Konjunktur und Krise: Jahrgang 11, Heft 3 [Reprint 2022 ed.]
 9783112645543

Table of contents :
INHALT
Einige Aspekte des staatsmonopolistischen Charakters des Neokolonialismus und seines ökonomischen Funktionsmechanismus
Thesen zum Problem des relativen Kapitalüberschusses im staatsmonopolistischen Kapitalismus
Die bürgerliche politische Ökonomie und die Politik der Investitionen (Ubersetzung)
Umschau
Strukturveränderungen in den Rohstoffbeziehungen zwischen imperialistischen und Entwicklungsländern
Die Wirtschaft der kapitalistischen Länder 1966
Buchbesprechung
Hans Mauersberg, Deutsche Industrien im Zeitgeschehen eines Jahrhunderts; Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1966, VIII und 584 S
CONTENTS / SOMMAIRE / СОДЕРЖАНИЕ

Citation preview

Konjunktur und Krise W I S S E N S C H A F T L I C H E S

B U L L E T I N

DES o
4 3,2 39,2 46,2 8,2 10,7 12,0 12,9 — —

15,7 18,0





13,3



7,2

9,9

6,1





7,2



8,5

11,3

2,9

* Einschätzung: Fernow Donald, International Oils. Financ. Analysis J. 1966, 22 Nr. 1, S. 1 3 7 - 1 4 8 (engl.) Zit.: Ref. Sb. A N S S S R 7B15. Wenn in früheren Etappen der kapitalistischen Entwicklung zur Sicherung des Monopolprofits die Beherrschung aller oder eines überwiegenden Teiles der Rohstoffquellen notwendig war, 19 so wird das jetzt durch die Beherrschung ertragreicherer und billigerer Rohstoffquellen oder durch den Ausbau der Produktion synthetischer Rohstoffe erreicht. Außerdem ist aus der obengenannten Tabelle eine weitere Veränderung des Kräfteverhältnisses in den internationalen Erdölkartellen zugunsten der amerikanischen und auf Kosten der englischen Monopole zu ersehen. Die Tagesleistungen in der Erdölgewinnung und Gaspröduktion der British Petroleum Company zeigten in ihrem tradi19 Lenin sagte: „Derartige Monopole sind am festesten, wenn alle Rohstoffquellen in einer Hand zusammengefaßt werden . . . " und ,,. . . einzig und allein der Kolonialbesitz bietet volle Gewähr für den Erfolg der Monopole gegenüber allen Zufälligkeiten . . ." (W. I. Lenin, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Band I, Moskau 1946, S. 809).

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REVMIRA ISMAILOWA-FRUCK

tionellen Gebiet des Nahen und Mittleren Ostens in den genannten fünf Jahren eine fallende Tendenz von 97,7 auf 84,8 cm3 gegenüber einer Steigerung bei amerikanischen Monopolen, besonders bei Gulf von 58,4 auf 66,1 cm3 und bei Socony Mobil von 39,2 auf 46,2 cm3. Auch auf dem afrikanischen Kontinent haben amerikanische Monopole Erfolge zu verzeichnen. An einer der reichsten Erdölquellen Afrikas, in Libyen zum Beispiel, sind fast ausschließlich die amerikanischen Monopole, wie Standard Oil New Jersey, Socony Mobil, Texaco und Standard Oil of California beteiligt. Die deutschen Monopole zeigen sich an der Erdölgewinnung im Ausland ebenfalls sehr interessiert. In den letzten Jahren entwickelten sie in Algerien, Libyen, Marokko, Äthiopien und im Iran besondere Aktivität. Allein im Jahre 1965 stieg die Erdölförderung deutscher Gesellschaften in Algerien von 102 aud 120 Tsd. t (Beteiligung Elwerath mit 20 Prozent), in Peru von 72 auf 78 Tsd. t (Beteiligung DEA, Elwerath und Wintershall je ein Sechstel Prozent).20 Aus Libyen wurden im Jahre 1965 41 Prozent des gesamten Erdölgewinnes nach der B R D exportiert. Dort sind die deutsche Gesellschaft DEA, Wintershall, Gewerkschaft Elwerath und die Gelsenberg Benzin aktiv tätig. Das Interesse westdeutscher Monopole bei der Ausbeutung der Erdölquellen in Libyen spiegelt sich in der Steigerung der Privatinvestitionen in diesem Land von 35,2 Mill. DM am Ende des Jahre 1963 auf 56,1 Mill. DM Mitte 1965 wider. Das gleiche betrifft Nigeria — entsprechend 10,7 und 22,6 Mill. DM —, den Iran — 27,8 und 40,6 Mill. DM — usw. Diese große Aktivität der imperialistischen Monopole, um immer mehr Rohstoffquellen zu beherrschen und immer mehr Länder in den Kreis von Rohstofflieferanten einzubeziehen, steht im Widerspruch zu der oben genannten Tendenz, die sich seit Ende der fünfziger Jahre in der kapitalistischen Welt herauskristallisiert: Bestrebung zur Selbstversorgung mit Rohstoffen bzw. Versorgung innerhalb der entwickelten kapitalistischen Länder. 21 Die Ursachen dafür sind in der Entwicklung der nationalen Befreiungsbewegungen in vielen kolonialen und abhängigen Ländern und in der Angst der imperialistischen Länder um eine kontinuierliche Versorgung ihrer Produktion mit Rohstoffen zu suchen. Aus diesem Grunde bevorzugen die Imperialisten sichere Rohstoffquellen in politisch zuverlässigen Ländern und bauen die Rohstoffproduktion ihrer eigenen Länder aus, d. h. Erschließung neuer und Erweiterung alter Rohstoffquellen. Zum anderen sind die imperialistischen Monopole im Zuge der nationalen Befreiungsbewegung und des Kampfes einiger Länder um die ökonomische Unabhängigkeit gezwungen, ihre Position auf dem Rohstoffmarkt zu behaupten, indem sie nach neuen Rohstoffquellen Ausschau halten. Als wichtigster Aspekt ist dabei auch die Festigung des sozialistischen Lagers und die weitere Entwicklung des Handels zwischen den sozialistischen und Entwicklungsländern zu sehen, die sich insbesondere auf den Rohstoffhandel der imperialistischen mit den Entwicklungsländern auswirkt. Alle diese Faktoren zwingen die entwickelten kapitalistischen Länder, ihre Selbstversorgung mit Rohstoffen zu verstärken. Sie erzielten durch den Agrarprotektionismus, den intensiven Ausbau ihrer Landwirtschaft und die überwiegende Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln bereits Erfolge. Die Investitionsvergrößerung in der Rohstoffwirtschaft der entwickelten kapitalistischen Länder hatte auch eine Erhöhung der Selbstversorgung mit Industrierohstoffen zur Folge, was sich z. B. in der Herstellung synthetischer Rohstoffe zeigte. Erdöl und Kohle, 6/1966, S. 455. Diese Tendenz wird von einer Reihe sowjetischer Ökonomen hervorgehoben. Siehe A. Manukjan, Problemy poslevoennogo razvitija ekonomiki kapitalistiieskich stran, Moskva 1966, R. Andreasjan ,,Mirov. ekonom. i. mezdunar. otnoäenija", Nr. 5/1966, L. Karpow,,Neue Zeit", Nr. 35/1966. 20

21

Strukturveränderungen in Rohstoffbeziehungen

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Trotz dieser Entwicklung sind die kapitalistischen Länder aber nicht in der Lage, ihren Bedarf an Rohstoffen voll zu decken. Nachfolgende Aufstellung weist die Selbstversorgung der USA mit mineralischen Rohstoffen in den Jahren 1944 bis 1964 aus, die unter den kapitalistischen Ländern als größter Rohstoffverbraucher gilt: 1944 Eisenerz Manganerze Berylliumerze Bauxit Wolframerze Kobalterze

