Kommunikation und Erkenntnis: Grundzüge einer fächerübergreifenden und transkulturellen Kontextualisierung 9783495817803, 9783495487808

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Kommunikation und Erkenntnis: Grundzüge einer fächerübergreifenden und transkulturellen Kontextualisierung
 9783495817803, 9783495487808

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht
Teil A: ANAMNESE oder Was liegt vor?
I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«
1. Dynamisierung
2. Globalisierung
3. Virtualisierung oder der »Bit Bang«
4. Ökonomisierung
5. Individualisierung
6. Ökologisierung
7. Krisenhafte Beschreibung des status quo
8. Fehlende Vorbilder bzw. »Orientative Worte«
II. Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte« hinsichtlich des Phänomenbereichs / Themenfeldes Kommunikation
1. »Kommunikations-Hype«
2. »Weltkommunikation«
3. Social Media – Virtualisierung der Lebenswelt
4. Kommunikation als boomender Geschäftsbereich
5. Profilierung
6. »Alternative Netzkultur«
7. Krisenhafte Beschreibung von Kommunikation
8. Fehlen einer allgemeinen Theorie von Kommunikation
III. Zum gegenwärtigen Verständnis des Phänomens / Begriffs Kommunikation
IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo
1. Ein kurzer geschichtlicher Abriss der Genese der Kommunikationswissenschaft
2. Kommunikationswissenschaft: Ein primär massenmedial ausgerichtetes Fach
3. Institutionelle Blüte
4. Erkenntnisstrukturelle Defizite
4.a Es gibt aktuell keine allgemein akzeptierte Vorstellung hinsichtlich des eigentlichen Gegenstandsbereichs des Fachs Kommunikationswissenschaft
4.b Es existiert (bislang) keine verbindliche allgemeine Theorie von Kommunikation
4.c Es gibt gegenwärtig keine verbindliche/verbindende Deutung des in Frage stehenden Zusammenhangs zwischen Kommunikation und Erkenntnis
5. Die fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft: Wie ist Kommunikation möglich?
V. Offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten im Zusammenhang menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
1. Der Mensch (erfährt sich als): real, relativ, relational
2. Die Welt-Bezogenheit des Menschen
3. Zeit, Raum und Materie als Determinanten menschlichen Erkennens und Kommunizierens
4. Der Mensch: ein kommunizierendes und erkennendes Wesen
5. Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen des Menschen (nach Pietschmann)
VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten hinsichtlich der spezifisch-menschlichen Kommunikations-/Erkenntnis-Gestalt
1. Die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein / Wort-Sprache
2. Ich und Du und Wir: Die spezifische Sozietätsdimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
3. Vermittlung, Mittel, Medium (nach Rückriem)
4. Handlungs-Macht und Handlungsun(ge)sicher(t)heit
5. Das Wort-Sprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut
VII. Voraussetzungen, die sich aus der spezifisch-menschlichen Erkenntnis-/ Kommunikations-Gestalt Wort-Sprache-Ich-Bewusstsein ergeben.
1. Der Mensch als Wesen, das Zeit und Geschichte hat
2. Die Fähigkeit des Menschen, ich-bewusst sowohl in Kontakt als auch in Distanz treten zu können
3. Das Wissen des Menschen um den Tod sowie die bewusste Wahrnehmungsfähigkeit eigener und fremder Not
4. Der Mensch als Wesen, das die Frage hat
5. Die Irrtumsfähigkeit des Menschen
VIII. Allgemeine anthropologische Konsequenzen, die sich aus der spezifisch-menschlichen Erkenntnis-/ Kommunikations-Gestalt Wort-Sprache-Ich-Bewusstsein ergeben:
1. Das unabdingbare Haben eines Seins-Verständnisses
2. Das unabdingbare Haben eines Ich-/Wir-Verständnisses
3. Das unabdingbare Haben eines Erkenntnis-Verständnisses
4. Das unabdingbare Haben eines Kommunikations-Verständnisses
IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen, die sich aus der Zwei-Einheit Wortsprache/Ich-Bewusstsein ergeben
1. Der Mensch hat sowohl Anteil an spezifisch-menschlichen, nicht-spezifisch-menschlichen Kommunikations- / Erkenntnisvermögen als auch an abiotischen physiko-chemischen Interaktionsabläufen
2. Vier Grundelemente jeder allgemeinen Theorie (menschlicher) Kommunikation
3. Die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun)
3.a Die Inhalts-(Sach)Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
3.b Die Selbstoffenbarungs-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
3.c Die Beziehungs-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
3.d Die Intentions-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
4. Drei zentrale Verhältnisse menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
4.a Die »Verschränktheit« von Ich und Du/Wir
4.b Die »Verschränktheit« von personaler (interpersoneller) und medial vermittelter Kommunikation (und Erkenntnis)
4.c Die »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis
5. Die Sollens-Dimension von Kommunikation (und Erkenntnis)
6. Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)
6.a Kommunikation (und Erkenntnis) als Fundamental lebendiger Wirklichkeit
6.b Kommunikation (und Erkenntnis) als geschehendes/nicht-geschehendes bzw. gelingendes/nicht-gelingendes Beziehungsgeschehen
6.c Kommunikation (und Erkenntnis) als vorbildliches bzw. zerrbildliches In-Beziehung-Treten / In-Beziehung-Sein
6.d Fünf Grund-Sätze zu den drei unterschiedenen Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)
7. Die Doppelaspektivität begegnender und vermittelnder Kommunikation
8. Das Verständnis von interpersoneller Kommunikation als Voraussetzung eines Verständnisses von medial-vermittelter Kommunikation
9. Die grundlegende Differenzierung zwischen Erkenntnis und »gesichertem Wissen«
10. Die grundlegende Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion
X. Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als formales anthropologisches Vergleichs- / Deutungsschema
XI. Die Notwendigkeit weltanschaulich-inhaltlicher Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis
XII. Zusammenfassung
Teil B: DIAGNOSE oder Kommunikation und Erkenntnis im Kultur-Vergleich
I. Kultur-Räume
1. Geistestraditionen/Kulturräume als anthropologische Konzeptionen »im Großen«
2. »Offenbarung« / »Nicht-Offenbarung« als grundsätzliches kulturelles Differenzierungselement
3. Offenbarungskulturen
3.a Nicht-Wort-Offenbarungskulturen
3.b Wort-Offenbarungskulturen: Judentum, Christentum, Islam
3.c Gemeinsame Kennzeichen von Offenbarungskulturen
3.d Grundsätzliche inhaltliche Unterschiede zwischen den Offenbarungskulturen
4. Nicht-Offenbarungs-Kulturen
4.a (Abendländische) Moderne
4.b (Globale) Post-Moderne
4.c Gemeinsame Kennzeichen von Nicht-Offenbarungskulturen
4.d Grundsätzliche inhaltliche Unterschiede zwischen den Nicht-Offenbarungskulturen
5. Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als weltanschaulich-inhaltliches Kulturenvergleichsschema
6. Mittel – Medium – Zwischen
7. Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich
II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen
1. Europa: Was ist damit eigentlich gemeint?
2. Das zyklische Epochen-Verständnis der Antike
3. Das jüdisch-christliche Heils-Geschichtsverständnis
4. Die abendländische Moderne als Epoche säkularer Heils-Geschichten
5. Die (globale) Post-Moderne als Epoche des »Endes der Geschichte«
III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne
1. Die spezifische Genese der abendländischen Kommunikationskultur aus dem christlichen Communio-, Logos- und Person-Verständnis
2. Die Resubstanzialisierung des Subjektverständisses im Gefolge von Augustinus
3. Die Reduzierung des zweidimensionalen sinnesorganischen Kommunikationsmodells auf ein eindimensionales im Verlauf des Spätmittelalters
4. Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem
5. Genese und Siegeszug der modernen Wissenschaft(lichkeit)
6. Der Seins-Grund wird materiell; Raum und Zeit werden absolut (gesetzt), Mensch-Sein wird »Sein-zum-Tode«
7. Die Verabsolutierung »gesicherten (wissenschaftlichen) Wissens« als einzig-eigentliche Form »objektiver« Erkenntnis
8. Primat von Erkenntnis gegenüber Kommunikation im Geistesrahmen der Moderne als Folge der Absolutsetzung wissenschaftlichen Wissens
9. Säkulare Konzeptionen des »Neuen Menschen« im Kontext der Absolutsetzung »gesicherten Wissens« im Zuge der Moderne
10. Der »linguistic turn« als Ausdruck der Erkenntnis- und Kommunikationskrise der Moderne um 1900
11. Primat von Kommunikation gegenüber Erkenntnis im Geistesrahmen der Postmoderne
12. »The dark side of Communication«
IV. Die abendländische MEDIA-Genese
1. Zum Begriff »(Massen)Medien«/Massenkommunikationsmittel
2. Die unabdingbare Notwendigkeit einer geistesgeschichtlichen Be-Deutung des Phänomens »Moderne Massenmedien«
3. Die Basis des Medienverständnisses der Moderne/Post-Moderne: Materie als Grundlage aller Wirklichkeit
4. Das Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien als Folge/Parallelerscheinung der Etablierung des »Denkrahmens der Moderne«
5. »Mediatisierung« als zunehmend lebensprägendes und alltagsbestimmendes Phänomen
V. Die Genese der Kommunikationswissenschaft (bzw. deren Vorläufer) aus dem Geist moderner Wissenschaftlichkeit
VI. Erneute – nun diagnostische – Bewertung der allgemeinen bzw. kommunikationsspezifischen aktuellen »Tendenzkräfte«
VII. Zusammenfassung
Teil C: THERAPIE. oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Verständnis von Kommunikation und Erkenntnis bzw. Kommunikationswissenschaft
I. Präzisierung der in Teil B diagnostizierten kommunikationstheoretischen Problemstellung als erster therapeutischer Schritt
II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt
1. Kommunikation ≠ Interaktion
1.a »Checklist-Verhalten« als »Quasi-Interaktion«
1.b »Bio-Kommunikation«
2. Erkenntnis ≠ »Gesichertes Wissen«
3. Werden ≠ Entwicklung
4. Gestalt ≠ Form
5. Kontextualität ≠ Komplexität
6. Trans-Kausalität ≠ Kausalität
7. Information ≠ Signal
8. Das hierarchische Verhältnis der differenzierten Begriffspaare
III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie für den Phänomenbereich Kommunikation als dritter therapeutischer Schritt
1. Die Quantentheorie als Überschreitung des »Denkrahmens der Moderne«
2. Zentrale »Erkenntnismodi« der Quantentheorie
2.a Komplementarität
2.b Unbestimmtheitsrelation
2.c Verschränkung
IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten für den Bereich der Kommunikationswissenschaft als vierter therapeutischer Schritt
1. Die Unmöglichkeit einer direkten Übertragung quantenphysikalischer Einsichten in die Bereiche des Lebendigen bzw. Geistigen
2. Das HX-Schema nach Pietschmann als zentrale Verstehenshilfe aporetischer/zerraporetischer Phänomene des Lebendigen bzw. Menschlich-Geistigen
3. Kommunikation als aporetisches/zerraporetisches Phänomen
4. Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerraporetischer Sicht
5. Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie für den Phänomenbereich Kommunikation
5.a Komplementarität
5.b Unbestimmtheitsrelation
5.c Verschränkung
V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse des Dialogischen Denkens im Rahmen der Kommunikationswissenschaft als fünfter therapeutischer Schritt
1. Was meint »Dialogisches Denken«?
2. Vorläufer des Dialogischen Denkens
3. Hauptvertreter des Dialogischen Denkens
3.a Franz Rosenzweig
3.b Ferdinand Ebner
3.c Martin Buber
3.d Eugen Rosenstock-Huessy
3.e Edith Stein
4. Die Aktualität des Dialogischen Denkens für die Kommunikationswissenschaft
5. Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie des »Zwischen« bzw. des »Pseudo-Zwischen«
VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Fachverständnis
VII. Zusammenfassung / Ergebnisse / Ausblick
Literaturverzeichnis
Internet-Quellen [IQ]
Abbildungsverzeichnis
Namensverzeichnis

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Erich Hamberger

Kommunikation und Erkenntnis Grundzüge einer fächerübergreifenden und transkulturellen Kontextualisierung

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495817803

.

B

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Jedes Kommunikationsgeschehen ist stets mit einem Erkenntnisgeschehen verbunden – wie umgekehrt jeder Erkenntnisakt ausnahmslos mit einem Kommunikationsakt einhergeht. Kurz: Wer immer sich zum Phänomen Kommunikation äußert, gleich welchen Inhalts und welcher Gestalt, sagt damit – zumindest implizit – notwendigerweise stets zugleich auch etwas aus über das Phänomen Erkenntnis bzw. vice versa. Dem entsprechend bemerkt Karl Jaspers: »Das Denken ist nur in Kommunikation erfüllbar; die Kommunikation ist nur durch das Denken zu entfalten.« Diese anthropologische Grundgegebenheit wird im vorliegenden Band nun aus geistesgeschichtlicher und transkultureller Hinsicht in den Blick genommen; denn die untrennbare »Verschränktheit« von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis ist stets eingebettet in einen kulturspezifischen Kontext, der als solcher gerade nicht selbstverständlich ist. Vor diesem Hintergrund wird schließlich aufgewiesen, dass die Phänomene Kommunikation und Erkenntnis, die primär gerade keinen »objektivierbaren« Gegenstand darstellen, sondern einen Vollzug, ein – unwiederholbares je neues – Ereignis, ein erweitertes Verständnis von (Kommunikations-)Wissenschaftlichkeit bzw. die Relativierung jenes mechanistischen »Denkrahmens der Moderne« (Pietschmann) nahelegen, der im Zuge der erfolgreichen naturwissenschaftlichen Erforschung der Materie in der Neuzeit als zentrales Erkenntnisparadigma etabliert wurde.

Der Autor: Erich Hamberger, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft bzw. Politikwissenschaft in Salzburg. Nach der Promotion seit 1992 u. a. Lehrbeauftragter an der Universität Salzburg am FB Kommunikationswissenschaft. Seit 1999 Initiierung, Konzeption, Koordination und Leitung transdisziplinär ausgerichteter wissenschaftlicher Projekte und Kongresse mit dem Schwerpunkt Kommunikation. 2012 Initiator des fächerübergreifenden Moduls BioKommunikation an der Universität Salzburg. Zusammen mit Herbert Pietschmann Autor von Quantenphysik und Kommunikationswissenschaft (2015).

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Erich Hamberger Kommunikation und Erkenntnis

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Band 9

Herausgegeben von Karl-Heinz Brodbeck Stephan Grätzel Bernd Schuppener

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Erich Hamberger

Kommunikation und Erkenntnis Grundzüge einer fächerübergreifenden und transkulturellen Kontextualisierung

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Gedruckt mit Unterstützung der Stifungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg sowie der Stadt Salzburg, MA 2, Kultur, Bildung und Wissen.

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2016 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48780-8 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81780-3

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Für Gertrude

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das ist der Fels, an dem die Besten scheitern, dass sie aufhören zu lieben [kommunizieren], wenn sie anfangen zu erkennen. Ernst von Feuchtersleben

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Vorwort

Sich gegenwärtig allgemeinverständlich, geschweige denn allgemeinverbindlich zum Phänomen Kommunikation bzw. zum Zusammenhang Kommunikation und Erkenntnis zu äußern, stellt keine geringe Herausforderung dar. Denn es existiert aktuell weder eine allgemeine (Standard-) Theorie menschlicher Kommunikation noch eine verbindliche Deutung des Zueinanders von Kommunikation und Erkenntnis. Der einzelne Wissenschafter, die einzelne Wissenschafterin, sieht sich insofern überfordert, allein sowohl die verbindlichen kommunikations- wie erkenntnistheoretischen Grundlagen als auch deren Spezifizierung in einer bestimmten Hinsicht zu bewerkstelligen. Andererseits scheint auch der Verzicht auf Allgemeinverbindlichkeit kein gangbarer Weg. Denn in diesem Fall droht die Gefahr, dass Wissenschaft auf plausibel argumentierte bzw. empirisch belegte Meinung reduziert wird (vgl. Rühl 2008). Wissenschaft benötigt die Spannung zwischen ÜbersubjektivVerbindlichem (jenseits empirisch-erhobener Befunde bzw. experimentell-ermittelter Ergebnisse) und Subjektiv-Ergänzendem/ Widerstreitendem. Wo diese Balance aufgegeben wird, droht Wissenschaftlichkeit selbst auf der Strecke zu bleiben. Denn jede wissenschaftliche Arbeit beruht auf grundlegenden Annahmen hinsichtlich des betreffenden Forschungsgegenstands, auf vortheoretischen Grundlagen (vgl. Rothe 2006, 7), die gleichsam den »Erkenntnis-Rahmen« abstecken, innerhalb dessen das jeweilige Phänomen näher untersucht wird. Dementsprechend kann sich sowohl Geistes- wie auch Naturwissenschaftlichkeit nicht damit begnügen, Daten, Fakten und Theorien zu sammeln, unverbunden/unverbindlich nebeneinander stehen zu lassen und den einzelnen Wissenschafter, die einzelne Wissenschafterin, mit dem Problem der Be-Deutung des Gesam(mel)ten sich selbst zu überlassen. 11 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Vorwort

Zentrale Intention der vorliegenden Schrift ist es insofern, Umrisse einer fächerübergreifend-allgemeinen Theorie des Zusammenhangs zwischen Kommunikation und Erkenntnis zu skizzieren bzw. einen Beitrag zur vielfach angemahnten theoretischen Grundlegung der Kommunikationswissenschaft (vgl. etwa Burkart 2002, Rühl 2008) zu leisten. Der vorliegende Band stellt die geringfügig überarbeitete Fassung der gleichnamigen Habilitationsschrift dar, die im Herbst 2015 von der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg angenommen wurde. Entscheidende, ja existenzielle Basis der Arbeit bildet sowohl die beglückende als auch die herausfordernde Kommunikation und Erkenntnis mit unzähligen Menschen auf meinem Lebensweg, die auf Grund ihrer Vielzahl an dieser Stelle unmöglich alle einzeln aufgeführt werden können. Trotzdem kann ich nicht umhin, einige Namen explizit zu erwähnen. Mein besonderer Dank gilt Prof. Josef Trappel, Prof. Kurt Luger, Dr. Karin Stockinger, Prof. Thomas Steinmaurer und Prof. Rudi Renger vom Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg sowie Prof. Matthias Vereno (†), Prof. Paul Mikat (†) (Görres-Gesellschaft), Margarethe Stieger, Dipl. Ing. Bernhard Waage, Prof. Alfred Winter, Prof. Herbert Pietschmann, Prof. Jörg von Hagen, Mag. Florian Reisenbichler und Max Stary, insbesondere auch den Töchtern Edith und Agnes und meinem Bruder Hermann; vor allem aber jener Person, der diese Arbeit gewidmet ist. Salzburg, 22. August 2015

Erich Hamberger

12 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Inhalt

Vorwort

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Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

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Teil A ANAMNESE oder Was liegt vor? I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte« . . . . . Dynamisierung . . . . . . . . . . . . . . . Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . Virtualisierung oder der »Bit Bang« . . . . . Ökonomisierung . . . . . . . . . . . . . . . Individualisierung . . . . . . . . . . . . . . Ökologisierung . . . . . . . . . . . . . . . Krisenhafte Beschreibung des status quo . . . Fehlende Vorbilder bzw. »Orientative Worte«

. . . . . . . . .

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31 31 32 33 34 35 35 36 38

II.

Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte« hinsichtlich des Phänomenbereichs / Themenfeldes Kommunikation . . . »Kommunikations-Hype« . . . . . . . . . . . . . . . »Weltkommunikation« . . . . . . . . . . . . . . . . Social Media – Virtualisierung der Lebenswelt . . . . . Kommunikation als boomender Geschäftsbereich . . . Profilierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Alternative Netzkultur« . . . . . . . . . . . . . . . Krisenhafte Beschreibung von Kommunikation . . . . Fehlen einer allgemeinen Theorie von Kommunikation

. . . . . . . . .

45 45 47 48 49 50 50 52 53

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

13 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Inhalt

III. IV. 1. 2. 3. 4.

5.

V.

1. 2. 3. 4. 5.

Zum gegenwärtigen Verständnis des Phänomens / Begriffs Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo . Ein kurzer geschichtlicher Abriss der Genese der Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationswissenschaft: Ein primär massenmedial ausgerichtetes Fach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutionelle Blüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisstrukturelle Defizite . . . . . . . . . . . . . 4.a Es gibt aktuell keine allgemein akzeptierte Vorstellung hinsichtlich des eigentlichen Gegenstandsbereichs des Fachs Kommunikationswissenschaft . . 4.b Es existiert (bislang) keine verbindliche allgemeine Theorie von Kommunikation . . . . . . . . . . . . 4.c Es gibt gegenwärtig keine verbindliche/verbindende Deutung des in Frage stehenden Zusammenhangs zwischen Kommunikation und Erkenntnis . . . . . Die fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft: Wie ist Kommunikation möglich? . . . . . Offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten im Zusammenhang menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mensch (erfährt sich als): REAL, RELATIV, RELATIONAL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Welt-Bezogenheit des Menschen . . . . . . . . . . Zeit, Raum und Materie als Determinanten menschlichen Erkennens und Kommunizierens . . . . . . . . . . . . Der Mensch: ein kommunizierendes und erkennendes Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen des Menschen (nach Pietschmann) . . . . . . . . . . . . . .

VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten hinsichtlich der spezifisch-menschlichen Kommunikations-/ErkenntnisGestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein / Wort-Sprache . . . 2. Ich und Du und Wir: Die spezifische Sozietätsdimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . 14 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

54 57 57 62 64 65

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69 69

72 72 73 75 76 77

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Inhalt

3. 4. 5.

Vermittlung, Mittel, Medium (nach Rückriem) . . . . . Handlungs-Macht und Handlungsun(ge)sicher(t)heit . . Das Wort-Sprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII. Voraussetzungen, die sich aus der spezifisch-menschlichen Erkenntnis-/ Kommunikations-Gestalt Wort-Sprache-IchBewusstsein ergeben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Mensch als Wesen, das Zeit und Geschichte hat . . . 2. Die Fähigkeit des Menschen, ich-bewusst sowohl in Kontakt als auch in Distanz treten zu können . . . . . . 3. Das Wissen des Menschen um den Tod sowie die bewusste Wahrnehmungsfähigkeit eigener und fremder Not . . . 4. Der Mensch als Wesen, das die Frage hat . . . . . . . . 5. Die Irrtumsfähigkeit des Menschen . . . . . . . . . . . VIII. Allgemeine anthropologische Konsequenzen, die sich aus der spezifisch-menschlichen Erkenntnis-/KommunikationsGestalt Wort-Sprache-Ich-Bewusstsein ergeben: . . . . 1. Das unabdingbare Haben eines Seins-Verständnisses . 2. Das unabdingbare Haben eines Ich-/Wir-Verständnisses 3. Das unabdingbare Haben eines ErkenntnisVerständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das unabdingbare Haben eines KommunikationsVerständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 93 94

100 100 101 101 102 106

. 108 . 108 . 109 . 110 . 111

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen, die sich aus der Zwei-Einheit Wortsprache/Ich-Bewusstsein ergeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Mensch hat sowohl Anteil an spezifisch-menschlichen, nicht-spezifisch-menschlichen Kommunikations-/ Erkenntnisvermögen als auch an abiotischen physikochemischen Interaktionsabläufen . . . . . . . . . . . . 2. Vier Grundelemente jeder allgemeinen Theorie menschlicher Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.a Die Inhalts-(Sach)Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . .

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113 114 115 116

15 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Inhalt

3.b Die Selbstoffenbarungs-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . . 3.c Die Beziehungs-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . . 3.d Die Intentions-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . . 4. Drei zentrale Verhältnisse menschlicher Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.a Die »Verschränktheit« von Ich und Du/Wir . . . . . 4.b Die »Verschränktheit« von personaler (interpersoneller) und medial vermittelter Kommunikation (und Erkenntnis) . . . . . . . . . . . . . 4.c Die »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Sollens-Dimension von Kommunikation (und Erkenntnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.a Kommunikation (und Erkenntnis) als Fundamental lebendiger Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 6.b Kommunikation (und Erkenntnis) als geschehendes/ nicht geschehendes/bzw. gelingendes/nichtgelingendes Beziehungsgeschehen . . . . . . . . . 6.c Kommunikation (und Erkenntnis) als vorbildliches bzw. zerrbildliches In-Beziehung-Treten/ In-Beziehung-Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.d Fünf Grund-Sätze zu den drei unterschiedenen Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Doppelaspektivität begegnender und vermittelnder Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Das Verständnis von interpersoneller Kommunikation als Voraussetzung eines Verständnisses von medialvermittelter Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 9. Die grundlegende Differenzierung zwischen Erkenntnis und »gesichertem Wissen« . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die grundlegende Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion . . . . . . . . . . . .

16 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

117 118 120 121 121

122 123 123 127 127

131

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135 136

137 141 142

Inhalt

X.

Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als formales anthropologisches Vergleichs-/Deutungsschema . . . . . .

144

XI. Die Notwendigkeit weltanschaulich-inhaltlicher Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis .

146

XII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

Teil B DIAGNOSE oder Kommunikation und Erkenntnis im Kultur-Vergleich I. 1. 2. 3.

4.

5. 6. 7.

Kultur-Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geistestraditionen/Kulturräume als anthropologische Konzeptionen »im Großen« . . . . . . . . . . . . . . . »Offenbarung«/»Nicht-Offenbarung« als grundsätzliches kulturelles Differenzierungselement . . . . . . . . . . . Offenbarungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.a Nicht-Wort-Offenbarungskulturen . . . . . . . . . 3.b Wort-Offenbarungskulturen: Judentum, Christentum, Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.c Gemeinsame Kennzeichen von Offenbarungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.d Grundsätzliche inhaltliche Unterschiede zwischen den Offenbarungskulturen . . . . . . . . . . . . . Nicht-Offenbarungs-Kulturen . . . . . . . . . . . . . . 4.a (Abendländische) Moderne . . . . . . . . . . . . . 4.b (Globale) Post-Moderne . . . . . . . . . . . . . . . 4.c Gemeinsame Kennzeichen von Nicht-Offenbarungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.d Grundsätzliche inhaltliche Unterschiede zwischen den Nicht-Offenbarungskulturen . . . . . . . . . . Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als weltanschaulich-inhaltliches Kulturenvergleichsschema . . . Mittel – Medium – Zwischen . . . . . . . . . . . . . . Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156 157 159 161 167 170 172 173 179 180 185 192 193 197 199 202

17 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Inhalt

II. 1. 2. 3. 4. 5.

(Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen . . . . . . Europa: Was ist damit eigentlich gemeint? . . . . . . . Das zyklische Epochen-Verständnis der Antike . . . . Das jüdisch-christliche Heils-Geschichtsverständnis . . Die abendländische Moderne als Epoche säkularer HeilsGeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die (globale) Post-Moderne als Epoche des »Endes der Geschichte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

211 211 215 216

. 218 . 222

III.

Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die spezifische Genese der abendländischen Kommunikationskultur aus dem christlichen Communio-, Logos- und Person-Verständnis . . . . . . . . . . . . . 2. Die Resubstanzialisierung des Subjektverständisses im Gefolge von Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Reduzierung des zweidimensionalen sinnesorganischen Kommunikationsmodells auf ein eindimensionales im Verlauf des Spätmittelalters . . . . . . 4. Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem . . . 5. Genese und Siegeszug der modernen Wissenschaft (-lichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Seins-Grund wird materiell; Raum und Zeit werden absolut (gesetzt), Mensch-Sein wird »Sein-zum-Tode« . 7. Die Verabsolutierung »gesicherten (wissenschaftlichen) Wissens« als einzig-eigentliche Form »objektiver« Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Primat von Erkenntnis gegenüber Kommunikation im Geistesrahmen der Moderne als Folge der Absolutsetzung wissenschaftlichen Wissens . . . . . . . . . . . . . . . 9. Säkulare Konzeptionen des »Neuen Menschen« im Kontext der Absolutsetzung »gesicherten Wissens« im Zuge der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Der »linguistic turn« als Ausdruck der Erkenntnis- und Kommunikationskrise der Moderne um 1900 . . . . . . 11. Primat von Kommunikation gegenüber Erkenntnis im Geistesrahmen der Postmoderne . . . . . . . . . . . . . 12. The »dark side« of Communication . . . . . . . . . . .

18 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

225

225 230

233 239 245 250

253

259

262 267 270 276

Inhalt

IV. 1. 2.

3. 4.

5.

V.

Die abendländische MEDIA-Genese . . . . . . . . . . . . Zum Begriff »(Massen)Medien«/Massenkommunikationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . Die unabdingbare Notwendigkeit einer geistesgeschichtlichen Be-Deutung des Phänomens »Moderne Massenmedien« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Basis des Medienverständnisses der Moderne/PostModerne: Materie als Grundlage aller Wirklichkeit . . . Das Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien als Folge/Parallelerscheinung der Etablierung des »Denkrahmens der Moderne« . . . . . . . . . . . . . . »Mediatisierung« als zunehmend lebensprägendes und alltagsbestimmendes Phänomen . . . . . . . . . . . . .

282 282

284 289

291 297

Die Genese der Kommunikationswissenschaft (bzw. deren Vorläufer) aus dem Geist moderner Wissenschaftlichkeit .

301

VI. Erneute – nun diagnostische – Bewertung der allgemeinen bzw. kommunikationsspezifischen aktuellen »Tendenzkräfte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

312

VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

Teil C THERAPIE oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Verständnis von Kommunikation und Erkenntnis bzw. Kommunikationswissenschaft I.

II. 1.

2. 3.

Präzisierung der in Teil B diagnostizierten kommunikationstheoretischen Problemstellung als erster therapeutischer Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt . Kommunikation 6¼ Interaktion . . . . . . . . . . . 1.a »Checklist-Verhalten« als »Quasi-Interaktion« 1.b »Bio-Kommunikation« . . . . . . . . . . . . Erkenntnis 6¼ »Gesichertes Wissen« . . . . . . . . Werden 6¼ Entwicklung . . . . . . . . . . . . . .

329 329 331 332 333 335

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

19 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Inhalt

4. 5. 6. 7. 8.

III.

1. 2.

IV.

1.

2.

3. 4. 5.

V.

1.

Gestalt 6¼ Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontextualität 6¼ Komplexität . . . . . . . . . . . . . . Trans-Kausalität 6¼ Kausalität . . . . . . . . . . . . . . Information 6¼ Signal . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das hierarchische Verhältnis der differenzierten Begriffspaare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie für den Phänomenbereich Kommunikation als dritter therapeutischer Schritt . . . . . . . . . . . . . . Die Quantentheorie als Überschreitung des »Denkrahmens der Moderne« . . . . . . . . . . . . . . Zentrale »Erkenntnismodi« der Quantentheorie . . . . . 2.a Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.b Unbestimmtheitsrelation . . . . . . . . . . . . . . 2.c Verschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten für den Bereich der Kommunikationswissenschaft als vierter therapeutischer Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unmöglichkeit einer direkten Übertragung quantenphysikalischer Einsichten in die Bereiche des Lebendigen bzw. Geistigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das HX-Schema nach Pietschmann als zentrale Verstehenshilfe aporetischer/zerraporetischer Phänomene des Lebendigen bzw. Menschlich-Geistigen . . . . . . . Kommunikation als aporetisches/zerraporetisches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerraporetischer Sicht . . . . . . . . . . . Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie für den Phänomenbereich Kommunikation . . . 5.a Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.b Unbestimmtheitsrelation . . . . . . . . . . . . . . 5.c Verschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse des Dialogisches Denkens im Rahmen der Kommunikationswissenschaft als fünfter therapeutischer Schritt . . . . . . Was meint »Dialogisches Denken«? . . . . . . . . . . .

20 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

337 339 342 345 347

349 349 352 352 354 356

359

359

361 364 373 380 381 383 387

390 390

Inhalt

2. 3.

4. 5.

Vorläufer des Dialogischen Denkens . . . . . . . . . Hauptvertreter des Dialogischen Denkens . . . . . . 3.a Franz Rosenzweig . . . . . . . . . . . . . . . . 3.b Ferdinand Ebner . . . . . . . . . . . . . . . . 3.c Martin Buber . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.d Eugen Rosenstock-Huessy . . . . . . . . . . . 3.e Edith Stein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aktualität des Dialogischen Denkens für die Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie des »Zwischen« bzw. des »Pseudo-Zwischen« . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

392 394 394 404 413 420 425

. . 434 . . 436

VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Fachverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447

VII. Zusammenfassung / Ergebnisse / Ausblick . . . . . . . . .

452

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

462

Internet-Quellen [IQ] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

497

Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

501

21 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

Mit dem Titel des Bandes – Kommunikation und Erkenntnis – wird dessen zentrale Voraus-Setzung genannt: Die untrennbare Verbundenheit/»Verschränktheit« von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis. Diese lässt sich wie folgt formelhaft zum Ausdruck bringen: Der Mensch erkennt, wenn er kommuniziert. Der Mensch kommuniziert, wenn er erkennt. Anders ausgedrückt: Wer immer sich grundsätzlich zum Phänomen (menschliche) Kommunikation äußert, gleich in welcher Weise und Hinsicht, sagt damit notwendigerweise stets zugleich auch etwas über das Phänomen (menschliche) Erkenntnis. Denn um kommunizieren zu können, ist der Mensch 1 genötigt zu erkennen, so wie umgekehrt der Mensch stets der Kommunikation bedarf, um erkennen zu können. Pietschmann (2007, 271) zeigt diesen Umstand auf, wenn er schreibt: »Die [Erkenntnis-] Aussage eines Subjekts über ein Objekt ist … erst dann sinnvoll, wenn sie – im Sinne der Kommunikation – für ein anderes Subjekt gemacht wird, wenn sie also mitgeteilt wird. … Um also eine Aussage über ein Objekt vernünftig betrachten zu können, brauchen wir mindestens zwei Subjekte, die miteinander über dieses Objekt kommunizieren.« (Vgl. Hahn 2013, 135) Karl Jaspers, der als erster Philosoph der Moderne den Kommunikationsbegriff in das Zentrum seines Denkens stellte (vgl. Kiel 2008, 12), macht dies mit Blick auf menschliche Erkenntnis deutlich, wenn er darauf hinweist, dass der Erkenntnisprozess sich vor allem im Mitteilungsvollzug und Dialog mit anderen (im Grenzfall mit sich selbst) bildet und gestaltet, d. h. kommunikativ konstituiert. Wörtlich schreibt er dazu: »Das Denken ist nur in Kommunikation erfüllbar; Beziehungsweise in analoger (eingeschränkter) Hinsicht ein sonstiges kommunikationsfähiges Lebewesen.

1

23 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

die Kommunikation ist nur durch das Denken zu entfalten.« (Jaspers 1991, 375) In diesem Sinne ist jede kommunikationswissenschaftliche Arbeit – wie die vorliegende – immer zugleich auch eine erkenntnistheoretische, wie umgekehrt jedes erkenntnistheoretische Vorhaben stets nolens volens ebenso kommunikationstheoretische Züge trägt. Mit dem Untertitel der Schrift Grundzüge einer transdisziplinären Kontextualisierung wird das zentrale Erkenntnisinteresse der Schrift deutlich gemacht: die Frage, inwiefern das unabdingbare Zuund Miteinander von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis nun näherhin zu denken, vorzustellen ist. Dazu wird diese anthropologische Grundgegebenheit sowohl aus geistesgeschichtlicher wie aus transkultureller Hinsicht in den Blick genommen; denn die untrennbare »Verschränktheit« von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis ist stets eingebettet in einen kulturspezifischen Kontext, der als solcher – und das ist entscheidend – gerade nicht selbstverständlich ist (vgl. Herdin/Luger 2008, Brink 2009, Bauer 2014). In diesem Sinne bemerkt Luger (1994, 40), dass sich die »komplexe Konfiguration all dieser [ins Globale ausgreifenden multigesellschaftlichen Kommunikations-] Prozesse … nur durch ein möglichst breites theoretisches Konzept wie eben eine Kulturtheorie in eine Gesamtschau bringen [lässt].« Insofern wird darangegangen, die Forschungsfrage nach dem Zueinander von Kommunikation und Erkenntnis sowohl geistesgeschichtlich als auch kulturenvergleichend in den Blick zu nehmen. Dadurch soll jene verengte und vereinseitigte Kommunikationsbegrifflichkeit, wie sie – mit Rombach gesprochen – »vor allem von den Ingenieurwissenschaften und von den Forschungen zur Massenkommunikation her bestimmt ist« (Rombach 1977, 20), erweitert werden, um damit die »volle Struktur« von Kommunikation ersichtlich zu machen. Der Umstand, dass im Untertitel (bloß) von Grundzügen die Rede ist, soll in mehrerlei Hinsicht darauf verweisen, dass die Behandlung der Thematik nicht als umfassende, d. h. die Thematik erschöpfend behandelnde, verstanden sein will, sondern gleichsam als StückWerk. Vorerst auf Grund der wissenschaftlichen »Gegenstände« Kommunikation und Erkenntnis (bzw. deren Zusammenhang): Diese stellen bekanntlich »unmittelbare« menschliche Akte dar und entziehen sich allein dadurch wissenschaftlicher »Totalerkenntnis« (vgl. Revers 1969, Zucal 2012). Die Herausforderung anders formuliert: Moderne 24 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

Wissenschaftlichkeit beruht auf der Trennung zwischen erkennendem Subjekt und zu erkennendem »Objekt«/»Gegenstand« (vgl. Weber 2005, 13); menschliche Kommunikation und Erkenntnis stellen jedoch gerade keine »Objekte« dar (wie etwa ein Stück Materie), sondern Vollzüge, unwiederholbare, je neue Ereignisse, die sich auf direktem Wege gerade nicht »objektivieren« bzw. erfassen lassen, sondern nur indirekt über die damit verbundenen Vollzugs- bzw. Ausdrucks-Gestalten. Daneben hat die vorliegende Arbeit fragmentarischen Charakter, weil die behandelte Thematik auf Grund ihrer unverzichtbaren inhaltlichen Breite bzw. Vieldimensionaliät nicht einmal annähernd umfassend zur Darstellung gebracht werden kann. So bittet der Autor schon eingangs um Nachsicht, wenn da und dort bestimmte Aspekte, die allein eine singuläre wissenschaftliche Beschäftigung rechtfertigen würden, nur in groben Zügen oder bloß als Randnotiz Behandlung finden. Dazu kommt, dass öfter auf Fachgebiete Bezug genommen wird, in denen der Autor alles andere denn als ein ausgewiesener Fachmann bezeichnet werden kann. So weit wie möglich wurde in diesem Fall auf unbestrittene Autoritäten zurückgegriffen. Die damit skizzierte Heraus(über)forderung hat vielleicht niemand besser beschrieben als Erwin Schrödinger, der als theoretischer Physiker das Unterfangen auf sich nahm, ein Buch zum Thema Was ist Leben? zu verfassen. Gleich zu Beginn des Vorworts ist da zu lesen: »Bei einem Wissenschaftler darf man ein [weitgehend] unmittelbares, durchdringendes und vollständiges Wissen in einem begrenzten Stoffgebiet voraussetzen. Darum erwartet man von ihm gewöhnlich, dass er von einem Thema, das er nicht beherrscht, die Finger läßt.« (Schrödinger 1999, 29)

Doch nur wenige Zeilen später fügt Schrödinger seiner Warnung vor »fächerübergreifendem Erkenntnisdilettantismus« in widersprüchlich-paradoxer Weise die Bemerkung an: »Bereits der Name der höchsten Lehranstalten [Universitäten] erinnert uns daran, dass seit dem Altertum und durch viele Jahrhunderte nur die universale Betrachtungsweise voll [als Erkenntnis] anerkannt wurde. … Aber das Wachstum in die Weite und Tiefe, das die mannigfaltigen Wissenszweige seit etwa einem Jahrhundert zeigen, stellt uns vor ein seltsames Dilemma. … [Dass] es [nämlich] einem einzelnen Verstande [einer einzelnen Disziplin] beinahe unmöglich geworden [ist], mehr als nur einen kleinen spezialisierten Teil zu beherrschen. … Wenn wir unser wahres [Erkennt-

25 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

nis-] Ziel nicht für immer aufgeben wollen, dann dürfte es nur einen Ausweg aus dem Dilemma geben: dass einige von uns sich an die Zusammenschau von Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise aus zweiter Hand stammt und unvollständig ist – und sie Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen.« (Schrödinger 1999, 29 f.)

Wenn schließlich im Untertitel weiters von einer transdisziplinären Kontextualisierung die Rede ist, soll dies zum Ausdruck bringen, dass versucht wird, einen fächerübergreifenden Beitrag bezüglich des Zusammenhangs Kommunikation und Erkenntnis zu leisten. Mit der »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis werden zwei weitere analoge Verhältnisse vorausgesetzt: zum einen jenes zwischen Ich und Du/Wir, da sich Kommunikation und Erkenntnis stets im Spannungsfeld zwischen Individuation und Vergemeinschaftung vollzieht, zum anderen jenes zwischen personaler (interpersoneller) und medial-vermittelter Kommunikation, da sich jede Weise personaler Kommunikation stets in (irgendeiner) Gestalt medial-vermittelter Kommunikation ereignet, wie umgekehrt jede Form medial-vermittelter Kommunikation immer auch personalen Charakter hat, also eine spezifische Weise von »Selbst-Sein in Bezug« darstellt. Vorabgrenzungen Als zentrale Abgrenzung – den inflationär gebrauchten Terminus »Kommunikation« betreffend – soll gleich zu Beginn festgestellt werden: Im Rahmen der Arbeit wird der Begriff Kommunikation stricte dictu abgegrenzt von jenem der (physiko-chemischen) Wechselwirkung/Interaktion. Mit anderen Worten: Dem voraus-gesetzten Verständnis von Kommunikation entsprechend »kommunizieren« weder Quanten oder Atome, aber auch keine Proteine bzw. sonstigen makromolekularen »Bestandteile« lebendiger Entitäten. Ebensowenig kommunizieren Maschinen miteinander. Damit werden all jene Vorgänge ausgeklammert, die – um mit Burkart (2002, 20) zu sprechen – »zwischen ›Nicht-Lebewesen‹ (wie z. B. datenverarbeitenden Maschinen u. ä.) ablaufen.« Für diese Weisen abiotischer (physiko-chemischer) Wechselwirkungen wird die Begrifflichkeit Wechselwirkung bzw. Interaktion gebraucht (vgl. Fischer 2006, 73). Bezüglich der konkreten Vorgangsweise dient als »Leitseil« der Hinweis von Giesecke, der hinsichtlich jedweder (kommunikations) wissenschaftlichen Forschung folgende Struktur vorschlägt: »Der 26 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

Kreis kommunikationswissenschaftlicher Forschung schließt sich erst, wenn auf die empirischen Untersuchungen (Anamnese) und die theoriegeleitete Diagnose therapeutische Vorschläge für die Praxis folgen.« (Internet-Quelle [IQ] Giesecke 2014) Dementsprechend ist Teil A (Anamnese oder Was liegt vor?) einer Bestandsaufnahme des aktuellen Verständnisses von Kommunikation/Kommunikationswissenschaft bzw. der Feststellung offensichtlicher Voraussetzungen im Hinblick auf menschliche Kommunikation und Erkenntnis gewidmet. In Teil B (Diagnose oder Kommunikation und Erkenntnis im Kulturvergleich) wird darauf aufbauend mit Hilfe eines Kulturenvergleichsmodells darangegangen, unterschiedliche kulturspezifische Gewichtungen des in Frage stehenden Verhältnisses zwischen menschlicher Kommunikation und Erkenntnis ersichtlich zu machen bzw. zu bewerten. Dies vor allem im vergleichenden Hinblick auf den Kulturraum der abendländisch-europäischen Neuzeit – in dem sowohl die modernen Massenkommunikationsmittel als auch die moderne Wissenschaftlichkeit geschichtsmächtig wurden – sowie in weiterer Folge in Bezug auf den daraus hervorgehenden und zunehmend globale Züge annehmenden der sogenannten Postmoderne. In Teil C (Therapie oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Verständnis von Kommunikation und Erkenntnis bzw. Kommunikationswissenschaft) werden schließlich Strukturen für ein erweitertes Verständnis von Kommunikation und Erkenntnis bzw. Kommunikationswissenschaft skizziert. Dies geschieht einerseits durch Adaptierung erkenntnistheoretischer Einsichten der Quantenphysik für den Phänomenbereich Kommunikation (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015), andererseits durch die Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse des sogenannten Dialogischen Denkens (Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner, Martin Buber, Eugen Rosenstock-Huessy u. a.). Dadurch soll insbesondere versucht werden, die Bedeutung der Kommunikationswissenschaft als fächerübergreifende Integrationsdisziplin (vgl. Karmasin/Rath/ Thomaß 2014) herauszustellen. Lesetechnische Hinweise Im Dienste einer leichteren Lesbarkeit wurde – im Regelfall – darauf verzichtet, die männliche und weibliche Schreibweise zu verwenden. Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich Frauen und Männer als absolut gleichwertig erachte. Bei Verweisen auf andere Kapitel innerhalb der Arbeit wurde auf 27 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hinführung zur Themenstellung oder Worum es geht

Basis der Gliederung stets der jeweils betreffende Teil (A, B, C) bzw. der betreffende Abschnitt (I, II, III usw.) angeführt, gegebenenfalls auch das betreffende Kapitel (1, 2, 3 usw.) bzw. Unterkapitel (a, b, c usw.), getrennt jeweils durch einen / ; also etwa folgendermaßen: siehe A/II, vgl. B/IV/3a. Zur Gestaltung der Zitate: Wie üblich werden Zitate durch doppelte Anführungszeichen (»…«), Zitate innerhalb von Zitaten durch einfache Anführungszeichen (›…‹) gekennzeichnet. Hervorhebungen innerhalb von Zitaten (wie Kursivschrift, Fettschrift, Unterstreichung etc.), die nicht extra gekennzeichnet sind, stammen vom jeweiligen Autor/von der jeweiligen Autorin. Hervorhebungen von mir sind durch das Kürzel EH gekennzeichnet. Einfügungen in eckigen Klammern […] stammen – falls nicht extra erwähnt – ebenfalls stets vom Verfasser dieser Schrift. Im Rahmen von Zitaten wurde die alte Rechtschreibung – so diese Verwendung fand – belassen.

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Teil A ANAMNESE oder Was liegt vor?

Die Philosophie kennt 300 höchste Güter. Blaise Pascal

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Teil A: ANAMNESE oder Was liegt vor?

1986, also vor circa dreißig Jahren, teilte John Durham Peters der scientific community eine anamnetische Wahrnehmung das Fach Kommunikationswissenschaft betreffend mit. Dabei beschreibt er den »State of the Art« des universitären Fachbereichs Kommunikationswissenschaft unter dem Doppelaspekt der »institutionellen Blüte« einerseits bzw. der »intellektuellen Armut« andererseits (vgl. Peters 1986). Ein Jahrzehnt später konstatiert Renckstorf, Peters Anamnese referierend: »So trete [nach Peters] dieses Fach international [zwar] unter einer ganzen Reihe unterschiedlicher Labels auf: ›Communication‹, ›Communication Research‹, ›Mass Communication Research‹, ›Journalism‹, ›Publizistikwissenschaft‹, ›Kommunikationswissenschaft‹, ›Zeitungswissenschaft‹, ›Medienwissenschaft‹. Eigenständige, kommunikationswissenschaftliche Methoden/Techniken seien [jedoch] bislang kaum entwickelt bzw. seien umstritten und der Objektbereich dieser Disziplin, das ›field of communication‹, … werde noch immer eher administrativ denn konzeptiv definiert.« (Renckstorf 1995, 9) Die Aktualität des geschilderten Sachverhalts wird deutlich, wenn Meyen und Löblich in der Einleitung ihres 2006 erschienenen Bandes Klassiker der Kommunikationswissenschaft schreiben: »Die Studierenden [der Kommunikationswissenschaft] beklagten ein generelles Theoriedefizit und sagten, sie würden nach sieben oder acht Semestern endlich wissen wollen, was das für ein Fach sei, für das sie sich eingeschrieben haben.« (Meyen/Löblich 2006, 7) Dies wirft die Frage auf, wie es zu dieser Doppelaspektivität (institutionelle Blüte/intellektuelle Armut) des universitären Fachbereichs Kommunikationswissenschaft kam bzw. kommen konnte? Um diese Frage relevant in den Blick nehmen zu können erscheint es sinnvoll, vorerst allgemeine gegenwärtige gesellschaftliche »Tendenzkräfte« zu skizzieren, um daraufhin diese aus kommunikationsphänomenalem Blickwinkel zu betrachten.

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte« 1

Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, erscheinen nachfolgende Tendenzkräfte gegenwärtig von allgemeiner Relevanz:

1.

Dynamisierung

Mit diesem Terminus soll zum einen die offensichtliche rasante Beschleunigung der menschlichen Lebenswelt im 21. Jahrhundert zum Ausdruck gebracht werden, die – soweit ich sehe – geistesgeschichtlich ohne Vergleich ist; zum anderen die – weniger direkt augenscheinliche – »Dynamisierung des Wirklichkeitsverständnisses«, also der Ansicht, dass die Basis aller Realität, sei es die eigene wie die allgemeine, letztlich keine statisch-dauernden, sondern vielmehr dynamisch-veränderliche bzw. relationale Züge trage. Georg Simmel, der seit den 1980er Jahren auch in der Kommunikationswissenschaft zunehmend rezipierte soziologische Pionier, macht dies schon um die Wende zum 20. Jahrhundert deutlich, wenn er bemerkt: »Die zeitgeschichtliche Auflösung alles Substanziellen, Absoluten, Ewigen in den Fluss der Dinge, in die historische Wandelbarkeit, in die nur psychologische Wirklichkeit scheint mir nur dann vor einem haltlosen Subjektivismus und Skeptizismus gesichert, wenn man an die Stelle jener substanziell festen Werte die lebendige Wechselwirkung von Elementen setzt.« (Simmel zit. nach Rammstedt 1994, 19; vgl. dazu auch Koslowski 1989 bzw. Tarnas 2001)

Den Begriff »Tendenzkräfte« habe ich von Biser (1996, 6) entlehnt. Damit soll nicht nur der Umstand der Aktualität bestimmter Geisteskonzeptionen begrifflich veranschaulicht, sondern zudem deren momentane gesellschaftliche Wirkmächtigkeit zum Ausdruck gebracht werden.

1

31 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

2.

Globalisierung

Kaum je zuvor hat ein Begriff so schnell und so nachhaltig Karriere gemacht wie jener der Globalisierung (vgl. dazu etwa Osterhammel/ Petersson 2007, Scherrer/Kunze 2011). Er stammt aus der Betriebswirtschaft und löste zu Beginn der 1990er Jahre jenen der Internationalisierung ab. Wurden unter Globalisierung ursprünglich vor allem Phänomene transnationalen Wirtschaftens multinationaler Konzerne subsumiert, so ist der Terminus längst in den Bereichen Kultur, Politik und Wissenschaft angekommen. In zunehmendem Maße ist vom Entstehen einer globalen »multikulturellen Landschaft« die Rede, wobei – wie Metz (1993, 97) schon Anfang der 1990er Jahre bemerkt – Multikulturalität die Herausforderung darstellt, nicht schon die Lösung. 2 In diesem Sinne wird Globalisierung als unumkehrbares Geschehen verstanden, das als eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gilt. Inzwischen gibt es »Atlanten der Globalisierung« (vgl. Bauer/Halimi/Rekacewicz 2012), in denen graphisch das global-dynamische Geschehen internationaler Beziehungen und Konflikte themenspezifisch zur Darstellung gebracht wird. Wichtig für die in dieser Schrift abgehandelte Thematik ist schließlich insbesondere der Umstand, dass dieses Geschehen mit einer zunehmenden Dynamisierung bzw. Virtualisierung kultureller Ausdrucksformen einhergeht. Bhung-Chul Han versucht in seinem Werk Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung (Han 2005) die Verfassung des heutigen In-der-Welt-Seins als eine zunehmend entortete und entgrenzte zu zeigen, die in einem sich ständig wandelnden globalen »Hyperraum der Kultur« zirkuliere. Damit sind wir bei der nächsten »Tendenzkraft« angelangt.

»Wie kann«, so Metz (1993, 97) wörtlich, »Multikulturalität zur Konvivialität werden, d. h. zum fruchtbaren Miteinander und nicht nur zum konfliktgeladenen Nebeneinander der unterschiedlichen Kulturwelten?«, gerade in einer Zeit, die vermehrt geprägt ist von Fremdenfeindlichkeit, nationaler Selbstbehauptung und Ressentiments gegenüber Andersdenkenden (vgl. Harb 1998).

2

32 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Virtualisierung oder der »Bit Bang«

3.

Virtualisierung oder der »Bit Bang«

Mit Virtualisierung ist hierbei nicht in erster Linie jene Methode gemeint, computertechnische Ressourcen (insbesondere im Serverbereich) aufzuteilen und zusammenzufassen, sondern der durch die weltweite digitale Vernetzung zu beobachtende Trend, Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, der Arbeits- und Freizeitwelt medientechnisch zu durchdringen; sei dies durch digitale Vernetzung (Stichwort: »Internet der Dinge« 3 [IoT], vgl. Uckelmann/Harrison/Michahelles 2011), Publikationsmöglichkeit oder Kommunikationsformen (vgl. Jeschke/Kobbelt/Dröge 2014, Conti 2012, Heider 2009). Der »Bit Bang« (Vattimo/Welsch 1998, 7) des World Wide Web und die damit verbundene »globale Allgegenwart« mit Hilfe des Internet haben weltweit gesellschaftsprägende bzw. -verändernde Folgen mit sich gebracht, deren Ausmaße, geschweige denn kulturhistorische Bedeutung wir kaum erahnen können, da wir uns selbst mitten in diesem Geschehen vorfinden (vgl. Geiselberger/Moorstedt 2013). Inzwischen gibt es wissenschaftliche Arbeiten zu Kriminalität in virtuellen Welten (World of Warcraft, Herr der Ringe Online oder Second Life) (Krebs/Rüdiger 2010), den Studiengang »Virtuelle Realitäten« usw. Auch im Bereich der Wissenschaft hat die Virtualisierung längst Einzug gehalten. Dies nicht nur im Sinne einer schnelleren Daten- bzw. Informationsübermittlung, sondern durch das Entstehen wissenschaftssozialer Netzwerke wie etwa Researchgate. Im Band Cyberscience. Research in the Age of Digital Social Networks von Nentwich und König (2012, 1) heißt es einleitend: »In the early part of the 21st century one of us coined the the term ›cyberscience‹ (Nentwich 2003) to describe the trend of applying information and communication technologies (ICT) to scientific research. Scholars tendet increasingly to use the Internet not only to exchange e-mails, but also to participate in online debates, cooperate at distance, use remote databases,

Damit ist die weltweite Vernetzung von »smart objekts«, d. h. »intelligenten (weil mit miniaturisierten Computern ausgestatteten) Objekte« gemeint, die ohne direktes Zutun des Menschen miteinander »kommunizieren«. Das »Internet der Dinge« soll den Menschen weitgehend unmerklich unterstützen. Die damit verbundene Vision besteht in der Überlegung, dass der PC zunehmend durch »intelligente« Geräte ergänzt (wenn nicht gar zum Großteil ersetzt) wird. 1991 sprach Mark Weiser zum ersten Mal in seinem Aufsatz The Computer of the 21st century von dieser Idee, 1999 prägte Kevin Ashton den Begriff »Internet of Things«.

3

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

simulate and model reality on their computers, and teaching their students with the web.« Was jedenfalls zweifelsfrei festgestellt werden kann, ist der Umstand, dass das Diktum von McLuhan, das Medium sei die Botschaft, inzwischen nicht mehr als Bonmot oder Provokation abgetan, sondern als visionäre Einsicht realisiert wird, gerade vor dem Hintergrund der globalen »Virtualisierung«. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang schließlich die differenzierende Bemerkung von Thiedecke (2004, 16), dass mit dem Cyberspace und den Social Media keine virtuelle, sondern allenfalls eine virtualisierte Gesellschaft entstehe.

4.

Ökonomisierung

Hand in Hand mit den schon genannten Tendenzkräften ist eine zunehmende Ökonomisierung der Wirklichkeitsverhältnisse zu konstatieren. Damit soll die Ausbreitung des (Markt-)Wirtschaftlichen bzw. der damit verbundenen zweckrationalen Prinzipien auch auf marktferne Lebensbereiche wie Kultur, Bildung, Wissenschaft u. ä. bezeichnet werden, wo dies bislang eine untergeordnete Rolle spielte (vgl. etwa Kramar 2006, Krönig 2007, Akyel 2013). Ohne an dieser Stelle näher auf die wichtige Differenzierung zwischen Ökonomisierung und Kommerzialisierung eingehen zu können (vgl. Koslowski/Kettner 2011), ist festzustellen, dass die Tendenz einer weltweiten »Utilitarisierung der Lebenswelten« inzwischen solche Dimensionen angenommen hat, dass verschiedentlich Globalisierung und Ökonomisierung als synomye Begriffe gebraucht werden. Selbst ein gesellschaftlich weithin tabuisiertes Phänomen wie jenes der Abtreibung ist inzwischen nicht nur ein millionenfach erlebtes Leid 4, sondern längst auch ein Milliardengeschäft (vgl. Linder 2009) 5. Vor diesem Hintergrund ist die vielfach zu konstatierende Globalisierungskritik vor allem als Kritik des Primats des ökonomischen PrinNach Linder (2009, 10) starben allein in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren durch Abtreibung 8 Millionen Kinder, weltweit mindestens 1200 Millionen (1,2 Milliarden). 5 Ein Musterbeispiel dafür ist auch die gegenwärtig primär mit wirtschaftlichen [!] Argumenten geführte Debatte bezüglich eines Patent-Schutzes für genetisches Material (vgl. Gaspari 1997, 1). 4

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Individualisierung

zips auch über nicht-ökonomische Bereiche zu lesen (vgl. Sedláček 2012). So nimmt es nicht wunder, dass inzwischen allenthalben undifferenziert vom »Terror der Ökonomie« bzw. von der »Diktatur des Profits« 6 oder von der »Globalisierungsfalle« die Rede ist.

5.

Individualisierung

Ein weiteres symptomatisches Kennzeichen des ausgehenden 20. bzw. anhebenden 21. Jahrhunderts stellt die zunehmende Individualisierung bzw. »Versubjektivierung« menschlicher Existenz dar. Dieser Geistestendenz Rechnung tragend, bildete schon vor fast zwei Jahrzehnten das Generalthema des 54. Forums Alpach die Thematik Die zerrissene Gesellschaft. In seiner Eröffnungsrede bemerkte dazu der Präsident dieses weithin bekannten Europäischen Forums, Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein, die Themenwahl für 1998 erläuternd: »Noch nie in der Geschichte hat eine Gesellschaft so radikal mit ihrer Vergangenheit gebrochen und sich von allen Gemeinschaftsvorstellungen losgelöst, um sich nahezu ausschließlich dem souveränen Willen der vielen einzelnen auszuliefern, wie unsere euro-amerikanische Gesellschaft in der zweiten Hälfte dieses [20.] Jahrhunderts.« (Pfusterschmid-Hardtenstein zitiert nach Mayrhofer 1997, 18)

6.

Ökologisierung

Der Begriff der Ökologisierung ist spätestens seit den 1960er Jahren, insbesondere im Zuge der ersten weltweiten »Ölkrise« und dem Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums in den 1970er Jahre zu einer Standardvokabel des gesellschaftlichen und vor allem politischen Diskurses geworden. Sichtbares Zeichen dafür waren etwa der 1961 gegründete World Wildlife Fund, der sich zum Ziel setzt(e), der weltweiten Natur- und Artenzerstörung Einhalt zu gebieten, oder die 1971 gegründete Organisation Greenpeace, das Entstehen von Protestgruppierungen wie der AntiatomkraftbeweVgl. Forrester 1996 bzw. Forrester 2001. Aus literarischer Sicht hat sich Matthias Mander seit Ende der 1970er Jahre der Thematik angenommen, beginnend mit seinem Debüt-Roman Der Kasuar (Mander 1979) bis hin zu seinem jüngsten Werk Die Holschuld (Mander 2012).

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

gung, schließlich der Einzug und in weiterer Folge Etablierung von »grün-alternativen« Parteien innerhalb des politischen Spektrums in verschiedensten Ländern (vgl. Gruhl 1985). Seit 1980 gibt es den sogenannten Alternativen Nobelpreis, eigentlich Right Livelihood Award 7, eine Auszeichnung »für die Gestaltung einer besseren Welt.« Längst ist inzwischen auch von einer »Ökologisierung des Denkens« die Rede (vgl. Straubinger 2009). Damit wird in jüngster Zeit vermehrt der Begriff der Nachhaltigkeit in Beziehung gebracht (vgl. etwa Bell/Morse 2008). Ursprünglich allein in der Forstwirtschaft (vgl. Grober 2013) gebräuchlich, wird er von Grunwald und Kopfmüller in der 2. aktualisierten Auflage (2012, 7) ihres Bandes Nachhaltigkeit wie folgt definitorisch umrissen: »Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) hat sich in den letzten zwanzig Jahren weltweit zu einem zentralen Begriff entwickelt, anhand dessen über die zukünftige Entwicklung der Menschheit diskutiert wird. Es bezeichnet einen Prozess gesellschaftlicher Veränderung, während der Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability) das Ende eines solchen Prozesses, also einen Zustand beschreibt. … Nach der heute überwiegend akzeptierten Definition ist nachhaltige Entwicklung dann realisiert, wenn sie ›die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können‹ (Hauff 1987: 46).« (vgl. dazu auch Schneidewind 2009, Grober 2013)

7.

Krisenhafte Beschreibung des status quo

Ein unübersehbares Kennzeichen der anamnetischen Beschreibung der Gegenwart ist deren vielfache Beschreibung als »krisenhafte«. Wir leben, so der Tenor, in einer Epoche der »Krise(n)«, des »Werteverfalls«. Am augenscheinlichsten wird uns diese Krisenhaftigkeit – spätestens seit den 1970er Jahren – in ihrer ökologischen Dimension zu Bewusstsein gebracht. Doch selbst Autoren, die primär diese ökologische Dimension im Auge haben, verweisen darauf, dass diese nur Ausdruck einer grundlegenderen Krise sei (vgl. dazu Höhn 1996). Peter Koslowski, der als profunder Kenner des aktuellen philosophischen bzw. geistesgeschichtlichen Diskurses gilt, schreibt auf die-

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In deutsch etwa zu übersetzen mit Preis für die richtige Lebensweise.

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Krisenhafte Beschreibung des status quo

sen Sachverhalt Bezug nehmend schon Ende der 1980er Jahre in seinem Werk Die Prüfungen der Neuzeit: »Die Normalität der [gegenwärtigen] Krise ist daran erkennbar, daß man den Begriff ›die Krise‹ neuerdings auch ohne einen Genitiv benutzen kann. So ist kürzlich ein Sammelband mit philosophischen Beiträgen mit dem Titel Über die Krise erschienen. Die Krise ist zum Kollektivsingular des 20. Jahrhunderts geworden. So wie man im 19. Jahrhundert von ›der‹ Geschichte und ›der‹ Revolution sprach, statt von geschichtlichen Prozessen und von Revolutionen, spricht man in unserer Zeit von ›der‹ Krise …« (Koslowski 1989, 89)

Küenzlen (1994, 11 f.) fasst eine Reihe solcher gegenwärtigen Situationsbeschreibungen in seiner Habilitation Der Neue Mensch wie folgt zusammen: »Die Versuche, die heutige Lage westlicher Kultur und Gesellschaft geistig zu erfassen und zu deuten, artikulieren sich … verbreitet in Formulierungen wie: ›Krise der Moderne‹, ›Ende‹ oder ›Tod‹ der Moderne. … Ob Jürgen Habermas von der krisenhaften Lage des ›Projektes der Moderne‹ spricht, dessen ›Sinnressourcen‹ immer knapper würden, ob Robert Spaemann ›die Grundstellung des Bewußtseins, die wir als Modernität bezeichnen, ihrem Ende zugehen‹ sieht, ob Jürgen Rohrmoser von der ›Erosion der Glaubensbestände der Moderne‹ ausgeht, – die Summe solch kulturdiagnostischer Analyse heißt, bei allen sonstigen Unterschieden der jeweiligen Konzepte: die säkularen Sinnverständnisse, insonderheit die utopischen Antriebe, die in der Moderne kultur- und gesellschaftsprägend waren, seien erschöpft, ihr ›sinnstiftendes‹ Potential sei ausgelaugt.«

Gewicht erhält diese Einschätzung von der »Krise der Moderne« bzw. vom Geltungsschwund der Selbstgewissheiten der Moderne nun vor allem dadurch, dass sie sich – wie Küenzlen andeutet – quer durch die unterschiedlichsten Denkschulen, Traditionsströme und »wissenschaftlichen Lager« erstreckt. 8 Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass die Beschreibung der Gegenwart unter dem Stichwort »Ermüdungsgesellschaft« (vgl. Han 2010) zusammengefasst wird. Als Ausdruck dessen können vermehrt auftretende Erkrankungen wie Depression, Aufmerksamkeitssyndrom oder Burnout angesehen werden. »Es darf auch vermutet werden,« – so Küenzlen (1994, 11) an gleicher Stelle – »daß die anhaltende Aktualität Max Webers auch damit zu tun hat, daß man dessen Werk als Bestimmung und Deutung von Lage und Schicksal der modernen okzidentalen Kultur erst wieder neu in den Blick nimmt – jener Kultur, aus der, nach Weber, der Geist, der sie einst erbaute, entwich.«

8

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

8.

Fehlende Vorbilder bzw. »Orientative Worte«

Das Phänomen der Beschreibung des status quo als krisenhaften zeigt sich dabei nicht nur in Form einer – insbesondere in Gestalt einer permanenten medialen – Thematisierung von (Problem-)Tatbeständen wie Waldsterben, Aids, Ozonloch, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit, Terrorangst, Globalisierungskonflikt, Finanzkrise etc., sondern in zunehmendem Maße vor allem im Schwinden einer allgemein-akzeptierten Wertehierarchie. Diese gegenwärtige »Vorbildlosigkeit« hinsichtlich Werthaftem, Allgemein-Verbindlichem thematisiert Nigg schon Mitte der 1950er Jahre wie folgt: »Unsere Gegenwart besitzt kein voranleuchtendes Menschenbild mehr und ist deswegen in geistiger Hinsicht so schwer zu ertragen. Pseudobilder von Rennfahrern und Filmstars haben das wahre Vorbild überdeckt, eine Verdrängung, die nicht unwesentlich zur Verwirrung der modernen Zeit beigetragen hat. Auf das emporstufende Bild des Menschen verzichten, bedeutet soviel wie Klärung und Richtlinie preisgeben. Dieser Verlust, mit anderen Motiven zusammen, verursachte die Verfinsterung der neuzeitlichen Situation.« (Nigg 1993, 9)

In ähnlicher Weise gibt der Arzt und Psychologe Joachim Bodamer schon in den 1960er Jahren zu bedenken, »dass unserer Zeit, im Gegensatz zu allen bisherigen Zeitaltern, eine verpflichtende Moral überhaupt fehlt. Wir haben keine allgemein anerkannte, von allen respektierte und bejahte Sitte, keine Ethik im höheren Sinne …« (Bodamer 1964, 111) Albert Camus beschreibt den Sachverhalt in seinem Zentralwerk Der Mythos von Sisyphos aus literarischer Sicht wie folgt: « … Dann stürzen die Kulissen ein. Aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus – das ist ein sehr bequemer Weg. Eines Tages aber steht das ›Warum‹ da, und mit diesem Überdruß, in den sich Erstaunen mischt, fängt alles an. ›Fängt an‹ – das ist wichtig. Der Überdruß ist das Ende des mechanischen Lebens, gleichzeitig aber auch der Anfang einer Bewußtseinsregung. Er weckt das Bewußtsein und bereitet den nächsten Schritt vor … Eine Stufe tiefer – und die Verfremdung ergreift uns: die Wahrnehmung, daß die Welt ›dicht‹ ist, die Ahnung, wie sehr ein Stein fremd, undurchdringbar für uns, und mit welcher Intensität die Natur oder eine Landschaft uns verneint …«. (Camus zitiert nach Müller-Eckhard 1964, 7; vgl. Camus 1958)

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Fehlende Vorbilder bzw. »Orientative Worte«

Dass von dieser allgemeinen Tendenz auch Wissenschaftlichkeit (mit) betroffen ist, macht Peter Berglar (1978, 15) ersichtlich, wenn er bezüglich der Geschichtswissenschaft schreibt: »Es gehört zu den zahlreichen inneren Widersprüchen unserer Zeit, dass um ein neues Geschichtsverständnis gerungen, gleichzeitig aber der Erfolg dieses Ringens durch die Abschnürung des geschichtlichen Sinnes vom philosophischen und theologischen Sinn unmöglich gemacht wird. So werden die großen Fortschritte auf den Gebieten der Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte, ja überhaupt der neu gewonnene Blick für die sozialen Bedingtheiten und Konsequenzen geschichtlichen Handelns und Erleidens immer wieder dadurch entwertet, dass ihnen kein [bewusst reflektiertes] Menschenbild zugrundeliegt. Die moderne Geschichtswissenschaft verwendet enormen Fleiß auf die Beantwortung sekundärer und tertiärer Fragen und leistet dabei Bedeutendes, aber es mangelt ihr an der geistigen Grundlage, an der fundamentalen Welt-Anschauung.« 9

Kurz: Es zeigt sich, dass im inhaltlich-bedeutenden, d. h. orientierungsgebenden Sinn gegenwärtig – auf Grund des Mangels an »überfaktischen«, allgemein-anerkannten »gründenden Worten« – ein verbindliches Realitätsdeutungsverständnis nicht (mehr) vorliegt und insofern auch nicht einfachhin vorausgesetzt werden kann 10. Einigkeit besteht allenfalls in der diagnostischen Einschätzung der gegenAuf den Umstand, dass trotz des – von Berglar konstatierten – weitgehenden Fehlens einer bewusst reflektierten Welt-Anschauung bzw. eines vorausgesetzten Menschen-Bildes Wissenschaftlichkeit, wie exakt sich diese auch immer gibt bzw. versteht, nicht umhin kann, ein spezifisches Menschen- bzw. Wirklichkeitsverständnis vorauszusetzen, in welchem Grade dieser Umstand auch im jeweiligen Fall bewusst sein mag, wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch zurückgekommen (vgl. Kap. A/X bzw. Grieshofer 2012). Indirekt thematisiert Tenbruck (1984, 6) den Zusammenhang, wenn er – aus eigenem Erleben berichtend – auf die Gefahr eines auf reiner Wissenschaftlichkeit sich gründen wollenden »Szientismus« verweisend, ausführt: »[I]ch habe den Aufstieg der Soziologie [bzw. der Sozialwissenschaften] noch miterlebt und ihre Entwicklung, zuerst aus eigenem Interesse, bald auch aus beruflicher Pflicht, mitverfolgt: die Entfaltung ihrer Methoden und Begriffe, den Ausbau und Wandel ihrer Theorien, den Durchbruch zur akademischen Schlüsselwissenschaft und den Einbau in die Gesellschaft. Die ursprünglichen Hoffnungen aber wurden von den Zweifeln abgelöst, als immer klarer wurde, daß die Soziologie [bzw. die Sozialwissenschaften] das Versprechen, mit dem sie angetreten war, in keiner Weise einzulösen vermochte. Sie wollte die säkulare Orientierungskrise durch ›Positivierung‹ des Wissens stillegen, aber sie hat nur eine noch schlimmere Orientierungsleere hinterlassen. Sie wollte eine strenge empirische Wissenschaft werden, aber sie ist zum Träger eines Weltbildes [d. h. einer Wissenschafts-Ideologie] geworden, das Macht über jedermanns Denken und Handeln gewonnen hat.« 10 Was trotzdem vielfach der Fall ist. 9

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

wärtigen gesellschaftlichen »kommunikativen Verhältnisse« als »krisenhafte«, nicht jedoch in »therapeutischer« Hinsicht. Vielmehr gehen die Ansichten gerade hier in teilweise diametraler Weise auseinander. Wohl nicht zufällig widmet sich Ende des vergangenen Jahrtausends ein Bericht der Bertelsmann-Stiftung – nachdem Anfang der 1970er Jahre der Club of Rome mit seiner Rechenschaft über die Grenzen des [äußerlichen] Wachstums weltweites Aufsehen erregte – nun den »inneren« bzw. zwischenmenschlichen Grenzen; den »Grenzen der Gemeinschaft« (Berger 1997). Dabei zeigt sich die Ausdünnung des Allgemein-Gültigen bzw. -Verbindlichen sowohl im zwischenmenschlichen (gemeinschaftlichen) wie im zwischenstaatlichen Bereich (vgl. Prisching 1997, Bidese 2012). »Zum ersten Mal in der Geschichte« – schreibt der Soziologe Gronemeyer (1992, 12), die aktuelle »Geisteslage« skizzierend – »tritt der Mensch auf eine Bühne, die leer geräumt ist: Es gibt keine religiösen oder sozialen Sinnvorgaben mehr, auf die man sich verlassen könnte. Der Weltanschauungskasten ist geplündert. Es ist der Augenblick schierer Freiheit, aber auch die Stunde der Bodenlosigkeit.« In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass der anamnetisch konstatierte Sachverhalt mangelnder allgemeiner Sinnvorgaben bzw. gesellschaftstragender Verbindlichkeiten nicht nur negativ bewertet wird. Sehr gut wird dies deutlich im Gespräch zwischen dem auch im Bereich der Kommunikationswissenschaft nicht unbekannten Psychologen Paul Watzlawick und dem Wissenschaftsjournalisten Franz Kreuzer, aus dessen Buch Die Welt als Labyrinth die folgende Dialog-Passage entnommen ist: »Kreuzer:

Wenn ich als … Patient … zu ihnen komme und sage: ich bin verzweifelt. Sie [der Wissenschafter der Moderne; E. H.] haben mir die Wirklichkeit dieser Welt ausgeredet, ich fühle mich wie ein Pilot, der per Schleudersitz ins Freie geworfen ist, für mich gibt es kein oben und unten, ich suche den Archimedischen Punkt, an dem ich mich anhalten kann.

Watzlawick: Ich würde Ihnen ausreden, daß es einen Archimedischen Punkt gibt. Kreuzer:

Wo halte ich mich [dann] an?

Watzlawick: Ich würde sagen: Was wollen Sie? Wo wollen Sie ihre Sicherheit haben? 40 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Fehlende Vorbilder bzw. »Orientative Worte«

Kreuzer:

Sie würden also praktizistisch, utilitaristisch, auf Nützlichkeit hin argumentieren: Kümmern Sie sich nicht darum, ob es eine objektive Welt gibt oder wie diese ausschaut, kümmern Sie sich nicht, ob es ein absolut Gutes oder Schlechtes gibt, kümmern Sie sich lieber, ob Sie in diese Welt passen.

