spanien verblieben waren, zur Bemäntelung indoktrinativer Praktiken benutzt werden. Im vorliegenden Beitrag möchte ich die Verwendung der Schrift bei drei Visionärinnen (María de Ajofrín, María de Santo Domingo und Juana de la Cruz) untersuchen, die in der Zeit von Francisco Kardinal Jiménez de Cisneros (1436‒1517) und seinem Vorgänger, dem Kardinal Pedro González de Mendoza (1428‒1495), in Kastilien gelebt haben. Auch wenn es heute, Jahrhunderte später, schwierig zu rekonstruieren ist, wie diese Frauen – nach allem, was wir wissen, Analphabetinnen – ihre Kenntnis der Heiligen Schrift erworben haben, lässt sich die ständige Präsenz des biblischen Texts in ihren Visionen dennoch nicht leugnen.

2. María de Ajofrín María de Ajofrín war die Tochter wohlhabender Bauern, die in dem Dörfchen Ajofrín unweit von Toledo lebten. Schon früh zeigte sie einen außergewöhnlichen Sinn für Wohltätigkeit. Sie hatte viele Bewerber, und ihre Familie dachte daran, sie zu verheiraten. Doch als María von ihren Absichten erfuhr, beschloss sie, das Keuschheitsgelübde abzulegen und Nonne zu werden. Also bestürmte sie ihre Eltern und Geschwister, sie ins Kloster eintreten zu lassen. Als sie 15 Jahre alt war, überzeugte sie ihren Vater, sie nach Toledo zu bringen, wo sie, kaum dass sie die Kathedrale betreten hatte, eine göttliche Eingebung hatte, die sie drängte, in den an den Hieronymiten-Orden angeschlossenen Beaterio zum hl. Paulus einzutreten. Dort verbrachte sie über zehn Jahre, in denen sie sich durch ihre Demut und Heiligkeit auszeichnete. Hier vervollkommnete sie ihr spirituelles Leben und hatte ihre erste Vision. Diese wundersamen Phänomene setzten sich fort bis zu ihrem Tod im Jahr 1489. Um ihre charismatischen Erfahrungen während der Visionen zu legitimieren, zitiert María de Ajofrín aus der Bibel, und zwar vermutlich aus dem Gedächtnis. Denn nichts

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weist darauf hin, dass sie lesen und schreiben konnte. Die Visionärin benennt die Schriftzitate, auf die sie sich bezieht, nicht ausdrücklich und bettet sie überdies in einen anderen Kontext ein, als ihn die ursprüngliche Bibelstelle vorgibt. In einer Vision am Himmelfahrtstag des Jahres 1484 zum Beispiel sieht sie über dem Altar die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm, die zu ihr sagt: „Siehe, das ist die Frucht meines Leibes. Nehmt und esset davon.“1 „Die Frucht meines Leibes“ erinnert an die Worte aus dem Lukasevangelium (Lk 1,42), mit denen Elisabet Maria begrüßt und die auch im AveMaria-Gebet aufgegriffen werden, während „Nehmt und esst“ an die Worte Christi beim Letzten Abendmahl (Mt 26,26) und an die Wandlungsworte des Priesters in der Messe gemahnt: „Nehmt und esst alle davon.“ In der Vision überreicht die Jungfrau dem Priester, der die Messe zelebriert, das Kind, das sich im selben Augenblick in eine Hostie verwandelt, als Hostie zum Himmel emporsteigt und dort vom Vater mit den Worten empfangen wird: „Du bist mein geliebter Sohn“ (197v). Das erinnert an die Worte bei der Taufe (Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22) und bei der Verklärung Jesu (Mt 17,5; Mk 9,7; Lk 9,35): „Das ist mein geliebter Sohn.“ Mit Blick auf den Kontext der Vision kann man von einer Neufassung der Himmelfahrtsszene sprechen, bei der diesmal nicht Christus, sondern die Hostie in den Himmel auffährt.2 Es scheint, als sollte der Jungfrau Maria, die sich die Worte Jesu beim Letzten Abendmahl zu eigen macht, in dieser Episode andeutungsweise eine beinahe priesterliche Rolle zugesprochen werden, die aber gleich im Anschluss wieder auf eine bloße Darbringung des Sohnes beschränkt wird: Nicht die Jungfrau, sondern der Priester zelebriert die Messe. Die Vision unterstreicht die Rolle der Jungfrau als Stammmutter, geht jedoch nicht darüber hinaus. Gleichwohl bringt María de Ajofrín ihre Empörung über sittenlose Kleriker zum Ausdruck: eine Empörung, die sie, so rät es ihr der zelebrierende Priester in ihrer Vision, zunächst ihrem Beichtvater und durch ihn der kirchlichen Hierarchie von Toledo mitteilen soll. Der Visionärin wird also – parallel zur Rolle der Jungfrau, die für das Heil der Menschen Fürsprache einlegt ‒ die Rolle einer Botschafterin, einer Mittlerin zwischen dem göttlichen Willen und der Kirche von Toledo angetragen. In einer anderen Vision sieht María de Ajofrín Christus mit „einem an beiden Seiten geschliffenen Messer“ im Mund, der zu ihr sagt: Ich gebe dir dieses Zeichen des Himmels, damit sie dir glauben, wenn du die Dinge erzählst, die du gesehen hast, und die, die vergangen sind. Und dieses Messer, das du in meinem, des allmächtigen Gottes Mund siehst, wird dein Herz durchbohren und eine Wunde hinterlassen, aus der lebendiges Blut austreten wird, das ein reines Zeugnis für alle sein wird. Und du wirst das Heilmittel und die Teilhaberin am Leiden des Gottessohnes sein (202v). 1

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Fray Juan de CORRALES, Vida de María de Ajofrín, Escorial MS C–III–3, fol. 197r. Die nachfolgenden Zitate aus dieser Handschrift werden durch die in Klammern gestellte Foliumziffer kenntlich gemacht. Meine Kommentare zu den Visionen der María de Ajofrín sind nachzulesen im 3. Kapitel meines Buchs Writing Women in Late Medieval and Early Modern Spain: The Mothers of Saint Teresa of Avila (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1995), 68‒84.

Die Bibel bei den Visonärinnen der Cisneros-Epoche

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Tatsächlich begann, kaum dass die Vision beendet war, aus einer Wunde am Herzen der Visionärin Blut zu strömen. Dieses himmlische Zeichen sollte entscheidend sein, als es darum ging, den göttlichen Ursprung ihrer Visionen zu bestätigen und der kirchlichen Hierarchie in der Person des Erzbischofs von Toledo die Botschaft vom göttlichen Zorn über die unwürdigen Priester zu übermitteln. Auch wenn die Vision vom Messer kein Schriftzitat, sondern eher ein Anklang an visuelle und narrative biblische Motive ist, spielten die biblischen Konnotationen bei der Anerkennung der mystischen Erfahrungen María de Ajofríns eine wichtige Rolle. Das zweischneidige Schwert lässt sich zu Offb 1,16 („und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert“) und 19,15 („Aus seinem Mund kam ein scharfes Schwert; mit ihm wird er die Völker schlagen“) in Beziehung setzen. Von Christus selbst erfährt die Visionärin, dass die Wunde in ihrem Herzen an sein eigenes Leiden erinnern soll. Und schließlich weist ihr durchbohrtes Herz auch auf die Compassio der Jungfrau Maria hin, der Simeon bei der Darstellung des Jesuskindes im Tempel prophezeit hatte, dass ihr „ein Schwert durch die Seele dringen“ würde (Lk 2,35). Diese Weissagung war in Erfüllung gegangen, als Maria gleichsam parallel zum Leiden ihres Sohnes ihre eigene Passion des Mitgefühls durchlitt. Das Leiden der María de Ajofrín, das zu den Leiden Christi und seiner Mutter in Beziehung gesetzt wird, sollte also die Echtheit ihrer übernatürlichen Erfahrungen beglaubigen und so die Gültigkeit ihrer göttlichen Botschaft gegenüber den kirchlichen Autoritäten verbürgen. Diese offizielle Unterstützung bestätigte ihren Status als Frau und Visionärin, während die Kirche sich ihre Visionen zunutze machte, um ihr eigenes Projekt der Klerusreform voranzubringen, und sich durch die göttliche Botschaft in ihrem eigenen politischen Vorhaben bestätigt fühlte.

3. Maria de Santo Domingo María de Santo Domingo wurde um das Jahr 1485 geboren und starb ca. 1524. Ihre Eltern waren Bauern. Um 1502 trat sie im Dörfchen Piedrahita in den Dritten Orden des heiligen Dominikus ein; hier machte sie durch ihre ekstatischen Visionen und durch ihre Beteiligung an der Reform des Dominikanerordens von sich reden. Ihre charismatischen Erfahrungen trugen ihr die Unterstützung von Ferdinand dem Katholischen, dem Herzog von Alba und Kardinal Cisneros ein. Ihre Beteiligung an der Reform des Dominikanerordens veranlasste ihre Feinde, sie der Scheinheiligkeit zu bezichtigen. Doch als man daraufhin eine Reihe von Befragungen durchführte, erwies sich, dass die Visionärin vollkommen unschuldig war. Um 1518 wurde eine Anthologie ihrer außergewöhnlichen Erfahrungen veröffentlicht.3 In ihren Visionen interpretiert María de Santo Domingo die Rolle der Akteure und Augenzeugen biblischer Episoden.4 Eine sonntägliche Vision erinnert an die Erschei3

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José Manuel BLECUA hat eine Faksimileausgabe dieses Texts besorgt: „Libro de la oración“ de Sor María de Santo Domingo (Madrid: Hauser y Menet, 1948). Die Zitate aus dem Libro werden mit der Nummer des Kodex und der Foliumziffer gekennzeichnet. Meine Kommentare zu María de Santo Domingo sind nachzulesen im 4. Kapitel meines Buchs Writing Women, 85‒103.

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nungen des auferstandenen Christus vor Maria, vor Maria Magdalena und vor Johannes und Petrus. Allerdings stammt nur die Episode, in der Christus Maria Magdalena in der Gestalt des Gärtners erscheint, aus der Bibel (Joh 20,14‒17), während die Erscheinung vor seiner Mutter Maria zwar fester Bestandteil der frommen Überlieferung, aber nicht im Neuen Testament enthalten ist. Die Visionen von der Auferstehung haben die Form eines langen Gebets und weisen zudem eine dramaturgische Komponente auf. Diese kommt dadurch zustande, dass María de Santo Domingo die biblischen Personen hin und wieder anspricht, als ob sie vor ihr stünden oder als ob sie selbst die betreffende Episode als Augenzeugin miterlebte. Insgesamt enthält das Gebet der Beata weniger Bibelzitate strictu sensu als vielmehr gewisse Anklänge an Bibelverse oder einfach Adaptionen derselben. So ist etwa das Wort von den alten Gewändern, die man abwerfen, und den neuen Gewändern, die man anziehen muss, das Christus durch Maria spricht, eine deutliche Anspielung auf Eph 4,22‒24 („Legt den alten Menschen ab […]! Zieht den neuen Menschen an“). An zwei Stellen ihrer Auferstehungsvision aber zitiert María nicht nur aus der Bibel, sondern tut dies überdies auf Latein. Nachdem sie Christus gebeten hatte, ihr dieselbe Freude wie seiner Mutter und dieselbe Barmherzigkeit wie seinen Jüngern zu gewähren, und „nachdem sie dreimal gesagt hatte: Tibi soli peccavi, [...] empfing sie das Allerheiligste Sakrament“ (b 5r). Die dreifache Wiederholung des Zitats aus dem 50. Psalm (Vers 6) legt den Gedanken nahe, dass Sor María gewisse Fragmente der heiligen Schrift auswendig gekannt haben muss. Die Verteidiger der Ordensfrau betonten, dass sie Analphabetin gewesen sei. Pater Antonio de la Peña zum Beispiel merkte an, dass „sie sich nie mit Literatur oder irgendwelchen Wissenschaften befasst hat und auch kein Latein lesen kann, weshalb das, was sie sagt, wenn sie in Ekstase ist, Dinge zu sein scheinen, die ihr auf göttlichem Weg eingegeben werden.“5 Es steht jedoch zu vermuten, dass de la Peña Sor Marías Bildungsferne etwas übertrieben dargestellt hat, um den göttlichen und wundersamen Ursprung ihrer Kenntnisse hervorzuheben, da ihr Beichtvater Diego de Vitoria von einem „kleinen Büchlein“ berichtet, dass sie „in der Hand hielt und mit dem sie die Horen betete.“6 Wenn Sor María für ihre Gebete das Stundenbuch verwandte, dann ist es nur logisch, anzunehmen, dass die Visionärin zumindest in der Lage gewesen sein muss, einen lateinisch geschriebenen Text zu lesen. Der 50. Psalm war einer der sieben Bußpsalmen und zudem Teil des Totenoffiziums, die üblicherweise in jedem mittelalterlichen Stundenbuch zu finden waren.7 Man darf also schlussfolgern, dass María sich bei der Lektüre dieses Buches gewisse lateinische Bibelfragmente eingeprägt haben könnte.

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Lázaro SASTRE, „Proceso de la Beata de Piedrahita (II)“, Archivo Dominicano 12 (1991): 337‒386; 364. Libellum quem haec habebat in manibus per quem horas dicebat, zitiert nach Vicente BELTRAN DE HEREDIA, Historia de la reforma de la provincia de España (1450–1550) (Rom: Istituto Storico Domenicano, 1939), 244. Roger S. WIECK, Painted Prayers: The Book of Hours in Medieval and Renaissance Art (New York: George Braziller, 1997), 92, 143.

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Ein weiteres, ebenfalls lateinisches Bibelzitat in der Ostersonntagsvision steht im Kontext der Erscheinung Christi vor seiner Mutter. Sor María wendet sich an die Jungfrau, die in einem Buch nach Prophezeiungen sucht, die die Auferstehung ihres Sohnes bestätigen. Die Beata macht Maria darauf aufmerksam, dass der Vers, den sie gerade liest – Exurge gloria mea, exurgam diluculo (b 5v) –, genau das Zitat ist, das sie braucht. Die besagte Stelle aus dem 56. Psalm wurde üblicherweise als Präfiguration der Auferstehung interpretiert,8 und es scheint, als sei der Beata diese traditionelle Auslegung des Psalmverses bekannt gewesen. Pater Antonio de la Peña, ihr Verteidiger, bezeugte, dass Sor María in raptibus „gewöhnlich mit profunden Äußerungen auf wichtige Fragen der Theologie oder in Angelegenheiten der heiligen Schrift und unseres heiligen katholischen Glaubens antwortete.“9 Es spricht also einiges dafür, dass Sor María sich mit biblischer Exegese befasst hat ‒ eine Aktivität, die den Frauen ihrer Zeit verboten war. Zwar ist es in der Ostervision die Jungfrau Maria, die in der Schrift nach Hinweisen auf die Auferstehung ihres Sohnes sucht; doch María de Santo Domingo ist diejenige, die als Exegetin fungiert und der Mutter Jesu die Bedeutung des gelesenen Abschnitts erklärt. Da die Bibelauslegung jedoch im Kontext ihrer Ekstasen erfolgt, könnte man die Auffassung vertreten, dass sie nicht für sich selbst, sondern dass Christus durch sie spricht. So oder so aber waren die biblischen Elemente ihrer eigenen mystischen Erfahrungen für Sor María eine Gelegenheit, sich in der Schriftexegese zu versuchen.

4. Juana de la Cruz Mutter Juana de la Cruz wurde 1481 im Dörfchen Azaña in eine vergleichsweise wohlhabende Bauernfamilie hineingeboren. Von klein auf legte sie eine ausgeprägte Leidenschaft für das asketische und kontemplative Leben an den Tag. Als ihre Familie sie im Alter von 15 Jahren verheiraten wollte, floh sie, als Mann verkleidet, nach Cubas und trat in das Kloster Santa María de la Cruz ein, das dem Dritten Orten des heiligen Franziskus gehörte. Juana legte 1497 die Gelübde ab und wurde 1509 Äbtissin. Sie starb 1534. Schon als kleines Mädchen hatte Juana Ekstasen und Visionen. 13 Jahre lang glaubte sie, dass sich der Herr durch sie offenbare und durch ihren Mund predige. Diese Predigten bestanden in der Regel aus ausgeschmückten Nacherzählungen einer biblischen Episode und der anschließenden Beschreibung der Darbietungen und allegorischen Feierlichkeiten, mit denen die wichtigsten Feste des Kirchenjahrs im Himmel begangen wurden. Diese Beschreibungen wurden durch geistliche Betrachtungen über das Heil der Menschheit ergänzt. Die Gefährtinnen der Visionärin schrieben unter ihrem Diktat etwa 72 Predigten nieder, die dem Kirchenjahr 1508/1509 zuzuordnen sind. Das so entstandene Buch der Predigten bildet Mutter Juanas Hauptwerk, El libro del conorte.10 8 9 10

Zum Beispiel in den Enarrationes in Psalmos des hl. Augustinus. SASTRE, „Proceso“, 361f. Schwester María Evangelista hat sicherlich den größten Teil des Conorte geschrieben, doch auch Schwester Catalina de San Francisco und Schwester Catalina de los Mártires waren an

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Angesichts des Umfangs dieser Handschrift (454 Folia) muss sich meine Analyse der Rolle der Bibel in den Predigten der Visionärin notgedrungen auf einige aussagekräftige Beispiele beschränken. Die Art und Weise, wie Mutter Juana de la Cruz die Episoden der Heiligen Schrift in ihren Predigten verarbeitet, hat der Tradition der Meditationes Vitae Christi und ihrer Technik der Bibelnacherzählung vieles zu verdanken. Auch wenn wir nicht wissen, woher Juanas Bibelkenntnisse stammten, ist doch unverkennbar, dass sie nicht nur den Stoff der biblischen Episoden kannte, sondern auch imstande war, Verse aus dem Evangelium ganz oder teilweise zu zitieren. Außerdem fällt auf, dass sie zwar das eine oder andere lateinische Wort verwendet, die Bibelzitate insgesamt jedoch alle in der Volkssprache gehalten sind. Juanas Vertrautheit mit der Heiligen Schrift war daran zu erkennen, dass sie, wie in den Meditationes üblich, sich zuweilen veranlasst fühlte, „Lücken“ in den Episoden zu stopfen, und dann immer sehr genau wußte, wo diese Lücken sich befanden. Das heißt, dass sie die Kühnheit besaß, den Evangelien zwar nicht zu widersprechen, sie aber zu ergänzen. Ihre Verwendung biblischer Stellen reichte vom mehr oder weniger wörtlichen Zitat bis hin zu Paraphrasen und erweiterten Fassungen in Form kurzer inhaltlicher Anmerkungen. Was die ungenauen Zitate betrifft, stellt sich die Frage, ob es sich um einen Lapsus Memoriae, eine Information aus zweiter Hand oder um einen bewussten Versuch handelt, das Zitat an den unmittelbaren Kontext einer bestimmten Predigt anzupassen. Oder ob es vielleicht ratsam wäre, zwischen bewussten und unbewussten Zitaten zu unterscheiden. Während der erste Teil jeder Predigt üblicherweise das Evangelium des betreffenden Tages aufgreift, sind die allegorischen Feierlichkeiten im Himmel, die im Anschluss daran beschrieben werden, nicht von den Evangelienerzählungen inspiriert, enthalten aber durchaus Zitate und Anspielungen auf biblische Episoden, die manchmal, aber nicht immer mit dem Tagesevangelium zusammenhängen. So griff Juana in der Predigt über die Menschwerdung zunächst die Episode der Verkündigung auf und beschrieb dann die Prozessionen, die an dem besagten Tag im Himmel stattfanden; nachdem sie diese wiederum zu einer anderen biblischen Episode, nämlich dem Einzug Jesu am Palmsonntag in Jerusalem, in Beziehung gesetzt hatte, beschrieb sie die Menschenmenge, die ihre Mäntel und die abgeschnittenen Zweige auf dem Boden ausbreitet. Die Predigt kombinierte also zwei biblische Episoden, zwei Ankünfte, zwei „Einzüge Christi“.11 Das wirft die Frage auf, ob diese Art der narrativen Überlagerung als eine Methode der Schriftexegese gedeutet werden kann, bei der eine biblische Episode mithilfe einer anderen erhellt wird.

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der Abfassung beteiligt, vgl. Fray Antonio DAZA, Historia, vida y milagros, éxtasis y revelaciones de la bienaventurada virgen santa Juana de la Cruz (Madrid: 1610), fol. 61v. Man vermutet, dass auch der Hausgeistliche von Santa María de la Cruz an der Niederschrift des Buches mitgewirkt hat. El Conhorte: Sermones de una mujer. La Santa Juana (1481–1534) (hg. v. Inocente Garcia Andres; 2 Bde.; Madrid: Fundación Universitaria Española, 1999), 252f. Die nachfolgenden Zitate aus diesem Werk werden mit der in Klammern gestellten Foliumziffer gekennzeichnet.

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Normalerweise macht Mutter Juana ihre Bibelzitate durch bestimmte Einleitungen kenntlich, zum Beispiel „es steht geschrieben“ (265) oder „der heilige Petrus sagte“ (374) – nämlich in der Bibel ‒ oder „beim heiligen Evangelisten Johannes sagte der Herr auf der Hochzeit“ (375). In anderen Fällen versteckt sie die Zitate, das heißt, sie kündigt sie nicht an, sondern nimmt Passagen, die leicht als wörtliche oder erweiterte Bibelzitate erkennbar sind, und legt sie Christus in den Mund (379‒380). Gegen Ende der Predigt über die Wiederauffindung Jesu im Tempel begegnen wir in der Menschenmenge, die Jesus predigen hört, der heiligen Marcella, die ausruft: „Gepriesen sei der Leib, aus dem du geboren wurdest, und die Brust, die dich gestillt hat“ (543). Obwohl die Heilige im 5. Jahrhundert gelebt hatte, machte Mutter Juana sie zu einer Zeitgenossin Jesu und identifizierte sie mit der anonymen Frau aus dem Lukasevangelium, die ihm zurief: „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“ (Lk 11,27). Mit der Erwähnung der heiligen Marcella verlieh Mutter Juana überdies ihrer eigenen Version Autorität – einer Version, so fügte sie hinzu, „von der das heilige Evangelium erzählt“.12 An dieser Stelle ergänzte der moderne Herausgeber des Libro del conorte ein non: „von der das heilige Evangelium nicht erzählt“ (543), wie die Übersetzung in diesem Fall lauten müsste. Mir scheint diese Korrektur sinnvoll, doch für unsere Untersuchung ist vor allem eines entscheidend: Selbst in den wenigen Fällen, in denen sie ungenau zitiert, beweist Mutter Juana, dass sie recht gut weiß, was in der Bibel enthalten ist und was nicht. Die Predigt über Mariä Reinigung hebt sich insofern von Mutter Juanas übrigen Predigten ab, als sie nicht mit der Nacherzählung der betreffenden Bibelepisode beginnt.13 Dafür enthält die Beschreibung der himmlischen Feierlichkeiten Anspielungen auf fast alle Details der Darstellung Jesu im Tempel und kombiniert Bibelzitate aus dem Kontext der besagten Episode mit anderen Bibelstellen. Der zentrale Satz, den Mutter Juana zitiert: „Du bist Licht und Glanz der Heiden und der Herrlichkeit deines Volks Israel“ (371), kommt dem Wortlaut von Lk 2,32 („ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“) ziemlich nahe. Überdies erhält der Verweis auf das „Licht, das die Heiden erleuchtet“, in dem von Mutter Juana geschaffenen Kontext einen neuen Sinn: Die brennenden Kerzen bei den himmlischen Prozessionen dienen als Rechtfertigung für den frommen Brauch, Kerzen – die übrigens just am Fest Mariä Reinigung geweiht wurden ‒ als Fürbitte für die Verstorbenen anzuzünden. Mutter Juanas Predigt mischt Elemente aus der Darstellung im Tempel mit anderen Zitaten. So enthält eine Szene, in der eine Gruppe von Personen in Anspielung auf das Fegefeuer oder Purgatorium ihre Gewänder wäscht, den Satz: „Die Leidenschaften dieser Welt sind es nicht wert, an die Freuden und die Seligkeit des Himmels heranzureichen“ (378), der wie eine Paraphrase von Röm 8,18 anmutet („Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“).

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El libro del conorte, Escorial MS J–II–18, fol. 112c. Wie sehr Juana die Rolle der Maria in der Heilsgeschichte betont, wird daran deutlich, dass sie das Fest immer als „Mariä Reinigung“ und nicht als „Darstellung des Herrn“ bezeichnet.

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An anderen Stellen ist es schwierig zu entscheiden, ob ein Bibelzitat ungenau ist, weil Mutter Juana es falsch im Gedächtnis hatte oder weil die Visionärin auf der Grundlage ihrer eigenen, vagen Erinnerung an die betreffenden Verse ein pseudobiblisches Zitat erfunden hat. So schildert ein weiteres Fragment aus der Predigt über die Reinigung, wie die Priester, die im Himmel sind, in einer Prozession auf Maria zutanzen und zu ihr sagen: Herrin, Königin der Himmel, sende uns den Erlöser, weil wir die Priester sind, die auf Erden die Opfer vollzogen haben und in der geweihten Hostie den lebendigen Gott darbringen – denn schon ist die Zeit gekommen und hat sich die Prophezeiung erfüllt, die die Juden niedergeschrieben hatten, die da lautete: „Es wird eine Zeit kommen, da das Opfer Judas und Jerusalems von Gott angenommen und ihm wohlgefällig sein und voller Herrlichkeit und Verdienst vor seinen Augen emporsteigen wird“ – und mit diesem heiligen Opfer werden alle Völker gerettet sein (368).

Da es sich um eine Prophezeiung handelt, die von den Juden niedergeschrieben worden ist, scheint es naheliegend, dass Mutter Juana sich auf einen Vers aus dem Alten Testament bezieht. Abgesehen von der vagen Möglichkeit einer Beziehung zu Sacharja 14,20‒2114 findet sich in der Bibel jedoch nichts, was dem Zitat in Juanas Predigt irgendwie ähnlich wäre. Einige Male wird der Ausdruck „es steht geschrieben“ auch als Hinweis auf nichtbiblische Zitate verwendet. So wendet sich zum Beispiel Christus in der Predigt über die Reinigung an seine Mutter und sagt zu ihr: „Über mich steht geschrieben: »Er, den die Himmel und die Erde nicht fassen, ist im Leib der Jungfrau ganz umschlossen«“ (361). Auch wenn dieses Zitat biblisch klingt, stammt es in Wirklichkeit aus dem Marienhymnus Virgo Dei genetrix: „Quem totus non capit orbis, in tua se clausit viscera factus homo“. Damit stellt sich die Frage, ob Mutter Juana irrtümlich angenommen hat, dass das Zitat aus der Bibel stammt, oder ob ihr seine tatsächliche Herkunft bekannt gewesen ist. Daneben gibt es Fälle, in denen es sich kaum entscheiden lässt, ob die Paraphrase eines Bibelzitats Mutter Juanas ungenauer Erinnerung oder der Notwendigkeit geschuldet ist, das Zitat in den Kontext ihrer Predigt einzufügen. Das gilt beispielsweise für einen Abschnitt aus der Predigt über die Reinigung, in dem Mutter Juana anmerkt, dass die Menschen – und sogar die Seligen im Himmel – außerstande seien, Gott so zu schauen, wie er ist, weil „sie es nicht ertragen und mit lauter Stimme dieselben Worte rufen würden, wie der heilige Petrus: Geh weg von mir, Herr, der ich dich nicht ertragen kann noch deiner Gegenwart würdig bin“ (374). Das Zitat erinnert an die Episode vom wunderbaren Fischfang aus dem Lukasevangelium (5,8), als der Apostel Petrus Jesus zu Füßen fällt und sagt: „Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder.“ Mutter Juana weiß, dass Petrus diese Worte gesprochen hat, denn sie stellt ihnen ein „der heilige Petrus sagte“ voran. Gleichwohl bettet sie sie in 14

„An jenem Tag wird auf den Pferdeschellen stehen: Dem Herrn heilig. Die Kochtöpfe im Haus des Herrn werden gebraucht wie die Opferschalen vor dem Altar. Jeder Kochtopf in Jerusalem und Juda wird dem Herrn der Heere geweiht sein. Alle, die zum Opfer kommen, nehmen die Töpfe und kochen in ihnen. Und kein Händler wird an jenem Tag mehr im Haus des Herrn der Heere sein.“

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einen ganz anderen Kontext ein. Im Lukasevangelium geht es vor allem um das Erstaunen des Petrus angesichts des wunderbaren Fischfangs und um die Tatsache, dass der Apostel sich selbst als Sünder bezeichnet und Christus daher bittet, von ihm wegzugehen. Mutter Juanas Predigt dagegen gibt uns zu verstehen, dass der Mensch den Anblick Christi in seiner Gottheit physisch nicht erträgt und dass Petrus ihn deshalb gebeten habe, sich zu entfernen. Und innerhalb der von Mutter Juana geschaffenen allegorischen Handlung erfüllt das Zitat einen noch spezielleren Zweck, nämlich den, zu erklären, warum Christus nicht will, dass die Priester in den höchsten Teil des Himmels aufsteigen (374): Sie würden seinen Anblick nicht ertragen. Gegen Ende der Predigt über die Reinigung vergleicht Mutter Juana den Tod mit der Hochzeit zwischen Christus und der menschlichen Seele. Dann heißt es dort weiter: Das ist die Bedeutung der Hochzeit, die der Herr beim heiligen Evangelisten Johannes erklärt hat, als sie ihn baten, das Wasser in Wein zu verwandeln: Meine Stunde ist noch nicht gekommen, wenn meine Stunde kommt, werde ich es vollbringen (375).

Der konkrete Verweis auf das Johannesevangelium – eine Art bibliographische Anmerkung – deutet darauf hin, dass Mutter Juana der biblische Ursprung des Zitats, das sie dem neuen Kontext ihrer Predigt entsprechend paraphrasiert, absolut klar ist. Im Original heißt es: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4). Der hinzugefügte Text („wenn meine Stunde kommt, werde ich es vollbringen“) bezieht sich vor allem auf die Allegorie der Hochzeit, die Mutter Juana hier entfaltet, und, noch konkreter, auf die Geschenke, die Christus seiner Braut, der Seele, im Himmel machen wird. Die Erklärung, die Mutter Juana folgen lässt, verweist nämlich, auch wenn sie im biblischen Kontext von Jesu erstem Wunder wurzelt, auf die Metapher des Todes als der Hochzeit mit Christus. Diese Metapher erläutert sie in ihrer Predigt: Und das sagte er, weil die Stunde der Hochzeit zwischen ihm und der Seele noch nicht gekommen war. Und deshalb wollte der Erlöser mit diesen Worten – auch wenn wir sie hier so verstehen, dass er sie gesagt hat, weil die Stunde der Zeichen und Wundertaten noch nicht gekommen war – gleichsam sagen: Dies ist nicht meine Hochzeit, bei der ich, da ich der Bräutigam bin, zwangsläufig alles Nötige tun muss; wenn aber meine Hochzeit gekommen sein wird und ich mich mit meiner Braut verbinden soll, dann wird die Stunde gekommen sein, sehr große Wunder zu tun und der Seele, meiner Braut, viele Tröstungen und gelegentliche Freuden zuteilwerden zu lassen (375‒376).

Auf diese Weise löst die Predigt das Zitat „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4) zwar aus dem unmittelbaren Kontext der Hochzeit zu Kana, nicht aber aus der Hochzeitsthematik insgesamt heraus, sondern verknüpft es mit der allegorischen Vorstellung vom Tod als einer Hochzeit. Der Visionärin ist bewusst, dass sie sich von den traditionellen Auslegungen des Satzes „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ entfernt, denn sie sagt ausdrücklich, dass der Vers hier auf Erden als Anspielung auf die Wunder Jesu interpretiert wird. Bemerkenswert ist außerdem, dass sie ihre Worte Christus in den Mund legt und damit letztlich selbst diejenige ist, die die Aussageabsicht des Erlösers erklärt. Fast am Ende der Predigt über die Reinigung führt die Visionärin die Worte an, die Christus im Augenblick des Todes zur Seele spricht: „Freund oder Freundin, erkennst

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du, wer ich bin?“ Hat die Seele im Leben gute Werke vollbracht, wird sie antworten, dass sie Christus erkennt, und Christus wiederum wird sagen: „Komm, die du vom Vater und von Mir und vom Heiligen Geist gesegnet bist“ (379). Das ist ein deutlicher Anklang an die im Matthäusevangelium überlieferten Worte Jesu über das Weltgericht: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid“ (Mt 25,34). Die sündige Seele dagegen, die keine guten Werke vollbracht hat, wird antworten, dass sie Christus nicht kennt, und er wird zu ihr sagen: „Geh weg, du Verfluchte, die du dich meiner niemals erfreuen wirst“ (380). Auch hier haben wir es mit einem erweiterten Zitat aus demselben Kapitel bei Matthäus zu tun: „Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!“ (Mt 25,41). Danach wird Christus allen verfluchten Seelen ihren Mangel an Nächstenliebe und Wohltätigkeit vorwerfen. Wieder hat Mutter Juana ein Zitat aus einem bestimmten biblischen Kontext entnommen und in einen anderen, von ihr selbst geschaffenen Zusammenhang eingefügt. Die neutestamentlichen Verse bleiben im Kern bestehen, doch in diesem Beispiel werden die Worte Christi, die das Jüngste Gericht betreffen, auf das Partikulargericht einer einzelnen Seele angewandt. Auch wenn keiner der Aussprüche bei Mutter Juana – „Komm, die du gesegnet bist“ und „Geh weg, du Verfluchte“ – ein exaktes wörtliches Zitat darstellt, ist der Bezug zum Matthäusevangelium doch unverkennbar. Die Episode vom zwölfjährigen Jesus im Tempel wird im Lukasevangelium (2,40‒ 50) mit wenigen Strichen skizziert. Auch hier bietet Mutter Juana, wie sie es häufiger tut, ihre eigene, paraphrasierte Version der Ereignisse an und stellt einen nichtbiblischen Kontext her, der die Deutung nahelegt, dass Gottvater Maria auf die Probe stellen will. Zudem wird die didaktische Lektion, die die Predigt daraus zieht, gleich zu Anfang durch die Worte des Vaters vorbereitet: „Das ganze Menschengeschlecht hatte Gott, und heute hat es ihn verloren“ (527). Deshalb muss der Mensch seine Zeit auf Erden damit verbringen, Gott zu suchen, und damit er weiß, wie er sich bei dieser Gottsuche verhalten muss, lässt die Gottheit es zu, dass Maria ihren eigenen Sohn Jesus verliert und wiederfindet. Als Gottvater der Jungfrau diese Prüfung ankündigt, beginnt er seine Rede mit den Worten: „Meine Taube und meine Freundin und meine Geliebte“ (528). Diese Anrede ist eine zwar nicht wörtliche, aber doch hinreichend klare Reminiszenz an das Hohelied: „Mach auf, meine Schwester und Freundin, meine Taube“ (Hld 5,2). Im Anschluss folgt eine erweiterte Nacherzählung der Episode von der Wiederauffindung des zwölfjährigen Jesus im Tempel. Maria und Josef suchen Jesus zunächst vergebens. Da sie beide müde sind, schlägt Josef vor, etwas zu essen, doch Maria antwortet, sie könne nichts essen, weil sie „den verloren hat, den meine Seele liebt“ (531). Das heißt, sie antwortet mit einer weiteren Paraphrase eines Verses aus dem Hohelied (Hld 3,2). Es wäre eine Überlegung wert, ob das Thema der Suche nach dem in Jerusalem verlorengegangenen Jesus Mutter Juana womöglich an eine traditionelle Auslegung des Hohelieds erinnert hat, die die Geliebte mit der Jungfrau und Christus mit dem Geliebten gleichsetzte. Doch auch die Analogie, die die anderen Interpretationen dieses alttestamentlichen Buchs üblicherweise herstellten, indem sie die Geliebte mit der Seele und den Geliebten mit Christus identifizierten, ließe sich zu der in der Predigt formulierten Lehre in Beziehung setzen: Die individuelle Seele muss Christus auf Erden suchen. Man

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kann sich zu Recht fragen, ob es sich um eine bloße Gedankenassoziation handelt, die durch das Thema der Suche ausgelöst worden ist, oder ob wir aufseiten Mutter Juanas von einer gewissen Absichtlichkeit ausgehen müssen. Daraus, dass die Visionärin nicht nur von den Bibelversen, sondern auch von den traditionellen Auslegungen besagter Verse inspiriert zu sein scheint, können wir schließen, dass die Ordensfrau die ausschmückende Bibelnacherzählung mit Methoden der Schriftexegese verknüpft. Was die Herkunft von Mutter Juanas Bibelkenntnissen betrifft, so vermute ich, dass sie sie zumindest teilweise der in den Klöstern üblichen Praxis zu verdanken hatte, während der Mahlzeiten aus frommen Büchern vorlesen zu lassen. Übrigens wissen wir von einigen Texten, mit denen die Visionärin vertraut war, sogar die Titel. Ihre Biographie erzählt, dass ihr einmal – offenbar kurz nachdem sie 1497 die Gelübde abgelegt hatte – der Floretus des heiligen Franziskus vorgelesen worden sei.15 Dieser Text enthielt zahlreiche Beispiele für die von mir so genannten versteckten Zitate: Bibelfragmente unbestimmter Herkunft. Viele dieser Fragmente entsprachen den Worten Christi, wurden aber vom Floretus dem heiligen Franziskus als einem zweiten Christus in den Mund gelegt. Jahre später schlägt Mutter Juanas Schutzengel ihr in einer späten Vision vor, dass die Schwestern in ihrem Kloster den Flos Sanctorum lesen sollen.16 Dieses Buch enthielt ‒ vorausgesetzt, es handelt sich hierbei um die von Jacopo da Varazze zusammengestellte Auswahl – Zitate aus den Schriften der Kirchenväter, aus der Heiligen Schrift und, in geringerem Umfang, aus dem kanonischen Stundengebet. Und vermutlich waren dies nicht die einzigen mit Bibelzitaten gespickten Texte, die den Schwestern vorgelesen wurden.

5. Schlussfolgerungen Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle drei Ordensfrauen die Bibel auf je unterschiedliche Weise verwendet haben. Zuweilen lieferte sie ihnen einen großen Bestand an Ereignissen der Heilsgeschichte: Episoden, die sich in der Tradition der Meditationes Vitae Christi paraphrasieren und ausschmücken ließen. In anderen Fällen werden einzelne Verse zitiert – auf Latein bei María de Santo Domingo und in der Volkssprache bei María de Ajofrín und Mutter Juana de la Cruz. Diese Zitate werden nicht unbedingt auf den biblischen Kontext bezogen, in dem sie ursprünglich stehen: Vielmehr fügen die Visionärinnen sie in andere Kontexte ein, die sie ad hoc geschaffen haben, um ein Lehrthema zu veranschaulichen oder ihre eigenen religiösen Ideen vorzubringen. Was Mutter Juana betrifft, wäre es hilfreich, die Rezeption ihrer Predigten zu analysieren, um zu erfahren, wie sie tatsächlich aufgenommen worden sind und ob die zeitgenössischen Leser den biblischen Bezug der Zitate erkannt haben. Außerdem bleibt noch genauer zu klären, ob die drei Visionärinnen über weitere Zugänge zur Heiligen Schrift verfügten und welche dies gegebenenfalls waren.

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Vida y fin de la bienabenturada virgen sancta Juana de la Cruz, Escorial MS K–III–13, fol. 15r. Vida y fin, fol. 82v.

Das „Neue Gesetz“ als Raum der Geschlechtergleichstellung bei Juana de la Cruz (1481‒1534) Ángela Muñoz Fernández Universität Castilla-La Mancha

1. Einleitung Frauenheiligkeit und mystische Phänomenologie hatten auf der iberischen Halbinsel ihren eigenen Rhythmus und ihr eigenes Tempo und gingen nicht immer mit den übrigen Räumen des christlichen Europa im Takt. Erst in der zweiten Hälfte des 15. und in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts wurden Frauen bekannt, deren Lebensführung und religiöse Erfahrungen ihnen den Ruf der Heiligkeit eintrugen. In diese Zeit, die von intensiven Reformbestrebungen und den praktischen Auswirkungen der institutionellen Reform der Kirche und der Frauenorden gekennzeichnet war, fiel auch das erste Aufkommen der mystischen, visionären und prophetischen Phänomenologie, die die laikale Frauenheiligkeit des Mittelalters wesentlich prägte. Bald wurden die ersten Erfahrungen und Äußerungen von Frauen in kastilischer Sprache schriftlich festgehalten. Schauplatz dieser Neuerung war das Erzbistum Toledo. Im spanischen Sprachraum verbanden sich die Anfänge dieses Phänomens mit Namen wie María von Toledo (1447‒1507) und ihrer Gefährtin Juana Rodríguez (‒1505); der hieronymitischen Beata María de Ajofrín (‒ 1495); oder jener anderen María von Toledo, die la Pobre, die Arme, genannt wurde (gest. 1505). Einen herausragenden Platz in der historischen Reihe der mystischen Heiligen besitzt Juana de la Cruz (1481‒1534), Äbtissin im Tertiarierinnenhaus des Klosters Santa María in La Cruz de Cubas, einem kleinen Dorf südlich von Madrid. Sie war in der religiösen Landschaft, die sich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in Kastilien ausprägte, ohne Zweifel die ungewöhnlichste und einflussreichste weibliche theologische Stimme.1 Über Jahre hinweg erlebte sie mystische Verzückungen, bei denen der Herr aus ihrem Mund sprach. Diese Predigten, die sie vor Angehörigen ihrer Gemeinschaft, Mitgliedern des Klerus und wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hielt, wurden von mehreren ihrer Mitschwestern in einem umfangreichen Band niedergeschrieben, der als der Conorte bekanntgeworden und in zwei Handschriften überliefert sind: Eine befindet sich in der Bibliothek des Escorial, die andere im Vatikanischen Archiv. Diese Frau, der die Tradition die Rolle einer Predigerin zuerkannt hat, fand bei

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Sie war eine Zeitgenossin einer anderen einflussreichen Frau: María de Santo Domingo, der Beata von Piedrahíta (1486‒1524), die sich die Reform des Dominikanerordens auf die Fahnen geschrieben hatte. Mehrere Prozesse gegen sie endeten nicht zuletzt dank der Unterstützung des Kardinals Cisneros und des Herzogs von Alba mit ihrem Freispruch. Auch andere Frauen – viele von ihnen Beatas wie Isabel de la Cruz, die geistige Mutter des toledanischen Alumbradismo im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts – spielten in dieser Epoche eine maßgebliche Rolle.

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ihren Zeitgenossen und in der Nachwelt großen Anklang. Einer ihrer maßgeblichen Unterstützer war Kardinal Cisneros (1495‒1517), der in der spanischen Kirche und bei der Ordensreform der spanischen Könige eine führende Rolle spielte. Nach ihrem Tod wurden ihre Worte von den Exegeten, Zensoren und Biographen zerpflückt oder mit schwärmerischer Begeisterung gepriesen. Ihr Seligsprechungsprozess scheiterte jedoch, obwohl der Ruf ihrer Heiligkeit sich in ganz Spanien ausbreitete und ihre Geschichte sogar in die volkstümlichen Dramen eines Tirso de Molina, Salas Barbadillo oder José Cañizares Eingang fand. Im religiösen Universum der Juana de la Cruz, in dem die Ausschmückung der biblischen Erzählungen einen unbestreitbar großen Raum einnimmt, sind die Frage der weiblichen Autorität und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zentrale und mittlerweile sehr gut erforschte Aspekte.2 Sie hat sich aber auch mit den großen und drängenden Themen des Katholizismus ihrer Zeit befasst.

2. Besonderheiten der Bibelüberlieferung auf der iberischen Halbinsel Im Mittelalter war die iberische Halbinsel, wie eine produktive Strömung innerhalb der Forschung inzwischen gründlich herausgearbeitet hat, Stätte einer umfangreichen Produktion von „Biblias romanceadas“: volkssprachlichen Bibelübersetzungen. Die Kulturpolitik Alfons’ des Weisen (1221‒1284) förderte in Kastilien schon früh den Gebrauch der einheimischen Sprachen. Im Lauf des 13. Jahrhunderts und später wurden eine ganze Anzahl historischer, wissenschaftlicher, literarischer und biblischer Texte ins „castellano derecho“ übersetzt.3 Die Biblias romanceadas waren das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden, die gewährleistete, dass etwas von der „hebraica veritas“ ins Kastilische hinübergerettet wurde. Kastilisch wurde zur maßgeblichen Sprache, in der nun die unterschiedlichsten Materialien erschienen: vollständige Bibelübersetzungen, umfangreiche wörtliche Übersetzungen in anderen erzählenden Werken enthaltener Bibelpassagen oder auch Übersetzungen einzelner biblischer Bücher oder Fragmente. Im Lauf des Spätmittelalters ließ die christliche Toleranz gegenüber den Juden als den Hütern der „hebräischen Wahrheit“ allerdings nach. Die Vielzahl der aus dem Lateinischen und Hebräischen übersetzten Texte rief die kirchliche Zensur auf den Plan und führte zur Vernichtung der betreffenden Exemplare. Ende des 15. Jahrhunderts verbot die spanische Inquisition den Besitz volkssprachlicher Bibeln, die ihre Besitzer in den Verdacht des Kryptojudaismus brachten, was damals gleichbedeutend war mit Ketzerei. Viele Abschriften wurden verbrannt, was die geringe Anzahl der auf uns gekommenen Exemplare erklärt, die allerdings in krassem Gegensatz zu ihrer Unter2

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Die Forschung hat sich in den vergangenen Jahren sehr ausgiebig mit Juana de la Cruz beschäftigt. Zu ihren gründlichsten Kennern gehören Ronald E. Surtz, Inocente García de Andrés, Ángela Muñoz, Jessica Boon und Mª de Mar Graña. Die Bibliographie ist sehr umfangreich, daher sei hier nur auf die Überblicksdarstellung von Gemma AVENOZA VERA hingewiesen: „Las traducciones de la Biblia en Castellano en la Edad Media y sus comentarios“, in La Biblia en la Literatura Española, Bd. I/2: Edad Media. El texto: fuente y autoridad (hg. v. Gregorio Del Olmo Lete; Madrid: Trotta, 2008), 13‒75.

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schiedlichkeit steht. Wie Margarita Monreal ihrerzeit bemerkt hat, verweist die volkssprachliche Übersetzung auf ein bestimmtes Textverständnis in Kirche und Synagoge. Während das Kastilische allen drei Buchreligionen einen linguistischen und textlichen Raum bot, erweisen sich die lateinische Vulgata und die Maßgeblichkeit des Lateinischen, die sich in der Neuzeit durchsetzen werden, als Merkmale der Abgrenzung und Ausschließlichkeit.4 Im Lauf des 15. Jahrhunderts wurde das ausgeprägte Interesse an der Heiligen Schrift zu einer Vorliebe, die sich quer durch die kastilische Gesellschaft hindurchzog. Fernando del Pulgar erinnert an das große Vergnügen, das König Juan II. (1405‒1454) daran fand, „Lesungen aus der Heiligen Schrift zu hören und Erklärungen und Geheimnisse derselben zu erfahren“, weshalb er mit Alonso de Madrigal, dem großen Theologen seiner Zeit und Verfasser einer „umfangreichen Auslegung der Schriften“,5 Umgang pflegte. Für Alonso „el Tostado“ bildete die Heilige Schrift die Grundlage der „Katholischen Wahrheit“. In den Cinco figuratas paradoxas stellt er die Kategorien vor, in die die alten Lehrer die heiligen Schriften einteilten. Da waren zunächst die kanonischen Bücher, die jeder Christ und Katholik akzeptieren musste, wenn er nicht in Häresie verfallen wollte; dann die hagiographischen Schriften, die sehr „geschliffene“ heilige Lehren und historische Wahrheiten enthielten, aber, weil ihre Verfasser uns unbekannt sind, geringere Autorität besitzen als die kanonischen Bücher. Und drittens schließlich die Apokryphen von zweifelhafter Verfasserschaft, deren „Sentenzen“ sich, was ihren Wahrheitsgehalt betrifft, nicht endgültig beurteilen lassen. Im weiteren Verlauf bezieht er sich auf „die anderen, nicht im Korpus der Bibel enthaltenen Schriften“ und unterscheidet zwischen den „authentischen Schriften“ der von Gelasius anerkannten Lehrer, denen alle „Lesenden“ uneingeschränkte Autorität zuerkennen mussten, und den „verurteilten“ Schriften, einer Kategorie, die die nekromantischen und häretischen Schriften umfasste. Der Stellenwert der Schrift hängt von der Autorität des Verfassers ab. Die Schrift, so erklärte El Tostado, „erhält, wie sie auch beschaffen sein mag, von ihrem Verfasser her Autorität oder Verdammung“.6 Doch Alonso erkannte auch den Wert der Offenbarung als der einzigen Möglichkeit an, Gewissheit über Fragen zu erlangen, die in den biblischen Texten nicht enthalten sind.7 Darüber dachte er im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit seines eigenen Werkes nach: 4

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Emily C. FRANCOMANO, „Castillian Vernacular Bibles in Iberia c. 1250‒1500“, in The Practice of the Bible in the Middle Ages: Production, Reception & Performance in Western Christianity (hg. v. Susan Boyngton und Diane Reilly; New York: Columbia University Press, 2011). Fernando del PULGAR, Claros varones de Castilla (Buenos Aires/Mexiko-Stadt: Espasa Calpe, 1948), 124, zitiert nach Stefania PASTORE, Una herejía española: Conversos, alumbrados e Inquisición (1449‒1559) (Madrid: Marcial Pons, 2010), 58; María Laura GIORDANO, Apologetas de la fe: Élites conversas entre Inquisición y Patronazgo en España (Siglos XV y XVI) (Madrid: Fundación Universitaria Española, 2004). Alonso FERNÁNDEZ DE MADRIGAL A. El TOSTADO, Las cinco figuratas paradoxas (hg., eingel. u. m. Anm. vers. v. Carmen Parrilla; Alcalá de Henares: Universidad de Alcalá, 1998), 1. Paradox, Kap. 1‒4, 69‒74. „Agora dexados todos estos errores de los antiguos, los quales por saber la entençión de los gentiles poetas e philósophos quánto erraron de la verdad, non aviendo algún alumbramiento

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Wenn man dies feststellen könnte, dann wären diese Überlegungen so authentisch wie jede beliebige andere Schrift aus dem ganzen heiligen Kanon der Bibel, da sie alle vom Heiligen Geist diktiert sind, was ohne jede Veränderung von außen unfehlbare und zu allen Zeiten gleiche Wahrheit ist.8

Alles, was von Gott kommt, besitzt gleichen Wert und gleiche Autorität wie die Heilige Schrift. Das Problem ist nur, die göttliche Urheberschaft zu beweisen. Wenn die Visionen und Offenbarungen schon im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts im toledanischen Umfeld immer häufiger wurden,9 so wurde diese autochthone Tradition in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts von Kardinal Cisneros persönlich gezielt gefördert.10 Zwischen dem Aufblühen dieser stark weiblich geprägten mystischvisionären Phänomene und dem sozialen und kulturellen Wandel, der sich in der zweiten Hälfte des 15. und den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in der Region vollzog, lässt sich also eine zeitliche Parallele ziehen. Besagter Wandel war von den Konflikten zwischen den Religionen, von der Vertreibungs- und Konversionspolitik, von der Verfolgung der Judaisierer und vom Aufkommen der modernen Inquisition, von den institutionellen Reformprozessen innerhalb der Kirche und der Frauenorden und letztlich vom Kampf um die Leitbilder eines neuen Katholizismus geprägt, der sich im Einflussbereich der spanischen Monarchie herausbildete. Historisch betrachtet bot sich die Offenbarung als wirksames Mittel an, das Problem der Aktualisierung der göttlichen Botschaft zu lösen, um auf die neu aufkommenden Fragen und Sorgen der Zeit zu reagieren und, wie in diesem Fall, zum religiösen Wandel beizutragen.11 Die Kühnheit, mit der die toledanische Tertiarierin Juana de la Cruz sich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts – also unter Cisneros – mit ihren Ausschmückungen der Heiligen Schrift Gehör verschaffte und Autorität beanspruchte, überrascht Laien und Experten bis heute.12 Im religiösen Universum der Tertiarierin aus Cubas de la Sagra

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superior natural de Dios mas por solo su ingenio fueron rezados et declarados, lleguemos a la Catholica posiçión.“ EBD., 630. „[…] si constar podiesse, estas figuras serían tan auténticas como cualquier otra scriptura de todo el sacro canon de la Biblia, seyendo todas por Spiritu Sancto dictadas, el qual es verdad indeffiçiente et egual en todo tiempo, sin alguna extranea mudaçión.“ EBD., 73f. Vgl. hierzu Ángela MUÑOZ FERNÁNDEZ, Santas y beatas neocastellanas: Ambivalencias de la religión y políticas correctoras del poder (Madrid: Dirección General de la Mujer de la Comunidad de Madrid, 1994); DIES. „Santidad femenina, controversia judeoconversa y Reforma (Sobre las agencias culturales en el reinado de los Reyes Católicos)“, in Modelos culturales y pautas sociales al final de la Edad Media: Estado, Iglesia y sociedad (hg. v. Patrick Boucheron und Francisco Ruiz Gómez; Cuenca: Servicio de Publicaciones de la Universidad de Castilla-La Mancha: Casa de Velázquez, 2009), 387‒428. Pioniere auf diesem Gebiet waren Marcel BATAILLON, Erasmo y España (5. Nachdr. d. Erstaufl. v. 1937; Mexiko–Stadt: Fondo de Cultura Económica, 1995), und Pedro SAINZ RODRÍGUEZ, La siembra mística del Cardenal Cisneros y las reformas de la Iglesia (Madrid: Universidad Pontificia de Salamanca, Fundación Universitaria Española, 1979). Vgl. zu dieser Frage Ángela MUÑOZ FERNÁNDEZ, „Santidad femenina“. Ein unverzichtbares Standardwerk ist die grundlegende Arbeit von Ronald E. SURTZ, The Guitar of God, Gender, Power and Authority in the Visionary World of Mother Juana de la

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hallt die Polemik über das Alte und das Neue Gesetz wider, die eng mit der soeben umrissenen Problematik zusammenhängt. Diese Thematik begegnet auch an verschiedenen Stellen des Conorte. Die ausdrücklichsten, intensivsten und aufschlussreichsten Episoden sind in den Predigten zum Weihnachtsfestkreis enthalten.13 Mit ihnen wollen wir uns auf den folgenden Seiten befassen und sie als Sonderfall einer Bibelrezeption in den Blick nehmen, die sich über den eigentlichen Bibeltext hinaus mit den konfliktbeladenen Strukturen ihrer Zeit und den Grundlagen des sich soeben herauskristallisierenden Katholizitätsbegriffs auseinandersetzt. Die Predigten zum Weihnachtsfestkreis sind eine Gelegenheit, ausgehend von der Frage nach der Rangfolge und Geltung des Alten und des Neuen Testaments Bedeutungen auszuloten, die von der Tradition noch kaum festgelegt waren. Juana nimmt sie direkt ins Visier und zieht sie als Bestätigungen für ein Wertesystem und ein Modell von Kirche heran, bei dem sie die Überlegenheit des katholischen Glaubens an der Integration der Frau festmacht.

3. Der Streit der Propheten des Alten und des Neuen Testaments Der Konflikt um die Conversos und die daraus erwachsenen theologisch-religiösen, sozialen und politischen Auseinandersetzungen waren ohne Zweifel eines der typischsten Phänomene im Übergang der spanischen Königreiche vom Mittelalter zur Neuzeit. Was sich 1449 in Toledo ereignete, beschleunigte gewissermaßen den Beginn eines neuen historischen Zyklus in Kastilien, der von der Radikalisierung sozialer Abgrenzungsprozesse und von neuen, ausschließenden Konstruktionen von Andersheit gekennzeichnet war. Die schriftliche Polemik und die gesellschaftlichen Probleme, die durch die Revolte von Toledo ausgelöst worden waren, brachten deutlicher als je zuvor die inneren Konflikte einer Gesellschaft ans Licht, in der sich die in sämtlichen machtpolitischen, sozialen und kulturellen Bereichen vertretenen Conversos als wesentlicher und einflussreicher Bestandteil erwiesen. Der Konflikt zwischen dem jüdischen und dem christlichen Gesetz (dem Alten Gesetz und dem Gesetz der Gnade) erhielt mit den nach 1492 verstärkt auftretenden Konversionen von Juden und Muslimen zum Christentum neue Aktualität. Die Frage der beiden Gesetze und ihrer Rangfolge hatte mit der Bedeutung zu tun, die das Christentum den alttestamentlichen und den neutestamentlichen Büchern beimaß, äußerte sich aber vor allem auf normativer und ritueller Ebene. Ihre Auswirkun-

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Cruz (1481‒1534) (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1990), insb. Kap. V, „Scripture and Scriptures“, 109‒142. Inocente GARCÍA DE ANDRÉS widmet ihnen seine Arbeit „El misterio de la Navidad en los Sermones de la Santa Juana (1481‒1534)“, in La Natividad: arte, religiosidad y tradiciones populares (hg. v. Francisco Javier Campos y Fernández de Sevilla; San Lorenzo de El Escorial: Real Centro Universitario Escorial/María Cristina, 2009), 39‒54. Alle Zitate aus dem Conorte stammen aus der Ausgabe von Inocente GARCÍA DE ANDRÉS, El Conhorte: sermones de una mujer: La santa Juana (1481‒1534) (2 Bde.; Madrid: Fundación Universitaria Española/Universidad Pontificia de Salamanca, 1999).

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gen betrafen den alten Gegensatz zwischen Kirche und Synagoge: religiös-institutionellen Welten, die das Leben und die Vorstellungen mittlerweile verfeindeter Gruppen organisierten. Juana de la Cruz’ Predigt über Weihnachten, den formellen Beginn des Christentums,14 gibt ihr die Gelegenheit zu einer ersten bündigen Darlegung der Unterschiede zwischen der jüdischen und der christlichen Lehre. Nach der „Declaración“ dessen, was sich bei der Geburt des Erlösers abgespielt hatte – einer Erzählung, die von jener für den Conorte so typischen Mischung aus Bildern des Alltagslebens und theologischer Glosse geprägt ist ‒, leitete Juanas Stimme, deren Glaubwürdigkeit darauf beruhte, dass sie sich als Werkzeug des Herrn bezeichnete, zum Thema der Geburt des Messias und der Erfüllung der biblischen Prophezeiungen über. Wir haben es hier mit einer zentralen Frage der interreligiösen Debatte zu tun, die sich in der Christenheit schon seit Jahrhunderten entsponnen hatte. Auf der iberischen Halbinsel war diese Diskussion, auf die Juden, Christen und Mudejaren im Mittelalter immer wieder zurückkamen,15 durch die Streitliteratur der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wiederaufgeflammt.16 Auch die Häscher der Inquisition, die in ihrer Gründungszeit vor allem darauf bedacht war, Judaisierer zu überführen, interessierten sich sehr dafür, ob jemand Christus als den Messias leugnete, denn dies galt als eklatanter Beweis für den Tatbestand des Kryptojudaismus. In ihrer Weihnachtspredigt bezieht sich Juana auf die Geburt Christi und auf die Erfüllung der Prophezeiungen in den Schriften, „die die Juden haben“ und die, wie sie hinzufügt, „sie weder verstehen noch erkennen“ (Sermón 2, 270), und zwar im Wesentlichen deshalb, weil sie nicht imstande gewesen waren, in den Zeichen der demütigen Geburt Jesu („im Heu gewiegt und in ärmliche Windeln gewickelt“) den „König“ wiederzuerkennen, der ihnen verheißen worden war. Unsere Visionärin greift die prophetischen Merkmale, die die Anhänger des mosaischen Gesetzes vorbrachten, in ihrer Argumentation nur auf, um sie zurückzuweisen. Natürlich werde das neugeborene Kind sich auf den Thron Davids setzen – so ihre Argumentation –, aber dieser Thron sei nichts anderes als der Thron der Heiligen Dreifaltigkeit; er, der aus dem Haus Davids Fleisch angenommen habe, werde nämlich von einem Ozean zum anderen herrschen, weil sie Ihn von einem Ende der Welt bis zum anderen kennen und wissen werden, dass Er der wahrhaftige und mächtige Gott ist, wenn sein heiliger katholischer Glaube verkündet und vervielfacht, geglaubt und gepriesen werden wird (Sermón 2, 270). 14

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Der eigentliche Beginn wird im Moment der Fleischwerdung des Wortes im Leib Mariens verortet – auch dies ein wichtiges Argument in der Auseinandersetzung zwischen Juden, Muslimen und Christen. Dennoch markiert insbesondere die Geburt Christi als wirkliche Ankunft des Messias einen wichtigen Unterschied, weil sie der Erwartung der Christen ein Ende setzt, während die Juden weiterhin auf den Messias warten. Auch dies ein Streitpunkt zwischen Morisken und Christen, vgl. Louis CARDAILLAC, Moriscos y cristianos: Un enfrentamiento polémico (1492‒1640) (Mexiko–Stadt: Fondo de Cultura Económica, 1979; Orig.: Morisques et chrétiens: Un affrontement polémique (1492–1640); Paris: Klincksieck, 1977). Mit diesem Schrifttum befassen sich die im vorliegenden Beitrag zitierten jüngeren Arbeiten von Giordano, Pastore und Pereda.

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Und sie schlussfolgert, dass die jüdischen Prophezeiungen Unrecht daran taten, die Erwartung eines Messias aufrechtzuerhalten, der den Juden das Gelobte Land schenken würde, weil „er nicht nur für die Juden, sondern auch für die Nichtjuden und die Heiden und die Ungläubigen und für alle Generationen kommt, die an ihn glauben, ihm dienen und ihn lieben wollen“. Die Juden sprächen von einem Reich, doch sein Reich sei nicht von dieser Welt, denn das wahre Land der Verheißung, das er den Gerechten versprochen hat, sei das Himmelreich. Nach Juanas Überzeugung irrten sich die Juden auch im Hinblick auf den Radius, den sie dem Messias prophezeiten. Denn dieser sei nicht ausschließlich für die Juden gekommen, sondern habe sich auch für die Nichtjuden, die Heiden und die Ungläubigen hingegeben – drei wichtige Kategorien für die Konversionspolitik einer katholischen Monarchie wie der spanischen, die just zu dieser Zeit ihre Hand nach ausgedehnten außereuropäischen Territorien ausstreckte. Können wir aus diesen Worten eine Sichtweise herauslesen, die den katholischen Glauben als religiös-gemeinschaftlichen Rahmen einer universalen Berufung interpretiert? Einer universalen Berufung, bei der die Unterschiede der Herkunft – dieses im damaligen Kastilien tiefverwurzelte Prinzip gipfelte in der geradezu obsessiven Beschäftigung mit Stammbäumen und im Nachweis des Blutstatus (limpieza de sangre), der sich zu einem allgemeinen sozialen Auswahlkriterium entwickelte ‒ keine Rolle mehr spielten? Das mag durchaus sein. Erinnern wir uns, dass sich am historischen Scheideweg des ausgehenden 15. Jahrhunderts gewisse Ab- und Ausgrenzungsprozesse anbahnten, die in den darauffolgenden Jahrhunderten – wenn auch nicht ohne Gegenwehr und Widerstände ‒ zunehmend generalisiert wurden und der Abstammung des Einzelnen immer größere Relevanz verliehen. In einer Gesellschaft, in der nicht nur die Konversion, sondern auch deren Aufrichtigkeit eine politisch, sozial und kulturell so ungewöhnlich große Rolle spielte, gewann die Frage nach der individuellen Genealogie (ob also die betreffende Person, wie im Falle der Conversos, von jüdischen Vorfahren oder, wie im Falle der Altchristen, von Nichtjuden abstammte) mehr und mehr an Bedeutung. Juana, Werkzeug und Stimme des Herrn, verkündete, dass sich die Schriften und Prophezeiungen mit der Geburt Jesu erfüllt hatten, und wies auf die Blindheit und das Unverständnis der Juden hin.17 Doch die Blindheit sei nicht im Wesen dieses Volkes angelegt, dessen Angehörige sich durchaus bekehren und dieses heilige Kind anerkennen könnten, das Israels wahrer König war (271). Die Überlegungen zur Unfähigkeit der Juden, das in Betlehem geborene Kind als den im Gesetz der alten Propheten verheißenen Messias anzuerkennen, zogen eine klare Trennlinie zwischen den alten Schriften und den jüdischen Zeitgenossen unserer Autorin. Mit anderen Worten, die Abqualifizierung der Juden nahm den alten Schriften nichts von ihrer Autorität.

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Vgl. zu diesem Thema Paulino RODRÍGUEZ BARRAL, „‘Contra caecitatem iudeorum’: el tópico de la ceguera de los judíos en la plástica medieval hispánica“, Ilu. Revista de ciencias de las religiones 12 (2007): 181‒209; DERS., La imagen del judío en la España Medieval: El conflicto entre cristianismo y judaísmo en las artes visuales góticas (Barcelona: Universitat de Barcelona, 2009); Felipe PEREDA, Las imágenes de la discordia: Política y poética de la imagen sagrada en la España del 400 (Madrid, Marcial Pons, 2007).

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Die konflikthafte Dimension der jüdischen und der christlichen Religion und ihrer Diskussion über Wert und Vorrang des Alten (jüdischen) und des Neuen (christlichen) Gesetzes zeigte sich auch in einer weiteren Episode, die gegen Ende der Weihnachtspredigt eingeführt wurde. Das Thema wurde als szenische Gestaltung („figura“) eines heftigen, wenngleich unblutigen Disputs zwischen Vertretern beider Schriften entwickelt. Eine der streitenden Parteien bestand aus den Aposteln und Jüngern sowie „vielen heiligen Männern und Frauen“, die das Neue Testament vertraten. Ihnen standen die Patriarchen und Propheten und viele andere Selige des Alten Testaments gegenüber, die der gegnerischen Seite angehörten. Diese beiden Gruppen, die Juana die Alttestamentlichen und die Neutestamentlichen nannte, traten miteinander in einen Wettstreit der Taten und Argumente, mit denen jede Partei ihre größeren Rechte hinsichtlich der Zugehörigkeit und Nähe zum Jesuskind zu beweisen suchte, das die Vertreter beider Testamente einhellig als den Messias anerkannten. Patriarchen und Propheten des Alten Testaments baten die Jungfrau, ihnen den Messias zu geben, und verwendeten all ihr Geschick und die unterschiedlichsten Strategien darauf, sich des Jesuskindes zu bemächtigen. Wieder werden wir Zeugen der Trennung und Unterscheidung zwischen den biblischen Patriarchen und Propheten und der Synagoge, die zu Lebzeiten der Juana de la Cruz in Frage gestellt und verfolgt wurde. Das christliche Gebäude gründete sich auf ein Modell, das beide Gesetze in sich vereinte ‒ dieses Bild war in der polemischen Literatur der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sehr weit entwickelt18 ‒, und die Patriarchen und Propheten, die fest in dieses Gebäude integriert waren, begründeten ihren Anspruch wie folgt: Gebt uns den Messias, der uns gehört und den wir einfordern und der uns verheißen und vorgebildet wurde und den wir beweinen und ersehnen und für den wir große Buße geleistet haben […] Deshalb müssen wir Ihn mehr als ihr haben und besitzen und mit Ihm vereint werden (Sermón 2, 282).

Die Antwort der „Neutestamentlichen“ akzentuierte das Bild der Rivalität und Konfrontation: Ganz gewiss werden wir euch den Messias nicht geben, denn Er gehört uns; und das können wir euch auch beweisen, denn wir haben Ihn gehabt, und in unsere Zeit ist Er gekommen, und Er war unser Meister und wir seine Jünger und Apostel (Sermón 2, 282).

In dieser von der Tertiarierin aus Cubas de la Sagra ersonnenen „Figura“ waren verschiedene Kollektive, die bereits die himmlischen Gefilde bewohnten, bestrebt, ihre Rechte am Messias geltend zu machen und zu beweisen. Sie alle brachten tragfähige Argumente vor, die die Zugehörigkeit des Messias zum Neuen Testament untermauerten. Die Märtyrer verwiesen auf das Blut, das sie in der Nachfolge Jesu vergossen hatten. Andere hatten in seinem Namen Kranke geheilt und Tote erweckt, und es traten auch alle diejenigen Zeugen seines Wirkens auf, die den aussagekräftigen Beweis der Tischgemeinschaft anführen konnten („der Erlöser war unter ihnen und aß und trank viele Male mit ihnen an einem Tisch“, Sermón 2, 283). Hinzu kamen die Zeugen seines Leidens, die, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen und mit ihm gesprochen und die, 18

Zum Beispiel bei Alonso de CARTAGENA, Defensorium unitatis christianae (hg. v. Manuel Alonso; Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1943).

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die gesehen hatten, wie er in den Himmel auffuhr – jenen Ort, an dem auch sie sich nun befinden. Andere sagten: „Wir haben dieselben Worte und Evangelien verkündet und gelehrt, die er mit seinem heiligen Mund gesprochen hat.“ Und endlich traten zum Abschluss der Zeremonie viele weitere Zeugen auf, die erklärten: „Wir sind Christen und getauft.“ Gerade diese letzte Gruppe, die hier Präsenz, Stimme und Zeugnisrecht erhielt, wird durch ihre schiere Menge und streitbare Standhaftigkeit (denn sie verkündeten nicht nur ihr Getauft-Sein, sondern auch ihre Bereitschaft, sich lieber töten zu lassen, als „ihren heiligen katholischen Glauben“ zu verleugnen) dafür sorgen, dass sich in diesem Streit um den Vorrang und über die verschiedenen Abstufungen der Zugehörigkeit und Nähe die Waagschale schließlich zugunsten der Vertreter des Neuen Gesetzes neigte: Und so beweisen wir mit all diesen und, wenn ihr sie denn erfahren wollt, auch noch mit vielen anderen Beweisen, dass der Erlöser und Messias mit Recht und Vernunft uns gehört und wir enger mit Ihm vereint sein müssen als ihr (Sermón 2, 283).

Was war das für ein Streit, dem der Zuschauer/Zuhörer dieser himmlischen Vorstellung hier beiwohnte? Ist in dieser Auseinandersetzung Platz für unbarmherzige Gewalt? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir auf einige Details der Erzählung eingehen. So beginnen die Alttestamentlichen angesichts der schlagenden Beweise und Gründe, die die Neutestamentlichen anführen, „Lärm zu machen“, doch das alles geschah, wie der Herr versicherte, „in Freude, Spiel und Lobpreis Gottes“. Später dann stießen die alten Patriarchen Drohungen gegen ihre Rivalen aus: „Wir werden Ihn euch mit Gewalt wegnehmen, denn Er ist unser.“ Und der gesamte Sachverhalt, den der Herr als Augenzeuge und Erzähler beurteilte, wurde als contienda bezeichnet. Man ist jedoch gut beraten, von den Bedeutungen, die dem Wort contienda im Diccionario de la Real Academia Española zugewiesen werden (Kampf, Streit, Zank, Schlacht, Disput, Diskussion, Debatte), für diese Auseinandersetzung der Liebe zu einem von beiden Parteien gleichermaßen anerkannten Messias die mildeste zu wählen. Die Episode endete mit dem Schiedsspruch Jesu Christi, der als Richter und Prüfer aller rechtlichen Angelegenheiten und Streitigkeiten von den Konfliktparteien Beweise forderte, damit er sein Urteil fällen konnte. Damit leitete Juana zur Allegorie von der Aussaat und Ernte über: Die Leistung der alttestamentlichen Patriarchen habe darin bestanden, das Saatgut auszubringen, während es nun Aufgabe der Neutestamentlichen war, die Früchte zu ernten. In der „Figura“, die unsere bewanderte Theologin entfaltete, wurden die Neutestamentlichen zu Schnittern, die mit goldenen Sicheln die gesäten Kräuter und Blumen abschnitten. Noch einmal kehrte an dieser Stelle das Streitmotiv wieder („die Alttestamentlichen beharrten und fingen an zu streiten, um Ihn sich zu nehmen. Und die Neutestamentlichen flohen mit dem Herrn“). Endlich schlichtete der Herr, der mit den Attributen des allmächtigen, gerechten und wahren Richters auftritt, den Streit mit diesem Urteil: „Die Neutestamentlichen sollen enger mit Mir vereint und Mir näher sein“ (Sermón 2, 286). Sodann brachte die Predigt noch die poetische Klage der Verlierer zu Gehör („oh Herr, zu Bittstellern sind wir geworden, die nichts empfangen, zu Sehnenden, die nichts erreichen, zu Säern, die nichts ernten, zu Trauernden, die nicht getröstet werden“, Sermón 2, 286), ehe unsere Autorin diese „so große und wunderbare Figura“ auslegte oder

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erklärte, die der mächtige Gott habe ersinnen wollen, um seine Liebe zum Menschengeschlecht und insbesondere zum „christlichen Volk“ verständlich zu machen, das er auf Erden wie im Himmel mehr als alle anderen Generationen bevorzugte und würdigte. Die Herzensbekehrung tilgte die Merkmale der Herkunft, denen der Katholizismus in seiner sich zeitaktuell entwickelnden, von Überwachung und Kontrolle geprägten Form so große Bedeutung beimaß, und machte sie irrelevant.

4. Taufe vs. Beschneidung, oder: Die Erweiterung der gesellschaftlichen und geschlechtlichen Basis des Gottesvolks Die Aufeinanderfolge der Gesetze und die Harmonisierung der heiligen Schriften nehmen auch in der Predigt von der Beschneidung eine zentrale Stellung ein. Ihr Plot besteht aus altbekannten, weitgehend in der Tradition verankerten Elementen und Argumentationen, die Juana de la Cruz mit anderen, weitaus ungewöhnlicheren und geradezu unerhörten Blickwinkeln und Bewertungen verknüpft. Ein schlichter Hinweis aus dem Lukasevangelium, das die Episode als einziges erwähnt, liefert die biblische Grundlegung für die Beschneidung Christi: Als die acht Tage vorüber waren, Ihn zu beschneiden, gab man Ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe Er im Mutterschoß empfangen worden war.19

Das Thema war in der bildenden Kunst20 und auch in der mittelalterlichen Homiletik gestaltet worden, die es ihrem Repertoire an Motiven und Argumenten einverleibte, und lebte in der sakralen Rhetorik des Siglo de Oro fort.21 Juana dramatisiert die Begebenheit wie folgt: Am achten Tag nach Weihnachten wurde Jesus gemäß der alten jüdischen Vorschrift, die für alle männlichen Kinder galt, beschnitten. Er war nicht verpflichtet, das zu tun, doch er unterzog sich dem Ritus aus Demut. Der Schmerz und die Tränen der Mutter, die bei ihrem geliebten Sohn sein und seinen Schmerz teilen wollte, mischten sich in der Szene mit den Schreien, dem Schluchzen und den Seufzern des Neugeborenen. Diese Episode, in der das Blut des Erlösers zum ersten Mal vergossen wurde, wurde also unter dem Aspekt der Erlösung und Miterlösung gedeutet: eine Struktur, die sowohl den Sohn als auch die Mutter umfasste. 19

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„Et postquam consummati sunt dies octo, ut circumcederetur ocatum est nomen eius Jesús quod vocatum est ab angelo, priusquam in utero conciperetur“ (Lk 2,21). Elías TORMO, „En el Museo del Prado: Conferencias de Arte cristiano: La Circuncisión“, Boletín de la Sociedad Española de Excursiones 34/1 (1926): 16‒23; Emilia MONTANER LÓPEZ, „La imagen mental: consideraciones en torno al tema de la circuncisión“, Cuadernos de arte e iconografía 4 (1991): 33‒41. Ein Beispiel für eine aus dieser Zeit stammende Predigt über die Episode von der Beschneidung Jesu findet sich bei Juan LÓPEZ DE SALAMANCA, Evangelios moralizados (hg., eingel. u. m. Anm. vers. v. Arturo Jiménez Moreno; Salamanca: Ediciones Universidad de Salamanca, 2004), 177‒187; Jean CROIZAT VIALLET, „Cómo se escribían los sermones en el Siglo de Oro: Apuntamientos en algunas homilías de la circuncisión de Nuestro Señor“, Criticón 84/85 (2002): 101–122; 101f.

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Die Nennung des Namens bildete den zweiten Topos dieser im Evangelium wurzelnden Erzählung. Im Conorte spielte Josef dabei die Hauptrolle. Ihm oblag es, dem Rabbiner zu sagen, welchen Namen das Kind bekommen sollte. Bei der Nennung des Namens erklärte der mutmaßliche Vater Jesu, dass er den Anweisungen des Engels Folge leiste, was ihm den Spott des jüdischen Zelebranten eintrug. Als der Rabbiner daraufhin die Mutter nach dem Namen für den Säugling fragte und dieselbe Antwort erhielt, verspottete und verlachte er auch sie. Als weitere Nuance spielten die Schmähungen der Umstehenden in die Erzählung hinein: Sie lästerten über die ungleiche Ehe zwischen dem Mädchen und diesem geschlechtslosen Alten, der zugab, dass das Kind nicht von ihm stammte, sondern der „Sohn des lebendigen Gottes“ war. Nackt wurde das Kind, das vor Schmerzen herzzerreißend weinte, in die Arme seiner Mutter gelegt, die ihm die Brust gab, um es zu beruhigen. Das Blut, das von den Genitalien des Kindes floss, verleiht der Erzählung von der Beschneidung Christi den Charakter eines Opferrituals. Auf diese Weise wird eines der zentralen Anliegen der Predigt vorbereitet: die Abschaffung des Beschneidungsritus. Diese Frage war deshalb so brisant, weil sie die Aufhebung des jüdischen Gesetzes implizierte. Juana veranschaulichte ihre Position mit einer Erzählung, in der sich indirekter Stil und Dialog mit äußerst plastischen theatralischen Bildern abwechselten.22 Das Kind selbst bat mit flehenden Gesten ‒ seinem Weinen und seinen erhobenen Händchen – um die Abschaffung des Ritus, damit künftig kein Kind mehr solche Schmerzen und Qualen erdulden musste. Und schließlich gefiel es dem Herrn, ihm diese Bitte zu gewähren, nachdem er, so Juana, tagelang darüber nachgedacht hatte, dieses Gesetz aufzuheben, das er aufgestellt und angeordnet hatte, und etwas anderes, Heilbringenderes und Vorteilhafteres zu verfügen, das all denen, die es tun wollen, ewiges Heil bringt.

Also gebot er Johannes, alle zu taufen, die sich taufen lassen wollten, und der Welt die Taufe zu predigen und zu verkünden. Seither sei die Zeremonie der Beschneidung „ohne jedes Verdienst“. Der Ritus, der die Juden einst von der Erbsünde gereinigt hatte, wird nun zum Anlass schwerer Sünde und Höllenstrafe. Um eine so tiefgreifende Veränderung zu rechtfertigen, nannte unsere Autorin Präzedenzfälle, in denen schon einmal eine göttliche Anordnung zurückgenommen wurde. Ohne lange zu suchen, verwies sie auf Abraham: ebenjenen Patriarchen, der den Beschneidungsritus im jüdischen Volk eingeführt hatte. Hatte er denn nicht von Gott das Gebot erhalten, seinen Sohn Isaak zu opfern, und hatte nicht Gott selbst ihn zurückgerufen und ihm sogar eine Ersatzopfergabe zur Verfügung gestellt? Juana ließ die Stimme des Vaters das neue Gebot verkünden, dass jeder Mann und jede Frau getauft werde, dass allein dein Blut, mein vielgeliebter Sohn, genügt, um alle Sünden zu vergeben und alle Menschen zu retten (Sermón 3, 296).

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Die narrative Verbindung zwischen Juana de la Cruz und den Formen des Theaters hat Ronald E. SURTZ herausgearbeitet: „El libro del Conorte“ (1509) and the Early Castillian Theater (Barcelona: Puvill, 1982).

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An dieser Stelle verkündete der Herr die Neuheit des Sohnes. Er war „neuer Mensch und neues Gesetz und neue Schöpfung auf Erden“.23 Diese Verkündigung des „Neuen“ nutzte Juana, um ein weiteres Mal auf das irrige Urteil der Juden zu verweisen.24 Dabei aktualisierte sie alte Topoi der antijüdischen Kontroverse und richtete ihre Kritik insbesondere gegen die Ausleger der Heiligen Schrift: Und die Ausleger richteten mit ihrer Auslegung Schaden an, denn sie verstanden und erklärten nicht so, wie sie sollten. So ähnlich machten es die Juden, die, als Gott selbst ihnen Prophezeiungen oder Zeichen und Bilder sagte und zeigte, sie immer nahmen und verkehrtherum auslegten, wie sie es ja auch schon getan hatten, als Mose ihnen das Gesetz gab (Sermón 3, 298).

Nach dieser Kritik, mit der sie den Auslegern tiefgreifende Korrekturen nahelegte, ging sie rasch dazu über, das falsche Verständnis der Juden zu exemplifizieren. Dabei griff sie auf drei neue Belege oder Beispiele zurück. Das erste bezog sich auf die Heiden „eines Reiches“, die alle Arten von Bildern – etwa den Drachen, der im Gebirge lebte ‒ anbeteten und alle möglichen Riten vollzogen. Doch diese Heiden, die Vorfahren der Altchristen, die all diese Dinge anbeteten, erkannten den Erlöser, fanden zum Glauben an ihn und sahen ein, dass sie im Irrtum und blind gewesen waren. In ihrem Lob auf die Verdienste der Heiden nannte Juana noch einmal die zentralen Punkte, die die Annäherung zwischen Christen und Juden erschwerten: Die Heiden glaubten an die Jungfräulichkeit der Jungfrau, an die heilige Menschwerdung und an die Dreifaltigkeit. Und ohne dass sie Schriften und Prophezeiungen gehabt hätten, glaubten sie an Gott und an seine Mysterien und Wunder, was die Juden nicht taten, die alle Prophezeiungen aufgeschrieben hatten, sie aber falsch deuteten und missverstanden; die die Jungfräulichkeit Unserer Lieben Frau anzweifelten und nie imstande waren, die Allerheiligste Dreifaltigkeit zu verstehen (Sermón 3, 299).25

Im zweiten Beispiel legte Juana die berühmte Episode von der Anbetung des Goldenen Kalbs durch das jüdische Volk aus (Gen 32,1‒35), um zu beweisen, dass die Juden nie imstande gewesen seien, die Heiligste Dreifaltigkeit zu verstehen und zu bekennen. Als Mose ihnen sagte: ‘Ihr sollt nur an einen Gott glauben und nur einen Gott anbeten’ […], verstanden sie ihn falsch und dachten, dass Gott, da er ja dem Wesen nach nur einer ist, auch der Person nach nicht mehr als einer sein könne. Und so blieben sie dabei, dass der Gott, an den man glau-

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Einige Zeilen weiter unten betont sie noch einmal: „Und da du, mein Sohn, neu bist als Mensch, mache ein neues Gesetz und Neues auf Erden“ (Sermón 3, 296). Der Irrtum bezieht sich auf die universalistische Ausrichtung der Heilssendung Christi, die über die reduktionistische jüdische Sicht hinausging, wonach der Messias kommen sollte, um „nur die Juden [zu retten] und niemanden sonst, obwohl doch alle seine Kinder sind und er sie alle erschaffen hat. Weil die Juden immer alle Dinge falsch verstanden haben, weshalb [das Judentum] ja auch in die Irre gegangen ist“ (Sermón 3, 298). An dieser Stelle sei noch einmal auf die beiden wichtigsten Standardwerke verwiesen: Louis CARDAILLAC, Moriscos y cristianos und Felipe PEREDA, Las imágenes de la discordia.

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ben sollte, nicht mehr als eine Person sei. Und obwohl sie die ganze Allerheiligste Dreifaltigkeit an vielen Stellen geschrieben und vorgebildet hatten, verstanden und erklärten sie sie nicht so, wie sie war und wie sie sein sollte; sondern sie deuteten und sagten alles verkehrtherum und entgegengesetzt (Sermón 3, 300).

Wieder stand die irrtümliche Auslegung zwischen der jüdischen Gruppe und dem wesentlichen Wahrheitskern der vorbehaltlos in den christlichen Glauben integrierten alttestamentlichen Schriften. Der Name Jesu, der in der oben kommentierten Szene den Spott des zelebrierenden Rabbiners hervorrief, ist das dritte Beispiel, das ihr Argumente für den Irrtum der Juden lieferte. Die fünf Buchstaben des Namens Jesu seien in das Gesetz der Juden hineingeschrieben gewesen, und außer diesen Buchstaben hätten sie zudem Worte gehabt, die besagten: „Bis dieser Name vom Himmel kommt und diese Buchstaben erfüllt sind, wird niemand das Königszepter und die Krone ergreifen und besitzen.“ Und obwohl der Erlöser gekommen sei und sie ihn gesehen hätten und mit ihm zusammen gewesen seien, hätten sie weder verstanden noch erkannt, dass sich die Verheißung erfüllt hatte. So verhärtet seien sie gewesen und sind noch heutzutage einige der selbigen Juden, dass sie sagen und behaupten, jene Buchstaben hätten sich niemals erfüllt und jener Name sei niemals vom Himmel gekommen. Und sie warten noch immer darauf, dass der Messias kommen soll, und glauben, dass er nicht gekommen ist, und sündigen schwer und beleidigen Gott selbst (Sermón 3, 300).

So brachte sie die Gegensätzlichkeit der jüdischen und der christlichen Messiasvorstellungen zum Ausdruck. Auf dieser Grundlage von der Hinfälligkeit des alten Gesetzes und der irrigen Auslegung der Juden basierte das Argument vom größeren Verdienst der Taufe. Um die Menschheit zu retten, habe Christus die Taufe und den Dreifaltigkeitsglauben angeordnet. Wie an vielen anderen Stellen und in anderen Predigten des Conorte wurde auch hier ganz deutlich, wie tief die Welt von Juanas Offenbarungen – deren sorgfältig ziselierte Worte „erleuchten, belehren und ermahnen“ sollen26 ‒ in den Fragestellungen ihrer Zeit verwurzelt war, im Dialog mit ihnen stand und Antworten zu geben versuchte. In der Predigt von der Beschneidung hallten die polemischsten Themen aus dem Spannungsfeld von Konversion und Postkonversion wider, die die Krise des interreligiösen Zusammenlebens im Kastilien des beginnenden 16. Jahrhunderts befeuerten. Die Beschneidung hatte sich in der christlichen Tradition schon früh als machtvolles Sinnbild der unterschiedlichen Rituale und Identitäten von Juden und Christen etabliert. Als Ritus, der den Pakt der männlichen Juden mit ihrem Gott besiegelte,27 erhielt sie

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Ángela MUÑOZ, „Amonestando, alumbrando y enseñando: Catolicidad e imaginarios del Purgatorio en la Castilla bajomedieval“, La Corónica: A Journal of Medieval Hispanic Languages, Literatures & Cultures, 41 (2012): 181‒206. Vgl. z. B. (die Arbeiten zu diesem Thema sind sehr zahlreich) Honora HOWELL CHAPMAN, „Pablo, Josefo y la política nacionalista de la circuncisión forzosa en el Reino de Judea“, Ilu.

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bereits seit der Antike eine stark politische und sogar territoriale Prägung, deren Nachhall in den paulinischen Schriften deutlich zu hören ist. Unsere Autorin sah das Offensichtliche: den Ausschluss der Frauen von einem Ritus, der an den männlichen Geschlechtsorganen vollzogen wurde.28 Und sie würdigte die Vorteile der Taufe, die durch das einzig wahre und immerwährende Gesetz der Gnade eingesetzt worden war: als ein Ritus, der alle einschloss und unmissverständlich auf den göttlichen Plan von der Gleichstellung der Geschlechter hinwies. Die „gewissen und wahren“ Worte des Evangeliums: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16), dienten unserer Autorin als Beweis dafür, dass die Taufe viel mehr Kraft, Verdienst und Gnade in sich barg als die Beschneidung. Wie im narrativen System des Conorte üblich, lag das Gewicht der Beweisführung nicht auf doktrinellen Abhandlungen, sondern auf der „Figura“ oder Darstellung, die „die göttliche Majestät in ihrem heiligen Reich“ präsentierte. In diesem Fall gründete sich besagte „Figura“ auf ein solides Netz aus inneren Analogien, die die Kindheit ins Zentrum stellten: Jene Lebensphase also, in der „seine göttliche Majestät“ sich im Moment der Beschneidung befand und in der auch die Menschen in den christlichen Gesellschaften gemeinhin getauft wurden. In dieser Figura wurden das Männliche und das Weibliche mithilfe eines Verfahrens lexikalisch auseinandergelegt, das, wie wir zeigen konnten, an verschiedenen Stellen der von uns untersuchten Handschrift wiederkehrt.29 Juana begann mit der allgemeinen Formel „alle Menschen“ und ging dann zu einer Wortwahl über, die sich ausdrücklich auf die männlichen und die weiblichen Vertreter des zuvor gewählten, gemeinsamen Substantivs bezieht („Männer und Frauen“, „Mädchen und Jungen“). Aus der wiederholten Anwendung dieses Verfahrens dürfen wir schlussfolgern, dass der Diskurs der Juana de la Cruz von ihrem Interesse bestimmt war, die menschliche Geschlechtlichkeit mit unterschiedlichen lexikalischen Mitteln als einen Bereich zum Ausdruck zu bringen, der soziale und symbolische Realitäten schuf ‒ Realitäten, die sie beim Namen nennen und sichtbar machen wollte, weil den Frauen dadurch Präsenz und Anerkennung zuteilwurde. Die poetische, narrative und theatralische Vorstellungsgabe der Tertiarierin aus Cubas stellt uns ein neues Szenario vor Augen, in dem plötzlich („a deshora“) eine

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Revista de ciencias de las religiones 11 (2006): 131‒155; Adrián HERBST, „Bautismo y circuncisión judía: Nueva luz desde un análisis de Éxodo 4,24‒26“, Revista bíblica 3/4 (2004): 157‒172. Elena ROMERO CASTELLÓ, El libro del buen retajar: textos judeoespañoles de circuncisión (Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1998); José Manuel PEDROSA BARTOLOMÉ, „Mitos y ritos de la circuncisión: antropología, literatura, teorías culturales“, in El judaísmo, uno y diverso (hg. v. Ricardo Izquierdo Benito und Uriel Macías; Cuenca: Ediciones de la Universidad de Castilla-La Mancha, 2005), 31‒69. Ángela MUÑOZ FERNÁNDEZ, „Del masculino genérico al desdoblamiento de voces: Estrategias léxicas en el Conorte de Juana de la Cruz (1481‒1534)“, in Impulsando la historia desde la historia de las mujeres: la estela de Cristina Segura (hg. v. Pilar Díaz Sánchez, Gloria Franco Rubio und María Jesús Fuente Pérez; Huelva: Universidad de Huelva, 2012), 259‒ 268.

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Menge von Völkern erscheint, „mehr als das Vieltausendfache der Welt; und alle Menschen, die hier erschienen, waren zu neugeborenen Jungen und Mädchen geworden“. Die Jungen waren nackt und wurden jeweils von drei Personen an Armen, Füßen und Rumpf festgehalten. Neben ihnen stand der Rabbi, der „sie beschneiden wollte“. Die Szene wurde brüsk unterbrochen, da in diesem Augenblick der Erlöser erschien. Er war von Engeln umgeben und sah aus wie ein junger, hübscher, gutaussehender „Bursche“ („mancebo“) von 27 Jahren. Mit seiner mächtigen Hand ergriff er jeden der Rabbiner und rief dabei aus: „Geht fort von hier, beschneidet diesen Knaben nicht, denn ich bringe hier ein anderes, heilsameres und leichteres Mittel“ (Sermón 3, 302). Nachdem die Rabbiner und ihre Begleiter vertrieben worden waren, nahm er gleich darauf jeden der Knaben und taufte ihn in Begleitung seiner Engel in einem Ritual, das Anklänge an die Passion enthielt. Die Jungen, so erklärte Juana, die auf diese Weise zu Christen geworden waren, strahlten nun weißer und heller als Kristall. Doch die Rabbiner gaben nicht auf, sie wehrten sich gegen den Herrn, und in vielen Fällen gelang es ihnen, vorzustürzen und einige der Knaben zu beschneiden. An diesen wurde, da sie nun beschnitten waren, ein Exempel statuiert: Erbarmungslos wurden sie in ein tiefes Tal verstoßen. Bis zu diesem Punkt war nur von Knaben die Rede. Doch erinnern wir uns: Die Figura hatte mit dem Bild einer Menge von Völkern begonnen, die zu „Jungen und Mädchen“ geworden waren. Die nun folgende Szene belegte, dass dieser Hinweis weder zufällig noch beliebig war. Dieses Mal wendete sich der Herr den Mädchen zu, und damit begann eine der egalitärsten Szenen im gesamten Conorte. Juana beschrieb das Geschehen wie folgt: Alle Mädchen, die dort waren, nahm er selbst an sich und taufte sie und setzte sie auf die Wiese der Muße. Das bedeutet, dass der Herr allen Frauen in der heiligen Taufe dieselben Segnungen und die Gleichheit mit den Männern gegeben hat. Als noch beschnitten wurde, wurden ihnen diese Segnungen nicht zuteil, sondern nur den Männern. (Sermón 3, 302). Und danach wurden die getauften Knaben an einen Platz des Spiels und der Wonne und die Beschnittenen an einen anderen Platz der Bitternis und des Schmerzes geschickt; plötzlich erschienen in jenem so tiefen und traurigen und gottfernen Tal alle Knaben, die an jenen Teilen und Gliedern bluteten, wo sie beschnitten worden waren. Und ebenso erschienen dann unter jenen Knaben, die bluteten, eine Vielzahl von Mädchen, die nackt und bloß waren wie die Knaben und bluteten wie eine Frau, wenn ihre Zeit gekommen ist. Und diese Jungen und Mädchen waren alle an den schamhaften Teilen verletzt, was bedeutet, dass die Juden und die Mauren diese Absicht und diesen Zweck verfolgen, dass, wenn alle Frauen, die unter ihnen geboren werden, Männer wären, sie sie alle beschneiden würden (Sermón 3, 303).

Diese Parallele oder Analogie zwischen den beschnittenen Jungen, die an ihren Geschlechtsteilen bluten, und den maurischen oder jüdischen Frauen, die menstruieren, ist rätselhaft. Die einen wie die anderen trugen mit ihrem vergossenen Blut – einem verunreinigenden Element, das nicht durch den Balsam der Taufe geläutert worden ist ‒ zum

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diskreditierenden Bild der jüdischen und muslimischen Bevölkerung bei, deren männliche Mitglieder in beiden Fällen dieses Ritual leiteten.30 Die in diesem Argumentationskontext getroffene Aussage, „dass der Herr allen Frauen in der heiligen Taufe dieselben Segnungen und die Gleichheit mit den Männern gegeben hat“, führt uns zu dem, was Juana de la Cruz als wesentliches Element des christlichen Glaubens betrachtete: der Möglichkeit, die Frauen als rechtmäßigen Bestandteil des Gottesvolks zu betrachten. Im Zusammenhang mit der Würdigung der Vorzüge der Taufe wurde auch die Verantwortung der Patenschaft hervorgehoben. Genau wie die Eltern und Taufpaten, die ihre heilige Pflicht erfüllten und vor Gott große Verdienste erwarben, weil das getaufte Kind, wenn es starb, in den Himmel kam, waren diejenigen, die als Paten am Ritus der Beschneidung beteiligt waren, auch verantwortlich für die Sünde, in die der Beschnittene geriet. Dafür wurden sie auf ewig verdammt.31 Als diese sich zu verteidigen suchten und sagten, dass ja die Eltern die Beschneidung angeordnet hätten, erhielten sie die bündige Antwort, dies sei keine gute Entschuldigung, denn „ich habe euch das Alter und das Licht gegeben, damit ihr, seit ihr erwachsene und große Männer und Frauen seid, das Böse beiseitelassen und das Gute ergreifen könnt“. Gleich darauf folgte eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. Außerhalb der Taufe gab es keine Erlösung. Im Anschluss wurden verschiedene Szenen aneinandergereiht, in denen sich die Liebe des Herrn zu den Kindern ausdrückt. Zuerst wurde er selbst ein Kind; er spielte mit den anderen Kindern, küsste und umarmte sie und flüsterte ihnen ins Ohr, und sie alle beteten ihn an und dankten ihm: Oh schöner Gott, wie schön hast du mit deiner heiligen Taufe die Seelen gemacht. Oh großer Gott, wie groß hast du uns gemacht, indem du kleines Kind wurdest (Sermón 3, 305).

Dann wurde die Szene wiederholt; diesmal aber spielte der Herr mit Mädchen, denen er dieselbe rituelle Erwiderung zuteilwerden ließ wie den Knaben („Und ebenso ging er zu jedem der Mädchen und spielte mit ihnen und küsste und umarmte sie und flüsterte ihnen ins Ohr“). Und als wäre dieser Beweis der Gleichstellung noch nicht deutlich genug, legte unsere Visionärin dem Herrn die folgende, zwingende Erklärung in den Mund: Meint ihr nicht, Mädchen, dass ich euch ein guter Gott und guter Herr gewesen bin, da ich euch so viel Gutes und solche Gunst erwiesen habe, dass ich euch den Knaben gleichgestellt und aller Segnungen teilhaftig gemacht habe, die ihnen gegeben werden? Und da ich 30

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María Desamparados MARTÍNEZ SAN PEDRO, „La práctica de la circuncisión, un ‘pecado’ morisco“, in Actas del VII Simposio Internacional de Mudejarismo (Teruel: Instituto de Estudios Turolenses, 1999), 467‒475; DIES., „Los moriscos: entre el bautismo y la circuncisión“ in Religión y cultura, Bd. 1 (hg. v. Salvador Rodríguez Becerra; Junta de Andalucía/Fundación Antonio Machado, 1999), 671‒678. „Und um dies deutlich zu machen, verstieß der Erlöser an diesem heiligen Tag seiner Beschneidung in jenem so bitteren und traurigen Tal nicht nur die beschnittenen kleinen Jungen, sondern alle, die sie beschnitten. Denn in jener Stunde erschienen auch alle Beschnittenen, Männer und Frauen, und sie waren nackt und bluteten an ihren schamhaften Gliedern, und sie waren Kinder geworden“ (Sermón 3, 304).

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euch die sehr große Ehre erwiesen habe, nur von einer Frau geboren werden und Fleisch annehmen zu wollen, und zu wollen, dass die Frau mich, den allmächtigen Gott, ganz umfing, und nur von einer Frau genährt und gestillt und in meiner Kindheit umsorgt werden zu wollen; und da es nach mir, der ich Gott bin, nichts Erhabeneres gibt als die Frau, die meine Mutter, die heilige Maria ist, wert und würdig jeder Ehre und jedes Ruhms, der ihr erwiesen worden ist? Und daran könnt ihr erkennen, welche Liebe ich zu den Frauen hege (Sermón 3, 305).

Nachdem der Herr den Erlösungswert der Taufe und des Blutes Christi erklärt hatte, beteten ihn die Mädchen, auf dem Boden hingestreckt, an und dankten ihm und ließen in ihrem Lobpreis das Echo seiner Worte widerhallen: Herr, unser Gott! Wir loben dich und wir beten dich an und wir preisen dich, weil du uns so gesegnet und gewürdigt und geliebt und den Männern gleichgestellt hast, da es dir gefallen hat, Mensch/Mann zu werden (Sermón 3, 305).

Damit verkündete die Stimme des Herrn in der Predigt von der Beschneidung insgesamt dreimal die Gleichstellung von Frauen und Männern. Jedes dieser drei Male war im autorisierten Raum der himmlischen Darstellungen verortet, die, Juana zufolge, von Gott selbst geschildert wurden, um die Menschen zu belehren, zu erleuchten und zu ermahnen. Eine solche Nachdrücklichkeit konnte nicht ohne Bedeutung sein. An der zuletzt erwähnten dritten Stelle jedoch mündete der egalitäre Kommentar direkt in die Formel „da es dir gefallen hat, Mensch/Mann zu werden“, eine in der religiösen Kultur des Spätmittelalters bekannte und beliebte, hier jedoch auffällig ambivalente Floskel. Ambivalent genug jedenfalls, um der Ironie Raum zu geben, denn man könnte sich fragen, ob mit der Aneinanderreihung der Formeln „weil du uns so gesegnet und gewürdigt und geliebt und den Männern gleichgestellt hast, da es dir gefallen hat, Mensch/Mann zu werden“ nicht vielleicht der Schaden wiedergutgemacht werden sollte, dass das Göttliche in einem männlichen Körper Fleisch angenommen hat – eine Realität, die Juana übrigens auch durch weibliche Christusbilder und durch eine feierliche Prozession von Analogien zu überwinden suchte, anhand deren sie in ihrer Predigt über die Schöpfung Adam und die Männer mit dem Vater, Eva und die Frauen aber mit dem Sohn Christus verglich.32 Die Nähe und Gunst, das Vertrauen und die Zuneigung des Herrn zu den Frauen waren nur einige der Zeichen, die Juana im Conorte immer wieder setzte, um das Weibliche zu rehabilitieren. Ihre ausdrucksvollsten Gestaltungen kreisten um Maria, die Mutter Jesu, um Anna, seine Großmutter, oder auch um Maria Magdalena, der das Osterprivileg zuteilwurde33 ‒ allesamt Frauen, die in der Erzählung seines Lebens, Leidens und Sterbens eine Rolle spielten. Das Liebesband zwischen ihm und ihnen schien stark genug, um alle Frauen zu rehabilitieren. Doch im Conorte wollte Gott von der Einzigartigkeit 32 33

Vgl. das Kapitel „The Beard and the Apple“, in Ronald E. SURTZ, The Guitar of God, 25f. Ángela MUÑOZ FERNÁNDEZ, „La reescritura femenina de los símbolos religiosos: Santa Ana en autoras hispanas de los siglos XV al XVII“, in: Autoras y protagonistas: Primer encuentro entre el Instituto Universitario de Estudios de la Mujer y la New York University en Madrid (Madrid: Ediciones de la Universidad Autónoma de Madrid, 2000), 137‒154.

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seines Lebens und von der Einmaligkeit der Frauen seines Umfelds in den Bereich des alltäglichen Daseins hinabsteigen. So erklärte sich diese liebevolle, an „alle“ Frauen gerichtete Gleichsetzung in der Predigt von der Beschneidung, die es Evas Nachfahrinnen erlaubte, aus eigenem Recht „Volk Gottes“ zu sein. Die Tupfer und Pinselstriche, die wir sichtbar gemacht haben, erlauben es uns, nach und nach die Linienführung des kompletten Gemäldes zu rekonstruieren. Die ausgleichenden Botschaften des Herrn – ob man sie nun aus seinen Bekundungen der Zuneigung und Liebe zu den Frauen oder aus der rituellen Gleichbehandlung herausliest ‒ fügten sich in ein Gefüge aus Bildern und Situationen ein, die dem Neuen und dem Alten besondere Bedeutung beimaßen. Die Auseinandersetzung zwischen Neu und Alt, die zuvor zwischen den Alten und den Neuen Schriften, den alttestamentlichen Patriarchen und dem Neuen Testament, dem Alten Gesetz und dem Neuen Gesetz der Gnade ausgetragen worden war, verlagerte sich nun auf das Feld der als gemeinschaftlich-inklusiver Ritus verstandenen Taufe, und auf diesem Feld ließ Juana ein ganzes Aufgebot an Neuheiten aufmarschieren. Das folgende Wortspiel scheint uns in dieser Hinsicht aufschlussreich: Oh neuer Gott und neues Gesetz, Neues hast du auf Erden angeordnet! Neues Kind, neuer Mensch, alle hast du neu gemacht! Neuer König, neuer Bruder, uns alle hast du zu unschuldigen und reinen und sündenfreien Kindern gemacht! Heiliger Gott, starker Gott, alter Gott, uns alle hast du heilig und stark gemacht; und alle wurden wir gebadet und gewaschen in deinem Blut, mit dem uns das ganze Alter unserer Sünde verlässt (Sermón 6, 304).34

Diese Neuheit und Erneuerung manifestierte sich auch im christlichen Kalender, denn, so Juana, der Heilige Geist selbst hatte angeordnet, dass das christliche Jahr am Tag der Beschneidung beginnen und dieser Tag Neujahr genannt werden solle, wegen des neuen Gottes, der damals neu geboren und auf Erden erschienen und neu beschnitten worden war, um das alte Gesetz der Beschneidung neu zu vollenden und das neue Gesetz der Gnade und die neue und heilige Taufe zu beginnen (Sermón 6, 304).

Die Predigt von der Beschneidung wurde so zum Vehikel für verschiedene Ausdrucksformen des „Neuen“: Der neue Mensch, das neue Gesetz, die neue Ordnung des Kirchenvolks, ja sogar das zeitliche Zeichen des neuen Jahrs fanden hier ihre Erklärung. Und in diesen Rahmen der Neuheit fügte sich die neueste der Neuheiten auf subtile Weise ein: der egalitäre Vektor der Geschlechter, ein neuer Grund, weshalb sich der christliche Glaube als dem jüdischen überlegen erweist. Eine weitere gute Gelegenheit, vor dem Hintergrund eines durch die Stimme des Herrn autorisierten schriftstellerischen Schaffens ein egalitäres Geschlechtermodell zu 34

Erinnern wir uns, dass der menschgewordene Sohn vom Herrn als „neuer Mensch und neues Gesetz und neue Schöpfung auf Erden“ gepriesen worden war. Einige Zeilen weiter wird dies noch einmal aufgegriffen: „Und da du, mein Sohn, neu bist als Mensch, mache ein neues Gesetz und Neues auf Erden“ (296). „Am ersten Tag des Monats Januar begann er Blut zu vergießen, um uns zu erlösen. Denn an diesem Tag begann der neue König sein ruhmreiches Blut zu vergießen, mit dem er uns alle neu machte“ (307).

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entwerfen, ergab sich in der letzten Predigt des Weihnachtszyklus (Nr. 6), die der Flucht nach Ägypten gewidmet war. Wir stellen sie ans Ende des vorliegenden Beitrags, weil sie zum erzählerischen Zyklus des Weihnachtsfests gehörte und ebenfalls mit der Kindheit zusammenhing. Narrativer Bezugspunkt war die Tötung der unschuldigen Kinder. Die Episode erinnerte an den selektiven Kindermord, den der Pharao nach der Geburt des Mose befahl, und machte die auf Befehl des Herodes ermordeten Knaben zu Opfern und mit Christus vergleichbaren Leidensgestalten. Die Assoziation war unmissverständlich; auf die Frage des Herrn: Nun sage mir, Knabe, wo hast du dein Blut vergossen oder welches Martyrium hast du aus Liebe zu mir erlitten?

antwortete der Knabe: Herr, in den Armen meiner Mutter, denn sie ließ mich nicht los, dort, an ihren Brüsten, töteten sie mich und verwundeten meinen Leib mit vielen Hieben, und auch sie war voller Blut (Sermón 6, 401).

Auf dem Fest, das zu Ehren der ungeborenen Kinder im Himmel gefeiert wird, liess Christus alle zusammenrufen,35 die an jenem Tag aus Liebe zu ihm ihr Blut vergossen hatten. Die Feier gab ihm Gelegenheit, mit jedem der zusammengerufenen Knaben zu sprechen und sie zu fragen, wo oder wie sie aus Liebe zu ihm ihr Blut vergossen haben. Die verdienstvollen Leiden Christi und der unschuldigen Kinder wurden explizit miteinander verglichen: „Auch mich haben sie wegen meiner Liebe zu dir gegeißelt und gequält und verwundet“, antwortet ihnen Christus. Wie sie hat er seine Mutter und auch seine Tanten und Verwandten und Freunde und die Gassen und Wege mit seinem Blut benetzt. Wie sie hat er seine Lebensjahre und die Brüste seiner Mutter, „die besser war als eure“, zurückgelassen. Indem er sie „meine Gefährten“ nennt, vergleicht Christus die auf Befehl des Herodes getöteten Knaben mit sich selbst (Sermón 6, 401). In diese Szenen der Freude und der Festlichkeiten im Himmel, an denen Christus, der ebenfalls Kind wurde, und die unschuldigen Knaben – allesamt eindeutig männlich: „die wunderbaren Kinder, Knaben mit einem großen Herzen und noch größerem Willen“ ‒ teilnahmen, führte Juana nun die Anwesenheit der Mädchen ein. In den Überlieferungen, die von der Ermordung der unschuldigen Kinder erzählten, wurden sie nicht erwähnt, doch dort, bei der Feier, das versicherte die Stimme des Herrn, seien Mädchen dabei gewesen, wenngleich es nur wenige waren. Auch sie waren dem Mord an den unschuldigen Kindern zum Opfer gefallen, denn sie waren wie Knaben gekleidet und wurden für solche gehalten. Die Mädchen sagten zum Erlöser: Unser Herr, wende dich uns zu, die wir wegen unserer Liebe zu dir getötet wurden, weil sie dachten, wir seien Knaben; da sie in ihrer großen Wut, dich zu finden, um dich zu töten, nicht darauf achteten, ob wir Männer oder Frauen waren, und uns einfach nur aus den Armen unserer Mütter rissen und uns töteten und uns mit sehr großer Grausamkeit in Stücke hackten. (Sermón 6, 401). 35

Zu Bedeutung und Funktion dieses Llamamiento vgl. Ángela MUÑOZ FERNÁNDEZ, „Del masculino genérico“.

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Und der Herr sprach sehr gütig und liebevoll zu ihnen und sagt: Freut euch und jubelt mit mir, meine Schwestern, denn so, wie ihr für mich gestorben seid, bin auch ich für euch gestorben, und ich liebe euch sehr und bin euch zugetan. Und auch ich bin ein Mädchen wie ihr, denn ich bin der Sohn einer Frau (Sermón 6, 401).

Hier haben wir sie: die Anerkennung des mütterlichen Erbes, die Anerkennung des weiblichen Prinzips, das im Leib Christi am Werk ist, jene Wesensverschmelzung, die Juana in der Predigt von der Unbefleckten Empfängnis ausrufen lässt: „Es darf Gott genannt werden, von wem Gott Fleisch angenommen hat.“ Maria wird Gott und Christus wird Frau. Durch ihre Auseinandersetzung mit der strukturellen Basis des katholischen Glaubens, dessen kirchliche Gemeinschaft über den inklusiven Ritus der Taufe definiert wurde, war diese Predigt mit den darin enthaltenen Aussagen ein wichtiger Ort im gedanklichen Universum unserer Autorin, weil sie grundlegende Voraussetzungen für jene feminine/feministische Umdeutung schuf, durch die unsere Autorin den sich herausbildenden Katholizismus der spanischen Monarchie mitgeprägt hatte.

Bibel und Theater. Das Beispiel der Margarete von Navarra Violaine Giacomotto-Charra Universität Bordeaux 3 Margarete von Navarra, die Schwester von Franz I., war eine der wichtigsten, oder sogar die wichtigste Figur in der Geschichte der Bibelrezeption von Frauen während der französischen Renaissance. Ihr Leben und ihre zahlreichen Werke waren bekanntlich tief von ihrer Bibellektüre, ihrer Meditation über die Heilige Schrift sowie vom intellektuellen und religiösen Kontext der Zeit vor der Reform geprägt. Am originellsten zeigen sich ihr religiöses Gedankengut und ihre enge Beziehung zur Bibel in ihrem Theater und damit in dem Teil ihres Werkes, das bisher am wenigsten untersucht worden ist. Eine Analyse dieses Theaters ist also hochinteressant, wenn man die Bibelkenntnis und -interpretation der Königin von Navarra genauer verstehen will. Betrachten wir als erstes den Aufbau ihres dramatischen Werkes. Die elf pièces werden traditionell in vier direkt von den Evangelien inspirierte1 biblische Komödien und sieben weltliche Komödien aufgeteilt. Verdun-Louis Saulnier hat in seiner Edition2 vorgeschlagen, die letzteren in „trois pièces de satire religieuse“ (Le Mallade, L’Inquisiteur e Trop, Prou, Peu, Moins), „deux divertissements mondains“ (Comedie des quatre femmes und Comedie du parfait amant) und zwei „méditations lyriques“ (Comédie sur le Trespas du Roy und Comédie jouée au Mont-de-Marsan) zu gliedern. Diese Aufteilung hat sicherlich den Vorteil, dass sie die Unterschiedlichkeit der behandelten Themen erkennen lässt. Aber sie führt auch zu einer stark fragmentierten Betrachtung von Margaretes Werk, die nicht der Realität entspricht, da Religion als Grundthematik auch in den hier als weltlich gekennzeichneten Theaterstücken zeitgemäß eine große Präsenz besaß. Aus diesem Grund hat es Anne Armand in ihrer Abschlussarbeit3 vorgezogen, die Kontinuität der religiösen Thematik unter diversen Aspekten in den Vordergrund zu stellen: Sie kommt zu dem Schluss, dass die Comedie jouée au Mont-de-Marsan das Verbindungsglied zwischen den rein religionssatirischen und den weltlichen pièces darstellte, mit einem Vorbehalt: die Comedie du parfait amant sei ein reines Gelegenheitswerk, weniger reich und interessant als die anderen, und passe sich nicht ganz in deren sehr dichtes Bedeutungsgeflecht ein. Die Autorin stellt auch die Comedie sur le Trespas du Roy beiseite, die das einzige Beispiel des „lyrisme religieux“ geblieben sei. Dies entsprach aus ihrer Perspektive auch dem besonderen Kontext, in dem sie geschrieben wurde (dem Tod von Franz I.). Viele unterschiedliche Aspekte kreisen hier um das zentrale und kontinuierliche Motiv der Religion: Das lässt die besondere Bedeutung dieser Theaterstücke erkennen, deren Entstehung sehr klar an den religiösen und intellektuellen Meilensteinen im Leben Margaretes orientiert ist. Ein Blick auf die Daten zeigt, dass die Königin nie aufhörte, 1 2 3

Marguerite de NAVARRE, Comédies bibliques (hg. v. Barbara Marczuk Saulnier; Genf: Droz, 2000). Marguerite de NAVARRE, Théâtre profane (hg. v. V.-L. Saulnier; Genf: Droz, 1963). Anne ARMAND, Les teste du conflit dans le théâtre de Marguerite Navarre (maschinengeschriebener Aufsatz der Universität Paris X – Nanterre, 1985).

Bibel und Theater. Das Beispiel der Margarete von Navarra

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diese kleinen pièces zu verfassen, und gerade deswegen bilden diese den Rhythmus ihres fortschreitenden spirituellen Reifungsprozesses ab. Das Genre des Theaters bot Margarete außerdem eine einzigartige Gelegenheit, ihren Ideen Gestalt zu verleihen und ihre eigene Interpretation der Bibel und besonders der Evangelien zu verbreiten. Hier konnte sie das Wort Gottes zu Fleisch werden lassen, ihm buchstäblich einen Körper geben. Noch mehr als Margaretes sakrale Dichtung ist ihr Theater der direkte Ausdruck eines Genres, deren explizites Ziel es ist, die „toten Wörter“ in „lebendige Worte“ zu verwandeln.

1. Margarete und die Bibel: Elemente einer Geschichte 1.1 Die Entstehung von Margaretes Bibelkenntnis Die Art und Weise, wie Margarete ihre so innige Bibelkenntnis erwerben konnte, ist relativ gut bekannt.4 Man weiß, dass sie gemeinsam mit ihrem Bruder Franz eine sehr gute Schulbildung erhielt, doch eine wirklich tiefgehende Kenntnis der heiligen Schrift erlangte sie wahrscheinlich erst etwas später. Ihre Zeitgenossen betonten stets mit Wohlwollen ihren herausragenden spirituellen Eifer.5 Die einschlägigen Biographien weisen ferner darauf hin,6 dass dieser Eifer seinen Ursprung oder vielmehr seine Wurzeln7 in einer spirituellen Krise hatte, die Margarete von Navarra im Herbst 1520 widerfuhr.8 Infolgedessen begann sie (ab Mai 1521) eine Korrespondenz mit Guillaume Briçonnet, dem damaligen Bischof von Meaux. Dort hatte Briçonnet das geschaffen, was später das berühmte „Cénacle de Meaux“ werden sollte. Neben seinem Mentor, dem Bischof Jacques Lefèvre d’Etables, den Briçonnet zum Großvikar ernannte, nahmen daran Pierre Caroli, Guillaume Farel, François Vatable und Michel d’Arande teil. Letzteren schickte Briçonnet auf Margaretes Bitte zur Königin (er ist Sébivilles „maistre Michel“). So nährte der Evangelismus von Meaux die wahrhaftige spirituelle Ausbildung Margaretes durch einen vierjährigen Briefwechsel (1521–1524).9 Von Anfang an steht die Korres4

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Barbara MARCZUK-SZWED, L’Inspiration biblique dans l’oeuvre de Marguerite de Navarre: Poésie-théâtre (Kraków: Towarzystwo Autorów i Wydawców Prac Naukowych „Universitas“, 1992). Brief von Pierre de Sébiville an Anemon de Coct, Dezember 1524, in EBD, 9. Man beachte die unentbehrlichen Werke von Pierre JOURDA, Marguerite d’Angoulême, duchesse d’Alençon, reine de Navarre (Paris: Champion, 1930, Nachdruck Turin: Bottega d’Erasmo, 1968), die mittlerweilte überholte Arbeit von Jean-Luc DÉJEAN, Marguerite de Navarre (Paris: Fayard, 1987), und das neuere Werk von Patricia F. CHOLAKIAN, Marguerite de Navarre: mother of the Renaissance (New York: Columbia University Press, 2006). Margaretes Religiosität war offensichtlich noch älteren Ursprungs, und ihr Interesse an Briçonnet begann einige Jahre zuvor: „Als François im Januar 1515 zum König von Frankreich gekrönt wurde, hatte die junge Herzogin von Alençon – selbst sehr interessiert an einer Kirchenreform – offensichtlich bereits von dem progressiven Bischof gehört und hatte vielleicht sogar bereits die Gelegenheit gehabt, ihn zu treffen. Es erscheint durchaus möglich, dass sie ihren Bruder ermutigte, ihn 1515 zum Bischof von Meaux zu ernennen.“ (EBD, 67). DÉJEAN, Marguerite, 66. EBD., 76. Die aktuellen Biographien betonen die herausragende Bedeutung dieser Beziehung, vgl. CHOLOKIAN, Marguerite, 67.

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pondenz mit Briçonnet gleich zweifach im Zeichen der Bibel. Inhaltlich bittet Margarete ihn darum, ihr beizubringen, wie man laut der evangelischen Doktrin die Bibel lesen sollte. Formell sind ihre Briefe ganz klar von einer Fülle an Bibelverweisen gekennzeichnet. Diese bestehen in häufigen Zitaten (auf Latein oder Französisch), Anspielungen auf Formeln oder Inhalte des Bibeltextes in Form von absichtlichen Imitationen oder vermutlich unbewussten Kontaminationen. B. Marczuk-Szwed gelangt bei ihrer detaillierten Analyse dieser unterschiedlichen Phänomene im zweiten Kapitel ihres Werkes zu diesem erhellenden Schluss: Margarete bedient sich der biblischen Sätze also spontan, um ihre eigenen, auf biblischen Wurzeln beruhenden Gedanken auszudrücken. Die Bibel hilft und fokussiert Margaretes Ausdruck, die Formulierungen und die Ideen bedingen sich wechselseitig.10

Margarete hat sich die Bibel also vor allem durch persönliche und ausdauernde Lektüre zu eigen gemacht, wovon ihre spontane Bibelkenntnis zeugt, aber auch durch die Meditation über die von Briçonnet erhaltenen Ratschläge, Regeln, Hinweise und Erklärungen, wie ihr Brief von 1523 zeigt.11 Wahrscheinlich verdankte Margarete ihre Bibelkenntnisse auch der konstanten Teilnahme an Gottesdiensten, ihrer Vertrautheit mit der Liturgie und den zugehörigen Lesungen, die es ihr erlaubten, den Text als Ganzes wahrzunehmen. Diesen Einfluss, der eigentlich ganz logisch erscheint, wollte Margarete – und das ist das Interessanteste – jedoch herabmindern, wenn nicht sogar verschweigen, um ihre persönliche Praxis stärker hervorzuheben.12 Margaretes Korrespondenz mit dem Bischof erscheint so als spirituelles Grundraster ihres Gedankens, aber auch als eine der thematischen und stilistischen Grundlagen ihres zukünftigen literarischen Werkes. Ihre ersten Texte weisen diese Prägung ganz evident auf: Dialogue en forme de vision nocturne (1524), Petit œuvre devot et contemplatif (ca. 1530), Miroir de l’âme pécheresse, Discord estant en l’homme par contrarieté entre l’esprit et la chair, Oraison à notre seigneur Jesuchrist (beide entstanden zwischen 1527 und 1531), oder auch das spätere Werk Triomphe de l’Agneau (1540), tragen Titel, die keine Zweifel über ihre eigene Schwerpunktsetzung aufkommen lassen. 1.2 Die Präsenz der Bibel in Margaretes Werken In Meaux und im Briefwechsel zwischen der Königin und ihrem Bischof zeigen sich die Grundmerkmale der unterschiedlichen europäischen Evangelismen, die sich als wiederkehrende Themen in Margaretes Werken wiederfinden. Eine konstante Lektüre der Heiligen Schrift, die durch die Arbeit von humanistischen Philologen zu ihrer ursprünglichen Wahrheit zurückgefunden hatte, der Wille zur Verbreitung eines von Glossen befreiten Evangeliums, ferner freier Zugang zu heiligen Büchern, persönliche Andacht mit dem Wort Gottes sowie die Suche nach spirituellem Sinn: Dies sind einige der Aspekte, die für das Abendmahl von Meaux und für Margarete die richtige Beziehung zwischen 10 11 12

Siehe MARCZUK-SZWED, L’inspiration, Kap. II, „La Bible – Nourriture de l’écrivain“, 45– 67. Marguerite de NAVARRE, Correspondance avec Guillaume Briçonnet (1521–1524), Bd. II (hg. v. Ch. Martineau, M. Veissière und H. Geller; Genf: Droz, 1975–1978),10. Zu diesem wichtigen Aspekt siehe MARCZUK-SZWED, L’inspiration, 53.

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dem Gläubigen und der Bibel definieren.13 Besonders hervorzuheben ist die exegetische Dimension aller Briefe von Briçonnet an Margarete: Sie sind dazu gedacht, die Leserin in die spirituelle Bibellektüre einzuführen.14 In ihrem Aufsatz hat Barbara Marczuk-Szwed systematisch und präzise die biblischen Elemente herausgearbeitet und klassifiziert, die in Margaretes Werk auftreten, und versucht, ihre Funktion zu bestimmen. Die Wissenschaftlerin unterstreicht vor allem die Bedeutung der allgemeinen Idee, dass die Bibel als eine wahrhaftige „Nahrung“ angesehen werden solle, und zwar nicht nur für den Gläubigen, sondern auch für den Schreiber. Als Metapher ist dies zwar nichts Neues, und tatsächlich macht die Autorin deutlich, dass sie bei Briçonnet noch ganz klar (vor allem in seinem Brief vom 5. Februar 1522) dem „thème de la manne ‚vive e viviafiante’ provenant de Jésus“15 gewidmet war. Unter der Feder von Margarete wurde sie so prägnant, dass sie in gewisser Weise ihren metaphorischen Charakter verlor: Die Königin assoziierte „la force ‚nutritive’ de la Parole à celle de l’Eucharistie, mises souvent [sur le] même plan“.16 Dass sie Schreibtechniken aus ihren Briefen an Briçonnet in ihre literarischen und besonders in die poetischen Texte übertrug, kann als direkter thematischer und stilistischer Ausdruck dieser Idee angesehen werden. Die Bibel belebte die literarischen Texte der Königin durch eine stetige und abwechslungsreiche Intertextualität. Diese wurde dadurch noch verstärkt, dass – noch vor dem Theater – die Bibelfiguren manchmal personifiziert wurden, wodurch der Bibeltext in Form gesprochener Sprache noch unmittelbarer und konkreter erfahrbar wurde. Margarete führte also durch das Schreiben ihrer eigenen Texte einen ständigen Dialog mit der Heiligen Schrift: „Diese Zwiesprache mit der Schrift scheint eine Erfindung von Margarete zu sein, da wir sie in ihrer geistigen Umgebung sonst nicht finden“, schreibt B. Marczuk-Szwed.17 Es scheint also, dass einige charakteristische Merkmale ihres Schreibstils direkt aus ihrer persönlichen Auffassung darüber entstanden, wie man am besten mit der Heiligen Schrift in Kontakt treten sollte. Ein weiterer Punkt, der wichtig erscheint, weil er einem Großteil ihres Theaters zu Grunde liegt, ist die Frage der Lektüre. Die Heilige Schrift offenbarte sich nicht unmittelbar: man konnte sie auf eine gute oder schlechte Weise lesen. Der Zugang zum wahren Sinn der Heiligen Schrift war durch die intellektuelle und spirituelle Verfassung des Lesers bedingt: Nur wenn er sich der göttlichen Erleuchtung öffnete, konnte er Zugang zum wahren Sinn der Heiligen Schrift erlangen. ‚Gute’ und ‚schlechte’ Leser traten auch immer wieder in Margaretes Gedichten und Theaterstücken auf, und das ‚gute’ und ‚schlechte’ Lesen wurde ständig mit reflektiert. Die exegetische Methode, die sie von Briçonnet erlernt hatte, war nicht nur eine Analysemethode oder eine Anleitung zum Lesen. Sie war eines der Themen, die ihr literarisches Werk inspirierten. Diese Methode kann also einigen Texten, wie zum Beispiel Les Prisons, eine wahrhaftige Handlung verleihen; in ihnen wird eine Abfolge von Personen beschrieben, die fortschreitend von 13

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Wir lassen alles, was nicht direkt mit der Bibellektüre zu tun hat, außen vor, wie zum Beispiel die monastische Reform, die Debatte über den freien Willen, die Frage der Heiligenverehrung usw. Siehe MARCZUK-SZWED, L’Inspiration, 15. EBD., 44. EBD. EBD., 57.

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einer schlechten Lektüre bis zum perfekten spirituellen Verständnis der heiligen Texte gelangen. Neben den grundlegenden Themen, die der Evangelismus und, allgemeiner gefasst, die religiösen Debatten der damaligen Zeit18 vorgaben, drückten auch die biblischen Themen dem Werk der Königin ihren Stempel auf. Die Zusammenfassung von B. Marczuk-Szwed hat einerseits den großen Verdienst erbracht, zu zeigen, wie sehr die biblischen Themen und ihr Zusammenhang mit den religiösen Ideen der Königin in Vergessenheit geraten waren, und andererseits hat sie bewiesen, dass diese als allererstes im Briefwechsel mit Briçonnet auftraten.19Margaretes Gottesdarstellung wurde also von der Bibel beeinflusst, deren Formeln sie wiedergab und weiterentwickelte, so dass sie unter ihrer Feder zu Werkfragmenten oder Theaterversen wurden: „Ego sum qui sum“ (Ex 3,14) oder „Deus omnia in omnibus“ (1 Kor 15,28) verwandelten sich in ihrem Werk in Gegenstände der religiösen Andacht oder in literarische Themen. Aber vor allem ihre Sicht des Menschen war direkt aus der Bibel abgeleitet. Das Bild des Schafes, die Gestalt der kanaanitischen Frau, das Motiv der Blindheit, der Krankheit oder der Einfachheit: All dies waren zunächst einmal Merkmale, mit denen die Autorin sich selbst in ihren Briefen charakterisierte, und die erst später zu literarischen Themen oder sogar zu Theaterfiguren wurden. Auf dieselbe Art und Weise beeinflusste das evangelische Thema der Auferstehung in Christus alle ihre Gedanken über den Tod. Dies konnte man nachvollziehen in Miroir de l’âme pecheresse, Dialogue en forme de vision nocturne, La navire, Les prisons, sowie in ihrem Theaterstück La comedie sur le trepas de Roi. Laut B. Marczuk-Swed: Die biblischen Themen, die sich auf die Anrufungen Gottes und die Symbole der menschlichen Existenz konzentrieren, zeichnen verdichtet die existentielle und spirituelle Dimension von Margaretes Glauben nach. Der Mensch sieht sich im Angesicht Gottes in die Irre geführt, ausgehungert, geschwächt, entzweit, im Gegenüber zu Gott, der Sein, Einheit, Wahrheit, Weg und Leben ist.20

Die Bibellektüre stellte somit für die Königin eine stetige geistige Nahrung dar. Kritiker sind sich einig, dass Margarete die biblischen Elemente so perfekt assimiliert und verinnerlicht hatte, dass es schwierig oder sogar unmöglich wäre, die genaue Herkunft bestimmter Anspielungen, oder sogar Zitate, zu bestimmen, die sie aus dem Gedächtnis heraus aufschrieb. Ihre Worte waren so eng mit dem Bibeltext verflochten, dass man auch behaupten konnte: „Dank dieser Anleihen aus der Schrift erhält Margaretes Sprache eine Einheit im Ton, die ihren Texten eine wichtige künstlerische Wertigkeit verleihen.“21

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Diese werden klar im Dialogue en forme de vision nocturne verkündet, der allgemein als Margaretes ‚Katechismus’ angesehen wird. Siehe Marguerite DE NAVARRE, Dialogue en forme de vision nocturne [1524] (hg. v. Renja Salmien, Annales Academiæ Scientarum Fennicæ Helsinki, Series B, Bd. 227, Helsinki, 1985), 3–150. MARCZUK-SZWED, L’inspiration, 88. EBD., 101. EBD., 13–14.

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2. Das Prinzip der Inkarnierung, eine spezifische Eigenschaft von Margaretes Theater 2.1 Warum das Theater? Die ersten Wissenschaftler, die das Theater der Königin von Navarra analysierten, haben es aufgrund der gemeinsamen evangelischen Inspiration oft in die Nähe der mittelalterlichen Tradition der Mystères gerückt. Diese Interpretation erscheint heute inakzeptabel: Obwohl Margarete als Mädchen solchen auf Kirchenvorplätzen aufgeführten Mystères beiwohnen konnte, hat sie keines der dafür typischen dramaturgischen Prinzipien beibehalten. Tatsächlich entfernte sie alle Besonderheiten der Mystères, wie zum Beispiel die Nebenhandlungen aus den apokryphen Evangelien, die Anekdoten, die diversen Abweichungen von der Handlung, die Folter der Verdammten, das Martyrium der Heiligen oder die Schöpfungsgeschichte (all das, was diese Werke endlos und spektakulär erscheinen ließ). Stattdessen brachte sie kurze, extrem dichte Stücke auf die Bühne, die sich nur auf die Tatsachen aus den Evangelien beschränkten und zum Nachdenken anregen sollten, nicht nur zum Lachen oder Weinen. Wie auch immer man die elf pièces der Königin liest: Schon auf den ersten Blick erkennt man, welche wichtige Rolle hier den neuen Ideen zukam, gestützt von einer Dramaturgie, die sich mit Absicht von den Mystères unterschied, weil sie für einen ganz anderen Zweck gedacht war. Es gibt tatsächlich einen riesigen und offensichtlichen Unterschied zwischen den Mystères und Margaretes Komödien, den geistlichen wie den weltlichen: Es ist der Respekt vor dem evangelischen Wort. Respekt gegenüber dem Text in den biblischen, Respekt gegenüber der Botschaft in den weltlichen. Die Handlung der biblischen pièces beschränkte sich daher auf die rein historischen Daten, von denen die Evangelisten berichteten; die persönlichen Beiträge der Königin fanden sich in Glossen über den Sinn des Wortes Gottes. Die weltlichen pièces befassten sich in den meisten Fällen mit Fragestellungen über die Bekehrung oder erläuterten die Botschaft Christi. Die Bibel, der Sinn ihrer Botschaft, ihre korrekte Interpretation standen immer im Zentrum der Handlung oder waren zumindest ständig präsent. Sie sind das eigentliche Thema der meisten pièces, die so von einer gemeinsamen Inspirationsquelle und einem gemeinsamen Zweck zusammengehalten werden: die Evangelien in all ihrer Wahrheit zu verbreiten. Der Königin wurde auch vorgeworfen, dass ihr Theater unaufführbar sei.22 Wenn das nicht so wäre, warum gäbe es dann La Comedie sur le Trepas du Roy und Les Prisons, La Comedie des quatre femmes und La Coche? Es eröffnet sich hier eine Problematik, die für Margarete offenbar ziemlich wichtig war. Dies führt zur Aufstellung der Hypothese, dass das Theater für die Königin ein sehr besonderes Medium war und seine Aufführung, ganz anders als bisher gesagt wurde, eine grundlegende Triebfeder darstellte. Das Theater war gleichzeitig Stimme und Bild, Botschaft und Darstellung. Und was ist das Hauptthema der spirituellen Überlegungen der Königin, wenn nicht das ständige Problem des göttlichen Wortes, das zurückgewonnen, verständlich gemacht, verbreitet, vor allem: lebendig gemacht werden muss? Das Theater war für Margarete also eine 22

ARMAND, Les textes du conflit, 123.