1944

I 1964 in%

98 6 15 90 45 10

62 0 0 15 58 12

1964 in %

Kupfererze Quecksilber Bleierze Silber Uranerze Zinkerze

70 100 65 55 0 80

85 14 45 30 69 50

Quelle: Merrill, Charles, W.U.S., Self-sufficiency in selected metals and minerals, Enging and Mining J., 1966/67, Nr. 2, S. 77 — 79. Insgesamt ist die Versorgung der amerikanischen Industrie aus einheimischen Rohstoffen in den letzten zwanzig Jahren (außer Uran, Kupfer, Wolfram und Kobalt) gesunken. Diese Tendenz wird in Zukunft weiter um sich greifen. Hinzu kommt noch ein anderer Faktor. Obwohl der Rohstoffverbrauch pro Produktionseinheit infolge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zurückgeht, steigt der gesamte Rohstoffverbrauch an, da der Umfang der Produktion selbst wächst. „Nach Berechnungen von Ökonomen wird sich der Bedarf der USA an Erdöl, Eisenerz, Erdgas und Schnittholz bis zum Jahre 2000 verdreifachen, der an Chrom, Vanadium, Kupfer, Zink und Kobalt vervierfachen und der an Nickel und Wolfram verfünffachen. Deshalb ist die amerikanische, noch mehr die westeuropäische und die japanische Wirtschaft immer erheblicher auf die Rohstoffeinfuhr angewiesen."22 Man darf dabei auch nicht die Tendenz der Monopole außer acht lassen, sich durch Beherrschung billigerer Rohstoffquellen in anderen Ländern und Beteiligung an ihrer Ausbeutung höhere Profite zu sichern. Das bedeutet, daß der größte Teil der Rohstoffe in Zukunft wie auch bereits in der Gegenwart aus den Entwicklungsländern bezogen wird. REVMIRA ISMAILOWA-FRUCK 22

l]

Neue Zeit, Nr. 35, 1966, S. 19.

Konjunktur und Krise, Bd. 11, H. 3

Konjunktur und Krise, Band 11, Seite 217—226 (1967)

Die Wirtschaft der kapitalistischen Länder 1966 l . Allgemeiner Überblick Die Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft verlief im vergangenen Jahr in allen Bereichen von Land zu Land stark ungleichmäßig: Das, .Bruttosozialprodukt" der kapitalistischen Industrieländer nahm 1966 wie im Vorjahr real um etwa 5 Prozent zu. Die Industrieproduktion wuchs um 7 Prozent, etwas mehr als 1965. Der Außenhandel dieser Länder entwickelte sich wie bisher schneller als die Produktion und erreichte 1966 eine etwas größere Zunahme. Hinter dieser insgesamt aufwärts gerichteten Tendenz der Wirtschaft der kapitalistischen Länder verbergen sich einerseits rasches Wachstum, andererseits verbreitete Krisenzeichen. Das ökonomische Kräfteverhältnis zwischen den bedeutendsten Ländern des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems hat sich 1966 weiter verändert. Die 1966 wieder relativ hohe Wachstumsrate der Industrieproduktion in den kapitalistischen Industrieländern kam hauptsächlich durch die auch 1966 noch anhaltende Hochkonjunktur in den USA zustande. Dagegen blieb die Zunahme der Industrieproduktion in den westeuropäischen Ländern mit 4,2 Prozent weit hinter den USA zurück. Schon die Entwicklung der jährlichen Wachstumsraten zeigt die stark gegensätzlichen Tendenzen: In Westdeutschland und Großbritannien hat sich die Industrieproduktion 1966 kaum noch erhöht, während sich in Frankreich, Italien und Japan die Zunahme der Produktion erheblich beschleunigte. Tabelle 1 E n t w i c k l u n g der I n d u s t r i e p r o d u k t i o n in kapitalistischen Ländern (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent) 1964 USA Westdeutschland Großbritannien Japan Frankreich Italien Kanada Niederlande Belgien Schweden

+ + + + + + + + + +

6,4 8,4 7.2 17.0 7.8 1,1 9.4 9,2 6,0 9,8

1965 + 8,4 +5,7 + 2,9 +4,8 + 1,4 + 4,6 + 8,3 + 5,9 + 2,7 + 7,5

1966 + + + + + + + + + +

9,o 1,6 1,1 11,6 6,3 11,6 7,7 6,1 1,6 3,9

Quelle : General Statistics, Industrial Production (OECD), Paris, Supplement zu: Main Economic Indicators, Erstes Quartal 1967, S. 28. Diese Jahresraten des Wachstums geben jedoch die konjunkturellen Entwicklungstendenzen der letzten Zeit nur ungenügend wieder. Eine Analyse der Veränderungen in den einzelnen Quartalen bestätigt auch für das Jahr 1966, daß der Verlauf des Krisenzyklus nicht für alle kapitalistischen Industrieländer zeitlich übereinstimmt. Eine volle Synchronität bestand zwar auch in früheren Jahrzehnten nicht, es gab jedoch 15«

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bei den längeren Zyklen eine größere Annäherung des Phasenwechsels der einzelnen Länder. Die Zyklen der Gegenwart unterscheiden sich in Dauer und Verlauf von denen in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Dies hängt sowohl mit der wissenschaftlichtechnischen Revolution als auch mit der zunehmenden Verflechtung der Industrieländer und der unterschiedlichen Entwicklung des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems zusammen. Insgesamt ergibt sich daraus eine wesentlich ausgeprägtere ungleichmäßige ökonomische Entwicklung der kapitalistischen Industrieländer. In den beiden letzten Jahrzehnten war es eine Ausnahme, wenn die konjunkturellen Tendenzen übereinstimmten. Es gab zumeist zur gleichen Zeit Länder mit einer aufsteigenden Entwicklung wie auch solche mit Stagnation oder Rückgang. In den sechs bedeutendsten kapitalistischen Industrieländern verlief 1966 die Wirtschaftsentwicklung folgendermaßen: — Der Aufschwung in den USA, der seit 1961 anhält und seitdem nur von kurzen , .Pausen" unterbrochen wurde, setzte sich noch fort. Von der Jahresmitte an nahm jedoch die Industrieproduktion kaum mehr zu. Am Jahresende hatten stark erhöhte Lagerbestände und sinkende Auftragseingänge zu einem wachsenden Mißverhältnis zwischen Produktion und Absatz geführt. Die Folge war ein Produktionsrückgang in den ersten Monaten des laufenden Jahres. Die wachsenden Anforderungen der Vietnam-Aggression der USA an die amerikanische Wirtschaft haben die Wirtschaftsentwicklung in einigen Bereichen zwar stimuliert, wirken sich jedoch auf die Zahlungsbilanz und den Staatshaushalt negativ aus. Die unmittelbaren Kosten des verbrecherischen Krieges gegen das vietnamesische Volk übersteigen bereits 20 Milliarden Dollar im Jahr. Diese Ausgaben gehen zu Lasten der unumgänglichen Maßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Sanierung der Städte sowie anderer von der JohnsonAdministration jahrelang angekündigter Programme. Es geht mehr und mehr über die Kraft selbst eines wirtschaftlich so reichen Landes wie der USA, einen Krieg zu führen und zugleich die Lage des Volkes zu verbessern. Eine Verschärfung der inneren Auseinandersetzungen ist die unausbleibliche Folge. — In der westdeutschen Bundesrepublik hat sich die wirtschaftliche Lage im Verlaufe des Jahres merklich verschlechtert. Die Konjunktur ist gespalten: Der Binnenmarkt schrumpfte, die Inlandsaufträge der Industrie blieben immer mehr hinter dem Vorjahresstand zurück. Dagegen konnte die Ausweitung des Exports fortgesetzt werden, so daß ein noch stärkeres Zunehmen der Krisenzeichen vorerst verhindert wurde. Die Industrieproduktion zeigte bis zur Jahresmitte noch einen schwachen Anstieg, hat aber seitdem eine sinkende Tendenz, die sich bis in die ersten Monate des Jahres 1967 hinein weiter verstärkte. Die krisenhafte ökonomische Entwicklung hat die Zuspitzung der politischen Krise in Bonn im Sommer und Herbst 1966 beschleunigt. Der Anfang Dezember eingesetzten Regierung Kiesinger-Strauß gelang es bisher nicht, die „Talfahrt" der. westdeutschen Wirtschaft zu bremsen. — Großbritannien befand sich 1966 in einer wirtschaftlichen Stagnation mit einer sich zum Jahresende hin verstärkenden sinkenden Tendenz. Dies war teilweise eine Folge der restriktiven Wirtschaftspolitik der Labour-Regierung, die sich 1966 darauf konzentrierte, die Position der britischen Währung zu stabilisieren und das Defizit der Zahlungsbilanz zu vermindern. Die Investitionstätigkeit ließ nach, die Zahl der Arbeitslosen war am Jahresende fast doppelt so hoch wie ein Jahr zuvor. Die Konkurrenzfähigkeit der britischen Industrie auf den Weltmärkten reichte nicht aus, um die gelähmte Binnenkonjunktur durch eine bedeutende Ausweitung des Exports zu entlasten. — Frankreich befand sich 1966, nachdem die Stagnationserscheinungen der vorausgegangenen Jahre weitgehend überwunden werden konnten, wieder in einem wirtschaftlichen Aufschwung. Die Industrieproduktion stieg weiter an, wobei sich das Wachstumstempo gegen Ende des Jahres etwas verringerte.