Watzlawick: Passen, ja. Ich habe sehr empörte Briefe bekommen. Man hat mich als Apostel eines neuen Nihilismus bezeichnet. Man hat mir gesagt: Sie lösen alles auf. Sie zersetzen die Wirklichkeit. Ich sage dazu: Aus der Idee des Konstruktivismus ergeben sich zwei Konsequenzen: Erstens die Toleranz für die Wirklichkeiten anderer – denn dann haben die Wirklichkeiten anderer genausoviel Berechtigung als meine eigene. Zweitens ein Gefühl der absoluten Verantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, daß ich meine Wirklichkeit herstelle, bin ich für diese Wirklichkeit verantwortlich, kann ich sie nicht jemandem anderen in die Schuhe schieben.« (Kreuzer 1982, 72 f.) Wiederum anders sieht es Norbert Bolz (2008, 140), der das aktuelle Fehlen orientativer Vorbilder darauf zurückführt, dass diese jenseits der Episteme, der reinen Wissenschaftlichkeit, anzusiedeln seien. Da bezüglich verbindlicher »gründender Worte« jedoch kein Konsens bestehe, fungierten als Ersatz dafür »wissenschaftliche Weltbilder« (vgl. dazu Schmucker 1980). Ein Beispiel eines solchen »(gemeinschaftsbe-)gründenden Wortes« führt Vonessen vor Augen, wenn er als Schlußbild seines Aufsatzes Glaube und Wahrnehmung – aus dem babylonischen Talmud zitierend – jenen Augenblick schildert, als die Israeliten sich anschicken, das Rote Meer zu durchqueren: »Wer Phantasie genug hat, um sich vorzustellen, was die Tiefe des Meeres und die Länge des Weges, der zurückgelegt werden mußte, bedeuten, der begreift wohl die Zumutung an den Glauben, um den es hier ging. Und es wird ihn ein Grauen ankommen, wenn er sich vergegenwärtigen will, was der stundenlange Weg – nicht an Felswänden, sondern an schwindelhohen Wasserwänden entlang – dem Volke abfordern mußte. … Gottes Wort, die Wogen würden sich spalten, lag zwar vor. Aber wie Meister Eckhart uns lehrte: Wer vertraut dem Wort Gottes, wenn er nicht unbedingt und ohne jedes Schwanken an Gott glaubt?! So heißt es nun … : ›Der eine sagte, er

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

wolle nicht als erster ins Meer hinabsteigen, und der andere sagte, er wolle nicht als erster ins Meer hinabsteigen.‹ Sicher mit gutem Grund; denn das Meer schlug Wellen, und von einem Weg hindurch war nichts zu sehen. Einzig der Fürst des Stammes Juda hatte jenen übermächtigen Glauben, der Berge versetzt – und eben auch Berge von Wasser. Nachschon, der Schwager Aarons, sprang heran und stieg als erster ins Meer. Und als das Wasser ihm bis zum Hals ging, betete er, dem Talmud zufolge, den Anfang des 69. Psalms: ›Hilf mir, o Gott! denn die Wasser gehen mir bis an die Seele. Ich bin versunken in tiefen Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in Wassertiefen geraten, und die Flut schwillt über mich her‹. Nachschon betete das aber, wie es ausdrücklich heißt, ganz ohne Furcht, in vollem und ›sanftem‹ Vertrauen. Da erst habe die Staberhebung durch Moses das Wunder gewirkt; und das Meer teilte sich für alle, für die Gläubigen und auch für die Mutlosen …«. (Vonessen 1986, 19 f.; Kursiv. E. H.)

Diese anschauliche Beschreibung macht deutlich, was gegenwärtig offenkundig als fehlend angesehen wird: Allgemeinverbindlich vorliegende »gründende Worte«; Worte, »auf die man bauen kann«, die lebenspraktische Orientierung geben in der Vielfalt der Erscheinungen, gerade in schwierigen Situationen, ja in aussichtslos erscheinenden Momenten; Worte, die zudem gemeinschaftsbildend und gemeinschaftsbindend sind, also jenes Fundament bilden, wovon man gemeinsam ausgehen und wohin man (immer wieder) zurückkehren kann. 11 Als allgemein-verbindlich vorliegend wird gegenwärtig allein das Offensichtliche, das Phänomenale bzw. das von moderner Naturwissenschaftlichkeit im Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment ermittelte »gesicherte Wissen« von – subjektunabhängig (jederzeit) überprüfbaren – Ablaufsfolgen angesehen (vgl. Pietschmann 2005a). Doch keines von beiden verspricht einfachhin verbindliche bzw. verbindende lebenspraktische Orientierung 12. Hans Dieter Mutschler schreibt dazu in seinem Aufsatz Gibt es Ganzheit in der Natur? lapidar: »Eine von allen akzeptierte MetaphyViktor Frankl, der weithin bekannte Begründer der sogenannten Logotherapie, verweist auf diese »Geisteslage« des zunehmend traditionsungebundenen modernen Menschen im westlichen Kulturkreis in seinem Werk Das Leiden am sinnlosen Leben (Frankl 1978, 13) wie folgt: »Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte, was er muß, und im Gegensatz zum Menschen von gestern sagen dem Menschen von heute keine Traditionen mehr, was er soll. Nun, weder wissend, was er muß, noch wissend, was er soll, scheint er oftmals nicht mehr recht zu wissen, was er im Grunde will. So will er denn nur das, was die anderen tun – Konformismus! Oder aber, er tut nur das, was die anderen wollen – von ihm wollen – Totalitarismus.« 12 Die Wellen des Roten Meeres versprechen uns nicht, dass es sich spalten wird, auch nicht der Himmel über ihm. 11

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Fehlende Vorbilder bzw. »Orientative Worte«

sik, die heute eine solche [gesellschaftsverbindende] Rolle spielen würde, gibt es nicht mehr.« (Mutschler, zit. nach Audretsch/Nagorny 2004, 25) Als Folge davon kann jenes Phänomen angesehen werden, das unter den Bezeichnungen »Patchwork-Identität« oder »Bastelreligion« firmiert. Gabriele Müller (1996, 4) weist auf diesen »Geistestrend« hin, wenn sie schreibt: »Der einzelne beansprucht immer mehr – maßgeschneidert für die eigene Biographie – ein eigenes religiöses Gebäude. Es besteht einerseits der Freiheitsanspruch des Menschen, andererseits fehlt die Bereitschaft, sich durch Institutionen oder andere soziale Wirklichkeiten gestalten zu lassen.« 13

Mit anderen Worten: an die Stelle einer gesellschaftsprägenden Geistestradition tritt in zunehmendem Maße gegenwärtig nicht bloß eine Vielzahl von spirituellen Überlieferungen – im Zuge der fortschreitenden Entwicklung hin zur multikulturellen Welt-Zivilisation – sondern überdies eine Unzahl von »Individualspiritualitäten«, von (aus verschiedenen Traditionen gespeisten) privaten Lebenskonzepten (vgl. Beck/Ziegler/Rautert 1997). In diesem Zusammenhang sind auch die Überlegungen von Fukuyama zu sehen, der mit seinen viel diskutierten Thesen zum »Ende der Geschichte« (Fukuyama 1992) als – wie Metz (1993, 97) bemerkt – Beispiel gelten kann »für den neuen Geist, der im Westen bzw. Norden umgeht: Die große [allgemein (sam)e] Geschichte ist zu Ende, es gibt nur noch kleine [Individual-] Geschichten« (Kursivierung bzw. Anmerk. E. H.). Die gesetzgeberisch-praktischen Konsequenzen des zunehmenden Fehlens eines allgemein-verbindlichen Menschenbildes macht Beck (2012, 10) deutlich, wenn er zur konkreten Frage der In-vitroFertilisation zu bedenken gibt:

Diese Entwicklung – so Müller (1996, 4) weiter – führe zu »einem unglaublichen Synkretismus. … Die Person versucht identisch zu sein mit sich selbst, indem sie synkretistisch da und dort einsammelt und sich selbst ihr religiöses Gebäude zimmert. Aber sie merkt, daß das, was sie gewählt hat, auch jederzeit veränderbar ist. … Seit den neunziger Jahren gibt es deutliche Anzeichen dafür, daß der Versuch, das Leben völlig allein und einsam zu verantworten, an eine Grenze gestoßen ist. Es gibt Menschen, die die einsame Freiheit doch als zu anstrengend empfinden und Sehnsucht nach Autoritäten und Institutionen haben, die sie entlasten und stützen. Für die jetzige Entwicklung bedeutet das aber ein Auseinanderdriften der Gesellschaft, entweder durch weitere ›Privatisierung‹ des Lebens oder die Zuwendung zu Gruppen, Gemeinschaften und [fundamentalistischen] Autoritäten.«

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I. Allgemeine aktuelle »Tendenzkräfte«

»Hier ist noch vieles offen: Warum braucht man sie überhaupt, warum nimmt [in Europa bzw. Nordamerika; E. H.] die Spermienqualität der Männer ab und die Unfruchtbarkeit der Frauen zu? Sind dies nur physiologische Gründe, oder hat es auch mit unserem Lebensstil, mit dem zunehmenden Alter der Eltern zu tun? ›Europa ist erschöpft‹, titelte die FAZ in Anlehnung an ein Buch von Claude Lévi-Strauss. Es fehlt die innere Spannung, die Orientierung, ein klares Menschenbild.«

So nimmt es nicht Wunder, dass der Beitrag voll ist mit Frag(ezeich) en! »Soll die IVF 14 nur für heterosexuelle Paare zugelassen bleiben oder auch für lesbische Frauen, alleinstehende Mütter, homosexuelle Männer? Sollen Leihmütter Kinder austragen und dafür bezahlt werden? Wie steht es um die nächste Generation von Kindern, die nur mit zwei Müttern oder zwei Vätern aufwachsen, oder die eine genetische, eine austragende und eine soziale Mutter haben?« (Beck 2012, 10) Vor diesem Hintergrund stellt der Medizinethiker Beck die Frage, inwiefern hier noch ethische (wenn ja: welche?) Grundprinzipien beachtet werden. Im Folgenden soll nun versucht werden, die skizzierten allgemeinen Tendenzkräfte ins Kommunikationsspezifische zu übertragen.

14

In-vitro-Fertilisation.

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II. Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte« hinsichtlich des Phänomenbereichs / Themenfeldes Kommunikation 1

1.

»Kommunikations-Hype«

Der allgemeinen »Tendenzkraft« Dynamisierung entspricht die erstaunliche Genese des Terminus Kommunikation zu einer gesellschaftlichen Leitvokabel spätestens ab den 1970er Jahren 2. Damit ist nicht nur bzw. nicht in erster Linie gemeint, dass sich in einem atemraubendem Tempo von nur wenigen Jahren Mobiltelefon und Internet – inzwischen längst kombiniert – in praktisch allen Bevölkerungsschichten als neue Massenkommunikationsmittel etablieren konnten; oder dass es inzwischen zur Selbstverständlichkeit gehört, dass sich in den verschiedensten Gesellschaftsbereichen (Wirtschaft, Politik, Kunst etc.) zentrale Aktivitäten mittels intensiver Unterstützung durch Kommunikationstechnologien bzw. begleitende Medienstrategien vollziehen. Damit soll vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, »dass« – wie ich an anderer Stelle schrieb – »Mensch, Gesellschaft und Wirklichkeit inzwischen generell vor allem als ›relationale‹ Beziehungsphänomene begriffen werden. Alles steht demnach nicht nur in Beziehung zueinander, sondern alles ist hierbei im Grunde relational gedacht und zu verstehen gegeben. Mehr noch: Die Chiffre ›Kommunikation‹ fungiert nicht nur als ›universeller Link‹ zur Beschreibung des allumfassenden Beziehungsgeflechts bzw. der virtuell-globalen Vernetztheit, sondern darüber hinaus auch als Vorbild Die aktuellen »Tendenzkräfte« werden deshalb allein aus dem Blickwinkel des Phänomenbereichs Kommunikation – und nicht (auch) aus jenem der Erkenntnis – spezifiziert, weil im gegenwärtig vorherrschenden Geistesrahmen der Postmoderne ein Primat des Phänomens der Kommunikation gegenüber jenem der Erkenntnis zu konstatieren ist (vgl. Kap. B/III/11) bzw. erkenntnisspezifische Tendenzkräfte – implizit – in den allgemeinen Tendenzkräften zum Ausdruck kommen. 2 Ein »vergleichender Blick« in das Verzeichnis lieferbarer Bücher etwa der Jahre 1960 und 2015 zum Begriff/Themenfeld Kommunikation bringt diesen Sachverhalt sofort augenscheinlich zutage. 1

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II. Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte«

einer zu erschaffenden Wirklichkeit und erhält dadurch einen geradezu mythisch-visionären Gehalt.« (Hamberger 2008a, 8; vgl. Manella 2003, Duck/Mc Mahan 2012) In ähnlicher Weise bemerkt Sybille Krämer (2008, 12): »Kaum einem anderen Wort widerfuhr eine ähnliche rhizomartige 3 Verbreitung in unserer Alltagssprache und in unseren Fachvokabularen wie dem Wort ›Kommunikation‹. In dem Bild, das wir im ausgehenden 20. Jahrhundert von uns entworfen haben, fungiert die Kommunikation gleich einem zentralperspektivischen Fluchtpunkt: Nahezu alles, was unser zivilisatorisches Selbstverständnis berührt, lässt sich mit Hilfe dieses Wortes – irgendwie – strukturieren und beschreiben.« Zu einem analogen Befund kommt auch Hörisch, wenn er in Bezug auf (massen-)medial vermittelte Kommunikation feststellt: »Daß heute Medientheorie als diensthabende Fundamentaltheorie (für ›alle‹ : Soziologen und Informatiker, Ägyptologen und Astrophysiker, Mediziner und Juristen, Geisteswissenschaftler und Theologen) fungiert, ist kaum zu übersehen.« (Hörisch 2004, 18) Dieses offensichtlich zunehmende Interesse für das Phänomen Kommunikation oder, allgemeiner gesprochen: für das Beziehungshafte, das Dialogische, drückt sich nicht nur in der rasant um sich greifenden Kommunikations-Industrie 4 aus, sondern ebenso im Umstand, dass der Begriff Kommunikation inzwischen in nahezu sämtlichen Wissenschaftsbereichen Einzug gehalten hat. Dementsprechend bemerkt Burkart (2002, 15), dass das Phänomen Kommunikation seit den 1970er Jahren »in verschiedenen Wissenschaften aus unterschiedlichen Perspektiven als Erkenntnisobjekt auftaucht.« 5

Von Rhizom, Wurzelgeflecht. Als einem der wenigen Wirtschaftszweige, denen noch gesichterte Wachstumsraten progonstiziert werden. 5 Explizit erwähnt Burkart dabei Soziologie, Psychologie bzw. Sozialpsychologie, Psychiatrie, Politikwissenschaft, Sprachwissenschaft/Linguistik, Biologie, Physik, Chemie und Informatik, – doch blieben von dieser Entwicklung zweifellos auch z. B. Philosophie und Theologie alles andere denn unberührt. Dies macht Gerl-Falkovitz (1997, 18) deutlich, wenn sie auf das Denken der 1942 in Auschwitz ermordeten jüdisch-christlichen Philosophin Edith Stein bezugnehmend schreibt: »Es geht [Edith Stein] nicht so sehr darum, das ›Sein‹ zu denken oder das ›Ich‹ zu denken. Das alles sind Leistungen des 19. Jahrhunderts. Sondern … es [geht] Edith Stein darum, Beziehung [Hervorhebung E. H.] zu denken …« (Vgl. dazu: Kap C/V/3e) 3 4

46 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

»Weltkommunikation«

2.

»Weltkommunikation«

»Weltkommunikation« – als Globalisierung medialer Kommunikation – begann nicht erst mit dem Internet, sondern hat seine Ursprünge bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (vgl. Hartmann 2006). Vor allem ist sie Teil einer globalen Dynamisierung bzw. Mobilisierung (Eisenbahn, Automobil, Flugverkehr etc.). Im Zuge der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung (zunächst insbesondere zwischen Europa und den USA) wuchsen die Waren-, Verkehrsund Datenströme enorm. 6 Um 1850 taucht eine völlig neue Technologie auf, die die ökonomischen Interessen einer »Weltcommunication« in realisierbare Nähe rückt: der elektrische Telegraph. Hartmann (2006, 9) schreibt dazu: »Die Nachrichtentechnik … hat im 19. Jahrhundert mit der Telegraphie als erster Anwendung der Elektrizität eine neue Übertragungsform ausgebildet. Kommunikationen wurden zu Telekommunikation, Botschaften konnten plötzlich schneller reisen als Boten, die Weltwahrnehmung änderte sich zusehends …« Schon damals wurden für diese weltweite kabeltechnische Kommunikationsverbindung Metaphern wie das »Netz« (»web«) gebraucht und große Hoffnungen damit verknüpft; Hoffnung auf Weltfrieden durch »Weltcommunication«, ja sogar die Erwartung der Entwicklung auf eine neue Stufe höheren Bewusstseins gingen damit einher. Eine wichtige Vorbedingung für dieses weltweite Telegraphennetz war die internationale technische Standardisierung sowie Reglementierung. In diesem Zusammenhang war nicht zuletzt die verbindliche Festsetzung einer »Welt-Zeit« sowie das Erstellen eines allgemein anerkannten »Welt(raum)atlas« eine zentrale Voraussetzung.

1851 – im Jahr der Weltausstellung in London – wird ein Telegraphenkabel durch den Ärmelkanal gelegt, 1861 »steht« die transamerikanische Telegraphenkabelverbindung zwischen New York und San Francisco, 1866 gelingt – nach mehreren Fehlversuchen – die Seekabelverbindung zwischen Europa und Amerika, genauer: zwischen Irland und Neufundland. 1870 wird die telegraphische Verbindung zwischen London und Kalkutta hergestellt – mit nachfolgenden Erweiterungen in den asiatischen Raum, schließlich bis nach Australien; 1873 folgt die Verkabelung des Südatlantik zwischen Lissabon und Rio de Janeiro, mit einer Erweiterung nach Kapstadt (vgl. Hartmann 2006).

6

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II. Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte«

An dieser Stelle kann der damit in weiterer Folge verbundene Wandel zur heutigen Medien- und Informationsgesellschaft nur angedeutet werden (vgl. Vester 1985). Mit Hartmann (2006, 8 f.) sind dabei folgende drei technische Innovationen als die entscheidenden für die Ermöglichung des Phänomens »Weltkommunikation« zu nennen: • Verkabelung: als die Realisierung ungeahnt schneller Nachrichtenübermittlung mittels Anwendbarmachung von Elektrizität; • Funkverkehr – als die Realisierung ungeahnter Möglichkeiten zu sendetechnischer Raumüberbrückung und damit einer neuen Form von »Gleichräumlichkeit« trotz großer Entfernungen; • Datenraum – als die Realisierung ungeahnter Möglichkeiten zur Schaffung eines »virtuellen Raumes«, in dem nicht nur die verschiedensten Informations- und Kommunikationsanwendungen konvergieren, sondern in denen Information selbst zur Ware wird.

3.

Social Media – Virtualisierung der Lebenswelt

Facebook, das wohl bekannteste Soziale Netzwerk, 2004 gegründet, zählt inzwischen (Stand Januar 2014) mehr als 1,3 Milliarden Mitglieder. Die Facebook-Seite gehört zu den fünf weltweit am häufigsten besuchten Websites im Internet. Im Zentrum von Facebook und analogen Sozialen Netzwerken stehen nicht mehr primär Informationsgenerierung (Google, Wikipedia) oder Warenaustausch/-verkauf (Amazon, ebay), sondern Identitätsmanagement (vgl. Steinschaden 2010). Social Media stellen gewissermaßen ein »virtuelles Grundrauschen« dar. Eine Folge davon ist die vermehrte »Mediatisierung von Freundschaft« (vgl. Trost 2013) und damit tendenziell die Veränderung des Freundschaftsbegriffs von der Bedeutung einer festen, dauerhaften Verbindung hin zum Verständnis eines Kontakts auf Abruf. Indem die Social Media eine verlockende individuelle, zeitund raumübergreifende »unmittelbare Teilhabe« – bei gleichzeitiger Option zu »beziehungsferner Distanzierung« – ermöglichen, können herkömmliche Lebens- und Kommunikationsweisen in zunehmendem Maße durch virtuelle Realitätserfahrungen ersetzt bzw. neu konfiguriert werden (vgl. Hamberger 2008a, 8). Szynka (2000, 7) bemerkt dazu anamnetisch:

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Kommunikation als boomender Geschäftsbereich

»Bedingt durch den radikalen Substanzwandel, den die moderne Gesellschaft durchläuft, bleibt auch Kommunikation von den Determinanten epochaler Umwälzung nicht unbeeinflußt. Unaufhaltsam angetrieben von Globalisierung, Digitalisierung und Virtualisierung präsentiert sie sich als unbegrenzt wandelbar und erscheint in unterschiedlichsten Formen: in Zeitungen im traditionellen Gewand metaphorischer Rezitation, im Fernsehen als artikuliertes Beiwerk konstruierter Bildgewalt oder aber im Cyberspace als simplifizierter Schein verheißungsvoller Virtualität.«

Bolz (2001) versucht vor dem Hintergrund der Luhmann’schen Systemtheorie zu zeigen, dass die Differenz zwischen dem, was über (Social) Media als Information erfasst wird, und dem, was der/die Einzelne tatsächlich operativ beherrscht, zunehmend größer wird. Kommunikation gehe somit einher mit einem Informations- bzw. Datenrausch, der alles und damit alle zugleich umgreife und übersteige.

4.

Kommunikation als boomender Geschäftsbereich

Das Phänomen Kommunikation kann ohne Umschweife aktuell als der global boomende Geschäfts- bzw. Wirtschaftsbereich angesehen werden. Dies in verschiedenster Hinsicht. Am offensichtlichsten ist aktuell wohl das Mobilkommunikationsgeschäft: der weltweit anhaltende Smartphoneboom. Nach dem Ericcson Mobility-Report (siehe IQ: Ericcson 2013) von November 2013 liegt die Zahl der mobil kommunizierenden Menschen inzwischen bei 4,6 Milliarden, – Tendenz weiter steigend, da die Länder mit den höchsten Zuwachsraten in Asien und Afrika liegen. 2013 schlossen allein in China 30 Millionen Menschen einen neuen Mobilkommunikationsvertrag ab; in Indien waren es 10 Millionen, in Bangladesh 6 Millionen, in Ägypten 4 Millionen. Diese wenigen Kennziffern sollen verdeutlichen, welche Wirtschaftsdimension allein Mobiltelefonkommunikation inzwischen weltweit innehat. Daneben sind all jene Branchen zu nennen bzw. nicht zu vergessen, die direkt oder indirekt Kommunikation als Dienstleistung anbieten und verkaufen. In den vergangenen Jahrzehnten ist diesbezüglich ein völlig neuer Kommunikationsindustriezweig entstanden mit zahlreichen neuen Berufsfeldern wie Kommunikationsberatung, Strategische Planung, Corporate Publishing, Medienkontakte, die Gestaltung von Online- und audiovisuellen Inhalten, mediale (Krisen-)PR etc. mit entsprechenden Berufen wie Webdesigner, Audio-/ 49 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

II. Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte«

Videoworker, Kontakter, Content-Manager, Info-Grafiker, Dialoger, Medien-Pädagoge, Spin-doctor usw.; dabei sind jene Berufssparten noch gar nicht mitgezählt, die all jene neuen Kommunikationsmedien herstellen sowie die damit verbundenen Zulieferindustrien. Daneben wird (erfolgreiche) Kommunikation längst selbst als Ware gehandelt, als Vehikel des Verkaufs und Erwerbs von Daten, Produkten und anderer veräußerbarer Größen. Die (Konsum-)Medien werden dabei als Geschäftswege und -zweige angesehen.

5.

Profilierung

Über soziale Netzwerke prägt das Internet einen neuen Stil der Selbstdarstellung aus – bis hin zu einer Selbsterfindung. Im World Wide Web wird die individuelle Identität zum Profil. Die »Vermessung« dieser virtuellen sozialen Welt ist dabei längst in vollem Gange. Dementsprechend taucht in zunehmendem Maße eine neue »Währung« in der Werbewelt auf: es zählen nicht mehr nur Auflage und Reichweite, sondern Profile bzw. die Beziehungen zwischen den Profilen (vgl. Wanhoff 2011). Profilierung geschieht hierbei nicht nur durch aktives Bekanntgeben persönlicher Daten bzw. aktueller Statusübermittlungen von Seiten der User der Sozialen Netzwerke, sondern durch das permanente »Monitoring« der Aktivitäten von Millionen und Abermillionen Netzteilnehmer durch die Netzbetreiber zum Zweck der Erstellung von Social Graphs, d. h. von persönlichen Beziehungsprofilen der einzelnen Teilnehmer. Denn »mit dem Übergang von traditionellen, analogen (Massen-)Medien zu den neuen digitalen Medien nehmen die Möglichkeiten, Rezeptions- wie Produktionsaktivitäten in Echtzeit zu protokollieren und in verrechenbare Daten zu transformieren, in bislang nicht dagewesenem Maße zu … Das gilt nicht nur für Webseiten, Chats oder Emails, sondern in gleichem Maße für digitales Fernsehen mit Rückkanal, IP-Radio oder IP-basierte Telefoniedienste.« (Passoth/Wehner 2013, 11)

6.

»Alternative Netzkultur«

Parallel zum Entstehen des Internets Anfang bis Mitte der 1990er Jahre kam es zum Aufkommen alternativer Formen von Netzkultur. Über das Internet soll(t)en neue Weisen von freier bzw. freiwilliger 50 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

»Alternative Netzkultur«

Partizipation verwirklicht werden. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Der Begriff ist eine Kombination aus Wiki (hawaiiansch für schnell) und Enzyklopädie. Die Partizipations-Idee wird realisierbar durch ein Hypertext-System für Webseiten, deren Inhalte von den Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch online direkt geändert werden können. Gegründet wurde das Unternehmen (nach Vorläufern um die Jahrtausendwende) 2001. Die Idee einer Internet-Enzyklopädie findet sich jedoch in Newsgroups schon um 1993, zusammen mit der Überlegung zur Digitalisierung gemeinfreier Werke. 7 Als weiteres Beispiel kann das Social Bookmarking genannt werden. Damit ist die Überlegung verbunden, dass mehrere Nutzer gemeinsam auf einem Server im Internet Lesezeichen ablegen, auf die alle Beteiligten zugreifen können. Schließlich sei im Zusammenhang alternativer Netzkultur auf die sogenannte Open source Initiative hingewiesen. Damit ist alle jene im Internet frei verfügbare Software gemeint, die vielfach mit kommerzieller Software mithalten kann und (inzwischen) mit kostenpflichtiger (zumeist) kompatibel ist. Zu den bekanntesten diesbezüglichen Programmen zählen etwa der Internetbrowser Firefox, das Betriebssystem Linux oder das »Büroprogramm« Open Office. Der Gedanke alternativer Partizipation bzw. Vergemeinschaftung im Netz erhielt jedoch spätestens mit dem Jahr 2004 – im Zuge des Aufkommens der sogenannten Sozialen Netzwerke wie Facebook, MySpace oder Friendster – einen spürbaren Dämpfer. Geert Lovink, ein ausgewiesener Kenner der Materie, schreibt dazu: »In meiner Auseinandersetzung mit der Internetkultur unterscheide ich drei Phasen. Erstens: die wissenschaftliche, vorkommerzielle, textbasierte Periode vor dem World Wide Web; zweitens die euphorische, spekulative Periode, in welcher das Internet für die breite ÖffentlichSo findet sich im Netz unter dem Datum vom 22. Oktober 1993 in der Newsgroup alt.internet.services ein von Rick Gates veröffentlichter Beitrag folgenden Wortlauts: »Wow! An Internet Encyclopedia! The more I thought about this, the more I realized that such a resource, containing general, encyclopedic knowledge for the layman, would be an important tool for some types of research, and for the Net.Citizenry in general. Ahh.. but what about contributors … where will you find authors to write the short articles you need? Well, I’d first have to start out by finding some way of communicating with an extremely diverse set of people … everyone from linguists, to molecular biologists, from animal rights activists to zymurgists, and from geographers to gas chromatographers. Guess what? The Net provides just such an arena! So I thought about it some more … and came to the conclusion that this is a good idea!« (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rick_Gates).

7

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II. Spezifische aktuelle »Tendenzkräfte«

keit zugänglich wurde und die in der Dotcom-Manie der späten [neunzehnhundert] neunziger Jahre kulminiert; drittens, die PostDotcom-Crash/Post-11.-September-Periode … Eigentlich tauchen Blogs bzw. Weblogs schon um 1996–97 auf, also während der zweiten euphorischen Phase; sie blieben damals allerdings unbeachtet, da ihnen die E-Commerce-Komponente fehlte. Die große Veränderung der letzten Jahre lag im Massenzulauf und in der fortschreitenden Internationalisierung des Internet.« (Lovink 2007, 11; vgl. dazu auch Lovink 2012)

7.

Krisenhafte Beschreibung von Kommunikation

Analog zu allgemeinen krisenhaften Beschreibungen der Gegenwart wird auch das Phänomen Kommunikation nicht selten unter dem Aspekt des Nicht-Gelingens beschrieben. Friederike Rothe schildert in ihrem Werk Zwischenmenschliche Kommunikation gar, dass sich das Innsbrucker Institut für Kommunikation im Berufsleben und Psychotherapie der »vielfachen Erfahrungen eines Sich-nicht-verstehen-›Könnens‹ zusammen mit einem beharrlichen Missverstehen›Wollen‹ [verdankt]. … Frühe Überlegungen dazu fanden ihren Niederschlag unter dem Titel ›Umweltverschmutzung durch Kommunikation‹ …«. (Rothe 2006, 1) Insbesondere die große Anzahl an Angeboten zur Kommunikationskrisenintervention, die meist mit hohen finanziellen Kosten verbunden sind, ist nach Rothe ein unübersehbarer Hinweis auf das vielfache Erleben kommunikativen Scheiterns. Damit sind nicht nur bzw. nicht primär Sprech- bzw. Sprachstörungen gemeint, sondern Phänomene wie Sozialphobie, Mobbing/Bossing, Autismus, Cybermobbing, Erschöpfungssyndrom, Burnout, Sexsucht, Vereinsamung, Narzissmus, Hörigkeit, destruktive Abhängigkeit, Bindungsunfähigkeit, Stalking (vgl. Rothe 2003). Hierbei erscheint auch das – insbesondere im Zusammenhang mit der Informationsfreiheit ins Treffen geführte – aktuelle Schlagwort der Transparenz von Bedeutung. Han versucht in seinem Essay Transparenzgesellschaft (Han 2012) aufzuzeigen, wie sehr dieser gegenwärtige »Imperativ der Transparenz« einhergeht mit einem Mangel an Vertrauen, an kommunikativer Emphatie.

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Fehlen einer allgemeinen Theorie von Kommunikation

8.

Fehlen einer allgemeinen Theorie von Kommunikation

Das Anmahnen des Fehlens einer allgemeinen Theorie der Kommunikation zählt zu den Standardlamentos des Faches Kommunikationswissenschaft. Aus einer Vielzahl von Stimmen seien einige renommierte herausgegriffen. Bei Rühl (2008, 13) heißt es: »Bis heute fehlt eine übergreifende, theoretische Gesamtkonzeption, mit der die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikationswissenschaft als disziplinäre oder interdisziplinäre Einheit aufzuzeigen wären.« Meyen und Löblich bemerken wie erwähnt in ihrem Band Klassiker der Kommunikationswissenschaft (2006, 7) mit Blickrichtung auf die Studenten: »Die Studierenden [der Kommunikationswissenschaft] beklagten ein generelles Theoriedefizit und sagten, sie würden nach sieben oder acht Semestern endlich wissen wollen, was das für ein Fach sei, für das sie sich eingeschrieben haben.« Es wird in weiterer Folge (vgl. Kap. A/IV/4a) der Frage nachzugehen sein, worin die eigentliche Ursache für das vielbeklagte Theoriedefizit zu erblicken ist. Abbildung 1 zeigt die skizzierten allgemeinen Tendenzkräfte bzw. deren kommunikationsspezifische Pendants in einem parallelen Überblick. »Tendenzkräfte« allgemein

kommunikationsspezifisch

Dynamisierung

»Kommunikationshype«

Globalisierung

»Weltkommunikation«

Virtualisierung

Social media

Ökonomiesierung

Kommunikation als boomender Geschäftsbereich

Individualisierung

Profilierung

Ökologisierung

»Alternative Netzkultur«

Krisenhafte Beschreibung des status quo

Krisenhafte Beschreibung von Kommunikation

Fehlende Vor-Bilder, »gründende Worte«

Fehlen einer allgemeinen Theorie der Kommunikation

Abbildung 1: Tendenzkräfte

53 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Zum gegenwärtigen Verständnis des Phänomens / Begriffs Kommunikation

Vorab ist es notwendig, auf die bekannte Problematik der unüberschaubar erscheinenden Vieldeutigkeit des Begriffs ›Kommunikation‹ Bezug zu nehmen, nicht zuletzt bedingt durch die (Über-)Fülle an divergierenden Definitionen (vgl. dazu u. a. Richter/Schmitz 2003, Todt/Kipper 2003, Reichertz 2010). Luckmann bemerkt dazu schon 1980: »Kommunikation kann heute alles heißen. Darum steht in Frage, ob der Begriff überhaupt noch etwas heißt. … Als Generalmetapher verbreitet und verflacht er sich in den Humanwissenschaften und vor allem den Sozialwissenschaften, aber auch in den verschiedenen Welt- und Selbstdarstellungen moderner Intellektueller im ›Kulturbetrieb‹.« (Luckmann 1980, 28)

Dass sich daran inzwischen nicht viel geändert hat, zeigt ein analoges Zitat aus dem Jahre 2008 von Sybille Krämer: »Kaum einem Wort widerfuhr eine ähnlich rhizomartige Verbreitung in unserer Alltagssprache und in unseren Fachvokabularen wie dem Wort ›Kommunikation‹. In dem Bild, das wir im 20. Jahrhundert von uns selbst entworfen haben, fungiert die Kommunikation gleich einem zentralperspektivischen Fluchtpunkt: Nahezu alles, was unser zivilisatorisches Selbstverständnis berührt, lässt sich mit Hilfe dieses Wortes irgendwie strukturieren und beschreiben.« (Krämer 2008, 12)

Schließlich fährt sie (selbst-)kritisch fort: »Es wundert nicht, dass sich angesichts der Allgegenwart des Wortes ›Kommunikation‹ und der Bandbreite seines Gebrauches begriffskritische Stimmen mehren. So erklärt Botho Strauss ›kommunizieren‹ kurzerhand zum ›Unwort des Zeitalters‹ und charakterisiert es als ›Müllschluckerwort‹. Etwas sachlicher in der Diagnose bleibt Uwe Pörksen, für den ›Kommunikation‹ ein ›Amöbenwort‹ (oder auch ›Plastikwort‹) ist: Es verbirgt seinen metaphorischen Charakter, dringt nach einem Durchgang durch die mathematischen Wissenschaften in den Alltag ein und wird dann so unhistorisch wie unscharf angewendet als Minimalcode der Industriegesellschaften:

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III. Zum gegenwärtigen Verständnis des Phänomens / Begriffs Kommunikation

›Kommunikation‹ kommt wie ein ›Legostein‹ zum Einsatz, der beliebig kombinierbar ist und unsere Lebensräume mit seinem Wortnetz nahezu flächendeckend überzieht.« (Krämer 2008, 12)

Will man dieser Schwierigkeit nicht ausweichen, in dem man entweder den Begriff als oberflächlich-angepasstes, mikrokontextuelles Amöbenwort benützt, oder eine bestimmte Bedeutung von Kommunikation einfach voraussetzt, ohne Bedürfnis zu zeigen, diese Wahl näher zu erläutern, oder überhaupt auf den Begriff gänzlich verzichtet, scheinen Präzisierungen unabdingbar (vgl. Fiehler 1990). Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass das Phänomen bzw. der Begriff Kommunikation aktuell überwiegend funktional bzw. technisch gebraucht wird. Dies zeigt – bei aller Unterschiedlichkeit – ein Blick in gängige Kommunikationsmodelle. Meist steht dabei die Frage der Verständigung bzw. der Informationsübermittlung im Zentrum. Auf diesen Umstand verweist Baecker (2005, 52) wenn er schreibt: »Im 20. Jahrhundert wird ein Kommunikationsbegriff ausgearbeitet, der nach wie vor an den beiden genannten Polen – der Frage von Schlegel, wie eine Mitteilung möglich sei, und der Antwort von Novalis, dass alles eine Mitteilung sei – sein ästhetisches wie auch begriffliches Maß hat. Mit zunehmender Schärfe wird ein Kommunikationsbegriff formuliert, der Kommunikation als eine ebenso allgegenwärtige wie immer wieder auf sich selbst verweisende Verständigungsoperation unter Menschen begreift.«

Beispielhaft wird dies deutlich, wenn Schulz von Thun sein bekanntes Werk Miteinander Reden 1 wie folgt beginnt: »Der Grundvorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation ist schnell beschrieben. Da ist ein Sender, der etwas mitteilen möchte. Er verschlüsselt sein Anliegen in erkennbare Zeichen – wir nennen das, was er von sich gibt, seine Nachricht. Dem Empfänger obliegt es, dieses wahrnehmbare Gebilde zu entschlüsseln. In der Regel stimmen gesendete und empfangene Nachricht leidlich überein, so daß eine Verständigung stattgefunden hat.« (Schulz von Thun 1996, 25)

Oder wenn Maletzke Kommunikation als »Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen« definiert (vgl. Maletzke 1963). Weithin prägend wurde das von Shannon (1948) bzw. Shannon und Weaver (1949) Ende der 1940er Jahre entwickelte Modell (Abbildung 2; siehe Shannon/Weaver 1972 bzw. IQ: Shannon/Weaver 2008).

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III. Zum gegenwärtigen Verständnis des Phänomens / Begriffs Kommunikation

Information message source

signal

received signal

transmitter

message receiver

destination

noise source

Abbildung 2: Sender-Empfänger Modell nach Shannon und Weaver

Die Abbildung zeigt: Zwei Geräte (transmitter und receiver) tauschen Signale aus. Sie sind jedoch nicht identisch mit dem Erzeuger und Endempfänger der Botschaften (messages). Was übertragen werden soll, sind keine Signale bzw. Info-Bits, sondern Botschaften. Capurro (2008, 65 ff.) weist darauf hin, dass in diesem Modell gerade jene Dimensionen der Semantik und Pragmatik nicht berücksichtigt werden, die Human-Kommunikation zu Human-Kommunikation machen (vgl. dazu geistesgeschichtlich Capurro 1978). Für die Kommunikationswissenschaft versucht dies Badura (siehe Burkart 2002, 430) zu leisten; siehe dazu weiter das Feldschema der Kommunikation nach Maletzke (1963, 41) bzw. Burkart (2002, 499) sowie Kommunikation als Verständigung (Burkart 2002, 34). Dass dabei stets subjektive Elemente eine wesentliche Rolle spielen, macht Burkart mit dem Schema Verständigung als Schnittmenge von Bedeutung (Burkart 2002, 60) anschaulich. Für den Bereich der Erkenntnis verdeutlicht dies Habermas in seinem weithin bekannten Werk Erkenntnis und Interesse (vgl. Habermas 1970). All diese Theorien und Theoreme lassen sich mit Hilfe des nachfolgend skizzierten Grundschemas (Abbildung 3) veranschaulichen: KOMMUNIKATION ICH 1 (Sender/Empfänger)

MEDIUM Materie

ICH 2 (Empfänger/Sender)

Abbildung 3: Kommunikation: Sender-Empfänger-Modell

Vor diesem Hintergrund soll nun der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo in den Blick genommen werden.

56 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

Entsprechend der zentralen Intention der vorliegenden Schrift nach dem Verhältnis zwischen Kommunikation und Erkenntnis soll der aktuelle status quo der Kommunikationswissenschaft – ganz im Sinne einer klassischen medizinischen Anamnese – erhoben werden; d. h. einerseits durch die Betrachtung der historischen Genese, andererseits mittels einer aktuellen Bestandsaufnahme des Gegenstandsbereichs der Kommunikationswissenschaft (vgl. dazu u. a. Renckstorf 1998, Burkart 2002, Löffelholz/Quandt 2003, Quandt/Scheufele 2011, Beck 2013, Bentele/Brosius/Jarren 2013). Der Versuch einer direkten »Ortsbestimmung« der Kommunikationswissenschaft im Rahmen des Ganzen der Wissenschaften stößt allein deshalb auf Grenzen, da sich – wie Burkart (2002, 16) bemerkt – »das Erkenntnisobjekt ›Kommunikation‹ … gegen herkömmliches wissenschaftliches Kästchendenken [sperrt].« (Vgl. auch Weber 2005, 13 ff.) Dies zeigt sich einerseits darin, dass Kommunikationsforschung an verschiedenen Universitäten zum Teil völlig unterschiedlich verortet wird, andererseits in der verschiedentlichen Benennung des Faches (vgl. Rühl 2008, Giesecke 2007, Löblich 2010, Eschbach/ Eschbach 2011). So soll vorerst versucht werden, über den Umweg eines Blickes auf die geistesgeschichtliche Genese des Faches bzw. deren Vorläufer diesbezüglich mehr Klarheit zu gewinnen.

1.

Ein kurzer geschichtlicher Abriss der Genese der Kommunikationswissenschaft

Die Anfänge der institutionellen Vorläufer der heutigen Kommunikationswissenschaft sind um das Jahr 1900 anzusetzen. Im deutschsprachigen Raum gelang die erstmalige Einführung des Pressewesens in den akademischen Unterricht übrigens in der Schweiz. 1903 konn57 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

ten sich »die hauptberuflichen Journalisten Oskar Wettstein und Michael Bühler an den Universitäten Zürich und Bern für journalistische Fächer [habilitieren] und begannen als Privatdozenten zu lehren.« (Kniefacz 2008, 12) Grün (1986, 31–43) zeigt in ihrem Aufsatz Pressedissertationen in Deutschland 1874–1919. Zur Vorgeschichte der deutschen Zeitungswissenschaft, dass es schon Jahrzehnte vor der Gründung des ersten Instituts für Zeitungskunde (Leizig 1916) in zahlreichen deutschen Universitäten ein reges Interesse für Presseforschung gab. Ausdruck dessen sind über 350 Pressedissertationen, die zwischen 1874 und 1919 an verschiedenen Fakultäten geschrieben wurden. 1 Anfang des 20. Jahrhunderts erscheinen mit Emil Löbls 2 Schrift Kultur und Presse (1903) und Ludwig Salomons Geschichte des Deutschen Zeitungswesens (1906) zwei Publikationen, die »als Vorboten einer eigenständigen Zeitungswissenschaft gewertet werden können und verdiente Beachtung erfuhren.« (Vom Bruch 1986, 11 f.) Bereits 1895 hatte Adolf Koch (1855–1922) an der Universität Heidelberg begonnen, Vorlesungen über die Geschichte der Presse und des Journalismus in Deutschland zu halten, die sich sofort regen Zuspruchs bei der Studentenschaft erfreuten (vgl. Obst 1986, 45). Zwei Jahre später, 1897, war es Koch – gegen den Widerstand der Um ein thematisch-inhaltliches Bild zu vermitteln, sei aus Grüns Beitrag zitiert: »Die früheste der untersuchten Arbeiten wurde von Hermann Becker 1874 an der philosophischen Fakultät der Universität Göttingen verfaßt und beschäftigte sich mit der Kritik der Flugschriftenliteratur im Dreißigjährigen Krieg (1874). Drei Jahre später promovierte Richard Grashof an der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig mit einer Arbeit über ›Die briefliche Zeitung des 16. Jahrhunderts‹ (1877). Ebenfalls an der philosophischen Fakultät in Leipzig wurden die nächsten beiden Arbeiten vorgelegt, und zwar 1880 von Ernst Milber über ›Die deutschen moralischen Wochenschriften‹ des 18. Jahrhunderts und 1881 von Carl Ringhofer über ›Die Flugschriftenliteratur zu Beginn des Spanischen Erbfolgekriegs‹. Im gleichen Jahr wurde auch die erste Dissertation an einer juristischen Fakultät angefertigt. Der Verfasser hieß Ernst Goeppel, der Titel lautete: ›Über Begriff und Wesen des Urheberrechts‹. … Weitere Arbeiten an den philosophischen Fakultäten von Göttingen (1884 zwei Arbeiten) und Halle (1887 eine Arbeit), und an den juridischen Fakultäten der Universitäten Breslau (1885 eine Arbeit) und Straßburg (1885 eine Arbeit) folgten. Ein speziell auf die Presse gerichtetes Interesse kommt aber erst seit der Jahrhundertwende zum Tragen. … Die meisten Arbeiten an einer einzelnen Hochschule, nämlich 60 (16 %), entstanden an der Universität Heidelberg: 13 davon an der juristischen Fakultät. Auch hier setzte das Interesse für publizistische Themen erst ab 1904 ein …« (Grün 1986, 31 ff.) 2 Vgl. zu Emil Löbl Schmolke 1992, 182–186. 1

58 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Ein kurzer geschichtlicher Abriss der Genese der Kommunikationswissenschaft

Philosophischen Fakultät – gelungen, praktische Übungen zur Einführung in die Journalistik abzuhalten und so neben breiter Wissensvermittlung in Vorlesungen und Seminaren auch die Möglichkeit zu praktischer journalistischer Erprobung zu gewähren. »Viele Verleger und Journalisten zeigten sich« – so Obst (1986, 46) – »von diesen Übungen und Vorlesungen so beeindruckt, dass sie ihre Söhne zur Ausbildung nach Heidelberg schickten und Koch mit finanzieller und publizistischer Hilfe unterstützten.« Dass dieser Pionier heute fast völlig in Vergessenheit geraten ist, hängt vor allem mit einem Ehrenbeleidigungsprozess zusammen, den Koch 1912 gegen Max Weber angestrengt hatte und der 1913 – für ihn fatal – mit dem Entzug seiner venia legendi endete (vgl. Obst 1986, 55). So wurde – wohl durch diesen Prozess mitverursacht – das erste zeitungswissenschaftliche Institut 1916 nicht in Heidelberg, sondern – wie oben schon erwähnt – in Leipzig gegründet, als Institut für Zeitungskunde. Bald darauf folgten ähnliche universitäre Einrichtungen in Köln (1920, vgl. Klose 1989), Münster (1921, vgl. Maoro 1987), Berlin und München (1924), Freiburg/Br. (1925, vgl. Grosse 1989), Heidelberg und Halle (1927). Karl d’Ester (1881–1960), seit 1924 erster Professor für Zeitungswissenschaft in München, rief 1926 mit seinem Kollegen Walt(h)er Heide (1894–1945) die erste Fachzeitschrift mit dem Titel Zeitungswissenschaft ins Leben. In den 1930er Jahren erfolgte – insbesondere auf Betreiben von Emil Dovifat (1890–1969) – durch Miteinbeziehung von Film und Rundfunk die Ausweitung des Faches zur Publizistikwissenschaft. Die nationalsozialistische Machtübernahme am 30. Januar 1933 stellte schließlich für die Zeitungskunde/Zeitungswissenschaft eine gravierende Zäsur dar. Diese Epoche der Fachgeschichte ist inzwischen gut beschrieben (vgl. etwa Duchkowitsch/Hausjell/Semrad 2004; Hachmeister 1987, Kutsch 1984) und soll hier nicht näher ausgeführt werden. Pars pro toto sei ein Beispiel erwähnt, das zum einen die ideologische Funktionalisierung der Zeitungswissenschaft, zum anderen den (damit verbundenen) erkenntnistheoretischen Größenwahn deutlich macht 3: Anlässlich der feierlichen Eröffnung des Wiener InDas Beispiel ist entnommen aus Kniefacz (2008, 170) bzw. den dort angegebenen Quellen: Wien erhielt das 11. Hochschulinstitut für Zeitungswissenschaft, in: Zeitungswissenschaft, 17/6, S. 269–273; Zeitungswissenschaftliches Institut in Wien. Tagung der Zeitungswissenschaftler, in: Deutsche Presse, 1942, H. 32 (23. Mai),

3

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IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

stituts für Zeitungswissenschaft am 7. Mai 1942 beschwor Walter Heide, der als stellvertretender Reichspressechef quasi mit der Gleichschaltung der zeitungswissenschaftlichen Forschung in Nazideutschland betraut war, die Kriegswichtigkeit der Zeitungswissenschaft, die – von Leipzig aus – zu einem »selbständigen Glied der universitas litterarum« mit eigener Methode weiterentwickelt worden wäre. Die gegenwärtige Aufgabe von Presse und Zeitungswissenschaft sei vor allem der »Kampf um die Durchsetzung der deutschen Wahrheit«. Der Rektor der Universität Wien, Fritz Knoll, äußerte schließlich seine Erwartungen an das neue Institut, indem er betonte, dass dieses mit wissenschaftlichen Methoden die Wahrheit fördern möge, die im Gegensatz zu »internationalem Judentum« und »Bolschewismus« für die Deutschen »ein besonderes Ideal« darstelle. Karl Kurth, der mit der Leitung des Instituts betraut wurde, begann schließlich seine Antrittsrede zum Thema »Zeitungswissenschaft in der Universitas litterarum« mit der Behauptung, dass sich die Presse unter dem Einfluss des Nationalsozialismus auf ihren ursprünglichen »Wesenskern«, die Übermittlung objektiver Nachrichten, rückbesonnen hätte. Die Vergangenheitsbewältigung dieser Epoche nahm geraume Zeit in Anspruch und ist zum Teil bis heute noch in Gang (vgl. Duchkowitsch/Hausjell/Semrad 2004 bzw. Hausjell 2004). Mit Ausnahme von München wählte man – wohl auch deshalb, um die ideologische Verstrickung des Faches mit der NS-Vergangenheit vergessen zu machen – nach dem 2. Weltkrieg an fast allen Standorten für das Fach nunmehr die Bezeichnung Publizistik. Doch nicht nur die »braune Vergangenheit« machte der nunmehrigen »Publizistikwissenschaft« zu schaffen, sondern ebenso das weiterhin bestehende Dilemma, was Gegenstandsbereich und inhaltliche Ausrichtung des Fachs anbelangte. In diesem Sinne bemerkt Löblich, dass die »geringe wissenschaftliche Reputation [der Publizistik- und Zeitungswissenschaft] … auch vor dem Hintergrund des Legitimationsdilemmas zu sehen [ist], das seit Gründung des ersten Instituts für Zeitungskunde 1916 in Leipzig zu den Konstanten der Fachentwicklung gehört. Auf der einen Seite haben Medienpraktiker und Studierende immer Berufsvorbereitung und Auftragsforschung erwartet,

111 f.; Die Zeitungswissenschaft marschiert. Eröffnung des Zeitungswissenschaftlichen Instituts in Wien, in: Der Zeitschriften-Verleger, 44. Jg., H. 19 (13. Mai 1942), 142 f.

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Ein kurzer geschichtlicher Abriss der Genese der Kommunikationswissenschaft

auf der anderen Seite verlangten die Universitäten wissenschaftliche Forschung und Lehre« (Löblich 2010, 24). Vor diesem Hintergrund ist die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Zeitungswissenschaft (DGPuZ) im Jahr 1963 bzw. der daraus 1972 erwachsenen Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) zu sehen. Mit den 1960er Jahren kam es im Fach sukzessive zu einer vermehrten Orientierung an der Mass Communication Research USamerikanischer Prägung inklusive der damit verbundenen empirisch-sozialwissenschaftlichen Methodik. Als federführend sind dabei Gerhard Maletzke, Elisabeth Noelle-Neumann und Fritz Eberhard zu nennen. Löblich (2010) spricht in diesem Zusammenhang von der »empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende« in der deutschsprachigen Publizistikwissenschaft ab den 1960er Jahren. 4 Wörtlich heißt es dazu bei der Autorin: »Geisteswissenschaftliche Methoden blieben [bis 1980] die vorrangig verwendeten Forschungsvorhaben. Aber ihr Vorsprung war 1980 gegenüber 1960 eindeutig geschrumpft, und das weist eindeutig auf die Selektionskräfte hin, die gegen die geisteswissenschaftliche Richtung gewirkt haben. Die Jahre 1968/69 markieren dabei die Trendwende zur empirischen Sozialwissenschaft.« (Löblich 2010, 103) Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, die weitere Genese im einzelnen bis auf die Gegenwart nachzuzeichnen. Allgemein formuliert lässt sich wohl mit Löblich feststellen: »Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende [in der Publizistik- bzw. in der Folge: Kommunikationswissenschaft] ist mit einem komplexen Prozess zu erklären, bei dem sich die verschiedenen Triebkräfte gegenseitig überlagert und verstärkt haben. Zu den wichtigsten Triebkräften zählten die Veränderungen des Forschungsgegenstands und der damit einhergehende Wissensbedarf in der Medienpolitik und Medienwirtschaft, die Formulierung der auf Massenmedien und quantitative Forschung konzentrierten USamerikanischen Kommunikationsforschung und die Entwicklung in den Nachbardisziplinen. Diese Triebkräfte sind ihrerseits vor dem Hintergrund mehrerer gesellschaftlicher Metatrends zu sehen, zu denen die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft (damit eingehend: die ›Verwissenschaftlichung‹ von Politik und Wirtschaft), der Wandel von der IndustrieIn ihrem schon mehrfach erwähnten Werk Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft untermauert sie ihre These anhand der Entwicklung unterschiedlicher publizistikwissenschaftlicher Institute in Deutschland zwischen 1945 und 1980 (vgl. insbesondere Löblich 2010, 94–240).

4

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IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

zur Dienstleistungsgesellschaft, die Anhebung des allgemeinen Lebensstandards sowie die ›Amerikanierung‹ zu zählen sind.« (Löblich 2010, 301 f.)

2007 konstatiert der deutsche Wissenschaftsrat – als das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium – folgende drei aktuell zu unterscheidende Ausrichtungen im Forschungsfeld der Kommunikations- und Medienwissenschaften: • die sozialwissenschaftlich orientierte Kommunikationswissenschaft; • die kulturwissenschaftliche Medialitätsforschung sowie • die informatikorientierte Medientechnologie (vgl. Bartz 2007). Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo (zumindest im deutschsprachigen Raum) kann mit Löblich wie folgt wiedergeben werden: »Auch wenn ein explizites, gemeinsames Fachverständnis [bislang] nicht formuliert wurde (vgl. DGPuK 2008), weil es zu viele persönliche Auffassungsunterschiede gab [gibt], bestand das Ergebnis der Fachdebatte im impliziten Konsens, dass die analytisch-quantitative sozialwissenschaftliche Ausrichtung angesichts der schwierigen Situation des Fachs der einzig richtige Weg war.« (Löblich 2010, 151)

2.

Kommunikationswissenschaft: Ein primär massenmedial ausgerichtetes Fach

Der aktuell (zunehmend) als Kommunikationswissenschaft bezeichnete Fachbereich ist – wie deutlich wurde – mit der erstmaligen universitären Etablierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wissenschaftsgeschichtlich gesehen sehr jungen Datums. Die Genese des Faches zeigt, dass der zentrale Fokus in Forschung und Lehre lange Zeit praktisch ausschließlich auf »öffentlicher Kommunikation« lag. Die im Verlauf der Jahrzehnte zunehmend zahlreicher werdenden Gegenstands- und Problembereiche des in weiterer Folge als Publizistik (bzw. Publizistik und Kommunikationswissenschaft) bezeichneten Fachbereichs waren dementsprechend ebenfalls in erster Linie massenmedial ausgerichtet: Mediengeschichte, Medienwirkungen, Mediennutzung, Medienorganisation, etc. (vgl. Mc Quail 2010). In diesem Sinne bemerkt etwa Maletzke (1998, 18 f.), dass sich der – im deutschsprachigen Raum vor allem seit den 1990er Jahren – inzwischen Kommunikationswissenschaft nennende universitäre 62 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Kommunikationswissenschaft: Ein primär massenmedial ausgerichtetes Fach

Fachbereich ursprünglich praktisch nur mit massenmedial vermittelter Kommunikation (»Massenkommunikation«) befasst habe; unter weitestgehender Kaumbeachtung des Phänomens zwischenmenschlicher (interpersoneller) Kommunikation. Dies habe sich zwar inzwischen insofern geändert, als man »heute mehr oder weniger alle Formen von Kommunikation in die Forschung und Lehre mit ein [bezieht], doch herrscht die frühere Gewichtsverteilung immer noch vor.« In ähnlicher Weise vermerkt Burkart (2002, 489), dass der »traditionell-klassische Ausschnitt der kommunikativen Wirklichkeit, den die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft immer schon zu ihrem Erkenntnisgrad hochstilisiert hat, … der Bereich der Massenkommunikation [ist].« Entsprechendes ist dem Selbstverständnispapier der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) zu entnehmen: »Im Zentrum des Faches« – so heißt es da – »steht die indirekte, durch Massenmedien vermittelte, öffentliche Kommunikation.« (DGPuK 2008, 3) Schon hier scheint der Hinweis auf einen – vielfach zu wenig beachteten – Sachverhalt vonnöten: Dem Umstand, dass – wie sehr auch immer die durch Massenmedien vermittelte öffentliche Kommunikation ins Zentrum des Faches Kommunikationswissenschaft rückt – dieses Verständnis von durch (Massen-)Medien vermittelter öffentlicher Kommunikation dennoch stets auf einem jeweils zu Grunde liegenden Verständnis von personaler (interpersoneller) Kommunikation aufruht (vgl. Kap. A/IX/8). Krallmann und Ziemann verweisen in ihrem Grundkurs Kommunikationswissenschaft (2001, 10) unter Bezugnahme auf Burkart (1998, 18) explizit darauf, wenn sie betonen, dass sich im Rahmen der Kommunikationswissenschaft »auch in der publizistischen Tradition des Faches … die Auffassung finden [lässt], dass massenmediale bzw. öffentliche Kommunikationsprozesse nur dann adäquat und umfassend zu untersuchen und begreifen sind, ›wenn man menschliche Kommunikation grundsätzlich ins Auge faßt, also auch relevante Aspekte der Individualkommunikation beachtet. Zum einen, weil […] Parallelen bzw. Entsprechungen zwischen beiden Realitäten existieren, und zum anderen, weil Wechselbeziehungen nicht bloß evident sind, sondern auch in der bisherigen Fachgeschichte immer wieder eine Rolle gespielt haben‹.« (Vgl. dazu auch Rühl 1985) Wenngleich die Wichtigkeit der Beachtung interpersoneller 63 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

Kommunikation von angesehenen Vertretern des Fachs wie Burkart angemahnt wird, kann dennoch schwerlich behauptet werden, sie zähle (bereits) zum Kernbestand kommunikationswissenschaftlicher Lehre.

3.

Institutionelle Blüte

Eines ist unbestritten: Das universitäre Fach Kommunikationswissenschaft hat im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte einen enormen Aufschwung genommen – und dies weltweit, insbesondere seit den 1940er bzw. 1950er Jahren. Inzwischen firmiert es international unter den verschiedensten »Labels«: Zeitungswissenschaft, Publizistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft, Journalistik; im englischsprachigen Raum: Communication, Communication Research, Mass Communication Research, Journalism. Allein im deutschsprachigen Raum gibt es inzwischen (2014) ca. 100 universitäre bzw. fachhochschulische Studiengänge, die sich hauptsächlich mit Kommunikation und Medien auseinandersetzen 5. Während die unter dem Label Kommunikationswissenschaft firmierenden Einrichtungen – wie oben skizziert – primär empirischsozialwissenschaftlich ausgerichtet sind und analysieren, wie Medien(angebote) entstehen, genutzt werden und wirken, d. h. wie (»öffentliche«) mediale Kommunikation (via Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet, Social Media) vonstatten geht, gelten medienwissenschaftliche Zugänge eher als kulturwissenschaftlich bzw. technisch ausgerichtet; d. h. Medienwissenschaftler untersuchen etwa die Geschichte und Wandlung des Mediums Film. Zudem gibt es zahlreiche Medienstudiengänge, die technisch (Medieninformatik), wirtschaftlich (Medienwirtschaft) oder künstlerisch (Mediengestaltung) spezialisiert sind. Dieser institutionelle kommunikations- bzw. medienwissenschaftliche Aufschwung hängt gewiss auch zusammen mit der (noch immer) zunehmenden Vielfalt bzw. Ausdifferenzierung im Bereich der »Medien-Berufe«, angefangen vom klassischen Journalisten über die PR-Konzeptionistin bis hin zum Mediaplaner usw. Siehe zu aktuellen Studiengängen Kommunikationswissenschaft im deutschsprachigen Raum (2014): http://www.studieren-studium.com/studium/Kommunikations wissenschaften.

5

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Erkenntnisstrukturelle Defizite

4.

Erkenntnisstrukturelle Defizite

Neben der skizzierten institutionellen Blüte des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten sind auf der anderen Seite erkenntnisstruktuelle Defizite des Faches zu konstatieren. Eigenständige bzw. verbindliche kommunikationswissenschaftliche Theorien seien bislang kaum entwickelt worden und der eigentliche Gegenstandsbereich der Disziplin werde – so der allgemeine Tenor – noch immer eher administrativ denn konzeptiv definiert. Angesichts dessen nehme es nicht wunder, dass die Kommunikationswissenschaft bislang außerstande war, einen – so Renckstorf Peters zitierend – »originären, eine akademische Disziplin wirklich begründenden ›body of knowledge‹ zu entwickeln.« (Renckstorf 1995, 9). Zusammen mit Elihu Katz u. a. gab Peters 2002 das Buch Canonic Texts in Media Research mit dem vielsagenden Untertitel: Are There Any? Should There Be? How About These? (Katz/Peters/ Liebes/Orloff 2002) heraus. Woher rührt bzw. worin besteht dieses vielfach beklagte Theoriedefizit in der Kommunikationswissenschaft? Es resultiert nicht einfach – wie fachfremde Beobachter von außen möglicherweise mutmaßen könnten – aus einem Mangel an Theorien. Schon eher lässt es sich durch die Fülle, ja Überfülle von Theorien, Theoriefragmenten bzw. Theoremen erklären. Doch noch grundlegender scheint dafür ein Umstand verantwortlich zu sein, den Herzog (1984, 34) Theorien-Konkurrenz nennt. Was damit gemeint ist, lässt sich anhand eines Disputs aus den 1970er Jahren zeigen, in dem es im Fachbereich Sozialpsychologie ebenfalls um das Problem der Theorieninflation ging. Nachdem Moscovici (1972) Kritik an der ausufernden Fülle an dortigen Theorien geübt hatte, versuchte Irle (1975) dem entgegenzuhalten, dass es auch in der Physik eine Reihe von Teiltheorien gebe. »Irle übersieht hier aber,« – so Rothe (2006, 20 f.) den entscheidenden Unterschied mit Hilfe von Herzog aufzeigend – »dass im Unterschied zur Physik psychologische [bzw. analog dazu kommunikationswissenschaftliche] Theorien nicht für voneinander abgegrenzte Gegenstandsbereiche Gültigkeit beanspruchen, sondern sie ›werden mit dem Anspruch der Geltung für denselben Gegenstandsbereich formuliert, der auch von anderen Theorien abgedeckt werden will. Es ist also die Situation der Theorienkonkurrenz, die für den Zustand der Psychologie [bzw. der Kommunikationswissenschaft] typisch ist‹ (Herzog 1984, 34).« 65 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

Anders ausgedrückt: Theorienkonkurrenz herrscht in dem Maße, als es – um bei den Beispielen zu bleiben – keine grundlegende, allgemein anerkannte Theorie der Psyche oder von Kommunikation gibt. In diesem Sinne schreibt Rothe (2006, 21) mit Bezug auf Holzkamp: »Eine Abgrenzung von Theorien unterschiedlicher Geltungsbereiche voneinander ›setzt gerade eine übergreifende einheitliche Grundbegrifflichkeit voraus, von der aus Konsens über den Geltungsbereich bzw. die Geltungsbedingungen der jeweiligen Theorie in Abhebung von anderen Theorien erreichbar ist. Eine solche klare Abgrenzung ist in der Psychologie [bzw. der Kommunikationswissenschaft] bei ihrem geschilderten gegenwärtigen Zustand gerade nicht möglich (Holzkamp 1977, 5).‹« Von daher rührt der vielfach zu konstatierende Sachverhalt, dass in Einführungswerken eine Reihe von theoretischen Ansätzen referiert werden, ohne dass daraus ersichtlich würde, welcher dieser Ansätze nun zur Beschreibung eines bestimmten Phänomens besser geeignet wäre. Was Holzkamp (1977, 4 f.) diesbezüglich für die Psychologie ins Treffen führt: dass dort Theorie ein bloß »wissenschaftlich unverbindlicher Entstehungs- und Entdeckungsvorgang (›Hypothesengenerieren‹ o. ä.) beim einzelnen« ist, verbunden mit der Folge, »dass es mehrere Theorien zum gleichen Gegenstand gibt, aber keinerlei Methodik, mittels derer entschieden werden kann, welche davon haltbar ist«, lässt sich wohl auch auf die Kommunikationswissenschaft übertragen. In ähnlicher Weise schreibt Weber: »Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung, Segmentierung und auch Selbstreferenzialisierung der Theorie-Debatten in zahlreichen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften (wie etwa Soziologie, Politologie, Medienwissenschaft und Sprachwissenschaft) nehmen auch die Versuche zu, die einzelnen Theorie-Diskurse, -Bündel und -Stränge [bloß] additiv darzustellen.« (Weber 2005, 19) Konsequente Folge dieser strukturellen »Theorienbeliebigkeit« ist die Tendenz, dass sich die (kommunikations-)wissenschaftlichen Standards vermehrt – wenn nicht ausschließlich – auf Methodologie beziehen, hier wiederum insbesondere auf empirische Prüfmethodik (vgl. Rothe 2006, 22 bzw. generell Löblich 2010). Dadurch kann es zu wissenschaftlichen Arbeiten kommen, »die« – um noch einmal Holzkamp (1977, 5) zu zitieren – »unterschiedliche Theorien zur Erklärung verschiedener Aspekte von Befunden heranziehen, ohne die theoretische Inkompatibilität zu sehen, also ganz 66 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Erkenntnisstrukturelle Defizite

eklektizistisch vorgehen, und trotzdem alle wissenschaftlichen Standards erfüllen, denn diese beziehen sich ja nur auf die Methoden. Im Bereich der theoretischen Konzeptualisierung ist also (wenn zu offensichtliche logische Widersprüche vermieden werden) sozusagen ›alles möglich‹«. Anamnetisch lässt sich somit für erste festhalten: Woran es in der Kommunikationswissenschaft aktuell offenkundig mangelt, ist eine umfassende Theoriebildung bzw. eine allgemeine Theorie der Kommunikation, die der Methodik vorgeordnet ist (vgl. Burkart 2002, 13 bzw. Rühl 2008, 13). 6

4.a Es gibt aktuell keine allgemein akzeptierte Vorstellung hinsichtlich des eigentlichen Gegenstandsbereichs des Fachs Kommunikationswissenschaft Damit sind wir bei einer ersten zentralen aktuellen kommunikationswissenschaftlichen Herausforderung angelangt: dem Sachverhalt, dass bislang keineswegs geklärt erscheint, was den eigentlichen Gegenstandsbereich des Faches ausmacht. Das heißt: Es existieren gegenwärtig – wie etwa Giesecke moniert – »keine allgemein akzeptierten Vorstellungen über die Objekte dieser Disziplin (Kommunikationswissenschaft) und ihrer Voraussetzungen, die man in einer Antrittsvorlesung voraussetzen könnte« (IQ: Giesecke 2014). Oder anders – wiederum mit Giesecke (ebd.) – formuliert: • • • •

»Wenn das Kriterium [lautet]: grundlegende elementare Modellvorstellungen, klare Dimensionen des Objektbereichs, spezifische Methoden und gesellschaftliche Akzeptanz dieser Modelle und Methoden …, dann ist die Kommunikationswissenschaft bestenfalls eine Wissenschaft in statu nascendi.«

Auf diese Problemstellung wird in Teil B, Kap. VI (Erneute – nun diagnostische Betrachtung der allgemeinen bzw. kommunikationsspezifischen Tendenzkräfte) zurückgekommen.

6

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IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

4.b Es existiert (bislang) keine verbindliche allgemeine Theorie von Kommunikation Auf dieses Defizit verweisen Krallmann und Ziemann, wenn sie im schon erwähnten Grundkurs Kommunikationswissenschaft (2001, 7) konstatieren: »So sind mit der Zeit viele unterschiedliche Sprach-, Kommunikations- und Sozialtheorien entstanden. Aber aus diesem breiten Spektrum hat sich bis heute weder in der Kommunikationswissenschaft noch in den benachbarten Sprach- und Sozialwissenschaften eine allgemein anerkannte Kommunikationstheorie durchgesetzt.« In ähnlicher Weise bewerten Schmidt und Zurstiege in ihrem Band Orientierung Kommunikationswissenschaft (2000, 32; 22007) die aktuelle Lage der Kommunikationswissenschaft: »Sucht man in Bibliotheken nach dem Handbuch der Kommunikationswissenschaft, das den Wissensstand des Fachs repräsentiert, dann wird man zwar – wie unser Literaturverzeichnis belegt – viele Referenzwerke, Einführungen und Überblicksartikel finden, aber kein verbindliches Standardwerk.« Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die von Schramm 1983 aufgeworfene und von Renckstorf 1995 wiederholte Frage offenkundig weiterhin aktuell ist, »whether we have produced only ingredients of a communication theory. Are the pieces of a general theory of communication lying around us ready to be assembled? Or, for some reason, is a central theory of communication beyond our capability at this time?« (Schramm [1983, 14] zitiert nach Renckstorf [1995, 13]) Treffend drückt Burkart (2002, 413) den status quo hinsichtlich des Fehlens einer allgemeinen Theorie menschlicher Kommunikation aus, wenn er in seinem inzwischen klassisch zu nennenden Werk Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder diesbezüglich anmerkt: »Was fehlt, das ist eine Perspektive, aus der heraus der eigentliche kommunikationswissenschaftliche Objektbereich erst Konturen gewinnt und in den man die Einsichten und Ergebnisse gleichsam ›einordnen‹ kann, damit ihr Stellenwert, vielleicht besser: ihr Problemzusammenhang erkennbar wird.«

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Die fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft

Ähnlich heißt es bei Rühl (2008, 13): »Bis heute fehlt eine übergreifende, theoretische Gesamtkonzeption, mit der die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikationswissenschaft als disziplinäre oder interdisziplinäre Einheit aufzuzeigen wären.«

4.c Es gibt gegenwärtig keine verbindliche/verbindende Deutung des in Frage stehenden Zusammenhangs zwischen Kommunikation und Erkenntnis Ebenso wenig liegt gegenwärtig eine verbindliche/verbindende Deutung des Zusammenhangs zwischen Kommunikation und Erkenntnis vor. Das heißt: es gibt im Rahmen der Kommunikationswissenschaft keine allgemein akzeptierte Vorstellung hinsichtlich dieses »verschränkten« Verhältnisses. Nach dieser ersten Bestandsaufnahme hinsichtlich allgemeiner bzw. kommunikationsassoziierter Tendenzkräfte, eines ersten Überblicks das gegenwärtige Verständnis des Phänomens (und damit des Begriffs) Kommunikation betreffend sowie einer Skizzierung des aktuellen kommunikationswissenschaftlichen status quo sollen – gemäß der oben erwähnten dreischrittigen Vorgangsweise Anamnese → Diagnose → Therapie im Anschluss an Giesecke – offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten aufgewiesen werden, um auf diesem Wege erste gemeinsame Ausgangspunkte zu gewinnen. Dazu soll mit Krallmann/Ziemann (2001) zuerst die fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft ersichtlich gemacht werden.

5.

Die fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft: Wie ist Kommunikation möglich?

Die zunehmende Spezialisierung des Faches Kommunikationswissenschaft lässt vermehrt die Frage nach einem Kerngegenstand bzw. nach einer fachspezifischen Zentralfrage laut werden. Dies umso mehr, als sich die disziplinäre Selbständigkeit der Kommunikationswissenschaft ja zum nicht geringen Teil der Übernahme von Erkenntnissen aus anderen Wissensgebieten wie Philosophie, Soziologie, Anthropologie, Sprachwissenschaften, Psychologie usw. verdankt (vgl. Karmasin/Rath/Thomaß 2014). 69 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IV. Der aktuelle kommunikationswissenschaftliche status quo

Indem die Kommunikationswissenschaft also Theorien/Theoreme, Denkmodelle und Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsbereichen übernimmt, um sie im Bereich der Human-Kommunikation anzuwenden bzw. fruchtbar zu machen, könnte – bei bloß oberflächlicher Betrachtung – konstatiert werden: »Vordergründig bezieht sie [die Kommunikationswissenschaft] ihre Identität aus einem systematischen Eklektizismus und erscheint damit als Parasit der modernen Wissenschaftslandschaft.« (Krallmann/Ziemann 2001, 11 f.) Eine solche Einschätzung greift jedoch zu kurz. Denn die Kommunikationswissenschaft verwendet die adaptierten Einsichten und Modelle/Theorien im Hinblick auf ihren spezifischen Erkenntnis»Gegenstand«. Doch worin besteht dieser? Was macht den fachspezifischen Kerngegenstand der Kommunikationswissenschaft aus? Worin besteht ihr fachliches Alleinstellungsmerkmal? Darauf gilt es in einer ersten Näherung – fast paradox – zu antworten: Den zentralen »Gegenstand« des Faches bildet, wie eingangs erwähnt, gerade kein Gegenstand, kein Objekt (wie etwa Materie in den Fachbereichen Physik oder Chemie), sondern ein relationales Geschehen. In diesem Sinne schreibt Merten: »Kommunikation lässt sich nicht als Objekt dingfest machen, sondern nur als relationale Größe« (Merten 1999, 17; vgl. Burkart 2002, 16). Kommunikation ist dabei jedoch nicht bloß als ein dynamischer Wechselwirkungs-Prozeß anzusehen. Das wäre eine atomare Kettenreaktion auch. Kommunikation stellt darüber hinaus bzw. vor allem ein Beziehungs-Phänomen zwischen kommunizierenden Entitäten (im Regelfall Personen) dar. Diese »relationale Zwischenhaftigkeit« ist der Grund, warum »Kommunikation« – wie Krallmann/Ziemann (2001, 14) schreiben – »[stets] mehr und anderes [ist] als die Summe an Intentionen, Verhaltensabstimmungen, Äußerungen und Handlungseinwirkungen der beteiligten Personen«. Oder anders formuliert – noch einmal mit Krallmann/Ziemann (2001, 14): »Als vollzogenes Ereignis und vom Resultat her betrachtet, ist Kommunikation … etwas … Eigenständiges – … geradezu Emergentes – gegenüber den Einstellungen, Absichten und Zielen der an ihr beteiligten Menschen. … Alles Soziale und Kommunikative weist über die Beteiligten hinaus und gehört schließlich keinem mehr.« (vgl. Kap. C/V/5) Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Schrift die

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Die fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft

fachspezifische Zentralfrage der Kommunikationswissenschaft – mit Krallmann/Ziemann (2001, 17) – wie folgt formuliert: »Die zentrale, sie fundierende wie auch vorwärtstreibende, Problemstellung der Kommunikationswissenschaft lautet: Wie ist Kommunikation möglich? … Wenn wir einleitend dargelegt hatten, dass aller Forschung ein Rätsel, eine Frage, ein Problem vorausgeht und sich dadurch Wissenschaften (be-) gründen, dann kann der Kommunikationswissenschaft eine disziplinäre Identität eben genau durch die genannte exklusive Problemstellung zugeschrieben werden. Mit diesem allgemeinen Problemfokus und allen spezielleren, damit verbundenen Fragen unterscheidet sich die Kommunikationswissenschaft explizit von anderen, sich ebenfalls um die Erforschung menschlichen Handelns und Verhaltens bemühenden Wissenschaften, die sich wiederum von ihren eigenen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen leiten lassen.«

Diesen Problemaufriss von Kommunikation finden wir schon bei George Herbert Mead, einem der amerikanischen kommunikationswissenschaftlichen Pioniere, der an der Wende zum 20. Jahrhundert in Leipzig (bei Wundt) und in Berlin studierte und den menschlichen Geist (mind) – wohl im Anschluss an Georg Simmel, der zu dieser Zeit in Berlin lehrte – nicht (länger) primär individual-psychisch, sondern sozial-kommunikativ begreift, das heißt als etwas, das sich durch Kommunikation entwickelt. Vor diesem Hintergrund wird für Mead – wie Rühl (2008, 168) bemerkt – die Frage essentiell: »Wie ist es menschenmöglich, zu kommunizieren?« Nach der Skizzierung der Unterschiedlichkeit kommunikationswissenschaftlicher Sichtweisen und Zugänge sollen im nächsten Kapitel – als unverzichtbarem Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen – gemeinsame (weil evidente, also keiner expliziten Begründung bedürftige) Voraus-Setzungen aufgewiesen werden. Die Unverzichtbarkeit gemeinsamer Voraussetzungen macht Weber (2005, 14) deutlich, wenn er mit Bezug auf Mitterer schreibt: »Die Suche nach Voraussetzungen des Denkens bedeutet die Suche nach Gemeinsamkeiten innerhalb der einzelnen (theoretischen) Positionen in den Wissenschaften. Die Frage lautet dementsprechend wie bei Josef Mitterer im Hinblick auf die verschiedenen philosophischen Strömungen: ›Was ist allen, auch den gegensätzlichsten Positionen gemeinsam? Was verbindet einen naiven Realisten mit Richard Rorty, was verbindet Paul Feyerabend mit den Kritischen Rationalisten, was könnte Derrida mit seinen Kritikern aus den ›leading departments of philosophy‹ gemeinsam haben?‹ (Mitterer 2001, 16)«.