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Möglichkeit, dem Wort Gottes in seinen zwei verschiedenen Aspekten Gestalt zu verleihen. In der biblischen Welt äußerten sich Gott, aber auch der Teufel, direkt, und ließen den Sterblichen eine Nachricht zukommen, deren Auswirkungen in der weltlichen Sphäre erzählt wurden. In den weltlichen Komödien hatten die Menschen das Wort bereits erhalten, und sie versuchten, die von Gott in Buchform hinterlassene Nachricht zu interpretieren. Wir schlagen daher vor, das Theater der Königin wie eine Geschichte zu lesen: Die des evangelischen Wortes, das in den religiösen Komödien entsteht, wächst und zu einem Buch wird und später in den weltlichen Komödien in Umlauf gebracht, verbreitet und interpretiert wird. 2.2 Die religiösen Komödien: Inszenierung und Inkarnation des Wortes Gottes Die vier biblischen pièces waren Margaretes erste Werke. Das genaue Entstehungsdatum ist unklar, aber die Forschung ist sich einig, dass es zwischen 1530 und 1535 liegt, während der Korrespondenz mit Briçonnet. Und ebenso, wie der Briefwechsel mit dem Bischof von Meaux einen Moment von grundlegender Bedeutung in Margaretes spirituellem Leben darstellte, so erzählte auch ihr biblisches Theater von einem Anfang. Es bestand aus vier kurzen pièces, den Komödien De la Nativité, Des Troys Rois, Des Innocents und Du Désert, von denen jede von einem der vier Evangelien inspiriert war. Die Comedie de la Nativité folgt nämlich dem Lukasevangelium (1–2), die La Comedie des trois Roys und die der Innocents beruhten auf dem Matthäusevangelium, während die Comedie du Desert die Geschichte von der Flucht nach Ägypten aufgriff (Mt 1–2). Das Thema dieser ersten Theaterstücke war also die Geburt Christi, die gleich zweifach einen Ursprung darstellte: den des Christentums und den seines Buches, des Neuen Testaments. Das Theater der Königin kehrte also zweifach zu den Quellen zurück: Die Rückkehr zum Moment des Ursprungs bedeutete, wie wir sehen werden, auch eine Rückkehr zum ursprünglichen Text. Das wahre Thema von Margaretes Theaterwerken war also nicht so sehr das Leben Christi, als vielmehr das Leben des Wortes, das in ihm zu Fleisch wurde. Zahlreiche Vorgehensweisen der Königin bezeugen dies, und vor allem in der Struktur der biblischen Komödien ist dieser Plan zu erkennen. Obwohl Margarete eng der Erzählhandlung der Evangelien folgte, entwickelte sie doch einige Episoden weiter oder fügte neue ein, so dass nicht etwa eine Nebenhandlung, sondern im Gegenteil Pausen entstanden, die ihr eine Exegese des Textes oder eine Interpretation der inszenierten Episode ermöglichen. In der Nativité zum Beispiel, bei der Ankunft in Bethlehem, sprach Joseph bei seiner Suche nach einer Unterkunft nacheinander drei Gastwirte an (die ‚Trois Hostes’), deren jeweilige Ablehnungsworte drei verschiedene Sünden widerspiegelten: Geiz, Stolz und Wollust. In der Comedie des trois Roys hingegen stellte Gott das Thema seiner Macht vor, erzählte von der Liebe zu seinem soeben geborenen Sohn und bestand auf der Notwendigkeit, die gute Nachricht den Königen und Hirten zu verkünden. Die Verkündigung von Christi Geburt erfolgte durch die allegorischen Figuren der Philosophie, der Not und der Inspiration. Diese informierten respektive Balthasar, Melchior und Kaspar, deren Mission es war, den wahren Glauben zu offenbaren, und führten sie so zur göttlichen Erkenntnis, die ihnen das Wort und den Sinn der Heiligen Schrift und der

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Taten Gottes enthüllten. Und erst nachdem sie diese Erklärungen angehört hatten, durften sie dem Stern folgen, dessen Bedeutung sie nunmehr verstanden hatten.23 Diese lange Szene, die der eigentlichen Bibelhandlung (Abreise der Könige, die vom Stern geführt werden, Treffen mit Herodes, der sich mit den Gelehrten berät, Szene der Anbetung der Heiligen Drei Könige und Überreichung der Gaben, usw.) vorweggestellt war, umfasste 813 Versen, die mehr als die Hälfte des Stückes einnahmen (das insgesamt 1.467 Verse zählt). Dies zeigte, wie wichtig es war, die Verbreitung des Wortes und der Botschaft der göttlichen Erkenntnis in Szene zu setzen: Das „Geht um zu sehen, was ihr glaubt“ konnte als Definition des religiösen Theaters gelten, oder zumindest schien Margarete das so zu sehen: anschaulich machen, was man glaubte. In Margaretes sakralen pièces wurde die Handlung deswegen ständig durch Passagen zwischen Himmel und Erde oder durch die Erscheinung von Botenfiguren wie Engeln oder Allegorien unterbrochen. Sie alle hatten die Aufgabe, die göttliche Botschaft zu erklären, die im soeben geborenen Christus zu Fleisch geworden war. Eine Besonderheit des Theaters der Königin war es, dass ständig Figuren in der Rolle von Exegeten oder Lehrern auftraten: ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig ihr die wörtliche Wiedergabe des heiligen Textes war. Diese Personen waren jedoch mehr als reine Interpreten, sie galten als Übermittler des Wortes Gottes und hatten den Auftrag, es in die Tat umzusetzen, so wie Gott selbst es ihnen befahl.24 Angesichts eines Christus, der nur ein Säugling war, gelang es Margarete durch die Engel, auf der Bühne die Macht Gottes sichtbar werden zu lassen. Sie waren es, die die Wüste in ein Paradies auf Erden verwandelten. Die Handlung, die die Königin in die Evangeliumserzählung eingefügt hatte, besaß hier einen doppelten Wert: Sie inkarnierte die Macht Gottes in einer spektakulären Geste und wurde gleichzeitig zum Gleichnis.25 Dieses theaterwirksame Bild begleitete ein Wunder, das vor allem im Wort geschah und die Geste der Schöpfung reproduzierte. Je weiter die Königin beim Schreiben ihrer Theaterstücke fortschritt, desto mehr trat die darin eingebaute Exegese in den Mittelpunkt. Schon in La Comédie des Innocents war die Handlung sehr einfach, aber im letzten sakralen Stück, der Comedie du Desert, wurde sie geradezu minimalistisch. Dies ist das originellste und schönste der vier Stücke. Am besten vermittelte Margarete ihre Interpretation der Evangelien für das Theater durch die Art, wie sie die Figur der Maria konstruiert hatte. Seit der Geburt Christi wurde Maria als Hüterin des göttlichen Wortes definiert, und als diejenige, die in der Lage war, ihm neues Leben zu geben.26 In diesem Zusammenhang lag die ganze Bedeutung der Comedie du Desert darin, dass sie einen zweiten Schritt als Verdopplung der Geburt Christi einführte. Wenn Maria die Mutter des Fleisch gewordenen Wortes war, dann wurde sie auch – aus genau diesem Grund – zur ersten Lehrerin der Heiligen Schrift. Ihr überreichten nämlich die allegorischen Figuren in den Trois Roys die Bücher, die die Gesamtheit des Wissens enthielten: zunächst das „livre de Nature“, das die Kenntnis über die Dinge vermittelte, dann das „Livre vieux“, also das Alte Testament.27 Maria 23 24 25 26 27

Trois Roys, vv. 806f. Nativité, vv. 293f. Desert, vv. 352–354. Nativité, vv. 83f. Hier sei auf unser Werk hingewiesen: „La Vierge aux livres: figures mariales et transmission

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hatte Christus zur Welt gebracht, und auf die gleiche Weise fand sie das hinter dem Bibeltext verborgene Leben wieder und vollführte so den göttlichen Plan.28 Wenn Maria dazu bestimmt war, die göttliche Lehre zu empfangen, dann weil sie als Mutter Christi die einzige Sterbliche war, die völlig vom Hauch Gottes durchdrungen war: Ihr wurde das Verständnis des Wortes Gottes gegeben, noch bevor sie davon Kenntnis erhielt, und Christus wurde geboren, bevor ihr die Bücher übergeben wurden. Das letzte dieser Bücher ermöglichte schließlich die Wiedervereinigung von Geist und Wissen, weil es gleichzeitig das Buch Christi war.29 Das letzte pièce schloß also einen Kreis, dessen eigentliches Thema das ‚Fleisch gewordene Wort’ und sein Fortleben in der Bibel war, ein Fleisch, das wieder zum Wort geworden war, aber von diesem Buch im Inneren des Körpers Christi am Leben erhalten wurde. Auf diese Weise hatte Margarete, dank der Figur der Maria, auch den Übergang von den religiösen zu den weltlichen Komödien vorbereitet. Maria war nämlich nicht nur die Mutter des Wortes, das gleichzeitig lebendig und geschrieben war, sondern sie war auch eine Mittlerin. Sie konnte direkt von den Engeln oder den Allegorien das Wort Gottes empfangen; die anderen Menschen, die Joseph symbolisierte, konnten dies nicht.30 Man sah im Laufe der vier pièces also, wie Maria die Botschaft, die sie ohne Probleme aufgenommen hatte, für Joseph aufbereitete und erklärte. Indem sie ihm zum Beispiel den Sinn des Wunders erklärte, das die Engel in der Wüste vollbrachten,31 gab sie diesem Wunder einen definitiven und realen Charakter, weil sie Joseph zum Bewahrer seiner Bedeutung ernannte. Das Wort Gottes, das durch die Engel vermittelt wurde, und das Wissen, das die Allegorien übergaben, wurden erst dann Realität, wenn sie durch Maria an die Welt der Menschen übertragen wurden. Die Vermittlung des Bibeltextes war also zum Hauptthema geworden. Als notwendige Rückkehr zur Essenz des Wortes und zum Moment seiner Geburt gliederte sich diese Tetralogie der Jugendzeiten Christi klar in den allgemeinen Plan der Erkenntnis und Verbreitung der Heiligen Schrift ein.32 Warum Margarete das Theater zur Verbreitung der biblischen Botschaft benutzte, wird verständlicher, wenn man die Rolle einiger Charaktere genauer untersucht. In den religiösen Komödien wechselten sich narrative Szenen, die die Geschichte Christi anhand der Evangelien erzählten, und diskursive Szenen ab, in denen Gott, die Engel, die Allegorien und Maria selbst sprachen. Auf diese Weise wurde die Verbreitung der biblischen Botschaft Personen anvertraut, die man Übergangsfiguren nennen könnte. Maria war in der Welt der Menschen die erste solche Figur. Durch die szenische Struktur zeigte Margarete ganz klar an, dass Maria in die Menschenwelt und auch in den Himmel gehörte: Ganz bewusst

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du savoir biblique dans le théâtre de Marguerite de Navarre“, in Atti del convegno Le Donne della Bibbia, la Bibbia delle Donne: Teatro, letteratura e vita (hg. v. Rosanna Gorris Camos; Fasano di Puglia: Schena, 2012), 111–120. Desert, vv. 158f. EBD., vv. 173–181. Joseph ist ein braver Mann, der sich immer mit materiellen Gütern beschäftigt und auf der Suche nach einer Unterkunft oder nach Lebensmitteln ist. Er handelt zwar nicht aus Liebe zum Reichtum, im Gegenteil, aber dennoch steht er im Gegensatz zu Maria wie die Erde zum Himmel. Desert, vv. 1226ff. Trois Roys, vv. 1105–1106; Nativité, vv. 345–346.

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kam sie immer nur in den Himmelsszenen vor, während Joseph immer dann, wenn Gott oder Engel auftraten, die Bühne verließ. Sobald die himmlischen Figuren verschwanden, gab Maria die von ihnen erhaltene Lehre an die Menschen um sie herum weiter, beginnend mit Joseph und den Hirten. Margarete benutzte also die dramatische Struktur ihrer Theaterstücke, um zu zeigen, dass die Verbreitung des Wortes zwischen Himmel und Erde organisiert werden musste, und dabei wurden einige ihrer Charaktere zu unterschiedlichen Deklinationen derselben zentralen Figur: der des Boten. 2.3 Das abgelehnte Wort Das Theater stellte also die Verbreitung des Wortes Gottes bildlich dar, aber gleichzeitig zeigte es auch das Versagen oder den Erfolg auf dem Weg der Konversion. In den religiösen Komödien verkörperten die Drei Könige und die Hirten die Figur des zum wahren Glauben Bekehrten. Doch es gab auch ein negatives Pendant zu dieser Welt der Auserwählten, den Satan, in dessen Gefolge sich ebenfalls Menschen begaben. Der wichtigste und interessanteste dieser Menschen war Herodes mit seinen Gelehrten. Der Satan stellte einen weiteren absichtlichen Bruch Margaretes mit der Tradition des Mittelalters dar. Ganz anders als der vertraute und parodistische Charakter in den mittelalterlichen Mysterienspielen, war der Satan der Königin von Navarra – ebenso wie die Allegorien – eine physische Projektion innerer Vorgänge. Diese Verwandlung machte ihn gleichzeitig gefährlicher (er verkörpert die komplette Abschottung gegen die Vermittlung des Wortes Gottes) und verletzlicher (weil niemand dazu gezwungen ist, ihm zuzuhören). Die Nativité eröffnete eine Ära der Wiedergeburt, aber auch das Zurückweichen des Satans: „Le Petit a sur moy gaigné le reng“,33 sagte der Teufel. Er wurde zu einem Verbannten und Entmachteten, der zum Herumirren verurteilt war. Aber im Gegensatz zu den schlechten Gläubigen war ihm die Macht Gottes nicht unbekannt; er war in der Lage, diese genau einzuschätzen. Er wußte, dass der Kampf nunmehr im Menschen selbst stattfindet: er war gezwungen, sich in das Herz der Sterblichen hinein zu fliehen, um dort zu versuchen, sich dem Wort Gottes in den Weg zu stellen. Und gerade dort lag der Einsatz, der auf dem Spiel stand: Die religiösen pièces inszenierten eine Reihe von menschlichen Figuren, in denen die Königin die Verdammnis und das „faux cuyder“ darstellte. Die „Trois hostes“, die Joseph nicht hereinließen, weil sie von „Biens, et honneurs et plaisir“34 vereinnahmt wurden, waren dafür ein Beispiel, ebenso wie Herodes, der davon besessen war, „plus grand“ zu sein als Gott. Er war es, der den Lebensbaum unfruchtbar machte und austrocknete.35 So definierten sich Margaretes Figuren immer durch ihr Verhältnis zum Wort Gottes, als Empfänger (die Bekehrten), als Vermittler (Engel, Allegorien und Maria, die gewissermaßen das Symbol von Margaretes Projekt sind) und als Gegner. Die Königin wiederum stellte durch das Theater eine Reihe von äußerlichen Merkmalen vor, an denen der Status jedes Einzelnen sofort erkennbar wurde: Freude, Unbeschwertheit, Gebrauch von liebesbezogenem Vokabular und Gesang zeichneten Auserwählte aus, während das Böse sich durch Wut, Unruhe und Instabilität manifestierte. 33 34 35

Nativité, v. 1163. EBD., v. 1136. Innocents, vv. 387–389.

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3. Das weltliche Theater, oder das Evangelium der Seligpreisungen Mit dem Übergang von den biblischen zu den weltlichen Komödien änderte sich auch die Problematik von Margaretes Theater. Ihre frühen Theaterstücke wollten in gewisser Weise Metaphern ihres eigenen Themas sein, Reproduktionen jener Inkarnation, die in der Nativité dargestellt wurde. In den ersten vier pièces konnte die Königin ihre Vorstellung von der christlichen Botschaft präsentieren, die Prinzipien des wahren Glaubens definieren, den Gläubigen Figuren als Embleme für Gut und Böse zeigen, Gott und den Teufel zu Wort kommen lassen. Sie nutzte alle Möglichkeiten des Theaters, um einem Wort, das bisher unter Glossen und Schriften begraben war, einen Körper und eine Stimme zurückzugeben und es als Wort des Lebens wiederherzustellen. Doch der Moment, in dem das Wort auf die Welt kam, war nicht der einzige, der die Königin interessierte: Nachdem sie seine Geburt gesehen hatte, wollte sie es nun aufwachsen sehen, und die weltlichen Komödien sollten gewissermaßen als eine mögliche Nachfolge des biblischen Theaters angesehen werden. Durch die Änderung von Zeit und Raum verlegte die Königin die Handlung in ihre eigene Zeit, um die Entstehung des Buches und seines Inhalts zu untersuchen, es in die Geschichte einzuordnen und es den Risiken der Welt und der Zeit auszusetzen. 3.1 Wahrer Glaube und Bibelwissen Die weltlichen Komödien untersuchten also den Werdegang des christlichen Wortes in der zeitgenössischen Welt. Das Grundprinzip der kurzen pièces ähnelte dem eines Gleichnisses, was noch einmal den starken Einfluss der Bibel auf die Königin deutlich machte. Schon in ihrem religiösen Theater hatte sie die Idee entwickelt, die Botschaft Christi in sichtbare Bilder zu übersetzen. Das erste Anzeichen hierfür sind die Bezeichnungen der Personen: Sie bestanden aus einem Namen (oder ausnahmsweise einem Adverb), das ihren sozialen Status, ihre Verfassung oder eine intellektuelle oder religiöse Eigenschaft anzeigte: Der Kranke, die Kinder, der Inquisitor, die Dienerin, Zuviel, Mehr, Wenig und Weniger, die Alte, der Arzt, die Weise, die in Liebe zu Gott Entrückte (die auch eine Hirtin ist), usw. Die weltlichen pièces brachten also eher symbolische Typen auf die Bühne, keine Individuen. Diese Entscheidung wurde verständlich, wenn man sie mit dem Wunsch begründete, in allen pièces eine gleichartige Spannung zu erzeugen, zwischen Schwachen und Starken, und gleichzeitig zwischen echten und falschen Gläubigen. Untersucht man zum Beispiel die Handlung der ersten pièce, Le Malade, wird deutlich, dass der Kranke eine gewisse Macht gegenüber den zwei weiblichen Figuren, der Frau und der Dienerin – er nennt sie ‚meine Frau’ und ‚meine Dienerin’ – ausübt. Diese Machtsituation wird jedoch durch den Arzt durcheinandergebracht, der die Doppelcharakteristik des akademischen Wissens und der Macht über das Schicksal des Kranken aufweist. In dieser Konstellation war die am niedrigsten gestellte Figur, die Dienerin, gleichzeitig die Besitzerin des wahren Glaubens, der ihr ihre Kondition als Frau und Dienerin sicherte. Der Arzt, ein Mann des Wissens und der Macht, war hingegen nicht fähig, die Botschaft Christi zu verstehen. Der Kranke ist eine Zwischenfigur, der zwischen den beiden Welten zögert und als Einziger am Ende bekehrt wird. Eine identische

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Struktur fand sich im Inquisiteur: Auf der einen Seite die Kinder, natürliche Hüter eines reinen Glaubens, auf der anderen der Inquisitor, der sich hinter einer doktrinären und entmenschlichten Kenntnis der Heiligen Schrift verschanzte, die er kannte, ohne ihren wahren Geist erfassen zu können. Zwischen den beiden befand sich der Knappe, der zunächst von seinem Herrn beherrscht wurde, sich aber dann mit großer Leichtigkeit der evangelischen Botschaft öffnete, die ihm spontan durch die Kinder zuteilwurde. Margarete erschuf in den meisten ihrer pièces (all denen, die eine Bekehrung oder einen Gegensatz zwischen zwei Arten des Glaubens darstellten)36 eine Welt, die in zwei nicht miteinander kompatible Sphären geteilt war. Diese waren zwar nicht komplett von einander abgeriegelt, aber sie schienen sich nie ganz miteinander vereinen zu lassen. Die sozialen Umstände, die zur Charakterisierung der Figuren benutzt wurden, standen in direkter Beziehung zum Wort Christi37 und schienen die religiöse Eignung widerzuspiegeln, die auf der Skala zwischen Glauben und ‚cuyder’, also falscher Gläubigkeit beurteilt wurden. Evident war auch, dass sie direkt vom Evangelium der Seligpreisungen inspiriert waren: Arme, Einfache, Kinder... wurden spontan vom göttlichen Hauch erfüllt. Den Reichen, aber auch den Gebildeten (die ihre Macht durch Autorität erhielten) blieb der Sinn jenes Textes verschlossen, den sie besser als alle anderen zu kennen glaubten: Sie erkannten die Schrift, aber sie verstanden sie nicht. In ihren Händen hielten sie die ‚toten Wörter’ des Buches, aber nicht die ‚lebendigen Worte’ des Geistes. Solches Wissen, das nicht ein natürliches Gefühl der Liebe zu Gott war, beschrieb Margarete als eine Metamorphose der Sünde des Stolzes. Der Arzt war von seinem Wissen überzeugt, und davon, dass dies der einzige Weg war, Krankheiten zu heilen. Die Heilung durch den Glauben verbannte er ins Reich des Aberglaubens.38 Der Kranke nannte ihn „mon Père“,39 doch nach seiner Bekehrung durch die Dienerin erkannte er, dass der Arzt einen Betrug begangen hatte.40 Auf die gleiche Weise trugen der Inquisitor und „Zuviel“ die Titel „Doktor“ und „Vater“. Als der Arzt sein Streben nach Anerkennung zu rechtfertigen versuchte, wollte er den Sinn der Bibel zu seinem Vorteil umdeuten. Er präsentierte seine Rezepte als ein neues Evangelium für den Körper41 und zitierte die Bibel nur, um seine Ambitionen zu untermauern.42 Ebenso spielte der Inquisitor mit den Worten der Bibel, um seine Erpressungen zu rechtfertigen.43 Als der Kranke durch die Bekehrung wundersam geheilt wurde, konnte der Arzt nur mit Unverständnis reagieren: Als die Dienerin ihm erzählte, was sie den Kranken gelehrt hatte, begriff er den Glauben nur als Anwendung von festgelegten Praktiken und Befolgung von Dogmen.44 Aufgrund seiner Unfähigkeit, den

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Also Le Mallade, L’Inquisiteur, Trop, Prou, Peu, Moins e Mont-de-Marsan. Insbesondere Mt 19,24: „eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr…“ Mallade, vv. 377f. EBD., v. 162. EBD., vv. 425–428 und 431f. „Lisez ceste script qui contient / Vostre santé : or l’entendez“, EBD., vv. 411f. EBD., vv. 379–81. Die Stelle verweist auf Ecclésiastique de Jésus, fils de Sirach, XXXVIII, 1–3. Inquisiteur, v. 37f. Imitation von Mt 5,8 (Achte Seligpreisung). Mallade., vv. 345f.

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Geist des wahren Glaubens zu verstehen, erinnerte er die Dienerin an ihre Unterlegenheit: „Va, va mener tes oysons paistre / Et voir si ta geline pond.“45 Und auf dieselbe Weise leugnete der Inquisitor die Worte der einfachen Leute, als er seinen Knappen tadelte: „Te tairas-tu? T’appartient-il d’ainsi parler?“46 Die gleiche Beobachtung kann man bei den meisten von Margaretes pièces machen.47 Besonders L’Inquisiteur ließ Margaretes Einstellung gegenüber der Bibel und ihrer Verbreitung deutlich werden. Die düstere und grausame Figur des Inquisitors wurde direkt dem gegenübergestellt, was klar als ‚neues Wissen’48 identifiziert wurde: Dem neuen evangelischen Glauben, der nicht nur auf einer Rückkehr zum reinen Text basiert, sondern auf einem echten Verstehen dieses Textes: Si je n’avoys qu’aux ignorans affaire, Je les ferois retourner par la craincte : Mais je ne puis les sçavans faire taire, Qui myeulx que moy ont l’Escripture saincte. Car contenter je ne les puis de faincte : Tousjours leur fault alléguer l’Escripture Dont ilz me font soustenir peine maincte Car je n’en feiz jamais bonne lecture.49

Diese Äußerung des Inquisitors war ein Negativporträt des wahren Gläubigen, und von Margarete selbst: Beide benutzten die Bibel nur gemäß ihres wahren Sinnes, und vor allem hatten sie sie ‚gut gelesen’. In diesen wenigen Versen wird also eine der wichtigsten Fragen zusammengefasst, die Margarete in ihrem weltlichen Theater stellt: der Gegensatz zwischen gutem und schlechtem Lesen, zwischen inniger und oberflächlicher Kenntnis der Bibel, zwischen göttlicher Intelligenz und festgefahrenen Ritualen. Der Knappe konnte seinem Herrn den wahren Sinn der Heiligen Schrift erklären, indem er ihm sagte: Vous m’en avez fait lecture, Et Dieu m’en a donné l’esprit.50

Margarete zeigte in ihrem Theater eine freie Interpretation der Seligpreisungen: Die Kinder, die Dienerin, der Knappe und die in Liebe zu Gott Entrückte (die alle als einfältig ansehen) waren natürlich deswegen auserwählt worden, weil sie einfach und ungebildet waren. Nichts in ihnen behinderte den Geist Gottes, den sie ohne jedwede Einschränkung erfuhren. Als der Inquisitor schließlich bekehrt wurde, rief er aus: „Je veux estre enfant, non plus saige“,51 und damit erhielt der Knappe das letzte Wort:

45 46 47 48 49 50 51

EBD., vv. 362f. Inquisiteur, vv. 105f. Abgesehen von La parfaite amye und La comedie sur les trespas du Roy, die Gelegenheitswerke sind. Inquisiteur, v. 5. EBD., vv. 9–16. EBD., vv. 380f. EBD., v. 478.

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Je confesse qu’en innocence N’y a rien que felicité, Et qu’au pris de leur congnoissance Tout savoir n’est que cécité.52

3.2 Die Zeichen der Auserwählung Ein weiterer wichtiger Aspekt der Art und Weise, wie Margarete die evangelische Botschaft in ihrem Theater vermitteln wollte, war der große Wert, den sie auf alle dramaturgischen Elemente legte: Kostüme, Verhaltensweisen, Gesten und sogar (...) die Abwesenheit von Sprache. Nachdem sie in den religiösen pièces das Prinzip der Inkarnation des Wortes im Theater benutzt hatte, um das Prinzip des Wortes Gottes in Christus besser verständlich zu machen, so machte sie im weltlichen Theater den Körper zum wichtigsten Interpreten der seelischen Zustände. Sie wollte nicht nur die Eigenschaften des Guten und des Bösen greifbar darstellen, sondern auch das Prinzip des Geistes gegenüber den toten Wörtern aufzeigen, illustrieren und lebendig werden lassen. Sie versuchte also nicht, etwas zu beweisen, sondern sie wollte ganz einfach ein empfindsames Bild der Seele eines wahren Gläubigen und damit eines echten Bibellesers zeichnen: Ein Gläubiger, in dem das Sinnliche und Spontane vor dem Intellektuellen kam, eher eine „in Liebe zu Gott Entrückte“ als ein „Gelehrter“. Die Kleidung war ein wichtiges Merkmal. Die Nativité erinnerte daran: Der soeben geborene Christus war ein kleines, einfaches Kind. Die Königin betonte, dass er gerade einmal „enveloppé de draps“ oder „lié de drapeletz“53 sei. Die Armut oder der Reichtum eines Kostüms stand bei Margarete nicht nur für materielle Armut oder Reichtum (ein Anzeichen, das wieder auf die Seligpreisungen und die Verurteilung der Reichen hinweist), sondern auch als Zeichen der Reinheit oder der Heuchelei. Die aufwändige Kleidung ist die Maske der schwarzen Seelen: Der Inquisitor ging nie ohne Mantel, Handschuhe und Schuhe54 aus dem Haus, während die Kinder unbeschwert in der Kälte spielten, weil „ils sont myeuls gardez de Dieu“.55 Auch Zuviel war besessen von der Angst vor der Kälte,56 während Wenig und Weniger unbesorgt blieben.57 Die Armut und Unbeschwertheit von Wenig und Weniger („Je me nomme le povre Moins / Le moindre de tous les humains“58) ermöglichte ihnen den Zugang zum wahren Licht, Metapher des wahren Glaubens.59 Weitere Elemente, die bei Margarete das Bild des evangelischen Glaubens kennzeichnen, waren das Lachen oder der Gesang als Eigenschaft der wahren 52 53 54 55 56 57 58 59

EBD., vv. 366–369. Nativité, vv. 610 und 738. Siehe Inquisiteur, vv. 77–80. EBD., v. 103. „Avant l’hyver si bien me fourre / Que je n’ay garde d’avoir froict“, Trop, Prou, Peu, Moins, vv. 234f. „En toute saison nous est une / En chauld, en foird nous sommes sains“, EBD., vv. 695f. EBD., vv. 257f. EBD., vv. 322–325: „Nous sommes hors de cecité / Et de tenebreuse fumiere: / Nous nous servons de la lumiere / Du Soleil en lieu de flambeau.“

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Gläubigen und der Schmerz als Charakteristik derjenigen, die sich falsch verhielten. Im Malade ist die Krankheit die körperliche Metapher des ‚cuyder’, der falschen Gläubigkeit, aber sie ermöglichte dem Leidenden auch, Gott zu akzeptieren. Diese evangelische Idee wurde im religiösen Theater von der Metapher namens Not repräsentiert.60 Die Freude war das Zeichen des wahren Glaubens.61 Margaretes Figuren waren glücklich bis zum Exzess, ‚ravis’ in allen Bedeutungen des Wortes, und wurden deswegen oft von den anderen als verrückt erachtet. Die Freude war also mit der Bescheidenheit und Einfachheit verbunden; Weniger und Wenig konnten vor Lachen noch nicht einmal sprechen,62 die Entrückte sang ständig und die Kinder gaben sich ungehemmt ihrem Spiel hin. Margarete zeigte den wahren Glauben durch den körperlichen Exzess, denn alles, was nicht brannte, war lauwarm und ängstlich. Für Margarete musste der Glauben etwas Allumfassendes sein, das alle Konventionen und sozialen Regeln vergessen machte. Dieses völlige Aufgehen in der Unbesorgtheit machte diese ungewöhnlichen Personen zu subtilen Bibelexegeten. Der Inquisitor beispielsweise reagierte verblüfft, als er mit den Worten der Kinder konfrontiert wurde.63 Margarete räumte auch der Körpersprache viel Platz ein, die nur im Theater möglich war. Mit ihren Komödien wollte die Königin die religiöse Botschaft erneuern und erklären, um zum Fortschritt der evangelischen Strömung beizutragen. Im Grundprinzip dieser Theaterstücke war die Essenz der christlichen Doktrin enthalten, die den Evangelien zugesprochen wird. Dass dem Körper und den verschiedenen Sinneseindrücken so viel Bedeutung zugemessen wurde, konnte als buchstäbliche Interpretation der Idee von der Inkarnation des Wortes gedeutet werden, zuerst in einem einzigen Wesen – Christus – und dann in allen anderen, die es empfangen wollten und sich so in der Welt hervortaten. Durch die Umkehrung der Dialektik von Körper und Seele machte Margarete die Sinnlichkeit zur Hauptstraße auf dem Weg zur Liebe Gottes und das Gedeihen der Körper zum notwendigen Pendant zum spirituellen Leben. Indem sie die Unmittelbarkeit der Körper zur Bedingung für eine echte und wahre Kommunikation machte, bezog Margarete Stellung in der Debatte über die Bibelexegese: Sie wollte auf diese Art beweisen, dass nur der echte und vollkommene Glauben das Verständnis der Texte ermöglichte, und dass dies nicht von komplizierten Studien und gelehrten Glossen abhing (man bedenke, dass alle Gelehrten negative Figuren sind, allen voraus diejenigen im Gefolge des Herodes), sondern von der Hingabe in Gottes Liebe. In allen weltlichen pièces waren die schlechten Gläubigen auf gewisse Weise unfähig, den tieferen Sinn der Sprache zu verstehen, oder sie lasen nur den sozialen, verdorbenen Aspekt heraus, während die echten Gläubigen den spirituellen Sinn spontan verstanden. Die Dialoge zwischen der Dienerin und dem Kranken, für den der Ausruf ‚Mon Dieu’ eine leere Worthülse ist, oder zwischen dem Inquisitor und den Kindern, standen dafür beispielhaft. Wenn der Inquisitor die Kinder fragte, wer ihr ‚Vater’ war, antworteten diese ‚Eurer’. Nun war der Inquisitor nicht nur unfähig zu verstehen, dass für diese Kinder Gott der einzige Vater war, sondern 60 61 62 63

Trois Roys, vv. 208f. Mallade, vv. 246f. „L’on ne nous peult entendre / Car nous rions tant, tant et tant / Que rien que la vois, l’on entend / Qui demonstre nostre plaisir“, Trop, Prou, Peu, Moins, vv. 404–7. Inquisiteur, vv. 187 f.; 247f.; 276–279.

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verfluchte diesen sogar, ohne es zu merken.64Und ebenso, wie der Inquisitor die Sprache des Glaubens nicht verstand und noch nicht einmal als solche erkannte, klagte die Entrückte in ihrem Wahn die post-babylonische Sprachverwirrung an: „Ainsy chacun / Parle son langaige commun.“ Es ist symbolisch, dass das Kind, die weltliche Version des Christus in den religiösen Komödien, das seine Sprache noch gar nicht komplett beherrschte, die Bekehrung des Inquisitors vollenden konnte. Als dieser seine Erleuchtung erhielt, verstand er endlich, dass die theoretische Kenntnis der Heiligen Schrift und der spirituelle Sinn der Kindersprache zusammengefügt werden mussten.65

4. Fazit Dass Margerete die Literaturform des Theaters gewählt hat, um ihren Glauben und ihre Interpretation der Heiligen Schrift zu vermitteln, zeugte von ihrem stark ausgeprägten Sinn für das Heilige. Sie begnügte sich nicht damit, die Botschaft der Bibel zu verbreiten, sondern wollte auch ihre eigenen Ideen darüber bekannt machen, wie man am besten die Evangelien lesen sollte: Einerseits mit Respekt gegenüber dem Wortlaut, andererseits in einer einfacheren Form, die auch für das einfache Volk verständlich wurde. Ihre strahlende Jungfrau Maria, das Wunder in der Wüste, die Kostüme von Zuviel, Mehr, Wenig und Weniger und ihre spiegelbildlich angelegten Unbilden (ihnen wachsen Hörner und Ohren) zeigen, dass die Bibel und ihre Botschaft für Margarete eine wunderbare und wundersame Seite behielten, die sich den trockenen Glossen der von ihr verurteilten ‚Gelehrten’ entgegenstellte. Jenseits all dessen, was ihre pièces zum Diskurs über das Thema des Fleisch gewordenen Wortes beitrugen, war das Theater für sie ein Instrument des Gottesdienstes und der Lehre: Im Vergleich zum Bibeltext, der den Ausgangspunkt darstellt, erhielt das Theater dieselbe Rolle wie die bildlichen Darstellungen in Kirchen. Es erlaubte, den Glauben und die Bibelkenntnis nicht als ein Ritual und eine Doktrin darzustellen, sondern als etwas Erlebtes. In gewisser Weise wollten ihre Theaterstücke im Verhältnis zur Bibel das sein, was Christus gegenüber Gott war: der lebendige und Fleisch gewordene Ausdruck einer Abstraktion. So bezeugten sie die unlösliche Verbindung, die die Königin zwischen ihrer eigenen Bibellektüre, ihrer Frömmigkeit und ihrem literarischen Werk geschaffen hatte.

64 65

Inquisiteur, vv. 213f. EBD., vv. 472–5.

Katholikinnen und Protestantinnen: Ikonographische Notizen zu zwei Arten der Bibelbeziehung María Leticia Sánchez Hernández Patrimonio Nacional, Madrid Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht die Frage, wie sich die Beziehung zwischen der Bibel und den Katholikinnen Südeuropas (des Mittelmeerraums) in der Malerei widerspiegelt und in welchen Formen die Renaissance und der Barock die biblischen Themen und Frauengestalten behandelt haben. Wie ich in dem betreffenden Band zum Mittelalter bereits festgestellt habe,1 ist es, was die Frauen betrifft, weniger das Jahr 1492 als vielmehr das Konzil von Trient (1545‒1563), das den Epochenwechsel markiert. Doch die Geschichte besteht nicht aus geschlossenen Einheiten, sondern aus komplexen Entwicklungen, die durch das Nebeneinander von Reform und Wandel einerseits und fortbestehenden Mentalitäten und Verhaltensweisen andererseits gekennzeichnet sind. Deshalb erscheint es mir unerlässlich, auf die Königinnen und Statthalterinnen des 15. und 16. Jahrhunderts hinzuweisen, die sich als Sammlerinnen und Mäzeninnen betätigt haben: Sie stellen zum einen das Bindeglied zwischen Mittelalter und Neuzeit und zum anderen die Wasserscheide zwischen zwei verschiedenen Weltanschauungen dar: Reformation und Tridentinum vollziehen eine radikale Trennung zwischen zwei weiblichen religiösen Sphären, die sich durch den Gebrauch bzw. Nichtgebrauch der Bibel voneinander unterscheiden. Die ausgeprägte Bibelbeziehung der evangelischen Christinnen spiegelte sich nach der Abschaffung des Klosterlebens und der Bilder in Portraits und in der Genremalerei; während sich die Katholikinnen den biblischen Inhalten nun, da ihnen die Heilige Schrift genommen worden war, auf indirekte Weise nähern mussten: über Drucke, ikonographische Programme in Kirchen, Klöstern und privaten Oratorien und die verschiedenen Kunstformen des Barock. Da das ikonographische Material, das uns zum 16. und 17. Jahrhundert vorliegt, sehr reichhaltig ist, sehe ich mich gezwungen, einige Beispiele auszuwählen, die meiner Ansicht nach im Hinblick auf unser Thema besonders aussagekräftig sind. Zunächst befassen wir uns mit drei interessanten Mäzeninnen und Sammlerinnen des 15. und 16. Jahrhunderts: Margareta von York, Margarete von Österreich und Isabella der Katholischen. Anschließend betreten wir die Welt der Gegenreformation und beschäftigen uns mit der Guadalupe-Kapelle im Kloster der Descalzas Reales in Madrid, mit den Bildern, die die Beziehung der heiligen Teresa von Ávila zur Bibel widerspiegeln, und mit dem Druck als bevorzugtem Mittel der religiösen Propaganda. Einen letzten Abschnitt widme ich schließlich den Genreszenen oder dem Costumbrismo und den Portraits, weil diese Kunstgattungen die Unterschiede zwischen den katholischen und den evangelischen Christinnen am deutlichsten zum Ausdruck bringen.

1

María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, „Die Bibel und die Frauen: Ikonographie einer Beziehung im Spätmittelalter“, in Frauen und Bibel im Mittelalter (hg. v. Adriana Valerio und Kari Elisabeth Børresen; Die Bibel und die Frauen 6.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2013), 349‒368.

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1. Mäzeninnen und Sammlerinnen Die Tätigkeit als Sammlerinnen und Mäzeninnen, der eine bedeutende weibliche Elite im 15. und 16. Jahrhundert nachging, beschränkte sich nicht auf das – so oft als typisch weiblich bezeichnete ‒ Zusammentragen von Objekten, sondern definierte sich auch über die Funktionen, die Frauen im Bereich der Kunst übernahmen: als Förderinnen und Leiterinnen von Kunstwerkstätten, die mit unterschiedlichen Materialien arbeiteten. Die Initiativen, die verschiedene Statthalterinnen der Niederlande oder spanische Königinnen und Infantinnen auf den Weg brachten, äußerten sich in bedeutenden ikonographischen Programmen, denen die Bibel als primäre Inspirationsquelle diente. Die von diesen Frauen in Auftrag gegebenen Kunstwerke waren für ihre Residenzen und religiösen Stiftungen bestimmt. Diese Arbeit war eng mit einer breiten, durch Lektüre erworbenen Bildung verbunden. Sehen wir uns drei dieser einflussreichen Frauen näher an: Margareta von York, Margarete von Österreich und Isabella die Katholische. Die beiden erstgenannten unterhielten zu Beginn des 16. Jahrhunderts enge politisch-kulturelle Beziehungen zur Stadt Mechelen. Sie waren Frauen mit einer ausgeprägten Persönlichkeit, ehrgeizig und exzentrisch, die diese Metropole ganz bewusst zu ihrem Wohnsitz erkoren hatten. Beide lebten in einer Zeit und Umgebung, in der neue Kosmologien und Mentalitäten entstanden. Über 50 Jahre lang hinterließen sie sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich ihre Spuren und prägten die unterschiedlichsten Entwicklungen: die Kindererziehung; das Verhältnis von Glauben und Politik; das dynastische und repräsentative Denken; die Sammelleidenschaft oder die Freude am Exotischen. So entstand das ungewöhnliche Umfeld, in dem der künftige Kaiser Karl V. aufwuchs und erzogen wurde. Margareta von York (1446‒1503; Tochter von Richard, Duke of York, und Cecily Neville; Frau Karls des Kühnen und Stiefmutter der Maria von Burgund, deren Ehe mit Maximilian I. von ihr arrangiert wurde) war eine Herzogin, die den Hof von Cambrai auf subtile Weise zu beeinflussen wusste und maßgeblich an der Erziehung Philipps des Schönen, seiner Schwestern und später auch seiner Kinder beteiligt war. Margarete von Österreich (1480‒1530; Tochter Marias von Burgund und Philipps des Schönen, zunächst mit Johann von Aragon und Kastilien und später mit Philibert II. von Savoyen verheiratet; 1509 zunächst Regentin und ab 1519 Statthalterin der Niederlande) war der Prototyp einer Fürstin mit politischen Ambitionen. Beide Frauen spielten eine wichtige Rolle bei diplomatischen Angelegenheiten und in Abwesenheit des Fürsten als dessen ranghöchste Vertreterinnen. Abgesehen davon, dass sie bei den Empfängen der Gesandtschaften und Funktionäre anderer Höfe die Rolle der Gastgeberin übernahmen, wurde diesen Frauen aufgrund ihres Witwenstandes auch die Lösung politischer Krisen anvertraut: Margareta von York löste die Krise nach dem Tod Karls des Kühnen und unterstützte Maria von Burgund beim Aufstand von Gent. Margarete von Österreich, die Karl V. zu seinem alter ego erklärt hatte, war das Oberhaupt des Kronrats für die Niederlande und hatte dort Entscheidungsbefugnis. Von wesentlicher Bedeutung waren aber auch die Rollen, die diese Frauen übernahmen, und die Stiftungen, zu denen sie sich von beispielhaften Persönlichkeiten und Begebenheiten inspirieren ließen, um ihre eigene Person,

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ihr Leben, ihre Frömmigkeit, ihren Charakter und ihre Tugenden zu überhöhen: Sie betrachteten sich selbst als die Fortsetzung einer langen Reihe stilisierter Vorbilder aus Familie, Dynastie und Gesellschaft.2 Zu den besonders geschätzten Objekten ihrer Höfe zählten die Tapisserien, die die Palasträume schmückten und die nicht nur durch ihre Größe und Pracht herausragten, sondern einer elitären Kultur zudem als Mittel der Propaganda und visuelles Gedächtnis dienten. Sie lieferten die Modelle, an denen sie ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten ausprägten. Die Zyklen der Margareta von York beinhalteten die Geschichten von Ester, Debora, Abigail und Judit, die von Margarete von Österreich neben Ester die Geschichten der heiligen Helena und der Batseba. Auch anhand ihrer Bibliotheken lässt sich nachvollziehen, wie sich ihre Mentalitäten herausgebildet haben. Margareta von York las und erbte die Bibliothek Karls des Kühnen, die sie um einen bestimmten Typus der religiösen Literatur erweiterte, der ihre Nähe zur Devotio moderna verriet. Margarete von Österreich sammelte einen Bücherbestand, der den Vergleich mit den Bibliotheken des Kardinals Albrecht von Brandenburg oder Friedrichs des Weisen von Sachsen nicht zu scheuen brauchte. Im Unterschied zu ihrer Tante interessierte sie sich mehr für weltliche Literatur und stattete 1519 sogar der angesehenen Bibliothek Erasmus’ von Rotterdam einen Besuch ab. Der Bestand aus bebilderten Stunden- und Andachtsbüchern, Bibeln und Psaltern ermöglichte es beiden, die Schrift kennenzulernen und mit ihr zu beten. So hat der Miniaturmaler Gerard Horenbout im Stundenbuch der Sforza von 1517 (British Library) der heiligen Elisabet in der Szene der Heimsuchung die Gesichtszüge der Margarete von Österreich gegeben. Neueren Interpretationen zufolge bringt die Statthalterin mit ihrer Verbeugung vor dem Messias ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die Geburt ihres Neffen Karl – des zukünftigen Karl V. ‒ ein Geschenk Gottes war: So wird das Verhältnis Elisabet-Jesus auf MargareteKarl übertragen.3 Besonderes Interesse verdient das Thema des Sammelns, das auf die Rolle der Frauen als Kunstmäzeninnen verweist. Sie kauften Kunstgegenstände für sich selbst und als Geschenke zu besonderen Anlässen wie dem Beginn eines neuen Jahres, diplomatischen Ereignissen, Geburten, Taufen oder Hochzeiten. Durch den Austausch von Geschenken trugen sie zur Entstehung der sogenannten Wunderkammern bei, in denen exotische Objekte, Miniaturen, kleinformatige Gemälde, Stücke der Juwelier- und Goldschmiedekunst, Reliquiare und anderes aufbewahrt wurden. Die Sammlung der Margarete von Österreich enthielt laut den um 1530 erstellten Verzeichnissen unter anderem Werke von Hieronymus Bosch, Rogier van der Weyden, Hans Memling und zahlreiche illuminierte Handschriften mit biblischen Szenen sowie exotische Objekte aus dem Orient.4 Es ist davon auszugehen, dass diese Wunderkammern die Vorläufer der Reliquiare oder Lip2 3 4

Women of Distinction: Margaret of York, Margaret of Austria (hg. v. Dagmar EICHBERGER; Turnhout: Brepols, 2005). Book of Hours, Use of Rome (the ‘Sforza Hours’) (British Library, London, Add. MS 34294, 1‒4; eingel. u. komm. v. Mark L. Evans; Luzern: Faksimile-Verlag, 1993‒1995). Julius VON SCHLOSSER, Las cámaras artísticas y maravillosas del renacimiento tardío (Madrid: Akal/Universitaria, 1988).

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sanotheken des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts sind, die die Frauen aus dem Hause Habsburg so sehr förderten und die nicht nur in den Legenden, die sich um die jeweiligen sterblichen Überreste ranken, sondern auch in den Bildern, die diese großartigen Stücke schmücken, erstaunliche biblische Bezüge aufweisen. Die heilige Teresa sah eine solche Wunderkammer im Palast der Herzogin von Alba in Alba de Tormes.5 Die Bedeutung der Bibel im Leben Isabellas I. von Kastilien, genannt die Katholische (1451‒1504; ab 1474 Königin von Kastilien; ab 1469 durch Heirat Königin von Sizilien und ab 1479 auch von Aragón), verdichtet sich in der Einrichtung ihrer privatesten Räume: Estrado, Alkoven und Oratorium. Der Estrado ist ein Besuchs- und Arbeitszimmer: Hier wird gelesen und geschrieben, geplaudert und Musik gehört. Es ist ein Überbleibsel der hispanomuslimischen Kultur und im übrigen Europa nicht bekannt. Der Alkoven ist das Schlafzimmer, wo das Bett steht. Das Oratorium schließlich ist der geeignete Raum, um zu beten, die Bibel zu lesen und die Gottesdienste mitzuverfolgen; hier befinden sich die Tapisserien der Königin, ihre Gebetbücher, ihr Stundenbuch mit den Miniaturmalereien, ihr privater Altar, verschiedene Gemälde und liturgisches Gerät. Die Katholische Königin besaß eigene Gemächer in der Kathedrale von Toledo, in den Klöstern von Guadalupe (Cáceres) und Parral (Segovia) oder auch in Medina del Campo (Valladolid).6 Die beschriebene Raumanordnung wird vom Prinzip her in allen spanischen Palästen dieselbe bleiben, bis die bourbonischen Bauten des 18. Jahrhunderts die französische Mode der aneinandergrenzenden und miteinander verbundenen Wohnräume einführen. Bis dahin folgen die Räumlichkeiten der Isabella Clara Eugenia im Kloster von El Escorial, die Gemächer der Königinnen im Madrider Alcázar oder auch die Gemächer der Gräfin von Olivares in ihrem Palast in Loeches dem isabellinischen Muster. Die Gemächer der Königin Isabella waren mit den „Paños de oro“ (bekannt als Leben der Jungfrau) geschmückt, die Johanna von Kastilien ihrer Mutter geschenkt und 1502 bei dem Brüsseler Bildwirker Pieter van Aelst gekauft hatte. Es sind vom Neuen Testament und von der Legenda aurea des Jacobus de Voragine inspirierte Szenen. Darüber und darunter sind, als Präfigurationen der Mariengeschichte, jeweils alttestamentliche Darstellungen zu sehen. Auf dem ersten Wandbehang sendet Gott den Engel Gabriel aus; darum herum sind die folgenden Szenen angeordnet: links oben Ester, die dem König Ahasveros vorgestellt wird; rechts oben Salome, die den Kopf des Täufers verlangt; links unten Bileams Esel; und rechts unten die Tiburtinische Sibylle, die die Geburt des Messias ankündigt. Im selben Jahr gab Johanna von Kastilien bei demselben Bildwirker eine weitere Tapisserie in Auftrag, um sie ihrer Mutter zu schenken: die Paños der Kindheit Christi. Auf dem Paño de la presentación ist zentral die Darstellung Jesu im Tempel (Lk 2,22‒40) zu sehen, darüber David, die Darbringung Samuels durch 5

6

TERESA VON ÁVILA, Wohnungen der Inneren Burg, Sechste Wohnung, Kap. 4.8 (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Gesammelte Werke, Bd. 4; Freiburg i. Br.: Herder, 2005), 253. Mueble español: estrado y dormitorio (Ausstellungskatalog; Madrid: Museo Español de Arte Contemporáneo, 1999). Isabel, la reina católica: Una mirada desde la catedral primada (Ausstellungskatalog; Barcelona: Seacex, 2005).

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Hanna und Salomo. Unterhalb der erwähnten Bildfolgen sieht man im Zentrum die Krönung Salomos durch Zadok und darum herum Batseba und Natan, Simeon und Maria und die Opfer Abels und Isaaks. Beide Zyklen gingen als Erbe an Karl V. und Philipp II. und wurden bei staatlichen Zeremonien verwendet. Sie befinden sich heute im Kloster von El Escorial.7 Eines der Lieblingsstücke Isabellas der Katholischen ist das sogenannte Polyptychon vom Leben Christi, das sie zwischen 1496 und 1504 bei ihrem Hofmaler Juan de Flandes in Auftrag gegeben hatte. Die genaue Anzahl der Bildtafeln, aus denen dieses mittelgroße Retabel bestanden hat, lässt sich derzeit kaum feststellen: Das königliche Inventar verzeichnet 47 Tafeln, doch wir wissen nur von 15, die im Madrider Königspalast aufbewahrt werden. Auf den verschiedenen Tafeln sind die wichtigsten Szenen der Heilsgeschichte dargestellt, die zu Meditation und Gebet anregen sollen. Diese kleinen, von Juan de Flandes geschaffenen Tafeln sind Miniaturkunstwerke von einer zarten Emotionalität, die bei Hof hochgeschätzt wurden; mit größter Akribie stellt der Künstler in jeder einzelnen Szene die architektonischen Perspektiven und alle nötigen naturalistischen Einzelheiten dar. Die Tafel Noli me tangere ist unter anderem deshalb interessant, weil die katholische Königin der Figur der Maria Magdalena besondere Verehrung und Zuneigung entgegenbrachte. Jesus ist darauf zu erkennen, der einen Spaten hält und eine Handbewegung macht, während vor ihm eine Frau kniet; ihre Haltung ist ruhig, elegant und, wie mir scheint, zutiefst religiös und bringt zum Ausdruck, dass ihr die wichtige Rolle, die sie spielt, vollauf bewusst ist.8

2. Die neuzeitliche Welt Der Einfluss der Reformation und des Konzils von Trient sollte sich vor allem in der spirituellen Welt der Frauen bemerkbar machen. Die Katholiken behielten die tridentinische Pädagogik im Großen und Ganzen bei und bildeten unter den wachsamen Blicken der Kirche einen mehr oder weniger einheitlichen Block, der natürlich dennoch seine 7

8

Paulina JUNQUERA und Concha HERRERO, Catálogo de Tapices del Patrimonio Nacional, Bd. I: Siglo XVI (Madrid: Patrimonio Nacional, 1986), 7; Concha HERRERO, Tissus d’Or: Tapisseries Flamandes de la Couronne Espagnole (Mechelen: Manufacture royale de tapisseries Gaspard De Wit, 1993), 17‒25; DIES., „Les Tapisseries“, in Charles Quint: Tapisseries et armures des collections royales d’Espagne (Brüssel: Musées royaux d’Art et d’Histoire, 1994), 51; DIES., „Tapices de Isabel la Católica: origen de la colección real españo-la“, im Rahmen der Ausstellung Tapestries of Isabella the Catholic: origin of the Spanish royal Collection (Madrid: Patrimonio Nacional, 2004); Reyes y Mecenas: Los Reyes Católicos: Maximiliano I y los inicios de la Casa de Austria en España (Ausstellungskatalog; Madrid: Seacex, 1992); Felipe I el Hermoso: La belleza y la locura (hg. v. Miguel Ángel und Paul Vandenbroeck; Madrid: Fundación Caja de Burgos/Fundación Carlos de Amberes/Centro de Estudios Europa Hispánica, 2006). Fernando CHECA CREMADES, Isabel la Católica: la magnificencia de un reinado: quinto centenario (Madrid: Sociedad Estatal de Conmemoraciones Culturales, 2004), 83‒88; Chiyo ISHIKAWA, The ‘Retablo de Isabel la Católica’ by Juan de Flandes and Michel Sittow (Turnhout: Brepols, 2004); Barbara F. WEISSBERGE, Queen Isabel I of Castile: power, patronage, person (London:.Tamesis Books, 2008), 141

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Nuancen und Schattierungen aufwies. Die Situation der protestantischen Frauen war dagegen weitaus komplexer und heterogener, doch auch sie war zutiefst von den Normen geprägt, die sich im 16. Jahrhundert aus der Reformation entwickelten und im 17. Jahrhundert in den jeweiligen Kirchen verfestigten. Während die Anhängerinnen der Reformation die Bibel als religiöse Inspirationsquelle nutzten, sahen sich die Katholikinnen der Bibel beraubt und gezwungen, stattdessen zu devotionalen und hagiographischen Texten zu greifen. Diese Beziehung zur Bibel, direkt bei den einen, indirekt bei den anderen, sollte sich in den ikonographischen Programmen des 16. und 17. Jahrhunderts niederschlagen. Entsprechend den Vorschriften des Tridentinums wurden eine Reihe strenger Kontrollen eingeführt, die den freien Zugang zu den Büchern einschränkten. Diese Normen verfolgten dieselbe ideologische Linie wie der 1559 veröffentlichte erste Index der verbotenen Bücher und die nachfolgenden Ausgaben von 1612 und 1632. Die breite Bevölkerung – mit Ausnahme der, wie es in der Apostille zum Index wörtlich heißt, „frommen und gelehrten“ Männer ‒ blieb von der direkten Bibellektüre ausgeschlossen. Deshalb vollzog sich die Begegnung mit der Heiligen Schrift auf anderen Wegen: über die Predigten. Über die sorgfältige Auswahl der in die Andachtsbücher und geistlichen Lektüren eingefügten Bibeltexte, über die in den Messbüchern und im Brevier enthaltenen lateinischen Zitate; und über die Drucke, die die Bücher illustrierten. Der mediterrane Katholizismus strukturierte sich also fernab der unmittelbaren Quellen des Glaubens. Doch ebendiese Unterversorgung im literarisch-textlichen Bereich führte zu einem Überfluss des Visuellen als nunmehr wichtigster Form der Glaubensvermittlung. Die Richtlinien des Konzils von Trient lernte man in der Familie, im Kloster – da Ehe und Ordenseintritt für die Angehörigen bestimmter Gesellschaftsschichten nach wie vor die beiden einzigen Optionen waren – und in den Pfarrkatechesen. Dabei ging es in erster Linie darum, ein bestimmtes Repertoire an religiösen Gesten zu beherrschen, die für den korrekten Messbesuch, die Anbetung des Allerheiligsten oder das Anhören einer Predigt erforderlich waren: Kniebeugen, das Kreuzzeichen, der Gebrauch von Weihwasser und die Verbeugung vor einer Reliquie und einem heiligen Bild. Katholische Frauen glaubten an das Fegefeuer, verehrten Reliquien und Heilige – die Anzahl der privaten Oratorien mit Altären voller Reliquien und kleiner Bildwerke nahm erheblich zu ‒, gingen täglich zur Messe, die im 17. Jahrhundert bereits eine „Andachtsübung“ war, waren bei Prozessionen anwesend, schlossen sich Bruderschaften oder karitativen Vereinigungen an und hörten die Predigten im Rahmen der Novenen zu den wichtigsten Festen. Besondere Erwähnung verdient die zunehmende Verbreitung von Heiligenviten, Novenen und Sammlungen von Formeln für das mündliche Gebet. Lehrbücher enthalten das Credo, die Gebote, die Sakramente, die Werke der Barmherzigkeit, die sieben Tugenden, die Gaben und Früchte des Heiligen Geistes, die Klassifikation der Sünde und Grundgebete wie das Vaterunser, das Ave Maria, das Salve Regina und das Schuldbekenntnis.9 9

Nieves BARANDA LETURIO, „L’éducation des femmes dans l’Espagne post-tridentine“, in Genre et identités aux Pays-Bas méridionaux: L’éducation religieuse des femmes dans les Pays-Bas méridionaux après le Concile de Trente (XVIe–XVIIe siècles) (hg. v. Sylvie Mostaccio; Louvain-la-Neuve: Université de Louvain-la-Neuve, 2010), 29–63.

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3. Die Kapelle Unserer Lieben Frau von Guadalupe im Kloster der Descalzas Reales in Madrid Das Madrider Kloster Unserer Lieben Frau vom Trost, gemeinhin als Kloster der Descalzas Reales bekannt, wurde auf die persönliche Initiative der Prinzessin Johanna von Spanien hin gegründet, der Tochter Karls V. und Schwester des Königs Philipp II., die sich nach dem Tod ihres Mannes, des portugiesischen Thronerben Johann Manuel, von der Welt zurückziehen wollte. Den frühesten Quellen zufolge schrieb man das Jahr 1554, als Doña Juana ‒ damals in Abwesenheit des Monarchen, der in Valladolid residierte, Statthalterin von Kastilien ‒ den Entschluss fasste, aus ihrem Privatvermögen ein Kloster nach der ersten Regel der heiligen Klara zu stiften. Um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, setzte sie sich mit dem späteren Heiligen Francisco de Borja, Herzog von Gandía – auf diesen Titel hatte er verzichtet, als er nach dem Tod seiner Frau in den Jesuitenorden eintrat ‒ in Verbindung, der ihr riet, die Unbeschuhten Klarissen aus dem Kloster in Gandía für diese neue Gründung zu gewinnen: die erste Klarissengemeinschaft in Spanien, die nach den Vorstellungen der heiligen Colette von Corbie reformiert worden war. Johanna beschloss, die Madrider Gründung in ihrem Geburtshaus, dem Palast des kaiserlichen Schatzmeisters Alonso Gutiérrez, einzurichten: Kaiserin Isabella war kurz vor der Niederkunft dorthin umgesiedelt, weil ihr der Madrider Alcázar zu unbequem geworden war. Nachdem die nötigen gesetzlichen Maßnahmen für den Kauf des Gebäudes und seine Umwandlung in ein Kloster getroffen worden waren, zog die Gemeinschaft am 15. August 1559 in feierlicher Prozession in den Palast ein. Der Orden lebt dort bis heute.10 Die über 10.000 Kunstwerke, die in diesem einzigartigen Madrider Gebäude aufbewahrt werden, sind ein einmaliger Ausdruck der weiblichen Religiosität des Antiguo Régimen. Im oberen Teil des Klosters gibt es einen Raum, der meist völlig unbemerkt bleibt, jedoch zweifellos zu den interessantesten des gesamten Klosters gehört: die Kapelle der Jungfrau von Guadalupe. Statt von einer Kapelle sollte man eher von einem Oratorium oder einem Schaufenster mit Altar sprechen, denn es handelt sich um eine Öffnung in der Wand, in der, wohlbehütet von zwei Türen aus geschnitztem und vergoldetem Holz, ein Altar steht. Sind die beiden Türen geschlossen, kann man durch das Gitter ihrer gedrehten Säulen in das Innere des kleinen Raums hineinschauen. Seltsamerweise hat diese Kapelle bisher nur einmal, nämlich 1967, in einem kleinen Beitrag in der Zeitschrift Reales Sitios Erwähnung gefunden, nachdem das Kloster 1961 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.11 Bis dahin war sie praktisch unbekannt. Doch ihre architektonische Struktur und ihre Ikonographie machen sie zu einem einzigartigen Beispiel des spanischen Barock mit Parallelen in anderen monastischen Enklaven. 10

11

María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, Patronato Regio y Órdenes Religiosas Femeninas en el Madrid de los Austrias: Descalzas Reales, Encarnación y Santa Isabel (Madrid: Fundación Universitaria Española, 1997). Las Descalzas Reales: orígenes de una comunidad religiosa en el siglo XVI (hg. v. Ana García Sanz; Madrid: Patrimonio Nacional/Cajamadrid, 2010). María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, „La Capilla de Guadalupe en el Monasterio de las Descalzas Reales“, in Herederas de Clío: Mujeres que han impulsado la historia (hg. v. Gloria Franco Rubio und María Ángeles Pérez Samper; Sevilla: Mergablum, 2014), 493-513.

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Die Kapelle besteht aus 73 in Öl gemalten, von geschnitzten und vergoldeten Holzrahmen eingefassten Spiegelfeldern, die auf den drei Stufen des Altaraufsatzes und an den Wänden darum herum angeordnet sind. Die Gemälde an den Wänden sind Darstellungen alttestamentlicher Frauen. Die Miniaturen auf den Stufen zeigen die Symbole der lauretanischen Litanei; ein achteckiges Ölgemälde an der Vorderseite des Altartischs stellt die Unbefleckte Empfängnis dar. Der Bildschmuck wurde 1653 von Sebastián Herrera Barnuevo12 geschaffen. In Auftrag gegeben hatte ihn Schwester Anna Dorothea von Österreich, uneheliche Tochter von Kaiser Rudolf II. und seit 1628 selbst Klarissin. Die Namen von Vater und Tochter finden sich gemeinsam mit ihren Wappenschilden auf einem Kragstein am Türsturz. Die 21 Szenen an den Wänden sind biblischen Heroinen aus dem Alten Testament gewidmet, deren Leben das der Gottesmutter präfiguriert und verherrlicht. Es sind junge und schöne Gestalten, die ihre ikonographischen Attribute bei sich tragen und deren Namen in goldenen Buchstaben im oberen Bildteil angegeben sind. Die Frauen sind in Paaren angeordnet, die gewisse Parallelen aufweisen: die Königin von Saba vor Salomo und daneben Ester vor Ahasverus; Rut, die Noomi die gesammelten Ähren bringt, und daneben Samuels Mutter Hanna, die ihren Sohn im Tempel darbringt. Die Kleidung der Frauen ist von den venezianischen Meistern der Renaissance inspiriert, die die Angewohnheit hatten, fantastische und exotische Gewänder zu entwerfen, die Theaterkostümen ähnelten: Auffällig sind insbesondere das Kleid der Ester und das der Rebecca, das sich bei Rut und der Königin von Saba wiederholt. Die Szenen verraten ein gründliches Studium der Umsetzungen biblischer Stoffe bei Meistern wie Tizian und Tintoretto, deren Gemälde Diego Velázquez auf seiner zweiten Italienreise für die Sammlung des spanischen Königs erworben hatte. Der venezianische Einfluss macht sich auch in den Körperhaltungen und in der Palette der verwendeten Farben bemerkbar: Blau, Weiß, Gelb, Grün, verschiedene Rottöne, Braun und Schwarz. Die Anordnung der Bilder hält sich treu an die Reihenfolge eines Buchs, das in der Klosterbibliothek aufbewahrt wird: Es wurde 1627 von Martín Carrillo verfasst, trägt den Titel „Elogios de mugeres insignes del viejo testamento“ und ist Schwester Margarita de la Cruz gewidmet (Tochter der Kaiserin Maria von Spanien und in fünfter Ehe Philipp II. versprochen).13 In 47 Kapiteln werden darin die Geschichten von 54 biblischen Frauengestalten kommentiert; am Rand wird auf die betreffende Bibelstelle verwiesen. Die kurzen Originalzitate stammen aus der Vulgata, und jedes Kapitel endet mit dem Sonett eines zeitgenössischen Dichters. Dies ist zum einen ein anschauliches Beispiel für eine geistliche Lektüre, über die sich die Katholikinnen mittelbar Zugang zu biblischen Inhalten verschafften, und zum anderen für einen Text, der sich in Bildern niederschlug, um im Rahmen einer bestimmten Pädagogik von einer Ordensgemeinschaft betrachtet zu werden. Der Verfasser schrieb das Buch, um die Heiligkeit, den 12

13

Maler, Bildhauer, Kupferstecher und Architekt (Madrid 1619‒1671), Schüler seines Vaters, des Malers Antonio Herrera. Er arbeitete in der Werkstatt von Alonso Cano und wurde Hofmaler Philipps IV. 1649 entwarf er die Dekoration für den Einzug der Königin Maria Anna von Österreich in Madrid. Martín CARRILLO, Elogios de mugeres insignes del viejo testamento (Huesca: P. Blusón, 1627).

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Seelenadel, die Tapferkeit, den Mut und die Tugendhaftigkeit der berühmtesten Frauen des Alten Bundes hervorzuheben und deutlich zu machen, dass Gott zu allen Zeiten Frauen auf der Erde hatte wandeln lassen, deren Heiligkeit es zu achten, deren Edelmut es zu verehren, deren Tapferkeit es zu rühmen und deren Tugendhaftigkeit es nachzuahmen galt. Andererseits gab es natürlich auch lasterhafte, grausame, verschlagene, ehebrecherische, unabhängige, unbotmäßige oder mit Zauberkräften begabte Frauen, die in der Heiligen Schrift getadelt werden: Dalila, Isebel, Dina, Batseba oder die Frau des Potifar, deren Lebensläufe ebenfalls verzeichnet waren, damit sie den tugendhaften Frauen als abschreckendes Beispiel dienten. Wir haben es hier mit dem pädagogischen Programm zu tun, das 1524 von Vives für die Unterweisung der christlichen Frau aufgestellt worden war14 und sich an Frauen in allen Lebenslagen richtete.15 Das Beispiel der Dina sollte die Mädchen lehren, sich zurückzuhalten und unsichtbar zu sein; die, die heiraten wollten, sollten dies genau wie Rebekka nur mit der Einwilligung ihrer Eltern tun; die verheirateten Frauen sollten ihre Schwiegermütter ehren wie Rut; die Schwiegermütter sollten ihre Schwiegertöchter gut behandeln wie Noomi; die Frauen sollten ihre Söhne für Gott erziehen wie Hanna, die Mutter des Samuel; die Witwen sollten sich an Judit ein Beispiel nehmen; die Frauen sollten klug sein wie Ester, weise und bescheiden wie Debora. Die Guadalupe-Kapelle und ihre starken biblischen Frauen sind ein anschaulicher Beleg dafür, wie die Heilige Schrift in Bilder umgesetzt und zu pädagogischen Zwecken verwendet wurde.16 Die 46 Szenen auf den Stufen des Retabels kombinieren symbolische Pflanzen und Tiere und alttestamentliche Zitate mit Parallelen aus dem neutestamentlichen Kontext: apokryphen Begebenheiten aus der Kindheit Marias. So wird etwa die Erziehung der Gottesmutter – als elementares Vorbild für die Frauen der damaligen Zeit – mit einem Nähtisch, einem Buch – nicht der Bibel, sondern einem Andachtsbuch ‒ und einem Stück Brot dargestellt und durch ein Zitat aus dem Buch der Sprichwörter ergänzt: „Et panem otiosa non comedit“ (Spr 31,27).17 Aus den allegorischen Gemälden des Altars spricht ein leidenschaftlicher Glaube an die Prinzipien des Immakulismus – was wohl auf den Einfluss der Franziskaner, deren Ordensfamilie die Descalzas angehörten, und der habsburgischen Monarchie zurückzuführen war, die sich für die Verkündigung des Dogmas einsetzte. Im Kontext dieser heftig umstrittenen Lehre wurde die Kapelle der Jungfrau von Guadalupe geweiht – das Bild ist verlorengegangen –, die unter den Hofdamen sehr verehrt wurde. Schwester Margarita de la Cruz schenkte ihr den aus Gold und Perlen gewirkten Mantel, den sie anlässlich ihrer Profess bei der Zeremonie der Weltentsagung getragen hatte. 14 15 16

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Juan Luis VIVES, Instrucción de la mujer cristiana (Buenos Aires: Espasa-Calpe, 1944). Juan DE LA CERDA, Libro intitulado vida política de todos los estados de mujeres (Alcalá de Henares: Casa de Juan Gracián, 1599). Rosilie HERNÁNDEZ-PECORARO, „The politics of exemplarity: Biblical Women and the education of the Spanish Lady in Martin Carrillo, Sebastián Herrera Barnuevo and María de Guevara“, in Women’s Literacy in Early Modern Spain and the New World, (hg. v. Ann Cruz und Rosilie Hernández; Aldershot: Ashgate Publishing Limited, 2011), 225‒242. Aus dem Lob der tüchtigen Frau: „Sie achtet auf das, was vorgeht im Haus, und isst nicht träge ihr Brot.“ (Spr 31,27)

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4. Die heilige Teresa von Ávila Wenn von den Beziehungen der heiligen Teresa zur Ikonographie die Rede ist, denkt man meist zuerst an die unüberschaubare Zahl von Darstellungen, die noch zu Lebzeiten und bis auf den heutigen Tag von ihrer Person angefertigt worden sind. Die Portraits, die – realen und legendarischen ‒ Episoden aus ihrem Leben, die von ihr eingeführten Formen der Verehrung – etwa des heiligen Josef ‒ oder auch ihre Visionen haben vier Jahrhunderte lang Maler, Bildhauer und Kupferstecher in Europa und Amerika inspiriert. Was die Heilige selbst von der Kunst dachte und welche Rolle diese in ihrem Leben spielte, ist dagegen weit weniger erforscht. Man muss zwischen den Zeilen ihrer Werke lesen, um etwas über ihren Kunstgeschmack und darüber zu erfahren, welche Richtlinien sie für den Bau und die Ausschmückung ihrer Gründungen festlegte und warum sie das tat.18 Teresa betrachtete das Bild nicht nur als etwas Nützliches, sondern wusste, da sie eine hochsensible Frau war, die Schönheit der betreffenden Objekte durchaus zu schätzen.19 Da ich in einem Buch gelesen habe, dass es Unvollkommenheit wäre, aufwendige Bilder zu haben, wollte ich eines, das ich hatte, nicht mehr in der Zelle behalten. Und auch schon bevor ich das gelesen hatte, schien es mir von Armut zu zeugen, keines zu haben außer solchen aus Papier […] Wie ich nun gar nicht weiter darauf achtgab, verstand ich Folgendes: dass das keine gute Übung ins Absterben wäre, und was denn besser sei, Armut oder Liebe; und da die Liebe das Bessere sei, solle ich nichts unterlassen, was mich dazu anrege, noch es meinen Schwestern wegnehmen, denn das Buch sprach von den häufig aufwendigen Bilderrahmen und auffälligen Dingen in den Bildern, und nicht vom Bild an 18

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1971 fand im Casón del Buen Retiro in Madrid (Ministerio de Educación y Ciencia) eine Ausstellung statt, die für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der heiligen Teresa zur Kunst bis heute maßgeblich ist. Der Titel der Ausstellung lautete Santa Teresa y su tiempo. Neben der Analyse der dort ausgestellten Werke verdienen zwei Untersuchungen besondere Erwähnung: José CAMÓN AZNAR, „Santa Teresa en la estética de su tiempo“, 9‒13; und Joaquín DE LA PUENTE, „La crisis de un siglo en el arte de los tiempos de Santa Teresa“, 41‒44, beide in Castillo Interior: Teresa de Jesús y el siglo XVI (Ausstellungskatalog; Ávila: Centro Internacional de Estudios Místicos, 1995). Einer der wichtigsten Vorträge auf dem Symposion, das die kunstgeschichtliche Abteilung „Diego Velázquez“ am CSIC (Centro de Ciencias Humanas y Sociales) 1996 zu dem Thema La Mujer en el Arte Español veranstaltete, war der von José María PRADOS GARCÍA, „El Arte en Santa Teresa“, in VIII Jornadas de Arte: La mujer en el arte español (Madrid: CSIC, 1997), 81‒92; hierin legt der Autor einige Koordinaten fest, die unverzichtbar sind, wenn es darum geht, die Beziehung der heiligen Teresa zur Kunst und die Frage zu untersuchen, inwiefern die Bibel eine grundlegende Inspirationsquelle war. Für die Originalzitate aus Teresa von Ávilas Schriften verweise ich auf die Gesamtausgabe Obras Completas (transkr., eingel. u. m. Anm. vers. v. Efrén de la Madre de Dios OCD und Otger Steggink OCarm; Madrid: BAC, 1986). Ich erlaube mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass Pater Efrén de la Madre de Dios mir diese Ausgabe persönlich zum Geschenk gemacht und mir empfohlen hat, sie in meinen wissenschaftlichen Arbeiten über die Heilige zu verwenden, was ich im vorliegenden Beitrag mit besonderer Freude tue.

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sich; und dass das, wozu der Böse die Lutheraner bringe, darin bestand, dass er ihnen alle Mittel wegnahm, um sie wacher zu machen, und so gingen alle verloren. Meine Christen, Tochter, haben genau das Gegenteil von dem zu tun, was diese tun, jetzt mehr denn je.20 Wisst ihr, wann das gut, gottgefällig und etwas ist, was auch mir große Freude macht? Wenn die Person selbst abwesend ist. Es ist ein großes Geschenk, ein Bildnis von Unserer Lieben Frau oder einem Heiligen, den wir verehren – erst recht von Christus! – anzuschauen, und etwas, was einen sehr anregt; ich wünschte mir, dass man es überall sieht, wohin man die Augen wendet.21

Diese Wertschätzung der Bilder ist nicht ausschließlich eine Folge der Gegenreformation, sondern hängt auch mit den Formen der damaligen Volksfrömmigkeit zusammen, die weitgehend von der in Kastilien festverwurzelten Spätgotik beeinflusst waren. Teresas Vorstellungswelt war von den Bildern in den Büchern, die sie las,22 und von den Kunstwerken geprägt, die sie sowohl in ihrer Geburtsstadt Ávila als auch in den Palästen, Kirchen und Klöstern zu Gesicht bekam, die sie in den Jahren ihrer Gründungen besuchte. Sie betrachtete die Skulpturen oder Gemälde in ihrer Umgebung oder ganz einfach die Drucke in ihrem Brevier oder im Flos Sanctorum. Schon in ihrem Elternhaus hatte sie das Gemälde „La Samaritana“ bestaunt – eine neutestamentliche Episode, auf die sie immer wieder zurückkam ‒, das im Kloster der Menschwerdung aufbewahrt wird. Die Szenen, die sie bildlich vor Augen hatte, waren den Gläubigen ihrer Zeit vertraut. Teresa bewunderte die Retabelkunst ihrer Epoche. Sie kannte den Altaraufsatz, den Pedro Berruguete und Juan de Borgoña von 1499 an für die Kathedrale von Ávila geschaffen hatten. Dort waren in Öl auf Holz gemalt die wichtigsten Szenen aus dem Leben Christi und der Jungfrau Maria und darum herum die zwölf Apostel zu sehen. Auch der Retabel der Stiftskirche San Antolín in Medina del Campo muss ihr bekannt gewesen 20

21 22

TERESA VON ÁVILA, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Gesammelte Werke, Bd. 3; Freiburg i. Br.: Herder, 2004), 305 (Geistliche Erfahrungsberichte, 63). TERESA VON ÁVILA, Weg der Vollkommenheit (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Gesammelte Werke, Bd. 2; Freiburg i. Br.: Herder, 2003), 281 (61,8). María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, „Las variedades de la experiencia religiosa en las monjas de los siglos XVI y XVII“, Arenal, 5.1; Januar‒Juni (1998): 69‒105. In dem Abschnitt über die Bücher und Lektüren der neuzeitlichen Ordensfrauen erkläre ich die fundamentale Bedeutung der Bibliotheken für die Ausprägung der Mentalitäten und liste die Werke, die die heilige Teresa nach eigener Aussage gelesen, sowie die Kommentare auf, die sie jeweils dazu abgegeben hat. Im Folgenden seien in aller Kürze die wichtigsten Bücher genannt, die ihre Bibelkenntnis und ihr ästhetisches Empfinden geprägt haben: die Briefe des hl. Hieronymus; Tercer Abecedario Espiritual; die Moralia Gregors des Großen; die Bekenntnisse des hl. Augustinus; El Arte de servir a Dios von Fray Alonso de Madrid; der Tractatus de vita spirituali des hl. Vinzenz Ferrer; Subida al Monte de Sión von Bernardino de Laredo; die Vita de Christo des Ludolf von Sachsen (auch Ludolf der Kartäuser). Logischerweise hatte sie darüber hinaus Zugang zum Flos Sanctorum, zur Bibel (zumindest solange, bis der Index der verbotenen Bücher erschien), zum Brevier (in Medina del Campo wird die venezianische Ausgabe von 1568 aufbewahrt) und zu weiteren Heiligenviten und geistlichen Abhandlungen, deren gedruckte Exemplare sich in den jeweiligen Klosterbibliotheken erhalten haben. Viele dieser gedruckten Ausgaben waren mit üppigen Stichen illustriert.

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sein, mit dem Joaquín de Troya, Juan Rodríguez und Cornelis de Holanda eines der schönsten Renaissancekunstwerke Kastiliens geschaffen hatten. Ohne Zweifel erfreute sie sich an dem Polyptychon über dem Altar der alten Kathedrale von Salamanca, das Dello Delli und Nicolás Florentino mit 54 Szenen aus dem Leben Jesu geschmückt hatten und das von einem runden Segment mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts gekrönt wird. Ganz zu schweigen von den Retabeln von Toledo und Sevilla: Auf Ersterem, im spätgotischen Flamboyantstil gehalten, geben sich burgundische, spanische und flämische Künstler ein Stelldichein; Letzteres zeichnet sich insbesondere durch die meisterhaften und vielfarbigen Holzarbeiten des Flamen Dancart aus, der es geschickt verstand, die Szenen aus dem Leben Christi und Mariens mit den typischen Heiligen der traditionellen sevillanischen Frömmigkeit zu kombinieren. Eine der für das Studium der Renaissance- und Barockkunst wichtigsten ikonographischen Quellen des Spätmittelalters waren die Revelationes der heiligen Birgitta von Schweden, die im Rahmen der Enzyklopädie Die Bibel und die Frauen bereits im Band über das Mittelalter ausführlich behandelt worden sind. Ein Schlüsselelement in Birgittas religiöser Erfahrung und Auslöser einer weitreichenden ikonographischen Wende war die Betrachtung des Leidens Jesu am Kreuz aus dem Mund seiner Mutter Maria. Diese detaillierte Schilderung schlug sich in den Skulpturen und Gemälden der Künstler nieder. Mit Beginn des 14. Jahrhunderts wurde Christus mit halbgeschlossenen Augen, eingefallenen Wangen und halboffenem Mund, mit verrenkten Gliedmaßen, blutüberströmt, bleich und ausgezehrt und mit dem seitwärts geneigten Haupt eines Sterbenden dargestellt. Mit Sicherheit hat Teresa sich in ihren bekannten Passagen über das Blut Christi und die Schmerzen seiner Passion von Birgittas Visionen, deren Niederschrift nachfolgend in den Klosterbibliotheken zu kursieren begann, und von der direkten Anschauung einiger Bildwerke wie beispielsweise des Christus in der Kathedrale von Burgos inspirieren lassen: Auf diesem schlechten Weg kamen wir […] in Burgos an. Noster Pater wollte, dass wir zuerst dem hl. Christus einen Besuch abstatteten, um ihm unser Anliegen zu empfehlen.23

Ebenfalls erhalten sind unter anderem der Ecce Homo im Kloster der Menschwerdung in Ávila; die von einem anonymen Meister des 16. Jahrhunderts geschaffene mehrfarbige Holzskulptur des Ecce Homo im Zisterzienserkloster von Ávila; oder auch das anonyme Gemälde in der Kirche San José de Ávila vom Ende des 15. Jahrhunderts, das die Entkleidung Christi darstellt und vor allem die Grausamkeit der Schergen und das leidende Antlitz Christi hervorhebt. Ihre jesuitischen Beichtväter – der heilige Francisco de Borja hatte die Heilige in seiner Funktion als Provinzial für Spanien im Kloster der Menschwerdung kennengelernt – beeinflussten sie dahingehend, dass sie in ihren Meditationen den Empfehlungen folgte, die der heilige Ignatius in seinen Geistlichen Übungen ausgesprochen hatte: „Um größere Leichtigkeit bei der Meditation zu erlangen, stellt man sich ein Bild auf, das das Mysterium des Evangeliums darstellt, und so soll man, ehe man mit der Meditation be23

TERESA VON ÁVILA, Das Buch der Gründungen (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Gesammelte Werke, Bd. 5; Freiburg i. Br.: Herder, 2007), 437f. (31,18).

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ginnt, das Bild betrachten.“24 Also riet die Heilige ihren Nonnen, für eine gute Meditation ein geeignetes Bild zu Hilfe zu nehmen: Bemüht euch sogleich, Töchter, da ihr ja allein seid, in Gesellschaft zu sein. […] Stellt euch den Herrn bei euch vor und schaut, mit welcher Liebe und Demut er euch belehrt [...]; ich will nicht mehr, als dass ihr ihn anschaut. […] Wenn ihr froh seid, dann schaut auf ihn als Auferstandenen, denn allein schon die Vorstellung, wie er aus dem Grab kam, wird euch froh machen. […] Wenn ihr in Nöten oder traurig seid, betrachtet ihn an der Geißelsäule, schmerzerfüllt, ganz zerfleischt wegen der großen Liebe, die er zu euch hat, von den einen verfolgt, von den anderen angespien, von wieder anderen verleugnet, ohne Freunde und ohne, dass irgendjemand für ihn einträte, aus Kälte zu Eis erstarrt, großer Einsamkeit ausgesetzt [...]. Oder schaut ihn im Garten an oder am Kreuz, oder damit beladen.25 Doch sollte man sich nicht immer damit ermüden und auf die Suche danach gehen, sondern auch einfach bei ihm verweilen und mit dem Verstand schweigen, und falls möglich, ihn damit beschäftigen, den anzuschauen, der mich anschaut, bei ihm zu bleiben, mit ihm zu sprechen, ihn zu bitten, sich vor ihm in Demut zu beugen und an ihm zu freuen, und zu denken, dass man es nicht verdient, bei ihm zu sein [bezogen auf das Nachdenken über den leidenden Christus].26

Teresas Dreifaltigkeitsvisionen erinnern an die dreiköpfigen Trinitäten auf den romanischen Kapitellen vieler Kreuzgänge oder Kirchenschiffe des 11. und 12. Jahrhunderts, wie man sie heute noch in der Ermita von Alquézar (Huesca) bewundern kann, oder in den Miniaturen der Stundenbücher aus dem 14. Jahrhundert, eine Darstellungsweise, die sich im 14. Jahrhundert noch weiter ausbreitete und bis in die Renaissance hinein nachwirkte. Uns als unwissenden Personen scheint es, dass die Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit alle drei in einer Person weilen, wie wir das auf Gemälden vorfinden, so wie wenn man drei Gesichter mit einem Leib malt. Das erstaunt uns so sehr, dass es unmöglich zu sein scheint und es niemanden gibt, der daran zu denken wagt, denn der Verstand gerät in Verwirrung [...]. Das, was sich mir darstellte, sind drei verschiedenartige Personen [...] Und je weniger ich es verstehe, desto mehr glaube ich es, und desto mehr Frömmigkeit verschafft es mir.27

Über den Heiligen Geist sagt sie: Als ich einmal kurz davor zur Kommunion ging, sah ich, als die Hostie noch im Ziborium war – man hatte sie mir noch nicht gegeben –, eine Art Taube, die ihre Flügel geräuschvoll bewegte.28

24 25 26 27 28

FRANCISCO DE BORJA, Meditaciones para todas las dominicas y ferias del año y para las principales festividades, Madrid: Cervós 1912, S. 74ff. TERESA VON ÁVILA, Weg der Vollkommenheit, 224ff. (42). DIES., Das Buch meines Lebens (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Gesammelte Werke, Bd. 1; Freiburg i. Br.: Herder, 2001), 219 (13,22). TERESA VON ÁVILA, Gedanken zum Hohenlied, 302f. (Geistliche Erfahrungsberichte, 60). EBD., 233 (Geistliche Erfahrungsberichte, 14,5).

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Während ich so verweilte, sah ich über meinem Kopf eine Taube, aber sehr verschieden von den hiesigen, denn sie hatte keine Federn wie diese, sondern Flügel aus kleinen Muscheln, die hellen Glanz ausstrahlten.29

Möglicherweise spielt sie hier auf die Bilder aus den mexikanischen Gründungen an, die in der sogenannten Enconchado-Technik ausgeführt waren, das heißt, dass auf dem Untergrund abwechselnd Farbe und Perlmutt aufgetragen wurde. Exzellent erhaltene Beispiele befinden sich im Relicario der Descalzas Reales in Madrid. Die Darstellung der Muttergottes alleine oder mit Kind, die, von Engeln umgeben, die Wolken durchbricht, war bei den Malern und Altarbauern der damaligen Zeit ein gängiges Thema. Wahrscheinlich kannte und schätzte Teresa auch die Darstellung der Jungfrau mit Kind der frühen flämischen Meister – in der Kirche San José in Ávila befindet sich ein in Öl auf Holz gemaltes Triptychon aus dem 16. Jahrhundert ‒ sowie die Brüsseler Tapisserien aus den Palästen der Herzogin von Alba, der Doña Luisa de la Cerda in Toledo oder der Fürstin von Eboli in Pastrana. An einer anderen Stelle erzählt die Heilige, wie sie den toten Christus in den Armen gehalten habe: Und als ich in derselben Nacht bei der Matutin war, legte sich mir der Herr in einer intellektuellen Vision, die so gewaltig war, dass sie mir fast wie eine imaginative vorkam, in meine Arme, nach der Art, wie man den „Fünften Schmerz“ darstellt.30

Auch dies war zwischen 1550 und 1650 ein beliebtes Thema bei den Malern der kastilischen Schule. Vergessen dürfen wir auch nicht ihre berühmten, von den apokalyptischen Texten inspirierten Beschreibungen der Hölle und der bösen Geister: Der Eingang kam mir wie eine ganz lange, schmale Gasse nach Art eines ganz niedrigen, dunklen, engen Backofens vor. Der Boden schien mir aus ganz schmutzigem, schlammigem Wasser von pestartigem Gestank zu bestehen, und mit unzähligem hässlichen Ungeziefer darin. Am Ende befand sich ein in eine Wand eingelassener Hohlraum, wie ein Wandschrank, in den ich mich in großer Enge hineingepresst sah. […] Diese Mauern, deren Anblick schon schrecklich ist, sind von sich aus schon einengend, und alles ist zum Ersticken. Es gibt kein Licht, sondern ringsherum nur tiefste Finsternis.31 Als ich eines Tages zur Kommunion ging, sah ich mit den Augen der Seele, deutlicher als mit den leiblichen, zwei böse Geister in wüster Gestalt. Mir schien, als umklammerten ihre Hörner die Gurgel des armen Priesters.32

Eine andere Vision hatte sie nach dem Tod eines Menschen, der nicht mehr gebeichtet hatte: Als der Leichnam in ein Grabtuch gehüllt wurde, sah ich, wie sich viele böse Geister dieses Leichnams bemächtigten, […] mit großen Haken zerrten sie ihn von einem zum anderen.33

29 30 31 32 33

DIES., Das Buch meines Lebens, 568 (38,10). DIES., Gedanken zum Hohenlied, 263 (Geistliche Erfahrungsberichte, 44,4). DIES., Das Buch meines Lebens, 469f. (32,1 u. 3). EBD., 575 (38,23). EBD., 577 (38,24).

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Auch den Teufel sieht sie mehrmals: Ein anderes Mal passierte mir vor kurzem dasselbe, […] und die Schwestern […] rochen einen ganz üblen Gestank, wie von Schwefel.34

Offenbar sind diese Darstellungen der Hölle und der bösen Geister von Werken wie „Der Triumph des Todes“ von Peter Bruegel (1562, Prado), „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch (Escorial, auf der rechten Tafel sind die Höllenstrafen dargestellt), „Die sieben Todsünden“ von Hieronymus Bosch (Escorial, ein Tondo auf einer Tischplatte, auf deren vier Ecken außerdem die vier letzten Dinge, nämlich Tod, Gericht, Himmel und Hölle zu sehen sind) oder „Das Schiff der Kirche“ (Descalzas Reales, Madrid) beeinflusst, wo die Verdammten ins Wasser stürzen und von entsetzlichen Ungeheuern verschlungen werden, während die Erlösten im Schiff in den Hafen der Herrlichkeit einfahren. Solche Visualisierungen waren Teresas Zeitgenossen sowohl von den Altarbildern, die die Katechese der einfachen Leute waren, als auch aus den Predigten der Weltund Regularkleriker wohlbekannt. Dass die Prediger die Menschen dazu aufriefen, Umkehr und Buße zu tun und die Seele für das ewige Leben zu retten, war an der Tagesordnung in einer Gesellschaft, in der der Tod der unvermeidliche und immer gegenwärtige Gefährte des Lebens war – ein Fluch, dem logischerweise auch die Nonnen nicht entgingen. In ihren Schriften finden sich einige wenige Verweise auf Objekte, die Teresa für schön oder hochwertig hielt: Jesus sei mit Euer Ehrwürden und vergelte Ihnen die vielen schönen Geschenke [möglicherweise Gemälde, Reliquiare …].35 Jetzt muss ich eine Statue Unserer Lieben Frau, die ich für sie habe, nach Caravaca schicken, eine sehr schöne und große, nicht bekleidet, und auch ein hl. Josef wird mir gerade geschnitzt.36 Nur das Agnusdei hätte mich ein bisschen gereizt […]. 37 Über Ihren Brief […] habe ich mich sehr gefreut, ebenso über die restlichen Skapuliere […].38 34 35 36 37

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EBD., 450 (31,6). DIES., Noch nie habe ich Euch so geliebt wie jetzt. Briefe, Bd. 2 (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Freiburg i. Br.: Herder, 2011), 199. EBD., 60. EBD., 140. „Agnusdei“ nannte man in Wachs geprägte Plaketten mit dem Bild des Lammes auf dem Buch mit den sieben Siegeln; später wurde die Bezeichnung auf alle Medaillen ausgedehnt, denen ein beliebiges religiöses Motiv aufgeprägt war. Anmerkung der Herausgeber: Datierung und Nummerierung des Briefes weicht in der deutschen Ausgabe ab: Nr. 180, an Mutter María de San José in Sevilla, Toledo, 26. Januar 1577. TERESA VON ÁVILA, Diesen großen Gott können wir überall lieben. Briefe, Bd. 3, (hg., übers. u. eingel. v. Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD; Freiburg i. Br.: Herder, 2013), 439. Anmerkung der deutschen Herausgeber: Datierung und Nummerierung des Briefes weicht in der deutschen Ausgabe ab: Nr. 426, an Pater Jerónimo Gracián in Salamanca, Ávila, Anfang Dezember 1581.

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Einige Dinge erwarb sie auch selbst. So gab es zum Beispiel auf der römischen Brücke in Salamanca etliche Trödelläden, und einem alten Bericht zufolge sah sie, dass einige in Tempera gemalte Bilder von Christus, unserem Herrn, verkauft wurden, und es schien ihr, als sei das Geld, das sie bei sich trug, dafür gut verwendet […] und so kaufte sie zwei: eins von einem Ecce Homo und ein anderes von Unserer Lieben Frau mit Christus Unserem Herrn bei der Kreuzabnahme.39

Bei ihren Gründungen brachte sie immer zwei mehrfarbige Holzskulpturen – eine von der Gottesmutter und eine vom heiligen Josef ‒ aus der Kirche San José in Ávila mit, die heute bei den Karmelitinnen von Santa Ana in Madrid aufbewahrt werden. Zwei kleine geschnitzte Bilder: eines von der Allerseligsten Jungfrau mit ihrem liebreizendsten Sohn in den Armen, ganz ohne künstliches Gewand; die andere von ihrem ruhmreichen Bräutigam, dem heiligen Josef, geschmückt mit einem seidenen Gewand und Hut in der Hand, und seinem blühenden Stab: beide sehr andächtig.40 Zwei kleine geschnitzte Bilder, eines von Unserer Lieben Frau, das sie über der Tür des Klosters anbrachte, durch die man in das Haus eintrat, und das andere vom heiligen Josef, das sie als ihren Schutzpatron über der Tür der Kirche aufstellte.41

Charakteristisch für die heilige Teresa war außerdem ihre Verehrung für das Jesuskind. Während die Franziskaner die Krippentradition in ganz Europa verbreitet hatten, machten es sich die Klarissen zur Aufgabe, die Jesuskind-Verehrung auszuweiten und zu vertiefen, weil die Theologie die Auffassung vertrat, dass der gestorbene und auferstandene Christus bereits in der Kindheit Jesu gegenwärtig war. Sein Leben als Erwachsener wurde bis zum Augenblick seiner Geburt zurückverfolgt, und deshalb sahen die Traktateschreiber des Mittelalters, der Renaissance und des Barock, aber nach und nach auch die Künstler und insbesondere die Bildhauer in diesem Kind alle Attribute des späteren Erwachsenen. Traditionell erlebten die Frömmigkeitsübungen, die sich um dieses Motiv der Kindheit Jesu herum entwickelten, in den Frauenklöstern und vor allem im teresianischen Karmel eine bedeutende Blüte. In den von der heiligen Teresa gegründeten Klöstern gab es Niños de cuna (Jesuskinder in der Krippe), siegreiche oder triumphierende Niños (Auferstandene), Niños pasionitos (kleine Schmerzensmänner) und Niños, deren Gewandung erkennen ließ, dass sie für ein bestimmtes Fest oder einen bestimmten Platz im Haus vorgesehen waren. Die Karmelitinnen von Valladolid haben ein Pilger-Jesuskind zum Anziehen, das die heilige Teresa der Überlieferung nach in die neu gegründeten Klöster mitgenommen und der ersten Nonne geschenkt haben soll, die in Puzella die Profess ablegte. Es hat krauses Haar, rosige Wangen und trägt ein Pilgergewand aus weinrotem Samt mit einem vergoldeten Gürtel, Kapuze und Mantel. In der linken Hand hält es den Pilgerstab und die Kalebasse. Die Karmelitinnen von Segovia haben den „Porterito“ oder „Tornerito“: ein bekleidetes Jesuskind, das in der Durchreiche an der

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EFRÉN DE LA MADRE DE DIOS und Otger STEGGINK, Tiempo y vida de Santa Teresa (Madrid: B.A.C., 1996), 478. JERÓNIMO DE SAN JOSÉ, Historia del Carmen Descalzo, Buch IV, Kap. 15, 705. EBD., Buch III, Kap. 12, 587.

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Pforte steht und allnächtlich über das Kloster wacht. Die Karmelitinnen von Sevilla bewahren ein mehrfarbiges, aus Holz geschnitztes Jesuskind auf, das Lorenzos Tochter Teresita de Cepeda von Quito mitgebracht hatte und das sie deshalb „El Quitito“ nennen. In der Kirche San José de Ávila schließlich befindet sich die mehrfarbige Holzskulptur des Niño mayorazgo, des „Erstgeborenen“, so genannt, weil ihm unter allen Jesuskindern der Reformklöster der erste Platz gebührt.42

5. Drucke Seit Ende des 15. Jahrhunderts verteilten die Prediger, um den Glauben zu stärken, Drucke mit Bildern von Gestalten aus dem Alten und dem Neuen Testament, Heiligen und verschiedenen Marienanrufungen. Diese Drucke waren sehr preisgünstig, klein und für den privaten Gebrauch aller weltlichen und geistlichen Gesellschaftsschichten, insbesondere aber der Frauen und anderer Personen bestimmt, die keinen Zugang zur Lektüre hatten. Drucke kannte man aus den Andachtsbüchern. Sie ließen sich in ein Skapulier einlegen, das man um den Hals trug. Die einfachen Leute klebten sie zu Schutz- oder Andachtszwecken mithilfe von Oblaten oder kleinen Brotstücken an die Wände. Die wohlhabenderen Schichten rahmten sie ein und hängten sie im Wechsel mit Gemälden und kleinformatigen Objekten in ihren Kabinetten und Privatoratorien auf. Die Nonnen brachten sie in ihre Zellen oder bastelten daraus kleine Altäre, die sie mit buntem Papier, Pailletten und anderen Accessoires schmückten und die als „labores de monja“, Nonnenarbeiten, bekannt waren. Des Weiteren verwendete man sie für die Jesuitenmissionen in den beiden „Indien“, dem des Ostens und dem des Westens: Francisco de Borja ließ in Rom eine große Menge davon drucken, und Hernán Cortés nahm sie nach Neuspanien mit. Als Vorlagen dienten die Werke der italienischen, deutschen und französischen Maler.43 Es fällt auf, dass praktisch die einzige biblische, genauer gesagt, neutestamentliche Frauengestalt, die seit dem 17. Jahrhundert als Motiv für solche Drucke gedient und sich bis heute erhalten hat, die als Büßerin dargestellte Maria Magdalena ist. 1563 befasste sich die tridentinische Konzilsversammlung auf ihrer letzten Sitzung mit verschiedenen Fragen der Kirchenorganisation, unter anderem auch der Sakralkunst: Ziel war es, im Hinblick auf die Darstellung der Hauptthemen des Christentums eine Reihe von Normen festzulegen. Gleichzeitig wollte man gewisse Unstimmigkeiten und Übertreibungen eindämmen, die seit dem Mittelalter ausgeufert waren: So empfahl man beispielsweise, in Zukunft von der Verwendung der Legenda aurea und der Apokryphen abzusehen, und bestand darauf, dass die Szenen aus dem Evangelium ohne überflüssige Personen dargestellt und nichts hinzugedichtet wurde, was der Grundlage entbehrte. Auch die Heiligendarstellungen wurden genau reglementiert. Maria Magdalena verwandelte sich in 42 43

María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, „La imagen del Niño Jesús: humilde sacramento de la cercanía de Dios“, Vida Nueva 2594 (22. Dezember 2007): 23‒30. Javier PORTÚS und Jesusa VEGA, La estampa religiosa en la España del Antiguo Régimen (Madrid: Fundación Universitaria Española 1998).

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eine tieftraurige Frau, die sich 30 Jahre lang in die Wüste zurückzog, um Buße zu tun; das heißt, die Künstler sahen sich verpflichtet, sie – insbesondere den Frauen – als Muster der Büßerin vor Augen zu stellen. Die neue Ikonographie der Magdalena war eine wirksame Methode, um mit Blick auf die Lutheraner die Verdienste zu rechtfertigen, die durch Meditation und Werke erworben werden konnten. Deswegen erschien die Heilige von nun an in einer Höhle, mit einem Totenkopf, der an den Tod gemahnte, einem Kruzifix, den Leidenssymbolen, die der Betrachtung dienten und auf die Erlösung verwiesen, und dem Brevier, das in der Regel beim Miserere mei, also in den Laudes des 22. Juli aufgeschlagen war. Aufgrund der Kopien, die die Miniaturmaler in Emaille, Alabaster oder Aventurin für die Privatoratorien ausführten, und aufgrund der Stiche, die davon angefertigt wurden und in Form von Drucken, Novenen, Andachts- und Messbüchern bis ins 20. Jahrhundert hinein kursierten, übte diese Typologie enormen Einfluss auf die Volksfrömmigkeit aus. Die bekannteste Vorlage ist die Büßerin von Guido Reni (ca.1633, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Rom): An die Felswand einer Höhle gelehnt, erhebt sie den Blick zu zwei Engeln im oberen Bildbereich und stützt ihre linke Hand auf einen Totenschädel; daneben sieht man das Kruzifix und die Leidenssymbole, das Brevier – aber keine Bibel.44 Dass andere, zentrale Frauengestalten aus den biblischen Büchern und Erzählungen auf solchen Drucken praktisch nicht vorkommen, scheint – dieser Verdacht drängt sich auf – auf eine Distanzierung der katholischen Spiritualität hinzuweisen, auf die die Reformation mit einer Gegenbewegung reagieren wird.

6. Genreszenen und Costumbrismo Die Portrait- und Genremalerei hat die Beziehung oder Nichtbeziehung zwischen der Bibel und den Frauen im 16. und 17. Jahrhundert am besten zum Ausdruck gebracht. Die Reformation stellte eine direkte Beziehung zwischen dem Gläubigen und Gott her, dessen Wort in der Bibel enthalten ist. Das „Buch“ war der wichtigste Mittler der religiösen Erfahrung und im Alltag der Männer und Frauen beständig greifbar. Ein deutliches Beispiel für diese beständige Präsenz ist ein Kupferstich von Abraham Bosse45 mit dem Titel „Tischsegen in einer protestantischen Familie“: Im Kreis seiner Frau, seiner Kinder und der Dienstboten segnet das Familienoberhaupt den Tisch. An der Wand des Esszimmers hängt gerahmt der Text aus dem 20. Kapitel des Buches Exodus: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ Die Heilige Schrift ersetzt im Grunde die Bilder und ist durch die tägliche Lektüre präsent. Die Stiche von Bernard Picard46 zeigen den Pastor 44

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María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, „María Magdalena en el arte: entre el enigma y la fascinación“, in María Magdalena: De apóstol a prostituta y amante (hg. v. Isabel GómezAcebo; Bilbao: Desclée de Brouwer, 2007), 205‒261. Französischer Kupferstecher (1604‒1676), Sohn eines hugenottischen Schneiders. Die Kataloge seiner Stiche werden in der Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt. Herausragend sind die Zyklen über das Alltagsleben und einige Drucke zu religiösen Themen. Französischer Kupferstecher (1673‒1733), Cérémonies et coutumes religieuses de touts les peuples, Erstausgabe von 1723.

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bei der Bibellesung im Sonntagsgottesdienst – die Frauen hören zu – und Quäkerinnen, die auf ihren Versammlungen über die Heilige Schrift predigen. Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Bibel infolge der Alphabetisierung zu einem Buch für jedermann. Diese weite Verbreitung des Objekts an sich führte dazu, dass die tägliche Lektüre nicht mehr der Gemeinschaft vorbehalten war, denn über die familiäre und sonntägliche Lektüre hinaus öffnete sich die Bibellesung für andere Lebensbereiche und wurde nach und nach auch von Frauen geleitet. Gerard Dou47 hat die Lektüre der Frauen auf zwei Gemälden dargestellt: „Altes Paar beim Lesen der Bibel“ (ca.1630, Louvre, Paris) zeigt eine Szene in einer bäuerlichen Küche. Eine alte Frau hält die große Bibel mit beiden Händen zum Zeichen einer intensiven Lektüre, die nicht nur der Vorleserin, sondern auch ihrem Zuhörer große Anstrengung abverlangt. „Lesende alte Frau (Rembrandts Mutter)“ (1631, Rijksmuseum, Amsterdam) stellt eine betagte Frau dar, die die Bibel in ihren Händen hält, die Lippen bewegt und die Worte vor sich hin murmelt: die übliche Vorgehensweise einfacher Leser, die die verstehende Lektüre nicht gewohnt waren. Man beachte überdies, dass das Buch Radierungen enthält, die die Texte veranschaulichen sollen. Den Frauen fiel zudem die Aufgabe zu, diese religiöse und tägliche Gewohnheit der Schriftlesung an ihre Kinder weiterzugeben. Auch das Portrait der „Maritje Claesdr Vooght“ (1639, Rijksmuseum, Amsterdam) von Frans Hals, das die Frau des Predigers Pieter Olycan mit der Bibel in den Händen zeigt, verdeutlicht, wie wichtig die Bibel für die Frauen war. Die Erziehung der Töchter wurde zu einer grundlegenden Familienaktivität. Gerard Ter Borch48 zeigt in seinem Bild „Bibellesung“ (ca.1650, Louvre, Paris) eines der vielen Beispiele für die biblische Unterweisung der Frauen. Diese kurzen Schlaglichter auf die evangelischen Frauen wären unvollständig, wenn ich nicht auch von der Akzentverlagerung sprechen würde, die sich im 17. Jahrhundert vollzog: Nun, da die Bilder und anderen plastischen Darstellungen in den Kirchen verboten waren, wichen die Ausdrucksformen der Religiosität aus dem sakralen in den häuslichen Bereich aus. Gleichzeitig entfernte sich die holländische Malerei des besagten Jahrhunderts von der Mythologie, den Königsportraits und insbesondere von den biblischen Stoffen und ließ in aussagekräftigen Darstellungen den Alltag der verschiedenen Gesellschaftsschichten aufleben. Und so wurde es üblich, die häuslichen Räume – die im Übrigen spezifisch weibliche Räume waren – mit religiösen Kunstobjekten zu dekorieren. Jan Vermeer49 hat die bürgerliche Häuslichkeit vielleicht am besten dargestellt. Sein Gemälde „Die Perlenwägerin“ (1662, National Gallery, Washington) zeigt eine Schmuckverkäuferin in ihrem Zimmer. An der Wand hängt eine Darstellung des Jüngsten Gerichts, die nicht zufällig gewählt, sondern direkt auf die Tätigkeit der Frau bezogen ist: So wie sie die Perlen wägt, wägt Christus die Seelen. Das Bild „Briefschreibende Dame mit ihrer Zofe“ (1670, Sammlung Beit, National Gallery, Dublin) zeigt eine junge Frau, die am Tisch sitzt und schreibt, während ihre Zofe hinter ihr steht. Auf dem Gemälde an der Wand ist zu sehen, wie die Tochter des Pharao den kleinen Mose aus dem Fluss rettet.

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Niederländischer Maler (1613‒1675), auf Trompe-l’œil und Genreszenen spezialisiert. Niederländischer Genremaler (1617‒1681). Niederländischer Genremaler (1632‒1675).

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In den Kompositionen der katholischen Künstler haben die biblischen Szenen eine andere Bedeutung: Sie dienen nicht nur als Wandschmuck, sondern haben direkt mit den Protagonisten im Vordergrund zu tun. Diego Velázquez hat einen Zyklus von Küchenszenen gemalt, deren Hintergrund eine Episode aus dem Evangelium bildet. Auf dem Bild „Christus im Hause von Maria und Marta“ (1618, National Gallery, London) ist im Vordergrund die junge Marta dargestellt, die Knoblauch zerdrückt. Neben ihr steht mit erhobenem Zeigefinger eine alte Frau. Im Hintergrund erkennt man vermutlich in einem Spiegel eine andere Szene: Dort sind Christus, Maria, die den Worten des Erlösers aufmerksam lauscht, und eine weitere alte Frau zu sehen. Katholische Frauen, so die Botschaft des Bildes, sollen wie Maria ihren Geist nähren und die irdischen Reichtümer geringschätzen. Der anklagend erhobene Finger der Frau neben Marta zeigt an, dass man es so nicht machen soll. Ähnlich verhält es sich mit dem Gemälde „Küchenmagd beim Mahl von Emmaus“ (1617, National Gallery, Dublin); es zeigt eine Mulattin hinter einem Tisch, auf dem einige detailgetreu gemalte Töpfe ein exzellentes Stillleben ergeben. Im Hintergrund sieht man durch ein Fenster hindurch Christus mit den beiden Emmausjüngern beim Mahl sitzen. Die moralisierende Aussage ist eindeutig: Die Frau wird aufgefordert, dasselbe Glaubensbekenntnis abzulegen wie die Jünger von Emmaus.

7. Portraits Das spanische Portrait und konkret die Nonnenportraits spiegeln die Abwesenheit der Heiligen Schrift. Die Kompositionen folgen demselben Schema wie die Hofportraits, auf denen die Angehörigen des spanischen Hofs – Männer wie Frauen – im Stehen entweder ganz oder zu drei Vierteln zu sehen sind. Im Hintergrund erkennt man Fenster, Vorhänge oder Säulen und in einigen Fällen auch eine Kombination aus allen drei Elementen; die Vorhänge sind aus vorzugsweise karmesinrotem, zuweilen aber auch grünem oder blauem Samt, Damast oder Brokat. Auf der einen Seite des Bildes sind Stühle, eine Anrichte oder Hunde zu sehen. Die Anrichten sind mit roten oder violetten Stoffen bedeckt, auf denen Kronen, Hauben oder Uhren liegen. Die Männer tragen Schwert, Stock, Gerte oder Handschuhe, die Frauen Tücher oder Fächer. Für Nonnen oder Frauen, die sich als Stifterinnen religiöser Einrichtungen betätigt haben, gibt es zwei grundlegende Arten der Darstellung (in beiden Fällen tragen sie die Ordenstracht): entweder mit dem Oberkörper bzw. dem ganzen Körper, das Brevier in Händen, das sie mit dem Zeigefinger aufhalten (die Hintergründe sind dieselben wie in der traditionellen Portraitmalerei), oder im Sitzen, lesend oder schreibend an einem mit einem Tuch bedeckten Tisch, auf dem ein Totenschädel, ein Tintenfass, Federn und Bücher – namentlich der Thomas a Kempis zugeschriebe Contemptus Mundi ‒ liegen. Aus einer der beiden oberen Bildecken fällt ein Lichtstrahl ein, in dem der Heilige Geist erscheinen kann. Es sind die Portraits der heiligen Teresa, die das ikonographische Modell der schreibenden Nonne vorgeben, und dieses Modell wird sich bis fast in die Mitte des 18. Jahrhunderts an anderen Stifterinnen, Gründerinnen und Schriftstellerinnen, die sich selbst gerne als neue „Teresas“ sehen möchten, wiederholen. Teresa wird immer an einem

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Tisch dargestellt, auf dem ein Totenkopf, ein Tintenfass und Schreibfedern liegen; während sie schreibt, erhellt ein Lichtstrahl – die Gegenwart des Heiligen Geistes – das Zimmer aus einer der oberen Ecken: Nun aber möchte ich […] etwas von dem aufschreiben, was der Herr mir […] zu verstehen gibt […] nehmt dieses armselige Scherflein an von einer, die euch wie auch sich selbst alle Gaben des Heiligen Geistes wünscht, in dessen Namen ich nun beginne.50

Diese Komposition findet sich zum Beispiel in den Bildern „Die heilige Teresa beim Schreiben“ von José de Ribera (1630, Museo de Bellas Artes, Sevilla); „Die heilige Teresa als Schriftstellerin“, das aufgrund seiner herausragenden Qualität Velázquez zugeschrieben wird (ca. 1622, Sammlung Casa Riera); „Die heilige Teresa als Schriftstellerin“ von Zurbarán (ca. 1625, Sammlung Alvarez de Estrada); oder „Die heilige Teresa beim Schreiben“ von Rubens, das dieser ursprünglich für die Teresa-Kapelle im Karmel von Antwerpen gemalt hatte (1644, Kunsthistorisches Museum, Wien). In der großen Zahl der erhaltenen Werke ist das beeindruckende Portrait der „Sor Jerónima de la Fuente“ von Velázquez (1620, Prado, Madrid) hervorzuheben. Es stellt eine Klarissin aus Toledo dar, die nach Sevilla reiste, um dort ein Schiff nach Manila zu besteigen und ein Kloster zu gründen. Sor Jerónima war 66 Jahre alt, wie die Inschrift auf dem Bild verrät. Die Silhouette der Ordensfrau hebt sich gegen einen neutralen Hintergrund ab, der das großartige Gesicht und die Geste der rechten Hand zur Geltung bringt: Sie hält das Kreuz wie eine Waffe der Bekehrung. Des Weiteren sind hervorzuheben: das Ganzkörperportrait der „Sor Margarita de la Cruz“ (ca. 1603, Monasterio de las Descalzas Reales, Madrid), die das Brevier in der Hand hält und mit dem Zeigefinger die Seite markiert; Rubens’ Halbkörperportrait der „Sor Ana Dorotea de Austria“, die ein Brevier in der Hand hält (1628, Monasterio de las Descalzas Reales, Madrid); „Sor Ana Margarita de Austria“, ein Portrait, das Villadrando zugeschrieben wird (1650, Monasterio de la Encarnación, Madrid) und auf dem die Ordensfrau ganz zu sehen ist, das Brevier in der Hand, neben ihr eine mit rotem Samt bedeckte Anrichte, auf der der „Kempis“ und die „Statuten“ des Augustinerordens liegen; und schließlich die beiden von Andrés López Polanco gefertigten Portraits der Äbtissinnen „Ana de Austria“ mit dem Brevier und „Jacinta de Navarra“ mit dem Kreuz in den Händen, während das Brevier auf einer mit grünem Samt bedeckten Anrichte liegt (erstes Drittel des 17. Jahrhunderts, Monasterio de Las Huelgas, Burgos).51

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TERESA VON ÁVILA, Gedanken zum Hohenlied, 56 (Gedanken zum Hohenlied, Prolog, 3). Ana GARCÍA SANZ und María Leticia SÁNCHEZ HERNÁNDEZ, „Iconografía de monjas, santas y beatas“, in La mujer en el arte español (Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1996), 129‒142.

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Schlussfolgerungen Wie lässt sich das Verhältnis zwischen der Bibel und den Frauen im 16. und 17. Jahrhundert aus ikonographischer Sicht beschreiben? Es sind vor allem zwei Aspekte, die hier berücksichtigt werden müssen: Die An- oder Abwesenheit der Bibel bei den Frauen und die An- oder Abwesenheit von Mittlern (Bildern). Was die Frauen in den protestantischen Gemeinden betrifft, müssen die Bedeutung der Ehe und des familiären Alltags, die der Frau des Pastors zugewiesene Rolle, die biblische Bildung der Frauen in Ermangelung des visuellen Elements und die Konstruktion eines „weltlicheren“ Frauentypus hervorgehoben werden. Diese Merkmale spiegeln sich in den manieristischen Genreszenen und vielfältigen Darstellungen des familiären und religiösen Lebens. Dagegen entschieden sich die Katholikinnen, die nicht mehr auf die Heilige Schrift zurückgreifen konnten, für eine Religiosität, in der das bildliche Element die Hauptrolle spielte: die Verehrung und variantenreiche Darstellung der Jungfrau Maria (die es in den protestantischen Kirchen nicht gab), die zunehmend auch in den privaten Gebetsräumen gepflegte Reliquien- und Heiligenverehrung mit ihren Altären und Kabinetten voller kleiner Bildwerke; das barocke Gepränge an kirchlichen Festen wie Weihnachten, Advent, Fastenzeit, Ostern oder Fronleichnam; und die Existenz einer klösterlichen Welt, die den Frauen immerhin bedeutende Bildungs- und Handlungsmöglichkeiten eröffnete.

Frauenfiguren des Alten Testaments in der italienischen Malerei (1500–1650) Heidi J. Hornik Universität Baylor In diesem Aufsatz1 werden die bildlichen Darstellungen von sechs alttestamentlichen Frauenfiguren auf folgende Punkte hin untersucht: in ihrem Verhältnis zu den biblischen Erzählungen, in ihrer Bedeutung für die Kunstgeschichte und als Charakteristika eines bestimmten künstlerischen Stils, sowie im Kontext der kulturellen und religiösen Bedingungen der damaligen Zeit. Die Geschichten der ausgewählten Frauen stammen aus dem Pentateuch (Genesis: Rahel und Lea), den Geschichtsbüchern (Buch der Richter: Delila und Samson; Buch Ester: Ester und König Achaschwerosch) und den apokryphen/deuterokanonischen Büchern (Judith und Susanna). Die sechs ausgewählten italienischen Künstler malten die Frauen in drei kunsthistorischen Stilen (Hochrenaissance, Spätrenaissance oder Manierismus, Barock) in zwei historisch und religiös bedeutsamen Epochen (Reformation und Gegenreformation).2 Das Bild Rahel und Lea treffen Jakob wurde für Papst Leo X. (1513–1521) in der Loggia des Vatikanpalastes in Rom gemalt, und zwar im Hochrenaissance-Stil des Meisters Raffael Sanzio und seiner Schule. Die Bilder zum Thema Susanna und die Ältesten stammen vom Spätrenaissance-Maler Alessandro Allori und von der Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi (einer der ersten berühmt gewordenen Malerinnen ihrer Zeit). Beide Werke verkörpern die im 16. und 17. Jahrhundert gültigen Definitionen weiblicher Schönheit und widmen den Details der Bibelerzählung große Aufmerksamkeit. Judith und Holofernes hingegen wurden mehrfach von Artemisia Gentileschi (zwei Bilder werden hier beschrieben) sowie von Cristofano Allori gemalt. Beide Künstler folgen dem Stil Caravaggios, der zu den Begründern des Barocks zählt. Artemisias Darstellung der Ester vor Achaschwerosch und Guercinos Delila auf dem Bild Samson wird von den Philistern gefangengenommen repräsentieren auf jeweils eigene Art die Stärke, Kraft und List einer Frau, die sich für ihr Volk einsetzt.

1. Rahel und Lea Das Zusammentreffen von Jakob und Rahel (Gen 29,6–12) ist ein profundes Beispiel für Liebe auf den ersten Blick, die zwar Rivalität unter den Schwestern auslöst, aber am Ende dazu führt, dass die beiden (und ihre Dienerinnen) die Mütter der zwölf israelischen Stämme werden. Isaak hat Jakob beauftragt, eine Braut aus dem Hause Labans, 1

2

Die Übernahme der Kosten für die Bildrechte der hier abgedruckten Fotos von Kunstwerken verdanke ich der großzügigen Unterstützung durch die kunstgeschichtliche Abteilung der Baylor Universität via Attribution Grant for Faculty Scholarship 2011. Siehe zum Thema auch: Edgar LEIN, „Starke Frauen: Die Darstellung alttestamentlicher „Heldinnen“ in der italienischen Barockmalerei“, in Bibel- und Antikenrezeption: Eine interdisziplinäre Annäherung (hg. Irmtraud Fischer; Exegese in unserer Zeit 23; Wien: 2014), 268–294.

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des Bruders seiner Mutter Rebekka zu nehmen. Als Jakob nach Haran reist, sieht er einen Brunnen in der Mitte eines Feldes. Dort trifft er Rahel, Labans Tochter, die ihre Schafe hierhin zum Tränken gebracht hat. Für Jakob ist es Liebe auf den ersten Blick. Er küsst Rahel und will sie heiraten: Um ihre Hand zu gewinnen, ist er bereit, sieben Jahre zu arbeiten. Nach sieben Jahren richtet Laban eine Hochzeitsfeier aus, doch anstatt Rahel legt er seine ältere, weniger attraktive Tochter Lea zu Jakob ins Ehebett. Am Morgen erkennt Jakob diese List und fragt Laban: „Was hast du mir angetan?“ (Gen 29,25). Laban antwortet daraufhin dem Betrogenen, dass es sich nicht schicke, die jüngere Tochter vor der älteren zu verheiraten, woraufhin sich Jakob zu weiteren sieben Jahren Dienst bereit erklärt, um Rahel heiraten zu können.

1.1 Raffaels Rahel und Lea treffen Jakob In Abweichung von der biblischen Erzählung zeigt Raffaels Fresko (Abb. 1) ein Treffen am Brunnen, bei dem außer Jakob und Rahel auch Lea anwesend ist. Während er sich noch mit ihnen unterhielt, war Rahel mit den Schafen und Ziegen, die ihrem Vater gehörten, eingetroffen; denn sie war Hirtin. Als Jakob Rahel, die Tochter Labans, des Bruders seiner Mutter, und die Schafe und Ziegen Labans, des Bruders seiner Mutter, sah, trat er hinzu, wälzte den Stein von der Brunnenöffnung und tränkte die Schafe und Ziegen Labans, des Bruders seiner Mutter. Dann küsste Jakob Rahel, erhob seine Stimme und weinte (Gen 29,9–11).

Am Anfang des 16. Jahrhunderts hatte sich in Rom der Stil der Hochrenaissance durchgesetzt. Raffael Sanzio (1483–1520) wird oft als wichtiger Vertreter dieser Stilrichtung bezeichnet. Seine Werke waren ausgeglichen, wohl proportioniert, gut modelliert und benutzten eine lokal übliche Farbpalette.3 Bramante war der päpstliche Architekt, der unter Papst Julius II. (1503–1513) 1512 den Auftrag für eine Reihe von Loggien erhalten hatte. Papst Leo X. ließ diese Arbeit fortsetzen, und nach Bramantes Tod im Jahr 1514 erhielt Raffael, der bereits Aufseher für Altertümer war, den Posten des päpstlichen Architekten. Die Raffael-Loggien, deren Erbauung 1517 begann, bestehen aus dreizehn Bögen, die zusammen eine 65 Meter lange und 4 Meter breite Galerie bilden.4 Die ersten zwölf Bögen zeigen Geschichten aus dem Alten Testament; der dreizehnte ist mit vier Szenen aus dem Neuen Testament versehen. Der Zyklus wird allgemein als „Raffaelsbibel“ bezeichnet und beinhaltet insgesamt 52 Deckenmalereien, von denen eine Jakob mit Rahel und Lea am Brunnen darstellt. Raffael bereitete die Motive vor und beaufsichtigte dann die Schüler, die die Fresken ausmalten. Die Loggien hatten während des gesamten 16. Jh. einen enormen Einfluss: Künstler reisten eigens an, um die Dekorationselemente zu

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Roger JONES und Nicholas PENNY, Raphael (New Haven/London: Yale University Press, 1983). Nicole DACOS, The Loggia of Raphael: A Vatican Art Treasure (New York/London: Abbeville Press, 2008), 15–19.

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Abb. 1: Rom, Loggia im Apostolischen Palast, Raffaello Sanzio mit Schule, Rahel und Lea treffen Jakob, 1517 (Scala / Art Resource, NY). kopieren, genauso wie sie auch die Werke aus antiken römischen Denkmälern nachbildeten.5 Die Figuren erscheinen in korrekter Perspektive vor einer zurückweichenden Landschaft und einem richtig proportionierten Vordergrund. Die Farbauswahl ist heller als bei früheren Werken von Raffael. Lea und Rahel stehen Hand in Hand am Brunnen, wobei sie Jakob ansehen. Leas Anwesenheit nimmt den späteren Verlauf der Geschichte vorweg: schließlich werden Rahel und Lea, gemeinsam mit ihren Dienerinnen, die Mütter ganz Israels sein. Lea, die ältere und erste Ehefrau Jakobs, bringt schnell und problemlos sechs Söhne zur Welt, während Rahel (wie auch Rebekka vor ihr) Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden. Endlich wird auch Rahel schwanger und gebiert zwei Söhne (Joseph und Benjamin). Auf dem Totenbett bittet Jakob seine Söhne, ihn mit Lea zu begraben (Gen 49,29–32), um ihr Ehre zu erweisen.

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EBD., 146.

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2. Susanna6 Susannas Geschichte steht nicht in der hebräischen Daniel-Schriftrolle, sondern in den griechischen Bibelübersetzungen ab dem 3. Jahrhundert für jüdische Leser, die im hellenistischen Reich verstreut lebten.7 Wie in der jüdischen Überlieferung, so gibt es auch in der christlichen zwei Ansichten darüber, wo die Geschichte zu verorten ist. In der Douay-Übersetzung, die 1609 in der römisch-katholischen Kirche veröffentlicht wurde, steht Susannas Geschichte als 13. Kapitel im Buch Daniel. Diese Übersetzung stünde der Vulgata am nächsten, die die Künstler und Meister kannten. In anderen Übersetzungen hingegen, die nach protestantischer Tradition auf den hebräischen Text zurückgehen, gehört die Geschichte zu den apokryphen Schriften. Die Geschichte beschreibt Susanna als eine sehr schöne Frau, die sich in Babylon während des jüdischen Exils als gottesfürchtig erwiesen hat. Nachdem sie die sexuellen Avancen von zwei Ältesten zurückweist, wird sie von diesen zu Unrecht des Ehebruchs bezichtigt. Der junge Daniel muss Susanna mit Gottes Hilfe retten, indem er die Ältesten intelligent der falschen Beschuldigungen überführt. 2.1 Artemisias Susanna und die Ältesten Artemisia Gentileschi (1593–1652/3), eine Barockmalerin in einem Männerberuf, sympathisierte mit der Figur der Susanna. Sie malte Susanna und die Ältesten (Abb. 2) im Alter von sechzehn Jahren, als sie im Atelier ihres Vaters Orazio Gentileschi (1563– 1639) arbeitete. Artemisia wurde in jungen Jahren ebenso wie Susanna zur Zielscheibe von Voyeurismus und sexueller Übergriffe. Ein Jahr nach der Fertigstellung dieses Bildes wurde sie vom Assistenten ihres Vaters, Agostino Tassi (1580–1644), vergewaltigt, und ihr Vater brachte den Vorfall vor Gericht. Artemisia sagte aus, dass Tassi ihr schon vor der Vergewaltigung mehrmals sexuelle Avancen gemacht habe. Diese Avancen und die Gefühle, die sie ausgelöst haben müssen, könnten Artemisia zu dieser Darstellung der Susanna inspiriert haben. Sie verstand die psychologischen Aspekte der berühmten biblischen Geschichte: Susanna pflegte am Nachmittag im Garten spazieren zu gehen und manchmal auch zu baden. Eines Tages versteckten sich die Ältesten im Garten und beobachten sie: Als die Mädchen weg waren, standen die beiden Ältesten auf, liefen zu Susanna hin und sagten: Das Gartentor ist verschlossen und niemand sieht uns; wir sind voll Begierde nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen 6

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Siehe zum Thema ausführlicher: Susanne KÖNIG-LEIN, „Schön und gottesfürchig: „Susanna im Bade“ in der italienischen Barockmalerei“, in Bibel- und Antikenrezeption: Eine interdisziplinäre Annäherung (hg. Irmtraud Fischer; Exegese in unserer Zeit 23; Wien: 2014), 295–319. Mehrere Absätze dieses Abschnitts sind in leicht veränderter Form dem mit Matthew SCHOBERT, Jr. zusammen verfassten Aufsatz entnommen: „Susanna’s Strength“, in The pornographic culture (hg. v. Robert B. Kruschwitz; Christian Reflection 5; Waco, TX: Center for Christian Ethics, 2002), 39–43. Das Center for Christian Ethics, Baylor University, erteilte die Lizenz zum Abdruck.

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Abb. 2: Pommersfelden, Schloss Weissenstein, Artemisia Gentileschi, Susanna und die Ältesten, 1610 (Foto Marburg / Art Resource, NY).

dich, dass ein junger Mann bei dir war und dass du deshalb die Mädchen weggeschickt hast. Da seufzte Susanna und sagte: Ich bin bedrängt von allen Seiten: Wenn ich es tue, so droht mir der Tod; tue ich es aber nicht, so werde ich euch nicht entrinnen. Es ist besser für mich, es nicht zu tun und euch in die Hände zu fallen, als gegen den HERRN zu sündigen (Dan 13,19–23).

Das Barockgemälde zeigt die Ältesten, die an einer Marmorwand lehnen und Susanna bedeuten, still zu sein. Der jüngere flüstert dem älteren aus dem Schatten heraus etwas ins Ohr. Im Kontrast dazu erscheint Susannas nackter Körper in einem weißen Licht, das die Röte in ihrem Gesicht betont. Obwohl Susanna in der Kunstgeschichte manchmal als Verführerin oder zumindest als bereitwilliges Opfer gezeichnet wird, verkörpert sie in dieser Darstellung, wie auch in der biblischen Erzählung, die Tugend der Keuschheit. Da sie noch zu schockiert ist, um ihren Körper zu bedecken, wehrt sie die beiden Voyeure nur durch Handgesten und Abwenden des Kopfes ab. Susannas Geschichte geht weiter: Die beiden Älteren beschuldigen sie des Ehebruchs mit einem jungen Mann und bestellen sie für den nächsten Morgen vor Gericht ein. Alle sind verwundert, „denn noch nie war so etwas über Susana gesagt worden“ (Dan 13,27). Vor Gericht erscheint sie in Begleitung ihrer Eltern, Kinder und aller Verwandten, aber ohne ihren Mann Jojakim. Die beiden Ältesten, die immer noch voller Begierde sind, befehlen ihr den Schleier abzunehmen, „[u]m sich an ihrer Schönheit zu weiden“ (Dan 13,32). Dann bringen sie ihre erdichtete Anklage vor. Aufgrund ihres hohen Ansehens glauben die versammelten Zuhörer ihren Aussagen und verurteilen Susanna zum Tode.

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Susanna aber schrie auf mit lauter Stimme und sagte: Ewiger Gott, du kennst auch das Verborgene; du weißt alles, noch bevor es geschieht. Du weißt auch, dass sie eine falsche Aussage gegen mich gemacht haben. Darum muss ich jetzt sterben, obwohl ich nichts von dem getan habe, was diese Menschen mir vorwerfen. Der HERR erhörte ihr Rufen. Als man sie zur Hinrichtung führte, erweckte Gott den heiligen Geist in einem jungen Mann namens Daniel. Dieser schrie mit lauter Stimme: Ich bin unschuldig am Blut dieser Frau (Dan 13,42–46).

Daniels Ausbruch lässt die Leute abrupt innehalten und überzeugt sie davon, die beiden Zeugen, die zugleich Richter sind, zu einem Kreuzverhör vor Gericht zu laden. Wie wird die Wahrheit ans Licht kommen? Die folgenden Zeilen, Dan 13,50–59, gelten als ‚erste Detektivgeschichte der Welt’. Daniel trennt die beiden Ältesten und lädt sie einzeln vor. Dadurch überführt er sie der Falschaussage. Denn auf die Frage, unter welchem Baum der bezichtigte Ehebruch denn stattgefunden habe, geben sie zwei verschiedene Antworten (Zeder und Eiche). Susannas Geschichte lehrt uns vieles über Gott: Er rächt die Tugend gegenüber der Schlechtigkeit, schützt die Unschuldigen und befreit jene, die ihm vertrauen. Sie ist aber gleichzeitig auch eine Lektion über menschliche Sexualität und moralische Lebensweise. Indem sie den Ursprung von Susannas Charakter und dem der Ältesten aufdeckt, deutet sie an, dass die Entscheidung zwischen Gut und Böse im Herzen beginnt. Vielleicht war es diese Erkenntnis, die Artemisia dazu brachte, diese Geschichte zu malen. Obwohl der Assistent unter dem Schutz des Vaters lebte und dessen Vertrauen genoss, beging er doch Verrat an der jungen Künstlerin. In ihrem Kampf gegen Tassi versuchte sie nicht nur, ihren Ruf und ihre Karriere als Malerin zu retten, sondern auch ihre Liebe zu Gott und ihre Würde als Frau. Wie Susanna war Artemisia gezwungen, ihre eigene Unschuld zu beweisen und nicht die Schuld ihres Angreifers. Immer noch ist sich die Wissenschaft uneinig darüber, wie gut die Sache für sie ausging. Nach einem öffentlichen Gerichtsverfahren wurde Tassi aus Rom verbannt. Am Tag darauf wurde Artemisia verheiratet. Mit ihrem Florentiner Ehemann hatte sie vier Kinder, von denen ein Mädchen als Kind starb. Ihre Karriere blühte und gedieh, und sie trat als eine der ersten Frauen der Accademia del Disegno bei, einer akademischen und beruflichen Künstlerorganisation in Florenz. Ihr Mann verließ sie jedoch 1623 nach elf Jahren Ehe. Artemisia setzte ihre Arbeit fort und lebte mit ihrer Tochter in Florenz, Venedig, Rom, Neapel und London. Sie hörte nie auf, Sympathie für Susanna zu empfinden, und es entstanden mindestens drei weitere Versionen des Themas, von denen eine, das vermutlich letzte Gemälde, auf die Zeit kurz vor ihrem Tod im Jahr 1652 oder 1653 datiert wird. 2.2 Alessandro Alloris Susanna und die Ältesten Alessandro Allori (1535–1607), ein gläubiger Katholik, malte im Stil der Spätrenaissance, der auch Manierismus genannt wird (1520–90). In dieser Übergangszeit fand eine Entfernung von der scheinbaren Perfektion der Hochrenaissance statt. In der katholischen Kirche gab es große Umwälzungen: es war die Zeit der Reformation und Gegen-

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Abb. 3: Dijon, Musée Magnin, Alessandro Allori, Susanna und die Ältesten, 1561 (Réunion des Musées Nationaux / Art Resource, NY).

reformation. Gekünstelte Eleganz, verlängerte Proportionen und besondere Aufmerksamkeit für gemalte Details charakterisieren den manieristischen Stil, der auch in den Werken von Alessandro Allori zu sehen ist. Allori erhielt seine künstlerische Ausbildung beim Maler Agnolo Bronzino. Im Florenz des 16. Jahrhunderts war Bronzino bei der Medici-Familie sehr beliebt. Allori lernte in Florenz nicht nur die Eleganz, die Farbauswahl und die komplexe Komposition der maniera, des damaligen Stils, sondern er wurde auch zu einem hoch gebildeten und gut vernetzten Künstler. Er war ein Kollege von Michelangelo (1475–1564), Giorgio Vasari (1511–1574) und Michele Tosini (1503–1577). Als die Medici-Familie im Palazzo Vecchio in Florenz wohnte, malte er dort eine der Wanddekorationen im Privatbüro von Francesco I. de’ Medici (Sohn von Cosimo I.).8 Das Bild (Abb. 3) ist von Alessandro Allori signiert und auf 1561 datiert. Der verlängerte Torso der Nackten zeigt den Einfluss von Michelangelos manieristischen Grabskulpturen in der Medici-Kapelle. In Alloris Susanna zeigt sich eine weitere gemeinsame Eigenschaft von Michelangelos Figuren in der Sixtinischen Kapelle und den Florentiner Manieristen, die figura serpentinata. Hier ist Susanna eher Verführerin als Opfer. Sie hat beide Männer in ihren Bann gezogen und kontrolliert ganz offensichtlich die Situation. Mit ihrer rechten Hand greift sie nach der Wange des Mannes auf der linken Seite; ihre linke Hand hat die Stirn des anderen Mannes fest im Griff, dessen Kopf sich unter 8

Simona L. GIOVANNONI, Alessandro Allori (Florenz: Cassa di risparmio, 1991), 220f.

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ihrer linken Brust befindet. Mit seiner linken Hand hält er ihren rechten Knöchel, während sie sich windet, um ihre Beine zusammenzudrücken. Eine Andeutung eines Bades sieht man in der linken unteren Ecke des Gemäldes. Die Handlung ist in den Vordergrund gerückt; im rechten Hintergrund sieht man die möglicherweise von der flämischen Malerei beeinflusste Darstellung einer Stadt. In der manieristischen Epoche nutzte Allori die Geschichte der Susanna, um eine schöne, verführerische und unbekleidete Frau zu zeigen, deren verlängerte Proportionen und künstliche Eleganz dem damaligen Geschmack entsprachen.

3. Judit Judit kann als stärkste biblische Heldin angesehen werden. Die jüdische Tradition sah sie als Beschützerin ihres Volkes, während sie in der christlichen Tradition vor allem den Sieg der tugendhaften Keuschheit über die Lust verkörperte. Das Buch Judit wurde gegen Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. im Anschluss an die Makkabäer-Revolte verfasst. Wie Susanna gilt auch das Buch Judit in der römisch-katholischen und orthodoxen Kirche als kanonisch, während die Kirchen der Reformation es als apokryph ansehen. In den ersten Kapiteln wird die Bühne bereitet; in der ersten Hälfte wird Judit überhaupt nicht erwähnt (Jdt 1,1–7,32). Stattdessen wird dargestellt, wie die göttliche Hoheit über Israel mit der politischen Hoheit von König Nebukadnezar über alle Nationen der westlichen Welt in Konflikt gerät.9 Israel hatte sich ebenso wie andere Vasallenstaaten geweigert, Hilfstruppen für den Kampf gegen die Meder zu entsenden. Als Strafe für diesen Akt der Auflehnung sendet Nebukadnezar seine Truppen unter der Leitung von Holofernes aus, um Israel eine Lektion zu erteilen. Es ist Israel gelungen, die Invasion in Judits kleiner Heimatstadt Betulia zu stoppen, die ein strategischer Zugangspunkt zu den Straßen nach Jerusalem ist. Holofernes ist entschlossen, seine Expansion und die Eroberungen der assyrischen Streitkräfte fortzusetzen, und schneidet deswegen Betulia für 34 Tage von der Wasserzufuhr ab. Die Armeen umzingeln die Bewohner der Stadt, die durch den Wassermangel geschwächt und zur Aufgabe bereit sind. Der Amtsrichter der Stadt, Usija, bittet die Menschen in seiner Verzweiflung um einen Kompromiss: Bevor sie sich ergeben, sollen sie Gott noch fünf Tage Zeit lassen, sie zu retten. Judit, eine fromme Frau aus Betulia, protestiert gegen den fünftägigen Kompromiss, da sie meint, er stelle eine Einschränkung von Gottes Allmacht dar. Sie versammelt die Stadtältesten und sagt ihnen, Gott stelle sie alle auf die Probe, habe aber die Macht, ihnen zu jeder Zeit zu helfen. Sie schlägt vor, zusammenzuarbeiten, ihren Stammesbrüdern ein Vorbild zu geben (Jdt 8,24). Usija anerkennt, dass sie in der Vergangenheit immer Weisheit bewiesen habe und antwortet ihr: „Deine Weisheit wird ja nicht erst heute offenbar, sondern schon von deiner frühesten Jugend an kennt das ganze Volk deine Einsicht und weiß, wie edel die Gedanken deines Herzens sind“ (Jdt 8,29). Als er ihr vorschlägt, sie 9

Zur historischen Unwahrscheinlichkeit dieser Erzählung siehe Toni CRAVEN, „Judith 2“, in Women in Scripture (hg. v. Carol Meyers; New York: Houghton Mifflin Company, 2000), 104–106.

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solle für Regen beten, erkennt Judit, dass sie eigenständig handeln muss. Sie gibt ihren Plan bekannt und versichert, Gott werde sich „durch meine Hand um Israel kümmern“ (Jdt 8,33). Dabei vertraut sie auf ihren Plan und auf Gott; sie ist entschlossen, die Situation zu wenden und ihr Volk zu retten. Als nächstes betet sie zu Gott, um ihm alles zu erklären. Sie bittet ihn um die Kraft, erfolgreich zu lügen: „Schlag den Knecht wie den Herrn und den Herrn wie den Diener durch meine listigen Worte“ (Jdt 9,10). Alle Maler10 betonen Judits Schönheit und zeigen sie in aufwendiger Kleidung. Die Magd und die Tasche mit Nahrungsmitteln sind wichtige Details für die visuellen Beschreibungen, die hier eingeführt werden. Sie ordnet ihre Haare, setzt ein Diadem auf und zieht Festkleider an, die sie zu Lebzeiten ihres Gatten Manasse getragen hatte. Auch Sandalen und Fußspangen, Armbänder, Fingerringe, Ohrgehänge und all ihren Schmuck legt sie an und machte sich schön, um die Blicke aller Männer, die sie sähen, auf sich zu ziehen. Ihrer Dienerin gibt sie einen Schlauch Wein und ein Gefäß mit Öl, füllt einen Sack mit Gerstenmehl, getrockneten Feigen und reinen Broten, verpackt all diese Dinge sorgfältig und lädt sie ihrer Dienerin auf (Jdt 10,3–5). Judit betört bei ihrem Gang ins feindliche Lager die assyrischen Wachmänner und erklärt ihnen den Grund ihres Kommens: Holofernes mitzuteilen, wie er das ganze Bergland ohne militärische Verluste erobern könne (Jdt 10,13). Drei Tage lang genießt Holofernes Judits Gesellschaft, und sein Verlangen nach ihr wächst stetig, bis er am vierten Tag ein Festessen für seine persönlichen Begleiter ausrichtet. Judit wird eingeladen und Holofernes fordert sie auf: „Trink doch, und sei vergnügt mit uns!“ (Jdt 12,17), und Judit trinkt: „ich habe in meinem ganzen Leben noch keine solche Ehre erfahren wie heute“ (Jdt 12,18). Holofernes trinkt mehr als je zuvor, sie ist allein mit ihm im Zelt, er schläft betrunken auf seinem Bett ein (Jdt 13,2). Judit trat an das Lager des Holofernes und betete still: Herr, du Gott aller Macht, sieh in dieser Stunde gnädig auf das, was meine Hände zur Verherrlichung Jerusalems tun werden! Jetzt ist der Augenblick gekommen, dass du dich deines Erbbesitzes annimmst und dass ich mein Vorhaben ausführe, zum Verderben der Feinde, die sich gegen uns erhoben haben. Dann ging sie zum Bettpfosten am Kopf des Holofernes und nahm von dort sein Schwert herab. Sie ging ganz nahe zu seinem Lager hin, ergriff sein Haar und sagte: Mach mich stark, Herr, du Gott Israels, am heutigen Tag! Und sie schlug zweimal mit ihrer ganzen Kraft auf seinen Nacken und hieb ihm den Kopf ab. Dann wälzte sie seinen Rumpf von dem Lager und nahm das Mückennetz von den Tragstangen herunter. Kurz danach ging sie hinaus und übergab den Kopf des Holofernes ihrer Dienerin, die ihn in ihren Verpflegungssack steckte (Jdt 13,4–10).

Judit kehrt nach vollbrachter Tat erfolgreich zu ihrem Volk zurück, mit ihrer Dienerin und mit dem Kopf des Holofernes. Sie rät ihnen, die Assyrer im Morgengrauen anzugreifen, und die Israeliten plündern deren Lager. Laut Toni Craven ist Judit konventionell, weil sie die Regeln des Erbes und der Reinheit einhält, betet und fastet, an Gottes Vorsehung glaubt. Sie ist unkonventionell, weil sie die männlichen Machthaber in ihrer

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Bettina UPPENKAMP, Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barock (Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2004).