Wirtschaft der kapitalistischen Länder 1966

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Die Entwicklung der französischen Wirtschaft war 1966 durch eine verstärkte staatlich geförderte Konzentrations- und Zentralisationsbewegung gekennzeichnet. Mit der Bildung weniger Mammutunternehmen in allen wichtigen Bereichen soll die Konkurrenzfähigkeit der französischen Industrie verbessert werden. — Italien verzeichnete im vergangenen Jahr eine anhaltende, schnelle Zunahme der Industrieproduktion in nahezu allen Zweigen. Das Produktionsniveau der durch Krisen- und Stagnationserscheinungen bestimmten Entwicklung der Jahre 1963 bis 1965 ist bereits bedeutend überschritten. Die Zahl der Arbeitslosen hat sich aber noch nicht wesentlich vermindert. Die Zunahme der Investitionstätigkeit ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. — In Japan beschleunigte sich der erneute wirtschaftliche Aufschwung. Zum Jahresende hin hat das Wachstumstempo etwas nachgelassen, ist aber noch immer weit höher als in allen anderen Ländern. Einen wesentlichen Impuls für die japanische Konjunktur bildete 1966 die Ausweitung des Exports. Die japanischen Monopole profitieren von der amerikanischen Vietnam-Aggression, indem sie ihre Ausfuhr sowohl in die USA als auch nach Taiwan, Südkorea, den Philippinen und Thailand — den Hauptstützpunkten des USA-Imperialismus in Asien — wesentlich steigern konnten. Im Jahre 1966 fiel die Bundesrepublik im wirtschaftlichen Wachstumstempo erstmalig weit hinter die anderen bedeutenden kapitalistischen Industrieländer — mit Ausnahme von Großbritannien — zurück. Diese beiden Länder, deren Wirtschaft gegenwärtig die deutlichsten Stagnations- und Krisenzeichen aufweist, vereinigen etwa 40 Prozent des „Bruttosozialprodukts" aller westeuropäischen Länder. E s sind erhebliche Überkapazitäten entstanden, die die Tendenz zu einer Einschränkung der Investitionstätigkeit verstärken. Die inflationäre Entwicklung konnte 1966 in den meisten Ländern abgebremst werden. Die Anstrengungen der verschiedenen Staaten, die Geldentwertung einzudämmen, liegt im unmittelbaren Interesse der Monopole, ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. Die Verbraucherpreise stiegen von Dezember 1965 bis Dezember 1966 in den größten kapitalistischen Industrieländern zwischen 2,4 und 4,3 Prozent, am stärksten in J a p a n ( + 4,3) und Großbritannien ( + 3,7), am wenigsten in Westdeutschland ( + 2,6) und Italien ( + 2,4). E s gelang den Werktätigen auch 1966, Lohnerhöhungen durchzusetzen, die im allgemeinen über die Rate der Preissteigerungen hinausgingen, und so ihren materiellen Lebensstandard insgesamt weiter zu erhöhen. Die nominelle Zunahme der Bruttostundenlöhne wird in den amtlichen Statistiken für das Jahr 1966 gegenüber dem Vorjahr für Westdeutschland mit 7,5 und für Großbritannien mit 6,0 Prozent angegeben. In diesen beiden Ländern war die Arbeitslosigkeit Ende 1966 wesentlich höher als vor Jahresfrist (1000):

Westdeutschland Großbritannien

Ende 1965

Ende 1966

135 351

285 582

Außerdem hat die Kurzarbeit bedeutend zugenommen. Die materielle Lage der gesamten Arbeiterklasse hat sich also im vergangenen Jahr in Westdeutschland und Großbritannien eher verschlechtert, wobei andere Faktoren des Lebensstandards, wie steigende Steuern usw., noch gar nicht berücksichtigt sind. Zu den unterschiedlichen konjunkturellen Tendenzen in den kapitalistischen Industrieländern kommen noch strukturelle Veränderungen in der Industrieproduktion hinzu, die sich vor allem aus der wissenschaftlich-technischen Revolution ergeben und ein zusätzliches Element der Ungleichmäßigkeit bilden. In Krisenzeiten verstärken diese Strukturveränderungen die soziale Unsicherheit eines wachsenden Teils der Werk-

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tätigen, da das staatsmonopolistische Herrschaftssystem nicht in der Lage ist, die Strukturprobleme der kapitalistischen Wirtschaft zu lösen. Charakteristisch für die Verschiebungen in der Struktur der kapitalistischen Industrieproduktion ist das relativ schnelle Wachstum der chemischen Industrie, das auch in den Ländern anhält, in denen sich weite Bereiche der Wirtschaft in einer Krise befinden oder stagnieren. Das rasche Anwachsen der Energieerzeugung ist ebenfalls eine Erscheinung der technischen Revolution. Für das IV. Quartal 1966 ergeben sich bei diesen beiden Zweigen folgende Veränderungen gegenüber dem gleichen Quartal des Jahres 1965 (Prozent) : Industrie gesamt USA Westdeutschland Großbritannien Japan Frankreich Italien

+ — + + +

8,0 1,0 2.5 19,0 5.2 11,5

Chemische Industrie

Energieerzeugung

+. 9,2 + 8,8 + 6,8 + 20,2 + 12,1 + 14,°

+ 7,9 + 6,3 + 4.° + 12,1 + 7,6 + 9,6

Dagegen zeigen insbesondere die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Nahrungs- und Genußmittelindustrie insgesamt ein wesentlich ungünstigeres Bild, wobei auch hier konjunkturelle und strukturelle Faktoren zusammenwirken. Entsprechend der Entwicklung der internationalen Konkurrenzfähigkeit des jeweiligen Landes und der unterschiedlich starken Verflechtung mit den Weltmärkten ergeben sich teilweise erhebliche Abweichungen. Im IV. Quartal 1966 lag die Textil- und Bekleidungsproduktion in Westdeutschland um 7,6 Prozent und in Großbritannien um 6,3 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Nahrungs- und Genußmittelproduktion nahm in diesen beiden Ländern in der gleichen Zeit nur um 1,5 bzw. 1,3 Prozent zu.

2. Veränderungen im Kräfteverhältnis Die uneinheitliche Konjunkturtendenz beeinflußt auch das internationale ökonomische Kräfteverhältnis. Die Verschiebung der Anteile an der Industrieproduktion aller kapitalistischen Industrieländer ist ein Indiz dafür. In dieser Entwicklung gibt es kurzfristige Schwankungen — wenn z. B. die Industrieproduktion eines Landes nur für kurze Zeit hinter dem durchschnittlichen Wachstumstempo aller dieser Länder zurückbleibt bzw. darüber hinausgeht — und längerfristige Tendenzen. Die Entwicklung des Jahres 1966 war dadurch gekennzeichnet, daß die kurzfristigen Schwankungen den längerfristigen Tendenzen entsprachen: Länder, die schon über mehrere Jahre hin wirtschaftlich schneller wuchsen, ließen 1966 eine größere Zuwachsrate der Industrieproduktion erkennen, während andererseits Länder mit längerfristig langsamer Entwicklung auch im vergangenen Jahr hinter dem Durchschnitt zurückblieben. Zu den ersteren — die ihren Anteil erhöhen konnten — zählen vor allem Japan und Italien. Bei den USA tritt das in diesem Jahrzehnt gegenüber den fünfziger Jahren wesentlich schnellere Wirtschaftswachstum deshalb nicht so sehr in einem steigenden Anteil an der Industrieproduktion der kapitalistischen Industrieländer in Erscheinung, weil sie mit ihrem bedeutenden ökonomischen Gewicht im imperialistischen Lager den Wachstumsdurchschnitt wesentlich mehr beeinflussen als jedes andere Land. Zu den Ländern mit langsamerem Entwicklungstempo zählen vor allem Großbritannien, Frankreich und auch Westdeutschland. Die Anteile der sechs bedeutendsten imperialistischen Länder an der Produktion aller kapitalistischen Industrieländer (OECD-Länder) veränderten sich von i960 bis 1966 wie folgt:

Wirtschaft der kapitalistischen Länder 1966 Anteil 1966

Index 1966 (i960 = 100) USA Westdeutschland Großbritannien Japan Frankreich Italien