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V. Offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten im Zusammenhang menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

1.

Der Mensch (erfährt sich als): REAL, RELATIV, RELATIONAL

Als Ausgangspunkt zur Ersichtlichmachung evidenter anthropologischer Grundgegebenheiten – und damit gemeinsamer Ausgangspunkte – im Zusammenhang menschlicher Kommunikation und Erkenntnis sei die offensichtlichste (Vor-)Gegebenheit jedes menschlichen Seins gewählt: das Faktum der je individuellen Selbstwahrnehmung: Jede/r von uns hat – im Sinne einer unhintergehbaren ersten Gewahrung – die Gewissheit der eigenen Existenz, des individuellen Existierens. Diese Selbst-Gewahrung menschlicher Existenz ist nun dadurch gekennzeichnet, dass sich der einzelne in je spezifischer Weise wahrnimmt/erlebt hinsichtlich seines individuellen SO-Seins, (örtlich) bedingten DA-Seins 1 und beziehungshaften MIT-Seins. Oder anders ausgedrückt: Menschliches Sein nimmt sich stets zugleich wahr als REAL (wirklich), RELATIV (bedingt) und RELATIONAL (bezogen/ kommunizierend). Wohlgemerkt: in(nerhalb) der Wirklichkeit, nicht etwa (nur) vor oder außerhalb von dieser. Denn niemand kann der Wirklichkeit – in ihrer Gänzlichkeit – gegenüber treten, immer ist/bleibt jeder stets (auch) Teil davon. Wir treten stets immer bloß einer bestimmten Erscheinungsform von Wirklichkeit gegenüber, währenddessen wir

1 Jedes individuelle menschliche Sein ist insofern notwendigerweise bedingt durch bzw. bezogen auf bestimmte Stand-Orte in der Wirklichkeit, wobei damit nicht nur die jeweils aktuellen »äußerlich« gegebenen raumzeitlichen Verortungen gemeint sind, sondern in gleicher Weise die verschiedenen Stellungen bzw. »Sozialorte«, die jemand im Rahmen einer Gesellschaft bzw. Gemeinschaft innehat.

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Die Welt-Bezogenheit des Menschen

gleichzeitig von der Wirklichkeit umfasst bleiben (vgl. Jaspers 1973, insb. 47–224) 2 bzw. um die Frage nach dem Ganzen wissen.

2.

Die Welt-Bezogenheit des Menschen

Weltbezogenheit meint den Umstand, dass sich der Mensch (auch) zum Ganzen der Wirklichkeit nicht nicht verhalten kann, d. h. (je) der Mensch nicht umhin kann, das Seins-Ganze zu (be)deuten. Damit ist unter anderem die Unumgänglichkeit des Habens einer Kommunikations- und Erkenntnis-Theorie 3 verbunden, die in alle menschlichen Handlungen stets mit einfließt – wie bewusst dies dem Einzelnen auch sein mag. 4 Mit anderen Worten: Wo Mensch ist, ist (notwendigerweise) Philosophie im Sinne ich-bewussten Bezogenseins auf das Ganze der Wirklichkeit bzw. Reflexion darüber. Demzufolge ist der Mensch seiner spezifischen Strukturierheit nach offen für das (Seins-)Ganze und kann als sich selbst-bewusste »Welt im Kleinen« z. B. nicht umhin, seinen – in historischen Relationen gesehen – winzigen »Individual-Kosmos«, sein (meist) völlig unscheinbares geschichtliches Dasein, in ein Verhältnis zur ganzen (»großen«) Menschheits- bzw.

Karl Jaspers spricht in diesem Zusammenhang vom Umgreifenden, das er mit dem Sein gleichsetzt. 3 Gerade im Sinne einer umfassenden Bewertung der Phänomen-Zweieinheit Kommunikation und Erkenntnis. 4 Darauf Bezug nehmend schreibt Jaspers (1978, 34 f.): »Ein wunderbares Zeichen dafür, daß der Mensch als solcher ursprünglich philosophiert [auf Welt hin angelegt ist] sind die Fragen der Kinder. Gar nicht selten hört man aus Kindermund, was dem Sinne nach unmittelbar in die Tiefe des Philosophierens geht. Ich erzähle Beispiele: Ein Kind wundert sich: ›Ich versuche immer zu denken, ich sei ein anderer, und bin doch immer wieder ich.‹ Dieser Knabe rührt an einen Ursprung aller Gewißheit, des Seinsbewußtseins im Selbstbewußtsein. … Ein anderes Kind geht zum Beispiel eine Treppe hinauf. Es ist ihm gegenwärtig, wie doch alles immer anders wird, dahinfließt, vorbei ist, als ob es nicht gewesen wäre. ›Aber es muß doch etwas Festes geben können … Daß ich jetzt hier die Treppe zur Tante hinaufgehe, das will ich behalten.‹ Das Staunen und Erschrecken über die universale Vergänglichkeit im Hinschwinden sucht einen … Ausweg. Wer sammeln würde, könnte eine reiche Kinderphilosophie berichten. … Kinder besitzen oft eine Genialität, die im Erwachsenwerden verlorengeht. Es ist, als ob wir mit den Jahren in das Gefängnis von Konventionen und Meinungen, der Verdeckungen und Unbefragtheiten eintreten …«. 2

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V. Offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten

Weltgeschichte zu setzen (wie unterschiedlich bewusst dies auch jeweils geschehen mag). 5 So kann festgestellt werden: In alle Handlungen (je)des Menschen fließt stets dessen Be-Deutung des Ganzen mit ein: ja, der Mensch kann gar nicht nicht »weltlos« (d. h. nur umweltbezogen) handeln; all seine subjektiven Handlungsakte resultieren aus »weltbedeutendem« Hintergrund. 6 Wenn dabei die Termini »Weltanschauung« bzw. »Weltbild« vermieden werden, dann deshalb, um nicht zu suggerieren, es ließe sich ein widerspruchsfrei-anschauliches Bild des Seins-Ganzen gewinnen, was nicht einmal im Bereich des Allerkleinsten, der Quantenwelt, möglich ist (vgl. Kap. C/III/1). Vielmehr ist von einer grundsätzlichen Un-Anschaulichkeit von »Welt« (im Sinne des Seins-Ganzen) auszugehen; wir bekommen immer nur Ausschnitte, Teilaspekte, Fragmente des Ganzen in den Blick, nie das Ganze selbst, nicht einmal als widerspruchsfreies Modell (vgl. Kap. C/V). Erst vor diesem Hintergrund wird die folgende Aussage von Hahn (2013, 12) verständlich: »Wir müssen … zwischen Philosophie und Weltanschauung sehr präzise unterscheiden. Adorno hat seinerzeit den Wahn, sich eine Weltanschauung zuzulegen, verächtlich als kleinbürgerliches ›Hobby‹ abgetan, dessen Ziel vor allem darin bestünde, sich des autonomen Denkens zu entschlagen, sobald man sich im Besitz einer einheitlichen, lückenlosen [und widerspruchsfreien] Erklärung des Welt-Ganzen wähne. Tatsächlich gilt die Weltanschauung der Beendigung des Fragens, während wahrhafte Philosophie Beispielhaft vollführte dies mein geschätzter Lehrer Josef Brettenthaler in seinem Werk Salzburgs SynChronik. Eine gleichlaufende Darstellung historischer Ereignisse und Daten der Stadt und des Landes Salzburg in Beziehung gesetzt zur Geschichte Österreichs, des deutschen Raumes und der Welt (Salzburg 1987, 2. erweiterte Aufl. 1999). 6 Auf diesen Umstand verweist Joseph Ratzinger in seinem – über die theologischen Grenzen hinaus bekannten – Werk Einführung in das Christentum, wenn er – in Bezug auf die (Natur-)Wissenschaft – feststellt: »Den bloßen Beschauer gibt es nicht. Die reine [subjektlose] Objektivität gibt es nicht. Man wird sogar sagen können: Je höher ein Gegenstand menschlich steht, je mehr er ins Zentrum des Eigenen hineintrifft und das Eigene des Beschauers mitengagiert, desto weniger ist die bloße Distanziertheit der reinen Objektivität möglich. Wo immer sich also eine Antwort als leidenschaftslos objektiv gibt, als die Aussage, die … bloß sachlich wissenschaftlich aufklärt, muß man sagen, daß hier der Redende einem Selbstbetrug verfallen ist. … In der Antwort ist immer ein Stück der Frage und des Fragenden selbst anwesend, sie spiegelt nicht nur die Natur in ihrem In-sich-sein, in ihrer reinen Objektivität, sondern gibt auch etwas vom Menschen, von unserem Eigenen wieder, ein Stück menschlichen Subjektes.« (Ratzinger 1968, 135 f.) 5

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Zeit, Raum und Materie

unter je neuen Perspektiven die alten Fragen immer wieder in neuen Worten zu stellten hätte.« (Vgl. dazu auch Rosenzweig 1964, 64)

Im weiteren Verlauf der Arbeit (B/I/5) werden Beantwortungsversuche auf die Frage nach dem Seins-Ganzen aus der Sicht verschiedener Geisteskulturen skizziert, nicht zuletzt, um dadurch das Spezifische der abendländischen Wirklichkeitsauffassung besser in den Blick zu bekommen.

3.

Zeit, Raum und Materie als Determinanten menschlichen Erkennens und Kommunizierens

Bevor wir darangehen zu klären, was menschliche Kommunikation zu menschlicher Kommunikation macht, wollen wir uns zuvor darüber Klarheit verschaffen, an welchen nicht-spezifisch-menschlichen Kommunikations-Gestalten der Mensch (auch) Anteil hat. In diesem Zusammenhang ist vorerst auf Determinanten menschlichen Kommunizierens bzw. Erkennens hinzuweisen, die – wahrscheinlich auf Grund ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit – selten eigens thematisiert werden. Es sind dies die Grundphänomene Zeit, Raum und Materie. Diese Trias bildet gleichsam den (offensichtlichen) formalen »Seins-Rahmen«, innerhalb dessen sich menschliches, ja alles beobachtbare Dasein vollzieht. Alles was (beobachtbar, d. h. empirisch fassbar) ist, so sagt uns die moderne Physik, ist in Zeit, in Raum und in Materie. Daraus lassen sich folgende Grund-Sätze ableiten: • Es gibt kein raumloses Sein in Zeit, weil alles was ist, (auch) materialiter ist. • Es gibt kein zeitloses Sein in Materie, weil alles was ist, sich (auch) verräumlicht. • Es gibt schließlich kein materieloses Sein in Raum, weil alles, das ist, (auch) temporaliter ist. Daraus lässt sich folgern: Zeit »ist« die Geschehens-Abfolge der Materie im Raum. Raum »ist« der Geschehens-Ort der Materie in der Zeit. Materie »ist« das Geschehens-Objekt in der Raumzeitlichkeit.

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V. Offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten

(Auch) der Mensch kann infolgedessen – ohne dabei auf seine spezifischen Strukturiertheiten einzugehen – allgemein formuliert als ein solches Geschehens-»Objekt« in Raum und Zeit verstanden werden.

4.

Der Mensch: ein kommunizierendes und erkennendes Wesen

Wenn Gerhard Maletzke in seinem klassischen Werk Psychologie der Massenkommunikation Kommunikation als »Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen« definiert (Maletzke 1963, 18), so sagt er damit etwas Zutreffendes hinsichtlich der spezifischen Beziehungsund Erkenntnishaftigkeit lebendiger Entitäten – in Abgrenzung gegenüber allen Formen von abiotischen physiko-chemischen Interaktionen 7; seien dies Wechselwirkungsprozesse zwischen Atomen, Planeten oder datenverarbeitenden Maschinen. Steht Interaktion (bzw. Wechselwirkung) für naturgesetzlichnotwendige kausale Ablaufsfolgen, meint Kommunikation (bzw. Erkenntnis) ein Geschehen, das mit Freiheitsgraden verbunden ist, weil es stets mit – in einem sozialen Feld – »agierenden Subjekten« verbunden gedacht wird (vgl. Kap. C/II/1). Kurz: KOMMUNIKATION 6¼ INTERAKTION. Doch damit ist noch nichts hinsichtlich spezifisch-menschlicher Kommunikation (bzw. Erkenntnis) ausgesagt. Denn auch Tiere »erkennen« einander und »kommunizieren« offenkundig miteinander. Man denke etwa an die vom Österreicher Karl von Frisch entschlüsselte sogenannte »Bienensprache«, wofür er 1973 den Nobelpreis erhielt (vgl. etwa Frisch 1967, Frisch 1970 bzw. Wilson 1973).

In analoger Weise begreift Burkart (2002, 20) Kommunikation zunächst – im expliziten Anschluss an Maletzke – als »Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen«. »Damit klammert man« – so Burkart wörtlich – »bereits all jene kommunikativen Vorgänge aus, die zwischen ›Nicht-Lebewesen‹ (wie z. B. datenverarbeitenden Maschinen) ablaufen, und rückt soziale Kommunikationsprozesse in den Mittelpunkt des Interesses.«

7

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Erkenntnisweisen des Menschen (nach Pietschmann)

5.

Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen des Menschen (nach Pietschmann)

Dass der Mensch ein erkennendes Wesen darstellt, kann als banales offen-sichtliches Faktum betrachtet werden. Schon etwas weniger augenscheinlich ist der Umstand, dass der Mensch dabei sowohl zu multimedialer wie zu multidimensionaler Erkenntnis fähig ist. Rothe (2006, 10) schreibt dazu: »Eigentlich ist ›Face-to-Face-Kommunikation‹ eher eine irreführende Bezeichnung, denn es ist nicht nur das Gesicht, über das wir kommunizieren, sondern wir kommunizieren in und durch unseren Leib, mit Mimik, Gestik, der Stimme, der Körperhaltung und Körperbewegung sowie den Augen in Blickkontakt.« Gerade im Zusammenhang einer wissenschaftlichen Arbeit erscheint es angebracht, explizit auf grundsätzlich zu differenzierende (nicht explizit-wissenschaftliche) menschliche Erkenntnisweisen einzugehen. Dazu soll das nachstehende Schema (Abbildung 4) des theoretischen Physikers und Wissenschaftshistorikers Herbert Pietschmann zu Hilfe genommen werden.

Mathematik, Formalwissenschaften

Richtig

Naturwissenschaften, Kulturwissenschaften

Sicher Wahr

Philosophie, Theologie Lebenspraxis

Abbildung 4: Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen nach Pietschmann (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 109)

Mit Pietschmann (2007, 243 ff.) soll dabei zwischen folgenden drei Erkenntnisweisen unterschieden werden: Jener der Mathematik bzw. der Formalwissenschaften: hierbei kann zwischen richtig und falsch unterschieden, d. h. etwas formal-logisch bewiesen/widerlegt werden; jener der (Natur-)Wissenschaft: hier kann zwischen sicherem und 77 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

V. Offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten

ungesichertem Wissen differenziert, d. h. hypothetische Annahmen (mittels Experiment) verifiziert bzw. falsifiziert werden; und schließlich jener von Philosophie, Theologie bzw. Lebenspraxis: hier lautet die Differenz wahr/unwahr; Erkenntnis resultiert hier aus personalen Seinsvollzügen bzw. beruht auf – prinzipiell bezweifelbaren – Denkgrundlagen. Zahlreiche erkenntnistheoretische Probleme bzw. Missverständnisse rühren nun – unabhängig vom jeweiligen Erkenntnisgegenstand – allein daher, dass die mit den skizzierten Ebenen verbundenen prinzipiellen Erkenntnisgrenzen nicht erkannt bzw. beachtet werden. So können z. B. (natur-)wissenschaftliche Erkenntnisse nicht – im Sinne der Mathematik – (logisch) bewiesen werden und sind folglich in diesem Sinne niemals »richtig«. 8 Umgekehrt stellen demnach mathematisch »richtige« Aussagen (z. B. 3 + 4 = 7) keine »wahren« Aussagen bzw. Sätze dar (wie vielfach zu lesen). Ebensowenig handelt es sich beim »gesicherten Wissen« der Wissenschaft um »wahre« Erkenntnis, sondern allein um gesichertes (weil experimentell immer wieder bestätigtes wiederholbares) Wissen hinsichtlich bestimmter Ablaufsfolgen. Eine weitere Gestalt der Missachtung der skizzierten Differenzierung bilden pseudo- bzw. säkularreligiöse Heilslehren sowie »fundamentalistische« Deutungen traditioneller religiöser Überlieferungen sowie individuelle »fixe Ideen«. Hierbei werden die ErkenntnisDimensionen der Mathematik (richtig/falsch) bzw. der Naturwissenschaft (sicher/ungesichert) instrumentalisiert, um eine politische bzw. religiöse Idee »wisserisch« zu untermauern. Die am schwersten als solche erkennbare, jedoch gegenwärtig wohl kulturprägendste »Erkenntnis-Grenzüberschreitung« stellt die »szientistische« dar. Hierbei wird dem Menschen weithin die Wahrheits(erkenntnis-)fähigkeit abgesprochen und insofern – nolens voPietschmann macht in diesem Zusammenhang auf den analogen Unterschied zwischen Zahl und Messgröße aufmerksam, wenn er schreibt: »Der Unterschied zwischen Zahl und Meßgröße ähnelt dem Unterschied zwischen Mathematik und Naturwissenschaft; erstere zielt als Formalwissenschaft [ohne realen »Außenbezug«] auf beweisbare Sätze, letztere sucht nach allgemein gültigen Gesetzen in der verwirrenden Fülle verschiedener Naturvorgänge, die sich in ihrer Einmaligkeit niemals exakt wiederholen [und sich insofern auch im Experiment niemals exakt wiederholen lassen]. Wer diesen Unterschied in seiner ganzen Tragweite nicht zu erkennen vermag, wird wohl kaum ein Verständnis der naturwissenschaftlichen Methode erreichen können.« (Pietschmann 2007, 101) 8

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Erkenntnisweisen des Menschen (nach Pietschmann)

lens – allein das »wissenschaftliche Wissen« als übersubjektiv-verbindliche Erkenntnis anerkannt. Diese Gestalt hat nicht zuletzt deshalb so suggestiven Charakter, weil als Garant nicht nur mathematische Richtigkeit fungiert, sondern darüber hinaus das – im Experiment – gewonnene gesicherte Wissen (vgl. Kap. B/III/5&7).

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten hinsichtlich der spezifisch-menschlichen Kommunikations-/Erkenntnis-Gestalt

1.

Die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein / Wort-Sprache

Fragen wir nach offensichtlichen Spezifika von Humankommunikation, stoßen wir unweigerlich auf zwei Phänomene, die sich gegenseitig zu bedingen scheinen: Ich-Bewusstsein und Wort-Sprache. 1 Je nach Zugang liegt die Betonung entweder mehr auf dem Aspekt der Sprache oder jenem des menschlichen Bewusstseins. Burkart etwa (2002, 18) betont in der Einleitung seines Werkes Kommunikationswissenschaft die zentrale Wichtigkeit des Kommunikationsmittels (Wort-)Sprache, um das Spezifische menschlicher Kommunikation in den Blick zu bekommen: »Zunächst muß es darum gehen, den Kommunikationsprozeß in seinen Grundzügen zu reflektieren, und einen Kommunikationsbegriff zu entwickeln, der die spezifische Qualität der Humankommunikation zu erfassen vermag … Dazu erscheint es notwendig, sich auch etwas näher mit dem für den Menschen typischen und zugleich am höchsten entwickelten Kommunikationsmittel, mit der Sprache …, auseinanderzusetzen.«

Ziegler weist auf beide grundlegenden Phänomene hin, wenn er in Bezug auf das Phänomen des Informationsaustauschs schreibt: »In der Fachliteratur wird unter ›Kommunikation‹ üblicherweise der ›Austausch von Informationen‹ verstanden. Die Tatsache, daß Information getauscht wird, gilt für tierische Kommunikation genauso wie für menschliche Kommunikation, sie gilt sogar im Bereich künstlicher kybernetischer Maschinen. Will man also menschliche Kommunikation theoretisch beschreiben, dann wäre auch anzugeben, wie sich hier die Struktur der Information und der Informationsverarbeitung von anderen Systemen unterscheidet und wie damit die Struktur des menschlichen Informationsaustausches Zum Spezifischen menschlicher Wort-Sprache gegenüber den »sprachanalogen« Verständigungsmöglichkeiten der Tiere bzw. des Nicht-Menschlich-Lebendigen vgl. Gipper 1977, Labudda 2005.

1

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Die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein / Wort-Sprache

selbst wieder spezifisch charakterisiert ist – kurz, es wäre anzugeben, was menschliche Kommunikation überhaupt als menschlich auszeichnet. Dies ist gewiß kein einfaches Unterfangen. Immerhin läßt schon die alltägliche Erfahrung ahnen, daß in diesem Zusammenhang die menschliche Sprache und das menschliche Bewußtsein eine entscheidende Rolle spielen.« (Ziegler 1978, 13 f., Kursiv. E. H.)

Wie nun genauerhin der augenscheinliche Zusammenhang Ich-Bewusstsein/Wort-Sprache zu bestimmen ist, muss bei diesem ersten anamnetischen Hinblick noch offen bleiben, zu unterschiedlich sind die diesbezüglichen Ansichten. Gleichwohl können folgende – auf der Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein/Wort-Sprache basierende – augenscheinlich spezifischmenschliche Kommunikations-Vermögen festgehalten werden: Wortsprachliche Human-Kommunikation ist – auf Grund des nicht an das Hier und Jetzt gebundenen Ich-Bewusstseins – nie nur auf das gegenwärtig-aktuelle Geschehen fixiert, sondern ständig auch gekennzeichnet durch die – mehr oder weniger – bewusste (Mit-)Vergegenwärtigung von Nicht-Gegenwärtigem. Das »Mitteilungspotenzial« ist im Falle sprachlicher HumanKommunikation beinahe unendlich umfangreich, da nicht die begrenzte Anzahl der Laute die Grenze der Bedeutungsvermittlungsmöglichkeit darstellt, sondern die Anzahl an möglichen Kombinationen von Lauten bzw. sonstigen sprachlichen Äußerungen in Gestalt von sinnvollen, d. h. bedeutungsbehafteten Sätzen, – und diese ist im Grunde unbegrenzt. 2 Mit anderen Worten: Nicht die relative Vielfalt an (Laut-)Äußerungsmöglichkeiten macht sprachliche Human-Kommunikation so herausragend, sondern der Umstand, dass die verschiedenen Laute bzw. Äußerungsgestalten nicht mit bestimmten Sachverhalten (Bedeutungen an sich) verknüpft, sondern die einzelnen Lautelemente an sich bedeutungsfrei sind 3, d. h. erst durch die Zusammenfügung Auf diesen Umstand verweist Burkart (2002, 77) wenn er – unter Bezugnahme auf Döhn (1979, 206) – schreibt: »[Die menschliche Wort-] Sprache erweist sich v. a. ›allen anderen Medien der Kommunikation gegenüber unendlich überlegen‹ … Diese Überlegenheit kommt u. a. darin zum Ausdruck, daß sie es ermöglicht, ›aus einer begrenzten Anzahl von Lauten eine praktisch unbegrenzte Anzahl von Sätzen hervorzubringen‹. Erst dadurch kann man ja ›eine praktisch unbegrenzte Anzahl verschiedenartiger Informationen übermitteln und miteinander verknüpfen‹.« (vgl. Benjamin 1992) 3 So bezeichnen die einzelnen Selbst- bzw. Mitlaute eigentlich an sich nichts; erst 2

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

Bedeutung erlangen. Dabei stellen nicht die einzelnen Wörter, sondern der (je einzelne) Satz – als die Bezeichnungsganzheit eines Seins- bzw. Sachverhaltes – das eigentlich Sinn- bzw. Bedeutungsvolle dar. Auf diesen Umstand verweist Wucherer-Huldenfeld (1985, 42) in seinem Werk Personales Sein und Wort, in dem er – im Abschnitt Das verbale Satzverständnis (40–47) – den Grundgedanken des dialogischen Denkers Ferdinand Ebner (vgl. Kap. C/V3b) darlegend, bemerkt: »Wie auch immer die Ursprungsfrage bestimmter Wortarten beantwortet werden mag: ›Am Anfang der Sprache war jedenfalls der Satz‹ [Hervorhebung E. H.].«

Der – sich selbst bewusste und dadurch intentional handlungsfähige – Mensch ist somit nicht nur in der Lage, sich durch verschiedene sprachliche Äußerungsgestalten Information(en) über bestimmte gegenwärtige Sachverhalte anzueignen bzw. mitzuteilen, – er kann darüber hinaus Sachverhalte (die nicht unbedingt gegenwärtig sein müssen) selbst bezeichnen, benennen bzw. diese Bezeichnungen kommunizieren. In diesem Sinne bemerkt Burkart (2002, 76 f.): »Der Mensch … kann mit Hilfe sprachlicher Symbole nicht nur Bedeutungen, sondern … auch Bezeichnungen vermitteln. … Ohne diese Bezeichnungsleistung der menschlichen Sprache könnte man sich in sämtlichen Mitteilungen ›nur auf Gegenstände beziehen, die in dem Augenblick der Mitteilung im Wahrnehmungsraum von Sprecher und Hörer konkret anwesend sind …‹, jede Mitteilung ›wäre gebunden an das Hier und Jetzt; die Dimension der Vergangenheit und Zukunft wäre ausgeschlossen‹ (Pelz 1975, S. 16).«

Das bedeutet: Erst im Falle der »verschränkten« Vorgegebenheit von Ich-Bewusstsein und Wort-Sprache bildet der Laut bzw. eine andere Mitteilungsgestalt nicht (primär) ein »instinkthaftes« Verhaltenssignal, sondern eine zielgerichtet-intentionale (Bezeichnungs-)Handlung, d. h. ein Wort. 4 durch deren bewusste Aneinanderfügung zu Wörtern bzw. Sätzen werden sie zu sinnvollen (weil intentional-bewussten, zielgerichteten) Chiffren. 4 In diesem Sinne bemerkt Ebner, dass der Mensch erst dadurch Mensch sei, dass er ein sprechendes Wesen ist, dass er das ›Wort hat‹, ja – so Ebner (1963b, 960) wörtlich – den »Umstand, daß der Mensch das Wort hat, daß er ein sprechendes Wesen ist, erachte ich für das bedeutsamste, ergründungswürdigste Moment in der ganzen menschlichen Existenz« (vgl. Wucherer-Huldenfeld 1985, 29 f. bzw. 180 ff.).

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Die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein / Wort-Sprache

Wilhelm von Humboldt (1972, 11), einer der großen Sprachtheoretiker des 19. Jahrhunderts, weist auf dieses unabdingbare Miteinander von Ich-Bewusstsein (Menschsein) und (Wort-)Sprache hin, wenn er scheinbar paradox formuliert: »Der Mensch ist nur Mensch durch die [Wort-]Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, mußte er schon Mensch sein« 5, d. h. ein Ich-Bewusstsein haben. Anders ausgedrückt: Wo Wort-Sprache, da Selbst-Bewusstsein, wo Selbst-Bewusstsein, da Wort-Sprache, kommunikatives Handeln. 6 Mit der Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein/Wortsprache bzw. der Dass die damit verbundende Frage nach dem Sprachursprung/der Sprachentstehung bzw. dem »Auftauchen« menschlichen Ich-Bewusstseins rein anamnetisch nicht beantwortet werden kann, soll anhand des nachfolgenden Zitats von Wucherer-Huldenfeld (1985, 135) deutlich werden, der in Bezug auf obige Formulierung von Humboldt – die Ebner meinte für seine pneumatologisch-dialogische Konzeption als unterstützendes Argument ins Treffen führen zu können – schreibt: »Daß Humboldt hierin [durch sein Diktum ›Der Mensch ist nur Mensch durch die Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, mußte er schon Mensch sein‹] einen Ausweg aus dem ›Zirkel‹ [was war zuerst: Ich-Bewusstsein oder Sprache], den die Pneumatologie [Ebners] sieht, im Sinne gehabt … und ›die Bedeutung der Sprache in der Geistigkeit ihres Ursprungs‹ ([Ebner 1963a]I, 86) im Sinne Ebners wohl auch gesehen haben mag, ist sicher ein Mißverständnis, denn Humboldt betont zwar, daß die Sprache ›unmittelbar in den Menschen gelegt‹ keine Erfindung, kein ›Werk eines Verstandes in der Klarheit des Bewusstseyns ist‹ (Werke III, 10), aber sie wird verstanden, weil ihr ›Typus [ihre Grundform im Ganzen bzw. das die ›Functionen der Denkkraft‹ bedingende Gesetz] schon in dem menschlichen Verstande vorhanden‹ ist, wodurch sie ›Product (…) der Natur der menschlichen Vernunft‹, ›Werk des Vernunftinstincts‹ (ebd., 10 ff.) ist, also ein Akt des Geist-Subjekts, keineswegs die pneumatologische Gegebenheit des Wortes in seiner Göttlichkeit.« 6 »Handeln« meint dabei, dass der Mensch in der Lage ist, sein Verhalten, sein Tun selbstbewusst zu bedeuten, ihm einen Sinn zu verleihen bzw. sich darin (vor)zu finden. In diesem Sinne bestimmte Max Weber bekanntlich »Handeln« als »dasjenige menschliche Verhalten, welches der jeweils handelnde Mensch mit subjektivem Sinn verbindet. Dabei ist es einerlei, ob es sich dabei um ein äußeres (motorische Aktivitäten) oder innerliches ›Tun‹ (Denken, Fühlen …) handelt; auch ein bewußtes Unterlassen einer Aktivität (oberflächlich betrachtet: ein ›Nichts-Tun‹) oder ein bewußtes Dulden (von Zuständen, von Verhaltensweisen anderer etc.) ist in diesem Sinne als menschliches Handeln zu begreifen« (Weber zitiert nach Burkart 2002, 23). Analog heißt es bei Burkart (ebd., 23) selbst: »Mit Hilfe des Handlungsbegriffs läßt sich der intentionale Charakter menschlichen Tuns hervorheben: indem der Mensch seinen Handlungen ›subjektiven Sinn‹ beimißt, ihnen also bestimmte Bedeutungen gibt, verbindet er bewußt ganz bestimmte Zielvorstellungen mit seinen Aktivitäten.« Warum allerdings mit dem Sachverhalt der selbstbewussten Sinn- bzw. Zielgerichtetheit menschlichen Handels dieses Handeln – wie Burkart weiter unten (23) schreibt – »nicht Selbstzweck, … sondern stets Mittel zum Zweck ist«, ist mir nicht einsichtig. 5

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

damit verbundenen Handlungsfähigkeit/-Notwendigkeit ist schließlich der oben schon erwähnte Umstand gegeben, dass sich der Mensch zum Ganzen (des Seins) verhalten muss, d. h. er auf Welt hin angelegt ist, nicht bloß auf Um-Welt. Ein Bewusstsein seiner selbst bzw. (damit) »das Wort haben« heißt also zugleich »Welt« zu haben, nicht bloß in Um-Welt zu sein. Insofern ist die mit der Wort-Sprache dem Menschen gegebene Bezeichnungsfähigkeit der Wirklichkeit stets (immer auch) Welt-Bezeichnungsfähigkeit. Warum ist das so? Dies ergibt sich infolge des Umstandes, dass der Mensch – mit dem Wissen um sich und der damit verbundenen Fähigkeit, alles ihm ins Bewusstsein Kommende zu bezeichnen, zu benennen – auch notwendigerweise um die Frage (bzw. um das Problem) des Ganze(n) weiß, d. h. er ein Welt-Verständnis haben muss. Das Wort haben heißt zugleich Welt haben. Anders formuliert: Die Fähigkeit zur Wort-Sprache bedeutet das Vermögen, Welt form(ulier)en zu können. Wortsprachvermögen ist Weltformulierungsvermögen. Welt formulieren zu können, bedeutet dabei zugleich Welt formulieren zu müssen. Weltbezeichnungs-Fähigkeit ist zugleich Weltbezeichnungs-Notwendigkeit. Mit anderen Worten: Die Fähigkeit zur Welt-Bezeichnung ist etwas, dessen sich niemand entschlagen kann: jedem bleibt nur die Wahl, (in)wie(fern) er Welt – d. h. seine Vorstellung vom Seins-Ganzen – bezeichnet, nicht ob er Welt bezeichnet. Auf die Unmöglichkeit, sich von diesem spezifisch-menschlichen (Kommunikations-)Vermögen des Verhaltens zum Seins-Ganzen bzw. der Wirklichkeits-Bezeichnung – was immer der Einzelne darunter auch verstehen mag – zu dispensieren, macht Martin Buber (1948a, 118 f.) in seinem Band Das Problem des Menschen aufmerksam, wenn er schreibt: »Das dreifache Lebensverhältnis des Menschen ist: sein Verhältnis zur Welt und den Dingen, sein Verhältnis zu den Menschen, und zwar zu den einzelnen wie zur Vielheit, [und] sein Verhältnis zu dem zwar auch durch all dies

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Ich und Du und Wir

Immanente unendlich transzendierende Geheimnis des Seins, das der Philosoph das Absolute und der Gläubige Gott nennt, das aber auch für den, der beide Bezeichnungen verwirft, nicht faktisch aus seiner Situation ausgeschaltet werden kann.«

Auch derjenige, der sich in seine biedermeierliche Privat-Welt zurückzieht, kommt nicht umhin, Welt – als das für ihn Ganze des Seins – zu benennen; eben weil er als Mensch um die Frage des (Seins-) Ganzen weiß bzw. einen mit ihm gegebenen »Rest« an Wirklichkeit bewusst erfährt (sich mit diesem konfrontiert erlebt), der nicht mit ihm identisch ist. 7 Wie jedoch dieser Zusammenhang Ich-Bewusstsein/Wort-Sprache, der kommunikatives Handeln des Menschen – vor dem Hintergrund der Frage nach dem Ganzen – ermöglicht, grund-legend zu bestimmen ist, muss – wie vorhin schon erwähnt – fürs erste unbeantwortet bleiben (vgl. dazu Kap. B/I/7). Analoges gilt für das folgende evidente spezifische Element im Kontext der Human-Kommunikation: Der Sozietätsdimension menschlicher Wort-Sprache in Gestalt der Ich-Du/ Wir-»Verschränkung«.

2.

Ich und Du und Wir: Die spezifische Sozietätsdimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

Neben der »Verschränktheit« zwischen Ich-Bewusstsein und WortSprache bildet ein zweites offensichtliches Element der menschlichen Kommunikations- bzw. Erkenntnis-Gestalt die spezifische Weise von Mit-Sein, in die der Mensch als Mensch gestellt ist. Er ist – bedingt durch sein Vermögen, um sich zu wissen bzw. das »Wort zu haben« – nicht nur Sozialwesen 8, sondern auf Gemeinschaft angelegtes Kulturwesen. Mit Tenbruck (1983, 257) formuliert: »Wir [Menschen] sind nicht Naturwesen, denen das weitere Vermögen der Vernunft [bzw. der Wort-Sprache] verliehen ist; vielmehr sind wir nur dadurch lebensfähig, weil wir von Natur aus Kulturwesen sind.«

Dabei ist natürlich die jeweilige Be-Deutung des Seins-Ganzen maßgeblich beeinflusst vom jeweiligen kulturell-geistigen Umfeld, in dem der/die Betreffende lebt (vgl. dazu Kap. B/I/5: Das Wirklichkeitsbedeutungsquadrat als weltanschaulich-inhaltliches Kulturenvergleichsschema). 8 Wie nicht-menschlich lebendige Entitäten. 7

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

Sprache vollzieht sich demnach stets im Wechselspiel zwischen Individualität und Kommunität, im Gespräch, in Wort und Antwort zwischen Ich, Du und Wir. Vor diesem Hintergrund kann Windelband (1909, 38 f.) feststellen: »Es gibt keine [natürliche] Universalsprache der Menschheit, so wenig, wie es eine reine Individualsprache des Einzelnen gibt. Gäbe es eine kulturenunabhängige Universalsprache, bedürfte es keiner Individuen mehr; gäbe es eine reine Individualsprache, wäre keine Gemeinschaft bzw. keine Kommunikation mehr vonnöten.« Diese Dimension macht auf drastische Weise Pietschmann deutlich, wenn er in seinem Werk Die Atomisierung der Gesellschaft auf jenes bekannte Experiment verweist, mit Hilfe dessen im 13. Jahrhundert Kaiser Friedrich II. herausfinden wollte, in welcher Sprache sich Kleinkinder auszudrücken beginnen würden, die niemals vorher irgendein Wort sprechen gehört haben. Wörtlich heißt es da: »[E]r [Friedrich II.] übergab Wärterinnen und Ammen eine Anzahl verwaister Neugeborener zur Aufzucht, mit dem Auftrag, ihnen die Brust zu reichen, sie zu reinigen, zu baden und zu pflegen, aber mit dem strengen Verbote, sie jemals zu liebkosen und mit ihnen oder vor ihnen ein Wort zu sprechen. Es geschah nach des Kaisers Willen; aber dessen Frage wurde nicht beantwortet, denn alle Kinder starben im frühesten Alter.« (Pietschmann 2009a, 120)

Kommentierend bemerkt Pietschmann (ebd., 120 f.) schließlich: »Denken setzt Sprache voraus und sprechen kann ich nur, weil ich von Bezugspersonen dazu in Liebe erzogen worden bin. … Voraussetzung dafür, dass ›ich denke‹, ist die vorherige Kommunikation mit anderen Menschen, und auch jetzt findet mein Denken nicht im Vakuum des Solipsismus statt, sondern zielt auf Kommunikation. … In der Kommunikation setzt jedes Ich sich selbst zugleich mit seinem Gegenüber und gemeinsam werden sie zum WIR. Ein Mensch allein ist eben noch kein Mensch! … [E]rst durch die Kommunikation mit anderen sind wir selbst Menschen im eigentlichen Sinn.«

Es ist – der für gewöhnlich als Verfechter eines atheistischen Standpunktes ins Treffen geführte – Ludwig Feuerbach, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, also ein gutes halbes Jahrhundert vor dem Aufkommen des sogenannten »Dialogischen Denkens« um 1920 (vgl. Kap. C/V/1), in seinem Werk Grundsätze der Philosophie der Zukunft (Feuerbach 1959, 318) schreibt: 86 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Ich und Du und Wir

»Der einzelne Mensch für sich hat das Wesen des Menschen weder in sich als moralischem, noch in sich als denkendem Wesen. Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt.« 9

Dem entspricht die aristotelische Bestimmung des Menschen nicht bloß als zoon logistikon, als ein Wesen, das Anteil am Logos hat, sondern zudem bzw. vor allem als zoon politikon, als Gemeinschaftswesen, das heißt als ein auf eine Kommunität hin orientiertes Wesen, das nicht nur eine Ich-, sondern auch eine Wir-Identität besitzt. 10 »Das Wort haben« heißt demnach nicht nur Welt haben bzw. – auf der Bewusstseinsbasis der Unterscheidungsfähigkeit zwischen wahr/ unwahr – Welt bezeichnen zu können/zu müssen, sondern auch Welt mitteilen zu können (zu müssen) bzw. Welt mitgeteilt zu bekommen. Der Mensch hat demnach mit Hilfe von Wort-Sprache und Ich-/ Böckenhoff (1970, 115 f.) führt dazu erhellend aus: »Die Phänomenologie sucht den Weg zurück zu den Sachen selbst, zum Konkreten, bleibt aber, wenigstens was Husserl angeht, Opfer des Idealismus. – Feuerbach dagegen gelangt schon zum Dialog mit dem konkreten Du in der Sinnlichkeit. Buber, der das Du oder das Zwischen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, widersteht anfangs der Versuchung nicht, Ich und Du in einer Einheit zu verschmelzen. Feuerbach dagegen findet bereits, daß diese Einheit in der Realität des Unterschiedes besteht. Man mag Feuerbach einen Atheisten nennen. Aber hat er nicht unbewußt viel beigetragen zu einer Richtung, die uns einen neuen Weg zum absoluten Du zeigt? Man mag ihn einen Sensualisten und Materialisten nennen – vielleicht mit Recht –, aber hat er uns nicht angewiesen, die Einheit von Denken und Leib neu zu überdenken?« Vgl. dazu auch Evers (1979, 84) bzw. Förster (2001). 10 Vgl. dazu den Kap. A/X: Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als formales anthropologisches Vergleichs-/Deutungsschema, darin insbesondere die Zwei-Einheit Ich-Identität und Wir-Identität. Die Bedeutung der Ich-Wir-Dimension (neben jener der Ich-Du-Dimension) zeigt Ratzinger aus christologischer Sicht auf, wenn er im Hinblick auf die – an sich wegweisende – Ich-Du-Konzeption des Dialogischen Denkens, speziell jene von Ferdinand Ebner (vgl. C/V/3b), bemerkt: »Es gibt im Christlichen nicht einfach ein dialogisches Prinzip im modernen Sinn der reinen Ich-DuBeziehung, und zwar weder vom Menschen her, der in der geschichtlichen Kontinuität des Gottesvolkes, in dem umfassenden Wir, das ihn trägt, seinen Standort hat; noch gibt es dieses reine dialogische Prinzip von Gott her, der seinerseits [aus christlicher Sicht] kein einfaches Ich, sondern wiederum das Wir von Vater, Sohn und Geist ist. … Mit diesem trinitarischen Wir, mit der Tatsache, daß auch Gott als ein Wir existiert, ist aber auch schon und zugleich der Raum des menschlichen Wir zubereitet. Das Gottesverhältnis des Christen heißt nicht einfach, wie Ferdinand Ebner es etwas einseitig schildert, Ich und Du …«. (Ratzinger 1973, 222) 9

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

Selbst-Bewusstsein nicht nur Welt, sondern er ist zudem (einerseits) imstande (andererseits genötigt), diese seine Welt(beschreibung) anderen mitzuteilen, d. h. die Mitmenschen an den je eigenen Erfahrungen, Gedanken und Be-Deutungen (aus seiner Kommunikation mit der »Welt«) Anteil nehmen zu lassen bzw. Anteil zu nehmen. Wortsprachfähigkeit bedeutet insofern stets zugleich Antwortsprachfähigkeit (bzw. -notwendigkeit). Wortsprachfähigkeit meint neben der Fähigkeit, sich (seine) Welt (sprachlich) zu konstruieren (zu bezeichnen), auch – wenn nicht vor allem – das Vermögen, den anderen bewusst ansprechen bzw. auf den an einen selber ergehenden An-Spruch zu antworten, diesem entsprechen zu können. Antwort-Fähigkeit des Menschen ist dabei nicht (bloß) zu verstehen als das Vermögen zu einer mehr oder minder notwendigen (Verhaltens-)Reaktion (auf Umweltreize), sondern als das – auf der Basis von Freiheitsgraden (Handlungsvariabilität) – selbst-bewusste Handeln vor dem Hintergrund einer Welt-Deutung. Auf eben diesen Umstand verweisend, beschließt Bolz (1990, 141) sein Buch Theorie der neuen Medien mit den Worten: « … Antwort heißt nicht Reaktion. Ein stimulus stellt keine Frage, und keine kybernetische Maschine kann eine réponse [Antwort] auf einen response [Reaktion] reduzieren. Das ist die Grenze des Binären: What computers can’t do.«

Wie die menschliche Weltbezeichnungsfähigkeit verknüpft ist mit der Weltbezeichnungsnotwendigkeit, so ist – im analogen Sinn – auch die menschliche (Welt-)Mitteilungsfähigkeit verbunden mit einer (Welt-)Mitteilungsnotwendigkeit. D. h.: Wie der/die Einzelne nicht umhin kann, Welt zu bezeichnen, kann er/sie in gleicher Weise nicht umhin, sich (und damit seine Sicht von) Welt mitzuteilen (wie bewusst bzw. unbewusst dies im Einzelfall auch vonstatten gehen mag). Indem sich jeder Mensch selbst ständig ausspricht, spricht er dabei zugleich seine Bedeutung bzw. Bewertung bezüglich des Ganzen mit aus. Der Mensch kann sich – gemäß dem bekannten Axiom – also nicht nur nicht nicht verhalten, er kann im gleichen Maße ebenso wenig nicht nicht Welt erkennen bzw. mitteilen. Wie immer der

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Vermittlung, Mittel, Medium (nach Rückriem)

Mensch handelt: stets teilt er dabei sich und damit sein Wirklichkeitsverständnis mit. Je nachdem, auf welchen kulturspezifischen Fundamenten die jeweilige Bedeutung des Ganzen ruht (vgl. Kap. B/I), wird das individuelle Handeln davon mitgeprägt sein.

3.

Vermittlung, Mittel, Medium (nach Rückriem)

Damit wenden wir uns zentralen Termini der Kommunikationswissenschaft zu: Vermittlung, Mittel bzw. insbesondere dem des Mediums, der Medien. Das aktuelle Medienverständnis unserer westlichen Zivilisation ist dabei ein vorwiegend technisch geprägtes. Hörisch (2004, 18) macht diesen Umstand deutlich, wenn er in seinem Band Eine Geschichte der Medien feststellt: »Dass heute Medientheorie als diensthabende Fundamentaltheorie (für ›alle‹ : Soziologen und Informatiker, Ägyptologen und Astrophysiker, Mediziner und Juristen, Geisteswissenschaftler und Theologen) fungiert, ist kaum zu übersehen. Denn es ist eine mittlerweile triviale Feststellung, daß sich die Weltgesellschaft im Übergang zum dritten Jahrtausend als Mediengesellschaft erfährt, beobachtet und beschreibt.«

Der Begriff Medium leitet sich her vom gleichlautenden Lateinischen medium (Mitte, auch Mittelpunkt 11) bzw. vom Altgriechischen Μέσον, méson (das Mittlere; auch: Gemeinwohl, öffentlicher Weg). Bis etwa zum Ende des 18. Jahrhunderts bezieht sich der Begriff u. a. auch auf Formen der »geistigen« Vermittlung zwischen nicht nachvollziehbaren Mächten. Medium meint dabei jene Person, die den Kontakt zu (auf normalem Wege) unerreichbaren Welten herstellt. Im 19. Jahrhundert etabliert sich ein technischer Medienbegriff, der die Gesamtheit aller Träger physikalischer und chemischer Vorgänge bezeichnet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bürgert sich für die aufkommenden technischen Kommunikationsmittel (Phonograph, Rundfunk, Fernsehen etc.) schließlich der Begriff Massenmedien bzw. Massenkommunikationsmittel ein. Etwa seit den 1980er-Jahren wird der Plural Medien für die Gesamtheit aller Kommunikations- bzw. Informationsmittel verwendet. Nach neuerem Verständnis meint der Begriff Medium zudem ein 11

Vgl. die Wendung in medias res im Sinne von »in die Mitte der Sache gehen«.

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

Vermittelndes im weitesten Sinn. Demnach lassen sich folgende Hauptverwendungen des Begriffs differenzieren: • Medium als stofflicher Vermittler. 12 • Medium als informations- bzw. kommunikationstechnisches Vermittlungs-/Übermittlungselement (zwischen Sender und Empfänger). Wichtig ist dabei die Gewärtigung des Umstands, dass jedes informationsübermittelnde Medium ein physiko-chemisches Medium als Grundlage benötigt, gleichzeitig mit diesem jedoch nicht identisch ist. Dies wird deutlich, wenn Splett (1976, 27) zu bedenken gibt: »Das Miteinander, wie immer man es verstehe, bedarf zur Kommunikation [Informationsübermittlung] eines Mediums, das nicht selber Freiheitswesen sein darf, aber eigengesetzlich sein muß: zur Interpersonalität gehört die Koordinate des Naturalen. Man kann dies am ›Tonträger‹ Luft zwischen den Sprechenden veranschaulichen. Sie darf einerseits nicht selbst die Worte ändern können, andererseits nicht durch den Hörenden beliebig veränderbar sein, da er ja das Gehörte hören soll.«

Anhand eines anderen Beispiels exemplifiziert: Das InformationsMedium »Zeitung« besteht aus dem stofflichen Medium Papier (bzw. anderen chemisch-stofflichen Trägermedien wie Druckerschwärze etc.). Neben den genannten Hauptverwendungen des Begriffs wird – insbesondere in der Medienphilosophie – zunehmend eine weitere Bedeutung von Medium thematisiert: einem solchen erweiterten Verständnis wollen wir uns jetzt zuwenden. Rückriem (vgl. IQ: Rückriem 2010) differenziert dabei zwischen Vermittlung, Mittel und Medium: Von Vermittlung redet er, wenn die Beziehung zwischen zwei Größen vermöge/vermittelst der Zwischenschaltung einer dritten Größe zustande kommt. Beispiel: Die Einigung in einem Sorgerechtsstreit wird mit Hilfe eines Vermittlers, eines Mediators, erreicht. In diesem Fall ist die Dimension der Vermittlung optional, d. h. man kann auf den Vermittler gegebenfalls auch verzichten, wenn sich die beiden Parteien untereinander einig werden. Im Sinne eines raumerfüllenden Stoffes zwischen individuellen Körpern mit spezifischen Eigenschaften. Meist handelt es sich dabei um einen chemischen Stoff. Das Medium eines Schwimmbeckens ist beispielsweise Wasser, jenes einer Sauna Luft oder Dampf.

12

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Vermittlung, Mittel, Medium (nach Rückriem)

Von Mittel redet Rückriem, wenn zum Ausdruck kommen soll, dass derjenige oder dasjenige Dritte, das die Mitte zwischen zwei Größen einnimmt, als Instrument dient, um einen Zweck zu verwirklichen. Beispiel: Ich will die Dachrinne meines Hauses säubern und benutze eine Leiter, um diesen Zweck zu realisieren. In diesem Beispiel ist das Mittel optional. Es ist austauschbar und gegebenenfalls verzichtbar. Es geht notfalls auch ohne es, auf jeden Fall ohne dieses bestimmte Mittel. Das eingesetzte Mittel gilt als effektiv, wenn es mit seiner Hilfe gelingt, den jeweiligen Zweck zu verwirklichen. Gängig als (Massen-)»Medien« bezeichnete (elektronische bzw. digitale) Geräte und ihre Software stellen nach Rückriem’scher Diktion Kommunikations-Mittel dar, die etwa dem Zweck des Informationsaustauschs und/oder der Unterhaltung dienen. Von Medium spricht Rückriem erst, um jenen [Vermittlungs-]»Raum« – gleichsam das »mediale Feld« – zu bezeichnen, innerhalb dessen die durch Mittel vermittelte Beziehung überhaupt erst möglich ist. Als Beispiel führt er an: Kein Wasserlebewesen kann ohne Wasser leben, aber nicht etwa weil sich das Wasser zwischen dem Wasserlebewesen und seiner Nahrung befindet und als Mittel zur Nahrungsaufnahme dient, sondern weil Wasserlebewesen und Nahrung nur als inmitten – im Medium – des Wassers lebende Wesen existieren. Das Leben im Wasser ist für diese Lebewesen keine Option, auf die sie auch verzichten könnten, es ist vielmehr die notwendige Bedingung aller ihrer Lebensäußerungen. 13 Medien sind demzufolge weder Geräte noch Gegenstände noch bloße Mittel, und schon gar nicht sind sie optional. »Mittel« und »Medium« sind zwar beide ein je Drittes, d. h. ein Vermittelndes – aber das sind sie auf jeweils völlig anderen Bedeutungsebenen und in völlig verschiedener Weise: Mittel sind Zweckverwirklichungsinstrumente Medien sind dagegen (unabdingbare) Ermöglichungsbedingungen; sie stellen eine »mediale« conditio sine qua non dar, ohne die es Zweckmäßigkeitserwägungen und zweckmäßige Mittel überhaupt 13

In analoger Weise können Landlebewesen nur im Medium Luft leben.

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

nicht gibt. Medium meint hier – metaphorisch gesprochen – einen »Raum« im Sinne eines Ermöglichungsfeldes. Zentral ist – im Bezug auf den Zusammenhang von Kommunikation und Erkenntnis – nun der Rückriem’sche Hinweis (vgl. IQ Rückriem 2010), dass menschliche Sprache nie nur ein Mittel, sondern immer in erster Linie ein Medium (ein Feld) darstellt und es Sprache jenseits der Medialität – d. h. als bloßes Kommunikations-Mittel – gar nicht gibt. 14 Er versucht diese wichtige Differenz zwischen Vermittlung, Mittel und Medium mit einer schematischen Darstellung wie folgt zu veranschaulichen: »Vermittlung« skizziert er als eine »2 plus 1– Beziehung«: »Subjekt und Objekt + Mittel« 15 (Abbildung 5).

Subjekt

Mittel

Objekt

Abbildung 5: Vermittlung: Eine 2 + 1-Beziehung (nach Rückriem)

»Medium« hingegen versteht er als eine »3 in 4 – Beziehung«: »Subjekt-Objekt + Mittel« innerhalb eines anderen, vierten, Zusammenhanges (Abbildung 6).

Subjekt

Mittel

Objekt

MEDIUM

Abbildung 6: Medium: Eine 3 in 4-Beziehung (nach Rückriem) 14 15

Vgl. dazu den Grundgedanken des sogenannten linguistic turn in Kap. B/III/10. Das Szenario ist auch als Subjekt und Subjekt + Mittel denkbar.

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Handlungs-Macht und Handlungsun(ge)sicher(t)heit

4.

Handlungs-Macht und Handlungsun(ge)sicher(t)heit

Als eine weitere transkulturelle Universalie menschlichen Kommunizierens und Erkennens zeigt sich auf der einen Seite die HandlungsMacht des Menschen, auf Welt bzw. Wirklichkeit bezogen zu sein bzw. diese selbst-bewusst wahrnehmen, gestalten und verändern zu können, andererseits das Bewusstsein der Ungesichertheit menschlichen Seins (bzw. menschlichen Erkennens bzw. Kommunizierens) und eine damit verbundende Handlungsunsicherheit. Denn die Basis sprachlicher Human-Kommunikation bzw. Verständigung ist in der Regel gerade nicht zweifelsfreie Gewissheit, sondern – angesichts der Selbstgewahrung bzw. der damit verbundenen Fragen der Stellung innerhalb des Seins-Ganzen – ungesicherte Selbst-Bewusstheit. Anders ausgedrückt: Die Selbst-Bewusstheit des Menschen ist gerade der Grund, weshalb er keine (volle) Gewissheit darüber hat, mit wem bzw. inwiefern er kommunizieren soll 16 bzw. was als erkennenswert zu erachten ist. »[D]ie Handlungsmuster,« – schreibt in diesem Sinne Tenbruck (1989, 43) – »welche individuell [Ich] und kollektiv [Wir] aufgebaut (und größtenteils an Außenlagen festgemacht) werden, stellen keine Automatismen dar, sondern erfordern ständige Steuerung, also Überwachung von Außen- und Innendaten, die in der inneren Handlungsführung zusammengefügt werden müssen. Diese fortbestehende Unsicherheit ist für die subjektive Einstellung im Handeln charakteristischer als die im Vergleich zur natürlichen Verhaltensunsicherheit gewonnene Verhaltenssicherheit. [Zudem] besteht zwischen den Problemen der inneren und äußeren Handlungsführung ein fundamentaler Unterschied. Dort geht es um Aufgaben, die sich grundsätzlich im Schema zweckhaft-instrumentalen Handelns konstruieren lassen; hier hingegen ist eine solche Objektivierung nicht möglich. Dort handelt es sich um unabhängige Außendaten, hier um amorphe und flüchtige Innendaten. In jedem Falle aber bleibt das Handeln unter dem doppelten Druck des äußeren und inneren Gelingens. So verstanden ist die Unsicherheit eine interkulturelle Konstante, welche die conditio humana ausmacht.«

Dies scheint auch der Grund zu sein, weshalb sich der Mensch nicht nur zu täuschen (bzw. getäuscht zu werden) vermag 17, sondern sich zudem auch irren (bzw. beirren lassen) ja bewusst in die Irre führen Es ist hier nicht der Ort der Frage im Detail nachzugehen, inwieweit geklärt erscheint, wie der Mensch zur Wort-Sprachfähigkeit gelangte. 17 Wie etwa ein Chamäleon, um sich vor dem Wahrgenommenwerden zu schützen. 16

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

kann (vgl. Kap. A/VII/5). Mit der Ausgesetztheit gegenüber dem Irrtum ist dem Menschen andererseits auch die Möglichkeit zum NichtIrrtum, d. h. zur Erkenntnis 18 eröffnet. Irrtumsfähigkeit und Erkenntnisfähigkeit sind untrennbar verbunden. Die Wort-Sprache, als das spezifisch-menschliche Kommunikationsvermögen, ist so nicht nur eine Gabe, sondern zugleich eine Aufgabe, die stete Aufgabe, vor dem Hintergrund der Ungesichertheit das »unmittelbar« Erfahrene (inklusive seiner eigenen Person) zu bedeuten, d. h. zu bewerten bzw. zu beurteilen.

5.

Das Wort-Sprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut

Hierbei scheint der oben schon erwähnte Hinweis von Tenbruck (1983, 257) zentral, der im Hinblick auf die grundlegende Verfasstheit des Menschen bemerkt: »Wir sind nicht Naturwesen, denen das weitere Vermögen der [selbstbewussten] Vernunft verliehen ist; vielmehr sind wir nur dadurch lebensfähig, weil wir von Natur aus Kulturwesen sind.« 19 Damit wird das Wortsprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut deutlich; dieser Umstand wird uns im Kap. B/I/6&7) noch eingehend beschäftigen. Auf diesen Sachverhalt verweist Ammann (1948, 101), wenn er schreibt: »Wenn wir von Sprache reden als von der Verwirklichung der den Menschen vor dem Tiere auszeichnenden Sprachbegabung (le langage), so beziehen wir das Wort Sprache zunächst auf das Sprechen (la parole), also auf die konkrete Sprachäußerung von Mensch zu Mensch. … Dies kann leicht dazu verleiten, zu übersehen, daß zum Sprechen nicht nur die Sprachfähigkeit gehört, der Besitz der Sprache, … sondern auch der Besitz einer Sprache (langue) in der ausgezeichneten Bedeutung des Wortes, einer Sprache

Damit wird nicht automatisch die Existenz einer allumfassenden »absoluten Wahrheit« postuliert, sondern allein der Umstand aufgezeigt, dass der Mensch – seiner offensichtlichen Verfasstheit nach – in der Lage ist, (bewusst) wahre von unwahren Seins- bzw. Sach-Verhalten zu unterscheiden (vgl. Hengstenberg 1957). 19 »Selbst unsere Sexualität« – bemerkt Tenbruck (1983, 257) – »ist nicht […] nur eine animalische Natürlichkeit, die wir mittels Vernunft bloß zügeln und beherrschen müssen. Sie ist ein bereits mit irgendwelchen, wie immer unbestimmten [kulturellen] Bedeutungen versehenes Erlebnis, das nach weiterer Deutung verlangt.« 18

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Das Wort-Sprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut

als eines einer Gruppe von Menschen gemeinsam eigenen [kulturspezifischen] Bestandes von sprachlichen Ausdrucksmitteln.«

Demnach ist das Haben von (Wort-)Sprache nie bloß eine allgemeinmenschliche, naturgegebene Fähigkeit, sondern immer auch ein kulturspezifisches, und das heißt damit auch: ein geistesgeschichtlich bzw. traditionsbedingtes Vermögen. Auf dieses häufig zu wenig beachtete Moment im Kontext der menschlichen (Wort-)Sprachfähigkeit weist Vereno (1976, 59) hin, wenn er feststellt: »Unser Denken vollzieht sich nicht in Wörtern, sondern in Sprache, das heißt in Sätzen, und damit in Grammatik. Wenn wir über Unterscheidung und Beziehung von Subjekt und Objekt philosophieren, … so setzt solches Denken stets schon eine ganz bestimmte grammatische Ordnung der Sprache voraus, eine Ordnung, die weder selbst verständlich, noch allen menschlichen Sprachen gemeinsam ist.«

Der Autor schildert den Sachverhalt an folgendem Beispiel: »Griechisch und Sanskrit, die klassischen Sprachen zweier der … großen Traditionen sind hinsichtlich ihrer grammatischen Struktur verwandt, das Chinesische aber ist in Aufbau und innerem Gefüge diesen beiden zutiefst fremd. Man denke etwa nur an die Tatsache, daß das Chinesische nur einsilbige Wörter kennt, welche weder durch Endungen noch durch Prä- oder Suffixe [Vor- oder Nachsilben] verändert werden und deren jeweils gemeinte Beziehung sich nur aus ihrer Kombination mit anderen Wörtern bzw. aus ihrer Stellung in der Ganzheit des Satzes ergibt. … Hinzu kommt die – für uns – erstaunliche Eigenart, daß im Chinesischen ansonsten gleiche Silben durch die Tonhöhe ihrer Aussprache unterschiedliche Bedeutung erlangen können.« (ebda, 54 f.)

Doch mit dem Aufweis des Sachverhaltes, der menschliche Besitz von Sprache bedeute zugleich (bloß) den Besitz einer bestimmten Sprache (als eines geisteskulturspezifischen Bestandes von sprachlichen Ausdrucksmitteln) sollte nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass der Mensch (im Regelfall) nur im Besitz einer einzigen (Mutter-)Sprache ist bzw. sein könne, sondern vielmehr, dass das Haben von Sprache notwendigerweise an (zahlreiche einzelne) kulturspezifische Umfelder geknüpft ist. Dies bedeutet, dass das spezifisch-menschliche Kommunikationsvermögen des Habens von (Wort-)Sprache gleichzusetzen ist mit dem Haben von (Wort-)Sprachen, dass (je)der Mensch (nicht nur derjenige, der Fremdsprachen erlernt hat) zahlreiche einzelne (kulturspezifische) Sprach(umwelt)en in sich vereint. Als Gewährsmann dafür möchte ich Wandruszka (1981, 13 ff.) bemühen, 95 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

der sein Werk Die Mehrsprachigkeit des Menschen mit den Worten beginnt: »Der alte Satz ›Der Mensch ist das Wesen, das Sprache hat‹, ist eine ganz unzulängliche Bestimmung des Menschen. In Wahrheit muß er lauten: ›Der Mensch ist das Wesen, das mehrere Sprachen lernt.‹ Wir alle sprechen mehrere Sprachen, weil wir in mehreren, oft sehr verschiedenen menschlichen Gemeinschaften leben, deren Sprachen wir im Laufe unseres Lebens lernen. … Das Kind, das seine Muttersprache lernt, merkt es sehr schnell, wenn etwa die Sprache seines Vaters eine etwas andere landschaftliche Färbung hat als die der Mutter, wenn der Vater gelegentlich andere Wörter und Wendungen gebraucht, die das Kind dann ihm nachspricht. Mit derselben spielerischen Leichtigkeit übernimmt es andere Ausdrucksweisen von Hausgenossen und Spielgefährten. … Jedes Kind kann von Anfang an sich spielend phonetische, lexikalische, syntaktische, idiomatische Elemente verschiedener Sprachen aneignen. Nach der, alles in allem bescheidenen, regional, sozial, kulturell eng begrenzten Sprache unserer Kindheit ist dann die transregionale, transsoziale Kultursprache, die wir in der Schule lernen, schon gewissermaßen unsere erste Fremdsprache. Der Volksschullehrer, der Grundschullehrer ist der erste Erzieher zur Mehrsprachigkeit.«

Und an anderer Stelle schreibt derselbe Autor (Wandruszka 1981, 31, 39): »Jede unserer Sprachen ist eine ganze Welt von Sprachen. … Eine Sprache weist überall Wege zu anderen Sprachen auf, Beimischungen aus vielen anderen Sprachen. Eine Sprache ist ein Gebilde mit vielfältig sich überschneidenden und überkreuzenden inneren und äußeren Grenzen. … Wir leben uns schon in unserer Muttersprache immer in mehrere Sprachen hinein, immer mehr verstehend als verwendend, immer da und dort unvollständig und unvollkommen. Eine menschliche Sprache ist kein in sich geschlossenes und schlüssiges homogenes Monosystem.«

In diesem Zusammenhang kritisiert Wandruszka das Sprachverständnis Chomskys (und mit ihm das zahlreicher kommunikationswissenschaftlicher Ansätze), der, um menschliche Sprache als einen formalen Regelprozessmechanismus beschreiben zu können, eine völlig homogene Sprachgemeinschaft mit »ideal-typischen« Vertretern (Sprechern-Hörern) voraussetzen muss (vgl. Chomsky 1965), was jedoch realiter nirgends der Fall ist. Vielmehr gibt es – wie Wandruszka (1981, 39) vermerkt – »in unseren Sprachen weder Perfektion noch Homogenität. Der Mensch ist kein mit maschineller Perfektion Sätze produzierender ›Sprecher-Hörer‹. Überhaupt ›sprechen-hören‹ wir ja gar nicht: wir hören, lesen, verstehen unendlich 96 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Wort-Sprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut

viel mehr sprachliche Gebilde, als wir selbst gebrauchen.« »Sie ist« – so unser Gewährsmann an anderer Stelle (Wandruszka 1981, 31 bzw. 39) – »ein einzigartig komplexes, flexibles, dynamisches Polysystem, ein Konglomerat von Sprachen, die nach innen in unablässiger Bewegung ineinandergreifen und nach außen auf andere Sprachen übergreifen.« 20 Fassen wir zusammen: Auf der Suche nach Spezifika menschlicher Kommunikation und Erkenntnis wurde vorerst das unabdingWie diese unausweichliche Mehr-, ja Vielsprachigkeit des Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem schwäbischen Arbeiterbuben erlebt wurde, schildert Wandruszka durch ein im Folgenden wiedergegebenes ausführliches Zitat aus dem – wie er (Wandruszka 1981, 15) schreibt – »köstlichen Erinnerungsbuch« Der goldene Morgen. Heitere Geschichten aus einer armen Kindheit des 1903 bei Heidenheim an der Brenz geborenen Karl Götz (Götz 1974, 157): »Man nahm es mit den Grüßen und Wünschen früher noch ernst. An Neujahr gehörte es sich, daß die Kinder bei den nächsten Verwandten, bei Freundschaft oder Herrschaft, bei den Hausleuten und bei den Nachbarn anklopften und ihre Wünsche mit einem ernsten Spruch darbrachten. Mein Sprüchlein selber machte mir weniger zu schaffen, obwohl mir sein Sinn ziemlich dunkel blieb. Ich mußte nämlich in einem Atemzug den gesunden Leib, den Heiligen Geist und das ewige Leben wünschen … Viel ärger war, daß man mit all diesen Leuten sozusagen in verschiedenen Sprachen reden mußte. Zur Dote, zur Großmutter und zur Tante sagte man Du. Das: ›Dota, i wünsch dr da gsunda Leib‹ ging leicht heraus. Zu den Nachbarn und auch zur Hausnäherin sagte man Ihr, so daß es da anfing: ›Nochber‹, oder ›Nähere, – i wünsch üch da gsunda Leib …‹ und so fort. Aber da war schon wieder ein Unterschied. Zum Jakob, meinte meine Mutter, solle ich sagen üch, nicht euch, ›i wünsch euch‹, das könnte sich so anhören, als wollte ich etwas Besseres sein. Es war in unserem Stadtviertel gang und gäbe, anstatt euch üch zu sagen. Bei der Melchinger-Marie sei es aber wieder anders. Die bringe gern immer ein Wort nach der Schrift hinein, und ich werde wohl noch wissen, wie sie es mir das letztemal gesagt habe: … Also bei der Marie: I wünsch euch – und net üch! Etwas ganz anderes war es natürlich bei der Frau Oberlehrer. Zu ihr mußte ich Sie sagen, das versteht sich, so daß es dort heißen mußte: ›Frau Oberlehrer, i wünsch Ihne da gsunda Leib …‹ Mit dem ›Ihne‹ hatte ich schon meine Schwierigkeiten, schon weil mir die Mutter eingeschärft hatte, es heiße Ihne und nicht Ehne, wie die einfachen Leute bei uns zu sagen gewohnt waren. Da hätte ich dann lieber alles gleich ganz hochdeutsch gesagt. Aber das sei erst recht nichts, meinte die Mutter. Denn der Herr Oberlehrer spotte gern und es könnte dann leicht sein, daß er sage: ›Bua, brech dr d’Zung net ab. Bist ällaweil no von Mergelstett‹. Und dann kam die Frau Kommerzienrat. Ja, die redete man – wie soll ich sagen-, die redete man überhaupt nicht an. Da hieß es nämlich – und zwar in diesem Falle alles auf hochdeutsch: ›Ich wünsche der Frau Kommerzienrat den gesunden Leib und den heiligen Geist (nicht Geischt, sagte die Mutter dutzendmal) und das ewige Leben.‹ Also nicht etwa: I wünsch, sondern ich wünsche! Was hat mir allein das e hinten an dem Wort wünsche zu schaffen gemacht! Ich hätte gewettet, daß dies falsch war, und daß die Mutter das einfach nicht richtig wußte; denn wer sagte denn schon so dumm: ›wünsche!‹« 20

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VI. Offensichtliche (Vor-)Gegebenheiten

bare Miteinander von Ich-/Selbst-Bewußtsein und Wort-Sprachvermögen deutlich. Dabei wurde ersichtlich, dass der Mensch – genauso wie er nicht nur in Zeit und Raum (auf das Momentan-Geschehende fixiert) ist, sondern zudem bzw. zugleich Zeit und Raum hat 21, er im selben Maße auch – nicht nur beständig in Kommunikation, in (umwelthafter) Bezogenheit ist, sondern er zudem Sprache hat, d. h. das Wort 22 – als die Fähigkeit, nicht nur Bedeutungen zu vermitteln, sondern ich-bewusst Wirklichkeit zu bezeichnen bzw. intentional (sinngerichet) zu handeln. Indem nun das Haben eines Selbst-Bewusstseins (sowie damit verbunden: der Wort-Sprache bzw. der Wirklichkeitsbezeichnungsfähigkeit) zugleich Welt-Bewusstsein bedeutet, heißt Wortsprachvermögen bzw. Wirklichkeitsbezeichnungsfähigkeit (-notwendigkeit) zugleich Weltbezeichnungsfähigkeit (-notwendigkeit) sowie (daraus folgend) Selbst-/Weltmitteilungsfähigkeit (-notwendigkeit). Schließlich wurde der Mensch – bedingt durch seine spezifische »ungesicherte« (Selbst-/Welt-)Erkenntnis-/ Kommunikations-Struktur – sowohl als irrtums- wie auch als erkenntnisfähiges Wesen ersichtlich. Damit korrespondiert die Möglichkeit des (selbstbewussten) Menschen, zwischen verschieden(st) en kulturspezifischen weltbedeutenden Handlungskonzeptionen – als Basis seiner Kommunikation/Erkenntnis – zu wählen. Schematisch ist dies in Abbildung 7 dargestellt. (Vgl. S. 99.)

Das heißt, dass er zudem auf gelebte (vergangene) bzw. zu lebende (zukünftige) Zeit reflektieren kann, er von Zeit weiß und insofern in gewisser Weise Herr über die (seine) Zeit ist. Revers weist auf diesen Umstand hin, wenn er betont, dass die Langeweile ein spezifisch-menschliches Phänomen darstelle, da man Zeit haben (können) müsse, um Langeweile (in ihrer zuständlichen Form – ich langeweile mich) empfinden zu können. (Vgl. dazu Revers 1949 bzw. Revers 1956 sowie Hamberger 1986, 55–79.) Vor dem Hintergrund dieses Sachverhaltes bestimmt auch Kierkegaard in seinem Werk Krankheit zum Tode (Kierkegaard 1985) den Menschen als ein Verhältnis von Zeitlichkeit und Ewigkeit. 22 Vgl. dazu: Wucherer-Huldenfeld (1985, 180 ff.). 21

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Das Wort-Sprachvermögen des Menschen als kulturspezifisches Gut MENSCH

Selbst-Bewusstsein

Wort-Sprachfähigkeit

Welt-Bewusstsein

Welt-Bezeichnungsfähigkeit/-notwendigkeit

Unsicherheit/ Handlungssicherheit

Welt-Mitteilungsfähigkeit/-notwendigkeit

Irrtums-/Wahrheitsfähigkeit

Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen kulturspezifischen Handlungskonzeptionen

Abbildung 7: Spezifika des Menschlichen

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VII. Voraussetzungen, die sich aus der spezifischmenschlichen Erkenntnis-/Kommunikations-Gestalt Wort-Sprache-IchBewusstsein ergeben.

1.

Der Mensch als Wesen, das Zeit und Geschichte hat

Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Mensch nicht nur – als ein »material-kommunikatives Geschehensobjekt« – in Raum und Zeit ist (vgl. Kap. A/V/3), sondern auf Grund seiner spezifischen Kommunikations-/Erkenntnisgestalt Wortsprache/Ich-Bewusstsein – auch Zeit, Raum, Materie und Geschichte hat, d. h. in bewusste Relation zu diesen Sachverhalten (einschließlich seiner selbst) zu treten vermag. Dies bedeutet, dass der Mensch nicht nur Teil des allgemeinen Geschehnisablaufes ist, sondern sich seiner selbst bewusst zu diesem verhalten kann, also Zeit und Geschichte hat. Indem der Mensch nicht nur ist, sondern zudem um sich weiß, sich also selbst bewusst ist und sich insofern auch (gegenwärtig) hat, weiß er (notwendigerweise) auch um das Faktum des raumzeitlichen Geschehensablaufes, hat er (erkennende) Distanz zu diesem, hat er (eine) Geschichte, d. h. eine (mehr oder weniger) reflektierte Be-Deutung des Geschehensablaufes. Mit anderen Worten: Des Menschen Existieren ist nie allein »Sein in Zeit«, sondern immer zugleich »Bewusst-Sein in Zeit«, d. h. »Geschichtlich-Sein«. Mit anderen Worten: Geschichtlichkeit kann insofern als grundlegende Verfasstheit des Menschen angesehen werden, als (sich selbst bewusstes) Menschsein stets in die Spannung zwischen prägender bzw. fortwirkender Vergangenheit und gestaltungsfähiger/-notwendiger Zukunft gestellt ist.

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Die Fähigkeit des Menschen

2.

Die Fähigkeit des Menschen, ich-bewusst sowohl in Kontakt als auch in Distanz treten zu können

Eine nächste mit der spezifisch-menschlichen Kommunikations- und Erkenntnisgestalt verbundene anthropologische Voraussetzung macht Watzka (1997, 30–34) deutlich, wenn er darauf verweist, dass der Mensch nicht nur bewusst in Kontakt zu treten, sondern sich in gleicher Weise auch zu distanzieren vermag. Zu dieser Distanz(ierungs)-Fähigkeit des Menschen schreibt er: »Ich kann mich auf der einen Seite als Teil der Welt begreifen, auf der anderen Seite habe ich die Möglichkeit, mich gedanklich und gefühlsmäßig aus der Welt zurückzuziehen und mich in Distanz zu allem zu bringen. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel ich von der Welt weiß und wie eng oder weit mein Horizont ist. Den Akt der Distanznahme vom All der Dinge beherrscht im Prinzip jeder Mensch, Aristoteles ebenso wie der Reisbauer im Nildelta.«

Kurz: Das Kommunikations-Vermögen des Menschen, in Beziehung treten, die Nähe des anderen suchen zu können, geht stets einher mit seiner Potenzialität, in Distanz bleiben bzw. sich in Distanz bringen zu können. Die Frage von »stimmiger Balance« zwischen Nähe und adäquatem Abstand differieren dabei nicht nur kulturell, sondern ebenso individuell – ganz abgesehen von diesbezüglichen pathologischen Kommunikationsfehlgestalten.