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eigenen Stadt wegen ihrer Äußerungen über Gott zurechtweist, auch wenn sie dies in der privaten Umgebung ihres eigenen Hauses tut.11

3.1 Caravaggios Judit und Holofernes Caravaggio (1571–1610) gilt in der Kunstgeschichte als einer der Begründer des Barockstils, der nach 1590 in Rom entstand. Aus dem italienischen Barockstil spricht oft der Geist der Gegenreformation, die im 16. Jahrhundert natürlich schon in vollem Gang war. Der Katholizismus hatte schon einen großen Teil seines früheren Terrains zurückerobert und den Protestantismus in die Defensive gedrängt; keine der beiden Seiten hatte genügend Macht, das neu entstandene Gleichgewicht zu stören. Der italienische Maler Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, wurde im Spätsommer oder Frühherbst des Jahres 1571 geboren und starb am 18. Juli 1610. Er war das erste von vier Kindern; sein Vater arbeitete für den Marchese von Caravaggio als Bauarbeiter. Nach seinem Umzug nach Rom nahm der junge Michelangelo, wie damals üblich, den Namen seiner Heimatstadt Caravaggio an.12 Im April des Jahres 1584, im Alter von 13 Jahren, trat Caravaggio dem Maleratelier von Simone Peterzano (tätig in Mailand 1573–1596) bei. Als er 1592 in Rom ankam erwarb er sich die Gunst mehrerer wichtiger Kunstförderer, die auch in der Kirche hohen Einfluss genossen.13 Das Bild Judit köpft Holofernes (Abb. 4) wurde wahrscheinlich von Ottavio Costa in Auftrag gegeben, einem in Rom wohnhaften Bankier aus Genua. Seine erste Erwähnung findet das Bild laut Sebastian Schütze in dessen Testament von 1632.14 Bisher war das Bild immer traditionell als Allegorie von Tugend und Laster gemalt worden, aber Caravaggio wählt stattdessen eine dramatische und grausam realistische Szene. Die Handlung wird in den Vordergrund des Bildes gedrängt. Die Figurengruppe befindet sich spät nachts im Zelt des Holofernes. Judit trägt schöne Kleider, Ohrringe und eine aufwendige Frisur. Ihre Dienerin steht mit der nun leeren Essenstasche bereit. Judits Gesicht wirkt entschlossen und ein wenig abgestoßen von der Tat, die sie gerade vollbringt. Blut spritzt aus Holofernes’ Hals auf das weiße Kopfkissen und Laken. Beverly Louis Brown kommentiert, „Post-tridentinische Theologen forderten eine strikte Nähe zu den Bibeltexten, und Caravaggios gewalttätige Nachstellung ist in diesem Sinne natürlich bibelgetreuer als frühere Versionen, die die Enthauptung nur als fait accompli darstellten.“15

11 12 13 14 15

Vgl. EBD., 106. Alfred MOIR, Caravaggio (New York: Harry N. Abrams, 1989), 8. EBD., 11. David FRANKLIN und Sebastian SCHÜTZE, Caravaggio and His Followers in Rome (New Haven/London: Yale University Press, 2011), 263. „Post-Tridentine theologians demanded strict adherence to biblical texts and Caravaggio’s violent re-enactment is clearly more faithful in this sense than earlier versions which merely depicted the decapitation as a fait accompli.“ Beverly L. BROWN, „Between the Sacred and Profane“, in The Genius of Rome 1592–1623 (hg. v. ders.; London: Royal Academy of Arts, 2001), 276–303; 293.

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Abb. 4: Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Michelangelo Merisi da Caravaggio, Judit und Holofernes, 1599 (Art Resource, NY). 3.2 Artemisia Gentileschis Judit köpft Holofernes, Museo Capodimonte, Neapel Artemisias Judit, die sich heute im Museum Capodimonte in Neapel (Abb. 5) befindet, stammt aus ihrer römischen Zeit und enstand zur gleichen Zeit wie das zuvor beschriebene Bild Susanna und die Ältesten. Viele Wissenschaftler halten die blutrünstige Darstellung dieses Themas für eine persönliche Reaktion auf ihre Vergewaltigung im Jahr 1612. Eine neuere These der Wissenschaftlerinnen Judith Mann und Beverly Louis Brown lautet, die Quellen seien eher im Visuellen als in der Psychologie zu suchen. Artemisia hatte sich stark von Caravaggios Werken beeinflussen lassen, und das zehn Jahre zuvor entstandene Caravaggio-Gemälde war ihre Hauptquelle. Die intensive Gewaltausübung im Vordergrund des Bildes und Judits steif parallel gehaltene Arme sind direkt von Caravaggio übernommen.

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Abb. 5: Neapel, Museo Nazionale di Capodimonte, Artemisia Gentileschi, Judit köpft Holofernes, 1611– 1612 (Alinari / Art Resource, NY).

Der Körperbau von Artemisias Judit ist breiter als bei Caravaggio, und auch die Dienerin unterscheidet sich durch Alter, Körperbau und Tätigkeit. Abra, wie sie durch die Tradition benannt worden ist, ist im gleichen Alter wie Judit und erscheint mehr als Mitverschwörerin denn als Gehilfin wie noch bei Caravaggio, wo sie nur darauf wartet, dass Judit ihr den Kopf überreicht. Diese jüngere, attraktive Dienerin drückt Holofernes herunter, und er streckt sich nach ihr aus, nicht nach Judit. Brown ist der Meinung, Orazios Version desselben Themas im Wadsworth Atheneum (Hartford, Connecticut) sei die Grundlage für diese Veränderungen.16 3.3 Artemisia Gentileschis Judit mit dem Kopf des Holofernes, Palazzo Pitti, Florenz Dieses zweite Gemälde (Abb. 6) der Judit-Geschichte schuf Artemisia sechs Jahre später. Während das erste Bild sich auf den Moment des Todes konzentrierte, folgt diese Version einer längerwährenden Tradition der Judit-Geschichte: den Momenten nach der Ermordung. Judit und Abra fliehen aus dem Assyrerlager mit dem Kopf, der nicht im Sack versteckt ist, sondern recht gut sichtbar in einem Korb liegt. Artemisia hat die beiden Frauen näher aneinanderrücken lassen, indem Judit ihre Hand auf Abras rechte Schulter legt. So vereint sie die beiden bei ihrer Tat. Auch dieses Bild enthält komplexe 16

EBD., 296.

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Abb. 6: Florenz, Galleria Palatina, Pa-lazzo Pitti, Artemisia Gentileschi, Judit mit dem Kopf des Holofernes, 1614– 1620 (Scala / Ministero per i Beni e le Attività culturali / Art Resource, NY).

Ornamente: im Brokat von Judits Mieder, im juwelenbesetzten Haarschmuck und sogar am Schwertgriff, der mit einem schreienden Kopf geschmückt ist. Beide Frauen wenden ihre Köpfe zur rechten Seite des Bildes, als nahe von dort jemand heran, vor dem sie schnell mit ihrer Beute fliehen müssten.

3.4 Judit und Holofernes von Cristofano Allori Cristofano Allori (1577–1621), der Sohn von Alessandro, wurde zu einem der führenden Barockkünstler in Florenz. Er arbeitete für die Medici-Familie und lernte zunächst bei seinem Vater. Zwischen 1600 und 1605 hörte Cristofano auf, in seinen Werken den Michelangelesken Manierismus seines Vaters zu reflektieren, und entwickelte einen klareren, direkteren Malstil, der den Forderungen des Konzils von Trient nach mehr Bibelnähe und einer schicklichen Darstellung entsprach. Judit mit dem Kopf des Holofernes (Abb. 7) war im Jahr 1619 das Thema eines Gedichtes von Giambattista Marino gewesen und wurde im 18. und 19. Jahrhundert oftmals kopiert. Schenkt man dem Biographen Baldinucci Glauben, dann stand Cristofanos Ge-

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Abb. 7: Florenz, Gallerina Palatina, Palazzo Pitti, Cristofano Allori, Judit mit dem Kopf des Holofernes, 1620 (Alinari / Art Resource, NY).

liebte La Mazzafirra für Judit Modell und deren Mutter für Abra. Der abgetrennte Kopf des Holofernes hingegen sei ein Selbstporträt des Künstlers.17 Auch hier ist Judit in herrlichen zeitgenössischen Kleidern dargestellt, aber anders als bei Artemisia und Caravaggio hält sie den abgetrennten Kopf in ihrer linken Hand. Cristofano zeigt damit eine weitere Episode der Erzählung – nach der Tötung und vor der Ablegung des Kopfes in Tasche oder Korb. Judit trägt ein goldenes Kleid mit gebauschten weiten Ärmeln. Ihr über die Schultern drapierter Mantel ist rosa mit grünem Futter. Abra, die hier wieder älter dargestellt wird, blickt Judit an und wartet auf Anweisungen. Judit ist ruhig und zeigt weder Gefühle noch Schwäche.

4. Ester Das Buch Ester erhält seinen Namen von seiner Protagonistin, der heldenhaften Jüdin in der Diaspora, die Königin von Persien wird. Sie rettet ihr Volk vor dem Genozid und begründet zusammen mit ihrem Vormund Mordechai das neue jüdische Fest Purim. Die 17

Jack J. SPALDING IV und Miles L. CHAPPELL, „Allori family“, in Grove Art Online: Oxford Art Online, http://www.oxfordartonline.com/subscriber/article/grove/art/T001933pg2; Zugriff am 15.05.2018).

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Macht der weiblichen Sexualität wird im gesamten Buch Ester zelebriert. Es ist kein historisches Werk, sondern eher ein historischer Roman voller Intrigen, Liebe, Macht, Sozialstatus und Palastpolitik. Ester heiratet den reichen und stolzen König Achaschwerosch und nimmt damit den Platz der ersten Frau ein, die er verstoßen hatte, nachdem sie sich geweigert hatte, vor seinen Gästen bei einem Festmahl zu erscheinen (vgl. Est 1). Der König lässt sich von Esters Schönheit (und vielleicht ihren sexuellen Fähigkeiten) vereinnahmen, weiß aber nicht, dass sie eine Jüdin ist. Einige Zeit nach ihrer Hochzeit hört Ester, dass Achaschwerosch einen Erlass unterzeichnet habe, alle Juden zu töten. Sie verspricht ihre Hilfe, muss aber dem König gegenüber loyal und respektvoll erscheinen. Vor der Audienz ordnet Ester an, dass alle Juden drei Tage fasten sollen. Durch das Fasten geschwächt, fällt Ester vor dem König in Ohnmacht, worauf dieser sich besorgt zeigt: Anstatt sie zu bestrafen, berührt er sie mit seinem Zepter als Zeichen der Akzeptanz, dass sie ungefragt vor dem König erschien. Ester ist das einzige Buch des Alten Testaments, von dem keine Texte in den Schriftrollen vom Toten Meer (3. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr.) gefunden wurden. Viele Rabbiner und Kirchenväter haben über dieses Buch debattiert, da es weder Gott noch andere jüdische Konzepte wie Bund, Tempel, Opfer oder Gebet erwähnt. Im 3. oder 4. Jh. n. Chr. scheint der Text in der jüdischen Heiligen Schrift (Tanakh) akzeptiert worden zu sein, wo er im dritten Abschnitt, den Schriften (Ketubim) erscheint. Es ist die letzte der fünf Festrollen (Meglilot), die am jüdischen Purimfest gelesen wird. In christlichen Bibeln erscheint der Text im Abschnitt der Geschichtsbücher. Mehr als hundert zusätzliche Verse, die in der griechischen Übersetzung (Septuaginta) stehen, finden sich nicht in überlieferten hebräischen Dokumenten. Diese Verse sind in protestantischen und jüdischen Bibeln ausgenommen, werden aber von Katholiken und Orthodoxen akzeptiert. Der vollständige hebräische Ester-Text mit den „griechischen Zusätzen“ ist in heutigen Bibeln Teil der apokryphen/deuterokanonischen Bücher.18 4.1 Ester vor dem König von Artemisia Gentileschi Artemisia Gentileschis Darstellung dieser Szene (Abb. 8) kombiniert Details aus den griechischen Zusatzversen, die im 16. Jh. allgemein gebräuchlich waren, nachdem sie 1546 beim Konzil von Trient kanonischen Status erhalten hatten: Am dritten Tag, als sie ihr Gebet beendet hatte, legte sie ihr Bußgewand ab und zog ihre Prunkgewänder an. In strahlender Schönheit betete sie zu dem allsehenden Gott und Retter. Dann nahm sie zwei Dienerinnen mit; auf die eine stützte sie sich nach der Art der vornehmen Frauen, die andere ging hinter ihr und trug ihr die Schleppe. Sie selbst strahlte in blühender Schönheit, ihr Gesicht war bezaubernd und heiter, ihr Herz aber war beklommen vor Furcht. Sie durchschritt alle Türen und blieb vor dem König stehen. Er saß auf seinem königlichen Thron, angetan mit seinen Prunkgewändern voll Gold und Edelsteinen. 18

Zu den historischen Informationen über das Buch Ester in diesem Absatz: Mary J. W. LEITH, „Esther“, The New Oxford Annotated Bible: New Revised Standard Version With the Apocrypha (hg. v. Michael D. Coogan; Oxford: Oxford University Press, 2010), 707f.

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Abb. 8: New York, The Metropolitan Museum of Art, Artemisia Gentileschi, Ester vor dem König, 1628–1635 (Image © The Metropolitan Museum of Art).

Der Anblick war furchterregend. Als er aufblickte und die Königin in wildem Zorn mit feuerrotem Gesicht ansah, wurde sie bleich, fiel in Ohnmacht und sank auf die Schulter der Dienerin, die vorausging. Da erweichte Gott das Herz des Königs. Besorgt sprang er vom Thron auf und nahm sie in seine Arme, bis sie wieder zu sich kam. Dann redete er ihr mit freundlichen Worten zu und sagte: Was hast du, Ester? Ich bin dein Bruder, sei unbesorgt! Du sollst nicht sterben; denn unser Befehl gilt nur für die anderen. Komm her! (Est 5,1).

Artemisia zeigt Ester auf dem Gemälde in all ihrer Pracht: Sie trägt ein goldfarbenes elegantes Kleid mit besticktem Mieder und Saum. Ihre Damastärmel sind an ihren Handgelenken aufwendig gearbeitet. Die blaue Schärpe wird durch einen juwelenbesetzten Gürtel gehalten. Das tenebristische Licht betont die bleiche Haut ihres Halses. Achaschwerosch, dessen reiche Kleidung ebenfalls dem Stil des 17. Jh. entspricht, trägt ein samtenes Wams. Die Ärmel und die Kniehose sind mit Bändern geschmückt, und seine ledernen Stiefel sind mit Pelz gefüttert und mit Spangen verziert. Er wirkt jugendlich und dandyhaft. Laut Mary Garrard verleihen die Pose und der maskuline Kopf, die von Michelangelos Haman in der Sixtinischen Kapelle inspiriert sind, Ester mehr Stärke und zeigen sie

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als Heldin, nicht als Untergebene des Königs.19 Laut Judith Mann begann Artemisia 1628 in Venedig mit der Arbeit an diesem Bild, und könnte deswegen auch von einem Gemälde aus der Werkstatt von Veronese zum selben Thema beeinflusst worden sein. Artemisia nahm es wahrscheinlich gegen 1630 mit nach Neapel, wo sie es in mehreren Teilen überarbeitete: die verschiedenen Kompositionsphasen und pentimenti im Bild lassen dies erkennen.20 Fast alle früheren Gemälde zum Thema zeigen den König auf einem Thron sitzend mit einem Zepter in der Hand. Mann vermutet, dass Artemisia hier die in der Rezeptionsgeschichte beliebte Allusion ablehnt, die Ester als alttestamentliche Vorwegnahme (Typos) der Jungfrau Maria sieht und die Berührung durch das Zepter des Königs mit Marias Bestimmung als unbefleckte Mutter Christi gleichsetzt.21 Garrard schreibt das Gemälde der römischen Periode Artemisias Anfang der Zwanziger Jahre des 17. Jh. zu und begründet dies mit der Art der Robe des Königs, die stark an Caravaggio erinnere. Sie nimmt an, Artemisia habe das Ester-Gemälde aus der Veronese-Schule während einer Venedigreise in den frühen 1620er Jahren gesehen, und auch die Sichtweise der starken Heldin sei eher typisch für die Zeit nach 1620 als nach 1640.22

5. Delila Das Buch der Richter ist die Geschichte der Herrscher und Anführer, die nur am Anfang des Buches als „Richter“ bezeichnet werden. Es erzählt von Ereignissen der Zeit nach Joschuas Tod. Samson ist eine der Hauptpersonen, und die Erzählung von Samson und Delila ist jene Episode aus dem Buch der Richter, die in der bildenden Kunst am meisten gemalt worden ist. Samson verliebt sich in Delila (Ri 16,1–4), deren sozialer Status unklar ist. Sie könnte eine reiche Witwe wie Judit sein, oder auch eine Prostituierte, aber Delila wird weder als Hure noch als Philisterin bezeichnet. Die Philister nutzen die Frau aus, um das Geheimnis von Samsons Kraft herauszufinden. Sie könnte eine hohe Geldsumme von den Philistern akzeptiert haben, denn wenn sie eine Israelitin ist, wäre ein solcher Akt nötig, um sie zum Verrat an einem ihrer eigenen Leute zu bringen. Die Erzählung sagt, dass Samson Delila liebt, aber nicht, dass sie ihn liebt (Ri 16,4). Nach drei Versuchen, die Wahrheit von Samson zu erfahren, erzählt er ihr schließlich, dass seine Stärke in seinem Haar liegt, das nie geschnitten worden ist.23 19 20 21 22 23

Keith CHRISTIANSEN und Judith W. MANN, Orazio and Artemisia Gentileschi (New Haven/London: Yale University Press, 2001), 376. EBD., 377. EBD. EBD. Zur vollständigen Argumentation: Mary GARRARD, Artemisia Gentileschi: The Image of the Female Hero in Italian Baroque Art (Princeton: Princeton University Press, 1989). J. Cheryl EXUM, „Delilah“, in Women in Scripture: A Dictionary of Named and Unnamed Women in the Bible, the Apocryphal/Deuterocanonical Books, and the New Testament (hg. v. Carol Meyers et al.; Boston: Hoghton Mifflin, 2000), 68f.

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Abb. 9: New York, The Metropolitan Museum of Art, Giovanni Francesco Guercino, Samson wird von den Philistern gefangen genommen, 1619 (Image © The Metropolitan Museum of Art). 5.1 Guercinos Samson und Delila Als Samson in Delilas Schoß einschläft, ruft sie einen Mann, der seine Haare abschneiden soll. Auf Guercinos Bild (Abb. 9) ist der Augenblick dargestellt, in dem Delila ruft „Philister über dir!“ wie schon die drei Male zuvor, aber dieses Mal schafft Samson es nicht, sich zu befreien, weil Gott und seine Stärke von ihm gewichen sind. Sein Haar ist kurz und sein muskulöser Rücken ist im Zentrum der Komposition. Wir sehen Delila, wie sie das weiße Laken wegzieht, das wahrscheinlich kurz vorher noch unter seinem Kopf auf ihrem Schoß gelegen hat. Die Soldaten halten die Werkzeuge bereit, mit denen sie seine Augen ausstechen wollen (Ri 16,21), während er versucht, sich zu befreien. Diese Art, die Kraft der handelnden Person einzufangen, ist typisch für die Barockmalerei. Gian Francesco Barbieri Guercino (1591–1666) kam 1591 in Cento zur Welt, einer kleinen Stadt außerhalb der Metropole Bologna. Als Guercino wurde er bekannt, weil er schielte, was vermutlich auf einen Unfall in seiner Kindheit zurückging. Die meisten

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Wissenschaftler sind sich einig, dass er zwar eine kurze Ausbildung bei Benedetto Gennari dem Älteren (gest. 1610) erhielt, aber ansonsten als Künstler ein Autodidakt war.24 Im Jahr 1612, als Guercino 21 Jahre alt war, wurde der Bologneser Kanoniker Antonio Mirandola, der in Cento ein kirchliches Amt innehatte, auf sein Werk aufmerksam. Mirandola nahm Guercino sozusagen unter seine Fittiche und verhalf ihm zu mehreren wichtigen Aufträgen, die wiederum die Aufmerksamkeit von anderen Bologneser Mäzenen auf sich zog. Als er 1617 in Bologna ankam, war er im Alter von 26 Jahren bereits ein angesehener Künstler. Guercino war ein Maler aus der dritten Generation des Bologneser Stils. Sein bildhafter und recht gewaltsamer Barockstil hinterlässt einen tiefen Eindruck und beschleunigt die Veränderung gegenüber dem damals vorherrschenden klassischen Stil. Dieses Bild ist ein Meisterwerk aus der ersten Phase von Guercinos Karriere. Er hat eine kräftige, starke Delila in der unteren linken Ecke gemalt, welche für die Erzählung wie auch für die Dramatizität und Energie der Handlung unverzichtbar ist. Delila und Samson werden beide als heroische, emotionsgeladene Figuren mit übertriebener Gestik porträtiert.25

6. Fazit Rahel und Leah treffen Jakob aus der Schule des Raffael im Stil der Hochrenaissance verkörpert die Kraft der Mutterschaft. Caravaggio malte mit realistischen Details, Naturalismus und Gefühl für den flüchtigen Moment, um die Erzählung besonders dramatisch zu machen. Sein Bild Judith köpft Holofernes zog seine und spätere Generationen durch die graphisch-grausame Darstellung der Tötung in seinen Bann. Viele taten es ihm gleich, so auch Cristofano Allori, der Sohn von Alessandro. Eine der berühmtesten aber unter ihnen war Artemisia Gentileschi, die erste gut dokumentierte Künstlerin in der Kunstgeschichte. Artemisia fängt in ihren Gemälden von Judith dieselbe Kraft ein, die sie bei Caravaggio abgeschaut hat, aber nutzt sie, um die Macht der Frau zu betonen. Ihr frühes Werk Susanna und die Ältesten, das eine weitere Frau aus dem Alten Testament darstellt, zeigt eine voyeuristische Szene, die vielleicht Artemisias eigene Verletzlichkeit in einem Männerberuf reflektiert. Ester vor Achaschwerosch porträtiert noch eine mächtige Frau, die durch ihre Weisheit die Kontrolle über die Situation erlangt. Guercino war ein italienischer Barockmaler, der im Gegensatz zu Caravaggio jenen Stil gelernt hatte, den wir heute Bologneser Klassizismus nennen. Seine Darstellungen von Szenen aus dem Leben von Susanna und Delila geben diesen Frauen aus dem Alten Testament eine starke, aber auch sinnlichere Seite.

24 25

Denis MAHON, Guercino: Master Painter of the Baroque (Washington: National Gallery of Art, 1992). David M. STONE, Guercino: Catalogo completo (Firenze: Cantini, 1991), 75.

Biblische Frauenfiguren in einem neapolitanischen Freskenzyklus aus dem frühen 17. Jahrhundert Viviana Farina Accademia di Belle Arti, Neapel

1. Die Kapelle der Familie Belgioioso in Neapel Vor einigen Jahren besichtigte ich die Kapelle der Familie Belgioioso, die fünfte im rechten Seitenschiff der Benediktinerkirche Santi Severino e Sossio in Neapel. Die Mauern dieser Kapelle, die zuvor der verwandten Familie Massa di Ventimiglia gehört hatte, sind mit Fresken bemalt, und ich war sofort davon beeindruckt, wie viele Protagonistinnen aus der Bibel dort in so konzentrierter Form versammelt sind. Diese Fresken, die vor mir1 noch niemand in ihrer Gesamtheit studiert oder abgebildet hatte, sind ein interessantes Beispiel für neapolitanische Malerei. Sie schmücken die seitlichen Wände, die Lünetten und das Deckengewölbe der Kapelle (und einst auch die Wandabschnitte seitlich des Fensters, das sich über dem Altar befindet). Der Ligurier Lanfranco Massa hatte diese Malereien beim griechischstämmigen Wahlneapolitaner Belisario Corenzio (Arkadien/Peloponnes 1558–Neapel nach 1646) in Auftrag gegeben. Dieser Meister der Wandmalerei hatte von den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts bis in die vierziger Jahre des folgenden Jahrhunderts in der Stadt gearbeitet. 1.1 Die Familie Massa aus Ventimiglia Die Familie Massa di Ventimiglia gehörte der ligurischen Gemeinde in Neapel an und hatte in der Zeit innerhalb des 16. und 17. Jahrhunderts eine gute wirtschaftliche und soziale Position erreicht. Francesco Massa, der 1610 verstorbene Onkel von Lanfranco und erster Inhaber der hier behandelten Kapelle, war Patrizier und Rechtsgelehrter gewesen. Zu einem nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt nach 1568 hatte er von Giovan Felice Scalaleone das Nutzungsrecht für die fünfte Kapelle im rechten Seitenschiff der neapolitanischen Kirche Santi Severino e Sossio erworben. Im 18. Jahrhundert ging die Kapelle als Erbstück von der Familie Massa an die Familie Belgioioso über, wie Chiarini berichtet und wie es immer noch heute auf der Tafel, die in der Mitte des Fußbodens der Kapelle eingelassen ist, zu lesen ist.2 Lanfranco Massa hatte 1610 mit der Renovierung 1

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Viviana FARINA, „Un episodio di committenza genovese nella Napoli del primo quarto del Seicento: la cappella Massa ai Santi Severino e Sossio“, in „Napoli è tutto il mondo“: Neapolitan Art and Culture from Humanism to the Enlightenment, International Conference (Rome, june 19–21, 2003) (hg. v. Livio Pestilli, Ingrid D. Rowland und Sebastian Schütze; Pisa/Rom: Accademia Editoriale, 2008), 171–184. Dort finden sich weitere Informationen sowie eine Bibliographie im Hinblick auf die meisten Aspekte, die in diesem Aufsatz dargestellt werden. Giovan Battista CHIARINI, „Aggiunzioni de’ più notabili miglioramenti posteriori fino al presente…“, in Notizie del bello, dell’antico e del curioso della città di Napoli [5 Bde.; hg. v.

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begonnen, und noch 1630 zahlte er dem Benediktinerkloster einen Teil der Kosten, doch die Einrichtung der Kapelle dürfte schon im Jahr 1626 beinahe fertig gewesen sein. Damals wurden die beiden Gedenktafeln gemauert, die noch heute unterhalb der Nischen links und rechts vom Altar zu sehen sind, und die Lanfranco zum Andenken an seinen Onkel Francesco und seinen Cousin Cesare hatte anfertigen lassen.3 Auf Wunsch des Erblassers hätten in diesen Nischen zwei Marmorstatuen Platz finden sollen, die aus Respekt vor dem benediktinischen Gotteshaus die Heiligen Bernhard und Benedikt darstellen sollten. Später wurden zwei Porträtbüsten von Francesco und Lanfranco in den mit buntem Marmor verkleideten Säulen aus Vulkanstein (Piperno) platziert, auf denen der Bogen über dem Eingang der Kapelle ruht. Auf das Altarbild hingegen, das hier einst angebracht war oder hätte angebracht werden sollen, gibt es keinerlei Hinweise, weder in Lanfrancos Testament noch in den sonstigen bisher bekannten Unterlagen der Familie Massa. Die auf Holz gemalte Verkündigung, die man dort noch heute bewundern kann, ist zweifelsohne eine Auftragsarbeit aus dem 16. Jahrhundert für die Familie Scalaleone, die bereits erwähnten Vorbesitzer der Kapelle. Hierfür sprechen vor allem die perfekte Passform der Tafel in den gemauerten Rahmen sowie die Befunde der Kunstführer, die das Gemälde an seinem aktuellen Platz erwähnen und es dem Maler Notaro Gio. Angiolo Criscuolo zuschreiben.4 Francesco Massa kaufte also wohl die Kapelle mitsamt dem Altarbild; sein Neffe Lanfranco behielt nicht nur die Widmung an die Jungfrau Maria bei, die Giovan Felice Scalaleone 1558 festgelegt hatte, sondern entschied sich auch, deren Bedeutung noch zu betonen, indem er – wie ich an dieser Stelle nachweisen möchte – bei Corenzio einen biblischen Zyklus als Allegorie auf die Mariengeschichte in Auftrag gab.

2. Rebekka, Judit, Ester und Jaël in der Capella Belgioioso An der linken Wand befindet sich ein Rahmen aus weißem und vergoldetem Stuck, dessen Oberseite mit zwei Putten geschmückt ist. Diese Putten sitzen auf Voluten und halten eine Girlande mit einem Cherubinskopf in der Mitte in der Hand. Dieser Rahmen fasst ein großes Bild von Rebekka am Brunnen ein (Abb. 1); die sich darüber befindliche Lünette zeigt Judith und die Dienerin mit dem Kopf des Holofernes (Abb. 2). Der Stuckrahmen rechts unten gleicht dem gegenüberliegenden. Darauf ist eine große Darstellung vom Treffen zwischen Ester und Achaschwerosch (Abb. 3) zu sehen. Die Lünette hingegen zeigt Jaël, die Sisera tötet (Abb. 4).

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Carlo Celano; Neapel: Stamperia Floriana, 1856–1860] (hg. v. Atanasio Mozzillo, Alfredo Profeta und Francesco P. Macchia; Neapel: Edizioni Scientifiche Italiane, 1970), III giornata, 1138. Der Text beider Gedenktafeln steht bei Carlo DE LELLIS, Parte Seconda o’ vero supplemento a Napoli Sacra di D. Cesare D’Engenio Caracciolo… (Neapel: Roberto Mollo, 1654), 167 [193]. Für die Bibliographie zum Altarbild: Farina, Un episodio, 175, Anm. 1. Die bislang wissenschaftlich anerkannte Zuschreibung ist in letzter Zeit in Zweifel gezogen worden (siehe EBD., 175f., Anm. 2).

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Abb. 1: Rebekka am Brunnen Die Bemalung des Deckengewölbes besteht aus verschiedenen Szenen, die mit weißem und vergoldetem Stuck voneinander abgegrenzt sind und die ihrerseits durch Köpfe von Cherubim und Harpyien miteinander verbunden sind, welche wiederum zu den Pendentifs des Gewölbes selbst führen. Das zentrale Oktagon beinhaltet eine Vision des heiligen Johannes in Patmos. An den Seiten sind die vier Tugenden in ovalen Rahmen zu sehen, von denen zwei stark beschädigt sind. Zwischen diesen finden vier Szenen in mehrfach gelappten Rahmen ihren Platz; zwei sind verloren gegangen, die anderen beiden zeigen Ezechiels Vision vom goldenen Tor sowie Mose im brennenden Dornbusch. Im Folgenden soll lediglich kurz auf die friedliche und alltägliche Anmutung der Darstellung eingegangen werden. Es sind ‚große Figuren’, zarte Farben (weit entfernt von den brillanten Farbkombinationen des Spätmanierismus, den Corenzio in den vorherigen

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Abb. 2: Judith und die Dienerin mit dem Kopf des Holofernes Jahren an den Tag legte), und mäßige Zugeständnisse an die Bildersprache von Caravaggio. In der Tat ist dies einer der schönsten Dekorationszyklen aus dem Neapel der 1620er Jahre. Die helle Szene von Rebekka am Brunnen (Abb. 1), die in ihrer liebenswürdigen Darstellung und der Fülle an Details vielleicht am besten gelungen ist, steht die Nachtszene der königlichen Judit mit dem Kopf des Holofernes als Trophäe gegenüber (Abb. 2). Dieser deutliche Versuch einer Anpassung an den modernen Naturalismus wird durch den roten Samtvorhang abgerundet, vor dem der leblose Körper des Assyrerfeldherrn mit blutendem Hals und herabhängendem Arm zu sehen ist, und durch den schlafenden Krieger auf der rechten Seite. Auch an der rechten Wand findet sich das alternierende Schema alter und neuer Darstellungsmanier: einerseits die Massenszene im Palast des Achaschwerosch (Abb. 3) und andererseits die moderner anmutende Szene von Jaël und Sisera (Abb. 4). Im Zelt des kanaanitischen Feldherrn steht der Augenblick des Mordes im Mittelpunkt. Die Spannung wird nur zum Teil durch das Bild der zwei Soldaten am rechten Rand aufgehoben. Die Szenen am Deckengewölbe hingegen entsprechen alle der spätmanieristischen Tradition und sind heute stark durch Wasserschäden beeinträchtigt.

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Abb. 3: Treffen zwischen Ester und Achaschwerosch

3. Marianische Präfigurationen Die allegorisch-typologische Interpretation des Alten Testaments auf Maria war bekanntlich schon im Mittelalter sehr erfolgreich (siehe die Bibel der Armen und das Speculum humanae salvationis) und gelangte nach dem Konzil von Trient zu neuem Ruhm: Dank der Aufwertung der Jungfrau als Mittlerin der Gnade verbreiteten sich Gemäldezyklen, die ihr Leben beschrieben. Wie bei Mâle5 zu lesen ist, war ein Werk im Hinblick auf die Reinterpretation der Heiligen Schrift in Bezug auf Maria besonders wich5

Émile MÂLE, L’art religieux de la fin du XVI.e siècle, du XVII.e siècle et du XVIII.e siècle: ètude sur l’iconographie apres le Concile de Trente: Italie-France-Espagne-Fiandres (Paris: Colin, 1951); italenische Ausgabe: L’arte religiosa nel Seicento: Italia, Francia, Spagna, Fiandre (Milano: Jaca Book, 1984), 298.

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Abb. 4: Jaël, die Sisera tötet tig: Delle Meditazioni sopra le sette Festività della Beata Vergine [Venedig, Gioliti, 1594], vom Jesuitenpater Vincenzo Bruno (1532–1594) verfasst. Es war weit verbreitet, da es sowohl auf Italienisch als auch auf Latein erschienen war.6 Jede Meditation befasst sich mit einer Episode aus dem Leben der Jungfrau Maria und wird von einer Gruppe von Figuren oder Präfigurationen, sowie einer Reihe von Prophezeihungen begleitet, wobei auf Stellen aus dem Alten Testament verwiesen wird. Die fünfte Meditazione ist der Verkündigung gewidmet (Lk 1) und bezeichnet als erste figura das 24. Kapitel der Genesis. Hier wird davon erzählt, wie auf Abrahams Geheiß eine Braut für Isaak gesucht wird: von dem Treffen zwischen dessen Diener und der jungen Rebekka, die ihm und seinen Kamelen sogleich Wasser anbietet und dafür mit Juwelen belohnt wird, sowie von Rebekkas Zustimmung zur Ehe mit Isaak. All das

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Das Büchlein, das seine größte Verbreitung in der posthumen venezianischen Edition durch Niccolò Misserini (1606) fand, steht normalerweise am Schluss von Delle Meditazioni sopra i principali misteri di tutta la vita di Christo (Venedig: Gioliti, 1588). Das Buch erschien mehrmals in Venedig bei Niccolò Misserini: 1591−1592, 1594, 1595 und 1606. Ein Exemplar des princeps befindet sich in der römischen Biblioteca Vallicelliana (Sala Borromini, III, 78).

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hat Corenzio in einer einzigen Szene auf der linken Seitenwand der Massa-Kapelle dargestellt (Abb. 1). Diese Geschichte unterstreicht also das mysteriöse Element der Verkündigung, das sich auch im Altarbild aus dem 16. Jahrhundert wiederfindet. Unter den Präfigurationen der Verkündigung erscheint auch ein Verweis auf das zweite Kapitel des Buches Ester („Ester wird zur Königin erwählt“). Die junge Jüdin wird jedoch in fast allen Meditationen erwähnt, weil sie als überzeugendste Parallele zu Maria gesehen wird. Esters ‚Erfolg’ besteht darin, dass sie gemeinsam mit ihrem Volk die Unterwerfung ertragen hat, aber auch, dass der König Achaschwerosch sie wegen ihrer Schönheit und Ehrlichkeit zu seiner Braut und Königin auserwählt. All diese Eigenschaften können problemlos auch auf Maria bezogen werden. In der Kapelle in der Kirche Santi Severino e Sossio steht die Geschichte von Judit oberhalb der Rebekka-Szene. Im Text des Jesuiten Bruno stellt das 13. Kapitel des Buches Judit (Jdt 13: „Judit köpft Holofernes“; „Judit zeigt Holofernes’ Kopf“; „Lob sei Gott und Judit“) die erste Präfiguration der Sechsten Meditation dar. Sie ist Marias Besuch bei Elisabeth gewidmet, einem Moment, der im Evangelium (Lk 1) auf die Verkündigung folgt, ebenso wie es auch in der Folge der Fresken der Fall ist. Die Identifikation der Jungfrau mit der schönen Witwe aus Betulien findet sich bereits im Speculum humanae salvationis und betrifft, nach der Meinung des heiligen Bonaventura, Marias Rolle beim Sieg über den Teufel.7 Pater Bruno erklärt genauer, was die beiden Episoden gemeinsam haben: es sei der Empfang, den Elisabet und Usia, das politische Oberhaupt von Betulien, Maria bzw. Judit nach dem erfolgreichen Sieg bereiten. Beide hätten ihren Triumph allein errungen, aber die Jungfrau habe einen größeren Verdienst (wie in der Meditazione I. Della Concezione della Beatissima Madre di Dio erklärt wird), da sie nicht nur den höllischen Tyrannen verjagt, sondern auch Gott in die Welt gebracht habe. An der rechten Wand der Massa-Kapelle sind zwei Allegorien über den Triumph der Jungfrau Maria zu sehen. Das große Bild im unteren Teil fasst das 5. und 7. Kapitel des Buches Ester zusammen (Abb. 3). Die junge Königin ist dabei, vor ihrem Ehemann Achaschwerosch in Ohnmacht zu fallen (spontane Besucher erwartete das Todesurteil) und hat damit seine Liebe und Besorgnis erregt. Der König zeigt mit seinem Zepter auf sie und erlaubt ihr zu sprechen. Die Frau wird ihm in dieser Nacht beim Abendessen das Komplott des Haman gegen seinen Onkel Mordechai verraten. Die biblische Geschichte kündigt den Moment der Krönung der Mutter Gottes an, aber spielt auch auf ihre Mittlerrolle bei ihrem richtenden Sohn, Christus, an. Ester erwirkt tatsächlich die Gnade für das Volk Israel, so wie die Jungfrau sie für alle Menschen erwirkt. Die Entscheidung, im Fresko auch die Erhängung Hamans (Est 7) als Symbol für den bestraften Stolz8 darzustellen, verstärkt die Bedeutung der Strafe gegen den hochmütigen und unzüchtigen Holofernes/Satan, der von der Keuschheit und Demut von Judit/Maria besiegt worden ist. Die darüber befindliche Lünette, in der die Geschichte einer weiteren todbringenden jüdischen Heldin erzählt wird (Jaël, Ri 4,17–21; Abb. 4), stützt das Bild vom Triumph der Jungfrau Maria noch weiter. Im Text von Pater Bruno finden sich keine Erklärungen 7 8

Vgl. Luis RÉAU, Iconographie de l’art chrétien (3 Bücher, 6 Bde.; Paris: PUF, 1955–1959), II,1, 330, Nr. 1. EBD., 340.

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hierzu, aber die Parallele zwischen Jaël und Judit sowie ihre Identifikation mit Marias Sieg über das Böse lassen sich bis in die mittelalterliche Theologie zurückverfolgen.9 Eine Stelle aus dem Buch des Jesuiten bestätigt wiederum die gemeinsame Bedeutung der bisher besprochenen Fresken. Die Theologie erklärt mit Bezug auf Gen 24: Maria ist wie Rebekka ein vor den Männern verstecktes und ihnen unbekanntes Mädchen, von so rarer Schönheit, dass der Vater sie auserwählte, sie suchte, und sie mit wertvollen Geschenken belohnte. Nur sie wurde als würdig erachtet und ausgewählt, die Braut des wahren Isaak, seines einzigen Sohns zu werden. Diese ist jene heilige und ruhmreiche Judit, die mit ihrer einzigartigen Umsicht und Willenskraft den hochmütigen Holofernes, den Prinzen der Dunkelheit, enthauptete. So rettete sie das Volk Gottes vor einer offenkundigen Gefahr und vor der Verzweiflung. Maria ist auch Ester, eine unglaublich schöne Frau, die nach einem langen behüteten Leben im Verborgenen unter den Jungfrauen zur Königin erwählt wurde und die bei der göttlichen Hoheit so viel Gnade erfuhr, dass sie für die ganze Menschheit die Befreiung von jenem verhängnisvollen, ewigen Todesurteil erflehte.10

Ein wenig vorher steht die Stelle, die sich auf Ez 44,1–3 gründet und uns den Sinn der Geschichten erklärt, die im Gewölbe der Massa-Kapelle dargestellt sind. Nachdem Bruno erklärt hat, Maria sei „die Mauer, auf die die silbernen Bastionen gebaut werden können“, fügt er hinzu: Wenn sie eine Tür ist (wie die Bibel sagt), und diese Göttliche Jungfrau wirklich eine Tür war, ist diese Tür immer geschlossen. Nur Gott, der Retter der Welt, kam durch diese Tür, als er Fleisch wurde, um die Menschheit zu erlösen. Und ebenso ist sie jene Tür, durch die wir alle zu unserem Erlöser und Richter gelangen können, eine Tür voller Barmherzigkeit, die für alle immer offen steht, eine wahre Himmelstür, durch die alles Heil zu uns gelangt, und durch die all jene eintreten werden, die gerettet werden.11

So wird deutlich, dass die goldene geschlossene Tür das Emblem der jungfräulichen Mutterschaft Marias ist, wirkmächtig auch noch nach der Geburt des Messias. Und so überrascht es nicht, dass der Verweis auf dasselbe Ezechiel-Kapitel auch in den Prophezeihungen auftaucht, die der Meditation über die Verkündigung beigeordnet sind. Tatsächlich ist in einer der kleineren Szenen am Gewölbe eine Figur zu sehen, die leicht als Prophet Ezechiel identifizierbar ist. Er hatte die Vision von den verschlossenen goldenen Toren des Tempels von Jerusalem. Das Erkennungssymbol des Propheten, lateinisch ianua, lässt auch an ein Wortspiel mit der lateinischen Bezeichnung der Stadt Genua denken, mit der Lanfranco Massas Reichtum eng verbunden war. Die zweite Figur, die trotz der teilweisen Verblassung des Gemäldes noch in einem der Rahmen erkennbar ist, kann als Moses identifiziert werden. Die Szene zeigt einen sitzenden barfüßigen Mann, der den Blick gen Himmel wendet. Hinter ihm sind Anzeichen von Vegetation zu erkennen. Es handelt sich also um den Moment, als dem großen Gesetzgeber, der die Herde des Jetro an den Berg Horeb geführt hat, der Engel des Herrn 9 10 11

EBD., 327f. Übersetzung des Zitats von Vincenzo BRUNO, Delle Meditazioni sopra le sette Festività della Beata Vergine (Venedig: Gioliti, 1594), 86. Übersetzung des Zitats von EBD., 84.

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in einem entflammten Dornbusch erscheint. Als Moses sich darüber wundert, dass der Busch trotz der Flammen nicht verbrennt und Gott anruft, antwortet ihm dieser: „Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,1–5). Im Umfeld der Marienallegorie ist die metaphorische Parallele klar zu erkennen: der unverbrannte Dornbusch entspricht der wundersam intakten Jungfräulichkeit Marias. Dieses Konzept wird auch in einer der Offenbarungen diskutiert, die Birgitta von Schweden erhielt.12 In diesem Kontext wäre es plausibel, wenn ein drittes, heute verlorengegangenes Fresko an der Seite des Gewölbes wegen der bekannten Prophezeihung eines von einer Jungfrau geborenen Sohns (in der Immanuelsweissagung von Jes 7,14) Jesaja dargestellt hätte. Die vierte Szene könnte David gezeigt haben, zusammen mit einem Symbol, das auf das Treffen mit Abigail hinweist, einer demütigen und friedfertigen Frau wie Maria (1 Sam 25,23–35). Und tatsächlich zählt Bruno dieses Treffen zu den Präfigurationen der Verkündigung. Mit diesem Mysterium (genauer gesagt mit dem Dogma der Unbefleckten Empfängnis) beschäftigt sich auch das Fresko in der Mitte des Gewölbes, das eine Vision aus der Offenbarung des Johannes zeigt: eine Frau im Sonnenkleid, mit Sternen gekrönt, reitet auf einem Halbmond und entflieht so der siebenköpfigen Bestie. Die Geburt im Himmel wird oben links durch das Bild eines Kindes repräsentiert, das Gott in seine Hände genommen hat, um es in Sicherheit zu bringen (Offb 12).13 Die Dekoration wird vervollständigt durch die vier Tugenden, die ebenfalls auf Eigenschaften der Jungfrau Maria anspielen und anhand der Vorschriften von Cesare Ripa angefertigt wurden.14 Der Glaube und die Jungfräulichkeit sind klar erkennbar. Der Gehorsam ist zwar stark verblasst, aber durch das Joch auf den Schultern und das Kreuz in der rechten Hand der Figur noch identifizierbar. Von der vierten Personifizierung ist zwar nur noch ein Schatten übrig geblieben, aber wahrscheinlich handelt es sich um die Demut, eine stehende Frau mit verschränkten Armen, die ihren Blick niederschlägt.15 Die Bereiche links und rechts vom Fenster über dem Hauptaltar der Kapelle sind stark beschädigt und die zwei Figuren darin sind nur undeutlich zu sehen. Es handelt sich wahrscheinlich um Knappen. Wären die Tafeln, die sie tragen, noch lesbar, würde ihr Inhalt sicher zu einer genaueren Interpretation des gesamten Zyklus beitragen. Das bis hierher beschriebene ikonographische Programm, mit dem sich vor mir nur ein Kommentator der benediktinischen Kirche befasst hat (und aufmerksam bemerkte,

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EBD., 185. Vgl. EBD., II,2, 709. Bernhard v. Clairveaux war der erste, der die Präfiguration der unbefleckten Jungfrau in der im Himmel gebärenden Frau des Johannes erkannte. Die Sonne, mit der sie bekleidet ist, symbolisiert Jesus, der Mond seinen Vorläufer Johannes den Täufer, die zwölf Sterne an der Krone die Apostel. Die Adlerflügel, die der Engel an den Schultern der Frau angebracht hatte, wurden von der Bestie abgerissen und spielen auf die beiden Testamente oder auf Christi Hände am Kreuz an. Cesare RIPA, Iconologia, overo Descrittione dell’Imagini universali cavate dall’antichità et da altri luoghi… [Roma, per gli heredi di Gio. Gigliotti, 1593] (hg. v. Piero Buscaroli, Vorwort von Mario Praz; Mailand: Tea, 1992). EBD., respektive 127f., 469, 317f., 174.

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dass die Fresken auf das Mysterium der Verkündigung anspielten),16 ist nicht wirklich innovativ. Die beinahe gleichzeitig entstandene Bandini-Kapelle in der Kirche San Silvestro al Quirinale in Rom zeigt die Bibelgeschichten von David, Salomo und Ester, gemalt von Domenichino (1628). Sie sind Präfigurationen der Himmelfahrt Mariens die von Scipione Pulzone gemalt am Altar zu sehen ist. Auch die bekannte Cappella della Presentazione im Petersdom weist bedeutsame Analogien auf, obwohl sie weitaus später entstand als die Massa-Kapelle:17 auch hier gibt es in drei Lünetten die Kombination aus Judit, Jaël und Moses im brennenden Dornbusch. Im neapolitanischen Umfeld gibt es in Santi Severino e Sossio ein ähnliches Beispiel: es handelt sich um die erste Kapelle auf der rechten Seite, die ebenfalls einer ligurischen Familie, den Grimaldis, gehörte. Die Deckengemälde sind beschädigt, aber noch erkennbar: zu sehen sind Salomo und die Königin von Saba, Judit und Holofernes und Rebekka am Brunnen, gruppiert um die Unbefleckte Empfängnis und verbunden mit der Geburt der Jungfrau, einem Spätwerk von Marco Pino und seiner Schule, ein Gemälde am Altar.18 Trotzdem hat die Dekoration der Massa-Kapelle eine ganz eigene Besonderheit, weil in ihr die Frauenfiguren eine so große und wichtige Rolle einnehmen. Dies fällt gleich auf den ersten Blick auf. Wenn man die Kapelle betritt, ist man überrascht, wie eindrucksvoll die Wandgemälde und die Lünetten gestaltet sind und wie nebensächlich sich die männlichen Figuren ausnehmen, die an die Decke der Kapelle verbannt worden sind. Es scheint keinen anderen Fall zu geben, der diesem gleichen würde. An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass die Malereien von Corenzio mit ihrer klaren Illustration und ruhigen Narration eines der besten Beispiele für Kunstwerke im Dienst der Heiligen Schrift sind. Eine riesige Zahl von Büchern widmet sich der Analyse der tridentinischen Regeln zur Ikonographie der religiösen Gemälde. Dieses Thema wurde zum ersten Mal im epochalen Text Discorso intorno alle immagini sacre e profane (1582) von Gabriele Paleotti behandelt, der damals Erzbischof von Bologna war und später Kardinal wurde. Der Text prägte kirchliche Regeln für die Kunst, die im Lauf des Konzils von Trient sowie in der gleichzeitigen Debatte festgelegt worden waren. Die Reform der Kunst, die in ein größeres Projekt der religiösen und pastoralen Reform eingebunden war, schrieb damals den Bildern einen erklärenden und instrumentellen Wert zu, der nützlich war, um den Text zu illustrieren und ihn den Massen nahezubringen. Der Themenbereich ist riesig, und es gibt zahllose Theorien zu seiner Interpretation. Unklar ist auch die Rolle der Jesuiten in der Entwicklung der Malerei zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert. Eines der wenigen sicheren Ergebnisse des Konzils, dessen Umsetzung in zahlreichen Fällen eingefordert wurde, war die Wahrung des Anstands. 16 17

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Giuseppe MOLINARO, Santi Severino e Sossio (Neapel: Tipografia Unione, 1930), 16. Die Widmung der Kapelle geht auf das Jahr 1627 zurück und wurde 1666 von Alexander VII. erneuert. Dennoch wurden die Mosaiken in den Lünetten von Fabio Cristoferi und Giuseppe Conti nach Vorlagen von Carlo Maratta erst um 1675 angebracht. Zum Freskenzyklus aus dem 16. Jh. siehe: Andrea ZEZZA, Marco Pino: L’opera completa (Neapel: Electa, 2003), 270, cat. A47, mit Bibliographie. Sofern der Erhaltungszustand diese Feststellung erlaubt, erscheinen sie dem Wissenschaftler mit einer Kultur verbunden, die „von Marcos völlig unabhängig“ ist.

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Der Vertrag, mit dem Lanfranco Massa die Fresken bei Belisario Corenzio in Auftrag gab, liegt leider nicht vor. Vielleicht würde er wertvolle Hinweise auf die Ikonographie der Szenen enthalten. Es steht zu vermuten, dass dem Auftraggeber der Text des Jesuiten Vincenzo Bruno zumindest mittelbar bekannt war. Die Kapelle war, wie schon gesagt, bereits vor der Bemalung im 17. Jahrhundert der Jungfrau Maria gewidmet, und die Parallelen zwischen dem Alten und dem Neuen Testament waren den Geistlichen der damaligen Zeit bestens bekannt. Der Marienkult, der sich in diesen Fresken zeigt, war auch die spirituelle Leidenschaft von Lanfranco Massas Hauptarbeitgeber, Marcantonio Doria. Dieser setzte sich für die Entwicklung des Genueser Nonnenklosters der Turchine ein, indem er es mit zwei Kirchen ausstattete: eine war der Verkündigung und die andere der Inkarnation gewidmet. Außerdem gab er bei Giovan Bernardino Azzolino viele Marienbilder in Auftrag.19 Doria war ein sehr moralisch-konservativ eingestellter Mensch, der seine Geschäftspartner und Mitarbeiter aufgrund ihrer Ethik auswählte. In Neapel stand Marcantonio mit mindestens einem jesuitischen Beichtvater, Giulio Mancinelli, in Kontakt. Diesen kannte vermutlich auch Lanfranco Massa, da im Inventar der Besitztümer von Marcantonio vom Mai 1620 ein Porträt des Paters auftaucht. Hier fanden sich zwei Bilder, die er dank der Vermittlung von Massa gekauft hatte. Mancinelli war bereits 1618 verstorben20 und hatte demnach vielleicht nicht selbst das ikonographische Projekt der benediktinischen Kapelle vorgeschlagen. Vermuten aber kann man zumindest, dass Massa das Buch von Bruno durch seine Vermittlung kannte.

4. Ester als Ideal bürgerlicher Tugenden Marienpräfigurationen in Fresken waren im klösterlichen Umfeld sicherlich allgemein beliebt und die Auswahl des Themas begründete sich wahrscheinlich durch die ursprüngliche Widmung der Kapelle an die Jungfrau Maria. Zu vermuten ist, dass hier den biblischen Frauenfiguren ein so ungewöhnlich großer Raum gewährt wird, um in Neapel eine Frage der politischen Ethik bezüglich der Stadt Genua zu betonen, und damit auch Marcantonio Doria Ehre zu erweisen. Die Geschichte von Ester ist hierfür das bedeutendste Indiz. In Genua hatte Ansaldo Cebà, ein recht berühmter Politiker und Literat, im Jahr 1615 bei Giuseppe Pavoni das Gedicht La Reina Esther veröffentlicht. Es ist ein religiöses Werk, aber auch eine Lobeshymne auf das Ideal der bürgerlichen Tugend, derentwegen ein guter Bürger auf das Wohl des Staats bedacht ist und, auch als Untertan, sein Leben

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Viviana FARINA, „‚Unica spes mea, Iesus post Iesum Virgo Maria‘: Affinità elettive tra un mecenate ed un pittore, Marcantonio Doria e Giovan Bernardino Azzolino“, Aprosiana: Rivista annuale di studi di Barocchi 9 (2001) [numero speciale, Il gioco segreto: Studi e documenti sulla cultura italiana tra XVI e XVII secolo in memoria di Giorgio Fulco]: 211–230. Über den Jesuiten (Macerata 1537–Neapel 1618) gibt es einen Absatz bei P. Saverio SANTAGATA, Istoria della Compagnia di Gesù appartenente al Regno di Napoli… parte quarta (Neapel: Vincenzo Massale, 1757), 327.

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für die Rettung des Königs riskiert: eine Metapher auf die Geschichte der Genueser Republik. Am 16. März 1621 wurde das Gedicht auf den Index gesetzt. Die Gründe hierfür sind unklar, hängen aber wahrscheinlich mit einem Konflikt zwischen Cebà und einem der Rezensenten zusammen, dem mächtigen Giannettino Doria di Tursi, der 1604 Erzbischof von Palermo und dreimal Vizekönig von Sizilien war. Von diesem Moment bis ins Jahr 1624 führte Marcantonio Doria, der über das Schicksal seines für absolut integer gehaltenen Freundes verzweifelt war, eine enge Korrespondenz mit dem römischen Kardinal Alessandro d’Este, ohne jedoch das Buch vor der Verurteilung retten zu können.21 Die Chronologie dieses Briefwechsels entspricht exakt den Jahren, in denen der Massa-Freskenzyklus entstand. Zur selben Zeit wurden außerdem im Genueser Palast von Giacomo Lomellini die Storie di Ester gemalt, und zwar (Lomellini war zutiefst republikanisch eingestellt) auf der Basis des Gedichts von Cebà statt des Bibeltextes.22 Die beruflichen Beziehungen zwischen Doria und Massa lassen mich also vermuten, dass Corenzios Fresken eine weitere Episode in der Geschichte des unglücklichen Buchs von Cebà darstellen. Vielleicht wollte Lanfranco so auch seinem ligurischen Mitbürger, dem Patrizier aus Genua, ideologische Unterstützung gewähren.

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Zu diesem Thema siehe den mit vielen Dokumenten belegten Beitrag von Carmela REALE SIMIOLI, „Ansaldo Cebà e la Congregazione dell’Indice“, Campania Sacra 11–12 (1980– 1981): 96–212. Eine detailreiche Beschreibung der ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen Marcantonio Doria und Ansaldo Cebà bietet Viviana FARINA, Giovan Carlo Doria, promotore delle arti a Genova nel primo Seicento (Florenz: Edifir, 2002), 26–28 mit Anmerkungen. Der Zyklus im Palazzo Lomellini (heute Patrone) ist nicht dokumentiert. Die Datierung des Werks schwankt zwischen den ersten zwanzig Jahren des 17. Jahrhunderts und 1630.

Schwester Maria Clemente Ruoti und die Bibel im Theater der Frauenklöster Elissa B. Weaver Universität Chicago (USA) Die Tradition der Theateraufführungen in den italienischen Frauenklöstern reicht mindestens bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zurück, wobei sie zum ersten Mal für die Toskana belegt ist.1 Obwohl die kirchlichen Autoritäten vor allem wegen der Zuschauer, die zu den Aufführungen strömten, und wegen der Unordnung und der Skandale, die daraus womöglich resultieren würden (und hin und wieder auch wirklich entstanden), nicht selten besorgt waren und Einwände erhoben, verbreitete sich das Klostertheater bereits im 16. Jahrhundert in ganz Italien. Im 17. Jahrhundert gelangte es dann zu voller Reife und erfreute sich einer Beliebtheit, die auch das gesamte 18. Jahrhundert hindurch nicht abebbte. Bis zu den Ordensverboten des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das klösterliche Theater parallel zum weltlichen, mit dem es die wichtigsten Neuerungen teilte, von dem es sich aber aufgrund der Wahl der Stoffe und der Bevorzugung religiöser Themen unterschied. Im Allgemeinen schöpfte das Theater der Nonnen aus der Hagiographie und aus der Bibel, und zwar aus dem Alten und dem Neuen Testament.2 Am weitesten verbreitet aber waren dramatische Inszenierungen der Heiligenviten sowie insbesondere der Legenden von Jungfrauen, die das Martyrium erlitten hatten. So überrascht es auch nicht, dass unter den biblischen Stoffen die Geschichten alttestamentlicher Heldinnen und Helden wie Judit, Ester, Mose und David – der „Heiligen“ des Altertums – am beliebtesten waren. Unter den vom Neuen Testament inspirierten Werken finden wir diverse Komödien, vor allem aber Bearbeitungen des Gleichnisses von den klugen und den törichten Jungfrauen (Mt 25,1‒13), das – zweifellos, weil es in den Riten und in der Bilderwelt der Ordensfrauen eine so wichtige Rolle spielte ‒ zu den bevorzugten Themen zählte und den Nonnen auch bei der dramatischen Inszenierung anderer allegorischer Gegenüberstellungen von Tugenden und Lastern als Folie diente. An Weihnachten brachte man natürlich die Geburt Christi auf die Bühne. Die Texte des Klostertheaters richteten sich an ein weibliches Publikum – Nonnen, Novizinnen, 1

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Elissa WEAVER, Convent Theatre in Early Modern Italy: Spiritual Fun and Learning for Women (Cambridge, UK: Cambridge University Press, 2002), 49‒52. Was die Bibel betrifft, so gab es zur damaligen Zeit nur wenige Nonnen, die das Lateinische so gut beherrschten, dass sie den Text der Vulgata lesen konnten. Seit 1570 war ihnen die Lektüre der Bibel in der Volkssprache untersagt. In den Klöstern kursierten jedoch zahlreiche Anthologien in Form von Florilegien, Legendensammlungen und anderen geistlichen Büchern, die für die Ordensfrauen bestimmt waren und durch die sie erlaubten Zugang zu volkssprachlichen Episoden aus dem Alten und Neuen Testament erhielten. Durch die Predigten, die sie hörten, oder die geistlichen Lesungen im Refektorium während der Mahlzeiten wurde ihnen zudem auch auf mündlichem Wege Bibelkenntnisse vermittelt.

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Stiftsdamen und ihre Verwandten, die die Klöster besuchten und den Aufführungen beiwohnten ‒ und formulierten daher, ganz gleich, ob sie von den Nonnen selbst verfasst oder anderswo in Auftrag gegeben worden waren, auf der Grundlage der hagiographischen oder biblischen Texte eine Lehre, die sich auf die Lebensumstände und die Religiosität dieser Frauen anwenden ließ. Zu diesem Zweck erlaubten sie sich gewisse Freiheiten im Umgang mit ihren Quellen. Sie fügten neue Episoden und neue Themen hinzu und veränderten zuweilen sogar einige Aspekte der biblischen Vorlagen. Die folgende Untersuchung bezieht sich auf ein Corpus von etwa 40 Texten, die größtenteils aus Klöstern in der Toskana stammen und die bis heute in den Bibliotheken von Florenz und Siena aufbewahrt werden. Es handelt sich fast ausnahmslos um Handschriften, von denen nur einige wenige in edierter Form vorliegen. Am Anfang bestand das Repertoire der Schwestern vor allem aus Sacre Rappresentazioni, „heiligen Darstellungen“, also Einaktern in Form einer Stanze, die von den Novizinnen vorgetragen wurden und Teil ihrer moralischen und sprachlichen Ausbildung waren. Ende des 15. Jahrhunderts war es leicht, Vervielfältigungen dieser Sacre Rappresentazioni drucken zu lassen, doch oft schrieben die Novizenmeisterinnen für ihre Schutzbefohlenen auch neue Stücke. Aus dieser Produktion sind mindestens drei handschriftliche Sammlungen und eine gedruckte Ausgabe erhalten geblieben, in der alttestamentliche Thematiken verarbeitet sind: die Rappresentazione di Moisè quando Dio gli dette la legge, ein Werk der Benediktinerin Raffaella de’ Sernigi, die von Ende des 15. bis Mitte des 16. Jahrhunderts gelebt hat. Der Moisè (Mose) wurde vermutlich postum um die Mitte des 16. Jahrhunderts zweimal aufgelegt.3 Neben den Sacre Rappresentazioni, die für die Nonnen und ihr Publikum niemals an Faszination verloren, sind seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts auch geistliche Komödien und Tragödien Bestandteil des Klostertheaters, die ganz analog zu den zeitgleich im weltlichen Theater gespielten Stücken eine oder mehrere, auch komische, Nebenhandlungen aufwiesen. In dieser Phase nehmen das Interesse der Nonnen am Theater und die Zahl der Aufführungsanlässe zu. Vom späten 16. bis weit ins 17. Jahrhundert hinein sind, insbesondere in den angesehensten und wohlhabendsten Klöstern, Darbietungen mit Bühnenbildern, Bühnenmaschinerien, Kostümen und Musik – Instrumentalmusik, Gesang und Tanz ‒ belegt. In Florenz waren das Dominikanerkloster von Santa Croce, genannt La Crocetta, und das Franziskanerkloster San Girolamo an der Costa di San Giorgio (das deswegen auch San Giorgio genannt wurde) besonders berühmt für ihre theatralischen und musikalischen Darbietungen. Die Aufführungen, die im 17. Jahrhundert in der Crocetta stattfanden und an denen Musiker und Komödiendichter des großherzoglichen Hofs beteiligt waren, sind Thema einer Untersuchung der amerikanischen Musikwissenschaftlerin Kelley Harness.4 Ein nicht weniger interessantes Forschungsobjekt ist jedoch auch das 3

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Raffaella de’ Sernigi (geb. um 1473, gest. vor 1557). Die erste Auflage der Rappresentazione di Moisè erschien ohne Datum, aber vor dem Jahr 1557, die zweite erschien 1578. Zu de’ Sernigi: WEAVER, Convent Theatre, 123‒126. Kelley A. HARNESS, Echoes of Women’s Voices: Music, Art, and Female Patronage in Early Modern Florence (Chicago/London: The University of Chicago Press, 2006).

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Theater in San Girolamo, wo, wie Suzanne Cusick in einer ihrer neuesten Studie über Francesca Caccini gezeigt hat, ebenfalls im 17. Jahrhundert einige der herausragendsten Sängerinnen ihrer Epoche lebten.5 Im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass eine Nonne des Klosters San Girolamo, Schwester Maria Clemente Ruoti, zu den besten klösterlichen Theaterautorinnen zählte. Mit ihr und ihren biblischen Werken befasst sich der vorliegende Beitrag.

1. Maria Clemente Ruoti (1609/10‒1690) Schwester Maria Clemente Ruoti wurde 1609 oder 1610 im Mugello nördlich von Florenz geboren. Sie war die Tochter von Prospero di Santi Ruoti (Roti) und wurde in der Kirche San Cresci auf den Namen Ottavia getauft.6 1619 wurde sie im Alter von neun Jahren nach Florenz gebracht und gemeinsam mit ihrer Schwester Margherita „in serbanza“ an das Kloster von San Girolamo übergeben, bis die beiden Mädchen 1621 den Schleier nahmen: Aus Ottavia wurde Schwester Maria Clemente und aus Margherita Schwester Felice Vittoria. Über die Kindheit der Schwestern Ruoti wissen wir nichts. Folglich lassen sich auch keine Aussagen über Bildung treffen, die ihnen vor dem Klostereintritt in der Familie vermittelt worden ist. Wir wissen jedoch, dass Schwester Maria Clemente außer Margherita weitere fünf Geschwister hatte: drei Schwestern, die heirateten, und zwei Brüder, von denen einer ebenfalls ins Kloster eintrat. Die Zahlungen, die die Familie an das Kloster entrichtet hat, deuten darauf hin, dass die Ruoti wenn schon nicht wirklich reich, so doch zumindest wohlhabend gewesen sein müssen.7 Maria Clemente hatte das Komödienschreiben von ihren Lehrerinnen in San Girolamo als Zuschauerin oder Schauspielerin bei den Aufführungen des Klostertheaters und durch die Lektüre der Stücke gelernt. Letztere gehörten entweder zum Repertoire des Klosters oder wurden den Nonnen geliehen. In den Beständen von San Girolamo finden wir lediglich die beiden Werke von Schwester Maria Clemente selbst. Die anderen Bände, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der dortigen Bibliothek gestanden ha5 6

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Suzanne G. CUSICK, Francesca Caccini at the Medici Court: Music and the Circulation of Power (Chicago/London: The University of Chicago Press, 2009), 277f., 408, Anm. 67. Florenz, Staatsarchiv, Corporazioni soppresse dal governo francese, 96 San Girolamo [SS. Girolamo e Francesco], 22 Processi, c. 171. Alle übrigen Informationen über Maria Clemente Ruoti und ihre Familie stammen aus den Haushaltsbüchern des Klosters für die Zeit zwischen 1619 und 1690 sowie aus der biographischen Enzyklopädie der Nationalbibliothek in Florenz, dem Poligrafo Gargani, 1760. Der Vater und ein Vetter verpflichteten sich zu einer Ratenzahlung von 700 Scudi als Mitgift für die beiden Nonnen, die zweimal im Jahr die Zinsen aus dieser Mitgift erhielten und darüber verfügen konnten. Das Kloster tätigte viele Investitionen und verlieh Geld an andere Ordensinstitute. Die Zinsen, über die Maria Clemente verfügen konnte, beliefen sich auf vier oder fünf Scudi pro Jahr, eine Summe, die sie ihrerseits gegen Zinsen verlieh und zum Teil auch zugunsten des Klosters ausgab. So gab sie am 12. Januar 1680 drei Gemälde für das Kloster in Auftrag: einen Heiligen Bonaventura, einen Heiligen Nikolaus von Bari und eine Heilige Familie.

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ben, sind vermutlich bei der Auflösung des Klosters in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlorengegangen. Von Schwester Maria Clemente sind zwei Komödien überliefert: Giacob patriarca und Il Natal di Cristo. Erstere ist eine heilige Komödie in fünf Akten und in Versform – Hendekasyllaben. Die Akte werden gelegentlich durch kürzere Verse und das eine oder andere paargereimte Distichon sowie mit gesungenen Chören als Zwischenspielen und musikalischer Untermalung an bestimmten Stellen der Handlung aufgelockert. Giacob patriarca wurde 1637 in San Girolamo in Anwesenheit der jungen Großherzogin der Toskana, Vittoria della Rovere (1622‒1694), aufgeführt. Dieser widmete Ruoti die Komödie auch, als sie im selben Jahr in Pisa im Druck erschien.8 20 Jahre später entstand das handschriftlich erhaltene Stück Il Natal di Cristo, eine Komödie in Prosa und Versen mit gesungenen Chören und einer im Rezitativ zu singenden Szene. Das Werk datiert nach dem florentinischen Kalender auf Februar 1657, was nach unserer Zeitrechnung dem Anfang des Jahres 1658 entspricht, und wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Weihnachtsfest 1657 im Kloster aufgeführt.9 Das Manuskript der Komödie enthält eine Erlaubnis zur Veröffentlichung, die jedoch allem Anschein nach nie erfolgte.10 Wahrscheinlich hat Maria Clemente Ruoti in den 20 Jahren zwischen den beiden erhaltenen Komödien weitere Werke geschrieben, denn San Girolamo war das gesamte 17. Jahrhundert hindurch für seine Theater- und Musikaufführungen berühmt. Schon 1632 lebte Maddalena Broumans, die Tochter der virtuosen Sängerin Arcangiola Palladini, als Nonne in diesem Kloster. Wenig später sollte auch Margherita Signorini Malespina dort eintreten, die als Tochter der berühmten Sängerin, Musikerin und Komponistin Francesca Caccini auch selbst in der Welt der Musik keine Unbekannte war.11 Severo Bonini schrieb über Margherita Signorini, dass sie schon vor ihrem Eintritt ins Kloster für ihre wunderschöne Stimme berühmt gewesen sei und so gut gesungen habe, dass „man um die Wette lief, um ihr zuzuhören“. Als sie dann später als Nonne in San Girolamo lebte, eilte an manchen Festen des Jahres eine große Zahl vornehmer und tugendhafter Personen zusammen, um sie alleine oder zuweilen auch vereint mit anderen züchtigen Jungfrauen das Lob Gottes singen zu hören, obwohl die Lage der Kirche ein wenig unbequem, nämlich über einen steilen Anstieg [zu erreichen] ist.12

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Giacob Patriarca: Azione Drammatica di suor Maria Clemente Ruoti, Fiorentino [sic] (Pisa: Francesco delle Dote, 1637, in 8°). Vittoria della Rovere (1622‒1694), Tochter von Claudia de’ Medici und Federico Ubaldo della Rovere, heiratete im Jahr der Aufführung des Giacob Patriarca im Alter von nur 15 Jahren Großherzog Ferdinand II. de’ Medici. Nach florentinischem Kalender begann das bürgerliche Jahr am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung. Dieser Kalender blieb bis 1750 in Kraft. Zu diesen beiden Komödien WEAVER, Convent Theatre, 179‒192. Margherita Signorini Malespina (1622‒1686, seit 1642 in San Girolamo), Tochter von Francesca Caccini und Giovanbattista Signorini Malespina. Warren KIRKENDALE, The Court Musicians in Florence During the Principate of the Medici: with a Reconstruction of the Artistic Establishment (Florenz: Olschki, 1993), 320. Suzanne

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Schließlich musste man über die Costa di San Giorgio, einen kleinen Hügel im Süden der Stadt, dorthingehen. Die Familiennamen anderer Schwestern – Landucci, Poggi, eine weitere Signorini, um nur einige zu nennen – weisen darauf hin, dass San Girolamo zur damaligen Zeit das bevorzugte Kloster für Musikertöchter gewesen sein muss, da sie dort ihrer musikalischen Berufung weiter nachgehen konnten. Diese Musikerinnen haben ganz sicher einen wichtigen Beitrag zum Theater geleistet, und es spricht manches dafür, dass sie die Zwischenchöre und die übrigen musikalischen Partien in Maria Clemente Ruotis Komödien gesungen haben. Maria Clementes Talent kann nicht lange unentdeckt geblieben sein, denn dank der Aufmerksamkeit einiger Florentiner Literaten wurde sie 1649 als erste Frau und einzige Nonne, die dieser angesehenen Akademie jemals angehörte, in die Mitgliederliste der Accademia degli Apatisti eingetragen, die im 18. Jahrhundert in der Accademia Fiorentina aufging. Dabei muss es sich allerdings um eine Ernennung honoris causa gehandelt haben, da es undenkbar ist, dass sie als Klausurnonne an den akademischen Versammlungen teilgenommen hätte. In ihrem Brief „An den geschätzten Leser“, den sie dem Natal di Cristo voranstellte, schrieb sie selbst, dass sie nie aus den „engen Mauern“ ihres Klosters herausgekommen wäre, seit sie mit neun Jahren dort eingeschlossen worden war. Im Prolog zum Giacob patriarca beklagte sie sich darüber, dass es ihr als Nonne nicht erlaubt gewesen sei, sich mit Literaten zu unterhalten. Und doch wurde dieses Werk, nachdem es im Kloster in Anwesenheit der Großherzogin und einiger Mitglieder ihres Hofs ur- und vielleicht danach noch mehrmals wiederaufgeführt worden war, in Pisa von Francesco della Dote publiziert, einem Drucker, der auch Werke des Gründers der Accademia degli Apatisti Agostino Coltellini verlegt hatte.13 Es scheint also offensichtlich, dass entweder im Sprechzimmer des Klosters oder durch Briefe Kontakte oder Gespräche mit Literaten stattgefunden haben.14 1.1 Giacob patriarca Die Handlung des Giacob patriarca, die aus den Kapiteln 27‒34 des Buches Genesis stammt, umfasst den Teil der Geschichte, der von der Flucht Jakobs und seiner Familie aus Mesopotamien bis zu seiner Heimkehr nach Kanaan und zur Begegnung mit seinem Bruder Esau reicht (Gen 31,23‒34). Andere Episoden wie die Erlebnisse des Patriarchen

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CUSICK erwähnt die Anwesenheit von Margherita Signorini und anderen Sängerinnen in San Girolamo in ihrer Rezension meines Convent Theatre im Journal of Early Music History 23 (2004): 309‒313 und zuletzt in CUSICK, Francesca Caccini at the Medici Court, 277f. Agostino Coltellini (1613‒1693), Florentiner Richter und seit 1639/40 Berater und später Zensor des Heiligen Offiziums, war der Verfasser von Gedichten zu verschiedenen Themen und religiösen Reden. 1632 gründete er in Florenz die Accademia degli Apatisti. Der Ausgabe des Giacob patriarca sind Lobreden auf die Verfasserin vorangestellt, die aus der Feder zweier weiterer Mitglieder der Apatisten-Akademie stammen: Carlo Dati und Niccolò Buonaiuti.

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vor seiner Flucht oder Ereignisse wie die Vision von der Himmelsleiter, die auf der Bühne schwierig darzustellen sind, werden von verschiedenen Personen erzählt. Die Komödie beginnt mit einem Prolog, der von einer allegorischen Person vorgetragen wird: Die Gottesfurcht hält – an die Großherzogin gewandt, die, wie schon erwähnt, der Aufführung beiwohnte – eine lange Lobrede auf die damals Fünfzehnjährige. Sie vergleicht sie mit dem Patriarchen und schreibt ihr dieselbe Gottesfurcht zu, die auch Jakob in allem, was er unternahm, Erfolg bescherte.15 Ungeachtet dessen, was im Prolog gesagt wird, spielen Jakobs Erlebnisse in der Komödie keine zentrale Rolle: Die Handlung stellt andere Themen in den Mittelpunkt. Auch wenn die Handlung mit den schwierigen Situationen beginnt und endet, denen sich Jakob stellen und die er lösen muss – mit seinem Schwiegervater Laban in den ersten Szenen und mit seinem Bruder Esau im letzten Akt ‒, und auch wenn der zwischen diesen beiden Begegnungen zurückgelegte Weg die eigentliche tragende Struktur der Komödie bildet, betrifft die Handlung, die sich im größten Teil der fünf Akte auf der Bühne abspielt, nicht Jakob selbst, sondern die verschiedenen Mitglieder seiner Familie. Die dargestellten Themen sind zum einen Leas Eifersucht auf Rahel, zum anderen der Hochmut der Letztgenannten, aber auch die Selbstsicherheit und leichtsinnige Unbesonnenheit der beiden jungen Frauen Dina, der Tochter Jakobs, und Lea, sowie einer dritten, frei erfundenen Frau namens Norminda. Die drei Frauen geraten von einer gefährlichen Situation in die nächste und müssen immer wieder von männlichen Personen, die durchwegs klüger sind als sie, gerettet werden. Auch Jakobs Söhne sind Teil der Handlung, spielen jedoch eine eher untergeordnete Rolle: Ruben, der wichtigste der Jakobssöhne, kommt lediglich als Randfigur in der Norminda-Handlung und bei dem Friedensschluss vor, mit dem die Komödie endet; Levis und Simeons Eifersucht auf ihren kleinsten Bruder Gioseffo (Josef) hat keinen Einfluss auf den Verlauf des Stücks, dient jedoch als Anspielung auf die Zukunft, die das Geschehen in den größeren Kontext des Buches Genesis einbettet. Entgegen den Versprechungen des Titels sehen wir auf der Bühne also nicht die Geschichte des Patriarchen Jakob, sondern eine Geschichte über Frauen, Liebschaften, Verkleidungen, Waldspaziergänge, Täuschungsmanöver, Fluchten und überstandene Gefahren. Das Stück ist ein Schäferspiel mit allem, was dazugehört. Die Rivalität zwischen Lea und Rahel ist eines der biblischen Themen, die die Komödie auf die Bühne bringt. Die beiden Frauen von Jakob treten in vielen Szenen auf, doch in ihrer Beziehung findet keine Entwicklung statt. Vielmehr erzeugt ihre Anwesenheit eine Dissonanz, die den Haupthandlungen als Hintergrund dient. Im Zentrum stehen zwei andere Handlungsstränge: Normindas und Dinas Geschichte, die abwechselnd entwickelt werden. Norminda, Tochter des Königs Germinio – auch ihn hat die Verfasserin frei erfunden – läuft von zuhause weg, um Ruben, Jakobs Erstgeborenen, wiederzusehen, in den sie sich verliebt hat. Sie verkleidet sich als Mann, doch die Verkleidung schützt sie nicht.

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Dass Vittoria della Rovere der Aufführung beiwohnte, wird auch in der Widmung an die Großherzogin erwähnt, die der gedruckten Ausgabe vorangestellt ist.

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Sie gerät in eine Falle und ist in einem Parco di Fiere, einer Menagerie mit wilden Tieren, gefangen. Um von dort zu entkommen, klettert sie auf einen Baum, wo kein anderer als Ruben sie findet und befreit. Als Norminda ihm ihre Gefühle gesteht, weist der junge Mann sie im ersten Moment zurück, weil er keine leichtfertige Frau haben will, die ihre eigene Ehre nicht kümmert. Am Ende jedoch besinnt sich Ruben eines Besseren, weil Norminda ihm hilft, seinen Vater Jakob zu retten. Die Inspiration zu dieser romanhaften Geschichte, die in der Bibel mit keinem Wort erwähnt wird, muss Maria Clemente Ruoti aus Schäferspielen geschöpft haben, die sie womöglich gelesen oder auf der klösterlichen Bühne gesehen hat. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die Musikerinnen und Sängerinnen in San Girolamo pastorale Musikstücke kannten, mit denen sich die bukolischen Handlungen verschönern ließen. Und schlussendlich entbehrt es auch nicht einer gewissen Logik, die biblische Handlung mit pastoralen Szenen anzureichern, da Jakob und die Seinen Hirten waren. Die Geschichte der Dina, die im Wechsel mit der Norminda-Geschichte auf der Bühne dargestellt wird, folgt zunächst im Großen und Ganzen der biblischen Erzählung, in der das Mädchen aus Neugier unvorsichtigerweise die Zelte der Ihren verlässt und von Sichem, dem Sohn des Königs von Salem, geraubt und vergewaltigt wird. Maria Clemente Ruoti entfernte sich dann jedoch von der biblischen Quelle und änderte die Episode so um, dass sie eine weitere bukolische Szene einarbeiten konnte: In der Absicht, sich einem Mädchen zu nähern, das ihm gefällt, und es zu entführen, verkleidet Sichem sich als Frau und erblickt im Garten die schöne Dina und ihre Amme. Die beiden wollen sich eine Girlande flechten und sind ganz ins Blumenpflücken vertieft. Sichem verliebt sich auf der Stelle. Da ihm die weibliche Kleidung ein so anmutiges Äußeres verleiht (die Verkleidung scheint hier also kein komisches Accessoire zu sein) und er seine Worte wohl zu setzen weiß, gelingt es Sichem, nicht nur die naive Dina, sondern auch ihre Familie zu täuschen, so dass Letztere es dem Mädchen erlaubt, mit ihm zu gehen. Er überzeugt ihre Angehörigen mit dem (wahrheitsgemäßen) Hinweis auf seine Ortskenntnis und mit dem Versprechen, Dina stets im Auge zu behalten (was ebenfalls der Wahrheit entspricht) und sie am Abend unversehrt nach Hause zu bringen (was eine faustdicke Lüge ist). Das Motiv der Verkleidung verbindet die beiden Handlungsstränge auch insofern miteinander, als Sichem seine Frauenkleider im Tausch mit Norminda erhalten hat; doch während das Mädchen ihm offen und ehrlich erklärt, dass es die Männerkleidung braucht, um sich Ruben zu nähern, ist Sichem von seinem ersten Auftritt an unehrlich und sagt Norminda nicht, weshalb dieser Kleidertausch auch ihm gelegen kommt. Im letzten Akt der Komödie entwirren sich alle Fäden: Esau kommt mit den Seinen und schließt Frieden mit seinem Bruder Jakob; Ruben gesteht seine Liebe zu Norminda; und der König von Salem schlägt als Wiedergutmachung eine Heirat zwischen Dina und seinem Sohn Sichem vor, der inzwischen hoffnungslos in sie verliebt ist. Auch hier ändert die Verfasserin die biblische Erzählung und entscheidet sich anstelle der Täuschung und blutigen Rache, mit der die Episode in der Bibel endet, für einen versöhnlichen Ausgang. Jakob stellt sich seinen Söhnen in den Weg, die sich für die ihrer Schwester angetane Schmach und die Entehrung der Familie rächen wollen, und nimmt das Angebot des Königs an. Diese Entscheidung würdigt Sichems Gefühle und verleiht den Personen

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des Alten Testaments – also Sichem, seinem Vater, dem König, und Jakob, der auch schon in der biblischen Erzählung gegen die Rache und das Blutbad gewesen war ‒ eine barocke Sensibilität. Der Komödiendichterin ist ein versöhnlicher Jakob lieber, und so lässt sie ihre Figur den Weg der Vergebung beschreiten. Die Treue zur literarischen Tradition kommt für sie – zum größeren Vergnügen ihrer Zuschauerinnen – vor der Treue zum biblischen Text. Während die Autorin einerseits bereit ist, den biblischen Text hier und da zu verändern, um ihr Publikum zu unterhalten und die Komödie ein gutes Ende nehmen zu lassen, ist sie auf der anderen Seite genauestens darauf bedacht, alle Episoden aus der Jakobsgeschichte, die sie nicht auf der Bühne hat darstellen können oder wollen, dennoch wenigstens durch die Erzählungen Dritter in ihr Stück zu integrieren: Jakobs Traum, in dem er die Leiter mit den auf- und absteigenden Engeln sieht und Gott sprechen hört (Gen 28,11‒15); Labans Hinterlist und die Mühsal der 20 in seinem Dienst verbrachten Jahre (Gen 29); Jakobs Ehen und seine Kinderschar (Gen 29f.); den nächtlichen Kampf mit Gott und die Verheißung, die Gott ihm und seinen Nachkommen schenkt (Gen 32,23‒31); Rubens Begegnung mit Esaus Heer (Gen 32). Da sie diese zentralen Episoden der Jakobsgeschichte weder auf der Bühne darstellen noch weglassen wollte, legte Maria Clemente Ruoti sie anderen Personen in den Mund, deren Erzählungen dem Wortlaut des Bibeltexts vergleichsweise nahekommen. Eine Ausnahme von dieser Regel bildete eine Episode, die der Verfasserin offenbar sehr am Herzen gelegen war und die sie ausschmückte und überarbeitete, ohne sie jedoch in ihrer Grundbedeutung zu verändern: die Schilderung der Nacht, in der der Patriarch mit Gott kämpft – einige wenige Bibelverse, deren Umfang sich in der Komödie in einer Art poetischer Tour de Force vervielfachte. Normindas Diener Aram ist es, der Lea und Rahel in der zweiten Szene des fünften Akts von dem erstaunlichen Ereignis erzählt, das er, in einem Busch versteckt, hat beobachten können: Ar.:

Lea: Rahel: Ar.:

Lea: Ar.:

Ich blieb in der Ferne stehen, um zuzusehen, Verborgen in einem Busch. Und siehe, da kam, Umglänzt von Herrlichkeit in menschlichem Antlitz, Ob es ein Engel war oder ein Gott, kann ich Euch Nicht mit Sicherheit sagen. Und er spricht, ‒ Steh auf, Denn ich bin gekommen, um mit dir zu kämpfen ‒. Ach weh, was ahne ich! Nun, so lass ihn doch reden, bitte! Jakob springt auf und stürzt sich auf jenen; Und umfasst ihn mit den Armen, und jener umschnürt Ihm den Hals und wendet große Kraft an, ihn zu Boden zu zwingen. Bald zieht er ihn, bald drückt er ihn, bald hebt er ihn Zum Himmel, bald stößt er ihn zu Boden. Fällt Jakob? Nein, denn mit den Füßen Trat er stets auf und das Knie Sah man ihn nicht beugen. Als jener mit Kraft Ihm die Beine mit dem Bein umklammert,

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Rahel: Ar.:

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„Ar.

Lia Rac. Ar.

Lia Ar.

Packt er ihn an der Hüfte und stößt ihn und zerrt ihn zurück. Doch am Ende bleibt alles Geschick vergebens: Während einer den anderen mit seiner Kunst zu übertölpeln sucht, Erhebt sich unterdessen aus dem Meer die liebliche Morgenröte, Um im Aufgang den Tag anzukünden, Worauf der Recke sich Jakob zuwandte und sprach: ‒ Lass mich los, der Tag kommt, und ich will gehen ‒; Ihm antwortete Jakob, ‒ Ich habe nicht vor, Dich loszulassen, ehe Du mich segnest ‒. Schon andere Male war er Gott begegnet, Was man von Ihm erbitten muss, War ihm daher nicht verborgen. Da fügte der andere hinzu: ‒ Nicht mehr Jakob wird dein Name sein, Denn Israel sollst Du von allen genannt werden, Das heißt: Der Gott ins Antlitz blickt ‒. Dann sah ich, wie sein Gesicht Ganz strahlendes Licht wurde, wovon ich Geblendet zurückblieb. Und als der himmlische Recke Bereits verschwunden war, machte ich mich bemerkbar Und wurde liebevoll von ihm aufgenommen.16

Io mi fermai lontano a rimirare Ascoso in un cespuglio. Ed ecco viene Armato di splendore in volto umano, O fusse angelo o Dio, che ciò non posso Di sicuro affermarvi. E dice, – Sorgi, Ch’io qui venuto son per lottar teco –. Oimé, che sento! Eh, lascia dir se vuoi! Salta in piedi Giacobbe, e a quel s’avventa; E con le braccia il cinge e quel gli annoda Il collo e d’atterrarlo usa gran forza. Or lo tira, or lo spinge, or verso il Cielo L’alza, or alla terra lo perquote. Cadde Giacobbe? No, che con le piante Percosse sempre, e col ginocchio mai Piegar mostrò. Quando colui con forza Le gambe con la gamba gli avviticchia, Gli preme il fianco, e l’urta, e lo ritira. Ma resta al fine ogni distrezza vana, Schernir cercando ognun l’arte coll’arte. Sorge intanto dal mar la vaga aurora Ad annunziare in oriente il giorno, Onde il campion voltò a Giacobbe e disse: – Lasciami, il giorno viene e partir voglio –;

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Die Verfasserin fügte viel Eigenes hinzu und ließ nur ein Detail aus: dass nämlich der Kämpfer Jakob auf den Hüftmuskel schlug, eine Einzelheit, die möglicherweise einer Erklärung bedurft hätte, die sie nicht geben konnte oder nicht geben wollte. Stattdessen beschrieb sie sorgfältig jede Bewegung der Kämpfenden: Wohin sie Arme und Beine setzten und wie sie einander stießen und drückten. Offenbar diente ihr die epische Dichtung ihrer Epoche als Vorbild: vielleicht die Zweikämpfe aus La Gerusalemme liberata oder aus der Conquistata von Torquato Tasso, dessen Schäferspiel Aminta sie zu den Hirtenszenen der Komödie inspiriert haben könnte. Wie schon in der Bibel beweist die Jakobsgeschichte in der Komödie das Gottvertrauen des Patriarchen und die Existenz eines göttlichen Plans für ihn und seine Nachkommen. Dennoch liegt das Hauptaugenmerk der Komödie auf anderen Themen: jenen, die die Frauen betreffen. Es sind weniger der Patriarch oder seine Söhne als vielmehr die Frauen, die auf der Bühne auftreten. Zentrale Handlungsträger des Stückes sind die weiblichen Personen: Dina und Norminda, aber auch Lea und Rahel, ihre Fehler, ihre Streitereien und die Naivität, die sie an den Tag legen. Sie sind auf die Führung der Männer angewiesen und ihnen zwangsläufig untertan. Im ersten Akt ermahnt Laban seine Töchter, ehe er sie verlässt: Es gehe euch nie aus dem Sinn, dass die Frau Dem Manne untertan sein muss und nicht gewillt, In allem Widerspruch und Widerstand zu leisten. … Es sei der Wettstreit zwischen euch gänzlich erloschen, Der Feind des Friedens und alles Guten ist.17

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cui rispose Giacobbe, – Io non intendo Lasciarti pria che tu mi benedica –. Rac. Altre volte con Dio s’era trovato, Perciò quel che da lui chieder si deggia Non gli era ascoso. Ar. L’altro allor soggiunse: – Non sarà più Giacobbe il nome tuo, Ch’Isdraele sarai da tutti detto, Che suona quel che vide in faccia Dio –. Di risplendente lume allor vid’io Concordargli la faccia, onde mi fece Abbagliato restar. E già sparito Il lottator celeste, io mi scopersi E caramente fui da lui raccolto.“ (V. Akt, 2. Szene, S. 72‒74) „Non v’esca mai di mente che la donna All’uom dee star suggetta, e non volere Di tutto contrastare e a tutto opporre Né vedere, o sentire il tutto è bene. [...] Sien le gare tra voi del tutto spente, Che son di pace, e d’ogni ben nimiche.“ (I. Akt, 2. Szene, S. 4f.)

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Der Wahrheitsgehalt dieser väterlichen Belehrung wird sodann durch die Handlung des Stückes veranschaulicht. Insgesamt bringt die Komödie den Frauen gegenüber eine eher negative Einstellung zum Ausdruck: Nicht nur Dina, sondern auch Norminda, Lea und Rahel verhalten sich falsch. Die Komödie zeigt auf, dass die Frauen lernen müssen, sich selbst und die Schwächen ihres Geschlechts zu besiegen, zu gehorchen und ihre gerechte Unterwerfung unter den Mann zu akzeptieren. Direkt für die Nonnen von San Girolamo bestimmt war wohl die Lehre, dass sie die in der Welt lebenden Frauen nicht beneiden, sondern jene gefahrvolle Welt fürchten und sich glücklich schätzen sollten, weil sie den Schutz des Klosters genossen. Außerdem sollte ihnen Leas und Rahels Verhalten ein abschreckendes Beispiel und eine Mahnung sein, in ihrer Gemeinschaft in Frieden und Eintracht zusammenzuleben. Doch auch wenn der Text – wie übrigens die gesamte den Frauen gewidmete Literatur der damaligen Zeit – von dieser frauenfeindlichen Ideologie durchdrungen ist, scheint die Verfasserin, womöglich weil sie anderes erlebt oder gelesen hatte, nicht völlig überzeugt. Tatsächlich ist in Ruotis Komödie eine leise Distanzierung von der herrschenden Ideologie zu ahnen, die in den Worten der Lea und der Norminda anklingt. Im vierten Akt beklagt sich Lea im Gespräch mit ihrer Dienerin über die Unterwerfung der Frau unter den Mann und sagt: […] Oh hartes Geschick, das uns, noch ehe wir geboren, dem Mann unterwirft und uns zu seinen Sklavinnen macht.18

Und Norminda kritisiert in Bezug auf das, was Dina widerfahren ist, dass die Handlungsweisen der Frauen mit anderem Maß gemessen werden als die der Männer: Dem Mann ist erlaubt, was er will; uns versagt man alles. Sichem raubte Dina mit großer List; Er wird von niemandem getadelt, und nur Dina gibt man die Schuld. Was bei uns Laster ist, gesteht man ihnen stets als große Tugend zu.19

Doch was Norminda sagt, entspricht nicht ganz der Wahrheit. Während Dinas Verhalten in der Bibel getadelt wird, gesteht die Komödie der Frau insofern mildernde Umstände zu, als zwei neue Handlungselemente eingeführt werden: Sichems Betrug, den er dank 18

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„[...] Ah dura sorte Che ad uom ci fa suggette pria che nate, Schiave a quello ci rende.“ (IV. Akt, 6. Szene, S. 63) „Lice all’uom ciò che vuole; Tutt’a noi si disdice. Sichem Dina furò con grande astuzia; Ei da naiuno è biasmato e solo a Dina Si dà la colpa. Quel ch’è vizio in noi Per gran virtute a lor sempre s’ammette.“ (IV. Akt, 9. Szene, S. 67)

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seiner Frauenverkleidung begehen kann, und die Erlaubnis der Eltern, die Dina mit ihm ausgehen lassen. Und es trifft auch nicht zu, dass Sichem von niemandem kritisiert wird: Schon in der Bibel wird er als Vergewaltiger bezeichnet und führt durch seine Tat die Vernichtung seiner Sippe herbei. Wenn Sichems Verhalten in der Komödie letztendlich entschuldigt wird, dann geschieht dies zum Teil deshalb, weil er eine große Liebe zu Dina hegt; und als Sichems Vater an Jakob appelliert, damit dieser sich seinem Sohn gnädig erweist, gibt er implizit zu, dass er es verdient hätte, für seine Taten bestraft zu werden. Dass die Ordensfrau dennoch Norminda die oben zitierten Verse in den Mund legt, obwohl sie der Handlung des Stücks widersprechen, zeigt, dass sie auch um den Preis der Unstimmigkeit entschlossen ist, in ihrer Komödie eine philogyne Lesart zu vertreten, die die Frauen in Schutz nimmt. 1.2 Il Natal di Cristo 20 Jahre später schrieb Maria Clemente Il Natal di Cristo, ein weiteres Werk mit einem leicht irreführenden Titel, denn die Komödie bringt zwar die Geburt Jesu auf die Bühne, erzählt aber ansonsten nichts von Maria und Josef, und es sind auch nicht die Probleme der Heiligen Familie, die im Handlungsverlauf dargestellt und gelöst werden. Es gibt drei Handlungsstränge: zwei Haupthandlungen und eine Nebenhandlung, die abwechselnd auf der Bühne dargestellt werden und deren Zusammenhang erst am Ende der Komödie erkennbar wird. Die Handlung beginnt mit der Geschichte der Noomi, einer tugendhaften hebräischen Witwe, die unter den Nachstellungen eines Pharisäers zu leiden hat. Dieser ist der Bruder ihres verstorbenen Mannes, will sie aber nicht, wie das Gesetz es vorsieht, zur Frau nehmen, sondern zu seiner Geliebten machen. Nachdem sie den Pharisäer zurückgewiesen hat, wird die Frau zur Steinigung verurteilt. Parallel zu diesem Handlungsstrang, der Personen der Oberschicht betrifft, gibt es einen zweiten, rein fiktiven, aber komischen Handlungsstrang, der von ungehobelten Hirten getragen wird. Einer von diesen Hirten, ein gewisser Veggio, der beim Sprechen die Wörter verstümmelt, wird ebenfalls umworben: Eine Person ungewissen Geschlechts, die als Fortuna verkleidet ist und sich Errore („Irrtum“) nennt, will ihn zu einer unerlaubten Liebschaft überreden. Veggio geht nicht auf das Ansinnen ein – nicht, weil es unmoralisch ist, sondern weil er die Einladung nicht versteht. Er lehnt sie ab und kommt genau wie Noomi als zum Tode Verurteilter ins Gefängnis. Der dritte, biblische Handlungsstrang, der der Komödie ihren Namen gibt, ist die Geschichte der Geburt Christi. Die Handlung der neutestamentlichen Ereignisse wird auf ein Minimum reduziert: Maria und Josef suchen eine Herberge, machen Halt, und Jesus wird geboren. Am Ende des Stückes laufen die drei Handlungsstränge in der Anbetung Christi zusammen, zu der sich auch Noomi und Veggio einfinden. Die Probleme, die in den beiden von der Komödiendichterin erfundenen Handlungsstränge entstanden sind, werden durch göttliches Eingreifen gelöst: Zwei himmlische Tugenden, die Wahrheit und die Keuschheit, steigen in Gestalt zweier schöner Frauen,

Schwester Maria Clemente Ruoti und die Bibel im Theater der Frauenklöster

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Celia und Bella Fiamma, auf die Erde herab. Und auch die Tiburtinische Sibylle (Albunea) kommt hinzu und stellt die Verbindung zu den Weihnachtsereignissen her, da es in der Legende und auch in der Bühnentradition die Tiburtinische Sibylle war, die Kaiser Octavian die Ara Coeli, die prophetische Vision von der Geburt Christi, gezeigt hatte. Alles nimmt ein gutes Ende, als die beiden Tugenden darauf verzichten, den Pharisäer zu züchtigen und ihn stattdessen einer endgültigen und spektakulären Bestrafung zuführen: Der Pharisäer wird mitten im Tanz von einem Blitz getroffen, die Erde tut sich auf und verschlingt ihn (wahrscheinlich wurde diese Szene mit weltlicher Musik untermalt). Einen zweiten Pharisäer ergreift daraufhin Reue, er befreit die tugendhafte Witwe und bietet an, sie zur Frau zu nehmen, womit der erste Handlungsstrang des Stückes seinen glücklichen Ausgang findet. Auch der Hirte Veggio wird befreit. Und gerade er, der zuvor weder sprechen konnte noch irgendetwas verstand, erlangt angesichts der Krippe eine wundersame Beredsamkeit. Christus wird geboren, und die Komödie endet mit der Szene der Anbetung des Jesuskindes und einem großen, von einem Doppelchor aus Engeln und Hirten gesungenen Finale. Biblisch fundiert ist an dieser Komödie nur die Geburt Christi. Stattdessen gibt es dafür am Ende jedes der drei Handlungsstränge ein göttliches Eingreifen.

2. Fazit Bemerkenswert ist, dass im Natal di Cristo, anders als im Giacob patriarca, sämtliche Frauen tugendhaft, stark und imstande sind, mit ihrem Verhalten Einfluss auf die Welt zu nehmen. Die Frauen der Komödie – an erster Stelle Maria, aber auch die beiden himmlischen Tugenden und die Sibylle – triumphieren über das Böse. Dass die im Verhalten der Frauen enthaltenen Botschaften in den beiden Komödien so unterschiedlich sind, dürfte darin begründet liegen, dass Ruoti das erste Werk, Giacob patriarca, für eine Aufführung im Kloster und ausschließlich für Frauen geschrieben, aber nicht damit gerechnet hatte, dass es veröffentlicht oder unter gebildeten Lesern in Umlauf gebracht werden könnte. Die zweite Komödie, Il Natal di Cristo, deren Manuskript die Genehmigung zur Veröffentlichung enthält, war von Anfang an für ein größeres und eher heterogenes Publikum aus Frauen und Männern, Ordensleuten und Laien bestimmt. Ihnen wollte Schwester Maria Clemente nicht die Schwäche, sondern die Tugendhaftigkeit der Frauen vor Augen führen. Il Natal di Cristo weist der Frau eine positive und aktive Rolle im Heilsplan zu – nicht nur der Jungfrau Maria, sondern auch den fiktiven Frauengestalten, Bella Fiamma, Celia und der Sibylle, die zwar (ähnlich wie die Nonnen) einer außerweltlichen Sphäre angehören, aber beweisen, dass die Frauen (auch die, die in Klausur leben) in der Welt eine entscheidende und heilbringende Rolle spielen können. Um ihre Sicht von der Rolle der Frau und andere, persönlich erfahrene Wahrheiten zu übermitteln und außerdem ihr geistliches und weltliches Publikum zu unterhalten, nimmt sich die Autorin, ohne dabei allerdings die Grenzen der Orthodoxie zu überschreiten, wie schon in der Komödie Giacob patriarca auch in Il Natal di Cristo die dichterische Freiheit, die heiligen Texte umzuschreiben und so zu adaptieren, dass sie ihr eigenes soziales und ideologisches Denken bestmöglich zum Ausdruck bringen.

Das Juditbuch im österreichischen Barock Elisabeth Birnbaum Österreichisches Katholisches Bibelwerk

Einleitung Judit, die einstmals gepriesene gottesfürchtige und heldenhafte Witwe, löst heutzutage bei vielen Menschen mehr Abscheu denn Bewunderung aus. Das Gewaltsame der Tat wird als abstoßend empfunden, das Listige daran als grausam und gemein. Oftmals kennt man ihre Geschichte gar nicht mehr. In den Leseordnungen scheint sie nicht auf, keine Kinderbibel erzählt von ihr. Im Zeitalter des Barock hingegen war Judit en vogue. Keine andere biblische Frauengestalt wurde so oft zur Hauptperson eines Oratoriums gekürt wie sie. In der Bildenden Kunst des Barock hatte sie einen zentralen Platz und auch in Predigt und Theater war sie ungemein präsent. Was sind die Gründe dafür? Welche Umstände bewirkten eine positive Sicht auf Judit? Und lässt sich eine Veränderung dieser Sichtweise im Lauf der Zeit feststellen? Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. „Barock“, das meint in Österreich die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts. Die barocke Kultur entfaltete sich nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 und erreichte ihre Blüte im 18. Jahrhundert. Eng verbunden war sie mit der sogenannten Gegenreformation. Hauptziel dabei war der Aufweis von Glanz und Macht der katholischen Kirche und des Habsburger Kaiserhauses. „Barock“ in Österreich war daher katholisch, von ignatianischer Frömmigkeit geprägt und, bis zum Regierungsantritt von Maria Theresia, männlich dominiert.

1. Rezeptionsgenres Die Genres, die sich mit Judit beschäftigten, sind im Wesentlichen folgende: Bibelkommentare, Predigten, Oratorien, Theaterstücke und Bildende Kunst. Die (katholischen) Bibelkommentare dieser Zeit waren Kommentare zur gesamten Heiligen Schrift. In ihnen wurde selbstverständlich auch das Juditbuch ausgelegt. Zwar brachte Österreich im Barock selbst keine namhaften Exegeten hervor; die einschlägigen Werke ausländischer katholischer Meister wurden jedoch nachgedruckt und eingehend rezipiert. Dazu zählten die Arbeiten von Cornelius a Lapide SJ, Dom Augustin Calmet OSB oder Ignaz Weitenauer SJ.1

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Generell lässt sich – wenig überraschend – eine gewisse Vormachtstellung der Jesuiten in Bezug auf Bibelkommentare bemerken. Marius Reiser etwa schreibt, „daß die wissenschaftliche Bibelexegese des 16./17. Jahrhunderts von den Jesuiten [...] dominiert wurde.“ Marius REISER, Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift: Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese und Hermeneutik (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 229.

Das Juditbuch im österreichischen Barock

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Die Kommentare zum Juditbuch waren zunehmend von der Kanonizitätsdebatte geprägt. Denn die Protestanten sprachen dem Juditbuch einen legitimen Platz in der Bibel ab und stützten sich dabei auf zwei Argumente: einerseits auf die sittlich problematische Verhaltensweise Judits, andererseits, und damit noch bedeutsamer, auf die Ungereimtheiten der historischen Angaben. Diese interkonfessionellen Auseinandersetzungen führten mehr und mehr dazu, dass die katholischen Exegeten selbst das Juditbuch nur noch unter dem Aspekt der Historizität betrachteten, sodass der theologische Gehalt des Buches nicht mehr Thema ihrer Auslegungen war, und gegen Ende des 18. Jahrhunderts schwand sogar ganz allgemein das exegetische Interesse an diesem Buch. In den Predigten der Barockzeit hingegen war Judit ein oft genannter Name. Das lässt sich aus der Predigtmethode der damaligen Zeit erklären: Die katholische Barockpredigt kannte eine strenge Vorgehensweise.2 Die Perikope zum Tag oder ein bestimmtes Fest oder ein anderer Anlass gab das Thema vor. Nun folgte die inventio: Der Prediger suchte die passenden Gedanken zum Thema: aus der Erinnerung, seiner eigenen Erfahrung und mithilfe von geeigneter Literatur. An erster Stelle stand natürlich die Bibel, aber auch Exegeten-Schriften, Predigtsammlungen, die Schriften der Kirchenväter etc. dienten diesem Zweck. Danach ordnete der Prediger die Gedanken zu einer dispositio, arbeitete an der sprachlichen Ausformung, an der elocutio, lernte die Rede auswendig (memoria) und hielt die Predigt (pronuntiatio). Die Auslegung des Evangeliums wurde also unter anderem mit allgemein bekannten biblischen Beispielen „garniert“. Diese dienten zur Untermalung und Beweisführung, wobei ihre Botschaften selbst nicht mehr hinterfragt oder ausgelegt wurden. Berühmte Prediger im österreichischen Barock waren Abraham a Sancta Clara, Ignaz Wurz oder Adrian Gretsch. In der Musik begeisterte sich das Oratorium für die Geschichte Judits. Zwischen 1668 und 1734 wurden am Wiener Hof sechs verschiedene Judit-Oratorien aufgeführt. Das berühmteste Libretto war „La Betulia liberata“ von Pietro Metastasio. Dieses Werk wurde zur beliebtesten Oratorienvorlage überhaupt. Nach der Uraufführung 1734 zur Musik von Georg Reutter d. J. vertonten noch zahlreiche andere Komponisten das Werk: Andrea Bernasconi, Ignaz Holzbauer, Florian Leopold Gassmann, Wolfgang Amadeus Mozart und Francesco Pitticchio allein in Österreich, aber auch etliche Künstler in Italien (z.B. Antonio Vivaldi oder Niccolò Jommelli) und Deutschland (in deutscher Übersetzung). Im Theater war Judit Hauptfigur im Jesuitendrama „Fiducia in Deum sive Bethulia liberata“ von Nicolaus Avancinus (1642) sowie in einem österreichischen Volksschauspiel, das um 1760 datiert. Weiters ist eine Perioche3 einer Aufführung von 1640 am Theater der Benediktiner-Universität Salzburg erhalten.4 2 3 4

Urs HERZOG, Geistliche Wohlredenheit: Die katholische Barockpredigt (München: C. H. Beck, 1991), 195ff. Eine Art Programmheft mit einer kurzen Zusammenfassung des Inhalts. Gedruckt in Martin SOMMERFELD (Hg.), Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts nebst Luthers Vorrede zum Buch Judith (Literaturhistorische Bibliothek 8; Berlin: Junker und Dünnhaupt, 1933), 105–113.

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In der Bildenden Kunst schließlich war Judit ebenfalls ein beliebtes Sujet. Im Großen und Ganzen gab es drei Darstellungsweisen Judits: a) Judit mit dem Kopf des Holofernes (mit und ohne Volk), b) Judit bei der Tat selbst und c) Judit bei der Rückkehr aus Betulia. Sie erschien dabei sowohl auf Deckenfresken in Kirchen als auch auf Ölgemälden. Die Werke selbst waren von ausländischen Meistern importiert, aber stammten ebenso von österreichischen Künstlern. Zur ersten Gruppe zählen Paolo Veronese, Simon Vouet, Padovanino, Carlo Saraceni, Francesco Solimena und Peter Paul Rubens, zur zweiten Anton Maulbertsch, Franz (Xaver) Karl Palko und der sogenannte „Kremser Schmidt“. Die Art ihrer Darstellung war dabei sehr unterschiedlich. Allen gemeinsam ist: Ihre Gemälde waren in Österreich zu sehen und beeinflussten ihre Betrachter. Insgesamt lässt sich demnach sagen: Das Zeitalter des Barock war eine der wichtigsten Kulturepochen Österreichs. Und es liebte Judit.

2. Wahrnehmungsweisen Judits 2.1 Judit als typus Mariae Die typologische Gleichsetzung Judits mit der Jungfrau und Gottesmutter Maria geht auf das 4. Jahrhundert zurück. In der Psychomachie des Prudentius (404/5) kämpft Judit als personifizierte Keuschheit (virgo Pudicitia) gegen die von Holofernes verkörperte Unzucht (Sodomita Libido). Zwar erringt Judit in diesem Kampf einen vorläufigen Sieg über das Laster, endgültig wird die Unzucht aber erst durch Maria überwunden, die als „unversehrte Jungfrau“ Christus geboren hat: Du Qual der Menschen, hast mit erneuerten Kräften dein erloschenes Leben wieder erwärmen können, und das, nachdem das Haupt des Holofernes abgeschnitten und die assyrische Bettstatt, triefend von unzüchtigem Blut, gewaschen war. Denn Judith verachtete zuchtvoll das mit Edelsteinen geschmückte Lager des verderbten Heerführers und bändigte mit dem Schwert seine unzüchtige Wut. Die Frau, deren Hand nicht zitterte, besiegte glänzend den Feind, die vom Himmel geschenkte kühne Rächerin meiner Sache! Doch vielleicht genügte eine tapfere Frau nicht, die noch unter dem Schatten des Gesetzes kämpfte, nur Vorbild unserer Zeit, in der die wahre Kraft in die irdischen Leiber herniederkam, um ein mächtiges Haupt durch schwache Diener zu fällen. Bleibt denn jetzt nach der Mutterschaft einer unverletzten Jungfrau dir noch irgendein Recht?5

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„tene, o uexatrix hominum, potuisse resumptis / uiribus extincti capitis recalescere flatu, / Assyrium postquam thalamum ceruix Olofernis / caesa cupidineo madefactum sanguine lauit, / gemmantemque torum moechi ducis aspera Iudith / spreuit et incestos conpescuit ense furores, / famosum mulier referens ex hoste tropaeum / non trepidante manu uindex mea caelitus audax? / at fortasse parum fortis matrona sub umbra / legis adhuc pugnans, dum tempora nostra figurat, / uera quibus uirtus terrena in corpora fluxit / grande per infirmos caput excisura ministros. / numquid et intactae post partum uirginis ullum / fas tibi iam superest?“ (Clemens Aurelius PRUDENTIUS, Die Psychomachie des Prudentius (hg. u. übersetzt v. U. Engelmann; Freiburg i. Br.: Herder, 1959), 40–71).

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Später wurde vor allem die Überwindung des Satans als Bezugspunkt hervorgehoben: Maria wurde die Frau, die der Schlange auf den Kopf tritt (Gen 3,15), die Frau, die letztlich zum Sturz des Drachens/Teufels/Satans führt (Offb 12,1–9). Wie in der Psychomachie entbrennt ein Kampf um Leben und Tod, bei dem die Frau, Maria, siegreich bleibt. Im Juditkommentar von Cornelius a Lapide (Anfang des 17. Jahrhunderts), der in Wien verbreitet war, wird diese gängige Deutung so beschrieben: Allegorisch ist Holofernes der Typus des Teufels, dessen Haupt die wahre Judit, das ist die selige Jungfrau, nach der von Gott gegebenen Weissagung (Genesis 3) mit Füßen trat. Judit tötete Holofernes, den Schrecken des Morgenlandes im Zweikampf, quasi im Duell, durch dessen eigenen Krummsäbel ohne [eigene] Verwundung gleichsam spielerisch, […]Aber die selige Jungfrau streckte im Einzel-Kampf unzählige Schlachtreihen von Dämonen nieder, und von Tag zu Tag streckt sie sie nieder, […] Judit fürchteten und flohen die Assyrer: Die selige Jungfrau fürchten alle Dämonen und Gottlosen.6

Der Vergleichsfaktor liegt im Kontext des Kampfes von Gut und Böse: Maria bekämpft das Böse, indem sie die Dämonen überwindet. Sie vernichtet die Schlange, genau so wie Judit das Böse überwindet, indem sie Holofernes tötet. Dieses Motiv findet sich auch in der Exegese des frühen 17. Jahrhunderts, das sich dabei auf die Kirchenväter bezieht. Aber auch in der Barockpredigt ebenso wie in der Kunst, vor allem in Kirchenfresken, steht Judit in enger Verbindung zu Maria. Das ist einer der Gründe, warum Judit in der Ikonographie des Barock sehr beliebt war. Andere Gründe werden später angeführt. Die Tat selbst, der Kampf, der Sturz des Bösen, wird als das Heilsereignis schlechthin gesehen. Die Legitimation der Gewalt ergibt sich dabei aus der Größe der Bedrohung und wird demnach nicht problematisiert. Judits Tat als Vor-Bild dieses großen, alles entscheidenden Kampfes darf daher im typologischen Verständnis ebenfalls gewalttätig sein. In einigen Marienpredigten des Wiener Predigers Abraham a Sancta Clara (1644– 1709) wird Judit neben Jaël, Ester oder Debora in einen Vergleich mit Maria gestellt: In der Predigt: „Die heldenmüthige Generalin“ wird beschrieben, wie ein Bild der siegreichen Maria, genannt „Maria de Victoria“ König Ferdinand von Spanien den Sieg über „die Mohren“ gebracht habe. Dabei wird erwähnt, dass Kaiser Maximilian von Österreich das Bild dem spanischen König geschenkt habe, der auch Mariam for seine streitbare Generalin erkendt hat und erfahren hat, das Maria seie ein streitbare Judith, ein streitbare Jahel, ein streitbare Amazon, ein streitbare Drahomira, durch dero (hilff) nix als sig zu hoffen undt Victori.7 6

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„Allegorice Holofernes typus est Diaboli, cujus caput vera Judith, id est B. Virgo contrivit juxta oraculum a Deo editum, Genes. III. Judith Holofernem terrorem Orientis singulari certamine, quasi in duello, suo ipsius acinace sine vulnere velut ludibunda cecidit, […] At B. Virgo innumeras daemonum phalanges duello singulari prostravit, et in dies prosternit. […] Juditham timuerunt et fugerunt Assyrii: B. Virginem timent omnes daemones et impii.“ (Cornelius a LAPIDE, Commentaria in Scripturam sacram 4 (Paris: Ludovicus Vivès, Bibliopola, 1860), 346f.). Abraham A SANCTA CLARA, Werke von Abraham a Sancta Clara: Aus dem handschriftlichen Nachlaß unter Förderung des Reichsstatthalters in Wien Reichsleiters Baldur von Schirach, (3 Bde.; hg. v. der Akademie der Wissenschaften in Wien; bearbeitet von K. BERTSCHE; Wien: Verlag Adolf Holzhausens Nachfolger, 1943–45), 406.

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In einer zweiten Predigt zu Mariä Geburt aus dem Jahr 1692 zitiert Abraham Gen 3,15 und deutet den Vers auf Maria. Zum Beweis schildert er die Legende der hl. Anna, nach der am Tag der Geburt Marias aus 215 besessenen Personen die Teufel vertrieben wurden. Er vergleicht wiederum Maria direkt mit Judit: das, das, was Judith dem Holoferni gwest ist, das, das, was Jahel gwest ist dem Sisarae, das, das, was Esther gwest ist dem Aman, das ist Maria.8

Die Wandmalereien und Fresken in Kirchenräumen stellen Judit ebenfalls neben Maria. Sie findet sich neben David, der Goliat tötet, oder neben Jaël, die Sisera niederstreckt. Der Kontext ist derselbe: Es ist die mutige Tat selbst, die die Überwindung des Bösen darstellt. Die Gewalt von Judits Tat wurde nicht als problematisch angesehen, weil der geschlagene Feind das Böse in Person war. Judit wurde bewundert und verehrt, und der wichtigste Grund dafür war der allegorische bzw. typologische Zugang. 2.2 Judit als typus ecclesiae Die Typologie Judit-Kirche, die etwa in Calmets Kommentar (1707–1716) zu finden ist, stellt besonders die Beständigkeit und Unbeirrbarkeit Judits in den Vordergrund. Die Gemeinsamkeit liegt hier in der Witwenschaft: Judit lebt nach dem Tod ihres Gatten allein und versagt sich jedem anderen Mann, auch nach ihrer Tat. Die Kirche lebt ebenfalls allein, fern von ihrem „Gemahl“ Christus, in unverbrüchlicher Treue und unbeirrbarer Hoffnung auf die Wiederkehr, sie schließt sich keinem anderen an und bleibt in Gemeinschaft mit ihm. Aber wenn man es höher und erhabener betrachtet, sehen wir in Judit ein wahres Abbild der Kirche Christi. Die Schönheit, der Verdienst, der Reichtum, die persönlichen Vorzüge dieser heiligen Frau bilden, wenn auch unvollkommen, diese Gemahlin des Heilands ab, die weder Makel noch Fehler hat (Hld 4,7), und die vom Himmel steigt, geschmückt mit dem Wertvollsten aus den Schätzen ihres himmlischen Gemahls. Die Witwenschaft Judits dient nur dazu, um ihre Liebe und ihr unverletzbares Band zu ihrem Gemahl zum Ausdruck kommen zu lassen. So gibt auch die Kirche, die der mit den Sinnen wahrnehmbaren Gegenwart Christi beraubt ist, diesem die wahrnehmbarsten Zeichen ihrer Treue, und ihres beständigen und ehrfurchtsvollen Bandes. Die Verfolgungen, die Gewalttaten ihrer Feinde, die in Holofernes repräsentiert sind, sind nicht imstande ihre Beständigkeit zu erschüttern. Sie wappnet sich mit Mut, sie bekleidet sich mit dem Wertvollsten, das sie hat; sie erneuert ihre Glut und ihre Gebete, sie sucht Kraft in ihrer Unterwerfung und im Vertrauen, das sie in ihren Gott setzt.9 8 9

Neue Predigten von Abraham a Sancta Clara: Nach den Handschriften der Wiener Nationalbibliothek (hg. v. Karl Bertsche; BLVS 278; Leipzig: Verlag Karl W. Hiersemann, 1932), 192. „Mais si on l’envisage par des vûës supérieures et plus relevées, nous verrons dans Judith une vraye figure de l’Eglise de Jésus-Christ. La beauté, le mérite, les richesses, les qualitez personelles de cette sainte femme, représentent, quoiqu’ imparfaitement, cette Epouse du Saveur, qui n’a ni tache, ni ride, Non habentem maculam, neque rugam, et qui descend du Ciel ornée de tout ce qu’il y a de plus précieux dans les trésors de son divin Epoux. La viduité de Judith

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Gemeinsam ist diesen Auslegungen, dass sie Raum für Differenzierungen geben. Die Typologie knüpft an einem Vergleichspunkt an, vermeidet aber, alle Aspekte diesem Punkt unterzuordnen. 2.3 Judit als personifizierte Tugend Auch die Deutung Judits als personifizierte Keuschheit bzw. personifizierte Nüchternheit gründet sich auf den Gegensatz, auf die Auseinandersetzung mit dem gegenteiligen Laster. Judit wurde als Verkörperung der Tugend gesehen, Holofernes personifizierte die Laster, allen voran Hochmut, Wolllust oder Völlerei. Wieder ist es der Kampf selbst, die Überwindung des Bösen, der im Mittelpunkt steht und jede darin innewohnende Gewalt legitimiert. Vorbildlich ist dieser Kampf für alle nach Vollkommenheit strebenden Frommen. Sie sollen diesen Kampf gegen die inneren Dämonen führen, gegen die eigenen Laster: So endet das Oratorium „La Betulia liberata“ von Pietro Metastasio mit dem Fazit des Chores mit folgenden Worten: O Seele, die schändlichen Feinde, die deinem Licht auflauern, sind die Laster; ihr Führer jedoch ist der Hochmut. Lösche ihn aus; und mit ihm wird die ganze Gefolgsschar ausgelöscht werden, und du wirst mit einem einzigen Schlag tausend Siegespalmen ernten.10

Die traditionelle Exegese verwendete diese Personifikationen jahrhundertelang. Sie wurden von den Kirchenvätern entwickelt und bis ins 17. Jahrhundert überliefert. Dieser metaphorische Zugang hatte einen besonderen Vorteil: Er ermöglichte eine uneingeschränkte Zustimmung zu Judits mutiger Tat, obwohl Judits Verhalten nicht unumstritten war: Sie belog Holofernes, sie nutzte ihre Schönheit, um ihn zu manipulieren und sie tötete ihn, während er fest schlief. Doch die Deutung ihrer Tat im größeren Kontext von Gut und Böse erlaubte es, ihr Verhalten in scharfen Worten zu kritisieren und sie dennoch als tugendhafte Heldin bestehen zu lassen. Denn die Typologie benötigt keine völlige Gleichheit der beiden Typen. Nur in einem einzigen Punkt müssen sie übereinstimmen, andere Details sind nicht von Belang. Solange Holofernes das personifizierte Böse ist, solange darf Judit in ihrem Verhalten ambivalent sein und wird dennoch als vollkommene Heldin betrachtet.

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ne sert qu’a faire éclatter son amour et son attachement inviolable pour son époux; Ainsi l’Eglise, privée de la présence sensible de Jesus-Christ, lui donne des marques plus sensibles de sa fidélité, et de son attachement constant, et respectueux. Les pérsecutions, les violences de ses ennemis, représentez par Holofernes, ne sont point capables d’ébranler sa constance. Elle s’arme de courage; elle se revêt de ce qu’elle a de plus précieux; elle renouvelle son ardeur et ses priéres, elle cherche la force dans son humiliation, et dans la confiance qu’elle met en son Dieu.“ (Dom Augustin CALMET, Commentaire litteral sur tous les livres de l’ancien et du nouveau Testament, Bd. 7 (Paris: Emery Saugrain et Pierre Martin, 1712), 494f). „Alma, i nemici rei, che t’insidian la luce, i vizi son; ma la superbia è il duce. Spegnila; e spento in lei tutto il seguace stuolo, mieterai mille palme a un colpo solo.“ (Pietro METASTASIO, Oratori sacri (hg. v. Sabrina Stroppa; Venedig: Marsilio, 1996), 677–682).

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2.4 Das Ende der Typologie Die typologische Herangehensweise, die Judit mit Maria verknüpfte, verlor sich in der Zeit des Barock. Zumindest in Exegese und Predigt ging das auf die schon erwähnte Auseinandersetzung mit den Protestanten zurück. Martin Luther wertete die widersprüchlichen historischen Angaben des Juditbuches als unüberwindliches Hindernis für eine Aufnahme in den Kanon der Heiligen Schrift: WO man die Geschichte Judith künde aus bewereten / gewissen Historien beweisen / So were es ein eddel fein Buch / das auch billich in der Biblien sein solt. Aber es wil sich schwerlich reimen mit den Historien der heiligen Schrifft.11

Im Gegenzug sahen sich die katholischen Exegeten zu immer neuen, teilweise abstrusen historischen Einordnungen12 genötigt. Ignaz Weitenauer (1779) übernahm etwa seine Datierungsthese aus der „Geschichte des Alten Testaments“ von C. Calino. Dazu musste er jedoch mit den Regierungsjahren einzelner Herrscher flexibel umgehen. Er schränkte etwa die zwölf Regierungsjahre Asarhaddons13 auf zwei ein und argumentierte: Ich weiß, das andere dem Asarhaddon eine längere Regierung beylegen: aber Calino antwortet, er wolle die göttliche Schrift nicht nach dem betrüglichen Maßstabe eines Herodotus oder Eusebius messen.14

Dom Augustin Calmet (1707–1716) wiederum konnte seine Datierung nur aufrechterhalten, wenn er Judit bei ihrer Tat ein Alter von sechzig bis fünfundsechzig Jahren zuschrieb. Das brachte ihm Voltaires beißenden Spott ein, der dazu meinte: Calmet zieht uns aus der Verlegenheit [der historisch unvereinbaren Angaben des Juditbuches; Anm. d. A.], indem er sagt, sie wäre fünfundsechzig gewesen, als Holofernes von ihrer unermesslichen Schönheit entflammt war: das ist das schönste Alter um Köpfe zu verdrehen und abzuschneiden.15

Die Protestanten des 17. Jahrhunderts stießen sich immer mehr an den für sie moralisch zweifelhaften Verhaltensweisen Judits und sahen darin den Grund, das Buch nicht zu den kanonischen Schriften zu zählen.

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13 14

15

Martin LUTHER, Vorrede auf das Buch Judit, in Luthers Vorreden zur Bibel (hg. Heinrich BORNKAMM; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1989, 147–149. Zu den einzelnen diesbezüglichen Thesen: Elisabeth BIRNBAUM, Das Juditbuch im Wien des 17. und 18. Jahrhunderts: Exegese – Predigt – Musik – Theater – Bildende Kunst (ÖBS 35; Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang, 2009), 61–101. Assyr. König, 680–669 v. Chr. Ignaz VON WEITENAUER, Biblia sacra: Oder die Heilige Schrift des Alten Testaments 7: Esdra, Tobia, Judith und Esther sammt dem Job, verdeutscht und mit Anmerkungen versehen durch Ignaz Weitenauer (Augsburg: Wolff, 1779), 204. „Calmet nous tire d’embarras en disant qu’elle en avait soixante-cinq lorsqu’ Holoferne fut épris de son extrême beauté: c’est le bel âge pour tourner et pour couper des têtes.“ François Marie Arouet de VOLTAIRE, La bible enfin expliquee par plusieurs aumoniers de S.M.L.R.D.P. (London/[Genf]: o.V., 1776), 449.

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Die katholischen Exegeten mussten darauf reagieren, und sie taten es mit der vehementen Verteidigung von Judits Moral: Nicht ihre Schuld war es, wenn Holofernes sich zu ihr hingezogen fühlte, seine eigene Begierde ließ ihn Dinge verstehen, die sie niemals gemeint hatte. sie log auch nicht und dachte an nichts Unkeusches. Dazu mussten die Exegeten selbstverständlich den Text ein wenig frei interpretieren, aber sie hatten keine Wahl: Zuzugestehen, dass Judits Verhalten nicht dem Sittengesetz entsprach, hätte bedeutet zuzugeben, dass Judit selbst nicht dem biblischen Kanon entsprach. Anders gesagt: Wenn Judit lügt und betrügt, kann sie zwar immer noch Vorbild Marias sein, aber als Heldin eines kanonischen Buches kommt sie kaum noch in Frage. Die apologetischen Bemühungen der katholischen Exegeten hatten Folgen: Unbemerkt schwand der metaphorische Zugang aus dem Bewusstsein. Die Katholiken verteidigten ihn zwar noch, aber wandten ihn selbst nicht mehr an. Nur in der kirchlichen Kunst hielt er sich bis zum Ende der Barockzeit, und damit in Österreich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.

3. Judit als Vorbild 3.1 Stark und beständig Judit wurde (nicht nur) in Predigten gerne als Vorbild herangezogen. Vorbildlich an ihr waren sehr unterschiedliche Tugenden. Abraham a Sancta Clara lobte an ihr ihre große Unerschrockenheit, ihre Tapferkeit und ihre Beständigkeit im Gebet. In der Predigt über die hl. Monika, die Mutter des Augustinus, fällt Judits Name gleich zu Beginn: Abraham zitiert Salomos Frage: „Mulierem fortem quis inveniet?“, um zu entgegnen: mein kinig Salomo, werst du khomen in Judenlandt, hetst du aldort antroffen ein starkes undt bestendiges weib mit namen Judith, welche ungeacht der grossen griegsmacht des ganzen griegsher den Grossen griegsfirsten Holofernem entleibt undt obgsigt.16

3.2 Gott vertrauend und den Menschen gehorchend In Kriegszeiten war daneben ihr unerschütterliches Gottvertrauen gefragt. Als Ermutigung und Mahnung in kriegerischer Bedrohung sollte etwa das Jesuitendrama „Fiducia in Deum sive Bethulia Liberata“ von Nicolaus Avancini dienen. Es entstand 1642 im Dreißigjährigen Krieg, als die Schweden Wien bedrohten. Judits Eigeninitiative wird hier der übergroßen Betonung von Gottes Allmacht untergeordnet. Ihr eigentlicher Vorzug liegt in ihrem unerschütterlichen Hoffen: „Das Eine ist meins: dass ich gehofft habe. Alles, was über die Hoffnung hinausging, tat Gott.“17 16 17

ABRAHAM A SANCTA CLARA, Werke I, 101. „Unum hoc meum est, Sperasse. Quidquid spem supra est, fecit Deus.“ („Fiducia in Deum sive Bethulia Liberata“, in: Poesis dramatica, Bd. 3 (hg. v. Nicolaus Avancinus; Köln: Friess jun., 1680), 464).

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Dazu ist sie aber den Ältesten gegenüber demütig und gehorsam. Sie hat zwar eine göttliche Eingebung, die ihr genau sagt, was zu tun ist, sie glaubt ihr aber zunächst nicht und lässt erst die Priester Bethuliens darüber entscheiden, ob es sich um wahrhafte Eingebungen handelt. Obwohl sie die göttlichen Weisungen eindeutig vernimmt, wartet sie das Ergebnis der priesterlichen Beratung ab. Sie unterwirft sich völlig deren Urteil: Eure Beschlüsse sind die Richtschnur meines Wunsches. Wenn euch zu wollen beliebt, will ich, wenn ihr nicht wollt, will ich nicht.18

Erst nachdem die Priester nach langer Beratung zu dem Schluss gekommen sind, dass es sich tatsächlich um eine Eingebung Gottes handeln könnte, glaubt es Judit auch: „Ich weiß nun endlich die Wünsche als von Gott stammend zu beurteilen.“19 Ähnlich agiert Judit in zwei anderen Oratorien dieser Zeit. Die Oratorien von Michael Zacher (Die heldenmüthige Judith in einem teutschen Oratorio, 1704) und Bernardino Maddali/Giuseppe Porsile (Il Trionfo di Giuditta, 1723) blicken ebenfalls auf Judit als die demütige Hand Gottes. Bei Zacher wird Judits Tat zweifach kommentiert. Zunächst stellt die Magd Abra fest: Deß Holofernes Grab Ist eine Himmels-Gaab.20

Daraufhin zieht die allegorische Figur der „Weißheit“ die Lehre daraus: Wann Gott will seine Macht bezeigen Braucht er nicht gleich darum Sein starcken Armb. Er kann die hohen Aichen beigen / Wann er setzt umb und umb Ein Ameiß-Schwarm. […] Durch ihn kann auch zu Boden werffen Die grosse Risen-Bruth Ein Hirten-Knab. Wann Holofern sein Raach will schärffen; Durch eines Weibes Muth / Fallt er ins Grab.21

Bei Maddali/Porsile schreckt Judit vor der Tat zurück und erst das Drängen der Magd bringt sie zum Handeln: Giuditta: „Ich fühle einen inneren Impuls, den ich gleichsam göttlichen Willen nennen würde, dem Schändlichen das Leben zu nehmen; doch ob der Himmel es mir verbietet oder mir befiehlt, erkenne ich nicht.“ 18 19 20 21

„Vestra judicia mei sunt norma voti; velle si vultis, volo: si nolle, nolo.“ (EBD., 411) „Probare vota Coelites tandem scio.“ (EBD., 415). Johann Michael ZACHER, Die heldenmüthige Judith in einem teutschen Oratorio (Wien: Schlegel, o. J.), unpag.. EBD.

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Abra: „Zweifle nicht, dass unser Gott es will; Hier sieh eine aufgehängte Waffe, geeignet um den großen Plan auszuführen, und da der Himmel zum hohen Vorhaben den Anstoß gibt, gürte dich zur Unternehmung.“ Giuditta: „Flehentliches Gebet gehe der Tat voraus; damit meine Unternehmung mit dem göttlichen Willen vereint sei.“22

Offensichtlich ist Gewalt an einem Mann etwas, das eine Frau nur schwer zustande bringen sollte, und wenn, dann sollte sie es ängstlich und widerstrebend tun. 3.3 Keusch und enthaltsam Auch die Predigt des 18. Jahrhunderts schätzte Judit immer noch. Doch wurde das Augenmerk nun eher auf ihre nichtkriegerischen Verhaltensweisen gelegt. Mehr und mehr schien es anstößig geworden zu sein, dass eine Frau einen Mann gewaltsam überwindet. Daher thematisierte der Jesuit Ignaz Wurz (1731–1784) nur noch ihre Keuschheit, ihr zurückgezogenes Leben, ihre Enthaltsamkeit und ihr unablässiges Gebet. Judits Befreiungshandeln an ihrem Volk wurde beinahe schamhaft verschwiegen. Judit wurde damit zum Vorbild für die angepasste Frau. Denn bedenket doch, geliebteste Zuhörer, diese junge und schöne Witwe entschließt sich aus der belagerten Stadt hinauszugehen, und sich ohne Schutz, nur von einer Dienstmagd begleitet, in das Lager eines muthwilligen Kriegsheers zu begeben. Nicht genug, sie schmückt sich auch noch auf das feyerlichste, um die Augen noch mehr zu reizen. O Himmel! Judith ist gefangen, sie wird von ausgelassenen Soldaten umrungen, bewundert, vor den Holofernes gebracht. Der Feldherr entbrennt Augenblicks; Judith fliehet nicht, sie unterredet sich mit ihm, sie verbleibt bey ihm, sie läßt ihn alles hoffen. Sie thut, als wenn sie am gesichertesten Orte wäre. Sie ändert sich auch damals nicht, sie zeigt keine Furcht, als Holofernes mehr von der Wollust, als dem Weine berauscht, nur die Stunde seines Glückes erwartet, aber seinen Tod findet. Ist jemals eine verführerischere Gelegenheit, eine schrecklichere Gefahr für die Keuschheit gewesen als diese?23

Judit jedoch besteht diese Gefahr, doch nur, weil sie sich nicht freiwillig hineinbegeben hat. Dadurch kann sie den Verlockungen und Reizungen der Versuchung (!) widerstehen. 22

23

Giuditta: Sento un impulso interno, / che quasi lo direi voler divino, / di tor la vita all’ empio; / ma se il ciel melo vieti, / o se melo comandi, io non discerno. Abra: Non dubitar, ch’ il nostro Dio lo vuole; / qui vedi un arme appesa, / atta ad effettuar il gran disegno; / e poich’ il ciel dà impulso all`alto impegno, / accingiti all’ impresa. Giuditta: Fervente orazione preceda il fatto; / acciòche unita sia / col divino voler l’ impresa mia.“ (Giuseppe PORSILE, Il Trionfo di Giuditta: Oratorio, da cantarsi nell’augustissima capella della sacra cesarea cattolico… (handschriftliche Partitur; ÖNB: Mus. Hs. 18.123, 340– 351), vgl. BIRNBAUM, Judit, 338). Ignaz WURZ, Sämmtliche Predigten, Bd. 2 (Wien: Kurzbeck, 1784), 273–276.

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Woher ist diese seltsame Verkehrung, daß ein schwaches Weib über die größte Gefahr den Sieg erhält; und der tapfere Held in Israel, der heiligste König, der erleuchtete Prophet, der Stammvater Jesu Christi von einer weit geringern Gefahr schändlich überwunden wird? Aus keiner andern Ursache, meine geliebten Zuhörer, als weil Judith nicht freywillig in der Gelegenheit ist, sondern sich auf einen geheimen Befehl Gottes darein begiebt; […] Judith kommt wider ihren Willen in die Gelegenheit; für sie ist ein Ueberfluß der Gnaden bereitet, die sie gleich einer Wache umgeben, und bey den größten Reizungen nichts empfinden lassen.24

Auch Adrian Gretsch (1753–1826) lobte Judits Enthaltsamkeit und Zurückgezogenheit. Erwähnung fand Judit etwa in der Predigt: „Von der heiligen Einsamkeit“ zu Mt 4,1 (Jesu Gang in die Wüste). Gretsch argumentierte hier für den großen Nutzen der Einsamkeit und gegen den Einwand, man könnte diese im hektischen Weltgetriebe nirgendwo finden. Wenn man nur wollte, meinte er, wäre es überall möglich, sich dem Alleinsein hinzugeben. Mose, Samuel und Jiftach hätten dies sogar im „Schwalle der Regierungsgeschäfte“25 vermocht, Gideon sogar im Gerassel der Waffen: Judith, die junge, schöne, reiche Witwe, hatte in dem Obertheile ihres Hauses eine abgesonderte Kammer sich bereitet, in welcher sie mit ihren Mägden verschlossen wohnte, um sich der Einsamkeit zu ergeben.26

Ester beschließt die Aufzählung: Sie habe im Palast ihre Abgeschiedenheit gefunden. Nach diesen Beispielen sah Gretsch die Christen jeder Ausflucht beraubt. In der Welt könnte man sehr wohl Einsamkeit finden. 3.4 Vorbild Maria Theresias Judit als Vorbild hat aber auch einen spezifisch österreichischen Akzent: Judit ist Vorbild und Vorausbild von Kaiserin Maria Theresia. Deren Vater, Karl VI., hatte keinen männlichen Nachkommen und musste daher darum kämpfen, seiner Tochter die Thronfolge zu verschaffen. Erst nach jahrelangem Bemühen gelang ihm um 1730 die Anerkennung der bereits 1713 erlassenen „Pragmatischen Sanktion“ durch die anderen ausländischen Großmächte und damit das Recht der weiblichen Thronfolge. Aufgrund der Ungewöhnlichkeit dieses Vorhabens war es umso wichtiger, Maria Theresia als starke, tugendhafte und gläubige Frau einzuführen, und keine andere biblische Frau konnte ein besseres Vorbild bieten als Judit: Judit ist gottesfürchtig, wie es jede Regentin sein sollte, niemand sprach schlecht über sie, was auch bei Maria Theresia zu hoffen stand, sie ergreift die Initiative, obwohl sie eine Frau ist gerade wie Maria Theresia, und sie ist siegreich: Sie bezwingt die Feinde, ja mehr noch, die Heiden, und das ist genau das, was von

24 25

26

EBD. Adrian GRETSCH, Homiletischer Nachlaß des weiland hochwürdigen A. G.: Sonntags-Predigten, Bd. 2 (hg. v. Leopold Scherlich; Wien: Mechitaristen-Congregations-Buchhandlung, 1835), 342. EBD., 343.