144 134 118 194 136 156

221

52,2 10,8 10,7 5,5 5,2 3,9

52,6 10,1 8,8 7,5 4,9 4,3

Die USA sind nach wie vor die mit Abstand bedeutendste kapitalistische Industriemacht. Um die folgenden Plätze ist seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ein harter Kampf entbrannt. Zunächst überholte das wiedererstarkte Westdeutschland nach Frankreich auch Großbritannien, jetzt macht Japan der einstigen „Werkstatt der W e l t " den Rang streitig. Es bedarf keiner Prophetie, um die Verdrängung Großbritanniens durch Japan in dieser Rangliste bereits für die nächsten Jahre zu erwarten. Das Ziel des japanischen Monopolkapitals ist es, hinter den USA die zweite kapitalistische Industriemacht zu werden. Diesen Rang nimmt Japan auf verschiedenen Gebieten bereits jetzt ein. In drei Industriezweigen, deren Produktion statistisch international gut vergleichbat ist, treten diese Veränderungen im ökonomischen Kräfteverhältnis zwischen den kapitalistischen Ländern besonders deutlich hervor : in der Stahlproduktion, in der Automobilerzeugung und im Schiffbau. Rohstahlproduktion i1 1966 1965 (Millionen Tonnen) USA Japan Westdeutschland Großbritannien Frankreich Italien

119,260 41,161 36,821 27,440 19,604 12,680

Veränderung (Prozent)

121,600 47,700 35.308 24,707 19,593 13,628

+ i,9 + 15,9 - 4,1 —10,0 — 0,1 + 7,5

A utomobilerzeugung :2 1965 1 1966 (Millionen Stück) USA Westdeutschland Japan Großbritannien Frankreich Italien 1 2

10,20 2,98 1,88 2,18 1,55 1,16

Veränderung (Prozent)

10,90 3,05 2,29 2,04 1,88 1,32

Nihon Keizai Shimbun, Tokyo, Nr. 213 vom 24. 1. 1967. Die Außenwirtschaft, Köln, Nr. 7 vom 16. 2. 1967.

+ 6,7 + 2,5 + 22 - 6,2 +21,2 + 13,7

222

ERNST LÜDEMANN

Schiffbau:3

1965 I 1966 (Ablieferung in 1000 BRT) Japan Westdeutschland Schweden Großbritannien

4886 1035 1266 1282

Veränderung (Prozent)

6495

1158 1130 1074

+ 32,9 + 11,9

— 10,7 — 16,2

In allen drei Bereichen hat Japan seine Position ausbauen können: In der Rohstahlproduktion steht es hinsichtlich der Erzeugung nach den fortgeschrittensten Verfahren sogar an der Spitze: 1966 waren bereits 62,6 Prozent der gesamten japanischen Produktion Konverterstahl (Sauerstoff-Blasstahl). In der Automobilerzeugung hat Japan im Jahre 1966 Großbritannien hinter sich gelassen. Die japanischen Automobilkonzerne, die sich immer stärker auf den Export orientieren, wollen nun das westdeutsche Produktionsniveau erreichen. Im Schiffbau hat Japan seinen Vorsprung vor allen anderen Konkurrenzländern weiter ausgebaut. Sein Anteil an den Ablieferungen der Werften aller kapitalistischen Länder erreichte im vergangenen Jahr 47 Prozent. 3. Entwicklung des Außenhandels Der kapitalistische Welthandel zeigte 1966 insgesamt die gleichen Tendenzen wie in den voraufgegangenen Jahren: Der Außenhandel der entwickelten kapitalistischen Länder nahm wiederum wesentlich schneller zu als der Außenhandel der Entwicklungsländer, in denen das kontinuierliche Absinken ihres Anteils am kapitalistischen Welthandel wachstumshemmend wirkt. Die Entwicklungsländer waren am Export aller Länder des kapitalistischen Wirtschaftssystems 1965 zu 21,9 Prozent und 1966 zu 21,2 Prozent beteiligt. Zwischen den kapitalistischen Industrieländern — die folgenden Angaben beziehen sich auf die Mitgliedsländer der OECD 4 — vertiefte sich die internationale Arbeitsteilung weiter, da ihr Außenhandel schneller zunahm als ihre industrielle und agrarische Produktion. Der Export der OECD-Länder in andere entwickelte kapitalistische Länder erhöhte sich 1966 um 10,6 Prozent (1965 = 12,1 Prozent), der Export in Entwicklungsländer um 8,4 Prozent (1965 = 7,6 Prozent). Besonders schnell wuchs 1966 der Handel der OECD mit sozialistischen Ländern. Der Export in sozialistische Länder wurde um 23,3 Prozent vergrößert und erreichte fast 5,7 Md. Dollar. Der Import aus sozialistischen Ländern konnte dagegen wegen der protektionistischen Handelspolitik kapitalistischer Industrieländer und zahlreicher noch immer vorhandener, die sozialistischen Länder im Handel diskriminierenden Bestimmungen 1966 nur um 15,0 Prozent auf 5,3 Md. Dollar erweitert werden. Obgleich auch beim Handel mit sozialistischen Ländern für die kapitalistischen Unternehmen der Profit die Haupttriebkraft bildet, ist die Außenhandelspolitik gegenüber den Ländern des Sozialismus in einigen Ländern, vor allem in Westdeutschland, zugleich ein Teil der expansiven politischen Konzeption im Rahmen der imperialistischen „Globalstrategie". Die Entwicklungstendenzen des Warenaustauschs zwischen den kapitalistischen Industrieländern wurden auch 1966 sowohl von der unterschiedlichen konjunkturellen Bewegung als auch von der Existenz der beiden Wirtschaftsblöcke in Westeuropa — der E W G und der E F T A — bestimmt, die die Zölle innerhalb des jeweiligen Blocks weitgehend abgebaut und damit den Warenverkehr erleichtert haben. Der protektioWirtschafts-Correspondent, Hamburg, Nr. 5 vom 4. 2. 1967. Quelle: Foreign Trade, Series A, Overall Trady by Countries (OECD), Paris, April 1967. 3

4

223

Wirtschaft der kapitalistischen Länder 1966

nistische Effekt der EWG-Integration ergibt sich aus der Schaffung eines einheitlichen Außenzolls sowie aus dem Bestehen eines „Gemeinsamen Agrarmarktes". Im Außenhandel der EWG-Länder nahmen Export und Import um etwa 10 Prozent zu. Der Export erreichte insgesamt 52,6 Md. Dollar, davon entfielen 23,2 Md. Dollar (44,1 Prozent) auf den Warenaustausch zwischen den EWG-Ländern, der auch 1966 wieder überdurchschnittlich schnell zunahm. Das relativ geringe Anwachsen des Handels mit den EFTA-Ländern muß sowohl mit den größer gewordenen Handelshemmnissen zwischen EWG und EFTA als auch mit dem verringerten Wirtschaftswachstum in den EFTA-Ländern erklärt werden. Auch im kapitalistischen Welthandel führt die ungleichmäßige Entwicklung zu Verschiebungen des Kräfteverhältnisses zwischen den einzelnen Ländern. Aus der unterschiedlich schnellen Zunahme ihres Exports läßt sich — wie bei der Industrieproduktion — entnehmen, daß vor allem Japan seine Konkurrenten immer stärker bedrängt (Zunahme 1963 — 1966 in Prozent): OECD-Länder insgesamt

38.0

USA Großbritannien Japan Kanada

30,4 23.7 79,4 76,6

EWG-Länder gesamt Westdeutschland Frankreich Italien Belgien—Luxemburg Niederlande