3.

Das Wissen des Menschen um den Tod sowie die bewusste Wahrnehmungsfähigkeit eigener und fremder Not

Indem der Mensch um sich weiß, weiß er auch um eigene und fremde Not, weiß er auch um die eigene Todesunterworfenheit, um den Umstand, dass er – wie alle Menschen, ja alles Lebendige – sterblich ist. In diesem Sinne schreibt Gebsattel (um 1944, 11): »Not u n d Spiegelung dieser Not im menschlichen Geist bilden im Unterschied vom Tier erst den ganzen wirklichen Notzustand des Menschen.« Man könnte sagen: Das Faktum des Todes bildet die große Krise und das große Kriterium des Menschseins. Sehr gut macht dies die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz deutlich, wenn sie schreibt: »Wenn einer sich vornähme, das Wort Tod nicht mehr zu benützen, auch kein anderes, das mit Tod zusammenhängt, mit dem Menschentod oder mit

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VII. Voraussetzungen

dem Sterben der Natur: ein ganzes Buch würde er schreiben, ein Buch ohne Angst, ohne Angst vor dem Sterben, ohne Vermissen der Toten, die natürlich auch nicht vorkommen dürfen, ebensowenig wie Friedhöfe, sterbende Häuser, tödliche Waffen, Autounfälle, Mord. Er hätte es nicht leicht, dieser Schreiber, jeden Augenblick müßte er sich zur Ordnung rufen, etwas, das sich eingeschlichen hat, wieder austilgen, schon der Sonnenuntergang wäre gefährlich, schon ein Abschied, ein braunes Blatt, das herabweht, erschrocken streicht er das braune Blatt …« (Kaschnitz zit. nach Greshake 1990, 9)

Die Zeilen der Literatin machen vielleicht besser als lange gelehrte Abhandlungen deutlich, dass nichts so sehr das Leben (je)des Menschen – und das einer Kultur – prägt wie der Tod; dass nichts so elementar vor die Entscheidung stellt, Leben zu verstehen, wie die Gewissheit des Todes. In diesem Sinne schreibt Greshake (1990, 15): »Eben weil der Mensch um seinen Tod weiß, … ist er mit dem Ganzen seines Lebens konfrontiert und aufgerufen, sich selbst in Freiheit die Richtung seines Lebens zu bestimmen.« Die daraus resultierenden Verhaltensweisen und Einstellungen sind freilich sowohl individuell wie kulturell höchst unterschiedlich. Es gibt Kulturen, die »im Angesicht des Todes« leben, und solche, die den Tod zu verdrängen suchen (vgl. Ariès 2005). Kurzum: Menschsein ist geprägt durch eine »natürliche« Daseinsohnmacht des Menschen, die aus dem Wissen um seine Sterblichkeit resultiert (vgl. Küenzlen 1994, 38). Untrennbar mit diesem Wissen um die Erfahrung: »Sterblich sind wir schon bevor wir geboren sind; nicht erst der Tod ist es, der unsere Sterblichkeit beweist« (Merlan 1976, 820) geht schließlich die Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit, nach todlosem Leben, einher.

4.

Der Mensch als Wesen, das die Frage hat

Aus dem Umstand, dass der Mensch nicht primär eine fertige Wirklichkeit, sondern eine werdende Verwirklichung darstellt (vgl. Spoerri 1954, Gebsattel 1954), ergibt sich, dass mit dem (Wort-)Sprachvermögen bzw. der Fähigkeit, sich bewusst zum Ganzen verhalten zu können und zugleich nicht das Ganze bzw. sich zu wissen, der Mensch auch jenes Wesen ist, dass die Frage hat, in Frage stellen kann. Wenn Ammann (1948, 105) auf die Frage, warum der Mensch sich nicht mit (tierisch) primitiven Formen der Verständigung be102 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Der Mensch als Wesen, das die Frage hat

gnügt, antwortet: »weil er als Mensch etwas zu sagen hat«, so kann dem ergänzend hinzufügt werden: und – weil er etwas zu fragen hat; weil er – sich selbst und der Frage um das Ganze bewusst – vor der Aufgabe steht, sich (jederzeit) zum Ganzen verhalten zu müssen, ohne selbst dieses Ganze zu sein bzw. es zur Gänze zu erkennen. 1 Jaspers (1978, 36) erläutert diesen Umstand folgendermaßen: »Der Philosophie [verstanden als die Fähigkeit, zum Seinsganzen ich-bewusst Stellung nehmen zu können (bzw. zu müssen) und insofern ein Wirklichkeitsverständnis zu haben] ist nicht zu entrinnen. … Wer die Philosophie ablehnt, vollzieht selber eine Philosophie, ohne sich dessen bewußt zu sein.« 2

Indem der Mensch auf Welt – und das heißt: auf Sinn-Deutung der »Realitätstotalität« – bezogen ist, kann man ihn demgemäß nicht nur als selbstbewusstseinshaftes, sondern zudem bzw. vor allem als sinnbedürftiges, ein nach Sinn fragendes Wesen definieren. Welt-Deutung heißt insofern immer zugleich Sinn-Deutung, wie umgekehrt Sinn-Deutung stets Welt-Deutung ist. Menschsein heißt demnach nicht bloß die Fähigkeit zu besitzen, um sich (bzw. um den nichtichhaften »Rest« der Wirklichkeit) zu wissen bzw. ein bewusstes Selbst-Verhältnis zu haben 3, sondern zudem an die Notwendigkeit gebunden zu sein, sich innerhalb der selbst-bewusst wahrgenommenen bzw. erdachten Wirklichkeit »sinnvoll«, d. h. orientativ-bedeutend zu verhalten. Die geistesgeschichtlichen Traditionen erwähnen insbesondere drei Antriebskräfte, die den Menschen dazu bringen, nach sich zu fragen bzw. über den eigenen »Ort«/»Stellenwert« innerhalb der Realität »bedeutend« nachzusinnen: das Staunen, den Zweifel und die Gewahrung der eigenen Ohnmächtigkeit. 4 Der Zusammenhang »Mensch und Frage« findet eine ausführliche Behandlung in der 1988 neu aufgelegten Dissertation von Heinrich Rombach Über Ursprung und Wesen der Frage (Rombach 1988). 2 In diesem Sinne verstand man in der Antike unter Philosophie eine Anleitung zum menschlichen Leben bzw. eine umfassende Lehre der praktischen Lebensgestaltung. So sprechen etwa die frühen Kirchenväter wie selbstverständlich von einer »Philosophie des Moses« oder anderer biblischer Gestalten (vgl. dazu Schmidinger 1997). 3 Vgl. dazu die Definition des Menschen bei Søren Kierkegaard als »Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält« in dessen Werk Krankheit zum Tode (Kierkegaard 1985, 8). 4 Die mächtigste Antriebsquelle ist dabei wohl die Gewahrung der eigenen Schwäche, Unfähigkeit bzw. Ohnmächtigkeit. Der Stoiker Epiktet (50–120 n. Chr.), der wie sein großes Vorbild Sokrates selbst keinerlei Schriften verfasste und geraume Zeit seines 1

103 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VII. Voraussetzungen

Alle drei erwähnten Quellen – Staunen, Zweifel und Gewahrung der eigenen Ohnmächtigkeit – die zu dieser Grundfrage »Was IST?« führen, werden dabei vor allem als »unmittelbare« Erfahrungen, ja Widerfahrnisse beschrieben 5, die dem Menschen ohne sein direktes Zutun, mitunter sogar aus »heiterem (Bewusstseins-)Himmel« überkommen – und nicht primär als ermittelte Ergebnisse rationaler Schlussfolgerungen. MENSCH

Staunen

Zweifel

Ohnmächtigkeit

WAS IST?

Abbildung 8: Quellen der Philosophie

Was mit dieser Frage nun eigentlich gemeint ist, verdeutlicht wiederum Jaspers, wenn er schreibt: »[E]s gibt zunächst vielerlei Seiendes, die Dinge in der Welt, die Gestalten des Leblosen und des Lebendigen, endlos vieles, alles kommend und gehend. WAS IST aber das eigentliche Sein, das heißt das Sein, das alles zusammen-

Lebens als Sklave in Hierapolis zubringen musste, erblickt hierin den eigentlichen Ursprung menschlichen Philosophierens. Jede(r) von uns kennt gewiss Erfahrungen des Nicht-mehr-weiter-Wissens bzw. -Könnens, die einem die eigene Ohnmächtigkeit bzw. Bedingtheit vor Augen führen; sei es das Miterleben bzw. Erleiden von Ungerechtigkeit, sei es das Erlebnis der Unfähigkeit zur Hilfe, sei es die Gewahrung der Bürde eigener Schuld, sei es der miterlebte Tod eines geliebten Menschen. Meist reagieren wir auf solche Grenzsituationen entweder mit einstudierten Verdrängungsmustern oder purer Verzweiflung, da wir Gefahr laufen, dabei unserer orientierungsverheißenden Sicherheiten beraubt zu werden. Indes, gerade diese Grenzerfahrungen nehmen uns nach Epiktet nicht nur etwas, nämlich unsere routinierte »Alltagsgewissheit«, die sie aufbrechen, in Frage stellen; sie geben uns zugleich auch etwas; sie geben den Blick frei auf die Tatsache der völligen Ungesicherheit und Abgründigkeit unseres (menschlichen) Daseins,und – damit verbunden – den Hinweis auf die stete Notwendigkeit nach der erneuten Frage hinsichtlich des Grundes von allem, d. h. der Grundfrage der Philosophie: Was IST? 5 Weischedel (1986, 280) merkt dazu an: »Begegneten wir nicht, wie es uns etwa in der Angst widerfährt, dem Nichts, und erführen wir nicht, indem das Nichts uns die Welt im ganzen entgleiten läßt, daß alles Seiende auch nicht sein könnte, dann würden wir überhaupt nicht darauf aufmerksam, daß es ist.«

104 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Der Mensch als Wesen, das die Frage hat

hält, allem zugrunde liegt, aus dem alles, was ist, hervorgeht?« (Jaspers 1978, 45; Hervorh. E. H.)

Das Haben einer Be-Deutung von Welt ist also notwendigerweise mit dem Umstand verbunden, eine Vorstellung vom Ganzen des Seienden bzw. des Grundes von allem zu entwickeln, also Antwort auf die Frage zu suchen: Was ist das eigentlich Reale, das allem zugrunde liegt? In welcher Relation steht das Offensichtliche, das Werdende/ Vergehende, zum Dauernden? Was hat überhaupt Dauer, den Charakter des Bleibenden? 6 (Vgl. dazu Vonessen 1988, Szynka 2000) Da also um sich wissen nicht ident ist mit sich wissen, um die Frage des Ganzen zu wissen nicht gleichbedeutend damit ist, das Ganze zu wissen, ist die Gabe des Um-sich- bzw. Um-die-Frage-desGanzen-Wissens zugleich Aufgabe, ist der Mensch sich nicht nur gegeben, sondern zugleich aufgegeben. 7 Die Unselbstverständlichkeit dieses spezifisch-menschlichen Vermögens wird wahrscheinlich deshalb so selten bemerkt bzw. thematisiert, weil sie so selbstverständlich erscheint; wo der Mensch ist, da ist die Frage. Weil der Mensch offensichtlich auf Welt hin angelegt ist, ist es ihm einerseits möglich bzw. ist er andererseits genötigt, Fragen zu stellen, in Frage zu stellen bzw. in Frage gestellt zu werden. 8

Diesbezüglich schreibt Dürckheim (1976, 19): »Die große Antriebsfeder, die den Menschen niemals zur Ruhe kommen läßt, ewig in Atem hält und vorantreibt, ist das Leiden. … Dreifach ist die Wurzel des Leidens: die immer drohende Vernichtung, die beängstigende Ungesichertheit und Vergänglichkeit dieses Lebens; sie zu beheben, sucht der Mensch nach dem, was dauert, nach Sicherheit und bleibendem Halt.« 7 Auf diesen Umstand verweist – wie an anderer Stelle schon zitiert – Viktor Frankl (1978, 13) der bekannte Begründer der sogenannten Logotherapie, wenn er – speziell auf die »Geisteslage« des modernen, zunehmend traditionsungebundenen Menschen bezugnehmend – schreibt: »Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte, was er muß, und im Gegensatz zum Menschen von gestern sagen dem Menschen von heute keine Traditionen mehr, was er soll. Nun, weder wissend, was er muß, noch wissend, was er soll, scheint er oftmals nicht mehr recht zu wissen, was er im Grunde will. So will er denn nur das, was die anderen tun – Konformismus! Oder aber, er tut nur das, was die anderen wollen – von ihm wollen – Totalitarismus.« 8 Damit sind natürlich nicht Ungewissheiten bezüglich der aktuellen Uhrzeit gemeint, sondern Fraglichkeiten grundsätzlichen Ausmaßes wie etwa: Wie ist menschliches Zusammenleben möglich? Gibt es eine sinngerichtete Entwicklung des raumzeitlichen Geschehensablaufes? Hat der Mensch einen freien Willen? Warum gibt es Leid und Tod? Existiert Unwandelbares jenseits des Werdens und Vergehens? Gibt es eine wahrhaftige Art zu leben? Was meint Liebe? Können uns unsere Sinne sagen, 6

105 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VII. Voraussetzungen

5.

Die Irrtumsfähigkeit des Menschen

Der Notwendigkeit, eine Welt-Deutung haben zu müssen, ist – so hörten wir von Jaspers – nicht zu entrinnen; wohl jedoch der realitätsadäquaten Ein-Schätzung des Seins-Ganzen. In Frage steht also nicht, ob jede(r) Einzelne eine Deutung des Ganzen der Wirklichkeit hat, sondern vielmehr, inwieweit diese jeweils »bewußt wird oder nicht, ob sie gut oder schlecht, verworren oder klar [ist].« (Jaspers 1978, 36) Dadurch wird eine oben schon kurz angesprochene weitere augenscheinliche – wenngleich leicht zu übersehende – anthropologische Grundgegebenheit deutlich; der Umstand, dass der Mensch des Irrtums fähig ist. Gebsattel (um 1944, 6) verweist darauf in seiner Schrift Not und Hilfe mit den Worten: »[Es] gehört … zu den Grundbestimmungen des Menschen, daß er dem Irrtum unterliegt, – denn das Tier vermag sich nicht zu irren, es täuscht sich höchstens – der Mensch aber ist das irrende Wesen, und am meisten irrt er im Hinblick auf sich selber.«

Gäbe es keine Irrtumsfähigkeit menschlichen Erkennens, gäbe es auch kein Vermögen des Nicht-Irrtums, der Erkenntnis, d. h. auch keine Notwendigkeit einer (annähernden und immer wieder korrekturbedürftigen) Deutung des Realitätsganzen, kein Ringen um die Ein-Schätzung des Offensichtlichen, keine Möglichkeit grundverschiedener Seins-Verständnisse (bei gleichzeitigem Bezogensein aller Menschen auf ein und dieselbe Realität). Diesen Sachverhalt veranschaulichen auf pointierte Weise – indirekt – Hügli und Lübcke (1991, 5), wenn sie eingangs ihres Philosophielexikons feststellen: »Man kann … die Philosophen grob in zwei Kategorien aufteilen: jene, die glauben, daß es in der Philosophie vor allem darum gehe, richtig in die Ratlosigkeit hineinzukommen, und jene, die das höchste Ziel der Philosophie darin sehen, aus der Ratlosigkeit möglichst bald wieder herauszukommen und sich zu höheren Formen des Wissens und der Gewißheit aufzuschwingen.«

Einigkeit besteht offenkundig nur hinsichtlich der Irrtumsfähigkeit menschlicher Erkenntnis bzw. des Grundproblems: der Bewältigung

wie die Welt tatsächlich ist? Gibt es einen Seinsgrund, zu dem man Du sagen kann? Wer bin ich?

106 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Die Irrtumsfähigkeit des Menschen

der (existentiellen) Frage nach dem Verhältnis von Lebensvollzug (Kommunikation) und Erkenntnis. Was jedoch die Bewältigungsstrategie angeht bzw. das Verhältnis zwischen Lebensvollzug und Erkenntnis, sind die Ansichten vielfach grundverschieden.

107 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VIII. Allgemeine anthropologische Konsequenzen, die sich aus der spezifischmenschlichen Erkenntnis-/Kommunikations-Gestalt Wort-Sprache-IchBewusstsein ergeben: Hinsichtlich der umfassenden Deutungsnotwendigkeit des Ganzen der Wirklichkeit (die sich aus der spezifisch-menschlichen Erkenntnis-Kommunikationsgestalt Wortsprache/Ichbewusstsein ergibt), erscheint es mir sinnvoll, zwischen folgenden vier allgemeinen anthropologischen Verständnissen zu differenzieren (vgl. Hamberger 2008b, 228 f.): der Unabdingbarkeit des Habens einer Vorstellung vom Sein als Ganzem (Seins-Verständnis), einer Vorstellung von Ich und Wir (Selbst-Verständnis bzw. Sozietätsverständnis), schließlich: einer Vorstellung von Erkenntnis (Erkenntnis-Verständnis) und von Kommunikation (Kommunikationsverständnis).

1.

Das unabdingbare Haben eines Seins-Verständnisses

Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Mensch (bzw. ein Kultur als »Subjekt im großen«) nicht ohne – wie auch immer bewusste – Vorstellung bzw. Einschätzung dessen, was IST, also hinsichtlich desjenigen, was den eigentlichen Seins-Grund der Wirklichkeit bildet, zu existieren vermag. Dies deshalb, da er als sich-selbstbewusstes Wesen nicht umhin kann, die Frage nach dem Seins-Ganzen zu stellen und immer schon zu beantworten (vgl. Splett 1976, 9 f.). Inwiefern eine solche Be-Deutung des Ganzen zutreffend (wirklichkeitsadäquat) ist bzw. zutreffend sein kann, ist – auf dieser Ebene der Betrachtung – (noch) nicht von Belang 1. Vorerst gilt es allein fest-

Ohne an dieser Stelle schon in Details zu gehen, kann vorausgeschickt werden, dass nicht nur unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Seins-Verständnisse ausprägen, sondern auch Seinsverständniswandlungsprozesse (Wandlung des »Kulturparadigmas«) innerhalb einer spezifischen Geisteskultur zu beobachten sind (vgl. Greshake 2008).

1

108 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das unabdingbare Haben eines Ich-/Wir-Verständnisses

zuhalten, dass mit dem Mensch-Sein unausweichlich das Faktum des Habens eines Verständnisses dessen, was (alles in allem) IST, einhergeht. Da menschliches – wie alles empirisch-beobachtbare – Sein nun stets werdendes bzw. vergehendes Sein darstellt, impliziert das Haben eines Seins-Verständnisses zugleich immer auch das Haben eines Werdens- bzw. Vergehensverständnisses, sowohl was die eigene Person als auch was das Ganze des Seienden (Werdenden/Vergehenden) betrifft. Kurz: Ein Seins-Verständnis zu haben bedeutet zugleich ein Verständnis des Geschehensablaufs (vgl. Kap. A/VII/1) zu haben, wobei diese Vorstellung von Werden und Vergehen sowohl die nicht-personale Umwelt, also die Frage nach Anfang und Ende der »Welt«, den eigenen Werdegang wie den Entwicklungsablauf der menschlichen Kulturen – also der sogenannten Kultur(en)geschichte – umfasst. Schließlich beinhaltet jedes Seins-Verständnis notwendigerweise auch eine Vorstellung, welche Rolle der Tod – insbesonders das augenscheinliche Ende des irdischen Da-Seins des einzelnen Individuums – im Kontext des Seins-Ganzen einnimmt (vgl. Kap. A/VII/3). Das Haben eines Seins-Verständnisses schließt demzufolge immer zugleich auch das Haben eines Nichtseins-Verständnisses, d. h. einer Vorstellung vom Stellenwert des Todes bzw. des Faktums der Vergänglichkeit, der Nichtdauerhaftigkeit aller feststellbaren Dinge mit ein.

2.

Das unabdingbare Haben eines Ich-/Wir-Verständnisses

Untrennbar mit der Vorstellung des Seins ist jene des individuellen, eigenen Seins verbunden. Genauso wie der Mensch – als sich selbst bewusstes Wesen – eines Seinsverständnisses bedarf, einer Vorstellung vom Ganzen der Wirklichkeit, ist seine Existenz in gleichem Maße unweigerlich verbunden mit der Notwendigkeit des Habens eines Selbst-Verständnisses bzw. einer Positionierung des individuellen Ich-Seins gegenüber dem »Rest der Wirklichkeit«; damit einhergehende Fragen lauten etwa: Inwiefern bzw. in welcher/welchen Weise(n) habe ich Anteil am Sein? Bin ich letztlich der Vergänglichkeit unterworfen, dem Tod, oder ist mir eine Anteilhabe an überzeitlichem, dem Tode nicht unterworfenem Sein, möglich? 2 2

Im Zuge eines Blicks in unterschiedliche geistesgeschichtliche Traditionen wird

109 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VIII. Allgemeine anthropologische Konsequenzen

Dieses Selbst- bzw. Ich-Verständnis ist nun untrennbar verbunden mit einem Wir-Verständnis, d. h. einer Vorstellung des eigenen, personalen Seins innerhalb eines sozialen Gefüges, der kulturellen Mit-Welt. Mit anderen Worten: Das Verständnis des eigenen Seins geht stets einher mit einer Vorstellung von Sozietät, von Mit-Sein, von umgebender Wirklichkeit. Selbst im Falle eines extrem individualistischen Ich-Verständnisses, wie es heutzutage vielfach beobachtbar ist (vgl. Beck/Ziegler/Rautert 1997, Bolz 2010), kann die betreffende Person nicht umhin, neben einem Selbst-Verständnis auch ein Wir-Verständnis zu haben, d. h. eine Vorstellung vom Mitbzw. Zueinander der Einzelindividuen; dies allein deshalb, weil jeder im Rahmen eines »Wir« ins Leben tritt und sich im Rahmens dieses genealogischen Wir verstehen muss. Auch hierbei gibt es – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Kap. B/I) – große kulturelle Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der jeweils spezifischen Gewichtung von Ich und Wir. Kurz: Ich-Identität bedeutet stets zugleich Wir-Identität. Dass dieser Sachverhalt hier und heute einer speziellen Hervorhebung bedarf, ist ein Symptom der weithin beobachtbaren (Ich-)Isolation, der Verungemeinschaftung, der Atomisierung menschlichen Lebensvollzuges in den Zivilisationskulturen westlicher Prägung (vgl. Pietschmann 2009a).

3.

Das unabdingbare Haben eines Erkenntnis-Verständnisses

Neben einem Seins- bzw. einem Ich-/Wir-Verständnis, dessen der Mensch bedarf, weil er ein Wesen ist, das von (um) sich und darum um die Frage nach dem (Seins-)Ganzen weiß, ist sein Dasein ebenso notwendig mit einer Vorstellung verbunden, inwiefern bzw. in welchen unterschiedlichen Weisen der Mensch das, was ist, zu erkennen vermag. Auch hier soll vorerst (noch) nicht näher darauf eingegangen werden, inwieweit der Mensch tatsächlich in der Lage ist, Wirklichkeit zu erkennen, d. h. inwieweit Wahrnehmung mit Wahrgenommenem übereinstimmt, sondern allein der Umstand hervorgehoben deutlich, wie kulturspezifisch unterschiedlich diese Frage beantwortet wird (vgl. Kap. B/I).

110 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das unabdingbare Haben eines Kommunikations-Verständnisses

werden, dass mit dem Menschsein unabdingbar das Haben eines Erkenntnisverständnisses verbunden ist, gleichgültig, wie zutreffend (wirklichkeitsadäquat) dies auch immer sein mag.

4.

Das unabdingbare Haben eines KommunikationsVerständnisses

Als letzte allgemein-anthropologische Konsequenz, die sich unabdingbar mit dem das Mensch-Sein konstituierenden Faktum des Habens der Wort-Sprache bzw. eines Ich-Bewusstseins ergibt und auf die näher eingehen werden soll, ist das Haben eines Kommunikations-Verständnisses. Neben einer Ein-Schätzung dessen, was (das Ganze) ist (SeinsVerständnis), eines Selbst-Verständnisses bzw. einer Sozietätsvorstellung im Rahmen des Seins-Ganzen (Ich-/Wir-Verständnis) bzw. einer Vorstellung, inwieweit bzw. in welchen Weisen der Mensch bzw. ich das, was ist, zu erkennen vermag (Erkenntnis-Verständnis), benötigt der Mensch schließlich – allein auf Grund der »Verschränktheit« von menschlicher Erkenntnis und Kommunikation – ebenso unweigerlich ein Verständnis dessen, in welchen Weisen er mit dem, das (neben ihm auch) ist, in Beziehung zu treten vermag. Mit anderen Worten: Mensch-Sein ist demnach in gleicher Weise untrennbar mit dem Haben einer grundlegenden Vorstellung verbunden, welche Weisen von Kommunikation es gibt, inwiefern der Mensch mit (all) dem, das ist, in Beziehung zu treten vermag, bzw. vor allem: wodurch »richtige« (gelingende) im Unterschied zu »falscher« (nicht-gelingender) Kommunikation gekennzeichnet ist. Auch hier gilt es hinzuzufügen, dass damit (vorerst) allein der Sachverhalt dargelegt werden soll, dass jeder Mensch/jede Kultur eines Kommunikationsverständnisses bedarf, ja notwendigerweise stets ein solches hat, ohne damit bereits auf die Frage nach dessen etwaiger »Wirklichkeitsadäquatheit« einzugehen. Für die unabdingbaren Vollzüge des Erkennens und Handelns/ Kommunizierens bedarf der Mensch demnach nicht nur der genannten Verständnisse: was ist (Seins-Verständnis), wer ich bin/wir sind (Selbst-Verständnis; Sozietäts-Verständnis), welche Möglichkeiten es zu erkennen bzw. zu kommunizieren gibt (Erkenntnis-/Kommunikationsverständnis), sondern er bedarf zudem stets spezifischer Vor-Bil-

111 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VIII. Allgemeine anthropologische Konsequenzen

der, orientativer Richt-Bilder, die ihn erst in die Lage versetzen, aus der Fülle der Handlungsmöglichkeiten entscheidend zu wählen. Hinsichtlich des Erkenntnisverständnisses heißt dies etwa konkret, dass darunter jene bestimmten Vorstellungen/Ansichten subsumiert werden, die eine spezifische Person/Kultur bezüglich Erkenntnis hat/vertritt; z. B. hinsichtlich der Frage(n), zwischen welchen grundlegend verschiedenen Arten von Erkenntnis es zu unterscheiden gilt, wie Erkenntnis vor sich geht, welche Leit- bzw. Idealbilder von Erkenntnis existieren, – im Sinne von: in dieser Weise ist es sachlich/unsachlich zu erkennen bzw. dies oder jenes ist/ist nicht erkennenswert (vgl. Hengstenberg 1957).

112 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen, die sich aus der Zwei-Einheit Wortsprache/IchBewusstsein ergeben

Bevor auf humanspezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen, die sich aus der Zwei-Einheit Wortsprache/Ich-Bewusstsein ergeben, näher eingegangen wird, soll kurz der Sachverhalt skizziert werden, dass der Mensch stets auch Anteil hat an nicht-spezifisch-menschlichen Kommunikations- und Erkenntnisvermögen/ -Gestalten sowie an physiko-chemischen Interaktionsprozessen.

1.

Der Mensch hat sowohl Anteil an spezifisch-menschlichen, nicht-spezifisch-menschlichen Kommunikations-/Erkenntnisvermögen als auch an abiotischen physiko-chemischen Interaktionsabläufen

In diesem Zusammenhang lassen sich vier große KommunikationsBereiche unterscheiden, die jedoch de facto stets eine (kommunizierende) Ganzheit bilden: • Der (leibhafte) Mensch ist in sich (organische) Kommunikation. 1 • Der (leibhafte) Mensch tritt über sinnesorganische Kommunikation in Kontakt mit der (nicht-leibhaften) »Außenwelt«. • Der Mensch hat die (Wort-)Sprache, als das spezifisch-menschliche Vermögen zu verbaler (wort-sprachlicher), d. h. zu ich-bewusster (sinngerichtet-wertender) Kommunikation. • Der Mensch hat (mit der Fähigkeit der Wort-Sprache und dem damit verbundenen Haben eines Selbst-Bewusstseins) das Vermögen zu (wort-sprachlich) ich-bewusstem Handeln gegenüber

Dies nicht nur hinsichtlich des Umstandes, dass das leibliche Menschsein verbunden ist mit den verschiedensten Formen von »Bio-Kommunikation«, sprich »Kommunikation« auf Zell-, Gewebe- und Organebene (vgl. Kap. C/II/1b), sondern dass darüber hinaus der menschliche Leib ohne »fremde« Lebewesen (Bakterien) gar nicht lebensfähig wäre (vgl. IQ: Röthlein 2013).

1

113 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

dem (Seins-)Ganzen, d. h. zu welt–(be)deutender Kommunikation. Da sich der Mensch von all diesen Kommunikations-Gestalten bzw. -Vermögen nicht zu dispensieren vermag, kann er (in allen erwähnten Bereichen) nicht nicht-kommunizieren. Welche kommunikationstheoretischen Konsequenzen ergeben sich nun aus der oben skizzierten spezifischen »kommunikativen Kompetenz« des Menschen? Diese zeigte sich unter anderem • in der Möglichkeit des Wissens um sich selbst (und damit um die Frage nach dem Ganzen); • im Vermögen, ein »Außen«, ein »Außer-Sich« (sowohl andere Subjekte/lebendige Entitäten als auch dinghafte »Objekte«) erkennen zu können; • in der Fähigkeit/Genötigtheit, verschiedene »Medien«/Kommunikatonsmittel zu verwenden, um sich mit verschiedenen Gestalten von »Außer-Sich« zu verständigen, auszutauschen bzw. mit diesen zu sein; schließlich: • in der Beherrschung unterschiedlicher Sprachen/Mitteilungssysteme.

2.

Vier Grundelemente jeder allgemeinen Theorie (menschlicher) Kommunikation

Jede allgemeine Theorie menschlicher Kommunikation/Erkenntnis beinhaltet demnach notwendigerweise (mindestens) folgende 4 Grundelemente (vgl. Pürer 2014), die in einem sich gegenseitig bedingenden bzw. ergänzenden Verhältnis zueinander stehen (vgl. Kap. B/I/7). • SUBJEKT(E) der Kommunikation • OBJEKTE(E) der Kommunikation • MEDIEN der Kommunikation • (Sprachliche bzw. sprachanaloge) MITTEILUNGSSYSTEME der Kommunikation. Es lässt sich auch sagen: »Kommunikative Kompetenz« drückt sich aus (vgl. Reichertz 2010): • in der Möglichkeit des Wissens um sich sowie des Bezuges zu sich selbst (bzw. zu seinesgleichen); 114 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun)



• •

im Vermögen, verschiedenste Entitäten – Subjekte wie Objekte – »außerhalb« von sich erkennen, mit ihnen in Kontakt treten und/oder diese handhaben zu können; in der Fähigkeit, verschiedene »Medien« zur (Selbst-)Mitteilung gebrauchen zu können; in der Beherrschung unterschiedlicher Mitteilungssysteme (sprachlicher wie sprachanaloger).

OBJEKT(E)

SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME

SUBJEKT(E)

MEDIUM

Abbildung 9: Kommunikationselementequadrat

Dabei gilt es – wie oben schon erwähnt – zu beachten: Diese Grundpotenzialitäten »kommunikativer Kompetenz« stehen in einem sich gegenseitig bedingenden/ergänzenden Verhältnis zueinander, das kulturspezifisch ganz unterschiedliche Gewichtungen und Ausprägungen annehmen kann (siehe Kap. B/I/7).

3.

Die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun)

Im Unterschied zu den vorgenannten 4 Grundelementen einer allgemeinen Theorie der Kommunikation soll – im Anschluss an Schulz von Thun – die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation als weitere spezifische kommunikationstheoretische Konsequenz der offensichtlichen humanspezifischen Kommunikations-/ErkenntnisGestalt skizziert werden. Für Schulz von Thun entpuppt sich menschliche Kommunikation dem Anschein nach als eine einfache Sache: ein »Sender« übermittelt einem »Empfänger« eine »Nachricht«, als multidimensiona115 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

les Geschehen. Die Entdeckung seiner – nach eigenen Angaben – insbesondere auf den Arbeiten von Karl Bühler 2 sowie den Schriften von Paul Watzlawick basierenden Konzeption 3 der Vier-Dimensionalität (je)des menschlichen Kommunikationsaktes bzw. -ausdrucks beschreibt er wie folgt: »Für mich selbst war es eine faszinierende ›Entdeckung‹, die ich in ihrer Tragweite erst nach und nach erkannt habe, daß ein und dieselbe Nachricht stets viele Botschaften gleichzeitig enthält. Dies ist eine Grundtatsache menschlichen Lebens, um die wir als Sender und Empfänger nicht herumkommen. Daß jede Nachricht ein ganzes Paket mit vielen Botschaften ist, macht den Vorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation so kompliziert und störanfällig, aber auch so aufregend und spannend.« (Schulz von Thun 1996, 26)

Demnach differenziert Schulz von Thun zwischen vier Dimensionen menschlicher Kommunikation: Sach-(Inhalts-)Dimension, Selbstoffenbarungs-Dimension, Beziehungs-Dimension und IntentionsDimension.

3.a Die Inhalts-(Sach)Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis Inhalts- bzw. Sach-Dimension meint dabei das Etwas, das jemand von sich gibt bzw. geben will, seine Nachricht oder manifestierbare Botschaft. Dabei übermittelt dieses »objektiv(ierbar)e« Etwas stets Jemand, also ein Subjekt, d. h. ein mit einem Selbst- bzw. einem Welt-Bewusstsein ausgestattetes Individuum (= Dimension der subjektiven Selbstoffenbarung).

Vor allem dessen Werk Sprachtheorie (Bühler 1934). Vgl. dazu neben seiner bekannten Best- und Longseller-Reihe Miteinander reden 1–3 (Schulz von Thun 1996, zuerst 1981) den gemeinsam mit Langer und Tausch herausgegebenen Band Sich verständlich ausdrücken (Langer/Schulz von Thun/ Tausch 1981). 2 3

116 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun)

3.b Die Selbstoffenbarungs-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis In den Worten Schulz von Thuns (1996, 14): »Wenn einer etwas von sich gibt, gibt er auch etwas von sich – dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer kleinen Kostprobe der Persönlichkeit …«. Mit anderen Worten: Jeder »objektive« Kommunikationsausdruck eines Menschen ist stets zugleich subjektiv geprägt und stellt demnach immer auch ein Stück Selbstoffenbarung 4, Selbstkundgebung des Kommunikators dar. 5 Friedrich Nietzsche, der große Kritiker der Moderne, vertritt gar den Standpunkt, dass das Verständlichste, gleichsam die hier als Sachebene beschriebene Dimension menschlicher Kommunikation, nicht in den Wörtern, d. h. im sinnlich-offenkundigen Kommunikations-Ausdruck liege, sondern in der Musik hinter den Wörtern; doch letztlich auch nicht in der Musik der Wörter, sondern in der Leidenschaft hinter der »Sprachmelodie«; doch letzteigentlich auch nicht im leidenschaftlichen Kommunikations-Impuls, sondern in der Person hinter Leidenschaft, Musik und Wort (vgl. Nietzsche 1980, 89). Nietzsche, der vielfach als prophetischer Denker angesehen wird und nicht zufällig als eigentlicher geistiger Vater der »Post-Moderne« gilt (vgl. B/I/4b), wollte mit diesem Gedanken zum Ausdruck bringen, dass hinter allen manifesten Sicht-, Hör-, Fühlbzw. sonstigen Ausdrucksgestalten menschlicher Kommunikation ein ungreifbar-geistiges Akt(ions)zentrum steht, d. h. eine Person 6 (s. Abbildung 10). Schulz von Thun (1996, 27) grenzt den Begriff erhellend wie folgt ab: »Ich wähle den Begriff der Selbstoffenbarung, um damit sowohl die gewollte Selbstdarstellung als auch die unfreiwillige Selbstenthüllung einzuschließen.« 5 Vetter (1980, 90) macht diesen Zusammenhang deutlich, wenn er zeigt, wie sehr das Gegenüber die eigene Selbstmitteilung beeinflusst: »Weil die Sprache mehrere Dimensionen hat, wie sie in einer Gesprächssituation wurzelt, deshalb gehört zu ihr eine Artikulationsfähigkeit, die aber letzten Endes nicht aus einer erlernbaren Fertigkeit stammt (also auch nur bedingt dem sogenannten Bildungsniveau entspricht), sondern aus persönlichem Vertrauen entspringt. Es geschieht oft genug, daß ein und dieselbe Sache, ohne daß sie komplizierter würde, vor anderem Publikum viel schwerer auszudrücken ist. Eine gute Wendung der Umgangssprache sagt, man ›rede sich‹ viel schwerer. So gesehen, ist Sprache immer auch Selbstmitteilung, Übergabe eines Teiles seiner selbst.« 6 Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Selbstoffenbarung und Ausdrucksgestalten bei Nicht-Menschlich-Lebendigem sei auf die Arbeiten des Schweizer Zoologen Adolf Portmann (vgl. Portmann 1974, 138 ff.) verwiesen, der bei allem Lebendigen das Zusammenspiel zwischen »Innerlichkeit« und »Selbstausdruck« hervorhebt. 4

117 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen (Offensichtlicher) Kommunikations-Ausdruck

Kommunikations-Melodie

Kommunikations-Impuls

PERSON (= eigentliche(r) Kommunikationsbotschaft bzw. -inhalt)

Abbildung 10: Person als geistiger Aktionsgrund nach Nietzsche

Kurz: Nach Nietzsche ist die hinter allem Vernehmbaren liegende bzw. in allem »Objektivierbar-«Vernehmlichen sich ausdrückende unverwechselbare geistige »Subjektivität« des einzelnen Menschen das eigentlich Verständliche bzw. Verstehbare menschlicher Kommunikation, da er in der kommunizierenden Person nicht nur den Sender einer Mitteilung erblickt, sondern zugleich die eigentliche Mitteilung. Dieser Gedanke basiert auf dem Hinter-Gedanken, dass der Mensch letztlich nicht nur bzw. nicht primär etwas mitteilen möchte, sondern sich selbst – und insofern alle mitgeteilten (offensichtlichen) Botschaften nur in dem Maße lesbar sind bzw. lesbar werden, als ich die eigentliche Botschaft nicht in den übermittelten Wörtern, nicht in der Musik, nicht in der Leidenschaft, sondern in der Person des Gegenüber erblicke. Damit kommen wir zum dritten vorhin erwähnten Aspekt im Kontext menschlicher Kommunikation: der Beziehungs-Dimension.

3.c Die Beziehungs-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis Jeder menschliche Kommunikations-Akt bzw. in weiterer Folge Kommunikations-Ausdruck hat ein Ziel, eine Adresse 7, eine (Nach-)Richtung. Demzufolge bestimmt sich der Kommunikations-Akt (bzw. 7

Auch wenn jemand gleichsam ins »Nichts« spricht, und allein (vor sich her) sagt:

118 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun)

Kommunikations-Ausdruck) auch vom »Empfänger«, vom »angesprochenen« Gegenüber her, von der Beziehung zwischen Sender und Empfänger. Auf diesen wichtigen Umstand verweisen bekannterweise Watzlawick et al. in ihrem – auf breiter wissenschaftlicher Front rezipierten – Werk Menschliche Kommunikation, wenn sie feststellen: »Wenn man untersucht, was jede Mitteilung enthält, so erweist sich ihr Inhalt vor allem als Information. … Gleichzeitig aber enthält jede Mitteilung einen weiteren Aspekt, der viel weniger augenfällig, doch ebenso wichtig ist – nämlich einen Hinweis darauf, wie ihr Sender sie vom Empfänger verstanden haben möchte. Sie definiert also, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht, und ist in diesem Sinne seine persönliche Stellungnahme zum anderen. Wir finden somit in jeder Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.« (Watzlawick et al. 1980, 53)

Mit Hilfe des Terminus Beziehungs-Dimension soll zum Ausdruck gebracht werden, dass in jedem Akt/Ereignis (und in der Folge Ausdruck) menschlicher Kommunikation (auch) die Relation Sender/ Empfänger, das Verhältnis des Sprechers zum Angesprochenen, »enthalten« ist. Mit anderen Worten: Jede Gestalt menschlicher Kommunikation enthält neben der Inhalts- und Selbstoffenbarungs-Aussage auch eine Mitteilung hinsichtlich des Du- bzw. Wir-Verhältnisses bzw. -verständnisses. 8 Nochmals anders gewendet: Bei jedem Akt menschlicher Kommunikation sagt jemand nicht nur etwas (Inhalts-Dimension) bzw. sich (Selbstoffenbarungsdimension) selbst aus, sondern es wird damit stets auch ein allgemeines bzw. spezifisches Du- bzw. Wir-Verhältnis/-verständnis zum Ausdruck gebracht.

»Hoffentlich wird das Wetter morgen besser!« ist dieser »Ausruf« nicht ziellos, sondern entweder an sich selbst oder an eine unbekannte Adresse (Nicht-Ziel) gerichtet. 8 Diesen Umstand macht Schulz von Thun (1996, 28) deutlich, wenn er hinsichtlich der Beziehungs-Dimension ausführt: »Genaugenommen sind auf der Beziehungsseite der Nachricht zwei Arten von Botschaften versammelt. Zum einen solche, aus denen hervorgeht, was der Sender vom Empfänger hält [Du-Verständnis], wie er ihn sieht. … Zum anderen enthält die Beziehungs-Seite auch eine Botschaft darüber, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht (›so stehen wir zueinander [spezifisches bzw. allgemeines Wir-Verständnis]‹). … Während also die Selbstoffenbarungsseite (vom Sender aus betrachtet) Ich-Botschaften enthält, enthält die Beziehungsseite einerseits Du-Botschaften und andererseits Wir-Botschaften.«

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

3.d Die Intentions-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis Was mit dieser vierten Dimension menschlicher Kommunikation gemeint ist, macht Schulz von Thun (1996, 14) in geradliniger Formulierung deutlich, wenn er feststellt: »Wenn einer etwas von sich gibt, will er in der Regel auch etwas bewirken.« Der Begriff Intentions-Dimension steht folglich für den Sachverhalt, dass menschliches In-Beziehung-Treten stets (auch) eine absichtsvolle, sinngerichtet-willentliche Komponente aufweist, also bestimmt ist durch ein Handlungs-Motiv, eine (mehr oder weniger bewusste) Handlungs-Absicht. Kurzum: Neben einem Inhalts-Aspekt (Was wird vermittelt?), einem Selbstoffenbarungs-Aspekt (Wer vermittelt [et-]was?) und einem Beziehungs-Aspekt (Wem wird etwas vermittelt bzw. mit wem trete ich in Beziehung?) ist menschliche Kommunikation/Erkenntnis zudem gekennzeichnet durch einen Intentions-Aspekt (Warum vermittle ich etwas?). 9 Exemplum docet: Versuchen wir uns diese Vierdimensionalität menschlicher Kommunikation/Erkenntnis anhand der vorliegenden Habilitationsschrift vor Augen zu führen: Was teilt der Autor auf diesem »kommunikativen Weg« der schriftlichen Veröffentlichung der geneigten Leserin, dem geneigten Leser, mit? Da sind – offensichtliche – inhaltliche Sachverhalte bezüglich der Thematik des Verhältnisses zwischen menschlicher Kommunikation und Erkenntnis (Inhalts-Dimension). Doch dies stellt – obwohl es aufs erste vielleicht wie das Ganze an Vermitteltem aussieht – nur einen Aspekt von dem dar, was sich zwischen mir, dem Autor, und den Lesern an »kommunikativer Realität« ereignet. Wenn Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, diese kommunikationswissenschaftliche Arbeit lesen, erfahren Sie nicht nur inhaltliche Informationen zum erwähnten Thema, sondern auch – nolens volens – einiges über den Autor. Damit sind jedoch nicht primär (direkte) Daten und Fakten zu meiner Person gemeint, sondern indirekte Selbstoffenbarungsbotschaften von mir. Diese gebe ich allein schon durch die thematische Auswahl, die ich treffe, durch Hinweise hinsichtlich des meines Erachtens Wichtigen (und deshalb Mitteilenswerten), insbesondere durch die behandelten spezifischen Frage- und Problemstellungen (Selbstoffenbarungsdimension). Der Sachverhalt, dass ich den vorliegenden Text als Habilitation verfasse, zeigt einerseits, dass ich mittels dieser Schrift in einen grundsätzlichen Erkenntnis-Diskurs betreffs der angeführten Thematik mit der scientific community treten will, andererseits, dass ich den – mit dieser Schrift – initiierten Dialog prinzipiell für (zumindest potenziell) sinnvoll erachte (Beziehungs-Dimension). Schließlich sind mit dieser Schrift auch bestimmte Absichten von Seiten des Autors verbunden; etwa das Bestreben, die in der Arbeit dargelegte Konzeption einer breiteren (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um so einen Beitrag zum besseren

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Drei zentrale Verhältnisse menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Ein und derselbe Kommunikationsakt »beinhaltet« stets viele Botschaften zugleich und lässt sich daher mehrdimensional (im Modellfall nach Schulz von Thun vierdimensional) verstehen; sowohl von der Seite des Senders wie von jener des Empfängers.

4.

Drei zentrale Verhältnisse menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

Vor dem Hintergrund des Ausgeführten sollen nun drei zentrale Verhältnisse im Kontext menschlicher Kommunikation skizziert werden. • Die Verbundenheit (»Verschränktheit«) von Ich und Du/Wir. • Die Verbundenheit (»Verschränktheit«) von personaler und medial vermittelter Kommunikation. • Die Verbundenheit (»Verschränktheit«) von Kommunikation und Erkenntnis.

4.a Die »Verschränktheit« von Ich und Du/Wir Menschliche Existenz vollzieht sich stets im Spannungsfeld zwischen Individuation (Ich) und Vergemeinschaftung (Du/Wir). Paradigmatisch wird dieser Zusammenhang am Phänomen des Spracherwerbs deutlich. Rothe hebt diese Balance aus erkenntnistheoretischer Sicht hervor, in dem sie ausführt: »Wenn vom Menschen als einem sozialen Wesen die Rede ist, dann ist damit nichts anderes gemeint, als dass er grundlegend ein immer schon Kommunizierender ist. Zwischenmenschliche Kommunikation zu erklären bedeutet folglich in eins auch die Klärung dessen, was die Existenz des Anderen für den Einen, was Sozietät bedeutet.« (Rothe 2006, 10) Die Deutungen bzw. Gewichtungen dieses Zusammenhangs sind kulturspezifisch jedoch höchst unterschiedlich und reichen von individualistischen, ja solipsistischen Konzeptionen auf der einen bis hin zu gesellschaftszentrierten und kollektivistischen Ansätzen auf der anderen Seite. Diese »Verschränktheit« von Individualität und Sozietät ist nun Selbstverständnis des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft zu leisten (Intentions-Dimension).

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

ihrerseits mit mindestens zwei weiteren Verhältnissen untrennbar verbunden: personale (»interpersonelle«) und medial-vermittelte Kommunikation sowie Kommunikation und Erkenntnis. Dies deshalb, da jeder Kommunikationsakt zwischen Ich und Du/Wir stets auf der Basis der anderen genannten Verhältnisse realisiert wird.

4.b Die »Verschränktheit« von personaler (interpersoneller) und medial vermittelter Kommunikation (und Erkenntnis) Menschliche Kommunikation vollzieht sich (ebenso) im untrennbaren Spannungsverhältnis von Personalität und Medialität. Dieses Verhältnis ist zum einen durch den Umstand bedingt, dass jeder Kommunikationsakt – und sei er noch so »unmittelbar« – stets verschiedener Medien bzw. Kommunikations-Mittel bedarf: sowohl »natürlicher« (Luft, Schallwellen, Licht etc.) wie »kultürlicher« (Sprache, Schrift, technische Geräte etc.). In diesem Sinne ist die Rede von »unmittelbarer« Kommunikation irreführend. Andererseits weist jedes Geschehen medial vermittelter Humankommunikation – wie viele technische Medien auch dazwischengeschaltet sein mögen, wie »unpersönlich« die betreffende Kommunikationsweise auch sein mag – immer notwendigerweise auch personalen (und damit intentionalen) Charakter auf: Letztlich bezieht sich im Falle von Kommunikation stets jemand auf jemand anderen (andere) und teilt sich und etwas mit. Kurz: Menschliche Kommunikation ist sowohl a-medial als auch ich- bzw. subjektlos nicht denkbar. Immer vollzieht sie sich im Verhältnis von Personalität und Medialität; allein die Gewichtung der beiden Elemente kann – je nach den spezifischen kommunikativen Umständen – unterschiedlich sein. Dieser Zusammenhang ist insofern von zentraler kommunikationstheoretischer Bedeutung, als ein kulturspezifisches Verständnis massenmedial vermittelter »öffentlicher« Kommunikation stets auf einem zu Grunde liegenden Verständnis von personaler Kommunikation beruht. Oder, wie Burkart (2002, 18) es formuliert, »der Massenkommunikationsprozeß nur dann angemessen erfaßt werden kann, wenn man menschliche Kommunikation grundlegend ins Auge faßt, also auch relevante Aspekte der Individualkommunikation beachtet.« (Vgl. dazu auch Eisenstein 1994, 19; Krallmann/Ziemann 2001, 10)

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Die Sollens-Dimension von Kommunikation (und Erkenntnis)

4.c Die »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis Ein drittes untrennbares Gefüge bildet schließlich jenes von Kommunikation und Erkenntnis. Denn: wer kommuniziert, erkennt. Wer erkennt, kommuniziert. Jedes Kommunikationsgeschehen ist insofern stets mit einem Erkenntnisgeschehen verbunden wie umgekehrt jeder Erkenntnisakt ausnahmslos mit einem Kommunikationsakt einhergeht. Das heißt: Jede (wissenschaftliche) Äußerung das Phänomen Kommunikation betreffend, gleich welchen Inhalts, stellt – zumindest implizit – notwendigerweise stets zugleich auch eine Aussage über das Phänomen Erkenntnis dar und umgekehrt. Der Physiker Pietschmann (2007, 271) zeigt – wie in der Hinführung zur Thematik der vorliegenden Schrift erwähnt – diesen Umstand auf, wenn er schreibt: »Die [Erkenntnis-]Aussage eines Subjekts über ein Objekt ist … erst dann sinnvoll, wenn sie – im Sinne der Kommunikation – für ein anderes Subjekt gemacht wird, wenn sie also mitgeteilt wird. … Um eine Aussage über ein Objekt vernünftig betrachten zu können, brauchen wir mindestens zwei Subjekte, die miteinander über dieses Objekt kommunizieren.« Und Karl Jaspers, der – wie ebenfalls oben schon erwähnt – als erster Denker der Moderne den Kommunikationsbegriff in das Zentrum (seines) philosophischen Denkens stellt (vgl. Kiel 2008, Fiedler 2013, Rolf/Cesana 2013, Lang 2009, Hügli/Kaegi/Wiehl 2004), verweist darauf, dass »die Bewegung des Erkennens … stets die Form des Sichmitteilens [hat].« (Jaspers 1991, 370) Auch hier gilt es den Umstand zu beachten, dass – individuell genauso wie kultur- und epochenspezifisch – die Bedeutungsgewichtung der beiden Elemente zum Teil gravierend unterschiedlich sein kann.

5.

Die Sollens-Dimension von Kommunikation (und Erkenntnis)

Diesbezüglich bemerkt Schulz von Thun erhellend: »Kommunikation dient der Mitteilung dessen, was ist. Kooperation und Mitmenschlichkeit leben davon, daß wir uns gegenseitig auf dem laufenden halten, was in uns vorgeht. Selbstausdruck und Anteilnahme gehören zu den vitalen Lebensbedürfnissen des Menschen. Soweit gut. Kommunikation dient aber nicht nur dem Ausdruck dessen, was ist, sondern auch der

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

Hervorbringung dessen, was sein soll.« 10 (Schulz von Thun 1996, 120; Kursiv. E. H.)

Hengstenberg thematisiert diese Sollens-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis, wenn er in seiner Philosophischen Anthropologie zwischen Sachlichkeit und Unsachlichkeit menschlichen Handelns unterscheidet. Sachlichkeit meint dabei »jene Haltung, die sich einem Gegenstand um seiner selbst willen zuwendet ohne Rücksicht auf einen Nutzen. Solche Zuwendung zum Objekt [bzw. Subjekt] kann einmal mehr nach der Seite des schauenden Erfassens, einmal mehr nach der des praktischen Handelns oder des emotionalen Wertens sein.« (Hengstenberg 1957, 9) Unsachlichkeit bezeichnet dagegen den Sachverhalt, dass der – zur Sachlichkeit an sich fähige – Mensch diese Haltung verfehlt. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang eine – von Hengstenberg in diesem Zusammenhang vorgenommene – weitere Differenzierung: jene zwischen sachlicher und utilitärer Haltung. Utilitär (zweckbestimmt, nützlich) nennt Hengstenberg (1957, 9) – in Abgrenzung zu sachlich – »jene Haltung, die sich einem Gegenstand einsichtig und planvoll zuwendet um eines Zugewinns willen, sei es der Zugewinn der eigenen oder einer fremden Person.« Damit wird vorausgesetzt, dass der Mensch ein zur Sachlichkeit fähiges bzw. ein zur Entscheidung für oder gegen Sachlichkeit genötigtes Wesen darstellt, das des zweckentbundenen Interesses fähig ist; was nicht intentionslose Ungerichtetheit, sondern zweckfreie Gerichtetheit meint (vgl. Hengstenberg 1957, 41 f.). Wenn Mettler-Meibom, nach Aufzählung der von ihr mit gelingender Kommunikation in Beziehung gesetzten Dimensionen (Überschaubarkeit/menschliches Maß, Sinnlichkeit/Körperlichkeit/ Kreatürlichkeit, der Mensch als Medium der Verständigung, Zeit, Chance zum Irrtum; sinnstiftendes Tun) (Mettler-Meibom 1999, 10), fortfährt: »Was ich jedoch nicht ahnte, war, daß ich die entscheidende Dimension [neben den von der Autorin angeführten 6 Dimensionen] gelingender Kommunikation für mich noch nicht entdeckt hatte; sie war noch nicht in mein primär wissenschaftlich ausgerichtetes Bewußtsein gedrungen: die der Liebe. Gelingende [interpersonelle] Kommunikation ist angewiesen auf eine innere Haltung, bei der sich das Herz öffnet und bei der der Mensch bereit ist, den anderen in 10

Bzw. was nicht sein soll.

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Die Sollens-Dimension von Kommunikation (und Erkenntnis)

seinem So-Sein wahrzunehmen, zu respektieren, zu achten …« (Mettler-Meibom 1999, 11), so fällt auf, dass sie – analog zu Hengstenberg – im Kontext der ihres Erachtens entscheidenden Dimension von gelingender interpersoneller Kommunikation von einer Haltung spricht, von einer Haltung der Liebe 11. Erst dieser sei es möglich, den anderen in seinem So-Sein – also sachlich – wahrzunehmen und zu achten. Fast nicht mehr überraschend erscheint es vor diesem Hintergrund, dass Hengstenberg seinerseits Liebe als höchste Verwirklichung der Sachlichkeit zu verstehen gibt, wenn er ausführt (1957, 14 ff.): »Sachlichkeit in unserem Sinne ist nicht zu verwechseln mit nüchterner Trockenheit und Unbeteiligtheit. […] Freilich gibt es auch ein Verhalten, das alles Begegnende als Dingliches, als ›Sache‹ behandelt, die nur bedeutsam ist als Mittel zu einem gesetzten Zweck. … Wir möchten dieses Verhalten ›sächlich‹ (im Gegensatz zu sachlich) nennen, weil alles zum Neutrum wird: der Handelnde selbst und die begegnenden Dinge [und Subjekte] werden ›neutral‹. … Sachlichkeit … setzt [demgegenüber] Selbstentäußerung, Hingabe und damit innerste Beteiligung jenes Subjektes voraus, das die sachliche Haltung verwirklicht. Sachlichkeit beschränkt sich [dabei] nicht auf den Intellekt. Wir können z. B. durchaus von einem sachlichen Gefühl oder einer sachlichen Gemütsbewegung reden. … Als Beispiel einer sachlichen Gemütsbewegung haben wir die personale Liebe dargestellt. Liebe ist tatsächlich die höchste Verwirklichung der Sachlichkeit.«

Was uns Menschen insofern – vor allem – zu verbinden scheint, ist demnach nicht nur das Faktum des Mensch-Seins, sondern insbesondere die Frage bzw. das Problem des Mensch-Werdens (vgl. Gebsattel 1954). Was heißt es, Mensch zu werden? Was bedeutet das? Was bedeutete das etwa Ende des 18. Jahrhunderts, im Zuge der Französischen Revolution? Was bedeutet das heute in Damaskus, Tokyo, Nepal, New York, Niedernfritz? Konkret gefragt: Was bedeutet das für einen Transplant-Mediziner, der immer gewagtere Organverpflanzungen vorzunehmen imstande ist? Was bedeutet das für jene französische Künsterlin mit dem Namen Orlan, die – via Gesichtschirurgie – verschiedenste Identitäten an sich Gestalt werden lässt? Was bedeutet das für einen 16 jährigen Schulabbrecher, der keine Aussicht auf eine Lehrstelle oder sonst einen erfüllenden Beruf hat? Was be-

11

Liebe kann hier übersetzt werden mit ich-überschreitendem Handeln.

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

deutet das für jeden von uns? (Vgl. Epiktet 1997, Hamberger 2005, Bolz 2014) Damit soll der Sachverhalt dargelegt werden, dass niemand umhin kann, diese Frage nicht zu beantworten; nicht umhin kann, diese Frage permanent zu beantworten, diese Frage je schon beantwortet zu haben; mehr oder weniger bewusst; meist nicht primär mittels rationaler Reflexion, sondern in erster Linie vollziehend, kommunikativhandelnd; indem der Einzelne gemäß seinen Wirklichkeits-Einschätzungen agiert. Das Problem des Mensch-Seins/Mensch-Werdens ist demnach nicht nur – bzw. nicht primär – ein intellektuelles, sondern in erster Linie ein existenzielles. Vor diesem Hintergrund ist die Bemerkung Webers zu verstehen, dass selbst ein radikaler Konstruktivist bzw. Relativist nicht umhin kann, sich der Wahrheitsfrage bzw. der Sollens-Dimension, d. h. der Entscheidung zwischen Sachlichkeit und Unsachlichkeit zu stellen. Wörtlich heißt es da: »Die Relativierung des Wahrheitsbegriffs im Relativismus und im Konstruktivimus bedeutet somit nicht, dass auf Wahrheit ganz verzichtet wird [werden kann]; das Konzept wird lediglich abgeschwächt, indem ihm seine realistischen Konnotationen genommen werden. Wahrheit ist dann eben nicht mehr Übereinstimmung mit der Außen-Realität, sondern vielmehr mit der kognitiven Innenwelt: ein ›Passen‹ in die Welt der eigenen Konstrukte [bzw. Nützlichkeitskalküle].« (Weber 2005, 16) Schließlich: Bedingt durch den Umstand, dass sich – wie oben skizziert (vgl. Kap. A/IV/4) der Mensch vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Handlungs-Möglichkeiten für eine bestimmte Handlungsalternative entscheiden muss, hat menschliches Handeln zumeist auch Last-Charakter. Es ist nicht nur durch äußere Unwägbarkeiten bedingt, sondern durch eine Vielzahl von äußeren und inneren Handlungsimpulsen. Vor diesem Hintergrund ist meines Erachtens das bekannte Wort Pindars zu lesen: »Werde, der du bist.« Zu werden, was man – zumindest potenziell – (bereits) ist, setzt ein Ideal-Bild, eine vorbildliche Ziel-Gestalt von Menschsein voraus, eine Sollens-Dimension.

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Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)

6.

Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)

Auf der Basis der skizzierten Sollens-Dimension von menschlicher Kommuniktion und Erkenntnis »sollen« in der Folge drei zu differenzierende Beschreibungsebenen von Kommunikation und Erkenntnis skizziert werden. • Kommunikation als Fundamental lebendiger 12 Wirklichkeit; • Kommunikation als geschehendes/nicht-geschehendes bzw. gelingendes/nicht-gelingendes In-Beziehung-Treten/In-Beziehung-Sein; • Kommunikation als vorbildhaftes/zerrbildhaftes In-BeziehungTreten/In-Beziehung-Sein.

6.a Kommunikation (und Erkenntnis) als Fundamental lebendiger Wirklichkeit Damit ist jene Beschreibungsebene gemeint, bei der Kommunikation als unabdingbare Vorgegebenheit aller lebendigen Wirklichkeit verstanden wird. Zentral ist hier der Umstand: Auf dieser Beschreibungssebene gibt es keine Nicht-Kommunikation. Mit anderen Worten: Auf diesem Betrachtungsniveau des Phänomens kann nicht zwischen Kommunikation und Nicht-Kommunikation unterschieden werden, sondern allein zwischen verschiedenen Weisen/Gestalten von Kommunikation (etwa zwischen Human-Kommunikation und Bio-Kommunikation). 13 Auf dieser Beschreibungsebene wird die Unmöglichkeit deutlich, nicht zu kommunizieren bzw. nicht kommuniziert zu werden 14. Dies hinsichtlich aller Kommunikations- und Interaktionsbereiche, an denen der Mensch Anteil hat. 15 Versuchen wir uns diesen SachHinsichtlich materialer Wechselwirkung wird, wie oben erwähnt, die prinzipielle Differenz zwischen Interaktion und Kommunikation vorgeschlagen (vgl. auch Kap. C/I/1 Kommunikation 6¼ Interaktion). 13 Einfache Beispiele dazu: Hans bespricht mit Ingeborg das Urlaubsziel. Eine Biene teilt ihren Artgenossen durch einen sogenannten Schwänzeltanz mit, wo ein neuer Futterplatz zu finden ist. Eine Pflanze warnt mit Hilfe bestimmter Duftstoffe Artgenossen vor Fressfeinden. 14 Dies gilt sowohl für den Menschen als auch für alles Nicht-Menschlich-Lebendige. 15 Sogar jemand, der sich auf Dauer in eine Einsiedelei begibt und damit der »(Mit-) 12

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

verhalt anhand einiger Beispiele aus den oben erwähnten Kommunikationsbereichen klarzumachen: • Der Mensch kann sich vom Faktum, dass sein Leib in sich Kommunikation ist, nicht entbinden. Das heißt: Die Biokommunikationsabläufe (mittels physiko-chemischer Interaktionsprozesse) innerhalb seines Körpers können – im Zuge des ganzen Lebens – nur gestört, nicht unterbunden werden. • Der Mensch kann genauso wenig seine sinnesorganische Kommunikation »abschalten«, höchstens diese begrenzen, bzw. auf etwas konzentrieren. Dieser Umstand wird bereits im klassischen Lehrsatz der Scholastik zum Ausdruck gebracht: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu – Nichts ist in Gedanken, was nicht zuvor in den Sinnen war. • Der Mensch kann – von Ausnahmen abgesehen – nicht nichtbewusst, d. h. nicht wortsprachlos/ich-bewusst(seins)los Handeln. All sein waches Sein ist geprägt von (wort-sprachlich/ichbewusster) Sinngerichtetheit bzw. Bewertung. Die Grundlage, auf der diese permanente Bewertung bzw. sinnhafte Entscheidung für einen bestimmten (und das heißt zugleich gegen ein bzw. mehrere andere alternative) Kommunikations-Akte erfolgt, ist dabei die jeweils subjektiv-bewertende Einschätzung des Augenblicks auf der Basis der Be-Deutung des Ganzen, wie bewusst dies dem Einzelnen auch jeweils aktuell sein mag. 16 Welt den Rücken kehrt«, ist keineswegs als jemand anzusehen, der von seiner Umgebung nicht kommunikativ tangiert wird – auch wenn er fernab der sogenannten Zivilisation sein alleiniges Dasein fristet. Einerseits ist sein Gehen in die (äußere) Einsamkeit Re-Aktion auf die (ihn tangierenden) Einflüsse seiner Umgebung, indem er durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er es – im Rahmen der gegebenen bzw. der ihn umgebenden Kommunikationseinflüsse für seine Person – für angebracht hält, diese Um-Welt zu verlassen. Zum anderen ist sein (nach-)folgendes Allein-Sein, wie lange es auch dauern mag, doch ständig mitbestimmt von den vorausgegangen gesellschaftlichen bzw. mitmenschlichen Prägungen. 16 Gerade weil der Mensch ich-bewusst auf das Seins-Ganze bezogen ist und er insofern die selbstbewusste Wahl hat, ihm jedoch zugleich von nirgendwoher ein absolut gesichertes »Maß aller Dinge« zukommt, benötigt er eine »moralisch-orientative« Ein-Schätzung des Ganzen jenseits des eigenen Nutzens bzw. der eigenen Annehmlichkeit, d. h. ein Vorbild menschlicher Existenz, also eine Theorie wesensgemäßmenschlichen Seins (und damit auch menschlicher Kommunikation und Erkenntnis). Ein Vor-Bild hat dabei immer Sollens-Charakter. Auch wenn z. B. jemand für sich zur Überzeugung gelangt, keinerlei Sollens-Forderungen akzeptieren zu können, hat er damit schon (wieder) eine Sollens-Maxime aufgestellt, gleichsam das »Vorbild der Vorbildlosigkeit«. Rombach verweist auf diesen Zusammenhang, wenn er in seinem

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Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)





Der Einzelne kann nicht nur nicht nicht-kommunikativ Handeln, sondern dabei ebenso nicht nicht ein Vor-Bild/Zerr-Bild menschlicher Existenz bzw. menschlicher Kommunikation/Erkenntnis haben. Dieses unabdingbare (subjektive) (Sollens-)Vorbild/Zerrbild menschlicher Kommunikation/Erkenntnis – gleichgültig, worauf es sich primär stützt (subjektive Erfahrungen, traditionelle Überlieferungen, angelesene Erkenntnisse etc.) – bildet schließlich den »Antwort-Boden« für die Frage, wie man »wahrhaft«, sachlich (vgl. Hengstenberg 1957) kommuniziert. 17 Der Mensch kann sich nicht nicht von seiner Beziehung zum (Realitäts-)Ganzen dispensieren (was immer das für den Einzelnen auch sein mag). In jeder seiner Handlungen ist stets seine Vorstellung des Ganzen der Wirklichkeit mit enthalten (wie bewusst dies dem Einzelnen auch immer sein mag). Jede(r) spricht andauernd – indem er sich selbst aussagt – sein Verhältnis zum Ganzen mit, d. h. die eigentliche (Motivations-)Grundlage allen menschlichen kommunikativen Handelns ist die jeweilige Einschätzung des Ganzen (vgl. Revers 1949).

Bezüglich aller dargestellten Kommunikationsbereiche des Menschen stellt sich auf diesem Beschreibungsniveau also nicht die Frage ob/ob nicht kommuniziert werden kann/soll bzw. nicht soll, sondern einzig wie die Sollens-/Nicht-Sollens-Gestalt des (unabdingbaren) Kommunikations-Vollzuges aussieht. Klassisch veranschaulicht dies das inzwischen übergenug – um das Wort sattsam zu vermeiden – strapazierte Diktum von Watzlawick et al.:

Essay Die Grundstruktur der menschlichen Kommunikation betont: »Ortungsloses Verstehen, sinnfreies Handeln, wert-loses Sein [des Menschen] gibt es nicht.« (Rombach 1977, 41) Bewertung meint in diesem Fall dabei nicht bloß das (instinkthafte) Differenzierungsvermögen zwischen (subjektiv) Angenehmem bzw. Nützlichem respektive Unangenehmem und Unnützem, sondern jene Fähigkeit, die schon Aristoteles als die eigentlich menschliche beschreibt: das Unterscheidungsvermögen zwischen an sich Nützlichem bzw. Unnützem, d. h. zwischen Wahrem und Unwahrem, zwischen Gut und Böse (vgl. Aristoteles 1971, 66). 17 Dabei ist natürlich nicht außer Acht zu lassen, dass ein solches Vor-Bild nicht ein unabänderlich-starres Geistes-Konstrukt darstellt, sondern durchaus etwas Veränderbares. Mit einer wechselnden Einschätzung des Ganzen geht zumeist auch eine Korrektur des Vorbildes/Zerrbildes menschlicher Existenz bzw. menschlicher Kommunikation und Erkenntnis einher.

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

»Man kann nicht nicht kommunizieren« (Watzlawick et al. 1980, 50 ff.). So eingängig dieser Beschreibungszugang Watzlawicks (et al.) hinsichtlich Kommunikation auch sein mag, er hat seine fundamentalen Grenzen. Auf diese weist Burkart (2002, 21 f.) wie folgt hin: »Ausgehend von der plausiblen Einsicht, daß es eine grundlegende Eigenschaft des Verhaltens sei, kein Gegenteil zu besitzen (»Man kann sich nicht nicht verhalten«), gelangen sie [Watzlawick et al.] zur Formulierung ihres bekannten Axioms: ›Man kann nicht nicht kommunizieren‹ (Watzlawick et al. 1969, 53). Diese Position soll allerdings hier nicht vertreten werden. Obwohl es zunächst einsichtig erscheint (und auch gar nicht in Abrede zu stellen ist), daß jedes Verhalten gewissermaßen ein ›kommunikatives Potenzial‹ besitzt, d. h. Bedeutungen vermitteln kann, so hieße es dennoch den Begriffsrahmen überspannen (was die inflationäre Verwendung des Wortes zudem nicht gerade mindern würde), wollte man jedes Verhalten mit Kommunikation gleichsetzen …«

Bemerkenswert an Burkarts Kritik gegenüber Watzlawick et al. scheint nicht so sehr sein Hinweis, dass, wenn alles Verhalten Kommunikation sei, »auch das Betragen eines schlafenden Individuums bereits als ›Kommunikation‹ zu bezeichnen [wäre]« 18, sondern sein Einwand, dass »durch eine derartig hypertrophe Verwendung des Kommunikationsbegriffs … auch all jene Versuche, eine Bedeutungsvermittlung (trotz wechselseitiger Wahrnehmbarkeit) nicht stattfinden zu lassen oder abzubrechen, in den Bereich des Pathologischen [geraten].« 19 (Burkart 2002, 22) In Abgrenzung zu Watzlawick formuliert Burkart (2002, 22 f.) schließlich: Hier könnte ins Treffen geführt werden, dass der Schlaf zwar mit keiner (wach-) bewussten Kommunikation einhergeht, andererseits jedoch schwerlich in Abrede gestellt werden kann, dass auch im »Schlafbewusstseinszustand« (unter Umständen) von kommunikativen Vorgängen gesprochen werden kann, etwa im Falle von »Hypnose-Kommunikation« bzw. »Hypno-Therapie« (vgl. dazu das Standardwerk Hypnotherapie. Aufbau, Beispiele, Forschungen von Erickson und Rossi [10. Auflage 2010] bzw. Albrecht 1990), von biokommunikativen Vorgängen (vgl.C/III/7) einmal ganz abgesehen. 19 Burkart führt diesen Zusammenhang noch näher aus, wenn er verdeutlichend bemerkt: »[W]enn jegliches Verhalten, also auch Schweigen, Absonderung, Regungslosigkeit oder irgendeine andere Form der Vermeidung von Kommunikation selbst eine Kommunikation ist, dann zeigt sich in dem Versuch, nicht zu kommunizieren, tatsächlich ›ein wesentlicher Teil des schizophrenen Dilemmas‹ (Watzlawick et al. 1969, S. 52) … Dieses ›schizophrene Dilemma‹ im Watzlawickschen Sinn entsteht aus der praktisch ›unmöglichen Aufgabe, jede Mitteilung zu vermeiden und gleich18

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Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)

»Im Gegensatz dazu [gegenüber Watzlawick et al.] soll jedoch hier davon ausgegangen werden, daß es dem Menschen sehr wohl möglich ist, ›Kommunikation‹ (bzw. Kommunikationsversuche) willentlich aufzunehmen oder auch abzubrechen, und dies soll in der Begriffsbestimmung auch zum Ausdruck kommen. Gerade menschliches Verhalten kann nämlich bewußt und zielgerichtet (›intentional‹) ablaufen; gerade der Mensch kann sich in seinem Verhalten ausdrücklich auf etwas beziehen bzw. etwas bewußt anstreben (vgl. dazu Graumann 1966, S. 115 f.): der Mensch kann sich also nicht bloß verhalten, er kann auch ›handeln‹.«

Insofern thematisiert Burkart hier eine neue Beschreibungsebene von Kommunikation! Indem er zum Ausdruck bringt, dass es – zumindest hinsichtlich menschlicher Kommunikation – Sinn macht, beschreibungstechnisch zwischen Kommunikation und Nicht-Kommunikation zu unterscheiden bzw. unterscheiden zu können: Damit haben wir eine zweite – prinzipielle – Beschreibungsebene von Kommunikation realisiert.

6.b Kommunikation (und Erkenntnis) als geschehendes/nichtgeschehendes bzw. gelingendes/nicht-gelingendes Beziehungsgeschehen Auf dieser Beschreibungsebene kann zwischen geschehender/gelingender und nicht-geschehender/nicht-gelingender Kommunikation differenziert werden. Als Beispiel soll ebenfalls ein leicht abgewandeltes klassisch zu nennendes Exempel aus der Kommunikationswissenschaft angeführt werden: Gelingende Kommunikation liege etwa dann vor, wenn jemand während einer Lehrveranstaltung nach vorne ruft: »Könnten Sie bitte das Fenster öffnen?« – im Beispielsfall der Angesprochene die Bitte vernimmt und ihr entspricht; oder sagen wir vorsichtiger: der Bitte zu entsprechen versucht. 20 Entscheidend auf dieser Beschreibungsebene ist also der Umstand, dass hierbei auch das Nicht-Geschehen/Nicht-Gelingen bzw. zeitig zu verneinen, daß … (dieses, R. B.) Verneinen selbst eine Mitteilung ist‹ (ebd).« (Burkart 2002, 22) 20 Ob zur Klassifizierung als »gelingend« bereits der Umstand genügt, dass die Bitte akustisch richtig vernommen wurde (ganz gleich, ob der Angesprochene willens ist, dieser zu entsprechen), oder ob als gelingende Kommunikation erst jener Fall bezeichnet wird, wenn die Bitte gehört und ihr entsprochen wird, spielt hierbei nur eine untergeordnete Rolle.

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

das Nicht-Geschehen/Misslingen von Kommunikation relevant erfasst werden kann. Anders ausgedrückt: Die Aussage von Bolz »Massenkommunikation fabriziert Nicht-Kommunikation«, die er in seinem frühen Werk Theorie der neuen Medien trifft (Bolz 1990, 139), ist auf der Beschreibungsebene Kommunikation als Fundamental der Wirklichkeit sinnlos. Erst auf einer Beschreibungsebene von Kommunikation, wo zwischen gelingender und nicht-gelingender (geschehender/nicht geschehender) Kommunikation unterschieden wird, zeichnet sich hierfür ein Verständnishorizont ab. Mit Mettler-Meibom (1999, 17) lässt sich jetzt aber weiter fragen: »Gelingende Kommunikation – Ja, aber was heißt das?« Damit sind wir bei der dritten zu unterscheidenden Beschreibungsebene von Kommunikation angelangt.