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Maria Theresia erwartet wurde: ein Sieg gegen die Feinde, die selbstverständlich gottlos und ungläubig sein mussten, andernfalls würden sie nicht gegen sie kämpfen. Von daher überrascht es nicht, dass Judit ein beliebtes Sujet in der Kunst und der Musik des 18. Jahrhunderts war. Berühmtestes Beispiel ist das Oratorium „La Betulia Liberata“ von Pietro Metastasio, das von zahlreichen Komponisten vertont wurde, darunter auch von W. A. Mozart. Das Libretto war als Antwort auf die kriegerischen Auseinandersetzungen 1733/34 gedacht. Im Kampf gegen gottlose Feinde war Tugendhaftigkeit gefragt. Metastasios Judit lügt nicht (sie enthüllt nur nicht die ganze Wahrheit), sie ist sogar noch asketischer gezeichnet als in der Bibel, und sie erzittert vor dem sterbenden Holofernes. Die Tat wäre für sie unmöglich gewesen, wenn Gott ihr nicht ihre Gedanken eingegeben und ihre Hand geführt hätte. Holofernes kommt in diesem Oratorium als Person nicht vor. Von ihm wird nur berichtet. Die Handlung spielt ausschließlich in Betulia, Judit schildert ihre Begegnung mit Holofernes und ihre Tat rückblickend: Ich wiederhole den Schlag; und siehe, da war das schreckliche Haupt Von den Schultern getrennt. […] Ich sah dies Antlitz mit einem Male sich entfärben; diese Lippen stumme Worte formen, diese Augen ringsum die Strahlen der Sonne suchen, sterben und drohen, und ich erzitterte.27

Holofernes stirbt also ohne das Licht des Glaubens und der Vernunft zu sehen, er stirbt, gefangen im Dunkel seiner Verblendung. Die Frage, ob Judit lügt, löst Metastasio höchst elegant: Judit berichtet über ihr Gespräch mit Holofernes (Jdt 11) nur mit einem Satz: „er fragt mich, warum ich komme, und wer ich bin. Einen Teil der Wahrheit enthülle ich ihm, und einen Teil verschweige ich.“28 In der Kirchenmalerei, wie schon erwähnt, wurde Judit an die Jungfrau Maria angeglichen, vor allem im Kontext mit der Bedrohung durch die Türken. Zum Beispiel: Die „Frauenkirche“ bei Leibnitz/Steiermark ist der Jungfrau Maria gewidmet. Maria wurde als verantwortlich angesehen für den Sieg der Christen gegen die Türken nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683. Der Gedenktag „Mariä Namen“ geht auf diesen Sieg zurück. Die Fresken der Kirche stammen aus dem 18. Jahrhundert und zeigen kriegerische Szenen: Das erste große Bild stellt Judit nach ihrem Sieg über Holofernes dar. Sie ist schön und sieht tugendsam und fromm aus. Andere Szenen sind die Schlacht Josuas gegen Ai oder den Kampf Gibeons gegen die Amoriter. Die feindlichen Soldaten sehen jedoch keineswegs wie alttestamentliche Krieger aus. Vielmehr gleichen ihre Gewänder auffällig denen der Türken im 17. und 18. Jahrhundert. Die Darstellung Judits erinnert in diesem Kontext als typus Mariae an den Sieg gegen die Türken. Sie übersteigt aber m.E. die biblische Metapher und den historischen Kontext und deutet bereits auf 27

28

„Replico il colpo: ecco l’ orribil capo / Dagli omeri diviso. / […] Quel volto / A un tratto scolorir, mute parole / Quel labbro articolar, quegli occhi intorno / Cercar del Sole i rai, / Morire, e minacciar vidi, e tremai.“ (EBD., 505f.; 510–514). „Egli mi chiede / a che vengo, e chi son. Parte io gli scopro, / taccio parte del vero.“ (EBD., 461–463).

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die gegenwärtige Maria, auf Maria Theresia hin. Die Erinnerung an den Sieg gegen die Türken soll als Ermutigung und Ausdruck der Zuversicht dienen: Wie ihre Namenspatronin und wie Judit wird auch Maria Theresia siegreich gegen ihre Feinde sein. Was in der Malerei nur angedeutet ist, wird in der Literatur auch ausformuliert: der Überstieg der alttestamentlichen auf die neutestamentliche Figur und von dorther auf die Gegenwart. So endet beispielsweise das Oratorium von Michael Zacher 1704 mit einem Brückenschlag zum herrschenden Kaiserhaus: Aber man komm auch auff unsere Zeiten Denen die Alten nicht gleichen bey weiten. […] Dann da finden sich die Helden / Von denn alle Welt kann melden: Daß sie seynd deß Feindes Trutz Und ihr eygner Völcker Schutz. Da ist LEOPOLD der Grosse / Dessen Nahm unsterblich bleib; Da ist JOSEPH der entsprosse Auß der Irdisch Götter Leib.29

Ähnliches gilt für ein österreichisches Volksschauspiel aus dem Jahr 1760: Darin wird um Hilfe für die Landesmutter (Maria Theresia) gebeten: Weiter, o Gott, wir auch bitten than, / Für unsre Landesmutter fein, / Wann sie die Feind’ thun greifen an / Thu unser Helfer sein. / Wir kommen auch zu beten: / O thu uns all’ erretten, / Damit dein Nam auf dieser Erd / Allzeit geheiligt werd (VV. 987–994).

Die Geschichte Judits dient also nie bloß historischem Interesse, sondern spricht immer in die aktuelle Gegenwart der Hörenden und Betrachtenden. In Kriegszeiten soll sie ermutigen, in Friedenszeiten zur Tugend mahnen. Besonders den Herrschenden soll sie ein leitendes und wegweisendes Identifikationsmuster bieten. Vor allem, wenn es sich um eine herrschende Frau handelt. 3.5 Vorbild Wiens Aber Judit war nicht nur ein Vorbild für Maria Theresia: Abraham a Sancta Clara benützte sie auch als Vorbild für die Stadt Wien. 1683 griffen die Türken Österreich an und belagerten Wien über zwei Monate lang. Die Lage war verzweifelt. Damals schrieb Abraham a Sancta Clara sein Traktat „Auff, auff ihr Christen“. Ein langer Abschnitt darin ist Judit gewidmet: Judit ist schwach, da sie „nur“ eine Frau ist, aber sie ist tapfer, mutig und heldenhaft. Darüber hinaus ist sie bescheiden und tugendhaft. Der Hauptpunkt jedoch ist: Sie gibt die Hoffnung nicht auf und betet unablässig zu Gott. Auch Wien war nur klein und schwach und, wie es schien, machtlos. Daher sollte es dem Beispiel Judits folgen: tapfer und mutig, bescheiden und tugendhaft sein und ohne Unterlass zu Gott beten. Der Lohn dafür würde derselbe sein wie der Judits: Sieg! 29

ZACHER, Die heldenmüthige Judith, unpag.

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Nun mercket ihr Christen / indeme die tapffere Judith ihr gewisse Victori gegruendt habe / nemlich Orate, ut firmum faciat Deus consilium meum, nil aliud fiat nisi oratio pro me ad Dominum nostrum. Bettet / bettet / sagt Judith zu den Eltesten der Stadt Bethuliae. Bettet / daß GOtt meinen Anschlag bestaettigen wolle / man soll unterdessen nichts anders thun / dann den HErrn unsern GOTT fuer mich bitten. Indeme nun Judith diese behertzte Heldin selbst gebetten / und alles Volck ruffte mit grossem Ernst zu dem HErrn / und demuethigten ihre Seelen mit Fasten und Betten / siehe da ist solche herzliche Victori und weltkuendiger Sieg wider den Holofernem erhalten worden.30

3.6 Siegreich und souverän In Francesco Solimenas Bild: „Judith zeigt dem Volk das Haupt des Holofernes“, wird Judit als siegreiche und souveräne Befreierin dargestellt. Sie steht inmitten des Volkes, das bewundernd und fassungslos zu ihr aufschaut und hält den Kopf des Holofernes hoch erhoben. Über ihr schweben drei Engel, die zu wetteifern scheinen, wer ihr den Heiligenschein überbringen darf. Das Bild wurde um 1730 für den (österreichischen) Vizekönig von Neapel gemalt, und stellt wohl so etwas wie eine Apotheose dar, eine Verherrlichung der siegreichen, tugendhaften Heroine. Dass damit letzten Endes das österreichische Herrscherhaus gemeint war, das zu der Zeit Neapel besaß, kann durchaus vermutet werden. In gewisser Weise stellt die Judit Solimenas somit mehr ein Vorbild für den Herrscher selbst als für das Volk dar. Edel, siegreich und gut, so sollte sich ein Herrscher präsentieren. Dasselbe Motiv wird auch einige Jahrzehnte später von Martin Johann Schmidt, dem sogenannten „Kremser Schmidt“ gemalt. Sein Bild „Judith zeigt dem Volke das Haupt des Holofernes“ stammt aus dem Jahr 1785 und hat nichts von Solimenas Triumph an sich. Wohl steht sie siegreich vor dem Volk, doch das ungebrochen Positive daran fehlt. Keine Engel scharen sich um Judit, sie selbst wirkt weder stolz noch glücklich, die Reaktion des Volkes fällt unterschiedlich aus, von bewundernd bis entsetzt und abgestoßen. Holofernes wiederum strahlt mehr die Sanftheit eines Märtyrers aus als die grausame Härte eines erfolgreichen Feldherrn. Alles ist in düstere, verschwimmende Farben getaucht. Und auf welcher Seite Gott hier steht, lässt das Bild offen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Verwendung Judits als Vorbild diente hauptsächlich der Ermutigung in kriegerischen Zeiten und der Ermahnung für ein gottgefälliges Leben. Die speziell auf Maria Theresia ausgerichtete Judit-Darstellung, die da und dort zu beobachten ist, verfolgte zwei Ziele: Erstens: das österreichische Volk an den Gedanken einer weiblichen Regentin zu gewöhnen, und zweitens, noch bedeutsamer: die Regentin selbst zu ermutigen, der neuen Herausforderung beherzt zu begegnen und sie zu ermahnen, ihre Aufgabe gottesfürchtig und tugendsam zu erfüllen. Judit als Vorbild für Wien wiederum sollte die Wiener Bevölkerung lehren, der (türkischen) Aggression mutig standzuhalten und, wie Judit, gottesfürchtig, tugendhaft, demütig und gehorsam zu sein. 30

ABRAHAM A SANCTA CLARA, Reim Dich / Oder Ich Liß Dich / Das ist: Allerley Materien / Discurs, Concept, und Predigten /... (Salzburg: Melchior Haan, 1708), 258f.

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In beiden Fällen zeigt Judit den Weg zu einem angemessenen Verhalten im Angesicht von Gefahr und Bedrohung. Die bevorzugt verwendete Gattung für diese Botschaft war einerseits die Bußpredigt, andererseits das Oratorium. Diese Genres verfolgen nach guter Barock-Tradition das Ziel des „docere et movere“ (zu belehren und zu bekehren). Es verwundert daher kaum, dass einige von Judits ambivalenteren Aspekten (die Lüge, die Gewalt) nicht beachtet werden. Das Hauptaugenmerk lag auf den günstigen, nachahmenswerten Verhaltensweisen. Andere, weniger angenehme Aspekte wurden ausgeblendet. Judits Tat wurde im Großen und Ganzen als notwendig erachtet, aber nicht explizit als etwas Positives erwähnt, wie es in den metaphorischen Interpretationen der Fall war. Die Predigt des 18. Jahrhunderts (nicht die Bildende Kunst) hob damit nur ihren asketischen Lebenswandel hervor und verbarg die Tat soweit wie möglich.

4. Judit als Frau Anders als in der zeitgenössischen Exegese war die Genderfrage im österreichischen Barock kein explizites Thema. Das bedeutet jedoch nicht, dass darüber nicht nachgedacht wurde. Exegeten, Prediger und Künstler waren von ihrer Zeit beeinflusst und übernahmen die oftmals frauenfeindlichen Meinungen und Ansichten ihrer Zeitgenossen. Dadurch war die Frage jedenfalls omnipräsent 4.1 Judit in den Weiberlisten Judit im „Kampf der Geschlechter“ ist vor allem in der Bildenden Kunst zu finden. Schon im 15. Jahrhundert begannen sogenannte „Weiberlisten“ gebräuchlich zu werden. Dabei handelte es sich um Darstellungen von bekannten Frauen aus Geschichte, Mythologie und Bibel, die bedeutende Männer durch ihre Schlauheit (List) besiegten. Das war zunächst noch nicht unbedingt negativ. „List“ bedeutete soviel wie Klugheit oder Geschick (im Gegensatz zu „arger List/Arglist“) und konnte ebenso gut etwas zu Bewunderndes sein. Entscheidend wurde ihre Verwendung als „Fürstenspiegel“, als pädagogische Hilfe zur Erziehung von Fürsten. Erstens schreibt Lähnemann dazu: Die Verbindung von positiv gewerteter Frauenlist und Fürstenspiegel findet sich mehrfach in Sprüchen des 15. Jahrhunderts […] Die didaktische Verwendung richtet sich warnend an Männer, ohne Judit zu verdammen.31

Zweitens, wie A. Straten bemerkt, scheinen die Weiberlisten vor allem als WandteppichStickereien auf, die von Frauen für ihren privaten Bereich gemacht wurden. Das Gemeinsame der dargestellten Frauengestalten besteht nicht in einem „gut“ oder „böse“, sondern in der Überlegenheit über die ansonsten als höherwertig propagierten Männer. 31

Henrike LÄHNEMANN, Hystoria Judith: Deutsche Judithdichtungen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert (Berlin u. a.: De Gruyter, 2006), 425.

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Die Dominanz der Frauen ist dabei eher humorvoll und schwankhaft dargestellt. Zudem „könnten die Weiberlisten für die textilen Handarbeiten verrichtenden Frauen ein leiser Ausdruck ihres Protestes gewesen sein.“32 Doch ob schwankhaft gemeint oder nicht: In der Rezeptionsgeschichte lässt sich feststellen, dass Judit ihren Status als positive Heldin einbüßte, sobald sie einfach als Frau gesehen wurde. Der Perspektivenwechsel auf den „Mann an sich“ und damit auf jeden Mann ließ Judits Tat als etwas typisch Weibliches erscheinen, als „normalen“, grausamen Umgang von (schönen) Frauen mit Männern. Ohne metaphorisches Verständnis und ohne die Funktion eines Vorbilds gegen einen starken Feind, wurde damit die Tat und mehr noch Judit selbst verdächtig. Das lässt sich auch an den in Österreich zu findenden Gemälden nachweisen. Die Darstellungen, die dabei angewendet wurden, sind vor allem Folgende: Abb. 1: Alessandro Varatori, gen. Il Padovanino, Judith mit dem Haupt des Holofernes, 1620–1625, KHM-Museumsverband.

Auf der einen Seite gibt es Gemälde mit deutlich erotischer Ausrichtung: Auf dem Bild von Padovanino (1620/25) sieht man Judit bereits ein paar Schritte vom Zelt entfernt. Ihr Blick ist aber dorthin zurückgewendet und hat einen sehnsuchtsvollen, traurigen Ausdruck. Sie trägt ein durchsichtiges Oberteil. Ein Ärmel ist verrutscht, sodass eine Brust freigelegt ist. Judit hält das Schwert und den Kopf des Holofernes fest umschlungen, fast wie in einer Umarmung; ihre Finger berühren beinahe ihre Brustwarze. Zweifellos schwelgt Padovaninos Judit in süßen Erinnerungen. Es scheint, als ob sie es bedauert, 32

Adelheid STRATEN, Das Judith-Thema in Deutschland im 16. Jahrhundert: Studien zur Ikonographie – Materialien und Beiträge (München: Minerva Publ., 1983), 43.

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Holofernes getötet zu haben, den Mann, den sie liebte. Auffällig an dem Bild ist die große Ähnlichkeit zu einem Bild von Tizian, der Padovanino nachweislich sehr beeinflusst hat. Bei diesem Bild handelt es sich jedoch nicht um eine Judit, sondern höchstwahrscheinlich um eine Salome.33 Die Gleichsetzung von Salome mit Judit wirft auf letztere kein gutes Licht. Ist Salome doch die Frau, die den Wegbereiter Christi, Johannes den Täufer, töten ließ. Auch Holofernes steigt dadurch zu einem Heiligen auf, der dem Begehren einer Frau zum Opfer gefallen ist. Die Darstellung Judits als erotisierte Frau, die den Mann vernichtet, ist eine der Strategien, Judits Tat zu desavouieren. Abb. 2: Vouet (?), Judith mit dem Haupt des Holofernes, 1620/1622, KHM-Museumsverband.

Ein anderes Beispiel ist das Bild von Simon Vouet (1640): Das Bild zeigt Judit als Dreiviertelfigur mit dem Schwert und dem Kopf des Holofernes. Judit ist zum Gehen gewendet und hält das Schwert nur noch lose. Sie ist rothaarig und auch sonst dominiert die rote Farbe in ihrer Erscheinung. Sie wirkt selbstbewusst und ein wenig verrucht. Ihr rotes Haar, ihr triumphierender Blick und der Hauch eines Oberlippenbartes über ihrem roten Mund lassen sie männlich erscheinen. In Gegensatz dazu wird Holofernes „verweiblicht“: Judit hält seinen Kopf am vordersten langen Haarschopf, seine Stirn ist frei. Dadurch sieht sein Haar wie der Pferdeschwanz eines Schulmädchens aus. Die Hand Judits, die eine Haarsträhne des Holofernes in der Hand hält, erinnert an den schlafenden 33

Vgl. Daniela HAMMER-TUGENDHAT, „Judith und ihre Schwestern: Konstanz und Veränderung von Weiblichkeitsbildern,“ in Lustgarten und Dämonenpein: Konzepte von Weiblichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit (hg. v. Annette Kuhn; Dortmund: Edition Ebersbach, 1997), 356f.

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Simson, der durch Delila mit seiner Haarpracht auch seine Stärke verliert. Und wie bei Simson war es auf Vouets Bild eine verführerische Schönheit ohne Skrupel, die ihm diesen Verlust beigebracht hat. Diese Überschreitung der Geschlechterrollen wird von Bettina Uppenkamp eingehend thematisiert und als für den Mann unerträglich beschrieben.34 Judit erhält „männliche“, aggressive Züge, Holofernes ist das passive „weibliche“ Opfer. Abb. 3: Carlo Saraceni, Judith mit dem Haupt des Holofernes, 1610/1615, KHM Museumsverband.

Die Perspektive des Opfers scheint auch bei Carlo Saraceni (1615) eine Rolle gespielt zu haben: Man sieht auf dem Bild Judit als Halbfigur, den Kopf des Holofernes und die Magd, die den Sack aufhält. Der Gesichtsausdruck des glattrasierten Holofernes zeigt vor allem tiefe Enttäuschung. Judit hingegen lächelt sanft und lässt den Kopf fast spielerisch in den weitgeöffneten Sack gleiten. Die Magd betrachtet sie mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Erschrecken. Die Bildausleuchtung lässt den Sack zu einer dunklen Höhle werden. Bettina Uppenkamp hat dazu bemerkt, dass der Zipfel des Sackes, den die Magd im Mund hat, und der sich schlundgleich öffnende Sack Assoziationen von Verschlingen und Fressen erwecken.35 Ein Schwert fehlt auf dem Bild. Die schöne, anziehende Frau mit dem süßen Lächeln ist offenbar auch ohne Schwert gefährlich genug, um einen Mann mit Haut und Haaren zu verschlingen. Im 18. Jahrhundert gibt es ein bemerkenswertes Bild von Franz Anton Maulbertsch (um 1750): Hier findet der Kampf der Geschlechter in seiner Reinform statt: Judit hat Holofernes gerade getötet. Sie kniet auf ihm. Ihre Hand hält seinen Kopf, den sie mit 34 35

Bettina UPPENKAMP, Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barock (Berlin: Reimer, 2004), 185. EBD., 252.

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einem gedankenvollen, aber provokanten Blick und einem Lächeln auf den Lippen betrachtet. Ihre linke Hand hält sein Schwert, das genau auf seinen Genitalien liegt. Der Betrachter sieht ihren Rücken, sie ist mit einem weit ausgeschnittenen Gewand bekleidet, das ziemlich unordentlich wirkt. Wenn das Blut und der abgeschnittene Kopf nicht wären, würde die ganze Szene eher den Eindruck einer sexuellen Begegnung als eines Kampfes auf Leben und Tod erwecken. Hier finden sich ein Mann und eine Frau in einem erbitterten erotischen Geschlechterkampf. Die Bilder haben eines gemeinsam: Der Kontext der Tat, also die Bedrohung, die Belagerung, die Kriegsgefahren und darüber hinaus die Herausforderung des sich als Gegengott aufspielenden Nebukadnezzar wird auf den Kampf zwischen Frau und Mann reduziert, auf einen Kampf, den die Frau gewinnt. Doch indem sie das tut, wird sie nicht mehr bewundert oder wenigstens geschätzt, sondern gefürchtet und gelegentlich verachtet. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es in manchen Bildern umstritten ist, ob sie Judit und Holofernes darstellen oder Salome und Johannes den Täufer. Die Frau, die den mächtigen Feind zum Wohl ihres Volkes tötet, rangiert auf derselben Ebene wie die Frau, die einen machtlosen Gefangenen umbringen lässt, nur weil er die Lebensart ihrer Mutter anprangert. Die bloße Tatsache, dass diese zwei so unterschiedlichen Frauen verwechselt werden können, zeigt, wie skandalös eine tötende Frau vielerorts angesehen war und ist. 4.2 Judit als nur scheinbar verwerflich In Predigten wurden solche ambivalenten Züge Judits nur selten problematisiert. Im Gegenteil: Man wusste um solche Bedenken Judit gegenüber und versuchte diese als unangemessen zurückzuweisen. Adrian Gretsch sah sich etwa veranlasst, in einer Predigt über das „vermessene Urteilen“ Judits Beweggründe für den Gang ins feindliche Lager gegen Verdächtigungen zu verteidigen: Judith, die schöne, junge, reiche Witwe zu Bethulien, begibt sich aus dem beängstigten Bethulien hinweg, sie kleidet sich in kostbaren Schmuck, in herrlichen Anzug, und von einer einzigen Magd ist sie begleitet, und begibt sich in das Lager der Assirier. Wolltet ihr nun urtheilen, Judith habe sich aus finstern, unedlen Absichten ins Lager begeben, so ist euer Urtheil vermessen, denn Judith, deren Gottseligkeit und Tugend der ganzen Stadt bekannt war, konnte die edelsten, schönsten Absichten gehabt haben, warum sie ins Lager gegangen war, wie sie sie auch wirklich hatte, indem sie den Feind des Volkes Gottes, den trunkenen Holofernes mit eigener Hand enthauptete.36

Noch deutlicher wurde Ignaz Wurz. Auch hier stand die Predigt im Zusammenhang mit dem „verwägenen Urteil“. Judit zu verdammen, wurde gleichgesetzt mit dem Fehlurteil des Pilatus, Jesus zum Tode zu verurteilen (!):

36

GRETSCH, Nachlaß, V, 181.

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Gehet, verdammet die Judith; der Schein ist ganz wider sie. Wie ist sie mit allen ihren Kostbarkeiten ausgezieret, so wollüstig gekleidet, so buhlerisch geschminket! Scheint sie nicht alle Reize ihrer Schönheit auszukramen, um in einem Lager voll geiler und muthwilliger Soldaten Eroberungen zu machen, und ihre Ehre und ihre Tugend zu Grund zu richten? Unterdessen ist sie die tugendhafteste, die keuscheste Witwe, welcher Gott eben darum einen so herrlichen Sieg verleihet, weil sie die Keuschheit geliebt hat, und der Hohepriester sowohl wegen ihrer vortrefflichen Tugenden, als wegen der überwundenen Feinde ein Angedenken und einen Ruhm bis an das Ende der Zeiten versichert.37

4.3 Frauen als Ausbund von List und Tücke Auch im Theater und im Oratorium überwog der Blick auf Judits positive Aspekte. Dennoch finden sich dort hin und wieder und oftmals unvermittelt einzelne Aussagen, die Judit kritisch betrachten. Interessanterweise sind das dann Aussagen, die sich auf die Frau im Allgemeinen beziehen. Judit ist nur so lange Heldin, als sie nicht Frau an sich ist. In Draghis Oratorium „Giuditta“ (1668/1669) stehen die heftigen Vorwürfe der Magd am Verhalten Judits im Vordergrund. Judit erhält zwar durch ihre siegreiche Tat letztendlich Recht. Die Vorwürfe werden aber nur teilweise direkt entkräftet und bleiben somit gewissermaßen im Raum stehen. Als die Magd etwa sieht, wie Judit Holofernes umschmeichelt, verurteilt sie das mit scharfen Worten: Um also die Heimat zu retten, muss man das Herz der Gottlosigkeit opfern? Nein, nein, soll Holofernes siegen, aber er soll über die Brust, nicht über die Ehre triumphieren.38

Im Jesuitendrama „Fiducia in Deum sive Bethulia liberata“ von Nicolaus Avancinus ist es eine nichtbiblische Figur, die Judits Verhalten anprangert: Rison, eine Art Hofnarr in der Funktion eines Beraters des Holofernes. Interessant dabei ist, dass sich die (berechtigten) Warnungen vor Judits List immer im Rahmen allgemeiner, generalisierender Aussagen über die Frau an sich bewegen. Nicht die spezifische Frau, Judit, wird als gefährlich und todbringend beurteilt, sondern jede Frau, die Frau ganz allgemein. Rison möchte Judit nicht ins Zelt des Holofernes vorlassen. Als Bagoas ihm deshalb Furcht vor einer unbewaffneten Frau vorwirft, antwortet er: „Vor weiblichen Täuschungen und Betrügereien hütet man sich nie zu sehr.“39 Als Holofernes enthauptet aufgefunden wird, bekennt sich Bagoas vor Rison als dafür verantwortlich, denn: „was das größte Verbrechen ist: ich glaubte einer Frau.“40 37 38

39 40

Ignaz WURZ, Sämmtliche Predigten, Bd. 3 (Wien: Kurzbeck, 1784), 379. „Dunque al saluar la patria / deue si offrire all’ impietade il core? / Nó, nó, uinca Oloferne, / Mà trionfi del sen non dell’onore“ (Antonio DRAGHI, Oratorio di Giuditta: Opus in duas partes divisum, et anno 1660–1697, Part. Ch. XVII.3 (handschriftliche Partitur; ÖNB: Mus. Hs. 16.274), VV. 346–349; vgl. BIRNBAUM, Juditbuch, 322). „Dolos fraudesqe nimium nemo foemineas cavet.“ (4. Akt, 1. Szene; 426). „quod maximum scelus es, mulieri credidi.“ (5. Akt, 7. Szene; 459f).

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Auch in Zachers Oratorium, das sich an Avancinus anlehnt, erkennt Rison von Anfang an die Gefährlichkeit Judits und vergleicht sie mit Delila. Das Vorhaben, sie zu Holofernes zu bringen, kommentiert er so: Das ist / man führe das Gifft in das Hertze. […] Ein einziger Funcken Macht offt große Flammen Nur wenig Gifft truncken / Tödt Wurtzel und Stammen.41

Bleiben solche pauschalisierenden Abwertungen der Frau an sich im Barock noch eingebettet in eine durchaus positive Gesamtbewertung von Judit, ändert sich das im 19. Jahrhundert grundlegend. In Friedrich Hebbels Drama „Judith“ (1840) ist Judit eine sexuell unbefriedigte Witwe, die Holofernes tötet, weil er ruhig schläft, nachdem er sie vergewaltigt hat. Ihre von anderen gepriesene Heldentat ist in Wahrheit die Rache einer verzweifelten, gedemütigten Frau. Die Oratorien und Predigten des 19. Jahrhunderts vernachlässigen Judit mehr und mehr, und sogar die Exegese vermeidet das Thema. Eine Frau, die einen Mann tötet, wird ungeachtet der Umstände und Beweggründe zu einer Gefahr für die Menschheit und zu einem unnatürlichen, unheimlichen Wesen.

5. Zusammenfassung Judit ist im österreichischen Barock ein äußerst beliebtes Thema in Kunst und Predigt. Während sich die katholische Exegese an historischen und sittlichen Fragen apologetisch abarbeitet und nach und nach das Interesse am Juditbuch verliert, erfreut es sich in der Kunst und der Predigt ungebrochener Beliebtheit. Im Großen und Ganzen überwiegt die positive Darstellung Judits. Sie ist siegreiche Heroine, tugendhafte Heldin und Vorbild in Gebet, Gottvertrauen und Keuschheit. Im Laufe des 18. Jahrhunderts lässt sich eine Verschiebung feststellen: Statt der kriegerischen Tugenden, wie Tapferkeit oder Stärke, werden Vorzüge wie Gebet, Enthaltsamkeit und Zurückgezogenheit stärker in den Vordergrund gerückt. Gewalt scheint langsam problematisch zu werden. Negative oder ambivalente Darstellungen der Juditfigur finden sich vor allem in der Bildenden Kunst, seltener in der dramatischen Kunst. Dort sind es meist unvermittelt auftretende Äußerungen im ansonsten positiven Kontext. Die unterschiedlichen Darstellungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Bewertung der Gewalt in Judits Tat. Dabei lassen sich folgende drei Sichtweisen unterscheiden: (1) Wenn die Epoche des Barock auf Judit im Kontext des Kampfes zwischen Gut und Böse blickt, wird Judits Tat hochgeschätzt. Ob sie sie als typus Mariae oder als personifizierte Keuschheit betrachten: Niemand nimmt Anstoß daran, dass sie Holofernes tötet. Ihr Betrug und ihr ambivalentes Verhalten müssen nicht verborgen werden; ihre negativen Züge können die Größe ihrer Tat nicht zunichtemachen. 41

Dritte Abhandlung.

Das Juditbuch im österreichischen Barock

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(2) Wenn Judit im Kontext einer aktuellen, konkreten Bedrohung gesehen wird (ob es sich nun um einen militärischen Angriff oder eine Epidemie handelte), wird sie als Vorbild betrachtet, das tugendhaft einen Weg durch die Gefahr weist. Ihr beispielgebendes Verhalten kann nachgeahmt werden. Ihre weniger idealen Züge werden nicht thematisiert. Ihre Tat ist nicht an sich positiv wie im ersten Verständnis, aber notwendig und wichtig. (3) Wenn Judit nicht mehr im Kontext von Gefahr steht, ändert sich die Wahrnehmung radikal: Judit selbst wird zur Gefahr. Sie gerät zur Bedrohung für die Menschheit (Mannheit), zu einer zweifelhaften, verführerischen Schönheit, die die Geschlechterrollen überschreitet und Männer ins Verderben stürzt. Dieser Zugang ist im Zeitalter des Barock zu beobachten, gewinnt aber noch einmal größeren Einfluss am Ende des 19. Jahrhunderts. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann die feministische Exegese diese Sichtweise radikal zu hinterfragen. Dennoch sagen weite Kreise der heutigen Rezipientinnen und Rezipienten Judit „etwas Böses nach“, ungeachtet der biblischen Aussage in Jdt 8,8: „Niemand konnte ihr etwas Böses nachsagen.“ Statt in den Menschen Bewunderung für ihre Rettungstat zu wecken, scheint Judit eher das Bedürfnis zu wecken, sich vor ihr zu retten. Der Wegfall des Kontexts von tödlicher militärischer und religiöser Bedrohung macht aus Judit selbst eine tödliche Bedrohung. Und diese Perspektive wird im Zeitalter des Barock greifbar, in Österreich und vermutlich auch anderswo.

Biblische Frauengestalten in den Oratorien, Dialogen und Lamenti des 17. Jahrhunderts Linda Maria Koldau Akademie an der Steilküste, Schwedeneck Um 1600 vollzog sich ein grundlegender Wandel im Verständnis der Musik und der Art zu komponieren. Claudio Monteverdis Manifest einer „Seconda prattica“, einer „anderen“, „zweiten“ Art als in der strikten Befolgung der kanonisierten Kontrapunktregeln zu komponieren, wird häufig als Ausgangspunkt einer musikalischen Revolution angesehen. Freilich war Monteverdis Anliegen nicht das eines Revolutionärs, sondern das eines Reformers, der bewährte Strukturen beibehalten, innerhalb dieses Rahmens aber Neues etablieren wollte, und zwar zugunsten einer Musik, die stärker als je zuvor auf den Text und die darin ausgedrückten menschlichen Gefühle – affetti – eingeht.1 Das Ergebnis scheint aus der Retrospektive allerdings revolutionär. Denn mit dem neuen Verständnis einer Musik, in der der Text und die Affekte den Kontrapunktregeln gegebenenfalls übergeordnet sind, und mit einem neuen Herangehen an Tonsatz und musikalische Struktur vollzog sich innerhalb weniger Jahrzehnte ein so grundlegender Wandel der Komposition und des Musiklebens in Europa, dass die polyphone Kompositionsweise des 16. Jahrhunderts fast gänzlich verschwand. Im Verhältnis zum Zuhörer und dessen Wahrnehmung von Musik spielt die neue Ästhetik des „muovere“ eine entscheidende Rolle: Die Musik sollte den Zuhörer nunmehr unmittelbar bewegen, sie sollte menschliche Schicksale – etwa die antiker Helden und Prinzessinnen oder auch biblischer Figuren – ergreifend vermitteln und die Zuhörer gar bis zu Tränen rühren.2 Mit diesem kompositorischen Wandel entstanden neue Gattungen, allen voran die Oper: ein abendfüllendes Drama, das gemäß der ursprünglichen Bezeichnung „Favola in musica“ in Musik dargestellt wird, und Schicksale von Menschen und Göttern auf die Bühne bringt. Die ersten Opern entstanden um 1600. Innerhalb von vier Jahrzehnten entwickelte sich die Oper zur vornehmsten Gattung in Europa, die zunächst an Fürstenhöfen – mit eigenen Opernhäusern – etabliert, ab 1637 aber auch in kommerziellen Opernhäusern einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Weniger auffällig, aber zeitgleich und in manchen Fällen sogar ein wenig früher, entwickelte sich das geistliche Gegenstück der Oper, das Oratorium.3 Genauso wie die Oper, die anfangs 1

2

3

Vgl. Ulrich SIEGELE, „Cruda Amarilli, oder: Wie ist Monteverdis ‚seconda prattica‘ satztechnisch zu verstehen?“, in Claudio Monteverdi. Vom Madrigal zur Monodie (hg. v. Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn; Musik-Konzepte 83/84; München: edition text+kritik, 1994), 31– 102; Massimo OSSI, Divining the Oracle: Monteverdi’s Seconda Prattica (Chicago/London: The University of Chicago Press, 2003). Dass das Opernpublikum des 17. Jahrhunderts bei einer Aufführung Tränen vergoss, ist für Monteverdis Lamento d’Arianna, eines der berühmtesten Stücke des 17. Jahrhunderts, belegt [vgl. den Bericht von Federico Follino über die Feierlichkeiten am Hof zu Mantua im Jahr 1608, zitiert bei Paolo FABBRI, Monteverdi (Turin: EDT, 1985), 133]. Vgl. Howard E. Smither, A History of the Oratorio. Bd.1: The Oratorio in the Baroque Era

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ebenfalls eine lose Form war, bildete das Oratorium rasch musikalische Konventionen aus: Die biblische Geschichte oder christliche Legende wird in einem Wechsel von erzählenden Rezitativen und reflektierenden Arien dargestellt; hinzu kommen Chöre und Instrumentalstücke. Im Gegensatz zur Oper aber bietet das Oratorium keine szenische Handlung. An Fürstenhöfen bot es die Möglichkeit der musikalischen Unterhaltung in der Fastenzeit, in der Opernaufführungen nicht zulässig waren. In den Versammlungsund Gebetshäusern von Bruderschaften, dem eigentlichen Entstehungsort der Gattung (oratorio = Gebetshaus), wurden sie als Mittel musikalischer Andacht und frommer Unterhaltung das ganze Jahr über aufgeführt. Auch in protestantischen Regionen setzte sich die neue geistliche Gattung rasch durch. Georg Friedrich Händel schließlich führte Oratorien auch in Theatern auf, was zunächst Protest von kirchlicher Seite hervorrief, doch weder den Musikunternehmer Händel noch das Publikum davon abhielt, sich auf diese Weise mit biblischen Geschichten unterhalten zu lassen.4

1. Die Bedeutung des Oratoriums für die musikalische Darstellung biblischer Frauengestalten Hinsichtlich der Darstellung von biblischen Frauengestalten in Literatur und Musik bedeutete das Oratorium einen Durchbruch. Bis zum 17. Jahrhundert gibt es nur wenige Fälle von musikalischen Werken, in denen biblische Frauen vorkommen oder selbst eine Stimme erhalten. Lediglich Maria, die Mutter Jesu, ist seit dem Mittelalter in geistlichen Liedern, Motetten und Mysterienspielen reich vertreten gewesen. Mit der Entstehung des Oratoriums wurde aber nunmehr ein breites Spektrum an biblischen Geschichten und christlichen Legenden in Musik gesetzt, in denen Frauen eine Rolle spielen oder sogar Titelheldinnen sind. Diese neue Vielfalt der Themen ging Hand in Hand mit der Entwicklung der Aufführungspraxis: Seit dem späten 16. Jahrhundert traten Frauen zunehmend als virtuose Sängerinnen hervor. In der Oper übernahmen sie bald nach 1600 wichtige Rollen. Auch im Oratorium waren Frauenstimmen rasch unverzichtbar (freilich wurden die Sopran- und Altpartien hier oft auch von Knaben oder Kastraten ausgeführt). Ein musikalisches Drama, ob szenisch als Oper oder episch als Oratorium umgesetzt, war ohne die brillanten Sopranstimmen nicht mehr denkbar. Die musikalische Darstellung von biblischen Frauen wurde somit in mehrfacher Hinsicht attraktiv. Sie legte jedoch auch das Bild, das man sich von den biblischen Persönlichkeiten machte, mit literarisch-musikalischen Mitteln fest. Durch die häufige Vertonung der gleichen Geschichten entstanden rasch Konventionen, wie diese Frauen in Text und Musik charakterisiert wurden. In Oratorien über Kain und Abel wird die Mutter Eva

4

(Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 1977); Günther Massenkeil, Oratorium und Passion (2 Bde.; Laaber: Laaber, 1998/99); Eyolf Østrem und Nils Holger Petersen, The Devotional Practice of Lauda Singing in Late-Renaissance Italy (Turnhout: Brepols, 2008). Vgl. Ruth SMITH, Handel’s Oratorios and Eighteenth-Century Thought (Cambridge: Cambridge University Press, 2005).

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von den Librettisten in der Regel als sanft und hilflos dargestellt. Für die beiden streitenden Frauen bei Salomons Urteil wird der Kontrast zwischen sanftmütig und aggressiv ausgenutzt.5 Jephtahs Tochter dagegen besitzt, ihrer biblischen Darstellung gemäß, eine innere Stärke, die sie als edlen Charakter von der Statur einer tragischen antiken Prinzessin erscheinen lässt.6 Diese Charakterisierungen werden durch die Musik verstärkt und den Zuhörern – gemäß der Ästhetik des „muovere“ – in Form von affektiven Rezitativen und Arien emotional vermittelt. Die neue, affektorientierte Kompositionsweise prägte musikalische „Codes“ für die Darstellung bestimmter Affekte aus, mit typischen musikalischen Figuren für Zorn, Sanftheit, Trauer, Niedergeschlagenheit und andere Affektzustände. Die Verwendung dieser Figuren in den Arien der biblischen Frauengestalten legte ihre literarisch begründete Charakterisierung somit auch musikalisch fest. Die Mehrzahl der Oratorien setzte Begebenheiten aus dem Alten Testament in Dichtung und Musik um. Es kommen jedoch auch Episoden aus dem Neuen Testament vor, etwa der Tod Johannes des Täufers mit Herodias und Salome als Frauengestalten.7 Maria, die Mutter Jesu, erscheint im Wesentlichen in Passionsvertonungen, die auf einer weitaus älteren, liturgischen Tradition aufbauen.8 Auch in den geistlichen Dialogen und Klagegesängen (lamenti) des 17. Jahrhunderts spielt die Gottesmutter vielfach eine tragende Rolle.9 In vielen Oratorien des 17. Jahrhunderts nehmen die biblischen Frauengestalten meist nur untergeordnete Positionen ein. Nur selten, wie etwa bei Alessandro Scarlattis La Giuditta (1693), handelt das gesamte Oratorium von einer Frau nach Vorlage der Heiligen Schrift.10 Freilich gibt es auch eine beträchtliche Anzahl an Oratorien, die dem Titel nach zwar von einem männlichen Helden handeln, einzelnen Frauengestalten jedoch eine wichtige Rolle als Gegenspielerinnen oder Gefährtinnen des Helden einräumen. Erst im 18. Jahrhundert aber, allen voran bei Händel, wurden Frauen zunehmend die Titelheldinnen von Oratorien. Hier werden mit Vorliebe biblische Episoden und Bücher umgesetzt, die schon länger die Aufmerksamkeit von Künstlern und Dichtern erregt hatten, etwa Susanna, Judith oder die Tochter des Jephta. 5 6 7 8 9

10

Vgl. z.B. Alessandro SCARLATTI, Il primo omicidio overo Cain (1707); Giacomo CARISSIMI, Judicium Salomonis (vor 1669). Vgl. MASSENKEIL, Oratorium und Passion, 9ff. Vgl. EBD., 10ff. Vgl. EBD. Vgl. Frits NOSKE, Saints and Sinners. The Latin Musical Dialogue in the Seventeenth Century (Oxford: Oxford University Press, 1992), darin besonders die Kapitel „Italy: Dialogues Based on the New Testament“ und „Italy: Non-Scriptural Dialogues“. Claire Fontijn bezieht die besondere Vorliebe der Komponisten für Maria einerseits auf die intensivierte Marienverehrung in Italien, andererseits auf die zunehmende Beliebtheit der solistischen Sopranstimme im frühen Seicento (Claire FONTIJN, „The Virgin’s Voice: Representations of Mary in SeventeenthCentury Italian Song“, in Maternal Measures: Figuring Caregiving in the Early Modern Period (hg. v. Naomi J. Miller und Naomi Yavneh; Aldershot/Burlington: Ashgate, 2000), 135– 162). Judith war als Oratorienheldin beliebt; es existieren entsprechende Werke von Marc-Antoine Charpentier, Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel.

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2. Biblische Frauengestalten in Dialogen und Klagegesängen des 17. Jahrhunderts Parallel zum Oratorium, bisweilen auch als Alternative, entwickelte sich im frühen 17. Jahrhundert die Gattung des geistlichen Dialogs. Im gleichen affektiven Solostil wie in Oper und Oratorium wird hier eine rhetorische und affektive Auseinandersetzung zwischen zwei Personen bzw. allegorischen Gestalten in Musik umgesetzt. Tatsächlich ist der Dialog die bevorzugte literarische Gattung in der geistlichen Literatur des Seicento. Unzählige Beispiele finden sich in den Schriften italienischer, französischer und spanischer Mystiker. Besonders beliebt ist der Dialog zwischen der gläubigen Seele mit Gott (oder Jesus): Im Gespräch mit ihrem Schöpfer durchläuft die Seele einen Prozess der Selbstfindung und gelangt schließlich zur mystischen Vereinigung mit Gott.11 Im komponierten Dialog gehen Spiritualität und ihre musikalische Umsetzung eine innige Verbindung ein. Das einigende Band ist dabei häufig das Hohelied, dessen vielfach dialogische Struktur dazu genutzt wurde, einzelne Passagen des lateinischen Bibeltextes in musikalische Dialoge von hoher affektiver Intensität umzusetzen.12 2.1 Maria Magdalena Durch Einsatz mehrerer Dialogpartner und durch einen musikalisch-literarischen Rahmen kann der Dialog auch den Charakter einer kleinen quasi-dramatischen Szene erhalten. Diese Mittel hat etwa die benediktinische Komponistin Chiara Margarita Cozzolani für ihren Osterdialog Dialogo fra la Maddalena e gli Angeli nella Resurrezione (1650) gewählt. Das im Johannesevangelium wiedergegebene Gespräch zwischen Maria Magdalena und den zwei Engeln am Grab wird durch eine Einleitung (eine knappe Szenenbeschreibung durch den testo, d.h. den Erzähler) und einen abschließenden Chor gerahmt. Dieser äußeren Anlage einer Miniatur-Szene entspricht die innere Dramatik der Komposition: Die Klage der Magdalena um ihren verschwundenen Geliebten wird dadurch gesteigert, dass Magdalenas Antworten auf die Fragen der Engel immer länger und komplexer werden. Bezeichnenderweise wird der Affekt ihrer Worte durch die Einbindung von Hohelied-Zitaten gesteigert. Hier werden die Worte der Liebenden zitiert, 11

12

Vgl. Michel de CERTEAU, La fable mystique (Paris: Gallimard, 1982), 216–225. Diese mystische Form der Dialogdichtung geht vielfach auf mittelalterliche Traditionen zurück, etwa das Gespräch der Seele mit Christus am Kreuz oder mit dem Kreuz selbst. Vgl. NOSKE, Saints and Sinners; Robert L. KENDRICK, „The traditions of Milanese convent music and the sacred dialogues of Chiara Margarita Cozzolani“, in The crannied wall: Women, religion, and the arts in early modern Europe (hg. v. Craig A. Monson, Ann Arbor: University of Michigan Press, 1992), 211–233; DERS., „‘Sonet vox tua in auribus meis’: Song of Songs Exegesis and the Seventeenth-Century Motet“, Schütz-Jahrbuch 16 (1994): 99–118; Linda Maria KOLDAU, „Das Hohelied von Frauen gelesen, von Frauen vertont: Werke von Chiara Margarita Cozzolani und Violeta Dinescu“, in Das Hohelied – Liebeslyrik als Kultur(en) erschließendes Medium? (hg. v. Ute Jung-Kaiser; Frankfurt am Main: Peter Lang, 2007), 233–260.

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die auf der verzweifelten Suche nach ihrem Geliebten ist und sich vor Liebe nach ihm verzehrt. Den kompositorischen Konventionen ihrer Zeit gemäß reagiert Cozzolani in der Vertonung dieser Bibelverse auf charakteristische Schlüsselwörter, die in der concertato-Musik des 17. Jahrhunderts als Auslöser für bestimmte musikalische Prozesse dienen.13 So wechselt Magdalena beim Wort „dilectus“, das zu einer pastoral-lieblichen Beschreibung des Geliebten führt („candidus et rubicundus“), in den tänzerischen Dreiertakt, der in den Kompositionen als musikalischer „Code“ für den Affekt der Freude benutzt wird. Der eigentliche affektive Höhepunkt des Dialogs aber erfolgt an dem Punkt, an dem der „dilectus“ des Hoheliedes erstmals in direkte Verbindung mit dem gekreuzigten Christus gebracht wird. Hier wechselt Maria Magdalena von der deskriptiven dritten Person zur direkten Anrede ihres Geliebten. Chiara Margarita Cozzolani setzt nicht nur harmonische und melodische Mittel ein, um die Intensität von Maria Magdalenas Aussage „amore tuo langueo“ auszudeuten, sondern betont auch den geradezu schmachtenden Charakter dieser Phrase durch die Einfügung der Anweisung „Adagio“ zusätzlich (in der Musik des 17. Jahrhunderts ist dies eher eine Affektanweisung denn eine Tempoangabe). Textlich erlaubt sich die Komponistin hier eine affektive Freiheit (vorausgesetzt, dass die Textkompilation von Cozzolani selbst stammt): Die Phrase „amore tuo morior“, „ich sterbe vor Liebe zu dir“, tritt im Hohelied nicht auf – in der Motette erscheint das „morior“ dagegen als zusätzliche Steigerung der emotionalen Intensität, als Zielpunkt des Dahinschmachtens vor unerfüllter Liebe. Der Rest der Motette ist österlicher Jubel. Bezeichnenderweise kommt hier das Hohelied nicht mehr vor: Es dient als Grundlage für Maria Magdalenas Ausdruck intensiver Liebe, die durch den Verlust des Geliebten gesteigert wird und in bitteren Kummer umschlägt. Im abschließenden „Surrexit“ hat die Liebesdichtung des Hohelieds dagegen keine Funktion mehr. Hier geht es nicht um die Erfüllung einer individuellen Liebe, sondern um die österliche Freudenbotschaft, die zum gemeinschaftlichen Jubel führt. Maria Magdalena tritt daher im letzten Teil des Dialogs nicht mehr auf. Dieser wird vielmehr allein von den Engeln und dem abschließenden Tutti gestaltet. 2.2 Maria, die Mutter Jesu In vielen monologischen Gesängen des 17. Jahrhunderts erscheint die Gottesmutter Maria als dramatische Person. An erster Stelle stehen hier die Klagegesänge der Maria unter dem Kreuz, die als planctus Mariae einer mittelalterlichen Tradition entstammen. Nun aber nutzen die Dichter und Komponisten das gesamte affektive Spektrum, das ihnen im frühen 17. Jahrhundert zur Verfügung steht: virtuose Rhetorik, affektive Figuren und im

13

Jeffrey KURTZMAN, „A Taxonomic and Affective Analysis of Monteverdi’s Hor che’l ciel e la terra“, Music Analysis 12 (1993): 169–195; Tim CARTER, „Resemblance and Representation: Towards a New Aesthetic in the Music of Monteverdi“, in Con che soavità. Studies in Italian Opera, Song, and Dance, 1580–1740 (hg. v. Iain Fenlon und Tim Carter; Oxford: Clarendon Press, 1995), 118–134.

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monodischen Gesang immer wieder die grundlegende Spannung zwischen der Solostimme und dem stützenden Bassinstrument. Auf diese Weise wird die alte Tradition der Marienklage in die moderne, affektorientierte Kompositionsweise des Frühbarocks übertragen. Bezeichnenderweise existiert von dem berühmtesten Stück des 17. Jahrhunderts, Claudio Monteverdis Lamento d’Arianna (1608), eine Kontrafaktur, d.h. eine geistliche Umdichtung, die den Klagegesang der thebanischen Prinzessin zur bitteren Klage der Maria unterm Kreuz macht.14 Die Kontrafaktur des berühmten Opernlamento zeigt in eindringlicher Weise, dass das gesamte Bezugssystem durch die lateinische Umdichtung wechseln und eine tiefere, theologisch-heilsgeschichtliche Dimension annehmen kann.15 Wie tief der Lamento d’Arianna und die Kontrafaktur Pianto della Madonna miteinander verbunden sind, zeigt sich zunächst auf der textlichen Ebene: Wo es die Übertragung vom weltlichen in den geistlichen Kontext erlaubt, hat der Textdichter die italienische Vorlage fast wörtlich übersetzt. Die getreue inhaltliche Übertragung setzt sich auf der klanglichen und strukturellen Ebene fort: Durch die enge Orientierung am Original bleibt die Gesamtstruktur des Lamento mit ihrer Binnengliederung durch wiederkehrende Verse, rhetorische Fragen und Exklamationen erhalten, gleichzeitig finden sich auffällig klangliche Übereinstimmungen zwischen den Wörtern im italienischen Original und der lateinischen Umdichtung. Trotz dieser Übereinstimmungen ist die Kontrafaktur ein eigenständiges Werk, da die Spiritualisierung nicht einfach auf der Ebene der Textoberfläche verharrt, sondern die dichterische Gattung, die Person, den Charakter und die Situation der Sprecherin entscheidend wandelt (Tab. 1). Die daraus resultierenden, neuen Affekte wirken sich auf die Komposition als Ganzes aus, sodass die Kontrafaktur keineswegs nur als „zweiter Aufguss“ des Opernlamento erscheint, sondern als unabhängiges Werk mit eigenem Ausdrucksgehalt.

14

15

Von Monteverdis berühmten Lamento existieren außerdem zwei italienische MagdalenenKontrafakturen, jeweils ein Lamento della Maddalena in einer römischen und in einer neapolitanischen Handschrift, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts zu datieren sind. Vgl. Lorenzo BIANCONI, Il Seicento (Turin: EDT, 1991), 226. Die Handschriften befinden sich heute in Bologna: Lamento della Madalena (anon.), I-Bc Q.43, fol. 80r–84v, und Lamento della Maddalena, sopra quel d’Ariadna, I-Bu 646.VI, fol. 42v–47r. Der Text und ein Faksimile-Abdruck des Lamento della Maddalena (I-Bc Q43) finden sich in: Linda Maria KOLDAU, Die venezianische Kirchenmusik von Claudio Monteverdi (Kassel u.a.: Bärenreiter, 22005), 501– 508. Claudio Monteverdi veröffentlichte den Pianto della Madonna sopra al Lamento del’Arianna, gewissermaßen als das krönende Schlußstück seiner Kirchenmusiksammlung Selva morale e spirituale. Wann diese Kontrafaktur entstand und von wem der lateinische Text stammt, lässt sich nicht belegen. Dass Monteverdi selbst der Autor der äußerst subtilen lateinischen Umdichtung war, ist durchaus vorstellbar. Aber auch Aquilino Coppini käme in Frage, da seine drei Bände mit Kontrafakturen von Monteverdis Madrigalen nicht nur im Mailänder Raum kursierten, sondern auch andernorts von Komponisten – einschließlich Monteverdi – für die einfühlsame lateinische Umdichtung sehr gelobt wurden.

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Tabelle 1 Aspekt des Wandels

Lamento d’Arianna

Pianto della Madonna

Gattung

Opernrezitativ

Kreuzesmeditation (colloquium)

Sprecherin Charakterisierung um 1600

antike Prinzessin königlicher Stolz, hohe Leidenschaften

Jungfrau Maria Gottesmutter: Sanftmut, Demut, Fürsorge

Affekte

Liebe: eros Zorn, Empörung verletzte Eitelkeit Verzweiflung: über ihr Schicksal

Liebe: caritas, agape, eros Schrecken Fassungslosigkeit Verzweiflung: über ihren Sohn und ihr eigenes Schicksal

Concetti

Teseos Flucht: Eigennutz, Grausamkeit

Jesu Tod (= „Verlassen“): uneigennützige Aufopferung, Kampf und Überwinden Tod: Teilhabe an Leid (→ und Leben!) Zweifel, Auflehnung und Todeswunsch

Tod: aus individueller Verzweiflung Vorwurf und Fluch gegen Teseo

Ausdrucksgehalt

dramatischer Lamento → „muovere alla compassione“

reflexiver Klagegesang → „muovere alla devozione“; christliche Heilslehre

Der Wandel des Bezugssystems zeichnet sich auf mehreren Ebenen ab. Die lateinische Neutextierung bewirkt eine Übertragung in den Bereich der geistlichen Literatur mit ihren eigenen Gattungstraditionen und Ausdrucksmitteln. So wird aus Rinuccinis rezitativischer Dichtung ein Colloquium, wie Ignatius von Loyola es in seinen Exerzitien empfahl. Als Hauptperson in Rinuccinis Tragödie Arianna ist die antike Prinzessin von Theben der aristotelischen Ständeklausel gemäß mit allen Eigenschaften einer königlichen Persönlichkeit ausgestattet: Hoheit und Würde, Ehrbewusstsein und edle Leidenschaften genauso wie tiefe Liebe und gerechter Zorn. Die Jungfrau Maria hingegen, die sich von ihrem höchsten Status her zwar ebenfalls durch solche Eigenschaften auszeichnen könnte, bleibt in der geistlichen Literatur des Seicento die sanfte Mutter und Fürsprecherin der Hilfebedürftigen, als die sie bereits in der mittelalterlichen Marienminne auftritt. Die Mariengebete und Motettentexte des 17. Jahrhunderts konzentrieren sich ganz auf die dulcedo und die misericordia der demütigen Himmelskönigin.16 Analog zum Gattungswechsel bedingt der Personenwechsel im Pianto della Madonna darum trotz der

16

Marias Ausbruch der Verzweiflung – der im Pianto della Madonna auf dem entsprechenden

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engen textlichen Übereinstimmungen einen einschneidenden Wandel der Affekte (vgl. Tab. 1). Eine Aufführung muss trotz des nahezu identischen Notentextes auf diesen affektiven Wandel Rücksicht nehmen. Geistliche Kontrafakturen von weltlichen Werken des 17. Jahrhunderts wurden in der Forschung bislang stark vernachlässigt. Das Beispiel des Pianto della Madonna – wie auch weitere Kontrafakturen, bei denen Frauen wie Maria Magdalena im Mittelpunkt stehen – zeigt jedoch, welche wichtigen Einblicke dieses musikalische „Recycling“-Verfahren in Hinblick auf Frömmigkeit und Bibelrezeption im 17. Jahrhundert gewährt. Gerade der affektive Wandel bei gleichbleibendem Notentext wirft Licht darauf, wie Frauen der Bibel in Literatur und musikalischer Aufführung dargestellt und interpretiert wurden – im Gegensatz zu den Heldinnen der weltlichen Opernkultur.

3. Biblische Frauen in den Oratorien des 17. Jahrhunderts: Zwei Beispiele Die Oratorien des 17. Jahrhunderts gewähren selten eine so detaillierte Möglichkeit der Personencharakterisierung wie die solistischen Klagegesänge, die sich auf eine einzige Person und ihre wechselnden Affekte konzentrieren und dabei die zahlreichen Möglichkeiten musikalischen Affektausdrucks bis ins feinste Detail nutzen. Im Oratorium stehen die Frauengestalten in einem komplexen dramatischen Wechselspiel mit anderen Protagonisten. Eine so tiefgehende, komplexe Ausleuchtung wie in den umfassenden Sologesängen ist kaum möglich. Dennoch ermöglicht der affektive Kompositionsstil es auch in den Oratorien, die Charakterzüge der biblischen Frauenfiguren deutlich auszuprägen. Bezeichnend ist etwa die dichterisch-musikalische Frauendarstellung in den Oratorien Historia di Jephte von Giacomo Carissimi (um 1650) und San Giovanni Battista von Alessandro Stradella (1675). 3.1 Die Tochter Jiftachs Das Libretto der Historia di Jephte (anonymer Textdichter) lehnt sich, abgesehen von einigen Erweiterungen, eng an den Bibeltext der Vulgata an.17 Die Tochter des Jiftach – im Gegensatz zum späteren Oratorium von Georg Friedrich Händel, in dem sie als „Fi-

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Ausbruch Ariannas beruht – ist vom Textdichter als untypische Gefühlsaufwallung gekennzeichnet, die Maria durch das betroffene „Quid loquor?“ sofort zurücknimmt. Diese Rücknahme eines „unziemlichen“ Ausbruchs ist allerdings nicht nur für das zeitgenössische Bild der Gottesmutter charakteristisch, sondern ganz allgemein für den konventionellen weiblichen Verhaltenskodex der Zeit (Suzanne G. CUSICK, „There was not one lady who failed to shed a tear‘: Arianna’s lament and the construction of modern womanhood“, Early Music 22 (1994): 21–41; Tim CARTER, „Lamenting Ariadne?“, Early Music 27 (1999): 395–405). Dies ist typisch in den lateinischen Oratorien von Giacomo Carissimi; umfassend dazu: SMITHER, A History of the Oratorio, 225–229. Eine detaillierte musikalische Analyse der Historia di Jephte findet sich EBD., 241–246.

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lia“ ohne Namen bleibt – ist zurückhaltend geschildert. Sie erscheint primär als würdevolle Gestalt, die sich zum Heil Israels in ihr Schicksal fügt. Nach dem Gattungsverständnis des 17. Jahrhunderts wird sie durch den ausführlichen solistischen Klagegesang zusätzlich geadelt, der in den Opern und der Kammermusik dieser Epoche Personen von hohem Rang vorbehalten ist. Gerade dieser Klagegesang aber macht das anonyme biblische Mädchen zum gefühlsstarken Menschen. Das charakterliche Spektrum der Tochter Jiftachs ist freilich noch breiter gefasst: Musikalisch eingeführt wird sie als verspieltes, unschuldiges Mädchen, das seinen Vater mit einem ausgelassenen Tanzlied begrüßt (Incipite in tympanis et psallite in cymbalis). Dabei tritt sie, in Anlehnung an die im Alten Testament bezeugte Tradition, als Vorsängerin auf, die dem Chor mit der Handpauke (in tympanis) voranschreitet.18 Als ihr Vater sie, zutiefst bewegt, über die tragische Konsequenz ihrer freudigen Begrüßung aufklärt, nimmt sie ihr Schicksal in einem würdevollen Rezitativ an. Ihre wahre charakterliche Tiefe aber zeigt sich in dem Klagegesang Plorate colles, dolete montes, eine nicht-biblische Hinzudichtung zum Text der Vulgata. Plorate colles, dolete montes et in afflictione cordis mei ululate! (Echo: ululate!) Ecce moriar virgo et non potero morte mea meis filiis consolari, ingemiscite silvae, fontes et fulmina, in interitu virginis lachrimate! (Echo: lachrimate!) Heu me dolentem in laetitia populi, in victoria Israel et gloria patris mei, ego sine filiis virgo, ego filia unigenita moriar et non vivam. Exhorrescite rupes, obstupescite colles, valles et cavernae in sonitu horribili resonate! (Echo: resonate!) Plorate filii Israel, plorate virginitatem meam et Jephte filiam unigenitam in carmine dolore lamentamini. Chorus: Plorate filii Israel, plorate omnes virgines et Jephte filiam unigenitam in carmine dolore lamentamini.

Affektive Wörter wie „ululate“, „dolentem“ oder „horribili“ werden im rezitativischen Gesang hervorgehoben, einzelne Wörter und Phrasen in affektiver Steigerung wiederholt. Ein besonderer, der Oper entlehnter Effekt ist das Echo, das hier das universale Mit-Leiden mit dem Schicksal der klagenden Jungfrau versinnbildlicht. Die von der Tochter Jiftachs direkt angesprochene Natur antwortet ihr auf ihre Klage; freilich lässt sie nur die Worte der Todgeweihten nachhallen, einen wirklichen Trost gibt es nicht. Scharfe Dissonanzen drücken im Klagegesang die Verzweiflung des Mädchens aus, das „kinderlos als Jungfrau sterben“ muss („ego sine filiis virgo, ego filia unigenita moriar 18

Diese Tradition deutet sich freilich nur auf textlicher Ebene an; Carissimis Instrumentierung beschränkt sich ganz auf die Standardbesetzung Gesangsstimmen und Basso continuo.

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et non vivam“). Der abschließende Trauerchor Plorate filii Israel, plorate omnes virgines setzt die Aussage in Richter 11,40 um, dass die Jungfrauen Israels das Schicksal der Tochter Jiftachs beweinen. Eine enge affektive Verbindung des Gefolges zur todgeweihten Tochter Jiftachs wird durch ein „textliches Scharnier“ hergestellt: Der Chor übernimmt die abschließenden Worte der Jungfrau, mit dem gleichen Wechsel von einer Aufforderung an andere („plorate“) zu einer integrativen Selbstaufforderung („lamentamini“), die nicht zuletzt auch die Zuhörenden mit einbezieht (man beachte hier die Funktion des frühen Oratoriums als Werk zur Andacht in einem Gebetssaal). Aus dieser Übernahme entfaltet sich ein Trauerchor, der in seiner Schlichtheit berührt; er bildet das Schlusswort des gesamten Oratoriums. Mit relativ einfachen musikalischen Mitteln wird in Carissimis Oratorium somit aus einer anonymen biblischen Frauenfigur eine Oratoriengestalt, die sowohl das fröhliche junge Mädchen als auch die würdevolle tragische Heldin überzeugend verkörpert. Das abschließende „lamentamini“ verlängert die biblisch belegte Trauer der Töchter Israels bis hin in das Jetzt der versammelten Gemeinde im 17. Jahrhundert. 3.2 Herodias und ihre Tochter Der San Giovanni Battista von Alessandro Stradella ist ein ungewöhnlich reiches Werk, das im Gegensatz zu den meisten Oratorien des 17. Jahrhunderts in den folgenden Jahrhunderten nie in Vergessenheit geriet. Zur Zeit seiner Entstehung im Jahr 1675 sind die Standardformen für Oper und Oratorium – wie die Da-Capo-Arie oder die Orchesterbesetzung – noch nicht verbindlich etabliert, gleichwohl werden sie in vielen Werken bereits experimentell eingesetzt. Dadurch steht Stradella ein breites Spektrum an vokalinstrumentalen Gestaltungsmitteln zur Verfügung, ohne dass die Freiheit formaler und affektiver Gestaltung durch verfestigte Konventionen eingeschränkt ist. San Giovanni Battista schildert den Tod Johannes des Täufers, wie er im Markus- und im MatthäusEvangelium berichtet wird (Mk 6,14–29; Mt 14,1–12). Der italienische Text des Abbé Girardo Ansaldi bietet eine Grundlage für die Vielfalt der Affekte und Ausdrucksmittel, die Stradella in seiner Vertonung einsetzt: Nach dem einleitenden Beschluss Johannes des Täufers, sich an den Palast des Herodes zu begeben – die Arie Soffin pur rabbiosi fremiti bietet hier die Gelegenheit für die musikalische Darstellung von Sturm und menschlicher Widerstandskraft –, liegt der Fokus der „Prima Parte“ auf der Schwermut des Herodes und den hartnäckigen Versuchen seiner Frau Herodias und seines Beraters, diese Schwermut durch Tanz und Gesang zu vertreiben. Herodias erscheint textlich und musikalisch als starke Persönlichkeit, die den Launen des Königs mit Autorität entgegentritt. Ihre Anrufung der „tauben Parzen“ (Arie Sorte Dive) vermag es schließlich, den König aus seiner Apathie zu reißen.19 Damit aber wird der entscheidende Konflikt aus-

19

Die Anrufung der römischen Schicksalsgöttinnen ist vermutlich nicht primär als Hinweis darauf zu verstehen, dass Herodias Vielgötterei betrieben habe. Vielmehr gehören derartige Anrufungen zu den gängigen literarischen Topoi in den dramatischen Werken dieser Zeit, auch im christlichen Kontext des Oratoriums.

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gelöst, um den es im Oratorium geht: Johannes der Täufer, mittlerweile am Hof des Herodes, erhebt mahnend seine Stimme gegen die „privaten Sünden“ des Herodes. Dass es in der Mahnung des Johannes um die Ehe mit Herodias, der Frau von Herodes’ Bruder geht, wird nicht explizit erwähnt. Da sich Herodes jedoch in seinem ekstatischen Ausbruch als „Verliebter“ bezeichnet, ist der Kontext eindeutig. Herodias steht somit nicht nur als starke Frau da, sondern auch als Verführerin, die ihren Mann in „süßer Sklaverei“ („dolce servitù“) fest in der Hand hat. Die „Figlia“ – im Libretto wird sie auch „Herodiade la figlia“, nicht aber Salome genannt – schaltet sich geradezu vorwitzig in den Disput zwischen Herodes, dem Täufer und dem Berater des Königs ein. Herodes erweist sie Ehrfurcht, die diesen bezaubert – gleichzeitig setzt sie jedoch im Kontext des Hofes skrupellos ihre Interessen (und die ihrer Mutter) durch. Von nun an nimmt sie die Dinge in die Hand: Die „Prima Parte“ schließt mit einem Duett zwischen Herodes und der Figlia, die „Seconda Parte“ wird durchweg von der Tochter der Herodias beherrscht. Ansaldi und Stradella nutzen verschiedene dichterische und musikalische Topoi, um die Verführungskraft und das kalte Kalkül der Prinzessin zu verdeutlichen. In der Eingangsarie zur „Seconda Parte“, Vaghe Ninfe, präsentiert sie sich als unschuldiges Mädchen, das den Tanz liebt und vor Lebensfreude geradezu übersprudelt. Im Gespräch mit Herodes gibt sie sich zutiefst bescheiden – freilich drückt ihr Wunsch, dass der Herrscher ihr stets gewogen sein möge, auch ihr zielgerichtetes Streben nach Macht aus. Die Einflüsterungen ihrer Mutter übernimmt sie ohne zu zögern; damit gleicht sich ihr Charakter dem der starken, kalkulierenden Herodias an. In der Verhandlung mit dem zögerlichen Herodes ist das junge Mädchen dem König in jeder Hinsicht überlegen. Einschmeichelnd, glatt, schmollmundig und gleichzeitig exaltiert, wenn es um ihre (angeblichen) Empfindungen angeht: Der Hunger nach Macht tritt in ihren Rezitativen und Arien deutlich hervor. Ihr brennender Wunsch, dass der Täufer – das „Monster“ (mostro) – sterben möge, ist textlich nicht begründet; seine moralische Ermahnung gegenüber dem Herrscher Herodes scheint als Grund für diese Gefühlsausbrüche allzu fadenscheinig. Dem Text nach geht es der Tochter der Herodias allein um die Beleidigung ihres Stiefvaters, die sie als Frau zu rächen vermag (der Aspekt weiblicher Rache wird hier besonders betont: „Cadesti alfin, e nel tuo sangue intrisa la propria lingua altrui farà palese che donna ancor sà vendicar l’offese“. Ihre starken Affekte, die die gesamte „Seconda Parte“ beherrschen und mit aller Macht den Tod des Täufers herbeizwingen, lassen jedoch ahnen, dass hier persönlichere Gefühle und niedere Motivationen mit im Spiel sind. Unausgesprochen, in der Musik aber durchaus vermittelt, sind hier ansatzweise schon die Züge der Salome von Oscar Wilde und Richard Strauss zu erkennen.

4. Resümee: Ein reiches Forschungsfeld Diese beiden Oratorien, heute nur Wenigen bekannt, lassen den großen Gestaltungsspielraum für die Darstellung und Charakterisierung biblischer Frauengestalten in der dramatischen Musik des 17. Jahrhunderts erkennen. Das breite Spektrum an Affekten, das in der Oper dieser Zeit besonders gerne für Frauengestalten genutzt wird (etwa Klage,

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Liebe, Sanftmut, Freude, Eifersucht, Zorn, Rache), steht in gleicher Weise für die Darstellung biblischer Frauengestalten zur Verfügung. Sie erscheinen in den Oratorien als „runde“, dramatische Charaktere. Freilich werden sie von den – männlichen – Librettisten und Komponisten auch auf bestimmte Konventionen der Charakterdarstellung festgelegt, die ihr Erscheinen in Dichtung und Musik auf Jahrhunderte in konventionelle Bahnen geleitet hat. Im Laufe der Gattungsgeschichte sind zahlreiche Oratorien entstanden, deren Titelheldinnen Frauengestalten der Bibel sind. Die musikwissenschaftliche Forschung hat sich diesem Thema bislang nicht gewidmet, sodass ein vollständiger Katalog – „vollständig“ im Sinne der erhaltenen Quellen – Desiderat bleibt. Immerhin zeichnet sich ab, dass eine systematische Untersuchung derjenigen Oratorien, die Frauen der Bibel als Titelheldinnen haben, reiche Frucht verspricht. Allein zu Judith werden im Kompendium der musikalischen Sujets 176 Oratorien aufgezählt, von Lorenzo Giudettis Giuditta (Uraufführung Bologna 1621) bis zu Volker Blumenthalers Deinen Kopf, Holofernes (Uraufführung Gelsenkirchen 1989 unter der Genrebezeichnung „Oper in 3 Bildern“).20 Für Ester sind immerhin noch 65 Oratorien verzeichnet, für Deborah 36, für Maria Magdalena 29 und für Susanna 19.21 Die Auswahl bestimmter Frauengestalten ist dabei zeitgebunden: Während die Frauengestalten der beliebtesten biblischen Geschichten primär in der Blütezeit des Oratoriums, also im 17. und 18. Jahrhundert, als Titelheldinnen figurieren, wurde Sulamith, die sinnlich Liebende aus dem Hohenlied, ausschließlich im Fin de siècle und später von Komponisten des 20. Jahrhunderts zur Oratoriengestalt gemacht. Neben den Oratorien, in denen Frauen der Bibel Titelheldinnen sind, wären zwei weitere Gruppen zu untersuchen: Oratorien, deren Stoff wesentlich durch eine Frau der Bibel mitbestimmt ist – etwa die Oratorien über das verlorene Paradies oder über Johannes den Täufer –, und Oratorien über biblische Episoden, in denen Frauengestalten Nebenrollen innehaben. In einem umfassenden Forschungsprojekt zur Darstellung biblischer Frauen im Oratorium wäre nicht nur die jeweilige Darstellung der biblischen Frauen in Text und Musik zu untersuchen, sondern auch – soweit erschließbar – die Motivation des Komponisten oder Auftraggebers für die Wahl des Stoffs, der breitere kulturhistorische Kontext von Entstehung und Aufführung sowie die Rezeption des Werks. Ebenso wäre eine diachrone Untersuchung der einzelnen Oratoriengruppen höchst aufschlussreich, da sie den Wandel im Verständnis und der Darstellung einzelner biblischer Frauengestalten durch die Gattung des Oratoriums über mehrere Jahrhunderte hinweg sichtbar machen könnte.

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Alexander REISCHERT, Kompendium der musikalischen Sujets. Ein Werkkatalog, Bd. 1 (Kassel u.a.: Bärenreiter Verlag, 2001), 533–539. Einige dieser Oratorien sind ausführlicher beschrieben in: Silke LEOPOLD und Ullrich SCHEIDELER (Hg.), Oratorienführer (Stuttgart/Weimar/Kassel: Metzler – Bärenreiter, 2000).

Ester im französischen Theater des 16. Jahrhunderts Mariangela Miotti Universität Perugia Hester estant d’Assuere aprochee, Sauva de mort le Peuple Iudaque: Fit pendre Aman: qui vouloit Mardochee Mettre au gibet, auquel mourut l’inique.1

Im Jahr 1503 veröffentlicht Symphorien Champier,2 ein Autor, der bei seinen Zeitgenossen3 großes Ansehen genoß, La Nef des Dames vertueuses, eine Sammlung von Biografien berühmter Frauen, angelehnt an Boccaccios De Claris Mulieribus sowie an Christine de Pizanes Stadt der Frauen, deren drittes Buch den biblischen Frauen gewidmet ist. Insbesondere geht es um die Tugenden der Frauen, angefangen bei den Frauengestalten des Alten Testaments von Eva über Sara, Rebekka, Rahel, Dina, Rahab, Debora, Jaël, Judit sowie Abigail bis zu jenen des Neuen Testaments wie Elisabeth, der Mutter Johannes’ des Täufers. Alles in allem sind es vierzig Kurzporträts von biblischen Frauenfiguren, die als Beispiele herausragender Tugendhaftigkeit zur Nachahmung empfohlen werden. Das Buch von Champier war nur eines von vielen in der französischen Literatur des 16. Jahrhunderts, das die biblischen Charaktere aufgegriffen und in die Welt der Dichtung und des Theaters übertragen hat. Die Taten der Frauen wurden im Licht einer veränderten Gefühlswelt neu gelesen und trugen so zur Neuformierung zeitgenössischer Heldinnen bei, bei der die alttestamentlichen Texte, die Kultur der Antike sowie die Gefühls- und Erfahrungswelt der Autoren ineinanderfließen. Mein Beitrag kann folglich nur ein kleiner Ausschnitt eines äußerst weiten und bunt gemischten Feldes sein, das sich unmöglich in ein fertiges Bild bringen lässt, sondern dem nur immer neue Pinselstriche hinzugefügt werden können. Innerhalb dieses weiten Feldes beschränke ich mich deshalb ausschließlich auf die Gestalt der Ester und ihr den Werken einiger Autoren geschuldetes Schicksal auf der Theaterbühne des 16. Jahrhunderts: einer Zeit des Erneuerungsprozesses des französischen Theaters und einer kulturellen Atmosphäre, die tief von Religionskriegen gezeichnet war, von Kriegen, die das Land spalteten und in denen sich Hugenotten und Katholiken für viele lange Jahre feindlich gegenüberstanden.

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QUADRAINS / HISTORIQUES / DE LA BIBLE. / Revuz et augmentez d’un / grand nombre de figures. / A LYON / PER JAN DE TOURNES. / M.D.LV. Symphorien CHAMPIER, La Nef des dames vertueuses (hg. v. Judy Kem; Paris: Champion, 2007), 93f. Zu Präsenz und Funktion der Gestalt Esters für die unserer Untersuchung vorangegangene Periode verweisen wir auf den interessanten Artikel von Nicole HOCHNER, „Imagining Esther in Early Modern France“, The Sixteenth Century Journal 41 (2010):757–788. Richard COOPER, „Les dernières années de Symphorien Champier“, Réforme, Humanisme et Renaissance 47 (1998): 25.

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1. Die Beliebtheit des Esterstoffes im französischen Theater Für das Programm der Erneuerung der französischen Dichtung des 14. Jh. bietet neben den Werken der griechischen und lateinischen Literatur auch die Bibel Musterbeispiele, die als Prototypen des Universal-Menschlichen verstanden wurden. Die biblischen Texte können von daher zu symbolischen Erzählungen werden, die geeignet sind, Situationen, Konflikte, Probleme und Widersprüche des individuellen und kollektiven Lebens darzustellen. Ester ist eine dieser Figuren, die das individuelle Schaffen der Schriftsteller anregt, um angesichts neuer Fragestellungen als Rollenmodell neu verstanden und in die Gegenwart geholt zu werden. Auf französischem Gebiet wurden zwischen 1566 und 1689, also einem Zeitraum von gut hundert Jahren, nach heutigem Wissensstand die folgenden von diesem biblischen Buch inspirierten Tragödien veröffentlicht: 1556, Claude Roillet, Aman (Tragödie in lateinischer Sprache); 1566, André de Rivaudeau, Aman (aufgeführt zwischen 1559 und 1560); vor 1570, Antoine Le Devin, Esther (persische Tragödie); 1585, Pierre Matthieu, Esther; 1589, Pierre Matthieu, Vasthi; 1589, Pierre Matthieu, Aman; 1601, Antoine de Montchrestien, Aman; 1612–1614, Pierre Manfray (Iapen Marfriere), La Belle Hester; 1622, Anonimo, Tragedie nouvelle de la perfidie d’Aman… ; 1644, Pierre Du Ryer, Esther; 1654, Félicien Du Saint-Esprit, Tragedie d’Esther, de Mardochee et de l’ambitieux Aman, courtisan du roi Assuerus (nicht erhalten); 1689, Jean Racine, Esther. Die Gründe für diese „Karriere“ sind zahlreich und unterschiedlich. Ich werde versuchen, sie in groben Zügen zusammenzufassen, um im Anschluss zwei dieser Tragödien genauer in den Blick zu nehmen: jene von André de Rivaudeau (1566) und jene von Pierre Matthieu (1585), um die Neuschaffung der Persönlichkeit Esters, die sich schließlich auch auf den französischen Bühnen durchsetzte, zumindest in ihren charakteristischsten Zügen nachzuzeichnen und die Zusammenhänge aufzuzeigen, die zwischen der für die Bühne geschaffenen Königin und den historischen Gegebenheiten dieser Jahre bestanden. Die Geschichte des Esterbuches zählt sicherlich zu den bekanntesten innerhalb der biblischen Bücher. Es wird darin erzählt, wie Achaschwerosch, nachdem er die Königin Vasti vom Thron verstoßen hatte, unter allen schönen Mädchen des Reiches Ester zur Frau erwählte, ohne von ihrer jüdischen Herkunft zu wissen. Dank des Einflusses, den sie beim König hatte, gelang es Ester, mit der Hilfe von Mordechai4 den Vernichtungsplan aufzudecken, den Haman, der Wesir des Königs, gegen die Juden erdacht hatte. 4

In der Version der hebräischen Bibel erscheint Ester als Kusine, in der Vulgata hingegen als Nichte Mordechais. Wir beschränken uns auf den Hinweis, dass das Esterbuch zwei Fassungen hat, eine kurze, jene des hebräischen Textes, und eine lange, jene des griechischen Textes.

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Dem von der Königin errungenen Sieg folgte der Bericht über die Freude der Juden, ihre Vergeltung an ihren Feinden und die Manifestation des Sieges in der Einsetzung des Purimfestes. In der biblischen Erzählung lassen sich eine Reihe von zentralen Handlungssträngen ausmachen, die gewissermaßen Kräfteverhältnisse darstellen und als solche von den Autoren dramaturgisch genutzt werden: Diese Knotenpunkte werden durch Figurenpaare verkörpert, die an der Handlung teilhaben: Ester-Mordechai, Achaschwerosch-Haman, Haman-Mordechai, Ester- Achaschwerosch, Ester-Haman. In jedem dieser Paare erweist sich die Figur der Ester als ausschlaggebend für die Lösung der Auseinandersetzung, sogar in Szenen in denen sie nicht präsent ist.5 Gewiss: Die Heldin, die der Erzählung ihren Namen verleiht, ist eine jener biblisch überlieferten weiblichen Gestalten, die in besonderer Weise die Aufmerksamkeit der Lesenden auf sich zog. Der Glaube Esters wurde von den Kirchenvätern stets gerühmt. Sie empfahlen die jüdische Königin als Vorbild für die christliche Ehefrau und sahen in ihr sogar ein Urbild der Kirche. Aber Ester wurde auch zu den Frauen gezählt, die Männer verführten, die wie Eva dank ihrer Schönheit und ihrer weiblichen Reize der Menschheitsgeschichte eine radikale Wende beschert haben. Die Figur der biblischen Königin wirft in jenen, die sich der Geschichte der Juden in Susa nähern, Fragen auf, die über jene hinausgehen, die sich in der Ökonomie eines für die Aufführung geschriebenen Dramas stellen lassen und die wenigstens teilweise ihre Beliebtheit bei so vielen Autoren erklären kann. Die zahlreichen Bezüge zu Politik und Reichsverwaltung des Achaschwerosch lassen diesen Text besonders interessant erscheinen. Insbesondere sei dabei auf das Thema der Loyalität zum Herrscher verwiesen, die innerhalb der Erzählung von Mordechai verkörpert wird. Der alte Jude, der den Plan für den Erfolg seiner Nichte entwirft, hält die Verbindung zu seiner Herkunftsreligion lebendig und verkündet den Wunsch, sein „Anderssein“ in Bezug auf seine Umgebung beibehalten zu dürfen. In seiner Stellung als Untertan jedoch zeigt er sich dem Herrscher gegenüber loyal und schwingt sich zum Verteidiger des Königtums gegen die Gefährdung durch Aufruhr und Verschwörung auf.6 Die Rolle des Haman, des Wesirs des Königs, hingegen verdeutlicht die Schwierigkeiten, auf die Machthaber in ihren Beziehungen stoßen: die Illoyalität von Vertrauenspersonen und die Gefahr, die ihr Machthunger für den Erhalt der Einheit des König-

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Die griechische Version hat Zusätze (insbesondere sei auf den Traum des Mordechai und seiner Deutung verwiesen, sowie auf die Gebete von Mordechai und Ester), die von Hieronymus übersetzt wurden und an den Schluss des hebräischen Textes gestellt wurden (10,4– 16,24). Wie das Buch Tobit und Judit, ist auch das Esterbuch sehr spät in den biblischen Kanon aufgenommen worden. Siehe auch die Geschichte Esters bei Flavius Josephus: Giuseppe FLAVIO, Antichità giudaiche 2 (hg. v. Luigi Moraldi; Turin: UTET, 1998), 679–693. „Bestimmende Faktoren der Erzählung sind Missverständnis und Verwechslung in einer Abfolge von überraschenden Wendungen, die die Ereignisse zum dramatischen Finale führen. Die Handlung entspinnt sich zwischen Personenpaaren, die von einem spiegelbildlichen Antagonismus gekennzeichnet sind […]. Das Esterbuch ist ein Buch von gewaltiger Leidenschaft.“ (Giulio BUSI, Rezension (11. März 2001) von: Pier Cesare IOLY ZORATTINI, Una salvezza che viene da lontano: I Purim della comunità ebraica di Padova (Florenz: Olschki, 2000)). Vgl. in ähnlichen Episoden: Gen 39,7–20, wo die Treue Josefs und Dan 6,5, wo die Treue Daniels beschrieben wird.

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reiches darstellt. Aber über alle diese Personen erhebt sich die Königin Ester, und zwar explizit in ihrer politischen Rolle, da sie eine von vielen israelitischen Frauen verkörpert, der es gelingt die Feinde Israels zu vernichten. Diesbezüglich oft mit der tapferen Heldin Judit verglichen, vermag es Ester dank ihrem politischen Geschick und ihrer Gottesfurcht, ihrer Herkunft treu zu bleiben und in der Ungewissheit des dramatischen Geschehens, das sich über ihr und ihrem ganzen Volk zusammenbraut, die Kraft zu finden, den Betrug der Feinde aufzudecken und die Ungerechtigkeit an den Pranger zu stellen.7

2. Der Dichter André de Rivaudeau Nach anfänglichen Studien in Paris zog sich Andrè de Rivaudeau nach Poitiers zurück. In der dortigen Einsamkeit bezeichnete er sich selbst als ein dem Leben bei Hofe Fernstehender und bekundete, dessen Glanz und Ruhm zu verachten.8 Seine Gedichte und seine Tragödie bezeugen eine solide klassische Bildung, aber auch die Empfindsamkeit eines Dichters, der eine „Bewusstseinskrise“ durchlebte, welche ihren Ursprung im Aufeinandertreffen von Christentum und Pleíade9 [franz. Dichterschule um 1550; Anm. d. Üb.] hatte. Diese Krise muss dem modernen Leser befremdlich erscheinen, wenn er sich nicht vor Augen hält, welche Bedeutung das christliche Denken und die Wiederentdeckung der paganen Poesie der Antike für einen Dichter jener Zeit haben konnte. In Rivaudeau jedenfalls verschärfte sich dieses Aufeinandertref7

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Elena LOEWENTHAL, Ester e Rut: Due storie d’amore: Presentazione di Elena Loewenthal: Con la riproduzione di quattro acquetinte a colori di Emanuele Luzzati (Milano: Edizioni il Polifilo, 2005), 13. Zum Esterbuch: Sofia CAVALETTI, Rut, Ester: Introduzione, versione e note di Sofia Cavalletti (Cinisello Balsamo: San Paolo, 1993); Gianfranco RAVASI, Rut, Giuditta, Ester (Bologna: Ed. Dehoniane, 1995); Agnese C. TASSINARIO, Rut e Ester (Turin: Einaudi, 2001); Donatella SCAIOLA, Rut, Giuditta, Ester: Introduzione e commento di Donatella SCAIOLA (Padua: Ed. Messaggero, 2006); James George FRAZER, La crocifissione di Cristo: Seguito da La crocifissione di Aman, di Edgar Wind (Macerata: Quodlibet, 2007). Zum Thema Frauen und Bibel siehe die übrigen Bände der vorliegenden Reihe: Die Bibel und die Frauen: Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2010ff. Les Oeuvres d’André de Rivaudeau, Gentilhomme du Bas-Poictou Aman, Tragedie saincte, tiree du VIIe chapitre d’Esther, Livre de la saincte Bible, A Janne de Foix, Trèsillustre et trèsvertueuse Royne de Navarre: outre deux livres du mesme autheur, le premier contenant les Complainctes, le second Les Poesies Diverses, A Poictiers, par Nicolas Logeroys, 1566. Von dieser Tragödie gibt es einige moderne Ausgaben. Wir verweisen auf: André DE RIVAUDEAU, Aman, texte édité et présenté par Régine REYNOLDS-CORNELL, in La tragédie à l’époque d’Henri II et de Charles IX (1566–1567), 1,3 (Florenz/Paris: Olschki/PUF, 1993), 1–86. Wenn nicht anders angegeben, entstammen die Zitate dieser Ausgabe. Hinzuweisen ist auf die erste moderne Ausgabe, die von Keith CAMERON besorgt wurde, Genf: Droz, 1969. Der Dichter erinnert sich an die schmerzvollen Jahre höfischen Lebens in der Widmung A Jeanne de Foix, „la gloire et l’honnorable peine / De monter aux honneurs d’une attendante aleine“, V. 35f., ed. cit. Marcel RAYMOND, L’influence de Ronsard sur la poésie française (Genf: Droz, 1965), 331.

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fen der Kulturen zu einem inneren und persönlichen Lebensgefühl. Der Poet durchlebte fern vom höfischen Leben eine tiefgehende Krise, die vom anhaltenden Bewusstsein der Dualität gekennzeichnet war, mit der der moderne Mensch geschlagen ist: ein Geschöpf der Sünde und doch Kind Gottes zu sein, ein konkretes und leidvolles Beispiel des Widerstreits zwischen Natur, d. h. Instinkt, und Vernunft, zwischen Fleisch und Geist.10 In den Versen Rivaudeaus findet sich eine Tradition wieder, die auf das Mittelalter zurückgeht und in den Dichtungen Marots und der Margherita von Navarra ihren vorzüglichsten Ausdruck gefunden hat, eine Dichtung, in der sich die ersehnte Liebe in ihrer Eigenschaft als Streben nach Tugend und nicht nach Schönheit nur in den paulinischen Antithesen carnalis/spiritualis ausdrücken kann. Das paulinische Denken ist eine Konstante in der Dichtung Rivaudeaus und stellt das Zentrum dar, um das sich sein eigenes Denken formiert, den Pol, der es ihm erlaubt, die Widersprüche seines Seins zu erkunden: eines Seins, das zwischen den widerstreitenden Kräften der Natur und des Geistes aufgerieben wird.11 Die einzige Schrift Rivaudeaus, die uns erhalten geblieben ist,12 wurde 1566 in Poitiers veröffentlicht und enthält die Tragödie Aman, sowie ein Buch von Complaintes: Dichtungen, die anderen biblischen Frauengestalten gewidmet sind, geschrieben mit einer tiefen, einzigartigen Empfindsamkeit. Aman ist eine Tragödie in fünf Akten und soll der Intention des Autors nach zeigen, wie sich in französischer Sprache dem Vorbild der Antike und den aristotelischen Lehren, die im „piccolo trattato“ (wie es Rivaudeau bezeichnet) enthalten sind, folgen lässt. Es handelt sich also um eine Tragödie mit klassischer Struktur, aber religiösem Inhalt. André de Rivaudeau wirkte in einer protestantischen Umgebung und widmete seine Tragödie Johanna von Navarra, der Königin, die die Bedeutung der Literatur für die Durchsetzung der Gottesherrschaft hervorhob, und die sich nun, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Rivaudeaus Werken, offiziell auf die Seite der Protestanten gestellt hatte.13 Es sind mehrere Anknüpfungspunkte zur zeitgenössischen Geschichte denkbar. Die Literaturkritiker haben bei dem Versuch, das genaue Datum der Entstehung von Aman festzustellen, Bezüge zu wenigstens drei Momenten der zeitgenössischen französischen Geschichte identifizieren können. Die These von Lebègue, die Aman 1558 entstanden wissen will und so eine Parallele zwischen der Figur der Protagonistin und der von Heinrich II. (1547–1559) findet, wurde von Forsyth aufgegeben14, der vorschlägt, die Abfassung der Tragödie in die Regierungszeit Franz’ II. (1559–1560) ansetzt. In diesem Fall 10

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Dieser Aspekt wird besonders in den gemeinsam mit der Tragödie veröffentlichten Versen vertieft. Wir erlauben uns auf unseren Artikel zu verweisen: „André de RIVAUDEAU: théâtre et poésie pour la cour de Jeanne d’Albret“, in Jeanne d’Albret et sa cour: Actes du Colloque International de Pau (17–19 Mai 2001) (hg. v. Evelyne BERRIOT-SALVADORE; Paris: Champion, 2004), 317–340; Gisèle MATHIEU-CASTELLANI, La parole conteuse, les nouvelles de Marguerite de Navarre (Paris: PUF, 1992), 211. MIOTTI, André de Rivaudeau: théâtre et poésie, besonders 329f. Siehe Fußnote 8. „Art singulier, d’icy aux derniers ans, / Représentez aux enfans de ma race / Que j’ay suivy des craignans-Dieu la trace, / Affin qu’ilz soient les mesmes pas suivans“, Jeanne D’ALBRET, Mémoires et poésie publiés par le baron de Ruble (Ginevra: Slatkine Reprints, 1970), 39. Elliott FORSYTH, La tragédie française de Jodelle à Corneille (1553–1640): Le thème de la

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könnte die Politik des jungen Beraters des Königs, des Herzogs von Guise, der tyrannischen Verwaltung Hamans verglichen werden, um so mehr, als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Tragödie (1566) Franz von Guise für das Blutbad von Vassy (1562) verantwortlich gemacht und vor Orléans umgebracht wurde (1563). 1566 wiederum, in einer Zeit, da sich das religiöse Klima nach einer Zeit des Friedens unmittelbar nach dem ersten Religionskrieg wieder aufzuheizen begann, konnte Aman die fanatischen Berater des Königs an die Gefahr erinnern, die sie liefen, wenn sie das „erwählte Volk“ bedrohten. Heutzutage scheint es, dass die Bedeutung der Polemik und der Propaganda zwar nicht negiert, wohl aber relativiert werden kann. Auch wenn sich in den Versen der Tragödie Anspielungen finden, die darauf schließen lassen, dass die Juden von der hugenottischen Bevölkerung verfolgt wurden, scheint es im Interesse Rivaudeaus gewesen zu sein, eine Tragödie im Stile des Dramas zu schreiben. Rivaudeau entfernt sich in der Tat mit dieser Tragödie vom frühen Theater der protestantischen Autoren, von jenem théâtre de combat also, das man wegen seiner sehr rauen und dramatischen Sprache so nannte. Rivaudeau hingegen kreierte, wie Jeanneret richtig gezeigt hat, eine Sprache, die im Gefolge der Dichter der Pléiade die Einfachheit und Eigentümlichkeit des protestantischen Theaters aufgab.15 Der Untertitel von „Aman“: „eine heilige Tragödie, entnommen dem 7. Kapitel von Ester, einem Buch der Heiligen Schrift“, bietet über die Quellenangabe hinaus in seiner Genauigkeit (7. Kapitel von Ester) eine offenkundige Aussage über die Bedeutung, die der Einheit der Zeit zugemessen wurde.16 Der Autor stellt ein nur im Rückblick geschildertes Ereignis ins Zentrum der Handlung: den Sturz von Haman, dem Wesir des Achaschwerosch. Seine Geschichte stellt das Musterbeispiel jener überraschenden Wende dar, von dem Aristoteles in seiner Poetica als wesentlichem Moment für die Tragödie spricht, und der „in einem Umbruch der Geschehnisse ins Gegenteil besteht, jedoch immer gemäß der Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit.“17 Diese Entscheidung bringt notwendigerweise einen Eingriff in die Textvorlage mit sich, die überarbeitet und auch in der Zeitabfolge verändert werden muss, um den Zusehern das Verständnis der dargestellten Geschehnisse ermöglichen zu können. Um die Gründe zu erklären, die Haman gerade im Moment seines größten Erfolges in den Ruin führen, musste Rivaudeau andere Ereignisse aus der Geschichte Esters heranziehen und sie umändern, indem er nicht nur in die Länge, sondern auch in die Abfolge der Geschehnisse eingreift. Die Geschichte der schönen Königin Ester, der es gelungen ist, den schrecklichen Vernichtungsplan, den der stolze Haman in Gang setzt, aufzudecken und auf diese Weise nicht nur sich selbst und ihre Familie, sondern auch ihr ganzes Volk zu retten, konnte,

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vengeance: Edition revue et augmentée (Paris: Champion, 1994), 161. Michel JEANNERET, Poésie et tradition biblique au XVIe siècle (Paris: Corti, 1969), 124f. „Ceux qui font des tragédies ou comédies de plus d’un jour ou d’un tour de Soleil (comme parle Aristote) faillent lourdement […] il est monstrueux d’y mettre beaucoup de mois ou d’ans, comme font quelques uns. Mais ces tragédies sont bien bonnes et artificielles, qui ne traitent rien plus que ce qui être advenu en autant de temps que les spectateurs considèrent l’ébat.“ (RIVAUDEAU, Avant-Parler à Aman, ed. cit., 19). „[…] consiste nel rovesciamento al contrario dei fatti, sempre secondo necessità o verosimiglianza“ (ARISTOTELES, Poetica, 11, 20).

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wie schon erwähnt, zahlreiche politische Implikationen in sich bergen. Die Stärke und der Glaube Mordechais, Esters und aller Juden, die zum Tode verurteilt wurden, konnten denjenigen Mut und Hoffnung einflößen, die in Frankreich, einem Land, das von inneren Kriegen zerrissen war und in einer ähnlichen Gefahrensituation lebten wie jene der Juden von Susa. Die leidvollen Etappen des langen Weges des „erwählten Volkes“, die „misères comunes“ [das allgemeine Elend] (V. 70), vom Tod Abels bis zum Exil, werden von Mordechai in einem langen Monolog, der den ersten Akt eröffnet, in Erinnerung gerufen. Es sind Verse, in denen inmitten der Erinnerung an tragische Geschehnisse doch die Hoffnung auf eine glückliche Lösung durchscheint.18 Dabei handelt es sich um eine Hoffnung, die auch vom Volk geteilt wird, weil es das Vertrauen genießt, das in die Rolle der Niedrigsten gesetzt wird, das aber dennoch nie zur blinden Unterwerfung unter den göttlichen Willen gerät. Die Monologe Mordechais und vor allem Esters enthalten Momente der Schwäche und damit der Krise. Die Frage nach dem Wesen der Strafen, die sie gezwungen sind, auf sich zu nehmen, ist allgegenwärtig. Alle diese Fragen verraten die Schwäche dessen, der sie vorbringt sowie die Ohnmacht angesichts des großen göttlichen Planes.19 Sie legen aber auch Zeugnis ab von der Wichtigkeit eines aktiven und verantwortlichen Handelns eines jeden einzelnen. Auch Haman, der Gegner, die Negativfigur der Tragödie, ist von denselben Zweifeln geplagt. „La faible puissance“, die schwache Stärke, ein außerordentlich effektvolles Oxymoron, das von Ester verwendet wird (V. 903), wurde vom Wesir auch schon verwendet (V. 389). Auch Haman ist vom „ennuy“ (Überdruss, V. 1288) bedrückt, der als tiefer Schmerz verstanden wird, auch er hat eine ungeduldige Seele (V. 1552), ein Übel, das ihm im Inneren erwächst (V. 1561), ein geheimes Übel, das ihn verzehrt (V. 1563).20 Sowohl das Gesetz des Einstiegs in medias res als auch das Horazianische Gesetz des multa tolles ex oculis finden Beachtung in der Tragödie Rivaudeaus, die in ihrer harmonischen Struktur anhand der Kämpfe zwischen den unterschiedlichen politischen Gruppierungen auch einen inneren Kampf aufzeigen will, indem sie vielschichtige Personen mit tiefen inneren Brüchen schafft. Diese Brüche werden durch den lyrischen Stil betont, der die zahlreichen Monologe durchzieht. Es gibt in dieser Tragödie keine guten oder schlechten Personen, sondern alle bringen auf je unterschiedliche Weise das Drama zum Ausdruck, das der Mensch erlebt, wenn er sich bewusst mit seinem eigenen Leben konfrontiert. Von daher bemerkt man in einigen Teilen der Tragödie ein neues Bewusstsein 18 19

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„Mais Dieu dispose tout. Une humble patience / Peut surmonter d’Aman la raide violence“ (V. 225f.). „Est-il doncques ainsi que tous ceux là-qui suivent / La trace du Seigneur, et selon ses lois vivent, /Sont toujours affligés?“ (Ist es also so, dass all jene, die dem Herrn nachfolgen und nach seinen Gesetzen leben, immer bedrängt werden?“ (V. 1–4)) fragt sich Mordechai. Und Ester: „O Gott, wie lange noch? […]“ (V. 803ff.), vgl. Ps 74 und 94. „Aman. […] Au moins, Mégère, au moins, quand ta torche brûlante / Aura du tout rôti mon âme impatiente, / Quand tu m’auras sucé les moelles et les os, / Ote à mes ennemis comme à moi le repos, / Souffle ton venin roux dur le fils de Jaïre. / Fais son âme, son cœur, son foie et poumon cuire! / Las, depuis si logtemps le sommeil paresseux / Ne s’est aucunement versé dessus mes yeux, / Ni la paisible nuit, ni la couche seulette / Donne quelque reâche au ver qui me pincette. / Mon mal croît au-dedans, et bouille vigoureux […]“ (AMAN, ed. cit., V. 1551– 1561).

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für die Zeichenhaftigkeit des Leibes, näherhin des von Leidenschaften überschwemmten Leibes (was auch immer deren Ursprung sein mag), und bietet dadurch interessante und bezeichnende, von starkem Realismus geprägte Szenen. Die Tränen, der Schweiß, die Blässe, die Gesten, die Haltungen, die gesamte physische Palette der Leidenschaften ist in den Versen Rivaudeaus kunstvoll ausgestaltet, die als wertvolle innere Lehren innerhalb seiner Tragödie fungieren. In diesem Sinn durchdringt die weibliche Hauptfigur das ganze Stück. Obwohl der Titel der Tragödie nur den Namen Hamans beinhaltet und obwohl die Königin nur im zweiten und fünften Akt aufscheint, ist Ester die bestimmende Rolle. Auch als Abwesende steht sie stets im Mittelpunkt der Begegnungen der anderen Personen. Ester ist (schon vom biblischen Buch her) vor allem Inbegriff der Schönheit, und die Schönheit ist auch der Motor der Handlung: Denn die Geschichte beginnt mit dem Befehl Achaschweroschs, der seinen Untertanen die außergewöhnliche Schönheit der Königin Vasti zeigen will. Die biblische Erzählung endet, als Ester, die dazu auserwählt wird, Vasti zu ersetzen, den König mit dem Glanz ihrer Schönheit fasziniert: „Strahlend, am Höhepunkt ihrer Schönheit, leuchtete ihr Antlitz“, wie es im griechischen Zusatz zum hebräischen Text heißt. Rivaudeau beschreibt Ester im Gefolge der Poesie der Pléiade unter ihrem physischen Gesichtspunkt. Die Einführung der Figur geschieht für den Zuseher nicht mittels einer Schilderung ihrer Demut, eines Zuges, der Ester ansonsten üblicherweise kennzeichnet und der bei Matthieu an erster Stelle stehen wird, sondern mittels der Beschreibung ihrer Schönheit durch Arathé, der von Mordechai entsendet wird, um die Intervention der Königin zugunsten der Errettung ihres Volkes zu erbitten.21 Die Darstellung der Schönheit Esters folgt den Gesetzen der Dichtung Petrarcas: Sie ist die Königin mit heller als Gold glänzendem Haar, mit einem Juwelen-geschmückten Leib, fern von den Leiden ihres Volkes, geehrt vom König und glücklich in den Annehmlichkeiten des höfischen Lebens. Anscheinend weit weg von den Schwierigkeiten derer, die außerhalb des Palastes leben, beweist Ester doch wahre Stärke und Problembewusstsein, als sie vom Todesedikt und der Bitte um Hilfe von Seiten Mordechais erfährt. Die Antwort Esters stellt ein völlig neues Moment dar: Trotz des Prunkes des höfischen Lebens hat sie sich durch die Stellung, die ihr zugewiesen wurde und die in Mordechai Zweifel entstehen ließ, nicht verändert. Ihre Position als Königin hat sie nicht vom Glauben, von ihrer Religion und von ihrem Volk entfremdet.22 21

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„Esther se plaît en l’or, au pourpre, au diamant, / Au grenat, au saphir et au rubis luisant, / Au jacinthe, au lapis, carboucle et améthiste, / En la verte émeraude, en l’agathe délite, / Aux broderies, miroirs, aux carcans précieux, / Aux perles, aux colliers d’un train délicieux. / Ainsi dit Mardochée, et une grand’ couronne, / Le trésor d’orient, son beau chef environne. / Son poil plus beau que l’or largement épandu, / Nage nonchalamment jusque’en terre étendu, / Et ferait sa perruque une traînante queue / S’el’n’était à bouillons, de tresses soutenue. / Sa gloire luit partout, aux oreilles, aux mains, / Sur le front, sur le col, sur la gorge et les reins, / Jusque sur les patins, la glace du Pactole / D’un gracieux fardeau tout son beau corps accole. / Deux roussins écumant dessus leurs freins dorés / La traînant en un char, sont du peuple adorés. / Le Roi même l’honore, et la croit et l’écoute, / Et lui donne après lui sur tous puissance toute.“ (AMAN, ed. cit., V. 691–709). „Ah! maudite couronne, ô infâmes cheveux, / Sujets de mon reproche, horribler je vous veux! / Et vous, royal manteau, vous carcans, vous brodures, / Vous bagues, vous joyaux, pour choses

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Die Worte, die Mordechai an sie richtet, erwecken in ihr Groll und Zorn darüber, für Gefühle getadelt zu werden, die sie gar nicht empfindet. Ester erinnert Mordechai daran, dass sie sich ihres Standes und ihrer Rolle sehr wohl bewusst ist. Verglichen mit der biblischen Quelle ist die Ester Rivaudeaus sich ihrer öffentlichen Rolle sehr wohl bewusst. Und der Dichter scheint suggerieren zu wollen, dass nur die weibliche Empfindsamkeit imstande ist, die größten Widersprüche zu erfassen und zu lösen.23 Ester ist, um in den Worten Virgulins zu sprechen, „eine Heldin der Befreiung“24 und muss nicht erst auf das Zureden Mordechais warten, um beim König Fürsprache einzulegen. Die von der biblischen Königin so gefürchtete Begegnung ist für Rivaudeau ein ganz natürlicher Vorgang, den er als bereits geschehen betrachtet. Der Dichter hält sich nicht mit den Befürchtungen und Ängsten auf, die dieser Begegnung vorausgehen, sondern beschränkt sich auf die erzielten positiven Ergebnisse. Die Furcht, ihr eigenes Leben zu riskieren, die die biblische Ester Mordechai gesteht, ein höchst dramatisches und von anderen Dramatikern und vor allem von der Bildenden Kunst breit ausgeschlachtetes Element, wird von Rivaudeau übergangen. So steht Ester in diesem Drama auf derselben Stufe wie ihr Onkel. Wie schon im Anfangsmonolog Mordechais begleitet und mischt sich auch in den Worten Esters die Erinnerung an die Übel und Ungerechtigkeiten, die ihr Volk erlitten hat, mit Hoffnung und Gottvertrauen, ganz im Gefolge der wunderbaren Poesie des häufig zitierten Psalters. Rivaudeau stellt in den Monologen dieser beiden Personen zwei Empfindungen meisterhaft dar: einerseits die Verzweiflung des Sünders, der in der Vergangenheit Beispiele für seine zukünftige Verdammnis sieht – die Verzweiflung des Menschen, der sich bewusst, ist nicht besser als seine Väter zu sein (V. 228) –, und andererseits die Hoffnung des gerechten Menschen, des Menschen, der ausersehen wurde errettet zu werden und dazu die Hilfe Gottes erlangen wird. Es handelt sich um zwei Empfindungen, die in dem Moment, wo sie über die Sprache ausgedrückt werden, aufgrund der Gesetze dieser Ausdrucksform notwendigerweise als aufeinanderfolgend erscheinen müssen, die Rivaudeau aber als miteinander verflochten wahrgenommen wissen will; ein Zeugnis jenes antilogischen Aspekts, der das Leben des Christen kennzeichnet: eingespannt zu sein in die dauerhafte Alternative von Verdammung des gegenwärtigen Lebens und Hoffnung auf Errettung.25 Die Aufgabe des Dichters liegt genau darin, diese „stabiles Schwanken“26 auszudrücken, die sich in allen Personen der Tragödie zeigt. Ester vertraut einerseits auf die göttliche Hilfe27 und hegt andererseits Zweifel bezüg-

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trop meilleures / Employés toutefois, arrière loin de moi, / Ceci peut-il messoir à la femme d’un Roi? / O père Mardochée que ta voix m’est cruelle, / Que tu m’as mal connue, quand tu m’as pris pour celle / Qui fasse grand état des riches ornements, / Du faste, et de l’orgueil, des royaux vêtements, /Qui prise la richesse, et l’honneur et la gloire.“ (AMAN, ed.cit, V. 739–749). Das ist eine Rolle, die Rivaudeau in Johanna von Navarra wiedererkennt. Stefano VIRGULIN, „Due eroine della liberazione: Giuditta e Ester“, in: I laici nel popolo di Dio: Esegesi biblica (Vittorio Liberti; Rom: Edizioni Dehoniane, 1991), 65–88. Albert-Marie SCHMIDT, Etudes sur le XVIe siècle (Paris: A. Michel, 1967), 62. EBD. „O jour que tu es beau, ta sainte et claire face / Pénètre dans mon cœur ta favorable grâce, / Rit à mon espérance, et crois que mon Seigneur / Mon Dieu veut maintenir, durant toi, son

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lich des Königs und seiner Versprechungen, möglicherweise ein Echo der Enttäuschungen, die Rivaudeau und seine Familie bei Hof erlitten haben (V. 899f.). Die Pflicht, das Gesetz beachten zu müssen, die im calvinistischen Denken auch die Beachtung aller von Tyrannen erlassenen Gesetze vorsah, relativiert sich im Verhältnis zum Herrscher. Angesichts der königlichen Anordnung, die die Juden zum Tode verurteilt und anderer Gesetze, die das Leben des Landes regulieren, fühlt sich Ester imstande, eine „faible puissance“ („schwache Kraft“ V. 903) entgegenzusetzen. Das Verhalten des Bürgers angesichts des Gesetzes wird von der Troupe zusammengefasst, die in dieser Tragödie eine sonst dem Chor zugedachte Rolle übernimmt: „Das gute Gesetz muss treu befolgt werden, das schlechte kann man mit gutem Recht verbessern.“28 Kraftvoll, gleichsam gewaltsam drückt Ester ihre Nichtunterwerfung aus. Zum Nachweis ihrer Überzeugung, dass ihr Handeln den gewünschten Erfolg zeitigen wird, zitieren wir die letzten Verse dieses Eingreifen Esters: Ich gehe, meine Miene ein wenig aufzuheitern, ich gehe, meine Juwelen und den Königsmantel anzulegen, ich gehe um eine würdevolle Haltung und eine gänzlich neue Gesichtsfarbe anzunehmen, und dann richte ich an Gott diese gerechte Bitte, dass es ihm gefalle, das Haupt Hamans zu zerschmettern.29

Diese „Revolte“ kratzt zwar an der Vollkommenheit der Person Esters, da Rivaudeau ihr unterschwellig eine Haltung des Widerstands auch gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit unterstellt, doch ermöglicht es ihm zugleich die Stärke zu betonen, die Ester als Frau innehat. Das Misstrauen gegenüber dem König, die Zweifel, die ihr, wenn auch nur für einen Augenblick, bezüglich des göttlichen Eingreifens aufsteigen, und die folgende positive Auflösung des jüdischen Dramas stellen das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten an die erste Stelle und das meint, wie Ester bereits bestätigt hat: „mes biens“, „ma Royauté“, „Mon crédit“, „ma grandeur“, „ma faveur“, „ma beauté“ (V. 841f.). Die Figur Esters, wie Rivaudeau sie sieht, ist demnach nicht demütig und gehorsam gegenüber dem Herrscher, sondern eine Frau, die sich ihrer königlichen Stellung bewusst ist, eine „femme forte“, wie es schon Lebègue definiert hat.30

3. Der Historiker Pierre Matthieu Zwischen 1566, dem Jahr der Veröffentlichung des Aman von Andrè de Rivaudeau, und 1585, dem Jahr, in dem Esther von Pierre Matthieu in Lyon veröffentlicht wurde, findet man auf französischen Bühnen unseres Wissens nach keine Spur des Esterbuches. Auf

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honneur, / Filles, ce clair soleil qui tous les coins du monde / Remplit de la clarté de sa perruque blonde / Me promet quelque chose, et me fait espérer / Que je pourrai mon oncle à cette heure assurer […]“ (AMAN, ed. cit, V. 773–780). „La Loi bonne se doit garder étroitement, / La mauvaise se peut reformer justement.“ (AMAN, ed. cit., V. 905f.). „Je m’en vais égayer un peu ma triste face, / Prendre mes affiquets, et le royal manteau / Prendre un grave maintien et un teint tout nouveau, / Puis à Dieu je ferai cette juste requête, / Qu’il lui plaise briser l’agacienne tête.“ (AMAN, ed. cit., V. 932–936). Raymond LEBÈGUE, La tragédie religieuse en France: Les débuts (Paris: Champion, 1929), 389.

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protestantischer Seite könnte man versucht sein, dieses Schweigen den immer wieder erneuerten Verwerfungen des Theaters im Allgemeinen und insbesondere des religiösen Theaters seitens der reformierten Kirche zuzuschreiben. Aber die Theaterproduktion dieser Jahre bezeugt, wie sehr die Bibel immer noch Quelle zahlreicher pièces war, die sowohl Katholiken als auch Protestanten für die Bühne verfassten.31 Es muss daher nach einem anderen Grund gesucht werden, der zumindest in Ansätzen diese lange Abwesenheit erklären kann. Rivaudeau hatte das Esterbuch in einer sehr speziellen Lesart verstanden. Das Bestreben, die klassische Form auf eine biblische Handlung zu übertragen, hatte eine völlige Umkehrung der Abfolge der erzählten Episoden und die Herausschälung eines zentralen Handlungskerns nach sich gezogen, der an die erste Stelle den Tod von Haman, dem tragischen Helden, gesetzt hat – und, wie schon erwähnt, dennoch die Bedeutung dieses Todes für die Lösung des Dramas relativiert hat – und erst an die zweite Stelle die Königin, die der biblischen Erzählung den Namen gab. Die Tragödie Hamans war für jeden, der das aus der Antike überlieferte Modell und die darin implizierte Idee des Tragischen befolgen wollte, die einzige Tragödie, die man aus der biblischen Erzählung gewinnen konnte. Die für die Entwicklung der Handlung unabdingbare Anwesenheit Esters und des jüdischen Volkes und von daher ihres abschließenden Sieges konnte ein Element der Phasenverschiebung darstellen. Erst in dem Moment, in dem man sich dazu entschloss, ein vor allem erbauliches Schauspiel zu realisieren, konnte das Esterbuch auf die Bühne zurückkehren. Verglichen mit Rivaudeau ist Pierre Matthieus Zugang von größerer Quellentreue gekennzeichnet. In der Tat verwendet Matthieu das gesamte Material des biblischen Buches mit über 5.000 Versen in einem für eine pièce übertriebenen Ausmaß. Diese Tragödie wird vom Autor in weiterer Folge „verleugnet“, indem er später aus diesem einen Text von 1585 zwei Tragödien (Vasthi und Aman) macht, die einige Jahre später in Lyon veröffentlicht werden und sich den Theatergegebenheiten besser anpassen. Bis 1597, dem Jahr, in dem er sich nach einem kurzen Parisaufenthalt in Lyon ansiedelte, lebte Matthieu zwischen Pesmes, Porrentury und Vercel in der Freigrafschaft Burgund. Während der Jahre in Lyon wurde Matthieu in die juridische Welt dieser Stadt eingeführt: Er wurde „avocat au présidial“, aber vor allem ein streitbarer Katholik, der aktiv in der Politik der Guisen-Partei tätig war.32 Vor allem als Geschichtsschreiber von Heinrich IV. (1589–1610) bekannt, war Pierre Matthieu zeit seines Lebens ein unermüdlicher Schreiber.33 Als Mann von ungeheurer Kultur hinterließ er uns nicht nur die Frucht seiner Tätigkeit, die ihn in seiner zweiten Lebenshälfte beschäftigt hat, sondern auch Übersetzungen, historische Romane und Tragödien. 31

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Die „Liste bibliographique des tragédies“, hg. von FORSYTH, La tragédie française de Jodelle à Corneille (1553–1640), cit., 425–472, ist chronologisch geordnet und in dieser Hinsicht sehr nützlich. Jacqueline BOUCHER, „La difficulté d’être acteur et rédacteur de l’histoire à la fin du XVIe siècle et au début du XVIIe siècle”, in Écritures de l’histoire (XIV–XVIe siècle): Actes du Colloque du Centre Montaigne (Bordeaux, 19–21 septembre 2002) (Danièle Bohler und Catherine Magnien Simonin; Genf: Droz, 2005), 304–319; Louis LOBBES, „L’œuvre historiographique de Pierre Matthieu ou la tentative d’embrigader Clio“ in EBD, 495–519. Für eine Bibliografie der Geschichtswerke von Pierre Matthieu vgl. Georges GRENTE, Dictionnaire des lettres françaises: Le XVIe siècle (Paris: Fayard, 2001), s. v.

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Die Esther von Matthieu wurde 1583 in Vercel aufgeführt und 1585 in Lyon von der Druckerei des Jean Stratius gedruckt, versehen mit einem langen Titel, der es wert ist, im Ganzen zitiert zu werden: Esther, tragedie de P. Matthieu. Histoire tragique en laquelle est représentée la Condition des Rois et Princes sur le théâtre de fortune, la prudence de leur Conseil, les désastres qui surviennent par l’orgueil, l’ambition, l’envie et trahison, combien est odieuse la désobéissance des femmes, finalement comme les Reines doivent amollir le courroux des Rois endurcis, sur l’oppression de leurs sujets.34

Der junge Matthieu scheint in diesem Titel zwischen tragédie („Tragödie“) und histoire tragique („historisches Trauerspiel“) zu schwanken, zwischen zwei Modellen des Tragischen, die in französischen Landen bereits sehr verbreitet waren und zwischen denen sich der Autor in der Benennung seiner „Ester“ offenbar nicht zu entscheiden vermochte. Im zweiten Teil des langen Titels aber richtet der Autor, wie wir gezeigt haben, die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Frauengestalten: Auf die Königin, die den „hassenswerten Ungehorsam“ verkörpert, also Vasti, und auf Ester, die Königin, die jene ersetzt und die mit ihrem Verhalten beweist, dass sie den König in seiner wichtigen Position zu führen weiß und fähig ist, im schwierigen Umgang mit den Untergebenen Milde über Rache obsiegen zu lassen. In der Anlage von „Esther“ setzt sich Matthieu nicht das Ziel, eine Tragödie zu schreiben, sondern die Wahrheit der Geschichte zu überliefern. 35 Eine Einladung also an den Leser, sich nicht vom Modell der Antike in die Irre führen zu lassen, das, auch wenn es teilweise übernommen wurde, wie die Teilung in Akte und die Anwesenheit des Chores bezeugen, sich nicht über die Wahrheit der Geschichte stellen darf, die mit Respekt vor ihrer Integrität bewahrt und neu vorgestellt werden muss. Die biblische Erzählung kann mit einer „wahren Geschichte“ verglichen werden, um die Definition zu verwenden, die Bandello seinen Novellen gegeben hatte, die in Frankreich von Boaistuau und von Bellforest übersetzt worden waren.36 34

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„Ester, Tragödie von P. Matthieu. Tragische Geschichte in der der Stand der Könige und Fürsten auf dem Theater des Schicksals dargestellt wird, die Klugheit ihres Rates, die Verhängnisse, die von Stolz, Ehrgeiz, Neid und Verrat verursacht und wie hassenswert der Ungehorsam der Frauen ist, und schließlich, auf welche Weise die Königinnen den Zorn besänftigen sollen, mit dem die strengen Herrscher ihre Untergebenen bedrücken.“ Die erste moderne Ausgabe dieser Tragödie findet sich heute in der Sammlung des Théatre francais de la Renaissance, La tragédie à l’époque d’Henri III, Deuxième série, vol. 4 (1584–1585) (hg. v. Mariangela Miotti; Florenz-Paris: Olschki-PUF, 2005), 211–458. Unsere Zitationen beziehen sich immer auf diese Ausgabe. „la vérité du texte de l’histoire, comme tu verras si tu prends le loisir de lire cette Tragédie exactement, sans t’égarer en divers discours que je fais à l’exemple des anciens Tragédiographes“ (EBD., 457). Vgl. Michel SIMONIN, Vivre de sa plume au XVIe siècle ou la carrière de François de Belleforest (Genf: Droz, 1992), aber auch die Einleitung von Jean-Claude ARNOULD und Richard A. CARR zu Nouvelles histoires tragiques [1586] von B. POISSENOT (Genf: Droz, 1966); Albert-Marie SCHMIDT, „Histoires tragiques“, in Etudes sur le XIe siècle (Paris: A. Michel, 1967), 247–259; Lionello SOZZI, „Il racconto tragico in Francia alla fine del Cinquecento“,

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So wird die gesamte Geschichte von Ester auf der Bühne präsentiert, vom ersten Festmahl Achaschweroschs bis zur Begegnung mit Vasti, von der Suche nach einer neuen Königin bis zum Sieg und der abschließenden Rache der Juden an ihren Feinden.37 Die Histoire d´Esther ist nichts anderes als eine schöne Erzählung, die die „Wechselfälle des Schicksals“38 in Szene setzt, in denen die Königin Ester, die Gefahr läuft, gemeinsam mit ihrem Volk vernichtet zu werden, zum Instrument wird, das den Tod verhindert und sich kraftvoll der angekündigten Gewalt widersetzt. Haman, der Wesir des Königs, der bei Hof seiner politischen Tätigkeit nachgeht und von mächtigem Stolz und unersättlichem Ehrgeiz, welcher mit seinem Tod und dem seiner Familie endet, geleitet wird, stellt ein Musterbeispiel für die Launen des Schicksals dar, die vor allem jene treffen, die zu hoch gestiegen sind. Der „Günstling des Königs“, der sich am Galgen wiederfindet, den er selbst errichtet hat,39 ist ein Symbol par excellence für die Unbeständigkeit des höfischen Lebens. Doch sein Sturz eröffnet die Möglichkeit, eine gegenteilige Wirklichkeit zu erfahren: die Rettung der Juden und die Einsetzung Mordechais als ersten Minister. Zwei Geschichten, die, eingebettet in geheimnisvollem orientalischen Flair, die wichtige Funktion von exempla für all jene erfüllen, die bei Hof leben. Trotz der erklärten Quellentreue gesteht der Autor ein, dass er, dem Beispiel der antiken Tragödiendichtung folgend, das Werk mit verschiedenen Reden angereichert hat, in denen sich der Leser zu verirren droht. Die Geschichte, für die schon der junge Matthieu ein lebhaftes Interesse zeigt, muss gelesen und gedeutet werden. Die Geschehnisse der Vergangenheit stehen am Beginn einer Suche nach der Bedeutung des Bösen und der Ungeordnetheit: Nur dadurch lässt sich den Geschehnissen ein ethischer Wert zuschreiben, der von den Personen mit ihren Emotionen und ihren Reaktionen, die sich in den Dialogen des Stücks erkennen lassen, ausgedrückt wird. Aus dieser Perspektive heraus können einige Geschehnisse übergangen werden, andere verdienen es entfaltet zu werden.

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Sigma 9 (1976): 43–81 und Gisèle MATHIEU-CASTELLANI, „Violence et passion: l’histoire tragique“, in Sans autre guide: Mélanges de littérature française de la Renaissance offerts à Marcel Tetel (hg. v. Philippe Desan et al.; Paris: Klincksieck, 1999), 211–223. In der biblischen Erzählung wird nach dem Tod Hamans und der Einsetzung Mordechais als Minister König Achaschweroschs den Juden erlaubt sich zu verteidigen. Ein neuer Erlass muss herausgegeben werden, da in der persischen Welt ein königlicher Erlass unwiderruflich war. Der neue Erlass stellt der [alten] Weisung, die Juden ausfindig zu machen und zu vernichten, die Erlaubnis an die Juden entgegen, sich gegen den Angriff zu rüsten, aber auch sich militärisch zu organisieren, um nötigenfalls selbst angreifen zu können. Dieser letzte Teil des Buches war von den Autoren immer ausgelassen worden. Sie hatten sich darauf beschränkt, die Rettung Esters und ihres Volkes zu besingen. „La narrazione dell’esecuzione dell’editto da parte giudaica è l’elemento del libro che crea le difficoltà maggiori alla nostra sensibilità.“ [„Die Erzählung der Ausführung des Edikts von Seiten der Juden ist dasjenige Element des Buches, das die größten Schwierigkeiten für unser Feingefühl schafft.“] (Gianfranco RAVASI, Rut, Giuditta, Ester (Bologna: Dehoniane, 1995), 128). Matthieu, wie wir sehen werden, wird auch diesen letzten Teil darstellen. Alexandre LORIAN, „Les protagonistes dans la tragédie biblique de la Renaissance“, Nouvelle Revue du Seizième Siècle 12 (1994): 197–208, 203. „Enlevé au gibet qu’il avoit eslevé“ (Agrippa D’AUBIGNÉ, „Vengeances”, in Œuvres (hg. v. H. Weber; Paris: Gallimard, 1969), V. 435f.).

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Die Tragödie Matthieus baut sich demnach auf einer Reihe von tableaux auf, die aneinandergereiht sind, um das Thema anhand von langen Monologen vorzustellen, in denen die Personen ihre Ansichten vorbringen. Diese Ansichten werden hierauf einer vertiefenden Analyse unterzogen und durch den hinzutretenden Chor kommentiert. Das kann erst geschehen, nachdem der Kern der Fragestellung herausgeschält und anschaulich gemacht wurde, und zwar durch ein rasches Nacheinander der gegensätzlichen Positionen, das – in Stichomythien gefasst – jeden Akt abschließt. Ein Beispiel aus dem ersten Akt habe ich in der Fußnote zitiert.40 Der Theaterdialog erlaubt Matthieu also, den Gegensatz, den Kontrast, zu nutzen und das gewählte exemplum für die Erteilung einer moralischen Lehre dienstbar zu machen, die leicht an die Gegenwart angepasst werden kann.41 Die raschen Wechsel und unerwarteten Inhalte in der Geschichte Esters erlauben es Matthieu, ein moralisches, lehrreiches Stück zu entwerfen, einen Spiegel reinsten und klarsten Wassers, das dem Betrachter ein immer wechselndes, veränderliches Bild wiedergibt und die Möglichkeit bietet, das Laster auszumerzen und das Böse zu vernichten. Der Auftritt der Königin, die die Stelle der stolzen Vasti einnimmt, wird von Achaschwerosch mit einer Reihe von Versen angekündigt, in denen der anaphorische Gebrauch des Adjektivs „demütig“, bezogen auf die, welche an die Stelle der Ungehorsamen42 und 40

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„ASSUÈRE Donc autre moyen n’ai plus sûr pour me venger, / Que du règne persois te faire déloger. / VASTI Me faire déloger? mais dis-moi, dis-moi quelle, / Quelle offense j’ai fait, où as-tu la cervelle? / ASSUÈRE O! la femme de bien. / VASTI Je suis telle! et pourquoi / Me fuistu? / ASSUÈRE Il me plaît, mon plaisir est ma loi. / VASTI Sur quoi as-tu fondé cette belle ordonnance. / ASSUÈRE Sur ton orgueil conduit de désobéissance. / VASTI Et pour désobéir commet-on tant de mal? / ASSUÈRE Oui! car c’est fausser le devoir conjugal. / VASTI Nature ne veut pas que nous soyons esclaves. / ASSUÈRE Nature ne veut pas que vous soyez tant braves. / VASTI Nature ne nous fait tant serves d’un époux. / ASSUÈRE Non, mais la Loi divine ordonnée contre vous. / VASTI La femme et le mari ont puissance commune. / ASSUÈRE Le Soleil radieux domine sur la Lune. / VASTI Souvent un membre peut sur le chef présider. / ASSUÈRE Le chef est coronel du corps qu’il doit guider. / VASTI Tout homme de sa femme doit avoir plus d’estime. / ASSUÈRE Il faut donc du louer la cause légitime. / VASTI Que te peut profiter me bannir de tes yeux? / ASSUÈRE Que te profiteront ces mots audacieux. / VASTI Si suis-je toujours tienne, et ta femme m’appelle. / ASSUÈRE Comment mienne? comment? une femme rebelle? / VASTI Sous ton front refrogné je tremble pauvrement. / ASSUÈRE Deux contraires conjoints ne durent longuement. / VASTI Au divorce odieux il ne se faut résoudre. / ASSUÈRE Rien n’est si bien lié qu’on ne puisse dissoudre. / VASTI Un Roi ne doit user de telle autorité. / ASSUÈRE Un Roi doit aux méchants montrer sévérité. / VASTI Il ne faut séparer ce que l’amour assemble. / ASSUÈRE Un monarque irrité le peut quand bon lui semble. / VASTI Qui penserait qu’un Roi eut le coeur tant léger. / ASSUÈRE Mais qui pensait qu’un Roi te ferait déloger. / VASTI D’une folle ordonnance il ne faut tenir compte. / ASSUÈRE Mon vouloir ce fera, le vouloir tout surmonte. / VASTI Le courage ne doit dompter le cœur d’un Roi. / ASSUÈRE Le Roi ne peut fléchir sous une inique Loi. / VASTI Le ciel s’en vengera. / ASSUÈRE Le ciel cela me mande / VASTI Un Dieu le te deffend. / ASSUÈRE Un Dieu le me commande. / VASTI / Voilà un grand forfait seulement refuser / Aux traits de ma beauté tes regards amuser. / Cet œil en ruisselant tant de piteuses larmes / Fera contre ce tort les dieux prendre les armes.“ (ed. cit, V. 987–1016). Karlheinz STIERLE, „L’Histoire comme Exemple, l’Exemple comme Histoire“, Poétique 10 (1972): 176–198. „ASSUÈRE Une humble, et non Vasti sera jointe avec moi / Une humble, et non Vasti brisera

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Stolzen treten soll, dank der in Stichomythien gefassten Betrachtungen auf alle „Untergebene“ ausgeweitet wird, begleitet von der Idee der Notwendigkeit einer nicht von Milde, sondern von Stärke getragenen Regentschaft.43 Die Ankunft Esters bei Hof löst jedoch die Probleme der Herrschaft Achaschweroschs nicht: Während der König darangeht, die neue Situation zu feiern, bereitet „der Hausfeind“ (V. 1524) seinen Tod vor. Die Lösung der Krise wird sich im Lauf des 4. Aktes abzeichnen: der Plan von Haman wird dank der Schrift aufgedeckt („die Tinte, die gegen den Meuchelmord kämpft“ (V. 75); „die schreibende Feder (V. 37)), die das Lebendigerhalten der Erinnerung garantiert. Die Historiker sind „die guten Geister“ (V. 3812), die nicht nur die politische Reflexion befördern können, sondern die vor allem Leitbilder bewahren, die es nachzuahmen oder zu vermeiden gilt. Dank des Eingreifens Esters und dank der Schrift, die die Erinnerung daran bewahrt und die Beispiele der Vergangenheit der Reflexion anempfiehlt, verwirft Achaschwerosch im Laufe des letzten Aktes die Ansichten, die er im Konflikt mit Vasti vertreten hat, um nunmehr JUSTICE und PIETE als einzige Verteidigung des Fürsten zu proklamieren. Matthieu formuliert hier einen Widerruf der These, die Machiavelli vertreten und in der er die von Bodin überkommene Lesart, Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit als Stützen des Staates zu verstehen44, aufgenommen hatte. Und während die anderen Dramatiker, die die Geschichte der Ester auf die Bühne brachten, es vermieden, den letzten Teil des Buches zu erzählen, jenen, „der die größten Schwierigkeiten für unser Feingefühl schafft“,45 beschränkte sich Matthieu nicht auf die Erzählung der Rettung der Juden, sondern beschrieb auch ihre Rache. Ester eröffnet diesen letzten Akt mit einem langen Monolog, in dem sie die ganze Geschichte ihres Volkes durchläuft. Am Ende dieser langen Erzählung übergibt der König Ester und Mordechai die Schätze und die Machtstellung, die Haman gehören. Der sainte paix („heilige Frieden“), der vom Chor besungen wird, ist das Ergebnis eines bienheureuse guerre („glücklichen Kriegs“). Ester möchte wissen, wie alles geschehen ist und lässt es sich vom Chor erzählen. Grausame Bilder finden sich im Überfluss in diesen letzten Versen, die von Tötungen und Massakern an mehr als 70.000 Personen berichten. Auch diese Grausamkeit dient dazu, den Grundgedanken dieser Tragödie hochzuhalten: Der Krieg wird zum Mittel erklärt, um den König zu stützen und um Frieden und Zusammenhalt im Reich zu sichern. 1589 ordnete Matthieu das umfangreiche Material seiner ersten Tragödie neu und machte daraus zwei Episoden, in denen er den Ruhm Heinrichs III. (1574–1589) und die wichtige und unersetzliche Rolle der Königinmutter Caterina von Medici besingen kann, die sie, ähnlich wie Ester, in diesen für das Land so schwierigen Jahren spielte.46 Der

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mon émoi / Une humble, et non Vasti réjouira ma face / Une humble, et non Vasti jouira de ma grâce.“ (ed.cit., V. 929–932). „Un Roi doit aux méchants montrer sévérité“ (V. 997). „a mis pour deux fondements des Républiques, l’impiété et l’injustice“ (BODIN, Les six livres de la République). RAVASI, Rut, Giuditta, Ester, 128. Die Einleitung von Anna BETTONI zur Ausgabe von Vasthi von Pierre Matthieu in La tragédie à l’époque d’Henri III 1586–1589), II, 5 (Florenz/Paris: Olschki/PUF, 2009), 97–109; Louis LOBBES, „Pierre Matthieu, dramaturge phénix“, Revue d’Histoire du Théâtre 3 (1998):

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Meuchelmord der Guisen in Blois und der Tod Caterinas wenige Monate später veränderten den geschichtlichen Kontext von Grund auf und erschütterten sowie wandelten die Beziehungen Pierre Matthieus zu den Mächtigen seiner Zeit radikal. Die neue Tragödie, in deren Mittelpunkt die namensgebende Heldin Vasti steht, wurde Karl Emanuel von Savoyen gewidmet, genau in dem Moment, als dieser nach Monaten der Gefangenschaft während der tragischen Geschehnisse von Blois als Gouverneur Lyon betrat. Es handelte sich um einen besonders schwierigen Moment, denn während seiner Abwesenheit hatte Lyon gegen Heinrich III. Stellung bezogen, und das Problem, das nicht nur Lyon, sondern ganz Frankreich in diesen Tagen bewegte, betraf die Beziehung zwischen der Führung, dem Herrscher und seinem Volk. Die Tragödie Matthieus konzentriert sich daher auf den Ungehorsam Vastis, und so wird die biblische Tragödie zum Deckmantel für einen politischen Diskurs.47 Wenn wir bei der Neufassung der Tragödie auch eine gewisse Achtsamkeit für Stil und Sprache erkennen können – Kennzeichen der Reife des Autors – ist dennoch die Absicht unübersehbar, das Stück in einen allgemeineren Diskurs zu stellen. Mathieu geht es um einen für das Land dringlichen Diskurs über die Macht des Königs, über die Staatenlenkung und besonders über die Notwendigkeit, sich in der politischen Reichsorganisation48 tugendhaft zu verhalten. Vasthi wird so zu einer Aktualisierung der persischen Geschichte im französischen Kontext von 1589.49 Achaschwerosch, der König, von Gott auf die Erde entsendet, folgt den strengen Gesetzen des Gehorsams und will seine Gattin Vasti verstoßen, die sich weigert, bei seinem Festmahl zu erscheinen. Der Konflikt findet hier zwischen dem Absolutismus des Herrschers und der Rebellion Vastis statt. Die Fürsten, die den Herrscher umgeben, deuten wie der Chor der antiken Tragödie in vermittelnder Funktion und empfehlen Weisheit und Mäßigung. Sie fungieren dabei aber auch als Stimme des französischen Parlaments. Die Fürsten riefen Heinrich III. zur Mäßigung auf, beschworen Frieden für das Reich und bestanden auf die Notwendigkeit, zur Vernunft zurückzukehren, um dem Unglück zu entgehen, das durch die Geschehnisse von Blois50 angerichtet worden war. Gewiss: Die Rebellion Vastis geschah im Namen der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Königin bestätigt das nachdrücklich während der Konfrontation mit dem Herrscher: „Die Ehefrau und der Ehemann haben dieselbe Macht“ (V. 1769), aber Vasti ist auch Königin („Ich bin Königin (V. 1115)) und Achaschwerosch („ Er ist König“

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207–236; DERS., „Pierre Matthieu ou les métamorphoses d’Esther”, in Il tragico e il sacro dal Cinquecento a Racine: Atti del Convegno di Torino e Vercelli (ottobre 1988) (Dario Cecchetti und Daniela Dalla Valle (Florenz: Olschki, 2001) 79–88; Pierre MATTHIEU, Théâtre complet (hg. v. Louis Lobbes; Paris: Champion, 2007); Michele MASTROIANNI, „L’Esther francese: da figura a personaggio“, in Il tragico e il sacro dal Cinquecento a Racine, 175–226. Vgl. BETTONI, Einleitung zu Vasthi, 101. Vgl. Louis LOBBES, Einleitung zu Pierre MATTHIEU, La Guisiade (hg. v. DEMS.; Genf: Droz, 1990), 7–55 und vom selben Autor „L’exécution des Guises, prétexte à la tragédie“, in Le mécénat et l’influence des Guises: Actes du Colloque organisé par le Centre de Recherche sur la Littérature de la Renaissance de l’Université de Reims (hg. v. Yvonne Bellenger; Paris: Champion, 1997), 567–579. BETTONI, Einleitung zu Vasthi, 103. Sylvie DAUBRESSE, Le parlement de Paris ou la voix de la raison (1559–1589) (Genf: Droz, 2005).

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(V. 1116)). In diesem Konflikt liegt der Kern der Tragödie. Wie Aristoteles in seiner Poetica gefordert hat, sind beide Helden weder völlig schuldig noch völlig unschuldig. Die Weigerung Vastis und ihr Bestehen auf die Bedeutung der Moral dessen, der befiehlt, sind menschlich, aber für die Zeit unmöglich: „Niemand ist würdig über andere zu befehlen / wenn er nicht besser ist als die, denen er Befehle erteilt“ (V. 1096ff.). Die Königin bleibt sich selbst treu, sie kann ihre Würde nicht respektieren. Aber genau dafür wird sie vom Herrscher verstoßen, der ebenfalls sich selbst treu bleiben muss. Obgleich er Vasti liebt, sieht er sich gezwungen sie zu verstoßen, um nicht mit seiner politischen Funktion zu brechen. Die Ankunft Esters im Laufe des 4. Aktes, die als gehorsame Königin aufgenommen wird, wird die Basis für eine positive Lösung bereiten. Auch die zweite Tragödie, Aman,51 verweist auf die Wirkung von Mäßigung und Versöhnung. Wieder ist die vermittelnde Rolle Esters bestimmend. Sie scheint nach der Bürgerkriegstragödie, die Frankreich überzogen hat, Ausdruck einer Sehnsucht nach Frieden zu sein und zudem, in diesem speziellen geschichtlichen Kontext, eine Hommage an die Politik des neuen Herrschers, Heinrich IV. Wir können wohl Maurens zustimmen, dass wir mit Matthieu und insbesondere mit Esther vor dem Ende des tragico puro („rein Tragischen“) stehen, das vom tragico ottimista („tragisch Zuversichtlichen“) abgelöst wird, in welchem das menschliche Leiden ein unhintergehbares Element der Weltordnung wird.52 Und es ist gerade diese neue Sicht des Tragischen, die die Wahl einer aktiven Heldin wie Ester bestimmt, einer Heldin, die bereit ist, mit ihren Entscheidungen und Vorschlägen aktiv in ein von Verschwörung und Gewalttat zerrissenes höfisches Leben einzugreifen.