40,1 37.7 34.9 58,3 40,8 36,0

Dagegen weist Großbritannien nur eine schwache Exportzunahme auf, die seinen Anteil am kapitalistischen Welthandel immer weiter absinken läßt. Westdeutschland konnte seine führende Stellung in der EWG behaupten. In den vergangenen Jahren haben jedoch Frankreich und Italien als die beiden anderen „Großen" der EWG-Mitgliedsländer ihren Export innerhalb des Gemeinsamen Marktes schneller ausdehnen können als Westdeutschland. 4. Der Export als „Krisenventil" Der Außenhandel kann in den kapitalistischen Ländern — wie die letzten Jahre zeigen — unter den Bedingungen der ungleichmäßigen Entwicklung im Imperialismus und infolge der bereits relativ fortgeschrittenen wirtschaftlichen Verflechtung der Industrieländer eine gewisse, zeitweilig ausgleichende Rolle bei Konjunkturschwankungen spielen. Der Warenaustausch innerhalb der EWG ist dafür ein anschauliches Beispiel: Insgesamt betrachtet, läßt der Handel innerhalb der EWG kaum wesentliche Veränderungen erkennen, wenn man von der sich in der Tendenz verringernden Zuwachsrate absieht. Hinter dieser relativ ausgeglichenen Zunahme verbergen sich jedoch große Unterschiede im einzelnen (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent) (folg. Tabelle): Für Westdeutschland waren 1964 und 1965 Jahre der Hochkonjunktur. Die Wareneinfuhr stieg stark an, weil sich der westdeutsche Binnenmarkt in verhältnismäßig schnellem Tempo ausdehnte. In den gleichen Jahren durchlief Italien eine krisenhafte Entwicklung. Die Wareneinfuhr ging zurück, für die italienischen Konzerne war die verstärkte Ausfuhr eine Art „Krisenventil", das ein weiteres Absinken der Produktion bremste. Dieses „Ventil" kann aber nur dann funktionieren, wenn zumindest in einigen bedeutenden Ländern Hochkonjunktur ist. 1966 wirkte sich dieser „Mechanismus" zugunsten der westdeutschen Wirtschaft aus: Der westdeutsche Binnenmarkt schrumpfte immer stärker, die westdeutschen Konzerne konnten sich jedoch durch die weiter schnell ausgedehnte Warenausfuhr einen gewissen Ausgleich schaffen. Für die Bundesrepublik spielte neben der Steigerung der Ausfuhr in andere EWGLänder auch der Export in die USA als krisenhemmender Faktor eine große Rolle:

224

ERNST

Westdeutschland : Export in E W G Import aus E W G Frankreich : Export in E W G Import aus EWG Italien : Export in E W G Import aus EWG

LÜDEMANN

1964

1965

1966

+ 8,4 + 17,4

+ 6,7 + 30.7

+ 16,0 + 4.2

+ 12,8 +20,4

+ 18,0 + 6,7

+ 12,0 +20,9

+ 25,8 - 4.9

+ 27.5 - 3.2

+ 12,8 + 21,6

Die westdeutschen Konzerne haben 1966 von der Einbeziehung eines wachsenden Teils der amerikanischen Industriekapazität in die Rüstungsproduktion für den VietnamKrieg und damit indirekt an diesem verbrecherischen Krieg selbst profitiert, indem sie die Warenausfuhr in die USA gegenüber 1965 um 25,0 Prozent steigern konnten. Diese Funktion des Außenhandels als , .Krisenventil" tritt zwar im Handel zwischen den drei größten EWG-Ländern besonders drastisch in Erscheinung, zeigt sich aber mehr oder weniger bei allen imperialistischen Ländern. Die Tabelle 2 läßt erkennen, daß sich bei beschleunigtem Wachstum des „Bruttosozialprodukts" — bei einem Vergleich mit der Zunahme der Industrieproduktion ergeben sich die gleichen Tendenzen — das Tempo der Exportausweitung verringert und das Tempo der Importausweitüng vergrößert. Ein geringerer Zuwachs des, .Bruttosozialprodukts" hat dementsprechend entgegengesetzteTendenzen zur Folge. Tabelle 2

V e r g l e i c h der E n t w i c k l u n g v o n „ B r u t t o s o z i a l p r o d u k t " , I m p o r t und E x p o r t 1965 und 1966 (Veränderung gegenüber der gleichen Vorjahreszeit in Prozent) „Bruttosozialprodukt" (real) 1966 1965 USA Westdeutschland Großbritannien Frankreich Japan Italien Kanada Niederlande Belgien

+5,9 +4.8 +2,1 + 3,4 +4.° + 3,9 + 6,6 + 5,4 + 3,3

+ 5,4 + 2,6 + 1,1 + 5,2 + 9,0 +5,5 +6,1 +4,5 + 2,5

Export

Import 1965 + 14,4 + 19,6 + 1,2 + 2,7 + 2,9 + 1,5 + 15,0 + 5,8 + 7,1

1966 + + + + + + + + +

19,2 3,i 3.3 14,9 16,6 16,7 14,3 7,4 12,5

1965 + 3,5 + 10,4 + 7,3 + 11,8 +26,6 +20,6 + 5,3 + 10,1 + 13.6

1966 + + + + + + + + +

10,7 12,5 6,9 8,5 15.7 11,7 17.8 5,6 7.1

Quellen: Vierteljahresheft zur Wirtschaftsforschung, Westberlin, Erstes Heft 1967, S. 6 ; Foreign Trade, Series A, Overall Trade by Countries (OECD), Paris, April 1967. Ein solcher „Ausgleich" der konjunkturellen Schwankungen auf dem Binnenmarkt durch den Außenhandel setzt aber die Erhaltung der internationalen Konkurrenzfähigkeit des jeweiligen Landes voraus. Bei einer über mehrere Jahre anhaltenden relativ ungünstigen Wirtschaftsentwicklung, die im allgemeinen mit einem Nachlassen der Anlageinvestitionen verbunden ist, kann die Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigt

Wirtschaft der kapitalistischen Länder 1966

225

werden. Dieses Land ist dann zumeist nicht in der Lage, eine schnellere Zunahme des Exports zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist Großbritannien, dessen internationale Konkurrenzfähigkeit sich in den letzten Jahren insgesamt verschlechtert hat. Solche kleineren Länder wie die Niederlande und Belgien haben — von den allergrößten Unternehmen abgesehen — offenbar nicht die Kraft, sich bei nachlassendem Entwicklungstempo ihrer Wirtschaft des verstärkten Eindringens der Konkurrenten zu erwehren oder ihr Exportwachstum zu beschleunigen. In beiden Fällen zeigt die Veränderung der Zunahme von Import und Export im Verhältnis zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung eine entgegengesetzte Tendenz als in den größeren Ländern. — Die Zunahme des Importwachstums der USA steht vor allem mit dem sich vergrößernden Einfluß des Vietnam-Krieges auf die amerikanische Wirtschaft im Zusammenhang. 5. Gegensätzliche Veränderung der Zahlungsbilanzen Die internationale Position der einzelnen kapitalistischen Länder läßt sich jedoch nicht allein an Hand der Entwicklung des Außenhandels bestimmen, denn die ökonomischen Beziehungen schließen auch Kapitaltransaktionen und den Dienstleistungsverkehr ein, von denen die Zahlungsbilanz mit abhängt. Ein allgemeiner Maßstab für deren Veränderung ist die Entwicklung der Gold- und Devisenbestände (MQ1. Dollar am jeweiligen Jahresende) :5

USA Westdeutschland Frankreich Italien Großbritannien Japan

1964

1965

1966

15903 6970 5105 3678 2316 1799

14846 6353 5459 3866 3004 1897

14556 6771 5745 3682 3100 1798

Die Bewegung der Gold- und Devisenbestände entspricht jedoch nicht automatisch dem Saldo der Zahlungsbilanz, da sich auch die Positionen der einzelnen Länder gegenüber dem Internationalen Währensfonds sowohl durch die Erhöhung der Ziehungsrechte des jeweiligen Landes durch Einlagen beim I W F als auch durch Ziehungen anderer Länder auf die verschiedenen Währungen unterschiedlich verändern. Für die USA hat sich 1966 das Zahlungsbilanzproblem vor allem als Folge der wachsenden Devisenaufwendungen im Zusammenhang mit dem Vietnam-Krieg erneut verschärft. Diese betrugen 1965 265 Mill. Dollar, 1966 aber 950 Mill. Dollar. Die amerikanische Zahlungsbilanz weist offiziell für 1966 ein Defizit von 1,424 Md. Dollar gegenüber 1,337 Md. Dollar im Vorjahr auf. Diese auf den ersten Blick nicht allzu bedrohliche Entwicklung ist jedoch vor allem auf einige einmalige Sondertransaktionen zugunsten der USA zurückzuführen. So überwies Westdeutschland im Dezember 1966 als vorzeitige Rückzahlung von Auslandsschulden und im Rahmen seiner Verpflichtungen aus dem Devisenausgleichsabkommen zusammen 450 Mill. Dollar an die USA. Die herrschenden Kräfte in Bonn haben damit ihre Politik fortgesetzt, den USA ökonomisch unter die Arme zu greifen, um sich der Unterstützung ihrer Expansionspolitik durch den amerikanischen Imperialismus zu versichern. Auch andere Regierungen und Notenbanken haben umfangreiche Dollarforderungen in amerikanischen Staatspapieren und in Guthaben bei amerikanischen Banken angelegt. Ohne diese Transaktionen h ä t t e das Defizit der USA-Zahlungsbilanz etwa 2,5 Md. Dollar betragen. Außerdem ist 1966 infolge des höheren Zinsniveaus in anderen Ländern in großem Umfang amerikanisches Kapital in die USA zurückgeflossen und auch die Käufe ausländischer Wertpapiere durch USA-Kapitalisten haben nachgelassen. 6

Main Economic Indicators (OECD), Paris, Mai 1967.