6.c Kommunikation (und Erkenntnis) als vorbildliches bzw. zerrbildliches In-Beziehung-Treten / In-Beziehung-Sein Auf dieser Beschreibungsebene von Kommunikation kann nun nicht nur zwischen geschehender/gelingender und nicht-geschehender/ nicht-gelingender Kommunikation unterschieden werden, sondern zudem zwischen vorbildhafter und zerrbildhafter Kommunikation. Was ist damit gemeint? Wie oben schon deutlich zu machen versucht wurde: Der Mensch benötigt Orientierung nicht nur hinsichtlich dessen, was kommunikativ (der Fall) ist, sondern zudem hinsichtlich dessen, was diesbezüglich sein soll (gleichgültig, worin dieses Sollens-Vorbild besteht); hinsichtlich Erkenntnis, Kommunikation, Ich-Sein, Wir-Sein, Sein überhaupt. Selbst wenn Georg Simmel (1991, 70) feststellt: »dass es nicht Werte gibt, die wir als solche wollen, sondern dass wir umgekehrt einen Wert nennen, was wir wollen«, so ist die Realisierung eben dieses eigenen Wollens zugleich das Sollensvorbild. Analog zu individuellen ist – gesamtgesellschaftlich – von jeweils kulturspezifischen Sollensvorbildern auszugehen. Dies wird deutlich, wenn Mettler-Meibom – das aktuelle gesellschaftliche Sollensvorbild von Kommunikation kritisierend – schreibt, »daß das gegenwärtige Projekt der Kommunikationsoptimierung nicht sozial oder human orientiert ist, sondern technisch, wirtschaftlich und in132 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)

strumentell. Als gelingend oder gelungen wird Kommunikation dann angesehen, wenn sich die Grenzen von Zeit und Raum mittels Technik überwinden lassen und wenn Interessen kommunikativ besser durchgesetzt werden können. Betriebsorganisatoren und Unternehmensberater optimieren die Welt der Apparate und polieren die Mitarbeiter, um sie kommunikativ ›fit‹ für das Unternehmen und seine Kunden zu machen.« (Mettler-Meibom 1999, 17) Dagegen könnte eingewandt werden, dass • individuelle wie soziokulturelle Vorbilder bzw. Strebungsziele einem Wandel (Paradigmenwechsel) unterworfen sind; • wir unbestritten in einer Zeit der Individualisierung leben, in der Sollens-Vorbilder weitgehend subjektiven Charakter, also gleichsam »sinndividualistische« Gestalt haben – wonach ein gemeinsam-verbindliches Sollensverständnis schwerlich mehr vorausgesetzt werden kann; schließlich • die verschiedenen kulturellen Vorbilder – sei es im Rückblick in die Geschichte, sei es in einem Seitenblick in andere Geistestraditionen, zum Teil konträre Ansichten vertreten. Wäre es da nicht besser, sich vor allem an der Natur ein gemeinsames Vorbild nehmen? Dem ist mit Reinhard Löw zu entgegnen: »›Natur‹ nimmt dem Menschen keine Entscheidungen ab. … Ein ökologisches Gleichgewicht, welcher Art auch immer, enthält in sich keinen [Sollens-]Appell zu seiner Aufrechterhaltung. Gleichgewichte stellen sich [z. B.] nach dem Umkippen eines Gewässers ebenso von selbst wieder ein, wenn auch auf anderem Niveau, wie in vergifteten Böden: Bestimmte Algen, Pilze, Bakterien lieben ein solches [vergiftetes] Milieu, gedeihen am besten in verdünnter schwefeliger Säure. Das heißt: Eine bestimmte Art von ökologischem Gleichgewicht als wünschenswert gegen eine andere Art auszuzeichnen ist Sache des Menschen. … Denn ob ein umgekipptes Gewässer schön ist, darüber denkt der Mensch anders als die Milliarden glücklicher Einzeller, die in ihm wimmeln. 21 Genausowenig ist die numerische Zahl der Arten ein Argument: Denn wie soll man Algen, Pilze, Bakterien gegen Forellen, Schleien, Karpfen und Hechte aufrechnen dürfen? Auch hier trifft der Mensch die [Vorbild-]Entscheidungen und nicht die Natur an sich.« (Löw 1990, zitiert nach Maier 1995, 30)

Kurz: Jede Kultur bzw. jeder Einzelne kommt nicht herum, ein VorBild zu haben, wie es sein soll: hinsichtlich Selbst-Sein, Wir-Sein (vorbildhafte Gemeinschaft), Erkenntnis und Kommunikation. Erst Ökologie allein kann nicht mehr sagen als das, was ist (das heißt gemäß der vorgelegten Diktion nach Giesecke Anamnese betreiben), nie aber das, was sein soll.

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133 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

diese Vor-Bilder bzw. orientativen Richtbilder – wie bewusst oder unbewusst sie dem Einzelnen auch sein mögen – bilden die eigentliche Basis menschlichen Handelns. Hinsichtlich des Erkenntnisverständnisses heißt dies etwa konkret, dass darunter die bestimmten SollensAnsichten subsumiert werden, die eine spezifische Person/Kultur bezüglich Erkenntnis hat/vertritt; z. B. hinsichtlich der Fragen: • Wie sind die verschiedenen Arten von (menschlicher) Erkenntnis (rationale, sinnliche, gefühlshafte, wissenschaftliche, gegebenfalls mystische) zu gewichten? • Inwiefern kann Erkenntnis vermittelt werden? • Welche »Medien« (Kommunikations-Mittel) sind dazu jeweils geeignet/weniger bzw. nicht geeignet? • Welche Fehlformen gibt es hinsichtlich Erkenntnis zu vermeiden? • Welche Gefahrenpotenziale gibt es im Kontext des Erkenntnisprozesses? • Woran bemerkt der/die Einzelne einen Erkenntnisfortschritt? etc. 22 Allein aus dieser kurzen Skizzierung sollte deutlich geworden sein, wie schwierig es ist, Allgemein-Verbindliches hinsichtlich der Sollens-Vorbilder menschlichen Erkennens und Kommunizierens darzulegen. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun 5 Grund-Sätze zu den 3 unterschiedenen Beschreibungsmodi von Kommunikation formulieren.

Es gab Zeiten, da wusste man um diesen Zusammenhang offenkundig besser Bescheid; Auskunft darüber gibt etwa der Begriff Kultur, vom Lateinischen colere, excolere, ›Pflege‹, stammend: Damit war nicht nur die Agri-Kultur gemeint, das Hegen und Pflegen des Ackers, des Nähr-Bodens, sondern ebenso die cultura animi, die Beackerung der Seele, die Pflege der Freundschaft, die Pflege der Beziehung zum Absoluten, also die Verehrung der Götter, des Einen Gottes – oder allgemeiner ausgedrückt: die Beachtung des Mysteriums des Seins. All dies wurde unter Kultur verstanden, – und zwar als Geschehens-Akt der Vervollkommnung, als kommunikative Bildungs-Handlung. Erst im 19. Jahrhundert erfuhr der Begriff Kultur einen vermehrt gegenständlichen Bedeutungs-Akzent im Sinne des Resultats einer Handlung, eines Kultur-Gebildes (vgl. dazu Rassem 1979). 22

134 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Drei Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis)

6.d Fünf Grund-Sätze zu den drei unterschiedenen Beschreibungsebenen von Kommunikation (und Erkenntnis) Erstens: Jede Weise/Gestalt von Kommunikation lässt sich gemäß der drei unterschiedenen Be-Deutungsebenen analysieren: • hinsichtlich ihrer faktischen fundamentalen Relationalität (A) • hinsichtlich geschehendem (gelingendem)/nicht-geschehendem (nicht-gelingendem) In-Beziehung-Treten/In-Beziehung-Sein (B) • in Bezug auf vorbildliche/zerrbildliche Beziehungshaftigkeit (C). Zweitens: Jede Gestalt geschehender (gelingender)/nicht-geschehender (nicht-gelingender) Kommunikation (B) bzw. vorbildlicher / zerrbildlicher Beziehungshaftigkeit (C) bildet stets immer auch eine Weise fundamentaler Kommunikation (A); kann also stets auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet/untersucht werden. Drittens: Vorbildliches In-Beziehung-Treten ist nicht unbedingt gleichzeitig/gleichbedeutend mit gelingende(r) Kommunikation. Viertens: Zerrbildliches In-Beziehung-Treten ist nicht unbedingt gleichzeitig/gleichbedeutend mit nicht-gelingende(r) Kommunikation. Fünftens: Existenzielle (Human-)Kommunikation meint nicht ichlose Kommunikation. In diesem Sinne bemerkt die Kommunikationswissenschafterin Mettler-Meibom (1999, 11): »Als ich vor rund 15 Jahren das erste Mal versuchte, mir klarzumachen, welche Bedingungen für gelingende zwischenmenschliche Kommunikation unabdingbar seien, kam ich auf eine Liste von 6 Dimensionen. Bei jeder von ihnen sah ich Gefährdungen durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken heraufziehen. Es waren: Überschaubarkeit/menschliches Maß; Sinnlichkeit/Körperlichkeit/Kreatürlichkeit; der Mensch als Medium der Verständigung; Zeit, Chance zum Irrtum; sinnstiftendes Tun.«

Die drei Beschreibungsebenen von Kommunikation erlauben nun nicht nur zwischen gelingender und nicht-gelingender Kommunikation zu differenzieren, sondern darüber hinaus zwischen vorbildhafter und zerrbildhafter Kommunikation, oder um mit Hengstenberg zu sprechen: zwischen sachlicher und unsachlicher Kommunikation zu unterscheiden, sind es doch vor allem Fehlformen von Kommunika-

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IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

tion, die das weite Feld der Kommunikationsliteratur prägen; damit wird – allein schon hinsichtlich der formalen Grundstruktur von menschlicher Kommunikation – jene oben (vgl. Kap. A/IX/5) skizzierte Sollensdimension deutlich. Auch das in dieser Arbeit vorausgesetzte kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisschema Anamnese – Diagnose – Therapie (nach Giesecke) setzt diese drei Beschreibungsebenen zumindest implizit voraus. Je nachdem, welche Beschreibungsebene in einer Kommunikationstheorie nun im Vordergrund steht, sieht die Gewichtung der einzelnen Ebenen unterschiedlich aus; dies soll durch zwei Graphiken (Abbildung 11 und 12) veranschaulicht werden. (Vgl. S. 137 f.)

7.

Die Doppelaspektivität begegnender und vermittelnder Kommunikation

Sibylle Krämer offeriert im Hinblick auf den Gebrauch des Begriffs Kommunikation eine operationable grundsätzliche Unterscheidung, die an dieser Stelle adaptiert werden soll. Sie differenziert zwischen einem technischen Übertragungsmodell und einem personalen Verständigungmodell. Wörtlich heißt es da: »Im Diskurs der Gegenwart führt das Wort [Kommunikation] ein begriffliches Doppelleben; es tritt auf in zwei profilierten, jedoch gegenläufig zueinander stehenden Zusammenhängen, die wir hier das ›technische Übertragungsmodell‹ und das ›personale Verständigungsmodell‹ der Kommunikation nennen wollen.« (Krämer 2008, 13) In diesem Zusammenhang scheint es wichtig, ergänzend hinzuzufügen, dass stets beide Aspekte zugleich gegeben sind. Demnach bildet Kommunikation immer zugleich das doppelaspektivische Phänomen der Vermittlung/Übertragung (von etwas) und der Begegnung (mit jemand). Wer kommunikativ begegnet, vermittelt. Wer kommunikativ vermittelt, begegnet. Wie bei den schon skizzierten Verhältnissen im Kontext des Phänomens Kommunikation (vgl. Kap. A/XI/4) kann dabei jeweils eine der beiden Elemente im Vordergrund stehen. Wenn ich z. B. eine Verkäuferin um eine Auskunft zu einer bestimmten Ware frage, steht (für gewöhnlich) nicht der Begegnungs-, sondern der Übermittlungs136 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Verständnis von interpersoneller Kommunikation

Kommunikation als

Komm. als Vorbildliches/ Zerrbildliches In-BeziehungTreten/-Sein gelingendes/nicht-gelingendes In-Beziehung-Treten

Kommunikation als Fundamental

Abbildung 11: Kommunikationselemente Fundamentalprimat

aspekt (von Information) im Vordergrund. Wenn ich mich hingegen mit jemandem zu einem Rendezvous verabrede, steht umgekehrt nicht der Übermittlungsaspekt im Vordergrund, sondern der Aspekt des personalen Miteinanderseins. Von diesen situationsbedingt-individuellen gilt es kulturspezifisch 23-allgemeine Präferierungen zu unterscheiden.

8.

Das Verständnis von interpersoneller Kommunikation als Voraussetzung eines Verständnisses von medialvermittelter Kommunikation

Aus dem bisher Ausgeführten sollte deutlich geworden sein, dass jedes Verständnis von massenmedial vermittelter Kommunikation auf einem »vorgelagerten« Verständnis von personaler bzw. interpersoneller Kommunikation beruht. Diesen Umstand gilt es nicht zuletzt deshalb extra hervorzuheben, da im Kontext des Mainstreams der aktuellen Kommunika23

Oder epochenspezifische.

137 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

Kommunikation als

Kommunikation als

Kommunikation als Fundamental

gelingendes/nicht-gelingendes In-Beziehung-Treten

vorbildliches/zerrbildliches In-Beziehung-Treten

Abbildung 12: Kommunikationselemente Vorbild/Zerrbildprimat

tionswissenschaft der kommunizierende Mensch vor allem hinsichtlich seines medienvermittelten Kommunizierens in den Blick genommen wird 24 und offenkundig dem Umstand (zu) wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, dass das medienvermittelte menschliche Kommunizieren kulturspezifisch kontextualisiert ist; d. h. auf einer nicht-selbstverständlichen Be-Deutung von interpersoneller Kommunikation beruht (vgl. Giesecke 2007, 17; Hamberger 2011b, 53 ff.), die jeweils bestimmte Kommunikationsmittel favorisiert. Damit ist nicht gemeint, dass nunmehr – gegen die Tradition des Faches, derzufolge »als zentraler Erkenntnisgegenstand zweifellos Der Zusammenhang zwischen der primären Ausrichtung auf massenmedial vermittelte Kommunikation und der wissenschaftshistorischen Genese des Faches Kommunikationswissenschaft erscheint evident und bedarf insofern keiner näheren Begründung. Seit seiner universitären Etablierung im englisch- sowie deutschsprachigen Raum Anfang des 20. Jahrhunderts lag der zentrale Fokus in Forschung und Lehre lange Zeit praktisch ausschließlich auf »öffentlicher Kommunikation«. Die im Verlauf der folgenden Jahrzehnte zunehmend zahlreicher werdenden Gegenstandsbereiche des in weiterer Folge als Publizistik (bzw. Publizistik und Kommunikationswissenschaft) bezeichneten Fachbereichs waren dementsprechend ebenfalls in erster Linie massenmedial ausgerichtet: Mediengeschichte, Medienwirkungen, Mediennutzung, Medienorganisation, Medienökonomie etc. (vgl. etwa Maletzke 1998, 18 f.).

24

138 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Verständnis von interpersoneller Kommunikation

›massenmedial vermittelte‹ und damit ›öffentliche Kommunikation‹ gelten [kann]« (Burkart/Hömberg 2014, 1) – interpersonelle Kommunikation ins inhaltliche Zentrum der Kommunikationswissenschaft rücken soll, sondern lediglich, dass das Bewusstsein dafür zu schärfen ist, dass medial-vermittelte Kommunikation stets auf einem (vorausgesetzten) Verständnis von personaler (interpersoneller) Kommunikation beruht, das zu kennen gerade auch für das relevante Verständnis medial-vermittelter Kommunikation von Vorteil, wenn nicht gar unabdingbar ist. Dies wird sehr gut deutlich anhand der inhaltlichen Auseinandersetzung von Friederike Rothe in deren Habilitationsschrift Zwischenmenschliche Kommunikation. Eine interdisziplinäre Grundlegung (2006) mit dem Grundlagenwerk Einführung in die Kommunikationswissenschaft (1999) von Klaus Merten. Dort differenziert der renommierte Vertreter der Kommunikationswissenschaft zwischen informeller und medialer Kommunikation, wobei er unter informeller Kommunikation »mündliche, personale, Face-to-face-Kommunikation« (Merten 1999, 14) versteht, also jene Weise von menschlicher Kommunikation, die gemeinhin als interpersonelle bezeichnet wird, während er zu medialer Kommunikation all jene Formen von Kommunikation zählt, die mit Hilfe eines »Massenmediums« vonstatten gehen, wie etwa Buch, Presse und Rundfunk (vgl. Merten 1999, 13). Dabei stellt für Merten die informelle (interpersonelle) Kommunikation den »einfachsten Kommunikationsprozess« dar, während die Formen medial vermittelter Kommunikation Ausdruck einer »Evolution von Kommunikation« seien. Dementsprechend sieht Merten eine Entwicklung von einfachen Formen interpersoneller Kommunikation hin zu multimedial-vermittelten Kommunikationsweisen. Rothe macht nun nicht nur auf den Umstand aufmerksam, dass bei Merten ein Maßstab fehle, diese »Mediagenese« zu qualifizieren (»Ohne Maßstab kann man Veränderung zwar feststellen, aber nicht bewerten« [Rothe 2006, 13]), sondern ebenso auf den Sachverhalt, dass Merten die behauptete Strukturgleichheit von informeller (interpersoneller) und (massen-)medialer Kommunikation nicht begründet, was zur Folge hat, »dass Face-to-face-Kommunikation bei Merten wie bei vielen anderen Autoren gemäß der Medienkommunikation verstanden wird.« (Rothe 2006, 13 f.) Mit anderen Worten: Rothe verweist auf den – gerade im Falle einer vorwiegenden Beschäftigung mit (massen)medial-vermittelter 139 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

Kommunikation – leicht zu übersehenden Umstand, dass nach Merten beide von ihm differenzierten Kommunikationsarten im Prinzip die gleiche Struktur aufweisen bzw. nach gleichen Gesetzen funktionieren – und damit eine analoge wissenschaftliche Herangehensweise nahelegen, was nach Rothes Ansicht gerade nicht der Fall ist. 25 Ihres Erachtens bildet vielmehr umgekehrt die interpersonelle (faceto-face-)Kommunikation die Ur- und Höchstform von Kommunikation, »der gegenüber alle anderen Formen von zwischenmenschlicher Kommunikation – in unterschiedlichen Graden – bloße Derivate sind.« (Rothe 2006, 13; vgl. dazu auch Hartley 1993, 5) Das Beispiel soll einerseits illustrieren, dass unterschiedliche Menschenbilder/»Weltanschauungen« dafür verantwortlich zeichnen, dass Rothe und Merten den Stellenwert von interpersoneller Kommunikation völlig gegensätzlich bestimmen, andererseits bzw. vor allem, dass allem Verständnis von (massen)medial-vermittelter Kommunikation notwendigerweise ein Verständnis von interpersoneller Kommunikation zu Grunde liegt (vgl. Rothe 2006, 48). Damit sollte deutlich geworden sein, dass ein Verständnis von massenmedial vermittelter Kommunikation stets auf einem zu Grunde liegenden (und dabei nicht selbstverständlichen, weil kulturspezifischen) Verständnis von personaler/interpersoneller Kommunikation beruht; oder dass – mit einem schon erwähnten Zitat von Burkart (2002, 17 f.) ausgedrückt – »massenmediale bzw. öffentliche Kommunikation nur dann adäquat und umfassend zu untersuchen und begreifen sind, wenn man menschliche Kommunikation grundsätzlich ins Auge faßt.« Dadurch soll der gegenwärtig primär massenmediale Zugang des Fachs nicht negiert, sondern relativiert und in den größeren RahVor einem solchen theoretischen Hintergrund lässt sich interpersonelle Kommunikation jedenfalls problemlos in dem Maße gemäß medial vermittelter »öffentlicher« Kommunikation verstehen, als man allein die – auch bei interpersoneller Kommunikation notwendigerweise vorhandenen – kausalen Elemente des Kommunikationsablaufs in den Blick nimmt und so das interpersonelle Kommunikationsgeschehen darauf reduziert bzw. strukturanalog zu (massen-)medial vermittelter Kommunikation begreift. In diesem Kontext ist meines Erachtens der durchschlagende Erfolg jenes bekannten Kommunikations-Modells (The mathematical theory of communication) zu erblicken, das Ende der 1940er Jahre der Mathematiker und Elektrotechniker Claude Elwood Shannon (1916–2001) zur Darstellung der Übertragung von Signalen mittels eines technischen »Mediums« (Kommunikations-Mittels), nämlich des Telefons, Telegraphen oder Fernsehens, entwickelt hat und das Baecker (2005, 118) für eines der einflussreichsten in der Kommunikationswissenschaft überhaupt hält.

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140 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Differenzierung zwischen Erkenntnis und »gesichertem Wissen«

men des grundlegenden Phänomens »menschliche Kommunikation« gestellt werden, ohne das, was daran erfolgreich, richtig und wichtig ist, in Frage zu stellen oder gar aufzugeben, sondern um es vielmehr im Kontext des Gesamtphänomens »Kommunikation« adäquat zu positionieren.

9.

Die grundlegende Differenzierung zwischen Erkenntnis und »gesichertem Wissen«

In Kap. A/V/5 wurde schon kurz auf die vorgeschlagene grundlegende Differenzierung zwischen Erkenntnis und »gesichertem Wissen« Bezug genommen. An dieser Stelle soll dies nun näher ausgeführt werden. Mit Erkenntnis werden all jene Gestalten von (wahrem bzw. unwahrem) »Orientierungs-Wissen« bezeichnet, die der Mensch (ständig) benötigt und vollzieht, um sich in der Realität zurechtzufinden, ja um überhaupt lebenspraktisch existieren zu können. Spezifische Grundlage menschlicher Erkenntnis 26 bildet dabei die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein/Wortsprache. Gepaart mit sinnesorganischer Wahrnehmungsfähigkeit ist der Mensch einerseits in der Lage, andererseits genötigt, Welt zu erkennen, zu deuten bzw. intentional zu handeln; ein daraus gewonnenes orientierungsgebendes Welt-Verständnis dient dabei als unentbehrlicher Wert- und damit Erkenntnismaßstab. Im fundamentalen Unterschied dazu meint »gesichertes Wissen« allein Kenntnis hinsichtlich der Voraussagbarkeit von Resultaten kausaler Ablaufsfolgen, jedoch keinerlei Erkenntnis (eines Wesens) von Dingen bzw. Personen. Die – in zentraler Weise auf Galileo Galilei zurückgehende – »Erkenntnis«-Methode strebt dabei grundsätzlich nicht (wie etwa Philosophie, Theologie bzw. Lebenspraxis) nach »wahrer Erkenntnis« bzw. »Erkenntnis der Wahrheit«, sondern allein nach gesicherter Kenntnis von Ablaufsfolgen, die durch das Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment (als Handlung!) gewonnen wird (vgl. Pietschmann 2005, Chargaff 1992). »Gesichertes Wissen« stellt mithin eine »Erkenntnisweise« dar, die erst mit der neuzeitlichen Wissenschaftlichkeit aufkommt bzw. Die sich – wie oben schon skizziert – realiter stets gemeinsam mit Kommunikation vollzieht.

26

141 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IX. Spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen

diese (mit) konstituiert. D. h. sie stellt eine kulturspezifisch-abendländische Errungenschaft dar (vgl. Kap. B/III/5). Dadurch wird deutlich, dass »gesichertes Wissen« (im beschriebenen Sinne) keine conditio sine qua non menschlicher Existenz bildet, während Erkenntnis (analog zu Kommunikation) ein unabdingbares Fundamental, ja Existenzial menschlichen Seins darstellt. Schließlich gilt es in diesem Zusammenhang noch auf einen gerne übersehenen Aspekt hinzuweisen: Sämtliches »gesicherte wissenschaftliche Wissen« basiert stets auf einer »außerwissenschaftlichen« Erkenntnisgrundlage. Denn selbst aus einer beliebig großen Menge an »gesichertem Wissen« lässt sich nicht ableiten, was als erkennenswert anzusehen ist. Auf diesen Umstand verweist Tenbruck, wenn er im Band Die unbewältigten Sozialwissenschaften dazu ausführt: »Jede Wissenschaft orientiert sich an der Idee von etwas Wissenswertem. Ob etwas wissenswert ist oder nicht, läßt sich jedoch wissenschaftlich nicht beweisen; es ist eine Wertfrage. … So hängt alle Wissenschaft [bzw. gesichertes Wissen] von [Erkenntnis-] Voraussetzungen ab, über die sie selbst nicht gebieten kann, und über die sie sich selbst meist auch nicht klar ist, weil ihr als selbstverständlich erscheint, daß, was sie sucht, ein für allemal das Wissenswerte ist, weshalb ihre eigenen mächtigen [Erkenntnis-] Vorgriffe auf die Natur von Mensch und Gegenstand verdeckt und unfaßbar bleiben.« (Tenbruck 1984, 277; vgl. Fleck 2011)

Dies führt in direkter inhaltlicher Linie zum nächsten Punkt: der grundlegenden begrifflichen Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion.

10. Die grundlegende Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion Analog zur Differenzierung zwischen Erkenntnis und »gesichertem Wissen« wird – wie eingangs (vgl. Kap. Hinführung) schon erwähnt – eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Kommunikation und Interaktion vorgeschlagen. Interaktion (bzw. Wechselwirkung) steht dabei für kausale Ablaufsfolgen ohne Verhaltensvariabilität, während Kommunikation ein Geschehen meint, das stets mit Handlungsvariabilität verbunden gedacht wird, da nicht ohne »handelnde Subjekte« denkbar.

142 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion

Kommunikation steht insofern nicht für die Summe (auch nicht für mehr als die Summe) von (naturnotwendigen bzw. naturgesetzlichen) Interaktionen, sondern für etwas grundsätzlich anderes! Für ein Begegnungs- bzw. Bedeutungsvermittlungsgeschehen, das stets die Möglichkeit zu Verhaltensvariabilität (beim Nicht-MenschlichLebendigen) bzw. zu Handlungsfreiheit (beim Menschen) mit beinhaltet. Dadurch werden die physiko-chemischen Interaktionen nicht außer Kraft gesetzt, sondern relativiert. Die prinzipielle Differenzierung zwischen Interaktion und Kommunikation wird dabei als hierarchische deutlich (vgl. Heitler 1970, 20 bzw. Kap. C/II/8). Im Kapitel Kommunikation 6¼ Interaktion (C/II/1) wird auf diese zentrale Differenzierung eingehend zurückzukommen sein, unter anderem ersichtlich gemacht einerseits anhand des von Pietschmann sogenannten »Checklist-Verhaltens« bei Notfällen im Flugverkehr, wo – aus Sicherheitsgründen (!) – bewusst auf die »kommunikative Kompetenz« der Piloten verzichtet wird bzw. andererseits im Kontext der Fragestellung, inwieweit auch dem Nicht-Menschlich-Lebendigen – etwa schon auf Zell-, Gewebs- und Organebene – »kommunikative Kompetenz« zugesprochen werden kann, das heißt das Vermögen zu »Bio-Kommunikation«.

143 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

X. Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als formales anthropologisches Vergleichs- / Deutungsschema

Wenn Haecker (1959, 113) in seinem Werk Was ist der Mensch? bemerkt: »Je nachdem, was eine Philosophie über die Totalität des Seins überhaupt denkt, wird ihr Urteil über den Menschen anders sein müssen«, so heißt dies übertragen auf die der vorliegenden Habilitationsschrift zu Grunde liegenden zentralen Frage nach dem Verhältnis von Kommunikation und Erkenntnis: Jedes Verständnis dieses Verhältnisses ist stets eingebettet in einen kulturspezifischen Bedeutungs-Kontext. Renckstorf verweist auf diesen Zusammenhang im Kontext der Kommunikationswissenschaft, wenn er im Hinblick auf den Stand der Forschung (1995) – sich auf ein Schema von Littlejohn beziehend, das zwischen zwei verschiedenen Seins- und Erkenntnisverständnissen unterscheidet – ausführt: »Die systematische Darstellung von Theorien der (Massen-)Kommunikation fällt […] einigermaßen schwer. Stephen W. Littlejohn (1983), der zumindest von einer faktischen Multidisziplinarität der Kommunikationsforschung ausgeht, hat ein metatheoretisches Modell skizziert, das uns hier – in Form eines zweidimensionalen Schemas – zur ersten Verortung theoretischer Perspektiven der Kommunikationswissenschaft dienen kann. […] Die erste Dimension betrifft die erkenntnistheoretische oder epistemologische Position der Forschung, die zweite Dimension die jeweils hantierten Grundannahmen hinsichtlich des zu untersuchenden Objektbereichs, die ontologische Position der Forschung …« (Renckstorf 1995, 13)

Hinsichtlich dieser umfassenden Be-Deutungsnotwendigkeit des Ganzen der Wirklichkeit erscheint es – wie oben schon ausgeführt (vgl. A/VIII/1–4) – sinnvoll, zwischen folgenden vier verschiedenen Teil-Aspekten zu differenzieren: der Bedeutung des Seins als Ganzem (Seins-Verständnis), der Bedeutung von Ich und Wir (Selbst-Verständnis bzw. Sozietätsverständnis), der Bedeutung von Erkenntnis (Erkenntnis-Verständnis) und der Bedeutung von Kommunikation (Kommunikations-Verständnis). Diese Differenzierung soll nun mit Hilfe des sogenannten 144 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

X. Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat«

»Wirklichkeitsbedeutungsquadrats« in graphischer Form veranschaulicht werden. Dabei steht vorerst – für die Notwendigkeit des Menschen Welt, d. h. das Ganze des Seins zu bedeuten – symbolisch die Gestalt des Kreises (siehe Abbildung 13). In diesen sind nun die 4 oben erwähnten Verständnisse (Sein, Ich/Wir, Erkenntnis, Kommunikation) als »Quadranten« eingeschrieben und bilden so ein »Koordinatensystem der Wirklichkeitsbedeutung«.

KOMMUNIKATION

SEIN

ERKENNTNIS

ICH/WIR

Abbildung 13: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat (nach Hamberger 2008b, 229)

Dieses »Koordinatensystem der Wirklichkeitsbedeutung« soll in der Folge (vgl. Kap. B/I/5) dazu dienen, sowohl kulturenspezifische als auch epochenspezifische Realitätsverständnisse zum Ausdruck zu bringen.

145 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

XI. Die Notwendigkeit weltanschaulichinhaltlicher Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

Die Ersichtlichmachung der unabdingbaren Notwendigkeit einer inhaltlichen Bestimmung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis wird mit Hilfe des Psychologen Wilhelm Josef Revers deutlich. Er schreibt in seinem Werk Ideologische Horizonte der Psychologie zu – je nach weltanschaulicher Einschätzung grundverschiedenen – inhaltlichen Grundlagen seines Faches: »In jeder Definition dessen, was Psychologie ist, tritt der ontologische Untergrund [die ›inhaltliche‹ Be-Deutung] dieser Wissenschaft in Erscheinung. Bezeichnen wir die Psychologie z. B. als die Wissenschaft von der Seele, so steht außer Frage, daß in dieser Definition das Sein von Seele vorausgesetzt ist; und diese Voraussetzung ist metaphysischer [›inhaltlich‹ bedeutender] Natur. Ist dies aber so grundlegend anders, wenn wir – um Psychologie als Naturwissenschaft treiben zu können – sagen, die Psychologie sei die Wissenschaft vom Bewußtsein oder vom Verhalten lebender Wesen? Der Psychologie als Lehre vom Bewußtsein wohnt – als ontologische Voraussetzung [bzw. als ›inhaltliche‹ Be-Deutung] – die Konzeption inne: Seele ist Bewußtsein (und sonst nichts). Die Psychologie des Behaviorismus gründet auf der Voraussetzung: Psychologie ist ein Mißverständnis, Seele ist nirgends zu finden; Gegenstand der Psychologie ist das Verhalten (und sonst nichts). Dies ›und sonst nichts‹ aber ist die – oft verschwiegene – verräterische Schwelle, an der empirische Hypothesen zu metaphysischen Postulaten werden. Sobald also die Psychologie angeben soll, was eigentlich [im Sinne der ›inhaltlichen‹ Definition des Gegenstandsbereiches] ihr Gegenstand ist, kommt sie in die unglückliche Lage, dies nicht mit empirisch reinem Gewissen sagen zu können. Unausweichlich ist ihre erste Aussage [ihre grund-legende Bestimmung des Gegenstandsbereichs] ontologischer Natur; wenn sie, um den ersten Schritt zu tun, alle ontologische Problematik ausklammern will, betrifft ihr ›Nein‹ ein Seinsproblem und ist daher negative Ontologie.« (Revers 1962, 12 f.)

Im analogen Sinn lässt sich hinsichtlich der Kommunikationswissenschaft feststellen: In jeder Definition von (menschlicher) Kommunikation (und Erkenntnis) wird bezüglich dieses Sachverhalts eine me146 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

XI. … Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

taempirische Voraus-Setzung bezüglich des Phänomens Kommunikation getroffen (vgl. dazu auch: Dolch 1961). Wird Kommunikation – wie etwa von Jaspers, den Habermas als »Philosoph der Kommunikation« bezeichnet 1 – bestimmt als »existentielles Miteinander, wahre Gemeinsamkeit« 2, so ist damit ein (zumindest der Möglichkeit nach) ichüberschreitendes Vereint-Sein(-Können) vorausgesetzt, im Sinne einer überempirischen Grundannahme. Ebenso handelt es sich um eine metaphysische Voraus-Setzung, wenn (menschliche) Kommunikation – in gängiger Weise – als (spezifische) Form des (ich-immanenten) Informations-Austauschs bzw. der Bedeutungs-Vermittlung oder als Soziale Interaktion (und sonst nichts!) definiert wird. 3

Vgl Saner 1973, 309. Jaspers unterscheidet im Rahmen seiner Kommunikationstheorie zwischen Daseins-, Bewusstseins-, geistiger und existenzieller Kommunikation des Menschen, wobei – im Unterschied zu den drei ersterwähnten – allein die letztgenannte Form nicht notwendigen (zwangsläufig vom Menschen vollzogenen), sondern potenziellen (möglichen, d. h. auch verfehlbaren) Charakter aufweist. Gleichwohl sieht er gerade in der existenziellen Kommunikationsweise des Menschen die Grundvoraussetzung für eine eigentlich menschliche Existenz, wie Burkard (1985, 78) bemerkt, wenn er schreibt: »Ohne existentielle Kommunikation ist Selbstsein [des Menschen] für Jaspers nicht möglich.« (Vgl. dazu auch Kaufmann 1957, Hybasek 1984, Ritt 1980) 3 Tanja Schnider (2001, 15) weist auf den diesbezüglichen kulturgeschichtlichen Wandlungsprozess hin, wenn sie das etymologische Wörterbuch (vgl. DUDEN 1989, 367) bemüht und vorerst daraus zitierend schreibt: »Abgesehen von der allgemeinen Bedeutung ›mitteilen‹, war es bis ins 20. Jh. vor allem in der Physik im Sinne von ›in Verbindung stehen‹ (beachte kommunizierende Röhren) und in der Theologie in der Bedeutung ›zur Kommunion gehen‹ gebräuchlich. In der 2. Hälfte des 20. Jh.s wurde es unter dem engl. to communicate ›sich verständigen‹, ›Informationen austauschen‹ zu einem zentralen Wort in der Nachrichtentechnik und den Geistes- und Sozialwissenschaften. Dazu stellt sich das Substantiv Kommunikation (18. Jh.; aus lat. Communicatio ›Verständigung‹, ›Informationsaustausch‹)« – um schließlich kommentierend anzumerken: »Das Gemeinsame, der Sinn (eben auch im religiösen ›Sinn‹) und der Austausch sind folglich Attribute, die in den verschiedensten Übersetzungen und Definitionen von Kommunikation verwendet werden. Meistens jedoch fällt ›der Sinn‹ weg, auch ›das Gemeinsame‹ muss zeitgemässen Definitionen oft weichen. So bleibt meist nur noch der Austausch von Information oder auch die Informationsvermittlung über.« In diesem Sinne – so kann ergänzt werden – definiert etwa das Harenberg–Kompaktlexikon »Menschliche Kommunikation« als »Informationsaustausch zwischen Menschen durch Zeichensysteme … mit sozialer Wechselwirkung« (Harenberg 1994, 1622). In analoger Weise lesen wir in Meyers Enzyklopädischem Lexikon: »Kommunikation (lat.), in den Sozialwissenschaften und in der Psychologie Bez [eichnung] für den (Informations)austausch als grundlegende Notwendigkeit menschlichen Lebens« (Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, Bd. 14 [Ko-Les], 1971–1981, 91). 1 2

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XI. … Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

Denn auch in diesem Fall wird von der überempirischen Annahme ausgegangen, dass menschliche Kommunikation (letztlich nichts anderes als) eine (wie auch immer komplex vorgestellte) spezifische Weise des Informations- bzw. des Bedeutungsaustausches zwischen Lebewesen, die der (Wort-)Sprache mächtig sind, sei (und nichts sonst). Wenn etwa Burkart (2002, 25) menschliche Kommunikation als Soziale Interaktion begreift, und einen »kommunizierenden« Menschen als jemanden beschreibt, »der etwas im Hinblick auf (zumindest) einen anderen Menschen tut«, stellt sich zumindest die Frage: meint menschliche Kommunikation damit letztlich nichts anderes als Vermittlung von Bedeutung bzw. am anderen ausgerichtetes, also intentional-orientatives Handeln, ich-immanente(n) InformationsAustausch bzw. Bedeutungs-Vermittlung und sonst nichts? 4 Ins Allgemein-Philosophische übertragen macht den Sachverhalt Splett (1976, 12) deutlich, wenn er zu bedenken gibt, dass der Mensch erstens einer ist, »der sich selbst – im umfassenden Sinn des Wortes – zur Frage steht und der 2. in gerade solcher Fraglichkeit nur als ein solcher da ist, daß er diese Frage nach sich selbst je schon (theoretisch-praktisch) beanwortet hat.« Stefan Webers Anliegen in seiner Schrift Non-dualistische Medientheorie ist es insbesondere, Der Wiener Kommunikationswissenschafter verweist indirekt selbst auf diesen Umstand, wenn er die etymologische Bedeutung des Begriffes Kommunikation – seinem Kommunikationsverständnis entsprechend – wie folgt interpretiert: »Das lateinische Verbum ›communicare‹ wird gewöhnlich mit ›gemeinsam machen‹, ›teilen‹, ›mitteilen‹, ›teilnehmen lassen‹ oder ›Anteil haben‹ übersetzt. – Ganz in diesem ursprünglichen Sinn will hier auch ›kommunikatives Handeln‹ verstanden werden: Ein kommunikativ handelnder Mensch will (mindestens einen) andere(n) an seinen zu vermittenden Bedeutungen ›Anteil haben‹ lassen.« (Burkart 2002, 26) Macht Burkart mit dieser Deutung des etymologischen Befundes des Kommunikationsbegriffs nicht selbst seine (ich-immanente) metaempirische Grundvoraussetzung bezüglich menschlicher Kommunikation ersichtlich? Denn trotz des Umstandes, dass er davon spricht, dass seine Interpretation der etymologischen Bedeutung des Begriffes Kommunikation ganz in diesem ursprünglichen Sinn verstanden wird (vgl. Burkart 2002, 26), lassen sich die von Burkart erwähnten Begriffssynonyme »gemeinsam machen«, »teilen«, »mitteilen«, »teilnehmen lassen«, »Anteil haben« problemlos auch völlig anders – im Sinne einer ich-übersteigenden Deutung – interpretieren. Dann würde »Anteil haben« jedoch nicht (nur bzw. nicht) primär »Anteil an zu vermittelten Bedeutungen haben«, sondern »An-Teilhaben am anderen«, »Gemeinsam-Sein mit ihm« meinen. Mit anderen Worten: Auch die scheinbar evidente etymologische Grundbedeutung des Begriffes ist je nach spezifischer überempirischer Voraussetzung bedeutbar. 4

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XI. … Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

implizite erkenntnistheoretische Voraus-Setzungen moderner (Medien-)Wissenschaftlichkeit deutlich zu machen. Wörtlich bemerkt er dazu einleitend: »Der Forschungsfokus [der vorliegenden Arbeit] ist das (medien-)wissenschaftliche Denken … Unter Voraussetzungen werden hier Setzungen im Voraus einer Äußerung oder einer These (oder im Extremfall sogar eines zusammenhängenden Theoriegebäudes) verstanden, die von der Äußerung, der These usw. in der Regel selbst nicht thematisiert werden (müssen). Derartige Setzungen sind also implizite oder stillschweigende Konsense, etwa in Form von (Relationen von) eingeführten Begriffen u. ä., auf denen Äußerungen, Thesen, Theorien usw. beruhen.« (Weber 2005, 13) Rothe macht diesen Zusammenhang für die aktuellen Kulturwissenschaften inhaltlich deutlich, wenn sie zu bedenken gibt: »Das heute in Medien, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft herrschende Menschenbild ist ein individuumszentriertes oder ›egomanisches‹, wie Richter (2002) es nennt. … Es gibt für die [gegenwärtig selbstverständliche] Absolutsetzung des Subjekts jedoch keine plausiblen Gründe.« (Rothe 2006, 4)

Deutlich wird dieser Umstand auch, wenn Gerhard Ulrich in seinem Buch Biomedizin. Die folgenschweren Wandlungen des Biologiebegriffs bemerkt, dass die Problematik gegenwärtiger biowissenschaftlicher Forschung darin liege, dass der Unterschied zwischen den Sätzen »Leben ist ein physiko-chemischer Prozeß und Leben ist nichts als ein physiko-chemischer Prozeß weitgehend unbeachtet bleibt« (Ulrich 1997, 9), d. h. im »Erkenntnismilieu« gegenwärtiger biowissenschaftlicher Forschung weitgehend nicht thematisiert wird (vgl. dazu auch Fleck 1980). In Anlehnung an einen Gedanken von Rehmann-Sutter 5 formuliert: Dass Menschsein mit Kommunikation (und Erkenntnis) verbunden ist, stellt ein offensichtliches Faktum dar. Aber wie dieses

Im Wortlaut heißt es da: »Genes are involved in development. That they are is an empirical fact. But how they are, cannot be stated without reference to one of several possible a priori ideas of development. … If there were more than one interpretative pattern available, the process of understanding genetics in development is a cultural act that would remain obscure without careful analysis.« (Rehmann-Sutter 2006, 51 f.)

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XI. … Be-Deutung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis

humane Beziehungsgeschehen nun näherhin aufzufassen ist, kann nicht geklärt werden, ohne Rückgriff auf ein vorausgesetztes Verständnis bzw. ein Vorbild von Kommunikation und Erkenntnis, das eines von mehreren möglichen Verständnissen darstellt.

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XII. Zusammenfassung

Durch die Feststellung offensichtlicher allgemein-menschlicher (und insofern) »kulturenübergreifender« anthropologischer Grundverfassheiten, »transkultureller Universalien«, im Zusammenhang von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis wurde eine erste formale Ausgangsbasis gewonnen. Beginnend mit dem Aufweis evidenter anthropologischer Grundgegebenheiten: dass sich der Mensch – unter den Determinanten Zeit, Raum und Materie – als real, relativ und relational erfährt und er ein auf Welt – also auf das Ganze des Seins – hin angelegtes Wesen darstellt, wurden – vor dem Hinter-Grund d(ies)er Welt-Bezogenheit des Menschen – in weiterer Folge offensichtliche Vorgegebenheiten hinsichtlich der spezifisch-menschlichen Kommunikations-/Erkenntnis-Gestalt ersichtlich gemacht: die Zwei-Einheit Wort-Sprache/Ich-Bewusstsein, die Sozietäts-Dimension menschlicher Kommunikation und Erkenntnis, das Wort-Sprachvermögen als kulturspezifisches Gut sowie die prinzipielle Handlungs-Macht und gleichzeitige Handlungs-Un(ge)sicher(t)heit des Menschen. Auf dieser Basis wurden Voraus-Setzungen dargelegt, die mit der skizzierten spezifisch-menschlichen Kommunikations-/Erkenntnisgestalt verbunden sind: Der Mensch als Wesen, das Zeit und Geschichte hat; die Fähigkeit des Menschen, ich-bewusst sowohl in Kontakt als auch in Distanz treten zu können bzw. Kommunikation und Erkenntnis zu verweigern; das Wissen des Menschen um den Tod sowie die Wahrnehmungsfähigkeit eigener und fremder Not; der Mensch als Wesen, das fragen kann; die Irrtumsfähigkeit des Menschen. Schließlich wurden Konsequenzen aufgezeigt, die sich aus der spezifisch-menschlichen Kommunikations- und Erkenntnisgestalt ergeben: In allgemein-anthropologischer Hinsicht ist dies insbesondere zu sehen im unabdingbaren Haben eines Seins-Verständnisses (einer Vorstellung des Ganzen der Realität), eines Ich–/Wir-Verständnisses 151 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

XII. Zusammenfassung

(einer Vorstellung hinsichtlich des eigenen Selbst bzw. der Sozietät [en], in der/mit denen der Einzelne lebt), eines Erkenntnis-Verständnisses (einer Vorstellung, inwieweit bzw. in welchen Weisen der Mensch zu erkennen vermag) und eines Kommunikations-Verständnisses (einer Vorstellung, inwiefern bzw. inwieweit der Mensch mit seinesgleichen bzw. anderen Formen des Seins in Beziehung zu treten vermag). Konsequenzen in kommunikationstheoretischer Hinsicht wurden aufgezeigt in der Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Kommunikation und (physiko-chemischer) Interaktion; in Gestalt von (mindestens) vier miteinander verbundenen Grundelementen (Objekte, Subjekte, Medien, Mitteilungssysteme), die jede (allgemeine) Theorie menschlicher Kommunikation enthält; in der »Vierdimensionalität« (Inhalts-, Selbstoffenbarungs-, Beziehungs-, Intentionsdimension) menschlicher Kommunikation nach Schulz von Thun; in drei zentralen »verschränkten Verhältnissen« hinsichtlich der Erfassung von Kommunikation: der »Verschränktheit« von Ich und Du/Wir, der »Verschränktheit« von personaler (interpersoneller) und medial vermittelter Kommunikation, der »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis; weiters in Gestalt der Differenzierung dreier Beschreibungsebenen von Kommunikation: Kommunikation als Fundamental lebendiger Wirklichkeit; Kommunikation als geschehendes/gelingendes bzw. nicht geschehendes/nicht gelingendes In-Beziehungs-Treten oder In-Beziehung-Sein; Kommunikation als vorbildliches bzw. zerrbildliches In-Beziehung-Treten/In-Beziehung-Sein; damit notwendig verbunden: die Gestalt der SollensDimension von Kommunikation. Auf dieser Basis wurde zuletzt das sogenannte »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als formales anthropologisches Vergleichs- bzw. Deutungsschema sowie die Notwendigkeit einer inhaltlichen Bedeutung/ Fundierung menschlicher Kommunikation und Erkenntnis ersichtlich gemacht. Im folgenden Teil B der Arbeit wird nun – auf Basis bzw. mit Hilfe der skizzierten Formalstruktur menschlicher Kommunikation – der Frage nachgegangen, wie verschiedene menschliche Kulturen Kommunikation und Erkenntnis bzw. deren Zueinander (unterschiedlich) inhaltlich bestimmen bzw. bestimmt haben; übertitelt: DIAGNOSE oder Kommunikation und Erkenntnis im Kulturvergleich. 152 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Teil B DIAGNOSE oder Kommunikation und Erkenntnis im Kultur-Vergleich

Jede Kultur definiert selbst, was für sie Kommunikation, Wissen/ Information, Medien der Vernetzung und Verständigung sind. Kulturen sind selbstbeschreibende Systeme. Die Erfassung dieser Selbstbeschreibungen ist eine unumgängliche Aufgabe für den Kommunikations- und Medienwissenschaftler … Michael Giesecke (2007, 17)

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Teil B: DIAGNOSE oder Kommunikation und Erkenntnis im Kultur-Vergleich

Mit Gewinnung der anthropologisch-formalen Grundstruktur in Teil A taucht eine Frage auf, die mit dem Aspekt Wort-Sprachvermögen als kulturspezifischem Gut schon indirekt anklang: Inwiefern wird diese Formalstruktur nun kulturspezifisch jeweils mit wirklichkeitsbedeutendem »Inhalt« »befüllt«? Diese Frage stellt sich nicht nur im Kulturenvergleich, sondern schon im Hinblick auf eine bestimmte Kultur wie etwa der europäisch-abendländischen, ja selbst innerhalb einer Epoche 1 dieser Kultur wie z. B. der neuzeitlichen Moderne, wo diesbezüglich – wie sich zeigte (vgl. Kap. A/I/8) – alles andere als Einigkeit hinsichtlich einer verbindlichen und daher verbindenden inhaltlichen Bedeutung der Wirklichkeit besteht – bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer solchen inhaltlichen Einschätzung. Je mehr man sich diesen Umstand vor Augen führt, desto bedenkenswerter erscheint das Faktum, dass Mensch-Sein bzw. menschliches Kommunizieren und Erkennen – trotz der skizzierten allgemein-menschlichen Grundgegebenheiten – an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten, was die inhaltliche Bedeutung anbelangt, zum Teil fundamental unterschiedliche Gestalten hervorgebracht hat 2; ja dass es innerhalb ein und derselben Geistestradition immer wieder zu weltanschaulichen »Paradigmenwechseln«, ja zu kulturellen Überlieferungsbrüchen kam, kommen konnte, was das Vorbild/ Zerrbild menschlichen Seins, Kommunizierens und Erkennens betrifft; unsere europäische Überlieferung ist das beste Beispiel dafür. Damit wird »paradoxerweise« gerade durch den Aufweis allgemeiner anthropologischer Grundverfasstheiten deutlich, dass es damit nicht getan ist, um die Forschungsfrage nach dem Zueinander von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis relevant zu beantworten: dass dies vielmehr erst die anamnetische Vorarbeit darstellt für eine notwendige kulturenvergleichende Diagnose. Im Teil B wenden wir uns demzufolge nun der Frage zu, wie der Mensch bzw. menschliche Kulturen Kommunikation und Erkenntnis Der Begriff Kultur-Epoche(n) (siehe Kap. B/II) steht für eine bestimmte Zeit-Strecke bzw. »Verlaufs-Figur« im Rahmen einer spezifischen Geisteskultur. Um ein Beispiel zu geben: innerhalb des europäisch-abendländischen Kulturraumes lassen sich – aus heutiger Sicht – die Epochen der Vor-Moderne, der Moderne (Neuzeit) bzw. der aktuellen Post- bzw. Spät-Moderne unterscheiden (vgl. Koslowski 1989). 2 Dies wird etwa deutlich an grundverschiedenen Ausdrucksgestalten betreffend Religion, Kunst, soziokultureller Normen und Gebräuche, aber genauso in der kulturspezifischen Grammatik einer Sprache, in der Deutung des raumzeitlichen Geschehnisablaufes etc. 1

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Teil B: DIAGNOSE oder Kommunikation und Erkenntnis im Kultur-Vergleich

bzw. deren Zueinander (unterschiedlich) »weltanschaulich«-inhaltlich bestimmen bzw. bestimmt haben. Als Basis dient dabei – wie erwähnt – das oben dargestellte »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« (vgl. Kap. A/X). Dazu soll in einem ersten Schritt zwischen Kultur-Räumen differenziert werden, in einem zweiten zwischen verschiedenen KulturEpochen im Rahmen der abendländisch-europäischen Kultur, um so die geistesgeschichtliche Genese hin zur gegenwärtigen Kommunikations- und Informationszivilisation relevant(er) in den Blick nehmen zu können.

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I. Kultur-Räume

Mit dem Terminus Kultur-Raum ist sowohl eine mehr oder weniger geographisch eingegrenzte Region als auch jenes geistige »Umfeld« gemeint, das eine bestimmte Geisteskultur kennzeichnet. Die Grundthese lautet: Jede Geisteskultur ist – auf Grund ihrer spezifischen Verortetheit in Raum, Zeit und soziokulturellem Umfeld – dadurch gekennzeichnet, dass dabei bestimmte Aspekte des bedeutbaren Ganzen präferiert werden. 1 Diese kulturspezifische Prämierung »innerhalb« eines bestimmten Aspekts des Wirklichkeitsbedeutungsquadrats (vgl. B/I/5) macht Breier (2002, 1) deutlich, wenn er im Hinblick auf das Verhältnis von Sprache und Schrift bemerkt: »Die Verschiedenheit der Kulturen kommt in der Verschiedenheit ihres Verhältnisses zu Sprache und Schrift zum Ausdruck.« 2 (Vgl. Giesecke 2007) Zur Veranschaulichung diene die unterschiedliche Charakterisierung von Kulturen durch Tichy (1984, 8 f.), die dieser, mit Verweis auf Russel, wie folgt vornimmt: »Der Westen erforschte hauptsächlich die äußeren Dinge, die ihn umgebende Natur. Er hat manche ihrer Gesetze erkannt und sie zu nutzen gewußt. … Die Inder haben sich mehr mit dem eigenen ›Ich‹ beschäftigt, sie suchen das Ewige in sich selbst. Durch Versenkung und Meditation wollen sie die Geheimnisse des Universums erkennen … China hat sein Interesse mehr den (Mit-)Menschen zugewandt und ein harmonisches Zusammenspiel der Gegenpole Yang und Yin vervollkommnet. Die technische Perfektion des Westens wurde genauso vernachlässigt wie die tiefe Kontemplation Indiens.« (Vgl. dazu Berglar 1978, 12 bzw. Vereno 1960a, 27 ff.) 2 Dazu gibt er folgendes Beispiel: »Für die Chinesen ist das ›Denken in Schrift‹ entscheidend, in Europa gilt jedoch Humboldts Wort: ›Das Eigentümliche der Sprache besteht darin, daß sie … eine Gedankenwelt an Töne heftet.‹« (Breier 2002, 1) Diesen aufs erste frappierenden Sachverhalt erläutert Breier schließlich wie folgt: »Im Falle der abendländischen Kultur ist es fast die ganze Gedankenwelt, die an den Tönen hängt, die innigst mit der Lautgestalt verknüpft ist, und nur mit dieser. Und wenn wir sagen, daß sich das Spezifische der geistigen Welt einer Kultur erst durch die Schrift äußert, so finden wir in der abendländischen eine Kultur, deren Schrift sich völlig dem Klang unterwirft und paradoxerweise (denn gerade die Schrift sollte – als wichtigstes Kulturmerkmal – substantiell, dauerhaft, unabhängig sein) keinerlei Ei1

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Geistestraditionen/Kulturräume als anthropologische Konzeptionen »im

Auf Basis dieser Überlegung sollen im Folgenden unterschiedliche »Präferierungen« verschiedener Geisteskultur-Räume 3 miteinander verglichen und Bedeutungsverschiebungsprozesse nachgezeichnet werden, um so dadurch das Spezifische der modernen Kommunikations- und »Medienzivilisation« besser nachvollziehen zu können. Dabei werden Geisteskulturen/Kultur-Räume als anthropologische Konzeptionen im Großen angesehen. 4 Dem möglichen Einwand einer unzulässigen Verallgemeinerung sei mit Schlette (1973, 189) entgegnet: »[Obwohl] es als gewagt gelten [muss], wenn man sich daran macht, die formalen Bestimmungsprinzipien des einen Horizonts [einer Kultur] aus der Fülle, der Verschiedenartigkeit und der Vieldeutigkeit des Konkret-Historischen zu eruieren; … darf [dies] aber deswegen als legitim, ja als notwendig angesehen werden, weil Geschichte philosophisch zunächst einmal als eine Abfolge von sich … verändernden Horizonten zu verstehen ist (und eben nicht nur als das Gesamt der Vorgänge) …«.

1.

Geistestraditionen/Kulturräume als anthropologische Konzeptionen »im Großen«

All dasjenige, was auf den einzelnen Menschen (als Welt im Kleinen) bezogen gesagt wurde (vgl. die Kap. A/V–X), wird im analogen bzw. genständigkeit besitzt. Im vollen Sinne gilt Humboldts Satz nur von den abendländischen Kultursprachen. Denn nur in diesen heftet sich die Gedankenwelt allein an Töne.« (Breier 2002, 1) 3 Sowie in weiterer Folge im Hinblick auf Kultur–Epochen (vgl. Kap. B/II). 4 Auf den umgekehrten Sachverhalt des Menschen als All(es) im Kleinen im Kontext von Offenbarungskulturen verweist Vereno (1962, 5) in seinem Aufsatz Mythos, Wissenschaft und Symbol wie folgt: »Alle Analogien [des Seins] werden [in den vormodernen Überlieferungen] zusammengefaßt und geordnet in der Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, von Mensch und All. Diese Entsprechung ist immer wieder veräußerlicht und mißverstanden worden, wenn man gleichsam körperliche Ähnlichkeiten und Bezüge dachte und den Kosmos in Menschengestalt vorstellte. Sie meint aber im wesentlichen die Entsprechung von Außen und Innen, von Sinnlichem und Seelischem, von der Gesamtheit der Dinge und dem diese wahrnehmenden und spiegelnden Bewußtsein. Der Mensch ist [im Verständnis der vormodernen Offenbarungskulturen] Teil des sinnlichen Kosmos, hat Anteil an der mineralisch-anorganischen, der pflanzlich-vegetativen, der tierisch-sensitiven Seinsweise. Dies alles faßt er zusammen als ›All im Kleinen‹ und tritt ihm zugleich als Geist, als Bewußtsein … gegenüber.«

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I. Kultur-Räume

großen Sinne auf (ganze) Geistestraditionen bzw. Kulturräume übertragen. Demzufolge benötigt nicht nur der einzelne ein Seins- (und damit Geschichts-, Ich-, Wir-, Erkenntnis- bzw. Kommunikations-) Verständnis, sondern auch jede (gemeinschaftskonstituierende bzw. -erhaltende) Geisteskultur bzw. jeder Kultur-Raum bedarf dieser (realitäts-)grundlegenden Verständnisse. Basis der weiteren Überlegungen bilden demnach jene im Kap. A/V/2 erarbeiteten transkulturell-allgemeinen Grundverfasstheiten des Menschen, insbesondere das Faktum von dessen Weltbezogenheit. Wurde der Mensch dabei als ein ichbewusstes und damit der Wortsprache mächtiges Wesen angesehen, das auf das Ganze des Seins, also auf Welt, bezogen ist, wobei dieses Vermögen mit der unabdingbaren Notwendigkeit verbunden gedacht wurde, das Realitätsganze (was immer der Einzelne darunter auch verstehen mag) deutend zu bewerten bzw. bewertend zu deuten und die eigene Stellung darin zu bestimmen (vgl. Tenbruck 1984), so gilt dies analog ebenso für jede Geisteskultur. Auch ein Kulturaum ist demnach gekennzeichnet durch eine Orientierung verheißende Be-Deutung des Seinsganzen verbunden mit einem Vor-Bild »wesensgemäßer« Kultur, die als Überlieferung die Kontinuität der betreffenden Geistestradition ausmacht. Wurde der einzelne Mensch als jemand angesehen, der zwar vor der individuellen Notwendigkeit der Sinndeutung seines (Da-)Seins steht, diese Einschätzung dennoch niemand völlig autonom 5 zu vollziehen vermag, so gilt Analoges wiederum für Kulturräume im Großen. Auch eine noch so abgeschlossene Kultur ist zumeist – mehr oder weniger – beeinflusst durch den Kontakt mit anderen Kulturen bzw. Geistestraditionen und insofern genötigt, die eigene Kultur im Horizont aller existierenden Kulturen zu bestimmen. Im Regelfall wird dabei die eigene Überlieferung als die höher- bzw. höchststehende betrachtet. Selbst für den seltenen Fall eines Kulturraumes, der niemals Kontakt mit anderen Kulturen hat(te), gibt es die Herausforderung, die aktuelle Epoche dieser Kultur in Relation zu anderen (früheren) Epochen zu deuten. Kurzum: Auch die jeweilige kulturelle Selbstbeschreibung geschieht auf Basis der Gewichtung im Hinblick auf andere geistige Wenn es auch den Anschein hat, als würde gerade gegenwärtig – im Zuge des postmodernen »Sinndividualismus«- einiges darauf hindeuten.

5

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»Offenbarung« / »Nicht-Offenbarung«

Überlieferungen bzw. der eigenen Vergangenheit. Um Kultur-Räume nun relevant miteinander vergleichen zu können, bedarf es eines Kulturenvergleichsschemas; ein solches soll im Folgenden skizziert werden.

2.

»Offenbarung« / »Nicht-Offenbarung« als grundsätzliches kulturelles Differenzierungselement

In einer ersten – grundsätzlichen – kulturräumlichen Differenzierung wird zwischen Offenbarungs- und Nicht-Offenbarungskulturen unterschieden. 6 Während in den Offenbarungs-Kulturen, zu denen alle traditionellen religiösen 7 Überlieferungen zu zählen sind, die Ansicht vertreten wird, dass die (werdend-vergehende) raumzeitliche Wirklichkeit nicht identisch ist mit dem Sein selbst, herrscht in Nicht-Offenbarungskulturen die Ansicht vor, dass die raumzeitlich erscheinende Wirklichkeit keinerlei Offenbarungscharakter aufweise. In zwei weiteren kulturräumlichen »Feindifferenzierungen« wird hinsichtlich der Offenbarungs-Kulturen zwischen sogenannten Wort-Offenbarungskulturen und sogenannten Nicht-Wortoffenbarungskulturen unterschieden. Erstere sind durch die Ansicht gekennzeichnet, dass sich der Seins-Grund selbst den Menschen im Wort, d. h. in der Anrede von Ich zu Ich, geoffenbart habe. Zweitere gehen zwar ebenfalls vom Offenbarungscharakter der Erscheinungswirklichkeit aus, teilen jedoch nicht die Überzeugung, dass sich der Seinsgrund selbst im Wort geoffenbart habe, sondern allein in der unsagbaren individuellen Erfahrung des Einzelnen bzw. im bild-/zeichenhaften Symbol. Bei den als Nicht-Offenbarungskulturen gekennzeichneten Überlieferungen, die davon ausgehen, dass die vorgegebene raumzeitliche Wirklichkeit keinerlei Offenbarungscharakter aufweise, wird differenziert zwischen jener mit Erkenntnis-Primat (abendlän-

Diese prinzipielle Differenz gilt als kulturwissenschaftlich gesicherter Befund (vgl. dazu etwa Vereno 1966b, Schlette 1988, Waldenfels 1998). 7 Religiös meint in diesem Zusammenhang den aktiven Vollzug einer Überlieferung im gemeinschaftsbezogenen Ritus bzw. in der individuellen spirituellen Praxis/ Übung. Eine zentrale Rolle nimmt dabei sowohl die Verbundenheit mit der betreffenden (Religions-)Gemeinschaft wie die persönliche Fühlungnahme mit dem Göttlichen bzw. mit Gott ein. 6

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I. Kultur-Räume

dische Moderne) und jener mit Kommunikations-Primat (globale Post-Moderne). Während unter die Kennzeichnung Wort-Offenbarungskulturen die drei als abrahamitische Überlieferungen bezeichneten Religionen Judentum, Christentum und Islam fallen, sind zu den NichtWortoffenbarungskulturen u. a. sowohl die großen asiatischen Geistestraditionen Indiens und Chinas (vgl. Vereno 1960b), aber auch die griechisch-römische Antike (vgl. Kerényi 1971) zu zählen. Als Nicht-Offenbarungsüberlieferungen werden jene beiden aus der vormodernen abendländischen Tradition hervorgegangenen Kultur-Räume der neuzeitlichen Moderne (Erkenntnis-Primat) bzw. der ins Globale ausgreifenden Post-Moderne (Kommunikations-Primat) verstanden. Jede der dargestellten spezifischen kulturräumlichen Be-Deutungen der Wirklichkeit ist dabei als Antwort auf die Frage zu verstehen, was in den betreffenden soziokulturellen Kontexten jeweils als Wirklichkeit gilt bzw. damit als erkennens- und kommunizierenswert angesehen wird. KULTURVERGLEICHSSCHEMA

Offenbarungskulturen (nicht säkular)

Wortoffenbarungs-K.

Nicht-WortOffenbar.

Nicht-Offenbarungskulturen (säkular)

Abendl. Moderne (ErkenntnisPrimat)

Globale Postmoderne (Kommunikations-Primat)

Abbildung 14: Kulturenvergleichsschema (nach Hamberger 2013, 149)

Warum wird gerade dieses Kulturenvergleichsschema (Abbildung 14) präferiert? Dafür gibt es mehrere Gründe: •

Nur unter Voraussetzung, dass wir im westlichen Kulturkreis aktuell in einer Nicht-Offenbarungskultur leben, lässt sich die abendländische Geschichte sinnvoll lesen bzw. ein Kulturenvergleich sinnvoll ansetzen.

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Offenbarungskulturen







Nur unter Voraussetzung des Unterschieds zwischen Nicht-Offenbarungs-und Offenbarungs-Kulturen sind wir in der Lage, abendländisch-vormoderne bzw. außereuropäische Überlieferungen (die durchweg im traditionellen Sinne religiöse Überlieferungen darstellen) relevant in den Blick zu nehmen 8. Unabhängig vom Verständnis der Wort-Offenbarungskulturen (insbesondere des Christentums) kann nur ein unzureichendes Verständnis von Nicht-Wortoffenbarungskulturen gewonnen werden (vgl. Vereno 1958, 10 f.). Schließlich: Unabhängig von der Wort-Offenbarung des Christentums kann kein ins Gewicht fallendes Verständnis von Nicht-Offenbarungskulturen gewonnen werden.

Auf Basis dieses Kulturenvergleichsschemas sollen nun die einzelnen Kulturraumtypen näher betrachtet werden.

3.

Offenbarungskulturen

Sämtliche abendländisch-vormodernen bzw. außereuropäischen Kulturräume weisen eine religiöse (Offenbarungs-)Grundstruktur auf, d. h. sind – um es allgemein zu formulieren – ihrem Kern nach auf »Etwas« bezogen, das den Menschen grundsätzlich übersteigt und nicht (ohne Weiteres) zuhanden ist, ein Verehrungswürdiges, Göttliches, Absolutes. Anders ausgedrückt: Die Befunde von Religionswissenschaft bzw. Religionsethnologie (vgl. etwa Thiel 1996) legen nahe, dass keinerlei religionslose (offenbarungslose) außer- bzw. vormoderne Kulturen existieren, d. h. alle diesbezüglichen Kulturräume, auch alle sogenannten archaischen Kulturen bzw. »Naturvölker« einen Bereich der »Transzendenz« bzw. ein irgendwie geartetes »Höchstes Sein« bzw. »Wesen« kennen sowie vom Umgang mit diesem gekennzeichnet sind 9. Vgl. dazu das Buch von Hans Maier Eine Kultur oder viele? (Maier 1995), wo der Autor die Kritik an der 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas 1992 im Unterschied zur 400-Jahrfeier 1892 deutlich macht. 9 Gleichzeitig merkt Thiel an, dass diese Vorstellung von »Schöpfergöttern« in archaischen Kulturräumen nicht ohne weiteres »mit unserem [jüdisch-christlichen] Schöpfergott zu identifizieren [ist]. Eine creatio ex nihilo, also Schöpfung aus dem Nichts, ist in allen Naturreligionen so gut wie unbekannt. … Sie [die Schöpfergottheiten der Natureligionen] sind zurückgezogene Wesen, die den Weltenlauf zwischen 8

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I. Kultur-Räume

In diesem Sinne bemerkt auch Mircea Eliade (1990, 23) eingangs seines bekannten Werkes Das Heilige und das Profane: »Weisen wir sofort darauf hin, daß die religiöse Erfahrung der Inhomogenität des Raums eine Urerfahrung darstellt, die wir einer ›Weltgründung‹ gleichsetzen dürfen. Es handelt sich dabei nicht um theoretische Spekulation, sondern um ein primäres religiöses Erlebnis, das aller Reflexion über die Welt vorausgeht.« Demnach lässt sich nach einem Wort von Martin Buber feststellen: Alle Offenbarungskulturen erklären die Welt nicht, sondern lehren, ihr Geheimnis zu erkennen. Sie erklären auch den Grund von allem nicht, sondern lehren, wie man ihm begegnen kann. Dieser »Grund von allem« hat je nach Tradition eine andere spezifische Gestalt, findet sich jedoch in allen Überlieferungen, ja bildet deren eigentliches Zentrum. Dementsprechend »entspringen« sämtliche soziokulturellen Grundstrukturen abendländisch-vormoderer bzw. außereuropäischer Kulturen aus dem jeweiligen religiösen »Offenbarungs«-Hintergrund (vgl. Koslowski 2000). Als zentrales gemeinsames Kennzeichen der Offenbarungskulturen kann deren religiöse Strukturiertheit festgestellt werden. Religiös meint hier vor allem den aktiven Vollzug im gemeinschaftsgebundenen Ritus bzw. in der individuellen spirituellen Übung, die Fühlungnahme mit dem Seinsgrund bzw. die Rück-Bindung an die Gemeinschaft. Im Zentrum steht demzufolge der Vollzug, die Kommunikation (vgl. Kap. B/III); unverbindliche Anerkennung von Glaubenssätzen oder sachlich-distanziertes Betrachten/Studieren von Wissbarem spielt – wenn überhaupt – eine ganz untergeordnete Rolle. Mit dieser religiösen Grundstruktur bzw. mit dem damit verbundenen Offenbarungsverständnis eng verknüpft – ja untrennbar verbunden – ist der Gedanke der »Unmachbarkeit des Wesentlichen« (allein bzw. primär) durch den Menschen. 10 Anders ausgedrückt: Im Kontext der Offenbarungskulturen stellt der Seins-Grund jenes »verGeburt und Tod dynamischen Mächten überlassen und nur ganz selten ins Leben eingreifen. … Um den religiösen Alltag kümmern sich andere Mächte, wie Ahnen, Geister, Fetische usw.« (Thiel 1996, 10 ff.; vgl. dazu auch: Ratzinger 1968, 73–102, insb. 89 f.) 10 Ob es sich um die theoria – die Wesens-Schau (der Dinge) – in der griechischantiken Überlieferung handelt, um die Erlangung der Erfahrung der Nicht-Dualität (Advaita) in asiatischen Spiritualitäten, um das Heiligkeits-Gebot in der jüdischen bzw. das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe in der christlichen Tradition: Stets sind

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bindende Dritte« dar, das sowohl menschliche Kommunikation als auch Erkenntnis ermöglicht. Grosso modo kann insofern festgestellt werden: Der innerhalb der Offenbarungskulturen vorausgesetzte raum- und zeitmächtige Seins-Grund 11 wird dabei sowohl als Ermöglichungsbasis menschlichen Erkennens und Kommunizierens, individuellen Ich-Seins wie gemeinschaftlichen Wir-Seins betrachtet. Dem Seinsgrund wird – insbesondere in den Wort-Offenbarungskulturen – sowohl kommunitätsstiftende bzw. kommunitätserhaltende Potenzialität zugeschrieben; zudem gilt er als Ziel menschlichen Daseins (und damit auch menschlicher »Ich-Wir-Identität«). Offenbarung wird insofern auch als Ermöglichungsgrund zweckfreien bzw. sinnvollen menschlichen Handelns gesehen (vgl. Rausch 1982), dem der Vorrang gegenüber nutzenorientiertem Tun gegeben wird. Zu diesem Primat des zweckfreien Handelns in den vormodernen Überlieferungen schreibt Watts (1998, 42) aus der Sicht des Zen-Buddhismus: »Eine Philosophie des Nicht-[Ich]Wollens oder mui [Chinesisch wu-wei (= Nicht von sich aus tun, von allein wachsen lassen 12)] weckt immer die Frage nach dem Ansporn. … Die Antwort [des Zen-Buddhismus] lautet: Handlungen, die einem äußeren Ansporn entstammen, haben nichts wirklich Kreatives in sich, das sind keine freien oder kreativen Taten, sondern konditionierte Reaktionen. Wahres Schöpferischsein ist immer zweckfrei [Hervorhebung E. H.], ohne Motiv darüber hinaus.«

Daraus resultiert als weiteres spezifisches Element von Offenbarungskulturen das Verständnis menschlicher Existenz als spielerischer Ernst bzw. ernsthaftes Spiel, wie dies Hugo Rahner (2008) nicht nur im Blick auf die frühchristliche Tradition zeigt, sondern ebenso in Bezug auf vor- bzw. außerchristliche Überlieferungen, etwa die hin-

diese zentralen Handlungsweisen der direkten Machbarkeit des Menschen entzogen vorgestellt. 11 Dieser seinshafte Urgrund bzw. dieses urgründliche Sein wird zwar je nach Tradition – in mehr oder weniger unterschiedlicher Weise – »gestalthaft« zu erfassen gesucht, doch sind sich sämtliche vormodernen bzw. außereuropäischen Geistestraditionen insoweit einig, dass der (unvergänglich-dauerhaft vorgestellte) Seins-Grund die eigentliche Basis von allem (werdendem und daher vergehendem) Seienden (und damit auch der menschlichen Existenz) bildet, wie verschieden immer der Zusammenhang zwischen Seins-Grund und Erscheinungs-Wirklichkeit jeweils gesehen wird. 12 Dieses Motiv des »Nicht-handelnden Handelns« findet sich auch in (mehr) handlungsorientierten Überlieferungen wie etwa im Christentum.