4. Der Pfarrer Pierre Merlin Der Pfarrer Pierre Merlin hat unter seinen Schriften eine Sammlung von Predigten zum Esterbuch hinterlassen. Die Ausgabe, die wir untersucht haben, ist die zweite und geht auf das Jahr 1594 zurück.53 Das Werk umfasst 26 Predigten, die von einzelnen Versen des biblischen Buches ausgehen und mit einer interessanten Betrachtung über die Funktion von Geschichte beginnen. Der Anfang des biblischen Buches – eine Beschreibung der Zeit des Achaschwerosch – bot Pierre Merlin in der Tat Gelegenheit, die Bedeutung

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Pierre MATTHIEU, „Aman“ in La tragédie à l’époque d’Henri III 1586–1589), II, 5 (hg. v. Régine REYNOLD CORNELL; Florenz/Paris: Olschki/PUF, 2009) 235–396. Jacques MAURENS, La tragédie sans tragique: Le néo-stoïcisme dans l’œuvre de Pierre Corneille (Paris: Colin, 1966), 57. SERMONS / SUR LE LIVRE / D’ESTER, / PAR PIERRE MERLIN / Ministre de la Parole de Dieu / en l’Eglise de Laval. / Deuxiesme Edition, augmentée d’un ample argument sur / toute l’histoire d’Ester. Et d’un Indice contenant les principales doctrines proposées en ces Sermons. / [marca tipografica] / A GENEVE, / PAR FRANCOIS LE PREUX. / M. D. XCIIII. Die Ausgabe, die wir einsehen konnten, befindet sich in der Biblioteca Casanatense in Rom. Es ist uns nicht gelungen andere Exemplare dieses Werks zu finden. Die Verweise beziehen sich daher immer auf diese Ausgabe.

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von Geschichte in Erinnerung zu rufen, als Erzählung von wahren und für das Leben der Menschen nützlichen Dingen.54 Auch die Geschichte Esters, insofern sie den Zustand der Kirche und ihrer Feinde, ihrer Kämpfe und Leiden55 darstellt, wurde, um eine damals verbreitete Metapher aufzugreifen, als ein „glänzender Spiegel der göttlichen Vorsehung“ betrachtet, die ihre Kirche verteidigt, sich aber auch ihren Feinden gegenüber als grausam erweist.56 Der Spiegel ist das Symbol der Treue, ein Instrument, das auf einzigartige Weise wahre Bilder wiedergeben kann. Der Leser von geschichtlichen Werken wird Betrachter der Geschehnisse der Vergangenheit und hat so die Möglichkeit, sie zu bedenken, um Hilfe und Unterstützung für das eigene Leben daraus zu ziehen. Die Geschichte Esters zeigt auf, dass die Königin das Instrument ist, dessen sich Gott bedient, um seine Kirche zu befreien. Und mit Rückgriff auf die Worte des Hl. Paulus erinnert Merlin daran, dass die Dinge, die geschrieben sind, dazu geschrieben sind, um die Getreuen zu trösten.57 Die Erinnerung an das göttliche Eingreifen, das einem unterdrückten Volk Hilfe bringt, ist eine Einladung, in dieser Geschichte einen Beweis für die Möglichkeit der Rettung zu sehen: die Geschichte wiederholt sich, so dass es notwendig ist, in den Unterdrückten Vertrauen zu wecken. Für den Pfarrer ist der Trost noch wirkungsvoller, denn genau die Aktualität der Geschichte ist es, die ihn zu den Kommentaren des Esterbuches inspiriert hat. Die heilige Geschichte ist nicht Zufluchtsort, um Trost zu finden, um der tragischen Realität der Zeit zu entkommen, sondern die Möglichkeit, die Geschehnisse der Vergangenheit auf die aktuellen Geschehnisse zu übertragen. In der Widmung an Heinrich IV., die die Sammlung der Sermons einleitet, spricht Merlin diesen Verweis auf die Aktualität explizit aus.58 Die Betrachtung entsteht im Gefolge einer schwerwiegenden Begebenheit in der Geschichte Frankreichs, die wir bereits als grundlegend in der Wahrnehmung Matthieus in Erinnerung gerufen haben: der tragische Abschluss der Generalstände von Blois. Infolge der Intervention Heinrichs III. sah sich Merlin gezwungen, Frankreich zu verlassen. Fern von seinem Land findet der Pfarrer im heiligen Text Hilfe, um über die Gegenwart nachzudenken, und der neue König, Heinrich IV., wird so – im Rückbezug des Heiligen Textes auf die Wirklichkeit – ein zweiter Mordechai, gegen den sich die Intrigen der Partei der Lega erhoben haben, aber dem es gelungen ist, die Oberhand zu behalten. Nicht mehr Haman, Achaschwerosch oder Ester, wie in den Tragödien, die wir untersucht haben, sondern der Jude Mordechai ist die Gestalt, die, nachdem sie beleidigt und verdammt wird, schließlich in ihrer Rolle anerkannt wird. Heinrich IV., von Heinrich III. als einziger Nachfolger empfohlen, wird in der Tat nun auch vom Papst anerkannt.59

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Diese Betrachtungen über Geschichte stellen den Beginn der ersten Predigt dar: „Sermon contenant l’argument du livre, et l’exposition des deux premiers versets, touchant le temps auquel sont avenue les choses contenues en ceste histoire, et de la grandeur du regne d’Assuere.“ (EBD., 1f.). EBD., 2. EBD. EBD., 3. EBD. EBD., f. *iijr° und v°.

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Merlin bevorzugt im Esterbuch die „politischste“ Gestalt: er erzählt vom treuen Untertanen, der dem Land, das ihn aufgenommen hat, immer Respekt erwiesen hat, der ehrenvoll zu handeln wusste, auch wenn er vom Feind Haman bedroht wurde. In der Erzählung stellte diese Weisheit Mordechais seine Führungsrolle hinsichtlich der jungen Ester sicher. Und in der Tat, nur dank der Ratschläge Mordechais wird die Königin die Rolle der Befreierin ihres Volkes einnehmen. Heinrich IV. hat indessen keine Vermittler nötig.60 Doch Merlin legt über den biblischen Text eine Art dramatische Studie und identifiziert in den verschiedenen Abschnitten, aus denen das Buch besteht, zwei Teile, von denen jeder mit einem „theatralischen“ Begriff bezeichnet wird. Es handelt sich, seiner Lesart nach, um zwei Tragikomödien, voneinander getrennt durch die Namen der Protagonisten, Ester und Mordechai. Die folgenden Kapitel untersuchen im Detail die Punkte, aus denen diese beiden Theaterstücke bestehen. Es handelt sich um zehn kurze Abschnitte, die eine Art Grundgerüst der beiden Tragikomödien zu konstituieren scheinen. Die Predigten bestimmen von daher die Themen, die sich für den Pfarrer zur Reflexion am meisten anbieten, der aber dennoch beweist, den theatertechnischen Aspekt des Textes zu kennen, indem er das Schema zweier Stücke aufzeigt, die so nicht geschrieben wurden.

5. Resümee Rivaudeau widmete seine Tragödie „Jeanne de Foix“, also Johanna von Navarra, und zeigte, wieviel an Hoffnung man in jenen Jahren auf die Gestalt einer Königin setzen konnte, die sich für imstande hielt, Frankreich nicht nur zum Frieden, sondern auch zur Union mit dem Königreich von Navarra zu führen, ein Traum, der sich erst im folgenden Jahrhundert verwirklichen sollte. Matthieu las die Geschichte der schönen biblischen Königin neu und hob an ihr die Fähigkeit hervor, beim Herrscher zu intervenieren und dadurch Frieden und Gerechtigkeit im Staat zu sichern. Ester, die die Tradition oft in eine häuslichere Umgebung stellte (denken wir an die Allgegenwärtigkeit ihrer Geschichte beispielsweise auf den Truhen, die Bräuten als Mitgift gegeben wurden), konstituiert eine Art roten Faden für den, der sich Gedanken darüber macht, was es bedarf, einen Staat zu errichten, der auch das Andersartige aufnehmen und dennoch allen seinen Untertanen Einheit und Frieden zusichern kann. Selbst der Pfarrer Merlin, der, obwohl in ganz anderem Kontext als jenem des Theaters, dennoch Begriffe und Kenntnisse dieses Genres anwendete, wusste das biblische Buch der Realität seiner Zeit anzupassen und gestand Ester eine Rolle ersten Ranges zu.

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EBD., f. *iiv° und iijr°.

Bibelleserinnen zwischen Schweigen und Wort. Frauen und die Heilige Schrift in den norditalienischen Inquisitionsdokumenten Giovanna Paolin Universität Trieste

1. Die Inquisitionsprozesse Wenn schon die gesamtitalienischen Verhältnisse aus geographischen, politischen und kulturellen Gründen bis in die frühe Neuzeit hinein überaus anregend, lebhaft und für die verschiedensten Einflüsse offen gewesen sind, so gilt dies umso mehr für die Territorien der Poebene, die in wirtschaftlicher Hinsicht besonders dynamisch und in struktureller Hinsicht für die europäischen Veränderungen besonders empfänglich waren. Auf den Durchgangsstraßen zirkulierten Menschen und Waren, aber auch Bücher und Ideen, Gerüchte und Neuigkeiten in einem beständigen und kaum zu unterbindenden Austausch der Erfahrungen. Der aufkommende Buchdruck mit beweglichen Lettern hatte die Wege des Wissens, die Zahl der möglichen Nutznießer, die Debatten und das Interesse an Neuigkeiten und Informationen erheblich erweitert und zudem ein Klima geschaffen, in dem das geschriebene Wort ‒ die Bücher ‒ neue Autorität genossen. In Grenzgebieten sind die Gegebenheiten immer bunt und komplex und weisen fortlaufende Beeinflussungen und Brüche auf. Und so waren auch die norditalienischen Territorien über die Jahrhunderte hinweg von langen und mühseligen Prozessen betroffen, die die dortigen Gemeinden zutiefst geprägt haben. Diese Gemeinden waren ohnehin schon überaus heterogen und von politischen Grenzen durchschnitten, die immer wieder in Frage gestellt wurden und sich nicht selten zu religiösen Wasserscheiden entwickelten: Grenzen, die einerseits trennten und andererseits auf den Handelsstraßen täglich überschritten wurden.1 Die Reformation trug das Ihre dazu bei, die Vielfalt in den verschiedenen Territorien noch zu verstärken, und etablierte ein Netzwerk des intensiven Austauschens und Debattierens. Neben dem Bedürfnis, die Schrift in den endlich erhältlichen Übersetzungen aus dem Lateinischen und dem Griechischen zu lesen, breitete sich auch das Wissen um die Notwendigkeit einer tiefgreifenden moralischen und religiösen Erneuerung auf allen Ebenen aus. Zudem war weithin der Widerhall der antirömischen Satire zu vernehmen. In den Nachbarterritorien der Grenzgebiete und in den bedeutendsten Zentren des Austauschs wurden diese Entwicklungen begeistert aufgenommen und hinterließen tiefe Spuren. Die nachfolgende Unterdrückung der religiösen Abweichung und das gleichzeitige Verbot der

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Giovanna PAOLIN, „Se rencontrer à la frontière: marchands et Inquisition dans l’Italie du Nord-Est, XVI et XVII siècles“, in Commerce, voyage et expérience religieuse. XVI–XVIII siècles (hg. v. Albrecht Burkardt unter Mitarb. v. Gilles Bertrand und Yves Krumenacker; Rennes: Presses Univ. de Rennes, 2007), 371‒384.

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volkssprachlichen Bibel2 insbesondere in Italien und Spanien riefen gemeinsam mit der flächendeckenden pastoralen Rückeroberung langfristig weitere radikale Veränderungen hervor und eröffneten ihrerseits neue Perspektiven. Eine weitere Zäsur wurde in der Folgezeit durch die erheblichen Veränderungen herbeigeführt, die das 18. Jahrhundert auf politischer wie auch, allgemeiner gesprochen, auf kultureller und gesellschaftlicher und zudem natürlich auf religiöser Ebene mit sich brachte. Dieser epochale Wandel war zum Teil das natürliche Ergebnis eines vielfältigen, komplexen und recht langwierigen Prozesses, auf den im Rahmen des vorliegenden Beitrags jedoch nicht näher eingegangen werden kann. An den betreffenden Ereignissen waren auch viele Frauen aktiv beteiligt: Frauen von hohem Stand oder aus dem Volk, Frauen aus den Gebirgs- oder den Küstenregionen, Frauen, die mit uralten Volkskulturen, aber auch mit anderen Sprachwelten vertraut waren, Frauen endlich, die sich in je unterschiedlichem Grad an der breiteren ideologischen und religiösen Debatte beteiligten. Der reformatorische Appell an das Gewissen jedes einzelnen Christgläubigen und die Einladung zur direkten Bibellektüre waren durchaus dazu angetan, die männlichen und weiblichen Gemüter anzustacheln. Bei der Suche nach belastbaren Quellen für eine Beschäftigung mit dem vorliegenden Thema stößt man auf mancherlei Schwierigkeiten. Allein schon die – gewiss der mangelhaften durchschnittlichen Alphabetisierung geschuldete ‒ Tatsache, dass es so mühselig ist, die Spuren zu entdecken, die das weibliche Universum in diesem Bereich hinterlassen hat, zeigt, wie sehr ihr Dasein vom Schweigen, von der Beschränkung auf den Privatbereich, von Zurückhaltung und gedämpften Tönen und sogar von der tagtäglichen Verstellung geprägt gewesen sein muss – Verhaltensweisen, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen waren. Auch wenn man die traditionelle Bildungsferne der Frauen ‒ die üblichen intellektuellen Kanäle galten für alle diejenigen als nutzlos und gefährlich, die ohnehin keinen Zugang zu den als ausschließlich männlich gedachten Lebensläufen und Werdegängen hatten ‒ nicht außer Acht lassen darf, ist doch die Gewohnheit, ins Schweigen auszuweichen, ein Forschungsgegenstand, der der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit kaum entgehen kann. Eine umso ergiebigere und bedeutendere Quelle sind bei allen Problemen, die mit der korrekten Auswertung der betreffenden Akten verbunden sind, die Inquisitionsprozesse. Sie belegen ganz klar, dass viele Gläubige – wie etwa die zahllosen Verfasser von Kommentaren und anderen biblisch inspirierten Werken ‒ nachweislich imstande waren, eine eigenständige Bibellektüre zu pflegen oder, wie die Handwerker im westfriulanischen Porcia, zu Buchmenschen zu werden und ganze Bücher auswendig zu lernen.3 Die Präsenz der Frauen war, wie schon gesagt, weitaus unauffälliger oder fand geringere Beachtung, und so ist es auch in diesen besonderen Quellen nicht einfach, eine hinreichende Anzahl stimmiger Aussagen über ihre Beziehung zur Schrift zu finden. Die

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Nach wie vor ein Standardwerk ist die Arbeit von Gigliola FRAGNITO, La Bibbia al rogo: La censura ecclesiastica e i volgarizzamenti della Scrittura (1471–1605) (Bologna: Il Mulino, 1977). Andrea DEL COL, „Eterodossia e cultura fra gli artigiani di Porcia nel secolo XVI“, Il Noncello 46 (1978): 9‒76.

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systematische Analyse vieler Prozesse zeigt, in welchem Maß die verschiedenen Bevölkerungsschichten an der Debatte über religiöse Themen beteiligt waren. Doch die Mehrheit der Informationen betraf vor allem die Männerwelt. Frauen traten eher im Kontext von Zauberei- oder Hexenprozessen oder in jenen beschämenden Verfahren in Erscheinung, wo es um das Delikt der Sollicitatio ad turpia ging4 – Fällen also, die für unsere Fragestellung kaum relevant sind. Interessanter könnten dagegen die nicht sehr häufigen Prozesse wegen des Vorwurfs der vorgetäuschten Heiligkeit oder auch die ebenfalls nicht allzu zahlreichen Ketzerprozesse sein. Überdies wurden die Frauen allem Anschein nach nicht nur weniger leicht straffällig, sondern oft auch gar nicht als Täterin ernstgenommen. Die delikatesten Glaubensaussagen der venezianischen Nonne Suor Mansueta zum Beispiel fanden während ihres Prozesses im Jahr 1574 nicht einmal Erwähnung. Stattdessen zog man es vor, das Ganze als einen Fall von Hexerei oder Besessenheit zu behandeln. Bei Letzterem handelte es sich in der Tat um das bevorzugte, für die Angeklagte zwar entwürdigende, aber ansonsten weniger folgenschwere Fazit der Richter.5 Die nachtridentinische Kirche war äußerst bemüht, ihre Kontrolle auf den Laienstand auszudehnen, indem sie die Bibelkritik und die Wiederentdeckung der Heiligen Schrift im Keim erstickte und stattdessen eine Haltung des passiven Gehorsams gegenüber der Hierarchie als der einzigen Autoritätsquelle und einer vorzugsweise emotionalen und sentimentalen Frömmigkeit förderte. Tatsächlich vermochte dieses Konzept viele Gläubige zu faszinieren und durch das wirkungsvolle Gesamtpaket aus Liturgie und Kunst an den Katholizismus zu binden. Während der Ausschluss der Laien aus dem sakralen Bereich für die Männer, die es gewohnt waren, Bruderschaften, Hilfseinrichtungen und auch die Verwaltung etlicher Kirchen zu leiten, problematisch war, wurde dieser Umschwung von vielen Frauen leichter akzeptiert, da sie, von einigen wohlbekannten Ausnahmen abgesehen, weniger aktiv und weniger gut ausgebildet waren. Die Gläubigen waren zwischen zwei starken Mächten hin- und hergerissen, die bei aller Unterschiedlichkeit sehr eng zusammenarbeiteten: den Inquisitoren und den Beichtvätern. Das war natürlich nichts völlig Neues, und diese institutionellen Akteure waren auch in den vorangegangenen Jahrhunderten sehr bedeutend gewesen. Doch nach der Reformation und der darauffolgenden tridentinischen Zeit änderte die Kirche ihr Vorgehen, und das hatte weitreichende Konsequenzen. Der Kampf gegen jedwede Form von Dissens und Abweichung führte dazu, dass die Inquisitionsmaschinerie wieder in Gang gesetzt wurde. Überall dort, wo sie Fuß fassen konnte – sei es in den Formen, die sie auf den Gebieten der iberischen Halbinsel annahm, oder in der sogenannten römischen Form ‒, erreichte sie eine große territoriale Durchschlagskraft. Hierzu etablierte sie ein fein verästeltes System zur Kontrolle der rechten Lehre und schrieb mit Unterstützung der für den Index der verbotenen Bücher zuständigen Kongregation die Grenze zwischen dem, was diskutiert, und dem, was nicht diskutiert werden durfte, immer un4 5

Unter Sollicitatio ad turpia versteht man einen Missbrauch des Bußsakraments, bei dem ein Geistlicher den Büßer oder die Büßerin zu sexuellen Handlungen verleitet. Giovanna PAOLIN, Lo spazio del silenzio: Monacazioni forzate, clausura e proposte di vita religiosa femminile in Italia nell’età moderna (Pordenone: Biblioteca dell’Immagine, 1996), 55‒67, 169‒184.

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verrückbarer fest. Trotz der zahlreichen Faktoren, die die tatsächliche Tragweite des Handelns dieser Tribunale beschränken konnten und beschränkten, wurde die Wirksamkeit ihres Vorgehens oft durch die Angst, die sie den Menschen einflößen konnten, vergrößert und verstärkt und führte überdies zu Denunziation und Selbstzensur. Auf diese Weise etablierten die Gerichtshöfe des Heiligen Offiziums in den norditalienischen Diözesen feste territoriale Zuständigkeitsbereiche, die nahezu exakt mit den betreffenden Bistumsgebieten übereinstimmten. Nach und nach bildete sich ein theologisch und juristisch immer besser geschultes Religionspersonal heraus, dem zunehmend engagierte Bischöfe oder Bischofsvikare wie beispielsweise Giacomo Maracco zur Seite standen, der von 1557 bis 1576 als Vikar des Patriarchen von Aquileia Giovanni Grimani tätig war. Die Inquisitionsrichter standen in enger und ständiger Verbindung mit der zentralen Kongregation und bildeten so ein überaus wichtiges Informations- und Zuständigkeitsnetzwerk. Vor Ort setzte man neben der Unterstützung der Bischöfe auch auf die Mithilfe von Experten und fähigen Kommissaren, wie dem Dominikaner Santo Cittinio, der zwar kein Inquisitor war, aber lange Zeit eine einflussreiche Funktion am Gerichtshof in Udine inne gehabt hat und in Venedig beauftragt wurde, an jenem heiklen Fall mitzuarbeiten, in den auch die Adlige Isabella Frattina (1542‒1601) verstrickt war. Natürlich war es, von den verfügbaren gut ausgebildeten und motivierten Mitarbeitern abgesehen, nicht leicht, innerhalb weniger Jahrzehnte ein juristisches Personal bereitzustellen, das seinen Aufgaben wirklich gewachsen gewesen wäre. Deshalb lassen sich in den Prozessakten noch bis Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder Hinweise auf nicht sonderlich kompetente Inquisitoren finden, die gesellschaftlich höhergestellten Angeklagten unter Umständen mit einer gewissen Scheu begegneten. Dennoch umgab das Glaubenstribunal eine respektheischende, furchteinflößende Aura. Es muss trotzdem betont werden, dass viele Frauen, sowohl Zeuginnen als auch Angeklagte, durchaus zu einer geschickten Verteidigung imstande waren und sich dem Druck der Richter mit den unterschiedlichsten Entschuldigungen zu entziehen wussten. Andere hingegen – wie im extremen Fall der venezianischen Schwester Mansueta, die man der Besessenheit beschuldigte ‒ brachen völlig verstört zusammen.6 Wichtiger noch als der Inquisitor war jedoch der Beichtvater, dessen Aufgabe zwar durchaus auch in der Urteilsfindung, aber mehr noch darin bestand, in die seelischen Abgründe der Gläubigen einzutauchen. Diese Männer hatten eine bedeutende seelsorgerische Funktion. Überdies standen sie in enger Beziehung zu den Glaubensrichtern und bildeten in deren Handlungskette ein wichtiges Glied. Die Macht der Beichtväter, die sich Schritt für Schritt zur Seelenführung ausweitete, wurde noch durch die Kontrollen vergrößert, mit denen die Kirche gewährleistete, dass die Gläubigen wenigstens einmal im Jahr beichteten und kommunizierten, eine Pflicht, über die zum Nachweis der Rechtgläubigkeit genauestens Buch geführt wurde. Allerdings war es bei sozial höhergestellten Frauen noch lange Zeit üblich, den Beichtvater als einen Vertrauten oder Ratgeber zu betrachten, der eine eigene, aber stets dienende Funktion wahrnahm. Gleichwohl zeugen die Prozessdokumente von einer zunehmend profilierten Rolle und Präsenz der 6

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Beichtväter, die mit der Fähigkeit einherging, insbesondere in den gläubigen Pönitentinnen und Patientinnen Skrupel und Gefühle der Gehorsamspflicht zu erzeugen. Die Dokumentation der Prozesse ist mithin durch vielfältige Faktoren bestimmt und sagt sehr viel mehr über die Bildung und Mentalität der Richter als über die Gedanken der Angeklagten aus. Auch die Vermittlung eines Notars kann sich verzerrend auf den Prozess auswirken. Authentischere Rückmeldungen erhalten wir zuweilen gerade dort, wo es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen oder Misstönen kam, wenn beispielsweise Frauen – Zeuginnen oder Angeklagte, die nicht selten aus einfachen Verhältnissen stammten ‒ sich nicht einschüchtern ließen und dem Tribunal die Stirn boten. Und so kommt der Verdacht auf, dass es den Frauen womöglich leichter gefallen sein könnte, Rollen zu spielen und Fragen ausweichend zu beantworten, weil sie es ja ohnehin gewohnt waren, sich bedeckt zu halten und ihr Innerstes zu verbergen, und weil ihnen die Grenzen dessen, was ihnen zustand – insbesondere in jenen Wissensbereichen, die traditionell als für Frauen unpassend galten ‒, deutlicher bewusst waren. Ein ernsthaftes Bibelstudium und eine Lektüre, die sich nicht nur auf Andachtsbücher oder Legendensammlungen beschränkte, waren inzwischen zwar auch den Männern verboten, erregten im Falle einer Frau jedoch noch größeres Aufsehen. Und doch verteidigten sich gerade Letztere oft mit beträchtlichem Geschick und mit ganz eigenen Strategien und bewiesen dabei nicht selten die Fähigkeit, eine durchaus besondere Beziehung zu den gelesenen Texten herzustellen.7

2. Von der Inquisition verhörte Frauen und die Bibel Vornehme Frauen wie Isabella Frattina und die Klarissen aus Udine, die ihre Situation einschätzen konnten, waren nicht selten so versiert und selbstbewusst, dass sie in der Beziehung zu ihren Beichtvätern und Richtern die Kontrolle übernahmen, ihre Fragen geschickt umgingen und deren männliche Macht ins Wanken brachten.8 Von außergewöhnlicher Stärke zeugt aber auch das Beispiel der Bäuerinnen aus dem Veneto, die für ihren reformierten Glauben auf ermüdend langen und gefährlichen Reisen ihr Leben aufs Spiel setzten und sogar vor der Möglichkeit des Martyriums nicht zurückscheuten. Einer einfachen Frau aus dem westlichen Friaul gelang es, unter dem Deckmantel eines nach außen hin völlig unverdächtigen Lebens die Integrität ihrer Glaubensüberzeugungen bis an ihr Lebensende zu bewahren. Und Marta Fiascaris, eine Mystikerin, der man 1653 die Vortäuschung von Heiligkeit zur Last legte, war selbst unter unzähligen psychologischen Qualen noch immer imstande, die Angriffe ihrer Richter energisch und standhaft 7

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Federica AMBROSINI, „Libri e lettrici in terra veneta nel sec. XVI. Echi erasmiani e inclinazioni eterodosse“, in Erasmo, Venezia e la cultura padovana nel ‘500 (hg. v. Achille Olivieri; Rovigo: Associazione Culturale Minelliana, 1995), 75‒86; Xenia VON TIPPELSKIRCH, „Histoires de lectrices en Italie au début de l’époque moderne. Lecture et genre“, Revue de synthèse 1‒2 (2007): 181‒208. Vgl. Federica AMBROSINI, L’eresia di Isabella. Vita di Isabella da Passano, signora della Frattina (1541–1601) (Mailand: Franco Angeli, 2005).

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zu parieren.9 Ganz anders als die Klischees von der schwachen und zerbrechlichen Frau es uns glauben machen wollen, wussten diese und andere Frauen sich also sehr gut gegen die Inquisitoren und Beichtväter zu verteidigen. Sie ragen gerade deshalb heraus, weil sie Ausnahmeerscheinungen in einem weiblichen Kontext waren, der insgesamt eher von Ausweichstrategien geprägt war. Sie machen das verborgene Potential sichtbar und geben Zeugnis von einer kulturellen und spirituellen Herangehensweise, von der man ohne sie wohl nie erfahren hätte. Bei aller Dürftigkeit der uns überlieferten Dokumentation können wir also dennoch versuchen, einigen bedeutenden Beispielen nachzuspüren, die uns vor allem ahnen lassen, wie und mit welchen spezifischen Lesarten die Frauen sich den heiligen Texten genähert haben: Lesarten, deren Reichtum bisweilen auch durch die vielfältige und von den unterschiedlichsten Kulturen geprägte Lebenswirklichkeit dieser Frauen bedingt war. In manchen Fällen ist der Forschungsaufwand sehr hoch, weil sie, wie so oft bei Frauen und insbesondere bei Frauen von niederem Stand – etwa der Frau aus Spengenberg oder einer Gruppe von Täuferinnen, die in Prozessakten aus dem Veneto Erwähnung finden ‒, nur sehr spärlich dokumentiert sind. In anderen Fällen – etwa bei den Klarissen aus Udine, der Adligen Isabella Frattina, Paola Antonia Negri oder bei der Mystikern Fiascaris und der Gruppe ihrer Freundinnen und Anhängerinnen aus Triest ‒ ist die erhaltene, aus Prozessakten und anderen Schriftstücken bestehende Dokumentation umfangreicher und besser geeignet, die Vorgänge für uns verständlich werden zu lassen. Im Folgenden soll die Art und Weise aufgezeigt werden, wie Frauen sich in der frühen Neuzeit der Bibel genähert haben, und dabei einige der oben erwähnten exemplarischen Fälle analysiert werden. Einer dieser Fälle betrifft eine arme alte Frau aus Spengenberg, Lunarda Barnaba (†1588), Tochter des Mastro Angelo, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Walken von Stoffen verdiente, bis sie im Alter von 60 Jahren verstarb.10 Sie hatte ihrem Pfarrer keine Probleme bereitet, war Mitglied der Bruderschaft gewesen, die das Hospital leitete, hatte täglich den Rosenkranz gebetet und lediglich einige Male während der Fastenzeit Eier gegessen. Ihre Verwandten hatten sich wiederholt besorgt über ein kleines Büchlein geäußert, das ihr lieb und teuer war, doch nie war etwas Konkretes dabei herausgekommen, und die Frau hatte stets ihre Rechtgläubigkeit beteuert. Ihr Pfarrer hatte sie sogar mit Drohungen dazu bringen wollen, ihre heterodoxen Vorstellungen zu beichten. Doch sie hatte sich immer in Schweigen gehüllt, ihre Unwissenheit beteuert und, was das Einhalten der katholischen Riten betraf, ein beispielhaftes Verhalten an den Tag gelegt. Auf dem Totenbett hatte sie gebeichtet und das heilige Öl empfangen. Dass man ihr die Kommunion nicht verabreicht hatte, war lediglich ihrem schlechten Gesundheitszustand ge9

10

Vgl. Giovanna PAOLIN, „Fiascaris, Marta“, in Dizionario storico dell’Inquisizione, Bd. 2 (hg. v. Adriano Prosperi unter Mitarb. v. Vincenzo Lavenia und John Tedeschi; Pisa: Edizioni della Normale, 2010), 593f. Venezianisches Staatsarchiv (nachfolgend ASVe), Sant’Uffizio, b. 62, fasc. Fregonio Bernardo. Giovanna PAOLIN, „La vita religiosa nel Friuli occidentale nella seconda metà del Cinquecento“, Metodi e Ricerche 1 (1996): 9‒26.

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schuldet. Erst nach ihrem denkbar frommen Dahinscheiden 1588 fanden die Frauen, die sie für die Aufbahrung herrichteten, unter ihrem Kissen das so heiß geliebte Buch, das deutliche Gebrauchsspuren aufwies: Es war Calvins Genfer Katechismus für Knaben.11 Wir wissen nicht, ob sie noch weitere Bücher besaß, und da sie jene Lektüre bis ans Ende ihrer Tage mit so eifersüchtiger Liebe gehütet und selbst vor ihren nächsten Angehörigen geheim gehalten hat, können wir auch nicht mit Gewissheit sagen, was sie ihr konkret gegeben haben mag. Gleichwohl lässt die Dokumentation uns ahnen, wie tief ihr Glaube war und welche Kraft sie dank der leidenschaftlichen und didaktisch klaren Darlegung des Genfer Texts aus dem Wort Gottes schöpfte. Die Episode wirft ein kurzes Schlaglicht auf eine verschwiegene, stille Wirklichkeit und zwingt uns, über die Frage nachzudenken, wie viel von der Geschichte des religiösen Abweichlertums und insbesondere von der Geschichte des religiösen Denkens der Frauen wohl für immer verloren ist. Und sie macht deutlich, welche Kraft auch eine Frau aus einfachen Verhältnissen aufzubringen vermochte. Das Buch hatte sie gestärkt, und die Worte des Glaubens waren stets ihr bestgehüteter Schatz gewesen.

3. Die Täuferinnen aus dem Veneto In der ebenfalls eher spärlichen Dokumentation über einige Täuferinnengruppen aus dem Veneto sind gleichwohl viele hochinteressante Aussagen von einfachen Frauen aus Cinto – dem heutigen Cinto Caomaggiore – enthalten.12 So sehr die betreffenden Prozessakten auch mit konkreten Hinweisen geizen, lassen sie doch, was die Rolle der 11

12

Der Inquisitor fra Stefano da Cento zeigte Bernardo Fregonio einen 1554 von Jean Crispin in Genf publizierten Text, einen Knabenkatechismus; außerdem enthielt die Ausgabe im Anhang ein weiteres Buch, nämlich: XX Salmi di David. Tradotti in rime volgari italiane, secondo la verità del testo Hebreo, col Cantico di Simeone, e i dieci Comandamenti de la Legge: ogni cosa insieme col canto. Appresso Gio. Crispino. Nel LIIII, e la Forma dell’orationi ecclesiastice col modo de administrar li sacramenti secondo che si usa nelle buone chiese. Vgl. auch VON TIPPELSKIRCH, Histoires de Lectrices. ASVe, Sant’Uffizio, b. 18, fasc. Michieli Biagio e altri; Historisches Archiv des Erzbistums Udine (nachfolgend ASAUd), Curia Arcivescovile, Sant’Uffizio, b. 9 (=1286), fasc. 168. Giovanna PAOLIN, „I contadini anabattisti di Cinto“, Il Noncello 50 (1980): 91‒124; DIES., „A proposito dell’anabattismo cintese e veneto: alcune considerazioni“, in La Fraterna del miglior viver. Origini medievali dei movimenti ereticali. Anabattismo e Inquisizione nel Veneto. L’esodo della comunità cintese (Pordenone: Cinto Caomaggiore, 2005), 87‒107. Die Täuferbewegung war reich an überaus starken Persönlichkeiten, auch sehr einfache Individuen konnten sich in ihrer Würde befreit fühlen wie Alessandro Jechil da Bassano, der Meister und Freund der Klarissen von Udine. Giovanna PAOLIN, „Dell’ultimo tentativo compiuto in Friuli di formare una comunità anabattista. Note e documenti“, Nuova Rivista Storica LXII (1978): 3‒28. Jahrelang gelang es ihnen, im Veneto Zuflucht zu finden, wie die grundlegenden Arbeiten von A. Stella gezeigt haben: Aldo STELLA, Dall’anabattismo al socinianesimo nel Cinquecento veneto (Padua: Antenore, 1967); DERS., Anabattismo e antitrinitarismo in Italia nel XVI secolo (Padua: Antenore, 1969); DERS., La rivoluzione contadina del

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Frauen und ihre Beziehung zur neuen Heilsbotschaft betrifft, gewisse Rückschlüsse zu. Aus den Dokumenten geht hervor, dass viele Frauen nach einer Denunziation von Don Pietro Manelfi 1551 – die den Niedergang der Täuferbewegung eingeleitet und eine Welle von Repressalien ausgelöst hatte ‒ ihren Mann oder ihre fast schon erwachsenen Kinder verließen, um ins Exil nach Mähren zu gehen: ein gefährliches und unwägbares Abenteuer, das unglaublichen Mut erforderte. Auch wenn man bei der nicht eben wortgewandten Aussage eines verlassenen Ehemanns dem ironischen Gedanken verfallen könnte, dass dieses Exil für die betreffenden Frauen wohl eher eine Befreiung war, darf man doch nicht vergessen, dass sie sich mit dieser überaus riskanten Reise in fremde und ferne Länder allergrößten Gefahren aussetzten. Zu bedenken ist ebenfalls, dass sie ein Zuhause und emotionale Bindungen hinter sich ließen, zu denen sie nie würden zurückkehren können. Obendrein nahmen sie es auf sich, als ehrlose Verräterinnen des ehelichen Bundes dazustehen. Sie hatten nicht wie so viele andere ihre Zuflucht in Heimlichtuerei und Verstellung gesucht und in aller Stille ihr bisheriges Leben weitergelebt, sondern in einem Befreiungsschlag alles auf das Wort gesetzt und die volle Verantwortung übernommen. Während das Land sich leerte und Familien auseinandergerissen wurden, schöpften diese Frauen Mut aus dem Glauben an ein Wort, das ihnen zurückgegeben worden war und das sie verstanden. Leider wissen wir auch in diesem Fall nicht im Einzelnen, welche Texte ihnen zugänglich gemacht oder erklärt worden sind, aber wir wissen, dass vor allem die Wiederentdeckung der Bibel in diesen Gruppen von zentraler Bedeutung war: die Tatsache also, dass sie das Wort Gottes endlich in der Volkssprache lesen und verstehen konnten. Aus der Bibel gewannen sie auch die Gewissheit, dass zwischen den Schwestern und Brüdern im Glauben eine Gemeinschaft der Liebe möglich war: eine Gleichheit vor Gott ohne Terror und Unterdrückung und in allseitigem Respekt. Wie stark die Überzeugung und der Glaube dieser Frauen waren, beweist die Tatsache, dass manche von ihnen unter Gefährdung ihres eigenen Lebens in ihre Heimat zurückkehrten und andere davon überzeugten, ebenfalls aufzubrechen und mit ihnen nach Mähren auszuwandern. Diejenigen, die zurückkehrten, um sich gegenseitig beizustehen, wussten, welcher Gefahr sie sich aussetzten, und mussten zum äußersten Zeugnis bereit sein. Es gibt in den reformierten Kreisen Italiens nur wenige Belege für eine so starke weibliche Missionsbewegung, da die Männer es verständlicherweise leichter hatten, sich auf ein solches Wagnis einzulassen. Umso deutlicher zeigt das Verhalten dieser Frauen, wie lebhaft ihre Beziehung zum heiligen Text und wie groß ihre Begeisterung über dessen Wiederentdeckung und ihre Bereitschaft war, alles aufs Spiel zu setzen, um diesen Text zu verbreiten und bis zur letzten Konsequenz danach zu leben. Auf dem schwierigen religiösen Weg, den die Täufer aus dem Veneto gegangen sind, begegnen uns weitere Frauengestalten, die nicht immer den Mut oder die Gelegenheit hatten, ihr Leben aus Treue zum göttlichen Wort aufs Spiel zu setzen oder zu fliehen. Zu 1525 e l’utopia di Michael Gaismayr (Padua: Antenore, 1975). Ich verweise hier auf zwei weitere meiner eigenen Arbeiten: Giovanna PAOLIN, „Sviluppi dell’anabattismo veneto nella seconda metà del Cinquecento“, in Die Täuferbewegung ‒ L’anabattismo (Bozen: Praxis 3, 1989), 115‒159; DIES., „Chiesa e Stato a Venezia: alcune note“, Archivio Veneto 1 (2011): 51‒78 (auf S. 68, Zeile 6, steht irrtümlich Treviso statt Rovigo).

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ihnen gehörte auch der traurige Fall der Angelica, Frau und Glaubensschwester des armen Täufers Gian Giacomo Spadaro, wohnhaft in Venedig, aber gebürtig aus Trient. Angelica, die nicht die Kraft hatte, den Widerruf zu verweigern, gestand in einem Brief aus dem Kerker unter anderem ihre verzweifelte Sorge um ihre vierjährige Tochter, die sie alleine zurückgelassen hatte.13 Die Aussagen einer Frau, die sieben Kinder und eine Familie zu versorgen hatte, machen deutlich, dass sie bisweilen gar nicht genau verstand, was auf den Bibeltreffen bei ihr zuhause eigentlich vor sich ging, obwohl sie sich ernsthaft bemühte, zuzuhören, und anschließend mit ihrem Mann darüber sprach.14 Eine andere Zeugenaussage belastete Domenico de Zacchis, den Beichtvater der Konvertitinnen in Venedig, der, als er in der Gegend von Bassano tätig war, eine Gruppe von Frauen mit der Heiligen Schrift vertraut gemacht haben soll. Die Frauen hätten ihn abends aufgesucht, damit er ihnen aus dem Alten Testament vorlas und mit ihnen über Religion sprach. Auch in diesem Fall wird deutlich, wie sehr sich die Gläubigen nach einem direkten Zugang zu den heiligen Texten sehnten, welches große persönliche Risiko sie eingingen und wie stark ihr Wille war, der Wiederentdeckung des Glaubens immer neue Nahrung zuzuführen – doch auch hier lassen die wenigen Spuren kaum weitere Rückschlüsse zu.15 De Zacchis soll, so berichten die Texte, Beziehungen nach Mähren unterhalten, Verbannten in Bassano seine Gastfreundschaft gewährt und andere – wie die Familie von Antonio della Crosara, dessen Frau konvertiert war und nun unter den übrigen Frauen vor Ort für den neuen Glauben warb ‒ zur Emigration gedrängt haben. Obwohl dieser Prozess uns nicht wirklich viele Einzelheiten und Namen liefert, zeichnet er doch ein lebhaftes Bild davon, dass auch Frauen den sehnlichen Wunsch hatten, sich der Schrift auf eine neue Weise zu nähern. Im Übrigen waren in diesen Zentren im Veneto offenbar etliche verdächtige Bücher und Abschriften volkssprachlicher Bibeln im Umlauf, wie aus dem Fall einer verschwundenen protestantischen Bibliothek in Oderzo und aus verschiedenen Aussagen ersichtlich wird, die von der beträchtlichen Bildung einiger örtlicher Familien zeugen.16

4. Gebildete Frauen mit Leidenschaft für das Wort: Isabella Frattina Zwischen Bassano und Venedig spielt die leidvolle Geschichte einer Frau namens Aquilina Loschi, die von nicht geringer Herkunft, gebildet, gewandt und den Büchern ‒ unter anderem dem Beneficio di Cristo ‒ sehr zugetan war und ebendeshalb Verdacht 13 14 15 16

ASVe, Sant’Uffizio, b. 11, fasc. 3. EBD., Verhör der Lucrezia, der Frau von Mattio Madalena. ASVe, Sant’Uffizio, Processi, b. 25, fasc. Depositio monialium sanctae Mariae Magdalenae a Judaica convertitarum, Montag, 31. Januar 1569 (1568 nach venezianischem Kalender). ASVe, Sant’Uffizio, b. 26, fasc. Bertoldi Vincenzo. Andrea DEL COL, „Il Nuovo Testamento tradotto da Massimo Teofilo e altre opere stampate a Lione nel 1531“, Critica Storica XV (1978): 170f.; Giovanna PAOLIN, „La vita religiosa nel Friuli occidentale nella seconda metà del Cinquecento“, Metodi e Ricerche 1 (1996): 12, 17; Fabiana SAVORGNAN DI BRAZZÀ, Scrittura femminile nel Friuli dal Cinquecento al Settecento (Udine: Gaspari, 2011), 18.

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erregte.17 Andere Aussagen weisen darauf hin, dass es in Venedig auch Frauen aus dem einfachen Volk gab, die sich für die evangelischen Prediger begeisterten, wenngleich nichts darüber bekannt ist, ob sie ihre Schriftkenntnisse auf direktem Weg durch die eigene Lektüre oder indirekt aus der mündlichen Belehrung18 durch besagte Prediger bezogen, die jedenfalls in einer Gesellschaft, die eher des Zuhörens als des Lesens kundig war, entschieden hohes Gewicht hatte. Man denke nur an Apollonia, eine Friulanerin aus Piano d’Arta, die in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts begeistert zu Protokoll gab, ihr eigener Mann, der Gastwirt Simone Saccardo, habe den Frauen seines Haushalts Sonntag für Sonntag die Bibel besser vorgelesen und gedeutet als ein Priester.19 Erinnert sei fernerhin an die außergewöhnlichen Berichte über die lebhaften und aufgeschlossenen Diskussionen der Frauen in Pirano, wo volkssprachliche Bibelübersetzungen kursierten.20 Zu nennen ist etwa Maria Cupina, die in den Waldensertälern predigte, oder auch die Veroneserin Maistrella, die durchaus imstande war, die neuen Ideen zu verbreiten und mit dem Pfarrer über die Paulusbriefe zu diskutieren.21 Die höhergestellten Frauen lebten zwar in anderen Verhältnissen, waren jedoch – lässt man die rühmlichen und wohlbekannten Ausnahmen im Bereich der Literatur einmal beiseite ‒ im Durchschnitt deutlich weniger gebildet als die männlichen Angehörigen derselben Schicht. Trotzdem war es für diese Frauen vergleichsweise einfach, die Debatten ihrer Zeit zu verfolgen und sich die nötigen Mittel zu beschaffen, um aktiv daran teilzunehmen. Einer Frau vom kulturellen und spirituellen Format und der biblischen Kompetenz einer Olimpia Morata (1526‒1555) begegnete man freilich eher selten.22 Ein besonderes Beispiel ist auch das der Gräfin Laura Gavardi, der Mutter des Ulisse Martinengo, die ihre Glaubensüberzeugungen zum Besten gab, wenn sie durch Sondrio spazierte, und öffentlich ihre Absicht erklärte, die Bibel in der Volkssprache zu studieren.23

17 18

19 20 21 22

23

Federica AMBROSINI, Storie di patrizi e di eresia nella Venezia del ‘500 (Mailand: Franco Angeli, 1999), 30f. Susanna PEYRONEL RAMBALDI, „Per una storia delle donne nella Riforma“, Einleitung zu Roland H. BAINTON, Donne della Riforma in Germania, in Italia e in Francia (Turin: Claudiana, 1992), 9–45; 29; John MARTIN, „L’Inquisizione romana e la criminalizzazione del dissenso religioso a Venezia all’inizio dell’età moderna“, Quaderni Storici 3 (1987): 777‒802; 787; Salvatore CAPONETTO, La Riforma protestante nell’Italia del cinquecento (Turin: Claudiana, 1992), 262. ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, b. 5 (= 1282), fasc. 87. Silvana SEIDEL MENCHI, Erasmo in Italia, 1520‒1580 (Turin: Bollati Boringhieri, 1987), 178. PEYRONEL RAMBALDI, „Per una storia delle donne“, 37. EBD., 39. DIES., „Olimpia Morata e Celio Secondo Curione: un dialogo dell’Umanesimo cristiano“, in La formazione storica della alterità. Studi di storia della tolleranza nell’età moderna offerti a Antonio Rotondò, Bd. I: Secolo XVI (hg. v. Henry Méchoulan, Richard H. Popkin, Giuseppe Ricuperati und Luisa Simonutti; Florenz: Olschki, 2001), 93‒133. PEYRONEL RAMBALDI, „Per una storia delle donne“, 39f.

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Ein weiteres Beispiel ist Isabella Frattina, Tochter der Adligen Caterina Sauli, die sich mit zahlreichen Persönlichkeiten umgab, und später der Ketzerei verdächtigt wurden. Sie liebten die Bibel und verkehrten in einem aktiven, debattierfreudigen Umfeld.24 Isabella, die von Alessandro Citolini unterrichtet wurde und so von klein auf eine solide Bildung erhielt, ging anlässlich ihrer Verheiratung nach Portogruaro, das schon eine ganze Reihe verdächtiger Persönlichkeiten wie Francesco Stella angezogen hatte. Ihr Mann, Marco della Frattina, wies keinen einfachen Charakter auf, und in seinem Haus lebten Personen, die sich in Glaubensdingen verdächtig gemacht hatten. Die wissbegierige Isabella stand mit dem lebhaften Mantuaner Umfeld25 in Verbindung, wie auch mit Brocardo, mit dem sie befreundet war und die Ausbildung ihrer Kinder anvertraute. Sie lernte das Werk Vergerios kennen und schloss Freundschaft mit Faustina di Valvasone, einer Adligen, die sie noch weiter anspornte und mit neuen Texten versorgte, sowie mit der adligen Familie der Porcia, ihren Verwandten. Ihr Schwager Graf Muzio schenkte ihr ein Neues Testament26 in der volkssprachlichen Übersetzung von Massimo Teofilo, das sie über Jahre hinweg weder hergab noch vernichtete, obwohl sie wusste, dass sein Besitz verboten war. Dennoch war sie stets darauf bedacht, sich an die religiösen Formalitäten zu halten, und wusste sich auch dann noch geschickt zu tarnen, als man sie beschuldigte, sie habe ihrer kleinen Tochter die Gebete nicht beibringen lassen wollen. Sie beteuerte, sie habe die beanstandeten Texte nur gelegentlich gelesen, sei im Schreiben nicht sehr geschickt, habe stets in bester Absicht gehandelt und könne die Schrift nicht lesen, da sie ja eine Frau sei, das heißt sich um den Haushalt kümmern müsse, die Lektüre gewisser Texte ihrem Geschlecht nicht anstehe und es vielmehr ihre Pflicht sei, ihren Oberen zu gehorchen.27 Trotz langer Kerkerhaft verteidigte sie sich unvermindert scharfsinnig und geschickt und stritt ab, was abzustreiten war. Ihre Erlebnisse lassen ahnen, dass sie von einer echten Leidenschaft für das Wort beseelt war. Noch mehr zeigt sich aber die seelische Kraft einer Frau, die es geschickt verstand, ihre Gedanken zu verbergen und die Richter mit ihren eigenen Rollenvorurteilen zu übertölpeln. Sie sagte zum Beispiel, dass sie aus mädchenhafter Dummheit gesündigt habe oder keine gebildete Person sei. Ebenso beteuerte sie glaubwürdig, sie wisse sehr wohl, dass sie die Schrift nicht lesen dürfe und dass sie allein ihren Oberen, ihrem Beichtvater, zu gehorchen hätte. Geschickt erklärte Isabella Frattina, sie lese le24

25 26

27

AMBROSINI, L’eresia di Isabella. Zu diesem lebhaften Umfeld vgl. DIES., Storie di patrizi; Stefania MALAVASI, Tra diavolo e acquasanta: eresie, magia e stregoneria nel Veneto del Cinque-Seicento (Rovigo: Minelliana, 2005). Vgl. auch die Anmerkungen in PEYRONEL RAMBALDI, „Per una storia delle donne“, 18ff. ASVe, Sant’Uffizio, b. 25, Prozess Isabella Frattina, Verhör vom 8. Juni 1568. AMBROSINI, L’eresia di Isabella, 166, 182. Zu den seltenen Fällen eines derart starken Engagements vgl. auch Susanna PEYRONELL RAMBALDI, „Mogli, madri, figlie: donne nei gruppi eterodossi italiani del Cinquecento“, in Le donne delle minoranze. Le ebree e le protestanti d’Italia (hg. v. Claire R. Honess und Verina R. Jones; Turin: Claudiana, 1999), 45‒65; 63f.; DIES., „Donne ed eterodossia nell’Italia del Cinquecento“, Archiv für Reformationsgeschichte 92 (2001): 274‒289. Dieser Taktik blieb sie in allen Verhören treu. Vgl. hierzu auch die Beobachtungen bei AMBROSINI, L’eresia di Isabella, 192f.; DIES., Storie di patrizi, 284f., 298‒301.

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diglich das Offizium der Jungfrau und die gängigen Andachten der katholischen Frauen, und beteuerte genau wie die Klarissen aus Udine, sie sei nur eine einfache Frau: Ich weiß nicht, was die Ketzer tun, und ich will es auch gar nicht wissen, noch habe ich die Schrift anderweitig studiert, weil ich meinen ganzen Glauben immer im Schoß der heiligen römischen Kirche und der heiligsten Päpste habe leben und Halt finden lassen wollen, und so will ich es tun, solange Gott mir Leben schenken wird, weil ich eine Frau bin, die auf mein Haus zu achten hat, und es steht mir auch nicht an, diese Studien zu betreiben, sondern mich, wie ich es tue, auf meine Oberen zu verlassen.28

Obwohl wir nicht viel mehr an Einzelheiten in Erfahrung bringen können, sind doch alle diese Fälle trotz der kulturellen Unterschiede immer wieder Ausdruck eines tiefen Verlangens, die Schrift auf authentische, persönliche Weise kennenzulernen – auch wenn es einigen vornehmen Frauen, die sich darüber beklagten, dass sie die Bibel nicht in der Volkssprache lesen durften, vielleicht eher um die darin enthaltenen Geschichten als um die religiöse Botschaft ging, wie es bei Fiorenza Cappello, der Verwandten und Namensschwester von Antonio Grimanis Frau Fiorenza, und bei ihrer Schwiegertochter Chiara Priuli der Fall war.29

5. Ordensfrauen und Bibelkompetenzen Eine im Ordensleben des 16. Jahrhunderts überaus wichtige Persönlichkeit war die aus Brescia gebürtige Angela Merici (1474‒1540), die Gründerin der großen Ordensfamilie der Ursulinen.30 In ihrer Regola und in den anderen Schriften zitiert sie vor allem das Evangelium, außerdem Paulus und den Petrusbrief. Daneben aber finden sich in ihren Ricordi auch Anklänge an das Hohelied, während in der Regola ein schöner Verweis auf die alttestamentliche Geschichte der Judit enthalten ist. Hier wird Judit als tapfere Frau dargestellt, die den Teufel – Holofernes – vernichtet. Eine große Liebe zu den paulinischen Schriften kennzeichnete auch die außergewöhnliche Mailänder Ordensfrau Paola Antonia Negri (1508‒1555), über die bereits viel geschrieben worden ist.31 Aus ihren Texten spricht die Liebe zu den Evangelien und den 28

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31

„Io non so quel che faccino gli heretici, né lo voglio manco sapere, né ho studiato la Scrittura altrimenti, perché ho sempre voluto vivere et riposar tutta la mia fede nel grembo della santa chiesa romana et delli santissimi pontifici, et così voglio fare fin che Dio mi darà vita, perché son donna che ha da tender alla casa mia, né si mi conviene far questi studii, ma riportarmi come faccio alli miei superiori.“ ASVe, Sant’Uffizio, b. 25, c. 25v. AMBROSINI, Storie di patrizi, 299f. Zu der anderen Fiorenza vgl. Giovanna PAOLIN, Lettere familiari della nobildonna veneziana Fiorenza Capello Grimani (1592‒1605) (Triest: LINT, 1996). Angela MERICI, Regola ricordi legati. Testo antico e testo moderno (Brescia: Queriniana, 1976); Querciolo MAZZONIS, Spiritualità, genere e identità nel Rinascimento: Angela Merici e la Compagnia di Sant’Orsola (Mailand: Franco Angeli, 2007); La sponsalità: dai monasteri al secolo: la diffusione del carisma di Sant’Angela nel mondo (hg. v. Gianpietro Belotti und Xenio Toscani; Brescia: Centro Mericiano, 2009). Paola Antonia NEGRI, Lettere Spirituali della devota religiosa Angelica Paola Antonia de’

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Psalmen, aber mehr noch zu den Worten „unseres süßen Paulus“, „meines Paulus“, der Seele der neuen Ordnung und ihrer ganzen Spiritualität.32 Negris Briefe sind ein dichtes Geflecht aus Verweisen auf Paulus und mehr noch auf die Evangelien, wobei die betreffenden Stellen oft in Anspielungen frei ausgeschmückt oder aber ausdrücklich zitiert werden.33 Es fällt auf, dass diese Frauen in ihren Schriften nicht mit jener Anhäufung von Auctoritates arbeiten, wie sie für die männliche Gelehrsamkeit kennzeichnend ist. Sie zitieren fast ausschließlich aus der Schrift und einigen wenigen maßgeblichen Texten, angefangen bei Augustinus. Während dies im Werk eines männlichen Verfassers den Verdacht einer reformatorischen Gesinnung hätte aufkommen lassen können, ist ein solcher Hintergrund bei den betreffenden Frauen und auch bei Negri eher Zeichen einer deutlichen Distanz zur institutionellen Bildung. So war ihre religiöse Sprache frei, sich auf die Heilige Schrift zu berufen, die den Laien noch nicht verboten war. Gerade Negri hatte eine tiefe Beziehung zu den Schriften des heiligen Paulus, wies aber in einer Sichtweise, die sie mit vielen Frauen teilte, darauf hin, dass ihr Denken sich weitgehend „auf die Praxis und nicht auf reine Wissenschaft und Gelehrsamkeit“ stützte.34 Ein ganz anders gelagerter Fall ist der der Klarissen aus Udine.35 Sie waren eine außergewöhnliche Gruppe fähiger, strenger und gebildeter Frauen, die viele Bücher gelesen hatten und sich über die europäischen Ereignisse und die Vorgänge in Frankreich auf dem Laufenden hielten. Ende des 16. Jahrhunderts begeisterten sie sich für Heinrich von Navarra, den sehnlichst erwarteten Jagdhund (Veltro), der sie von den mönchischen

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34 35

Negri milanese: Vita della medesima raccolta da Gio. Battista Fontana de’ Conti (Rom: in aedibus Populi Romani, 1576); Rita BACCHIDDU, „Marco Antonio Pagani fra Paola Antonia Negri e Deianira Valmarana“, Archivio italiano per la storia della pietà 13 (2000): 48‒107; DIES., „‘Hanno per capo et maestra una monaca giovane’: l’ascesa e il declino di Paola Antonia Negri“, Religioni e Società 51 (2005): 58‒77; Andrea Maria ERBA, L’angelica Paola Antonia Negri: Le drammatiche vicende della «divina madre» (1508‒ 1555) (Segni: EDIVI, 2008); Elena BONORA, I conflitti della Controriforma: Santità e obbedienza nell’esperienza religiosa dei primi barnabiti (Florenz: Le Lettere, 1998); DIES., „Nei labirinti della censura libraria cinquecentesca: Antonio Pagani (1526‒1589) e le ‘Rime spirituali’“, in Per Marino Berengo. Studi degli allievi (hg. v. Livio Antonelli, Carlo Capra, Mario Infelise; Mailand: Franco Angeli, 2000), 114‒136. Vgl. z. B. NEGRI, Lettere Spirituali, 56f., 118, 127. Als Beispiel könnte man das Zitat aus dem Matthäusevangelium (11,7‒11) über den Täufer, den schönen Hinweis auf das Gebet Jesu für die Seinen (Joh 17,1‒26) oder auch die kurzen, aber wirkungsvollen Verweise auf die Unabhängigkeit vom Geld bei Lukas (16,1‒13) anführen. NEGRI, Lettere Spirituali, 17, 42, 46, 48. Zu Negris Predigttätigkeit vgl. Adriana VALERIO, „La predicazione femminile dagli anni pre-tridentini alla metà del seicento“, in La predicazione in Italia dopo il Concilio di Trento tra Cinquecento e Settecento (hg. v. Giacomo Martina und Ugo Dovere; Rom: Dehoniane, 1966), 177‒296. BONORA, I conflitti della Controriforma, 268. NEGRI, Altre lettere, Mskr. aus Venedig, 23. Mai 1545. PAOLIN, „Dell’ultimo tentativo compiuto in Friuli“; DIES., „L’eterodossia nel monastero delle clarisse di Udine nella seconda metà del ’500“, Collectanea Franciscana (1980): 107‒167; DIES., Lo spazio del silenzio, 78‒89.

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Ketten und von der römischen Religionsdiktatur befreien würde. Ihre Geschichte, an die hier nur kurz erinnert werden soll, war durch das langjährige Bestehen und den einmaligen Zusammenhalt und die Geschlossenheit der Gruppe charakterisiert. Nach der ersten Begegnung mit der reformatorischen Botschaft wurden sie in Pietro Manelfis Aussage unter denen erwähnt, die in Udine zu den Täufern übergetreten waren. Daraufhin versuchten einige, aus dem Kloster nach Mähren in die Freiheit zu fliehen. Der größte Teil von ihnen wurde bald gefunden und die ganze Sache im Zuge eines ordensinternen Verfahrens aufgedeckt. In den darauffolgenden Jahrzehnten verbarg sich die Gruppe, nunmehr zu einem Leben in Klausur gezwungen, hinter der Maske des Konformismus und fand zu ihrer alten Stärke zurück. Einige Zeugnisse lassen sowohl auf ihre Treue zum antitrinitarischen Täufertum als auch auf ihre Vertrautheit mit Altem und Neuem Testament als der primären Quelle des Glaubens schließen. Aus den Akten spricht vonseiten einiger Glaubensgenossen und vonseiten ihres eigenen Beichtvaters eine unverhohlene Anerkennung ihrer Bibelkenntnisse. In den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts standen sie sogar in intensivem kulturellen Austausch mit Salomon, einem Juden aus Tricesimo. Der Täufermissionar Alessandro Jechil schrieb in den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts in seinen Briefen, die Klarissen aus Udine seien ihm, was das Verständnis der Heiligen Schriften betreffe, überlegen.36 Sie liebten die Psalmen, zitierten jedoch häufiger aus dem Neuen Testament, von den Evangelien bis zur Offenbarung, und ihre Darlegungen waren einleuchtend und sachkundig. Am Ende ihrer Geschichte zu Beginn des 17. Jahrhunderts disputierten sie noch immer mit großem Engagement über die Schrift und lehrten ihre Schülerinnen die Theorie vom Seelenschlaf, die vor allem auf der Stelle aus der Apostelgeschichte basiert, die das Martyrium des heiligen Stephanus beschreibt und mit den Worten endet: „Obdormivit in Domino“ (Apg 7,60). Ihre leidenschaftliche Liebe zur Bibel und die Beschäftigung mit dem Alten Testament hatten die Udineser Klarissen sogar zu einer Neubewertung des jüdischen Monotheismus veranlasst. Viele Jahre lang blieben sie standhaft und solidarisch und führten die ihnen vermeintlich übergeordneten Beichtväter und Richter geschickt an der Nase herum. Aus den Spuren, die einige Prozesse hinterlassen haben, lässt sich schlussfolgern, dass die Klügsten von ihnen Teil einer religiösen und kulturellen Bewegung waren, die sich als eine Frühform des Libertinismus im Gebiet des Veneto bewerten lässt. Ferner muss daran erinnert werden, dass diese Ordensfrauen nicht nur mehr als ein halbes Jahrhundert lang ein Gefüge aufrechterhielten, das sich durch seine außergewöhnliche innere Geschlossenheit auszeichnete, sondern dass sie in ihrem Kloster überdies die Töchter vieler bedeutender Familien aus dem Friaul erzogen und zudem mit den Klarissen von Gemona in Verbindung standen. Nie wurde Anklage gegen sie erhoben oder Kritik an ihnen geübt. Nur die Mutter einer Schülerin, die ins Noviziat eintreten sollte, bemerkte, was vor sich ging. Ihre Anzeige führte im Jahr 1590 zu einem Prozess, in dem die Klarissen jedoch siegten und sich gegen einen Patriarchen wie Francesco Barbaro d. J. und gegen Rom behaupteten.

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DIES., „Dell’ultimo tentativo compiuto in Friuli“, 19‒28.

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Wir können uns also vorstellen, dass ihren Schülerinnen – späteren Ehefrauen und Müttern in sozial herausgehobenen Positionen ‒ zwar vielleicht nicht unbedingt die reformatorische Lehre, aber auch gewiss keine von der katholischen Rechtgläubigkeit und Frömmigkeit durchdrungene Bildung, sondern ein religiöses Denken vermittelt wurde, das einzig und allein auf der Schrift basierte. Umso bedeutsamer ist dieses lange Stillschweigen, das von einem bemerkenswerten Konsens zeugt, der in dieser verschworenen Frauengemeinschaft geherrscht haben muss. Noch 1614 sollten vornehme Frauen aus dem Friaul den Mut haben, sich dem Inquisitor entgegenzustellen und ihn offen zu bedrohen, um die der Heterodoxie verdächtigten Nonnen zu beschützen. Während dieses letzten Prozesses holte der Inquisitor in der Frage, ob die von den Schwestern gelehrte Theorie vom Seelenschlaf zu verurteilen sei, den Rat seines Kollegen aus Padua ein. Er bekam zur Antwort, er solle die Sache fallenlassen, da die Angeklagten sich auf die Bibel stützten, die dieser Lesart einen gewissen Raum gebe, weshalb man ihnen allenfalls vorwerfen könne, eine Lehre, die Fingerspitzengefühl und Vorsicht erfordere, unbedachtsam an ihre Schülerinnen weitergegeben zu haben. Mithin könne man ihnen lediglich verbieten, diese potentiell gefährliche Lehre weiter zu unterrichten. Angesichts der strikten Geheimhaltung und der scharfsinnigen Verteidigung der Schwestern haben wir fast keine Detailinformationen über ihre umfangreiche Lektüre. Ihre Geschichte zeigt jedoch, dass die Liebe zur Schrift und die Entdeckung des Alten Testaments unter den gebildetsten Frauen in diesen Regionen an der Grenze zum Reich auf großes Interesse stieß – in einem Gebiet also, wo die Reformation mit besonderem Erfolg Fuß gefasst hatte und wo vor allem Ideen und Bücher kursierten, die aus Frankreich über Venedig und Padua hierher gelangt waren. In all diesen Fällen begegnen uns kultivierte und gebildete Frauen, die sich der ihrem Geschlecht auferlegten Grenzen einerseits bewusst und andererseits darauf bedacht waren, nicht allzu viel von ihren Überzeugungen nach außen dringen zu lassen. Was bleibt, ist das beredte Zeugnis ihrer leidenschaftlichen Treue zur Schrift. Was den Fall der Nonnen aus Udine so einzigartig macht, ist auch ihr bemerkenswertes Bildungsniveau und die ideologische Klarheit ihrer Beziehung zur Schrift. Eher isoliert erscheint dagegen eine andere Persönlichkeit von außergewöhnlicher Kraft: Francesca Petronio, Ordensfrau aus Pirano, Schwester des Maestro Petronio und Herz eines heterodoxen Zirkels. Um sie herum scharten sich Frauen, denen sie an Feiertagen nach der Vesper in der Kirche San Francesco das Evangelium auslegte.37 Vergleichbare Fälle sind kaum nachweisbar, zumal sich in den Klosterbeständen eher jene Art von Andachtsbüchern findet, wie man sie den Ordensfrauen typischerweise zudachte. Die Mailänder Bibliothek, über die Danilo Zardin geforscht hat, enthielt überwiegend fromme Schriften und nur einen einzigen Band mit Kommentaren zu den Psalmen.38 Immerhin bieten auch Erstere – das darf nicht vergessen werden ‒ übersetzte 37 38

PEYRONEL RAMBALDI, „Per una storia delle donne“, 40. Danilo ZARDIN, „Mercato librario e letture devote nella svolta del Cinquecento tridentino: Note in margine ad un inventario milanese di libri di monache“, in Stampa, libri e letture a Milano nell’età di Carlo Borromeo (hg. v. Nicola Raponi, Angelo Turchini; Mailand: Vita e pensiero, 1992), 135‒246; 224, 226.

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Passagen und stellen so eine „mittelbare Art der Kontaktaufnahme mit dem Bibeltext“ dar.39 Im Übrigen finden sich vereinfachte und verkürzte Versionen des Psalters, und in verschiedenen persönlichen Bibliotheken stehen Paraphrasen, Kommentare und Übersetzungen der Psalmen,40 auch wenn man nicht umhin kann, den Frauenklöstern von Mailand bis nach Cremona und Bologna im Allgemeinen einen recht bescheidenen Bildungsstand zu bescheinigen.41 Die Bibelkenntnisse der Schwestern beschränkten sich wenn überhaupt auf das Leiden Christi oder seine wundersame Geburt, in deren Betrachtung sie sich im Rahmen von Frömmigkeitsübungen und auf der Grundlage volkstümlicher Texte zu versenken pflegten.42 Verglichen mit den Verpflichtungen, die auch in den höheren Gesellschaftsschichten an das Leben einer Ehefrau und Mutter geknüpft waren, konnte das Ordensleben einer Frau sicherlich bessere Bildungschancen bieten, und doch weisen die Zeugnisse auf eine Wirklichkeit hin, die aus vielerlei Gründen recht anders aussah.

6. Marta Fiascaris: Deuterin der Schrift und Neu-Erlöserin Wir können noch ein weiteres Beispiel anführen, das zwar nicht in der klösterlichen Welt angesiedelt ist, aber doch in gewisser Weise zu dieser hinstrebte: den Fall einer wegen vorgetäuschter Heiligkeit beschuldigten und verurteilten Mystikerin und ihrer Freundinnen und Schülerinnen. Marta Fiascaris43 war 1610 im friulanischen San Daniele geboren und gehörte mütterlicherseits einer Familie konvertierter Juden an. Einer ihrer Onkel war 39 40 41

42

43

EBD., 231, Anm. 2. EBD., 232f., 240. EBD., 236. Claudia DI FILIPPO BAREGGI, „Monache, mistiche, sante: Federico Borromeo e le claustrali del suo tempo“, in Federico Borromeo vescovo (hg. v. Danilo Zardin; Studia Borromaica 17; Mailand: Biblioteca Ambrosiana, 2003), 119‒202; 191. EBD., 198f. Auch Fälle wie der von Schwester Maria Galluzzi aus Pavia, die – wir sind inzwischen im 17. Jahrhundert – immerhin auf Anweisung ihres Beichtvaters eine Autobiographie verfasst hat, scheinen auf eine eher mittelbare Kenntnis hinzuweisen. Angelo D’AMBROSIO, „Il diavolo, la salute e lo straordinario nelle biografie claustrali in età moderna“, in Nei Giardini del passato. Studi in memoria di Michele Paone (hg. v. P. Ilario D’Ancona und Mario Spedicato; Lecce: Grifo, 2011), 272. ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Processi, b. 25 (=1302), n. 883; ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Processi, bb. 33‒35 (=1310–12), n. 82; ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Processi, b. 38 (=1315), n. 251; ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Miscellanea, b. 71 (=1348), c. 11v; ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Epistulae S. Officii, 1614‒1646, b. 60 (=1337); ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Epistulae S. Officii, 1647‒1659, b. 61 (=1338). Archiv des Domkapitels von Udine, Archivio antico ospedale, Deliberazioni del Consiglio, n. 9, 1648‒1666, cc. 96v‒97r. ASVe, Carte T.GAR, n.1; ASVe, Sant’Uffizio, b. 98, 3. Stadtbibliothek Udine „Vincenzo Joppi“, Fondo principale, ms. 785 A, Le placitationi di Marta Fiascaris di S. Daniello. Marina ROMANELLO, „Inquietudini religiose e controllo sociale nel Friuli del Seicento“, in Finzione e santità tra medioevo ed età moderna (hg. v. Gabriella Zarri; Turin: Rosenberg & Sel-lier, 1991), 343‒

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sogar in den Kapuzinerorden eingetreten. Ihre Frömmigkeit scheint sich unter dem Einfluss der von den Dominikanern verbreiteten und vom örtlichen Pfarrer geförderten Oratorianerspiritualität entwickelt zu haben. Nach und nach wurde sie zu einer Persönlichkeit, die die Aufmerksamkeit der Gemeinde auf sich zog, und ihr Ruhm verbreitete sich in der ganzen Region und bis nach Triest. Die Inquisition griff ein, und sie musste sich einer harten Haftstrafe und zwei Gerichtsverfahren unterziehen sowie einige demütigende Auflagen akzeptieren. Über die gerichtlichen Ereignisse hinaus sind durch die Beschlagnahmung ihrer Briefe Hinweise auf einige von ihr verfasste oder inspirierte Schriften und ein interessantes und zusammenhängendes Briefkorpus erhalten geblieben. Diese Frau fand bei den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten beträchtlichen Anklang, und die Erbitterung, mit der die Kirche gegen sie vorging, stieß bei den Frommen auf völliges Unverständnis. Ihre Spiritualität war durch und durch von der Frömmigkeit ihrer Zeit geprägt. Sie versenkte sich in die Betrachtung eines leidenden und liebevollen Christus. Sie schöpfte vor allem aus dem Neuen Testament und erlebte mit tiefer Frömmigkeit die Geschichte des Erlösers nach. Demnach las Marta vor allem die Evangelien, doch einiges spricht auch dafür, dass sie die Psalmen und die Paulusbriefe gelesen hat. Marta Fiascaris fühlte sich der Kirche innig verbunden. Sie verteidigte sie gegen innere und äußere Feinde und stützte sich damit im mystischen Sinne auf eine besondere Macht, die ihr direkt von Gott verliehen wurde. Die Ungläubigen, die die Kirche angegriffen haben, werden mit dem Teufel und mit jenen verglichen, die Christus gefangengenommen und gepeinigt hatten.44 Die unverkennbaren Anklänge an die evangelischen Lesarten, die sich bei ihr finden, sind oft durch die mystische Ekstase bedingt und spiegeln Inhalte aus Predigten und Andachten wie etwa der zur heiligen Veronika wider, die damals im Umlauf waren. Besonders präsent ist Johannes mit dessen Evangelium. So äußert sie sich bewundernd über „die sanfte Schläfrigkeit der Ruhe, die der glorreiche Evangelist Johannes beim Abendmahl an der Brust des Herrn verspürte“ („il soave sono di quiete che fu quello che provò il glorioso evangelista Giovanni nella cena sul peto del Signore“) (Joh 13,23–26).45 Aus dem Lukasevangelium stammen natürlich die Schilderung der ärmlichen Verhältnisse, in denen der Erlöser geboren wird (Lk 1,7‒20), sowie der Abschnitt über Marta und Maria, also über den Vergleich zwischen aktivem und kontemplativem Leben (Lk 10,38‒42). Der Hinweis auf die „Brosamen, die von eurem [des Herrn] Tisch fielen, geliebte Liebe“ („miniucile che cadevano dalla mensa di voi [Signore] dileto amore“),46 um einer einfachen Frau zu helfen, bezieht sich auf das Matthäus- und das Markusevangelium (Mt 15,21‒28; Mk 7,24‒30). Wiederum dem Johannesevangelium entnommen

44 45 46

365; Giuseppe TREBBI, „Il processo stracciato: Interventi veneziani di metà Seicento in materia di confessione e Sant’Ufficio“, Atti dell’Istituto veneto di scienze, lettere ed arti CLXI (2002‒2003): 115‒236; 148f. ASAUd, Curia Arcivescovile, Sant’Officio, Processi, b. 33 (=1310), Opere, c. 31v. EBD., c. 38v. EBD., c. 18v.

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sind Stellen, die das Verhältnis zu den Frauen hervorheben, wie die Begegnung Jesu mit der Samariterin (Joh 4,1‒42)47 und vor allem die Liebe der Maria Magdalena (Joh 20,11‒ 18), die Marta Fiascaris als Apostelin bezeichnet: „die liebe Apostelin Magdalena, die euch unter solchen Schmerzen suchte und ohne euch keine Ruhe finden konnte“ („cara apostola Madelena che con tanto dolore vi handava cercando, che non poteva trovare riposo senza di voi“).48 Immer steht die Liebe im Zentrum ihrer Zwiesprache mit Christus; so sagt sie zu ihm: „Die Liebe ließ euch mit den lieben Aposteln das letzte Abendmahl halten, die Liebe ließ euch die Füße der armen Fischer und auch die undankbaren Füße des Verräters Judas waschen“ („l’amore vi fece andare affare l’ultima cena con i cari appostoli, l’amore vi fece lavare i piedi delli poviri pescatori con i ingrati piedi di Giud traditore“) (Joh 13,1‒20).49 Obwohl durch einen Text gefiltert, der von der mystischen Leidenschaft einer in den barmherzigen Christus verliebten Seele durchdrungen ist, sind die kurzen Zitate und Anklänge an Inhalte aus Predigtzyklen und bestimmten Andachten wie der Betrachtung des Leidens Christi unverkennbar. Es ist nicht immer einfach zu unterscheiden, was bei Marta Fiascaris Frucht der persönlichen Lektüre ist und was sie von anderen gehört hat. An ihrer Handschrift ist jedenfalls zu erkennen, dass sie zwar nicht über herausragende schreiberische Kompetenzen, wohl aber über eine für ihre Zeit vergleichsweise gute Grundbildung verfügte. Das Bewusstsein der eigenen Heilssendung, die Sicherheit, die sie aus ihren Visionen und aus der Gewissheit schöpfte, die Lehre des Herrn verstanden zu haben, gaben ihr die Kraft, auch dem Klerus gegenüber die Rolle einer Lehrerin zu beanspruchen. Zu einer Zeit, da Frauen sich eigentlich nicht mehr zur Rolle einer divina madre aufschwingen konnten und lediglich als gehorsame Töchter der Seelenführer und Beichtväter geduldet wurden, nahm Marta sogar gegenüber dem Klerus eine Leitungsfunktion für sich in Anspruch. Da sie sich in vollkommener Gemeinschaft mit Gott fühlte, lehrte sie viele Gläubige ohne die übliche klerikale Vermittlung. Mithin wurden in ihrem Fall die Worte, die sie in der Schrift gelesen hatte, durch den persönlichen Austausch mit Gott angereichert, der ihr die Aufgabe einer neuen Erlösung und neuen Offenbarung anvertraut hatte, wobei sie die Wahrhaftigkeit ihres direkten Kontaktes zum Göttlichen hartnäckig vor den Richtern verteidigte. Besondere Aufmerksamkeit gebührt ihren Schülerinnen und Freundinnen aus Triest. Diese Frauen, deren geistliches Zentrum das Kloster der Benediktinerinnen war und die von den Kapuzinerbrüdern vor Ort protegiert wurden, verschärften Martas Lesart der Bibel, indem sie sie aus einer ganz klar geschlechterrollenspezifischen Sicht neu interpretierten. Trotz der Randlage und geringen Größe ihrer Stadt konnten sie nämlich vor Ort auf eine besonders reiche und komplexe Erfahrungswelt zurückgreifen. Schließlich waren sie in einem multikulturellen Umfeld aufgewachsen, in dem evangelisches, jüdisches und katholisches Gedankengut lebendig ineinandergriff und starke, autonome und 47 48 49

EBD., c. 74v. EBD., c. 80v. EBD., c. 74v.

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selbstbewusste Frauen Tradition hatten. Von dem Büchlein, das ihre Triester Schülerin Antonella verfasst hatte, wissen wir nur wenig. Von den Plänen dieser Gläubigen, Martas Texte abzuschreiben und sie als Handschriften unter die Leute zu bringen, zeugen ebenfalls nur noch vereinzelte Spuren. Interessant ist jedoch, mit welcher Leidenschaft diese Gruppe an ihre Botschaft glaubte und die Evangelien auf der Grundlage der Überzeugung neu interpretierte, dass Marta eine neue Erlöserin, eine Art weiblicher Christus sei und nach ihrem Tod das Siegel der Auferstehung erhalten müsse. Dieser Fall ist ein Beispiel für eine weibliche Lesart des Neuen Testaments, auch wenn sich nicht zweifelsfrei unterscheiden lässt, was auf die Worte der Lehrmeisterin und was auf die eigene Bibelauslegung zurückgeht. Die Geschichte der Klarissen aus Udine und der Gruppe um Marta Fiascaris zeigen uns zwei interessante Beispiele von Netzwerken religiös engagierter Frauen, die selbst in der Lage waren, in der Heiligen Schrift zu lesen. Angesichts einer männlichen klerikalen Welt, die die Deutungshoheit der Glaubenswahrheiten für sich allein beanspruchte und die intellektuellen Fähigkeiten der Frauen geringschätzte, betrachteten diese Frauen es als ihr Recht, eine persönliche und direkte Beziehung zu den Schriften und zum Göttlichen zu pflegen. Wenn schon das Buch an sich gemeinhin als irgendwie merkwürdiges und für eine Frau gefährlicher Gegenstand betrachtet wurde, so war der verbotene volkssprachliche Bibeltext desto verstörender und gleichwohl desto begehrter. Im Fall der Mystikerinnen gestaltete sich dies insofern noch problematischer, als sich neben dem geschriebenen Wort ein von jeder menschlichen und amtskirchlichen Vermittlung losgelöster Deutungsweg eröffnete, der einer einfachen Gläubigen wie Marta Fiascaris durch die direkte Zwiesprache mit dem Göttlichen zu Freiheit und Glaubwürdigkeit verhalf. Es ist, wie schon gesagt, nicht einfach, eine aussagekräftige Dokumentation zusammenzutragen, um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Frauen zur Bibel in einen detaillierten Bezugsrahmen zu spannen. Dennoch lassen sich zahlreiche interessante Spuren aufzeigen, die uns helfen, die spezifische Zugangsweise zu verstehen, die viele Frauen im Hinblick auf den heiligen Text und die religiöse Bildung im Allgemeinen gewählt haben. Der Entschluss, die Gläubigen immer mehr aus der Gemeinschaft mit dem in den Volkssprachen geschriebenen Wort hinauszudrängen, machte es für die Allgemeinheit entschieden schwieriger, sich über die liturgischen, didaktischen und verehrenden Elemente hinaus – die zudem selbst schnell Argwohn erregten50 ‒ Zugang zu den biblischen Texten zu verschaffen und sie kennenzulernen. Dies galt natürlich umso mehr für die Frauen, die normalerweise von den klassischen Bildungswegen und den neuen schulischen Strukturen mit ihrem verbesserten Niveau – der vergebliche Versuch, diese bis zu einem gewissen Grad unter anderem in Italien auch für Mädchen nutzbar zu machen, hatte Maria Ward eine Verurteilung eingetragen ‒ ausgeschlossen waren.51 Es überwogen eher das stille Anhören der Liturgie, die gehorsame Andacht und die Faszination der Mystik, die jedoch ihrerseits mit verständlicher Furcht betrachtet wurde. 50 51

FRAGNITO, La Bibbia al rogo, 326. PAOLIN, Lo spazio del silenzio, 114‒123; M. Immolata WETTER, Maria Ward unter dem Schatten der Inquisition, 1630‒1637 (München: Sankt Michaelsbund, 2003).

Die Bibel im teresianischen Frauenkarmel des Siglo de Oro María Pilar Manero Sorolla Universität Barcelona

1. Schwere Zeiten für die Bibel und für die Frauen in Spanien Es waren „schwere Zeiten“1 für die Bibel und die Frauen in Spanien, als Teresa von Ávila am 24. August 1562 ihren ersten Reformkarmel gründete: das Kloster San José de Ávila. 1559, ein Jahr nach dem Tod Karls V. und drei Jahre nachdem er zugunsten seines Bruders Ferdinand auf die Kaiserwürde2 und zugunsten seines Sohnes Philipp II. auf den spanischen Thron verzichtet hatte,3 hatte der Index des Inquisitors Fernando de Valdés,4 1

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Diese Formulierung verwendet Teresa selbst im Zusammenhang mit den Verdächtigungen, die das Bekanntwerden ihrer mystischen Erfahrungen in Ávila im Vorfeld ihres Gründungsprojekts ausgelöst hatte: „Und man kam in großer Angst zu mir, um mir zu sagen, dass wir schwere Zeiten hätten und es sehr wohl sein könnte, dass man mir etwas anhänge und damit zu den Inquisitoren liefe“ (Buch meines Lebens 33,5). Maßgebliche Ausgabe der Werke der Teresa von Ávila ist die von EFRÉN DE LA MADRE DE DIOS und Otger STEGGINK, Obras Completas (Madrid: BAC, 1974) [Die deutschen Übersetzungen stammen aus der Gesamtausgabe von Ulrich DOBHAN OCD und Elisabeth PEETERS OCD, hier Bd. 1: Das Buch meines Lebens (Freiburg im Breisgau: Herder, 2001), 488, A. d. Ü.]. Dieser Argwohn gegenüber ihren Erfahrungen war sicherlich von dem Urteil beeinflusst, das die Inquisition 1546 gegen Magdalena de la Cruz, die Äbtissin des Franziskanerklosters Santa Isabel de los Ángeles in Córdoba, verhängt hatte. EFRÉN DE LA MADRE DE DIOS und Otger STEGGINK, Tiempo y vida de Santa Teresa (Madrid: BAC, 1996), 329, 436, 487. Überhaupt hatten in der damaligen Zeit – dies muss man als Kontext der Ereignisse im Blick behalten ‒ heterodoxe Beatas, falsche Mystikerinnen und phantasievolle Visionärinnen Hochkonjunktur. Die zitierten Werke der heiligen Teresa werden mit den folgenden Siglen abgekürzt: CC (Cuentas de Conciencia): Geistliche Erfahrungsberichte; CE (Camino de Perfección): Weg der Vollkommenheit, Handschrift von El Escorial [in der deutschen Fassung wird immer aus der o. g. Gesamtausgabe zitiert, hier Bd. 2: Weg der Vollkommenheit (Freiburg im Breisgau: Herder, 2003); CT: Weg der Vollkommenheit, Handschrift von Toledo; CV: Weg der Vollkommenheit, Handschrift von Valladolid; F (Libro de las Fundaciones): Buch der Gründungen (Gesammelte Werke Band 5; Freiburg im Breisgau: Herder, 2007); M (Moradas del Castillo Interior): Wohnungen der Inneren Burg (Gesammelte Werke 4; Freiburg im Breisgau: Herder, 2005); MC (Meditaciones sobre los Cantares): Gedanken zum Hohelied (Gesammelte Werke 3; Freiburg im Breisgau: Herder, 2004); V (Libro de la Vida): Buch meines Lebens. José MARTÍNEZ MILLÁN, „La sucesión en el imperio y el reajuste de los intereses religiosos y dinásticos“, in La corte de Carlos V, Teil 1: Corte y gobierno (hg. v. José Martínez Millán und Carlos Javier de Carlos Morales; Madrid: Sociedad Estatal para la Conmemoración de los Centenarios de Felipe II y Carlos V, 2000), Bd. 2, 267‒277. Feliciano BARRIOS, „Donde no se ponía el Sol“, in Felipe II. Un monarca y su época (Madrid: Sociedad Estatal para la Conmemoración de los Centenarios de Felipe II y Carlos V, 1998), 31‒44. Cathalogus librorum qui prohibentur mandato illustrissimi et reverendissimi domini D. Ferdinandi de Valdes, Hispalin. Archiep., inquisitoris generalis Hispaniae… hoc anno MDLIX

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der im selben Jahr wie der der Kongregation der römischen Inquisition promulgiert worden war,5 die kastilischen Bibelübersetzungen – Altes und Neues Testament – verboten. Damit sollte verhindert werden dass Spanien durch die nicht reglementierte Lektüre der Heiligen Schrift von der protestantischen „Irrlehre“ angesteckt wurde, die auf nationaler wie internationaler Ebene bereits Konflikte ausgelöst hatte und noch immer auslöste.6 Es handelte sich um eine dringliche und vorbeugende Maßnahme in politisch unruhigen Zeiten. In Spanien vollzog sich nun ein Generationenwechsel, da die Politik des Kaisers, der in der Auseinandersetzung zwischen Rom und dem protestantischen Deutschland als Schiedsrichter fungiert hatte, gescheitert war und die deutschen Fürsten nach und nach ihre rechtliche Gleichstellung erwirkt hatten.7 Diese Situation wird durch die Maxime der Confessio Augustana veranschaulicht, die die Verhältnisse nach dem Augsburger Reichstag von 1555 treffend auf den Punkt bringt: Cuius regio, eius religio.8 Schon 1551 hatte die spanische Inquisition vorbeugende Maßnahmen gegen die insbesondere vermittels der heiligen Texte verbreitete „Häresie“ ergriffen und die Censura General de las Biblias geschaffen, die seit 1554 veröffentlicht wurde.9 1559 wurden die editus…, quorum jussu et licentia Sebastianus Martínez excudebat Pinciae: José Luis GONEl inquisidor general Fernando de Valdés (1483–1568). Su vida y su obra (Oviedo: Universidad de Oviedo, 1968), 275ff.; Jesús MARTÍNEZ DE BUJANDA, Index des livres interdits (Sherbrooke/Genf: Université de Sherbrooke-Centre d’Études de la Renaissance/Librairie Droz, 1984‒2002), Bd. 5: Index de l’Inquisition espagnole, 1551, 1554, 1559 (Sherbrooke/Genf 1984). Ein Faksimile findet sich in Tres índices de expurgatorios de la Inquisición española en el siglo XVI (Madrid: RAE, 1952). Bei der Erstellung des Index wurden die Orthodoxie-Kriterien angewandt, die das Konzil von Trient auf seinen ersten beiden Sitzungen im Dezember 1545 und Januar 1546 per Dekret festgelegt hatte. Diese Indizes stimmten jedoch nicht überein; die Instructio circa Indicem librorum prohibitorum zum Gebrauch der Inquisitoren und Beamten des Heiligen Offiziums enthielt ein strenges Verbot volkssprachlicher Bibeln, ganz gleich ob es sich dabei um Übersetzungen ins Deutsche, Französische, Kastilische, Italienische, Englische oder Niederländische handelte, vgl. MARTÍNEZ DE BUJANDA, Index des livres interdits, Bd. 8: Index de Rome, 1557, 1559, 1564. Les premiers index romains et l’Index du Concile de Trente (Sherbrooke/Genf 1990). Andere Länder waren in dieser Praxis, die allerdings nicht immer dieselben Bücher betraf, bereits weitergegangen: England, 1526; Brüssel, 1540; Paris, 1542, 1544, 1546, 1547; Venedig, 1549; Löwen, 1549‒1550. Religiöse Intoleranz war im Europa des 16. Jahrhunderts ein allgemein verbreitetes Phänomen. Man darf nicht vergessen, dass 1559 in Frankreich die Religionskriege ausgebrochen waren, die, von einigen Unterbrechungen abgesehen, bis 1629 dauern sollten: Nicolas LE ROUX, Les guerres de Religion. 1559–1629 (Paris: Éditions Belin, 2009). José MARTÍNEZ MILLÁN, „La lucha en el contexto de la monarchia universalis: la defensa del catolicismo“, in La corte de Carlos V, Teil 1, Bd. 2, 171‒185. Diese Regelung gab den Fürsten – in einem allgemeinen Kontext, für den die Identität von politischer Gemeinschaft und Religion ebenso selbstverständlich war wie die implizite Zerstückelung der protestantischen Welt ‒ die Macht, ihren Untertanen das Glaubenssystem aufzuerlegen, das sie für das geeignete hielten: Steven OZMENT, The Age of Reform 1250‒1550 (New Haven: Yale University Press, 1980), 259. MARTÍNEZ DE BUJANDA, Index des livres interdits, Bd. 5. Zu früheren Verboten in der Epoche ZÁLEZ NOVALÍN,

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Verbote verschärft und auf Bücher ausgeweitet, die biblische Stoffe enthielten: Episteln, Evangelien, Psalter, Breviere, Messbücher, Stundenbücher, Andachtsbücher, Abhandlungen, Predigten etc. Der Inquisitor ließ Bibeln und Werke, die auf dem Index standen, beschlagnahmen, und widmete dabei schon 1558 den Klöstern seine besondere Aufmerksamkeit.10 Teresa und ihre Nonnen besaßen keine sehr gründlichen Lateinkenntnisse. Der überaus rigorose valdesianische Index fiel zeitlich mit den Autodafés, die 1559 in Valladolid und Sevilla gegen die Lutheraner durchgeführt wurden, und mit der Anklage zusammen, die man gegen den Erzbischof von Toledo, Bartolomé de Carranza, erhob. Sie betraf die Lehre, die dieser in seinen Comentarios zu einem so bedeutenden Buch wie dem Katechismus vertrat.11 So enthielt Carranzas Katechismuskommentar nicht weniger als 2000 Bibelzitate. Der Erzbischof wurde – in einem ereignisreichen Jahrzehnt, in dem sich in Europa offiziell und unumkehrbar das Schisma zwischen Katholiken und Protestanten vollzog ‒ außerdem des Iluminismo und der lutherischen Ketzerei verdächtigt.12 Das Konzil von Trient (1545‒1563), das zu spät kam, um das Drama der Spaltung der Christenheit noch rückgängig zu machen, zu dem jedoch auf ausdrücklichen Wunsch Kaiser Karls V. auch die Protestanten eingeladen wurden, begann mit einer Vorabverurteilung der lutherischen Lehren und demzufolge mit der Grundlegung der katholischen Reform. Diese war darauf ausgerichtet, die dogmatischen Fundamente der Kirche, die Rom treu geblieben war, zu bestimmen, zu klären, festzuschreiben und theologisch zu definieren. Kein Konzil hatte jemals einen so wichtigen Beitrag zur verbindlichen Formulierung der katholischen Lehre geleistet wie das Konzil von Trient. Indem es die Quellen des katholischen Glaubens in Abgrenzung gegen den Protestantismus definierte, betonte es die historische Kontinuität der Kirche. Auf dieser Basis wurde sodann ein

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der Katholischen Könige und Karls V. vgl. Sergio FERNÁNDEZ LÓPEZ, Lectura y prohibición de la Biblia en lengua vulgar. Defensores y detractores (León: Universidad de León, 2003), 89‒116. In die Zeit zwischen 1492 und 1497 fiel die Verbrennung der volkssprachlichen Bibeln der Kryptojuden: Melquíades ANDRÉS MARTÍN, La teología española en el siglo XVI, Bd. 1 (Madrid: BAC, 1976), 421. Anfrage von Maestro Sancho an Valdés in Bezug auf Bücher: Archivo Histórico Nacional, Buch 323, f. 139v (1558): José Luis GONZÁLEZ NOVALÍN, El inquisidor general Fernando de Valdés (1483‒1568). Cartas y documentos (Oviedo: Universidad de Oviedo, 1971), 205. Comentarios del Reverendíssimo Señor Frai Batholome Carrança de Miranda, Arçobispo de Toledo; & c. sobre el Catechismo Christiano, diuididos en quatro partes. Dirigidos al Serenisimo Rey de España, Don Phelipe N. S. (Antwerpen: Martín Nucio, 1558) (krit. Ausg. u. hist. Studie v. José Ignacio Tellechea Idígoras; 2 Bde., Madrid: BAC, 1972). Bartolomé DE CARRANZA, Comentarios sobre el Catechismo Christiano (hg. v. José Ignacio Tellechea Idígoras; Madrid: BAC, 1999); hierbei handelt es sich um die Fassung, die der Autor selbst im Kerker der römischen Inquisition korrigiert und gekürzt hat (Carranza war 1567 von Spanien an Rom ausgeliefert worden, was Philipp II., der ein Freund des Erzbischofs war, in ein Spannungsverhältnis zu den Päpsten Pius IV. und Pius V. brachte). GONZÁLEZ NOVALÍN, „El luteranismo español. Valdés y Carranza. 1557‒1559“, in El Inquisidor, 287‒347.

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neuer Katechismus erarbeitet, der die Dogmen des katholischen Glaubens und der Sakramente zusammenstellen und gleichzeitig die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Reform des Klerus, der päpstlichen Kurie und der Orden festlegen sollte.13 1564 verfügte Philipp II., dass die tridentinischen Beschlüsse in seinem gesamten Reichsgebiet Anwendung finden sollten.14 Anders als sein Vater war er zwar nicht direkt in die deutsche Frage verstrickt, wusste aber aus eigener Erfahrung um die verheerenden Folgen der Glaubensspaltung in England, Flandern sowie Frankreich und spürte die Last der ererbten Verantwortung daher auf seinen Schultern.15 So hatte er seinem Vater geschworen, den Katholizismus zu verteidigen. Für Teresa von Ávila, die diesbezüglich sehr rasch Stellung bezog, war das Konzil „heilig“ (F 9,3; 17,8, 16; 24,15). Dem lutherischen Sola Scriptura, das die Bibel zum obersten Prinzip erklärte, hielt das Tridentinum die Zweiheit aus Schrift und Überlieferung entgegen, wobei mit Überlieferung die geprüfte und mit ausdrücklichem Konsens der Kirche gebilligte Lehre der Kirchenväter und Konzilien gemeint ist. In den ersten Sitzungen erstellten die Konzilsväter das Verzeichnis der „kanonischen“ Bücher der Heiligen Schrift und benannten die Vulgata als offizielle Version der katholischen Kirche, die sich das alleinige Auslegungsrecht vorbehielt. In der vierten Sitzung (Februar/März 1546) kam man auf das besorgniserregende und heikle Thema der volkssprachlichen Bibelübersetzungen zu sprechen. Die Kontroverse wurde hauptsächlich an zwei Fronten geführt: Auf der einen Seite standen der Theologe Alfonso de Castro und der Kardinal von Jaén, Pedro Pacheco, die die Übersetzungen als Quelle der Häresie verbieten lassen wollten. Auf der anderen Seite stand der Fürsterzbischof von Trient, Cristoforo Kardinal Madruzzo, der in der Übersetzung ein geeignetes Mittel sah, das Volk zu unterweisen.16 Die genannten Persönlichkeiten verkörperten zwei unterschiedliche Vorstellungen von der Schrift und von der Kirche oder, genauer, sie verkörperten zwei unterschiedliche Traditionen: die der Spanier und Franzosen, die für eine strenge Verbotspolitik eintraten, und die der Deutschen, Italiener, Polen und Flamen, die die Übersetzung und mithin den Standpunkt von Kardinal Madruzzo befürworteten. Die Auseinandersetzung war so erbittert, dass man entschied, diesen Punkt im Dekret über die Herausgabe und Verwendung der Heiligen Schrift unerwähnt zu lassen. Damit vermied das Konzil eine endgültige Lösung der Frage, während sich die Inquisitoren und die Indizes der Inquisition für ein mehr oder weniger umfassendes Verbot entschieden.17 13 14

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Hubert JEDIN, Geschichte des Konzils von Trient (5 Bde.; Freiburg i. Br.: Herder, 1949‒1975). Königlicher Erlass vom 12. Juli 1564; archiviert in der Novísima Recopilación, Gesetz 13, Tit. 1º, Buch I: Bernardino LLORCA, „Aceptación en España de los decretos del Concilio de Trento“, Estudios Eclesiásticos 3 (1964): 341‒360. Agostino BORROMEO, „Felipe II y el absolutismo confesional“, in Felipe II. Un monarca y su época, 185‒196. Guy BEDOUELLE, „La Bible au Concile de Trente“, in Le Temps des Réformes et la Bible (hg. v. DEMS. und Bernard Roussel; Paris: Beauchesne, 1989), 327‒350; 347. Vgl. zu dieser Debatte auch Hubert JEDIN, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. II: Erste Trienter Tagungsperiode (1545–1547) (Freiburg: Herder, 1957), 77. Der tridentinische Index wurde am 24. März 1564 mit der Bulle Dominici gregis promulgiert, die den Druck der Bibelübersetzungen mit Sondergenehmigung wieder erlaubte; diese Erlaubnis

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Die Repressalien gegen den evangelischen Glauben,18 den Alumbradismo,19 den Erasmismus,20 die Lutheraner,21 die Mystiker und die Frauen waren im Spanien der damaligen Zeit sehr weitreichend und gipfelten in der Zensur der Katechismuskommentare des Dominikaners Carranza, die mit ihren 2000 Bibelzitaten und 174 zensierten Aussagen auf dem Index standen. Diese Zensur war unter anderem von dem Theologen Melchior Cano22 vorangetrieben worden und traf nicht nur die Bibel, sondern aufgrund ihrer ausgeprägt misogynen Ausrichtung auch die Frauen.23 Natürlich untersagte Cano den Frauen, die er in dieser Hinsicht für nicht qualifiziert hielt, die Bibellektüre und hielt es demnach auch für völlig ausgeschlossen, dass eine Frau die Bibel interpretierte. Carranza hingegen betrachtete die Frage unter dem Aspekt der theologischen und intellektuellen Verantwortung, wie es dem dominikanischen Denken entsprach. Der Orden vertrat eine mittlere Position zwischen der uneingeschränkten Freiheit, die ‒ wie in der ersten Jahrhunderthälfte geschehen ‒ Schaden anrichten und missbraucht werden konnte, und der absoluten Kompromisslosigkeit eines Melchior Cano, der übrigens ebenfalls Dominikaner war. 1546 hatte Carranza in seiner Eigenschaft als Theologe – er war ein Schüler von Francisco de Vitoria ‒ an der Konzilsdebatte über die volkssprachlichen Bibelübersetzungen teilgenommen. In seinen Comentarios versuchte er, zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Biblia romanceada zu vermitteln. Weil er aber um die Unverständlichkeit vieler Bücher der Heiligen Schrift wusste, wollte er hier für Klarheit sorgen und äußerte sich zurückhaltend, was die Möglichkeit betraf, sie dem Volk und womöglich auch der Interpretation durch die Frauen zu überlassen. Letztere seien in der Regel intellektuell nicht ausreichend darauf vorbereitet, ein „Buch“, das so schwierig zu „erklären“

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wurde jedoch schon bald wieder zurückgezogen: Daniel de PABLO MAROTO, „El índice de libros prohibidos en el Concilio de Trento“, Revista Española de Teología XXXVI (1976): 39‒64. Zu den späteren römischen Verbotsindizes bis hin zu den clementinischen Indizes aus den Jahren 1596 und 1605 vgl. Gigliola FRAGNITO, La Bibbia al rogo. La censura ecclesiastica e i volgarizzamenti della Scrittura (1471‒1605) (Bologna: Il Mulino, 1997), 105ff. José C. NIETO, El Renacimiento y la otra España (Genf: Droz, 1997), 271‒306: „Evangelismo y paulinismo“. Álvaro HUERGA, Historia de los alumbrados (Madrid: FUE, 1994), 45‒71: „Los edictos y los alumbrados“. Marcel BATAILLON, Erasmo y España (Mexiko-Stadt/Buenos Aires: FCE, 1950), 432‒493: „Persecución de los erasmistas“. Jesús ALONSO BURGOS, El luteranismo en Castilla durante el s. XVI (San Lorenzo del Escorial: Swan Avantos & Hakeldama, 1983). Fermín CABALLERO, Conquenses ilustres, II. Melchor Cano (Madrid: Imprenta Nacional, 1871). „Cano ist ein Ausbund an Misogynie und kann daher gewiss keinen Platz in der Geschichte der weltlichen Spiritualität oder Frömmigkeit beanspruchen“: José Ignacio TELLECHEA IDÍGORAS, Fray Bartolomé Carranza. Documentos Históricos VI. Audiencias III.1563 (Madrid: ADE-RAH, XXXIII, 1981), XVI. Eine allerdings nicht unvoreingenommene Darstellung dieser Frage bietet Annie FRÉMAUX-CROUZET, „L’antiféminisme comme théologie du pouvoir chez Melchor Cano“, Hommage à Louise Bertrand (1921–1979): Études Ibériques et Latinoaméricaines (Paris: Les Belles Lettres, 1993), 139‒186.

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war, zu verstehen oder gar andere darüber zu belehren.24 Die Zensoren hielten diese ausgewogene Position jedoch für leichtsinnig, anmaßend und beleidigend und missbilligten insbesondere Carranzas Aussage über die Bibel und über die Frauen, die uns vielleicht einen Eindruck von der Situation im damaligen Spanien zu vermitteln vermag: Ich habe Erfahrung damit, und so kann ich es wahrhaftig bestätigen, dass einige Personen auf meinen Rat hin die ganze Heilige Schrift gelesen haben, da in ihnen die Eigenschaften zusammenkamen, die mir notwendig erschienen, und dass dies als Trost und zur Verbesserung ihres Lebenswandels für sie sehr fruchtbar gewesen ist. Unter ihnen waren einige Frauen, die, wenn ich dies durch Gottes Güte irgendwie beurteilen kann, nicht weniger würdig waren, sie zu lesen, als Paula und Eustochium, die vornehmen Römerinnen, denen der heilige Hieronymus auf ihre Bitte hin die Heilige Schrift nach der hebräischen Wahrheit übersetzt hat.25

2. Eine mystische Heimsuchung: biblische Bilanz und spiritueller Scheideweg Doña Teresa de Ahumada, wie Teresa von Ávila damals noch hieß,26 hatte in ihrer Jugend den heiligen Hieronymus, genauer gesagt, seine Briefe gelesen,27 und es ist sogar möglich, dass der Brief an die gottgeweihte Jungfrau Eustochium – ein richtiggehender 24

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„Al pío lector“, in Comentarios sobre el Catechismo Christiano, I, 112, 114. Vgl. auch FERNÁNDEZ LÓPEZ, Lectura y prohibición, 211‒225: „La postura intermedia. Bartolomé Carranza y los Comentarios al Catecismo Cristiano. Cipriano de la Huerga y el estudio del hebreo.“ Carranzas Überprüfung durch die Zensur wird in diesem Fall von Gaspar de Zúñiga y Avellaneda angeordnet; insgesamt waren aber neben Cano auch Domingo Soto und Domingo de las Cuevas mit der Angelegenheit befasst: Qualificación de las proposiciones que se notaron en el libro intitulado“ Comentarios de el Cathecismo Christiano”, Madrid, 7. Februar 1563: Fray Bartolomé Carranza. Documentos Históricos VI. Audiencias III (1563), 275. So wird sie genannt und so unterschreibt sie auch in der gesamten Dokumentation, die im Kloster der Menschwerdung zu ihrer Person erhalten ist. Vielleicht muss daran erinnert werden, dass man in der damaligen Zeit typischerweise frei zwischen den Familiennamen der Eltern wählen konnte. Möglicherweise hat Teresa sich aus Gründen der Vorteilhaftigkeit für den Zunamen ihrer Mutter Beatriz de Ahumada entschieden. Deren Eltern, Don Juan de Ahumada und Doña Teresa de las Cuevas, kamen beide aus vornehmen, altchristlichen Familien. Ihr Vater war Alonso de Cepeda, „el Toledano“, Sohn des reichen Konvertiten Juan Sánchez de Toledo und der Doña Inés de Cepeda, die ebenfalls einer alten christlichen Adelsfamilie entstammte. Doch ein einziger Vorfahr ohne „reines Blut“ in drei Generationen und auf allen vier Verwandtschaftsseiten genügte, um als Converso betrachtet zu werden, was die Familie Cepeda-Ahumada – doch bis zu welchem Punkt? ‒ zu verbergen wusste. Juan Sánchez war mit seiner Familie von Toledo nach Ávila ausgewandert, nachdem ihm die toledanische Inquisition 1485 wegen häretischer und apostatischer Vergehen gegen den katholischen Glauben den Prozess gemacht hatte: Narciso ALONSO CORTÉS, „Pleitos de los Cepeda“, Boletín de la Real Academia Española 25 (1946): 85‒110. Epístolas del glorioso doctor sant Hierónimo, agora nuevamente impreso y enmendado por el bachiller Juan de Molina (Sevilla: Juan Varela de Salamanca, 1532). Mit Sicherheit ist dies die Ausgabe, die die junge Teresa gelesen hat.

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Traktat De Virginitate ‒ ihren Entschluss, Nonne zu werden, beeinflusst hat. Außerdem hatte sie sich anhand von Francisco de Osunas Tercero Abecedario28 im inneren Beten, dem Gebet der Sammlung und Ruhe, geübt, das allerdings nicht völlig mit der von manchen Alumbrados (Erleuchteten) gepflegten Art des Betens identisch war.29 Im Kloster der Menschwerdung, dem Karmel in Ávila, in den sie 1535 – Jahre bevor sie ihr Reformwerk in Angriff nahm ‒ eingetreten war, erlebte sie intensive mystische Erfahrungen. In der Fastenzeit des Jahres 1554 ließ „das Bild eines ganz mit Wunden bedeckten Christus“ (des Ecce Homo aus Joh 19,5) sie die Passion des Herrn nacherleben und gab den Ausschlag zu ihrer berühmten ersten Bekehrung (V 9,1‒3). Dem Ereignis war die Lektüre der Bekenntnisse des hl. Augustinus vorangegangen,30 des heiligen bekehrten Sünders, mit dem sie sich letztlich auch identifizierte (V 9,7).31 In der Folge wurde sie von weiteren Visionen und Ekstasen erfasst und zuweilen auch beunruhigt (V 23,2): In der Verzückung von 1556, dem Zeitpunkt ihrer sogenannten zweiten oder endgültigen Bekehrung, wurde ihr, während sie den Hymnus Veni Creator Spiritus aus der Ordensprofess betete, die Gnade einer mystischen Vermählung zuteil. Sie hörte die Worte: „Ich möchte nicht, dass du noch länger Unterhaltung mit Menschen pflegst, sondern mit Engeln“ (V 24,5). Weitere Elemente waren die imaginative Vision der „heiligste[n] Menschheit“ des auferstandenen Christus (V 28,3) sowie die „Gnade des Pfeils“ oder die Durchbohrung des Herzens, die sich mehrmals wiederholte – und das gerade in einem so anti-mystischen Jahr wie 1559 (V 29,13). Schließlich erfuhr sie 1561 die entsetzliche Höllenvision in prophetischer Dimension, in der sie ‒ was sie als Gunst betrachtete ‒ die Seelen sah, „die verdammt werden“ (V 32,6), und die sie dazu veranlasste, die Reform ihres Ordens zu vollenden. Dies sind nur einige der außerordentlichen Begebenheiten, von denen man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte und die in Ávila ein offenes Geheimnis waren. Zudem hatte sich Doña Teresa drei Jahre lang (1555‒1558) außerhalb ihres Klosters aufgehalten, zunächst im Haus ihrer Verwandten Doña Mencía del Águila, dann aber vor allem im Haus der Doña Guiomar de Ulloa, einer zu diesem Zeitpunkt überaus frommen Witwe. Diese hatte erst kürzlich (1551) ihren Palast, unweit des in Ávila gegründe28

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Tercera parte del libro llamado Abecedario espiritual (Toledo: Remón de Petras, 1527). Weitere Ausgaben erschienen 1537 in Valladolid sowie 1544 und 1555 in Burgos. Es war ihr Onkel, Pedro Sánchez de Cepeda, der Teresa das Buch 1538 zu lesen gab. Enrique LLAMAS MARTÍNEZ, „Teresa de Jesús y los alumbrados“, in Actas del Congreso Internacional Teresiano, 4‒7 octubre, 1982, Bd. 1 (hg. v. Teófanes Egido López u. a.; Salamanca: Universidad de Salamanca/Universidad Pontificia de Salamanca/Ministerio de la Cultura, 1983), 137‒168. Las Confesiones de san Agustín traducidas de Latín en Romance castellano por Sebastián Toscano (Salamanca: Andrea de Portonariis, 1554); Teresa kam noch im Erscheinungsjahr in ihren Besitz. Dass Teresa sich mit Heiligen identifizierte, die bekehrte Sünder waren, und sich somit selbst zur Sünderin erklärte, lässt eine zweifache Deutung zu: als Selbsterniedrigung, die zu Gott führt, oder, noch einen Schritt weitergedacht, als Hinweis auf ihre eigene Heiligkeit, denn „wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“, wie Jesus selbst gesagt hat (Lk 14,11) und wie es auch dem Sinn der Seligpreisungen in der Bergpredigt entspricht (Mt 5,1‒12).

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ten Jesuitenklosters, in einen Ort der Begegnung für spirituelle Größen verwandelt, zu denen der Franziskaner Pedro de Alcántara, besagte Jesuiten und die Beatísima María Díaz zählten. In ihr Landgut in Aldea de Palo hatten sie und Teresa ferner die lutherischen Schüler des Agustín de Cazalla eingeladen.32 Zwischen 1561 und 1562 hatte Teresa – allerdings auf Anweisung des Provinzials der Karmeliten, Ángel de Salazar ‒ sechs Monate in Toledo im Palast der Doña Luisa de la Cerda (V 34,1‒4) verbracht. Überdies hatte sie, um San José zu gründen, das Kloster der Menschwerdung zur großen Enttäuschung ihrer Priorin, Doña María Cimbrón, und des schon erwähnten Provinzials geradezu fluchtartig verlassen. Priorin und Provinzial hatten die Gründung anfangs gutgeheißen, sich dann jedoch – ähnlich wie die Jesuiten – durch die lautstarke Ablehnung einschüchtern lassen, mit der die Stadt Ávila und die Zivilbehörden auf die Idee eines neuen Klosters reagierten. Dennoch verhielt sich Teresa in gewisser Hinsicht regelkonform. Die Witwe Guiomar und der Dominikaner Pedro Ibáñez hatten nach Rom geschrieben und dort um die apostolischen Genehmigungen für die Gründung ersucht, die auch tatsächlich kamen, und zwar ausgestellt auf den Namen der Doña Guiomar de Ulloa und ihrer Mutter, Doña Aldonza de Guzmán. Damit unterstand die neue Gründung der Jurisdiktion des Bischofs von Ávila Álvaro de Mendoza. Auf diese Weise war alles so geschehen, wie der Herr es der Teresa de Ahumada (so hieß sie damals noch) „gesagt hatte“ (V 33,16). Dennoch kam es in Ávila zu Tumulten und Prozessen und außerdem zu einem langen Verfahren in Madrid, die allesamt praktisch in Vergessenheit geraten sind. Die mystischen Ereignisse, in deren Zentrum sie stand, versetzten Doña Teresa in große Sorge sowohl um sich selbst als auch um die Menschen in ihrer Umgebung, da sie ihre Gegenwart, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft gefährden konnten. Eine mögliche Lösung dieses spirituellen Dilemmas, in das diese Schwemme von mystischen Gnaden aller Art (1554‒1566) sie hatte geraten lassen, bestand darin, Beichtväter oder geistliche Leiter zu finden, die ihre Art des Betens billigten, ihre übernatürlichen Erfahrungen guthießen und in weiterer Folge bestätigten, dass sie von Gott kamen und mit der Heiligen Schrift oder dem vom Heiligen Geist inspirierten Wort übereinstimmten. Ebendas konnte sie selbst aufgrund ihres unzulänglichen Lateins und der fehlenden theologischen Schulung – eine solche war ja bei einer Frau ihrer Zeit überaus selten ‒ nicht beurteilen. Sie suchte daher bei den Karmeliten, bei befreundeten Priestern, bei den Franziskanern und bei den Jesuiten. Letztere waren ihr eine große Hilfe, da sie das innere Beten praktizierten und an der mystischen Prägung festhielten, die Ignatius der Gesellschaft Jesu mitgegeben hatte.33 Doch schlussendlich war es der dominikanische Theologe Pedro Ibáñez ‒ ihm hatte sie 1560 ihren eigens zu diesem Zweck verfassten ersten Erfahrungsbericht34 über ihre fortdauernden mystischen Erlebnisse vorgelegt ‒, der ihr die größte 32

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José Luis GONZÁLEZ NOVALÍN, „Teresa de Jesús y el luteranismo en España“, Actas del Congreso Internacional Teresiano, Bd. 1, 351‒389; Daniel de PABLO MAROTO, „Santa Teresa y el protestantismo español“, Revista de Espiritualidad 40 (1981): 277‒309. EFRÉN/STEGGINK, Tiempo, 164ff. DIES., Obras Completas, 88, 139‒142. Andere geistliche Ratgeber, die als Adressaten dieses ersten erhaltenen Erfahrungsberichts in Betracht gezogen worden sind, waren der hl. Pedro

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spirituelle Sicherheit gab. Der illustre Bibelgelehrte erstellte ein Dictamen aus 33 Punkten, dessen fünfter wie folgt lautete: Alles, was sie [Doña Teresa] sagt, stimmt mit der Göttlichen Schrift und mit dem überein, was die Kirche lehrt, und ist auch nach strengstem scholastischem Maßstab sehr wahrhaftig.35

Dieses Gutachten wurde einer Expertenkommission unterbreitet und brachte zumindest die Gerüchte, die in Teresa eine der vielen Alumbradas sehen wollten, einstweilen zum Schweigen. Ihre Beziehung zu den Dominikanern – im Spanien des 16. Jahrhunderts den Letrados, den (theologisch) Gebildeten schlechthin36 ‒ hatte eine lange Geschichte und sollte sich von diesem Moment an noch intensiver gestalten. Die Dominikaner waren Intellektuelle avant la lettre und von dem Wunsch beseelt, die Bildung in den Dienst der Verkündigung und der Bekämpfung von Irrlehren zu stellen. Es trifft nicht zu, dass die Inquisition, wie oft gesagt wird, in diesem Orden ihre Wurzeln hatte. Die Inquisition im neuzeitlichen Spanien hing von der Autorität des Staates ab. Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass die Kirchenmänner, die im Auftrag des Heiligen Offiziums Nachforschungen anstellten und Beurteilungen vornahmen,37 mehrheitlich Dominikaner waren, und dieses Detail war auch Teresa nicht entgangen. Ebendeshalb suchte sie ihre Gesellschaft, traf sich mit ihnen und bewunderte sie mehr oder weniger aufrichtig,38 weil das klare Bewusstsein ihrer eigenen intellektuellen Grenzen sie dazu veranlasste, ihre übernatürlichen Erfahrungen zwecks Unterscheidung und schriftlicher Begutachtung von Theologen und Bibelgelehrten beurteilen zu lassen, die im Ávila der damaligen Zeit überwiegend Dominikaner waren.

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de Alcántara und der hl. Francisco de Borja, die Teresa ebenfalls beruhigten und ihre mystischen Erfahrungen für unbedenklich hielten. DIES., Tiempo, auf S. 188f. ist der Dictamen vollständig wiedergegeben. Auf dem Konzil von Trient hatten sich die spanischen Dominikaner – 24 an der Zahl, unter ihnen Bartolomé de Carranza, Domingo de Soto und der bereits erwähnte Melchior Cano, der ungeachtet seiner Frauenfeindlichkeit zweifellos einer der großen katholischen Theologen seiner Zeit gewesen ist ‒ auf brillante Weise mit so heiklen Themen wie der Rechtfertigung oder der Transsubstantiation auseinandergesetzt: Constancio GUTIÉRREZ, Españoles en Trento (Valladolid: CSIC, 1951), 814‒843. Die Bibliographie zur Inquisition in Spanien ist uferlos. Genannt seien hier daher lediglich zwei Standardwerke: Henry Charles LEA, A History of the Inquisition of Spain (4 Bde.; New York: The Macmillan Co., 1906‒1907) und Joaquín PÉREZ VILLANUEVA (Hg.), Historia de la Inquisición en España y América (3 Bde.; Madrid: BAC, 1984‒2000). Unter ihnen verdient neben den bereits genannten Vicente Barrón und Pedro Ibáñez, aber vor allem Domingo Báñez Erwähnung, einer der berühmten Meister der Schule von Salamanca und ihrer Scholastik, die er mit seinen Kommentaren zu Thomas von Aquins Summa Theologica erneuerte. Er war ein großer Prediger ‒ diese Eigenschaft wusste Teresa, die „sehr gerne“ Predigten hörte (V 8,12), zu schätzen ‒ und sowohl für ihr Lehr- als auch für ihr Gründungswerk ein wichtiger Bezugspunkt. Zudem wird er ihren Töchtern in den anderen schweren Zeiten der Consulta (1588‒1593) eine große Hilfe sein: Justo Felipe MARTÍN, Santa Teresa de Jesús y la Orden de Predicadores (Ávila: Sucesores de A. Jiménez, 1909).

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Durch Letztgenannte erhielt die künftige Heilige nun also die nötige Sicherheit in Bezug auf sich selbst und auf andere. Mit der Zeit erwarb die spätere Kirchenlehrerin ein zusammenhängendes theologisches und biblisches Wissen. In ihrem Inneren war sie, je weiter ihr Werk fortschritt, desto fester davon überzeugt, dass sie in spirituellen Dingen und sogar in der Gotteserfahrung (V 10,9) Expertin39 und deshalb vielen Gebildeten überlegen war. An diese (nicht immer sind es Dominikaner) wird sie sich jedoch ihr Leben lang immer wieder wenden müssen, um sich der Unbedenklichkeit und Bibelkonformität ihrer eigenen Erfahrungen zu vergewissern. Sie war viel zu klug, um nicht zu wissen, in welchen Zeiten sie lebte, und sie wusste freilich, wie eng das Nadelöhr war, durch das sie selbst und ihre Bücher, die sie bereits geschrieben hatte, hindurchgehen mussten. Ich meine nur, dass an den Anfängen theologische Bildung wenig nützt, wenn sie kein inneres Beten halten. Ich will nicht sagen, dass sie sich mit Studierten nicht besprechen sollten, denn einen Geist, der sich nicht von Anfang an auf die Wahrheit stützt, hätte ich lieber ohne inneres Beten. Und es ist etwas Großes um die theologische Bildung, denn diese belehrt uns, die wir nicht viel wissen, und spendet uns Licht, und wenn wir dann zu den Wahrheiten der Heiligen Schrift gelangt sind, tun wir, was wir sollen. Vor unerleuchteter Frömmigkeit bewahre uns Gott! […] Und man soll sich nicht täuschen, indem man sagt, dass Studierte ohne inneres Beten nichts sind für den, der es hält. Ich habe mich mit vielen besprochen, denn seit einigen Jahren habe ich aufgrund meines größeren Bedürfnisses noch mehr das Gespräch mit ihnen gesucht, und immer bin ich eine Freundin von ihnen gewesen; selbst wenn manche von ihnen keine Erfahrung haben mögen, so weisen sie doch den Geist nicht zurück und sind seiner nicht unkundig. In der Heiligen Schrift, mit der sie umgehen, finden sie nämlich immer die Wahrheit des guten Geistes. (V 13,16;13,18)

Sie weiß also, was sie im Lauf ihres Lebens und Wirkens in biblischen Dingen sagen und vertreten muss: In dieser Hinsicht hatte ich nie etwas befürchtet, weil ich sehr gut von mir wusste, dass ich in einer Glaubenssache – falls mich jemand gegen die geringste Zeremonie der Kirche verstoßen sähe – oder wegen irgendeiner Wahrheit der Heiligen Schrift bereit wäre, tausend Tode zu sterben. (V 33,5)

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Was das Thema Erfahrung betrifft, war das Renaissancedenken zum Teil von Wilhelm von Ockham und seinen Schülern beeinflusst. Die Philosophen und Wissenschaftler der Renaissance erweiterten und vertieften eine Herangehensweise, die die experimentelle Vernunft im Hinblick auf die Welt und auf Gott bewertete, vgl. Paul Oskar KRISTELLER, Renaissance Thought and its Sources, New York: Columbia University Press, 1979. Teresa war offenbar nicht mit diesem philosophisch-wissenschaftlichen Ansatz, wohl aber mit den experimentellen Mystikern vertraut, die ihr vorangegangen waren ‒ Osuna, Laredo, Palma, Alonso de Madrid ‒ und, mit umfassenderen Kenntnissen als sie selbst, der neuen Perspektive einer auch auf Gott gerichteten, subjektiven und lebendigen Erkenntnis nachgespürt hatten, die auf der persönlichen Erfahrung des Ichs aufbaut. Für Teresa ist Erfahrung Wahrheit: „Ich werde nichts sagen, was ich nicht aus Erfahrung von mir oder anderen weiß“, schreibt sie im Weg der Vollkommenheit (CE, Vorwort).

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Hervorzuheben ist hier Teresas – stillschweigende? – Übereinstimmung mit dem, wie sie es nannte, „heiligen“ Konzil von Trient. Die Heilige Schrift und die „Zeremonien der Kirche“, die jahrhundertealte Tradition, auf die das Konzil pochte, gingen Hand in Hand. Sie wollte sich vor allem nach den Weisungen des Konzils richten. Ihre Bibel, von der sie ganz durchdrungen war, sollte so sein, wie ihr Orden es erlaubte. Zudem sollte die Bibel die sein, die ihre Kirche – denn mehr als alles andere wollte sie die gehorsame Tochter der Kirche sein ‒ ihr vorschrieb. Natürlich stimmte diese Bibel – da sie ja auch in Fragen der Schrift in einer ihrer berühmten „Ansprachen“ (hablas) von der Majestad de Dios selbst unterwiesen worden war (V 40,1) ‒, was die Bedeutung und Wahrheit des lebendigen Wortes selbst betraf, mit dem überein, was sie dachte, auch wenn ebendies dem widersprach, was einer Frau in der damaligen Zeit erlaubt war: Es ist nicht wenig, was ich hier für dich tue, sondern es ist eines der Dinge, deretwegen du mir viel verdankst. Denn der ganze Schaden, der der Welt entsteht, besteht darin, dass die Wahrheiten der Schrift nicht in aller Klarheit erkannt werden. Kein Häkchen von ihr wird vergehen.40 (V 40,1)

3. Mit der Heiligen Schrift beten, gründen, erinnern, zuhören, meditieren, lesen und schreiben Die nächste große irdische Beruhigung sollte die künftige Heilige durch den Generalprior des Karmels Giovanni Battista Rossi (oder Rubeo) erfahren, der während seiner kanonischen Visitation auf spanischem Territorium 1567 auch der Stadt Ávila und dem Kloster San José einen Besuch abstattete.41 Der Ordensgeneral hatte die heilige Mission, die Umsetzung des tridentinischen Dekrets De regularibus in allen Klöstern des Karmeliterordens zu überprüfen. Einerseits war Teresa durch seinen Besuch ein wenig eingeschüchtert, denn in gewisser Hinsicht fühlte sie sich als Abweichlerin, was sie, bezogen auf die Jurisdiktion des Ordens, in Teilen tatsächlich auch war. Andererseits existierte ihr Kloster schon seit fünf Jahren und bestand aus 13 Nonnen. Die Zahl 13, die an die erste Gemeinschaft Christi und der Apostel im Evangelium erinnern sollte (Mt 4‒5; Mk 1,16‒20; Lk 5,1‒11), entsprach dem Ideal der Rückkehr zu den Ursprüngen des Christentums, das allen Reformern vor Augen stand. Seit Ende 1562 oder Anfang 1563 ließ Teresa de Ahumada sich nicht mehr Doña nennen und hatte sich für den frei gewählten und bezeichnenden Namen Teresa de Jesús entschieden.42 Nach ihren eigenen Worten beobachtete sie 40

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Diese Ansprache entspricht Mt 5,18: „Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.“ Otger STEGGINK, La reforma del Carmelo español: la visita canónica del general Rubeo y su encuentro con Santa Teresa 1566–1567 (Rom: Institutum Carmelitanum, 1965; Ávila: Institución Gran Duque de Alba, 1993). Auch alle übrigen Unbeschuhten werden einen Ordensnamen annehmen. Grund hierfür mag der erbauliche und egalitäre Gedanke der Unterordnung aller unter die Regel in ein und demselben Leib Christi gewesen sein (Röm 12,1‒21). Allerdings kann auch ein eher weltlicher Grund nicht

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die Regel Unserer Lieben Frau vom Karmel, und zwar vollständig […] und ohne Milderung, wie von Frater Hugo, Kardinal von Santa Sabina, angeordnet, gegeben im Jahr 1248, im fünften Jahr des Pontifikats des Papstes Innozenz IV. (V 36,26).

Damit bezog sich Teresa auf die Regel, die tatsächlich von Innozenz IV. – allerdings bereits 1247 – für die Eremiten erlassen worden war, die vom biblischen Berg Karmel in Palästina nach Europa ausgewandert und dort nach und nach zu bettelnden Zönobiten geworden waren.43 Diese Regel war von zwei Dominikanern, dem schon erwähnten Hugo a Sancto Caro, Kardinal von Santa Sabina, und Bruder Wilhelm, Titularbischof von Anterados, niedergeschrieben und durch die Bulle Innozenz’ IV. Quae honorem Conditoris promulgiert worden:44 Es handelte sich hier um die Regel, die Teresa und die Unbeschuhten Karmeliten, nicht ganz exakt, als die ursprüngliche Regel bezeichneten und die der gesamte Orden – mehr oder weniger streng ‒ gemeinsam mit den in der Bulle Romani Pontificis Providentia Eugens IV. (1432) enthaltenen, im Menschwerdungskloster geltenden Milderungen befolgte. Genaugenommen dürfte es Teresa de Jesús gar nicht so ohne Weiteres möglich gewesen sein, die Regel zu konsultieren. In jenen Jahren gab es keine gedruckte spanische Übersetzung und die handschriftlichen Versionen, die im Umlauf waren, waren fehlerhaft. Doch scheint es, als hätte sie die vermeintlich ursprüngliche Regel während ihres schon erwähnten Aufenthalts im Palast der Luisa de la Cerda in Toledo durch die mitreißende Beata María de Yepes (V 35,1,2;36,28) kennengelernt, die im Jahr zuvor zu Fuß nach Rom gepilgert war, um sich ein Exemplar derselben zu beschaffen. Hierbei scheint es sich allerdings um eine freie Version der von Innozenz promulgierten Regel von 1247 gehandelt zu haben.45 Jedenfalls enthielt sie ein Detail, das Teresa bis dato

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ausgeschlossen werden, nämlich die nach wie vor bestehende Notwendigkeit, kompromittierende Familiennamen abzulegen. Die Statuten der Reinheit des Blutes sind in fast allen religiösen Orden noch immer in Kraft: Albert A. SICROFF, Les controverses des statuts de ‘pureté de sang’ en Espagne du XVe au XVIIe siècle (Paris: Didier, 1979), Kap. II. Im Karmeliterorden werden sie seit 1566 befolgt: STEGGINK, La reforma, 205, 264. Dieses Detail darf auch bei Doña Teresas Flucht aus dem Menschwerdungskloster nicht außer Acht gelassen werden. Elias FRIEDMAN, The Latin Hermits of Mount Carmel: A study in Carmelite Origins (Rom: Teresianum, 1979). Dieses Dokument wird im Vatikanischen Geheimarchiv aufbewahrt: Reg. Vat. 21, ff. 265v– 266r. Es ist die älteste erhaltene Fassung der Karmeliterregel und basiert auf der Vitae Formula des Augustiners Albert. Der damalige Bischof von Vercelli und lateinische Patriarch von Jerusalem ‒ mit Sitz in Akkon, da Jerusalem bereits von den Sarazenen besetzt war ‒, hatte diese „Lebensformel“ zwischen 1206 und 1214 in Form von Briefen an eine Gruppe von Eremiten (Pilgern und ehemaligen Kreuzrittern) geschickt, die von einem als B[rocard] bekannten Einsiedler geleitet wurde. Der Originaltext dieser Vitae Formula, die später, 1226 und 1229, von Honorius II. und Gregor IX. approbiert wurde, ist nicht erhalten, doch es existieren einige Abschriften. Die älteste geht etwa auf das Jahr 1380 zurück. Die Formula ist auch als Regel des heiligen Albert bekannt: Joaquín SMET, Los Carmelitas. Historia de la Orden del Carmen, Bd. 1: Los orígenes. En busca de la identidad (ca. 1206–1563) (Madrid: BAC, 1987), 8ff. SMET, Los Carmelitas, Bd. 2: Las reformas. En busca de autenticidad (1563–1750) (Madrid: BAC, 1990), 46.

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unbekannt gewesen war und sie auf eine Linie mit der franziskanischen Reform des hl. Pedro de Alcántara brachte,46 nämlich die evangelische Armut der ersten Karmeliten. Im Übrigen hatte Teresa Kenntnis von der Regel des Ordens vom Berge Karmel, der sie sich weihte, die sie „mit der mir größtmöglichen Vollkommenheit“ beobachten wollte (V 32,9), und die sie vermutlich auch verstand. Sie war im sogenannten Códice de Ávila47 oder anderen Quellen enthalten.48 Für unseren Zusammenhang ist jedoch vor allem wichtig, dass diese Regel, „wie von Frater Hugo, Kardinal von Santa Sabina, angeordnet“ (V 36,26), ein echtes Juwel und in über 100 explizite und implizite Bibelzitate eingefasst war, das heißt: Wer Karmelregel sagte, sagte Heilige Schrift. Zwar trifft es zu, dass der Zugang zu den Texten und vermutlich erst recht zu den Kommentaren und Anmerkungen auch für Teresa und ihre Nonnen ein Problem darstellte,49 doch tat dies ihrer Entschlossenheit, im Sinne des Evangeliums zu leben, keinen 46

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Dieser hatte Teresa geraten, bei der Gründung auf die göttliche Barmherzigkeit zu vertrauen, und schrieb ihr unter anderem einen missbilligenden Brief, nachdem er erfahren hatte, dass Teresa mit Gelehrten und insbesondere mit Domingo Báñez über die Gründung diskutierte: Brief vom 14. April 1562, in La Reforma Teresiana. Documentario Histórico de sus primeros días (hg. v. Tomás de la Cruz und Simeón de la Sagrada Familia; Rom: Teresianum, 1962), 147. Teresa hörte einige Jahre lang auf die Meinung des Franziskaners. Danach sah sie ein, dass die Ansichten des Dominikaners und Gründungen auf der Basis fester Einkünfte besser umzusetzen und mit den Vorgaben des Konzils von Trient zu vereinbaren waren. Mitte des 15. Jahrhunderts wurde dieser Kodex aus dem Karmeliterkloster in Jerez de la Frontera ins Generalarchiv des Institutum Carmelitanum in Rom gebracht, wo er bis heute aufbewahrt wird (Signatur II,C.O.II,35). Er wird Códice de Ávila genannt, weil zwischen dem Deckel und dem ersten Folium ein Folium eingelegt ist, auf dem eine handschriftliche Notiz aus dem 19. Jahrhundert seine Herkunft aus dem „convento de Ávila“ vermerkt. Otger STEGGINK hat anhand einer alten Inventarliste aus dem Menschwerdungskloster von Ávila gezeigt, dass der Kodex von dort stammt: Experiencia y realismo en Santa Teresa y San Juan de la Cruz (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 1974), 104‒109. Der Códice de Ávila ist zweisprachig, lateinisch-kastilisch, weshalb Teresa ihn in den 27 Jahren, die sie im Kloster der Menschwerdung verbrachte, und in den drei Jahren, die sie darüber hinaus von 1571 an als Priorin dort war, problemlos gelesen haben könnte. Er enthält verschiedene Schriften, darunter eine Regel des Karmel (fol. 106r ff.). Beschrieben hat ihn unter anderem GRAZIANO DI S. TERESA, „Il Codice di Ávila“, Ephemerides Carmeliticae IX, 14 (1958): 442‒453. La Reforma Teresiana (Tomás/Simeón). Auf den Seiten 110‒120 findet sich eine Version der Regel von vor 1567, auch wenn der Text nicht exakt mit dem von 1247 identisch ist, an den sich Teresa de Jesús ihren eigenen Angaben zufolge gehalten hat. Der eine der beiden Herausgeber, TOMÁS DE LA CRUZ (Álvarez), hat sich gründlich mit dem für eine Ordensreform so wichtigen Thema der Regel befasst und versucht, die ursprüngliche Regel des teresianischen Karmels zu sichern: „Santa Teresa ante la Regla del Carmelo“, Estudios Teresianos I, (1995): 169‒192; DERS., „Santa Teresa y la Regla del Carmelo. Nuevos textos de la Regla anteriores a la Santa“, EBD., 207‒268, wo er auch den Códice de Ávila anführt; DERS., „La Regla del Carmen y Santa Teresa“, Monte Carmelo 115 (2007): 51‒66. Heute stehen uns sowohl der eine als auch die anderen zur Verfügung: Bruno SECONDIN (Hg.), La Regola del Carmelo oggi (Rom: Institutum Carmelitanum, 1983; Madrid: Edizioni Paoline, 1985). Textausgabe (lat./ital. bzw. lat./span.) mit Anmerkungen.

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Abbruch. Christus zu gehorchen (vgl. 2 Kor 10,5) und damit einen Lebensstil zu pflegen, der dem nicht nur in der Regel, sondern auch im Werk Teresas allgegenwärtigen Christozentrismus entsprach, war genau das, was die 13 Nonnen von San José taten, wenn sie dem Vorbild der Frauen aus dem Evangelium nacheiferten, die Christus bis unter das Kreuz und auch nach der Auferstehung nachgefolgt waren. Ihr Heiligkeitsideal war dasselbe, das die Regel den ersten Eremiten am Berg Karmel vor Augen gestellt hatte, und entsprach jener Quelle, die zwar nicht die Regel, wohl aber die karmelitische Tradition unter dem Namen des Propheten Elija (1 Kön 17,1‒21; 2 Kön 1‒13; 2,14‒13,20)50 und Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel51 überlieferte und die in einem Buch festgehalten worden war, das vielen Karmeliten als „das älteste des Ordens“ galt: De Institutione Primorum Monachorum,52 eine Schrift, die Teresa vielleicht aus dem erwähnten Códice de Ávila (fol. 157‒274) gekannt haben könnte.

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Die „Elijalegende“ des Ordens findet sich zum ersten Mal in der Rubrica prima der Konstitutionen des Londoner Generalkapitels von 1281. Sie ist sicherlich aus dem Bedürfnis des ja tatsächlich aus dem Heiligen Land emigrierten Ordens entstanden, sein Alter zu beweisen: SMET, Los Carmelitas, Bd. 1, 25f. Um 1640 begann der belgische Jesuit Jean Bolland mit der Veröffentlichung der berühmten Acta Sanctorum, die von seinen Nachfolgern, den Bollandisten, fortgesetzt wurde. Darin wurde unter Berufung auf die historische Wahrheit und Genauigkeit der Altersanspruch der Karmeliten zurückgewiesen, was einen Konflikt zwischen den beiden Orden zur Folge hatte und die jahrhundertealte Überzeugung, wonach der Prophet Elija der Gründer und Vater des Karmels sei, nach und nach ins Wanken brachte: SMET, Los Carmelitas, Bd. 3: Las reformas. Personas, literatura, arte (1563–1750) (Madrid: BAC, 1992), 467‒469. Es scheint, dass die Eremiten vom Berg Karmel sich zunächst Eremiten des Erlösers nannten. Obwohl die Regel nicht auf Maria verweist, wissen wir von einem französischen Pilger, der seinen Bericht um das Jahr 1231 niederschrieb, dass sich zwischen den Zellen der Mönche ein der Gottesmutter geweihtes Oratorium befand und dass die Mönche mit der Zeit als die Brüder Unserer Lieben Frau vom Berg Karmel bekannt wurden: „Schon 1252 findet diese Bezeichnung in einer päpstlichen Bulle Verwendung“, SMET, Los Carmelitas, Bd. 1, 14. Im 14. Jahrhundert erhielt die marianische Tradition mit den Schriften von John Baconthorpe die zentrale Stellung, die sie sich über die Jahrhunderte hinweg bewahrt hat. Dieses Buch wurde erstmalig als eines der Libri decem de institutione in processu Ordinis Prophetici Eliani, Beatissimae Virginis Mariae de Monte Carmeli, et peculiaribus gestis Religiosorum Carmelitarum in: Speculum Ordinis Fratrum Carmelitarum, ed. Baptista Venetum de Cathaneis gedruckt (Venetiis: Lucaeantonii Juntae, 1507). Es gibt eine gedruckte spanische Übersetzung eines Karmeliten namens VALENTÍN DE SAN JOSÉ: Libro de la Institución de los primeros monjes fundados en el Antiguo Testamento que perseveran en el nuevo (Ávila: Imprenta y Librería Vda. de Sigirano, 1959). Lange Zeit glaubte man, dass die Institutio im 4. Jahrhundert von Johannes Nepos Silvanus, dem 44. Bischof von Jerusalem, verfasst worden sei. Tatsächlich handelt es sich um ein Werk aus dem 14. Jahrhundert, und sein Verfasser war der katalanische Karmelit Felipe RIBOT, der zugunsten seines Ordens auf den Ruhm verzichtete und seine Autorenschaft geheim hielt, um seinen Orden zum ältesten der Christenheit zu machen. Er stellte den Propheten Elija als Gründer dar, und seine Ausschmückung der Elijalegende aus der Rubrica von 1281 verrät eine überbordende Phantasie.