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ERNST

LÜDEMANN

Für Westdeutschland war 1966 der sprunghaft angestiegene Außenhandelsüberschuß von wesentlicher Bedeutung, weil er eine erneute Passivierung der Zahlungsbilanz verhinderte. Er belief sich auf fast 8 Md. DM gegenüber nur 1,2 Md. DM im Vorjahr. Der Saldo der Kapitalbilanz erreichte 1966 ein Defizit von rund 200 Mill. DM gegenüber einem Aktivsaldo von 2,65 Md. DM im Jahre 1965. Hier zeigen sich sowohl die erwähnten Kapitalabflüsse in die USA als auch die verminderte Anziehungskraft als Kapitalanlagesphäre, die eine Folge der verschlechterten wirtschaftlichen Situation ist. Im Gegensatz zur ökonomischen Entwicklungstendenz in Westdeutschland selbst hat sich also seine internationale Position 1966 sogar verbessert: Die Zahlungsbilanz der Bundesrepublik weist für 1966 einen Überschuß von über einer Md. DM aus, während 1965 ein Defizit von 1,5 Md. DM entstanden war. Großbritanniens Zahlungsbilanzdefizit hat sich 1966 wesentlich vermindert. Es betrug 189 Mill. Pfund Sterling gegenüber 348 Mill. Pfund Sterling im Jahr zuvor. Frankreichs Zahlungsbilanzüberschuß von 5,6 Md. F im Jahre 1965 verminderte sich auf 2,1 Md. F im Jahre 1966. Diese Entwicklung wurde wesentlich durch die starke Schrumpfung des Außenhandelsüberschusses verursacht, zu der ein starkes Nachlassen des Kapitalimports hinzukam. Auch in Italien trat eine Verminderung des Aktivsaldos der Zahlungsbilanz ein. In Japan wurde ein Überschuß von insgesamt 335 Mill. Dollar (1965 = 404 Mill. Dollar) erzielt, wozu vor allem der um 379 Mill. erhöhte Außenhandelsüberschuß und der um 406 Mill. Dollar vergrößerte Passivsaldo der langfristigen Kapitaltransaktionen beigetragen haben. Die Entwicklung der Zahlungsbilanzen der bedeutendsten kapitalistischen Industrieländer widerspricht also der Tendenz der Binnenkonjuktur. Die beiden Länder mit dem schwächsten Wirtschaftswachstum — Großbritannien und Westdeutschland — konnten ihre Zahlungsbilanz verbessern, während die Länder mit aufsteigender Tendenz der wirtschaftlichen Entwicklung — die USA, Japan, Frankreich und Italien — eine weniger günstige Zahlungsbilanz als im Vorjahr aufweisen. Auch hierin zeigt sich die ungleichmäßige ökonomische Entwicklung im Imperialismus.

Ein Vergleich der Lage der kapitalistischen Weltwirtschaft am Anfang und am Ende des Jahres 1966 zeigt, daß sich im Laufe des Jahres die Stagnations- und Krisenzeichen bedeutend vermehrt haben. Am Beginn des Jahres 1967 war die konjunkturelle Tendenz in den drei ökonomisch bedeutendsten imperialistischen Ländern abwärts gerichtet. Für das laufende Jahr erwarten die Konjunkturforscher in den kapitalistischen Ländern übereinstimmend eine wesentliche Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstumstempos. Für die kapitalistischen Industrieländer insgesamt wird der voraussichtliche reale Zuwachs des „Bruttosozialprodukts" mit 3,7 Prozent gegenüber 4,9 Prozent im Jahre 1966 angegeben. Eine besonders deutliche Verminderung der Wachstumsrate von 1966 auf 1967 wird für Westdeutschland (von 2,6 auf nur 0,5 Prozent) und für die USA (von 5,4 auf 3,5 Prozent) erwartet. Dagegen wird, soweit das Ende Mai 1967 abzusehen war, der konjunkturelle Aufschwung in Japan und Italien weitergehen. ERNST

LÜDEMANN

Konjunktur und Krise, Band 11, Seite 227—230 (1967)

BUCHBESPRECHUNG Deutsche Industrien im Zeitgeschehen eines Jahrhunderts; Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1966, 584 Seiten.

HANS MAUERSBERG,

Mauersberg hat in seiner Arbeit sehr interessantes Material zusammengetragen. Die Entwicklung einzelner Unternehmen aus den verschiedenen großen Bereichen der industriellen Produktion wird von ihren Anfängen an bis zur Gegenwart untersucht. Die Arbeit ist in vier Kapitel gegliedert, deren jedes einen besonderen Zeitabschnitt behandelt und zwar die Zeit von der Manufakturperiode bis etwa 1870, von 1870 bis zum ersten Weltkrieg, vom ersten Weltkrieg bis zum Ende der Weimarer Republik und von der Nazizeit bis zur Gegenwart. Der Autor setzt sich gewissermaßen das Ziel, eine Entwicklungsgeschichte der deutschen Industie zu schreiben, aber er handelt sie am Beispiel von 14 Unternehmen ab. Das hat Vor- und Nachteile. Ein Nachteil ist es ohne Zweifel, daß die Entwicklung der Unternehmen naturgemäß dort, wo es um das Wesen der Prozesse geht, viele gemeinsame Züge aufweist. Im Laufe der Abhandlung häufen sich daher Wiederholungen und die Arbeit wird zunehmend langatmiger. Auch werden wesentliche Züge der allgemeinen Entwicklung nur in ihrem Einfluß auf das einzelne Unternehmen dargestellt; verallgemeinernde Schlußfolgerungen sind daher nur vorsichtig zu ziehen. Von Vorteil ist jedoch, daß man die Entwicklung heutiger Großunternehmen, eingebettet in den Rahmen der allgemeinen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Entwicklung, mit den wesentlichsten Einflüssen, die sich daraus für das jeweilige Unternehmen ergeben, in größerer Ausführlichkeit dargestellt erhält und verfolgen kann. Das Buch bietet daher eine Fülle interessanten Materials. Namentlich die Entwicklung der Unternehmen bis zum ersten Weltkrieg ist sehr ausführlich geschildert und anhand einer gründlichen Analyse vorliegender Geschäftsberichte und -unterlagen belegt. Man sieht heute führende Konzerne der Chemie, der Eisen- und Stahlindustrie, des Fahrzeugbaues usw. förmlich wachsen und gewinnt, da alles gewissermaßen in der Zeitraffermethode dargestellt wird, einen Eindruck von dem fast explosionsartigen Charakter der Entwicklung in den ersten Jahrzehnten der kapitalistischen Industrialisierung. Kleine, werkstattähnliche Betriebe, deren Kapital noch nach Tausenden von Mark zählt, wachsen in wenigen Jahrzehnten, ja man kann fast von wenigen Jahren sprechen, zu Großunternehmen, deren Anlagekapital die Hunderttausend- und Millionen-Mark-Grenze übersteigt. Mauersberg zeigt dabei die wichtigsten Kennziffern eines Unternehmens in ihrer Entwicklung; also Produktion, Beschäftigte, Kapital (und zwar weitgehend aufgegliedert nach Löhnen, Umlaufmitteln und Anlagen, letztere wieder nach Baulichkeiten, Grundstücken und maschinellen Anlagen), Gewinn u. a. Angaben über Eigen- und Fremdkapital werden gemacht. Mannigfaltige Schlußfolgerungen über den Prozeß der Kapitalakkumulation, Mehrwerts-, Profitrate usw. werden also möglich, ebenso über die Struktur der Konzerne, ihr Eindringen in Zweige der vor- und nachgelagerten Produktionsstufen. Man erkennt also konkret, in was für technische Anlagen sich das akkumulierte Geldkapital verwandelt. Interessant ist auch, daß das Kapital, einmal in Gang gesetzt, anscheinend die weitere Ausdehnung des Unternehmens selbst finanzieren konnte. Röchling erhöhte beispielsweise im Laufe von 20 Jahren die Zahl der Puddelöfen in der Völklinger Hütte