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duistische Geistestradition (vgl. Bäumer 1969) oder die griechische Antike, darlegt 13. Dem identitäts- bzw. gemeinschaftsstiftenden »Dritten« 14 kommt schließlich vor allem deshalb so zentrale Bedeutung zu, weil in Offenbarungskulturräumen die Grundidee menschlichen Strebens im Versuch, den Tod – d. h. den Bereich des Werdens und Vergehens – zu überwinden, gesehen wird; oder anders ausgedrückt: in der Suche nach Unsterblichkeit (vgl. Thiel 1996). 15 Ein weiteres zentrales gemeinsames Kennzeichen der Offenbarungskulturen ist somit in der Vorstellung zu erblicken, dass letztBeispielhaft sei das – vielfältig gedeutete – Fragment 52 von Heraklit angeführt, wo es heißt: »Der Aion ist ein spielendes Kind, Brettsteine schiebend, Königsherrschaft eines Kindes.« (Heraklit zitiert nach Rahner 2008, 17) Oder denken wir an Plotin, wenn er in den Enneaden schreibt: »Es schafft das Leben des Alls in seiner Fülle alle Dinge, und indem es lebt, schafft es bunte Mannigfaltigkeit, es hält nicht inne, sondern erschafft unablässig schöne, wohlgestalte, lebendige Spielzeuge.« (Plotin, Enneaden III, 2, 15, zitiert nach Rahner 2008, 19) 14 Im Teil C wird noch explizit auf diesen Zusammenhang eingegangen. 15 Dazu zwei Text-Beispiele aus archaischen Hochkulturen, entnommen dem Buch Gute Besserung. Ein Lesebuch über Gesundheit und Krankheit des bekannten Medizinhistorikers Heinrich Schipperges (1994, 13). Da ist zuerst die Totenklage des assyrischen Königs Assurpanipal (668–626 v. Chr.): »Weshalb haben Krankheit, Mißbefinden, Elend und Unglück mich befallen? Ich habe Gutes gegeben Göttern und Menschen, Toten und Lebenden. Ich führte die Opfer für die Toten und die Trankopfer für die Götter wieder ein. Elend des Geistes und des Fleisches drücken mich nun nieder. Mit Schreien und Klagen bringe ich meine Tage zu Ende.« Da ist zum anderen die Einschätzung des nahenden Todes aus der Liedweisheit des Ipuwer, wo es heißt (Schipperges 1994, 14): »Der Tod steht heute vor mir, wie wenn ein Kranker gesund wird, wie wenn man nach der Krankheit ausgeht. Der Tod steht vor mir, wie der Geruch von Myrrhen, wie wenn man am windigen Tage unter dem Segel sitzt. Der Tod steht heute vor mir, wie der Geruch von Lotusblumen, wie wenn man am Ufer der Trunkenheit sitzt. Der Tod steht vor mir, wie ein betretener Weg, wie wenn man vom Kriege nach Hause kommt. Der Tod steht heute vor mir, wie ein entwölkter Himmel, wie einer kommt zu dem, was er nicht weiß. Der Tod steht heute vor mir, wie wenn jemand sein Haus wiederzusehen wünscht, nachdem er viele Jahre in der Gefangenschaft verbracht hat.« So unterschiedlich diese beiden Ausdrucksweisen im Angesicht des Todes auch sind, Leidesklage hier – Todeslob dort, so verbindet sie dennoch das Wissen um einen Seins- bzw. Hintergrund, vor dem das irdische Werden und (damit) Vergehen seinen Lauf nimmt. Deshalb klagt auch Assurpanipal nicht darüber, dass er sterben muß, dass ihm der Tod bevorsteht, sondern wie er sterben muss, da er seines Erachtens den Seins-Mächten zu Lebzeiten gebührlich Tribut gezollt hat. Und deshalb wird der Tod im Lied des Ipuwer nicht – wie schließlich in der abendländischen Moderne (vgl. Gronemeyer 1993) – als der harte Schnitter, als dunkles Verhängnis, sondern im Gegenteil als Entwölkung des Himmels, als Befreiung aus der Gefangenschaft des Irdischen angesehen. 13

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lich das Leben (das Sein) den Sieg über den Tod (das Nicht-Sein) davonträgt. 16 Dazu bemerkt Greshake (1990, 58): »Mit der Erfahrung, daß der Tod sinnloser Abbruch des Lebens sei, konnten sich offenbar die Menschen aller Zeiten nicht abfinden. Überall [in allen vormodernen Geistestraditionen] finden wir Dokumente der Überzeugung, daß in der Einheit von Leben und Tod doch das Leben stärker ist. Die Vorstellungen dafür, wie das möglich sei, sind sehr verschieden. Man weiß nicht, wie eine Zukunft über den Tod hinaus aussehen kann. Aber die Hoffnung darauf entwirft abertausend verschiedene Bilder, denkt sich Möglichkeiten aus und nimmt solche Möglichkeiten in Symbolen, Zeichen und Träumen vorweg. Jede Religion, jede Weltanschauung entwirft so ihre eigenen Hoffnungsbilder.«

Kurz: Soweit wir Zeugnis haben von menschlicher Existenz in vormodern-abendländischen bzw. außereuropäischen Kulturen, findet sich – in gravierendem Gegensatz zur abendländischen Moderne bzw. Post-Moderne (vgl. dazu etwa Gronemeyer 1993) – vielfach die Anschauung einer in unterschiedlicher Weise vorgestellten Überwindung des Todes (vgl. Greshake 1990). Ein weiterer Aspekt, der allen Offenbarungskulturen – so unterschiedlich sie in ihrer kulturspezifischen Gestalt auch sein mögen – gemeinsam ist, stellt damit die vorausgesetzte Differenz zwischen (unvergänglich-dauerndem) Sein und (dem Tod bzw. der Verwandlung oder Vernichtung unterworfenen) Werdendem/Vergehendem dar. Auf diesen Umstand verweist Vonessen (1988, 281 f.), wenn er zu bedenken gibt: »In seiner Schrift ›Über das E in Delphi‹ führt Plutarch aus, das apollonische Gebot ›Erkenne dich selbst‹ sei gewissermaßen der Gruß des Gottes an jeden, der seinen Tempel betritt, und die Menschen antworten mit dem ehrfürchtigen Gruß an die Gottheit: ›Du bist!‹ Damit sprachen sie dem Gott – und das war ihr Gehorsam gegen seinen Befehl, der Anfang der ihnen aufgetragenen Selbsterkenntnis – die entscheidende Eigenschaft zu, die sein Wesen als Gott und seinen Abstand vom menschlichen Wesen [die Differenz zwischen Sein und Werdendem/Vergehendem] bezeichnet: Er ist, aber sie ›sind‹ nicht wirklich, sondern sie leben; das heißt, sie sind als sterbliche, zeitliche Wesen, die von der Geburt zum Tod unterwegs sind, nicht durch So heißt es etwa in einem hinduistischen Hymnus aus der Brihad Aranika-Upanishad (I,3,28), den Papst Paul VI. bei seiner Ankunft 1964 in Indien rezitierte: »asato mā sad gamaya, tamaso mā jyotir gamaya, mrtyor māmrtam gamaya« (»Vom Nicht-Sein führe mich zum Sein, von der Dunkelheit führe mich zum Licht, vom Tode führe mich zur Unsterblichkeit«).

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Sein, nur durch Werden, Zunehmen, Wachsen – und dann durch das Gegenteil: Abnehmen, Schwinden und Sterben – und außerdem noch: von Stunde zu Stunde, durch Anderswerden bestimmt: … Und soweit man ihrer Vergänglichkeit dennoch einen gewissen, wiewohl fragwürdigen Anteil am Sein zubilligen will, muß man einräumen, daß dieses Sein nichts Besseres ist als ein Leihgut, welches ohne Vertrag ist und stündlich auf Widerruf steht. So gesehen ist der Mensch mit besserem Recht nichtseiend als seiend zu nennen.«

Denn, so der Autor an gleicher Stelle (Vonessen 1988, 280) dazu ausführend: »was geworden ist, ›ist‹ ja im strengen Sinne [einer Offenbarungskultur] nicht; wir können höchstens sagen, es durchlaufe, aber ohne je über sie zu verfügen, Zustände, die ›seinsähnlich‹ sind. Es ist nicht, sondern es wird, es ›ist‹ nur geboren oder entstanden und muß, weil es gewissermaßen seinsflüchtig ist, unentwegt, durch Ernährung und auf allerlei andere Weisen, ›im Sein gehalten‹ werden, in dem es von sich aus nicht zu stehen vermag. … Die Folgerungen, die sich für den Begriff des Seins ergeben, sind klar. Was vergänglich ist, verdient [Offenbarungskulturen entsprechend] den Titel Seiendes allenfalls leihweise – als etwas, das an der Sache, um die es sich handelt, nur dürftigen Anteil besitzt und lediglich darum, weil uns kein anderes Wort für diese Halbschlächtigkeit zur Verfügung steht, mit einem Namen genannt wird, der im Vollsinn etwas sehr viel Besseres meint.«

Schließlich verbindet die verschiedenen Kulturräume der Offenbarungstraditionen die Vorstellung einer menschlichen Urverfehlung. Das heißt: Alle Offenbarungskulturen (er-)kennen die Gebrochenheit des Menschen bzw. der gesamten Erscheinungswirklichkeit, wie immer sie diese benennen (Irritation, Zielverfehlung, Abschüssigkeit, Illusion, Schuld). Das Dasein wird als in sich selber verworren, schief, verstrickt realisiert; auch die ideale Natur neben dem unidealen Menschen gibt es nicht. Mit anderen Worten: keine Religion geht davon aus, dass die Realität, wie wir sie vorfinden, wunderbar, ideal, ohne Fehl und Tadel ist. In diesem Sinne schreibt Anaximander (5. Jh. vor Christus) in seinem Fragment 110 gar im Hinblick auf dinghafte Entitäten: »Die Dinge strafen und vergelten ihr Unrecht nach der Ordnung der Zeit« (Anaximander zit. nach Gerl-Falkovitz 2013, 48). Kurzum: In allen Offenbarungs-Kulturen wird eine Urschuld jenseits der persönlichen Verantwortlichkeit angenommen, die sich auf alle Dimensionen der Realität erstreckt 17, wobei diese »Schuld 17

Wird dieses Element nicht mitbedacht, kann über das Phänomen Schuld kulturen-

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des Daseins« als konkrete Erfahrung erlebt wird. Die Dinge verdrängen einander; wo ich bin, kannst du nicht sein; wo ein Baum wächst, kann kein zweiter wachsen; alles beansprucht Platz. Allein der Umstand, dass Leben – um zu überleben – sich konkurrenziert, verdrängt und verzehrt, macht dies deutlich. Insofern verstrickt sich insbesondere der Mensch, gleich was er macht, unweigerlich stets in TatSchuld; dies meint der im Westen zunehmend gebräuchlich werdende Begriff karma. Vor diesem Hintergrund kennen alle Offenbarungs-Kulturen die Notwendigkeit der Überwindung von Schuld; sei dies durch (rituelle) Waschungen, Buße, Opfer, Zuspruch, Gnadenerweise etc. Wenden wir uns nun den zwei unterschiedenen Typen von Offenbarungskulturen näher zu; beginnend mit den sogenannten Nicht-Wort-Offenbarungskulturen.

3.a Nicht-Wort-Offenbarungskulturen Der Terminus Nicht-Wortoffenbarungstradition dient – wie oben schon kurz ausgeführt – zur näheren Bezeichnung all jener Offenbarungskulturen, die einerseits davon ausgehen, dass den Menschen übersteigende Wirkmächte bzw. ein Seins-Grund (im Unterschied zur werdenden/vergehenden Erscheinungswirklichkeit) existiert bzw. der Mensch auf diese Seins-Dimension bezogen ist, – und dass es Manifestationen bzw. Offenbarungen dieses Seinsgrundes gibt. Im Unterschied zu den sog. Wortoffenbarungstraditionen Judentum, Christentum und Islam (siehe das folgende Kap. B/I/3b), wird in den genannten Überlieferungen, die vielfach auch als mythische Kulturen bezeichnet werden, jedoch nicht die Auffassung vertreten, dass sich dieser Seins-Grund selbst im Wort, d. h. in Rede und Gegenrede von göttlichem Ich zu menschlichem Ich geoffenbart habe. 18 übergreifend schwerlich ins Gewicht fallend gesprochen werden, – insbesondere vor dem heute vielfach gängigen Schema einer »Unschuld der Natur« (vgl. Löw 1990). 18 Vereno (1960b, 58 f.) macht deutlich, dass auch inzwischen längst vergangene (mythische) Nicht–Wortoffenbarungskulturen alles andere denn als »primitiv« zu bezeichnen sind, wenn er zu bedenken gibt: »Welcher Art ist der Geist jener fernen, längst versunkenen Völker, ihr Denken, Fühlen und Gestalten, ihre Gottes- und Welterfahrung gewesen? Um das Wesentliche in einem Wort zusammenzufassen, können wir sagen: ihr Weltbild war mythisch. Das mythische Denken und Erleben ist von

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Nicht-Wortoffenbarungstraditionen sind von der Ansicht getragen, dass die raumzeitliche Wirklichkeit nicht identisch ist mit dem Sein-Grund selbst, der sich allein in der unsagbaren individuellen Erfahrung des einzelnen bzw. im bild-/zeichenhaften Symbol offenbare/geoffenbart habe (vgl. Shibajama 1986). Das zentrale Erkenntnismedium ist dementsprechend nicht das gesprochene/geschriebene Wort, sondern das in unmittelbarer Ergriffenheit geschaute Bild bzw. das Schweigen. 19 Vereno schreibt, auf diesen Umstand im Kontext der Nicht-Wortoffenbarungstradition des Buddhismus verweisend: »Immer wieder, auf jeder erreichten Stufe von neuem, muß der zu Gott Strebende im schweigenden Innesein erkennen, daß das Gesagte, das Sagbare nicht das Eigentliche ist. Der Buddha spricht diese Ta t s a c h e aus, daß es so sei; aber den I n h a l t dessen, das ›was‹ und ›wie‹ es sei, läßt er im Schweigen. So ist das Schweigen a l s Schweigen in das Wort getreten, und dies ist tatsächlich, wenn auch in ›negativer‹ Weise, wirkliche O f f e n b a r u n g .« (Vereno 1958, 71)

Mit der unterschiedlichen kulturräumlichen Präferierung von Wirklichkeitsaspekten geht auch eine unterschiedliche Formulierung letzter anthropologischer Grundfragen einher: Woher kommt das Sein? Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Wie gelangt der Mensch zu Erkenntnis? Was ist das Eigentlich-Dauernde? Gibt es ein Tod überwindendes Leben? u. a. m. Zur besseren Differenzierung der unterschiedenen Kulturräume soll die von Schlette (1973, 188) aufgeworfene Grundfrage: »Warum ist überhaupt Zerrissenheit, Zwiespältigkeit, Absurdität und nicht nur Friede?« 20 manchen Forschern, die sich nicht von den Voraussetzungen ihres eigenen Rationalismus [der Moderne] zu lösen vermochten, als unlogisch oder ›prälogisch‹ [bzw. vorwissenschaftlich] bezeichnet worden. Doch ist es in Wahrheit nichts weniger als das. Es ist in seiner Weise höchst logisch; es ist systematisch, hat seine Theorie und seine Praxis; nur gilt es, seine geistigen Voraussetzungen zu verstehen.« 19 Im Umstand, dass in den Nicht-Wortoffenbarungskulturen dem Bild/Symbol ein höherer Erkenntniswert zugemessen wird als dem Wort (dem Sprachlich-Fixierbaren) – vgl. dazu den Kontext der Zen-Malerei aus der »Großen Erfahrung« –, ist meines Erachtens letztlich auch der Grund zu sehen, warum der Buchdruck in China und Korea, obwohl er dort Jahrhunderte vor Gutenberg bereits in analoger technischer Fertigkeit vorlag, in diesen Kulturen nicht geschichtsmächtig wurde (vgl. Kap. B/III/ 3 bzw. B/IV/4). 20 Schlette (1973, 190) schreibt dazu: »Die Intensität der verschiedensten menschlichen Anstrengungen – Religion, Ethik, Askese, politisches Handeln, Bemühung um Erkenntnis, um ›Wissenschaft‹ und manches andere – dürfen (auch) bei den Grie-

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an die differenzierten Kultur-Raum-Typen herangetragen werden. Mit Schlette soll zunächst skizziert werden, wie diese Frage nach der Möglichkeit des Negativen, ja des Bösen im kulturräumlichen Kontext der Nicht-Wort-Offenbarungstradition des griechisch-antiken Denkens 21 zu beantworten gesucht wird. Diesbezüglich macht Schlette deutlich, dass im antiken Kulturraum (etwa im Unterschied zu Judentum und Christentum) nicht klar zwischen Erscheinungswelt und transzendentem Seins-Grund differenziert wird. Wörtlich heißt es da: »Im Denken der Griechen wird Welt nicht auf plumpe Weise mit Gott [dem Seinsgrund] gleichgesetzt (oder umgekehrt Gott mit der Welt); denn für eine solche Gleichsetzung fehlt das Bewußtsein der Verschiedenheit von Gott und Welt als der logischen und ›existenziellen‹ Voraussetzung dieser Identifizierung. In der Ursprungserfahrung, die aller griechischen Weltdeutung in unterschiedlicher Explizität zugrundelag und deren letzte authentische Entfaltung nach Ansicht vieler in der ›Philosophie‹ Plotins zu finden ist, ist der Kosmos weder ein geschaffenes und als solches schon weltliches ›Werk‹ noch eine gefahrvoll-dualistische Gegenwelt (wie im Gnostizismus), vielmehr ein erhabener, notwendiger, vollkommener, ewiger Kosmos, und das Göttliche wird nicht als ein von ihm wesenhaft Verschiedenes, als ein Anderes erfahren, sondern letztlich als eine Dimension des Kosmos selbst.« (Schlette 1973, 190; vgl. dazu auch Otto 1962, Neidl 1985 bzw. Hammer 1991).

Die Herausforderung des griechischen Denkens bestand – auf Grund seiner Kosmozentrik einerseits bzw. der vielfältigen Erfahrung von Negativem andererseits – demnach in einer verteidigenden Rechtfertigung des Kosmos, d. h. in einer Kosmodizee (vgl. Schlette 1973, 191). 22 Dabei blieb – analog zum Verhältnis Welt und Transzendenz – vieles in der Schwebe; sowohl was das Zueinander des Positiven und Negativen anbelangt wie die Antwort auf die Frage, inwiefern der Mensch bei all seinen Bemühungen um ein gutes Leben wirklich frei ist. 23 chen als Bestätigung dafür genommen werden, daß Unvollkommenheit, Negativität, (Seins-)Mangel deutlich erfahren und erkannt worden sind« und insofern diese Grundfrage provozieren. 21 Siehe zum antiken Denken generell: Kerényi 1971. 22 Dies vor allem in spätantiker Zeit im Rahmen der Auseinandersetzung mit gnostisch-dualistischen Schmähungen des Kosmos. 23 Zu diesbezüglichen Unterschieden zwischen den beiden Nicht-Wort-Offenbarungskulturen des Zen-Buddhismus bzw. des Taoismus vgl. Hashi 2007.

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»Der Horizont der Griechen« – so Schlette dazu noch einmal wörtlich (1973, 191) – »war letztlich bestimmt durch Erfahrungen, die wir mit den Worten ›Vorsehung‹, ›Notwendigkeit‹, ›Tragik‹, ›Verhängnis‹, ›Vergeltung‹ kennzeichnen können. In diesem unserer [abendländisch-modernen] Erfahrung schwer zugänglichen Horizont war ›das Böse‹ letztlich nur ›das Negative‹ ; es konnte niemals mehr sein als die dunklen Farben eines Bildes oder die dunklen Töne einer Melodie. Hätte jemand gefragt, warum all jenes in diesem Kosmos zu finden ist, das als befremdlich, unerklärlich, grausam, ›schlecht‹ erlebt wird, so hätte man ihn je nachdem auf das Chaos, auf die ›Materie‹, auf das Nicht-Seiende verwiesen, zugleich aber an der Vollkommenheit, Schönheit und Ordnung des Kosmos als ganzem festgehalten.«

3.b Wort-Offenbarungskulturen: Judentum, Christentum, Islam Der Begriff Wort-Offenbarungskulturen steht wie erwähnt für die Ansicht, dass sich der Seins-Grund von allem selbst den Menschen im Wort – d. h. in der Anrede von Ich zu Ich – bzw. innerhalb des raumzeitlichen Geschehnisablaufes geoffenbart habe (vgl. Vereno 1959). Als solche gelten die sogenannten drei abrahamitischen Traditionen Judentum, Christentum und Islam 24. Im Unterschied zu Nicht-Wortoffenbarungskulturen ist damit eine explizite Differenzierung zwischen Schöpfer und Schöpfung verbunden. Schlette beschreibt dies im Hinblick auf die Wortoffenbarungskultur des Judentums wie folgt: »Von einem nicht exakt fixierbaren Zeitpunkt in der Geschichte Israels an steht außer Zweifel, daß Jahwe nicht nur als der mächtige Lenker der Geschicke Israels erfahren und gedeutet wird, sondern als der einzige Gott und der Schöpfer der Welt, wenn man so will: monotheistisch. Jahwe ist wahrhaft transzendent, nicht weltlich, die Welt dagegen, ›Himmel und Erde‹, ist Werk, Schöpfung, als von einem solchen Gott geschaffenes Werk ›gut‹, ja ›sehr gut‹ (vgl. Gen 1,1–31).«

In analoger Weise bemerkt Neidl: »Der Kosmos im Lichte der Offenbarungwirklichkeit der Lehre des JudenChristentums betrachtet, ist von entschieden anderer Art als dessen Deutung durch die Weisheits-Lehren der Hellenen. … Die Hervorbringung der gesamten geschöpflichen Wirklichkeit [im Judentum und Christentum] aus dem Nichts übersteigt nämlich menschliche Reflexionskraft von ihrem WeZum Islam vgl. Vereno 1960, 124–142, Schimmel 1995, Luxenberg 2004, Khoury 2005, Khoury 2010.

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sen her unendlich … Und gerade in diesem Bereich vollzieht sich gemäß der Lehre des Juden-Christentums die Schöpfung der Welt durch deren Schöpfer.« (Neidl 1985, 199 f.)

Bestand die Herausforderung des griechischen Denkens – auf Grund ihrer Kosmozentrik einerseits bzw. der vielfältigen Erfahrung von Negativem andererseits – in einer verteidigenden Rechtfertigung des Kosmos, d. h. in einer Kosmodizee (vgl. Schlette 1973, 191), so ändert sich dies im Kontext von Wort-Offenbarungskulturen gravierend. Denn in dem Moment, als – wie in diesen Traditionen – ein Schöpfer der Erscheinungswirklichkeit vorausgesetzt wird, ist eine Rechtfertigung des Kosmos nicht länger nötig, ja diese wäre – wie Schlette bemerkt (1973, 192) – »sogar gegen den Plan Gottes, wollte der Mensch die Welt, wie sie nunmehr ist, als solche rechtfertigen.« Wie wird in den Wort-Offenbarungskulturen dann das viele Leid bzw. wie werden all die offensichtlichen Unvollkommenheiten gedeutet? Machen wir uns dies wiederum anhand von Schlettes diesbezüglichen Ausführungen zum Judentums deutlich. Wörtlich heißt es da: »Wird nun im Kontext d[ies]es Glaubens Israels die Warum-Frage gestellt: – ›Warum ist Unvollkommenes, Schlechtes, Leiden und nicht vielmehr nur Gutes, Vollkommenes?‹ – so kann zunächst auf die Schuld der Menschen und die von Gott verhängten Sanktionen verwiesen werden. Hierbei ist eine Anthropologie impliziert, in der Freiheit, Verantwortung, Schuld, Strafe, Vergebung gleichsam problemlos ihren Platz einnehmen. Wird aber die Warum-Frage dadurch radikalisiert, daß noch weiter gefragt wird, warum dies alles so sei – daß der Mensch frei ist, seine Freiheit mißbraucht und deswegen samt der Schöpfung im Ganzen bestraft wird –, so wird es unvermeidbar notwendig, Gott gegen den offenen Vorwurf oder die verschwiegene Unterstellung zu verteidigen, er sei, weil er die Freiheit ermöglichte, der Urheber des Schlechten. … Im Bezugsrahmen des hebräisch-biblischen Gottesglaubens wird also Theodizee, Rechtfertigung Gottes angesichts menschlicher Fragen und Klagen, als Problem und Not erfahrbar.« (Schlette 1973, 192)

Ohne auf Einzelheiten der genannten Traditionen an dieser Stelle eingehen zu können, kann also grundsätzlich festgestellt werden: Die genannten Überlieferungen sind – in freilich je eigener Weise – von der Ansicht getragen, dass sich der Seinsgrund selbst den Menschen in offenbarender Anrede mitgeteilt habe. Mit anderen Worten: Wie die zuvor erwähnten Nicht-Wortoffenbarungskulturen sind die drei genannten Wort-Offenbarungskulturen von der Ansicht getra171 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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gen, dass es einen raum- und zeitmächtigen Urgrund des Seins gibt, aus dem alles, was ist, hervorgeht. Darüber hinaus existiert hier zudem die Vorstellung, dass dieser Seins-Grund – bedingt durch dessen Selbst-Offenbarung – verbal ausdrückbar, vermittelbar, sprachlichkommunizierbar ist. In diesem Sinne schreibt Vereno auf die Wort-Offenbarungstradition des Christentums Bezug nehmend: »Christus hat uns gegeben, daß wir das Mysterium s a g e n können.« (Vereno 1958, 89) Anders ausgedrückt: Erkenntnisfortschritt bedeutet in diesen Traditionen einen »Hervortritt des WORTES aus dem Schweigen.« (Ebd., 63) Auf Grund der Vorstellung, dass sich der Grund allen Seins selbst im Geschehnisablauf von Raum und Zeit geoffenbart habe, sind sämtliche Wortoffenbarungstraditionen (mehr oder weniger) (heils-) geschichtszentrierte Überlieferungen. Auf diesen zentralen Punkt Bezug nehmend schreibt Eliade im Hinblick auf die Wortoffenbarungskulturen Judentum und Christentum (1961, 217): »Als Person – das heißt als Wesen, das vollkommene Freiheit besitzt – tritt der Gott Israels aus der ›Abstraktheit‹ … heraus, handelt er in der Geschichte, tritt er in Beziehung zu geschichtlichen Wesen. … Dies war eine ungeheure religiöse Revolution; zu ungeheuer, als dass zweitausend Jahre christlichen Lebens sie hätten verarbeiten können.«

Mit diesem Kennzeichen der Heils-Geschichtlichkeit ist ein weiteres Merkmal untrennbar verbunden: das des Universalismus, d. h. des damit verbundenen Anspruchs der kulturenübergreifenden Allgemeingültigkeit. Auf diesen Sachverhalt verweist Jean-Baptiste Metz (1996, 19), wenn er schreibt: »Der Monotheismus ist ein Universalismus. ›Gott‹ [als der Eine sich Selbst in der Raumzeitlichkeit offenbarende Grund von allem] ist entweder ein Menschheitsthema oder überhaupt kein Thema, er geht entweder alle an oder niemanden; nur Götter sind regionalisierbar, können mit begrenzter, geteilter Kompetenz auskommen.«

3.c Gemeinsame Kennzeichen von Offenbarungskulturen Als verbindende Elemente der Offenbarungskulturen lassen sich – was die Thematik der vorliegenden Arbeit betrifft – zusammenfassend festhalten:

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Der Offenbarungscharakter der Wirklichkeit; das heißt, die Nicht-Identifizierung der offensichtlichen Erscheinungswelt mit dem Sein selbst; Differenzierung zwischen unvergänglichem Sein und – dem Tode bzw. der Verwandlung oder Vernichtung unterworfenem – Werden/Vergehen; Religiöse Strukturiertheit des Daseins; Verehrung eines »Absoluten« in Kult, Ritus und spiritueller Praxis (vgl. Mc Ginn 2008). Die »Unmachbarkeit« des Wesentlichen allein vom Menschen aus; Primat des Geistes gegenüber der Materie unter Voraussetzung eines identitäts- und gemeinschaftsstiftenden (geistigen) »Dritten«; Voraussetzung einer »Urverfehlung« des Menschen bzw. Überwindung von Schuld mit Hilfe göttlicher Mächte (vgl. Vereno 1968); Die »Dreiheit« Lehre – Gemeinschaft – (persönlicher) Meister im Rahmen der Erkenntnisvermittlung (vgl. Scholem 1965, Sudbrack 1981, Scholem 1992); Primat des zweckfreien/sinnvollen Handelns gegenüber nützlichen Tätigkeiten; Verständnis menschlichen Lebens als spielerischer Ernst bzw. ernsthaftes Spiel (vgl. Bäumer 1969, Splett 1993, Rahner 2008).

Kurz: Offenbarungskulturen sind von religiösen Strukturen gekennzeichnet. Sie vereint der Grundgedanke, dass es den Menschen übersteigende Wirkmächte gibt, die sich in verschiedener Weise den Menschen offenbaren bzw. geoffenbart haben, wobei – je nach spezifischem Kulturraum – unterschiedliche Vorstellungen bestehen, in welcher Weise dieses Geschehen »Gestalt« angenommen hat bzw. annimmt (vgl. Glasenapp 1960, Glasenapp 2001).

3.d Grundsätzliche inhaltliche Unterschiede zwischen den Offenbarungskulturen • Die Frage bezüglich der Sagbarkeit des Seinsgrundes: Ein, wenn nicht das – innerhalb der vormodernen Geistestraditionen – differierende Wesensmerkmal ist die Frage bezüglich der »Sagbarkeit des Grundes«. Die Nicht-Wortoffenbarungstraditionen vertreten die Ansicht, dass der Grund von allem nicht (weiter-)sagbar, sondern 173 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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nur personal (subjektiv) erfahrbar sei, während die Wortoffenbarungstraditionen vom Glauben getragen sind, dass der Grund von allem (nicht nur subjektiv) erfahrbar, sondern – bei aller menschliches Begreifen übersteigbaren Unsagbarkeit – auch sagbar, d. h. intersubjektiv-vermittelbar sei, weil sich der Grund allen Seins selbst im Wort bzw. in der Geschichte den Menschen geoffenbart habe. 25 Diese Sagbarkeit ist dabei keine vom Mysterium des Glaubens losgelöste (bzw. diesen auflösende), sondern hat vielmehr ihre »BeGründung« gerade in der Unergründlichkeit der Wort-Offenbarung bzw. der damit verbundenen Glaubenstradition (vgl. dazu Vereno 1958, 89). Die unterschiedliche Auffassung bezüglich einer klaren Differenzierung zwischen Sein und Erscheinung, Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung Als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Wort- und Nicht-Wortoffenbarungstraditionen ist in der Frage der klaren Differenzierbarkeit zwischen »Göttlichem« und »Weltlichem«, zwischen Transzendenz und Immanenz, zwischen Seins-Grund und Erscheinungs-Wirklichkeit zu erblicken. Darauf verweist Schlette (1973, 190), wenn er in seinem Aufsatz Kosmodizee und Theodizee feststellt: •

»Die Grunddifferenz zwischen Griechischem [einer Nicht-Wortoffenbarungstradition] und Hebräischem [einer Wort-Offenbarungstradition] ergibt sich formal betrachtet [unter anderem] daraus, daß die Griechen es trotz größter philosophischer Anstrengung nicht vermocht haben, den Kosmos zu ›entdivinisieren‹ [zu entgöttlichen]. Dies ist keineswegs eine ›Wertung‹ oder gar ein Tadel. Ich möchte auch nicht das Griechische allzu groß auf den Titel ›Pantheismus‹ [d. h. die Ansicht, Alles sei Gott] festlegen. Aber man wird doch sagen dürfen, daß die Differenz von Welt und Gott und damit der Gedanke einer in sich selbst souveränen und personalen ›Transzendenz‹ bei den Griechen ebenso im Zwielicht blieb wie der Modus des Hervorgehens des Nicht-Ersten aus dem Ersten. Manches scheint für die Annahme einer Transzendenz zu sprechen, anderes wieder für eine den gesamten Kosmos durchherrschende [›naturgesetzliche‹] ›Notwendigkeit‹. Im Denken der Griechen wird Welt nicht auf plumpe Weise mit Gott gleich-

25 Casper (1967, 367 f.) macht darauf aufmerksam, dass aus der Sicht der Wort-Offenbarungskulturen diesen der Vorrang gegenüber den Nicht-Wortoffenbarungskulturen zukommt.

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gesetzt (oder umgekehrt Gott mit der Welt); denn für eine solche ›Gleichsetzung‹ fehlt das Bewußtsein der Verschiedenheit von Gott und Welt als der logischen und ›existentiellen‹ Voraussetzung dieser Identifizierung.«

Unterschiedliche Auffassung bezüglich der Personalität/ Nicht-Personalität des Seins Wird in den Nicht-Wortoffenbarungskulturen der Seinsgrund weder explizit personal, aber genauso wenig explizit apersonal verstanden, sondern – auf Grund von dessen »Unsagbarkeit« – auch diebezüglich eine »schwebende« Ansicht vertreten, so findet sich in den Wort-Offenbarungskulturen ein explizit »personales« Verständnis des Absoluten – da »dieses« sich selbst geoffenbart habe; im Judentum insbesondere in Gestalt der Offenbarung des Gottesnamens JHWH (»Ich bin der Ich bin«), im Christentum gar durch die geglaubte Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth. 26 Die beiden unterschiedlichen Auffassungen lassen sich sehr gut anhand zweier Zitate veranschaulichen: In einem Fragment des griechischen Philosophen Heraklit (ca. 520–460 v. Chr.), also eines berühmten Vertreters einer Nicht-Wortoffenbarungskultur, wird das »schwebende« Verständnis hinsichtlich der Personalität des Seinsgrundes wie folgt zum Ausdruck gebracht: •

»Eins, das Allein-Weise, will nicht und will doch auch wieder mit dem Namen des Zeus benannt werden.« (Heraklit, o. J., um 1925, 20) Im fundamentalen Unterscheid dazu bemerkt Ratzinger (1968, 102) im Hinblick auf die biblischen Wort-Offenbarungstraditionen des Judentums und Christentums: »Die Paradoxie des biblischen Gottesglaubens besteht … darin, daß das Sein als Person und die Person als das Sein geglaubt wird.«

Damit verbunden ist auch ein unterschiedliches Verständnis des Menschen. Während der Mensch in den Wort-Offenbarungskulturen des Judentums und Christentums als »Ebenbild Gottes« und insofern als Krone der Schöpfung verstanden wird, ist z. B. in der homerisch-antiken Auffassung der Wirklichkeit die Vorrangstellung des Menschen vor dem Tier nicht in diesem Maße eindeutig (vgl. Rahn 1968).

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Unterschiedliche Deutung des raumzeitlichen Geschehnisablaufes Während wir in Nicht-Wortoffenbarungskulturen zyklischen Geschichts- bzw. Epochenverständnissen begegnen, da die raumzeitliche Wirklichkeit dort als beständiges Werden und Vergehen, als ewiger Kreislauf der Dinge, als »Rad der Wiedergeburten«, angesehen wird 27, herrscht in den Wort-Offenbarungskulturen nicht länger die Ansicht vor, raumzeitliche Geschehnisabläufe seien letztlich »ungeschichtliche« Erscheinungsweisen von »ewigen« Natur(geistes)gesetzen. Vielmehr werden hier alle raumzeitlichen Ereignisse – ohne dabei Naturgesetzmäßigkeiten in Abrede zu stellen – in Verbindung gebracht mit dem stets einmaligen Handeln Gottes, das in seiner Einmaligkeit übernaturgesetzmäßige Züge trägt. 28 Anders ausgedrückt: Der Geschehnisablauf erhält sinngerichtete, heilsgeschichtliche, zukunftsbezogene Bedeutung (vgl. Kap. B/II/2&3). So ist etwa gemäß der Auffassung der jüdischen Wortoffenbarungstradition nicht nur das Volk Israel als ganzes in eine unbedingte (heilsgeschichtliche) Relation zu Gott gestellt, sondern ebenso jede(r) Einzelne; auch der individuelle Mensch erfährt sich hier als geschichtliches Wesen, als jemand, dessen Handeln in Raum und Zeit eine ganz bestimmte (unverwechselbare) (Heils-)Bedeutung zukommt, dessen individuelle Taten am sinngerichteten allgemeinen Ablauf der Dinge zu einem positiven Ende hin Anteil haben und eben •

Als Symbol dafür dient in der griechischen Antike der Uroborus, die sich selbst fressende Schlange. 28 Gut veranschaulicht diesen Zusammenhang die folgende Geschichte aus den von Martin Buber eingesammelten Erzählungen der Chassidim, wo er folgende Episode vom Baalschem-Tow, dem Begründer des Chassidimus, tradiert: »Ein Erforscher der Natur kam aus der Ferne zum Baalschem und sagte: ›Meine Forschungen haben ergeben, daß von der Natur aus in jenen Stunden, als die Kinder Israels durchs Schilfmeer zogen, es sich spalten mußte. Was bleibt da von dem berühmten Wunder?‹ Der Baalschem antwortete ihm: ›Weißt du nicht, daß Gott die Natur erschaffen hat? Er hat sie so erschaffen, daß in jener Stunde, als die Kinder Israels durchs Schilfmeer zogen, es sich spalten mußte. Dies ist das große und berühmte Wunder.‹« (Buber 1948b, 157 f.) Das tradierte (geschichtliche) Wunder wird also nicht aufgelöst, indem es auf Naturgesetze zurückgeführt wird, sondern umgekehrt werden (auch) die Naturgesetze dem (heils-)geschichtlichen Plan Gottes unterstellt – und insofern ebenso zum Wunder. Diese Geschichte macht auf anschauliche Weise deutlich, dass im Judentum Gott nicht nur als der allmächtige Herr der Natur bzw. der Naturgesetze gilt, sondern auch als Herr der Geschichte, d. h. nicht nur als Urheber der gesetzmäßigen Erscheinungen, sondern auch der sinnvollen Ereignisse in Raum und Zeit, wobei die zweite Eigenschaft natürlich als die vorrangige angesehen wird. 27

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dadurch geschichtlich sind. Demzufolge ist – wie Vereno (1960a, 80) bemerkt – »die religiöse Überlieferung Israels nicht eine Weitergabe zeitloser Wahrheiten, sondern die Geschichte der Ereignisse zwischen dem Bundesgott und dem Bundesvolk. Und darum ist der Maßstab des religiös-sittlichen Wertes der Taten dieses Volkes der Gehorsam – und das beherrschende Thema seiner Geschichte der Ungehorsam.« In der christlichen Überlieferung wird diese Heilsgeschichte nun nicht mehr an ein auserwähltes Volk, sondern allein an einen Menschen gebunden, Jesus von Nazareth, von dem zugleich geglaubt wird, er sei die menschgewordene Inkarnation Gottes, das heißt jener dem Judentum verheißene Messias, der die ganze Welt durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung von aller Schuld erlöst habe. 29 Damit vertritt das Christentum den Glauben, ein einzelner wahrer Mensch (zugleich wahrer Gott) sei die Mitte, die Erfüllung und der Kreuzungspunkt aller Geschichte – und damit aller Kulturen. Die Konsequenz daraus: Ab nun strebe alle Geschichte nur noch der Vollendung zu; alle Zeit sei nunmehr End-Zeit bis zur Wiederkunft Christi. Maßstab des Geschehnisablaufes in Wortoffenbarungskulturen ist demnach nicht länger (wie in Nicht-Wortoffenabrungskulturen) der Logos des Kosmos (Antike) oder »ewige Seinsgesetze«, sondern Gott als (auch) der Herr der Geschichte. Unterschiedliche Auffassung bezüglich einer klaren Unterscheidung der Mächte des Guten und Bösen Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass in vorchristlichen bzw. außereuropäischen Nicht-Wortoffenbarungskulturen eine letztliche Uneindeutigkeit hinsichtlich des Wesens der guten und negativen geistigen Mächte festzustellen ist. Anders ausgedrückt: Dass keine – etwa im Vergleich zur Wort-Offenbarungskultur des Christentums – strikte Trennung zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Widersachers angenommen wird. Das heißt konkret: Es ist in diesen Geistestraditionen nie ganz klar, inwieweit »transzendente Mächte« den Menschen wohlwollen. So heißt es bei Archilochos (7. Jh. v. Chr.): »Die Götter haben das letzte Wort. Sie heben •

Dass das Heils-Symbol des Kreuzes ursprünglich zugleich als zentrales Symbolum der irdischen raum-zeitlichen Wirklichkeit angesehen wird, zeigt sich unter anderem darin, dass es Abbildungen gibt, die entweder die zentrale Glaubensgestalt die Christentums, Jesus Christus, als den Herrn der Geschichte mit der Welt-Kugel zeigen, oder eben – in anderer Darstellung – das Kreuz über/mit dem Uroburus-Symbol.

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dich in die Höhe, wenn du auf der dunklen Erde liegst, sie werfen dich auf den Rücken, hast du erst einmal Fuß gefasst.« (Archilochos zit. nach Gerl-Falkovitz 2008, 94) Erst in Wort-Offenbarungstraditionen, speziell in Judentum und Christentum, wird der Seins-Grund als der ewig (Bundes-)Treue angesehen, der sein auserwähltes Volk nie im Stich lässt (Judentum), ja als der erbarmende Gott, der die Schuld aller Menschen durch Seinen stellvertretenden Kreuzestod auf sich nimmt und den Menschen Beistand bis zum Weltende zusichert (Christentum), andererseits die Existenz gänzlich widergöttlich-negativer geistiger »Mächte« postuliert (vgl. Ratzinger 1973, 22–234, Drewermann 1988). Unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Gültigkeit von Sollensforderungen Zwar wird in allen Offenbarungskulturen wahre Erkenntnis bzw. Erkenntnis des Wahren stets als gekoppelt angesehen mit sittlichem Handeln. Eine (der jeweiligen Geistestradition) entsprechende ethische Einstellung ist insofern nicht nur Grundbedingung zu (eigentlicher bzw. wahrer) menschlicher Erkenntnis, sondern ebenso zu wahrer Kommunikation. Im Kontext der Nicht-Wortoffenbarungskulturen gibt es dabei jedoch keine unbedingten Sollensforderungen (wie in den Wortoffenbarungstraditionen), da hier die ethischen Maximen nicht als »göttliche Gebote«, sondern als »menschliche Setzungen« verstanden werden. 30 •

Dahinter steht die Überlegung, dass gegenüber dem bedingten Menschen (von mitmenschlicher Seite) kein unbedingter Sollensanspruch erhoben werden kann (bzw. soll). In jenen Geistes-Traditionen, die nicht davon ausgehen, dass der Seins-Grund von allem sich im Wort (und damit im unbedingten An-Spruch) geoffenbart hat, wie etwa in der Geisteswelt Indiens und Chinas, »kann, ja muß es« – wie Vereno (1960a, 80 f.) schreibt – »verschiedene bedingte Maßstäbe geben, entsprechend den verschiedenen Zielsetzungen des menschlichen Strebens. Daher die große, oft gerühmte Duldsamkeit der heidnischen Überlieferungen [Nicht-Wortoffenbarungskulturen], ihrer Meister und Lehrer. Sie sagen nicht ›du sollst‹, wie es der Gott Israels gebieterisch in der Geschichte gesprochen hat, sondern: wenn du dieses oder jenes Ziel erreichen willst, so ist es zweckmäßig, dies zu tun und jenes zu unterlassen. Dies scheint … eine größere Freiheit des Menschen zum Ausdruck zu bringen. Doch dies ist eine Täuschung, das Gegenteil ist der Fall. Denn die verschiedenen Zielsetzungen und Wege entsprechen ja verschiedenen Bedingtheiten – zunächst durch die Natur als solche, dann aber auch durch eine naturhaft verstandene und erlebte Geschichte. Der Inder [bzw. die indische Tradition] läßt [insofern] mehrere Yogawege offen, weil er auf die verschiedenen gemüthaften Verfassungen und Neigungen Rücksicht nimmt, weil man von dem einen nicht verlangen kann, was sich für den anderen schickt. Wenn die

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Im Unterschied dazu kennen Wort-Offenbarungenkulturen unbedingte Sollensforderungen. Seine Begründung findet dieser unbedingte Sollensmaßstab darin, dass er nicht als moralisch-ethische Maxime des Menschen verstanden wird, sondern als göttliches Gebot, begleitet von der Zusage des beständigen Beistandes Gottes. 31

4.

Nicht-Offenbarungs-Kulturen

Als Nicht-Offenbarungskulturen werden in der Folge jene beiden abendländischen Kultur-Epochen bzw. epochemachenden Kulturen bezeichnet, die darauf beruhen, dass die vorgegebene raumzeitliche Wirklichkeit keinerlei Offenbarungscharakter aufweist: Die abendländische Moderne und die ins Globale ausgreifende Post-Moderne 32. Auf den damit zusammenhängenden Sachverhalt, dass sich maßgebliche Autoren der Moderne mit dem Phänomen der Offenbarung zusehends schwer tun, macht Casper aufmerksam, wenn er schreibt: »Descartes vermeidet es, Offenbarung zu thematisieren. Leibniz und Wolf sehen die Offenbarung von der Vernunft her und bemühen sich deshalb, Glauben und Offenbarung mit der Vernunft in Übereinstimmung zu halten. Die Offenbarung muß sich [nun] vor der Vernunft rechtfertigen. Für Lessing schließlich gibt ›Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde‹. Und bei Kant vollends wird der Offenbarungsglaube gänzlich bedingungslose Unterordnung des Strebenden unter den Meister des geistlichen Pfades, den guru, gefordert wird, so ist der Schüler doch in der Wahl des Meisters frei … Die Duldsamkeit erscheint also nur deshalb als Anerkennung größerer Freiheit, weil sie die Freiheit selbst (nämlich die menschliche Wahlfreiheit) als abhängig von unüberwindlichen Beschränkungen der Natur versteht. Der Ablehnung des rückhaltlosen Sollens [in den Nicht-Wortoffenbarungskulturen] liegt also die Überzeugung zugrunde, daß ein solch unbedingter Anspruch wegen seiner Unvollziehbarkeit nicht erhoben werden dürfe.« 31 Diesen Zusammenhang von unbedingter göttlicher Forderung und deren Erfüllung durch den Menschen – mit Hilfe des göttlichen Beistandes – wird sehr gut deutlich an jener Stelle des alttestamentlichen Buches Leviticus, wo es – gemäß der Übersetzung von Buber und Rosenzweig heißt: »Heiligt euch und werdet heilig, denn ICH bin euer Gott, wahret meine Satzungen, tut sie, Ich bins, der euch heiligt.« (IQ: Buber-Rosenzweig 1926) 32 Die Begriffe Vor-Moderne, Moderne bzw. Post-Moderne werden (falls nicht extra anders erwähnt) in der vorliegenden Arbeit im Sinne von entsprechenden (geschichtsmächtigen) Geistes-Tendenzen gebraucht.

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eingezogen in den reinen Vernunftglauben. … Das Seinsverständnis der Neuzeit kann mit Offenbarung im Grunde nichts mehr anfangen.« (Casper 1967, 366)

Welche Konsequenzen mit dem Umstand verbunden sind, die vorgegebene offensichtliche Erscheinungswelt ohne Offenbarungsstruktur zu betrachten, wird augenscheinlich, wenn Mircea Eliade die beiden Nicht-Offenbarungskulturtypen vor dem Hintergrund der Raum-Erfahrung wie folgt skizziert: »Wir erinnern uns: die Offenbarung eines heiligen Raumes gibt dem Menschen einen ›festen Punkt‹ und damit die Möglichkeit, sich in der chaotischen Homogenität zu orientieren, ›die Welt zu gründen‹ und wirklich zu leben. Die profane Erfahrung [im soziokulturellen Kontext einer Nicht-Offenbarungstradition] dagegen bleibt bei der Homogenität und folglich der Relativität des Raumes. Eine wahre Orientierung ist unmöglich, denn der feste Punkt ist nicht mehr eindeutig ontologisch bestimmt; er erscheint und verschwindet je nach den Erfordernissen des Tages. Es gibt also eigentlich keine ›Welt‹ mehr, sondern nur noch Fragmente eines zerbrochenen Universums, eine amorphe Masse unendlich vieler mehr oder weniger neutraler ›Orte‹, an denen der Mensch sich bewegt, getrieben von den Verpflichtungen des Lebens in einer industriellen Gesellschaft.« (Eliade 1990, 25)

Wie zu zeigen sein wird, gehen Moderne und Post-Moderne mit diesem Problem der Homogenität von Raum und Zeit in einer NichtOffenbarungskultur, wo es – wie mit Eliade zu zeigen versucht – keine dauerhafte qualitative Differenzierung und insofern keine »natürliche« Orientierung geben kann, in völlig verschiedener Weise um. Die erkenntniszentrierte Moderne wird den Versuch unternehmen, den neutralen Raum »more geometrico« in umfassender Weise zu vermessen, um so zu »neuen Qualitäten« vorzustoßen; die kommunikationszentrierte Post-Moderne wird hingegen die letztliche Orientierungsunmöglichkeit als eigentlichen Motor der Pluralität bzw. des Dialoges ansehen. Aber ich habe vorgegriffen: zurück zu den wesentlichen Kennzeichen der sogenannten Moderne.

4.a (Abendländische) Moderne Worin sind die wesentlichen Charakteristika der abendländischen Moderne, der »Kultur der europäischen Neuzeit« zu erblicken, aus der die heutige Welt-Zivilisation und damit das vielgenannte »Globale Dorf« erwachsen ist? 180 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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Prägende Kennzeichen bilden zweifelsohne der Siegeszug der modernen Wissenschaft und Technik, Säkularisierung (vgl. Lübbe 2003), Aufklärung sowie damit einhergehende Phänomene wie Dynamisierung und Mobilisierung der Lebenswelt(en) (vgl. Kap. A/I/1). Diese kulturspezifischen Merkmale sind nun – und dies ist als ein zentrales Charakteristikum der neuzeitlichen Moderne anzusehen – nicht nur Symptome eines kulturellen Wandlungsprozesses, sondern eines gravierenden Überlieferungsbruches, der – so weit ich sehe – keine vergleichbare geistesgeschichtliche Parallele aufweist. 33 Insofern erscheint es – zum relevanten Verständnis der Charakteristika der abendländischen Moderne – unabdingbar, nachzuvollziehen, wie bzw. »von wo nach wo« sich dieser singuläre kulturgeschichtliche Wandel vollzog, dessen »Resultat« gleichsam die neuzeitlicheuropäische Kultur darstellt. Weitestgehend Konsens herrscht bezüglich der Ansicht, dass die abendländische Moderne aus der geistigen Grundlage der jüdischchristlichen Überlieferung heraus geworden ist. Blenden wir dazu kurz zurück: Der christliche Glaube bekennt im Kern das Mysterium der Menschwerdung des Seinsgrundes. Vor diesem Hintergrund entwickelt er das Dogma der Trinität, des Einen Gottes in drei Personen. Dies führt(e) zu einem – im Verhältnis zur Nicht-Wortoffenbarungskultur der Antike – völlig neuen Wirklichkeitsverständnis, das durch die Gleichursprünglichkeit von Substanz (Wesen, Identität) und Relation (Beziehung, Kommunikation) gekennzeichnet ist (vgl. Kap. B/III/1). Spezifisch ist weiter der Umstand, dass der christliche Glaube die Ansicht von der »Sagbarkeit des Seinsgrundes« vertritt (vgl. Vereno 1958, 89), »dass er behauptet, uns die Wahrheit über Gott, Welt und Mensch zu sagen, und dass er beansprucht, die religio vera, die Religion der Wahrheit zu sein.« (Ratzinger 2012, 386). Damit verbunden ist der universalistische Anspruch der kulturenübergreifenden Allgemeingültigkeit des Christentums bzw. dessen missionarische Tendenz. Diese wird zudem durch den Umstand unterstützt bzw. begünstigt, dass die christliche Religion im Grunde Berglar sieht in diesem Umwälzungsgeschehen gar die ungelöste Kernfrage der ganzen Menschheitsgeschichte, wenn er schreibt: »Es bleibt für mich das eigentliche Rätsel der Geschichte, wieso dieser Sturz aus dem Offenbarungsglauben heraus möglich gewesen ist, wieso gerade in diesem Sturz die gewaltigen Kräfte zur Errichtung der auf mathematisch-technischer Weltbewältigung gründenden Zivilisation freigesetzt wurden.« (Berglar 1978, 44)

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keine kulturellen Bedingtheiten kennt, »weil hier die einzige Stützung in der Geschöpflichkeit die in der geschaffenen Natur des gottmenschlichen Erlösers [ist]« (Vereno 1960a, 120 f.; vgl. dazu auch Vereno 1960a, 140 f.) 34. Die neuzeitliche Moderne konstituiert sich – grosso modo gesprochen – nun in dem Maße, als die zentralen Elemente der christlichen Überlieferung aus dem damit verbundenen Kontext herausgelöst und säkularisiert werden. 35 Zum ersten Mal in der bekannten Geistesgeschichte wagen die Menschen einer Kultur damit – wie Spoerri schreibt – »mit rein menschlichen Mitteln, ohne Zuflucht zu einer höheren Macht ihr Leben zu gestalten und ihre Welt aufzubauen.« (Spoerri 1958, 7) In der Nicht-Offenbarungskultur der abendländischen Moderne wird demnach »als Einheitspunkt alles Wirklichen nicht [länger] Gott bzw. ein göttliches Absolutum, auf das hin alles Viele und Vielfältige [bzw. der Mensch als der Absolut-Ähnliche bzw. Ähnlich-Absolute] bezogen und reduziert wird, betrachtet, sondern das Subjekt selbst, das sich als eines, nämlich als Mitte und Einheitspunkt der Wirklichkeit setzt.« (Greshake 1997, 447) Der neuzeitliche Mensch will einerseits wissen, wie die Natur funktioniert, zum anderen ist er – ohne transzendente Orientierung – dazu genötigt. Er geht daran, Natur und Welt zu vermessen; nicht zuletzt deshalb war oben von der erkenntniszentrierten Moderne die Rede 36. In diesem Zusammenhang nennt Spoerri (1958, 8 ff.) folgende drei zentrale Fokussierungen: • Die (zunehmende) Fokussierung auf das Raum-Zeit-Kontinuum bzw. in weiterer Folge: die Absolutsetzung von Raum und Zeit; • Die (zunehmende) Fokussierung auf die naturwissenschaftliche Erkenntnismethode (als neuem »Königsweg« der Erkenntnis);

Gemäß christlichem Glauben hat sich Gott in Jesus von Nazareth selbst geopfert und ein für allemal die Schuld aller Menschen durch dessen stellvertretendes Leiden gesühnt und so jeden einzelnen freigekauft bzw. die Welt erlöst. 35 Eine Periode des Übergangs bildet dabei die Renaissance, wo der Mensch sich seiner schöpferischen Freiheit aus dem Geist des Christentums bewusst wird. Exemplarisch wird dies deutlich bei Pico della Mirandola (1463–1494), wenn er in seinem Traktat De hominis dignitate (Über die Würde des Menschen) bezüglich des menschlichen Wesens geradezu tollkühn formuliert: »Der Mensch ist Gott, mit menschlichem Fleisch umkleidet.« (Pico della Mirandola zit. nach Meid 2009, 814) 36 Die Vermessung machte indes bei Natur und Umwelt nicht Halt. Mit der Moderne beginnt sich der Mensch selbst zu vermessen (vgl. Braunfels u. a. 1973). 34

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Fokussierung auf Ursache-Wirkungszusammenhänge, d. h. auf Kausalität (vgl. dazu Pietschmann 2005a). Einen zentralen Aspekt bildet dabei das Element der Widerspruchsfreiheit bzw. der modellhaften Anschaulichkeit. Verständnis des Seins-Ganzen meint nun zunehmend das Gewinnen bzw. die FestStellung eines widerspruchsfreien (wissenschaftlichen) »Welt-Bildes« bzw. einer »Welt-Anschauung«. Mit Schnädelbach formuliert: »Das Bedürfnis nach Ganzheit wird [in der Moderne] … befriedigt durch eine ›Schau‹ der Welt von einem einzigen [widerspruchsfreien] ›Gesichtspunkt‹ aus, der zugleich der eigene ›Standpunkt‹ ist, und die Einzigkeit dieses Punktes ist der einzige Einheitspunkt für die Anschauung der Welt, des Ganzen.« (Schnädelbach zit. nach Hahn 2013, 12) 37 Dementsprechend wird der raumzeitliche Geschehnisablauf im Ganzen – also die Menschheitsgeschichte wie die Individualgeschichte des einzelnen Menschen – in zunehmendem Maße als gesetzlichnotwendiger Prozess verstanden, wie wir ihn exemplarisch geistzentriert etwa bei Hegel (vgl. Hahn 2013, 9), materiezentriert bei Marx vorfinden. Dieser deterministisch-notwendige Evolutionsgedanke bildet vielfach auch die Erklärungsfolie hinsichtlich des Entstehens der modernen Massenmedien. 38 Der in der Wort-Offenbarungstradition des Christentums präferierte Aspekt der Erkenntnis wird im Zuge der Moderne demnach beibehalten, jedoch nunmehr gleichsam in säkularisierter Form. Das heißt: der – im Kontext des Christentums aporetisch verstandene – Aspekt der »Sagbarkeit des Seinsgrundes« (vgl. Hoff 1995, Hoff •

Postmodernes Denken zieht wohl zurecht gegen die »großen Metaerzählungen«, d. h. gegen die widerspruchsfrei-systematischen Säkularideologismen der Moderne zu Felde, ohne jedoch offenkundig in der Lage zu sein, an deren Stelle etwas anderes zu setzen als den Verweis auf die Unhintergehbarkeit individuell-subjektiver Welt-Bedeutungen. In diesem Sinne bemerkt Hahn: »Das Bedürfnis nach der ›Erklärung des Ganzen‹ – auch [widerspruchsfreie] ›Welterklärung‹ genannt –, nach tragfähigen Lösungen für ›das Ganze‹ scheint [auch in der Postmoderne] ungebrochen, was angesichts der Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt sowie der Unsicherheiten und unkalkulierbaren Risiken einer durch und durch ökonomisierten Gesellschaft nicht verwundert.« (Hahn 2013, 13) Über Moderne und Postmoderne hinaus weiterführend scheinen in diesem Zusammenhang Vertreter des Dialogischen Denkens (vgl. Kap. C/V insb. C/V/4), vor allem Franz Rosenzweig (Kap. C/V/3a) und Ferdinand Ebner (C/V/3b). 38 Als einer der Urväter, der diesen Gedanken explizit formulierte, gilt Robert Prutz (1816–1872); vgl. Prutz 1973. 37

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1997) wird einerseits übernommen, jedoch dabei aus seinem aporetisch-religiösen Kontext gelöst und nun widerspruchsfrei-systematisch verstanden (vgl. Rombach 1965/1966). 39 Kurz: Im Verlauf der neuzeitlichen Moderne wird – aus mehreren in sich verflochtenen Ereignisreihen (Säkularisation, Aufkommen und Siegeszug der modernen Wissenschaftlichkeit, Primärsetzung der Materie als eigentlichem Grund der Wirklichkeit, Absolutsetzung von Raum und Zeit u. a.) – in zunehmendem Maße das Werdende bzw. Vergehende, also das Raumzeitliche, immer mehr mit dem eigentlichen Sein gleichgesetzt. Anders formuliert: Wie die Vor-Moderne bzw. die vormodenen Geistestraditionen durch eine religiöse Grundstruktur gekennzeichnet sind, ist die abendländische Moderne – ihrer Grundstruktur zufolge – areligiös. Damit ist nun nicht gemeint, die Moderne hätte keine höchsten Werte bzw. Ideale, sondern damit soll auf den Umstand hingewiesen werden, dass die Moderne durch die Voraussetzung konstitiuert wird 40, dass keine dem Menschen übergeordneten tranzendenten (göttlichen) Wirkmächte existieren bzw. aufgewiesen werden können. Wie wird in der abendländischen Moderne nun dem TheodizeeProblem begegnet? In einer ersten Phase, etwa zur Zeit der Aufklärung, wird Gott vor das Tribunal der Vernunft gebracht. Schlette weist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Kritik Voltaires am metaphysischen Optimismus Leibniz’ hin. Wörtlich bemerkt er dazu: »In der Philosophie der Neuzeit wird das Theodizeeproblem als ein Rechtsprozess dargestellt, in dem Gott sich vor den Anklagen der Vernunft zu verteidigen hat.« (Schlette 1973, 192) In einer zweiten Phase, in der Gott nicht mehr einfachhin als Vereno beschreibt diesen Zusammenhang, wenn er bemerkt, dass sich »die nachchristlichen Säkularisationen [zwar] an das Wort [halten], […] aber [sie] lösen dieses Wort von Christus los, so daß es wie im Mythos [d. h. Nicht–Wortoffenbarungskulturen] außen, statt wie in der Kirche innen steht. Und sie halten – hier nun wieder im Gegensatz zum Mythos – das Wort für das Wesentliche, was es doch nicht außen, sondern nur innen ist.« (Vereno 1958, 89) 40 Dies wird deutlich, wenn Löwith in seinem Werk Weltgeschichte und Heilsgeschehen darauf hinweist, dass in der Moderne nicht mehr ein transzendenter Gott, sondern der fortschrittliche »weltimmanente« Mensch als das »sich offenbarende Subjekt« gilt. Löwith zitiert in diesem Zusammenhang aus der Marx-Engels-Gesamtausgabe, wo es heißt: »Wir reklamieren den Inhalt der Geschichte; aber wir sehen in der Geschichte keine Offenbarung ›Gottes‹, sondern des Menschen.« (Marx-Engels Gesamtausgabe, I. Abt., Band II, 427 f., Frankfurt 1927, zitiert nach Löwith 1961, 51) 39

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voraussetzbar angesehen wird, schlägt das Theodizeeproblem in ein Anthropodizeeproblem um (vgl. Akerma 2000, Holz 1982). Das heißt: Die zentrale Frage lautet nun nicht länger: Wie kann Gott all das unendliche Leid in der Welt zulassen? Wie ist überhaupt das Böse möglich, wenn alles Sein aus Gott, dem absolut Guten, stammt? Sondern: Wie ist es möglich, wenn Gott bzw. ein Urgrund des Guten nicht existieren, dass der Mensch aus sich Gutes hervorzubringen vermag (vgl. dazu auch Splett 1996, 5)? Mit dem Anthropodizeeproblem ist nicht zuletzt die Herausforderung verbunden, zu (er)klären, wie der »Neue Mensch« der Moderne sein Dasein rechtfertigen kann, wenn er letztlich für alle Übel verantwortlich ist – auch gegenüber der nicht-menschlichen Mitwelt, da er nun – nolens volens – den alleinigen Bezugspunkt und Garant von Lebensordnung und Daseinssinn bildet. Kurzum: Die Kennzeichnung der abendländischen Moderne als Nicht-Offenbarungstradition soll zum Ausdruck bringen, dass diese Kultur – ohne damit schon eine Wertung zu verbinden – vor allem gekennzeichnet ist durch den Prozess der Emanizaption gegenüber der traditionellen jüdisch-christlichen Überlieferung; oder anders ausgedrückt: durch das Streben nach Autonomie 41.

4.b (Globale) Post-Moderne Was kennzeichnet nun die Kulturepoche der sog. Post-Moderne, die spätestens seit Ende der 1970er Jahre (vgl. Lyotard 1979, Welsch 1987) in verschiedensten Kontexten thematisiert wird? Es wäre zu einfach, darin bloß eine kritische Reflexion des »Projekts der Moderne« zu sehen. Dennoch fällt es aufs erste nicht leicht, die Post-Moderne »inhaltlich-positiv« zu bestimmen: zu vielschichtig und vieldeutig sind jene Strömungen, die unter diesem Etikett firmieren. 42 Gemeinsam ist den genannten Strömungen jedenfalls die AnIn diesem Sinne lesen wir bei Schmucker (1983, 221): »Will man einigermaßen verbindlich feststellen, worauf die Entwicklung der säkularen Welt [der abendländischen Moderne] zuläuft, so hat man sich Rechenschaft zu geben über Bedeutung und Reichweite jenes Prinzips, das die säkulare Welt im innersten bestimmt: Dieses Prinzip ist das Prinzip der Autonomie.« 42 Hierzu werden Ausprägungen des Pragmatismus, der Hermeneutik und des Dekonstruktivismus genauso gezählt wie bestimmte Spielarten des Existenzialismus, Feminismus oder der Psychoanalyse. 41

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sicht vom konstanten Wandel von Wirklichkeit und Erkenntnis, die Betonung des Vorrangs der subjektiven Erfahrung gegenüber allgemeinen abstrakten Prinzipien bzw. die – damit verbundene – Überzeugung, dass es keinerlei Wesen der Dinge gäbe, das erkannt werden könne. Als Konsequenz daraus ergibt sich eine permanent kritische Haltung gegenüber allen sogenannten »Wahrheiten« und »Großen Erzählungen«, wobei sich diese Kritik insbesondere als Sprachkritik formuliert. 43 Kurzum: postmodernes Denken ist mit der prinzipiellen Infragestellung des Anspruchs übersubjektiv-verbindlicher bzw. transkulturell-allgemeingültiger Wahrheit(en) verbunden. Diese erkenntnistheoretische (und in weiterer Folge kommunikationstheoretische) Infragestellung geht im postmodernen Denken nun so weit, dass sich gegenwärtig, wie Schmidinger (1994, 17) schreibt, »die zahlreichen Richtungen der Philosophie nicht bloß darüber streiten, was eigentlich wissenschaftlich vernünftig bzw. rational sei, sondern darüberhinaus untereinander den Anspruch auf ›Vernunft‹ und ›Rationalität‹ gegenseitig absprechen; ja man findet an diesem Zustand nichts Bedenkliches: Im Gegenteil, die ›Anarchie‹ (Paul Feyerabend) oder ›Agonistik‹ (Jean-Francois Lyotard) der Erkenntnismethoden wird geradezu als Weg der Freiheit empfohlen. Es darf keinen eindeutigen Begriff von ›Vernunft‹ mehr geben.« (Vgl. Lyotard 1989a) Wie wird nun in der – zunehmend globale Züge annehmenden – Post-Moderne dem Problem des Leides begegnet? Oder anders ausgedrückt: Vor welchem Hintergrund wird hier die Frage nach der Richard Tarnas bemerkt dazu im Abschnitt Das postmoderne Denken seines Werkes Idee und Leidenschaft. Die Wege westlichen Denkens: »Unter den vielen Strömungen, die in dieser intellektuellen Position [der Post-Moderne] zusammenlaufen, nimmt die Sprachanalyse eine herausragende Stellung ein. Sie bringt die radikalsten skeptischen wissenschaftslogischen Modelle im postmodernen Denken hervor; diese Strömungen bezeichnen sich selbst am nachdrücklichsten und bewusstesten als ›postmodern‹. […] Nietzsches Analyse der problematischen Beziehung der Sprache zur Wirklichkeit; die Semiotik von Charles Sanders Peirce, der die Auffassung vertrat, das gesamte menschliche Denken beruhe auf Zeichen; die Linguistik Ferdinand de Saussures, der die Willkürlichkeit der Beziehung zwischen Welt und Objekt, Zeichen und Bezeichnetem postulierte; Wittgensteins Analyse der sprachlichen Struktur der menschlichen Erfahrung; Heideggers existenzialistisch-linguistische Kritik an der Metaphysik, Edward Sapirs und Benjamin Lee Whorfs linguistische Hypothese, daß die Sprache die Wahrnehmung der Wirklichkeit forme; Michel Foucaults genealogische Forschungen zur sozialen Konstruktion von Wissen; schließlich Jacques Derridas Dekonstruktivismus, der das Bemühen, in jedem Text einen sicheren Sinn zu finden, grundsätzlich in Frage stellt.« (Tarnas 2001, 501)

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Zerrissenheit, Bedürftigkeit des Menschen zu verstehen gesucht? Eine eindeutige Antwort verbietet sich – siehe oben – allein auf Grund des Umstandes, weil die sogenannte Post-Moderne in sich keine einheitliche Denkrichtung darstellt. Trotzdem sei zumindest eine diesbezügliche These gewagt: Es steht außer Frage, dass gerade in den vergangenen Jahrzehnten im wissenschaftlichen Diskurs vermehrt thematisch wird, ob vom Menschen überhaupt als von einem Wesen gesprochen werden kann, das sich – in bestimmten Grenzen – frei entscheiden könne (vgl. etwa Knaup 2012). 44 Vor diesem Hintergrund lässt sich Leid schwerlich mehr vom Menschen aus – als Anthropodizee – verstehen und rechtfertigen, sondern von den »Bausteinen des Lebens«, von den Genen bzw. den Genloci her; dementsprechend soll diesbezüglich der Begriff »Genodizee« in die Debatte eingebracht werden. Dieser steht für die Rechtfertigung des Leides alles Lebendigen aus dessen genetischer Grundausstattung. Als einer der zentralen geistigen Väter der Post-Moderne gilt unstrittig Friedrich Nietzsche. Dies vor allem deshalb, weil er in seinen Werken den absoluten Erkenntnisanspruch der Moderne grundsätzlich in Frage stellt. Als zentrales – wenn nicht als das zentrale – Kennzeichen der Post-Moderne kann insofern die damit verbundene Ansicht erblickt werden, nichts mehr eigentlich erkennen zu können. Oder anders ausgedrückt: Wurde in der Moderne der Aspekt der Erkenntnis (auf Kosten des Aspekts der Kommunikation) in den Vordergrund gerückt, so geschieht in der Post-Moderne der Pendelschlag Den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Debatte macht Gerl-Falkovitz (1994b, 12 f.) sehr gut deutlich, wenn sie im Aufsatz Wo liegen unsere Grenzen? schreibt: »Es gab bereits im letzten [19.] Jahrhundert Bestrebungen, die bis heute bestimmend nachwirken, innerhalb der unendlich geweiteten Räume den Menschen trotzdem einzuräumen. Nämlich im Zuge der Naturwissenschaften als ein Wesen zu begreifen, das deutlich definiert, in Zwängen, Unzulänglichem, Bedingtem eingebunden, vielleicht gefesselt ist. … Dieser Vorgang entspricht einer Erkenntnis, die im 19. Jahrhundert immer stärker wird: dass bei aller Grenzenlosigkeit des Kosmos der Mensch offensichtlich keineswegs grenzenlos, sondern durch unhintergehbare Festlegungen, wenn nicht sogar Abhängigkeiten und ein undurchdringliches Netz solcher Abhängigkeiten gekennzeichnet ist. Sogar in seiner Psyche ist er nicht frei, sofern die Psyche in ihrem Handeln aus Ursachen und Bedingungen erklärt werden kann. Wo aber erklärt ist, ist kein Handlungsspielraum für Freiheit mehr. … So hat die Wissenschaft für den Menschen eine Klammer formuliert, die Klammer des Erklärtseins.« Siehe dazu auch die breite Diskussion zu den diesbezüglichen Experimenten von Libet (vgl. Hattrup 2009, insb. 7–29).