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Was die Visitation des Ordensgenerals Rubeo betraf, zählten in erster Linie Faktoren wie die Vollkommenheit, mit der die Unbeschuhten Karmelitinnen von San José sich an die nicht abgemilderte, zönobitische Form der Regel hielten, da sie in Einsamkeit (Ps 1,2) und Schweigen (2 Thess 3,12) in einem kleinen Kloster innerhalb der Stadtmauern von Ávila lebten. Dort beteten sie ohne Unterlass, priesen den Herrn (Mt 6,9; Lk 11,2) und erflehten mit der täglichen Eucharistiefeier sein Erbarmen (Apg 2,46; Ez 46,13‒15). Sie lebten die Armut und brüderliche Gütergemeinschaft (Apg 2,43‒47; 4,32.35), fasteten und verzichteten auf Fleisch. Außerdem beachteten sie die von dem tridentinischen Dekret De regularibus für die Ordensfrauen vorgeschriebene Klausur, gehorchten der Priorin, die in der Gemeinschaft Stellvertreterin Christi war (1 Thess 5,12), und arbeiteten, da die Regel vorsah, dass die Karmeliten sich ihren Unterhalt durch Arbeit verdienten (2 Kor 13,3; 1 Tim 2,7), gemäß der Lehre des heiligen Paulus (2 Thess 3,7‒12): „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Bei alledem aber hielt sich Teresa de Jesús auch an die Zeiten der „Rekreation“.53 Der Wunsch nach größerer Vollkommenheit hatte sie veranlasst, im Garten des Klosters einige Einsiedeleien einzurichten, was zum Teil auf die Verehrung zurückzuführen war, die sie schon als Kind zu den sogenannten Vätern der Wüste oder der Einöde gehegt hatte (V 15,6),54 vor allem aber der Rückbesinnung auf die legendarischen eremitischen Ursprünge des Karmels diente, an die sie wie alle Karmeliten ihrer Zeit glaubte und deren Leitfiguren ihr deutlich vor Augen standen: Mose (Ex 24,18) und Elija (2 Kön 1,8) als alttestamentliche Vorbilder, Johannes der Täufer (Lk 1,8), Jesus selbst (Mk 1,13) und die Büßerin Magdalena (Joh 20,16‒17) als Vorbilder aus dem Neuen Testament und außerdem die ersten Mönchseremiten aus besagter Institutio. In der Einsamkeit des Berges Karmel und der Wüste hatten sie in Buße und Kontemplation die Begegnung mit Gott gesucht. Allerdings sollte sie selbst wenig später feststellen, dass „das heilige Konzil von Trient […] anordnete, die Einsiedler in die Orden einzugliedern“ (F 17,8).55 Also 53

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Die Rekreation ist nicht, wie so oft gesagt wird, eine Erfindung der heiligen Teresa, sondern eine der von Papst Eugen IV. in seiner Bulle Romanis Pontificis (SECONDIN, La Regola, 232) gewährten Milderungen. Dabei handelt es sich um eine Phase der kollektiven und brüderlichen/schwesterlichen seelischen Entspannung der Gemeinschaft zu festgelegten Zeiten als Gegengewicht zu den Zeiten des Gebets, des Alleinseins und des Schweigens. Im teresianischen Frauenkarmel hielten die Schwestern die Rekreation eine Stunde oder eine halbe Stunde lang nach dem Mittag- oder Abendessen, mussten dabei jedoch spinnen, um den Unterhalt der nicht durch ein festes Einkommen finanzierten Klöster zu gewährleisten. Dessen ungeachtet waren die Rekreationen der Schwestern sehr fruchtbar, was ihre poetische und literarische Betätigung betraf: María Pilar MANERO SOROLLA, „Diálogos de Carmelitas: Libro de Recreaciones de María de San José (Salazar)“, Actas del X Congreso de la Asociación Internacional de Hispanistas (Barcelona: Universitat de Barcelona-PPU, 1992), 501‒515. Die Vitae Patrum (Ägypten, Thebais, Mesopotamien) wurden im 16. Jahrhundert in der kastilischen Übersetzung von Gonzalo GARCÍA DE SANTA MARÍA mehrfach veröffentlicht (Valencia: Juan Jofre, 1519ff.) Das Eremitentum war im Europa des 16. Jahrhunderts ein überwiegend auf die südlichen Regionen beschränktes Phänomen, mit dem sich das Konzil von Trient auf seiner 12. Sitzung (am 12. September 1551) befasste und das gemischte Reaktionen auslöste: Aufmerksamkeit

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musste sich Teresa de Jesús mit dem Klostergarten begnügen und die physische Einsamkeit des Berges oder der Wüste gegen die innere Einsamkeit eintauschen, die sie mit ihren Einsiedeleien zu erreichen trachtete: der zum hl. Hieronymus, zum hl. Alexius, zur Samariterin (Joh 4,4‒26), zum heiligen Hilarion und zu den hll. Elija und Elischa gemeinsam, da der Geist des Propheten in seinem Schüler fortlebte (2 Kön 2,14, 13‒20).56 Offenbar hatte Teresa de Jesús also den ursprünglichen Karmel wiederhergestellt und war zudem in der Lage, dem Ordensgeneral eine erste Fassung der Konstitutionen57 und zudem ein päpstliches Rescriptum vorzulegen, das sie 1562 von Pius IV. selbst bekommen hatte und in dem der Papst ihr die Genehmigung erteilte, eine Satzung und Ordnung für ein einzelnes Kloster auszuarbeiten.58 Trotz gewisser Verstimmungen angesichts der Tatsache, dass das Kloster San José der bischöflichen Jurisdiktion unterstand, war der General tief beeindruckt von seiner Tochter, nachdem diese ihm ihr Gebetsleben geschildert hatte (F 2,3). Er unterstellte ihr Reformwerk seiner unmittelbaren Jurisdiktion und fügte es somit in den vom Konzilsdekret De regularibus vorgegebenen Rahmen ein. Der Ordensgeneral gab Teresa nicht nur Sicherheit – er verlieh ihr Flügel: „[Er] gab […] mir sehr weitreichende Vollmachten, um noch mehr Klöster zu gründen“ (F 2,3), schrieb sie über die Vollmachten vom 27. April 1567, mit denen er ihr die Erlaubnis erteilte, in Kastilien eine bestimmte Anzahl von Klöstern zu gründen.59 Und so wurde Teresa de Jesús – ohne dass sie deswegen aufhörte, Maria zu sein ‒ zu einer Marta (Lk 10,38‒42).60 Auch diese Rolle spielte sie mit großer Energie, denn sie

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aufseiten der Geistlichkeit und, zumindest was ihre anarchischen Formen betraf, Ablehnung aufseiten der kirchlichen und zivilen Behörden. Infolgedessen mussten die Eremiten sich nach und nach in die Bettelorden wie eben den der Karmeliten zurückziehen: Alain SAINT-SAËNS, La Nostalgie du Désert. L’idéal érémitique en Castille au Siècle d’Or (San Francisco: Mellen Research University Press, 1993), 119ff., 317ff. Eliseo (Elisäus, Elischa) war bezeichnenderweise der Deckname, den sie in ihren Briefen für ihren geliebten geistlichen Sohn und Prälaten Jerónimo Gracián (Jerónimo de la Madre de Dios) verwendete. Diese Constituciones von 1567 scheinen nach und nach aus den Erfahrungen im Zusammenhang mit der Gründung von San José 1562 hervorgegangen zu sein und sich an den alten Ordenskonstitutionen zu orientieren: Wir wissen, dass Teresa in den letzten Jahren fleißig die Konstitutionen las (vgl. V 35,2). Von den Constituciones der heiligen Teresa ist kein Autograph erhalten. Tomás ÁLVAREZ stuft eine Abschrift als teresianisch ein, die von SILVERIO DE SANTA TERESA benutzt wurde und im Archivo Silveriano in Burgos aufbewahrt wird. Ihr Text ist nachzulesen in Constituciones teresianas de 1567, hg. v. Tomás ÁLVAREZ, in AA.VV., Constituciones de las Carmelitas Descalzas, 1562–1607 (Rom: Teresianum, 1995), 3‒47; im Generalarchiv des Karmeliterordens sind allerdings keine „teresianischen“ Konstitutionen verzeichnet. Der Wortlaut ist nachzulesen in La Reforma Teresiana (Tomás/Simeón), 141f., ebenso die päpstliche Bestätigungsbulle Cum a Nobis vom 17. Juli 1565, EBD., 181‒186. SMET, Los Carmelitas, Bd. 2, 52. Nach Ansicht Teresas müssen diese neutestamentlichen Personen und das, was sie verkörpern – nämlich die Aktion und die Kontemplation – Hand in Hand gehen wie die Schwestern im Evangelium: Zu dieser Schlussfolgerung gelangt sie, nachdem sie beides ausprobiert hat, in einem ihrer letzten Werke, den Wohnungen der inneren Burg (Whg. 7, Kap. 4, 14‒15).

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war von Natur aus eine Frau der Tat und der Macht: der persönlichen Macht, die sich in ihr mit der Macht Gottes vermischte, in dessen Dienst und zu dessen Ruhm sie ihr Gründungswerk zur Verteidigung des katholischen Glaubens verrichtete.61 Die Gründungen breiteten sich stetig in ganz Kastilien und Andalusien aus: 1567 Medina del Campo, 1568 Malagón und Valladolid, 1569 Toledo und Pastrana, 1570 Salamanca, 1571 Alba de Tormes, 1574 Segovia, 1575 Beas und Sevilla, 1576 Caravaca. 1580 gründete Ana de San Alberto (Salcedo) Villanueva de la Jara und Palencia, 1581 Soria und 1582 Burgos. Ebenfalls 1582 entstand ferner unter der Leitung der Ana de Jesús (Lobera) der teresianische Karmel von Granada. Mit der Zeit und im Zuge der Entwicklung akzeptierte Teresa Stiftungen, feste Einkünfte und bestimmte „Milderungen“, wobei sie den zivilen und kirchlichen Behörden gegenüber häufig eine nicht ungefährliche Politik der „vollendeten Tatsachen“ verfolgte. Sie tat dies, um ihr Reformwerk zu stärken, und weil sie sicher war, dass Gott am Ende auf ihrer Seite sein würde (F 1,8). Die Gründerin lebte von der göttlichen Barmherzigkeit (Mt 5,7; 9,13; Joh 3,16),62 was auch hieß, sich auf die „schweren Zeiten“ einzustellen. Darin erwies sie sich durchaus als geschickte Politikerin und Meisterin in der Kunst der Anpassung, ohne den Kern ihrer Reform, die wesentlich auf dem Evangelium beruhte, zu verraten. Kurz bevor sie sich in ihrer Lebensbeschreibung, deren Anfänge auf ihre ersten, zwischen 1560 und 1562 verfassten Geistlichen Erfahrungsberichte zurückgeführt werden 61

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Man darf nicht vergessen, dass Teresa, als sie 1562 mit den Gründungen beginnt, bereits an ihrem Weg der Vollkommenheit schreibt. Gleich zu Beginn des ersten Kapitels ist „von den Schäden in Frankreich durch diese Lutheraner“ und von ihrem Entschluss die Rede, mit ihren Gebeten und Gründungen für die Sache des katholischen Glaubens einzutreten (für Teresa sind alle Protestanten Lutheraner: In diesem Fall verwechselt sie Lutheraner und calvinistische Hugenotten). Von besagten „Schäden“ hatte sie sicherlich durch das Gesuch Philipps II., der nach dem Frieden von Cateau-Cambrésis (1559) Elisabeth von Valois geheiratet hatte, und von den Jesuiten und Dominikanern, mit denen sie häufig zusammentraf, oder auch im Palast der Doña Luisa de la Cerda erfahren, in dem gut informierte Personen verkehrten. Zu letzteren gehören insbesondere Angehörige der Familien Tavera, Éboli, Mendoza und gerade im Jahr 1562 natürlich auch Medinaceli: María Pilar MANERO SOROLLA, „María de San José y Luisa de la Cerda: género poder y espiritualidad en el inicio de la reforma teresiana“, Homenaje a Francisco Márquez Villanueva, Bd. 1 (hg. v. Pedro M. Piñero Ramírez; Sevilla: Universidad de Sevilla, 2005), 441‒459. Teresa wird nun auf die Ratschläge hören, die ihr Domingo Báñez anfangs gegeben hatte. Der Dominikaner informierte sie über die tridentinischen Vorschriften bezüglich der Versorgung der Klöster durch Einkünfte, Stiftungen usw. und über die neuen Regelungen zu den Bettelorden: José GARCÍA ORÓ, „La vida monástica femenina en la España de Santa Teresa“ in Actas 1982, Bd. 1, 331‒349. Ohnehin wurde in Spanien seit dem Erscheinen von Juan Luis Vives’ De subventione pauperum (Brügge: Croock, 1525) offen über die Themen Armut, Bettelei und Wohltätigkeit debattiert: Der arme Bettler, der jahrhundertelang aus Gründen der Nächstenliebe und Ergebung in die natürliche Ordnung als das providentielle und frohbotschaftliche Bild Jesu Christi auf Erden akzeptiert worden war, wurde im 16. Jahrhundert aus Gründen der Regulierung und Eingliederung in die Gesellschaft zur Diskussion gestellt: Linda MARTZ, Poverty and Welfare in Habsburg Spain (Cambridge: Cambridge University Press, 1983).

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können, selbst an der Schriftstellerei versuchte, beklagte sich Teresa beim Herrn darüber, dass sie „viele in der Volkssprache geschriebene Bücher“ nun nicht mehr lesen könne.63 Der Herr antwortete ihr: „Sei nicht betrübt, denn ich werde dir ein lebendiges Buch geben“ (V 26,5). Mithin stand ihr eine vorzügliche und direkte Quelle zur Verfügung, aus der sie das Wort Gottes schöpfen konnte: Jesus Christus, der „große Meister“ ihres Lebens. Zudem standen ihr vor und nach diesem so bedeutenden Ereignis, über das man nicht hinwegsehen darf, ihr Gedächtnis – das wohl besser war, als die Klagen in ihren Schriften es vermuten lassen ‒ und nicht zu unterschätzende Ersatzlektüren zur Verfügung. Teresa war 1515, zwei Jahre vor dem Tod von Kardinal Cisneros, und damit in einer Zeit geboren, als in Alcalá gerade die Complutensische Polyglotte, die erste mehrsprachige Bibelausgabe der Geschichte, fertiggestellt wurde.64 Zwar handelte es sich um eine Bibel für Gelehrte, doch hatten die Arbeiten daran in biblischer, patristischer, spiritueller und mystischer Hinsicht eine spürbare Öffnung bewirkt und einen starken Anreiz zur Vollkommenheit im Sinne des Evangeliums geschaffen, der Teresas Kindheit und Jugend prägen sollte: Cisneros’ berühmte „mystische Saat“ und die auf der Heiligen Schrift fußende geistliche Literatur.65 In Spanien wurde die Bibel während des Mittelalters66 und auch in der Epoche der Renaissance in die Volkssprache übersetzt und war mithin auch den Frauen zugänglich. Der in Spanien hochgeschätzte Erasmus hatte in seiner Paraclesis67 alle Christen, einschließlich der Mulierculae, dazu aufgerufen, die in der Schrift enthaltene Philosophie Christi zu studieren. Dieselbe Empfehlung hatte Luis Vives in seiner Schrift De institutione feminae christianae ausgesprochen.68 Teresa de Ahumada war trotz der Converso-Abkunft ihres Großvaters väterlicherseits das Kind einer durch 63

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Gemeint sind die Bücher auf dem schon erwähnten Index von 1559. Auch wenn sich Teresa beklagt, dass sie darunter gelitten habe, hatten sich die Zensurmaßnahmen Valdés’ und seiner Ratgeber hauptsächlich gegen die lateinischen Bücher – 450 von insgesamt 700 – gerichtet. Biblia sacra, hebraice, chaldaice et graece, cum tribus interpretationibus latinis: de mandato ac sumptibus Cardinales D. F. Francisci Ximenez de Cisneros (6 Bde.; Alcalá de Henares: Arnao Guillén de Brocar, 1514‒1517). Pedro SÁINZ RODRÍGUEZ, La siembra mística del cardenal Cisneros y las reformas de la Iglesia (Madrid: Universidad Pontificia de Salamanca/FUE, 1979). Die vielleicht berühmteste volkssprachliche Bibelübersetzung ist die sogenannte Biblia de Alba: Biblia (Antiguo Testamento) traducida del hebreo al castellano por rabi Mose Arragel de Guadalajara (1422–1433?) y publicada por el duque de Berwick y de Alba (hg. v. Antonio Paz y Meliá; 2 Bde.; Madrid: S. de Bibliófilos Españoles, 1920‒1922; Faksimile-Ausgabe: Madrid: Fundación Amigos de Sefarad, 1992). Zu weiteren Bibelausgaben vgl. Klaus REINHARDT und Horacio SANTIAGO-OTERO, Biblioteca bíblica ibérica medieval (Madrid: CSIC, 1986). Die Paraclesis ad Christianae philosophiae studium wurde zunächst gemeinsam mit dem Novum Instrumentum in lateinischer Sprache publiziert (Basel: Froben, 1516); die kastilische Übersetzung erschien gemeinsam mit dem Enchiridion (s. l. [Alcalá? Logroño?], 1529) und wurde 1550, 1555 und 1556 wiederaufgelegt: BATAILLON, Erasmo y España, 279ff. Löwen: M. Hillenio, 1523; Instrucción de la muger cristiana (übers. v. Juan Justiniano; Valencia: Jorge Costilla, 1528).

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und durch christlichen Familie. Eines der Bilder in ihrem Elternhaus stellte die Samariterin – auch sie eine bekehrte Sünderin, mit der Teresa sich identifizierte ‒ dar, die Jesus am Jakobsbrunnen begegnet und von ihm lebendiges Wasser bekommt (Joh 4,4‒26).69 Ein weiteres Gemälde zeigte Jesus am Ölberg (Lk 22, 39‒71; 23,1‒53), eine Szene, die sie ihr Leben lang begleiten wird und an die sie sich in ihren Schriften und Gebeten mehrfach erinnerte:70 Das war der Anfang ihrer späteren Leidenschaft für die Passion Christi. Unter den Büchern, die sich im Besitz der Familie Cepeda befanden, waren den beiden auf uns gekommenen Inventarlisten zufolge ein Flos Sanctorum,71 der unter anderem das Leben Christi, das Leben der Jungfrau und viele Espejos, also Lebensbeschreibungen enthielt, die die Tugenden Marias und ihres Sohnes widerspiegelten. Ferner zu nennen sind ein Retablo de la vida de Cristo von Juan de Padilla, ein Tratado sobre la excelencia del sacrificio de la ley evangélica und ein Buch mit den Evangelien, höchstwahrscheinlich in der Übersetzung des Ambrosio de Montesino.72 In diesem Umfeld wuchs Teresa heran. Sie lernte sehr früh, nämlich bereits mit sechs Jahren, lesen und schreiben. Darüber hinaus verfügte sie neben einem guten Gedächtnis über eine außerordentliche Fähigkeit, sich das, was sie gelesen, gesehen und gehört hatte, anzueignen und es zu verinnerlichen. Mit 16 Jahren gab ihr Vater sie in das Augustinerinnenkloster Santa María de Gracia in Ávila. Hier lernte sie María de Briceño kennen, die sich ihrer annahm. Sie war „dazu gekommen […], ins Kloster zu gehen, nur weil sie die Worte des Evangeliums gelesen hatte: Viele sind berufen, wenige aber auserwählt (Mt 20,16)“ (V 3,1). 1535 trat die inzwischen Zwanzigjährige in das Menschwerdungskloster, den Karmel von Ávila, ein. Der weibliche Zweig des Karmeliterordens war erst 1452 entstanden, als Papst Nikolaus V. mit der Bulle Cum nulla fidelium die Verhältnisse verschiedener Frauengruppen ordnete, die nach der Regel des Karmels lebten, ohne dem Orden jedoch anzugehören: angefangen bei den Beginen von Ten Elsen (Olanda) über die florentinischen Mantellate oder Tertiarierinnen bis hin zu den Beatas.73 Der Frauenkarmel von Ávila 69

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„Schon seit frühester Kindheit […] hatte ich immer eine Darstellung davon, als der Herr zum Brunnen kam, bei mir, mit folgender Aufschrift: Domine, da mihi aquam“ (V 30,19). Dies ist eines der wenigen lateinischen Bibelzitate in Teresas Schriften. „Viele Jahre lang dachte ich an den meisten Abenden vor dem Einschlafen, wenn ich mich zum Schlafen Gott empfahl, immer wieder eine Weile an diesen Abschnitt des Gebetes Jesu im Ölgarten, noch bevor ich im Kloster war, denn man hatte mir gesagt, dass man damit viele Ablässe gewinnen würde“ (V 9,4). Dieses Werk ging auf die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine (13. Jh.) zurück und war zwischen 1470 und 1478 erstmalig in lateinischer Sprache erschienen. Das Buch war sehr beliebt, weil es unter anderem eine Zusammenfassung des Evangeliums enthielt, die zudem bebildert war. Bei der Ausgabe, die Teresa als Kind gelesen hat, handelt es sich möglicherweise um: Leyenda de los santos que vulgarmente Flossantorum llaman agora nuevo empremida (Sevilla: Juan Varela de Salamanca, 1520), die bis 1558 immer wieder aufgelegt wurde. Sevilla: Jacobo Cromberger, 1506, bis 1558 immer wieder aufgelegt. Nikolaus von Kues, der Gesandte, den der Papst mit der Durchführung der Reform des 15.

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war 1479 gegründet worden. Er ging auf eine Gemeinschaft von Beatas zurück und lebte nach der Regel mit den, schon erwähnten, von Eugen IV. genehmigten Milderungen. Im Refektorium wurde allem Anschein nach vor 1559 nicht aus der Bibel, wie es die Regel vorsah (Kap. 8), sondern aus Homilien, geistlichen Büchern und Heiligenviten, insbesondere von Heiligen des Karmels, vorgelesen.74 Trotz des in einem Kloster, in dem bis zu 200 Frauen zusammenlebten, beinahe unvermeidlichen Durcheinanders waren die Nonnen verpflichtet, am Chorgebet teilzunehmen. Sie feierten täglich die Messliturgie mit den biblischen Texten (Antiphonen, Psalmen, Episteln, Evangelien, Eucharistie), wie es den Tageslesungen entsprach,75 und beteten täglich das Stundengebet, das den Rhythmus des Klosterlebens prägte: Matutin, Laudes, Prim, Terz (mit dem Veni Creator), Sext, Non, Vesper und Komplet (mit dem Salve Regina), dazu allwöchentlich die 150 Psalmen, die Teresa nach dem allgemeinen Glauben ihrer Zeit König David zuschrieb76 ‒ ein „reuiger Sünder“ wie sie, mit dem sie sich identifizierte (V 20,10; 29,11). Jede Nonne hatte ein eigenes Brevier, das – natürlich in lateinischer Sprache ‒ die Psalmen, die alt- und neutestamentlichen Lesungen, die Liturgie der Heiligenfeste und insbesondere die Offizien der Jungfrau enthielt.77

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Jahrhunderts betraut hatte, verpflichtete alle Frauen, die in einer religiösen Gemeinschaft lebten, eine bereits von der Kirche approbierte Ordensregel zu übernehmen; vgl. zu den Karmelitinnen Claudio CATENA, Le Carmelitane. Storia e Spiritualità (Rom: Institutum Carmelitanum, 1969). EFRÉN/STEGGINK, Tiempo, 101. Der Karmeliterorden feierte bis zum II. Vatikanischen Konzil die Liturgie nach dem HeiligGrab-Ritus, der nicht etwa vom Gedanken an den Tod, sondern an die Auferstehung geprägt war, die den Frauen am Ostermorgen ebendort, am Heiligen Grab, von einem „Engel des Herrn“ verkündet worden war (Mt 28,1‒9; Mk 16,1‒8; Lk 24,1‒11; Joh 20,1‒18): Arie F. KALLENBERG, „The Resurrection in the early Carmelite Liturgy and Carmelite Spirituality“, Carmelus 44,1 (1997): 5‒20. Diese Liturgie kreist um die Bibel und zeugt natürlich von den orientalischen Ursprüngen des Karmeliterordens, auch wenn das, was von ihr erhalten geblieben war, in Europa von Sibert von Beka festgeschrieben und 1312 vom Londoner Generalkapitel approbiert worden war: Ordinale Ordinis B.M. de Monte Carmeli, hg. v. Benedictus a Cruce ZIMMERMAN, Ordinaire de l’Ordre de Notre-Dame du Mont Carmel par Sibert de Beka (Paris: Bibliothèque Liturgique, 1910). Auch die Konzilsväter selbst hatten den Psalter auf dem Tridentinum bei seiner Aufnahme in die kanonischen Schriften Psalterium davidicum (150) genannt, damit aber keine Vorentscheidung in der Frage nach der tatsächlichen Verfasserschaft der einzelnen Psalmen beabsichtigt: Eloíno NACAR/Alberto COLUNGA, Sagrada Biblia. Versión directa de las lenguas originales, hebrea y griega al castellano (Madrid: BAC, 1985), 683. Im Kloster der Menschwerdung in Ávila fand neben dem im Orden üblichen Jerusalemer Brevier das Brevier der Kirche von Ávila Verwendung: Nicolás GONZÁLEZ GONZÁLEZ, El Monasterio de la Encarnación de Ávila, Bd. 1 (Ávila: Caja Central de Ahorros, 1976), 213ff. Ein Brevier, das Teresa benutzt haben könnte, ist in diesem Kloster nicht erhalten. Die Unbeschuhten Karmelitinnen von Medina del Campo bewahren jedoch noch ein Jerusalemer Brevier aus dem Jahr 1568 auf, das Teresa verwendet hat. Im Explicit (der Buchdeckel fehlt) steht zu lesen: Breuiarium secundum ordinem fratrum gloriosissimae Dei genitricis, semperque

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Das Chorgebet war nicht einfach zu lernen (V 15,8),78 doch die Pädagogik der ständigen Wiederholung half dem Gedächtnis und bescherte Teresa überdies einen Zustand der Ruhe (V 15,8), der sie in einigen Fällen zur mystischen Gotteinung führte. Dennoch bevorzugte sie mit der Zeit das individuelle Gebet vor dem gekreuzigten Christus, wie es der Devotio moderna entsprach, und in der Einsamkeit ihrer Zelle, wie es im Mönchtum und insbesondere im Karmel, der das innere Beten vorschrieb, schon immer üblich gewesen war. 27 Jahre lang sang Teresa die Horen im Menschwerdungskloster und weitere 20 Jahre lang ließ sie im Unbeschuhten Karmel das Wort in der gesungenen und gebeteten Stundenliturgie lebendig werden. Mit der Zeit verstand sie das Latein der Liturgie, und wenn sie es nicht verstand, dann fragte sie nach. Sie hatte schon immer gerne bei denen nachgefragt, die mehr wussten als sie. Außerdem hatte sie die Möglichkeit, die spanischen Übersetzungen und Kommentare, die es damals gab, zu Rate zu ziehen.79 Unter den Andachten im Menschwerdungskloster hatte das tägliche Gebet des Angelus und des Magnificat (Lk 1,46‒55) Vorrang, jenes Mariengesangs, den Doña Teresa so sehr liebte und der aus Anspielungen und Anklängen an das Alte Testament bestand (1 Sam 2,1‒10; Jdt 6,19; 8,32; 9,3). Ebenfalls Vorrang hatte der tägliche, demütige und den Frauen angemessene Rosenkranz,80 den sie von ihrer Mutter gelernt hatte (V 1,6).

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virginis Mariae de Monte Carmelo, sub Reuerendissimo patre Jo. Baptista Rubeo, ipsius ordinis magistro generali, solerti cura et diligentia emendatum (Venetiis: Lucaeantonii Juntae), 1568. Hierfür und für die Aneignung von Kenntnissen über die Geschichte des Ordens war das Noviziat vorgesehen. Die Novizin musste nicht nur den Choralgesang lernen, sondern das Lateinische auch gut aussprechen und Stimme und Bewegungen dem Rhythmus und Zeremoniell der Gemeinschaft anpassen können. Teresa de Ahumada lernte alle diese Dinge höchstwahrscheinlich von ihrer Novizenmeisterin Maria de Luna: EFRÉN/STEGGINK, Tiempo, 103. Psalterio en lenguaje castellano (übers. v. Gómez Santofimia; [Lissabon, 1529?] und Lissabon: Germâo Galharde, 1535); Arpa de David (auf Kastil. paraphr. v. Fr. Benito Villa; Barcelona: Carles Amorós, 1538 [Impressum, 1540] und Burgos: Juan de Medina, 1548); Libro muy provechoso. (Los siete salmos penitenciales; los quinze psalmos del canticungrado; las lamentaciones de Jeremías) (übers. v. Hernando de Javara; Antwerpen: Martín Nucio, 1543; Lissabon: Luis Rodríguez, 1544; Antwerpen: Martín Nucio, 1546 und 1556); Los nueve psalmos … [a continuación de las] Leciones de Job (übers. v. Hernando de Javara; Antwerpen: Martín Nucio, 1540 und 1550); El Psalterio de David (Lyon: Sebastián Grypho, 1550); Psalterio de David con las paraphrases y breues declaraciones de Raynerio Snoy Goudano (Antwerpen: Juan Steelsio, 1555); Los siete salmos penitenciales (übers. v. einem Franziskaner [Francisco de Evia?]; Alcalá de Henares: Salcedo, 1558). Ferner verfügte man im Karmel über die kastilischen Übersetzungen der Kommentare des italienischen Karmeliten Michele AIGUANI aus dem 15. Jahrhundert: Tratado sobre la Concepción de la Bienaventurada Virgen María y Comentarios a los Salmos (Alcalá de Henares: Miguel de Eguía,1524), die im 16. Jahrhundert nicht weniger als 17 Auflagen erfuhren. „Wir leben in Zeiten, in denen man den Frauen predigt, ihren Spinnrocken und ihren Rosenkranz zu nehmen und sich mit keiner anderen Art von Andacht zu beschäftigen“: Brief des Jesuiten Pedro Navarro an Diego Laínez, seit 1556 Ordensgeneral der Societas Iesu: MHSI, VI, 354, zitiert nach GONZÁLEZ NOVALÍN, El Inquisidor general, 284.

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In seinen schmerzhaften und glorreichen Geheimnissen durchlebte sie die entscheidenden Momente im Leben Christi und seiner Mutter, die im Neuen Testament überliefert sind und zur Betrachtung und Kontemplation einladen: Menschwerdung (Lk 1,26‒ 27.35.38), Heimsuchung (Lk 1,39‒40.45‒48), Geburt Jesu (Lk 2,7.8.9; 2,11), Darstellung Jesu im Tempel (Lk 2,22.25.34), Jesus, der im Tempel verlorengeht und wiedergefunden wird (Lk 2,43.48), Jesu Gebet am Ölberg (Mt 26,36‒39), Jesus, der an die Säule gebunden und gegeißelt wird (Mk 15,1‒2; Joh 18,36‒37;19,1), die Dornenkrönung (Mk 16,17; Mt 27,28.29), Jesus, der das Kreuz trägt (Joh 19,17; Lk 9,23; Mt 11,29‒30), Jesu Kreuzigung und Tod (Lk 23,33; Joh 19,30; Mk 15,37), Christi Auferstehung (Mt 28,5‒ 7; Joh 11,25‒26), Himmelfahrt (Mt 28,19; Lk 24,50; Apg 1,9), die Herabkunft des Heiligen Geistes (Apg 2,1‒4) und die Aufnahme Mariens in den Himmel (Offb 12,1). Auch das Samstagsoffizium, das in der alten Karmeliterliturgie in der Lesung des Hohelieds gipfelte, war der Jungfrau Maria gewidmet. Weitere sehr bedeutende Momente im Karmel wie auch im Leben der gesamten Kirche waren das Weihnachtsfest und vor allem die Passion mit dem Kreuzweg und seinen 14 Stationen, die den Evangelien entnommen waren (Mt 26‒27; Mk 15; Lk 22‒24; Joh 18‒19) und in der damaligen Zeit als Fresken die Wände des Klosterkreuzgangs schmückten.81 Parallel dazu las Teresa zahlreiche religiöse Werke in kastilischer Sprache, die mit Bibelzitaten und Bibelstellen gespickt waren. Sie selbst sagte, sie habe „viele geistliche Bücher“ gelesen (V 14,7). Darunter befanden sich die Briefe des hl. Hieronymus und der Tercer Abecedario von Osuna, eine meisterhafte Zusammenfassung seiner drei vorangegangenen Abecedarios, von denen bereits die Rede war. Außerdem anzuführen sind hier die Moralia in Job Gregors des Großen,82 was möglicherweise ein Hinweis darauf sein könnte, dass ihr auch der Kommentar zum Buch Ijob zugänglich gewesen war, dessen Übersetzung der Index von 1559 ausdrücklich verbieten sollte. Durch dieses Werk wurde sie mit den drei darin angewandten Arten der – historischen, allegorischen und moralischen ‒ Bibelexegese vertraut. Außerdem steht fest, dass sie die schon erwähnten Bekenntnisse des hl. Augustinus kannte, des dritten Kirchenvaters, den sie gelesen und von dem sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Kunst der autobiographischen Selbstbetrachtung gelernt hatte; ferner die Vita Christi des Kartäusers Ludolf von Sachsen,83 der zur Lectio, Meditatio und Contemplatio der Texte aus den Evangelien und

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GONZÁLEZ GONZÁLEZ, El Monasterio, Bd. 1, 227ff. Los Morales de sant Gregorio papa: dotor de la iglesia (übers. v. Alonso Álvarez de Toledo; 2 Bde.; Toledo: Juan Varela de Salamanca, 1514; Sevilla: Jacobo Cromberger, 1527; Sevilla: Juan Varela de Salamanca, 1534 und 1549). Dieses Werk hat Teresa schon recht früh gelesen, nämlich während der Krankheit, die sie 1539 nach Becedas führte – daher auch ihre Identifikation mit Ijob, dem biblischen Kranken schlechthin: EFRÉN/STEGGINK, Tiempo y Vida, 118. Vita Christi cartuxano romançado por fray Ambrosio [Montesino] (4 Bde.; Alcalá de Henares: Estanislao Colono, 1502‒1503 und ebenfalls 1503 die Editio minor, bestehend aus Bd. 1 und 4). Das Werk wurde das gesamte Jahrhundert hindurch immer wieder aufgelegt, vor allem in der ersten Jahrhunderthälfte (1520‒1551) in Sevilla von Jakob Cromberger und seinen Erben. Montesinos Version enthielt überdies eine vollständige Übersicht über die Evangelien sämtlicher Sonn- und Feiertage.

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zahlreicher Verweise auf die Kirchenväter einlud; den Contemptus Mundi oder die Nachfolge Christi des Thomas von Kempen;84 das Soliloquium des hl. Bonaventura;85 den Exercitatorio de la vida espiritual von García Jiménez de Cisneros,86 eine schematische Einführung in das innere Beten; die Treppe zum Paradies von Johannes Klimakos;87 den Libro de la gracia espiritual de santa Melchiadis (Mechthild von Magdeburg); den Libro de la bienaventurada sancta Ángela de Fulgino (Angela von Foligno), der gleichzeitig mit dem Tractado del bienaventurado sanct Vicente (Vinzenz Ferrer) veröffentlicht worden war;88 die Meditaciones et otras obras de devoción traducidas en romance des hl. Bernhard;89 die Epístolas y oraciones de Sancta Catalina de Siena;90 außerdem Sol de contemplativos von Hugo de Balma;91 Oratorio de religiosos y ejercicio de virtuosos von Antonio de Guevara,92 ein Werk, das in jedem seiner 55 Kapitel detaillierte und fast ausnahmslos auf einer allegorischen Auslegung fußende Einführungen in die Heilige Schrift gibt; Arte de servir a Dios, ein Werk des Franziskaners Alonso de Madrid;93 Subida del Monte Sión von Bernhardin von Laredo;94 den Libro de oración y meditación95 und den Guía de pecadores96, beides Schriften des Dominikaners Luis de Granada; das Audi Filia des hl. Juan de Ávila;97 den Tratado de oración y meditación des 84

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Ein Werk, das auch Jean Gerson zugeschrieben wurde und nach seinem ersten Erscheinen in kastilischer Sprache im Siglo de Oro und danach unzählige Wiederauflagen erfuhr: Contemptus Mundi (Zaragoza: Juan Hurus, ca. 1488‒1490). Sevilla: Meinardo Ungut u. Estanislao Colono, 1497, mit weiteren Auflagen bis zu der des Jahres 1542 (Sevilla: Domenico de Robertis), die Teresas Lebzeiten am nächsten kommt. Monastero di Montserrat: Juan Luschner, 1500, mit verschiedenen weiteren Auflagen im 16. Jahrhundert. Tablas y escalera espiritual por donde han de subir al estado de perfección (Toledo: Sucesor de Pedro Hagenbach, 1504; Alcalá de Henares und Valencia: Juan Mey, 1505), Letztere in lateinischer Sprache. Diese drei Werke wurden in Toledo (Hagenbach, 1510) publiziert. León: Juan de León, 1528; enthält den Tratado de la vida espiritual des hl. Vinzenz Ferrer. Alcalá de Henares: Arnao Guillén de Brocar, 1512. Toledo: Juan Varela de Salamanca, 1514; dieses Buch wurde auch dem hl. Bonaventura und Dionysius Areopagita zugeschrieben. Valladolid: Juan de Villaquirán, 1542, mit zahlreichen Wiederauflagen im 16. Jahrhundert. Sevilla, 1521. Dieses Buch wird gemeinsam mit dem Espejo de ilustres personas im Lauf des Jahrhunderts noch mehrfach wiederaufgelegt werden. Sevilla: Juan Cromberger, 1535 und 1538; Medina del Campo: Pedro Castro, 1542. Teresa wusste nicht, dass der Verfasser dieses bis zum 17. Jahrhundert anonym veröffentlichten Buches Bernhardin von Laredo war. Salamanca: Andrea de Portonariis, 1554. Dieses Buch wurde mehrfach wiederaufgelegt, bis der Index von Valdés es 1559 verbot. Lissabon: Juan Blavio de Colonia, 1556. Auch der Guía de pecadores wird mehrfach aufgelegt. Noch 1559 erscheint ein viertes Buch, das aber dann mitsamt den Büchern 1‒3 verboten wird. Die Zensur von Valdés Ratgeber Cano war Fr. Luis de Granada gegenüber besonders ungnädig. Avisos y reglas cristianas para los que desean servir a Dios … Compuestas …sobre aquel verso de David Audi Filia (Alcalá de Henares: Juan de Brocar, 1556). Ebenfalls 1559 verboten.

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Franziskaners Pedro de Alcántara;98 und die Via Spiritus des Bernabé de Palma, ebenfalls Mitglied des Franziskanerordens.99 Es ist nicht auszuschließen, dass Teresa zwischen 1554 und 1565, als sie viel mit den Jesuiten zu tun hatte, zumindest als Manuskript die Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola und die Tratados muy devotos y útiles para cualquier cristiano von Francisco Borja gelesen hat.100 Auf jeden Fall las sie geistliche Werke von Angehörigen der verschiedensten Orden (Augustiner, Karmeliten, Kartäuser, Dominikaner, Franziskaner, Hieronymiten, Jesuiten) sowie von weltlichen Gelehrten und Meistern. Dabei handelte es sich um Werke, die mit Bibelzitaten und biblischen Stellen mehr oder weniger gespickt waren, da die Übereinstimmung mit dem Wort Gottes eine Methode war, die Qualität des Geschriebenen zu beweisen. Dank dieser Lektüre nebst der biblischen Unterweisung durch Predigten und geistliche Leitung, die sich heute wohl kaum noch genauer bestimmen lässt, erwarb Teresa eine beträchtliche geistliche Bildung, die direkt und indirekt auf der Bibel basierte.101 Darüber hinaus ist freilich nicht ausgeschlossen, dass sie auch die Heilige Schrift selbst in Teilen oder ganz gelesen hat.102 Diese und vor allem das Evangelium, das sie in besonderer Weise als von Jesus gesagt betrachtete, waren ihre bevorzugte Lektüre:

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Lissabon: Juan Blavio de Colonia, ca. 1556‒1558. Die mehrfach aufgelegte Kurzfassung eines Buchs mit dem Titel Vía de la perfección espiritual del anima (Sevilla: Bartolomé Pérez, 1532). Valencia: Juan de Mey, 1548. Dieses Buch wurde unter dem Titel Las obras muy devotas y provechosas para cualquier cristiano (Alcalá de Henares: Juan de Brocar, 1550; Antwerpen: Martin Nucio, 1556) wiederaufgelegt und auf dem Index von 1559 verboten. Eine detailliertere Analyse dieser Werke im teresianischen Schrifttum bietet María Pilar MANERO SOROLLA, Santa Teresa de Jesús, Barcelona: PPU, 1987 und 1992), 25‒95. Im Übrigen ist es mehr als wahrscheinlich, dass Teresa ihre Lektüre auch über das Jahr 1559 hinaus fortgesetzt hat, obwohl viele ihrer Biographen ihren Wandel von der Leserin zur Schriftstellerin an diesem Datum festmachen. So erklärt María de San José (Salazar) in ihrer Aussage beim Seligsprechungsprozess, „dass die besagte Mutter Teresa es immer gewohnt war, geistliche und fromme Bücher zu lesen, und wenn sie irgendeiner Beschäftigung wegen nicht ins Refektorium gehen konnte, dann ließ sie sich die Lektüre bringen, die dort gelesen wurde, und las sie für sich“: Procesos de beatificación y canonización de Teresa de Jesús, Bd. 1 (hg. v. Silverio de Santa Teresa; Burgos: Monte Carmelo, 1935), 493. Möglicherweise hatte Teresa auch Zugang zu dem von Francisco de Enzinas übersetzten Nuevo Testamento (Antwerpen: Esteban Mierdmanno,1543, 1546 und 1556), das 1559 wegen protestantischer Häresie verboten wurde, und zu den von Juan Pérez angefertigten Übersetzungen des Nuevo Testamento (Genf: Jean Crespin, 1556), des Buchs der Sprichwörter und der Bücher Kohelet und Ijob: Proverbios, Eclesiastés und Libro de Job (Lyon: Sebastián Grypho, 1550), außerdem zur Biblia en lengua española traducida palabra por palabra de la verdad hebrayca por muy excelentes letrados vista y examinada por el officio de la Inquisición. Con privilegio del Ilustrísimo Señor Duque de Ferrara (übers. v. den Sephardim Jerónimo Vargas [Yom Tob Atías] und Duarte Pinel [Abraham Usque]; Ferrara, 1553 und 1555). Wenn Teresa diese Bücher gelesen hätte, dann hätte sie dies aus verständlichen Gründen wohl nicht erwähnt, da sie selbst, von einigen verlorengegangenen Erfahrungsberichten

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Die Worte der Evangelien, von denen ich weiß, dass sie so aus jenem allerheiligsten Mund hervorgingen, wie er sie sagte, haben mich immer besser gesammelt als bestformulierte Bücher (Weg der Vollkommenheit, CE 35,4).

Gemessen an der Menge der Bücher, die sie selbst gelesen hatte, war die Zahl der Werke, die sie ihren Nonnen in den bereits erwähnten ersten Konstitutionen als Lektüre für die festgesetzte Zeit der „Lesung“ vor der Matutin und der Komplet empfahl, sehr gering. Die Priorin denke daran, dass gute Bücher da seien, insbesondere die Kartäuser, der Flos Sanctorum, der Contemptus Mundi, das Oratorium der Ordensleute, die Bücher des P. Luis de Granada und des P. Pedro de Alcántara, denn in gewissem Sinn ist diese Nahrung für die Seele ebenso notwendig wie die Speise für den Leib. (Konstitutionen, 8)103

Natürlich handelte es sich hier um eine erweiterbare Liste, doch die unerlässlichen Bücher sind auf ein Minimum reduziert, und das ist nicht nur der Inquisition zuzuschreiben, sondern auch Francisco de Osunas Tercer Abecedario und Bernhardin von Laredos Subida del Monte Sión. Beide Werke hatte Teresa einst sehr geliebt. – Mit ersterem hatte sie gelernt, das innere Gebet zu halten, mit letzterem, ihr inneres Beten in Worte zu fassen.104 Diese waren zwar nicht verboten, aber dennoch nicht Bestandteil ihrer Aufstellung. Grund hierfür war mit allergrößter Wahrscheinlichkeit der Wechsel in der geistlichen Leitung. Teresa hatte sich nämlich den Jesuiten und Dominikanern zugewandt, ohne sich deswegen gänzlich von den Franziskanern loszusagen. Ein weiterer Grund mag vielleicht aber auch der diesbezügliche Rat der Karmeliten selbst gewesen sein. Von Inquisitoren und Beichtvätern einmal abgesehen, ist es freilich ebenso möglich, dass ihre eigene Nichtübereinstimmung mit der in diesen Büchern, insbesondere in der Subida, dargelegten Vorstellung von der Menschheit Christi ihr Probleme mit dem Gebet der Gotteinung bereitet hatte. Wesensmerkmal ihrer Mystik war die Menschheit mit ihrer natürlichen und persönlichen Beschaffenheit, die ihr half, sich gegen die Conversos abzugrenzen,105 auch wenn es ihr ratsam schien, diese in ihrem Gebetsleben und literarischen Schaffen allgegenwärtige Wirklichkeit zurückhaltender darzustellen. Den intellektuellen

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abgesehen, erst im Jahr 1561 zu schreiben begann. In Anbetracht des Verbots durch die Inquisition und Teresas erklärt antilutherischer Haltung (CE 1) ist es eher unwahrscheinlich, dass sie die Biblia Qve Es, Los Sacros Libros del Vieio y Nvevo Testamento, Trasladada en Español di Cassiodoro de Reina (Basel: Tomas Guarino, 1569) gekannt hat, die überdies auch vom tridentinischen Index verboten worden war; und wir glauben auch nicht, dass die von Cipriano de Valera besorgte korrigierte Neuauflage (Amsterdam: Casa de Lorenço Iacobi, 1602) in ihre Karmelklöster gelangt sein könnte – immerhin die ersten praktisch vollständigen und ins Kastilische übersetzten gedruckten Bibeln. In Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften (Gesammelte Werke 3; Freiburg im Breisgau: Herder, 2004), 407. Fidèle DE ROS, Le Père François d’Osuna. Un maître de Sainte Thérèse (Paris: Beauchesne, 1936); DERS., Le frère Bernardin de Laredo. Un inspirateur de Sainte Thérèse (Paris: Vrin, 1948). Was den Conversos die Anpassung unter anderem so erschwerte, war die Tatsache, dass sie das Dogma von der Menschheit Christi nicht verstehen oder nicht akzeptieren konnten: Melquíades ANDRÉS, La teología española, Bd. 1, 419.

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Diskurs zu vereinfachen hieß für Teresa nicht, dass sie sich deswegen gar nicht mehr auf das Sichtbare in der „heiligsten Menschheit“ beziehen durfte.106 Die Unbeschuhten Karmelitinnen pflegten auch weiterhin die karmeltypische Stundenliturgie. Die Novizinnen lernten sie vor allem von den mehr als 30 Nonnen, die aus dem Menschwerdungskloster in Teresas Reformkarmel übergewechselt waren und dort als Zeremonienmeisterinnen fungierten und das Chorgebet leiteten,107 auch wenn die übrigen Riten sicherlich nicht nach karmelitischem Brauch gefeiert wurden, denn den Unbeschuhten Karmelitinnen standen lange Zeit keine Hausgeistlichen aus dem Karmeliterorden zur Verfügung.108 Im Refektorium wurde aus den bereits genannten Gründen, offenbar entgegen der Innozenz-Regel (Kap. 8), die Schriftlesungen vorsah, aus den in den Konstitutionen empfohlenen Büchern vorgelesen: Homilien, Heiligenviten etc. Verständlicherweise wandte Teresa das Statut der Limpieza de sangre (Reinheit des Blutes) nicht auf ihre Postulantinnen an, verlangte jedoch, dass sie imstande waren, dem Stundengebet zu folgen und, ab 1572, dass sie es auch verstanden. Diese Anordnung ging von den Oberen aus.109 Damals war Rubeo noch Ordensgeneral, und der für Kastilien zuständige Kommissar war Pedro Fernández. Im Hinblick auf das Verständnis der Heiligen Schrift stellte dies einen Fortschritt dar, auch wenn ihre Interpretation nach wie vor den Letrados, den „Studierten“, vorbehalten war. 1580 wies Gregor XIII. den Unbeschuhten Karmeliten mit dem apostolischen Breve Pia consideratione eine eigene Ordensprovinz zu, obwohl sie auch weiterhin dem Ordensgeneral unterstanden. Auf dieses Ziel hatte Teresa lange Zeit hingearbeitet und dabei weder Kosten noch Mühen gescheut.110 Die Trennung bedeutete eine Feuerpause in den internen Auseinandersetzungen zwischen den spanischen Karmeliten und dem Triumph der 106 107

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Eulogio PACHO, El apogeo de la Mística Cristiana (Burgos: Monte Carmelo, 2008), 938. Das berichtet MARÍA DE SAN JOSÉ (Salazar) in ihrem Libro de Recreaciones in der 8. Rekreation: Escritos Espirituales (hg. v. Simeón de la Sagrada Familia; Rom: Postulación General OCD, 1979), 184f. Der Geistliche von San José de Ávila, der Teresa bei vielen ihrer Gründungen begleitete, war Julián de Ávila, ein gewöhnlicher Priester, von dem wir nicht wissen, inwieweit er womöglich mit der Karmeliterliturgie und den betreffenden Zeremonien vertraut war. Ihm verdanken wir jedoch eine der ersten Teresa-Biographien, die deshalb besonders wertvoll ist, da Padre Julián Augenzeuge dessen war, worüber er berichtet: Vida de Santa Teresa de Jesús, por el Maestro Julián de Ávila, capellán de la Santa, obra inédita (hg. v. Vicente de la Fuente; Madrid: Antonio Pérez Dubrull, 1881). Brief an María de Mendoza mit Datum vom 7. März 1572. Schon 1575 hatte Teresa den König in einem Brief (vom 19. Juli 1575) um eine unabhängige Provinz für die Unbeschuhten gebeten. Es war einer ihrer an den König gerichteten Briefe, die Philipp II. nie las oder der zumindest weder von ihm noch von einem seiner Sekretäre jemals beantwortet wurde: María Pilar MANERO SOROLLA, „Santa Teresa y Felipe II“, Actas del V Congreso de la Asociación Internacional Siglo de Oro (Münster: Westfälische Wilhelms-Universität, 1999; Madrid, Iberoamericana/Vervuert, 2001), 826‒834. Zudem konnten die Unbeschuhten Männerklöster während der ordensinternen Auseinandersetzungen der Karmeliten in Spanien (1575‒1581) über das Geld der Unbeschuhten Frauenklöster verfügen. Die

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sogenannten Reform des Königs: genauer gesagt der Reform des Tridentinums, die sich bereits durchgesetzt hatte. Sie begünstigte111 klar die Unbeschuhten und in sie fügten sich nun auch die teresianischen Gründungen unter die Regie von Jerónimo Gracián ein. 1581 nämlich wurde Jerónimo Gracián (Jerónimo de la Madre de Dios), Teresas geliebter geistlicher Vater und Sohn, auf dem ersten Kapitel der Unbeschuhten Karmeliten zum ersten Provinzial für Spanien gewählt. Dasselbe Kapitel genehmigte den ersten Druck der Constituciones de las Descalzas, die die tridentinischen Vorgaben aus dem Dekret De regularibus aufgriffen. Nun wurde wahr, wovon auch Teresa schon lange geträumt hatte. Die faktische Leitung der teresianischen Frauenkarmel wurde nach und nach von Unbeschuhten Patres übernommen,112 um die von ihr ersehnte geistliche Gemeinschaft zu fördern – in Erinnerung an die ersten Karmeliten und ihre frühesten Anfänge in biblischer Zeit: Denn das war unser Anfang; von dieser Sippe stammen wir ab, von diesen unseren heiligen Vätern vom Berg Karmel, die diesen Schatz, diese kostbare Perle, von der wir hier sprechen, in so großer Einsamkeit und mit solcher Geringschätzung der Welt suchten (M, Whg. 5, Kap. 1,2).113

Gracián ordnete auch die vorherige Fassung der Konstitutionen an, die „anfänglich aus den alten Konstitutionen des Ordens übernommen und von Unserem Hochehrwürdigen Pater Generalprior, dem Magister Fray Juan Bautista Rubeo aus Ravenna, gegeben wurden.“ „Danach fügte der A. R. P. Fray Pedro Fernández, Apostolischer Visitator dieses Ordens im Auftrag unseres sehr Heiligen Vaters Pius’ V., einige Akte an und […] auch ich fügte […] manches an“, wobei er die Lektürevorschläge und die Liturgie beibehielt und schließlich auch die Hinweise der heiligen Teresa berücksichtigte.114 Diese Neufassung der Konstitutionen wurde noch im selben Jahr veröffentlicht, und Gracián stellte ihr einen Prolog voran, den er Teresa widmete115 und in dem er den Karmelitinnen mit

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Briefe 162, 172, 177, 183, 219, 221, 226 und 412 aus dem teresianischen Epistolario legen hiervon ein recht beredtes Zeugnis ab. STEGGINK, La reforma, 69ff.; Anselmo DONAZAR ZAMORA, Principio y fin de una reforma. Una revolución religiosa en tiempos de Felipe II (Bogotá: Guadalupe, 1968), 11‒22. 1568 hatten Antonio de Jesús (Heredia) und Johannes vom Kreuz (Yepes) in Duruelo den ersten Unbeschuhten Männerkarmel gegründet: EFRÉN/STEGGINK, Tiempo y vida de Juan de la Cruz (Madrid: BAC, 1992). Der Abschnitt spielt auf Mt 13,45‒46 an. Im Original schreibt Teresa jedoch nicht perla für „Perle“, sondern verwendet das in der griechischen und lateinischen Fassung benutzte Wort margarita, das sie möglicherweise direkt aus der Vulgata übernimmt, denn dort heißt es: „Iterum simile est regnum caelorum homini negotiatori, quaerenti bonas margaritas. Inventa autem una pretiosa margarita, abiit, et vendidit omnia quae habuit, et emit eam.“ Kursivsetzung von der Autorin. JERÓNIMO GRACIÁN, Widmungsschreiben zu den Konstitutionen von Alcalà (1581), teilw. zitiert nach Gedanken zum Hohenlied (Dobhan/Peeters), 390, 399; vgl. Teresas Briefe an Gracián, Palencia, den 19., 21., 23. und 27. Februar 1581 und Ende Mai desselben Jahres. Den Constituciones war die Regel vorangestellt, sodass ein normatives Diptychon entstand: Regla primitiva y Constituciones de las Monjas Descalzas de la Orden de Nuestra Señora la

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der für seine Schriften typischen Eloquenz und Bibelkenntnis eine Enumeratio alttestamentlicher Frauen vorlegte, denen der Herr – genau wie Teresa, so legt seine Comparatio nahe ‒ weder Wissen noch Tugend noch Charisma vorenthalten hatte: Er, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet und in diese Welt kam [Joh 1,9], in dessen göttlicher Brust alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind [Kol 2,3], verbirgt die Strahlen der Erkenntnis der erhabenen Dinge nicht vor dem Verstehen der Frauen und unterlässt es auch nicht, ihnen sein Licht zu geben, damit sie zur Vollkommenheit des christlichen Lebens gelangen und wie Sterne an diesem Firmament und Himmel [Dan 12,3] der katholischen Kirche erstrahlen. Und so gab dieser höchste Herr seinen prophetischen Geist (außer den antiken Sibyllen) der Prophetin Hulda [2 Sam 22,14], Debora und der tapferen Judit gab er Wissen, der einen, um über ihr Volk zu richten [Ri 4,4],116 der anderen, um es zu führen [Jdt 16], Abigail gab er Klugheit [1 Sam 25], der Frau aus der Stadt Abel Urteilsvermögen [2 Sam 20]; […] Geschick gab er der Frau aus Tekoa [2 Sam 14], die so bei König David Vergebung für seinen Sohn Abschalom erwirkte, wie man über sie alle in der Heiligen Schrift liest […]. Also verstehe ich, dass dieser göttliche Herr, der will, dass alle gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen [1 Tim 2,4], Euer Gnaden [Teresa de Jesús] erwählt hat, um diesen Euren Töchtern aus den Klöstern der Unbeschuhten, die Ihr gegründet habt, das Licht zu bringen.117

Teresa starb ein Jahr später im Geruch der Heiligkeit, und ihren letzten Worten zufolge starb sie als „Tochter der Kirche“.118 Ihre Werke, die im Zuge ihres Gründungswirkens entstanden waren, kursierten in Handschriften:119 ihre Vida (Buch ihres Lebens), die sie 1565 fertiggestellt hatte, in der Zweitfassung, und der dreimal redigierte Weg der Vollkommenheit, didaktische Programmschrift ihrer Reform, in der Handschrift von El Escorial (1562‒1564) mit dem berühmten, zunächst gestrichenen, dann aber wiederher-

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Virgen María del Monte Carmelo (Salamanca: Herederos de Mathias Gast, 1581). Der von Antonio Fortes edierte Wortlaut ist nachzulesen in Constituciones de las Carmelitas Descalzas (1562–1607), 49‒99; der Wortlaut der Widmung findet sich auf den Seiten 395‒397. MARÍA DE SAN JOSÉ vergleicht Teresa in ihrem Libro de Recreaciones mit dieser klugen und mutigen Frauengestalt des Alten Testaments: María Pilar MANERO SOROLLA, „La Biblia en la obra de María de San José (Salazar)“, in Actas del XII Congreso de la Asociación Internacional de Hispanistas, Bd. 3 (hg. v. Jules Whicker; Birmingham: University of Birmingham, 1998), 57. Zu dem für einen Mann seiner Zeit überaus ungewöhnlichen Feminismus des ersten Provinzials der Unbeschuhten Karmeliten vgl. María Pilar MANERO SOROLLA, „Jerónimo Gracián y la escritura femenina“ in Siglos Dorados. Homenaje al profesor Augustín Redondo, Bd. 2 (hg. v. Pierre Civil; Madrid: Castalia, 2004), 835‒848. Aussage der María de San Francisco (Ramírez) aus dem Kloster in Alba, wo Teresa starb, und Augenzeugin ihres Todes: Procesos, Bd. 3, 219. Einschließlich ihrer Vida, obwohl Domingo Báñez und Juan de Ávila aufgrund der nach wie vor problematischen Visionen, Offenbarungen und Ansprachen, die darin beschrieben sind, eine begrenzte Lektüre empfahlen. Hierin sind sich der Gelehrte und der geistliche Ratgeber einig, auch wenn sie das Buch nicht verurteilen: „Censura del P. Domingo Báñez al autógrafo de la Vida“, Valladolid, den 7. Juli 1575. Vollständiger Text in Obras Completas, 190f.; Brief des Juan de Ávila, „A la muy Reverenda Madre mía y mi Señora Teresa de Jesús“, Montilla, den 12. September 1568, in Obras Completas de San Juan de Ávila, Bd. 4 (Madrid: BAC, 2003), 543f.

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gestellten Text, in dem Teresa de Jesús in einem dramatischen Monolog und unter tadelloser Verwendung der rhetorischen Expositio, Interrogatio und Exclamatio, um das nötige Pathos zu erzielen, dem Herrn gegenüber das Rederecht der Frauen einforderte. Angesichts der Autorität des Paulus (1 Kor 14,34; 2 Tim 11) stützte sich die sonst selbst so paulinische Teresa auf die Lehre Christi und das Beispiel der Frauen aus dem Evangelium – angefangen bei seiner jungfräulichen Mutter, die sie im Text ausdrücklich erwähnte und der sich die Karmelitinnen durch ihr Gewand besonders verbunden fühlten: Ich vertraue, mein Herr, auf diese deine Dienerinnen, die hier leben, von denen ich weiß und erlebe, dass sie nichts anderes wollen und beabsichtigen, als dir Freude zu machen. Für dich haben sie das Wenige, das sie besaßen, verlassen, und sie hätten gern mehr gehabt, um dir damit zu dienen. Denn du, mein Schöpfer, bist nicht undankbar, sodass ich denken müsste, du würdest weniger geben als das, worum sie dich bitten, im Gegenteil, eher mehr. Du, Herr meiner Seele, dir hat vor den Frauen nicht gegraut, als du durch diese Welt zogst, im Gegenteil, du hast sie immer mit großem Mitgefühl bevorzugt und hast bei ihnen genauso viel Liebe und mehr Glauben gefunden als bei den Männern, denn es war da deine heiligste Mutter, durch deren Verdienste – und weil wir ihr Gewand tragen – wir das verdienen, was wir wegen unserer Schuld nicht verdient haben. Reicht es denn nicht, Herr, dass die Welt uns eingepfercht und für unfähig hält, in der Öffentlichkeit auch nur irgendetwas für dich zu tun, was etwas wert wäre, oder es nur zu wagen, ein paar Wahrheiten auszusprechen, über die wir im Verborgenen weinen, als dass du eine so gerechte Bitte von uns nicht erhörtest? Das glaube ich nicht, Herr, bei deiner Güte und Gerechtigkeit, denn du bist ein gerechter Richter, und nicht wie die Richter dieser Welt, für die, das die Söhne Adams und schließlich lauter Männer sind, es keine Tugend einer Frau gibt, die sie nicht für verdächtig halten. O ja, mein König, einmal muss es doch den Tag geben, an dem man alle erkennt. Ich spreche nicht für mich, denn meine Erbärmlichkeit hat die Welt schon erkannt, und ich bin froh, dass sie bekannt ist, sondern weil ich die Zeiten so sehe, dass es keinen Grund gibt, mutige und starke Seelen zu übergehen, und seien es die von Frauen.120

Dass der Weg umgeschrieben werden musste, ist nicht weiter verwunderlich. Die Handschrift von Valladolid121 stammte aus dem Jahr 1566. Die Handschrift von Toledo ist 120

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CE 4,1: Die kursiv gedruckten Zeilen entsprechen dem gestrichenen und später wiederhergestellten Text. Diese erste Fassung des Werks, die für die damalige Zeit sehr kühn war und mit ihrem exhortativen Stil den Eindruck erweckt, dass Teresa eine Predigt hält, wurde von dem Dominikaner García de Toledo zensiert, der die Entstehung der Handschrift als kritischer Berater begleitete. Er hinterließ auf dem Autograph die schriftliche Anmerkung, dass Teresa „den Inquisitoren das Verbot von Gebetbüchern zum Vorwurf zu machen“ schien. Dies geschah zu einer Zeit, als die Debatte über das innere Beten, das Cano so heftig zensiert hatte, noch in vollem Gange war. Vor diesem Hintergrund erscheint CE, und insbesondere das Kap. 35, geradezu als unterschwellige Reaktion gegen Cano. Teresa stand mit dieser Haltung nicht alleine. Vielmehr wissen wir von einigen unter Canos eigenen Ordensbrüdern, dass sie derselben Auffassung waren, so zum Beispiel Vicente Barrón, Pedro Ibáñez, Domingo Báñez, Domingo de Valtanás etc. (Melquíades ANDRÉS, La Teología Española, Bd. 2, 590‒595). Der eigentliche Punkt war der, dass Teresa – als Frau! – in CE meisterhaft darstellt, wie man über das mündliche Gebet, das ja erlaubt war, zum Gebet der inneren Sammlung, der Ruhe und der Gotteinung gelangt: MANERO SOROLLA, Santa Teresa de Jesús, 25‒53. Sowohl in CE (Kap. 43‒72) als auch in CV (Kap. 27‒42), das als Korrektur der Erstfassung

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jünger als die beiden anderen und wurde von der Verfasserin selbst für die Drucklegung vorbereitet. Die Wohnungen der inneren Burg wurden 1577 begonnen und beendet. Die Arbeit am Buch der Gründungen nahm sie 1573 auf und schloss sie 1582 ab. Mit den Gedanken zum Hohelied, die dem Marienoffizium so vieles zu verdanken haben, fing sie 1566/1567 an und stellte sie 1574 fertig. An den Geistlichen Erfahrungsberichten schrieb sie von 1561 bis 1581. Die Ausrufe der Seele zu Gott entstanden 1569, die Visitation der Unbeschuhten Schwestern (auch: Visitationsverfahren) 1576, die Losen Blätter, ihre Gedichte, die Neckerei und ein überaus umfangreiches und grundlegendes Briefkorpus von annähernd 500 erhaltenen Briefen (die tatsächliche Anzahl muss sehr viel größer gewesen sein) vermitteln uns eine reale Vorstellung von der Karmelitin und ihrer Welt mit ihrem Licht und ihrem Schatten. Es war jene Welt, in der sie wirklich lebte, und mit der sie aus der Klausur heraus durch ebendiese Korrespondenz in Kontakt trat. Keines dieser Werke wurde noch zu Teresas Lebzeiten gedruckt. Die Vida befand sich seit 1574 in den Händen der Inquisition,122 sodass 1583 zunächst das Buch erschien, das ihr Reformprogramm enthielt: der Weg,123 einer der Christus zugeschriebenen Namen (Joh 14,5) und bei Teresa nicht anders als bei vielen biblischen Autoren (Ijob13,15; Ps 1,6; 5,9; 26,11; Jer 18,11; Apg 9,2; Röm 11,33) eine moralische Metapher für das, was das Buch – neben einem Gebetbuch – in der Tat sein will: eine Richtschnur unseres Handelns. Erst 1588 sollte die beinahe vollständige Ausgabe der Libros de la Madre Teresa de Jesús fundadora de los monasterios de monjas y frailes carmelitas descalços de la Primera Regla erscheinen.124 Diese Entscheidung war auf der Provinzialversammlung des Karmeliterordens 1586 in Madrid getroffen worden, als Pater Nicolás de Jesús María Doria bereits das Amt des Provinzials bekleidete. Mit der Edition beauftragte man Bruder Luis de León, der sich auf die sehr aktive Mitarbeit von Ana de Jesús stützen konnte. Ihr war es unter anderem zu verdanken, dass die Inquisition die Vida freigab. Der Inquisitor Gaspar de Quiroga hatte den Libro de las misericordias de Dios, wie Teresa selbst das Buch genannt hatte, mit seinen umstrittenen Visionen, Offenbarungen und göttlichen

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geschrieben wurde, konzentriert sich Teresa de Jesús auf die Erklärung des Pater noster, des an den Vater gerichteten Gebets, das Jesus selbst seine Jünger gelehrt hatte und das als Quintessenz des Evangeliums gelten mag (Mt 6,5‒14; Lk 11,2‒4). Teresa wählt unter den beiden möglichen Fassungen die aus Mt mit den sieben Kernbitten, die in der katholischen Kirche die maßgebliche war. Als Teil der eucharistischen Liturgie durfte das Vaterunser kommentiert werden: FERNÁNDEZ LÓPEZ, Lectura y prohibición, 31f. Das heißt aber nicht, dass ihre Auslegung keine Herausforderung gewesen wäre. Aufgrund seiner Bedeutung haben sich viele Kommentatoren an diesem Gebet versucht – von Origenes und Tertullian über Erasmus und Luther bis hin zu Vives, Carranza oder Osuna. Weitere Kommentare erwähnt Klaus REINHARDT, Bibelkommentare spanischer Autoren, 1500‒1700 (2 Bde.; Madrid: CSIC, 1990). Zur wechselvollen Geschichte, die dieses Buch im Heiligen Offizium durchlaufen hat, vgl. Enrique LLAMAS MARTÍNEZ, Santa Teresa de Jesús y la Inquisición Española (Madrid: CSIC, 1972), 221‒278. Évora: Viuda de Andrés de Burgos, 1583. Die Ausgabe hatten Jerónimo Gracián und Teutonio de Braganza besorgt, auch Letzterer ein Freund der hl. Teresa; Textgrundlage war das toledanische Manuskript. Salamanca: Guillelmo Foquel, 1588.

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Ansprachen letzten Endes genehmigt.125 Dennoch waren Los Libros de la Madre noch immer nicht vollständig. Es fehlte das Buch der Gründungen, ein Buch, das Doria womöglich an die Anfänge der Reform des Unbeschuhten Karmels erinnerte, bei denen er, im Unterschied zu Gracián, Johannes vom Kreuz, María de San José (Salazar) und Ana de Jesús, die schon bald in Ungnade fallen sollten, keine Rolle gespielt hatte. Es fehlten ferner die Gedanken zum Hohelied ‒ eben aufgrund ihrer engen Beziehung zum Hohelied, dessen Übersetzung Bruder Luis so viele Unannehmlichkeiten beschert hatte.126 Die beiden letztgenannten Werke wurden später ‒ nämlich 1610127 bzw. 1611 ‒ von Gracián veröffentlicht.128 Man geht davon aus, dass Teresas Schriften, als sie erst einmal in gedruckter Form erschienen waren, sich in allen oder zumindest den Frauenklöstern des Karmeliterordens ausbreiteten, auch wenn ihre Lektüre überraschenderweise nicht in den Konstitutionen empfohlen wurde. Nicht einmal die vom Heiligen Offizium genehmigte Veröffentlichung der Hauptwerke brachte die Kritiker zum Schweigen, die Teresas mystische Erfahrungen und ihre Lehrautorität in Abrede stellten.129 Gleichwohl halfen diese Bücher, die vom geistlichen Humanismus und christlichen Feminismus ihrer Mutter zeugten, Te125

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Von der Begegnung zwischen dem Inquisitor und Teresa und der Genehmigung des Werks erzählt Jerónimo GRACIÁN, Dilucidario del verdadero espíritu (hg. v. Silverio de Santa Teresa; Burgos: El Monte Carmelo, 1932), 15. Allerdings keine Kerkerhaft, wie man so oft liest. Fr. Luis’ Inhaftierung im Gefängnis des Heiligen Offiziums in Valladolid (1572‒1576) war das Ergebnis einer Verkettung vielfältiger und zum Teil nur schwer durchschaubarer Umstände und nicht zuletzt durch akademische Rivalitäten zwischen den verschiedenen Orden bedingt: Margherita MORREALE, Homenaje a Fray Luis de León (Salamanca: Universidad de Salamanca y Zaragoza, 2007), 625‒676. Libro de las Fundaciones de las Hermanas Descalças Carmelitas, que escriuió la Madre Fundadora Teresa de Iesus (Brüssel: Roger Velpio u. Huberto Antonio, 1610). In dieser Editio princeps des Werkes fehlen die Kapitel 10 und 11, weil sie auch im Autograph, der den o. g. Herausgebern vorlag, nicht enthalten waren. Dafür findet sich darin die noch zu Teresas Lebzeiten entstandene und von Ana de Jesús verfasste Chronik der Gründung in Granada: María Pilar MANERO SOROLLA, „Ana de Jesús cronista de la fundación del Carmen descalzo femenino de Granada“, Homenaje a Marcos A. Morínigo (Buenos Aires: Universidad de Buenos Aires, 1993), 121‒147. Dieses Buch, das Diego de Yanguas um 1580 verbrennen ließ, war von dem gebildeteren Domingo Báñez 1575 genehmigt worden (EFRÉN, Obras completas, 333). Gracián ließ es veröffentlichen, weil er die Güte des Buchs als erwiesen ansah und weil das, was Teresa darin unter ständigen Beweisen ihrer Ehrfurcht und Liebe zu Gott, ihrem Vater und Bräutigam, für ihre Nonnen (et al.) vorschlug, ganz klar bewies, dass sie das Hohelied non carnaliter gelesen hatte. Auf Gracián gehen auch die Einteilung in sieben Kapitel und der Titel Conceptos del amor de Dios zurück (Brüssel: Roger Velpio und Huberto Antonio, 1611). Tatsächlich sollten sich die Gemüter der Verleumder erst nach Teresas Selig- und Heiligsprechung (am 24. April 1614 durch Paul V. bzw. am 12. März 1622 durch Gregor XV.) beruhigen: Isaías RODRÍGUEZ, Santa Teresa de Jesús y la Espiritualidad Española (Madrid: CSIC, 1972), 43‒64. Dennoch sollte das erwähnte Verbot, das Paulus über die Frauen verhängt hatte (1 Kor 14,34; 2 Tim 11), sie bis ins 20. Jahrhundert hinein verfolgen: Noch 1923 lehnte Papst Pius XI. das Gesuch des Karmeliterordens, Teresa zur Kirchenlehrerin zu erklären, mit der

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resas Töchtern, neue Kenntnisse über die Heilige Schrift zu erwerben, da Teresa die Liste der spirituellen Schriftsteller des Siglo de Oro verlängerte, die das göttliche Wort in menschliche Worte fassten. Und in diesem besonderen Fall war es eine Frau gewesen, die die Auswahl aus der Heiligen Schrift getroffen hatte, nämlich eine Unbeschuhte Karmelitin wie sie selbst, für die die Bibel Quelle von Wahrheit und Leben, Verhaltensnorm, Gefäß mystischer Erfahrung und literarische Inspiration gewesen war. In letzter Instanz verwies Teresa de Jesús immer auf Gott als Inspirationsquelle ihrer Schriften und behielt sich selbst aus verschiedenen Gründen die Rolle des göttlichen Werkzeugs vor. Diese Überzeugung war Teil der Mentalität ihres Umfelds und – auch wenn aus unserer Sicht eine gewisse kritische Distanz ratsam erscheint ‒ Voraussetzung dafür, dass der Unbeschuhte Karmel (und nicht nur der weibliche Zweig!) im Siglo de Oro ihre Bücher akzeptierte.130 Vor nunmehr über 30 Jahren hat Emmanuel Renault uns zwei Bücher geschenkt, in denen er die Textstellen auflistet, an denen Teresa das Alte und das Neue Testament zitiert, erwähnt oder darauf anspielt.131 Direkte Zitate sind überaus selten, was unter anderem daher rührt, dass eine Frau dergleichen in der damaligen Zeit nicht durfte. Diese Praxis war ausschließlich gelehrten Männern vorbehalten, die über die gebührende akademische Autorität verfügten, das heißt in diesem Fall den Letrados, studierten Garanten der geoffenbarten Schrift. Dennoch beläuft sich der Umfang der Passagen, in denen Verweise, Orte, Personen oder bestimmte Wörter – hier konnte das Ergebnis mithilfe der neuen Concordancias der teresianischen Werke noch verfeinert werden132 ‒ den biblischen Hintergrund erkennen lassen, auf beinahe 300 Seiten. In all ihrer heiligen Unwissenheit, die sie zuweilen vorschützte, bietet uns Teresa de Jesús – und nach allem bisher Gesagten kann uns das nicht wirklich überraschen ‒ insgesamt 209 Verweise auf 23 alttestamentliche und insgesamt 420 Verweise auf 18 neutestamentliche Bücher: von der Genesis bis zum Propheten Maleachi, und vom Matthäusevangelium bis zur Offenbarung des Johannes.

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Begründung Obstat sexus ab. Dieser abschlägige Bescheid wurde bekanntlich 1970 aufgehoben, als Paul VI. Teresa als Kirchenlehrerin anerkannte: Valentino MACCA, „Il dottorato di Santa Teresa. Sviluppo storico di una idea“, in Sancta Teresia a Iesu Doctor Ecclesiae (Rom: Teresianum, 1970), 35‒113. Das bestätigen mehrere ihrer Töchter: Isabel de Santo Domingo (Ortega), Procesos, Bd. 2, 481ff.; und auch Fr. Luis de LEÓN scheint diese Meinung zu teilen: „Carta dedicatoria a las Madres Priora Ana de Jesús y religiosas carmelitas descalzas del Monasterio de Madrid“, in Obras Completas Castellanas de Fray Luis de León (eingel. u. m. Anm. vers. v. P. Félix García OSA; Madrid: BAC, 1944). Thérèse d’Ávila. Aux sources d’eau vive. Lecture du Nouveau Testament (Paris: Éditions du Cerf, 1978); Thérèse d’Ávila. Le désert et la manne. Lecture de l’Ancien Testament (Paris: Éditions du Cerf, 1979). Zu den vielen anderen und neueren Arbeiten über dieses Thema verweise ich auf Manuel DIEGO SÁNCHEZ, Santa Teresa de Jesús. Bibliografía Sistemática (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 2008), 355‒362. SANTA TERESA DE JESÚS, Concordancias (hg. v. Juan Luis ASTIGARRAGA und Agustí BORRELL; 2 Bde.; Rom: Editoriales OCD, 2000), 2923‒2944. Hier wird nur auf die biblischen Texte Bezug genommen.

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Der größte Teil der Zitate stammt erwartungsgemäß aus den Evangelien, dem Kernstück des Neuen Testaments, gefolgt von den Paulusbriefen, den Psalmen als dem Kernstück des Alten Testaments und dem Hohelied, was zweifellos auch mit der liturgischen Tradition des Karmeliterordens und Teresas eigenen mystischen Erfahrungen zusammenhängt. Die meisten biblischen Bezüge sind in der Inneren Burg, der gelehrtesten der teresianischen Schriften, enthalten. Die Konzentration der Zitate ist allerdings in den Gedanken zum Hohelied am höchsten, einer freien, meditativen und kontemplativen Paraphrase einiger Verse des Hohelieds, die daher im Grunde als ein einziger, großer, zusammenhängender Bibelverweis betrachtet werden kann. Im Licht dieser Forschungen wird verständlich, dass das Urteil einiger ihrer Zeitgenossen und ihrer geistlichen Töchter nicht verfehlt war, die, kaum dass ihre Bücher gedruckt und 1588 publiziert worden waren, sagten, dass sie „Heilige Schrift zu sein schienen“133 ‒ damals ein nicht zu überbietendes Lob.134 Anders als man häufig liest, wurde die biblische, spirituelle und mystische Lektüre in Spanien 1559 nicht vollkommen unterdrückt. Zwar war Valdés’ Index ein harter Schlag, weil er die betreffenden Werke entsprechend den Beschlüssen des Konzils von Trient mit großer Strenge und Gründlichkeit aussiebte, doch führte er mitnichten das Ende dieser Art von Literatur, sondern eher eine konstruktive Krise herbei. 1562 war Melchior Cano, der Berater des Inquisitors Fernando de Valdés, und 1568 auch dieser selbst gestorben. Damit waren die beiden kompromisslosesten Persönlichkeiten des Jahrzehnts nicht mehr am Leben, und Spaniens biblische, spirituelle und mystische Literatur dieses sogenannten goldenen Zeitalters eilte weiter von einem Höhepunkt zum nächsten. Das beweisen die 1200 mystischen Werke, die laut Melquíades Andrés zwischen 1485 und 1750 erschienen sind135 und deren Zahl sich auf 3200 erhöht, wenn man auch die asketisch-mystischen Schriften mit hinzurechnet.136 Doch die einen

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Natürlich ist der Sermo in beiden Fällen humilis und gleichzeitig aufgrund seiner göttlichen Herkunft durch den höheren Stil gekennzeichnet, womit die Gattungseinteilung der Rota Virgilii aufgebrochen wird: Erich AUERBACH, „Sacrae Scripturae Sermo Humilis“, in: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie (hg. v. Fritz Schalk u. a.; Bern/München: Francke, 1967), 21‒26. Diego de Yepes zufolge (Procesos, Bd. 1, 276‒289) hatte Teresa selbst gesagt, „als ich einmal mit ihr über ihr Buch Camino de perfección sprach, dass sie sich über das Lob sehr freue, und sie sagte sehr zufrieden: Einige wichtige Männer sagen mir, dass es Heilige Schrift zu sein scheint“: EFRÉN/STEGGINK, Tiempo, 239. Andererseits gab María de San Francisco (Ramírez) zu Protokoll (Procesos, Bd. 3, 225): „Besagte vier Bücher [der hl. Teresa] hat diese Zeugin gelesen; und sie kann mit Gewissheit sagen und erklären, dass, wenn sie auch nicht die Evangelien und die Heilige Schrift sind, diese Zeugin doch keine anderen Bücher gefunden hat, die der Seele ihre Lehre mit so besonderer Wirkung einprägen wie diese der heiligen Mutter Teresa de Jesús.“ Die Aussage der Karmelitin weist übrigens implizit darauf hin, dass Teresas Töchter die Werke ihrer Gründerin ebenso kannten wie die Heilige Schrift. Melquíades ANDRÉS MARTÍN, Historia de la Mística de la Edad de Oro en España y América (Madrid: BAC, 1994). Patricio PEÑALVER, La Mística española. Siglos XVI y XVII (Madrid: Akal, 1997).

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wie die anderen mussten sich nach dem Tridentinum in die dort festgeschriebene Orthodoxie einfügen und diese widerspiegeln137, und sie mussten sich sowohl an die biblischen Bücher, die das Konzil für kanonisch erklärt hatte, als auch an die Tradition der Kirchenväter halten. Dies jedoch war nicht etwa ein Verlust, sondern ein Gewinn, da die betreffenden Erzeugnisse nicht nur in doktrineller Hinsicht bereichert und geläutert wurden, sondern im engeren literaturwissenschaftlichen Sinne auch formal von der Entwicklung, Ausprägung und wachsenden Qualität der spanischen Literatur profitierten. Und die Werke der Teresa von Ávila fügen sich hier auf hervorragende Weise ein. Dieselbe Junta Provincial der Unbeschuhten Karmeliten, die 1586 die Veröffentlichung der teresianischen Schriften genehmigt hatte, nahm den Nonnen und auch den Brüdern ihr altes Brevier weg. Diese Maßnahme war eine Folge des Tridentinums, das auf seiner 25. Sitzung, unmittelbar vor Beendigung des Konzils im Dezember 1563, beschlossen hatte, die Entscheidung über das neue Brevier und andere Fragen Papst Pius IV. zu überlassen. Pius V. war es dann, der diese Aufgabe zu Ende brachte und 1568 mit der Bulle Quod a Nobis das neue Breviarium Romanum138 einführte, in dem die Heilige Schrift – natürlich in lateinischer Sprache – mehr Raum erhielt. Davon waren nach dem Willen Pius’ V., der auch den römischen Ritus in der Westkirche zur Regel gemacht hatte, allerdings diejenigen Orden ausgenommen, die älter als 200 Jahre waren – was auch für den Karmel zutraf. Trotzdem schlug Doria im Verlauf der besagten Provinzialversammlung die Übernahme des römischen Breviers vor. Die älteren Karmeliten waren dagegen, doch Dorias Vorschlag (oder Vorgabe) setzte sich durch. Einige Forscher glauben, dass sich mit der Übernahme des römischen Breviers durch die Unbeschuhten der Graben zwischen den Observanten und den Unbeschuhten noch vertieft habe, was sich 1593 bestätigte.139 María de San José (Salazar) brachte in ihrem Buch Instrucción de novicias ihre Vorbehalte gegen diese Veränderung zum Ausdruck.140 Der Jerusalemer Heilig-Grab-Ritus bewahrte alte Traditionen, die dem Orden lieb und teuer waren. Mit seiner Abschaffung ging dem Reformkarmel die orientalische Prägung verloren, und man verzichtete außerdem auf das wöchentliche Marienoffizium, das im Frauenkarmel der bevorzugte Weg geworden war, sich mit dem Hohelied oder zumindest mit Teilen desselben vertraut zu machen.

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Bereits 1566 erschien der Catechismus Romanus ex Decreto Concilii Tridentini, et Pii V, Pontificis Maximi (Rom: In Aedibus Populi Romani apud Paulum Manutium, 1566). Breviarium Romanum ex Decreto Sacrosancti Concilii Tridentini … (Rom: In Aedibus Populi Romani apud Paulum Manutium, 1568). Bénédict ZIMMERMAN, „Liturgie dans l’ordre des Carmes“, in Dictionnaire d’Archéologie Chrétienne et de Liturgie, Bd. 1 (hg. v. Fernand Cabrol und Henri Leclerc; Paris: Letouzey, 1907), c. 2175; Jean VILNET, Bible et Mystique chez Saint Jean de la Croix (Paris/Brügge: Desclée de Brouwer, 1949), 14. Um 1602 verfasst: Escritos Espírituales, 409‒472. Schon 1590 erschien auf Dorias Geheiß der Ordinario y ceremonial de los religiosos primitivos descalços de la Orden de la gloriosisima Virgen María del Monte Carmelo conforme al rezado del Breviario y Missal romano y costumbres antiguas de la dicha Orden (Madrid: Casa de la biuda de Alonso Gomez, 1590).

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Dennoch mussten die Bräute Christi nicht warten, bis die Conceptos del amor de Dios ihrer Gründerin 1611 in Flandern veröffentlicht wurden: erstens, weil der teresianische Text in handschriftlichen Versionen ‒ drei einander ergänzenden Abschriften und der berühmten Übersetzung von Fr. Luis de León ‒ im Umlauf war;141 zweitens, weil die Esposísima Teresa de Jesús die wesentlichen Bestandteile der Brautsymbolik des Hohelieds in ihren Wohnungen wiederaufgegriffen hatte (M4 1,12; M5 1,12;2,12; M6 4,10; M7 3,13; M7 4,11); und drittens, vor allem aber, weil Johannes vom Kreuz das Hohelied in seinen Canciones de la Esposa142 nachgedichtet hatte, die zum Teil den selbigen Bräuten Christi zu verdanken und ihnen gewidmet waren, denn sie waren die realen Gesprächspartnerinnen des mystischen Dichters und die ersten Adressatinnen seiner Gedichte und Erklärungen.143 Während der Cántico sich unter den Nonnen – und zwar nicht nur in Spanien144 ‒ ausbreitete, erschien 1588 in Madrid die zweite Auflage der Konstitutionen von 1581, ein von Ana de Jesús genehmigter Neudruck mit nur wenigen Änderungen.145 Was die Möglichkeit betrifft, sich Bibelkenntnisse anzueignen, blieb es aber bei der römischen Liturgie und den bekannten Buchempfehlungen. 1590 erhielten jedoch die Unbeschuhten Karmelitinnen, nachdem die berühmte Ana de Jesús, María de San José (Salazar), Priorin des Karmels von Lissabon, und María del Nacimiento (Ortiz de la Sierra), Priorin des Madrider Karmels, sich gegen die sogenannte Consulta – eine Erfindung Dorias ‒ zur Wehr gesetzt hatten,146 von Sixtus V. neue, in lateinischer Sprache abgefasste Konstitutionen, die die römische Liturgie natürlich beibehielten, die Lektüreempfehlungen 141

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Letztere gelangte sogar in die Neue Welt, genauer gesagt nach Peru, wo das Heilige Offizium eine Abschrift beschlagnahmte ‒ möglicherweise nicht die einzige, die in der Region in Umlauf war: Félix GARCÍA, „Introducción“ zum Cantar de los Cantares de Fray Luis de León, in Obras Completas Castellanas, Bd. 1 (Madrid: BAC, 1957), 10. So hatte Johannes vom Kreuz sein großes Gedicht zunächst genannt, für das Jerónimo de San José sodann den Titel Geistlicher Gesang prägte, unter dem dieses Werk auch heute noch bekannt ist: Obras del Venerable y Místico Doctor F. Joan de la Cruz … (Madrid: Viuda de Madrigal, 1630). María Pilar MANERO SOROLLA, „Ana de Jesús y Juan de la Cruz: perfil de una relación a examen“, Boletín de la Biblioteca Menéndez y Pelayo 70 (1994): 5‒53. Ana de Jesús war es auch, die Johannes zwecks besseren Verständnisses um eine Erläuterung seiner Gedichte bat: Declaración de las canciones que tratan del exercicio de amor entre el alma y el esposo christo, en la qual se tocan y declaran algunos puntos y effectos de oración, a petición de la Madre Ana de Jhesus Priora de las Descalças, en Sant Joseph de granada, año de 1584. Die erste Ausgabe dieser Declaración erschien in Flandern (Brüssel: Godefroy Schoevarts, 1627). Die Delegationen der spanischen Unbeschuhten Karmelitinnen, die die französischen und flämischen Gründungen auf den Weg brachten, machten ihn in Europa bekannt: María Pilar MANERO SOROLLA, „Ana de Jesús y la irradiación de la literatura mística carmelitana en Europa“, Mujeres de luz (hg. v. Pablo Beneito; Madrid: Trotta, 2001), 99‒122. Regla y Constituciones de las Monjas Descalzas de la Orden de Nuestra Señora la Virgen María del Monte Carmelo (Madrid: Pedro Madrigal, 1588): Antonio FORTES, Constituciones (1562–1607), 41‒99. Diese neue Zentralleitung der Unbeschuhten Karmeliten, die Johannes vom Kreuz zu ihrem Berater und ersten Definitor ernannt hatte, wollte die Macht der Priorinnen und die Freiheiten

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jedoch korrigierten und um neue Bücher ergänzten. So wurde Ludolf von Sachsen durch Dionysius den Kartäuser ersetzt147 und der Flos Sanctorum, nunmehr in der Zusammenstellung von Alonso de Villegas,148 war wieder erlaubt. Hinzu kamen Estellas Vanidad del Mundo e amor de Dios149 und das Audi Filia über den 44. (45.) Psalm des Königs David, das Carmen nuptiale regis Messiae und würdige Gegenstück zu dem im Frauenkarmel so oft gesungenen oder rezitierten Hochzeitslied des Königs Salomon:150 eine echte Liebeseinladung an die gottgeweihte Jungfrau in Form eines Wechselgesangs zwischen Braut und Bräutigam, die von Juan de Ávila in all seiner Tiefe und Schönheit und kontextuellen Breite ausgelegt, noch vor seinem Tod im Sinne der strengen tridentinischen Lehre berichtigt und schon 1565 vom Inquisitor Cristóbal de Rojas Sandoval genehmigt worden war.151 Und schließlich empfahlen die neuen Konstitutionen auch das Buch De los Nombres de Cristo von Bruder Luis de León.152 Dieses stellt einen überreichen biblischen Goldschatz dar, der im Schmelzofen der kastilischen Sprache geläutert

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der Beichtväter im Umgang mit den Nonnen einschränken, was einige von ihnen zur Rebellion veranlasste: María Pilar MANERO SOROLLA, „San Juan de la Cruz y la rebelión de las monjas“, in Morada de la palabra. Homenaje a Luce y Mercedes López-Baralt, Bd. 2 (hg. v. William Mejías López; Ponce: Universidad de Puerto Rico, 2002), 1047‒1072. Dionysius van Leuven oder van Rijkel war ein Vertreter der Asketik der Devotio moderna und der mystischen Theologie des Dionysius Areopagita sowie Verfasser von Bibelkommentaren. Sein Libro de quatuor novissimis, eine erbaulich-kontemplative Christusvita, wurde in der kastilischen Übersetzung von Gonzalo García de Santa María bis 1548 mehrmals publiziert. Die lateinische Fassung war jedoch laut Löwener Index von 1550 und laut Valdés-Index von 1551 und 1559 verboten. Der Index von Papst Sixtus V. (1590), dem Urheber der neuen Konstitutionen, verbot schließlich sowohl das lateinische Original als auch die kastilische und jede andere Übersetzung. Ursprünglich war das Buch Gérard Vliederhoven zugeschrieben worden: Eulogio PACHO, „Simiente neerlandesa en la espiritualidad clásica española“, in Fuentes neerlandesas de la mística española (hg. v. Miguel Norbert Ubarri und Lieve Behiels; Madrid: Trotta, 2005), 25. In vier Bänden, Toledo; Juan y Pedro Rodríguez, 1578‒1589. Hierbei handelt es sich um einen nachtridentinischen Flos Sanctorum, der sich an das römische Brevier des Konzils hält und immerhin das Leben Christi und der Gottesmutter sowie die Lebensbeschreibungen der neuen Heiligen enthält. Er wurde mehrfach wiederaufgelegt. Der Franziskaner Diego de Estella verfasste den Tratado de la vanidad del mundo und die Meditaciones del amor de Dios; zwei Werke, die häufig gemeinsam veröffentlicht wurden (Toledo: Juan de Ayala, 1562; Salamanca: Matías Gast, 1574 und 1576; Salamanca: Alonso de Terranova, 1578; Barcelona: Hubert Gotard, 1582; Alcalá: Juan Gracián, 1597ff.). Wie bei König David und den Psalmen ging man in der damaligen Zeit üblicherweise davon aus, dass das Hohelied (das nach jüdisch-christlicher Tradition sowohl im Jerusalemer als auch im römischen Brevier enthalten war) von König Salomo verfasst war; das glaubte auch Teresa (MC, Prolog, 2). Die neuen Ausgaben erschienen nach Juan de Ávilas Tod (Toledo: Juan de Ayala, 1574; Madrid: Mathias Gast, 1575; Alcalá: Antón Sánchez de Leyva, 1577; Alcalá de Henares: Juan Iñíguez de Lequerica, 1581; Madrid: Pedro Madrigal, 1588; Lissabon: Alfonso López, 1589) und in den Obras (Madrid: Luis Sánchez, 1595). De los Nombres de Christo en dos Libros por el Maestro Fray Luys de León (Salamanca: Iuan

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worden war und Abhandlungen über die Christus in der Heiligen Schrift und in der Patristik zugeschriebenen Namen enthielt – gemessen an Teresas ursprünglichen Konstitutionen eine neue Lektüre, die ihr jedoch gewiss gefallen hätte, weil sie zutiefst mit ihrer grundlegend christozentrischen Ausrichtung übereinstimmte. Dass der Inquisitor dieses Werk genehmigt hat, wird eher verständlich, wenn man weiß, dass Luis de León mit Gaspar de Quiroga befreundet und dieser zudem der biblischen Literatur und der theologischen Mystik gegenüber recht aufgeschlossen war.153 Schon in der Widmung an einen weiteren seiner Gönner, Don Pedro de Portocarrero, brach Fr. Luis in wohlerwogenen Worten eine Lanze zugunsten der Möglichkeit, die Heilige Schrift – und sei es auch nur mittels volkssprachlicher Übersetzungen geistlicher Bücher, die nicht unbedingt zum üblichen Leserepertoire einer Frau zählten – in kastilischer Sprache zugänglich zu machen.154 Es muss gesagt werden, dass in dieser neuen Phase der inquisitorischen Arbeit, in der die volkssprachliche Bibel zwar nach wie vor verboten, es jedoch erlaubt war, biblische Texte in erklärtermaßen katholische Werke einzufügen, die Epístolas y Evangelios para todo el año in der Übersetzung von Ambrosio de Montesino (teilweise ohne die begleitenden Predigten, die die Auslegungsrichtung vorgaben) wiederaufgelegt wurden;155 eine Lektüre, die auch Frauen und Nonnen offenstand, und ein demütiges Gegenstück zu Arias Montanus’ Biblia Políglota Regia,156 mit der die spanische Bibelforschung einen epochalen Höhepunkt erreichte, wenngleich diese Bibel nur den Wenigsten zugänglich war. 1592 wurden die „dorianischen“ Konstitutionen, wie sie bei den Unbeschuhten Karmeliten heißen – also die Konstitutionen Sixtus’ V. und Gregors XIV. ‒, in spanischer Sprache veröffentlicht. Die Liturgie blieb dieselbe, und auch die Lektüreempfehlungen von 1590 hatte man unverändert übernommen. Die Nonnen hatten ihre Bibelkenntnisse auf indirektem Weg erweitert, doch die neue Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Clementinam,

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Fernández, 1583; Libro Tercero (Salamanca: Iuan Fernández, 1585). Dennoch und trotz seiner diesbezüglichen Toleranz enthielt der von Quiroga 1583 erlassene Index fast fünfmal so viele Titel wie der Index von 1559. Das hatte mit der rasch gestiegenen Zahl der Veröffentlichungen zu tun, richtete sich aber vor allem gegen die lateinischen Werke, deren Zahl sich einschließlich der 90 Bibelausgaben inzwischen auf 1.800 belief: MARTÍNEZ DE BUJANDA, Index des livres interdits, Bd. 6, Index de l’Inquisition espagnole, 1583, 1584 (Sherbrooke/Genf 1993). Obras Completas Castellanas, Bd. 1, 404‒407. Es steht außer Frage, dass unter anderem dieser Wunsch auch Johannes vom Kreuz dazu bewogen hatte, in seinen Canciones de la Esposa und der betreffenden Declaración eine Nachdichtung des Hohelieds vorzulegen. Dennoch kommen seine Schriften genau wie die der heiligen Teresa nicht in den Lektüreempfehlungen der Konstitutionen vor, auch wenn die Nonnen sie ganz sicher gelesen haben. Medina del Campo: Francisco del Canto, 1586; Barcelona: Sebastián de Cormellas, 1597, Iayme Cendrat, 1601, Gabriel Graells und Giraldo Doti, 1608; Alcalá de Henares: Iuan Gracián, 1608; Madrid: Andrés Parra und Gaspar García, 1615; Valladolid: Juan de Rueda, 1615ff. Biblia sacra hebraice, chaldaice, graece et latine, Philippi II. Regis catholici pietate et studio ad sacrosanctae Ecclesiae usum, cura et studio Benedicti Ariae Montani (8 Bde.; Antwerpen: Cristóbal Plantino, 1569‒1573).

Die Bibel im teresianischen Frauenkarmel des Siglo de Oro

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die aus den Konzilsdebatten über den biblischen Kanon und das Thema „Schrift und Überlieferung“ hervorgegangen war und gleichwohl Korrekturen von Lorenzo Valla, Erasmus und anderen Humanisten enthielt, erschien 1592 in Rom in lateinischer Sprache.157 Der vom tridentinischen Konzil so hochgeschätzte heilige Hieronymus158 pflegte zu sagen – und mit ihm die heiligen Kirchenväter und, im spanischen Siglo de Oro, auch Fr. Luis de León159 ‒, dass, wer das Alte Testament nicht kennt, Christus nicht kennt: jenen Christus, der den Unbeschuhten Karmelitinnen so am Herzen lag, weil sie Christinnen sind und den Christozentrismus ihrer Gründerin übernommen haben (der im Übrigen auch schon in der älteren, für sie nach wie vor präsenten Karmeliterregel enthalten gewesen war); jenen Christus, der vor seiner Menschwerdung in der Heiligen Schrift angekündigt worden war und durch die Propheten gesprochen hatte, wie es im nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis heißt ‒ das vom tridentinischen Konzil auf der Sitzung vom 4. Februar 1546 bestätigt wurde und, wie allgemein bekannt, mit Bibelstellen geradezu gespickt ist. Die Unbeschuhten Karmelitinnen des Siglo de Oro kannten das Alte Testament jedoch nicht oder nur teilweise durch die Propheten, sondern vor allem durch die Psalmen, mit denen sie bestens vertraut waren und die im Rahmen des Alten Testaments eine ähnliche Bedeutung hatten wie das Evangelium im Rahmen des Neuen Testaments. Sie waren eine Art Quintessenz und damit für die Ordensfrauen der wichtigste alttestamentliche Text, gefolgt – aufgrund der besonderen liturgischen und kontemplativen Tradition des Karmels, die damit übrigens zum hl. Hieronymus in Widerspruch geriet160 – vom Hohelied, das Teresa de Jesús in ihren Betrachtungen teilweise paraphrasierte und das Johannes vom Kreuz in seinem Cántico nachgedichtet und ausgelegt hatte. All das legt den Schluss nahe, dass die Karmelitinnen und die Ordensfrauen allgemein den weltlichen Frauen, was die Kenntnis der Bibel betraf, etwas voraushatten: Auf viele und vielerlei Arten war die Heilige Schrift, wie in diesem Beitrag angedeutet, in ihren Leben präsent – und vermutlich auch in ihren Werken, denn nicht wenige von ihnen betätigten sich als Schriftstellerinnen, damit „das Wort unseres Gottes in Ewigkeit bleibt.“ (Jes 40,8; 1 Petr 1,25)

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Rom: Ex Typographia Apostolica Vaticana, MDXCII. Es ist darauf hinzuweisen, dass 1590 die erste nach Maßgabe der tridentinischen Vorschriften edierte Bibel erschien, die allerdings aufgrund einiger Fehler wieder vom Markt genommen werden musste: Biblia Sacra Vulgatae Editionis Sixto Quinti Pontificis Maximi iussu recognita atque edita (Romae: Ex Typographia Apostolica Vaticana, MDXC). „Prólogo“, in: Obras Completas de San Jerónimo, Bd. VIa: Comentario a Isaías (hg. v. José Anoz; Madrid: BAC, 2007), 5. Insbesondere in Los Nombres de Cristo, das den Unbeschuhten Karmelitinnen von 1590 an zur Lektüre empfohlen wurde. Der Heilige hatte den Jungfrauen geraten, das Hohelied erst nach den anderen heiligen Büchern zu lesen, weil er fürchtete, dass sie es womöglich carnaliter lesen würden: HIERONYMUS, „An Laeta über die Erziehung ihrer Tochter“ (Epist. II, 211). Teresa hatte ihre Töchter in MC darüber instruiert, wie das Hohelied non carnaliter zu lesen sei.

Biblische Lesungen und biblische Schriften der Teresa von Ávila Teófanes Egido López Universität Valladolid Man kann sagen, dass die Beziehung der Doña Teresa de Ahumada oder Teresa de Jesús (so wurde Teresa de Ávila zu ihrer Zeit genannt) zur Bibel (das Wort kommt übrigens in ihren Schriften kein einziges Mal vor)1 heute zu den Lieblingsthemen des „Theresianismus“ zählt,2 obwohl die spanische Ordensfrau noch bis vor gar nicht langer Zeit in der Forschung ein relativ verwaistes oder vernachlässigtes Dasein führte. Und man kann auch sagen, dass diese derzeitigen Vorlieben der mit ihr befassten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jenen entsprechen, die auch Teresa hegte und in ihren Schriften zum Ausdruck brachte.

1. „Tausend Tode“ für die Heilige Schrift Dank der Vielzahl der Studien über Teresa und die Bibel dürfen ihre Leidenschaft für die Schrift, ihre Fähigkeit, sich in die Bibel einzufühlen, und der Gleichklang zwischen einigen (den wichtigsten) ihrer Bücher und den heiligen Texten als gesichert gelten. Daher ist auch verständlich, dass man – wie in einigen verdienstvollen, nicht von Historikern verfassten Arbeiten geschehen ‒ in der gesamten theresianischen Narration von einem biblischen Grund und Untergrund, einem ganzen biblisch inspirierten geistigen und symbolischen Universum sprechen kann, das ihre Sprache so deutlich prägte.3 Dieser 1

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Die Zitate aus Teresas Schriften beziehen sich immer auf die Ausgabe von Alberto BARRIENTOS: Santa Teresa de Jesús, Obras completas (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 52000). Die deutschen Übersetzungen stammen aus der Gesamtausgabe von Ulrich DOBHAN OCD und Elisabeth PEETERS OCD (A. d. Ü.). Diese Schriften sind wie folgt abgekürzt: V = Libro de la Vida: Buch meines Lebens (Gesammelte Werke Bd. 1; Freiburg im Breisgau: Herder, 2001); CE = Camino de Perfección, Handschrift von El Escorial, und CV = Camino de Perfección, Handschrift von Valladolid: Weg der Vollkommenheit (Ges. W. Bd. 2; Freiburg im Breisgau: Herder, 2003); CC = Cuentas de Conciencia: Geistliche Erfahrungsberichte (Ges. W. Bd. 3; Freiburg im Breisgau: Herder, 2004); F = Fundaciones: Buch der Gründungen (Ges. W. Bd. 5; Freiburg im Breisgau: Herder, 2007); M = Moradas del Castillo Interior: Wohnungen der Inneren Burg (Ges. W. Bd. 4; Freiburg im Breisgau: Herder, 2005); MC = Meditacio-nes sobre los Cantares: Gedanken zum Hohelied (Ges. W. 3; Freiburg im Breisgau: Herder, 2004). Statt die Teresa-Bibliographie hier in ihrer ganzen Länge anzuführen, verweisen wir auf die Daten, die Manuel DIEGO SÁNCHEZ zusammengetragen hat: Bibliografía sistemática de santa Teresa de Jesús (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 2008), Nr. 3312‒3398. Secundino CASTRO, „Configuración bíblica del relato teresiano (elementos centrales)“, Estudios Bíblicos 66 (2008): 217‒244. DERS., „La Biblia empapaba la autobiografía teresiana“, Teresa de Jesús 167 (Sept. 2010): 180‒184. Román LLAMAS MARTÍNEZ, Biblia en santa Teresa (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 2007). Wir danken dem Verfasser des letztgenannten Buches für seine Hilfe in diesem Punkt. Tomás ÁLVAREZ, Cultura de mujer en el siglo XVI. El caso de santa Teresa de Jesú (Ávila: Ayuntamiento, 2006), 335‒357.

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Gleichklang lässt sich an so bedeutsamen Merkmalen wie dem impliziten oder expliziten Vorkommen von Bibelzitaten und ständigen Verweisen auf die Bücher des Alten und insbesondere des Neuen Testaments festmachen, die sogar gezählt und ausgewertet worden sind. Teresa zitiert in ihrem Werk mit unterschiedlicher Intensität und klaren Vorlieben 23 alttestamentliche und 18 neutestamentliche Bücher.4 Noch aussagekräftiger als die gleichwohl durchaus aufschlussreichen Quantitäten ist möglicherweise die Qualität, das heißt die Hingabe und Begeisterung für die Schrift, aus der die Verfasserin keinen Hehl macht. Denn für sie war die Heilige Schrift zunächst einmal: a) die Garantie der Rechtgläubigkeit, wie sie es im Buch meines Lebens im letzten Kapitel bekennt: Denn der ganze Schaden, der der Welt entsteht, besteht darin, dass die Wahrheiten der Schrift nicht in aller Klarheit erkannt werden. Kein Häkchen von ihr wird vergehen (vgl. Mt 5,18) (V 40,1),

b) die Quelle ihrer Spiritualität, ihrer Bilder und ihrer Metaphern und schließlich c) das „lebendige Buch“, von dem sie nicht einmal die Barrieren zu trennen vermögen, die die Inquisition mit ihren Verboten errichtete. Als Beleg für ihre Liebe zur Bibel wird üblicherweise ihre Aussage zitiert, wonach sie wegen irgendeiner Wahrheit der Hlg. Schrift bereit wäre, tausend Tode zu sterben. (V 33,5).

Mit diesen Worten reagierte sie auf die Bedenken ihrer Freunde in Ávila, die fürchteten, dass ihre mystischen Erfahrungen womöglich drastische inquisitorische Maßnahmen nach sich ziehen könnten (im selben Kontext schrieb Madre Teresa auch ihr Wort von den schweren Zeiten). Tatsächlich ist diese Aussage – die semantische Parallelen zu ihrer erklärten Bereitschaft aufweist, tausend Tode für die geringste Zeremonie der Kirche zu sterben ‒ nicht nur Ausdruck ihrer Verehrung für die Bibel, sondern auch ein Teil der Strategie, mit der Teresa versuchte, eventuellen Anzeigen bei der Inquisition vorzubeugen und jedwedem Verdacht den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zu dieser Strategie gehören auch die für Teresas Rhetorik sehr typischen wiederholten Bekundungen ihrer Bewunderung für die Letrados und ihrer Bereitschaft, sich in allem ihrem Urteil zu unterwerfen.5 So erklärt sich die Häufigkeit, mit der sie beteuerte, tausend Tode sterben, tausend Tode erleiden zu wollen: für den Herrn, für die Ehre Gottes (5M 2,7; Brief an 4

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Daniel de PABLO MAROTO, Lecturas y maestros de santa Teresa (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 2009), 35. LLAMAS MARTÍNEZ, Biblia en santa Teresa, 225‒247, hat vollständige Indizes erstellt, aus denen hervorgeht, an welcher Stelle ihrer Schriften Teresa welche Bibelstelle zitiert. Detaillierte und exakte Auskunft geben auch die umfangreichen und erschöpfenden Concordancias de los escritos de santa Teresa de Jesús von Agustí BORRELL und Juan Luis ASTIGARRAGA (Rom: Teresianum, 2000). Alison WEBER, Teresa of Ávila and the Rhetoric of Femininity (New Jersey: Princeton University Press, 1990). Juan Antonio MARCOS, Mística y subversiva: Teresa de Jesús. Las estrategias retóricas del discurso femenino (Madrid: Editorial de Espiritualidad, 2001). Aurora EGIDO hat ihre wichtigsten Arbeiten über dieses Thema zu einem Buch zusammengefasst: El águila y la tela. Estudios sobre santa Teresa de Jesús y san Juan de la Cruz (Palma de Mallorca: Universitat de les Illes Balears, 2010).

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Ambrosio Mariano, 12. Dezember 1576, 11); für eine Glaubenslehre (V 25,13), für die Wahrheit des Dreifaltigkeitsdogmas (CC 60,4); um Gott nicht zu beleidigen, um nicht einmal eine lässliche Sünde zu begehen (V 15,12; CE 71,4; 4M 2,7; CC 1,13); um sich von den Qualen der Hölle zu befreien (V 32,6); damit sich in ihrem Kloster kein Prestigedenken einschleicht (CE 19,4); um eine Seele zu retten (F 1,7). Eindeutiger werden diese Vorlieben vielleicht dadurch belegt, wie häufig in der Beschreibung ihres spirituellen Camino biblische Personen auftreten und welch wichtige Rolle sie darin spielen. Immer wieder kommen im Weg der Vollkommenheit Personen vor, die in Teresas Bilderwelt und Symbolik einen ganz besonderen Rang einnehmen. Man mag die Frage der Namen für nebensächlich oder unbedeutend halten, doch das ist sie nicht. Die Autorin ging hier nämlich je nach Werk unterschiedlich vor. Auf die Briefe, die von Namen und Decknamen nur so strotzen, wollen wir hier nicht näher eingehen. Auch das Buch der Gründungen enthält zahlreiche Namen von Mitarbeitern und Wohltäterinnen, die sie bei ihrem Gründungswerk unterstützt haben, während Teresa die Namen derer, die ihr bei ihrem Tun – in ihrer Wahrnehmung ein epischer, noch unentschiedener Kampf zwischen Gottes Werk und den Anfeindungen des Teufels ‒ Steine in den Weg zu legen versuchten, systematisch verschweigt. Die Bücher, auf die ich mich hier beziehen möchte, sind die, die von ihrem anderen, spirituellen und noch gefahrvolleren Abenteuern erzählen: das Buch meines Lebens, der Weg der Vollkommenheit in seinen beiden Fassungen, und die Wohnungen der Inneren Burg. Fast keine der Personen ihrer Zeit und Welt, auf die Teresa in diesen Erzählungen häufig genug anspielte, ist namentlich erwähnt. Das Buch meines Lebens zum Beispiel wimmelt nur so von Personen: die frommen Eltern der kleinen Teresa, ihre zahlreichen Geschwister und Mitverschworenen bei dem einen oder anderen kindlichen Streich, Verwandte, Augustinerinnen, Nonnen, Freunde und Freundinnen, eine Vielzahl von Beichtvätern, gar nicht so gebildeten Letrados, Oberen usw. Sie alle sind namenlos und konnten nur dank anderer Quellen, nicht aber anhand der Lebensbeschreibung selbst identifiziert werden, die nur zwei der Zeitgenossen beim Namen nennt. Einer von ihnen ist „Pater Francisco […], der Herzog von Gandía […] war“ (V 24,3). Er wird nur einmal genannt. Nicht müde wurde Teresa es hingegen in allen ihren Büchern – auch wenn wir uns hier auf das Buch meines Lebens beschränken wollen –, den von ihr so plastisch dargestellten „Fray Pedro de Alcántara“ namentlich zu erwähnen (V 27,3; 27,16); „den gebenedeiten Fray Pedro de Alcántara“ (30,2.17); den „heiligmäßigen Fray Pedro de Alcántara“ (V 32,13; 35,5; 36,1.20; 38,32; 40,8). Neben diesen spärlichen Namensnennungen finden sich hier und da einige Erwähnungen traditioneller Heiliger – insbesondere solcher, die wie der hl. Franziskus, der hl. Bernhard, der hl. Antonius von Padua, die hl. Katharina, der hl. Hieronymus oder der hl. Augustinus (V. 21,7) die Menschheit Christi betrachtet haben. Dagegen herrscht ein reges Kommen und Gehen von biblischen Personen sowohl aus dem Alten Testament ‒ wie zum Beispiel Jakob, Lea und Rahel (V 17,7) oder ihr geliebter König David, dessen Fest im Karmel gefeiert wurde ‒ als auch aus dem Neuen. Genannt seien hierbei der Zöllner (15,9), Judas (1,11), Marta und Maria, die sie mit der von ihr so geliebten Maria Magdalena gleichsetzte (17,4; 21,7), Petrus und, am häufigsten, Paulus: „Es sieht so aus,

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als hätte er Jesus immer im Mund geführt“ (22,7). Die eigentliche Hauptrolle aber spielen in diesen Hierarchien Jesus, Maria und Josef, für den sie ein begeistertes und in Hinblick auf seine Verehrung sehr einflussreiches Manifest verfasste.6

2. Indirekte Bibellektüren: die Bücher Bei Teresas Liebe zur Bibel müssen wir also nicht länger verweilen. Weniger selbstverständlich sind hingegen die Möglichkeiten und Formen, wie sie sich zu selbiger Zugang verschafft hat. Auch die Frage, wie sie die Heilige Schrift derart verinnerlichen konnte, bleibt eine Herausforderung. Bis heute ist es der Forschung nicht gelungen, alle Zweifel zu erhellen, die durch die Bibelkenntnis einer Frau aufgeworfen werden, die keinen direkten Zugang zur Heiligen Schrift hatte. Grund dafür ist, dass ihr keine vollständigen volkssprachigen Übersetzungen zur Verfügung standen.7 Ihre in der ersten Lebensphase notgedrungen autodidaktische und im Erwachsenenalter von Letrados unterstützte (oder behinderte) biblische Bildung, die sie in ihrer Spiritualität zum Leben erweckte, war indirekt, das heißt von den Möglichkeiten bestimmt, die ihr Texte mit biblischen Inhalten boten. Solche Texte kannte sie entweder aus ihrer persönlichen Lektüre, aus mündlichen Vorträgen oder vom Hörensagen. Die Welt der Bücher, die Doña Teresa von klein auf, in ihrer Jugend und als Erwachsene benutzte, ist nicht gänzlich unbekannt. Einige, die sie später ihren Schwestern zur Lektüre empfahl, befanden sich bereits in der Bibliothek ihres Elternhauses und sind in den Inventarlisten der Besitztümer von Don Alonso verzeichnet.8 In den Konstitutionen rät Madre Teresa den Schwestern: Die Priorin denke daran, dass gute Bücher da seien, insbesondere die Kartäuser, das Flos Sanctorum, der Contemptus mundi, das Oratorium der Ordensleute, die Bücher des P. Luis de Granada und des P. Pedro de Alcántara, denn in gewissem Sinn ist diese Nahrung für die Seele ebenso notwendig wie die Speise für den Leib. (Konst. 8)

Mit diesen Büchern war sie selbst unter anderem deshalb sehr vertraut, weil sie einige davon seit ihrer Kindheit regelmäßig las und diese zudem zu den bevorzugten Druckerzeugnissen ihrer Epoche zählten. Das gilt für die Kartäuser, das heißt für die Vita Christi 6

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Zu der Bedeutung, die einige dieser Personen für Teresa und ihre Spiritualität hatten, vgl. Daniel de PABLO MAROTO, Lecturas y maestros. Zum hl. Josef vgl. San José y Santa Teresa, Sonderheft Estudios Josefinos 18 (1964). In direkterem Zusammenhang zu unserem Thema steht der Beitrag von Francisco BRÄNDLE, „Imagen bíblica de san José en santa Teresa“, Estudios Josefinos 36 (1982): 283‒300. Eine gute Synthese aus den zahlreichen Arbeiten über die Bibel im damaligen Spanien bietet Mariano DELGADO, „Die spanischen Bibelübersetzungen in der frühen Neuzeit“, Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 101 (2007): 209‒224. Luis Enrique RODRÍGUEZ-SAN PEDRO BEZARES, „Libros y lecturas para el hogar de Don Alonso Sánchez de Cepeda“, Salmanticensis 34 (1987): 169‒188. Einen genaueren Eindruck von der zentralen Bedeutung dieser Frage der Bücher und Lektüren der hl. Teresa erhält man, wenn man sich vor Augen führt, wie viel Platz dieses Thema in einem so renommierten Standardwerk wie dem bereits zitierten Cultura de mujer en el siglo XVI von Tomás ÁLVAREZ einnimmt.

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des Kartäusers Ludolf von Sachsen, bei der es sich im Grunde um eine Bibel, das heißt um Bibelnacherzählungen handelte. Diese wurden die Kartäuser – im Plural – genannt, weil sie aus vier Bänden bestanden, und die Teresa ihr Leben lang immer wieder las.9 Der Flos Sanctorum war eine weitere und vielleicht sogar die erste Lektüre der Doña Teresa, die schon als kleines Mädchen die Heiligenviten nicht nur las, sondern den hagiographischen Vorbildern aus der Legenda aurea so sehr nacheiferte, dass sie das Martyrium durch Enthauptung ersehnte. Die Ausgabe, die die kleine Doña Teresa de Ahumada gelesen hat und die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dieselbe war, die auch von Ignatius von Loyola benutzt wurde,10 liegt seit Neuerem in einer guten Edition von Félix Juan Cabasés vor.11 Mithilfe der Vita Christi und Teilen des Flos Sanctorum konnten sich aufmerksame Leser einiges an biblischem Rüstzeug verschaffen, denn erstere begann bekanntlich mit dem Alten Testament. Im umfangreichen ersten Teil der Legenda aurea wird das Leiden des Herrn nicht nur in allen Einzelheiten geschildert, sondern jeder Abschnitt zudem mit Illustrationen oder Holzstichen veranschaulicht. Das könnte auch Teresas Vorliebe für die Passion, für konkrete Momente und Bilder und für die von Wunden übersäten Christusse erklären, die ihre spirituelle Geschichte so lebhaft beeinflusst haben.12 Die kastilische Version des Flos Sanctorum enthält zudem eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Lebensbeschreibung des heiligen Josef. Teresa hat die Josefverehrung sehr gefördert, und um das Gute daran deutlich zu machen, stützte sie sich auf das christologische und im Letzten biblische Argument, dass Josef der „Pflegevater“ des Herrn gewesen sei. In der Legenda aurea heißt es unter anderem, dass „der glückselige heilige Josef“, weil er so gut auf Maria und Jesus geachtet hat, „Pflegevater des Erlösers genannt wird.“ Und mit Worten, in denen das Gelesene nachzuhallen scheint, stellte sie den Betern den heiligen Josef als Vorbild vor Augen: denn ich weiß nicht, wie man an die Königin der Engel denken kann in der Zeit, in der sie mit dem Jesuskind so viel durchlitten hat, ohne dem hl. Josef für das Gute zu danken, mit dem er ihnen geholfen hat. (V 6,6‒8)13

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Z. B. an jenem Vortag des Pfingstfests, von dem sie im Buch meines Lebens erzählt (V 38,8ff.). Vgl. Emilia COLOMER AMAT, „El Flos Sanctorum de Loyola y las distintas ediciones de la ‘Leyenda de los Santos’. Contribución al catálogo de Juan Valera de Salamanca“, Analecta Sacra Tarraconensia 72 (1999): 109‒142. BEATO IÁCOPO DA VARAZZE OP, Leyenda de los santos (que vulgarmente Flos Sanctorum llaman), agora de nuevo empremida, y con gran estudio y diligencia extendida y declarada, y a la perfección de la verdad traýda, y aun de las siguientes leyendas augmentada, conviene a saber: La vida de sabe Joseph, la de san Juan de Ortega, el Triunfo o vencimiento de la Cruz, la historia de sancta Anna, Sevilla: Juan de Varela, 1520‒1521 (Madrid: Universidad Pontifica de Comillas/Institutum Historicum Societatis Iesu, 2007). Die Ausgabe wird „Loyola-Ausgabe“ genannt, weil ein Exemplar davon im Loyola-Archiv aufbewahrt wird. Vgl. die Studie von Tomás ÁLVAREZ, „Un libro de formación cristológica: el Cartujano“, in Cultura de mujer, 215‒229. SIMEÓN DE LA SAGRADA FAMILIA, „Una nueva fuente del josefinismo de santa Teresa (sobre el Flos sanctorum de Loyola)“, El Monte Carmelo 111 (2003): 147‒186.

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Die Lektüre von Büchern mit Inhalten, die eine wenn auch nur partielle und selektive Kenntnis der Bibel vermittelten, ist eine offenkundige Tatsache, die in Teresas Schriften immer wieder ins Auge springt. An dieser Stelle sei nur auf das verwiesen, was sie über ihren Zugang zum Buch Ijob (auch er ein von ihr verehrter Heiliger) schrieb. Voller Verwunderung über die Geduld, die ihr damals von Gott geschenkt worden war, denkte sie daran zurück, wie sie als Jugendliche während einer schweren Krankheit das bereits ins Kastilische übersetzte Buch Gregors des Großen gelesen hatte: [Es hat] mir sehr geholfen, dass ich in den Moralia des hl. Gregor die Geschichte des Ijob gelesen hatte; ja, es sieht so aus, als habe der Herr damit, und dass ich schon begonnen hatte, das innere Beten zu pflegen, vorgesorgt, damit ich alles mit so viel Gleichmut aushalten konnte. Ich war ständig mit ihm im Gespräch, und hatte dabei folgende Worte Ijobs die ganze Zeit über in meinem Kopf und sagte sie mir vor: Da wir das Gute aus der Hand des Herrn angenommen haben, warum ertragen wir dann nicht auch das Schlimme? (Ijob 2,10). (V 5,8)14

Ich habe den Eindruck, dass ich Offensichtliches zu beweisen und die Gewohnheiten einer Leserin zu belegen versuche, für die es etwas ganz Alltägliches war, aus der Heiligen Schrift Trost oder Bestätigung für ihren spirituellen Weg zu schöpfen. So beschränkte sie sich in jener sorgenvollen ersten Phase in Ávila, als sie von schlecht vorbereiteten Beratern und Beichtvätern umgeben war und man ihr sagte, dass ihre Art des Betens vom Teufel stamme, durchaus nicht auf das, was sie ihren eigenen Worten zufolge immer tat, nämlich „nur noch weinen“, sondern wandte sich der Lektüre zu: Als ich ganz niedergeschlagen in einem Oratorium weilte, nicht wissend, was aus mir noch werden sollte, las ich in einem Buch – das, wie mir scheint, der Herr mir in die Hände legte –, dass der hl. Paulus gesagt hätte, dass Gott sehr treu sei und niemals zulassen würde, dass die, die ihn liebten, vom Bösen getäuscht würden (vgl. 1 Kor 10,13). Das tröstete mich sehr. (V 23,15)

3. Gehörte Lektüre Es ist nicht nötig, an dieser Stelle weitere Bücher anzuführen, von denen man weiß, dass Doña Teresa sie besessen hat, und die ihr zu einer indirekten Bibellektüre verholfen haben. Es sei aber darauf verwiesen, dass sie selbst vergleichsweise häufig sagte oder sich erinnerte, dass sie „gelesen hat“. Dennoch beschränkte sich ihr Zugang zur Bibel, genau wie bei anderen Frauen ihrer Zeit, nicht auf die direkte und persönliche Lektüre mit eigenen Augen, sondern führte häufiger über andere, für analphabetische Gesellschaften typische Lektüreformen und namentlich über die gehörte Lektüre. Hierbei handelte es sich nicht selten um eine gemeinsame Lektüre in Refektorien oder in Gruppen, mit einem Vorleser und vielen Zuhörern, wie es aus den Konstitutionen 14

Zur Bedeutung dieser Gregor-Lektüre und zum Exemplar, das Doña Teresa zugänglich gewesen sein könnte, vgl. Tomás ÁLVAREZ, Cultura de mujer, 63‒71; Daniel de PABLO MAROTO, Lecturas y maestros, 104‒109.

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oder Zeremonialia der Klöster hervorgeht, wie (um die bekannteste Episode anzuführen) der Erzähler im Don Quijote sagt und wie es viele moderne Lektürehistoriker nachgewiesen haben. Madre Teresa ist eine gute Zeugin für diese Gegebenheiten, die sie wiederholt zum Anlass nahm, auf ihr schlechtes Gedächtnis hinzuweisen. So sicherte sie in den Sechsten Wohnungen, als sie auf die Jakobsleiter zu sprechen kommt und die Episode schildert (Gen 28,12), ihre Auslegung folgendermaßen ab: „Ich weiß nicht, ob ich das, was ich da sage, richtig ausdrücke, denn auch wenn ich es gehört habe, weiß ich nicht, ob ich mich genau erinnere“ (6M 4,6‒7). Die häufigsten und wirkungsvollsten Gelegenheiten, Biblisches zu hören, waren ohne Zweifel die Predigten – zumal wenn man sie so sehr liebte („und doch hörte ich sie sehr gerne“, V 8,12) und die Prediger so hoch schätzte wie Teresa. Besonders reizvoll ist die Begebenheit, an die sie sich erinnerte, als sie sich auf das ungewöhnliche Unterfangen des Hoheliedkommentars einließ – reizvoll nicht nur wegen des Bezugs zum Predigtthema, sondern auch als ein Beleg für die so unterschiedlichen Formen der Predigtrezeption, die, wie bei dem beschriebenen Anlass, zuweilen sogar interaktive Züge annehmen konnten: Gut erinnere ich mich an eine wunderbare Predigt eines Ordensbruders, die ich gehört habe, und wie er in der Hauptsache ganz behutsam die Geschenke erläuterte, über die die Braut mit Gott sprach. Da kam so viel Gelächter auf, und das, was er sagte, wurde so schlecht aufgenommen, dass ich ganz verwundert war (dabei ging die Predigt über das Mandatum, wo es gar nichts anderes zu sagen gibt). (MC, 1,5)

4. Gemischte Lektüren: die gehörte und die vorgetragene Bibel Es gab noch andere Zugänge zur Bibel, und einer davon – der nicht eben selten genutzt wurde ‒ führte über die Liturgie, die Messe und das Breviergebet: feste Bestandteile des klösterlichen Lebensrhythmus und des Alltags der Nonnen. Oder, wenn schon nicht alltäglich, so doch zumindest allwöchentlich, wie das Marienoffizium, das in der Volkssprache gebetet wurde (Teresa wandte die bräutliche Bildlichkeit des Hohelieds auf die Jungfrau Maria an): Meine Herrin, wie gut kann man an dir verstehen, was Gott mit der Braut unternimmt, so wie es im Hohelied heißt! Ihr, Töchter, könnt das am Marienoffizium sehen, das wir jede Woche rezitieren, wo vieles in den Antiphonen und Lesungen davon handelt. (MC, 6,8)

Was das tägliche Hören und Vortragen der Mess- und Breviertexte betrifft, so existierten Begleitbücher, die halfen, die Messlesungen in kastilischer Sprache mitzuverfolgen. Einige davon waren so bezaubernd wie die seit der Zeit der Katholischen Könige viele Male nachgedruckten Epístolas y evangelios por todo el año, deren Autorschaft – bislang galt Fray Ambrosio de Montesino als ihr Verfasser ‒ offenbar zurzeit in Frage gestellt wird. Es ist nicht klar, ob Teresa sie benutzt hat, wohl aber, dass sie auf dem Inquisitionsindex von 1559 gelandet sind. Die Lesungen und Evangelien, die mit dem Rücken zu den Zuhörern gelesen oder gesungen wurden, muss sie auf Latein gehört haben, und

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doch steht fest, dass sie schon als kleines Mädchen an einigen Erzählungen der Evangelien wie etwa der Episode mit der Samariterin ihre Freude hatte: Deswegen bin ich von diesem Evangelium ganz begeistert. Das ist wirklich so, denn noch ohne dieses Gut so zu erkennen, wie heute, war ich das schon seit frühester Kindheit und bat den Herrn oft, mir dieses Wasser zu geben. Da, wo ich lebte, hatte ich immer eine Darstellung davon, als der Herr zum Brunnen kam, bei mir, mit folgender Aufschrift: Domine, da mihi aquam (Joh 4,15). (V 30,19)15

Mit dem Brevier verhielt es sich anders: Das beteten oder sangen die Nonnen selbst, im Chor oder für sich, aber stets auf Latein, mit Verständnisschwierigkeiten und doch – bedingt durch den wiederkehrenden Rhythmus der Texte, die sich Stunde für Stunde, Tag für Tag, Festkreis für Festkreis um die Psalmen, die tragenden Säulen des Offiziums, herumrankten ‒ mit einer gewissen Einfühlung. An einigen der biblischen Texte, die Madre Teresa in ihren Schriften anführte, kann man sogar erkennen, dass sie sie so wiedergegeben hat, wie sie zu ihrer Zeit ausgesprochen wurden. Sie hat sie also dem Gehör nach transkribiert.16 Davon abgesehen aber waren diese lateinischen Bibeltexte vor allem eines, nämlich für Teresa unverständlich, wenngleich sie nicht ohne Ironie gestand, dass die volkssprachlichen Übersetzungen (ein Hinweis darauf, dass solche in der Tat angefertigt wurden) auch nicht viel verständlicher gewesen seien. In ihren Gedanken zum Hohelied (1,2) forderte sie ihre Nonnen auf, sich nicht allzu sehr um den Buchstaben und um die Wörter zu sorgen: Wir aber müssen in Schlichtheit annehmen, was der Herr uns geben sollte, und uns um das, was er uns nicht gibt, erst gar nicht bemühen, sondern Freude empfinden an dem Gedanken, welch großen Gott und Herrn wir haben, da ein Wort von ihm tausend Geheimnisse in sich enthält, und wir so seinen Urgrund nicht verstehen. Das wäre kein Wunder, selbst wenn es in Latein, Hebräisch oder Griechisch wäre; aber auch in unserer Muttersprache, was gibt es nicht alles in den Psalmen des glorreichen Königs David, was uns ebenso dunkel bleibt wie in Latein, auch wenn sie es uns nur in der Muttersprache erklären!

5. Die Latinismen in Teresas Schriften Ungeachtet aller Schwierigkeiten waren viele Bibelstellen so, wie man sie hörte – nämlich auf Latein – in die Umgangssprache übernommen worden und hatten ihren Weg in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden. Das gilt auch für die Schriften der Madre Teresa, die man – selbst ohne die Auffassung zu vertreten, dass sie spricht, wie sie schreibt, oder schreibt, wie sie spricht ‒ auf den betreffenden Seiten und in ihren Latinismen durchaus reden hören kann. 15

16

Man beachte die mehr als direkte Anspielung auf das Andachtsbild, das eine andere, für Teresa sehr typische Art der Lektüre war. Tomás ÁLVAREZ, „Vida litúrgica de santa Teresa desde su Breviario Carmelitano“, Monte Carmelo 118 (2010): 639‒664.

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Ihre vielleicht früheste Bibellektüre bildeten die im Chor gehörten und rezitierten Texte. Das legt zumindest das Vorkommen lateinischer Bibelzitate nahe, die nicht in korrektem Latein, sondern unserer Auffassung nach so wiedergegeben sind, wie sie im Kloster der Menschwerdung erklangen und ausgesprochen wurden. Wir erlauben uns im Folgenden einige Beispiele aus den Autographen der Vida, des Wegs der Vollkommenheit und der Wohnungen vorzulegen.17 5.1 Latinismen im Buch meines Lebens - V 20,10: „Vigilavi ed fatus sun sicud passer solitarius in tecto“ (Vigilavi, et factus sum sicut passer solitarius in tecto, Ps 101,8) - V 27,18: letzte Worte des heiligen Fray Pedro de Alcántara (in Übereinstimmung mit den hagiographischen Musterdarstellungen sterbender Heiliger): „Letatun sun yn is que dita sun miqui“ (Laetatus sum in his quae dicta sunt mihi). - V 29,11: „Quemadmodum desiderad cervus a fontes aguarum“ (Quemadmodum desiderat cervus ad fontes aquarum, Ps 42,1). - V 30,19 (das Evangelium von der Samariterin, das sie so sehr liebte): „Domine, da miqui aquan“ (Domine, da mihi aquam). - V 39,25: „Als ich einmal den Psalm quincunque vul rezitierte“ (Quicumque vult, nicht aus einem Psalm, sondern aus dem athanasianischen Glaubensbekenntnis). - 3M 1,4: „Beatus vir qui timed dominun“ (Beatus vir qui timet dominum, Ps 111,1). - 4M 1,5: „Cun dilataste cor meun“ (Cum dilatasti cor meum, Ps 118,32). - 6M 2,5: „Miqui (zu Mihi korrigiert) bivere cristus es mori lucrun“ (Mihi vivere Christus est mori lucrum). 5.2 Das Vaterunser auf Latein Der Weg der Vollkommenheit wurde von seiner Autorin in zwei Fassungen niedergeschrieben: die erste, authentischere, wird im Escorial aufbewahrt (CE), die zweite, korrigierte und selbstzensierte, im Karmel von Valladolid (CV). In der zweiten Fassung hat Teresa jedes Kapitel mit einer Überschrift versehen. Die Version aus dem Escorial enthält im eigentlichen Kernmanuskript keine Überschriften, jedoch ein Register am Ende, das von Madre Teresa diktiert und praktisch ganz von einer Schreibgehilfin notiert worden ist – einer „Gelegenheitsschreiberin mit einer ganz schlechten Schrift“, wie Tomás Álvarez zu Recht anmerkt.18 Es wäre vieles über die Parallelen und die Abweichungen zwischen den beiden Fassungen eines so einzigartigen und programmatischen Buches zu sagen, das überdeutlich gegen die Diskriminierung der Frauen im Hinblick auf ihr 17

18

Weitere derartige Beispiele finden sich bei Ismael BENGOETXEA, „Los latines de la Madre Teresa“, Teresa de Jesús 10 (1984), 31‒33. In der Einleitung zur Faksimile-Ausgabe des Camino de Perfección (Burgos: Monte Carmelo, 2010), XVII.

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Recht, theresianisch zu beten, protestiert. Wir wollen uns an dieser Stelle jedoch nur kurz mit dem Kuriosum der Unterschiede zwischen dem Latein in Teresas Kommentar und dem Latein der Gehilfin befassen, die nach ihrem Diktat schrieb. Vaterunser der Madre Teresa (CV)

Vaterunser der Schreiberin (CE)

- Santificetur nomen tuun,

- Pater nostra qui es in celis (c. 44) - Santificetur nomen tun, - adveniad renun tun (c. 52) - Fiad voluntas tua sicut in celo et in terra (c. 54)

- Adveniad regnum tuvm (c. 32) - Fiad voluntas tua sicud in celo et in terra (c. 34) - Panen nostrun cotidiano da nobis odie (c. 35) - Dimite nobis debita nostra (c.38) - Et ne nos inducas in tentationen sed libera nos a malo (c. 40).

- Cotidianun (c. 60) - Dimite nobys debita nostra (c. 63) - Lybera nos a malo (c. 72)

6. Geistliche und mystische Lektüre Nicht ohne Dramatik berichtete Madre Teresa im Buch meines Lebens über das noch nicht lange zurückliegende Verbot der volkssprachlichen Bibeln und geistlichen Bücher auf dem Inquisitionsindex von 1559 (V 26,5): Als viele in der Volkssprache geschriebene Bücher weggenommen wurden, damit sie nicht mehr gelesen würden, litt ich sehr darunter, denn es verschaffte mir Erholung, manche von ihnen zu lesen, aber das konnte ich nun nicht mehr, weil man sie nur noch auf Latein zuließ. Da sagte der Herr zu mir: Sei nicht betrübt, denn ich werde dir ein lebendiges Buch geben. Ich konnte nicht verstehen, warum mir das gesagt worden war, denn damals hatte ich noch keine Visionen. Nachher aber, nur ganz wenige Tage später, verstand ich es sehr wohl, denn da fand ich in dem, was ich vor mir sah, soviel zum Nachdenken und zur Sammlung, und der Herr erwies mir so viel Liebe, um mich auf vielfältigste Weise zu unterweisen, dass ich nur mehr ganz wenig oder gar keinen Bedarf an Büchern hatte. Seine Majestät war das wahre Buch, in dem ich die Wahrheiten sah. Gepriesen sei dieses Buch, das alles, was man lesen und tun soll, so tief eingeprägt hält, dass man es nicht mehr vergessen kann!