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ROBERT

KATZENSTEIN

von 9 auf 59, die der Schweißstahlöfen von 4 auf 14, erbaute neue Walzstraßen, erschloß sich eigene Erzgruben und erweiterte deren Förderung von 0,01 auf 1,0 Mill. t und errichtete außerdem 6 Hochöfen. D. h. er übernahm eine kleine, vernachlässigte Hütte und baute sie innerhalb weniger Jahre zu einem für damalige Verhältnisse riesigen Hüttenwerk aus, und zwar fast ohne Aufnahme von Fremdgeldern. Freilich standen ihm dabei nicht nur die Profite aus der Hütte selbst, sondern auch die aus seiner ausgedehnten Kohle- und Eisenhandelsgesellschaft zur Verfügung. Immerhin, die Profitrate muß für heutige Begriffe unwahrscheinlich hoch gewesen sein. Auch für die anderen Unternehmen läßt sich erkennen, daß die Ausdehnung des Geschäfts zunächst selbst finanziert werden konnte. Das änderte sich mit dem Wachstum der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Mauersberg geht verschiedentlich auf die mit dem Geschäftsumfang zunehmende Bedeutung des Kreditsystems für die Kapitalmobilisierung ein. Auch die Bedeutung solcher kapitalistischer Eigentumsformen wie der A k tien in dieser Hinsicht wird angedeutet. Ein ganzer Abschnitt beschäftigt sich mit der Konzentration des Kapitals und dem Monopolisierungsprozeß — ebenfalls in diesem Zusammenhang; die heutige Rolle des Staates, des Staatsmonopols, für die Kapitalmobilisierung wird freilich nur angedeutet. Überhaupt ist es eine Schwäche der ganzen Arbeit, daß nur die ersten Perioden der Entwicklung, etwa bis zur Zeit nach dem ersten Weltkrieg, ausführlich behandelt und mit einer Fülle konkreten Materials belegt werden. Die Entwicklung während der Zeit seit der faschistischen Machtübernahme wird dagegen nur sehr oberflächlich dargestellt. Selbst das hier verwandte Zahlenmaterial entstammt nur in ganz wenigen Fällen normalerweise schwer zugänglichen Quellen, sondern läßt sich meist ohne Schwierigkeiten überall nachschlagen. Ja, in allgemeinen Geschäftsberichten offen zugängliche Kennziffern, wie Produktion, Beschäftigung, Investitionen und dergleichen werden nicht mehr gebracht. Auf diese Weise wird die vergleichende Betrachtung der Unternehmensentwicklung in den verschiedenen Perioden plötzlich unterbunden. Die Entwicklung ab 1933 bleibt faktisch im Dunkeln. Man fragt sich unwillkürlich, was hier nicht dargestellt werden soll. E s zeigt sich hier ein Bruch in der ganzen Arbeit. Ohne Zweifel ist dieser Bruch auf die unterschwellige zweite Zielsetzung des Autors zurückzuführen. Unausgesprochen bemüht sich Mauersberg darum, den Kapitalismus als sich wandelnde Gesellschaftsordnung darzustellen, gewissermaßen eine Entwicklungsgeschichte der industriellen Gesellschaft vom Kapitalismus zur sozialen Marktwirtschaft zu entwerfen. E s dauert einige Zeit, ehe man sein Anliegen erkennt. Zunächst einmal zeichnet Mauersberg so ganz nebenbei ein Bild des Unternehmers als Mensch, voller Forscherdrang und Suchen nach technischem und gesellschaftlichem Fortschritt, voller sozialer Verantwortung für sein Werk und seine Arbeiter. Der Profit als Triebkraft der industriellen Entwicklung wird nicht mißachtet, aber er verblaßt neben dem Bild des „technischen Konstrukteurs aus Leidenschaft" und des „weitblickenden, befähigten Kaufmannes" mit sozialen Ambitionen. Man ist erst geneigt, dieses Bemühen des Autors, die menschlichen Eigenschaften des Unternehmers iri den Vordergrund zu rücken, zu belächeln. Zu oft wurden schon ähnliche Bilder gezeichnet, die aber, an der konkreten Wirklichkeit der Prozesse gemessen, ihre Leuchtkraft schnell einbüßten. D a Mauersberg die menschliche Seite des Unternehmers immer wieder hervorhebt, wird man schließlich ungeduldig und fragt sich, wozu das Ganze, ist es ein spezielles Hobby des Autors ? Was will er damit sagen ? Wer bestreitet denn den Forscherdrang solcher Menschen wie Benz ? Wer zweifelt an, daß auch Unternehmer einen guten Charakter haben können, wer, daß die persönlichen Eigenschaften dieser Leute auch die Entwicklung in gewissem Grade beeinflussen können ? Das sind doch sekundäre Einflüsse. Worauf es hier ankommt, sind doch nicht die Eigenschaften des Kapitalisten, sondern die des Kapitals. Sein Wesen kann man nicht erfassen, wenn man die menschlichen Eigenschaften der Unternehmer, sondern nur wenn man das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis, als spezifisches Ausbeutungsverhältnis untersucht.

Buchbesprechung

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In der Tat verschwindet auch bei Mauersberg der Unternehmer nach den einleitenden Sätzen jeder Firmengeschichte sehr schnell wieder von der Bildfläche. Der Kapitalist tritt in den Hintergrund und es bleibt das Kapital, das Unternehmen, das seine eigenen, vom Charakter des Kapitalisten unabhängigen Bedingungen setzt. Mauersberg selbst schildert den stürmischen Industrialisierungsprozeß. Der Kapitalist muß da Schritt halten, ob er will oder nicht. Was an Profit akkumuliert werden kann, muß in den Ausbau der herkömmlichen oder den Aufbau neuer Betriebe gesteckt werden. Das Wohlergehen des Kapitals, seine Absicherung gegen alle Gefahren, die unsichere Zeitläufe und wechselnde wirtschaftliche Konjunkturen mit sich bringen, stehen im Vordergrund. Soziale Ambitionen haben da keinen Platz. E s bleibt nur wenig übrig, um die Lage der Arbeiter zu verbessern; ja selbst die Unternehmer müssen im Interesse des Werkes auf Konsum verzichten. Hat man Mauersbergs Schilderung des Industrialisierungsprozesses gelesen, so erscheint sein Unternehmer jetzt als der Mann, der wohl gerne möchte, aber nicht so kann . . . , denn, ach, die Zeiten und die Konkurrenz sind gar so schwer. Aber so leicht macht es sich der Autor nun wiederum auch nicht. E r zeichnet jetzt, für diese Periode des Industrialisierungsprozesses bis zum ersten Weltkrieg noch ein Bild des Unternehmers, das für diesen keineswegs schmeichelhaft ist. Mauersberg schildert die Lage der Arbeiter, und zwar durchaus beweiskräftig, als ausgesprochen elend und stellt fest, daß die Unternehmer bei weitem nicht alles taten, was im Bereich ihrer Möglichkeiten lag, um diese Situation zu verändern. Ungeschminkt werden Löhne, Gewinne und soziale Leistungen in ihrer Entwicklung miteinander verglichen und es ist beachtlich, was für Unterlagen der Autor zur Beweisführung hier heranzieht. Auch der Kampf der Arbeiterklasse wird gewürdigt. Mauersberg gibt an dieser Stelle seines Buches gewissermaßen einen kurzen Abriß der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und hebt die Notwendigkeit des Kampfes der Arbeiter um bessere Lebensbedingungen hervor. E s ist kein günstiges Licht, in das Mauersberg hier die Unternehmer setzt. Obwohl er auch den „Konsumverzicht" der Unternehmer dann und wann erwähnt, kommt er zu dem Schluß, daß ,,die Durststrecke des industriellen Aufbaues in der frühen Hochphase dieser Entwicklung bis zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges im wesentlichen vom Stand der Arbeiter durchzustehen und von diesem auszuhalten war, während sie den ursprünglichen Geldgeber . . . vorerst nicht so betraf, vielmehr diesen . . . mit guten . . . Gewinnen . . . bedachte." (S. 257). Mauersberg wundert sich manchmal sogar, daß die Arbeiter in einigen der von ihm untersuchten Unternehmen nicht häufiger streikten, als sie es tatsächlich taten. Jedoch handelt es sich bei dieser Periode um eine gewissermaßen noch unfertige Gesellschaft. Bevor die Arbeiter an den Früchten der Industrialisierung teilhaben konnten, so meint Mauersberg, mußten sie sich erst ihre Anerkennung als sozialer Stand im Gefüge der Gesellschaft erkämpfen. Hat man mehr als die Hälfte der Arbeit gelesen, so hat einem Mauersberg auf diese Weise vielerlei erklärt: Der Klassenkampf war zeitweise ein notwendiges Element der gesellschaftlichen Entwicklung. Ihm liegen jedoch keine unüberwindbaren Gegensätze zwischen Arbeiter und Unternehmer zugrunde. Der Unternehmer ist vielmehr vom Charakter her gut — wenn ihm auch alle menschlichen Schwächen eigen sind — und überdurchschnittlich begabt was Forscherdrang, Weitblick und soziales Verantwortungsbewußtsein betrifft. Wenn sein soziales Verantwortungsbewußtsein in der Praxis den Arbeitern gegenüber zunächst nicht genügenden Ausdruck fand, so liegt das einerseits daran, daß der Industrialisierungsprozeß alle Mittel verschlungen hat, er hatte also im Grunde gar keine großen Möglichkeiten, den Arbeitern mehr Lohn zukommen zu lassen, andererseits daran, daß er zunächst die wichtige, gleichberechtigte soziale Stellung der Arbeiter im Gefüge der Gesellschaft nicht erkannt hat und nicht erkennen konnte. Kurzum, die materiellen und bewußtseinsmäßigen Voraussetzungen für die „Grundlebensformen der Masse der heutigentags in der gewerblichen Wirtschaft tätigen Menschen" mußten erst geschaffen werden. Heute erst kann die Gesellschaft insgesamt die Früchte dieses harten Entwicklungsprozesses ernten.