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auf die andere Seite. Nun rückt das Phänomen Kommunikation bzw. in weiterer Folge die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit »Beziehungsphänomenen« in den verschiedensten Disziplinen bis hin zur Etablierung kommunikationswissenschaftlicher Fachbereiche an den Universitäten zunehmend in den Vordergrund des (Erkenntnis-) Interesses. Dieser Wendeprozess hin zum Relationalen wird geradezu idealtypisch vorweggenommen bei Georg Simmel (1858–1918), einem der Gründerväter der Soziologie um die Wende zum 20. Jahrhundert. 45 In seinem Schlüsselwerk Philosophie des Geldes (vgl. Simmel In den 1890er Jahren vertritt Simmel vorerst – von Nietzsche beeinflusst – eine radikale Kritik der ethischen Grundbegriffe, d. h. er nimmt einen positivistisch-darwinistischen Standpunkt ein und verwirft Ethik als Teil der Philosophie, indem er postuliert, »dass es nicht Werte gibt, die wir als solche wollen, sondern dass wir umgekehrt einen Wert nennen, was wir wollen« (Simmel 1991, 70). Doch dabei bleibt er nicht stehen. In der Philosophie des Geldes (1900) vollzieht Simmel den entscheidenden nächsten Gedankenschritt. Er löst den Wert auch vom subjektiven Wollen und kommt so zu einem quasi objektiven Wert mittels des Begriffs der Wechselwirkung (Kommunikation) (vgl. Simmel 1926, 23 ff. bzw. Rammstedt 1994, 24). Simmels Ausgangspunkt ist dabei das Phänomen des Tausches. Ihn interessiert hierbei jedoch nicht der Tausch als ein durch bestimmte subjektive Motive bedingtes Handeln zwischen Menschen, sondern der Tausch als eine soziale Form, als eine Gestalt der Wechselwirkung zwischen Individuen, die den verschiedensten Inhalten offen steht. In diesem Sinne bemerkt Rammstedt: »Simmel geht immer von dem aus, was zwischen den Menschen ist. Das Interagieren, die Wechselwirkung – im Amerikanischen seit 100 Jahren als interaction übersetzt –, und lässt zwischen den Akteuren Formen des Verhaltens sich herausbilden, die qualitativ neu und eigenständig sind, da sie sich gerade in Lösung von den je individuellen psychischen Handlungsanlässen kristallisieren. Sie werden gelernt, mit ihren Regeln, sie steuern dann das Verhalten der Akteure. Diese sozialen Formen bewirken nicht Gesellschaft, sie sind vielmehr – nach Simmel – Gesellschaft.« (Rammstedt 1994, 24) Vor diesem Hintergrund ist Georg Simmel – zumindest in gewisser Hinsicht – als einer der Urväter des sogenannten »Dialogischen Denkens« (vgl. Kap. C/V) zu sehen, wo ja auch der Standpunkt vertreten wird, der Mensch sei für sich allein noch gar nicht Mensch, sondern erst Mensch mit dem (anderen) Menschen (vgl. dazu etwa: Buber 1948a). Dieses »Wechselwirkungs-Credo« seines Denkens kleidet er an einer Stelle in die Worte: »Die zeitgeschichtliche Auflösung alles Substanziellen, Absoluten, Ewigen in den Fluss der Dinge, in die historische Wandelbarkeit, in die nur psychologische Wirklichkeit scheint mir nur dann vor einem haltlosen Subjektivismus und Skeptizismus gesichert, wenn man an die Stelle jener substanziell festen Werte die lebendige Wechselwirkung von Elementen setzt, welche letzteren wieder der gleichen Auflösung ins Unendliche hin unterliegen.« (Simmel, zit. nach Rammstedt 1994, 19) Werte ergeben sich nach Simmel demzufolge allein bzw. vorrangig aus der Wechselwirkung, aus Kommunikation, – und der Tausch ist deren sichtbarstes Symbol. Diese Simmel’sche Konzeption, in der das Relationale in den Rang des eigentlichen ontologischen Grundphänomens ge45

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1989 46) bildet der Begriff der Wechselwirkung den zentralen Terminus, weil Simmel im Phänomen der Wechselwirkung (Interaktion) das Grundprinzip der Wirklichkeit erkannt zu haben meint, d. h. das grundlegende metaphysische Prinzip allen Seins, dessen reinster Ausdruck der Tausch darstelle 47. Vor diesem Hintergrund ist Simmel – in gewisser Weise noch mehr als Nietzsche – als geistiger Vordenker der Postmoderne anzusehen. Als weiterer Ausdruck des Primats der Kommunikation gegenüber der Erkenntnis in der Postmoderne kann die vielfach beschriebene Freizeit-, Konsum-, Multimedia- bzw. Erfahrungs-Gesellschaft angesehen werden, in deren Zentrum das individuelle kommunikative Erlebnis bzw. die kommunikative Selbst-Erfahrung steht. Kurz: Postmoderne Konzeptionen sind (bei allen sonstigen inhaltlichen Divergenzen) gekennzeichnet durch ein individualistisches Grundkonzept 48 (dessen Wurzeln jedoch bereits schon in der Moderne liegen) 49, hoben wird, nimmt schon um 1900 die kulturellen Grundstrukturen der Postmoderne vorweg. 46 Die Philosophie des Geldes erscheint erstmals 1900, eine zweite Auflage folgt 1907. 47 Rammstedt bemerkt dazu prägnant: »Daß Werte sich in der Wechselwirkung ergeben und stabilisiert werden, dafür steht Simmel der Tausch, der die ›einzigartige Bedeutung‹ für die Gesellschaft habe, daß er ›das einzelne Ding und seine Bedeutung für den einzelnen Menschen aus ihrer Singularität‹ erhebe, ›aber nicht in die Sphäre des Abstrakten hinein, sondern in die Lebendigkeit der Wechselwirkung‹, die gleichsam der Körper des wirtschaftlichen Wertes sei. Der sich im Tausch herausbildende Wert, der wirtschaftliche Wert, geht Simmel daher ›einer Weltformel‹ parallel. Und das Geld ist sein Gipfel und sein reinster Ausdruck.« (Rammstedt 1994, 20) 48 Trotzdem in der Überwindung der »Großen Erzählungen« ein prägnantes Kennzeichen der Post-Moderne zu erblicken ist, darf dabei nicht vergessen werden, dass bereits die Moderne durch ein subjektivistisches Erkenntnisverständnis geprägt ist, – was sich jedoch lange Zeit hinter den »harten Fakten« neuzeitlicher Wissenschaftlichkeit zu verbergen vermochte. 49 Diese forcierte postmoderne Tendenz zur Individualisierung kommunikativen Erlebens führt im Sinne einer Gegenpendelbewegung zum vermehrten Auftauchen des Bedürfnisses nach Wir-Identität, als dessen Ausdruck die in letzter Zeit verstärkt auftauchenden unterschiedlichsten Formen von »Fundamentalismus« angesehen werden können. Der post-moderne, super-individuelle Mensch sucht nach einer »Neuen WirHeimat«, vielfach im Kontext neuer Formen von Religiosität bzw. Spiritualität (vgl. Vereno 1961). Im geistesgeschichtlichen Kontext betrachtet: War das Seins-Verständnis der Vor-Moderne geprägt durch eine – mehr oder weniger ausgeprägte – Unterscheidung zwischen transzendentem Seins-Grund einerseits und Erscheinungs-Welt andererseits, jenes der Moderne gekennzeichnet durch eine primäre Konzentration auf die offenbarungslose Erscheinungs-Wirklichkeit, so sind zahlreiche RealitätsKonzeptionen, die der sogenannten Post-Moderne zugerechnet werden, von einem Seins-Verständnis geprägt, das die Dimension des Numinosen, »Göttlichen«, wieder

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das (wie die Moderne) geprägt ist vom Gedanken der Machbarkeit des Wesentlichen. 50 Diese »sinndividualistische« Grundkonzeption erfasst immer breitere Bevölkerungsschichten westlich geprägter Kulturen. 51 Ins (»weltanschauliche«) Zentrum rückt dabei der (subjektive) Sinn, die individuelle Lebenskonzeption des Einzelnen, nicht mehr eine allgemeine Idee, ein gesamtgesellschaftliches Leitbild; man wählt aus dem Angebot der Sinnkonzepte (die nach der Krise »wissenschaftlicher« Weltentwürfe bzw. Ideologien vermehrt auch »sprituell-religiösen« Charakter aufweisen) und entnimmt sich daraus, was der individuell-privaten Biographie entspricht. 52 In diesem Zusammenhang mit einbezieht, freilich in überwiegender Weise nicht im Sinne einer Rückkehr zu »institutionell-domatischen« Gestalten traditioneller Religionen, sondern in Form »freier Spiritualität«, d. h. des Glaubens an eine nicht näher definierte bzw. definierbare »übergeordnete Macht«. Janet Jackson, die Schwester des Pop-Idols Michael Jackson, bringt dieses postmoderne Seins-Verständnis sehr treffend zum Ausdruck, wenn sie im Rahmen eines Interviews mit der Süddeutschen Zeitung bekundet: »Viele meiner Freunde sind an Aids gestorben. An so etwas wie den lieben Gott kann ich nicht mehr glauben, aber an eine übergeordnete Macht und auch daran, daß der Tod nicht das Ende von allem ist. Irgendwann bin ich bei meinen Freunden, und wir feiern ein großes Fest – zu Ehren der inneren Stärke und der Hoffnung.« (Jackson zitiert nach Bruckmoser 1997, VIII) Geistestendenzen zur »Wiederverzauberung der Welt« gibt es freilich nicht erst seit dem Aufkommen der sogenannten Post-Moderne im Verlauf der 1960er bzw. 1970er Jahre, sondern schon viel früher; sie reichen zurück bis in die zweite Häfte des 19. Jahrhunderts (vgl. Küenzlen 1994). 50 Die damit verbundene Unfähigkeit zur »Selbsttranszendierung« wird zu kompensieren versucht durch das Konzept der »Ich-Auflösung« in einem (je nach Geisteskonzeption unterschiedlich verstandenem) Ganzen. 51 Wie sehr dieser Umstand bereits als selbstverständliches Faktum angesehen wird, veranschaulicht die Tatsache, dass ihm inzwischen bereits »lexikalische Qualität« zugesprochen wird. So wird etwa im 1990 neu herausgegebenen Philosophielexikon die gegenwärtige Situation der Philosophie wie folgt beschrieben: »Es ist inzwischen Mode geworden, unser Zeitalter als das der ›Post-Moderne‹ zu bezeichnen, in dem alle absoluten Wahrheiten sich totgelaufen haben und die metaphysischen ›Meisterdenker‹ in Mißkredit geraten sind. In der Postmoderne, so heißt das neue Credo, gibt es keine geschlossene Gesamtdeutung des Lebens mehr und keine Ausrichtung auf ein universales, die Menschheit umfassendes Ziel, wie es etwa das Programm der Aufklärung beinhaltet. Was unsere Zeit kennzeichnet, so erklärt Jean-Francois Lyotard, einer der entschiedensten Verfechter des philosophischen Postmodernismus, ist das Hervortreten einer Vielzahl heterogener und autonomer Sprachspiele, Lebensformen und Lebensdeutungen, eine Pluralität unvereinbarer Praktiken und Konzepte, vergleichbar der babylonischen Sprachverwirrung.« (Hügli/Lübcke 1991, 7) 52 Damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch früher spielte das Element des Subjektiv-Persönlichen im Lebensentwurf eine (mehr oder minder) maßgebende Rolle; allerdings in der Regel vor dem Hintergrund einer allgemein-gültigen (»objekti-

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besticht Simone Brinks These, dass dem UNESCO-Weltkulturerbe in einer als »sinnentleert« gefühlten postmodernen Kultur gegenwärtig identitätsstiftende Funktion [zukommt, vor allem durch dessen] … Gleichzeitigkeit [von »quasisakralem«] Kulturgut und Konsumgut.« (Brink 2009, Klappentext) Nicht zuletzt durch diesen Umstand des zunehmenden Verlustes eines übersubjektiv-anerkannten Wertekanons scheint es bedingt, dass gegenwärtig einerseits etwa Egoismus, Neid etc. – ja selbst das Böse – vermehrt akzeptable Bewertung erfahren 53, während andererseits an sich augenscheinlich (zumindest bis vor kurzem als solche angesehene) positive Verhaltensweisen wie Liebe zunehmend nur mehr als etwas Individuell-Gefühlshaftes (»die Hormone spielen verrückt«) betrachtet und gegebenenfalls sogar negativ gedeutet werden. 54

ven«) Geistestradition. Der Einzelne tendierte z. B. aus individuellen Gründen mehr zur Spiritualität der Benediktiner als zu jener der Franziskaner; doch gleich-gültig, ob er – seinem subjektiven Empfinden entsprechend – die Franziskaner oder die Benediktiner wählte, entschied er sich damit doch in jedem Fall – als seiner »geistigen Heimat« – für die objektiv vorgegebene Geistestradition des Christentums mit all ihren normativen Gültigkeiten bzw. Verpflichtungen. Heute hingegen ist ein immer stärkerer Geistestrend hin zur Individualspiritualität festzustellen, wobei der Einzelne aus verschiedensten Geistesüberlieferungen jene Elemente wählt, die er – seines subjektiven Erachtens – für gut bzw. für ihn brauchbar hält, ohne sich dabei in eine »objektive« (traditionelle) Lebensauffassung bzw. Wirklichkeitsdeutung einzubinden, einzuordnen (und damit einen objektiven, »externen« Erachtensstandpunkt gelten zu lassen). Dadurch gerät der postmoderne bzw. posttraditionelle Individualspiritualist von heute notwendigerweise in zunehmendem Maße unter »Gottwerdungsdruck« (Odo Marquard); d. h. der »Sinndividualist« ist genötigt, aus sich das Gute zu definieren und schließlich zu (er)schaffen; vgl. dazu das Stichwort »verum quia faciendum« -»das Wahre ist das zu Machende« in Ratzinger (1968, 41). 53 Als Beispiel sei die Aussage des Wiener Psychotherapeuten Richard Picker erwähnt, der – nach einem Tagungsbericht zum Thema Das Böse ›Abtei Seckau‹, Juli 1996 (Splechtna 1996, 5) – die gegenwärtig immer weiter verbreitete Ansicht vertritt, »das Böse sei eine erfahrbare Qualität des Lebens«. 54 Ein »allgemein-rechtliches« Musterbeispiel (ARD-Tagesschau Juli 1996) stellt diesbezüglich wohl jener Sachverhalt dar, bei dem ein Staatsanwalt in Deutschland der Haftentlassung einer Psychiaterin, die einsaß, weil sie einem Raubmörder zur Flucht aus dem Gefängnis verholfen hatte (ohne jedoch dabei für sich einen Eigennutz zu ziehen), deshalb nicht zustimmte, weil die Betreffende – so der wörtliche Text – »aus LIEBE – also aus egoistischen Gründen – gehandelt habe.«

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4.c Gemeinsame Kennzeichen von Nicht-Offenbarungskulturen • Materie als Grundelement der Wirklichkeit. Sowohl Moderne als auch Postmoderne stimmen – in grundsätzlichem Unterschied zu den Offenbarungskulturen, die im Geist das alles fundierte Seinselement erblicken – in der (freilich nicht immer explizit formulierten) Ansicht überein, dass die Materie das eigentliche Grundelement der Wirklichkeit darstellt. Aus dem traditionellen »IM Anfang war das Wort« 55 (Joh 1.1), ist in der abendländischen Moderne nun das »AM Anfang ist Materie« geworden 56. Damit ist ein weiteres gemeinsames Kennzeichen verbunden. • Das Raumzeitkontinuum wird identisch mit der Wirklichkeit angesehen. Das bedeutet: Gemäß dieser Kulturen stellt die Erscheinungswirklichkeit keine Schöpfung dar, in der bzw. mit Hilfe derer sich ein transzendenter Seinsgrund offenbare (deshalb die Kennzeichnung als Nicht-Offenbarungs-Kulturen). Es handelt sich – nach traditionellem Verständnis – demzufolge um areligiöse Kulturen. • »Machbarkeit des Wesentlichen«. In den genannten Nicht-Offenbarungskulturen herrscht die Ansicht vor, dass das »Wesentliche« (was immer darunter verstanden wird bzw. gleichgültig, inwieweit dieses als verstehbar angesehen wird), als – zumindest prinzipiell – machbar gilt; als präzisen Ausdruck dafür kann die Formel von Giambattista Vico: »verum quia factum« (»das Wahre ist das Gemachte«) angesehen werden. • Kein Ich und Du verbindendes »Drittes«. Durch den Primat der Materie gegenüber dem Geist wird in den Nicht-Offenbarungskulturen der Andere zu einem Problem (vgl. Böning 2003 bzw. Evers 1979). • Zweckorientiertheit bzw. Sinnfreiheit. Mit den Worten von Vereno (1966b, 17) ausgedrückt: »In dem Maße, in dem [wie in der Moderne] das Wesen geleugnet wird, wird der Sinn durch den Zweck ersetzt.«

Joh 1.1. Damit ist auch zugleich ausgesagt, dass ursprünglich weder Mensch noch Materie ist. 56 Bzw. AM ANFANG allen ichbewußtseinshaften Geschehens wird (hier) der MENSCH gesehen, und damit die menschliche Handlung (vgl. das Motiv in Goethes Faust: »Am Anfang war die TAT«). 55

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• A-Personalität des Seins-Grundes. Sowohl in der abendländischen Moderne als auch in der daraus hervorgehenden Post-Moderne wird der Seinsgrund als a-personal, d. h. als nicht anrufbar bzw. kommunikabel angesehen.

4.d Grundsätzliche inhaltliche Unterschiede zwischen den NichtOffenbarungskulturen Erkenntniszentriertheit der Moderne vs. Kommunikationszentriertheit der Post-Moderne. Ein oben schon erwähnter zentraler Unterschied besteht im Primat der Erkenntnis gegenüber der Kommunikation in der Moderne und ein umgekehrter Vorrang der Kommunikation gegenüber der Erkenntnis, insbesondere mit Beginn der Krise der Säkularideologien im Verlauf des 20. Jahrhunderts (vgl. Küenzlen 1994). Damit ist ein weiterer grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden Nicht-Offenbarungskulturen gegeben: • Fundamental differierende Ansichten hinsichtlich der Frage nach der Erkennbarkeit von Wirklichkeit mit wissenschaftlichen Mitteln. Während in der Moderne bis ins 19. Jahrhundert die Ansicht vertreten wird, Wirklichkeit lasse sich mit wissenschaftlichen Mitteln – zumindest prinzipiell – total erkennen 57, ist die Post-Moderne von einer grundsätzlichen diesbezüglichen Skepsis geprägt (vgl. Tarnas 2001). Damit hängt ein weiterer Unterschied zusammen: • Totale Sagbarkeit (Moderne) vs. Totale Nicht-Sagbarkeit des Seinsgrundes (Post-Moderne). Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass in der abendländischen Moderne das Element der »Sagbarkeit des Grundes« – das in den Wortoffenbarungstraditionen (zumindest der Idee nach) im Glaubens-Mysterium bzw. im existentiellen Vollzug des Einzelnen (rück-)gebunden ist (re-ligio), nunmehr von transzendenten Bezügen losgelöst und rein welt-immanent (d. h. rein anthropozentrisch) ver•

Es wird die Ansicht vertreten, es sei nicht länger nötig – wie gemäß vormodernem Verständnis –, den »Sprung in den Glauben« zu wagen, um dadurch zur Erkenntnis der Wahrheit (eben des Geglaubten) zu gelangen, formelhaft ausgedrückt: »credo, ut intelligam« – ich glaube, damit ich erkenne« (Anselm von Canterbury). Nun wird den im »Boot des Zweifels« auf offenem (Lebens-)Meer Herumtreibenden gleichsam sicheres (Erkenntnis-)Land offeriert.

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standen wird als widerspruchsfrei-eindeutige »Sagbarkeit des Seins« 58. Ist also die Moderne gekennzeichnet durch eine »Säkularisierung« des Wort-Offenbarungselements der »Sagbarkeit des Grundes«, was zur Folge hat, dass das Wahre (als das allem Zugrunde-Liegende) nicht nur als sagbar (und daher auch weitersagbar), sondern zugleich auch als vom Menschen (technisch) machbar verstanden wird (womit nicht zuletzt das Entstehen der modernen technischen Massenkommunikationsmittel aufs Engste zusammenhängt), kam im Zuge der Krise der Moderne (und damit der »säkularen Sagbarkeit des Grundes«) bzw. der auftauchenden Post-Moderne erneut der (von den Nicht-Wortoffenbarungstraditionen bekannte) Gedanke der »Unsagbarkeit des Seinsgrundes« auf. Da jedoch im Kontext der Post-Moderne das Element der Machbarkeit übernommen wurde, bedeutet »Unsagbarkeit des Seinsgrundes« hier etwas ganz anderes als in den Nicht-Wortoffenbarungskulturen. Unsagbarkeit meint hier nicht die Annahme eines über alles menschliche Begreifen hinausgehenden unsagbaren Seinsgrundes, den keine menschliche Vereno (1958, 88 f.) schreibt dazu erhellend: »Der Mythos [die Nicht–Wortoffenbarungskulturen] hatte – und hat, wo er echt ist, auch heute noch – im Bild realen Wahrheitsbezug. In ihm waren die Fehlleistungen der gedanklichen Deutung aus dem Wort gewissermaßen ›legitim‹. Er bewahrte seine Wahrheit im schweigenden Zeichen, das er höher stellte. Christus hat uns gegeben, daß wir das Mysterium s a g e n können. Deshalb lassen auch die nachchristlichen abendländischen Säkularisationen [die ›Moderne‹] die Esoterik und halten sich an das Wort. Nun aber lösen sie dieses Wort von Christus [der christlichen Glaubenstradition] los, so daß es wie im Mythos außen, statt wie in der Kirche innen steht. Und sie halten – hier nun wieder im Gegensatz zum Mythos – das Wort für das Wesentliche, was es doch nicht außen [im Kontext einer Nicht-Offenbarungstradition wie der abendländischen ›Moderne‹], sondern nur innen [im Kontext einer Wort-Offenbarungstradition] ist.« Damit wird das Element der »Sagbarkeit des Grundes« bzw. des Wahren, das ja immer zugleich die Weiter-Sagbarkeit impliziert, einerseits gekoppelt mit dem Element der Machbarkeit, andererseits mit dem der Nützlichkeit. Das Wahre (als das allem Seienden zu Grunde liegende Sagbare) wird nicht mehr als etwas (Vor-)Gegebenes, sondern als etwas zu Machendes, Herzustellendes, verstanden. So wird der (vorgegebene) Sinn durch den (herstellbaren) Zweck ersetzt bzw. mit diesem gleichgesetzt. Jeder – vom Menschen gesetzte – Zweck ist letztlich notwendigerweise die Fest-Stellung eines Nützlichkeitsprinzips. Mit anderen Worten: Was in den Wortoffenbarungstraditionen eine (im Vergleich zu den Nicht-Wortoffenbarungstraditionen) vermehrte Gefahr darstellte, nämlich die »Versuchung« des rein äußerlichen Fest-Haltens bzw. Fest-Stellens des Wahren, des »Habens der Wahrheit«, wird in der Moderne zur Norm(alität): das Wahre wird als etwas (technisch) Vollziehbares, Hand-Habbares verstanden; das Wahre wird in zunehmendem Maße gleichgesetzt mit dem (vom Menschen) Machbaren bzw. dem zu Machenden. 58

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Sprachgestalt adäquat wiederzugeben vermag und zu dem (gerade deshalb!) der Einzelne in Beziehung treten soll; »Unsagbarkeit des Grundes« meint hier vielmehr die (angenommene) totale Unmöglichkeit einer sprachlichen Verständigung über ein alle Menschen verbindendes (und dadurch allgemeinverbindliches) »Sinnhaftes« bzw. »sinnspendendes« Grund-Prinzip. • Unterschiedlicher Stellenwert des Subjekts im Kontext des Erkenntnisprozesses. Während in der wissenschafts- bzw. objektivitätszentrierten Moderne das erkennende Subjekt möglichst als austausch- bzw. ersetzbar betrachtet wird, macht sich die Post-Moderne gerade für die unumgängliche Subjektivität aller menschlichen Erkenntnis stark, gerade auch der wissenschaftlichen. Dementsprechend bilden sich – siehe den nächsten Punkt – auch unterschiedliche Medienvermittlungsstrukturen aus. • Grundlegend unterschiedliche Medienvermittlungsstrukturen. Ist die Moderne geprägt von der (linearen) »One-to-many«-Medienvermittlungsstruktur, die durch den Siegeszug des Buchdrucks bzw. moderner Wissenschaftlichkeit deutlich wird 59, kommen in der PostModerne daneben nicht-lineare Medienvermittlungsstrukturen auf: many-to-many, one-to-one sowie many-to-one (vgl. Kap. B/IV/ 4&5). • Unterschiedliche Deutung des raumzeitlichen Geschehnisablaufes. Ist die Moderne geprägt von (mehr oder weniger linearen) säkularen Fortschrittskonzeptionen, so ist die Post-Moderne diesbezüglich gekennzeichnet durch die Vorstellung des »Endes der Geschichte« (Fukuyama), durch ein Selbstverständnis des Lebens im »Posthistoire«, der »Nachgeschichte« (vgl. dazu auch Löw 1984). Damit hängt ein weiterer grundsätzlicher Unterschied zusammen. Der Umstand, dass in der Nicht-Offenbarungskultur der abendländischen Moderne der »Sinngehalt der Welt« nicht mehr (wie in Offenbarungskulturen) durch dessen Bestimmung als Schöpfung Gottes bzw. Manifestation des ewigen Seins, sondern primär als »Menschenwerk«, als menschliche Erkenntnis, Ent-Deckung bzw. Konstruktion begriffen wird, hat zur Folge, dass diese säkularen Sinndeutungen der Wirklichkeit – zumindest ihrer Erkenntnis-Struktur nach – als total vermittelbar gelten, weil sie als von Menschen ermittelt gedacht sind. Ein wesentliches Kennzeichen der »Wahrheiten der Moderne« ist damit ihre geradezu idealtypische Kommunizierbarkeit. Hier braucht nichts mehr (vorbehaltlos) geglaubt zu werden, alle Wirklichkeit ist – zumindest der jeweiligen Idee bzw. Ideologie nach – in »logischer Stimmigkeit« zueinander geordnet. 59

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Moderne: moralischer Totalitarismus 60 – Post-Moderne: totalitarisitischer Relativismus 61. Ist die Moderne – bedingt durch die sich als wissenschaftlich verstehenden Säkularutopien – geprägt durch einen ideologisch unterschiedlich ausgeprägten moralischen Totalitarismus, kennzeichnet die Post-Moderne umgekehrt ein (zumindest tendenziell) totalitarististischer Relativismus, d. h. das Fehlen verbindlicher Sollensmaximen (vgl. Simmel 1991); es herrscht – paradox formuliert – ein »absoluter Anspruch auf Unabsolutheit«: keine Weltdeutung darf mehr einen Wahrheitsanspruch stellen. • Moderne: Postchristlich – Post-Moderne: Post-Traditionell. Ist die Moderne in zentraler Weise geprägt durch die Überwindung der herkömmlichen christlichen Überlieferung durch eine postchristliche, so lässt sich die Postmoderne durch ein posttraditionelles Geisteselement kennzeichnen. Geistestraditionen haben hier primär nur noch insofern Bedeutung, als der einzelne aus dem Pool verschiedener kulturgeschichtlicher Überlieferungen für sich Relevantes auswählen kann (Stichwort: Patchwork-Identität). Wie die abendländische Moderne tendenziell geprägt ist durch »Einheit ohne Vielheit« (Totalitarismus), durch totale, um nicht zu sagen, totalitäre Vereinheitlichung, kann die Post-Moderne (»Anything goes«) – gleichsam als Reaktion auf die Moderne – gekennzeichnet werden als »Vielheit ohne Einheit« (Pluralismus), d. h. durch »Vervielheitlichung«, also durch einen analog total(itär)en Pluralismus. 62 Jede »sinndividuelle« Wirklichkeitsbedeutung wird als gleich gültig angesehen, wodurch alle gleich(un)gültig sind. Vor allem: Alle Be-Deutungen der Wirklichkeit werden als vom Menschen gemacht vorgestellt. Insofern werden sie – als individuelle Wirklichkeitskonstruktionen – einerseits als machbar, andererseits als (letztlich) unkommunikativ, weil unkommunizierbar (un-sagbar, unmitteilbar) angesehen. •

Das drückt sich aus in Gestalt der Unbedingtheit ideologisch-moralischer Maximen, etwa im Diktum Lenins: »Uns ist alles erlaubt« (Lenin zitiert nach Spaemann 2010, 367). 61 Worin Tarnas (2001) wohl nicht zu Unrecht einen Selbstwiderspruch der Postmoderne erblickt. 62 Vgl. dazu den programmatischen Satz von Odo Marquard: »Es lebe der Vielfall!« in seinem bekannten Text Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie (Marquard 1981, 110). 60

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Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat«

5.

Das »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als weltanschaulichinhaltliches Kulturenvergleichsschema

Betrachten wir die unterschiedenen Kulturtypen nun mit Hilfe des in Kap. A/X in seiner formalen Struktur skizzierten »Wirklichkeitsbedeutungsquadrats« und vergleichen, welche Aspekte dabei jeweils präferiert werden. Im Kontext von Nicht-Wortoffenbarungs-Kulturräumen wird Menschsein – wie deutlich wurde – in erster Linie darin erblickt, zum unvergänglichen Sein zu gelangen; und dies nicht primär mit Hilfe von Erkenntnis bzw. individuellen gedanklichen Konzeptionen, sondern durch Rückbindung 63/ Kommunikation an das Seins-Ganze. Vor diesem Hintergrund wird plausibel, welche Aspekte der Wirklichkeit im Zentrum dieser Kulturen stehen: Kommunikation und Sein. Graphisch lässt sich dies wie in Abbildung 15 darstellen:

KOMMUNIKATION

SEIN

ERKENNTNIS

ICH/WIR

Abbildung 15: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Nicht-Wortoffenbarungskulturen (nach Hamberger 2008b, 231)

In den Wort-Offenbarungskulturen Judentum, Christentum und Islam sieht die Gewichtung dagegen etwas anders aus: Bedingt durch den Umstand, dass diese Geistestraditionen mit der Ansicht verbunden sind, dass sich das Sein selbst im Wort zu erkennen gegeben hat, stehen hier – im Hinblick auf das Be-Deutungsquadrat – SEIN und ERKENNTNIS im Zentrum (Abbildung 16).

Dies meint ja ursprünglich der Begriff der Religion, von religio. Vgl. dazu auch den Begriff Yoga, der wurzelverwandt ist mit Joch und Anbindung an das Sein meint.

63

197 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume

KOMMUNIKATION

SEIN

ERKENNTNIS

ICH/WIR

Abbildung 16: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Wortoffenbarungskulturen (nach Hamberger 2008b, 232)

Die abendländische Moderne ist gekennzeichnet durch eine – wie weit auch immer bewusst intendierte – radikale Hinwendung zum unabhängigen Individuum, zum »autonomen Subjekt«. Damit ist erkenntnistheoretisch ein Wandel von der Seins- zur Bewusstseinsphilosophie verbunden, der sich im Aufkommen forciert individueller Denksysteme manifestiert, etwa eines Schopenhauer, Kant oder Hegel. Hinsichtlich des Be-Deutungsquadrats hat dieser Prozess zur Folge, dass sich damit eine neue Präferierung bezüglich der Wirklichkeitsaspekte vollzieht: nämlich jene hin zur Fokussierung auf die Aspekte ERKENNTNIS bzw. ICH/WIR (Abbildung 17).

KOMMUNIKATION

SEIN

ERKENNTNIS

ICH/WIR

Abbildung 17: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Moderne (nach Hamberger 2008b, 234)

Die Postmoderne ist schließlich gekennzeichnet durch eine Präferierung des Relational-Kommunikativen (gegenüber dem Erkenntnis198 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Mittel – Medium – Zwischen

aspekt) bei gleichzeitig fortschreitender Individualisierung. Die Simmel’sche Konzeption der »Achsendrehung vom Inhalts- zum Formprimat« (vgl. Simmel 1918, 21–99), bei der das Relationale, die InterAktion, als das eigentliche Zentrum des Daseins erscheint, nimmt in geradezu visionärer Weise die postmodernen Verhältnisse vorweg. Demgemäß lässt sich dieser Kulturraum im Kontext des Wirklichkeitsbedeutungsquadrats kennzeichnen durch die Präferierung von ICH/WIR und KOMMUNIKATION (Abbildung 18).

KOMMUNIKATION

SEIN

ERKENNTNIS

ICH/WIR

Abbildung 18: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Post-Moderne (nach Hamberger 2008b, 238)

6.

Mittel – Medium – Zwischen

In Kap. A/VI/3 haben wir mit Rückriem zwischen KommunikationsMittel – als austauschbares Zweckverwirklichungsinstrument – und Kommunikations-Medium – als unentbehrliche Ermöglichungsbedingung – unterschieden. Beispielhaft lässt sich dies – wie schon kurz erwähnt – am Phänomen der menschlichen Sprache aufzeigen. Diese stellt nie bloß ein Kommunikations-Mittel dar, das gegebenenfalls durch ein anderes Mittel ersetzt (oder auf das gar gänzlich verzichtet) werden könnte, sondern bildet darüber hinaus stets ein unentbehrliches Kommunikations-Medium, in dem sich Menschsein notwendigerweise vollzieht. »Außerhalb« des Mediums Sprache ist menschliche Existenz nicht denkmöglich. Basierend auf dieser Differenzierung lässt sich nun weiter feststellen, dass dieses allgemein-anthropologische KommunikationsMedium Sprache seinerseits jeweils eingebettet ist in einem Kontext 199 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume

von kulturspezifisch präferierten Leit-Medien, die das betreffende Erkenntnis- und Kommunikations-Milieu prägen. Je nach spezifischen Prämierungen von Mitteln der Erkenntnis und Kommunikation »präparieren« diese gleichsam den »kulturmedialen Raum« der Welt-Aneigung (vgl. Giesecke 2007). Neben Harold Innies 64 und Marshall McLuhan 65 (vgl. Kroker 1985), die diesen Zusammenhang wohl als erste medientheoretisch erkannt haben, sowie Michael Giesecke und Norbert Bolz 66 im deutschsprachigen Raum sind hier auch Derrick de Kerckhove 67 oder Neil Postman 68 zu nennen, die Medien als »Weltanschauungsapparate« (de Kerckhove) bzw. »Epistemologien« (Postman) bezeichnen. In diesem Sinne ist die Überlegung Gieseckes konsequent, Kulturgeschichte als Mediengeschichte zu begreifen. 69 Dabei werden Kommunikations-Mittel erst in dem Maße zu (kulturbestimmenden) Medien, als die in ihnen enthaltenen Möglichkeiten erfasst und gesellschaftsbestimmend werden. So gesehen lassen sich neue Kommunikations- und ErkenntnisMedien nicht auf direktem Wege machen, sondern sind vielmehr indirekte Manifestationen von kulturellen Überlieferungsbrüchen. Die Bedeutung eines neuen Leit-Mediums wird deshalb in der Regel auch Harold Adam Innies (1894–1952), kanadischer Professor für Ökonomische Theorie in Toronto und Verfasser zahlreicher Werke in den Bereichen Medien- und Kommunikationstheorie, darunter: Empire and Communication, Oxford 1950; The Bias of Communication, Toronto 1951; The Strategy of Culture, Toronto 1952 (vgl. zu Innies etwa Creighton 1957, Kleinsteuber 1992). 65 Herbert Marshall McLuhan (1911–1980), kanadischer Geisteswissenschaftler und Kommunikationstheoretiker, der insbesondere durch seine These Das Medium ist die Botschaft sowie den Begriff Globales Dorf weithin bekannt geworden ist. Zu seinen bekanntesten Werken – die aktuell wieder eine Renaissance erleben – zählen: The Gutenberg-Galaxy, Toronto 1962 (dt. Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters); Understanding Media. The Extensions of Man, New York 1964 (dt. Die magischen Kanäle); The Media is the Message [manchmal auch Massage – im Sinne von mass age – geschrieben], New York-London-Toronto 1967 (dt. Das Medium ist die Botschaft). 66 Vgl. etwa seine Werke Theorie der neuen Medien (München 1990), Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse (München 1993, 42008). 67 Vgl.: De Kerckhove/Leeker/Schmidt (Hrsg.): McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert. Bielefeld 2008. 68 Vgl. Postman, Neil: Technopoly. The Surrender of Culture to Technology, New York 1992. 69 Dadurch wäre es z. B. möglich, die aktuell viel thematisierten »Social Media« sowie die weltweit wachsende virtuelle »Online-Kultur« als epochenbestimmendes LeitMedium zu betrachten. 64

200 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Mittel – Medium – Zwischen

nicht sofort erfasst, sondern erst in dem Maße, als die damit verbundene grundlegende Perspektivenveränderung nachvollzogen wird (vgl. Giesecke 1990). 70

KommunikationsMedium

Kommunikations-Mittel Sprache Subjekt 1

Subjekt 2 Sprache

Kulturelles Leit-Medium

Abbildung 19: Mittel, Medium, Kultur-Leit-Medium (nach Hamberger/ Pietschmann 2015, 137)

Hier soll nun ein weiterer Gedankenschritt vollzogen werden: auch die jeweiligen Kultur-Leit-Medien sind ihrerseits noch einmal rückverbunden bzw. eingebettet in einer Dimension, die Theunissen als »Zwischen« bezeichnet (vgl. Kap. C/V/5). Damit ist jenes »fundamentale« Medium gemeint, das – nach kulturspezifischer Ansicht – allem Seienden zugrunde liegt; wir können es insofern »Seins-Medium« nennen. Abbildung 20 stellt den Sachverhalt im erweiterten Schema dar:

Demnach hat Gutenberg selbst kein neues »Kommunikations-Medium« erfinden wollen, sondern lediglich ein besseres Kommunikations-Mittel zur Verwirklichung seiner Vorstellung einer besonders repräsentativen Bibel. Zum kulturellen Leit-Medium wurde der Buchdruck erst, als seine Bedeutung für die Veränderung aller Bereiche der menschlichen Praxis erkannt und schließlich umfassend realisiert wurde. Dies geschah insbesondere im Kontext der Genese der modernen (Natur-)Wissenschaftlichkeit.

70

201 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume »Zwischen«

KommunikationsMedium

Kommunikations-Mittel Sprache Subjekt 1

Subjekt 2 Sprache

Kulturelles Leit-Medium Seins-Medium

Abbildung 20: Mittel, Medium, Kultur-Leit-Medium, Seins-Medium/ »Zwischen« (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 370)

7.

Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich

Wie in Kap. A/IX/2 schon ausgeführt, beinhaltet jede (allgemeine) Theorie menschlicher Kommunikation/Erkenntnis notwendigerweise (mindestens) folgende 4 Grundelemente, die in einem sich gegenseitig bedingenden bzw. ergänzenden Verhältnis zueinander stehen: • • • •

Subjekte der Kommunikation; Objekte der Kommunikation; Mittel bzw. Medien der Kommunikation; (Sprachliche/sprachanaloge) Mitteilungssysteme der Kommunikation.

Diese essenziellen Grundelemente menschlicher Kommunikation sowie deren Zueinander können nun – wie ebenfalls schon angedeutet – kulturspezifisch ganz unterschiedliche (Gewichtungs-)Gestalt annehmen. Der Sachverhalt wird anhand der unterschiedenen Kulturtypen 202 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich

(vgl. insbes. Kap. B/I/5) deutlich. Da sind zuerst die sog. Offenbarungskulturen. Um das Zueinander von Subjekt/Objekt/Medium/ Sprache in diesen Kulturräumen relevant in den Blick nehmen zu können, ist es hilfreich, sich jene offenbarungskulturspezifische »Dreiheit« von Meister, Gemeinschaft und Buch vor Augen führen, die Sudbrack (1981, 23) am Beispiel des Buddhismus aufzeigt, wenn er schreibt: »Der Buddhist bekennt sich zu den drei Kleinodien mit der Formel, in der sich die Weite seiner Religiosität spiegelt. ›Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha – dem erleuchteten Meister. Ich nehme meine Zuflucht zu Dhamma – der überlieferten Lehre. Ich nehme Zuflucht zum Sangha – der Gemeinschaft derer, die gleich ihm den buddhistischen Weg gehen.‹«

Offenbarungskulturen sind demnach – bei allen sonstigen Unterschieden – gemeinsam gekennzeichnet durch die vorausgesetzte Grundgegebenheit der Dreiheit von überlieferter Lehre (»ES«), jeweiliger Gemeinschaft (»WIR«) und persönlichem geistigen Meister (»DU«). Mit anderen Worten: »Der japanische ›Roshi‹, der hinduistische ›Guru‹, der islamische ›Shaikh‹ oder ›Pir‹ (persisch) wissen sich eingebettet in die [jeweilige] Tradition [und Gemeinschaft], deren Lehren und Erfahrungen sie weitergeben.« (Sudbrack 1981, 23 f.) Dementsprechend finden sich in diesen Kulturen – als Erkenntnisvermittlungsstrukturtypen – sowohl one-to-many (auf Grund der einen tradierten Offenbarungsgestalt, die es zu übermitteln gilt) als auch one-to-one (als Ausdruck der persönlichen Erkenntnisvermittlung von Lehrer zu Schüler innerhalb der Überlieferung). Wichtig ist dabei mit zu bedenken, dass Offenbarung hierbei nicht (nur) als etwas aufgefasst wird, was dereinst einmal »objektiv« geschehen ist, sondern zugleich als etwas, das sich weiterhin ständig ereignet. Mit anderen Worten: Offenbarung erfordert ein aktuell empfangendes Subjekt. Vereno (1958, 14 ff.) schreibt auf diesen Zusammenhang verweisend: »Um nun das Element der Offenbarung … deutlicher erkennen zu können, müssen wir uns vor Augen halten, daß es … zwei Komponenten oder Aspekte hat. Der eine steht mehr im objektiven Pol. Es ist der … Aspekt der … Kundgebung Gottes [des Seinsgrundes], die … an die Menschen erging und von da … durch die Menschheitsgeschichte weitergegeben worden ist. … Damit solche [»objektive«] Erkenntnis aber auch subjektiv konkretisiert werden könne, bedarf es des anderen Aspekts der wesentlich selben Offenbarung: der jeweiligen göttlichen Führung und Erleuchtung im konkreten

203 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume

natürlichen [subjektiven] Erkenntnisakt … [, d. h.], der jeweiligen Offenbarung in der einzelnen Seele, nach dem Maß ihrer Bereitheit und Geöffnetheit – und Berufung.«

Ratzinger (1965, 35) macht dies ebenfalls deutlich, wenn er zur Frage des Teilhaftigwerdens von Offenbarung ausführt: »Er [ein Leser heiliger Texte] kann die [Offenbarungs-]Schrift lesen und wissen, was in ihr steht, sogar rein gedanklich begreifen, was gemeint ist und wie ihre Aussagen zusammenhängen – dennoch ist er damit nicht [automatisch] der Offenbarung teilhaftig geworden. Offenbarung ist vielmehr erst da angekommen, wo außer den sie bezeugenden materialen Aussagen auch ihre innere Wirklichkeit selbst in der Weise des Glaubens[aktes] wirksam geworden ist. Insofern gehört zur Offenbarung bis zu einem gewissen Grad auch das empfangende Subjekt, ohne das sie nicht existiert. Man kann Offenbarung nicht in die Tasche stecken, wie man ein Buch mit sich tragen kann. Sie ist eine lebendige Wirklichkeit, die den lebendigen Menschen als Ort ihrer Anwesenheit verlangt.«

Dazu ist festzuhalten, dass »wahre« (Offenbarungs-)Erkenntnis stets in engem Zusammenhang gesehen wird mit sittlichem Handeln. Neben dem »objektiven« und subjektiven Aspekt von Offenbarung, die es zwar zu unterscheiden, jedoch nicht zu trennen gilt, da sie sich notwendig ergänzen (vgl. Vereno 1958, 15), ist als weiterer Aspekt von Offenbarung der damit verbundene Bezug zum »Geheimnis des Seins« zu nennen. Schon die Erscheinungswirklichkeit wird in diesen Kulturen als »immanente Offenbarung« verstanden, als »Spur« bzw. »Chiffre«, mit deren Hilfe sich der alles menschliche Begreifen unendlich übersteigende Urgrund offenbart. Mit anderen Worten: Offenbarung und Mysterium werden in einem dynamischen Verhältnis zueinander gesehen. Sehr gut zeigt dies Sergej Bulgakov, ein bekannter russisch-orthodoxer Theologe, wenn er dazu ausführt: »Offenbarung setzt die Existenz von etwas Verhülltem voraus, das sich uns … offenbart. Ein Mysterium ist nicht nur etwas Unbekanntes oder Verborgenes, das mitgeteilt werden kann oder nicht, offenbart oder vorenthalten. Auch kann seine Kenntnis, wenn es wahrgenommen wird, nie umfassend oder ihm in irgendeiner Weise adäquat sein. Ein Mysterium bleibt jenseits des menschlichen Verstehens und kann durch die Vernunft nicht erschöpft werden. Das logische, exakte Denken kann ein Mysterium niemals durchdringen, welches jenseits des menschlichen und weltlichen Fassungsvermögens ist. Jedoch ist es andererseits ein notwendiges Charakteristikum eines Mysteriums, daß es sich selbst enthüllt. … In der Offenbarung ist es das Transzendente, welches sich selbst enthüllt, obwohl es durch eine solche Enthüllung nicht erschöpft werden kann. … [E]in Mysterium hört auf, ein

204 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich

Mysterium zu sein, wenn es nie und in keiner Weise offenbart wird, oder, auf der anderen Seite, wenn es durch den Prozeß der Offenbarung aufgelöst und erschöpft ist.« (Bulgakov 1988, 329)

Demzufolge wird alle Offenbarungserkenntnis stets nur als bruchstückhafte, bedingte, unvollkommene, rudimentäre angesehen. Dass dies auch für Wort-Offenbarungskulturen (Judentum, Christentum, Islam) gilt, die – wie oben deutlich gemacht – die Ansicht vertreten, dass sich der Seins-Grund selbst in Raum und Zeit den Menschen zu erkennen gegeben habe, macht Vereno (1958, 23) deutlich, wenn er – mit Bezug auf das Christentum – bemerkt, dass »selbst die offiziellen Verlautbarungen des kirchlichen Lehramtes … immer nur einen Teilaspekt in die Mitte der Aussage [über die Offenbarung] stellen [können], weil es sich um ein Mysterium handelt, das selbst als geoffenbartes von der kreatürlichen Vernunft nicht in seine Wesensmitte hinein durchschaut und erkannt werden kann.« Inwiefern unterscheiden sich Nicht-Wortoffenbarungskulturen und Wortoffenbarungskulturen nun im Hinblick auf Präferenzen innerhalb des in Kap. A/IX/2 (in seiner formalen Struktur) vorgestellten und hier (Abbildung 21) noch einmal dargestellten »Kommunikationselementequadrats«?

OBJEKT(E)

SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME

SUBJEKT(E)

MEDIUM

Abbildung 21: Kommunikationselementequadrat

In den Nicht-Wortoffenbarungstraditionen, die von der letztlichen Unsagbarkeit 71 des sich offenbarenden Seins-Mysteriums ausgehen, Ein gutes Beispiel dafür gibt Henri Le Saux (1989, 106), ein französischer Benediktiner, dem ein Hindu – also ein Vertreter einer Nicht-Wortoffenbarungskultur – in einem Gespräch Folgendes deutlich macht: »Besser lesen als dahindämmern oder

71

205 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume

stehen MEDIUM und SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME im zentralen Fokus 72 (Abbildung 22). Dies deshalb, weil als Ziel menschlichen Seins die Einung bzw. das Eingehen in den Seinsgrund/das Seins-Medium angesehen wird, und als Weg(e) dorthin die oben erwähnte Dreiheit der Mitteilungsstruktur vorausgesetzt wird: die sprachlich übermittelte Tradition, die individuelle Kommunikation mit dem spirituellen Lehr-Meister sowie die Übermittlung gemeinschaftlicher Gepflogenheiten, Normen, Riten und Gebräuche. Aus der Aneignung dieser Dreiheit erwächst die Fähigkeit, selber immer mehr der Offenbarung teilhaftig und so selbst zum Lehrer bzw. zum Übermittler der Tradition zu werden.

OBJEKT(E)

SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME

SUBJEKT(E)

MEDIUM

Abbildung 22: Kommunikationselementequadrat Nicht-Wortoffenbarungskulturen

In den Wort-Offenbarungskulturen ändert sich diese Gewichtung insofern, als dort – bedingt durch den Umstand, dass hier die Ansicht einer Selbstoffenbarung des Seinsgrundes vorherrscht – neben dem Aspekt des Seins-MEDIUMS, das auch hier als Ziel 73 menschlichen

schwatzen. Und besser meditieren als lesen. Doch der Ātman [der Seins-Grund] enthüllt sich nur im letzten Schweigen, wenn man so sagen darf. Man muß aber darauf achten, ich wiederhole es, daß dieses Schweigen nichts zu tun hat mit Denken oder Nicht-Denken. Denn von nichts, was gesagt, gedacht oder gelehrt werden kann, ist der Ātman abhängig, und das gilt gleicherweise von der Negation, dem Leersein vom Denken.« 72 Wobei, um dies noch einmal explizit zu erwähnen, die anderen beiden Aspekte ebenso eine Rolle spielen, nur eben keine zentrale bzw. vorherrschende. 73 Darüber hinaus als Ermöglichungsgrund, dieses Ziel zu erreichen.

206 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich

Lebens und Strebens angesehen wird, jener des OBJEKTS vermehrt in den Mittelpunkt rückt (Abbildung 23). Dies eben deshalb, da hier die sagbare Offenbarungsgestalt – im Unterschied zu den NichtWortoffenbarungskulturen – nicht nur (menschlich-)bedingten Charakter aufweist, sondern unbedingte Gültigkeit beansprucht, weil sie als »Worte des Ewigen« betrachtet wird.

OBJEKT(E)

SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME

SUBJEKT(E)

MEDIUM

Abbildung 23: Kommunikationselementequadrat Wort-Offenbarungkulturen

In der Nicht-Offenbarungskultur der abendländischen Moderne, die einerseits aus der Wort-Offenbarungskultur des Christentums hervorgeht, andererseits gerade dadurch gekennzeichnet, ja konstituiert ist, dass kein transzendentes Seinsmysterium – und insofern auch keinerlei Offenbarung im beschriebenen Sinne – (mehr) vorausgesetzt wird, ändert sich der Fokus im Hinblick auf das Kommunikationselementequadrat nun in der Weise, dass neben dem vom Christentum beibehaltenen Zentralaspekt der OBJEKTE nun jener des Subjekts bzw. der SUBJEKTE hinzukommt (Abbildung 24). Diesen Zusammenhang macht Vereno (1966b, 19) deutlich, wenn er dazu ausführt: »Das Ideal der [scheinbar ›subjektlosen‹] ›Objektivität‹ [im Kontext der wissenschaftlich-abendländischen Moderne] ist insofern ein Mißverständnis, als es ja nicht um die Aufhebung des Subjektbezugs als solchen geht, sondern vielmehr um die Auswechselbarkeit der Subjekte …«.

207 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume

OBJEKT(E)

SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME

SUBJEKT(E)

MEDIUM

Abbildung 24: Kommunikationselementequadrat abendländische Moderne

Mit anderen Worten: Moderner (Natur-)Wissenschaftlichkeit geht es primär um die Erkenntnis »gesicherter Ablaufsfolgen« bzw. um »reine« Tatsächlichkeit (vgl. Kap. A/IX/9), die prinzipiell jederzeit von prinzipiell auswechselbaren Subjekten gewonnen werden kann; das heißt: um »allgemeingültiges« gesichertes Wissen, das als »Information« nicht an das erkennende Subjekt gebunden ist. Dies wird anschaulich im nachfolgenden Schema von Pietschmann (Abbildung 25), betreffend das »Subjekt-Objekt-Verhältnis« im Erkenntnis-Verständnis moderner Wissenschaftlichkeit. Objekt

Subjekt 1

Subjekt 2 Abbildung 25: Das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Realismus (abendländische Moderne) nach Pietschmann

Er führt dazu aus: »Der Realismus [wissenschaftlicher »Objektivismus«] geht davon aus, dass ein Objekt gegeben ist, das von einem Subjekt erkannt werden kann. Diese Erkenntnis kann dann an das andere Subjekt weitergegeben werden. Erkenntnis und Kommunikation können demnach getrennt werden; dies entspricht der üblichen Organisation unserer Bildungseinrichtungen, in denen Fachleute die [»objekive«] Erkenntnis erarbeiten, um sie dann weiterzugeben. … Erkenntnis spiegelt eine [subjekt-]unabhängig gegebene Realität mehr oder weniger treu wider.« (Pietschmann 2007, 271 f.)

208 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Zueinander von Subjekt-Objekt-Medium-Sprache im Kulturvergleich

Dennoch ist gerade moderne Wissenschaftlichkeit in forciertem Maße subjekt-bezogen, da die Frage, was nun eigentlich – aus der Vielzahl der möglichen Erkenntnisgegenstände – als erkennenswert anzusehen ist, rein wissenschaftlich nicht zu beantworten ist und ein »objektiver« Orientierungs- bzw. Wertrahmen nicht länger voraussetzbar scheint. In diesem Sinne bemerkt Tenbruck (1984, 277): »Jede Wissenschaft orientiert sich an der Idee von etwas Wissenswertem. Ob etwas wissenswert ist oder nicht, läßt sich jedoch wissenschaftlich nicht beweisen … So hängt alleWissenschaft von Voraussetzungen ab, über die sie selbst nicht gebieten kann, und über die sie sich selbst meist auch nicht klar ist, weil ihr als selbstverständlich erscheint, daß, was sie sucht, ein für allemal das Wissenswerte ist, weshalb ihre eigenen mächtigen Vorgriffe auf die Natur von Mensch und Gegenstand verdeckt und unfaßbar bleiben.«

In Anlehnung an das bekannte Diktum von Böckenförde im Hinblick auf Demokratie lässt sich demnach formulieren: (Auch) Wissenschaft beruht auf Grundlagen, die sie selber nicht hervorzubringen vermag. Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, warum Subjektivität als Strukturprinzip neuzeitlicher Erkenntnis bzw. die damit tendenziell gekoppelte Zweckgebundenheit moderner Wissenschaft als solche so schwer zu durchschauen ist (vgl. dazu Vereno 1966b, 18). Inwiefern ändert sich die Präferierung im Kontext des Kommunikationselementequadrats nun im Hinblick auf die Nicht-Offenbarungskultur der ins Globale ausgreifenden Post-Moderne? Dazu soll zuerst jener Aspekt ersichtlich gemacht werden, der von der Moderne nicht nur übernommen, sondern in seiner Eigentlichkeit jetzt erst deutlich wird: der Aspekt der SUBJEKTivität, des Indiviuellen, der – wie gerade deutlich zu machen versucht – im Kontext der Moderne mehr verdeckt als offensichtlich ist. Neu in den zentralen Fokus rückt daneben der Aspekt der SPRACHE bzw. der MITTEILUNGSSYSTEME (Abbildung 26). Als klassischer Ausdruck dafür kann der sogenannte linguistic turn (oder ›Wende zur Sprache‹) angesehen werden. Damit ist die mit Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Einsicht gemeint, dass menschliche Erkenntnis stets unter sprachlichen Bedingungen geschieht, d. h. menschliche Existenz stets sprachliche Struktur aufweise (vgl. dazu näher Kap. B/III/10).

209 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Kultur-Räume

OBJEKT(E)

SPRACHE/MITTEILUNGSSYSTEME

SUBJEKT(E)

MEDIUM

Abbildung 26: Kommunikationselementequadrat Post-Moderne

Diese subjektzentrierte postmoderne Struktur wird durch untenstehende Graphik (Abbildung 27) von Pietschmann (2007, 272) deutlich, wenn er das Subjekt-Subjekt-Objekt-Verhältnis im (postmodernen) Konstruktivismus wie folgt zur Darstellung bringt. Subjekt 1

Subjekt 2

Objekt Abbildung 27: Das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Konstruktivismus nach Pietschmann

Wörtlich führt er dazu aus (2007, 272): »Nach der Ansicht des Konstruktivismus steht die Kommunikation zwischen den beiden Subjekten im Vordergrund; wenn Konsens erreicht werden kann, dann ist er ›objektivierend‹, stiftet also das Objekt. In dieser Hinsicht steht zwar der Erkenntnisprozess unter der Verantwortung [des einzelnen Subjekts], aber die Sorgfaltspflicht kommt zu kurz, da es ja kein äußerlich Gegebenes [Objektives] gibt, von dem sich die Konsensbildung führen lassen kann.«

210 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

Es würde sowohl die Kompetenz des Autors als auch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, die oben unterschiedenen Kulturräume nun einzeln in ihren epochalen Verlaufsfiguren darzustellen. Dies soll vielmehr allein anhand jenes Kulturraumes exemplifiziert werden, aus dem die moderne Wissenschaft bzw. in weiterer Folge die modernen Massenmedien hervorging(en): dem abendländischen Europa. Ein Epochen-Vergleich soll dabei durch die Skizzierung unterschiedlicher kulturspezifischer Geschichtsverständnisse des europäischen Kulturraumes geschehen (vgl. B/II/2–5). Doch zuvor stellt sich die Frage: was bezeichnet eigentlich der Begriff Europa?

1.

Europa: Was ist damit eigentlich gemeint?

Wenn dabei von einem Kultur-Raum die Rede ist, so ist dies in erster Linie nicht geographisch, sondern kulturell bzw. historisch gemeint (vgl. Ratzinger 2012, 133). Doch es ist freilich nicht unwichtig, sich das Werden Europas auch geographisch vor Augen zu führen. Herodot 1 war wohl der erste, der im 5. vorchristlichen Jahrhundert Europa als geographischen Begriff benützt und wie folgt definiert: »Die Perser sehen Asien mit seinen Völkern als ihr Land an. Europa und das Land der Griechen, meinen sie, liegt vollkommen außerhalb ihrer Grenzen.« (Herodot 1977, 8) Europa findet demzufolge erstmals als ein an Persien angrenzender geographischer Raum Erwähnung, ohne dass dessen eigene Grenzen beschrieben würden; »aber es ist klar, dass Kernlande des heutiHerodot (ca. 490/480–424 v. Chr.) wurde von Cicero als »Vater der Geschichtsschreibung« bezeichnet. Das einzige von ihm erhaltene Werk sind die Historien, die neun Bücher umfassen und den Aufstieg des Perserreiches im 6. vorchristlichen Jahrhundert schildern.

1

211 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

gen Europa völlig außerhalb des Blickfeldes des antiken Historikers [Herodot] lagen.« (Ratzinger 2012, 133) Jener antike geographische Raum, aus dem später das uns geläufige Europa werden sollte, war ursprünglich der – durch Verkehr, Handel und vor allem das Römische Reich – kulturell verbundene Bereich um das gesamte Mittelmeer. Mit der rasanten Ausbreitung des Islam im 7. und 8. Jahrhundert im Norden Afrikas findet der bis dato – mehr oder weniger – einheitliche antike Kulturraum rund um das Mittelmeer ein abruptes Ende. Die Folge ist einerseits ein kulturell geographischer Bruch zwischen nordmittelmeerisch-christlichem und südmittelmeerisch-islamischem Kulturraum, andererseits eine Verlagerung des »Kulturkontinents« Europa nach Norden, im Westen über den römischen Limes hinaus bis nach Skandinavien. Parallel dazu breitete sich auch die östliche europäisch-byzantinische Kultur, die dem Ansturm des Islam bis Mitte des 15. Jahrhunderts standhält, ihrerseits nach Norden in die slawische Welt aus. Mit der Kirchenspaltung zwischen (östlicher) Orthodoxie und (westlicher) katholischer Kirche 1054 kommt es dabei jedoch zu einer wachsenden kulturellen Entfremdung, sodass Ratzinger (2012, 136) diesbezüglich sogar von zwei Europen spricht. Zwei Europen, weil sich die beiden Kulturbe-Reiche durch andere Sprachen, also den Verzicht auf Latein als gemeinsame Bildungssprache, andere Liturgien bzw. Kirchenverfassungen unterscheiden; dazu kommt, dass im oströmischen Byzanz – im Unterschied zum lateinischen Westen, wo sich Kirche und Kaiser in einer Art Gewaltenteilung einerseits gegenüberstehen, andererseits einander wechselseitig befürfen – weltliche Macht und Kirche weitestgehend in eins fallen. Zwei Europen, weil doch beide das gemeinsame Erbe der Bibel, die Tradition der frühen Kirche teilen, das heißt verbunden sind durch gemeinsame religiöse und sittliche Werte bzw. darauf gründende gemeinsame Rechtsvorstellungen. Die Situation ändert sich mit Beginn der Neuzeit in mehrerlei Hinsicht gravierend. Zum einen wird 1453 Konstantinopel von den Türken erobert. Dadurch werden die kulturellen Grenzen Europas insofern nach Norden und Osten verschoben, als sich das Patriarchat von Moskau nun als legitime slawische Fortführung des byzantinischen Erbes versteht. Im Westen wird gar ein neuer Kontinent – Amerika benannt – entdeckt und für das Christentum in Beschlag 212 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Europa: Was ist damit eigentlich gemeint?

genommen. Spielt dabei der missionarische Aspekt zu Beginn (noch) eine mehr oder weniger große Rolle 2, so tritt dieser im weiteren Verlauf zunehmend in den Hintergrund, während jener der Kolonisierung maßgebend wird (vgl. Randa 1962, Luger 1994). Parallel dazu kommt es durch die Reformation 3 in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer neuen Trennlinie zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden Europas. Als im 17. Jahrhundert der 30-jährige Krieg (1618–1648) im Namen der getrennten christlichen Konfessionen weite Teile Mitteleuropas verwüstet, taucht am Horizont ein neues Bindeglied zwischen den verfeindeten (europäischen) Kulturen auf: die moderne (Natur-)Wissenschaftlichkeit (vgl. Dawson 1967). Sie verspricht »gesichertes Wissen« jenseits aller religiösen Glaubenslehren. Mit dem 18. Jahrhundert gewinnt schließlich die Vorstellung zunehmend kulturprägende Gestalt, wissenschaftliches Wissen könne die traditionellen Glaubenswahrheiten ersetzen (vgl. Pietschmann 2005a). Als Ausdruck dessen sind jene Prozesse anzusehen, die als Säkularisierung bzw. Aufklärung bezeichnet werden. Erstmals in der abendländisch-europäischen Geschichte überhaupt entsteht nun »der rein säkulare Staat, der die göttliche Verbürgung und Normierung des Politischen als mythische Weltansicht ablegt und Gott selbst zur Privatsache erklärt, die nicht ins Öffentliche der gemeinsamen Willensbildung gehört.« (Ratzinger 2012, 140) Eine Konsequenz davon ist der Umstand, dass die jeweiligen (Individual-)Nationen damit – nolens volens – zum eigentlichen Träger der (Universal-)Geschichte avancieren. Dies wiederum birgt in sich die Gefahr des Nationalismus, d. h. des Konflikts zwischen den sich zu einer universalen Sendung berufen glaubenden großen europäischen Nationen. Der 1. Weltkrieg (1914–1918), der die bis dato gegebene globale Vormachtstellung Europas untergräbt, hat wohl hierin Vgl. dazu etwa die Gestalt des Bartolomé de Las Casas (1484 oder 1485–1566), der sich im Zuge der Spanischen Conquista – als Bischof in den Spanischen Kolonien – vor Ort für die Rechte der Indiander einsetzte. Daneben verfasst er Berichte über die Geschehnisse. Sein Hauptwerk ist die dreibändige Historia general de las Indias (Geschichte der westindischen Länder), auch kurz Historia genannt. Unter den zahlreichen weiteren Berichten ist vor allem die Schrift Brevísima relación de la destrucción de las Indias occidentales (Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder) von 1552 hervorzuheben; siehe: Las Casas 2006. 3 Die Egon Friedell in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit (Friedell 1976) auch als »Deutsche Revolution« bezeichnet. 2

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II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

eine seiner eigentlichen Wurzeln. Ins weltpolitische Zentrum rückte damit zunehmend jene einstige Kolonie Europas, die sich im Zuge der europäischen Erschütterungen durch die Französische Revolution und die darauf folgenden Napoleonischen Kriege von Europa emanzipierte: die Vereinigten Staaten von Amerika. Es war wohl die große (Geistes-)Krise Europas zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die jenen verheerenden Säkularideologien des Kommunimus bzw. Nationalsozialimus zur Wirkmächtigkeit verhalf, die sich beide als »wissenschaftliche Weltanschauungen« begriffen. So nimmt es nicht Wunder, dass sowohl nach dem Ende der Naziherrschaft (im Westen Europas) bzw. mit Ende des Kommunismus (im Osten Europas) neu in Frage stand, was Europa im positiven Sinne kennzeichnet. Das Projekt der Europäischen Union 4, geboren aus dem Schrecken des 2. Weltkrieges, konnte sich bis zum Ende des Kommunismus als »Hort der (individuellen) Freiheit« bzw. der wirtschaftlichen Prosperität positionieren, doch spätestens seit den 1990er Jahren beherrschen zunehmend wirtschaftliche und immer weniger werthafte Kategorien die Diskussion um ein Europa des 21. Jahrhunderts (vgl. Kap. A/I/4). Wie schwer sich Europa inzwischen tut, seine eigene »Identität« darzulegen, wird angesichts des steigenden Einflusses des Islam in Europa bzw. der Begegnung mit anderen Kulturen überdeutlich 5. Denn der vielfach angemahnte »Dialog der Kulturen« erfordert je eigene Standpunkte und Richtwerte. Inwieweit tradiert die wissenschaftlich-technische Zivilisation (mit den damit verbundenen Errungenschaften), die von Europa ihren Ausgang nahm und zunehmend universale Dimensionen annimmt, Wertkonstanten europäischer Kultur? Bildet die Unbedingtheit der Menschenwürde und Menschenrechte (noch) einen solchen zentralen Wert, obwohl gerade in Stellvertretend stehen die Namen Schuman, Adenauer und De Gasperi. Hierzu bemerkt Vereno: »Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Schröder hat (unabsichtlich) das Problem auf den Punkt gebracht, als er sagte: Nur auf der Basis der Aufklärung seien Begegnung und Partnerschaft zwischen Europa und dem Islam möglich. Sein aufklärerisches Credo ließ ihn die Unlogik nicht bemerken: Kommensurable Größen wären entweder Islam und Christenheit, oder Europa und Naher Orient. Was er aber sagte, heißt nichts anderes als: Wir verlangen nicht, dass ihr euch dem Christentum unterwerft, denn wir selber sind nicht Christen; wir sind vielmehr Aufklärer, und dieser unserer Ideologie müsst ihr euch unterwerfen.« (IQ: Vereno 2007)

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Das zyklische Epochen-Verständnis der Antike

Europa durch den medizinisch-technischen Fortschritt hierzu neue reale Infragestellungen auftauchen 6? Oder die daraus hervorgegangene demokratisch-individualistische Kultur? Inwieweit ist schließlich die vielfach propagierte Multi- bzw. Transkulturalität gegenwärtig (auch) Flucht vor der Beschäftigung mit dem, was Europa ausmacht? Schauen wir uns deshalb die Genese Europas noch einmal an: diesmal aus dem spezifischen Blickwinkel unterschiedlicher Geschichtsverständnisse abendländisch-europäischer Epochen.

2.

Das zyklische Epochen-Verständnis der Antike

Der Beginn sei mit der griechischen Antike gemacht, die ja für gewöhnlich als erste Epoche des europäisch-abendländischen Kulturraumes angesehen wird. Wirklichkeit wird hier gesehen als – ungeschaffener – »ewiger« Kosmos-Raum, der zwar als geschlossen, jedoch nicht als abgeschlossen, sondern als zeitlich-dynamisch offener angesehen wird. Dabei waren unsere antiken abendländischen Vorfahren fasziniert von der ewigen Ordnung, Schönheit und Größe der sichtbaren Welt. Nicht zufällig heißt Kosmos auch Schmuck; der Begriff Kosmetik hat hierin seine etymologischen Wurzeln. Damit verbunden ist ein zyklisches Verständnis des raumzeitlichen Geschehnisablaufes; die Epochen wiederholen sich vergleichbar einer nie endenden Kreisbewegung; d. h. Kulturen erstehen immer wieder neu, erleben eine Blütezeit und gehen nach dieser Vollendung unweigerlich wieder unter. 7 In diesem Sinne schreibt Löwith (1961, 14): »Die Griechen … waren von der sichtbaren Ordnung und Schönheit des natürlichen Kosmos ergriffen und das kosmische Gesetz des Werdens und Vergehens war auch das Vorbild ihres Geschichtsverständnisses. Nach griechischer Weltanschauung bewegt sich alles in einer ewigen Wiederkehr des Gleichen, wobei der Hervorgang in seinen Anfang zurückkehrt.«

Erwähnt seien hierzu etwa die aktuell kontrovers diskutierten Themenfelder Sterbehilfe, Abtreibung etc. (vgl. Linder 2009). 7 Dieser zyklische Gedanke wiederkehrender Weltalter – meist verbunden mit der Vorstellung eines goldenen, silbernen und bronzenen Zeitalters – findet sich bei zahlreichen antiken Autoren – etwa bei Hesiod, Anaximander, Heraklit, Platon oder Ovid. 6

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II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

Symbol für dieses Verständnis des raumzeitlichen Geschehnisablaufes ist – wie an anderer Stelle schon kurz erwähnt – der sogenannte Uroborus (»Selbstverzehrer«), die sich selbst fressende Schlange, Zeichen des »ewigen Kreislaufs« der Dinge.

3.

Das jüdisch-christliche Heils-Geschichtsverständnis

Einem völlig anderen Verständnis des raumzeitlichen Geschehnisablaufes begegnen wir im jüdisch-christlichen Wirklichkeitsverständnis. Hier wird davon ausgegangen, dass dieser Geschehnisverlauf tatsächlich sinngerichtet ist, d. h. eine mehr oder weniger zielgerichtet-finale Struktur trägt. Worin liegt dies begründet? Die Antwort darauf lautet: Weil im Judentum bzw. – in weiterer Folge – im Christentum, das sich ja als Erfüllung des Judentums versteht, die Ansicht vorherrscht, dass sich jener unsagbare Urgrund allen Seins, von dem her sich alle traditionellen Religionen verstehen, dem Volk Israel als der ICH-BIN geoffenbart und mit ihm einen ewigen Bund geschlossen habe und es fortan gleichsam begleite. Der raumzeitliche Geschehnisablauf wird so zur sinngerichteten Geschichte des Volkes Israel mit seinem Bundes-Gott, der es durch die Fahrnisse der Zeiten begleitet und somit dem raumzeitlichen Geschehnisablauf gewissermaßen eine Sinn-Richtung gibt. Mit anderen Worten: Geschichtlicher Maßstab ist damit nicht länger der Logos des Kosmos wie in der Antike, sondern Gott als (auch) der Herr der Geschichte. Das jüdische Geschichtsverständnis ist insofern ein in die Zukunft gerichtetes, ein Geschichtsverständnis der Verheißung. Ist dieses »zielgerichtete« Geschichtsverständnis des Gottes-Volkes Israel schon eine Zumutung für aufgeklärte Gemüter, so wird diese Zumutung im Christentum noch einmal überboten. Denn in der christlichen Überlieferung wird diese Heilsgeschichte nun nicht mehr an ein auserwähltes Volk, sondern allein an einen Menschen gebunden, Jesus von Nazareth, von dem zugleich geglaubt wird, er sei die menschgewordene Inkarnation Gottes. Damit vertritt das Christentum den Glauben, ein einzelner Mensch sei die Mitte, die Erfüllung und der Kreuzungspunkt aller Geschichte, d. h. auch: aller Kulturen. »Ist das nicht der naive Anspruch einer Zeit, die die Größe des Kosmos, die Größe der Geschichte und der Welt einfach noch nicht durchschauen konnte?« fragt rhetorisch der nachmalige Papst 216 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das jüdisch-christliche Heils-Geschichtsverständnis

Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger im Band Glaube und Zukunft, um schließlich wie folgt fortzufahren: »Ich halte, offen gestanden, den Streit, der heute weithin um die Jungfrauengeburt geführt wird, für eine Ausflucht vor der … eigentlichen Frage: Ein Gott, der Mensch zu werden vermag, kann auch aus der Jungfrau geboren werden und sich darin ein Zeichen seiner Einzigkeit setzen. Aber kann das sein? Gott ein Mensch? Ein Mensch ganz Mensch und zugleich doch wahrer Gott und daher Glauben heischend von allen und zu allen Zeiten?« (Ratzinger 1970, 23)

»Das Schema dieses [christlichen] Weltbildes«, schreibt Martin Buber im Band Das Problem des Menschen, »ist ein Kreuz, als dessen Längsbalken der endliche Raum vom Himmel bis zur Hölle mitten durch das Herz der menschlichen Person führt, und dessen Querbalken die endliche Zeit von der Erschaffung der Welt zum Ende der Tage ist, wobei ihre Mitte, der Tod Christi, bedeckend und erlösend auf die Mitte des Raumes … fällt. Um dieses Schema baut sich das mittelalterliche Weltbild auf.« (Buber 1948a, 26 f.) Dass das christliche Heils-Symbol des Kreuzes zugleich als zentrales Symbolum der irdischen raum-zeitlichen Wirklichkeit angesehen wird, zeigt sich unter anderem darin, dass es – wie an anderer Stelle schon kurz erwähnt – Abbildungen gibt, die entweder die zentrale Glaubensgestalt des Christentums, Jesus Christus, als den Herrn der Geschichte, mit der Welt-Kugel zeigen, oder eben – in anderer Darstellung – das Kreuz mit dem Uroburus-Symbol (vgl. dazu Ivánka 1962). Mit dem neutestamentlichen Aussendungsauftrag 8 an die frühen Christen rückt damit schließlich – zumindest potenziell – erstmals Welt-Geschichte in den Blick (vgl. Randa 1954).

Als Referenz dafür wird meist Mt. 28, 18–20 genannt: »Da trat Jesus auf sie [die Jünger] zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht hin zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.«

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II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

4.

Die abendländische Moderne als Epoche säkularer Heils-Geschichten

Die abendländische Moderne »säkularisiert« nun gleichsam das jüdisch-christliche Heilsgeschichtsverständnis. Dieses Geschehen vollzog sich naturgemäß nicht von heute auf morgen, sondern über Jahrhunderte hinweg. Mit eine entscheidende Rolle spielte dabei die sogenannte Drei-Stadien-Lehre des Joachim von Fiore (um 1130– 1202). 9 Dieser geht daran, das traditionelle Schema der heilsgeschichtlichen Erfüllung des (jüdischen) Alten Testaments durch das (christliche) Neue Testament insofern zu erweitern bzw. abzulösen, als er ein »Drittes Reich« vorhersagt, jenes des Heiligen Geistes. Bei der kirchlichen Obrigkeit erregt er damit vor allem deshalb Missfallen, weil er für diese letzte Heils- bzw. Geschichtsepoche nicht mehr eine kirchlich-priesterliche Hierarchie in Amt und Würden sieht, die er als verweltlicht begreift, sondern eine auserwählte klösterliche Mönchsgemeinschaft. 10 Entscheidend ist nun der Hinweis von Löwith, wenn er zu bedenken gibt: »So entfernt dieser Streit [um die Drei-Stadien-Lehre des Joachim von Fiore] des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts uns heute erscheint, so wenig läßt sich bezweifeln, daß er den EnthuWalter Nigg (1986, 53 f.) sieht im frühchristlichen Theologen Origenes eine Vorläufergestalt des Joachim von Fiore, wenn er schreibt: »Die geschichtlichen Gegebenheiten der Bibel hatten für Origenes nur typologischen Wert, weil sie für ihn ein Abbild für Vorgänge bedeuteten, die sich in den oberen Welten abspielten. … Das hartnäckige Festhalten an der buchstäblichen Auslegung fällt nach Origenes sogar unter das Gericht der Weherufe Jesu über die Schriftgelehrten. … Es ist die Aufgabe des erleuchteten Christen, zur tieferen Überzeugung vorzudringen, die Jesus nur wenigen mitgeteilt habe. Die Krone dieses Bibelverständnisses stellt Origenes’ kühne Auffassung dar, daß auch das Neue Testament noch nicht das abschließende Ziel der Offenbarung Gottes enthalte. … Das Neue Testament muß [nach Origenes] als Durchgangspforte zu dem ewigen Evangelium betrachtet werden, dessen Pneuma [Geist] überhaupt nicht mit Buchstaben ausgedrückt werden kann. Mit der Proklamierung des ewigen Evangeliums, das im Neuen Testament verborgen liege, hat Origenes die kirchliche Auffassung überschritten und im wesentlichen den berückenden Joachim von Fiore vorweggenommen.« 10 Einen Höhepunkt erreicht diese Bewegung, als 1254 in Paris der Theologe Gerhard von Borgo San Donnino das Buch Liber introductorius ad Evangelium aeternum publiziert. Darin verkündet er kühn, dass die Ära des Ewigen Evangeliums, das heißt das Zeitalter des Heiligen Geistes, in sechs Jahren, also 1260, beginnen werde. Das Werk bringt ihm in der Folge lebenslange Haft ein (vgl. Löwith 1961, 137). 9

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Die abendländische Moderne als Epoche säkularer Heils-Geschichten

siasmus des frühen Christentums neu aufflammen ließ und indirekt die Fortschrittsreligion der Neuzeit bedingt hat.« (Löwith 1961, 136) Dies zeigt sich etwa in der Aufklärung bei Lessing, der – sich ausdrücklich auf Joachim von Fiore beziehend – das dritte Zeitalter nun nicht mehr als jenes des Heiligen Geistes, sondern als das der Vernunft begreift. Für ihn folgt also auf die Zeitalter der Offenbarungsreligionen des Judentums und Christentums das Zeitalter der vernünftigen, menschlich-philosophischen Selbstverwirklichung. Ziel aller Geschichte ist demnach nicht länger göttliche Offenbarung, sondern humanistische Erziehung. 11 Die Wirkung von Lessings Forschrittsgedanken hin zur reinen Vernunft war – wie man heute sagen würde – nachhaltig 12; nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich. So entstand die folgende Drei-Stadien-Konzeption von Auguste Comte (1798–1857) wohl unter dem geistigen Einfluss Lessings (vgl. Löwith 1961, 190). Wie Lessing mit seiner 3-Stadien-Idee die rein religiöse Konzeption von Joachim von Fiore hin zur Philosophie überschritt, überschreitet nun Comte seinerseits Lessings Vorstellung eines mit der Philosophie sich vollendenden Geschichtsverlaufs, indem er auf das Zeitalter der Religion jenes der Philosophie und auf das der Philosophie jenes der positiven Wissenschaft folgen lässt. Der raumzeitliche Geschehnisablauf wird nun nicht länger als zu einem »Eschaton« strebend verstanden, einem Ende der Zeiten, das verbunden gedacht wird mit der Wiederkunft Christi auf den Wolken Auf diesen Umstand verweist Löwith (1961, 190) wie folgt: »Lessings bekanntes Fragment ›Die Erziehung des Menschengeschlechts‹ entwickelte die Idee einer fortschreitenden Offenbarung, die in einem dritten Zeitalter enden soll, eine Idee, die Lessing ausdrücklich auf Joachims Lehre bezieht, obwohl er den Glauben an eine Offenbarung untergräbt und durch den Gedanken der Erziehung ersetzt.« 12 Dies macht Löwith (1961, 51) deutlich, wenn er zur Geistes-Geschichte des fortschrittsorientierten 19. Jahrhunderts mit Bezug auf Feuerbach sowie Marx schreibt: »Nach Feuerbachs ›Entdeckung‹, daß Gott nur eine Projektion des endlichen Menschen ins Unendliche und daß das Wesen der Theologie Anthropologie sei, besteht die Aufgabe jetzt darin, die ›Wahrheit des Diesseits‹ zu etablieren. Mit Bezug auf die christliche Idee vom Reiche Gottes und seinem Verhältnis zur Geschichte der Welt sagt Engels im Sinne von Marx, daß auch er an die ›Offenbarung der Geschichte‹ glaube und daß für ihn die Geschichte in der Tat ›Eins und Alles‹ und von größerer Bedeutung sei als selbst für Hegel. Er verwirft jedoch die Idee einer ›aparten Geschichte des Reiches Gottes‹, weil sie alle wirkliche, geschichtliche Offenbarung entwerte. Gäbe es ein Reich Gottes, so würden die achtzehn Jahrhunderte nach Christus eine absurde Verzögerung sein. ›Wir reklamieren den Inhalt der Geschichte; aber wir sehen in der Geschichte keine Offenbarung ›Gottes‹, sondern des Menschen.‹« 11

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des Himmels bzw. einer überirdischen Vollendung, sondern das Fortschreiten wird als unendlicher irdischer Progress gesehen. »Die christliche Zuversicht auf eine kommende [endgültige] Erfüllung ist zwar dem modernen Geschichtsbewußtsein abhanden gekommen, aber die Sicht auf die Zukunft als solche ist beherrschend geblieben. Sie durchdringt alles nachchristliche europäische Denken … Auch die radikal weltlichen Fortschrittsphilosophien von Condorcet, Comte und Marx sind eschatologisch von der Zukunft her bestimmt und nicht minder ihr Umschlag in negativ fortschreitende Verfallstheorien.« (Löwith 1960a, 157)

Denn durch die Absolutsetzung von Raum und Zeit wird ein Geschichtsverständnis sub specie aeternitatis, also unter dem Gesichtspunkt des Immerwährenden – wie dies sowohl in Antike als auch in Judentum und Christentum als selbstverständlich vorausgesetzt war –, als unzeitgemäß abgetan. Konsequente Folge ist das Aufkommen des Historismus, des historischen Bewusstseins, der Immerwährendes bzw. Immerseiendes für entbehrlich hält. Sein wird jetzt, in der Moderne, von der Zeit her gedacht und nicht, wie vormals, Zeit vom (ewigen bzw. raumzeitmächtigen) Sein her. Wenige haben die ungeheuren Konsequenzen dieses Vorganges erkannt; neben Sören Kierkegaard sind hier vor allem Georg Simmel, Franz Rosenzweig und Martin Heidegger zu nennen. Letzterer hat diese »Achsendrehung« – um einen Begriff Simmels zu gebrauchen – zur Grundlage seines epochemachenden Werkes Sein und Zeit (1927) gemacht (vgl. Löwith 1960b). Karl Löwith (1960a, 177) bemerkt dazu explizit: »Heidegger wollte … von Anfang an das Sein aus der Zeit und die Zeit aus ihr selbst verstehen, im Gegensatz zur ganzen abendländischen Tradition – der griechischen wie der christlichen –, die von einem Immerseienden und Immerwährenden ausging, um an ihm das zeitlich Vorübergehende und Unbeständige zu bemessen.«

Wie kam es zu dieser Wende? Nach Löwith (1960a, 164 f.) sind hierbei als »intellektuelle Schrittmacher« vor allem der italienische Geschichtsphilosoph Giambattista Vico im 18. Jahrhundert (1668– 1744), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) sowie Karl Marx (1818–1883) im 19. Jahrhundert zu nennen. Während Descartes noch die Ansicht vertritt, dass sich vom geschichtlichen Ablauf nichts wahrhaft wissen lasse, denn alles diesbezügliche Wissen beruhe auf Meinung, Erzählung und Überlieferung; – wahrhaft sicheres Wissen sei vielmehr allein (mit Hilfe der Naturwissenschaft gewonnenes) 220 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Die abendländische Moderne als Epoche säkularer Heils-Geschichten

mathematisches Wissen, betont Vico eine größere Wahrheitsnähe der historischen Wissenschaften vom Menschen. Er geht dabei von der Überlegung aus, dass wahres und sicheres Wissen nur von dem möglich sei, was der Mensch selbst gemacht bzw. verursacht habe (verum quia factum). Da der Mensch die Natur nicht selber gemacht habe, könne er von ihr kein eigentliches Wissen gewinnen. Für den Menschen sei deshalb ein völlig gewisses Wissen einerseits im Bereich der mathematischen Abstraktion möglich, weil er hier von Anfang an freier Schöpfer dieser mathematischen Objekte, sprich: Zahlen bzw. geometrischen Figuren ist. Da diese jedoch bloß gedachte Größen seien, bildeten sie kein Fundament für die Erkenntnis der konkreten Erscheinungswelt (vgl. Kap A/V/5). Doch sieht er neben der Mathematik einen weiteren Bereich, wo dem Menschen wahre Erkenntnis möglich wäre: nämlich im »mondo civile«, in der vom Menschen zivilisierten Welt; diese sei – im Unterschied zur Natur – ganz gewiss vom Menschen gemacht. Dementsprechend gelte es – so Vico sinngemäß in seinem Werk nuova scienca (Neue Wissenschaft) – die Grundprinzipien der vom Menschen zivilisierten Welt zu entdecken. Vicos »Neue Wissenschaft« ist demnach – wie Löwith (1960a, 165) schreibt – »eine Philosophie und zugleich eine Geschichte der Menschheit. Vico hat damit zum erstenmal die Geschichte in die Philosophie hineingedacht … [und] damit den Grund für die nachkommenden historischen Wissenschaften gelegt, obwohl er selbst vom modernen Historismus noch weit entfernt war.« Es ist lehrreich, sich vor Augen zu führen, warum Vico vom modernen Historismus noch weit entfernt war. Dies deshalb, weil er noch viel zu sehr dem (im Zuge der Aufklärung eine Renaissance erlebenden) zyklischen »Geschichts«- bzw. Epochenverständnis der Antike anhing. »[S]ein mondo civile« – so Löwith (1960a, 165) dazu – »ist noch antik gedacht, als die öffentliche Welt der polis oder civitas, auf dem Grunde der gemeinschaftlichen Natur der Menschen, deren geschichtlicher Wandel eine nach bestimmten Regeln geordnete ›Abwandlung‹ des immer Gleichen ist und dessen Verlauf sich daher auch voraussehen läßt. Auf einen bestimmten corso der Zivilisierung folgt ein ricorso zur Barbarei.« Eine ähnliche zyklische Vorstellung findet sich später in Oswald Spenglers epochenprägendem Werk Der Untergang des Abendlandes (1918).