Die Worte, die sie Gott in den Mund legte, sind eine unverhohlene Kritik an der Zensurpolitik der Inquisition. Diese Kritik kehrt auch an anderen Stellen wieder – zum Beispiel dort, wo sie, voller Verdruss über die gefährlichen Spinnenfäden, mit denen die offiziellen Positionen im Stile eines Melchior Cano das Beten der Frauen umwoben haben, nicht anders kann, als das Urteil gerechteren Richtern als denen der Inquisition anheimzustellen:

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Reicht es denn nicht, Herr, dass die Welt uns eingepfercht und für unfähig hält, in der Öffentlichkeit auch nur irgendetwas für dich zu tun, was etwas wert wäre, oder es nur zu wagen, ein paar Wahrheiten auszusprechen, über die wir im Verborgenen weinen, als dass du eine so gerechte Bitte von uns nicht erhörtest? Das glaube ich nicht, Herr, bei deiner Güte und Gerechtigkeit, denn du bist ein gerechter Richter, und nicht wie die Richter dieser Welt, für die, das die Söhne Adams und schließlich lauter Männer sind, es keine Tugend einer Frau gibt, die sie nicht für verdächtig halten. O ja, mein König, einmal muss es doch den Tag geben, an dem man alle erkennt. (CE, 4,1)

Dieser Absatz aus dem vierten Kapitel der Erstfassung des Weges der Vollkommenheit, den man geradezu als feministisches Manifest bezeichnen könnte, wurde so gründlich ausradiert, dass man ihn erst vor kurzem wieder vollständig hat entziffern können. Die darin geäußerte Kritik jedenfalls (dahingehend, dass sie wegen der Bücher „sehr gelitten“ und dass Gott ihr ein „lebendiges Buch“ gegeben habe) wurde von Teresa mehrfach und in unterschiedlichen Nuancierungen geäußert, die aber im Kern alle auf eine Aussage hinauslaufen: dass es Bücher gibt, die die Inquisition nicht konfiszieren kann. Fast alle dieser völlig unverhüllten Invektiven finden sich in ihrem streitbarsten Buch, dem erwähnten Weg der Vollkommenheit, in dem sie die Frauen ermuntert, das kontemplative Gebet oder einfach das Lobgebet zu praktizieren, denn Gott „hat Macht über alle, und ihn können sie euch nicht nehmen“. Auch das Vaterunser können sie nicht verbrennen, und das ist von großem Nutzen für die, die nicht lesen können; denn es wurde durch den Mund der Wahrheit selbst gesprochen, die nicht trügen kann.19

Und ebenfalls auf das Vaterunser bezogen schreibt sie: So können sie euch kein Buch wegnehmen, ohne dass euch ein so gutes Buch erhalten bleibt; denn mündlich zu beten, das kann euch keiner wegnehmen; ihr macht es recht, Töchter, denn das Vaterunser und das Ave-Maria können sie euch nicht wegnehmen.20

Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der diensthabende Zensor durchaus zutreffend am Rand vermerkte: „Anscheinend tadelt sie die Inquisitoren dafür, dass sie Gebetbücher verbieten.“ Wir haben bereits auf die keineswegs zweideutige Haltung Teresas hingewiesen, die ihre Vorbehalte gegenüber den Letrados (die ihrer subtilen Kritik nicht entgehen) und ihre Vorliebe für die Spiritualen trotz aller Taktik nicht gänzlich verbergen kann. Ihre Zugeständnisse an eine gebildete (letrada) Bibellektüre gehen mit ausdrücklichen Präferenzen für die andere, spirituelle, mystische Art der Lektüre einher, die keiner Vermittler bedarf. Wie deutlich sie diese Positionen artikulierte, hing entscheidend davon ab, an welchen Typus von Adressaten ihre Schriften gerichtet waren, doch selbst im Buch meines Lebens, das sich an Richter, Letrados und Beichtväter wandte, sprach die Verfasserin 19 20

CE 38,2; 73,4. EBD. 35,4; 73,1; 36,4.

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explizit von der Notwendigkeit der spirituellen und von der Nutzlosigkeit der gebildeten Lesart. So heißt es zum Beispiel in dem wunderbaren Kapitel über das Gebet der Ruhe (V 15,6‒8), dass das, was die Seele dabei „zu tun hat“, „nur in Sanftheit und ohne Lärm vor sich gehen“ darf. Und weiter schrieb sie: Lärm nenne ich, mit dem Verstand nach vielen Worten und Betrachtungen herumzusuchen […]. Der Wille mit seinen Empfindungen soll ruhig und gelassen einsehen, dass […] unsere Gewaltakte wie große Holzscheite sind, die unbedacht auf das Fünklein geworfen werden und es nur ersticken. […] Mehr richten hier ein paar Strohhälmchen aus, die in Demut aufgelegt werden (und wenn wir sie auflegen, werden sie noch weniger als Halme sein), und die tragen mehr dazu bei, das Fünklein zu entzünden, als viele unserer Meinung nach sehr gelehrte Holzscheite von Begründungen zusammen, die es schon in einem Credo ersticken würden. Dies passt für die Gelehrten, die mich beauftragen, dies zu schreiben; denn durch Gottes Güte gelangen alle bis hierher, und es könnte ja sein, dass ihnen die ganze Zeit mit der Anwendung von Schriftstellen vergeht. Auch wenn es die Wissenschaft bei ihnen vorher und nachher nicht an Nutzen fehlen lassen wird, so gibt es in diesen Zeiten des inneren Betens meines Erachtens nur wenig Bedarf dafür […] Und so ist es mir widerfahren, während ich in dieser Ruhe weilte, dass ich, obwohl ich von dem, was ich auf Lateinisch bete, vor allem von den Psalmen, kaum etwas verstehe, den Vers nicht nur in meiner Muttersprache verstand, sondern noch weiter kam und meine Wonne daran hatte, das zu sehen, was er in meiner Muttersprache sagen will. […] Also, in diesen Zeiten des Gebets der Ruhe die Seele bei dem, was ihr Rast verschafft, rasten lassen!

Es besteht kein Zweifel: Für sie kam es mehr – um nicht zu sagen ausschließlich – auf das Fühlen als auf das Verstehen, auf die Erfahrung als auf den Buchstaben an, und aus diesen Gründen sorgte sie sich auch nicht um vergessene Stellen oder Personen oder zweifelhafte Zuschreibungen, die zu überprüfen sie sich nicht die Mühe machte. Wir wollen uns einige dieser Ungenauigkeiten in der Verwendung der Schrift ansehen, die in dem biblischsten ihrer Bücher (die Gedanken zum Hohelied zählen nicht als Buch), den Wohnungen der Inneren Burg, enthalten sind.21 Mit Nachdruck appellierte sie dort an die Tapferkeit der Seele: Sie soll mannhaft sein und nicht eine von denen, die sich auf den Bauch warfen, um zu trinken, als sie in die Schlacht zogen; ich erinnere mich nicht mehr, mit wem;22 vielmehr soll sie den Entschluss fassen, dass sie mit allen bösen Geistern im Kampf steht, und dass es keine besseren Waffen gibt, als die des Kreuzes. (2M 1,6)

Sie erinnerte sich nicht mehr daran, welcher Autor zur spirituellen Entblößung und zum Loslassen aufgerufen hatte und von wem der Satz stammte: „Wir sind unnütze Sklaven.“ Jedenfalls wird, wer darin verharrte, erreichen, was er beabsichtigte, doch nur – aber hören wir sie selbst: unter der Bedingung (und beachtet, dass ich euch darauf hinweise!), dass man sich als unnützen Knecht betrachtet, wie der heilige Paulus oder Christus sagt. (3M 1,8)

21 22

Genaueres hierzu findet sich bei LLAMAS MARTÍNEZ, Biblia en santa Teresa, 54f. Der Korrektor ergänzt an dieser Stelle: „mit Gideon und den Richtern“, die betreffende Stelle ist Ri 7,5ff.

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Auch hier ergänzte der Korrektor die fehlende Information: Es handelte sich um ein Christuswort, das bei Lukas überliefert ist (Lk 17,10). In einem anderen Kontext erinnerte sie sich nicht an die genaue Stelle: Daher sagte unser Herr Jesus Christus einmal, als er für seine Apostel betete (ich weiß nicht wo): Sie sollen eins werden mit dem Vater und mit ihm, so wie unser Herr Jesus Christus im Vater sei und der Vater in ihm (Joh 17,21). (7M 2,7)

Ihr übermächtiger Christozentrismus ließ sie die Beterinnen ermutigen, sich an Gott zu wenden, dabei aber auf seine Menschheit – Christus – zu blicken: Der Herr selbst sagt: Niemand wird zu meinem Vater hinaufgehen, außer durch mich (Joh 14,6) – ich weiß nicht, ob er es so sagt, ich glaube schon – und: Wer mich sieht, sieht meinen Vater (Joh 14,9). (2M 1,11)23

Ihre klare Bevorzugung dieser spirituellen Lesart gründete auf ihrer festen Überzeugung, dass die Worte der Schrift Worte sind, die Gott selbst gesprochen hat: Ich bin immer begeistert davon gewesen, und die Worte der Evangelien, von denen ich weiß, dass sie so aus jenem allerheiligsten Mund hervorgingen, wie er sie sagte, haben mich immer besser gesammelt als bestformulierte Bücher; vor allem wenn sie nicht von einem ganz, ganz sicher approbierten Autor stammten, hatte ich gar keine Lust, sie zu lesen. (CE 35,4)

Und aus dieser Überzeugung resultierte denn auch ihre Auffassung, dass das von Gott selbst ausgesprochene Wort, der Gruß des Herrn zum Beispiel, „viel mehr bedeutet haben muss, als er besagt“ (7M 2,7).

7. Die Bibel für die Frauen Eine andere ihrer Strategien veranlasste sie trotz der erklärten Niedertracht, Unwissenheit und ähnlicher den Frauen zugeschriebener Eigenschaften zu der Schlussfolgerung, dass gerade sie die besten Leserinnen der Bibel sind. Was die spirituelle Lesart betrifft, können sie sich besser daran erfreuen und Gott lässt sie die erhabenen Gaben des Gebets häufiger und intensiver erfahren als die Männer. Und um jeden Verdacht beiseitezuschieben, berief sie sich auf die Autorität keines Geringeren als des von ihr so verehrten Fray Pedro de Alcántara: Und es gibt viel mehr Frauen als Männer, denen der Herr diese Gnaden erweist; das habe ich vom heiligen Fray Pedro de Alcántara gehört (und außerdem selbst beobachtet), denn er sagte, dass diese auf diesem Weg viel besser vorankämen als Männer. Dafür gab er auch ausgezeichnete Gründe an, alle zugunsten der Frauen. (V 40,8)

Sie hatte gute Gründe für ihre Überzeugung von der spirituellen Überlegenheit der Frauen über die Männer einschließlich der Letrados, und einer dieser guten Gründe war die Jungfrau Maria in ihrer Weiblichkeit und Demut. 23

Weiter unten (6M 7,6) führt sie das korrekte Zitat an.

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O Geheimnisse Gottes! Hier gibt es nichts zu tun, als dass wir uns mit unseren Erkenntnismöglichkeiten ergeben und bedenken, dass sie zur Erkenntnis der Großtaten Gottes nichts ausrichten. Hier ist es gut, dass wir uns daran erinnern, wie er – bei all ihrer Weisheit, die ihr zu eigen war – mit der Jungfrau, unserer Herrin, verfuhr, und wie sie den Engel fragte: Wie wird das geschehen? Auf seine Antwort hin: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten (Lk 1,34f) sorgte sie sich um keine weiteren Begründungen mehr. Als jemand, der großen Glauben und große Weisheit hatte, verstand sie alsbald, dass man nicht mehr wissen noch bezweifeln dürfe, sobald diese beiden Dinge dazwischenkommen. Nicht wie so manche Studierte – die der Herr nicht in dieser Gebetsweise führt, und die nicht einmal die Anfangsgründe des Geistes besitzen –, die die Dinge durch viel Begründung und so sehr nach dem Maß ihrer Erkenntnismöglichkeiten voranbringen wollen, dass es scheint, als müssten sie mit ihrer Wissenschaft alle Großtaten Gottes begreifen. Wenn sie doch etwas von der Demut der heiligsten Jungfrau lernten! (MC, 6,7)

Das schrieb sie zu Beginn ihres für Frauen (nämlich ihre Nonnen) verfassten Kommentars zum Hohelied, das ihr sehr zu Herzen ging. Zudem ist es ein Musterbeispiel der spirituellen Bibellektüre: Da mir unser Herr seit einigen Tagen jedes Mal, wenn ich einige Worte aus dem Hohelied Salomos höre oder lese, ein so außerordentlich großes Geschenk gemacht hat, dass mir das – ohne dass ich dabei die Klarheit des Lateinischen in der Muttersprache verstand – mehr Sammlung gebracht und meine Seele mehr bewegt hat als die vielen frommen Bücher, die ich verstehe. (CC, Prolog, 1)

Die Handschrift dieses Kommentars hatte eine bewegte Geschichte. In die erste von Fray Luis de León besorgte Ausgabe der Bücher der Madre Teresa de Jesús wurde diese Schrift, deren Original wir nicht kennen, nicht aufgenommen. Sie erschien erst 1611, als Pater Gracián sie in Brüssel drucken ließ. Zeugen der Prozesse erklärten, dass der Beichtvater, dem sie die Erstschrift des Manuskripts zeigte, ihr befohlen habe, sie zu verbrennen. Diese Zeugen, die die Demut und den Gehorsam der Madre hervorheben wollten, sagten aus, dass sie diesem Befehl unverzüglich nachgekommen sei (Teresa wusste sehr genau, dass bereits genügend Abschriften in Umlauf waren). Was uns hier interessiert, ist weniger die unglückselige Episode an sich als vielmehr die Gründe, die für die Verbrennung angeführt wurden: nicht weil es schlecht wäre, sondern weil es sich seiner Meinung nach nicht geziemte, dass eine Frau, nicht einmal eine solche, sich über das Hohelied erkläre.24

Man muss es einzuordnen wissen, dass eine Frau in diesen schweren Zeiten – just denselben Zeiten übrigens, in denen Fray Luis de León im Zusammenhang mit dem Hohelied angeklagt und ins Gefängnis geworfen worden war ‒ den Mut hatte, ihren Nonnen 24

Diese und ähnliche Aussagen hat ANDRÉS DE LA ENCARNACIÓN in den Memorias historiales zusammengetragen, die noch bis vor kurzem nur als Handschrift vorlagen. Dank M. J. MANCHO und seinem Team ist diese reichhaltige theresianische Quelle heute in einer modernen Ausgabe zugänglich (3 Bde., Valladolid, 1993). Die Berichte über diese in Anwesenheit von P. Yanguas vollführte Geste finden sich in Bd. 2, 322, 346.

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diese Kommentare vorzulegen. Diese sind schön, das gewiss, aber vor allem glühend und, wie Francisco Márquez Villanueva es schon vor Zeiten ausgedrückt hat,25 reichlich gewagt gegenüber jenen, die ‒ aus mit Vorliebe zitierten Versen wie „Es küsse mich der Herr mit dem Kuss seines Mundes“, „Mehr als der Wein vermögen deine Brüste, die den Duft sehr feiner Wohlgerüche von sich geben“, „Der König führte mich in den Weinkeller“, und anderen Bildern der Hingabe und Vereinigung liebender Brautleute und pfeildurchbohrter Hirschkühe, auf die wir hier nicht näher eingehen können ‒ „Angst hervorpressen“, um Schreckgespenster heraufzubeschwören. Dieses Hohelied der Madre Teresa ist ein Musterbeispiel des biblischen Lesens und Schreibens, allerdings im Sinne einer spirituellen, Frauen vorbehaltenen Lesart („Das sage ich zu Frauen“, MC 1,2). Gleichwohl finden sich dieselben Inhalte in nicht minder schönen Worten auch in anderen ihrer Schriften wie etwa der Inneren Burg oder, wenn auch anders nuanciert, in einigen ihrer Werke, die die bräutliche Liebe aus dem Hohelied und die Ganzhingabe der Liebenden thematisieren.26

25 26

Espiritualidad y literatura en el siglo XVI (Madrid/Barcelona: Alfaguara, 1968), 200f. Wie das Gedicht Sobre aquellas palabras «dilectus meus mihi» samt seinen zahlreichen Abschriften und Varianten: Schon ganz mich hingeschenkt, gegeben, ich solchen Tausch vollzogen, dass mein Geliebter für mich da ist, und ich für den Geliebten mein bin. Als der sanfte Jägersmann mich getroffen und bezwungen, in der Liebe Arme dann meine Seel’ blieb hängen. Als mir Leben neu geschenkt, hab’ ich den Tausch vollzogen, dass mein Geliebter für mich da ist, und ich für den Geliebten mein bin. Mich er traf mit einem Pfeil, mit Liebeskraut durchrieben, da wurde meine Seele ganz eins mit ihrem Schöpfer. Andre Lieb’ ich nicht mehr mag, da ich Gott ergeben, so mein Geliebter für mich da ist, und ich für den Geliebten mein bin. Obras completas, 1155 (Dt. Übers.: Ges. W. Bd. 3, 336f.). Erschöpfende Informationen finden sich im Kommentar von Tomás ÁLVAREZ, „De poema a poema. Santa Teresa ante el poema bíblico de los Cantares“, Monte Carmelo 109 (2001): 249‒266.

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8. „Ich würde am liebsten laut aufschreien …“ Teresa hielt nicht hinter dem Berg mit ihrem Verlangen, die Barmherzigkeit des Herrn vor aller Welt laut zu verkünden und diese Gaben publik zu machen, und sei es auch nur mit Werken, denn dies mit dem Wort zu tun, konnte gefährlich sein: Eine einzige derartige Erfahrung ist zuweilen erhebender als zehn Predigten. Ihr habt euch doch alle zu bemühen, durch eure Werke zu predigen, da der Apostel und unsere Unfähigkeit uns versagen, es mit Worten zu tun. (CE 23,1)

Sie pries nicht nur die Macht des Beispiels, sondern machte auch ihr Recht geltend, zu schreien und zu disputieren: Ich würde am liebsten laut aufschreien und – obwohl ich nur die bin, die ich bin – mit denen disputieren, die behaupten, dass inneres Beten nicht erforderlich sei. (CV 37,2) [Sie ist] ganz neidisch auf diejenigen […], die in den Wüsten leben oder gelebt haben. Auf der anderen Seite würde sie sich am liebsten mitten in die Welt hineinstürzen, um zu sehen, ob sie mithelfen könnte, damit auch nur eine Seele Gott mehr lobte. Und wenn es eine Frau ist, reibt sie sich wund an der Fessel, die ihr ihre Natur auferlegt, da sie das nicht tun kann, und ist neidisch auf diejenigen, die die Freiheit haben, um mit lauter Stimme zu verkünden, wer dieser große Gott der Reiterscharen ist. Ach du arme kleine Schmetterlingsseele, angebunden mit so vielen Ketten, die dich nicht fliegen lassen, wie du möchtest! (M VI, 6,3‒4)

Wir wissen nicht, ob dieser Neid der verliebten Seele (das heißt der Städterin und Klosterfrau Teresa) auf die Anachoreten wieder einmal einer ihrer Kunstgriffe ist, um dem, was sie im Anschluss schreibt, größeres Gewicht zu verleihen. Denn aus ihren eigenen Gedanken zum Hohelied (7,6) geht hervor, wer einige dieser schreienden Frauen sind; konkret nennt sie auch hier wieder ihre geliebte Samariterin: Ich erinnere mich gerade daran, dass ich oft an jene heilige Samariterin gedacht habe (Joh 4), die von diesem Kraut verwundet gewesen sein musste und wie gut sie in ihrem Herzen die Worte des Herrn verstanden hatte, denn sie verließ den Herrn selbst, um den Leuten ihres Dorfes davon Nutzen und Vorteil zu bringen […] Es zog diese Frau in göttlicher Berauschung schreiend durch die Straßen. Was mich dabei verwundert, ist, dass man ihr, einer Frau, geglaubt hat.

Erneut spricht sie von ihrem Wunsch, laut zu schreien, und beklagt (und kritisiert) die strukturellen Hindernisse, die ihr Frausein ihr in den Weg legten; Barrieren, die Madre Teresa mit solchem Nachdruck beim Namen nannte und mit solcher Ungeduld ertrug. Sogar noch ehe ein Nuntius das Schimpfwort von der herumvagabundierenden Nonne aufgriff, hatten andere sie schon kritisiert, weil sie sich so für die Verbreitung betender Frauengemeinschaften einsetzte. Man sagte ihr, sie solle sich an das Gebot des Paulus halten: dann hagelt es tausend Angriffe auf ihren Kopf herab. Man hält sie für wenig demütig, für eine, die die belehren möchte, von denen sie noch etwas lernen könnte, vor allem, wenn es eine Frau ist. (V 20,25)

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Wie wir bereits gesehen haben, scheint sie diesen Mangel an Freiheit ‒ „da der Apostel und unsere Unfähigkeit uns versagen, es mit Worten zu tun“ (CE 23,1) ‒, als etwas zu beklagen, in das man sich fügen muss. Doch diese Klage ist taktischer Natur und ihrer Überzeugung entgegengesetzt, der die Hablas das entscheidende Gewicht verleihen. Jene Ansprachen also, durch die ihre Aussagen Autorität und Glaubwürdigkeit erhielten27 und in denen das, was Madre Teresa dachte und empfand, stets von Gott bestätigt wurde – wie damals, als ihre Oberen sie de facto nach Medina del Campo verbannt hatten: Als ich einige Tage nach dem, was ich gerade sage, darüber nachdachte, ob die wohl Recht haben, denen es schlecht erscheint, dass ich zum Gründen hinausgehe, und ob es nicht besser sei, wenn ich mich immer dem Beten hingäbe, verstand ich: Solange man lebt, liegt der Gewinn nicht darin, sich mehr Genuss an mir zu verschaffen, sondern meinen Willen zu erfüllen. Mir schien dann, dass wohl das der Wille Gottes sei, was der hl. Paulus über die Zurückgezogenheit der Frauen sagt (Tit 2,5) – was man mir vor kurzem gesagt hatte und ich auch früher schon gehört hatte. Da sagte er mir: Sag ihnen, dass sie nicht nur auf einem Text der Schrift herumreiten, sondern auch andere anschauen sollen, und ob sie mir denn die Hände binden könnten.28

Und mit dieser „Ansprache“, mit diesem ersten Ansatz einer nicht auf den Literalsinn, sondern auf den Kontext ausgerichteten Exegese zu dem Zweck, das den Frauen auferlegte paulinische Schweigen korrekt – und theresianisch – zu interpretieren, und mit dem an die Männer gerichteten Vorwurf, den Frauen ihre gottgegebene Freiheit wegnehmen zu wollen, beenden wir diese in jeder Hinsicht unvollständigen Überlegungen.

27

28

Eine sehr kluge Erläuterung der Verwendung der „Auditionen“ oder „Ansprachen“ und ihrer Bedeutung in der theresianischen Sprache bietet MARCOS, Mística y subversiva, 53‒86. CC 16, Medina del Campo oder Ávila, Juli 1571, Obras completas, 992 (dt. Übers.: Ges. W. Bd. 3, 235).

Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda Sara Cabibbo Universität Rom III

Vorbemerkung Ehe wir uns der Gestalt der spanischen Konzeptionistin María de Ágreda (1602‒1665) nähern, empfiehlt es sich, den Kontext ihrer religiösen Erfahrung und ihre Beziehung zur Heiligen Schrift zu rekonstruieren, die auf den Franziskanerorden verweist. Dieser hatte in dem erbitterten Streit, der im 16. und 17. Jahrhundert zwischen den spanischen Immakulisten und Makulisten ausgetragen wurde, für die Unbefleckte Empfängnis Partei ergriffen. Auf franziskanischer Seite reichten die Ursprünge dieser von den Dominikanern aufs Heftigste bekämpften Position bis ins 14. Jahrhundert zurück, als Duns Scotus, der Doctor marianus, die Lehre von der Vorerlösung entwickelt hatte, durch die Gott die Mutter Christi an Leib und Seele geheiligt habe.1 Einige Jahrhunderte später, im Spanien der Austrias und der María de Ágreda, sollte diese Lehre einen unverkennbar politischen Beigeschmack erhalten und zu den Missstimmungen und Volksunruhen beitragen, die in verschiedenen Gegenden der Halbinsel ausbrachen.2 Ausgelöst durch die erstaunlichen Inventiones der zwischen 1595 und 1596 auf dem Sacromonte in Granada aufgefundenen „Bleibücher“ (einer Bleikassette, die ein Bild der Gottesmutter, ein Stück Stoff, einen Knochen und ein in lateinischer, arabischer und kastilischer Sprache beschriebenes Pergament enthielt),3 wurde die Verteidigung der 1

2

3

Zur theologischen Lehre des Franziskaners Johannes Duns Scotus, wonach Marias Leib nicht von der Erbsünde befleckt worden ist, weil Gott diesem die rationale Seele im Augenblick der Empfängnis eingegossen habe, vgl., Kari E. BØRRESEN, Anthropologie médiévale et théologie mariale (Oslo/Bergen/Tromsø: Universitetsforlaget, 1971), 60‒68. Zur theologischen Debatte, die insbesondere zwischen Franziskanern und Dominikanern entbrannt war, den Volksunruhen in vielen Städten Spaniens und der politischen Bedeutung des Immakulismus im 17. Jahrhundert vgl. José Antonio OLLERO PINA, „‘Sine labe concepta’: conflictos eclesiásticos e ideólogicos en la Sevilla de principios del siglo XVII“, in Grafias del imaginario. Representaciones culturales en España y América (siglos XVI‒XVIII) (hg. v. Carlos Alberto Gonzáles und Enriqueta Vila Vilar; Mexiko-Stadt: Fondo de cultura economica, 2003), 301‒335; Paolo BROGGIO, „Teologia, ordini religiosi e rapporti politici: la questione dell’Immacolata Concezione di Maria tra Roma e Madrid (1614–1663)“, Hispania Sacra LXV (Januar‒Juni 2013): 255‒281. Zur Vermischung nationalistischer und archäologischer Interessen bei der Auffindung der Bleibücher und ihrer Bedeutung im Hinblick auf die Gottesmutter und den Immakulismus vgl. Los plomos del Sacromonte, Invención y tesoro (hg. v. Manuel Barrios Aguilera und Mercedes García Arenal; Valencia/Granada/Zaragoza: Universitat de Valencia, Universitat de Granada, Universidad de Zaragoza, 2006), dort insbes. den Beitrag von Francisco Javier MARTÍNEZ MEDINA, „Los hallazgos del Sacromonte a la luz de la historia de la Iglesia y de la teologia católica“, 79‒111.

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Reinheit der nicht von der Erbsünde befleckten Jungfrau Maria in den darauffolgenden Jahrzehnten zum Erkennungsmerkmal einer spanischen Identität, die von der Krone und den politischen Kräften gefördert wurde und sich in der Gesellschaft ausbreitete. Die Reinheit der rechtgläubigen Lehre, die von den Juden bedrohte Limpieza des Blutes und die Jungfräulichkeit des weiblichen Körpers waren nun Werte, die es um jeden Preis zu verteidigen galt, und zwar im Namen einer Religion der männlichen Ehre und der weiblichen Reinheit. […] Auf diese Weise wurde den traditionellen mediterranen Vorstellungen von der Ehre der Frau die Verteidigung der Purísima aufgepfropft und als eine Art Spezialauftrag für Spanien betrachtet.4

Vom franziskanisch geprägten Konzeptionismus der Mária de Ágreda zeugten ihre menschliche und geistliche Biographie sowie ihre Werke selbst. Das Kloster, das die Eheleute Coronel 1619 in ihren „eigenen Häusern“ errichteten und in dem María, ihre Mutter und eine Schwester denn Schleier nahmen, war franziskanischer Observanz. Demselben Orden gehörten ferner auch die Klöster an, für die sich sowohl die beiden Brüder als auch der Vater – ein Beamter beim Ayuntamiento von Ágreda und wahrscheinlich Abkömmling einer Familie von Cristianos nuevos – entschieden hatten. Franziskaner waren überdies die Beichtväter, die sich um das Seelenheil der Konzeptionistin kümmerten. Aus derselben Entourage stammten auch die Personen, die nach ihrem Tod dafür sorgten, dass ihr wichtigstes und umstrittenstes Werk, La mystica ciudad de Dios, 1670 veröffentlicht und der Seligsprechungsprozess eingeleitet wurde.5

1. Von der Missionarin der Indios zur Briefpartnerin Philipps IV. Am Tag nach ihrem Eintritt in das Noviziat (1619) und am Tag nach ihrer Profess (1620) wurde die junge Ordensfrau Protagonistin einer Reihe außergewöhnlicher Phänomene. Zu diesen gehörten Levitationen, Exsudationen, Ekstasen, die ihr letzter Beichtvater und Biograph, José Ximénes Samaniego, später auch als Exterioridades definieren sollte. Gleichzeitig nahm María – mit der Erlaubnis ihrer Beichtväter, wie es den nachtridentinischen Normen für die weibliche Klausur entsprach ‒ eine intensive schriftstellerische 4

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Adriano PROSPERI, „L’Immacolata Concezione di Siviglia e la fondazione sacra della monarchia spagnola“, Studi Storici 2 (2006): 481‒510; 491. Vgl. auch Paolo BROGGIO, La teologia e la politica. Controversie dottrinali, Curia romana, e Monarchia spagnola tra Cinque e Seicento (Florenz: Leo S. Olschki, 2009), insbes. 143‒210; Emilio CALLADO ESTELA, Sin pecado concebida. Valencia y la Inmaculada en el siglo XVII (Valencia: Institució Alfons el Magnànim, 2012). Zu Mariá de Ágreda (1602‒1665), die mit weltlichem Namen María Coronel hieß, vgl. die kürzlich erschienene Monographie von Ana MORTE ACÍN, Misticismo y conspiración. Sor María de Ágreda en el reinado de Felipe IV (Zaragoza: Institución „Fernando el Católico“, 2010). Vgl. außerdem: Sara CABIBBO, „Una profetessa alla corte di Spagna. Il caso di Maria d’Agreda fra Sei e Settecento“, Dimensioni e problemi della ricerca storica 1 (Themenheft La costruzione dell’identità profetica nel profetismo cristiano; hg. v. Marina Caffiero und Giovanni Filoramo; 2003): 87‒110.

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Tätigkeit auf,6 die sie in den darauffolgenden Jahren fortsetzte. Sie las Texte, die im Kloster vorhanden waren oder die ihre Spirituale ihr mitbrachten und zu denen ganz sicher auch die Bibel gehörte. Die Untersuchungen zur Lektüre der Konzeptionistin haben im Hinblick auf die Präsenz der Heiligen Schrift in der Klosterbibliothek von Ágreda keine Ergebnisse erbracht, sodass sich die Ausgabe (oder die Ausgaben), die María benutzt hat, unmöglich identifizieren lassen. Man kann also nur Vermutungen anstellen und die Informationen über die im posttridentinischen Spanien gebräuchlichen Bibeleditionen mit dem kombinieren, was sich aus den Zeugenaussagen beim Seligsprechungsprozess, aus Samaniegos Biographie und aus den positiven Beurteilungen erschließen lässt, mit denen die Angehörigen verschiedener Orden auf die Erstausgabe der Mystica ciudad de Dios reagierten: Sie alle hoben übereinstimmend die umfassende biblische Bildung der Konzeptionistin hervor. Ihr Biograph schrieb, dass die Franziskanerin das Lateinische nicht gesprochen, aber verstanden habe, das heißt wenn sie etwas in lateinischer Sprache hörte oder auch las, verstand sie vollkommen, was es bedeutete; Übersetzungen, die nicht mit letzter Genauigkeit gemacht waren, riefen bei ihr großes Missfallen hervor, und wenn es ihr widerfuhr, dass man sie einen Text aus der Schrift schreiben und übersetzen ließ, dann tat sie dies äußerst genau und in Übereinstimmung mit den Regeln der Übersetzung.7

Samaniego ließ den Topos von der Muliercula illitterata, deren Intelligenz von der göttlichen Gnade unterstützt wird, hinter sich und führte uns ins Innere der Klostermauern von Ágreda, wo eine (oder sogar mehr als eine) lateinische Ausgabe der Heiligen Schrift verfügbar war. María las diese nicht nur, sondern auf ausdrückliche Anweisung stellte sie in bester mönchischer Tradition ihre Fähigkeiten als Übersetzerin und Kopistin unter Beweis. Nichts weist auf kastilische Übersetzungen hin, die im Übrigen seit 1551 von der spanischen Inquisition verboten waren, obwohl sich Erzbischof Bartolomé Carranza auf dem Konzil von Trient andeutungsweise für die Verbreitung der Bibel aufgeschlossen gezeigt hatte. Tatsächlich lässt nichts auf die Bibelkommentare schließen, die in den spanischen Gebieten allgemein im Umlauf waren. Auch von den verschiedenen Übersetzungen, die die dominikanischen, franziskanischen und jesuitischen Missionare für die Bewohner der Neuen Welt angefertigt hatten, ist nicht die Rede.8 Was wir sicher 6

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Eine Auflistung der von María de Ágreda verfassten Werke bietet Manuel SERRANO Y SANZ, Apuntes para una Biblioteca de escritoras espanõlas (Madrid: Rivadeneira, 1903), 576‒577. Neben den Schriften spiritueller Prägung gehört dazu auch der „Tratado de su vida, la de sus padres, y fundación del convento de Ágreda“, in Cartas de Sor María de Jesús de Ágreda y de Felipe IV, Bd. 2 (hg. v. Carlos Seco Serrano; Madrid: Atlas, 1958), 205‒230. „Vita della venerabile Madre Suor Maria di Giesù Abbadessa del Convento dell’Immacolata Concezione di Agrida, composta in idioma spagnolo dal Reverendissimo Padre Giuseppe Ximénes Samaniego dell’Ordine di S. Francesco, e tradotta nell’italiano da un suo divoto“, in Mistica città di Dio, Buch V (Anversa 1717), 61. Die Biographie von Samaniego, die in der ersten spanischen Ausgabe des Werks erschienen ist, ist seither in allen anderen Ausgaben und Übersetzungen dieses Texts der María de Ágreda enthalten. Zur Kontrolle der lateinischen und volkssprachlichen Ausgaben der Heiligen Schrift und ihrer

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wissen, ist aber, dass Schwester María die Teologia mistica von Bonaventura da Bagnoregio9 – Generalminister des Franziskanerordens und Verfasser einer Biographie des Franz von Assisi – gelesen hat. Bonaventura hatte außerdem auf der Grundlage der Textüberlieferung der Vulgata eine Bibel herausgegeben (die sogenannte Bibel des heiligen Bonaventura), die möglicherweise im Umfeld der Konzeptionistin kursierte. Mangels gesicherter Informationen über die biblischen Quellen der Mária de Ágreda lässt sich nur festhalten, dass die Lektüre der Heiligen Schrift ihre gesamte geistliche und menschliche Erfahrung und nicht zuletzt auch ihre Sichtweise auf ein Phänomen ihrer Zeit geprägt hat: die Evangelisierung der Indios in Neuspanien durch die Franziskaner, die – wie die Missionare selbst berichteten – durch die 500 Bilokationen der Konzeptionistin in diesen Gebieten erleichtert wurde. In Ekstase entrückt – so schreibt ihr Biograph – fand sie sich unter den Indios von Neumexiko wieder, und es schien ihr, als hätte sie am Leben dieser Völker teilgenommen und mit allen Sinnen die Andersartigkeit der Orte, der klimatischen Bedingungen, der Menschen und der Bräuche erfahren. Auf wunderbare Weise mit der Fähigkeit der Zungenrede begabt – die einigen Propheten zuteilwurde und die der Apostel Paulus zu den prophetischen Charismen zählt – predigte sie das Evangelium in spanischer Sprache und hatte den Eindruck, die Eingeborenen zu verstehen und im Gegenzug auch von ihnen verstanden zu werden.10 Das Phänomen der Bilokation, insbesondere von Frauen, war im Spanien der Austrias nichts Seltenes. In der prophetischen Stimmung, die den Hof während der Herrschaft Philipps III. und Philipps IV. prägte, wurden bei Ereignissen, die für das Land und die Krone besonders folgenschwer waren – wie zum Beispiel Schlachten oder Begebenheiten im Zusammenhang mit der Besiedelung ferner Länder – Erscheinungen von Ordensfrauen verzeichnet.11 Die Bilokationen der María de Ágreda zwischen 1622 und 1631 in

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Kommentare durch die Inquisition vgl. die Beiträge in Historia de la Inquisición en España y América, Bd. III (hg. v. Joaquín Pérez Villanueva und Bartolomé Escandel Bonet; Madrid: BAE, 2000); zu den Ausgaben der Bibel oder einzelner biblischer Bücher (Pentateuch, Weisheitsbücher) in den Gebieten der Neuen Welt vgl. J. SPECKER, Aprecio y utilización de la Sagrada Escritura en las missiones hispanoamericanas (Lima: Universidad Nacional Mayor de San Marcos, 1969). Zu den Lektüren der María de Ágreda vgl. MORTE ACÍN, Misticismo y conspiración, die auf der Grundlage der im Kloster von Ágreda erhaltenen Briefe und der Aussagen ihrer Mitschwestern während des Diözesanprozesses eine Liste von Texten erstellt hat, die die Konzeptionistin mit Sicherheit gelesen hat. Zu ebendiesen Texten gehört nach dem Zeugnis einer Mitschwester auch die „Mística Teología de san Buenaventura“ (228). Relacion de la vida de la venerable Madre Sor Maria de Jesus, Abadessa, que fue, del Convento de la Purissima Concepcion de la villa de Agreda, escrita por el R.mo P. Fr. Joseph Ximenez Samaniego, Ministro General, que fue, de la Orden de N. Padre S. Francisco (Madrid: Imprenta de la causa de la Venerable Madre, 1727), 113f. Zu den Hofprophetinnen und zum Phänomen der Bilokation von Frauen im Spanien des 17. Jahrhunderts vgl. Isabelle POUTRIN, Le voile et la plume. Autobiographie et sainteté féminine dans l’Espagne moderne (Bibliothèque de la Casa de Velásquez 11; Madrid: Casa de Velásquez, 1995), 83‒88; Sara CABIBBO, „Parole di donne ‘por el gobierno de esta Monarquia’. Profezie,

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Neumexiko – von denen sie selbst berichtete ‒ ragen jedoch sowohl durch ihre außergewöhnliche Häufung als auch durch ihren besonderen Charakter heraus, insofern sie als Erfahrungen beschrieben werden, die eine Ordensfrau mit all ihren Sinnen im Angesicht des Anderen und des Anderswo gemacht hat. Bestätigt werden diese durch den franziskanischen Custodio jener Gebiete, nämlich Padre Alonso Benavides, dem Verfasser eines Memoriale über eine „dama niña y hermosa“, die unter den Indios erschienen sei.12 Diese leiblichen Erfahrungen im Schatten der mystischen Vision lassen sich als Metapher der Sehnsucht begreifen, die Grenzen der Klausur zu überschreiten, und sich einer Rolle – der des Missionars – zu bemächtigen, die den Regularklerikern vorbehalten war: Männern, die das Wort Gottes in die Indias dort unten brachten und dabei oft das Martyrium in Kauf nahmen. Im Fall der María de Ágreda, die möglicherweise eine der damals kursierenden missionarischen Chroniken gelesen hatte, nahm diese mutmaßliche Sehnsucht, über den ihr zugewiesenen Bereich hinauszuwachsen, den Ton einer Prophezeiung an. Diese Prophezeihung verwies einerseits auf den Traum der katholischen Könige von einer weltumspannenden Monarchie und andererseits auf die joachimitisch inspirierten franziskanischen Utopien, die eine geistliche Eroberung der überseeischen Gebiete und Bevölkerungen für notwendig hielten, um die Werte der Urkirche wiederherzustellen. Die weisheitlichen und prophetischen Bücher – die in der Mystica ciudad de Dios immer wieder anklingen – erschlossen ihr also die Geschicke eines Volkes und seiner Herrscher, die in der gegenwärtigen Phase der Historia Salutis dazu berufen waren, dieselben Aufgaben zu erfüllen, wie sie Gott dem Volk Israel und König David zugewiesen hatte, nämlich überall den christlichen Glauben und das Licht der Weisheit zu verbreiten (Spr 8,20‒21) und in Anlehnung an die davidischen Unternehmungen die Grenzen der bekannten Welt zu überschreiten, um bisher unbekannten Völkern den Namen des Herrn zu verkünden (Jes 55,4‒5; 60,9).13 In König David glaubte die Konzeptionistin das Vorbild und die geeignete Inspiration für Philipp IV. zu erkennen, der, nachdem er den Gra-

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visioni, stimmate nella Spagna di Filippo IV“, in Donne fra saperi e poteri nella storia delle religioni (hg. v. Sofia Boesch Gajano und Enzo Pace; Brescia: Morcelliana, 2007), 221‒236. 1650 unterzeichnete María de Ágreda ein Schriftstück, das Samaniego in seiner Biographie wiedergibt; darin erklärte sie, sie könne nicht mit Sicherheit sagen, ob sie auch leiblich in die amerikanischen Gebiete entrückt worden sei. Sie fügte jedoch hinzu, auch der Apostel Paulus habe geschrieben, er sei in den Dritten Himmel entrückt worden, wisse aber nicht, ob im Leib oder außerhalb des Leibes (2 Kor 12,1‒4). Zu den Bilokationen der María von Ágreda und ihrem politischen, religiösen und kulturellen Hintergrund vgl. Sara CABIBBO, „Una ‘dama niña y hermosa’ nella Nuova Spagna. Maria d’Agreda fra gli indios“, in Ordini religiosi, santità e culti: prospettive di ricerca tra Europa e America Latina (hg. v. Gabriella Zarri; Lecce: Congedo, 2003), 111‒127; Beatriz FERRÚS ANTÓN, La monja de Ágreda. Historia y leyenda de la dama azul en Norteamérica (València: Publicacions de la Universitat de València), 2008. Vgl. außerdem die Beiträge in La conquista spirituale: studi sull’evangelizzazione del Nuovo Mondo (hg. v. Francesca Cantù; Rom: Viella, 2007). Der Abschnitt aus dem Buch der Sprichwörter, in dem die Weisheit ihr eigenes Loblied singt (Spr 8,20‒21), und die Stellen im Buch Jesaja, in denen der Prophet den David von Gott zugewiesenen Sendungsauftrag beschreibt (Jes 55,4‒5; 60,9), waren María de Ágreda, die sie

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fen von Olivares (den Privado oder Premierminister) vom Hof entfernt hatte, seit 1643 in die absolutistische Phase seiner Herrschaft eingetreten war. Die beiden begegneten sich noch im selben Jahr: María war seit 1627 Äbtissin und leitete das neue Kloster, das 1633 eingeweiht wurde. Sie überstand die Überprüfung durch die Inquisition, die eingeschritten war, nachdem sich die Kunde von ihren Bilokationen und ihrem heiligmäßigen Leben verbreitet hatte (1635). Ferner unterhielt sie Beziehungen mit wichtigen Persönlichkeiten bei Hofe. Der Herrscher seinerseits – im Bewusstsein der Krise, in die er sein Reich gestürzt hat und die er vor allem auf seine eigenen Sünden zurückführt ‒ war mit seinen Truppen auf dem Weg nach Aragón und machte in Ágreda Station, um die Konzeptionistin kennenzulernen und ihren Schutz zu erbitten, der seine Unternehmungen innerhalb und außerhalb seines Herrschaftsgebiets legitimieren sollte. Das war der Beginn einer Korrespondenz aus über 600 Briefen, die König und Ordensfrau einander bis zu ihrer beider Todesjahr (1665) geschrieben haben. In ebendiesen Briefen fungierte die Bibel, aber insbesondere das Alte Testament, als Kompass, um dem Herrscher in seinen privaten und öffentlichen Sorgen die Richtung zu weisen. Sie führten ihm ein Herrschaftsmodell vor Augen, das ihm dabei helfen sollte, jene weltumspannende katholische Monarchie aufzubauen, die sich auf die Harmonie zwischen den Untertanen und den Kampf gegen die „Ungläubigen“ gründete: Muslime, Protestanten ‒ und Aufrührer. In einem Brief vom Dezember 1648 fand die Nonne aus Ágreda in den historischen und prophetischen Büchern – und insbesondere in der Episode vom Gastmahl des Belschazzar (Dan 5) – geeignete Worte, um Philipp IV. zu einem gerechten Krieg an der inländischen und internationalen Front zu ermutigen: In den heiligen Schriften findet man, dass Gott die Macht hat, mit Trompetenstößen wie mit einer Artillerie mächtige Mauern zum Einsturz zu bringen; aus wenigen schwachen Männern die stärksten Heere zu bilden; und mit Judits Arm viele Schwadronen zu beschämen und in die Flucht zu schlagen; der Wert der Waffen hängt nicht vom Stahl oder von der Menge, sondern von der Kraft Gottes ab. Ew. M. möge das Eure beitragen indem Ihr Gott Eure menschlichen Mittel zur Verfügung und Euch in seinen Dienst stellt, der schon die Waage in der Hand hält, um die Sitten der Vasallen zu maßregeln und an den Pflichten der Christen zu messen. Denn weil der König Belschazzar dies vernachlässigte und keine Gerechtigkeit walten ließ, zerstörte er ihm das Reich; der öffentliche Gebrauch dieser herausragenden Tugend war zu allen Zeiten vonnöten, denn die Gerechtigkeit der Könige ist der Friede der Völker, die Verteidigung des Heimatlandes, die Zuflucht des gemeinen Mannes, der Schutz der Nationen, die Freude der Menschen, das Staunen der Bösen, die Fruchtbarkeit der guten Sitten, der Trost der Völker und die Hoffnung auf Frieden; Daniel nämlich sagt, dass die Gerechtigkeit und der Friede sich vereinigt haben.14

Als seine geistliche Ratgeberin ersetzte María de facto Philipps Beichtvater, der eigentlich dafür zuständig gewesen wäre, das Gewissen des Königs zu lenken, und verstärkte

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in der Mystica ciudad anklingen lässt, ganz sicher bekannt (vgl. die Auflistung der dort zitierten Bibelstellen). Brief an Philipp IV. vom 18. Dezember 1648, in María de Jesús de Ágreda. Corrispondencia con Felipe IV. Religión y Razón de Estado (hg. v. Consolación Baranda; Madrid: Editorial Castalia/Instituto de la Mujer, 1991), 150f.; vgl. darin auch Consolación BARANDA, „Introducción“, 9‒46. Eigene Übersetzung.

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mit ihrer Stimme den Chor der Arbitristas und Vertreter der politischen Theologie.15 Sie wendete sich an ihren König, den das Bewusstsein bedrückte, mit seinen privaten Sünden Gottes Zorn entfacht zu haben, und zeigts ihm, auf welchem Weg er sein eigenes Heil und das Heil seines Volkes erlangen konnte. Nach dem Beispiel Baruchs, der beschreibt, wie sich der Mensch der gegen die göttliche Gerechtigkeit begangenen Sünden schämt,16 musste Philipp IV. seine eigenen Sitten und Verhaltensweisen sowie jene des Hofes ändern. Als Gegenmittel gegen die soziale Unzufriedenheit wurde er dazu angehalten Gerechtigkeit zu üben, die katholische Religion zu verteidigen und gegen die Ketzer zu kämpfen sowie mit der Entlassung seines Premierministers selbst sämtliche Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Vasallen, so schrieb María, sind korrupt, lasterhaft, eitel und bösartig; Spanien ist eine verkehrte Welt, in der die Mächtigen die Armen, Sünder wie Gerechte, verfolgen, eine Welt, in der die Stärke bejubelt und die Bosheit gepriesen wird. Diesen Übeln ‒ im Konkreten den Bürgerkriegen, die in den Städten Córdoba und Sevilla ausgebrochen waren, und allen Feinden, die gegen den Herrscher und das katholische Spanien kämpften ‒ konnte man nur mit dem Evangelium und dem Schwert begegnen. Dasselbe galt schließlich auch für Oliver Cromwell, dem Puritaner, der das protestantische England regierte und dem María den Tod wünschte17 – wie es der Prophet Jesaja vorschreibt, dessen Wort die gesamte Lebenswirklichkeit des jüdischen Volkes, seiner Könige und der Stadt Jerusalem umgreift. In diesem beständigen Bezug auf König David und die Gestalten des Alten Testaments spiegeln sich nicht nur die Erfahrung und Vertrautheit mit der Schrift, die den Beatas des Siglo de Oro vonseiten der Inquisition oft Verfolgung und Zensur eintrug,18 wider, sondern auch die Lektion, die man von Birgitta von Schweden gelernt hatte. Diese hatte im 14. Jahrhundert „dem spekulativen und exegetischen Prophetentum der Männer den Rücken gekehrt“19, sich zum Sprachrohr einer moralisierenden Strömung gemacht 15

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Zum Beichtvater Philipps IV., Juan de San Tomás, der das Zusammentreffen mit Mária de Ágreda befürwortete, vgl. Orietta FILIPPINI, La coscienza del re. Juan de santo Tomás, confessore di Filippo IV di Spagna (1643‒1644) (Florenz: Leo O. Olschki, 2006); Fernando NEGREDO DEL CERRO, „Gobernar en la sombra. Fray Antonio de Sotomayor confesor de Felipe IV“, Mágina 13 (Themenheft Entre el cielo y la tierra; hg. v. Maria Amparo López Arandia; 2009): 103‒112. Zum Phänomen der Arbitristas und der politischen Theologie vgl. CABIBBO, „Vizi e virtù di una ‘sociedad ensimismada’. Mária de Ágreda e la Spagna di Filippo IV“, Península. Revista de Estudios Ibéricos 3 (2006): 165‒172. Die Stelle aus dem Buch Baruch (3,4–8) kommt in der Mystica ciudad de Dios vor (vgl. die Auflistung der dort zitierten Bibelstellen). Brief vom 1. Juni 1652, in María de Jesús de Ágreda. Corrispondencia con Felipe IV, 173. Zu den Beatas und der Inquisition vgl. Angela MUÑOZ FERNÁNDEZ, Beatas y santas neocastellanas: ambivalencia de la religion correctora del poder (secc. XIV‒XVII) (Madrid: Dirección de la Mujer, 1994); Dones i monaquisme. Vida religiosa femenina a l’edat mitjana, L’Avenç 255 (Themenheft; Februar 2001), und darin den Beitrag von Maria Laura GIORDANO, „Entre violència i persuadió: El control inquisitorial de la religiositat femenina a l'Espanya del segle XVI“, 66‒73. Zur Inquisitionszensur allgemein vgl. Women and Inquisition (hg. v. Mary E. Giles; Baltimore/London: John Hopkins University Press, 1999). André VAUCHEZ, Le prophétisme médiéval d’Hildegarde de Bingen à Savonarola (Budapest:

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und so eine weibliche Herangehensweise an den heiligen Text begründet, die darin Antworten auf alle Fragen und Nöte der Gegenwart suchte.

2. Der Libro serrado Auf Birgitta von Schweden sowie andere Mystikerinnen und Prophetinnen des Mittelalters beriefen sich auch die Befürworter der Seligsprechung der kastilischen Konzeptionistin. Damit sind wir beim Thema des marianischen Immakulismus in María de Ágredas Hauptwerk angelangt, nämlich der Mystica ciudad de Dios. Diese wurde 1670 postum veröffentlicht und in den darauffolgenden Jahren in andere europäische Sprachen übersetzt. Sie war Quelle einer überaus hitzigen Debatte zwischen ihren Anhängern und ihren Gegnern, die sich bis Mitte des 18. Jahrhunderts fortsetzen sollte. Auch die schwedische Prinzessin hatte die Jungfrau Maria besonders verehrt, sich während einer Ekstase am Heiligen Abend 1344 sogar mit ihr identifiziert und eine mariozentrische Exegese der biblischen Texte verfasst.20 In den darauffolgenden Jahrhunderten fand diese Verehrung der Mutter Christi insbesondere unter den Nonnen und Charismatikerinnen weite Verbreitung. Diese legten – nicht zuletzt auf der Grundlage ihrer Vertrautheit mit den apokryphen Evangelien und insbesondere dem Protoevangelium des Jakobus ‒ gewissermaßen eine weibliche Neuinterpretation der religiösen Symbole vor und wiesen darin der Muttergottes sowie der heiligen Anna eine zentrale Bedeutung zu.21 In dieser Hinsicht ging Mária de Ágreda einen Schritt weiter und verfasste eine Biographie der Gottesmutter, die auf deren eigener Offenbarung beruht und jene Beziehung zwischen Gottheit und Seele, Meister und Schüler umkehrt, wie sie das Audi filia des Johannes von Ávila zum Ausdruck gebracht hatte. Sie schrieb nämlich: „Sprecht, Herrin, eure Dienerin hört“, und fügte hinzu, dass sie bei der Niederschrift der Worte der Himmelskönigin „nicht als Meisterin, sondern als Schülerin, nicht um zu lehren, sondern um zu lernen“, agiert habe.22 Im Traktat aus Ágreda kommen die Offenbarungen also weder von Christus noch von einem Mittler wie im Fall der Mechthild von Magdeburg, die im 13. Jahrhundert durch den Heiligen Geist von den „Geheimnissen“ der Jungfrau erfuhr.23 Hier ist es die

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Collegium Budapest, 1999), 24. Zur mariotypischen Interpretation bei Birgitta von Schweden vgl. Kari E. BØRRESEN, „La Scrittura nelle rivelazioni di Brigida di Svezia“, in Donne e Bibbia nel Medioevo (hg. v. ders. und Adriana Valerio; Trapani: il Pozzo di Giacobbe, 2011), 253‒264. Ángela MUÑOZ FERNÁNDEZ, „La reescritura femenina de los simbolos religiosos. Santa Ana en autoras hispanas de los siglos XV al XVII“, in Autoras y protagonistas (hg. v. Pilar Pérez Cantó und Elena Postigo Castellanos; Madrid: UAM/Instituto de la Mujer, 2000), 137‒156. „Hablad, pues, Señora, que vuestra sierva oye. No escriverè como Maestra, sino como Discipula; no para enseñar, sino para aprender.“ Ich zitiere aus der spanischen Ausgabe der Mystica ciudad de Dios (Madrid: Imprenta de la Causa de la Venerable Madre, 1750), 11. MECHTHILD VON MAGDEBURG, Das fließende Licht der Gottheit, III.4 (hg. v. Gisela Vollmann-Profe; Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, 2010), 143: „Wie unsere Herrin Sankt Maria sündigen konnte und wie nicht, das lehrt der Heilige Geist.“

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Mutter Christi selbst, die zur Prophetin wird und ihrer Gesprächspartnerin offenbart, dass sie von Gott die Gabe empfangen habe, „das so verschlossene Buch der Schrift“ zu verstehen. Diese Gabe wolle sie nun an die Nonne von Ágreda weitergeben, die damit selbst zur Prophetin wird. Auserwählt, um ein göttliches Wort zu übermitteln und verständlich zu machen, das bis dahin verborgen und unbekannt geblieben war, beschränkte sich die Konzeptionistin darauf die Inhalte der Offenbarungen schriftlich festzuhalten. Dies geschah freilich erst, nachdem ihr dies entsprechend den posttridentinischen Normen für die Klausur und zur Schreib- und Lesetätigkeit der Nonnen von ihrem Beichtvater genehmigt worden war. So verfasste sie 1636 in nur 20 Tagen die Erstfassung des Werkes. Dabei handelte es sich um einen Text, der 1644 auf Geheiß eines außerordentlichen Beichtvaters verbrannt wurde und den sie zwischen 1655 und 1660 auf die Anregung eines dritten Beichtvaters, des Franziskaners Andrés de Fuenmayor, ein zweites Mal niederschrieb. Es ist unmöglich zu entscheiden, ob sich die Dinge tatsächlich so ereigneten oder ob diese Geschichte von den beiden Niederschriften ein Kunstgriff war, den die Konzeptionistin selbst (und ihre Entourage) erdacht hatte, um sich den zahllosen Polemiken zu entziehen, die über die Ratgeberin des Herrschers und ihre Beziehungen zu einigen höfischen Kreisen in Umlauf waren. Diese Vorwürfe sollten in den Jahrzehnten nach ihrem Tod geradezu explosionsartig zunehmen, nämlich insbesondere dann, als die ersten Ausgaben und Übersetzungen des marianischen Traktats erschienen und man den mühsamen Prozess der Seligsprechung in die Wege leitete.24 Sicher ist aber, dass in der Handschrift, die in Ágreda aufbewahrt wird, und in der ersten gedruckten Ausgabe aus dem Jahr 1670, Folgendes geschrieben steht: Dem Willen des Herrn gemäß und nach Anordnung des Gehorsams habe ich diese heilige Geschichte zum zweiten Male geschrieben. Denn wegen der Überfülle und Fruchtbarkeit des Lichtes, in dem ich die Geheimnisse schaute, einerseits und wegen meiner großen Unfähigkeit anderseits war das erste Mal meine Zunge nicht fähig, die Ausdrücke waren nicht treffend, die Feder war nicht schnell genug, um alles zu sagen. Ich hatte einiges ausgelassen, zu dessen Erzählung ich jetzt, nach langer Zeit und vermöge neuer Erleuchtungen, mehr geeignet bin. […] Noch einen anderen Grund habe ich nebst diesem im Herrn erkannt; es ist folgender: als ich das erste Mal schrieb, hat der Stoff und die Ordnung dieses Werkes meine Aufmerksamkeit gar sehr auf sich gezogen; auch waren die Versuchungen und Beängstigungen so groß, die Stürme der Zerstreuungen und Einflüsterungen, die auf mich eindrangen, als hätte ich in Übernahme eines so schwierigen Werkes vermessentlich gehandelt, gingen so sehr über alles Maß, dass ich mich dazu verstand, es zu verbrennen.25 24

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Zu den Eingriffen der Politik und der Inquisition in das Leben der María de Ágreda vgl. MORTE ACÍN, Misticismo y cospiración. Zur komplexen Seligsprechungscausa, die sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinzog, ohne dass die römische Kurie das Seligsprechungsdekret erließ, und zur Rezeptionsgeschichte des marianischen Traktats vgl. Sara CABIBBO, „Memoriali, perizie, trattati. Scritture settecentesche per un’aspirante santa“, in Monaci, ebrei, santi. Studi per Sofia Boesch Gajano (Rom: Viella, 2008), 491‒510. Die Causa der franziskanischen Konzeptionistin wurde vor Kurzem wiederaufgenommen und ist bislang nicht abgeschlossen. „Einleitung zum Leben der Himmelskönigin“ in Mystische Stadt Gottes (Reussbühl/Luzern: Immaculata Verlag, 1968), 18.

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María glaubte also im Rückblick – und damit spricht sie den zeitweiligen Beichtvater von der Verantwortung frei, die Verbrennung der ersten Fassung veranlasst zu haben ‒, sie sei zu jung und unerfahren und so großen Versuchungen, Ahnungen und Ängsten ausgesetzt gewesen, dass sie die Offenbarung nicht vollständig habe begreifen können. Diese Offenbarung fasste sie nun mit der Reife ihrer 60 Jahre neu ab, ohne ihr jedoch untreu zu werden, denn die Erzählung der Jungfrau hatte sich, genau wie die göttlichen Worte, ihrer Seele klar und unauslöschlich eingeprägt und war ebendeshalb von ihr auch formal in drei Teile und acht Bücher untergliedert worden, die ihrerseits wieder in Kapitel unterteilt waren. In einer Prosa, die als eines der vorzüglichsten Beispiele für das weibliche religiöse Schrifttum des Siglo de Oro bezeichnet worden ist, ließ die Konzeptionistin das Leben der Mutter Christi Revue passieren und befasste sich dabei nicht nur mit dem Thema der Unbefleckten Empfängnis auf der Grundlage der scotistischen Lehre,26 sondern beschrieb überdies minutiös Episoden, Gemütszustände, Versuchungen und Gedanken aus jedem einzelnen Abschnitt im Leben der Jungfrau (von der Geburt bis zum Tod). Bei all seiner Einzigartigkeit sollte dieses Leben dennoch als Vorbild dienen. Richtschnur hierfür ist die „Lehre der Himmelskönigin“, wie María de Ágreda es nannte: eine Rede, die die Gottesmutter am Ende jeder Episode aus ihrem Leben und am Ende jedes Kapitels hält. Der Alltag der Maria von Nazaret wird hier zum Paradigma, an dem sich alle menschlichen Verhaltensweisen und Verhältnisse – von Männern, Frauen, Laien und Angehörigen des geistlichen Standes, Eheleuten, Eltern, Kindern, Regierenden und Untertanen, Befehlsempfängern, Eliten und der breiten Masse ‒ ausrichten sollten. Dabei ist die Entschlüsselung der Heiligen Schrift – und insbesondere der prophetischen und weisheitlichen Bücher – die von der Jungfrau vorgenommen und von der Feder der Konzeptionistin niedergeschrieben wird, der Kompass für ein Modell des Zusammenlebens in Familie und Gesellschaft, aus dem die Unordnung verbannt ist. Stattdessen herrschen in diesem Modell Gleichgewicht, Gerechtigkeit, Mäßigung, Nächstenliebe und alle christlichen Tugenden. Hierzu zählt auch die Tugend des Schweigens, die schon im Buch Jesus Sirach gepriesen wird (23,7ff.) und das Leben der „Himmelskönigin“ seit ihrer frühesten Kindheit begleitete. Denn leichtfertig dahingesagte Wörter sind ein zweischneidiges Schwert, das sowohl den Sprecher als auch den Zuhörer verletzt und beide daran hindert, die Tugend zu üben.27 Drei Jahre alt sei die Jungfrau gewesen, so die Konzeptionistin, als sie zum ersten Mal mit der Heiligen Schrift in Berührung kam. Ihre Vollkommenheit habe sie ihr Leben lang beständig aus dieser Quelle gespeist. Hier scheint sich María de Ágreda in gewisser Weise gegen die tridentinischen Vorgaben und gegen die Beschränkungen aufzulehnen, mit denen die kirchlichen Behörden die Bibellektüre reglementierten. Dahingehend stellte sie sich den Maßnahmen derer, die den Umlauf der Schrift in den Frauenklöstern 26

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Gaspar CALVO MORALEJO, „El escotismo de la Mistica ciudad de Dios y su influencia en el proceso de beatificación de la M. Ágreda“, in Giovanni Duns Scoto: studi e ricerche nel VII centenario della morte, Bd. II (hg. v. Martín Carbajo Nuñez; Rom: Pontificio Ateneo Antonianum, 2008), 257‒278. Mystische Stadt Gottes, I. Teil, I. Buch, 24. Hauptstück, 263f.

Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda

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unterbinden wollten, das Exemplum ihrer himmlischen Gesprächspartnerin entgegen. Ihr, der Ersten und Vornehmsten aller Frauen, war es von Gott gestattet worden, die Schrift auszulegen und prophetisch zu reden. Damit ist sie gleichzeitig die Stammmutter einer Reihe von Charismatikerinnen, die die Geheimnisse des heiligen Texts in der Erdenzeit enthüllt hatten – und weiterhin enthüllten, wie Karl II. von Spanien an Alexander VIII. schreiben sollte –, um aus dem Schweigen und dem Nichtgesagten der Bibel alle „Ereignisse und Taten aus dem Leben der Allerseligsten Jungfrau“ zutage zu fördern. Sie waren „in den vergangenen Jahrhunderten verborgen“ geblieben, „weil die Väter und die Gläubigen der frühen Kirche eine solche Sorgfalt entweder gemäß dem Willen der göttlichen Vorsehung oder gemäß dem Geheimnis ihrer allerhöchsten Ziele nicht haben walten lassen.“ Hildegard, Mechthild, Birgitta, Katharina von Siena, Gertrud, Elisabeth von Portugal, Lutgard, Lidwina, Marie d’Oignies – so der Herrscher weiter – waren Glieder in dieser Kette von Prophetinnen,28 zu der im 17. Jahrhundert María de Ágreda hinzugekommen war. Sie hatte gleichsam als prophetisches Spiegelbild der prophetischen Gaben der Jungfrau in deren irdischem Leben, in den kleinen und großen Freuden und Leiden, die die ohne Erbsünde Empfangene erlebt und beherrscht hatte, die Grundlage für ihre eigene Identifizierung mit der „Himmelskönigin“ und das Vorbild gefunden, das sie sich selbst, den anderen Ordensschwestern und den weltlichen Frauen vor Augen halten konnte. Die Gottesmutter selbst enthüllte durch die Erzählung ihrer eigenen Lebensgeschichte, die in den kanonischen Texten verborgen geblieben war, die Geheimnisse der Vorsehung. Sie gewährte der franziskanischen Konzeptionistin Einblicke in die Bücher des Alten und des Neuen Testaments, sodass sie in den Worten der Propheten sowie in der Erzählung der Evangelisten den Schlüssel fand, um die Gegenwart zu erschließen und deren Fehler zu korrigieren. Der Alltag der Jungfrau, ihr Temperament, in dem das Verhältnis der vier Körpersäfte so ausgeglichen war, dass sie körperliche Beschwerden und Schmerzen ertrug, ihre Spiele als kleines Mädchen im Haus von Anna und Joachim, ihre Beziehung zu Josef, dem sie aus Respekt, wie er jedem Mann vonseiten seiner Frau gebührte, sogar Fleischspeisen zubereitete, während sie und Christus sich von Gemüse ernährten,29 die Bindung 28

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Das Zitat stammt aus dem Memoriale, mit dem der spanische Herrscher den Papst 1691 ersuchte, die Zensur aufzuheben, die das Heilige Offizium über die Mystica ciudad de Dios verhängt hatte. Zu der Handschrift, die in Kopie beim Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre aufbewahrt wird, vgl. CABIBBO, „Una profetessa alla corte di Spagna“, 90. Zur Gestalt des Josefs im Traktat von Ágreda vgl. François BONFILS, „‘Sustentar la vida humana’: San José trabajador en la Mística ciudad de Dios de María de Ágreda“, Les cahiers de Framespa 1 (2005) (http://revues.org/408; Zugriff am 15.05. 2018). Durch das Bild des Bräutigams der Jungfrau werde, so Bonfils, die Arbeit als einer der Grundbestandteile des geistlichen Lebens dargestellt und so eine Theologie der Arbeit formuliert, die in der ältesten mönchischen Tradition wurzele und aus der die Ratgeberin Philipps IV. das Musterbild eines Arbeiters in der neuen Stadt Gottes ableite. Es ist durchaus vorstellbar, dass María von Ágreda sich in ihrer Darstellung der Gestalt des Josefs auf die apokryphe Tradition und namentlich auf das PseudoMatthäus-Evangelium und Die Geschichte von Joseph dem Zimmermann stützen konnte.

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Sara Cabibbo

an ihren Sohn und die Jahre nach seiner Kreuzigung wurden so zu einer Grundlage, auf der die Konzeptionistin von Ágreda ihre eigene Historia Salutis schrieb. An den Rand ihres Manuskripts notierte sie diejenigen Bibelstellen, in die sie dank der Erzählung des Alltagslebens der Jungfrau Einblick gewonnen hatte: ein biblisches Repertoire vom Pentateuch über die historischen, weisheitlichen und prophetischen Bücher bis hin zum Neuen Testament (Evangelien, Apostelgeschichte, Paulusbriefe, Pastoralbriefe, katholische Briefe), das von den Agredistas gefeiert und in einer graphologischen Expertise des Manuskripts aus Ágreda genauer quantifiziert wurde.30 Während andere es zensierten und verlachten, weil sie – wie Bossuet – der Ansicht waren, die Mystica ciudad de Dios sei lediglich eine Ansammlung von Wahnvorstellungen, die im Schatten der spanischfranziskanischen Neoscholastik durch eine Mischung aus unkorrekter Schriftkenntnis und gefährlicher Apokryphenlektüre entstanden seien.31 Diese Kreuzung aus Bibelkenntnis und biblischer Exegese, apokrypher Literatur und marianischem Konzeptionismus macht die besondere und außergewöhnliche Physiognomie der María de Ágreda aus, deren zutiefst vom Kodex des spanischen Barock geprägte Schriften die Rolle der politischen Prophetie und das Selbstwertgefühl der Frauen als Mittlerinnen der göttlichen Botschaft zutage treten lassen. Die irdische Biographie der Jungfrau trug, wie schon erwähnt, ganz sicher dazu bei, die umstrittene Lehre von der Unbefleckten Empfängnis zu stärken, und stellte einen Präzedenzfall dar, der im Zeitalter von Aufklärung und Säkularisierung zu jener Blüte der marianischen Erscheinungen und Offenbarungen beitragen sollte, die, in Vorwegnahme der Wiederkunft Christi, das marianische Zeitalter einläuteten.32

30

31

32

Ein kalligraphisches Gutachten über die Handschrift aus Ágreda, das 1750 auf Anordnung Benedikts XIV. durch drei spanische Chirographen erstellt wurde, ergab, dass in dem Werk auf Stellen aus folgenden biblischen Büchern verwiesen wurde: 8 aus dem Buch Genesis, 7 aus Exodus, 1 aus Leviticus, 2 aus Numeri, 1 aus Deuteronomium, 1 aus Josua, 1 aus Richter, 4 aus Könige, 1 aus den Paralipomena (Chroniken), 1 aus Judit, 1 aus Ester, 16 aus den Psalmen, 7 aus Sprichwörter, 6 aus Kohelet, 37 aus dem Hohelied, 10 aus dem Buch der Weisheit; Evangelienstellen: 16 aus Matthäus, 1 aus Markus, 18 aus Lukas, 10 aus Johannes, 1 aus der Apostelgeschichte; Paulusbriefe: 5 aus Römer, 10 aus Korinther, 1 aus Epheser, 2 aus Philipper, 1 aus Kolosser, 1 aus Timotheus, 3 aus Hebräer; katholische Briefe: 1 aus Jakobus, 3 aus Petrus; 3 aus der Offenbarung. Den Experten zufolge hatte die Konzeptionistin zudem zahlreiche Stellen aus den Büchern Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel vor Augen. Eine Auflistung der Bibelstellen, die die modernen Editionen der Mystica ciudad de Dios ausfindig gemacht haben, findet sich im Anhang zu diesem Beitrag. Gleich nach der Anfertigung und Veröffentlichung der französischen Übersetzung des Traktats aus Ágreda (1695) verfasste Jacques Bénigne Bossuet die Remarques sur le livre intitulé La mistique cité de Dieu (1696), dessen feindselige Haltung gegenüber dem Traktat aus Ágreda schon bald auf andere französische Intellektuelle und auf die theologische Fakultät der Sorbonne übergriff. Vgl. hierzu CABIBBO, Memoriali, perizie, trattati, 497‒502. Marina CAFFIERO, „Introduzione“ zu La costruzione dell’identità profetica, 16.

Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda

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Liste der Bibelstellen in der Mystica ciudad de Dios33 Gen 1,1‒5 (2); 1,3; 1,6‒8; 1,9‒13; 1,16; 1,20‒23; 1,24‒25; 1,26 (3); 1,27 (2) 1,31; 2,1‒ 3; 2,7; 2,8; 2,10; 2,16‒17; 2,18; 2,21; 2,23; 2,24; 3; 3,1ff. (3); 3,4; 3,5; 3,6 (2); 3,8; 3,15 (15); 3,16; 3,17‒18; 3,18; 3,19 (2); 3,24; 4,9; 4,10; 5,29; 8,9; 9,13; 9,25; 13,16; 14,18; 15,16; 15; 15,5; 17; 17,12; 18, 1‒2 (2); 18,3; 18,27 (7) 19,16ff..; 19,26; 21,6; 22,1ff. (4) 22,2; 22,10ff.; 22,16‒18 (3); 25,5‒6; 27,28 (2); 27,29; 28,12 (5); 28,17; 32,37; 34,1ff.; 40; 41; 41,1ff. (3); 49,10; 189,27. Ex 1,11; 2,2; 3,2 (6); 3,5; 3,14 (2); 12,1ff.; 12,5‒7; 12,46; 13,2; 13,12 13,21; 15,1; 15,4; 16,13ff.; 16,14; 17,6; 20,5; 23,17; 23,20; 25,10; 25,11; 26,34; 30,24; 31,18 (4); 32,19; 33,11 (2); 33,13; 33,20; 34,1 (2); 34,9; 34,29‒30 (4); 40,26‒29. Lev 6,5‒6 (2); 6,6; 6,11; 12,2; 16,12; 20,10; 23,10. Num 10,34; 12,3; 20,11; 21,8; 23‒24; 24,17 (3); 20,28. Dtn 1; 2; 2,1ff.; 2,34; 3,53; 4; 4,1; 5; 5,5; 5,22 (2); 6,4; 6,5 (2); 6,5‒8; 6,13; 7,14; 8,3; 9,25; 9,26; 9,27; 10,1; 12,5; 12,5‒6; 14,36‒37; 16,1ff.; 18,15; 21,23; 22, 23‒24; 32,1ff.; 32,4; 32,42; 34,6. Jos 3,14; 10,12‒13. Ri 1,17 (2); 2,2ff.; 2,6; 2,19 (2); 14,14; 16,30. 1 Sam 1,1ff.; 2,1ff.; 2,2; 2,3; 2,6‒7 (2); 2,8 (2); 3,10 (4); 3,20; 13,14; 15,22; 17,41; 17,45; 16,7. 2 Sam 6,1; 6,6‒7; 6,10; 6,11; 6,12; 7,6; 7,12. 1 Kön 2,19; 2,21; 3,4; 3,5; 6; 7;8; 8,6 (2); 8,27 (2); 17,6; 19,11; 19,3; 19, 6‒8 (2); 19,11‒ 13; 18,36. 2 Kön 4,18‒37; 17,24‒25. 1 Chr 13,14; 17,5; 21,1; 22,5ff.; 29,11. 2 Chr 6,18 (2). Tob 4,7‒8; 10,5; 12,7 (9); 12, 8‒9; 13,14. Jdt 9,1ff.; 10,19; 13,2; 13,4‒7; 13,8; 13,18; 15,9. Est 1ff.; 1,3; 1,10ff.; 2,9; 4,7b; 4,17c; 4,17ff.; 4,11 (2); 4,16; 4,17; 4,17b; 5,1f; 5,2; 5,3; 6,10; 7 (2); 7,1‒6; 7,3 (3) 7,3‒4; 7,9; 8; 8,2. 2 Makk 1,4; 9,23; 14,35 (3); 14,44. Ijob 1,2; 1,6ff.; 1,8‒11; 2,10; 5, 6‒7; 7,1; 9,4ff.; 10,8 (2); 10,9; 10,21; 10,21‒22; 14,2; 15,5; 17,3; 19,21; 19.26‒27; 21,13; 25,5; 26,11 (2); 28,25 (2); 29,15; 31,1; 31,4; 31,18; 32,8‒9; 40,23 (6); 41,18‒19; 41,19; 41,21; 41,25. Ps 1,2 (2); 2,7 (2); 2,10‒11; 2,18; 4,2; 4,3 (8); 7; 7,12; 8,2; 8,5; 8,6; 8,5‒6; 8,6‒7; 9; 9,9; 9,11; 9,17; 10,5; 13,4; 15,10; 16,8; 16,15; 17,3; 17,5 (3); 17,5‒6 (2); 18,2; 18,7; 18,8; 18,8‒9; 18,9; 18,10‒11; 18,11; 20,4 (6); 20,40; 21 (2); 21,7 (2); 21,7‒8; 21,17; 21,17‒ 18; 21,17‒19; 21,19 (2); 21,27; 22,3; 23,1‒2; 23,7 (2); 23,7‒10; 23,8 (3); 23.9; 23,10 (3); 24,15; 26,1; 26,3; 26,11; 30,4; 30,11; 30,16; 30,20; 32,18; 33; 33,8; 33,9 (3); 33,16; 33,18‒20; 33,19; 35,9 (3); 36,23; 36,31; 36,35; 37,10 (8); 37,11; 39,5; 40,10; 41,2 (2); 33

Ich habe diese Auflistung auf der Grundlage der Verweise in der italienischen Ausgabe der Mistica città di Dio (2 Bde.; Assisi: Edizioni Porziuncola, 2002) erstellt. Die Zahlen in Klammern geben an, wie häufig die betreffende Stelle zitiert wird.

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Sara Cabibbo

41,4 (2); 41,8; 41,8 (3); 44,3 (11); 44,5; 44,8; 44,10 (5); 44,11 (8); 44,12 (2); 44,11‒12; 44,14; 44,14‒15; 44,15 (2); 44,15‒16; 44,16; 44,17; 45,5 (8); 48,7; 48,13 (3); 48,17; 50,7; 50,8 (3); 50,19 (4); 51,9; 54,7‒8; 54,20; 54,23; 56,7 (2); 56,8 (3); 57,6‒7; 58,11; 61,9 (2); 61,10; 61,12; 62,10; 64,5; 65,12; 67,1; 68,2 (2); 68,5; 68,21; 68,22; 68,27; 70,11 (2); 71,8; 71,9‒11; 71,10 (3); 71,17; 72,5; 72,26; 73,19; 73,23 (2); 72,26; 73,19 (2); 73,22; 77,12; 77,24‒25; 77,25 (2); 77,26‒27; 79,4; 80,13; 83,8 (2); 84,11; 85,9 (2); 86,1 (3); 86,3; 88,1; 88,12 (2); 88,48‒49; 89,10; 90; 90,11 (2); 90,11‒12 (2); 90,12 (6); 90,15 (4); 91,14; 92,4 (2); 92,5; 93,1‒2; 93,11; 95,5; 95,11;101,18; 102,5; 102,14; 103,9; 103,24; 104,15; 107,2; 108,8; 109,1 (4); 109,2; 109,3 (3); 109,4 (3); 109,5; 109,6; 109,7 (2); 110,118; 111,4; 112,1; 112,5 (4); 112,5‒6 (4); 112,6; 112,7 (6); 112,7‒8; 112,8; 113b,3; 113b,5‒6; 113b,16; 114; 114,3; 115,1; 115,12 (2); 115,13; 115,15 (2); 118; 118,27; 118,67; 118,68; 118,71; 118,85; 118,93; 118,105 (3); 118,111; 118,120 (3); 118,133 (2); 118,137; 118,137 (2); 118,142; 118,145‒146; 118,176; 119,5‒6; 119,6‒7; 120,4 (6); 120,5; 120,7; 122,2 (3); 125,5 (7); 127,3; 127,5; 129,7; 129,7; 130,1 (2); 131,11 (2); 133,1; 135,25; 137,6; 137,8 (2); 138,7; 140,3 (2); 141,2‒3; 141,3 (2); 141,8; 143,4; 143,5; 144,15 (5); 144,16; 144,17; 144,18; 145,3; 146,4 (2); 146,9; 147,20 (2). Spr 1,8; 1,17; 3,5‒7; 3,7 (3); 3,12 (4); 4,11; 4,18; 6,1‒2 (2); 6,27; 8,1‒3; 8,15‒16 (2); 8,18‒21; 8,20; 8,20‒21; 8,22‒31; 8,30; 8,31 (5); 9,1; 9,1‒6; 9,10; 10,1; 10,19; 13,24; 14,13; 15‒ 16; 15,33; 16; 16,2; 16,4; 16,9; 21,1; 21,2; 21,28; 21,30; 28,8; 28,14; 29,18; 30,8; 31,6; 31,10ff. (2); 31,10 (3); 31,11 (8); 31,11‒12 (2); 31,13; 31,14 (4); 31,15; 31,16 (3); 31,17 (5); 31,17.19; 31,18 (2); 31,19 (2); 31,19‒20 (2); 31,20 (2); 31,21 (5); 31,22; 31,23; 31,24; 31,25 (3); 31,26 (2); 31,27 (3); 31, 28‒29; 31, 29‒31; 44,3; 96,3. Koh 1,7; 1,14 (2); 1,18 (2); 3,5; 4,9; 4,12 (2); 5,9 (2); 7,28‒29; 9,1; 9,3; 10,1; 11,3. Hld 1,2 (2); 1,3 (4); 1,3‒4 (4); 1,4 (2); 1,6; 1,7 (3); 1,11; 1,12 (4); 1,12‒13.16; 1, 15‒16; 1,16 (2); 2,2; 2,3 (3); 2,4 (5); 2,4‒5; 2,5 (3); 2,6ff.; 2,6 (2); 2,6‒7; 2,7; 2,9 (2); 2,10 (2); 2,10‒ 11; 2,11‒12; 2,12; 2,14 (4); 2,16 (4); 2,16‒17; 2,17; 3,1‒2 (2) 3,2; 3,2‒4; 3,3; 3,4 (7); 3,6; 3,7 (4); 3,7‒8; 3,9; 3,10; 3,11; 4,1 (2); 4,3; 4,4 (3); 4,7 (2); 4,9 (14); 4,11; 4,12; 4,13; 5,1; 5,2 (5); 5,5; 5,6; 5,7; 5,7‒8; 5,8 (2); 5,10 (2); 5,14; 6,3; 6,4; 6,5; 6,9 (8); 6,10 (6); 7; 7,1 (3); 7,2 (6); 7,6; 7,7; 7,11; 7,12; 7,12‒13; 8,1; 8,2 (2); 8,5 (4); 8,6 (8) 8,7 (13); 8,8‒ 9; 8,9; 8,14; 13. Weish 1‒2; 1,4 (3); 1,6; 1,11; 1,12; 1,13‒14; 2,17ff.; 2,20 (4); 2,21; 2,21‒24; 2,24 (2); 4,12 (2); 5,4; 5,9; 6,12‒16; 5,16; 5,17 (3); 5,18; 6,3; 6,13; 6,13‒14; 6,14 (2); 7,11 (3); 7,13 (6); 7,15 (7); 7,17‒20; 7,17‒21 (2); 7,22; 7,22‒23; 7,25 (3); 7,26 (2); 7,27; 7,30; 8,1 (3); 8,2; 8,16; 8,19; 9,15 (4); 10, 8,1; 11,20 (10); 11,24; 12; 16,20.21; 17,20; 18,14; 27. Sir 1,6; 2,17; 2,11; 4,28; 9,20; 11,4; 6,34‒35; 11,14; 15,2; 15,3; 15,4; 15,14 (3);15,14ff.; 15,16; 15,16‒17 (2); 15,17; 17,2; 17,7; 17,8; 18,1; 18, 1‒4; 18,25; 19,27; 22,6; 24,3‒12; 24,9; 24,16‒21; 24,23; 24,24 (5); 25; 26,15; 31,8; 32,13; 35,17; 36,5 (2); 42,16; 42,22; 43,24 (2); 43,30; 51,2; 51,3‒6; 51,19‒20. Jes 1,3 (3); 3,10; 5,29; 6,2‒3; 6,3 (3); 6,5; 6,6‒7; 6,7; 6,10; 7,14 (9); 8,14; 9,1 (5); 9,3; 9,5; 9,5; 9,6; 9,5‒6; 11,1; 11,2 (2); 12,1; 12,3 (6); 14,2; 14,10‒13; 14,11; 14,12; 14,12‒ 15; 14,13 (2); 14,15; 14,25; 16,1; 16,6 (4); 19,1; 19,1ff. (2); 22,22; 24,2 (2); 24,13; 26,10; 30,18; 30,20; 30,26; 30,27; 33,22; 35,4; 38,10; 38,14 (2); 40,3 (2); 40,5 (2); 40,12 (3); 42,3; 42,5; 44,24; 45,15; 51,9; 52,10 (3); 53; 53,2 (2); 53,2‒3; 53,3; 53,3‒4; 53,3ff. (2);

Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda

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53,4 (2); 53,6; 53,7 (4); 53,9; 53,11; 55,1 (2); 55,9 (4); 56,8; 60,6 (2); 61,1‒3; 62,11; 64,3 (4); 64,7; 66,1. Jer 2,13 (3); 2,26; 8,23; 9,22; 11,18‒19; 11,19 (11); 15,19 (3); 17,10; 17,11; 17,13; 15,19; 23,5 (2); 23,5‒6; 23,24 (2); 31,15 (2); 31,33 (2). Klgl 1,2; 1,4; 1,12 (4); 3,1ff.; 3,28; 3,30; 4,1 (2); 4,4 (2). Bar 3,14 (2); 3,15; 3,16‒17; 3,17; 3,23; 3, 29‒31; 3,37; 3,38 (6); 6,44ff.. Ez 20,11; 30,13; 33,11; 34,23 (2); 34,23‒24; 34,25; 37,10; 44,2. Hos 2,16 (2); 2,21‒22; 11,1 (2); 11,4 (2); 13,14 (2). Joel 1,4. Am 3,7. Mi 5,1 (4). Hab 3,2‒7. Zef 1,15. Hag 2,8. Sach 3,1; 9,9 (2); 12,10.12; 13,6; 13,7. Mal 3,4; 3,20 (5); 3,23. Mt 1,1ff.; 1,19 (2); 1,20 (2); 1,20‒21; 1,21 (2); 1,23; 2,1; 2,1‒3; 2,1‒6; 2,2; 2,7; 2,8; 2,9; 2,11 (3); 2,12 (2); 2,13 (3); 2,14 (2); 2,15; 2,16 (4); 2,19; 2,19‒20; 2,22; 2,23; 2,29‒32; 3,1.6; 3,3 (2); 3,4; 3,7; 3,9; 3,13; 3,14; 3,15; 3,17 (3); 4,1ff.; 4,3 (2); 4,4 (3); 4,6; 4,7; 4,9; 4,10; 4,11; 5,1ff.; 5,1‒10; 5,3 (2); 5,4; 5,5; 5,6; 5,7; 5,8; 5,9; 5,10; 5,11; 5,14‒15; 5,17 (5); 5,18; 5,17‒18; 5,19; 5,39; 5,44 (5); 5,45 (3); 5,48 (2); 6,3; 6,5; 6,9; 6,12; 6,21 (2); 6,22; 6,21‒22; 6,24 (2); 6,25 (3); 6,25ff.; 6,26; 7,1;7,1‒2; 7,6; 7,12; 7,14 (2); 7,15; 7,21; 8,20 (2); 8,23‒27; 8,26; 8,27; 8,29; 9,6; 9,12‒13; 10,16; 10,21‒22; 10,22; 10,32; 10,38; 10,41; 10,42; 11,5 (3); 11,9; 11,11, 11,12 (3); 11,15; 11,25 (6); 11,25‒26; 11,28 (2); 11,29 (3); 11,30 (4); 12,22ff.; 13,3‒9; 13,17; 13,19; 13,24‒30 (2); 13,25 (5); 13,35; 13,44‒46; 13,44 (2); 13,44‒46; 13,45‒46; 13,47‒50; 13,52 (4); 14,3; 15,1; 15,14; 15,26; 16,17; 16,18 (3);16,18‒19; 16,20; 16,24 (7); 16,28; 17,1; 17,1ff.; 17,2; 17,5 (7); 17,1‒8; 17,6; 17,6‒7; 17,20; 18,1; 18,7 (3); 18,8‒9; 18,10 (4); 18,11; 18,12;18,18; 18,20 (3); 18,22; 18,32‒33; 18,35; 19,3‒9; 19,24; 19,27; 19,29 (2); 20,16; 20,17‒19; 20,18; 20,22; 20,28 (3); 21,1ff.; 21,12; 21,12‒13; 21,33; 21,42; 21,44; 22,14 (3); 22,21; 22,37; 22,40; 23,4; 23,8‒9; 23,9; 23,12 (2); 23,51ff.; 24,35 (7); 24,45; 25,1ff.; 25,1‒3 (2); 25,12; 25,14ff.; 25,15; 25,14‒30; 25,21 (4); 25,21.23; 25,34; 25,34.41; 25,40 (3); 25,41; 26,2; 26,3‒4; 26,5; 26,6; 26,6ff.; 26,10‒12; 26,14‒15; 26,17; 26,31 (3); 26,36; 26,38 (2); 26,39; 26,44; 26,48; 26,53‒54; 26,55; 26,56; 26,57; 26,58; 26,59; 26,61; 26,63; 26,64; 26,65‒66; 26,66; 26,72; 26,74; 27,4; 27,5; 26,67‒68; 27,1; 27,16ff.; 27,18; 27,19 (3); 27,24; 27,25; 27,27ff.; 27,32; 27,34; 27,40; 27,42; 27,45; 27,46 (2); 27,49; 27,52; 27,54; 27,59; 27,60; 27,62‒66; 27,65‒66; 28,2‒4; 28,3; 28,5‒6; 28,9; 28,9‒10; 28,10; 28,11‒ 15 (2); 28,13; 28,16‒17; 28,18 (2); 28,19 (5); 28,19 (6); 28,20. Mk 1,3; 1,6; 3,14‒15; 3,17; 3,35; 5,1; 6,17; 6,17‒26; 6,27; 9,2ff.; 9,23; 10,21; 10,30; 11,1ff.; 11,15‒17; 12,30; 12,32; 14,2; 14,3ff.; 14,4; 14,12; 14,19; 14,30; 14,33; 14,34; 14,36; 14,37; 14,40; 14,45; 14,48‒49; 14,56; 14,58; 14,60; 14,61; 14,65 (2); 14,67; 14,68; 14,72; 15,40‒41; 15,4‒5; 15,16; 15,21; 15,23; 15,47; 16,1‒2; 16,2; 16,3; 16,5; 16,7; 16,14; 16,16; 16,18; 16,17‒18.

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Sara Cabibbo

Lk 1,13; 1,15 (3); 1,17 (3);1,20; 1,26‒27; 1,28 (2);1,29 (2); 1,30; 1,31; 1,30‒32; 1,32‒ 33; 1,33; 1,34; 1,35; 1,36 (2); 1,36‒37; 1,38 (9); 1,39; 1,39 (7); 1,40; 1,41; 1,42 (4); 1,42‒45; 1,43; 1,44; 1,45 (2); 1,46‒55; 1,48 (11); 1,48.51; 1,49.51‒52; 1,51; 1,56; 1,58; 1,59‒61; 1,62‒ 65; 1,65‒66; 1,68; 1,68‒79; 1,73; 1,76 (2); 1,78; 1,79 (3); 2,1; 2,7; 2,9; 2,13‒14; 2,14; 2,15‒17; 2,18; 2,19 (4); 2,21 (3); 2,22ff.; 2,24; 2,25‒27; 2,27; 2,28; 2,29‒ 32; 2,33; 2, 34‒ 35; 2,34; 2,35 (2); 2,36‒37; 2,38; 2,39 (2); 2,40 (2); 2,41‒45; 2,46; 2,48 (2); 2,49; 2,50; 2,51 (3); 2,52; 2,51‒52; 3,1‒3; 3,4; 3,8; 3,22; 3,23; 4,6; 4,18 (2); 4,28‒ 30; 4,32; 4,34; 4,35; 6,13; 6,19; 6,38; 6,41; 6,48; 7,22; 7,26; 7,36‒38; 7,47; 8,2‒3; 8,8 (3); 8,12 (2); 8,14; 8,21; 8,28; 9,12; 9,28; 9,32; 9,51; 10,1.9; 10,2; 10,8 (2); 10,16 (7); 10,18; 10,17‒20; 10,24; 10,27; 10,38‒42; 10,40; 10,41‒42; 10,42; 11,9; 11,21; 11,21‒ 22 (2); 11,22; 11,27; 11,28; 12,7; 12,35; 12,49 (5); 13,1; 13,16; 14,7‒11; 14,10 (6); 14,11; 14,33; 15; 15,4‒5; 15,7; 15,8 (3); 15,9; 15,10 (2); 16,8; 17,2; 17,4 (2); 17,5; 17,10; 17,21; 18,14; 19,10 (2); 19,22; 19,28ff.; 19,45‒46; 21,18; 22,9; 22,12; 22,17; 22,21‒23; 22,31 (3); 22,40; 22,42; 22,44 (2); 22,52‒53; 22,53 (2); 22,58; 22,59; 22,61; 22,63‒65; 22,64; 22,66; 22,67‒69; 22,70; 22,71; 23,2.5; 23,4; 23,5‒6; 23,7; 23,8; 23,9; 23,10‒11; 23,12; 23,14‒16; 23,18; 23,22‒23; 23,24; 23,28‒31; 23,28‒31; 23,34 (2); 23,40‒42; 23,43 (2); 23,46 (3); 23,48; 23,50‒51; 24,5‒7; 24,9‒11; 24,13; 24,16; 24,18‒24; 24,25‒ 26; 24,26; 24,26 (5); 24,27; 24,34; 24,36 (2); 24,38‒39. Joh 1,1; 1,2‒3; 1,5; 1,6‒7; 1,7; 1,9 (4); 1,14 (3); 1,16 (2); 1,19 (3); 1,20; 1,23; 1,29 (9); 1,30‒31; 1,32; 1,33‒34; 1,35‒40; 1,36 (2); 1,42; 1,43; 2,13ff.; 2,1‒2; 2,3; 2,4 (3); 2,5; 2,10 (2); 2,11; 2,11‒12; 2,12; 2,13‒17; 2,14‒16; 2,16; 2,19; 3,5; 3,10; 3,16 (5); 3,19; 3,22; 3,29; 3,30; 3,35; 4,2; 4,6; 4,14; 4,16; 4,23 (4); 4,24 (2); 5,19‒23; 5,22 (4); 5,27 (2); 5,35; 5,39; 6,35; 6,38; 6,38‒39; 6,44 (2); 6,46; 6,48; 6,56; 6,57; 6,68 (5); 7,19; 7,30; 7,37; 8,12 (4); 8,44 (2); 8,59; 10,4.14; 10,10 (2); 10,14; 10,15; 10,28‒29; 10,30 (4); 11,1ff.; 11,19; 11,47ff.; 11,49‒50; 11,49‒52; 11,50; 11,51‒52; 11,54; 12,1ff.; 12,1‒2; 12,3; 12,4‒6; 12,12ff.; 12,24; 12,26; 12,28; 12,31 (3); 12,32 (2); 12,35 (2); 12,36; 12,46; 12,49; 13,1 (2); 13,3 (5); 13,4; 13,5; 13,4‒5; 13,6; 13,7; 13,8 (2); 13,9; 13,10, 13,12‒16; 13,21‒26; 13,25‒26; 13,34; 14,1‒2; 14,2; 14,6 (10); 14,6‒7; 14,9; 14,13; 14,16 (2); 14,23 (2); 14,26; 14,30; 15,12 (2); 15,13; 15,15; 15,19; 15,26; 16,7; 16,9; 16,12; 16,23; 16,28; 17,3; 17,12 (2); 17,21 (2); 17,26; 18,1; 18,4‒5; 18,5; 18,6; 18,7‒9; 18,8; 18,9; 18,10; 18,11; 18,13; 18,14; 18,15; 18,16; 18,17; 18,18; 18,19 (2); 18,20‒21; 18,22; 18,23; 18,28; 18,28‒30; 18,31; 18,33‒40; 18,36; 18,37 (2); 18,38; 18,39; 19,1ff.; 19,4ff. (2); 19,5; 19,6; 19,6‒7; 19,10; 19,11; 19,12, 19,14‒15; 19,21; 19,22; 19,23; 19,24; 19,25; 19,26 (4); 19,26‒27 (2); 19,28 (2); 19,30 (3); 19,31; 19,31‒35; 19,38; 19,39; 19,40; 19,41; 20,1; 20,13; 20,15‒16; 20,16; 20,17 (3); 20,19; 20,21; 20,22‒23; 20,24‒25; 20,26; 20,27; 20,28; 20,29; 20,30‒31 (2); 21,1‒4; 21,5‒ 6; 21,7; 21,7‒8; 21,9‒13; 21,15‒17; 21,18; 21,20; 21,21‒22; 21,23; 21,25. Apg 1,3; 1,4; 1,6‒8; 1,9; 1,10; 1,11; 1,12‒13; 1,14; 1,15; 1,18; 1,15‒22; 1,23‒26; 2,1; 2,2‒4; 2,6; 2,7‒11; 2,13; 2,14‒36; 2,37‒41; 2,38; 2,44‒45; 3,4; 4,4; 4,36‒37; 5,1‒11; 5,2ff.; 5,3; 5,12; 5,14; 5,17‒18; 5,19‒21; 5,34‒39; 5,40‒41; 6,1; 6,2‒6; 6,8‒10; 6,11; 6,15 (2); 7,14; 7,54; 7,56 (2); 7,57‒58 (2); 7,59 (2); 7,60 (2); 8,1‒3 (2); 8,1; 8,1‒3 (2); 8,4 (2); 8,26‒40; 8,14; 8,14; 8,17 (3); 8,26‒40; 8,40; 9,1‒2; 9,4‒5; 9,15‒16; 9,17; 9,21; 9,22‒23; 9,23‒27; 9,30; 9,31; 9,32‒43; 10,43; 10,44; 11,15; 12,1‒2; 12,3‒4; 12,5‒11; 12,12‒19; 12,19‒23; 12,24; 13,22; 13,46; 14,8ff.; 15,1ff.; 15,5‒6; 15,28; 17,27; 17,27‒

Bibel und marianischer Konzeptionismus in den Schriften der María de Ágreda

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28; 17,28 (5); 17,30; 19,16; 19,23‒24; 20,1; 20,28; 20,30; 22,17‒18; 23,1‒3; 26,14; 28,3‒6. Röm 1,20 (2); 1,23; 2,5 (2);2,8; 3,23; 4,11; 4,18 (3); 5,3 (3); 5,8‒10; 5,8; 5,10; 5,12 (5); 5,13‒ 14; 5,19 (2); 5,20 (2); 6,8; 6,23 (3); 7,12 (2) 7,20‒24; 7,21; 7,22; 7,23; 7,22‒23; 7,24; 8; 8,3; 8,6‒7 (3); 8,17 (4); 8,29 (3); 8,32; 8,35ff.; 9,19; 9,20; 9,32 (2); 10,4; 10,12 (2); 10,18; 11,20 (2); 11,29 (2); 11,33 (5); 11,34 (2); 11,35; 12,14; 12,19; 13,3; 13,8‒10; 11,34‒35; 15,4. 1 Kor 1,13; 1,23; 1,24; 1,25; 1,29; 1,30; 2,7; 2,8 (2); 2,9 (5); 2,10; 2,14 (8); 3,2; 3,6; 3,11; 3,16; 3,17 (2); 3,22; 4,5; 4,12; 4,12‒13; 4,15; 5,21; 6,15; 6,20 (5); 7,29; 9,24; 9,26; 10,31; 11,24; 11,29; 12,7; 12,31; 13,4 (3); 13,4‒7 (2); 13,8 (2); 13,12 (2); 14,34‒35; 15,6; 15,22; 15,47; 15,49; 15,54; 15,56; 15,58. 2 Kor 1,3; 1,5; 1,7; 1,12 (2); 2,15; 3,6; 3,7; 3,15; 4,4 (2); 4,7 (6); 4,17 (4); 5,4 (2); 5,14; 5,15; 5,21 (2); 6; 6,1 (4); 6,2; 6,8; 6,14‒15; 6,18; 8; 8,14; 9,7 (2); 10,3‒4; 10,17; 11,14; 12,4; 11,14; 11,14; 11,32‒33; 12,2; 12,3‒4. Gal 1,13‒14; 1,14; 1,15; 1,17‒18; 1,18; 1,19; 2,20 (6); 3,2; 3,7; 4,4 (2); 4,5 (2); 5,17. Eph 1,3ff.; 1,7; 2,2; 2,4 (2); 2, 4‒5; 2,10; 2,19 (2); 2,20 (5); 3,18; 4,5 (2); 4,9; 4,15; 4,30; 5,2 (4); 5,8; 5,15‒16; 5,16; 5,27 (2); 5,32 (2); 6,11; 6,12 (2); 6,16; 6,17. Phil 2,6‒7; 2,7 (7); 2,7‒8; 2,8 (6); 2,8‒9; 2,9; 2,12; 2,16, 3,18; 3,20 (5); 4,13 (4). Kol 1,15 (2); 1,18 (3); 1,22; 2,3 (2); 2,9 (2); 2,14; 2,15 (2); 2,29; 3,14 (2); 18. 2 Thess 3,10. 1 Tim 1,13; 1,17 (3); 2, 4 (7); 2,5 (2); 3,15; 3,16 (2); 4,8; 6, 9‒10 (2); 6,10 (4); 6,15‒16; 6,16; 6,17. 2 Tim 2,5 (2); 2,6; 2,17‒18; 4,8. Tit 1,15; 2,5; 3,5; 2,13; 2,14 (3). Hebr 1,3 (10); 1,5; 1,6; 1,10; 1,14 (2); 2,14; 2,16; 4,12 (4); 4,13; 4,14; 4,15 (3); 5,8; 7,4‒ 9; 7,26 (3); 7,27; 7,26‒27; 9,4 (7); 9,6‒7; 9,12; 9,27 (2); 10,1ff.; 10,29; 11,1; 11,33‒34, 36‒37; 11,37; 12,2. Jak 1,7(2); 2,5; 4,4. 1 Petr 1,10; 1,15; 1,18‒19; 1,19 (3); 2,2; 2,7‒8; 2,9; 2,21 (3); 2,21‒22; 2,22 (2); 3,21; 4,9; 5,6; 5,7 (2); 5,8 (7); 5,8‒9; 5,9. 2 Petr 1,4; 1,10; 1,21; 2,8 (2). Jud 6; 9. 1 Joh 1,5; 2,16 (2); 3,2 (2); 3,8 (4); 4,9; 4,16 (4); 4,18; 5,11‒12. 2 Joh 2,1. Offb 1,7; 1,8; 2,9; 2,10; 2,17; 2,18‒19; 3,20; 3,21; 4,8; 4,11; 5,1; 5,1ff. (2); 5,1.7; 5,3; 5,5; 5,9 (2); 5,9‒12; 5,12; 5,13 (2); 6,9; 7,14 (3); 11,19; 12,1 (8); 12,1‒2; 12,1‒18; 12,3 (2); 12 (2); 12,5‒6; 12,6 (2); 12,7 (3); 12,8; 12, 8‒9; 12,9 (2); 12,10‒11; 12,12 (4); 12,13; 12,13‒ 17; 12,14; 12,13‒15; 12,15 (3); 12,16; 12,16‒18; 12,17 (2); 14,4 (2); 14,7; 16,2; 19,10; 19,16 (4); 20,1; 21,1; 21,2 (3); 21,3 (2); 21,4 (2); 21,5; 21,5‒7; 21,1‒8; 21,9; 21,10; 21,10‒11; 21,9‒18; 21,12; 21,12‒13; 21,14; 21,15‒16; 21,19‒27; 21,21‒22; 21,23 (4); 21,24; 21,25‒26; 21,27; 22,1; 22,5; 22,11; 22,13; 22,17.

Bibellektüre von Frauen in Portugal (16.‒18. Jahrhundert) Zulmira C. Santos Universität Porto Zu Beginn ihres Beitrags „Alle soglie della modernità. Santità femminile e religione maschile“ spielt Gabriella Zarri auf die anregende, in katholischen wie protestantischen Kreisen geführte Debatte an, in deren Zentrum die Frage steht, ob die Religion für die Frauen zu „Unterdrückung oder Emanzipation“ geführt habe.*1 In ihrem Überblick über die Ansätze verschiedener Autoren bezieht sie sich unter anderem auf Nathalie Zemon Davis: Auf einer anderen, im engeren Sinne soziologischen Ebene hatten sich die feministischen Historikerinnen schon seit einiger Zeit mit dem nicht minder ausgewogenen Standpunkt von Nathalie Zemon Davis auseinandersetzen müssen, die in ihrer Analyse des Calvinismus der Frauen von Lyon erklärt, diese hätten insofern an Würde gewonnen, als sie die Bibel in gleicher Gewissens- und Auslegungsfreiheit gemeinsam mit ihren Männern hätten lesen können; gleichzeitig hätten sie aber an Selbstbestimmung verloren, insofern ihnen jene eingeschlechtlichen Einrichtungen wie die Klöster oder die Stifte genommen worden seien, die eine Zone der weiblichen Selbstverwaltung und ein wirkungsvolles Gegengewicht zum Familienleben dargestellt hätten.2

Die Erforschung der Situation in Portugal stellt die bei Zemon Davis zwischen den Zeilen anklingende Vorstellung, wonach die Frauenklöster gleichsam ein bibelfreier Raum gewesen seien, jedoch erneut zur Diskussion. Die Frage, wie die Frauen sich in der Neuzeit der Heiligen Schrift genähert und wie sie sie in ihre religiöse Erfahrung und in ihre meditativen Praktiken eingebunden haben, ist in Portugal nach wie vor ein eher unbekanntes Forschungsfeld, wenngleich in den letzten zehn Jahren einige bedeutende Beiträge veröffentlicht worden sind. In einem davon, der sich just mit dem Thema der „geistlichen Lektüren“ befasst, erinnert José Adriano de Carvalho3 an einen Brief, den D. Vicente Nogueira,4 ein portugiesischer Adliger und berühmter Bibliophile, an den Markgrafen von Niza geschrieben hatte, für den er häufig Bücher kaufte – und zwar vor allem in Rom, denn Nogueira arbeitete an der päpstlichen Kurie. In einer kurzen Auflistung verbotener Bücher, für die er, um die Verbote der spanischen und portugiesischen Inquisitionen zu umgehen, beim Heiligen Offizium eine Sondergenehmigung einzuholen gedachte und von denen er glaubte, dass sie für die Markgräfin, Dona Inês de * Ich danke Prof. José Adriano de Freitas Carvalho für seine Lektüre und seine Vorschläge und Paula Almeida für viele der hier angeführten Beispiele. 1 Gabriella ZARRI, „Alle soglie della modernità. Santità femminile e religione maschile“, in Donne in-fedeli. Temi, modelli, interpretazioni della religiosità femminile (hg. v. Anna Maria Calapaj Burlini und Saveria Chemotti; Padua: Il Poligrafo, 2005), 77‒102. 2 EBD., 77. 3 José A. de Freitas CARVALHO, Lectura espiritual en la Península Ibérica (siglos XVI–XVII) (Salamanca: Sociedad de estudios medievales y renacentistas, 2007), 47. 4 Um Diálogo Epistolar: D. Vicente Nogueira e o Marquês de Niza (1615‒54) (hg. u. eingel. v. João Carlos G. Serafim, unter wiss. Mitarb. v. José A. de Freitas Carvalho; Porto: Afrontamento, 2011).

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Noronha, von Interesse sein könnten, erwähnt der Briefschreiber ein Werk, das seiner Einschätzung nach sehr schwierig zu beschaffen sein würde: Das vollständige Stundenbuch Unserer Lieben Frau, wobei mit „vollständig“ nicht nur die Bußpsalmen und das Totenoffizium, sondern (auch) die Passion aller vier Evangelisten, die Briefe und die Evangelien des ganzen Jahres mitsamt den Predigten von Fr. Ambrósio Montesinos gemeint sind [...] obwohl es von der Inquisition von Kastilien überarbeitet worden und dort erlaubt ist, glaube ich, dass es in Portugal verboten ist; der zweite Teil des Vilhegas [Alonso de Villegas]5, der das Leben Mariens und aller Heiligen des Alten Testaments enthält, das nur dort verboten ist, so als wären wir alle Juden; die fünf Bände des Spelho da Consolação dos tristes [Spiegel des Trosts der Betrübten], der in gutem Portugiesisch das Alte Testament mit dem Kommentar von Niccolò di Lira enthält, und ebenso auch die ganzen Jüdischen Altertümer des [Flavius] Josephus und seine Historia, ein kostbares Buch, das ich nirgends gefunden habe außer mit großem Glück in dieser Bibliothek des Connestabile Colonna, zu senden an S. E.6

Diese Hinweise auf die Lektüre von Frauen unterstreichen, dass es neben den Wegen, die als erlaubt galten, vielfältige andere Möglichkeiten gab, sich Zugang zu volkssprachlichen Übersetzungen der Heiligen Schrift zu verschaffen, wobei viele geistliche Lektüren ohnehin nichts anderes waren als durchgängige Erläuterungen des biblischen Texts. Welche stichhaltigen Informationen besitzen wir – ungeachtet der vielen unterschiedlichen und zweifellos bedeutenden Problematiken im Zusammenhang mit der Erforschung der monastischen und klösterlichen7 und einiger weniger privater Bibliotheken8 – darüber, wer in Portugal die Bibel las?9 Wenn wir nach Art der Komparatistik die konkreten Hinweise auf die Bibellektüre von Frauen in Latein oder in der Volkssprache, die in verschiedenen portugiesischen Quellen aus dem 16., 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts enthalten sind, mit den Informationen über die Lektüre anderer Texte

5

6 7

8

9

Alonso de Villega (1534‒1615) ist ein spanischer Schriftsteller und Verfasser religiöser Werke, darunter der beliebte Flos Sanctorum (1578‒1589), auch unter dem Titel Santos extravagantes bekannt: sechs Bände über die Heiligen aus dem Alten und Neuen Testament und aus nachbiblischer Zeit. Um Diálogo Epistolar, 175. Das Interuniversitäre Zentrum für Spiritualitätsgeschichte der Universität Porto hat in dieser Hinsicht – nämlich mit dem Ziel, einen Katalog der Klosterbibliotheken des nördlichen Portugal zu erstellen ‒ bereits einige Projekte durchgeführt: Inventário da livraria de S. António de Caminha (Leitung: José A. de Freitas Carvalho; Porto: FLUP/CIUHE, 1998); Inventário da livraria de S. António de Ponte de Lima (Leitung: José A. de Freitas Carvalho; Biblioteca da Via Spiritus 3; Porto: FLUP/CIUHE, 2002). Nach wie vor fehlt für Portugal eine Untersuchung, wie sie Pedro CÁTEDRA für Spanien verfasst hat: Bibliotecas y Libros de Mujeres (siglo XVI) (Salamanca: Instituto de Historia del Libro y de la Lectura, 2004). Claudio LEONARDI, Francesco SANTI, Adriana VALERIO (Hgg.), La Bibbia nell’interpretazione delle donne (Florenz: SISMEL/Edizioni del Galluzzo, 2002); Adriana VALERIO, „A Teologia, o Feminino“, Revista de Estudos Feministas 13/2 (2005): 367‒376; Adriana VALERIO (Hg.), Donne e Bibbia. Storia ed esegesi (Bologna: Dehoniane, 2006).

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der Andachtsliteratur vergleichen, stellen wir fest, dass die erstgenannten verhältnismäßig spärlich sind. Was die Lektüre von Frauen im Portugal des 16. bis 18. Jahrhunderts betrifft, kann auf der Grundlage der gesammelten Daten – man darf nicht vergessen, dass sich auch Ritter- und Liebesromane unter den Leserinnen großer Beliebtheit erfreuten10 ‒ gesagt werden, dass vor allem die Heiligenviten und die Lebensbeschreibungen frommer und tugendhafter Menschen11 eine nennenswerte Rolle spielten, ferner Andachtsbücher und sogar Texte (wie zum Beispiel Predigten), die theoretisch eher für ein männliches Publikum, das heißt in der Regel für Kleriker gedacht waren. Andererseits ist zu bedenken, dass die Lektüre von Frauen nicht nur des Laien-, sondern auch des Ordensstandes, wie José Adriano de Carvalho gezeigt hat,12 in der fraglichen Epoche von Faktoren abhing, die von den Bücherbeständen des betreffenden Haushalts oder Klosters über die Ratschläge oder Weisungen der Beichtväter oder Spirituale bis hin zu der Möglichkeit reichten, solche Texte käuflich zu erwerben. Trotz der beschränkten Menge an verfügbaren Daten werden wir bei der Auswertung der uns vorliegenden Informationen über die Bibellektüre von Laiinnen und Ordensfrauen der Neuzeit auch die Beziehung berücksichtigen müssen, die im damaligen Portugal zwischen dem Lateinischen und der Volkssprache bestand: Die Unkenntnis oder mangelnde Vertrautheit mit der Sprache Ciceros aufseiten eines kulturell sehr beschränkten Klerus führte zweifellos dazu, dass biblische Texte aus dem Gedächtnis vorgetragen wurden oder, wie Roberto Rusconi und Gigliola Fragnito gezeigt haben, dass es üblich wurde, „die gehörten Predigten niederzuschreiben und daraus Andachtsbücher zum persönlichen Gebrauch zu machen.“13 10

11

12 13

Eine Überblicksdarstellung findet sich bei Zulmira C. SANTOS, „Sobre livros de cavalaria, leituras e leitores nos séculos XVI e XVII“, in E Fizerom taes Maravilhas... Histórias de Cavaleiros e Cavalarias (hg. v. Lenia Marcia Mongelli; São Paulo: Ateliê Editorial, 2013), 669–677. Maria de Lurdes Correia FERNANDES, „Recordar os ‘santos vivos’: Leituras e práticas devotas nas primeiras décadas do século XVII português“, Via Spiritus 1 (1994): 133‒155; Gabriella ZARRI (Hg.), Donna, disciplina, creanza cristiana dal XV al XVII secolo (Rom: Edizioni di Storia e Letteratura, 1996); José A. de Freitas CARVALHO, „Do recomendado ao lido. Direcção espiritual e prática de leitura entre franciscanas e clarissas em Portugal no século XVII“, Via Spiritus 4 (1997): 7‒56; Zulmira C. SANTOS, „Literatura religiosa (Época Moderna)“, in Dicionário de História Religiosa de Portugal, Bd. III (Lissabon: Círculo de Leitores, 2000), 125‒130, und DIES., „Hagiografia. A prosa religiosa e mística nos séculos XVII–XVIII“, in História da Literatura Portuguesa, Bd. 3: Da Época Barroca ao Pré-Romantismo (Lissabon: Alfa, 2002), 165‒169; Isabel MORUJÃO, „Livros e leituras na clausura feminina de setecentos“, Sonderheft der Revista da Faculdade de Letras – Línguas e Literaturas (Universität Porto), 2. Reihe, Bd. XIX (2002): 111‒170. Vgl. de Freitas CARVALHO, Lecturas espirituales. Roberto RUSCONI, „Pratica culturale ed istruzione religiosa nelle confraternite italiane del tardo Medio Evo: ‘Libri da compagnia’ e libri di pietà“, in Le mouvement confraternel au Moyen Âge. France, Italie, Suisse (hg. v. Agostino Paravicini-Bagliani; Genf: Droz, 1987). Gigliola FRAGNITO, Proibito capire. La chiesa e il volgare nella prima età moderna (Bologna: Il Mulino, 2005), 262; Gabriella ZARRI, „La Bibbia nel Cinquecento: scritti mistici e testi ‘devoti’“, in Sotto il Cielo delle Scritture. Bibbia, Retorica e Letteratura Religiosa (secc. XIII‒XVI) (hg. v. Carlo Delcorno und Giovanni Baffetti; Florenz: Olschki, 2009), 1‒25.

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1. Bibelleserinnen Dennoch ist es meiner Ansicht nach der Mühe wert, hier auch an einige der wenigen Bibelleserinnen des 15. Jahrhunderts14 wie beispielsweise Philippa von Coimbra (†1497)15 und ihre Nichte, die Prinzessin Johanna von Portugal (†1490), zu erinnern.16 Philippa von Coimbra, so berichtet Jorge Cardoso, übersetzte aufgrund ihrer großen Kenntnis nicht nur der lateinischen, sondern vieler anderer Sprachen und da sie in der Lektüre der Heiligen Schrift und der heiligen Väter bewandert war, die Werke des heiligen Lorenzo Giustiniani aus dem Lateinischen ins Portugiesische.17 14

15

16

17

Vgl. Alcuin BLAMIRES, „The Limits of Bible Study for Medieval Women“, in Women, the Book and the Godly (hg. v. Lesley Smith und Jane H. M. Taylor; Cambridge: D. S. Brewer, 1995), 1–12, und Francesco SANTI, „La Bibbia delle mistiche nei secoli XII–XIV“, in Donne e Bibbia. Storia ed esegesi (Valerio), 51‒71. Philippa war die Tochter von Peter (dem Sohn Johanns I. von Portugal und der Philippa von Lancaster) und Isabel von Aragón, der Tochter des Grafen von Urgell. Johanna war die Tochter von Alfons V. (dem Sohn Eduards I. von Portugal und seiner Frau Eleonore von Aragón; der Bruder Eduards I. war Peter, der Vater der Philippa von Coimbra) und Isabel von Portugal. Was die Bibellektüre von Frauen in Portugal während des Frühmittelalters betrifft, so muss man bedenken, dass Fr. Isidoro BARREIRA, Historia da vida e martyrio da gloriosa virgem Santa Eria (Lissabon: por António Álvares, 1618) darauf hinweist, dass die Märtyrerin Eria († 7. Jh.) eine aufmerksame Leserin der heiligen Texte gewesen sei. Er schreibt in ihrer Biographie: „Als die Tanten der heiligen Jungfrau sahen, wie sehr sie zur Lektüre der heiligen Bücher hinneigte und sich am Weg der Tugend erfreute, gaben sie Anweisung, dass sie von einer geeigneten Person in der Lesung der göttlichen Schrift unterstützt und unterwiesen werde, damit sie mit dem Licht und der Kenntnis derselben den Weg der Vollkommenheit mit noch größerer Klarheit verfolgte. Dies darf niemandem merkwürdig oder überflüssig erscheinen, da es in jener Zeit üblich war, dass es in den Nonnenklöstern und bei den Versammlungen von Ordensfrauen Personen gab, die ihnen zu bestimmten Zeiten Stellen der Heiligen Schrift oder Unklarheiten erläuterten, über die sie Bescheid wissen sollten, um sich besser retten zu können, genauso, wie es der heilige Hieronymus in Betlehem in den von der heiligen Paula geleiteten Klöstern hielt, wenn er sich die Zeit nahm, ihnen einige Kapitel oder Abschnitte aus der Heiligen Bibel zu erklären. Dieser lobenswerten Übung pflegten die Mägde Christi die Zeit zu widmen, die ihre normalen Beschäftigungen und der häusliche Dienst ihnen übrigließen. Mehr als in anderen Klöstern war dies insbesondere üblich in jenen der Schwestern des heiligen Benedikt, in denen zur damaligen Zeit viele Kaiserinnen, Königinnen und sehr vornehme Damen das Habit nahmen, die die großen Klöster erbauten, in die sie sich zurückzogen: in Deutschland war es Sitte, dass in diesen Klöstern Frauen lebten, die in der Theologie bewandert waren und innerhalb der Klausur theologische Fragen lehrten und lasen, und dass bei diesen Handlungen oft die Äbtissinnen gemeinsam mit allen anderen Schwestern zugegen waren. Der hl. Chrysostomus sagt, dass die Lesung der Heiligen Schrift jeder Art von Christen gebührt, welchem Stand sie auch immer angehören und zu welcher Lebensweise sie sich bekennen, und dass diese immer gepflegt werden muss“: Historia da vida, fol. 12v‒14v. Jorge CARDOSO, Agiologio Lusitano dos Sanctos, e Varoens Illustres em virtude do Reino de Portugal, e suas conquistas, Bd. I (Lissabon: Officina Craesbeeckiana, 1652), 404 (hg. v. Maria de Lurdes Correia Fernandes; Porto: Faculdade de Letras, 2002).

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Die Prinzessin Johanna, die in das Dominikanerinnenkloster Convento de Jesus in Aveiro eintreten sollte, erbte die Vorliebe für geistliche Werke und Andachtsliteratur von ihrer Tante Philippa, die gleichzeitig ihre Erzieherin war, könnte darüber hinaus aber auch direkten Zugang zur Bibel gehabt haben, denn, so berichtet ihr Biograph Fr. Nicolau Dias OP, sie verkehrte und sprach mit kirchlichen Persönlichkeiten, Erzbischöfen, Bischöfen, Prälaten und Ordensleuten, wobei sie Dinge von U[nserem] Herrn und der Heiligen Schrift mitteilte und behandelte.18

Im Übrigen war es nichts Ungewöhnliches, dass der Eintritt in ein Kloster für die Frauen des Mittelalters oft die einzige Möglichkeit war, sich Zugang zur Bildung zu verschaffen. Erst die Werte des christlichen Humanismus, die sich in den folgenden Jahrhunderten ausbreiteten, schufen die Voraussetzungen dafür, dass die Beziehung zwischen den Frauen und der Heiligen Schrift nicht mehr ausschließlich auf die monastische Sphäre beschränkt war, sondern sich auf andere Bereiche und die kulturellen Zirkel ausdehnte.19 In diesem Zusammenhang muss auch an die Infantin Maria d’Aviz (1521‒1577) erinnert werden,20 die AkademikerInnen und MäzenInnen um sich scharte und so nicht nur in literarischer, sondern auch in künstlerischer Hinsicht zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten des portugiesischen Humanismus wurde.21 João de Barros verfasste einen „Panegírico“ auf diese große Kunstmäzenin, in der er nicht nur ihre Tugenden pries, sondern auch ihre vollständige Kenntnis der lateinischen Sprache zu dem Zweck, so ihr eigentliches Ziel erreichen zu können: das Studium der Heiligen Schrift entsprechend der Lehre des heiligen Hieronymus, der zu Paula und anderen heiligen Frauen sagte, sie sollten die Göttliche Schrift viele Male lesen und niemals vergessen, die heiligen Bände in ihren Händen zu halten.22

Letztgültig bestätigt wird dieses Bild der Maria d’Aviz als einer kundigen Leserin der Heiligen Schrift schließlich durch die Tatsache, dass Martín de Azpilcueta Navarro, Kirchenrechtler an der Universität von Coimbra, ihr seine Relectio in Leuitico sub. Cap.

18

19

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22

FR. NICOLAU DIAS OP, Vida da serenissima princesa D. Joana, filha delRey D. Afonso V de Portugal, a qual viveo santamente no convento de Iesus d’Aveiro da Ordem dos Pregadores (emend. v. Luís de Castanheda Raposo; Lissabon: por Francisco Villela, 1674), 96. Adriana VALERIO, „La Bibbia nell’umanesimo femminile (secoli XV‒XVII)“, in Donne e Bibbia. Storia ed esegesi, 73‒98. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Königin Eleonore (†1525), die Witwe Johanns II., 1505 die Übersetzung und Edition der Apostelgeschichte förderte: Actos dos Apóstolos (Lissabon: per Valentim Fernandes, 1505). Die Infantin Maria war die Tochter Manuels I. und seiner dritten Frau, der Habsburgerin Eleonore von Kastilien. Ein unumgängliches und inzwischen klassisches Grundlagenwerk zu diesem Thema ist die Studie von Carolina Michaëlis DE VASCONCELOS, A Infanta D. Maria de Portugal (1521‒ 1577) e as suas damas (Lissabon: BN, 1983). João de BARROS, „Panegírico da Infanta D. Maria“, in Panegíricos (hg. v. M. Rodrigues Lapa; Lissabon: Livraria Sá da Costa Editora, 1937), 179‒180.

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‘Quis aliquando de poenit.’ Dist. I quae de anno iobeleo, & iobelea indulgentia principaliter agens, totam indulgentiarum materiam exhaurit (1550) gewidmet hat.23 Innerhalb der Gruppe gelehrter Damen, die den literarischen und künstlerischen Zirkel der Infantin Maria bildeten, verdient eine Persönlichkeit besondere Aufmerksamkeit, weil auch sie die Bibel las: Luisa Sigea (†1560). Diese kastilische docta foemina war sehr bewandert in der Philosophie, der Redekunst, der Dichtung, der lateinischen, griechischen, hebräischen und chaldäischen Sprache ‒ Kenntnisse, die sie zumindest in der Theorie als geschickte Leserin der Originalfassungen der Bibel ausweisen. Dass sie dies wohl auch in der Praxis war, zeigt ihr 1552 verfasstes Duarum Virginum Colloquium de Vita Aulica et Privata,24 in dem sie sich nicht nur auf verschiedene Sentenzen des Platon, des Aristoteles und anderer griechischer und lateinischer Autoren stützt, sondern zudem verschiedene Propheten, den Psalter und den König Salomon als Autoritäten zitiert. In Públia Hortênsia de Castro (†1595) begegnet uns eine erklärte Leserin der Bibel. Carolina Michaëlis de Vasconcelos zufolge war Públia eine der ersten Portugiesinnen mit Universitätsabschluss, auch wenn ihr Name nicht in den Verzeichnissen der Universität von Coimbra auftaucht.25 In seiner Bibliotheca Lusitana26 berichtet Diogo Barbosa Machado, dass diese gelehrte Frau Psalmen, Briefe und Gedichte in lateinischer und portugiesischer Sprache verfasste, die jedoch allesamt verlorengegangen sind. Zu diesen Schriften gehörte auch eine Übersetzung von acht Psalmen, die Isabel (Elisabeth) von Braganza (†1576) bei ihr in Auftrag gegeben hatte, um bei der göttlichen Vorsehung das Leben und den Sieg ihres Sohnes, des Infanten Duarte (Eduard), zu erflehen, der gemeinsam mit König Sebastian nach Alcácer-Quibir aufgebrochen war.27 Übrigens war auch Isabel eine gebildete Frau, die sich gerne mit berühmten Gelehrten umgab. Sie selbst hat offenbar einen Band mit Notas aos Evangelhos que se lem nas Domingas Festas, e outros dias do anno verfasst, ein Buch, das ihre Tochter Katharina, Herzogin von Braganza, 1633 dem Inquisitor Manuel de Vale de Moura übergab, der es für die Publikation würdig befand, auch wenn es letzten Endes doch nicht gedruckt wurde.28 23 24

25

26 27 28

Conimbricae: Ioannes Barrerius & Ioannes Aluarus, 1550. Luisa SIGEA, Dialogue de Deux Jeunes Filles sur la Vie de Cour et la Vie de Retraite (1552) (eingel., übers. u. m. Anm. vers. v. Odette Sauvage; Paris: PUF, 1970). Carolina Michaëlis DE VASCONCELOS, A Infanta D. Maria de Portugal, 111f. Diogo Barbosa MACHADO, Bibliotheca Lusitana, Bd. III (Coimbra: Atlântida, 1966), 629, erklärt, Públia Hortênsia de Castro habe, „in dem Wunsch, sich in den Wissenschaften zu bilden, damit ihr Geschlecht sie nicht daran hinderte, die Schulen zu besuchen, dieses Problem umgangen, indem sie in Männerkleidung gemeinsam mit ihrem Bruder Jeronymo de Castro an der Universität von Coimbra humanistische und später auch philosophische Studien betrieb.“ Etwa zur gleichen Zeit verteidigte eine weitere Portugiesin, Isabel de Castro e Andrade (†1595), Tochter von Álvaro Peres de Andrade und Guiomar Henriques, im Kloster Santo António do Varatojo ihre „Concluzoens de Filosofia e Theologia“: Diogo Barbosa MACHADO, Bibliotheca Lusitana, Bd. II (Coimbra: Atlântida, 1966), 924f. MACHADO, Bibliotheca Lusitana, Bd. III, 629. VASCONCELOS, A Infanta D. Maria de Portugal, 113. MACHADO, Bibliotheca Lusitana, Bd. II, 924; VASCONCELOS, A Infanta D. Maria de Portugal, 113.

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Noch überraschender erscheint eine Information über die Mutter des oben erwähnten Inquisitors, Vitória Caldeira (†1624), die in Arraiolos lebte. Fr. Luís dos Anjos OESA erwähnt sie in seinem Jardim de Portugal (1626)29 und beruft sich auf das schriftliche Zeugnis des Laureatus António Rodrigues, Rektor der Kirche von Arraiolos und über 20 Jahre lang ihr Beichtvater: [Vitória Caldeira] legte bei mir einige Generalbeichten über ihr ganzes Leben ab, und immer fasste ich es so auf und war ich der Ansicht und erkannte ich, dass sie ihr ganzes Leben lang eine Frau von beachtlicher Tugend gewesen war und dass sie größtes Verständnis und größte Kenntnis der Heiligen Schrift und der Mysterien unseres heiligen Glaubens besaß; denn als Frau hatte sie, wie ich immer habe sagen hören und sie selbst mir oft gesagt hat, nie Latein gelernt oder studiert und es ganz allein so weit gebracht, die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments in lateinischer Sprache zu einem großen Teil zu lesen und zu verstehen; und besagte Frau Vitória Caldeira sagte mir, dass sie, als sie noch klein war und nach dem Tod ihres Vaters und ihrer Mutter als Waise in Lissabon im Haus ihres Onkels, des Escrivão da Fazenda Pedro Caldeira, lebte, beim Lesen der volkssprachlichen Bibel (die damals nicht verboten war) dank dieser jene lateinische zu verstehen begonnen hatte, indem sie die Worte der einen mit denen der anderen verglich und diese Lektüre immer mit großer Häufigkeit und Andacht fortsetzte [...] bis ins Alter von ungefähr 80 Jahren, als Gott sie zu sich rief; und ich sah, dass sie in der Geschichte der ganzen Heiligen Schrift und im zumeist wortgetreuen Verständnis derselben so wach war, dass sie die Literaten und Prediger, die mit ihr sprachen, in Erstaunen versetzte.30

Wenngleich wir nicht wissen, welche Fassung Vitória Caldeira gelesen hat, ehe das Konzil von Trient die Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen verbot,31 verdient es doch 29

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31

Luís dos ANJOS, Jardim de Portugal (1626) (hg. v. Maria de Lurdes Correia Fernandes; Porto: Campo das Letras, 1999). ANJOS, Jardim de Portugal, 338. Vitória Caldeira wird auch von Damião de Froes Perim erwähnt: Theatro Heroino, Abecedario Historico e Catalogo de Mulheres Illustres em Armas, Letras, Acçoens heroicas e Artes liberaes, Bd. II (West-Lissabon: Regia Officina Sylviana e da Academia Real, 1740), 455. 1553 wurde in Ferrara mit Unterstützung der reichen Jüdin Grazia Nasi (1510‒1569) (bekannt als Beatriz de Luna), der Witwe von Francisco Mendes, eine kastilische Übersetzung der Bibel, genauer gesagt des Alten Testaments, in zwei leicht unterschiedlichen Fassungen herausgegeben: die eine mit dem Titel Biblia en lengua española traduzida palabra por palabra dela verdade hebrayca por muy excelentes letrados vista y examinada por el officio dela Inquisicion, mit „yndustria y deligencia de Duarte Pinel Portugues“ (oder Abraão Usque) und „a costa y despesa de Jeronimo de Vargas Español“ angefertigt und Ercole d’Este, dem vierten Herzog von Ferrara, gewidmet, die einigen Autoren zufolge für den christlichen Gebrauch bestimmt war; und die andere mit demselben Titel, die aber laut Kolophon mit „yndustria y deligencia de Abraham Usque Portugues“ und „a costa y despesa de Yom Tob Atias, hijo de Levi Atias, en 14 de Addar de 5313“ veröffentlicht worden, Grazia Nasi gewidmet und nach Meinung einiger Autoren für den jüdischen Gebrauch bestimmt war. J. Mendes de CASTRO, Samuel Usque e o seu contributo para a versão portuguesa da Bíblia (Braga: Livraria A.I., 2000). Auch wenn Vitória Caldeira diese kastilische Übersetzung der Bibel – wohlgemerkt nur des Alten Testaments – gelesen haben sollte, wo und wie hätte sie ein Neues Testament em linguagem (in der Volkssprache) zu Rate ziehen können? Zu Beatriz de Luna vgl. auch:

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Beachtung, dass die Lektüre der volkssprachlichen Bibel (ob als Manuskript oder als Druckerzeugnis, ist nicht bekannt) es ihr erlaubt hat, durch den Vergleich der beiden Texte die lateinische Version zu „verstehen“ und, so zumindest die Einschätzung von Frei Luís dos Anjos, dessen Werk 1626 veröffentlicht wurde, auch zu beweisen, dass ihr Verständnis im Wesentlichen wortgetreu gewesen war. Ebenfalls doctissima und eine aufmerksame Leserin war Maria von Portugal (1538‒ 1577), Prinzessin von Parma und Piacenza, Tochter von Prinz Eduard von Portugal und Isabel von Braganza und Nichte der Infantin Maria.32 Der von ihrem Beichtvater, dem Jesuiten Sebastião de Moraes verfassten und 1578 erstmals veröffentlichten Vita, e morte della serenissima Principessa di Parma, e Piacenza33 zufolge war Maria eine hochgebildete Frau: Neben ihrer Muttersprache, dem Portugiesischen, beherrschte sie das Italienische, Kastilische, Griechische und Lateinische, was ihr den Zugang zu einer großen Vielfalt von literarischen Werken erleichtert haben dürfte. Ihr Biograph berichtet, dass sie „nur geistliche Bücher und insbesondere jene studierte, die die Affekte ansprechen: Mit Vergnügen las sie die kleinen Werke des heiligen Buonaventura“34, und dass sie, ehe sie fromme Handschriften oder ohne Imprimatur gedruckte Gebete las, den örtlichen Inquisitor um Erlaubnis bat, weil sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, versehentlich häretisches Gedankengut oder Zauberformeln zu zitieren.35 António Caetano de Sousa zufolge machte Maria von Portugal „häufig Gebrauch von den göttlichen Schriften, indem sie das eine und das andere Testament auf kundige Weise las. Nichts war so sehr nach ihrem Geschmack, wie ihre Zeit bis zuletzt auf dieses Ziel verwandt zu haben.“36

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Maria Giuseppina MUZZARELLI, „Beatrice de Luna vedova Mendes. Una donna influente“, in Rinascimento al femminile (hg. v. Ottavia Niccoli; Rom/Bari: Laterza 1991), 83‒116. Maria von Portugal heiratete 1565 Alessandro Farnese, den Herzog von Parma und Piacenza. Sebastião de MORAES SJ, Vita, e morte della serenissima Principessa di Parma, e Piacenza (Bologna: per Alessandro Benacci, 1578). Vgl. Maria de Lurdes Correia FERNANDES, „A Vida de Maria de Portugal, Princesa de Parma: do texto ao comentário“, in D. Maria de Portugal Princesa de Parma (1565‒1577) e o seu tempo. As relações culturais entre Portugal e Itália na segunda metade de Quinhentos (hg. v. José Adriano de Freitas Carvalho; Porto: Centro Interuniversitário de História da Espiritualidade/Instituto de Cultura Portuguesa, 1999), 155‒ 182; Xenia von TIPPELSKIRCH, Sotto controllo. Letture femminili in Italia nella prima età moderna (Rom: Viella, 2011), 214‒218. MORAES, Vita, fol. 18r, zitiert nach TIPPELSKIRCH, Sotto controllo, 216. Vgl. MORAES, Vita, fol. 11v‒12r, zitiert nach TIPPELSKIRCH, Sotto controllo, 216. António Caetano de SOUSA, História Genealógica da Casa Real Portuguesa, Bd. VI (Coimbra: Atlântida, 1949), 85. Mehrere Autoren heben die Bibelkenntnisse der Maria von Portugal lobend hervor und bezeichnen sie als „höchst gelehrt in der Heiligen Schrift“, z. B.: Duarte Nunes de LEÃO, Descripção do Reino de Portugal (Lissabon: por Iorge Rodriguez, 1610), fol. 151v; Luís dos ANJOS, Jardim de Portugal, 264; António de Sousa de MACEDO, Flores de España, Excelencias de Portugal (Lissabon: por Iorge Rodriguez, 1631), fol. 69v; PERIM, Theatro Heroino, Bd. II, 122.

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Ihre Schwester Katharina, Herzogin von Braganza, war ebenfalls eine gebildete Frau, die im Griechischen und Lateinischen, in der Astrologie und in den Künsten der Mathematik über herausragende Kenntnisse verfügte. Sie sorgte selbst für die Erziehung ihrer Söhne Teodósio, Duarte, Alexandre und Filipe, wie Christoval de Acosta in seiner eigens auf sie verfassten Lobrede, dem Tratado en Loor de las Mugeres y de la Castidad, Onestidad, Constancia, y Iusticia: Con otras muchas particularidades, y varias Historias (1592), berichtet.37 In allen Dingen achtete sie mit großer Aufmerksamkeit darauf, dass ihr in Hinblick auf nichts irgendwelche Bedenken verblieben; und deshalb gewährte ihr Sohn, der Herr Generalinquisitor Dom Alexandre, ihr im Jahr 1603 die Erlaubnis, die von der Inquisition dieser Königreiche verbotenen Bücher zu lesen.38

Hatte Katharina also – da in ebendiesen Jahren die volkssprachlichen Übersetzungen der Bibel in den Index der von der Inquisition verbotenen Bücher aufgenommen wurden ‒ womöglich Zugang zur Heiligen Schrift em linguagem? Etwa in derselben Zeit begegnet uns der Fall der aus Porto gebürtigen Luisa Marescoti († Anfang des 17. Jahrhunderts), Tochter eines italienischen Vaters, die schon mit zehn Jahren fließend Kastilisch, Italienisch und Latein sprach und „die Aeneis des Vergil, die vier Evangelien vom Leiden Christi und viele Stellen aus der Schrift, die sie vollkommen auswendig kannte“, rezitierte.39 Im Alter von 18 Jahren besaß sie bereits eine große Kenntnis der Philosophie, der Mathematik und „anderer Wissenschaften, die ihr den Namen einer Sábia (weisen Frau) einbrachten“. Diese solide Bildung trug entscheidend dazu bei, dass ein „nobre, e rico Italiano“ sie zu seiner Frau machte und an der Universität von Bologna anmeldete, „wo sie mit 25 Jahren den Doktorgrad in den Artes und später noch in Theologie erwarb.“40 Auch Brígida de Alarcão (†1622)41 hat den heiligen Text möglicherweise gelesen; dafür spricht zumindest die Tatsache, dass sie eine Vida, acçoens e morte da Famigerada Judith und eine Vida, acçoens e morte do Famigerado Sansão verfasst hat, die leider nie gedruckt worden sind.

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Christoval de ACOSTA, Tratado en Loor de las Mugeres y de la Castidad, Onestidad, Constancia, y Iusticia: Con otras muchas particularidades, y varias Historias (Venedig: Giacomo Cornetti, 1592), fol. 98v. Dieses Werk war der Königin Katharina von Österreich gewidmet. SOUSA, História Genealógica, 128f. Agostinho Rebelo da COSTA, Descripção Topografica, e Historica da Cidade do Porto (Porto: Officina de Antonio Alvarez Ribeiro, 1789), 358f. Vgl. auch: Diogo Manuel Aires de AZEVEDO, Portugal ilustrado pelo sexo feminino. Noticia histórica de muitas Heroinas Portuguezas, que florecerão em virtudes, e letras, e armas, Bd. I (Lissabon: por Pedro Ferreira, 1734), 79, und PERIM, Theatro Heroino, Bd. II, 19f. COSTA, Descripção Topografica, 359. Brígida de Alarcão war im kirchlichen und bürgerlichen Recht, in spekulativer Theologie und Moraltheologie, in Kirchengeschichte und profaner Geschichte und in der „heiligen und weltlichen Gelehrsamkeit“ sehr versiert; vgl. MACHADO, Bibliotheca Lusitana, Bd. I, 550; AZEVEDO, Portugal ilustrado, 86f.