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ROBERT

KATZENSTEIN

Was liegt näher, als diesen Gedankengang von Mauersberg in der Richtung weiterzuführen, daß heute das soziale Verantwortungsbewußtsein der Unternehmer frei zum Zuge kommen kann, weil die materiellen Voraussetzungen gegeben sind, und daß sie auch in der nunmehr gewandelten Gesellschaftsform, in der gewissermaßen vollendeten Grundlebensform der Gesellschaft, einen achtbaren Platz einnehmen müssen, weil sie vom Charakter her prädestiniert erscheinen, den gesellschaftlichen Fortschritt auch weiter voranzutreiben ? In der Tat beschränkt sich Mauersberg im weiteren Verlauf seiner Arbeit darauf — d. h. nachdem er die Entwicklung bis etwa zur Zeit der Weimarer Republik ausführlich behandelt hat und zu obigem Ergebnis gekommen ist — im Grunde nur noch die weitere Ausdehnung der Produktion und im wesentlichen für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, die Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter nachzuweisen. Die Argumentation ist mehr als dürftig, vor allem wenn man sie mit der im ersten Teil der Arbeit vergleicht. Kein Vergleich der Profit- und Lohnentwicklung mehr, kein Hinweis auf den Anteil von Arbeitern und Unternehmern am Sozialprodukt, ja es wird nicht einmal mehr Material gebracht, aus dem man selbst, einige Berechnungen anstellen könnte. Was sagt denn der Nachweis aus, daß der Reallohn der Arbeiter heute höher liegt als früher ? Gar nichts! Wie sollte es denn anders sein ? Schließlich hat sich ja in der Zwischenzeit in der Welt einiges verändert. Auf einem Drittel der Erde hat die Arbeiterklasse die Macht ergriffen, in den kapitalistischen Staaten ist sie größenmäßig gewachsen und ihre Kampfkraft ist darüber hinaus überproportional gestiegen. Auch die anderen werktätigen Klassen und Schichten haben sich organisiert und kämpfen. Ja soll denn das keine ökonomischen Früchte getragen haben ? Die Unternehmer können es ja auf die Dauer gar nicht mehr verhindern, daß sich die Arbeiter ein größeres Stückchen des größeren Kuchens abschneiden, den sie selbst hergestellt haben! Was sagt das also schon über die „Grundlebensformen" der Gesellschaft aus, was über die Ausbeutung, gegen die Mauersberg indirekt polemisiert, was über die Daseinsberechtigung und Lebensfähigkeit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, über ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung ? Dieser Teil der Arbeit ist langweilig, es lohnt nicht, näher darauf einzugehen. Insgesamt kann man zu dem Buch von Mauersberg sagen, daß es über die Entwicklung des Kapitalismus bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts sehr interessantes Material enthält, das eine Auswertung lohnt. ROBERT

KATZENSTEIN

CONTENTS Some Aspects of the State Monopolistic Nature of Neo-Colonialism and its Economic Functional Mechanism 151 K A T J A N E H L S , Theses on the Problem of Relative Capital Surplus under State Monopoly Capitalism 169 A. MILEJKOWSKI, Bourgeois Political Economy and Investment Policy (Translated). . . 185 HARTMUT SCHILLING,

Review Structural Changes in Raw Materials Exchange Relations between Imperialist and Developing Countries 205

REVMIRA ISMAILOWA-FRUCK,

ERNST LÜDEMANN, The Economy of the Capitalist Countries, 1966

217

Book Review Hans Mauersberg, Deutsche Industrien im Zeitgeschehen eines Jahreshunderts; Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1966, V I I I and 584 p. 227

R O B E R T KATZENSTEIN,

SOMMAIRE HARTMUT SCHILLING, Quelques aspects

du caractère monopoliste d'Etat du néocolonialisme et de son mécanisme de fonctionnement économique 151 K A T J A N E H L S , Thèses relatives an problème de l'exédent de capital en capitalisme monopoliste d'Etat 169 A. MILEJKOWSKI, L'économie politique bourgeoise et la politique d'investissement (Traduction) 185 Revue Changements structurels dans les rapports de matières premières entre pays impérialistes et pays en voie de développement 205 E R N S T LÜDEMANN, L'économie des pays capitalistes en 1 9 6 6 217 REVMIRA ISMAILOWA-FRUCK,

Recension Hans Mauersberg, Deutsche Industrien im Zeitgeschehen eines Jahrhunderts; Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1966, V I I I et 584 p 227

R O B E R T KATZENSTEIN,

C O J Ï E P / K A H H E

X a p T M y T n i t u i J i H H r , HenoTopbie a c n e i m a rocyaapcTBeHno-MOHonojiHCTHqecKoro xapaKTepa HeoKOJiomiajiHaMa H ero 3K0H0MHiecK0r0 MexaHH3Ma (jtyHKUHOHHpOBaHHH 151 K a i « H e j i b c , Teaiicw K npoßjieMe OTHOCHTejibHoro H36tiTKa KaniiTajioB iipn ROCYAAPCTBEHHO-MOHONOJIHCTHQECKOM KANHTAJMAME

A.

169

M H j i e ö K O B C K H ö , Bypmya3HaH nojiHTHiecKan 3KOHOMIIH H nojiHTHKa H H BecTHUHH (nepeBO«) 185

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32 '219

Soziologische Aspekte der Arbeitskräftebewegung Internationales Kolloquium — Berlin, Juni 1966 Gesammelte Beiträge Herausgegeben von K U R T B R A U N R E U T H E R , F R E D OELSSNER, W E R N E R OTTO (Schriften des Instituts für Wirtschaftswissenschaften bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Nr. 24) 1967. 437 Seiten -

10 Abb. -

66 Tab. -

gr. 8° - MDN 18, -

Diese empirisch-theoretische Arbeit zum Problem der Arbeitskräftebewegung enthält 26 wissenschaftlich redigierte Beiträge von Soziologen, Psychologen und Wirtschaftspraktikern der UdSSB, CSSR, Polens, Rumäniens, Ungarns, Jugoslawiens und der D D R sowie eine nach wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Gesichtspunkten ausgewählte Bibliographie. Die einzelnen Beiträge wurden zu folgenden Schwerpunkten der soziologischen Erforschung der Arbeitskräftebewegung erarbeitet : 1. Soziale Struktur der Stammbelegschaft und die Fluktuation. 2. Der Zusammenhang gesellschaftlicher, betrieblicher und individueller Faktoren in der Arbeitskräftebewegung. 3. Möglichkeiten der Beeinflussung menschlichen Verhaltens am Beispiel der Fluktuation von Beschäftigten. 4. Das Verhältnis weiblicher und jugendlicher Beschäftigter zur Arbeit und zum Beruf und dessen Auswirkungen auf die Fluktuation.

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