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Ein weiterer Fall ist der der Margarida Corte Real, Markgräfin von Castelo Rodrigo.42 Ihr widmete Fr. Pedro de la Vega OSA den ersten Teil seiner Declaracion de los Siete Psalmos Penitenciales (1606).43 Dieser Paratext erweist sich als besonders nützlich für die Kenntnis der spirituellen und frommen Praktiken der Markgräfin, auch wenn die besagte Widmung insofern mit einem gewissen Vorbehalt gelesen werden muss, als Fr. Pedro de Vega erklärt, über den Mann der Widmungsempfängerin „una merced“ von Philipp II. für die Veröffentlichung des Werkes erhalten zu haben. Margarida wird „aufgrund ihres großen christlichen Glaubens, ihrer Frömmigkeit und ihrer Liebe zu unserem Gott“, die „durch ihr Leben strahlend sichtbar werden“, als eine Art moralisches und spirituelles Vorbild dargestellt.44 In diesem Überblick über die Bibelleserinnen der Neuzeit verdient auch der Fall der Leonor de Melo, Markgräfin von Castelo Rodrigo,45 Erwähnung, der Fr. António Freire den ersten und einzigen Band seines Manual dos Evangelhos em versam paraphrastica (1626) widmete.46 Auch wenn es sich nicht strictu sensu um einen Text, der die Heilige Schrift betrifft, sondern eher um eine von einer klaren didaktischen Zielsetzung getragene Paraphrase handelt, scheint uns die Tatsache, dass der Verfasser, ein Augustiner, sein Werk Leonor de Melo gewidmet hat, doch insofern von hinreichender Bedeutung zu sein, als er die „natürliche Neigung“ der Adligen, „gute Bücher zu lesen“, hervorhebt, die sich deutlich an ihrem „Interesse für die geistlichen [Bücher]“ gezeigt habe.47 Ebenfalls von Bedeutung ist unserer Ansicht nach die an Mariana Josefa da Silva gerichtete Widmung der Soliloquios em que um pecador arrependido fala com Deos: disposições para bem se confessar, & industrias para bem morrer (1653),48 die António, dem Prior von Crato, zugeschrieben und von Fr. Jorge de Carvalho OSB aus dem Lateinischen ins Portugiesische übersetzt wurden. Dieses Werk, das von der Lektüre und Interpretation der Bußpsalmen ausgeht und dessen Editio princeps in lateinischer Sprache 1595 in Paris gedruckt wurde, stellt laut José Adriano de Carvalho, der darüber geforscht 42

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Margarida Corte Real, Tochter von Vasco Anes Corte Real und Catarina de Mascarenhas, war die Frau von Cristóvão de Moura. Vgl. Manuel José da Costa Felgueiras GAYO, Nobiliário de Famílias de Portugal, Bd. XII (Braga: Oficinas Gráficas da „Pax“, 1939), 235. Pedro de la VEGA, Declaracion de los Siete Psalmos Penitenciales (Çaragoça: per Carlos de Lauayen, 1606). VEGA, „Dedicatória“, in DERS., Declaracion de los Siete Psalmos Penitenciales. Leonor de Melo (geb. 1594) war die Tochter von Nuno Álvares Pereira de Melo, Graf von Tentúgal, und Mariana de Castro. Sie heiratete Manuel de Moura Corte Real, Markgraf von Castelo Rodrigo, Sohn von Cristóvão de Moura, dem ersten Markgrafen von Castelo Rodrigo, und D. Margarida Corte Real. Leonor de Melo war folglich die Schwiegertochter der Widmungsempfängerin des ersten Teils der Declaracion de los Siete Psalmos Penitenciales (1606) von Fr. Pedro de Vega: SOUSA, História Genealógica, Bd. X, 131ff. Fr. António FREIRE, Manual dos Evangelhos em versam paraphrastica (Lissabon: por Vicente Alvares, 1626). DERS., „Dedicatória“, in EBD. Jorge de CARVALHO, Soliloquios em que um pecador arrependido fala com Deos: disposições para bem se confessar, & industrias para bem morrer (Lissabon: por Paulo Craesbeeck, 1653).

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hat, eine der seltenen Beichtmeditationen dar, die Ende des 16. Jahrhunderts von einem Portugiesen verfasst worden sind. Diese Form der Lektüre in Versen oder in Prosa stellte im Großen und Ganzen den Beginn einer Gattung von Meditationen nach alter patristischer Tradition dar, die im 16. und 17. Jahrhundert unter dem Titel Psalmen oder als ihre Paraphrasen verbreitet waren.49 Noch im 18. Jahrhundert begegnet uns der Fall der portugiesischen Dichterin Adriana Fagundes (1600‒1731), die ein intensives Studium der Heiligen Schrift betrieb und der es gelang, die Bücher Genesis und Exodus, das Hohelied und das gesamte Neue Testament auswendig zu lernen, und wenn der Tod ihr nicht im Jahr 1731 das Leben entrissen hätte, dann hätte sie ihre Absicht verwirklicht, sie ganz zu repetieren.50

2. Bibelleserinnen im Kloster Auf der Basis der benutzten Quellen war es vor allem die klösterliche Welt, in der sich im 16. bis 18. Jahrhundert – insbesondere unter den Franziskanerinnen, Klarissen und Dominikanerinnen ‒ eine nennenswerte Anzahl von Bibelleserinnen findet. Die Observanzbewegung begünstigte vor allem unter den Ordensfrauen die Produktion und den Umlauf einer umfangreichen volkssprachlichen Andachtsliteratur.51 Dennoch, so gibt Adriana Valerio zu bedenken, trafen die Restriktionen, mit denen der Index Clemens’ VIII. von 1596 den Umlauf und die Verfügbarkeit gewisser Bücher belegte, auch das Leben in den Frauenklöstern, da sie jedweden Kontakt mit der Bibel drastisch einschränkten, um sie vor interpretatorischen Manipulationen zu schützen. Dennoch sind die Lektüregewohnheiten der Ordensfrauen im gegenreformatorischen 17. Jahrhundert nicht rückläufig, und die Texte sind trotz aller Zensurmaßnahmen auch weiterhin im Umlauf.52

Beginnen wir also mit einer Reihe von Informationen, die uns zu Frauen aus dem Franziskanerinnen- und Klarissenorden vorliegen. Mutter Antónia da Trindade († ca. 1579), Klarissin im Kloster Nossa Senhora da Consolação in Figueiró, nahm es als junges Mädchen, „da sie Latein lernen wollte und ihre Mutter keinen Hauslehrer finanzieren konnte, auf sich, in Männerkleidung zu studieren“ – und zwar an der Universität von Coimbra. Diese Ordensfrau hegte übrigens eine besondere Verehrung für den Apostel Paulus, zu dessen Ehren sie jeden Tag das Offizium betete.53

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José Adriano de Freitas CARVALHO, „D. António, Prior do Crato, Príncipe Penitente. Os Psalmi Confessionales: do Exemplum à devoção. 1595‒1995“, Via Spiritus 2 (1995): 67‒129. PERIM, Theatro Heroino, Bd. I, 114f. VALERIO, „La Bibbia nell’umanesimo femminile“, 84. EBD., 92. Vgl. auch Gigliola FRAGNITO, La Bibbia al rogo. La censura ecclesiastica e i volgarizzamenti della Scrittura (1471‒1605) (Bologna: Il Mulino, 1997). Jorge CARDOSO, Agiologio Lusitano, Bd. I (Lissabon: Officina Craesbeekiana, 1652), 248.

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Auch Schwester Joana da Conceição (†1609), eine Kapuzinerin im Jesuskloster in Setúbal, war „in den geistlichen Fächern sehr bewandert und lehrte die heiligen Väter und sogar die Heilige Schrift“.54 Hierbei handelt es sich allerdings um einen hagiographischen Topos, der in didaktischen und erbaulichen Texten häufig Verwendung findet. In derselben Epoche begegnet uns im Heilig-Geist-Kloster von Torres Novas die Klarissin Francisca da Coluna (17. Jh.), die „das ganze Evangelium des hl. Johannes, den sie mit besonderer Andacht verehrte, von Anfang bis Ende und vom Ende bis zum Anfang auswendig aufsagte.“55 Auch Schwester Maria Madalena, eine Klarissin im Kloster Madre de Deus in Lissabon, verehrte den Evangelisten Johannes sehr und war, wie die Quellen übereinstimmend bestätigen, eine aufmerksame Bibelleserin, was auch die von ihr verfasste Historia, prerogativas e louvores do glorioso S. João Evangelista tirado de vários autores (1628) beweist.56 Eine sorgfältige Lektüre der auf den ersten Seiten der Historia abgedruckten Genehmigungen vermittelt einen deutlichen Eindruck davon, wie ungewöhnlich es für portugiesische Verhältnisse war, dass eine Ordensfrau Zugang zur Welt der Bücherproduktion erhielt. So erklärte Fr. Tomás da Rocha zu Beginn seiner am 12. November 1626 erteilten Lizenz, er habe diese Abhandlung „mit großer Aufmerksamkeit und Freude“ gelesen, und gestand, er habe sich darüber gewundert, dass eine Frau mit einer so geringfügigen Ausbildung in der Lage gewesen war, so erbauliche Kommentare über den Evangelisten Johannes zu verfassen.57 In diesem Werk legte Schwester Maria Madalena eine bedeutende Bildung und Kenntnis einer beträchtlichen Zahl der für die Kultur und Religiosität ihrer Zeit maßgeblichen Autoren und Werke an den Tag. Sie zitierte verschiedene alt- und neutestamentliche Texte und zahlreiche Auctoritates wie Origenes, Johannes Chrysostomos, Augustinus, Ambrosius, Hieronymus, Beda, Dionysius Areopagita, Isidor, Bernhard und Petrus Damiani. Im Kloster der heiligen Klara in Santarém lebte Schwester Mécia de Santa Clara (†1619), die „viel in der Heiligen Schrift las“; außerdem war sie mit den „Crónicas“ ihres Ordens und anderen Andachtsbüchern vertraut58 und kannte das Markusevangelium auswendig.59 In demselben Haus lebte auch Schwester Isabel da Paixão (†1561), die gerne den „Psalterio da Cruz“ oder die „Passos da Paixão“ hörte,60 was zwar nicht auf eine Lektüre der Heiligen Schrift, wohl aber auf eine sehr aufmerksame auditive Rezeption bestimmter biblischer Texte hinzuweisen scheint. 54 55 56

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EBD., 440f. AZEVEDO, Portugal ilustrado, 74. Soror MARIA MADALENA OSC, Historia, prerogativas e louvores do glorioso S. João Evangelista tirado de vários autores (Lissabon: por António Álvares, 1628). EBD.: „Licenças“. Fr. FERNANDO DA SOLEDADE OFM, Historia Seraphica da Ordem dos Frades Menores de S. Francisco na Provincia de Portugal. Primeira Parte (Lissabon: Officina Craesbeeckiana, 1656), 591. EBD., 593. EBD., 543.

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Ähnliches – allerdings auf die besondere Situation im Angesicht des Todes bezogen ‒ erfahren wir über Schwester Brites de Santo Agostinho (†1546), Klarissin im Kloster der heiligen Klara in Vila do Conde, die auf dem Sterbebett „darum bat, dass man ihr viele Male das Leiden Jesu Christi aus dem Text der Heiligen Evangelisten vorlas.“61 In Schwester Maria do Desterro (†1683), Klarissin im Kloster Nossa Senhora da Ribeira in Sernancelhe, begegnet uns eine große Leserin. Wie Fr. Fernando da Soledade OFM berichtet, war Schwester Maria do Desterro gelehrt in der heiligen Literatur und in der Schrift; und da sie den hl. Paulus besonders verehrte, hatte sie seine Briefe so gründlich studiert, dass sie sie alle wortgetreu mit sehr rascher Erinnerung wiedergab.62

Wie schon erwähnt, konnte die Kenntnis der Bibel durch die Lektüre von Kommentaren und Paraphrasen einzelner biblischer Bücher vermittelt sein. Hier ordnet sich die Explicação do Salmo Cincoenta feita a rogo da Madre Dona Isabel de Sancto Antonio, ou de Lima (1629)63 des Franziskaners Fr. Pedro de São Francisco ein. In seiner Widmung an Mutter Isabel de Santo António preist Fr. Pedro „die erlauchte Abkunft“ der Widmungsempfängerin und ihre „heroischen Tugenden“ und bringt die Hoffnung zum Ausdruck, sie durch seinen Kommentar zum Psalm Miserere mei Deus in ihren Andachten und geistlichen Praktiken zu unterstützen. Im Kloster Nossa Senhora da Esperança in Vila Viçosa lebten zwei Klarissinnen, die – das berichtet der Chronist Fr. Jerónimo de Belém OFM in ihren „Vidas“ ‒ ebenfalls die Heilige Schrift lasen. Die Ältere der beiden, Schwester Catarina do Salvador (†1621), hatte die Angewohnheit […] an den Rand ihres Breviers mit ihrer eigenen und ausgeprägten Handschrift Worte aus der Schrift und einige Aussprüche der Heiligen zu notieren.64

Schwester Maria das Chagas (†1631) ihrerseits verwendete beim Lobpreis die Schrift und Sentenzen der Heiligen Väter, als sei sie in der einen oder der anderen Lektüre bewandert; und mit einem so angemessenen Verständnis, dass sich die himmlische Herkunft ihres Wissens deutlich erwies, da sie in den Ermahnungen, die sie an ihre Schwestern richtete, jeden beliebigen Begriff sogleich erklärte, wobei sie aus den Psalmen Davids, den Büchern Salomos und den Kirchenlehrern zitierte.65

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Fr. MANUEL DA ESPERANÇA OFM, Historia Seraphica da Ordem dos Frades Menores de S. Francisco na Provincia de Portugal. Segunda Parte (Lissabon: Officina de Antonio Craesbeeck de Mello, 1666), 202. Fr. FERNANDO DA SOLEDADE OFM, Historia Seráfica Cronologica da Ordem de S. Francisco na Provincia de Portugal. Terceira Parte (Lissabon: Officina de Manoel Joseph Lopes Ferreyra, 1705), 239. PEDRO DE SÃO FRANCISCO, Explicação do Salmo Cincoenta feita a rogo da Madre Dona Isabel de Sancto Antonio, ou de Lima (Lissabon: per Pedro Craesbeeck, 1629). Fr. JERÓNIMO DE BELÉM OFM, Chronica Serafica da Santa Provincia dos Algarves da Regular Observancia do nosso Serafico Padre S. Francisco. Parte IV (Lissabon: Officina de Ignacio Rodrigues, 1758), 205. EBD., 288.

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Eine weitere Klarissin, Schwester Luzia dos Reis (†1620) aus dem Kloster der heiligen Klara in Amarante, rezitierte dem Chronisten Fr. Manuel da Esperança zufolge „die Gradual- und Bußpsalmen mit ihren Litaneien.“66 Letzteres verweist, auch wenn die Angabe etwas vage ist, eher auf die Lektüre des Breviers als der Bibel. Eine gründliche Bibelleserin war Mutter D. Jerónima de Sousa (†1637) vom Klarakloster in Coimbra, die, wie Fr. Manuel da Esperança berichtet, die Andacht des Geistes durch die Lektüre der Heiligen Schrift und anderer frommer Bücher pflegte, aus denen sie viele Erkenntnisse gewonnen hatte, sodass sie in erhabenem Stil jeden beliebigen Evangelisten erklärte.67

Dies ist einer der wenigen Hinweise auf die Lektüre des Neuen Testaments, die uns vorliegen, und scheint neben der Verehrung für neutestamentliche Autoren eine wohlüberlegte und sorgfältige Lektüre anzudeuten, die geeignet war, das Auswendiglernen der Texte zu erleichtern. Eine weitere große Leserin der Heiligen Schrift und insbesondere des Psalters war Schwester Maria Madalena de Jesus (†1701), Klarissin im Kloster der Madre de Deus in Xabregas, die mit weltlichem Namen D. Maria de Castro (oder D. Maria Madalena de Meneses) geheißen hatte und aus dem Geschlecht der Grafen von Ericeira stammte.68 Ihr Biograph, Fr. Jerónimo de Belém, erklärt – hierbei scheint es sich allerdings um einen hagiographischen Topos zu handeln ‒, dass sie „Kenntnis ohne Studium besaß, denn sie erhielt Wissen und Belehrung in der Schule des Gebets“ und schöpfte aus dieser ihrer Betrachtung des biblischen Texts ihre „besondere Einsicht in die Schrift“.69 Ihre Werke weisen Übereinstimmung mit der Schrift auf. In einem davon, den zweigeteilten Commentarios Mysticos sobre os Psalmos de David, e Canticos de Salomão, beschäftigt sie sich auf sehr eigenständige Weise mit dem Text der Psalmen. Im Zusammenhang mit dem, was wir zurzeit über die Bibellektüre von Frauen wissen, dürfen auch die uns vorliegenden Informationen über die Dominikanerinnen nicht fehlen. Eine von ihnen ist Helena de Santo António, Ordensfrau im Jesuskloster in Aveiro, die „in der Heiligen Schrift sehr gelehrt war und mit der großen Lektion, die sie aus den heiligen Kommentatoren und Auslegern gelernt hatte, eine äußerst umfangreiche Bildung erlangte.“70 Mutter Paula da Conceição († 1603), Dominikanerin im Kloster des heiligen Johannes in Setúbal, hatte die Angewohnheit, nach dem Rosenkranzgebet „mit den Büchern zu beten; zuerst die sieben Bußpsalmen und danach ein ganzes Totenoffizium“.71

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MANUEL DA ESPERANÇA, Historia Seraphica, 263. EBD., 79. SOUSA, História Genealógica, Bd. XII, Teil II, 265. Fr. JERÓNIMO DE BELÉM OFM, Chronica Serafica da Santa Provincia dos Algarves da Regular Observancia do nosso Serafico Padre S. Francisco. Parte III (Lissabon: Officina de Ignacio Rodrigues, 1755), 395. PERIM, Theatro Heroino, Bd. II, 224. PERIM, Theatro Heroino, 429f. Vgl. auch: AZEVEDO, Portugal ilustrado, 92f. Fr. LUÍS DE SOUSA OP, Terceira parte da Historia de S. Domingos Particular do Reino e Conquistas de Portugal (Lissabon: per Domingos Carneiro, 1678). História de S. Domingos,

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Im Kloster São Domingos das Donas in Santarém lebte Mutter Violante de Mendonça (†1619), die zum siebenmonatigen Fasten ein beständiges Gebet und eine wohlbedachte Lektüre der heiligen Bücher hinzufügte, mit großer Kenntnis der Bibelstellen, die sie mit einzigartiger Schnelligkeit und Genauigkeit sowohl zu ihrer eigenen Erholung als auch zur Erbauung derer anwandte, die ihr zuhörten.72

Von Mutter Catarina da Glória, Dominikanerin im Corpus-Christi-Kloster in Vila Nova do Porto, wissen wir, dass sie „zu ihrer großen Kenntnis der Schrift das auswendige Beten und Rezitieren des Psalters hinzufügte.“73 Einige Jahre später begegnet uns im Anunciada-Kloster in Lissabon der einmalige Fall der Inês de Jesus (†1728), die besondere Erleuchtung von den Evangelien hatte und eine Person bat, sie möge ihr jeden Tag sagen, was die Kirche sang, doch nachdem sie zwei oder drei Wörter gehört hatte, sagte IGNES: Genug, genug, sprechen Sie nicht weiter. Und versank in die Betrachtung dieser [zwei oder drei Wörter]. Sie besaß auch besondere Einsicht in Salomos Hohelied.74

Auch wenn sie sich nicht auf eine konkrete Bibellektüre bezieht, lohnt es vielleicht, an die Interpretation der alttestamentlichen Rut-Perikope aus dem Thesouro Espiritual com seu commento theologico (1624) zu erinnern, die Fr. António Freire OSA der Witwe und Augustinertertiarierin Antónia da Silva gewidmet hat.75 In der Widmung stellt der Augustiner eine Parallele zwischen Rut und Antónia da Silva her, da diese ähnlich wie jene „als Witwe, die sich nach dem sichereren und verdienstvolleren Stand des Heiles sehnte, den heiligen Männern und Frauen gleichgesetzt werden kann, die die Profess wirklich abgelegt hatten.“76 Wir wollen mit dem Fall der Schwester Antónia de São Caetano († 1705) enden, einer Augustinerin aus dem Kloster von Chelas, die dem heiligen Evangelisten Johannes von Herzen zugetan [war] und aus diesem Grund sein ganzes Evangelium und die Apokalypse lernte und alles im Gedächtnis so gegenwärtig hatte, dass sie, ganz gleich ob man am Anfang oder am Ende begann, immer ohne Unterbrechung fortfuhr.77

Dieses letzte Zeugnis zeigt, dass die Praxis des Vorlesens und Sich-Einprägens einen wichtigen Zugang zum lateinischen Bibeltext darstellte, weil sich auf diese Weise auch

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Bd. II (eingel. u. m. Anm. vers. v. M. Lopes de Almeida; Porto: Lello & Irmão Editores, 1977), 125f. LUÍS DE SOUSA, Terceira parte da Historia de S. Domingos, 668. EBD., 686. Francisco de Sousa da Silva Alcoforado REBELO, Vida de Soror Ignes de Jesus, religiosa conversa no Convento da Annunciada desta Cidade de Lisboa Occidental (Lissabon: Nova Officina de Mauricio Vicente de Almeyda, 1731), 87f. Fr. António FREIRE OSA, Thesouro Espiritual com seu commento theologico (Lissabon: por Antonio Alvarez, 1624). DERS., „Dedicatória“, in EBD. AZEVEDO, Portugal ilustrado, 90.

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Menschen, die des Lesens nicht mächtig waren, die Texte zu eigen machen konnten. Wir müssen also aus den uns vorliegenden Informationen, so bruchstückhaft sie auch sein mögen, schlussfolgern, dass der volkssprachliche Bibeltext sicherlich quer durch alle Bevölkerungsgruppen im Umlauf war, da es neben der Möglichkeit, sich die Anschaffung, die Lektüre oder den Besitz einer gedruckten volkssprachlichen Bibel genehmigen zu lassen, noch viele andere Mittel und Wege gab, sich – zum Beispiel durch die verschiedenen Gebetspraktiken ‒ mit den betreffenden Texten vertraut zu machen. Obwohl, wie Alessandro Strozzi, einer der Verantwortlichen für die Umsetzung des Index von 1559, schreibt, dass „es die Frauen verwirrt, wenn man ihnen die volkssprachlichen Bibeln und die Evangelien des Jahres wegnimmt, und sie sich gleichsam entschließen, das nicht glauben zu können“,78 scheint uns die Schlussfolgerung von Gigliola Fragnito zutreffend, der wir uns hier anschließen wollen: In ihren Briefen an die [Index-]Kongregation verwiesen Bischöfe und Inquisitoren auf das, was anscheinend eine konkrete Realität war: Die größten Nutznießerinnen der volkssprachlichen Bibelübersetzungen waren die Frauen, Laiinnen und Ordensfrauen.79

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Concilium Tridentinum, Bd. VIII (hg. v. Stephan Ehses; Freiburg i. Br.: Herder, 1919), 250, zitiert nach Antonio ROTONDÒ, „La censura ecclesiastica e la cultura“, in Storia d’Italia, Bd. 5/2: I Documenti (Turin: Einaudi, 1973), 1397‒1492; 1408. FRAGNITO, Proibito capire, 276.

Wort und Schweigen. Sor Juana Inés de la Cruz und die Bibel im Mexiko des 17. Jahrhunderts Francesca Cantù Universität Rom III

1. Eine umstrittene Nonne Einzigartig, faszinierend, gefeiert und angefeindet, Hüterin eines auch nach Jahrhunderten ungelösten Geheimnisses: So präsentiert sich die Gestalt der mexikanischen Hieronymitin Sor Juana Inés de la Cruz, die als die Zehnte Muse des hispano-amerikanischen Literaturpantheons in die Geschichte eingegangen ist und im Mexiko ihrer Zeit eine herausragende und symbolträchtige Rolle gespielt hat. Der thematische Reichtum ihrer Werke, die Tiefe ihrer Inspiration, der Zauber ihrer Dichtung, ihre feine und melancholische Ironie, ihr unstillbarer Wissensdurst und das tragische Bewusstsein der gesellschaftlichen und religiösen Grenzen, die ihr in ihrer mit Stolz, aber auch leidvoll erfahrenen Situation als Frau auferlegt waren, haben in den nachfolgenden Epochen, doch vor allem in unserer Zeit eine Flut von Veröffentlichungen ausgelöst, die bis heute nicht abgeebbt ist. Seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – genauer gesagt seit der inspirierenden Biographie von Octavio Paz (1982), der Sor Juana wieder mit Nachdruck in den Blickpunkt der modernen Forschung gerückt hat1 ‒ haben die ihr gewidmeten wissenschaftlichen Studien und Publikationen einen neuen Höhepunkt erreicht, der zugleich ein Schnittpunkt recht unterschiedlicher Fachrichtungen ist: von den eher traditionellen historisch-kritischen, literaturwissenschaftlichen und philologischen Disziplinen bis hin zu den eher innovativen Ansätzen der Philosophie, Theologie, Naturwissenschaften, Musikwissenschaft und der feministischen Theorie und Literatur.2 Das Bild, das man sich heute gemeinhin von der mexikanischen Ordensfrau macht, stilisiert sie zu einer Ikone des alltäglichen Kampfs der Frau um ihr Recht auf Wissen und Redefreiheit in den verschiedensten Bereichen, die ihr aufgrund ihrer intellektuellen Begabung und ihrer

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Octavio PAZ, Sor Juana Inés de la Cruz o las trampas de la fe (Mexiko-Stadt: Fondo de Cultura Económico, 1982); dt. Übers.: Sor Juana Ines de la Cruz oder Die Fallstricke des Glaubens (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994). Alberto PÉREZ-AMADOR ADAM, La ascendente estrella. Bibliografía de los estudios dedicados a Sor Juana Inés de la Cruz en el siglo XX (Madrid: Iberoamericana, 2007) verzeichnet 2.592 bibliographische Einträge in den verschiedenen Arbeiten, die sich auch auf die Darstellung von Schwester Juana Inés in der Kunst, im Kino und im Internet sowie auf die Formen beziehen, die ihre Ideen im Rahmen der barocken Kultur und des religiösen und klösterlichen Lebens im Vizekönigreich Mexiko angenommen haben. Einen Überblick über die neueren dokumentarischen Beiträge zu ihrer Biographie bietet Herón PÉREZ MARTÍNEZ in dem Sonderheft „La vigencia de sor Juana Inés de la Cruz“, Acta Universitaria 18 (2008): 5‒14.

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Studien offenstanden: ein Kampf, in dessen Verlauf Sor Juana den – für die hohe kirchliche Hierarchie und die religiöse Welt ihrer Zeit überaus brisanten ‒ Anspruch erhob, Theologin zu sein und die Heilige Schrift auslegen zu können. Um die Radikalität ihres Eintretens für die freie Ausübung der weiblichen Intelligenz zu verstehen, die, davon war sie überzeugt, der männlichen in keiner Weise unterlegen war, und um einschätzen zu können, mit welchem Mut sie sich auf gefährliche Auseinandersetzungen mit Beichtvätern und Bischöfen einließ, ist es zunächst ratsam, sich mit einigen Schlüsseldaten ihrer Biographie zu befassen. Juana Ramírez de Asbaje – so ihr Taufname – wurde am 12. November 16513 in einem Gutshaus in der Nähe von San Miguel de Nepantla geboren, das ihrer Mutter, der Kreolin Isabel Ramírez de Santillana, gehörte. Von klein auf legte die uneheliche Tochter des spanischen Offiziers Pedro Manuel de Asbaje y Vargas Machuca einen unstillbaren Wissensdurst an den Tag. Sie lernte mit solcher Leidenschaft, dass sie schon als Dreijährige die kindlichen Spiele gegen die Lektüre eintauschte. Auch für frühpubertäre Eitelkeiten ließ die selbstauferlegte Disziplin, mit der sie ihre Studien betrieb, keinerlei Raum. Ihr sehnlicher Wunsch, in der mexikanischen Hauptstadt die Universität zu besuchen – sie war sogar bereit, sich zu diesem Zweck als Mann zu verkleiden ‒, blieb unerfüllt, weil er allzu sehr von dem abwich, was die damalige Gesellschaft den Frauen zugedacht hatte. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich autodidaktisch fortzubilden und unter ungezählten Vorwürfen die Bücher in der Bibliothek ihres Onkels mütterlicherseits auf dessen Besitz in Panoayán zu verschlingen. Nach dem Umzug nach Mexiko-Stadt (1664) kam der Ruf ihrer frühreifen Weisheit dem Vizekönig Antonio Sebastián de Toledo Molina y Salazar, Markgraf von Mancera, zu Ohren. Juana wurde an den Hof eingeladen und unter die jungen Damen der Vizekönigin Doña Leonor Carreto, ihrer leidenschaftlichen Mäzenin, aufgenommen: der Beginn ihrer kontinuierlichen Bindung an die Vizekönige. Große Bedeutung für ihr Schicksal als Ordensfrau und Dichterin hatten in den Folgejahren die Protektion durch Vizekönig Tomás Antonio de la Cerda (1680‒1688), Markgraf von la Laguna, und die zärtliche Freundschaft zur Vizekönigin María Luisa Manrique de Lara, Gräfin von Paredes.4 Während sie sich in den Salons bei Hofe einen Ruf als Literatin erwarb, stellte ihre innere Lernbegierde („indem ich las und las, studierend weiter und weiter stöberte“)5 ihr nur ein Ziel vor Augen: „allein zu leben“, ohne „jede vorgeschriebene Beschäftigung,

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Einige Wissenschaftler geben 1648 als Geburtsjahr an. Vgl. Georgina SABAT DE RIVERS, „Mujeres nobles del entorno de Sor Juana“, in Y diversa de mí misma entre vuestras plumas ando. Homenaje internacional a Sor Juana Inés de la Cruz (hg. v. G. Sabat de Rivers; Mexiko-Stadt: El Colegio de México, 1993), 1‒19. Juana Inés DE LA CRUZ, Respuesta a sor Filotea (nachfolgend Respuesta), in DIES., Obras completas, Bd. 4 (hg. v. Alberto G. Salceda; 1. Nachdr.; Mexiko-Stadt 1976). Der Bequemlichkeit halber legen wir hier die Online-Ausgabe zugrunde: Sor Juana Inés DE LA CRUZ, Cartas, Copyright www.elaleph.com, 1999, 37. Dt. Übers.: Juana Inés DE LA CRUZ, Erster Traum. Mit der Antwort an Sor Filotea de la Cruz (Aus dem Span. übertr. von Fritz Vogelgsang; Frankfurt a. M./Leipzig: Insel-Verl. 1993), 111.

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welche die Freiheit meiner Studien beeinträchtigt“ und ohne „den Lärm des Gemeinschaftslebens, der die stille Gelassenheit meiner Bücher stört.“ Ihr Lebensentwurf widersprach jedoch den Modellen der weiblichen Lebensführung, die in der bürgerlichen und religiösen Gesellschaft ihrer Zeit akzeptiert waren. Schließlich nahm der Plan, Nonne zu werden, vor ihrem inneren Auge Gestalt an, „da der geistliche Stand sich am ehesten mit meiner totalen Abneigung gegen die Ehe verträgt und der angemessenste Ausweg war, den ich wählen konnte im Blick auf die von mir ersehnte Gewissheit meiner Erlösung.“6 Ihre letzten Bedenken und Unsicherheiten vermochte der Beichtvater zu zerstreuen, den sie bei Hof kennengelernt hatte und der ihr geistlicher Leiter wurde: der Jesuit Antonio Núñez de Miranda, der es kaum erwarten konnte, Gott und der Kirche öffentlich ein solches Unterpfand weiblicher Intelligenz und Anmut darzubringen.7 Mit 17 Jahren trat Juana nach einem kurzen Intermezzo im Karmelitinnenkloster in das reiche und bedeutende Hieronymuskloster ein, wo sie ihre Ordensprofess ablegte. Ab sofort verfolgte die junge Nonne ein neues Ziel: Das Ziel, das ich erstrebte, war das Studium der Theologie. Es schien mir nämlich ein erbärmliches Versagen, dass ich, als Katholikin, nicht alles wusste, was man in diesem Leben, auf natürlichen Erfahrungswegen, von den göttlichen Geheimnissen zu erfassen vermag. Da ich Klosterfrau bin und keine Laienschwester, bin ich durch meinen geistlichen Stand ja dazu verpflichtet, mich um Wissen und Bildung zu bemühen, zumal als Tochter eines Sankt Hieronymus und einer heiligen Paula. Es wäre ja eine Entartung, wenn die Tochter solch gelehrter Eltern in Stumpfsinn dahinleben würde.8

Und so fuhr ich also fort mit meinen Studien, stets darauf bedacht […], mich Schritt für Schritt dem Gipfel der Heiligen Theologie zu nähern. Um dahin zu gelangen, hielt ich es für nötig,

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Respuesta, 37 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 110). Vgl. Donne e fede (hg. v. Lucetta Scaraffia und Gabriella Zarri; Rom/Bari: Laterza, 1994), IX: „Auch wenn […] die Misogynie der christlichen Hierarchien oft die Oberhand behielt, stand den Frauen die Entscheidung für ein Leben in gottgeweihter Jungfräulichkeit als ein Weg offen, ihre Identität zu behaupten, die ansonsten völlig von der Last und Not ihrer biologischen Rolle überdeckt worden wäre.“ Vgl. Juan de OVIEDO, Vida ejemplar, heroicas virtudes y apostólicos ministerios del V.P. Antonio Núñez de Miranda de la Compañía de Jesús (Mexiko-Stadt: Herederos de la Viuda de Francisco Rodríguez Lupercio, 1702), Kap. V. Antonio Núñez de Miranda war von 1660 bis 1695, seinem Todesjahr, eine einflussreiche Persönlichkeit in Mexiko-Stadt: Verfasser asketischer Traktate, geistlicher Ratgeber der kreolischen Elite und der Regierenden, angesehener Beichtvater in den Frauenklöstern, Zensor der Inquisition und Präfekt der Congregación de la Purísima. Zu weiteren Einzelheiten im Zusammenhang mit der Biographie von Juana Inés de la Cruz vgl. María ÁGUEDA MÉNDEZ, Secretos del oficio: avatares de la Inquisición novohispana (Mexiko-Stadt: El Colegio de México, UNAM, 2001), 165‒195: „No es lo mismo ser calificador que calificado: una adición a la bibliografía de Antonio Núñez, confesor de Sor Juana“ und 197‒ 210: „Antonio Núñez de Miranda, confesor de Sor Juana: un administrador poco común.“ Respuesta, 38 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 111f.). Die vornehme Römerin Paula, Schülerin des hl. Hieronymus, war Mitpatronin des Klosters von Schwester Juana.

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über die Stufen der weltlichen Wissenschaften und Menschenkünste emporzusteigen. Denn wie sollte man die Geistesart der Königin aller Wissenschaften verstehen, wenn man noch nicht einmal das Wesen ihrer Dienerinnen kennt?9

Philosophie, Literatur, Mythologie, Naturwissenschaften, Astronomie, Musik: Bildung war für Juana ein nicht enden wollendes Abenteuer, und die errungenen und erworbenen Kenntnisse sind zudem ihre ganze Verbindung zur Außenwelt. In ihrem Sprechzimmer verkehrten hochrangige Kirchenmänner, Akademiker, Intellektuelle, Wissenschaftler und Reisende, die die Neue Welt besuchten. Um sie zu treffen, machten die Vizekönige das Kloster zu ihrem zweiten Zuhause. Auf den Regalbrettern in ihrer Zelle stapelten sich die Bücher (am Ende ihres Lebens werden es über 4.000 sein) und die kostbaren wissenschaftlichen Instrumente, die man ihr zum Geschenk gemacht hatte, damit sie die Gesetze der Natur erforschte.10 Das Kloster war für sie ein Ort der Abgeschiedenheit und des intellektuellen Alleinseins. Aus Gründen des Gehorsams verlangte man von ihr, ihre Studien zu unterbrechen und auf ihr literarisches Schaffen zu verzichten, das als zu weltlich beurteilt wurde. Angesichts ihres Ruhms, der sich weit über die Klostermauern hinaus verbreitete, wurde von außen Druck auf die klösterlichen Autoritäten ausgeübt, damit diese ihr verboten, ihren Interessen nachzugehen – was „bei einer sehr frommen und sehr treuherzigen Äbtissin“ schließlich auch gelang, „die glaubte, das Studium sei eine Sache, welche die Inquisition auf den Plan rufe, weshalb sie mir befahl, es zu unterlassen.“11 Die größten Gefahren und Repressalien gingen jedoch nicht von denen aus, die ihr aus Neid oder Hass Steine in den Weg legten und sie diffamieren wollten, sondern von denen, die aus [vermeintlicher] Liebe zu mir und in Sorge um mein Heil […] mich noch mehr marterten und folterten als die anderen, mit der ständigen Warnung: Dieses Studium ist nicht zu vereinbaren mit der frommen Unwissenheit, zu der die Nonnen verpflichtet sind; in solch schwindelnde Höhen emporgestiegen, wird sie [Sor Juana] sich mit ihrem eigenen Scharfsinn und Vorwitz den Kopf verwirren und taumelnd ins Verderben stürzen. Dem standzuhalten – wieviel Kraft hat mich das wohl gekostet?12

Schon bald wurde ihr bewusst, dass „wissen“ und „das Wort ergreifen“ eine Kombination war, die sich mit dem Status der Frauen ihrer Zeit nicht vertrug, und dass zwischen dem Dasein als Frau und dem Dasein als Schriftstellerin ein unüberbrückbarer und gesellschaftlich sanktionierter Widerspruch bestand.13 Das beweist das ambivalente Lob, das ein anonymer peruanischer Caballero ihrem literarischen Schaffen zollte: Sie solle 9 10 11 12 13

Respuesta, 38 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 112). Vgl. Elías TRABULSE, „El universo científico de Sor Juana Inés de la Cruz“, Colonial Latin American Review 2 (1995): 41‒50. Respuesta, 48 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 129f.). Respuesta, 43 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 121). Josefina LUDMER, „Tricks of the Weak“, in Feminist Perspectives on Sor Juana Inés de la Cruz (hg. v. Stephanie Merrim; Detroit (Mich.): Wayne State University Press, 1999), 86‒93; 87; Stephanie MERRIM, „Toward a Feminist Reading of Sor Juana Inés de la Cruz: Past, Present and Future Directions on Sor Juana Criticism“, EBD., 11‒37; 15.

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ihr Geschlecht ändern, wenn sie als Dichterin vollends anerkannt werden wolle.14 Mit bitterer und beißender Ironie antwortete Sor Juana, dass dies, selbst wenn sie seiner Aufforderung nachkommen könnte, doch zu nichts nütze sei, da ihre (weibliche) Feder verglichen mit der (männlichen) ihres Gegenübers doch nur „Worte ins Wasser“ schreibe. Die ironische Gegenüberstellung ihres weiblichen Nicht-Wissens und des Wissens der Männer (in diesem Fall vertreten durch den anonymen Caballero, einen mittelmäßigen Verseschmied, der gerne berühmt gewesen wäre) markiert den subalternen Bereich, innerhalb dessen die Gesellschaft ihrer Zeit das Studium und den Wissenserwerb von Frauen tolerierte. Ihre notgedrungen verfolgte Strategie des Schweigens bezeichnet den Raum ihres weiblichen Widerstands gegen die Hegemonie der männlichen Macht in der öffentlichen Sphäre. Stephanie Merrim hat überzeugend dargelegt, dass die herrschende Kultur der damaligen Zeit mit dem Begriff der Schriftstellerin die Vorstellung von einer unnatürlichen Intersexualität verband – ein Zusammenhang, den Sor Juana genauestens durchschaute. Und sie erkannte, was es für sie bedeuten würde, den Rat des Peruaners zu befolgen: nämlich hacerme fuerza (das heißt, ihrer weiblichen Natur im wahrsten Sinne des Wortes Gewalt anzutun), ohne dass ein derart gewalttätiger Akt irgendeinen Sinn hätte. Der Ratschlag beweist ja selbst bereits, wie sehr der Raum des öffentlichen Diskurses von Autorität und Gewalt beherrscht war, sodass den Frauen auf dem Gipfel des Wissens nur mehr ein Raum offenstand: der des Schweigens.

2. Heilige Unwissenheit und Heilige Schrift Die heilige Unwissenheit, die die kirchliche Männerwelt als der weiblichen Natur der Nonnen angemessen und als notwendige Bedingung für ihr Seelenheil predigte, sah das Studium der Theologie und der Heiligen Schrift nicht vor, von dem Juana Inés de la Cruz sich jedoch unwiderstehlich angezogen fühlte. Dennoch war die Bibelforschung in den spanischen Königreichen des Mittelalters und der frühen Neuzeit zu erheblicher Bedeutung gelangt.15 Nach Erscheinen der kastilischen Bibel von Alfons X. El Sabio (1221‒1284) brach in den Königreichen Kastilien und Aragon ein Bibelzeitalter an, das bis ins 15. Jahrhundert währte. Die volkssprachlichen Übersetzungen der Heiligen Schrift gipfelten in der Biblia del Duque de Alba, einem Werk von unverkennbar jüdisch-christlicher Prägung, das der Rabbiner Moisés Arragel im Auftrag des Großmeisters des Ordens von Calatrava, Luis de Calatrava, angefertigt hatte. Eine der ersten gedruckten Bibeln in Romance (in katalanischer Sprache) erschien zwischen 1477 und 1478 in Valencia. Die spanische Inquisition ordnete jedoch unverzüglich deren Beschlagnahmung an, weil sie darin die

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Juana Inés DE LA CRUZ, Respondiendo a un caballero del Perú, que le envió unos barros diciéndoles que se volviese hombre, in DIES., Inundación castálida (nachfolgend IC) (hg. v. Georgina Sabat de Rivers; Madrid: Castalia, 1982), 490, Nr. 48. Hugues DIDIER, „Bibles romanes et nations ibériques“, in Les enjeux de la traduction, Actes des sessions 1995 et 1996 (Lyon: Cahiers du CREDIC, 1997), 122‒142.

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Quelle einer ganzen Reihe von judaisierenden Schriften zu erkennen glaubte. In spanischen Kirchenkreisen verfestigte sich die Überzeugung, dass ein durch die Volkssprache begünstigter, direkter Zugang der Laien zur Heiligen Schrift gefährlich sei. Der freie Zugriff auf die Vulgata – und nur auf diese (lateinische) Bibelübersetzung – war den geweihten Amtsträgern und ausschließlich männlichen Ordensleuten vorbehalten. Dennoch stand Spanien mit der großartigen Complutensischen Polyglotte (1514‒1517), die auf Wunsch des Kardinals Francisco Jiménez de Cisneros in Alcalá de Henares erschienen war, und mit der monumentalen Biblia Políglota Regia (1569‒1573), die Benedictus Arias Montanus im Auftrag Philipps II. herausgegeben und Plantin in Antwerpen gedruckt hatte, weiterhin an der Spitze der bibelwissenschaftlichen Avantgarde humanistischer Prägung. Die Frauenklöster hatten an dieser Art der Bibelforschung jedoch keinen Anteil ‒ weder in Spanien selbst noch in seinen amerikanischen Herrschaftsgebieten –16, obwohl sie in den Epochen der Renaissance und des Barock eine Fülle an spiritueller Literatur hervorbrachten: Autobiographien, Briefe, Gebete, Erzählungen von mystischen Erfahrungen.17 Für viele Nonnen erwies sich das Schreiben als traumatischer und konfliktbeladener Akt. Unter nicht selten widrigen kulturellen Umständen waren sie bemüht, die Anweisungen ihrer Beichtväter zu befolgen, und unterwarfen sich furchtsam der Überprüfung ihrer Orthodoxie, die im äußersten Fall sogar zu einer Befragung durch die Inquisition führen konnte. „Die Ordensfrau“ – schreibt Asunción Lavrín in ihrer Arbeit über die Frauenklöster im neuzeitlichen Mexiko – „hatte keine persönlichen Räume, in die ihr Beichtvater nicht eindringen, die er nicht inspizieren und beurteilen konnte“, und war permanent der wachsamen männlichen Kontrolle unterworfen, „weil man sich nicht traute oder es nicht für ratsam hielt, die weibliche Spiritualität ohne vorherige Zensur offenzulegen.“18 In einer kleinen Schrift über die geistliche Unterweisung der Nonnen hatte der berühmte Jesuit und Beichtvater Núñez erklärt: „Vom Tag ihrer Profess an muss eine Braut Christi […] sich mit ihrer Liebe als für die Welt gestorben betrachten, als hätte sie niemals Güter, Privilegien und menschliche Beziehungen gekannt oder genossen.“ „Mit dem Gehorsamsgelübde“ – so der Jesuit weiter ‒ „verzichtet die Ordensfrau auf ihren

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Dies war die allgemeine Tendenz; neuere Studien haben allerdings Fälle dokumentiert, in denen auch in den spanischen Klöstern versucht wurde, Bibelforschung zu betreiben. Vgl. hierzu Maria Laura GIORDANO, „La Contrarreforma y sus críticos. Biblia y oración mental en Hipólita de Rocabertí“, in Tradición y Modernidad. El pensamiento de los dominicos en la Corona de Aragón en los siglos XVII y XVIII (hg. v. Rosa María Alabrús Iglesias; Madrid: Sílex, 2011), 17‒52; DIES., „La ‘redención’ del tiempo perdido. La dominica Sor Hipólita de Jesús y la enseñanza de la Biblia en tiempos de la Contrarreforma“, in La vida cotidiana y la sociabilidad de los dominicos (hg. v. Rosa María Alabrús Iglesias; Barcelona: Arpegio, 2013), 149‒166. Vgl. Electa ARENAL und Stacey SCHLAU, Untold Sisters: Hispanic Nuns in their own Works (Albuquerque: University of New Mexico Press, 1989); Kapitel VI behandelt Mexiko. Asunción LAVRÍN, „Espiritualidad en el claustro novohispano del siglo XVII“, Colonial Latin American Review 2 (1995): 155‒180; 173. Mittels der Beichte kontrollierte die Institution Kirche jede nur mögliche heterodoxe Abweichung.

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eigenen Willen und ihre Wahlfreiheit.“19 Mit barockem Pathos verkündete er seinen eingeschüchterten Zuhörerinnen: „Ihr müsst die fetten Herden eurer Talente und eurer Begabungen hegen, mästen und reichlich groß werden lassen, um sie im Tempel des Gehorsams auf dem Altar der Nächstenliebe mit dem Messer der Abtötung zu schlachten.“20 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb sich Sor Juana in einem scharfen und außerordentlich mutigen Brief gegen ihren Beichtvater – keinen anderen als besagten Padre Núñez ‒ auflehnte, nachdem dieser ihre literarischen Interessen scharf und in aller Öffentlichkeit als zu weltlich kritisiert hatte: Meine Studien haben niemandem Schaden noch Schande gebracht, vor allem, weil sie so ganz und gar privat gewesen sind, dass ich mich nicht einmal der Anleitung eines Lehrers habe bedienen können und mich schlecht und recht nur um mich selbst und meine Arbeit gekümmert habe, denn ich weiß sehr wohl, dass der Besuch der öffentlichen Schulen für den Anstand einer Frau nicht schicklich ist, weil er Gelegenheit gibt, mit Männern zusammenzutreffen […]; aber die privaten und Einzelstudien, wer hat die den Frauen verboten? Haben sie keine vernünftige Seele wie die Männer? […] Welche göttliche Offenbarung, welche Bestimmung der Kirche, welcher Spruch der Vernunft hat für uns [Frauen] solch strenges Gesetz gemacht?21

Ehe sie sich schließlich in einem Akt der furchtlosen und hellsichtigen Autonomie von ihrem geistlichen Leiter trennte, bombardierte Sor Juana Inés ihn mit einem Hagel von Fragen: Ew. Ehrw. wollen, dass ich unbedingt in Unwissenheit erlöst werde; aber, mein geliebter Vater, kann denn das [dass ich erlöst werde] nicht auch mit Wissen geschehen? […] Denn warum muss man zu seiner Erlösung den Weg der Unwissenheit gehen, wenn es der eigenen Natur widerstrebt? Ist Gott nicht als höchste Güte auch höchste Weisheit? Warum soll ihm also die Unwissenheit mehr gefallen als das Wissen?22

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Pláctica doctrinal que hizo el padre Antonio Núñez […] en la professión de una señora religiosa del convento de san Lorenço (Mexiko-Stadt: Por la Viuda de Bernardo Calderón, 1679), fol. 3. Antonio NÚÑEZ DE MIRANDA, Distribución de las obras ordinarias y extraordinarias del día para […] el estado de las señoras religiosas (Mexiko-Stadt: Por la Viuda de Miguel de Ribera Calderón, 1712), 36f. Sor Juanas Brief an ihren Beichtvater wurde 1980 in Monterrey wiederentdeckt und erstmalig von Aureliano TAPIA MÉNDEZ veröffentlicht: Carta de sor Juana Inés de la Cruz a su confesor espiritual. Autodefensa espiritual (Monterrey: Universidad Autónoma de Nuevo León, 1986). Ich lege hier die kritische Ausgabe von Antonio Alatorre zugrunde, „La Carta de sor Juana al P. Núñez (1682)“, Nueva revista de filología hispánica 2 (1987): 591‒673; 625; dt. Übers.: PAZ, Sor Juana, 720f. ALATORRE, „La Carta de sor Juana“, 622f. (PAZ, Sor Juana, 722); zur Beziehung zwischen Sor Juana und ihrem Beichtvater vgl. María Dolores BRAVO ARRIAGA, El discurso de la espiritualidad dirigida: Antonio Núñez de Miranda, confesor de Sor Juana (Mexiko: UNAM, 2001).

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3. Die Carta Atenagórica Im reichen literarischen Schaffen der Juana Inés de la Cruz werden in den verschiedensten Gattungsformen (sakralen Liedern und Sacre Rappresentazioni, Dramen in Versen und in Prosa, geistlichen Übungen) zahlreiche religiöse Themen behandelt. Wenn es jedoch darum geht, das Auf und Ab und den Höhepunkt ihrer Auseinandersetzung mit der Theologie und der Bibel zu ermessen, ragen unter all ihren Schriften vor allem zwei Texte heraus: die Carta Atenagórica23 (auch bekannt unter dem Titel Crisis sobre un sermón) und die Respuesta a Sor Filotea de la Cruz. Diese Texte, die seit dem dreihundertsten Todestag der Ordensfrau 1995 einer fundierten Neubewertung unterzogen wurden, gelten inzwischen trotz ihres geringen Umfangs als die beiden Hauptwerke in Sor Juanas letztem Lebensabschnitt. Der erste ist eine in Abgrenzung und Widerspruch zu einem der bekanntesten und angesehensten Prediger der damaligen Zeit, dem Jesuiten Antonio Vieira,24 verfasste theologische Betrachtung, in der die Verfasserin abschließend eine eigene, anhand der Schrift akkurat begründete, Vieiras Darstellung allerdings diametral entgegengesetzte theologische These formuliert. Der zweite ist ein leidenschaftliches Plädoyer für das Recht, auch und gerade als Frau Theologie treiben zu dürfen, weil die Frau nicht allein durch Gottes Gnade, sondern vor allem aufgrund ihrer Menschennatur mit der nötigen Findigkeit ausgestattet ist, die Geheimnisse des Glaubens im Licht der Vernunft zu ergründen. Diese Überzeugung stellte Sor Juana Inés vor die nicht einfache Aufgabe, die landläufige Exegese des bekannten Pauluszitats Mulieres in ecclesiis taceant („[Es] sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen“, 1 Kor 14,34) auf den Kopf zu stellen, die, weil ausschließlich von Männern interpretiert, mit den reaktionärsten Vorurteilen der Männerwelt konform ging. Die Carta Atenagórica, die im Anschluss an einige im Sprechzimmer des Klosters mit dem Bischof von Puebla, Manuel Fernández de Santa Cruz, geführte Unterredungen 23

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Carta Athenagorica de la Madre Juana Ynés de la Cruz, religiosa profesa de velo […] que imprime y dedique a la misma sor Phylotea de la Cruz, su estudiosa aficionada en el convento de la Santissima Trinidad de la Puebla de los Ángeles (Puebla de los Ángeles: en la Imprenta de Diego Fernandez de Leon, 1690), nachfolgend Carta Atenagórica; eine moderne Ausgabe findet sich im 4. Bd. der Obras completas (nachfolgend OC). Ich lege hier die o. a. OnlineEdition zugrunde (vgl. Anm. 5). Diese Schrift von Sor Juana Inés wurde in Fama y obras pósthumas del Fenix de México, Décima Musa, poetisa americana sor Juana Inés de la Cruz […] (Madrid: En la Imprenta de Manuel Ruiz de Murga, 1700) unter dem Titel Crisis sobre un sermón wiederveröffentlicht. Nach Ansicht einiger Forscher weist das Adjektiv atenagórica darauf hin, dass der Verfasserin athenische Weisheit zuerkannt wird; andere beziehen es auf Athenagoras, den Verfasser einer an Kaiser Marc Aurel gerichteten Apologie (177 n. Chr.) zur Verteidigung des Christentums. Die deutsche Übersetzung stammt aus Sor Juana Inés DE LA CRUZ, Es höre mich dein Auge (hg. v. Alberto Perez Amador Adam; Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik, 1966). Eine erste Orientierung bietet der Artikel über Vieira im Diccionario histórico de la Compañía de Jesús, Bd. IV (hg. v. Charles E. O’Neill SJ und Joaquín M. Domínguez SJ; Rom/Madrid: Institutum Historicum S.J./Universidad Pontificia Comillas, 2011), 3948‒3951.

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entstand, war auf die dringenden Bitten des hohen Würdenträgers hin verfasst und diesem von der Ordensfrau übergeben worden; „gleich einem zweiten Mose“ hatte sie ihn „in den Nilfluten des Schweigens“ ausgesetzt und nicht gewusst, „dass er gedruckt werden sollte.“25 Selbiger Bischof gab sie Ende des Jahres 1690 in Druck und stellte ihr als Prolog einen von ihm selbst unter dem Pseudonym Sor Filotea de la Cruz verfassten und mit Zweideutigkeiten und Anspielungen gespickten Brief an die Autorin voran: wahrscheinlich einer der vielen Fallstricke des Glaubens, mit denen Octavio Paz zufolge der Lebensweg der Juana Inés de la Cruz übersät gewesen ist. Heute zweifelt die historischkritische Forschung an der Aufrichtigkeit und dem Wohlwollen des Bischofs von Puebla, der lange Zeit zu den Freunden der Zehnten Muse gezählt wurde und gegenüber der hohen mexikanischen Kirchenhierarchie als ihr Beschützer galt. Paz selbst hat in Anlehnung an Dario Puccini26 die Vermutung geäußert, dass Fernández de Santa Cruz Sor Juana Inés instrumentalisiert und ihre Bekanntheit und Brillanz benutzt haben könnte, um den Erzbischof von Mexiko-Stadt, Francisco Aguiar y Seijas, zu attackieren, der ihm den Metropolitansitz streitig gemacht und, selbst ein einflussreicher Jesuit, seine Wertschätzung für Padre Vieira öffentlich bekundet hatte. Erwartungsgemäß löste die Veröffentlichung der Carta Atenagórica eine Flut an Reaktionen aus: von überschwänglichen Lobreden bis hin zu unbarmherzigsten Verrissen. In klösterlichen und weltlichen Kreisen wurden leidenschaftliche und heftige Polemiken geführt, die sich weit über die Grenzen Mexikos hinaus auf Peru, Spanien und Portugal ausdehnten.27 25

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Respuesta, 60 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 152f.). Nach Ansicht einiger Wissenschaftler wurde das Manuskript einem anderen Gesprächspartner ausgehändigt und erst später von Bischof Fernández de Santa Cruz erworben, vgl. Alejandro SORIANO VALLÈS, „Un género supremo de providencia: sor Juana Inés de la Cruz y la tesis de los beneficios negativos en la Carta Atenagórica“, Literatura Mexicana 1 (2003): 23‒62; 23‒30. Dario PUCCINI, Sor Juana Inés de la Cruz. Studio di una personalità del Barocco messicano (Rom: Ateneo, 1967); DERS., Una donna in solitudine. Sor Juana Inés de la Cruz. Un’eccezione nella cultura e nella letteratura barocca (Bologna: Cosmopoli, 1996). Zu den meistdiskutierten Dokumenten dieser Polemik gehört die Carta que aviendo visto la Athenagórica que con tanto acierto dio a la estampa Sor Philotea de la Cruz del Convento de la Santíssima Trinidad de la Ciudad de los Ángeles, escribía Seraphina de Christo en el convento del N.P.S. Gerónimo de México. Elías Trabulse hat den Brief von Schwester Seraphina (ganz sicher ein Pseudonym), der 1996 als Faksimile-Ausgabe in Mexiko-Stadt erschienen ist, Sor Juana selbst zugeschrieben: TRABULSE, El enigma de Serafina de Cristo: Acerca de un manuscrito inédito de Sor Juana Inés de la Cruz (Toluca: Instituto Mexiquense de Cultura, 1995). Antonio Alatorre und Marta Lilia Tenorio haben dieser Zuschreibung widersprochen: Serafina y Sor Juana (Mexiko-Stadt: El Colegio de México, 1998). José Antonio RODRÍGUEZ GARRIDO, La ‘Carta atenagórica’ de sor Juana: Textos inéditos de una polémica (MexikoStadt: UNAM, 2004), und Antonio ALATORRE, „Una Defensa del padre Vieira y un Discurso en defensa de Sor Juana“, Nueva Revista de Filología Hispánica 1 (2005): 67‒96, haben weitere Texte aus besagter Polemik identifiziert und kommentiert. Zum Vergleich zwischen Sor Juana und Antonio Vieira vgl. K. Josu BIJUESCA und Pablo A. J. BRESCIA (Hgg.), Sor Juana & Vieira. Trescientos años después. Anejo de la revista Tinta (Mexiko-Stadt: Department of Spanish and Portuguese, Santa Barbara, University of California, 1988); Luisa TRIAS FOLCH,

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Um den Kampfplatz abzustecken, ist es hilfreich, daran zu erinnern, dass ebenjener Antonio Vieira in seinem bekannten Sermão da Sexagésima von 1655 die Exzesse der damaligen Sakralrhetorik angeprangert hatte, die sich in einem hoffnungslos überladenen und gekünstelten barocken Stil äußerte: Die Prediger ersannen logische Konstruktionen, Bilder, Metaphern und Metaphern von Metaphern, um die Bewunderung der Gläubigen zu erregen und ihre Zuhörer mit immer neuen und überraschenden Sinnzuweisungen auf den Gebieten der Theologie und Bibelexegese zu verblüffen.28 Mit Bezug auf das Gleichnis vom Sämann aus dem Matthäusevangelium (Mt 13,3‒ 8; 18‒23), in dem Christus die Ausbreitung seines Wortes mit dem Ausbringen der Saat durch den Bauern vergleicht, hatte Vieira erklärt, das Säen sei „eine ungekünstelte Kunst“, weil das Samenkorn „fällt, wohin es fällt“. Ebenso natürlich müsse der Stil des Predigers sein, da ja auch das Wort der Bibel einfach ist und der Natur entspricht. Zitate dürften nicht der eitlen Ausschmückung dienen, sondern müssten auf der Suche nach fruchtbarem Boden wie zufällig fallengelassen werden. „Im Haus Gottes“ – so kommentiert Vieira und bleibt damit in der Bildlichkeit des Gleichnisses ‒ „sind die schlechtesten Zuhörer wie die Felsen und die Dornen“, die das Keimen der Saat verhindern: „die Dornen, weil sie spitz, die Felsen, weil sie hart sind. Die schlimmsten Zuhörer sind die mit einem allzu scharfen Verstand und die mit einem verhärteten Willen“, und Erstere ganz besonders, „weil sie kommen, um Spitzfindigkeiten zu hören, auf elegante Sätze zu warten, Argumente abzuwägen und zuweilen das, was nicht genügend sticht, noch weiter zuzuspitzen.“29 Ein anderer recht berühmter Jesuit, Juan Eusebio Nieremberg, hatte in seinen exegetischen Schriften ähnliche Vorstellungen formuliert.30 Auch er sah das Wort Gottes in der Einfachheit der Natur ausgedrückt, wie es im Psalm Davids heißt: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und das Firmament kündet das Werk seiner Hände“ (Ps 19,1). „Früher“, so Vieira, „hat er [der Prediger] die Welt bekehrt. Warum bekehrt sich heute niemand mehr? Weil man heute mit Worten und Argumenten predigt; früher predigte man mit Worten und Werken. Worte ohne Werke sind wie Schüsse ohne Munition: Sie knallen, aber sie treffen nicht.“31 Der fehlende Ertrag sei einem kapitalen Irrtum geschuldet: Der Prediger predige nicht das Wort Gottes, sondern seine eigenen Wörter. Muss man sich da wundern, dass die Wirkung ausbleibt? Vieira schreibt:

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„Novos documentos sobre a controvérsia de Sor Juana Inés de la Cruz e o padre António Vieira“, Límite. Revista de estudios portugueses y de la lusofonía 5 (2011): 75‒89. Vgl. Don Paul ABBOT, Rhetoric in the New World: Rhetorical Theory in Colonial Spanish America (Columbia: University of South Carolina Press, 1966). Zur rhetorischen Struktur der Respuesta vgl. Rosa PERELMUTER PÉREZ, „La estructura retórica de la Respuesta a sor Filotea“, Hispanic Review 2 (1983): 147‒158. Antonio VIEIRA, Obras escolhidas, com prefácios e notas de António Sérgio e Harnâni Cidade, Bd. XI: Sermões, Teil II (Lissabon: Sá da Costa, 1996), 215. Juan Eusebio NIEREMBERG, De origine Sacrae Scripturae Libri duodecim (Lugduni: P. Prost, 1641); vgl. Hugues DIDIER, „Juan Eusebio Nieremberg, exegeta barroco“, in: La Biblia en el arte y en la literatura: V Simposio Bíblico Español, Bd. 1 (Pamplona: Universidad de Pamplona, 1999), 342ff. VIEIRA, Obras escolhidas, 218.

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Nur das Wort Gottes, das dem Sinn gemäß gepredigt wird, den Gott ihm verliehen hat, ist Wort Gottes, doch wenn es dem Sinn gemäß gepredigt wird, den wir ihm zuschreiben, ist es nicht mehr Wort Gottes, sondern zuweilen sogar Wort des Teufels, wie die Episode aus dem Evangelium lehrt, wo Jesus in der Wüste in Versuchung geführt wird.32

Und doch musste bei Juana Inés de la Cruz der Eindruck entstehen, dass ebendieser Vieira, der in der gesamten iberischen Welt von Brasilien bis Mexiko und von Lissabon bis Madrid bekannte und berühmte Prediger, im Sermón del Mandato ‒ einer am Gründonnerstag des Jahres 1650 in der königlichen Kapelle von Lissabon gehaltenen Predigt, in der er die theologische und exegetische Deutung des neuen Gebots Jesu „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12) revolutionieren wollte ‒ gegen seine eigenen Regeln verstoßen hatte. In besagter Predigt nämlich hatte Vieira es sich zum Ziel gesetzt, hieb- und stichfest und mit Argumenten, die, wie er selbst sagte, niemand würde widerlegen können, zu beweisen, worin die größte, tiefste und feinfühligste Liebe (fineza) bestanden habe, die Jesus Christus der Menschheit am Ende seines Lebens erwies, wie es im Evangelium heißt „liebte er sie bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Um sein Ziel zu erreichen, hatte Vieira die Antworten, die der heilige Augustinus, der heilige Thomas von Aquin und der heilige Johannes Chrysostomus zuvor auf diese Frage gefunden hatten, wiederaufgegriffen, kritisiert und zurückgewiesen. Für Vieira bestand die größte Liebestat, die Jesus Christus vollbracht hatte, nicht in seinem Erlösungstod (Augustinus), sondern darin, dass er die Abwesenheit nach dem Tod ertrug; nicht im Geschenk seiner selbst in der Eucharistie (Thomas), sondern darin, dass er in seiner sakramentalen Gegenwart auf den Gebrauch seiner fünf Sinne verzichtete; nicht darin, dass er seinen Jüngern voller Demut und Liebe die Füße wusch (Johannes Chrysostomus), sondern darin, dass er aus Liebe zu den Menschen Mittel zum Zweck ihrer wechselseitigen Liebe wurde, ohne für sich eine Erwiderung seiner Liebe zu verlangen, was er dadurch bewiesen hatte, indem er nicht nur seinen treuen Freunden, sondern auch seinem Verräter Judas die Füße wusch. Der heilige Augustinus hatte seine These mit dem Johannesvers „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13) begründet. Vieira wies diese Auslegung zurück: Die Stelle bei Johannes weise zwar darauf hin, dass Christus die Menschen mehr geliebt habe als sein Leben. Der Kontext der Schrift belege jedoch, dass seine Akzeptanz der Abwesenheit nach dem Tod schmerzlicher gewesen sei als der Tod selbst – und damit ein kostbareres Liebesgeschenk. Die Belege dafür, dass „die Abwesenheit schwerer wiegt als der Tod“, waren nach Ansicht des Jesuiten im heiligen Text selbst enthalten. So hatte Maria Magdalena zwar am leeren Grab, das die Abwesenheit Christi manifestierte, nicht aber zu Füßen des Kreuzes geweint, an dem Christus den Geist ausgehaucht hatte. Der Herr Jesus hatte in der Bedrängnis und Einsamkeit des Ölbergs Blut geschwitzt und damit gezeigt, dass die Trennung von seinen Jüngern ihm Todesqualen bereitete, während es über sein Sterben am Kreuz einfach heißt: „Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh 19,30).

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EBD., 236f.

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Und schließlich hatte Christus, obwohl er sofort hätte auferstehen und somit unverzüglich ein Heilmittel gegen den Tod selbst hätte präsentieren können, den Tod drei Tage lang ertragen, ehe er auferstand. Das Sakrament der eucharistischen Präsenz hingegen hatte er, da er nicht einmal eine Stunde lang von den Seinen hatte getrennt sein wollen, bereits beim Letzten Abendmahl eingesetzt, obwohl er dies auch nach seiner Auferstehung hätte tun können. Antonio Vieira hatte also nach allen Regeln der barocken Redekunst versucht, die Neuheit des Gebotes Christi auf die unbestreitbare Neuheit einer noch nie dagewesenen Interpretation zu gründen. Sor Juana vollzog seine Gedankengänge allerdings nach und deckte mit Scharfsinn und Geschick die Stellen auf, wo die rhetorische Gewandtheit des Jesuiten zum intellektuellen Kunstgriff geworden ist und er den biblischen Text manipuliert hat, um ihn mit einer vorgefassten Deutungsabsicht in Einklang zu bringen. Hatte Vieira aus den Tränen der Maria Magdalena geschlossen, dass die Abwesenheit größeren Schmerz hervorruft als der Tod, so schöpfte Sor Juana aus der psychologischen Erfahrung das tatsachenbasierte Gegenargument, dass ein allzu großer Schmerz unsere Handlungen, unsere Gefühle und mithin auch unsere Tränen verhindern kann. Maria Magdalena weint am Grab ihres Bruders Lazarus, den sie mit natürlicher Liebe geliebt hat, aber nicht zu Füßen des Kreuzes Jesu, den sie mit besonderer Vorliebe geliebt hat, weil sie durch seine Vergebung neu geschaffen worden war („Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat“, Lk 7,47): Hierdurch wird bewiesen, aufgrund natürlicher Ursache, dass der Schmerz geringer ist, wenn er dem Wehklagen Raum gibt […]. Demnach sind die Tränen kein Zeichen von sehr großem Schmerz, denn sie sind ein so allgemeines Sinnbild, dass sie in gleicher Weise dem Kummer und dem Vergnügen dienen.33

Diese Widerlegung ist ein anschauliches Beispiel für Sor Juanas Überzeugung, dass die Vernunft durchaus geeignet ist, einem denkenden Glauben eine nicht etwa gekünstelte, sondern realistische Grundlage zu liefern. Aus Joh 16,7 („Es ist gut für euch, dass ich fortgehe“) hatte Vieira gefolgert, dass Christus aus Liebe zu den Menschen das Leid seiner eigenen Abwesenheit auf sich genommen hatte. Juana Inés de la Cruz entlarvte diese Lesart jedoch als falsch: „Es ist wahr, dass er [Christus] geht, aber es ist falsch, dass er sich entfernt. Verschwenden wir keine Zeit: Wir kennen schon die Unendlichkeit seiner Anwesenheiten.“34 Zur Untermauerung seiner These hatte Vieira ferner angeführt, dass Jesus den Vater aufgrund seiner Abwesenheit um die Aussendung des Heiligen Geistes gebeten habe. Sor Juana hielt seine Deutung allerdings für unstimmig: Es sei ja Christus selbst (hier stützt sie sich auf die Dreifaltigkeitslehre), der mit der Aussendung des Heiligen Geistes zurückkehre. Mit philosophisch und theologisch stichhaltigen Argumenten zeigt Juana Inés, dass die Gründe, die der Jesuitenpater anführt, nur vorgeschoben und auf der Basis von Gegensatzpaaren wie Tod und Abwesenheit, Sein und Dasein, Essenz und Akzidenz,

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Carta Atenagórica, 11 (Es höre mich dein Auge, 137f.). Carta Atenagórica, 11 (Es höre mich dein Auge, 136f.).

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Ursache und Wirkung, Mittel und Zweck künstlich konstruiert sind, die oft gar keinen Vergleich zulassen, weil sie unterschiedlichen dialektischen Ebenen angehören. Sie hingegen näherte sich dem biblischen Text auf realistische und rationale Weise35 und spinnt den Faden eines kohärenten theologischen Denkens, das alle zentralen Geheimnisse des christlichen Glaubens berührt: Menschwerdung, Erlösung, Eucharistie und die Erlöserliebe Jesu Christi. Sie skizziert die Bestandteile einer Christologie, die uns wie durch eine nur angelehnte Tür hindurch einen Blick auf ihr inneres Leben erhaschen lässt: Man ahnt, wie die aus der Erfahrung erwachsene Spannung in der spirituellen Weisheit und in der feinfühligen psychologischen Analyse der Beziehung zwischen Liebendem und Geliebtem Antworten sucht. Alle Texte aus dem Evangelium, die die Liebe Christi und die tiefste und heilbringende Bedeutung seines Todes bezeugen, den er aus Liebe auf sich genommen hat, werden – angefangen beim „Ich bin der gute Hirt; […] und ich gebe mein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,14.15) bis hin zum Consummatum est („Es ist vollbracht!“, Joh 19,30) ‒ im Licht einer stichhaltigen Exegese neu geordnet. Im Gegensatz zu Vieira, dem zufolge Christus mit seiner Liebe zu Judas (bei der Fußwaschung) bewiesen hatte, dass er für seine Liebe keine Gegenleistung erwartet, zeigt Sor Juana, dass Jesus in seinem „neuen Gebot“ die Liebe des Menschen nicht nur einfordert („Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“, Joh 14,15), sondern sie einfordert, obwohl er sie nicht braucht ‒ und genau hierin besteht seine grenzenlose Feinfühligkeit. In dieser Wechselseitigkeit der Liebe, aus der das Leben entspringt (hier verweist sie auf das Gleichnis vom Weinstock und den Rebzweigen, Joh 15,5), stellt Jesus sich als Medium zur Verfügung, doch anders, als Vieira dies verstanden wissen will; er stellt sich so zur Verfügung, dass Gottes Majestät das Medium und die Verbindung sein muss, damit wir uns gegenseitig lieben können. Und jeder weiß, dass das Medium, das zwei Glieder verbindet, sich enger und unmittelbarer mit ihnen verbindet, als sie sich untereinander.36

Statt Trennung in der Unterscheidung also Harmonie und Einheit in der Entsprechung. Vieiras Irrtum besteht darin, dass er aus der uneigennützigen Liebe Jesu die Überzeugung abgeleitet hat, Jesus wolle nicht wiedergeliebt werden. Tatsächlich aber verzichtet Christus lediglich darauf, aus dem Geliebt-Werden einen persönlichen Nutzen zu ziehen. Denn er sagt zu Petrus: „Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? […] Weide meine Lämmer“ (Joh 21,15), und zeigt damit, dass er die eingeforderte Gegenliebe nicht zu seinem eigenen Vorteil, sondern zum Wohl der anderen nutzen will. Und so findet durch das neue Liebesgebot die Grundlage jeder menschlichen Liebe in der durch seinen Erlösertod bezeugten göttlich-menschlichen Liebe des Gottessohnes

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Vgl. Pablo A. J. BRESCIA, „Las razones de sor Juana Inés de la Cruz“, Anales de Literatura Española 13 (1999): 85‒105. Brescia stellt die Logik als typisches Merkmal von Sor Juanas Denken und die rationale Argumentation als das einzige Mittel der Überzeugung heraus, das sie gelten lässt. Carta Atenagórica, 19 (Es höre mich dein Auge, 150).

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ihren Ausgangspunkt und ihr Ziel und die Fähigkeit, in einer neuen, durch die Liebesgemeinschaft mit Jesus, dem Erlöser, gespeisten Beziehung der Liebe zu den anderen Menschen über sich selbst hinauszuwachsen. Und ebendies ist für Sor Juana die fineza sin ejemplar der Liebe Gottes. Trotz seiner Thematik ist dieser Text der Juana Inés de la Cruz nicht der mystischen oder geistlichen Literatur zuzurechnen, die damals in den Frauenklöstern Neuspaniens florierte.37 Auch wenn sie sich auf die „heilige Teresa [von Ávila], meine geistliche Mutter“ berief,38 unterschied sich Sor Juana durch die ausdrückliche Absicht, rational über die Gründe des Glaubens zu diskutieren, weil die Vernunft zur menschlichen Person gehört und ihrer Freiheit zugrunde liegt: [Es ist] nötig, uns zu erinnern, dass Gott dem Menschen einen freien Willen gab, mit dem er schlecht oder gut handeln wollen kann, ohne dass er dafür Gewalt erleiden könnte, weil es [dass er ihm den freien Willen gab] eine Huldigung ist, die Gott ihm erwies, und der Grundsatz der echten Freiheit, die er ihm gewährte.39

Sor Juana Inés lässt alle Vorsicht fahren40 und schöpft aus ihrer weiblichen Identität die Entschlossenheit, auf theologischem und biblischem Terrain einem „auf dem Gebiet der Wissenschaften gemeinhin so verrufenen Geschlecht“ ihre Stimme zu leihen,41 sowie die Kraft, dem zu antworten, der „glaubte, dass es keinen Mann geben würde, der es wagt, ihm zu antworten“ – und der nun sehen muss, „dass eine unwissende Frau es wagt, für die diese Art des Studiums so unpassend ist und so fern ihrem Geschlecht.“42 Kürzlich haben einige Forscher die Auffassung vertreten, die mexikanische Ordensfrau habe mit ihrer entschiedenen Kritik an der Trennung zwischen Sein und Schein, zwischen Mitteln und Zwecken, die sie als tragende Säule in der Argumentation des portugiesischen Jesuiten ausgemacht hatte, Stellung gegen jenes Niemandsland zwischen Ethik und Politik beziehen wollen, in der das politische Denken der Neuzeit Wurzeln geschlagen und Früchte getragen hatte. Zumindest ihr Seitenhieb auf den „ruchlosen Machiavelli“ legt dies nahe.43 Allgemeiner gesprochen kann man festhalten, dass die 37

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Vgl. Asunción LAVRÍN, „Unlike Sor Juana? The Model Nun in the Religious Literature of Colonial Mexico“, University of Dayton Review 2 (1983): 75‒92; vgl. auch DIES., Brides of Christ: Conventual Life in Colonial Mexico (Stanford (Cal.): Stanford University Press, 2008). Zur Konzeption des klösterlichen Lebens, wie sie bei Sor Juana zum Ausdruck kommt, vgl. María Dolores BRAVO ARRIAGA, La Excepción y la regla. Estudios Sobre Espiritualidad y Cultura en la Nueva España (Mexiko-Stadt: UNAM, 1997), 73‒82: „La excepción y la regla: una monja según el discurso oficial y según sor Juana.“ Respuesta, 44 (DE LA CRUZ, Erster Traum, 123). Carta Atenagórica, 22 (Es höre mich dein Auge, 155). In der Einleitung der Carta Atenagórica schreibt Juana Inés de la Cruz, „die menschliche Vernunft“ sei „eine freie Kraft, die beipflichtet oder nicht zustimmt, gemäß dem, was sie als wahr oder nicht wahr beurteilt“, ohne sich „der Zurückhaltung des Willens“ zu unterwerfen. Carta Atenagórica, 5 (Es höre mich dein Auge, 128). Carta Atenagórica, 4 (Es höre mich dein Auge, 128). Carta Atenagórica, 26 (Es höre mich dein Auge, 159). Respuesta, 43 (Erster Traum, 122). Janice THEODORO DA SILVA und Rafael RUIZ, „Sor Juana Inés de la Cruz y los caminos de una reflexión teológica“, Estudios de historia novohispana

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historisch-kritische und literaturwissenschaftliche Forschung der letzten Jahre auch mithilfe feministischer Ansätze die Verbindung zwischen dem religiösen und dem politischen Denken in den Schriften der Juana Inés de la Cruz erkannt und herausgestellt hat und dabei zu dem Schluss gekommen ist, dass der Autorin durchaus bewusst war, wie eng die Politik und die Religion ihrer Zeit in puncto Legitimation und Ausübung der Macht miteinander verflochten waren. In ihrem Werk bewies Sor Juana einen lebhaften Geschichtssinn und eine interessante und modern anmutende kritische Freiheit gegenüber der herrschenden Ideologie, wie sie im Handeln der zivilen und kirchlichen Autoritäten in Neuspanien zum Ausdruck kam: wenn sie zum Beispiel in ihrem Entwurf des für den Einzug des Vizekönigs und Markgrafen von la Laguna bestimmten Triumphbogens (Neptuno alegórico, 1680) die Symbolsprache der katholischen Monarchie interpretiert oder im Sinne eines authentischeren christlichen Empfindens die kulturelle und religiöse Tradition der mexikanischen Indios neu bewertet oder schließlich einige historische Formen zur Diskussion stellt, in denen sich die Evangelisierung der indigenen Amerikaner vollzieht.44 Die Carta Atenagórica endet auf unerwartete Weise. Nachdem sie das Ziel, das sie sich gesetzt hatte – nämlich die Autorität der drei Kirchenlehrer wiederherzustellen, die Antonio Vieira mit seiner ambitionierten Darlegung hatte übertreffen wollen ‒, für erreicht erklärt hat, beschließt Sor Juana, fortzufahren und ihre persönliche Antwort auf die nun von ihr in allgemeinerer Form neu gestellte Frage zu formulieren, worin die größte Fineza Gottes gegenüber der Menschheit bestehe. Vielleicht selbst nicht ganz gegen die durch und durch barocke Versuchung gefeit, andere in Erstaunen zu versetzen, sieht sie den Erweis dieser feinfühligsten göttlichen Liebe in den negativen Wohltaten, das heißt in jenen Wohltaten, die Gott, weil er um die Undankbarkeit und Blindheit des Menschen angesichts der von der göttlichen Güte über ihn ausgegossenen natürlichen Gaben weiß, dem Menschen nicht gewährt, um die Last der Verantwortung, die dieser sich im wahrscheinlichen Falle seiner Zurückweisung auflädt, zu erleichtern. Diese negativen Wohltaten kosten den göttlichen Geber viel: Wenn Gott dem Menschen keine Wohltaten erweist, weil der Mensch sie zu seinem Schaden umwandeln muss, unterdrückt Gott die Fluten seiner unermesslichen Großzügigkeit, hält das Meer seiner unendlichen Liebe zurück und unterbricht den Weg seiner absoluten Macht. Folglich […] kostet es Gott mehr, uns keine Wohltaten zu erweisen als sie uns zu erweisen, und daraus folgend ist ein größerer Liebesbeweis (fineza) das Zurückhalten als das Ausführen, denn Gott unterlässt es, freigebig zu sein ‒ was seinem Wesen entspricht ‒, damit wir nicht undankbar sind ‒ was der uns eigene Gegendienst wäre; und er will

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29 (2003): 77‒95, insb. 88‒93. Vgl. George Anthony THOMAS, Occasional Nun: The Politics and Poetics of Juana Inés de la Cruz (Farnham: Ashgate, 2012); Dardo SCAVINO, „La teología política de Sor Juana Inés de la Cruz“, Revista Iberoamericana 232‒233 (2010): 957‒971. Mit diesen Themen befasst sich auch eine von den Postcolonial Studies inspirierte, kritische Lesart von Sor Juanas Denken, vgl. Yolanda MARTÍNEZ-SAN MIGUEL, Saberes americanos: subalternidad y epistemología en los escritos de Sor Juana (Pittsburg: Instituto Internacional de Literatura Iberoamericana, 1999).

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lieber kleinlich erscheinen, damit die Menschen nicht schlechter seien, als seine Freigebigkeit zur Schau zu stellen und damit den Schaden der Begünstigten in Kauf zu nehmen.45

Für diese überraschende These führt sie verschiedene Bibelstellen an: das Verhalten Jesu bei seinem Besuch in Nazaret, wo er wegen des Unglaubens der Einheimischen keine Wunder vollbringt (Lk 4,16‒30), die Undankbarkeit der Städte Chorazin und Betsaida (Mt 11,21), die bittere Klage des Herrn über den Verräter Judas („Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre“, Mt 26,24) und die Reue, die Gott im Alten Testament angesichts der überhandnehmenden Sünde darüber empfindet, dass er den Menschen geschaffen hat (Gen 6,6). Die heutige Kritik reagiert unterschiedlich auf diese unerwartete Lösung der Carta Atenagórica. Dass Sor Juana el no hacer fineza zur mayor fineza erklärt hat,46 nennt Robert Ricard einen „Scherz“ und Marie-Cécile Bénassy47 „eine Art theologisches Gesellschaftsspiel.“ Diese Urteile bringen die Vorbehalte vieler Forscher zum Ausdruck, die den Schluss der Carta Atenagórica dahingehend deuten, dass Sor Juana letztlich doch demselben intellektualistischen und rhetorischen Spiel wie Vieira verfallen und entweder dem barocken Geschmack oder der scholastizistischen Pedanterie erlegen sei. Dennoch hat Bénassy selbst darauf hingewiesen – und damit der Forschung neue Wege eröffnet –, dass die Überzeugung, mit der die Ordensfrau ihre These vertrat, Grund genug sei, den Schlüssel zu ihrer Argumentationsweise in ihrer Biographie zu suchen und zu berücksichtigen, dass sie ihre außergewöhnlichen intellektuellen Gaben, die vor allem, aber nicht nur seitens der kirchlichen Autoritäten zu Neid und Repressalien geführt hätten, stets leidvoll erfahren habe. Tatsächlich hilft eine aufmerksamere Lektüre der Carta, Sor Juanas abschließende theologische Überlegung besser zu bewerten.48 Ihrer Ansicht nach wird der Mensch dadurch, dass er die negative Wohltat anerkennt, letztlich davon abgehalten, angesichts des Leidens und der Begrenztheit des menschlichen Daseins fruchtlose Forderungen zu erheben. Darüber hinaus darf die Wertschätzung der Wohltaten Gottes sich nicht auf den spekulativen Diskurs beschränken, sondern muss konkrete Antworten hervorrufen, 45 46 47

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Carta Atenagórica, 27 (Es höre mich dein Auge, 161). Carta Atenagórica, 29. Robert RICARD, „Antonio Vieira y Sor Juana Inés de la Cruz“, Bulletin des Études Portugaises et de l’Institut Français au Portugal, N. S., XII (1948): 1‒34; 4; Marie-Cécile BÉNASSYBERLING, Humanisme et religion chez sor Juana Inés de la Cruz. La femme et la culture au XVIIe siècle (Paris: Éditions Hispaniques, 1982), 237; vgl. auch von derselben Autorin Sor Juana Inés de la Cruz. Une femme de lettres exceptionnelle, Mexique XVIIe siècle (Paris: L’Harmattan, 2010). Einige Forscher haben darauf hingewiesen, dass Juana Inés de la Cruz die Idee von den negativen Wohltaten vom heiligen Bernhard abgeleitet haben könnte, vgl. Alphonse VERMEYLEN, „El tema de la mayor fineza del amor divino en la obra de sor Juana Inés de la Cruz“, in Actas del III Congreso Internacional de Hispanistas. México 1968 (hg. v. Carlos H. Magis; Mexiko-Stadt: El Colegio de México,1970), 901‒908.

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damit seine negativen Wohltaten zu positiven werden. Dann finden sie in uns eine würdige Beschaffenheit, die den Damm gegenüber den stockenden Fluten der göttlichen Großzügigkeit zerstört, die durch unsere Undankbarkeit gehemmt und aufgehalten wird.49

Die Würdigung der negativen Wohltat ist die Gnade, die dem Menschen die Möglichkeit, Gott mehr zu entsprechen, und damit den Weg zu einer besseren Erkenntnis eröffnet. Das ist die größte Fineza Gottes: dass er an der Schwelle des menschlichen Willens stehenbleibt, um seine Liebe über ein Geschöpf auszugießen, das sich frei und bewusst dafür entschieden hat.

4. Der Brief der Sor Filotea de la Cruz Das Pseudonym Sor Filotea de la Cruz täuscht darüber hinweg, wer den der Carta Atenagórica als Vorwort vorangestellten Brief tatsächlich verfasst hat: Bischof Fernández de Santa Cruz. In seiner paradoxen weiblichen Verkleidung und in einer beunruhigend ambivalenten Sprache stimmt der Bischof/Schwester Filotea zunächst ein Loblied auf die gelehrte Mitschwester aus dem Hieronymuskloster an, die mit ihrer geistigen Gewandtheit, ihrer angemessenen Unterscheidung und ihrer intellektuellen Klarheit Vieiras schwindelerregendem Geist lediglich den Ruhm gelassen habe, „von einer Frau angefochten zu werden, die die Ehre ihres Geschlechts ist.“50 Doch wenngleich Sor Juana Inés einerseits wieder einmal ihr überaus großes Talent bewiesen habe, habe sie in ihren literarischen Werken ihre Intelligenz doch andererseits allzu oft zu den „niederen Nachrichten der Erde“ herabgesenkt, sodass „sie nicht den Wunsch hatte, das zu durchdringen, was im Himmel geschieht.“ Sie habe das Wissen in zu vielen weltlichen Büchern gesucht und es darüber vernachlässigt, „im Buch Jesu Christi“ zu lesen. Deshalb ermahnt Schwester Filotea ihre Mitschwester, ihre eitlen Interessen aufzugeben und „ihre Intelligenz auf den Kalvarienberg zu richten“, um sich „vom tiefen Meer der göttlichen Vollkommenheiten“ entflammen zu lassen, damit jener Gott, der „im natürlichen Bereich so viele positive Wohltaten [auf sie] hat herabregnen lassen, sich im übernatürlichen Bereich nicht gezwungen sieht, ihr nur negative Wohltaten zu gewähren, die – auch wenn sie sie als Finezas bezeichnet – mir doch eher Züchtigungen zu sein scheinen.“51 Die öffentliche Mahnung, sich pflichtgemäß nach dem Muster der kirchlichen Gesetze zu heiligen, als deren Lehrmeister, Maßstab und Hüter der Bischof sich versteht, erinnert an die erdrückende Überheblichkeit des Paters Antonio Núñez (dem Sor Juana zugerufen hatte: „Soll ich denn unbedingt in Unwissenheit heilig werden?“). Und sie ist Ausdruck der unverminderten Unfähigkeit, einer Frau den unbezähmbaren Hang zu Erkenntnis und Wahrheitssuche zuzugestehen, den Sor Juana Inés immer als typische Facette ihrer Menschennatur wahrgenommen hatte.52 49 50 51 52

Carta Atenagórica, 30 (Es höre mich dein Auge, 165f.). Carta de sor Filotea de la Cruz, in OC, Bd. IV. Wir legen hier die Online-Edition zugrunde (vgl. o. Anm. 5). Carta de sor Filotea, 66, 68. Sor Juana Inés hat die menschliche (und ihre persönliche) Leidenschaft für das Wissen in dem

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In dem stark allegorisch geprägten Auto sacramental mit dem Titel El divino Narciso, der von den Prophetenbüchern des Alten und den Lehren des Neuen Testaments inspirierte originelle Einfälle verarbeitet, hatte Sor Juana das Geheimnis der Erlösung auf die Bühne gebracht und ihrer hohen Meinung von der menschlichen Natur Ausdruck verliehen. In einer Kombination des von Ovid erzählten Mythos und seiner christlichen Neubearbeitung durch Pedro Calderón de la Barca, den letzten Epigonen des Siglo de Oro, stellt Juana Inés de la Cruz die personifizierte, von Gott geschaffene Menschennatur als das Mädchen dar, in das der junge Narziss/Christus sich unsterblich verliebt, als er ihr Spiegelbild im reinen Wasser der Quelle erblickt, die ihrerseits wiederum eine Personifikation der Unbefleckten Jungfrau ist.53 Weiterhin besitzt Sor Juana Inés die Kühnheit, der – in Maria weiblich ausgeprägten und vom Sohn Gottes angenommenen ‒ menschlichen Natur die Identität der Braut aus dem Hohelied zuzuschreiben.54 Juana Inés de la Cruz sieht in der Jungfrau Maria die perfekte weibliche Ikone – und das nicht etwa, weil sie alle traditionellen Tugenden (Fügsamkeit, Duldsamkeit, Demut, Bescheidenheit, Schweigen, Gehorsam) in sich vereint, die der mittelalterliche mariologische Kanon den christlichen Frauen vor Augen stellte, sondern weil Maria, eine Frau, von Gott an seinem Heilsplan beteiligt und an die Spitze der Menschheit gestellt worden und doch gleichzeitig zuinnerst und ganz und gar menschlich und weiblich geblieben ist: „Maria ist nicht Gott, doch ist sie die / die Gott am meisten ähnlich sieht.“55 In den volkstümlich geprägten Villancicos stellt Sor Juana Inés Maria als Kennerin der kosmischen Geheimnisse, Meisterin der Himmelsmusik und Lehrerin der Theologie dar, die

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außergewöhnlichen philosophischen Gedicht El Sueño beschrieben, wo sie vom ontologischen Abenteuer der Intellekt-Seele erzählt, die die Wirklichkeit des Universums zu durchdringen und zu verstehen sucht, vgl. Sor Juana Inés DE LA CRUZ, Primero Sueño (hg. v. Alfonso Méndez Plancarte; Mexiko-Stadt: Fondo de Cultura Ecónomica, 21989); Georgina SABAT DE RIVERS, Estudios de literatura hispanoamericana. Sor Juana Inés de la Cruz y otros poetas barrocos de la Colonia (Barcelona: Promociones y Publicaciones Universitarias, 1992), 305‒326: „Sor Juana: imágenes femininas de su científico ‘Sueño’.“ Zum thomistischen Substrat von El Sueño vgl. Alejandro SORIANO VALLÉS, El Primero sueño de Sor Juana Inés de la Cruz: bases tomistas (Mexiko-Stadt: UNAM, 2000). Zu Sor Juanas Mariologie vgl. Pamela KIRK, Woman as mediator of the divine: Sor Juana’s Celebration of Mary, in Ethnicity, Nationality and Religious Experience (hg. v. Peter C. Phan; Lanham, Maryland): The College Theology Society, 1995), 221‒232. Vgl. auch von ders. Autorin Sor Juana Inés de la Cruz: Religion, Art and Feminism (New York: Continuum, 1998), Kap. 4: „Mary as Divine (M)other“. Zum allgemeinen Entwurf der von Sor Juana vorgelegten Theologie vgl. das bahnbrechende, aber in einigen Punkten auch anfechtbare Buch von George H. TAVARD, Juana Inés de la Cruz and the Theology of Beauty: The First Mexican Theology (Notre Dame, Ind.: University of Notre Dame Press, 1991). Zu den theologischen Grundlagen des Divino Narciso vgl. Frances KENNET, „The Theology of the Divine Narcissus“, Feminist Theology: The Journal of the Britain & Ireland School 25 (2000): 56–83. OC, Bd. II, 211.

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die Engelsscharen unterweist, weil sie diejenige ist, die „am Verstehen Gottes / den größten Anteil hat.“56 In Maria, die Gott seit Anbeginn der Welt erdacht und gewollt hat, hat die Frau bei der Erschaffung der Welt den Vorsitz geführt. In ihren Ejercicios de la Encarnación lädt Sor Juana Inés ihre Adressaten, Priester und Nonnen, zu einer Betrachtung darüber ein, wie der Sohn Gottes „seine himmlische Majestät und seinen leuchtenden Thron gegen den jungfräulichen Leib dieses begrenzten, würdigeren, schöneren Firmaments“ eingetauscht habe:57 Die Frau Maria ist, gerade weil sie Frau ist, im unverwechselbaren Zeichen ihrer Mutterschaft der neue Himmel des fleischgewordenen Wortes. 4.1 Die Antwort an Sor Filotea Am 1. März 1691 gab Juana Inés de la Cruz ihre Respuesta a sor Filotea frei. In diesem vor Leidenschaft bebenden, von feiner Ironie durchzogenen, emotionalen Text, der irgendwo zwischen Autobiographie und Apologie angesiedelt ist, forderte vor allem ein Thema jedwede Form der männlichen Macht heraus: das Recht der Frauen auf Wissen und Bildung. Ihre Selbstverteidigung stützt sich auf einen in Teilen eigenständigen Katalog von Frauen der Bibel oder des Altertums, christlichen Heiligen und Ordensfrauen, die ein Zeugnis ihres intellektuellen Reichtums und ihrer Weisheit hinterlassen haben. Und wieder versucht sie sich direkt an der Bibel und an der Theologie. Sor Juana griff die Frage auf, die Juan Díaz de Arce, Professor für die Heilige Schrift an der Universität von Mexiko-Stadt, ein halbes Jahrhundert zuvor gestellt hatte: „Ist es Frauen erlaubt, die Heilige Schrift zu studieren und diese auszulegen?“ („An liceat foeminis sacrorum Bibliorum studio incumbere? eaque interpretari?“),58 und schließt sich Arces vorsichtiger Schlussfolgerung an: Demzufolge sei es den Frauen nicht erlaubt, öffentlich von Lehrstühlen und Kanzeln herab zu unterrichten und zu predigen; dass sie aber im Privaten studieren, schreiben und lehren, sei nicht nur zulässig, sondern sogar nützlich und vorteilhaft. Sie stellt klar, dass dies nicht für alle, sondern nur für diejenigen gelte, „die Gott mit besonderer Tugendhaftigkeit und Intelligenz beschenkt hat und die schon so fortgeschritten und gereift sind, dass sie das Talent und die notwendigen sachlichen Voraussetzungen für ein so heiliges Amt besitzen.“ Diese Einschränkung gelte jedoch sowohl für Frauen wie für Männer: Nicht nur Frauen, die allgemein als unbefähigt angesehen werden; auch den Männern, die sich allein schon deshalb, weil sie Männer sind, für weise halten, sollte die Auslegung der Heiligen Schrift verboten werden, falls sie nicht sehr gebildet und tugendhaft sind, Menschen von gelehrigem Geist und gutwilligem Wesen. 56 57

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IC, 351. Juana Inés DE LA CRUZ, Ejercicios devotos para los nueve días antes de la Purísima Encarnación del Hijo de Dios, Jesucristo, Nuestro Señor, in OC, Bd. IV, 481; Georgina SABAT DE RIVERS, Estudios de literatura, 257‒282: „Ejercicios de la Incarnación: sobre la imagen de María y la decisión final de Sor Juana.“ Juan DÍAZ DE ARCE, Questionarium expositivum pro clariori intelligentia Sacrorum Bibliorum (Mexiko-Stadt: Ioannis Ruyz, 1648).

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Es gibt viele Leute, die studieren, um sich dumm und dämlich zu machen; das ist besonders bei denen der Fall, die zur Anmaßung neigen, die ruhelos und hochfahrend sind, […] Neumodisches mögen […]. Und sie sind nicht zufrieden, bevor sie nicht, um nur ja etwas zu sagen, was noch keiner gesagt hat, eine Ketzerei von sich geben. […] Wissen schadet solchen Menschen mehr, als es die Unwissenheit täte.59

Verständigkeit, moralisches Verantwortungsbewusstsein und religiöse Rechtgläubigkeit seien mithin keine Frage des Geschlechts. Nicht zufällig seien Pelagius, Arius und Luther Männer gewesen. Die Vorsicht, die Sor Juana mit Professor Arce teilte, war dadurch bedingt, dass ihr auf der Ebene der Argumentation ein unumgängliches und nicht unerhebliches Hindernis im Wege stand, auf dem ein Großteil der traditionellen Misogynie der kirchlichen Institution aufruhte,60 nämlich der wohlbekannte Satz des heiligen Paulus: „[Es] sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden“ (1 Kor 14,34). Indem sie jedoch die Häresie als typisch „männlichen“ Irrtum brandmarkte, deutete die Nonne an, dass sie das Wort mulier als Metonymie auffasste: Im Grunde, so gibt sie dem Leser sarkastisch zu verstehen, müsste man, um die implizite Aussageabsicht des paulinischen Satzes explizit wiederzugeben, ein analoges Viri in ecclesiis taceant ([Es] sollen die Männer in den Versammlungen schweigen) formulieren. Ihrer Ansicht nach gilt „das taceant […] nicht nur für weibliche Personen, sondern für alle, die nicht sonderlich befähigt sind“61, und als Beleg führt sie ein weiteres Apostelwort an: „Strebt nicht über das hinaus, was euch zukommt, sondern strebt danach, besonnen zu sein, jeder nach dem Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat!“ (Röm 12,3). Wie viele schwerfällige Denker, die nur schreiben, weil sie der begierige Ehrgeiz treibt, es den Begabteren gleichzutun, müssten schweigen, wenn sie ihr eigenes Talent abschätzten, ehe sie sich dem Studium hingeben! Die christliche Überlieferung von den klugen Frauen im Umfeld des heiligen Hieronymus lehre, dass die bürgerliche und religiöse Gemeinschaft von der Anwesenheit älterer, in der Literatur, der heiligen Gesprächsführung und den tugendhaften Sitten bewanderter Frauen, die sich um die Erziehung der Mädchen kümmerten, nur profitieren könne. Schon zuvor hatte Sor Juana die traditionelle männliche Vorstellungswelt kühn auf den Kopf gestellt und ohne Zögern jene „unheilvolle Trias“ auf die Männer angewandt, über die die kirchlichen Schriftsteller die angeborene „Sündhaftigkeit“ der Frauen zu definieren pflegten: „Ihr [Männer]“ – so hatte sie geschrieben ‒, „die ihr den

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Zitate aus Respuesta, 52‒53 (Erster Traum, 137f.). Nina M. SCOTT, „Sor Juana Inés de la Cruz: ‘Let your women keep silence in the churches’...“, Women’s Studies International Forum 8 (1985): 511‒519. Eine Relativierung der landläufigen Meinung, die den Kirchenvätern eine verbreitete Frauenfeindlichkeit zuschreibt, leistet France QUERÉ, La femme et les Pères de l’Église (Paris: Desclée de Brouwer, 1997). Respuesta, 53 (Erster Traum, 139).

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Teufel, das Fleisch und die Welt in euch vereint.“62 Die Fehlentscheidung eines Mannes (des Vaters), der andere Männer (die Experten) fürchtet, hält eine Frau in Unwissenheit und Unbildung gefangen: Das sollten diejenigen bedenken, die sich stur an das Mulieres in Ecclesia taceant halten und es als sündhaft verfluchen, dass Frauen lernen und lehren; als ob es nicht derselbe Apostel gewesen wäre, der sagte: bene docentes.63

An diesem Punkt kann sich Sor Juana Inés der schwierigsten Aufgabe – sich selbst an der Exegese des paulinischen Texts zu versuchen ‒ nicht länger entziehen. Hierzu legt sie zunächst ein allgemeines methodologisches Kriterium für das Schriftstudium fest: Die Interpretation muss auf einer präzisen Kontextualisierung des untersuchten Texts basieren. Sie schreibt: Es steht außer Zweifel, dass für das Verständnis zahlreicher Bibelstellen vielfältige Geschichtskenntnisse erforderlich sind und dass man mit den Sitten, Bräuchen, Sprichwörtern und sogar den Redewendungen jener Zeiten vertraut sein muss, in denen die Bücher der Heiligen Schrift geschrieben wurden, um zu begreifen, was mit gewissen Ausdrücken gemeint ist und worauf sie anspielen. […] All dies erfordert mehr Belesenheit, als manch einer meint, der mit bloßen Grammatikkenntnissen oder allenfalls noch mit ein paar Formeln aus der elementaren Logik im Kopf die Schriften der Bibel auslegen will und hartnäckig auf das Mulieres in ecclesiis taceant pocht, ohne zu wissen, wie dieser Satz zu verstehen ist.

Im weiteren Verlauf weist sie darauf hin, dass zur Bekräftigung des ersten häufig ein weiteres Pauluswort zitiert wird: Mulier in silentio discat („Eine Frau soll sich still und in voller Unterordnung belehren lassen“, 1 Tim 2,11), widerspricht jedoch der landläufigen Deutung und erklärt, dies sei „eher ein Wort zugunsten der Frauen als gegen sie […]; denn es gebietet ihnen zu lernen, und während sie lernen, das ist klar, müssen sie notwendigerweise schweigen.“64 Gestützt auf das Zeugnis des Eusebius von Cäsarea, der die paulinische Mahnung in seiner Historia ecclesiastica auf die konkreten Verhältnisse in vielen Kirchen bezogen hatte – dort mussten die Apostel, wenn sie predigen wollten, die Stimmen der Frauen übertönen, die über die Lehre diskutierten ‒, reduziert Sor Juana das Mulieres in ecclesiis taceant auf eine schlichte historische, zeitlich begrenzte Gegebenheit ohne allgemein präskriptive Gültigkeit. Die Bedeutung der von Sor Juana geforderten historischen Kontextualisierung ist in unseren Tagen von Josefina Ludmer treffend auf den Punkt gebracht worden: Hier erteilt Juana uns eine Lektion in literaturwissenschaftlicher und historisch-kritischer Exegese. Die dogmatischen Wahrheiten und die hierarchischen Systeme, so sagt sie uns, 62

OC, Bd. I, Romance Nr. 48. Zur Erwähnung der drei Feinde der Seele vgl. Jerónimo MARTÍNEZ RIPALDA, Catecismo y exposición breve de la doctrina cristiana (Toledo: Juan de Azpiroz, 1618). Ripaldas Katechismus wurde in Mexiko als maßgeblicher Text bei der Alphabetisierung und religiösen Unterweisung der spanischen und indigenen Bevölkerung verwendet und ins Nahuatl und Otomí, ins Taraskische und Zapotekische sowie in die Maya-Sprache übersetzt. Respuesta, 55 (Erster Traum, 143); das Pauluszitat stammt aus dem Titusbrief (2,3). Respuesta, 56‒57 (Erster Traum, 143, 145f.).

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verwischen die Spuren der Textgeschichte: aus konkreten und besonderen Umständen leitet man ein ewiges und autoritatives Dogma ab, ein transzendentales Gesetz, das den Unterschied zwischen den Geschlechtern betrifft.65

Sor Juanas exegetische Methode gründete sich auch darauf, verschiedene Texte der Heiligen Schrift auf Übereinstimmung zu prüfen: Auch steht geschrieben: Audi Israel, et tace ‒ eine Aufforderung, die sich an die gesamte Gemeinschaft von Männern und Frauen richtet und allen zusammen Schweigen gebietet; denn wer zuhört und lernt, tut gut daran, genau aufzupassen und still zu sein.66

Dann wendet sie sich an die Bibelgelehrten und fordert sie auf, ihr zu erklären, wie jenes in ecclesiis zu verstehen sei, „im räumlich-materiellen Sinn […], also im Bezug auf Kanzeln und Katheder, oder aber im abstrakten Sinn, also im Bezug auf die weltumspannende Gemeinschaft der Gläubigen, welche die Kirche ist.“ Die Argumentation ist zwingend: Wenn sie es auf die erstgenannte Weise verstehen (womit sie, nach meiner Meinung, den wahren Sinn des Satzes verstehen würden; denn wie wir sehen, ist es in der Kirche tatsächlich nicht erlaubt, dass die Frauen öffentlich Vorlesungen halten oder predigen) ‒ warum tadeln sie dann solche Frauen, die für sich in aller Stille studieren? Wenn sie es aber auf die zweite Weise verstehen und dem Verbot des Apostels eine weiterreichende Geltung zuschreiben möchten, welche es den Frauen nicht einmal gestattet, auch nur im Verborgenen zu schreiben und zu studieren ‒ wieso hat die Kirche es dann offensichtlich erlaubt, dass eine Gertrudis schreibt, eine Teresa, eine Birgitta, die Nonne von Ágreda und viele andere?

Daraus ergibt sich ein weiteres Kriterium für eine dogmatisch einwandfreie Interpretation: Der biblische Text muss im Licht der kirchlichen Überlieferung gelesen werden. „Das Verbot des heiligen Paulus – so ihr Fazit – bezieht sich also nur auf die öffentliche Predigt von der Kanzel; denn wenn der Apostel das Schreiben verboten hätte, würde die Kirche es nicht erlauben.“67

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Zitiert nach Stephanie MERRIM, „Introduction“, in Early Modern Women’s Writing and Sor Juana Inés de la Cruz (hg. v. S. Merrim; Nashville, Tennessee: Vanderbilt University Press, 1999), XXII. Im Zusammenhang mit der Exegese von 1 Kor 14,34 und 1 Tim 2,11 analysiert Merrim auch die Deutung, die Margaret Fell (1614‒1702), Gründerin der Religious Society of Friends und auch als die Mother of Quakerism bekannt, in ihrem berühmten Pamphlet Women’s Speaking Justified vorgelegt hat. Vgl. auch Adriana VALERIO, „Juana Inés de la Cruz e l’interpretazione della Bibbia. Una intellettuale scomoda nel Messico del XVII secolo“, in „Gott bin ich, kein Mann“. Beiträge zur Hermeneutik der biblischen Gottesrede (hg. v. Ilona Riedl-Spangenberger und Erich Zenger; Paderborn: Schoeningh, 2006, 156‒161). Respuesta, 57 (Erster Traum, 146). Das betreffende Zitat ist in der Bibel so nicht enthalten. Einige Herausgeber haben versucht, es auf Ijob 33,31 oder Dtn 6,3f. zu beziehen. Vermutlich handelt es sich jedoch um ein ungenaues, aus dem Gedächtnis angeführtes Zitat. Respuesta, 57 (Erster Traum, 146f.). Vgl. Josu K. BIJUESCA, „Una mujer introducida a teóloga y escriturista: exegesis y predicación en la Respuesta“, Sor Juana & Vieira (Bijues-ca/Brescia), 95‒112.

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Das Recht der Frauen auf Bildung und Wissen liege nämlich auch im Interesse der Kirche als ganzer. So, wie die Kirche als ganze mit ihrem Lehramt über den einzelnen Meinungen der kirchlichen Hierarchie stehe (Meinungen, die kein „sakrosankter Glaubensgrundsatz“ und keine „himmlische Offenbarung“ sind)68, müsse diese sich auch selbst dem höheren Willen Gottes unterwerfen, denn Er, „der sie [die Frau] vernünftig erschaffen hat / wollte nicht, dass sie unwissend sei.“69 Dass das authentische Lehramt in Fragen des Glaubens der Kirche als ganzer zukommt und nicht von einzelnen Vertretern der Hierarchie in Anspruch genommen werden kann, um individuelle Meinungen zu vertreten, ist eine wahrhaft kühne Erkenntnis und umso bemerkenswerter, da Sor Juana zwar das Spiel der fiktiven Identität des Bischofs von Puebla mitspielt, gleichzeitig aber in jedem Teil ihrer Respuesta a sor Filotea zeigt, dass ihr die tatsächliche Identität ihres Briefpartners vollkommen bewusst ist. Es sind die männlichen Vorurteile, schreibt Sor Juana, die die Behauptung aufrechterhalten, die Frauen könnten „nur spinnen und nähen.“70 „Was für Wissen können wir Frauen schon erwerben, was, wenn nicht Küchenphilosophie?“, fragt sie ironisch und erinnert sich an die Zeit, als man ihr das Lesen und Studieren verboten hatte: Wie oft hatte sie damals, wenn sie beim Kochen beobachtete, wie die Speisen unter der Einwirkung von Hitze ihre physische Beschaffenheit veränderten, über die verschiedensten Naturphänomene nachgedacht. Und sie schließt mit einer letzten Pointe: „Hätte Aristoteles gekocht, dann hätte er noch viel mehr geschrieben.“71 4.2 Die Frau als christologische Ikone des Leidens Im dichtesten Abschnitt der Respuesta a sor Filotea de la Cruz meditiert Juana Inés de la Cruz über die Gründe für den Hass, den Christus ‒ trotz der „unbegreifliche[n] Schönheit“, der „sanftmütige[n], zarte[n] Güte“, der „Worte ewigen Lebens und ewig währender Weisheit“ und der Gesichtszüge des menschgewordenen Gottessohns, die „nicht nur unvergleichlich vollkommen erschienen im Sinne menschlicher Anmut“, sondern von Erleuchtungen göttlichen Ursprungs zeugten“ ‒ in den Pharisäern ausgelöst hatte. Ein einziger Grund hatte sie dazu veranlasst, ihn dem Tod zu überantworten: quia multa signa facit („Dieser Mensch tut viele Zeichen“, Joh 11,47). Wie empörend! Dass einer Außerordentliches vollbringt, ist also Grund genug, ihn umzubringen! […] Er ist gesetzt zu einem Zeichen? Dann soll Er sterben! Er ist ausgezeichnet vor allen? Dann 68 69

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Respuesta, 57 (Erster Traum, 148). Villancicos con que se solemnizaron en la S.I. Catédral de la ciudad de Antequera, Valle de Oajaca, los Maitines de la gloriosa Mártir Santa Catarina de Alejandría, este año de 1691, in OC, Bd. II (hg. v. A. Méndez Plancarte; 1. Nachdr.; Mexiko-Stadt: Fondo de Cultura Ecónomico, 1976), 171. Laut M.-C. Bénassy träumt Sor Juana „von einem Christentum, in dem das Studium der heiligen Wissenschaften für die Frauen nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht würde“ (Humanisme et religion, 289). EBD. Respuesta, 49 (Erster Traum, 133).

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soll Er leiden, denn das ist der Lohn dessen, der sich auszeichnet! […] O Zeichen, weh dir, dass man dich zur Zielscheibe des Neides und zum Gegenstand des Anstoßes macht!72

Sie richtet ihren spirituellen Blick erneut auf das Leiden Christi und fragt, weshalb von all den Schmähungen und all dem Hohn, den die Soldaten ihm antaten (dass sie ihm ein Rohr in die Hände gaben und ihm einen Purpurmantel über die Schultern legten), einzig die Dornenkrone schmerzhaft war; und sie antwortet: Das heilige Haupt Christi und sein göttliches Gehirn waren ein Hort der Weisheit; und einen weisen Kopf auf der Welt nur zu verhöhnen, das ist nicht genug; nein, er muss auch verletzt und misshandelt werden; ein Kopf, der eine Schatzkammer der Weisheit ist, hat keine andere Krone zu erwarten als eine aus Dornen.

Die Frauen von Jerusalem, die über den Gott-Menschen weinen, als sie ihn die Last des Kreuzes tragen sehen (Lk 23,28), weisen darauf hin, dass der Triumph des Weisen […] mit Leid erlangt und mit Tränen gefeiert [wird]. So triumphiert die Weisheit; und weil Christus, als König derselben, es gewesen ist, der diese Krone als Erster trug, haben seine Schläfen sie geweiht, damit es den anderen Weisen nicht mehr vor ihr graue und sie begreifen, dass sie nach keiner anderen Ehre streben sollten.73

Damit beging Juana Inés eine neuerliche Kühnheit: Sie machte aus der Frau, die in ihrem natürlichen und legitimen, ihrer menschlichen Natur völlig angemessenen Streben nach Erkenntnis verletzt und unterdrückt wurde, eine christologische Ikone des heilbringenden Leidens des Dios humanado. Außerdem setzte sie sie mit ihrem eigenen Geschick, ihrer eigenen Geschichte gleich – und zwar ausdrücklich, auch wenn sie dabei die Verhältnismäßigkeit anmahnte: Ich für meine Person gestehe, dass ich weit entfernt bin von der Weisheit und dass es mein Wunsch gewesen ist, ihr zu folgen, sei’s auch nur a longe. Aber damit allein habe ich es geschafft, mir das Feuer der Verfolgung auf den Hals zu ziehen, mich mehr und mehr der Folter peinlicher Gewissensprüfung auszusetzen.74

Die Respuesta a Sor Filotea, die Octavio Paz als die erste Autobiographie der Neuzeit bezeichnet hat, unterscheidet sich zutiefst von den selbstverfassten Viten anderer Ordensfrauen ihrer Zeit wie etwa der Lebensbeschreibung der heiligen Teresa von Ávila oder der mexikanischen Nonne María de San José, die von irrationaler Erregung, wundersamen Ereignissen und exaltierter Mystik (dem hallucinated mystic discourse, um es mit den Worten von Stephanie Merrim zu sagen) geprägt sind.75 Die zeitgenössischen autobiographischen Handschriften aus den Klöstern des barocken Neuspanien legen Zeugnis davon ab, dass sich die Gottsuche im Leben ihrer Verfasserinnen nicht auf rationalen, sondern auf affektiven Wegen vollzog: Ihre Schriften sind „keine theologischen 72 73 74 75

Respuesta, 44 (Erster Traum, 122, 124). In Bezug auf Christus als „Zeichen“ zitiert Sor Juana außerdem Jes 11,10 und Lk 2,34. Respuesta, 45‒46 (Erster Traum, 125, 127). Respuesta, 48 (Erster Traum, 129). MERRIM, „Introduction“, 27.

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Traktate, sondern Seiten voller Vertraulichkeiten.“76 Sor Juana hingegen entfaltete in ihrer Autobiographie ihr gesamtes rationales Potential und verfasste so eine faszinierende, aber durchdachte Apologia pro vita sua. Sie beschrieb ihr Leben „not a divino but a lo científico.“77 An die Stelle einer mystischen und sinnlichen Bilderwelt trat bei ihr das Physiologische und Empirische. Letztlich besaß Sor Juana die Kühnheit, sich dort, wo die anderen Ordensfrauen sich selbst als unwürdige Gefäße der Gnade portraitierten, aktiv mit Christus zu identifizieren, dem sie durch das Martyrium all jener Menschen (und insbesondere Frauen) ähnlich geworden ist, die sich durch ihre exzellente Begabung von den anderen abheben und um ihrer strahlenden Einzigartigkeit willen gehasst und abgelehnt wurden.

5. Zensur und Ende Das Jahr 1692 hatte für Mexiko mit einer Reihe schwerer Naturkatastrophen begonnen. Die Armut griff auf die Hauptstadt über, die im Juni desselben Jahres von einem heftigen Volksaufstand erschüttert wurde.78 Die Zügel der Metropolitankirche lagen in den harten Händen des Erzbischofs Aguiar y Seijas, eines vom Problem der Keuschheit besessenen Frauenhassers. Ein Zeitgenosse schreibt über ihn: „Er floh jedwede weibliche Gegenwart und hatte die Manie, die Mehrheit der Frauen in Klöster oder Recogimientos einzusperren. Er predigte unermüdlich gegen unzüchtiges Verhalten, gegen das Theater und gegen die weltliche Literatur.“79 Er quälte sein Fleisch mit Bußübungen und ließ, wenn er unterwegs Frauen begegnete, den Ort mit Weihwasser besprengen. In seiner Funktion als kirchlicher Gesetzgeber hatte er die Frauenklöster diszipliniert, indem er ihnen die rigorose Einhaltung der Klausur und der klösterlichen Andachtspraktiken gebot. Der Druck, den er auf das Hieronymuskloster ausgeübt hatte, ist gut dokumentiert, und die Verfasserin der Carta Atenagórica war dagegen gewiss nicht gefeit. Obwohl es keine objektiven Belege hierfür gibt, gehen manche Forscher davon aus, dass die Inquisition sie bereits ins Visier genommen hatte – genau wie den Clérigo Francisco Xavier Palavicino, der am 26. Januar 1691 im Hieronymuskloster in Mexiko-Stadt gepredigt und die Carta Atenagórica und seine Verfasserin in Schutz genommen hatte. Der Text der Predigt wurde vom Heiligen Offizium beschlagnahmt und sein Autor vom dominikanischen Konsultor Augustín Dorantes zensiert, weil er neben einigen theologischen Ungenauigkeiten den Fehler begangen hatte, 76

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Asunción LAVRÍN u. Rosalva LORETO L. (Hgg.), Monjas y beatas: la escritura femenina en la espiritualidad barroca novohispana: siglos XVII y XVIII (Puebla/Mexiko-Stadt: Universidad de las Américas-Puebla/Archivo General de la Nación, 2002), 6. MERRIM, „Introduction“, 27. Vgl. das dramatische zeitgenössische Zeugnis von Carlos de SIGÜENZA Y GÓNGORA, Alboroto y motín de México del 8 de junio de 1692 (hg. v. Irving A. Leonard; Mexiko-Stadt: Museo Nacional de Arqueología, Historia y Etnografía, 1932). Marie-Cécile BÉNASSY-BERLING, „Algunos documentos relacionados con el fin de la vida de sor Juana Inés de la Cruz“, Anuario de Estudios Americanos. Suplemento XLIV (1987): 23‒33; 25.

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einer Frau zu schmeicheln, „die als Theologin und Expertin der Heiligen Schrift aufgetreten war.“80 In jenem schicksalhaften Jahr 1692 veräußerte Juana Inés de la Cruz unerwartet ihre überaus kostbare Bibliothek. Erzbischof Aguiar y Seijas, der den Verkauf durchführte und selbst etliche Bände erwarb, war an dieser Entscheidung nicht unbeteiligt.81 Manche Wissenschaftler sehen darin das äußere Zeichen ihrer so umstrittenen Bekehrung – oder, je nach Standpunkt, ihrer Kapitulation. Im Februar 1694 erneuerte Sor Juana die Ordensgelübde, die sie 1669 erstmals abgelegt hatte, und verpflichtete sich zu deren vollständiger Einhaltung. Am 5. März 1694 unterschrieb sie mit ihrem eigenen Blut ihre berühmte Protesta de fe an die grundlegenden Wahrheiten des katholischen Glaubens: „Yo la peor de todas“ ist am unteren Rand zu lesen.82 Sie rief ihren früheren Beichtvater Pater Antonio Núñez zurück, unter dessen Leitung sie, so erzählen es ihre ersten Biographen, sich zur totalen Entäußerung und dazu entschlossen haben soll, „einzig ihren Bräutigam zu lieben“ und „mit ihm allein“ zu bleiben.83 Nach diesem Zeitpunkt herrschte Schweigen: Von ihr, die so viele poetische, bezaubernde, kreative, intelligente, ironische und beißende, mutige, unvergessliche Worte geäußert hatte, ist kein einziges weiteres Wort mehr überliefert, das wir interpretieren könnten. Die Forscher haben viel über die Bedeutung dieses Schweigens diskutiert, das die letzten Jahre ihres Lebens bedeckt und dazu beiträgt, dass ihre Gestalt „historisch ungreifbar und verschwommen“ ist – wie es jemand einmal formuliert hat.84 Manche haben diese Begebenheiten als die letzte Falle gedeutet, die die Institution Kirche der Zehnten Muse gestellt habe. Andere haben ihr ihre späte, aber vollständige Anpassung an das traditionelle Modell der Ordensfrau zum Vorwurf gemacht. Wieder andere haben die These vertreten, dass sie, die so lange für die intellektuellen Rechte der Frau gekämpft habe, letztlich müde und enttäuscht gewesen sei; dass sie sich einsam gefühlt habe, nachdem ihr nahestehende und mächtige Personen von ihr abgerückt oder gestorben waren und sie nicht mehr gegen die Drohungen der Inquisition in Schutz nehmen konnten; dass 80

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Augustín DORANTES, „Censura inquisitorial del sermón panegírico La fineza mayor [1691]“, in Carta de Seraphina de Cristo (eingel. u. transkr. v. Elías Trabulse; Los Ángeles: Aldán, 1997), 59‒65; vgl. Ricardo CAMARENA CASTELLANOS, „‘Ruido con el Santo Oficio’: Sor Juana y la censura inquisitorial“, in Cuadernos de Sor Juana (hg. v. Margarita Peña; MexikoStadt: UNAM, 1995), 283‒306. In der Respuesta hatte Sor Juana geschrieben: „Ich will keine Schererei mit dem Heiligen Offizium; denn ich bin unwissend und mir bangt davor, dass ich eine anstößige Formulierung gebrauchen oder die richtige Deutung einer Textstelle verdrehen könnte“ (35; Erster Traum, 106). Marie-Cécile BÉNASSY-BERLING, „Sor Juana Inés de la Cruz, las monjas del convento y el arzobispo: libros, dinero y devoción“, Revista de Indias XLVI (1986): 319‒329. Die drei Dokumente mit der Unterschrift der Sor Juana Inés de la Cruz finden sich in OC, Bd. IV, 518‒522. OVIEDO, Vida exemplar, 436f.: „Der Pater pflegte zu sagen, dass Juana Inés der Vollkommenheit nicht entgegeneilte, sondern entgegenflog.“ Asunción LAVRÍN, „Sor Juana Inés de la Cruz: obediencia y autoridad en su entorno religioso“, Revista Iberoamericana 172‒173 (1995): 605‒622; 605.

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die epochale Krise im Mexiko des ausgehenden Jahrhunderts sie persönlich erschüttert habe; oder dass sie schließlich einen radikalen Sprung ins Göttliche, einen totalen Übergang zum Absoluten und zur Transzendenz vollzogen habe.85 Was den Versuch einer Erklärung angeht, mutet ein Abschnitt in der Respuesta a sor Filotea geradezu prophetisch an. Es sind die hellsichtigen Worte einer Frau, die selbst mitangesehen hat, wie das Rätsel ihrer Identität im Spiegel der zivilen und religiösen Einrichtungen ihrer Zeit nicht etwa gelöst, sondern immer nur größer wurde: Fast hätte ich mich entschieden, die Antwort dem Stillschweigen zu überlassen. Aber da dies etwas Negatives ist, obschon es viel besagt mit der Eindrücklichkeit seiner entschlossenen Nichtaussage, muss man es doch mit einem knappen Etikett versehen, damit verständlich wird, was das Schweigen sagen soll; andernfalls wird das Schweigen nichtssagend, denn dies ist ja seine eigentliche Funktion: nichts sagen.86

1695 brach in der mexikanischen Hauptstadt eine verheerende Pestepidemie aus, die auch auf das Hieronymuskloster übergriff. Sor Juana, die Zehnte Muse, der Phönix von Mexiko, verausgabte sich bei der Pflege und Betreuung ihrer Mitschwestern, denen sie stets zartfühlend, freundlich und liebenswürdig begegnet war. Sie infizierte sich und beschloss ihr irdisches Dasein am 17. April. Für sie, die in der Carta Atenagórica erklärt hatte, dass die Erkenntnis der Finezas der göttlichen Liebe nicht der Welt der Spekulationen verhaftet bleiben dürfe, sondern sich in servicios prácticos äußern müsse, die das Gebot der Liebe zum Ausdruck bringen; für sie, die in der Respuesta a sor Filotea geschrieben hatte, es sei ihr bewusst, dass, um das Buch der Bücher (die Heilige Schrift) und die Wissenschaft der Wissenschaften (die Theologie) zu begreifen, „beständiges Gebet und Reinheit der Lebensweise“ und darüber hinaus der äußerste Dienst der Solidarität und des Mitgefühls an den Mitschwestern ‒ Frauen und Ordensfrauen wie sie selbst und wie sie selbst „mit dreißig Schlüsseln zugeschlossen“87 ‒ erforderlich sei, war dies vielleicht die letzte und mutige Unterschrift, die sie im Auftrag der Liebe unter ihr Schweigen setzte.

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Zu den erwähnten Deutungen vgl. außer den bereits angeführten Arbeiten von O. Paz, M.-C. Bénassy-Berling, A. Lavrín, G. Sabat de Rivers, auch Alfonso SÁNCHEZ ARTECHE, „Sor Juana Inés de la Cruz ante la crisis de su tiempo“, in Sor Juana Inés de la Cruz y el pensamiento Novohispano, memoria del Coloquio Internacional, 1995 (Toluca: Instituto Mexiquense de Cultura, 1995), 397‒409; Jean-Michel WISSMER, „La última sor Juana“, Revista Iberoamericana 172‒173 (1995): 639‒649. Elías TRABULSE, „El silencio final de sor Juana“, Universidad de México, LII (1997): 11‒18. Respuesta, 32 (Erster Traum, 102). Vgl. hierzu Mabel MORAÑA, Viaje al silencio: exploraciones del discurso barroco (Mexiko-Stadt: UNAM, 1998), 153‒198: „La retórica del silencio en Sor Juana Inés de la Cruz.“ „Encerrada debajo de treinta llaves“ – so bezeichnet Sor Juana Inés sich selbst in einem Romance: OC, Bd. I, 143, Romance Nr. 49.

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Bibelstellenregister1

Genesis (Gen) 3,15 ............... 191f. 6,6 ................. 363 24 .................. 170 27–34 ............ 179 28,11–15 .......182 28,12 ............. 304 28,13 ............. 66 29 .................. 182 29,6–12 ......... 144 29,9–11 ......... 145 29,25 ............. 145 29–30 ............ 182 31,23–34 .......179 32 .................. 182 32,1–35 ......... 97 32,23–31 .......182 39,7–20 ......... 224 49,29–32 .......146 Exodus (Ex) 3,1–5 ............. 171 3,14 ............... 110 20,3 ............... 139 24,18 ............. 274 Deuteronomium (Dtn) 6,3–4 ............. 369 Das Buch der Richter (Ri) 4,4 ................. 287 4,17–21 ......... 169 7,5ff. ............. 309 11,40 ............. 219 16,1–4 ........... 160 16,4 ............... 161 16,21 ............. 161 Das 1. Buch Samuel (1 Sam) 2,1–10 ........... 280 1

25 ................. 287 25,23–25 ...... 171 Das 2. Buch Samuel (2 Sam) 14 ................. 287 20 ................. 287 22,14 ............ 287 Das 1. Buch der Könige (1 Kön) 17,1–21 ........ 273 Das 2. Buch der Könige (2 Kön) 1–13 ............. 273 1,8 ................ 274 2,14–13,20 ... 273, 275 Das Buch Judit (Jdt) 1,1–7,32 ....... 151 6,19 .............. 280 8,8 ................ 209 8,24 .............. 151 8,29 .............. 151 8,32 .............. 280 8,33 .............. 152 9,3 ................ 280 9,10 .............. 152 10,3–5 .......... 152 10,13 ............ 152 12,18 ............ 152 13 ................. 169 13,2 .............. 152 13,4–10 ........ 152 16 ................. 287 Das Buch Ester (Est) 2 ................... 169 5,1 ................ 159 7 ................... 169

Das Buch Ijob (Ijob) 2,10............... 303 13,15............. 289 33,31............. 369 Die Psalmen (Ps) 1,2................. 274 1,6................. 289 5,9................. 289 19,1............... 357 26,11............. 289 42,1............... 306 44.................. 295 50.................. 78 50,6............... 78 56.................. 79 101,8............. 306 111,1............. 306 116,12 ........... 59 118,32 ........... 306 133................ 68 133,1............. 67 Das Buch der Sprichwörter (Spr) 8,20–21 ......... 319 31,27............. 130 Das Hohelied (Hld) 3,2................. 84 4,7................. 192 5,2................. 84 7,6................. 313 Das Buch Jesus Sirach (Sir) 23,7ff. ........... 324 38,1–3 ........... 117 Das Buch Jesaja (Jes) 7,14............... 171 11,10............. 371

Nicht eigens aufgenommen wurden die in der Mystica ciudad de Dios zitierten Bibelstellen. Sie sind dem Anhang des Beitrags von Sara Cabibbo zu entnehmen: S. 327–331.

406

40,8 ............... 297 55,4–5 ........... 319 60,9 ............... 319 66,18 ............. 63 Das Buch Jeremia (Jer) 18,11 ............. 289 Das Buch Ezechiel (Ez) 44,1–3 ........... 170 46,13–15 .......274 Das Buch Daniel (Dan) 5 .................... 320 6,5 ................. 224 12,3 ............... 287 13 .................. 147 13,19–23 ....... 148 13,27 ............. 148 13,32 ............. 148 13,42–46 .......149 13,50–59 .......149 Das Buch Sacharja (Sach) 14,20–21 ....... 82 Matthäusevangelium (Mt) 1–2 ................ 112 3,17 ............... 76 4,1 ................. 198 4–5 ................ 270 5 .................... 71 5,1–12 ........... 266 5,7 ................. 276 5,8 ................. 117 5,18 ............... 270, 299 6 .................... 71 6,5–14 ........... 289 6,9 ................. 274 7 .................... 71 7,1–6 ............. 46 7,6 ................. 17 7,7 ................. 19 7,16–21 ......... 19 9,13 ............... 276 10,16 ............. 19 10,20 ............. 55 10,37 ............. 54

Bibelstellenregister

11,7–11 ........ 255 11,12 ............ 19 11,21 ............ 363 11,25 ............ 17 11,29–30 ...... 281 13,3–8 .......... 357 13,45–46 ...... 286 14, 1–12 ....... 219 15,21–28 ...... 257 17,5 .............. 76 18–23 ........... 357 19,18 ............ 55 19,24 ............ 19, 117 20,16 ............ 278 23,12 ............ 19 25,1 .............. 19 25,1–13 ........ 175 25,34 ............ 84 25,41 ............ 84 26–27 ........... 281 26,24 ............ 363 26,26 ............ 76 26,36–39 ...... 281 27,28.29 ....... 281 28,1–9 .......... 279 28,5–7 .......... 281 28,19 ............ 281 Markusevangelium (Mk) 1,11 .............. 76 1,13 .............. 274 1,16–20 ........ 270 6,14–29 ........ 219 7,24–30 ........ 257 9,1–8 ............ 46 9,7 ................ 76 15 ................. 281 15,1–2 .......... 281 15,37 ............ 281 16,1–8 .......... 279 16,16 ............ 99 16,17 ............ 281 Lukasevangelium (Lk) 1 ................... 168f. 1,7–20 .......... 257 1,8 ................ 274 1,26–27 ........ 281 1,34–35 ........ 311

1,35............... 281 1,38............... 281 1,39–40 ......... 281 1,39ff. ........... 36 1,42............... 76 1,45–48 ......... 281 1,46–55 ......... 280 1–2................ 112 2,7.8.9 ........... 281 2,11............... 281 2,21............... 95 2,22............... 281 2,22–40 ......... 125 2,25............... 281 2,32............... 81 2,34............... 281, 371 2,35............... 77 2,40–50 ......... 84 2,43,48 .......... 281 3,22............... 76 4,16–30 ......... 363 5,1–11 ........... 271 5,8................. 82 7,36–50 ......... 19 7,47............... 359 9,23............... 281 9,28–36 ......... 46 9,35............... 76 10,38–42 ....... 257, 275 11,2............... 274 11,2–4 ........... 289 11,27............. 81 15,1–2 .......... 281 16,1–13 ......... 253 17,10............. 310 17,21............. 66 18,9–14 ......... 26 22–24............ 281 22,39–71 ....... 278 23,1–53 ......... 278 23,28............. 371 23,33............. 281 24,1–11 ......... 279 24,50............. 281 Johannesevangelium (Joh) 1,9................. 287 1,14............... 46 2,4................. 83

Bibelstellenregister

3,16 ............... 276 4 .................... 23, 313 4,15 ............... 305 4,1–42 ........... 258 4,4–26 ........... 275, 278 8,1–11 ........... 23 9,1ff. ............. 23 10,14.15 ........ 360 11,25–26 .......281 11,47 ............. 370 13,1 ............... 358 13,1–20 ......... 258 13,23–26 .......257 14,5 ............... 289 14,6 ............... 310 14,9 ............... 310 14,15 ............. 360 15,5 ............... 360 15,12 ............. 358 15,13 ............. 358 16,7 ............... 359 17,1–26 ......... 253 17,21 ............. 310 18–19 ............ 281 18,36–37 .......281 19,1 ............... 281 19,5 ............... 266 19,17 ............. 281 19,30 ............. 281, 358 20,1–18 ......... 279 20,11–18 .......258 20,14–17 ....... 37, 78 20,16–17 .......274 20,24–29 ....... 23 21,15 ............. 360 Apostelgeschichte (Apg) 1,9 ................. 281 2,1–4 ............. 281 2,43–47 ......... 274 2,46 ............... 274 4,32,35 .......... 274 7,60 ............... 254 9,2 ................. 289

Römerbrief (Röm) 5,12–21 ........ 61 7,11 ............. 66 7,19 .............. 66 8,18 .............. 81 9,3 ................ 67 10,9 .............. 63 11,26 ............ 64 11,26–36 ...... 61 11,33 ............ 289 12,1–21 ........ 270 12,3 .............. 367 1. Korintherbrief (1 Kor) 1,27–29 ........ 17 2,4ff.............. 59 2,6 ................ 59 2,14 .............. 59 3,16 .............. 65 3,17 .............. 66 6,19 .............. 65 10,13 ............ 303 14,34 ............ 19, 40, 288, 290, 355, 367, 369 15,22–28 ...... 61 15,28 ............ 110 2. Korintherbrief (2 Kor) 3,6 ................ 20 3,13–16 ........ 73 5,19 .............. 61 6,16 .............. 65 10,5 .............. 273 12,1–4 .......... 319 13,3 .............. 274 Galaterbrief (Gal) 3,26–28 ........ 60 Epheserbrief (Eph) 4,22–24 ........ 78

407

Philipperbrief (Phil) 2,6–11 ........... 61 Kolosserbrief (Kol) 2,3................. 287 1. Thessalonicherbrief (1 Thess) 4,16............... 61 5,12............... 274 2. Thessalonicherbrief (2 Thess) 3,7–12 ........... 274 3,12............... 274 1. Timotheusbrief (1 Tim) 2,4................. 287 2,7................. 274 2,11............... 368f 2. Timotheusbrief (2 Tim) 11.................. 288, 290 Titusbrief (Tit) 2,5................. 314 Hebräerbrief (Hebr) 2,7................. 68 1. Petrusbrief (1 Petr) 1,25............... 297 2. Petrusbrief (2 Petr) 1,16–18 ......... 46 Offenbarung des Johannes (Offb) 1,16............... 77 12.................. 171 12,1............... 281 12,1–9 ........... 191 19,15............. 77

Die auf 20 Bände angelegte internationale, in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Spanisch erscheinende Enzyklopädie „Die Bibel und die Frauen“ setzt sich zum Ziel, eine Rezeptionsgeschichte der Bibel, konzentriert auf genderrelevante biblische Themen, auf biblische Frauenfiguren und auf Frauen, die durch die Geschichte hindurch bis auf den heutigen Tag die Bibel auslegten, zu präsentieren. Christliche und jüdische Forscherinnen und Forscher aus den Wissenschaftstraditionen der vier Sprachräume erarbeiten dieses interdisziplinäre Werk, das theologische, archäologische, ikonographische, kunsthistorische, philosophische, literaturwissenschaftliche und sozialgeschichtliche Genderforschung miteinander ins Gespräch bringen und neue Untersuchungen anregen will. Im Zentrum des Interesses stehen • literarische Frauenfiguren der Bibel und • deren Rezeption in der Exegesegeschichte durch Exegeten und Exegetinnen, • geschlechtsspezifische Lebenszusammenhänge in biblischen Zeiten, • Frauen, die in bestimmten Epochen und Auslegungstraditionen die Bibel interpretierten, • Frauen, denen biblische Texte oder deren Auslegung zugeschrieben werden, • genderrelevante Texte (z.B. Rechtstexte) und Themen (z.B. kultische Reinheit), • die Rezeption biblischer Frauenfiguren und genderrelevanter Themen in der Kunst. 1. Hebräische Bibel – Altes Testament 1.1 Tora: Irmtraud Fischer/Mercedes Navarro Puerto/Andrea Taschl-Erber (Hrsg.) 1.2 Prophetie: Irmtraud Fischer/Juliana Claassens (Hrsg.) 1.3 Schriften: Christl Maier/Nuria CalduchBenages (Hrsg.) 2. Neues Testament 2.1 Evangelien. Erzählungen und Geschichte: Mercedes Navarro Puerto/Marinella Perroni (Hrsg.) 2.2 Neutestamentliche Briefliteratur: Korinna Zamfir/Uta Poplutz (Hrsg.) 3. Pseudepigraphische und apokryphe Schriften 3.1 Frühjüdische Schriften: Eileen Schuller/

Marie-Theres Wacker (Hrsg.) 3.2 Frauentexte und apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums: Silke Petersen/Outi Lehtipuu (Hrsg.) 4. Jüdische Auslegung 4.1 Talmud: Tal Ilan/Lorena Miralles Maciá/Ronit Nikolsky (Hrsg.) 4.2 Jüdisches Mittelalter und Neuzeit: Carol Bakhos/Gerhard Langer (Hrsg.) 5. Patristische Zeit 5.1 Christliche Autoren der Antike: Kari Elisabeth Børresen/Emanuela Prinzivalli (Hrsg.) 5.2 Biblische Frauenfiguren in der Exegese der Patristik: Agnethe Siquans/Markus Vinzent (Hrsg.) 6. Mittelalter und frühe Neuzeit 6.1 Frühmittelalter: Franca Ela Consolino/Judith Herrin (Hrsg.) 6.2 Frauen und Bibel im Mittelalter: Adriana Valerio/Kari Elisabeth Børresen (Hrsg.) 6.3 Renaissance und „Querelle des femmes“: Ángela Muñoz Fernandez/Xenia von Tippelskirch (Hrsg.) 7. Zeit der Reformen und Revolutionen 7.1 Reformation und Gegenreformation in Nord- und Mitteleuropa: Charlotte Methuen/Lothar Vogel (Hrsg.) 7.2 Das katholische Europa im 16.-18. Jahrhundert: Maria Laura Giordano/Adriana Valerio (Hrsg.) 7.3 Aufklärung und Restauration: Ute Gause/ Marina Caffiero (Hrsg.) 8. 19. Jahrhundert 8.1 „Säkulare“ Frauenbewegungen: Angela Berlis/Christiana de Groot (Hrsg.) 8.2 Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert: Michaela Sohn-Kronthaler/Ruth Albrecht (Hrsg.) 9. 20. Jahrhundert und Gegenwart 9.1 Feministische Bibelwissenschaft im 20. Jahrhundert: Elisabeth Schüssler Fiorenza/Renate Jost (Hrsg.) 9.2 Aktuelle Tendenzen: Maria Cristina Bartolomei/Ilse Müllner/NN (Hrsg.)