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II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

Wie sehr in weiterer Folge selbst die Physik von einer alles durchdringenden Geschichtlichkeit geprägt ist, macht erneut Löwith (1960a, 166) deutlich, wenn er bemerkt: »[A]uch die Physik denkt immer mehr in geschichtlichen Begriffen. Die Welt soll mit einer Urexplosion einmal begonnen haben, um irgendeinmal zu einem Ende zu kommen und die ›Realität‹ ist ›Prozess‹ geworden. Das Insgesamt der natürlichen Welt hat sich in eine energetische Weltgeschichte verwandelt, die sich nicht mehr nach ewigen Gesetzen im Kreise bewegt, sondern nach statistisch ermittelbaren Wahrscheinlichkeiten fortschreitet und Sprünge macht.«

Heidegger, dem die Problematik des Historismus deutlich bewusst war, versuchte diesen in Sein und Zeit dadurch zu überwinden, in dem er das (menschliche) Dasein als eines sah, »das nicht nur ›in‹ der Zeit ist und eine Geschichte hat, sondern seinem Wesen nach zeitlich ist und geschichtlich existiert.« (Löwith 1960a, 175) Das heißt: Er »existenzialisiert« Geschichtlichkeit und beschreibt den Menschen als »Dasein zum Ende«. Dadurch »trägt Heidegger« – wie dessen Schüler Löwith (1960a, 175) präzise bemerkt – »das moderne Problem des Historismus in das ›bisherige‹ und ›künftige‹ Wesen des Seins selber hinein, das vor allem Seienden west, indem es anwest und abwest, sich entbirgt und verbirgt. Auch die Wahrheit wird zu einem ›Wahrheitsgeschehen‹, das sich von Zeit zu Zeit, in ›jähen Epochen der Wahrheit‹ wendet. Die Wahrheit des Seins hat nun nicht mehr wie bei[m dem Historismus nahestehenden] Hegel, die Tendenz, sich immer reicher zu einem ›Geisterreich‹ zu entwickeln, sondern die umgekehrte Tendenz, sich durch Entbergung im Seienden zu verbergen und zu entziehen.«

5.

Die (globale) Post-Moderne als Epoche des »Endes der Geschichte«

Die Bestimmung der Gegenwart als Epoche des »Endes der Geschichte« (Fukuyama), der »Posthistoire« bzw. der »Nachgeschichte« (Vilém Flusser) dient zur Kennzeichnung einer Periode, in der die »geschichtszentrierten« »Weltbilder« und Handlungsweisen als überholt gelten und der raumzeitliche Geschehnisablauf als – im herkömmlichen Sinne – ahistorisch bzw. ungeschichtlich verstanden wird. Damit ist nicht gemeint, dass nichts mehr geschähe, sondern 222 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Die (globale) Post-Moderne als Epoche des »Endes der Geschichte«

damit soll die im westlichen Kulturraum verbreitete Ansicht 13 zum Ausdruck gebracht werden, derzufolge alles Geschehen in einem »nachgeschichtlichen« Verständniskontext interpretiert wird. In diesem Sinne schreibt Gerl-Falkovitz: »Wir leben heute bewußtseinsmäßig in einer ›Post‹-Welt, einer Welt ›danach‹. Sie ist posttraditionell, was das rasche und gründliche Vergessen kultureller Herkünfte angeht. ›History is five years old‹, sagt man in Karlifornien; posthistorisch – denn angeblich ist seit dem annus mirabilis 1989 auch die Geschichte zu Ende; postnational – denn im Blick auf das Globale wird ein Weltbürgertum fast schon erzwungen. Ja unsere Ära ist sogar schon posthuman genannt worden – was auf die möglichen Manipulationen am menschlichen Genom und Kreuzungen mit dem Tier anspielt. Sie ist weiterhin betrachtet auch postsexuell, weil die binäre Unterscheidung zwischen männlich und weiblich im Zuge der Genderforschung als überholt ausgegeben worden ist.« (Gerl-Falkovitz 2004, 7)

Als »Väter« der Posthistoire werden – in geistesgeschichtlicher Reihenfolge – u. a. Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler, Arnold Gehlen, Jean Baudrillard und Francis Fukuyama angesehen. Insbesondere mit letzterem bzw. dessen vieldiskutiertem Buch Das Ende der Geschichte (Fukuyama 1992; engl. The End of History and the Last Man) erlangte diese Ansicht eine breite Öffentlichkeit 14 (vgl. dazu: Fabeck 2007, Niethammer 1999, Rother 1993). Die Bewusstseinslage der Nachgeschichtlichkeit geht dabei einher mit einem verstärkten Bedürfnis nach augenblicklicher Erfüllung, nach Konsum im weitesten Sinne, wobei den modernen bildzentrierten Kommunikations(genuss)mitteln – nicht zuletzt in Gestalt der Social Media – eine bedeutende Rolle zukommt. Markus beschreibt diesen Zusammenhang in seiner bemerkenswerten Dissertation Bild-Medien und Welt-Bild (Salzburg 2006) nicht nur in seiner Faktizität (vgl. Markus 2006, 24–42) sondern vor allem mittels einer geistesgeschichtlichen bzw. kommunikationstheoretischen Deutung. Im Abschnitt Von der äußeren Schrift zum äußeren Bild (Markus 2006, 252–301) geht er der Frage nach, wie bzw. warum sich die abendländische Schrift- bzw.- Buchkultur der Neuzeit beginnend mit dem Die sich zunehmend auch in anderen Kulturen findet (vgl. etwa Ueda 1971). Fukuyama wiederholt dabei insbesondere Gedanken, die Alexandre Kojève in den 1930er und 40er Jahren formuliert hat. Dieser legte eine sehr eigenwillige Deutung der Hegel’schen Geschichtsphilosophie vor.

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II. (Abendländisch-europäische) Kultur-Epochen

19. Jahrhundert zu einer postmodernen Kultur transformiert, in welcher Bilder vorherrschend werden. Wörtlich heißt es da: »Die [mit dem 19. Jahrhundert aufkommenden] Bildmedien stehen … in einem funktionalen Zusammenhang als Transportmittel eines unmittelbaren Genuss-Heils/-Sinns beziehungsweise als Vermittler einer [Erlebnis-]Wahrheit, welche sich im unmittelbaren und nicht objektivierbaren Eindruck ausdrückt. Das äußere Reiz-Bild erweist sich dabei einerseits als eine intensive sinnliche Erlebnis-Fülle, welche sich andererseits einem Objektivierungsversuch [im Sinne der Moderne] … entzieht.« (Markus 2006, 313 f.)

Schon Kierkegaard hat diesen Zusammenhang erkannt, wenn er die Ästhetiker – also jene Gestalten in seinen Werken, denen es primär um das »Unmittelbar«-Reizvolle zu tun ist, deren Leben sich vorwiegend auf den genießbaren Moment konzentriert (vgl. Sløk 1990, 47 ff. bzw. 57) und die insofern in einer nachgeschichtlich-sinnfreien Welt ihr Dasein fristen – mit den Motiven der Langeweile und vor allem der Plötzlichkeit in Beziehung bringt (vgl. Cattepoel 2005, 62). Einiges spricht dafür, dass das zunehmende Interesse für das Numinose (vgl. Otto 1920), Okkulte bzw. Irrationale, für apokryphe Texte (vgl. Pfabigan 2001) sowie synkretistische Glaubenslehren (Küenzlen 1994), im Bereich der Wissenschaft für das A-Kausale, Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts, damit zusammenhängt. Ausdruck dessen sind etwa das zu dieser Zeit weitgehend parallele Aufkommen von Lebensphilosophie, Psychoanalyse, Phänomenologie und Existenzialismus. Meyeen (1994) vertritt gar die These, dass selbst das Entstehen der Quantenmechanik (1926) durch dieses Geistesmilieu maßgeblich mit ermöglicht wurde.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Der sich mit Beginn der Neuzeit in Europa abzeichnende und in weiterer Folge vollziehende Kommunikations- und Erkenntnisverständniswandel ist nicht relevant in den Blick zu nehmen ohne Rekurrierung auf das traditionelle abendländische Geisteserbe (vgl. Peters 2001, Greshake 2008). Dieses hat seine Wurzeln – wie gezeigt – einerseits in der Geistestradition der Antike, andererseits in der jüdischen und insbesondere der christlichen Überlieferung bzw. dem damit verbundenen Logos-, Communio- und Personverständnis; denn daraus vollzieht sich oben erwähnter Wandel. In diesem Sinne bemerkt der Kommunikations- und Medientheoretiker Norbert Bolz (2008, 137 ff.): »Fast 2000 Jahre lang haben fast alle intelligenten und gebildeten Menschen unserer europäischen Kultur die Frage nach dem christlichen Gott durchdacht und durchlitten; ob apologetisch, ob kritisch – gleichviel. … Sich aus diesem Traditionszusammenhang herausreflektieren zu wollen, ist geistiger Selbstmord. … Man muss vor der europäischen Kultur nicht die Knie beugen, aber man sollte ihre großen alten Bücher lesen … In diesem Sinne plädieren wir hier für eine ernste Arbeit an der objektiven Religion, d. h. dem Kultur gewordenen Christentum, als dem einzig gangbaren Weg zu einer europäischen Identität. Dieser Weg steht gerade auch dem religiös Unmusikalischen offen.«

Dieser Zusammenhang soll nun näher in Augenschein genommen werden.

1.

Die spezifische Genese der abendländischen Kommunikationskultur aus dem christlichen Communio-, Logos- und Person-Verständnis

Wie oben schon angedeutet, besteht in der Fachwelt weitgehend Konsens darüber, dass sich die abendländische Kultur hauptsächlich aus

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

zwei Quellen speist, der griechisch-antiken sowie der jüdisch-christlichen. Ein Blick auf das präsentierte Kulturenvergleichsschema (vgl. Kap. B/I/5) zeigt indes, dass hierbei eine Nicht-Wortoffenbarungskultur (griechische Antike) und Wort-Offenbarungstraditionen (Judentum, Christentum) zusammenkommen, also letztlich an sich unvereinbare Überlieferungen. Mit Bolz (2008, 135) gesprochen: »Am Anfang [Europas] war die große Unvereinbarkeit von Griechentum und Christentum.« Diese Unvereinbarkeit wurde dadurch überwunden, dass die frühe Christenheit mit ihrer biblischen Gottesvorstellung nicht etwa in Konkurrenz trat zur antiken Götterwelt, sondern in Kooperation mit der griechischen Philosophie. Ratzinger (1968, 103 f.) schreibt auf diesen Umstand hinweisend: »Wenn die Frage aufstand, welchem Gott der christliche Gott entspreche, dem Zeus vielleicht oder dem Hermes oder dem Dionysos oder sonst einem, so lautete die Antwort: Keinem von allen. Keinem von den Göttern, zu denen ihr betet, sondern einzig und allein dem, zu dem ihr nicht betet, jenem Höchsten, von dem eure Philosophen reden …, das Sein selbst, das die Philosophen als den Grund alles Seins, als den Gott über allen Mächten herausgestellt haben – nur das ist unser Gott.«

Das heißt: das frühe Christentum hat für die Wahrheit des Seins selbst optiert, für dessen Vernünftigkeit bzw. Logoshaftigkeit, von der die antiken Philosophen zwar sprachen, die sie jedoch namentlich nicht bekennen konnten. Daher rührt der – für erste schwer verständliche – Sachverhalt, dass die frühen Christen mitunter des Atheismus bezichtigt wurden, also der Gott- bzw. besser: der Götterlosigkeit (vgl. Ratzinger 1968, 107 f.). Die griechisch-antike Denk- und Begriffswelt, im römischen Imperium die allgemeine »kulturelle Klammer« darstellend, bildete demnach jene unverzichtbare formale Basis für die notwendige Ausbildung der christlichen Dogmatik in den ersten Jahrhunderten. Auf diesen zentralen Umstand verweist Vereno (1960a, 156), wenn er zum Verhältnis von Antike und Christentum anmerkt: »Das Ringen um den angemessenen Ausdruck der [christlichen] Rechtgläubigkeit konnte ja nur im Rahmen und auf Grund einer hochstehenden, dabei allgemein anerkannten, allen Beteiligten verständlichen und geläufigen Ordnung von Begriffen ausgetragen werden. … [D]as Christentum, das ja als geschichtliche Wirklichkeit nicht ein Baum, sondern ein Keim war,

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Die spezifische Genese der abendländischen Kommunikationskultur

mußte in eine bestimmte, in sich geschlossene Überlieferung eingesenkt werden und in ihr ganz tief Wurzeln schlagen.«

Diese hochstehende, allgemein anerkannte und geschlossene Überlieferung stellte die philosophische Tradition der griechischen Antike dar. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Übertragung jüdisch-christlichen Glaubensgutes in das »fremde Sprach-Gewand« antiker Philosophie enorme Herausforderungen mit sich brachte. Dies kann insofern nicht verwundern, als es galt, die ganz andere christliche Wort-Offenbarungsreligion in den Denk- und Ausdrucksformen der Nicht-Wortoffenbarungskultur antiker Philosophie zu formulieren (vgl. Vereno 1960a, 157). Es lohnt sich, diesen Zusammenhang etwas näher zu betrachten. Die Urfrage griechischer Philosophie ist jene nach dem Bleibenden bei allem offensichtlich ständigen Werden und Vergehen; also die Frage nach dem, was aller Veränderung enthoben ist. Dieses Eigentlich-Dauernde bzw. Dauernd-Eigentliche wird im SEIN selbst erblickt, im EINEN SEIN, das allem Seienden bzw. Werdenden und Vergehenden zu Grunde liegt bzw. dieses überhaupt im Sein hält. Vonessen (2001b, 57) bemerkt dazu: »Was die Überlegungen der Alten [Philosophen] am stärksten aufrührte, war die Einsicht, daß auch die Existenz ihrer selbst als … ein So-gut-wie nicht-sein, jedenfalls als etwas ganz Ungewisses, das nicht einfach Nichts, aber erst recht nicht einfach Sein genannt werden konnte.« Aus diesem EINEN (SEIN) gehe nun durch Überfließen – so die Vorstellung, die sich schon bei Platon findet (vgl. Greshake 2008, 197) – das Viele hervor, das Konkrete, Individuelle, das ständigem Wandel Unterworfene. »Dauer« bzw. Identität« wird dem Einzelnen, etwa einem konkreten individuellen Pferd, nun insofern zugeschrieben, als dieses die sichtbare Gestalt einer allgemeinen, überzeitlichen Wesenheit bildet; wenn man so will: der »Pferdheit«. Auf den Menschen bezogen bedeutet das, dass es dem antiken Denken nicht um den Einzelnen bzw. dessen Selbstverwirklichung innerhalb eines geschichtlichen Abschnittes geht; vielmehr stellt dieser nur eine vorübergehende individuelle Konkretisierung der allgemeinen Idee des Menschen dar. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum im antiken Denken dem Einen der absolute Primat gegenüber dem Vielen zukommt. Greshake (2008, 198) bemerkt dazu:

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

»Das höchste Eine wie auch das allgemeine Wesen jedes Seienden ist gerade dadurch definiert, dass es alle Vielheit, alle Andersheit, alle innere Relationalität und Kommunikation ausschließt. Demgegenüber ist das durch Kommunikation entstandene Viele und Einzelne von seiner Herkunft her und auf seine Bestimmung hin gesehen das ›Uneigentliche‹, das im Grunde ›Unwirkliche‹.«

Die konsequente sich daraus ergebende Schlussfolgerung, wiederum mit Greshake (2008, 199) formuliert: »Wahres, wirkliches Sein schließt Beziehung aus; wahres und wirkliches Sein heißt für das antike Denken ›In-sich-Sein‹ und ›Für-sich-Sein‹. … Denn zur Beziehung gehört ja notwendig Vielheit, gehören wenigstens zwei, die miteinander in Relation und in veränderlicher Reziprozität stehen. … Wahres Sein ist – in einem Wort gesagt – substanzielles Sein.«

Demgegenüber wird in der jüdisch-christlichen Überlieferung die – für nicht-biblische Geistestraditionen – ungeheuerliche, ja geradezu skandalöse Ansicht vertreten, dass sich das im antiken Verständnis Eigentlich-Dauernde, Allgemeine, Unvordenkliche und Unsagbare, eben das Sein Selbst, als ICH-BIN namentlich geoffenbart und somit anrufbar gemacht hat. 1 Um diesbezüglich ein Zitat von Ratzinger zu wiederholen: »Die Paradoxie des biblischen Gottesglaubens besteht [demnach] … darin, daß das Sein als Person und die Person als das Sein geglaubt wird.« Mit anderen Worten: Das Sein selbst, also das Nicht-Gewordene und Nicht-Vergehende, wird hier gleichgesetzt mit Personalität. Im Christentum erfährt diese Ansicht schließlich eine weitere radikale Zuspitzung, als hier nicht nur das Sein als Person, sondern zudem das Sein als Person, die Mensch geworden ist, als menschgewordener göttlicher Logos geglaubt wird, – in Gestalt des Jesus von Nazareth, der auf die Bemerkung, ob ihm nicht Abraham zeitlich voraus sei, die verblüffende Antwort gibt: »Ehe Abraham ward, bin ich.« 2 Vor diesem Hintergrund entwickelt die frühe Kirche das Dogma der Trinität: Gott als der Eine im Wesen, aber unterschieden in den drei Personen. »Der Gott der Christen ist infolgedessen keine einsame Monade, … [sondern] ist vielmehr sich ereignende Gemeinschaft, communio und communicatio – in sich selbst und in seinem So lautet bekanntlich die Übersetzung des alttestamentlichen Gottesnamens Jahwe (JHWH), den Moses nach jüdischer Überlieferung am Berg Horeb empfing (Ex 3,14). 2 Joh, 8, 58. 1

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Verhältnis zur Menschheit.« (Greshake 2008, 200) Dies führte, um noch einmal Greshake (ebd., 200) zu zitieren, »zu einem völlig neuen … Wirklichkeits- und damit auch Kommunikationsverständnis. Denn wenn Gott nicht die eine unwandelbare Monade ist, sondern sich mitteilendes Leben, Beziehung, Communio, dann ist das, was bei Aristoteles den geringsten und schwächsten Seinsbestand hat, die Beziehung, das wahre Wesen allen Seins. Sein ist Beziehung, Mitsein, Miteinandersein, ›Vernetztsein‹, kurz: Kommunikation.« Dieses neue christliche Seins- bzw. Gottesverständnis hatte auch für das Selbstverständnis des Menschen insofern Konsequenzen, als diese trinitarisch-relationale Grundbestimmung nicht nur von Gott selbst galt, sondern »von allem was ist, weil alles nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen [gedacht] wurde.« (Greshake 2008, 203) Weil nun der Mensch als Ähnlichkeit – als Bild Gottes – erschaffen gedacht wurde, war es konsequent, dass sich »erstmals ein Personbegriff ausgebildet hat, der nicht nur die Einmaligkeit des Menschen betont, sondern auch dessen Mitkonstituiertsein durch andere.« (Greshake 2008, 203) Kurz: Der Glaube der Christen an den dreieinen Gott ist insofern gerade nicht der Glaube an drei göttliche Individuen im Sinne dreier Monaden oder dreier Götter (das ist die Kritik des Islam am Christentum). Das wird schon am – aus dem Griechischen entlehnten – Begriff der Person deutlich. Dieser dient vorerst gar nicht der Kennzeichnung des Menschen, sondern der Bemühung, das Mysterium des dreipersonalen Seins sprachlich auszudrücken. Person meint dabei Relation, reines Bezogensein. Eine Person ist in diesem Verständnis ein Widerspruch in sich. Person-Sein meint per definitionem Bezogen-Sein auf eine andere Person. Insofern kann man sagen: Gemäß christlicher Überlieferung wird Sein nicht nur als Ich gedacht, sondern zudem als Wir. Erst in einem zweiten Schritt wird der Begriff der Person auch auf den Menschen übertragen: Der Mensch ist Person, weil er als Abbild des dreieinen personalen Seins verstanden wird. Vor diesem Hintergrund wird zumindest erahnbar, welch umwälzender Wandel sich von der Antike hin zur im Werden begriffenen christlich-abendländischen Kulturtradition in Bezug auf das Seins- bzw. Menschenbild sowie dem damit verbundenen Kommunikations- und Erkenntnisverständnis vollzog.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

2.

Die Resubstanzialisierung des Subjektverständisses im Gefolge von Augustinus

Dieses personale Verständnis von Sein/Gott und Mensch war so neu, dass es Jahrhunderte dauerte, bis es dogmatisch ausformuliert war; und so revolutionär, dass man verstehen kann, warum es nicht gleich in seinem ganzen Umfang bzw. in letzter Konsequenz erfasst wurde; insbesondere wenn man bedenkt – um dies noch einmal extra hervorzuheben –, dass sich dieser Verständniswandel im Umfeld der griechisch-römischen Antike vollzog, d. h. einer Nicht-Wortoffenbarungskultur, in der das Sein gerade nicht relational bzw. personal, sondern substanzial verstanden – und dementsprechend der Mensch primär als Individuum, als eine für sich stehende einzelne »Ich-Substanz«, aufgefasst – wurde, zu der das Element des Relationalen, des Bezogenseins, der Kommunikation, bloß hinzukommt, während es bei der Person konstitutiv ist. Genau auf diese kulturbedingten Differenzen bzw. damit verbundenen Schwierigkeiten verweist Ratzinger, wenn er im Bezug auf Augustinus, also jenen Kirchenlehrer, der im ersten Jahrtausend christlicher Zeitrechnung als die theologische Autorität betrachtet wurde, schreibt: »Augustinus hat … die Übertragung [der] … theologischen Aussage [der Dreipersonalität Gottes] in die Anthropologie ausdrücklich vorgenommen, indem er den Menschen als Abbild der Trinität zu beschreiben und ihn von diesem Gottesbegriff her zu verstehen versucht. Aber er hat dabei leider eine entscheidende Verkürzung vorgenommen, … insofern er die göttlichen Personen [zwar] in das Innere des Menschen hineindeutet, als ihre Entsprechungen innerpsychische Vermögen annimmt, … den Menschen insgesamt [jedoch] in Entsprechung zur Substanz Gottes setzt, so daß der [relationale] Personbegriff nicht in seiner unmittelbaren Wucht ins Menschliche übertragen wird.« (Ratzinger 1973, 215)

So konnte es kommen, dass sich – was das Verständnis des Menschen anbelangt – in weiterer Folge der abendländischen Geschichte doch (wieder) das antike Individuums- bzw. Substanz-Verständnis durchsetzte; jetzt allerdings versehen mit einem »Upgrade« als Ähnlichkeit des Absoluten, d. h. als – weltlich gesehen – autonomes Subjekt. 3 3 In weiterer Folge wird diese Gleichsetzung von Person mit Individuum seinerseits auf den christlichen Gott gleichsam rückprojiziert – mit der Folge einer zunehmenden Unverständlichkeit des Dogmas der Trinität. Darauf Bezug nehmend schreibt Karl

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Die Resubstanzialisierung des Subjektverständisses im Gefolge von Augustinus

Diese insbesondere von Luther thematisierte Autonomie bzw. »Freiheit eines Christenmenschen« ist im Umstand begründet, dass sich das Christentum allein auf die Person des Gottmenschen stützt bzw. gründet. Anders ausgedrückt: die konkreten Rechts- und Sozialordnungen werden in der christlichen Tradition nicht mehr – wie bis dato – als sakral-göttliche Satzungen festgestellt bzw. festgelegt, sondern als Elemente, die – je nach den sozialen und politischen Gegebenheiten – frei gestaltet werden können. Vereno (1958, 90) drückt diesen Zusammenhang so aus: »Durch die Gründung ihrer Religion in der Fleischwerdung des Wortes [göttlichen Logos] wurden sie [die Christen] von allen einschränkenden Naturbindungen frei – von der Bindung an traditionelle [kulturbedingte] Gesellschaftsordnungen, volksgebundene Lehrüberlieferungen, an spezifische regionale Räume –, weil für die Christen die einzige Naturbindung die an die menschliche Natur des Erlösers ist.« 4

Die christliche Tradition ist in ihrer Grundstruktur demnach transkulturell. Sie kennt keine »kulturspezifischen Bedingtheiten« (wie alle anderen Religionen), weil die alleinige Stütze im gottmenschlichen Erlöser 5 besteht 6. Rahner im Hinblick auf die Theologie der Moderne, »daß die Christen bei all ihrem orthodoxen Bekenntnis zur Dreifaltigkeit in ihrem religiösen Daseinsvollzug beinahe nur ›Monotheisten‹ sind. Man wird also die Behauptung wagen dürfen, daß, wenn man die Trinitätslehre als falsch ausmerzen müßte, bei dieser Prozedur der Großteil der religiösen Literatur fast unverändert bleiben könnte.« (Rahner zitiert nach Greshake 1997, 15) 4 In analoger Weise heißt es bei Ratzinger (2007, 151): »Die konkreten politischen und sozialen Ordnungen werden [im Rahmen des Christentums] aus der unmittelbaren Sakralität, aus der gottesrechtlichen Gesetzgebung entlassen und der Freiheit des Menschen übertragen«. 5 Die Natur ist nach christlichem Verständnis auch nicht (mehr) »voll von Göttern«, wie etwa bei Thales von Milet (ca. 624–547 v. Chr.), nicht mehr voll von ungewissen Mächten, guten wie bösen, deren Geneigtheit es zu erwerben gilt. All diese anonymen Natur-Kräfte, Mächte bzw. Gottheiten gelten im Christentum als überwunden; auch die Notwendigkeit des Opfers, da sich – gemäß christlicher Lehre – Gott in Jesus Christus selbst geopfert und durch sein stellvertretendes Leiden ein für allemal alle Schuld aller Menschen gesühnt, jeden Einzelnen freigekauft hat. 6 Diese »transkulturelle Freiheit« des Christentums wird sofort deutlich, wenn wir uns – einem Beispiel von Ratzinger folgend – etwa dem Judentum bzw. dessen sozialen Gesetzen zuwenden. »Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.« So lautet bekanntlich das 4. Gebot des mosaischen Gesetzes. Es stellt damit die Gemeinschaft der Familie bzw. der Generationen des auserwählten Volkes als eine gottgewollte und geschützte soziale Ordnung

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Dieser Freiheit wird sich der abendländische Mensch vermehrt bewusst in der Renaissance. Ein exemplarisches Beispiel dafür bildet – wie oben schon kurz erwähnt – Pico della Mirandola (1463–1494), der in seinem Traktat De hominis dignitate (Über die Würde des Menschen) geradezu programmatisch feststellt, dass es die Natur des Menschen sei, keine (feste) Natur zu haben (vgl. Mirandola 1997). Damit entwirft er den Menschen als das freie Wesen schlechthin; als den wesenhaft Freien zur Gestaltung alles Mitgeschaffenen. Wichtig ist dabei mitzu(be)denken, dass Pico seinen Entwurf gerade nicht anti-theologisch – im Sinne eines Humanismus ohne Gott – (dies kommt erst später mit der Aufklärung) versteht; vielmehr betrachtet er das Christentum als den religiösen Garant höchster Freiheit und den Menschen als secundus deus, als zweiten Gott 7. Der Mensch – als Krone der Schöpfung – wird insofern als jenes freie Wesen gesehen, das der Schöpfer zur Hege und Pflege der übrigen Schöpfung – im weitestgehenden Sinne – frei ließ, damit er den Auftrag Gottes übernehme (vgl. Gerl-Falkovitz 1994a). Dieses Freiheitselement bzw. Freiheitspotenzial wird nun im Zuge der Moderne ebenfalls säkularisiert, ja geradezu zu einem Freiheitspathos verklärt. Frei ist der Mensch nun nicht mehr als der vom

auf. In diesem Sinne schreibt der jüdische Rabbi Jakob Neusner (1997, 59 f.): »Wir beten zu dem Gott, den wir – am Anfang – durch das Zeugnis unserer Familie kennen, zum Gott Abrahams, Saras, Isaaks und Rebekkas, Jakobs, Leas und Rahels. Um zu erklären, wer wir, das ewige Israel, sind, verweisen die Gelehrten auf unsere Abstammung, auf fleischliche Bande, auf den Zusammenhalt der Familie als Grundlage für die Existenz Israels.« Genau diesen soziokulturellen Zusammenhang stellt nun – nach Neusner – Jesus prinzipiell in Frage, wenn er – als ihm gesagt wird, seine Mutter und seine Brüder seien draußen und wollten ihn sprechen – antwortet: »Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?« und die Hand über seine Jünger ausstreckend schließlich sagt: »Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen des himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.« (Mt 12, 46–50) Lehrt Jesus damit nicht, gegen die göttlichen Gebote zur sozialen Ordnung zu verstoßen?, fragt Neusner. Israels präzise Sozialordnung, die seinen Bestand durch alle Wirrnisse der Geschichte gewährleistet haben, werden durch Jesus beiseite geschoben. »Von dieser neuen Interpretation des 4. Gebotes ist nicht nur« – wie Ratzinger ausführt – »das Eltern-Kind-Verhältnis betroffen, sondern der gesamte Bereich der Sozialstruktur des Volkes Israel.« (Ratzinger 2007, 146) Wie wird diese neue Interpretation gerechtfertigt? Einzig allein durch den Anspruch Jesu, »mit seiner Jüngergemeinschaft Ursprung und Mitte eines neuen Israel zu sein«. (Ratzinger, ebd., 147) 7 Für die Hinweisung auf die Zitate von Pico della Mirandola danke ich Frau Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz.

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Die Reduzierung des zweidimensionalen Kommunikationsmodells

menschgewordenen Gott Befreite, sondern als der sich selbst von aller Unterdrückung und Knechtung durch andere Befreiende. Dieses Vermögen des freien Umgangs mit der entgöttlichten Natur birgt indes auch ein Gefahrenpotenzial: das der willkürlichen Bemächtigung der Natur; der Mensch will zunehmend wissen, wie die Natur funktioniert; er geht daran, sie zu vermessen. Die Vermessung macht jedoch bei Natur und Umwelt nicht halt; mit der Moderne beginnt sich der Mensch selbst zu vermessen. Deutlich wird diese »Geometrisierung des Menschen« etwa schon bei Vesalius (eigentlich Andreas Witinck; 1514–1564), jenem flämischen Anatom und Begründer der neuzeitlichen Anatomie, der an der Scholarenuniversität in Bologna schon ab 1539 öffentlich sezierte. 8 In seinem Hauptwerk De humanis corporis fabrica (1543), einem sorgfältig typographisch ausgestatteten Lehrbuch mit rund 200 zum Teil ganzseitigen Illustrationen, das von der Bemühung gekennzeichnet ist, den Körper des Menschen möglichst getreu wiederzugeben, vertritt Vesalius die – zu dieser Zeit noch nicht allgemein-akzeptierte – Überzeugung, allein der tote menschliche Körper sei der zuverlässige Weg zur Erkenntnis des Leibes. Damit wurde ein Themenfeld gestreift, dem das folgende Kapitel gewidmet ist: der Frage nach dem Geschichtsmächtigwerden des Buchdrucks im Zuge der anbrechenden Neuzeit.

3.

Die Reduzierung des zweidimensionalen sinnesorganischen Kommunikationsmodells auf ein eindimensionales im Verlauf des Spätmittelalters

Warum sind die modernen Massenkommunikationsmittel beginnend mit dem Buchdruck mit beweglichen Lettern ausgerechnet in Europa geschichtsmächtig geworden bzw. gerade mit dem 15. Jahrhundert? Mit dieser genauso zentralen wie selten relevant behandelten medien- bzw. kommunikationswissenschaftlichen Frage setzt sich Michael Giesecke insbesondere in seinem inzwischen längst zum über Die erste Vorlesung fand in der Bologneser Kirche San Salvatore statt, die anatomische Demonstration in einem eigens dazu errichteten Anatomischen Theater, unter dem sakralen Schutz der Kirche San Francesco.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

die Fachgrenzen hinaus bekannten Standardwerk Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (Giesecke 2006, zuerst 1992) eingehend auseinander. 9 Im Rahmen seiner Beschäftigung mit der oben genannten grundlegenden Frage der Medienwissenschaft nach dem Geschichtsmächtigwerden des Buchdrucks im Europa des 15. Jahrhunderts rückt Giesecke eine Reihe bis dato unverstandener mediengeschichtlicher Phänomene in ein derart neues Licht, dass er dadurch das gängige Verständnis der »Mediagenese« – also der Entstehung der modernen Massenmedien im neuzeitlichen Europa – prinzipiell in Frage stellt. Vorerst macht er die Brisanz des in Frage stehenden Sachverhaltes, warum der Buchdruck gerade zu Beginn des neuzeitlichen Europa zum kulturellen Durchbruch gelangte, dadurch deutlich, dass er die »Zusatzfrage« anschließt, warum dies nicht etwa in China oder Korea geschah, wo eine analoge Drucktechnik schon Jahrhunderte vor Gutenberg »gebrauchsfertig« zur Verfügung stand? Die vorherrschende Meinung der medienwissenschaftlichen scientific community dazu lautet(e): auch in Asien hätte sich die Druckkunst in gleicher Weise wie in Europa durchgesetzt, wäre diese nicht vom soziokulturellen Umfeld daran gehindert worden. Die große Erkenntnis Gieseckes besteht nun nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – darin, aufgezeigt zu haben, dass die Bedingungen für das Aufkommen des Buchdrucks im vormodernen Europa ideal(er) gewesen wären, sondern – genau umgekehrt – in dem er schlüssig darlegt, dass das kulturelle Umfeld im frühneuzeitlichen Abendland dafür keinesfalls förderlicher war als das in Asien, ja dass »die Buchdruckkultur in Europa mit noch weit größeren Hindernissen zu kämpfen hatte, diese aber in kürzester Zeit bewältigen konnte.« (Markus 2006, 139) Giesecke macht damit nicht nur deutlich, dass die bislang vorherrschende sozioökonomische Erklärung des Nicht-Geschichtsmächtigwerdens des Buchdrucks in Asien einer kritischen Analyse genauso wenig standhält wie die Ansicht des Zurückführens der Geschichtsmächtigkeit des Buchdrucks in Europa auf Dabei soll nicht verabsäumt werden, in diesem Zusammenhang auf die oben schon erwähnte Dissertation von Mark Markus Bild-Medien und Welt-Bild. Versuch einer geistesgeschichtlichen Kontextualisierung der Bild-Medien (Markus 2006) hinzuweisen, in der sich der Autor ebenso mit der thematisierten Fragestellung und Gieseckes erwähntem Standardwerk befasst, wobei es ihm teilweise gelingt, Gieseckes Gedankengang weiterzuentwickeln.

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Die Reduzierung des zweidimensionalen Kommunikationsmodells

passende sozioökonomische Bedingungen. Er öffnet(e) damit vor allem – wie Markus (2006, 139) schreibt – »den Raum für die Vermutung, die Geschichtsmächtigkeit des Buchdrucks sei in China und Korea vielleicht gar nicht ausgeblieben, sondern wäre auch unter idealsten sozioökonomischen Bedingungen nicht [nie] eingetreten«. Eine Einsicht, die mit kaum auslotbaren Konsequenzen verbunden ist. Damit war es nämlich einerseits nicht länger möglich, ganz selbstverständlich davon ausgehen, eine Buchdruckkultur etabliere sich überall dort, wo eine Gesellschaft auf einer bestimmten »Höhe der Entwicklung« angelangt sei. Gleichzeitig stand damit völlig neu in Frage, wie es zur Geschichtsmächtigkeit des Buchdrucks bzw. in weiterer (indirekten) Folge zur Genese der nachfolgenden »Massenkommunikationsmittel« (Zeitung, Zeitschrift, Radio, Fernsehen etc.) im neuzeitlichen Europa kommen konnte. Dass das Medium Schrift in vormodernen Kulturen eine – im Verhältnis zum aktuell gesprochenen Wort – nachrangige Bedeutung inne hatte, gilt als common sense in der Buchdruck- bzw. Schriftforschung. Doch aufgezeigt zu haben, warum dies so war, warum die europäische Vormoderne keine versteckte schriftliche Kultur darstellt, kann als weitere gravierende Einsicht Gieseckes angesehen werden. Diese gelang ihm dadurch, in dem er das Phänomen Schrift nicht aus der uns vertrauten Warte der Moderne, sondern vor dem Hintergrund der Vormoderne betrachtete. Der wesentliche Unterschied: Die vormoderne abendländische Kultur des Christentums stellt – wie wir wissen – eine Offenbarungs-Kultur dar, während die abendländische Neuzeit im Wesentlichen als eine Nicht-Offenbarungskultur anzusehen ist. Offenbarungskultur meint – noch einmal kurz wiederholt – die kulturprägende Ansicht, dass sich einerseits das Sein selbst den Menschen geoffenbart hat bzw. weiter offenbart, etwa mittels der als göttliche Schöpfung betrachteten Erscheinungswirklichkeit. Nicht-Offenbarungskultur meint im Gegensatz dazu die Ansicht, dass in der betreffenden Kultur die raumzeitliche Erscheinungswirklichkeit mit dem Sein selbst gleichgesetzt, also hier keine – wie immer geartete – Form von Offenbarung vorausgesetzt wird. Nachfolgende Graphik (Abbildung 28) soll diese prinzipielle Differenz veranschaulichen. Warum ist dies so entscheidend für das Verständnis des NichtGeschichtsmächtigwerdens des Buchdrucks im Mittelalter bzw. des Geschichtsmächtigwerden in der abendländischen Neuzeit?

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Zeit- / Raummächtigkeit

Raumzeitlichkeit

O f f e n b a r u n g s k u l t u r e n Sein We r d e n / Ve r g e h e n

Offenbarung

Religion

Säkuläre Nicht-Offb.-Kulturen

Abbildung 28: Offenbarungskulturen vs. Nicht-Offenbarungskulturen (nach Hamberger/ Pietschmann 2015, 131)

Dies ist deshalb so maßgeblich, weil es dadurch gelingt aufzuzeigen, dass Offenbarung bzw. die geschöpfliche Offenbarungsstruktur der Erscheinungswelt sowohl menschliche Rede als auch Schrift prinzipiell übersteigt. Der Theologe Ratzinger schreibt dazu: »Offenbarung besagt […] das gesamte Sprechen und Tun Gottes an den Menschen, sie besagt Wirklichkeit, von der die Schrift Kunde gibt, die aber die Schrift nicht einfach selber ist. Die Offenbarung überschreitet daher die Schrift im selben Maß, in dem die Wirklichkeit die Kunde von ihr überschreitet. … Als Wirklichkeit, die sich auf den Menschen hin im Glauben zuträgt, reicht sie […] über das vermittelnde Faktum der Schrift hinaus.« (Ratzinger 1965, 34 f.)

Damit entdeckt Giesecke den »Verständnisschlüssel« für das mittelalterliche Informations-, Kommunikations- und Erkenntnisverständnis. Auch (noch) bei Martin Luther bedeutet sein »Sola-ScripturaPrinzip« nicht, Erkenntnis ließe sich allein aus der (Heiligen) Schrift gewinnen ohne offenbarenden Beistand göttlichen Geistes. Flachmann (1996, 269) führt dazu aus: »Sowohl das mündliche und das gehörte als auch das geschriebene und gelesene Wort bleiben [bei Luther toter] Buchstabe, wenn ihnen nicht Gott

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Die Reduzierung des zweidimensionalen Kommunikationsmodells

selbst durch seinen Heiligen Geist Leben schenkt, das heißt die gläubige Annahme im Herzen, Gewissen oder Gehör gewährt. […] Entscheidend ist, daß das äußere Wort, welches entweder akustisch gehört oder gelesen werden kann, zum lebendigen inneren Wort wird.«

In diesem Sinne lesen wir auch bei Markus (2006, 146): »Weil die Offenbarung immer in Form der (sich von ihr emanzipierenden) Schrift zu erstarren drohte, wurde stets, auch von den höchsten Autoritäten, die unzureichende Rolle der Schrift bei Vermittlung der informativen Fülle (Offenbarung) akzentuiert.« Im Unterschied dazu ist für die gängige moderne Betrachtungsweise die Vormoderne nur insofern Offenbarungskultur, als Offenbarung mit schriftlich fixierter/tradierter Offenbarung gleichgesetzt wird. Gieseckes weitere Argumentation lautet mit Markus formuliert nun wie folgt: »Wenn der Schrift aufgrund des skizzierten Erkenntnis- und Informationsverständnisses im Mittelalter nur eine periphere Rolle zukam, musste ihre Aufwertung in der Neuzeit mit einer grundlegenden Umgestaltung dieses Verständnisses einhergehen.« (Markus 2006, 148) Genauer: mit einer fundamentalen Vereinfachung der Informations- und Erkenntnisweise gegenüber der vormodern-traditionellen. Mit anderen Worten: »Es geht [im Kontext der Durchsetzung moderner Massenmedien] nicht nur um die massenhafte Vervielfältigung und Verbreitung der schriftlichen Informationsmittel, sondern auch um die massenhafte Verstehbarkeit und Nachvollziehbarkeit (und in weiterer Folge Nützlichkeit) der darin gespeicherten Informationen – ein Aspekt, der … nicht [einfachhin] vorausgesetzt werden darf.« (Markus 2006, 149) Durch Gieseckes Arbeiten wissen wir, dass die damit verbundenen Voraussetzungen ein Spezifikum der europäischen Neuzeit darstellen. Warum? Weil er zeigen konnte, dass das vormoderne »Erkenntnis- und Informationsverständnis die wiederholbare oder [massenhafte] intersubjektive Information nicht nur erschwert, sondern geradezu ausschließt.« (Markus 2006, 151) Giesecke dazu wörtlich: »Das mittelalterliche christliche Kommunikations- und Informationsmodell eignete sich, so läßt sich zusammenfassen, nicht zur Befriedigung der Ansprüche der [neuzeitlichen] Autoren und Leser […]. Die ›Offenbarung‹ ließ sich nicht operationalisieren. Das innere Auge folgt einem äußeren Zwang, seine Arbeit und damit auch die durch diese geschaffenen Informationen blieben außerhalb der Kontrolle [Wiederholbarkeit] der Erkenntnissubjekte.« (Giesecke 2006, 587)

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Mit anderen Worten: Zur Etablierung der Buchkultur war es nötig, die bislang gebräuchliche Vorstellung eines – was die Erkenntnis anbelangt – zweidimensionalen Sinnesorganmodells (innere und äußere Sinne, wobei die inneren Sinne die eigentlichen Erkenntnisorgane darstellen) auf die äußeren Sinne zu reduzieren. Giesecke bemerkt dazu wörtlich: »Um die Probleme zu verstehen, die von den Menschen in der frühen Neuzeit zu überwinden waren, um das typographische System mit nützlicher Software zu versorgen, reicht es aus, sich klarzumachen, daß für dieses mittelalterliche Kommunikations- und Erkenntnismodell zwei völlig unterschiedliche Klassen von Sensoren und Informationen … konstitutiv sind. […] [D]as Erkenntnismodell ist zweidimensional und unerhört komplex angelegt, es besitzt eben nicht nur verschiedene Sensoren, sondern verschiedene Typen von Sensoren.« (Giesecke 2006, 582)

Markus (2006, 152) bemerkt dazu gleichsam ergänzend: »Wesentlich sind [im Kontext der menschlichen Erkenntnisvorgänge in der Vormoderne] zwei unterschiedliche Klassen von Erkenntnissensoren, mit denen der Mensch ausgestattet [gedacht] war: Einerseits fünf äußere Sinne für die Aufnahme der materiellen Welt, andererseits das innere Auge für die Aufnahme der Offenbarung Gottes. Die Gesamtheit der Erkenntnisse aus beiden Erkenntnissensoren bestimmt das Handeln des Menschen, der so in seiner Tätigkeit die Immanenz und Transzendenz miteinander vereinigt.« Der Vorgang der Reduzierung des bi- auf ein monosensorisches Erkenntnisverständnis 10 – unter weitgehender erkenntnistheoretischer Ausblendung der Dimension der Offenbarung – kann mit Giesecke demnach als die entscheidende Voraussetzung für die Etablierung moderner Massenkommunikation angesehen werden (vgl. Kap. B/IV/4).

»[A]uch das ›dritte Ohr‹«, schreibt Giesecke (2006, 583), »welches die psychoanalytische Erkenntnislehre nutzt, hört nur in sich hinein, es ist ein Sensor innerhalb des psychischen Apparates ohne Kontakt zu den Erscheinungen der Außenwelt.« Insofern ist es folgerichtig, dass heutzutage »innere Stimmen« praktisch ausschließlich als »interne psychophysische Prozesse« interpretiert werden, ohne eine andere Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen.

10

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Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

4.

Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

Im Kap. B/I/3b wurde dargelegt, dass Judentum und Christentum – in abgewandelter Form auch der Islam – von der Ansicht getragen sind, dass sich das Sein selbst eben als SELBST, als ICH-BIN geoffenbart habe und der einzelne Mensch deshalb als Ähnlichkeit dieses personalen Absoluten begriffen wird. Insofern kann Ebner feststellen: »Das ›Ich‹ ist eine spätere Entdeckung des auf sich selbst sich besinnenden menschlichen Geistes als die Idee. Die antike Philosophie wusste noch nichts von ihm. Denn es wurde erst durch den Geist des Christentums … dem Menschen zu Bewusstsein gebracht.« (Ebner 1963a, 84; Kursiv. E. H.)

Mit anderen Worten: Die jüdisch-christliche Überlieferung bildete den Ermöglichungsgrund für die »Entdeckung des (ewig dauernden) menschlichen Ich«. Warum? Eben weil die christliche Tradition jeden einzelnen Menschen nicht nur als Geschöpf, sondern zudem als »Abbild Gottes« versteht. Mit der Neuzeit geschieht im Rahmen der abendländischen Kultur in weiterer Folge nun etwas Erstaunliches: Einerseits vollzieht sich im Verlauf von Säkularisierung, Humanismus, Aufklärung, dem Werden der modernen (Natur-)Wissenschaft (und damit verbundenem Fortschrittsdenken) eine Emanzipation von den jüdischchristlichen geistigen Wurzeln bzw. den damit verbundenen Anschauungen. Andererseits wird das mit dem Christentum verbundene Verständnis des Menschen als Ähnlichkeit des »absoluten Ich-Bin« gerade nicht aufgegeben – was an sich der Fall sein müsste, wenn man sich von der christlichen Überlieferung lossagt. 11 Allmählich schälte sich so jenes neuzeitliche Ich-Verständnis des

Denn mit der Überwindung bzw. dem Lossagen von religiösen Wirklichkeits- und Wertvorstellungen ist auch die Vorstellung eines dauernden Ich bzw. – theologisch ausgedrückt – »ewigen Lebens« nolens volens passé. Treffend bringt dies Marianne Gronemeyer in ihrem Band Leben als letzte Gelegenheit zum Ausdruck, wenn sie bezüglich des Lebensgefühls der Moderne den Satz formuliert: »Die Gattung hat Zeit, der einzelne nicht.« (Gronemeyer 1992, 131) In diesem Sinne lässt sich hinsichtlich des Zusammenhangs »Ich und Dauer im Kulturvergleich« wie folgt differenzieren: In den Nicht-Wortoffenbarungskulturen wird das Ich weder als explizit dauernd noch als explizit nicht-dauernd verstanden, während es in den Wort-Offenbarungskulturen als explizit dauernd bzw. in den Nicht-Offenbarungskulturen als explizit nicht-dauernd aufgefasst wird (diese strukturelle Differenzierung verdanke ich Frau Anna Geltinger). 11

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Menschen heraus, das gemeinhin als autonomes Subjekt bezeichnet wird. Mit den Worten von Greshake (1997, 447): »In der Neuzeit wird als Einheitspunkt alles Wirklichen nicht Gott bzw. ein göttliches Absolutum, auf das hin alles Viele und Vielfältige [bzw. der Mensch als der Absolut-Ähnliche bzw. Ähnlich-Absolute] bezogen und reduziert wird, betrachtet, sondern das Subjekt selbst, das sich als eines, nämlich als Mitte und Einheitspunkt der Wirklichkeit setzt.«

Welche Folgen sind damit ihres verbunden? Evers formuliert die zentrale Konsequenz wie folgt: »Zu Beginn der Neuzeit wird der Andere zu einem Problem.« 12 (Evers 1979, 78; Kursiv. E. H.) Warum wird der Andere, gleichgültig wer diese(r) Andere jeweils ist, mit Beginn der Neuzeit zu einem (kommunikations- und erkenntnistheoretischen) Problem? Eben auf Grund der autonomen Subjektvorstellung. Dies wird deutlich, wenn wir das Zitat von Evers (1979, 78) weiterlesen: »Zu Beginn der Neuzeit wird der Andere zu einem Problem. Man ging von einem unbezweifelbaren, denkenden Ich aus und mußte von ihm [vom autonomen Ich] her einen Weg zum Anderen finden.« Oder an Heideggers epochemachendem Werk Sein und Zeit. Casper verweist darauf, dass »in dem fundamentalontologischen Entwurf Heideggers das Bedürfen des Anderen als des Anderen zunächst ausbleibt.« (Casper 1967, 355; vgl. dazu auch Theunissen 1965, 156 ff. bzw. Reemtsma 2000) Die Problemstellung lässt sich auch anhand von Georg Büchners Drama Dantons Tod gut darlegen, wo sich zwischen der Hauptfigur Danton und seiner Frau Julie folgender Dialog ereignet: »Julie: Glaubst du an mich? Danton: Was weiß ich. Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter. Wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab, – wir sind sehr einsam. Julie: Du kennst mich, Danton.

Drastisch drückt dies Jean-Paul Sartre aus, wenn er in einem seiner bekanntesten Sätze formuliert: »L’enfer, c’est les autres!« – »Die Hölle, das sind die anderen.«

12

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Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

Danton: Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Jahr und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieb Georg. Aber er deutet ihr auf Stirn und Augen da da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.« (Büchner 1992, 13; vgl. dazu auch Böning 2003, 5) Zum besseren Problemverständnis ist auch – wie so oft – ein Blick von außen hilfreich, d. h. in diesem Fall: durch einen Vertreter einer asiatischen Kultur. 13 Der ehemalige Direktor des Sony Research Center in Yokohama, Makoto Kikuchi, zeichnet nachfolgenden bildlichen Vergleich menschlicher Gemeinschaften (Kikuchi 1981, 44) (Abbildung 29). Dabei werden die Individuen durch Steine dargestellt, ihre Kommunikation durch Federn, die die Steine verbinden.

Abbildung 29: Westliche Moderne und Japanische Kultur im Vergleich (nach Kikuchi 1981, 44)

Im linken Teil a malt Kikuchi das Bild der japanischen, d. h. einer Nicht-Wortoffenbarungskultur; die Steine sind klein, die Federn stark. Dagegen sind im Bild der westlichen Gesellschaft (der NichtOffenbarungskultur der abendländischen Moderne) die Steine groß und die Federn schwach. Wörtlich bemerkt Kikuchi (1981, 45) dazu: »This is my image of the individualistic Western societies, where people see themselves more as distinct entities (the large stones), relatively weak coupled to their neighbours (by the weak springs).« (Ebd., 45) Das Schema von Kikuchi zeigt, dass spezifische Kulturen von bestimmten Fehlgestalten mehr herausgefordert sind als von ande13

Ich verdanke den Hinweis auf das Beispiel Prof. Herbert Pietschmann.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

ren; konkret die europäische Moderne durch ihr Konzept des autonomen Subjekts bzw. der damit verbundenen Problemstellung, wie das einzelne Subjekt zum Anderen kommen kann, genauer: wie man den Anderen in seiner Andersheit erkennen bzw. mit ihm insofern gelingend bzw. vorbildhaft kommunizieren kann. Greshake postuliert dementsprechend, dass unter Voraussetzung des autonomen Subjekts menschliche Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung »nur geschehen [kann] im dauernden Kampf gegen noch erfahrbare Fremdbestimmung …, [wobei] [d]ieser Kampf … nicht nur Beherrschung und Unterdrückung der umgebenden widerständigen … Natur [beinhaltet], sondern vor allem auch Beherrschung und gar, wenn möglich, Unterdrückung des anderen Menschen, insofern sich dieser ja gleichfalls als [absoluter] Einheitspunkt, d. h. als ein sich selbstbestimmendes Subjekt durchsetzen und behaupten will – gegen mich.« (Greshake 1997, 447 f.) Anders ausgedrückt: Vor dem Hintergrund des neuzeitlichen Subjektverständnisses bilde sich – zumindest tendenziell – quasi notwendig so etwas wie »die Atmosphäre einer alles ergreifenden Bemächtigungstendenz … [, d. h. ein] Macht- und Konkurrenzkampf der vielen Einzel- und Kollektivsubjekte: der Klassen, gesellschaftlichen Gruppen, Rassen und Nationen, von denen sich jedes selbst als (absoluter) Einheitspunkt setzen will.« (Greshake 1997, 448) Dass diese Sichtweise Greshakes keine Sondermeinung darstellt, vielmehr inzwischen als die – auch im wissenschaftstheoretischen Diskurs – weitgehend vorherrschende angesehen wird, machen die nachfolgenden Zitate deutlich. Rothe führt dazu aus: »Das heute in Medien, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft herrschende Menschenbild ist ein individuumszentriertes oder ›egomanisches‹.« (Rothe 2006, 4)

Norbert Bolz weist auf das egozentrische Verständnis aktueller Subjektkonzeptionen wie folgt hin: »Längst hat unsere Alltagskultur die mittelalterliche Sünde der ›incurvitas in se ipsum‹, also der grübelnden Versenkung in sich selbst, entübelt und sieht gerade hier den Heilsweg. … Spezifisch modern ist das deshalb, weil die Sinnkrise durch Selbstthematisierung entsteht. Man wird sich selbst zum Problem, weil man keine Aufgaben mehr hat, die einen von sich selber ablenken. Die Sinnfrage ist also der Kurzschluß des Menschen. Das hatte wohl Eric Voegelin im Sinn, als er von ›Egophanie‹ sprach.« (Bolz 2008, 47)

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Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

Wenn der eingangs dieses Kapitels zitierte Evers in seiner Problemanalyse schließlich wie folgt fortfährt: »Zu Beginn der Neuzeit wird der Andere zu einem Problem. Man ging von einem unbezweifelbaren, denkenden Ich aus und mußte von ihm her einen Weg zum Anderen finden. Die Lösungsversuche waren je nach der geistigen Grundhaltung rational, irrational, empirisch, idealistisch. Die Überbetonung des Ich im Deutschen Idealismus forderte dann als Reaktion das Aufgeben des Ich-Standpunktes heraus.«(Evers 1979, 78; Kursiv. E. H.),

so macht er damit deutlich, dass dem Verständnis des Menschen als »absolutem Subjekt« zugleich auch schon das Verständnis des Verlusts dieses Subjekts innewohnt. Entsprechende »Verlust-Anzeigen« lassen sich ohne Mühe beibringen. Eine der ersten stammt wohl von Georg Simmel. In seiner Philosophie des Geldes (1900) vollzieht Simmel – wie an anderer Stelle schon erwähnt – den selbst über Nietzsches Konzeption des »Übermenschen« hinausgehenden Gedanken, in dem er nicht länger ein dauerndes »Ich« – und sei es das Ich eines Übermenschen – voraussetzen zu können glaubt, sondern den quasi objektiven Wert der Wechselwirkung, die so in den Rang des metaphysischen Grundprinzips schlechthin erhoben wird. In diesem Gefolge sieht Bolz (1984, 294) übrigens auch die Kritische Theorie, deren eigentliches Ziel er nicht in der Befreiung des Subjekts, sondern vom Subjekt als dem letzten Mythos erblickt, im Sinne »opferloser Nichtidentität«. Wie geht nun die aktuelle Kommunikationswissenschaft mit der »Problematik des Anderen« theoretisch um? Denn die – wie Rothe (2006, 29) schreibt – »Erfassung der Dynamik des Verhältnisses des Einen zum Anderen« stellt ja eine ihrer erkenntnistheoretischen Kerngebiete dar. Im Großen und Ganzen lassen sich dabei zwei Ansätze unterscheiden: ein individuumszentrierter und ein sozial- bzw. relationszentrierter. Gemäß individuumszentriertem Ansatz ist – wie Rothe (2006, 32) bemerkt – »das Individuum alleine vollständig, nicht ergänzungsbedürftig.« Bei dieser Art von Konzeption wird davon ausgegangen, dass der Mensch zwar ein Sozialwesen darstelle, im Grunde aber keiner permanenten essenziellen Ergänzung bedürfe, er also nicht notwendig stets auf Kommunikation angewiesen sei. Solche Ansätze können – im Anschluss an Leibniz – als »monadisch« bezeichnet wer243 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

den und stehen vor der Herausforderung aufzuzeigen, was Kommunikation zwischen zwei sich im Grunde selbst genügenden, alleine vollständigen Individuen meint bzw. wie diese möglich sein soll. Ganz anders stellt sich die Situation beim sozio- bzw. relationszentrierten Ansatz dar. Hier kann zwar die unabdingabre Notwendigkeit von Kommunikation gut herausgestellt werden, doch lässt sich nun die Invidualität des Einzelnen nicht eigentlich theoretisch fassen. Kurz: Kommt es bei den individuumszentrierten Ansätzen zur kommunikationstheoretischen Vernachlässigung des Sozietätsaspekts, so bei den relationszentrierten zur Vernachlässigung des Personalitätsaspektes. Rothe (2006, 43) zeigt das diesbezügliche Dilemma anhand des Ansatzes von Gergen auf: »Entweder bringt er [Gergen] nachträglich zwei Individuen in Beziehung, die zuvor als unabhängig voneinander gesetzt wurden oder aber er ›vernichtet‹ das Individuum und setzt es stattdessen als individuelles Moment eines sozialen Prozesses. Dann kann aber nicht mehr ernsthaft von Relationalität die Rede sein.« In ähnlicher Weise stellt Jacob (2004, 189) die Frage: »Was ist der Mensch, wenn er in jeder Hinsicht als relational beschrieben wird? Wo bleibt das Einzigartige eines jeden Menschen?« (Vgl. dazu auch Manella 2003) In diesem zweitgenannten »theoretischen Fahrwasser« ist wohl auch Niklas Luhmanns Systemtheorie anzusiedeln. Hören wir dazu noch einmal Rothe (2006, 130): »Irritierend an Luhmanns Ansatz ist der konsequente Verzicht auf den Subjektbegriff. Stattdessen ist die Rede von abstrakten Subjekt-Aktanden wie ›Differenzierung‹, ›System‹, ›Operation‹ etc., die ›wählen‹, ›entscheiden‹ oder ›verhindern‹. Dieser Versuch der Negation des individuellen Subjekts muss allerdings letztlich scheitern, weil er schon sprachlich nicht möglich ist.«

Handlungen sind demnach primär bzw. letztlich System-Elemente und keine Kommunikations-Akte individueller Subjekte. Konsequent gedacht gibt es – so Rothe (vgl. 2006, 107) sinngemäß – den Menschen als kommunizierendes Subjekt bei Luhmann nicht mehr, sondern dieser wird auf ein psychisches bzw. neurophysiologisches System reduziert. Ähnlich stellt sich die Lage beim Kommunikationsansatz von Merten dar: Kommunikation bildet hier – in Anlehnung an Luhmann (vgl. Luhmann 1987 bzw. Luhmann 2009) – das kleinste soziale System (vgl. Rothe 2006, 130 f.). 244 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

5.

Genese und Siegeszug der modernen Wissenschaft(lichkeit)

Obwohl Ansätze moderner Wissenschaftlichkeit bereits im antiken Hellas zu verorten sind (vgl. Vereno 1966b, 9), gilt es dennoch festzustellen, dass jene Erkenntnisweise, die als »wissenschaftlich« bezeichnet wird, eine kulturgeschichlich singuläre Erscheinung darstellt, die (spätestens) mit dem 17. Jahrhundert in Europa ihren Ursprung hatte. Die Genese moderner Wissenschaftlichkeit war dabei alles andere denn eine lineare bzw. eine direkt angestrebte. Auch ihr Entstehungskontext ist vielschichtig und kann im Folgenden nur partiell nachgezeichnet werden. Dazu gilt es etwas auszuholen: Ein (mit-)auslösender Faktor dieses Geschehens war die kirchliche Kalenderreform zu Beginn der Neuzeit. Seit 1500 Jahren war zu diesem Zeitpunkt der Julianische Kalender in Gebrauch, der die Grundlage der Zeitrechnung bildete. Bedingt durch dessen relative Ungenauigkeit hatte sich ein damit verbundener Berechungsfehler aufsummiert, sodass der Kalender inzwischen um zehn Tage falsch ging. Das war nicht nur für die Landwirtschaft – die sich damals viel stärker an den Kalender gebunden sah als heute – ein zunehmendes Problem, sondern vor allem im Hinblick auf die beweglichen kirchlichen Feste, speziell Ostern und Pfingsten. Obwohl Nikolaus von Kues, damals Bischof von Brixen, schon im 15. Jahrhundert (1436) vorschlug, zum Zwecke der einfacheren Neuberechnung des Kalenders anzunehmen, dass die Sonne im Mittelpunkt stehe und die Erde sich gemeinsam mit den anderen Planeten um sie bewege, fand dieser Impuls erst Beachtung, als ca. hundert Jahre später der Frauenburger Domherr Nikolaus Kopernikus diese Idee wieder aufgriff. 1543, in seinem Todesjahr, erschien sein diesbezügliches Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium Libri VI (Über die Kreisbewegung der Himmelskörper in sechs Büchern). Da die von Kopernikus vorgelegte Ansicht einigen Bibelstellen aus dem Alten Testament widersprach, kam man in den Reihen der kirchlichen Vertreter auf die praktikable Idee, zwischen Wahrheit und Hypothese zu unterscheiden. Hypothesen, so die Überlegung, konnten von jedermann – ohne Sanktionierungsgefahr – aufgestellt werden, weil sie lediglich nach praktischen Kriterien zu beurteilen waren und zudem prinzipiell als allesamt falsch eingestuft wurden, weil sie sich nicht auf das Ganze bezogen. Erst wer öffentlich die in der Bibel tradierte

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Wahrheit in Zweifel zog, hatte mit inquisitorischen Maßnahmen zu rechnen. 14 (Vgl. dazu generell: Pietschmann 2009c) Genau diese von der Kirche eingeführte Differenzierung zwischen Wahrheit und Hypothese sollte in der Folge zur Ausbildung moderner Naturwissenschaftlichkeit führen. Die Zentralgestalt dabei: Galileo Galilei (1564–1641). Eine nähere Betrachtung zeigt, dass Galilei nicht jener »Erkenntnis-Revolutionär« war, als der er meist herhalten muss, um den »Gründungsmythos der Neuzeit« (Hattrup 2001, 128) mit einem Gesicht zu versehen. Er hat in seinen Schriften nie die Wahrheit der christlichen Tradition in Zweifel gezogen. Vielmehr war es Galilei vor allem darum zu tun, aufzuweisen, dass hypothetische Annahmen nicht prinzipiell (gleich) falsch seien, sondern mit Hilfe der Erkenntnismethode des Experiments in den Rang von ›Wissen‹ gehoben werden können. 15 Mit anderen Worten: Galilei trat dafür ein, verschiedene Hypothesen mit Hilfe experimentellen Handelns auf ihre »Stimmigkeit« zu überprüfen, um so zwischen stichhaltigen und nicht-stichhaltigen Hypothesen differenzieren zu können. Auf diesem Erkenntnisweg können Hypothesen »zwar keinen Wahrheitsgehalt beanspruchen, aber die nicht [experimentell] widerlegten sind auch nicht mehr beliebige Hilfsmittel, sie erhalten eine neue Qualität, sie beschreiben das ›Wissen‹ oder die ›Kenntnisse‹ über die materielle Natur.« (Pietschmann 2007, 87 f.) In dieser Umwandlung der Differenz »Wahrheit-Hypothese« in die Differenz »Wahrheit-Wissen« erblickt der WissenschaftstheoretiAuf diesen Zusammenhang hinweisend, schreibt der Wissenschaftshistoriker Owen Gingerich: »Der Stein, an dem sich die Theologen stießen, war nicht das kopernikanische System als solches – dies kann gar nicht genug betont werden. Vielmehr entzündete sich der Streit an der Methode, wie wahre Erkenntnis der Welt zu erlangen sei, und vor allem an der Frage, ob auf dem Weg zur Wahrheit das Buch der Natur in irgend einer Weise mit der unfehlbaren Heiligen Schrift in Konflikt geraten könnte.« (Gingerich 1982, 116) Den Hinweis auf dieses Zitat verdanke ich Prof. Herbert Pietschmann. 15 Pietschmann (2007, 83) drückt dieses Bestreben Galileis im Kapitel Galileo Galilei: Wahrheit versus Wissen seines Standardwerkes Phänomenologie der Naturwissenschaft wie folgt aus: »Galilei hatte nicht die Absicht, gegen die ›Eine Wahrheit‹ anzukämpfen, aber er wollte Hypothesen nicht als prinzipiell falsch abgewertet wissen. Wenn eine Hypothese vom Experiment unwidersprochen blieb, dann sprach Galilei von ›Kenntnis‹ oder ›Wissen‹ über die Natur. Die ›Wahrheit‹ bliebe davon unberührt, betonte Galilei.« 14

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Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

ker und Physiker Pietschmann (2007, 84) die eigentliche Geburtsstunde der modernen (Natur-)Wissenschaft. Wissen meint dabei allein Kenntnis hinsichtlich der Voraussagbarkeit von Ergebnissen von kausalen Ablaufsfolgen, jedoch keinerlei Erkenntnis eines Wesens von Dingen bzw. Erkenntnisgegenständen. Pietschmann (2009c) verweist auf diesen zentralen Umstand, wenn er explizit betont, dass gemäß dem Verständnis wissenschaftlicher Erkenntnis im Gefolge Galileis »nicht die Beschreibung [eines Phänomens] gesichert [ist], denn sie kann sich bei einem sogenannten Paradigmen-Wechsel grundlegend ändern. 16 Absolut verlässlich ist [einzig] das voraussagbare Ergebnis von Handlungsketten, unabhängig von der zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen, theoretischen Beschreibung! Damit ist gemeint, dass das Ergebnis einer Handlungskette immer dasselbe sein wird, unabhängig davon, mit welcher inhaltlichen Fassung der Naturgesetze diese Handlungskette beschrieben wird.« 17 Der zentrale mit Galilei verbundene Erkenntnisfortschritt hin zur Etablierung moderner Naturwissenschaftlichkeit bestand folglich darin, eine Methode entwickelt zu haben, die grundsätzlich nicht (wie Philosophie und Theologie) nach Wahrheit strebt, sondern das Streben nach gesichertem Wissen ermöglicht, wobei das Experiment das Prüfkriterium bildet, das Experiment als Handlung (vgl. Pietschmann 2005, 59 bzw. Kap. A/IX/9). In diesem Sinne bemerkt auch Vereno (1966b, 9):

Auf diesen zentralen – wenngleich wenig bewussten – Umstand verweist auch Tomiska (2010, 21), wenn er zur Thematik Moderne Materievorstellungen bemerkt: »Die moderne Physik verzichtet … auf jedwede Interpretation der Materie, wenngleich dieser Sachverhalt fast nirgendwo explizit ausgedrückt und im Forscheralltag häufig vergessen wird. Wir [Physiker] klammern absichtlich jegliche Überlegungen über das ›Wesen‹ oder die ›wahre Natur‹ der Materie aus. Wir untersuchen und erforschen nur die Eigenschaften der Materie und nicht ihr Wesen.« 17 Diesen Zusammenhang führt Pietschmann (2009b) anhand folgenden Beispiels näher aus: »Wenn wir etwa auf Grund der heutigen Fassung der Naturgesetze jene Handlungskette ausführen, die zur Herstellung eines bestimmten Stoffes führt, dann wird sich bei der Wiederholung dieser Handlungskette mit absoluter Sicherheit wieder derselbe Stoff einstellen, auch wenn inzwischen die inhaltliche Fassung der Naturgesetze ganz anders geworden ist. (Wenn es sich bei diesem Stoff etwa um die kritische Menge des Uranisotops 235 handelt, dann wird es auch in aller Zukunft zur gewaltigen Explosion kommen, selbst wenn dann die Physik einen völlig anderen Begriff der Materie entwickelt haben sollte.« 16

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

»Die moderne Wissenschaft ist … [gegenüber theologischer, philosophischer oder lebenspraktischer Orientierungserkenntnis] von Grund auf anderer Struktur. Sie beruht auf … dem Zusammenspiel von Experiment und Hypothese – diese ermöglicht das sinnvolle Arrangement eines Experimentes, dessen Ergebnis hinwiederum die Hypothese bestätigt, widerlegt oder korrigiert und zu neuer Hypothesenbildung anregt.«

Damit nun eine solche experimentelle Handlung Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen kann, muss sie nachgemacht werden können, reproduzierbar sein. 18 Aber selbst im Fall der Einschränkung auf die abiotische Materie ist die »wirkliche Welt«, etwa die Beschreibung des Verhältnisses Erde – Sonne, noch viel zu komplex, um zu exakten Ergebnissen zu kommen. Erst indem sich Galilei eines vereinfachten Modells bediente, wurden die (vorerst) materialen Gegenstände der mathematischen Analyse zugänglich. Insofern lässt sich sagen: Der Erfolg der naturwissenschaftlichen Methode beruht(e) gerade nicht auf einer möglichst genauen Beschreibung der Realität, sondern auf einer modellhaften Reduktion des jeweiligen Erkenntnisgegenstandes, wodurch eine mathematische Analyse möglich wurde. Carl Friedrich von Weizsäcker (1976, 107) drückt dies so aus: »Galilei tat seinen großen Schritt, indem er wagte, die Welt so zu beschreiben, wie wir sie nicht erfahren. Er stellte Gesetze auf, die in der Form, in der er sie aussprach, niemals in der wirklichen Erfahrung gelten und die darum niemals durch irgendeine einzelne Beobachtung bestätigt werden können, die aber dafür mathematisch einfach sind.«

Die ungeheure Novität dieser von Galilei kreierten Methode, mit Hilfe vereinfachter Modelle/Systeme Kenntnis über die Realität zu gewinnen 19, macht erneut Pietschmann (vgl. 2007, 86) deutlich, wenn Hierzu bietet Pietschmann (2005, 59 f.) folgendes illustre Beispiel an: »Wenn ein Chemiker zum Beispiel sagt, er habe zwei Substanzen zusammengeschüttet und herausgekommen ist ein wunderschöner roter Niederschlag, und ein anderer Chemiker hat auch einen roten Niederschlag bekommen, ihn aber nicht schön gefunden, dann ist das für die Reproduktion irrelevant. Man muß zum Beispiel auf einer Farbtafel eine Zahl angeben oder eine Wellenlänge. Und wenn ein anderer dieselbe Zahl bekommt, ist es reproduziert worden, unabhängig davon, ob er es schön findet oder nicht.« 19 Pietschmann nennt dieses – neben Reproduzierbarkeit und Quantifikation – dritte Element des Experiments Analyse und bemerkt dazu (2005, 60): »Galilei hat gesagt, alle Körper fallen gleich schnell. Das stimmt aber nur, wenn man sich die Luft wegdenkt. Man muss die Welt vereinfachen, um zu exakten Ergebnissen zu kommen. Ich nenne das die Analyse.« 18

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Der Andere wird in der Moderne zu einem Problem

er darauf hinweist, dass die dazu notwendige Mathematik (Differenzialrechnung, Variationsrechnung etc.) damals noch gar nicht erfunden war! Mit dieser geistesgeschichtlichen Skizzierung sollte u. a. auch deutlich werden, dass weder die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methode durch Galilei noch die von Descartes vorgenommene Unterscheidung zwischen Geist (res cogitans) und Materie (res extensa) notwendig zu jenem dramatischen Überlieferungsbruch bzw. dem damit verbundenem »Szientismus« führen musste, der sich im weiteren Verlauf der Neuzeit schließlich ereignete (vgl. Kap. B/III/7). Demzufolge ist durch die naturwissenschaftliche Methode im Gefolge Galileis und anderer vielmehr ein gänzlich neuer ErkenntnisModus kreiert worden, der bald nicht nur im Bereich des Materiellen bzw. A-Biotischen äußerst erfolgreich angewandt wurde, sondern schließlich auch in Kontexten des Lebendigen bzw. Menschlichen/ Geistigen. Daraus ergibt sich die in Kap. A/V/5 dargestellte Differenzierung zwischen richtig/falsch (Mathematik), gesichtertes/nicht gesichertes Wissen (Wissenschaft), wahre/unwahre Erkenntnis (Philosophie/Theologie/Lebenspraxis). Der Zusammenhang ist in Abbildung 30 noch einmal graphisch veranschaulicht.

Mathematik, Formalwissenschaften

Richtig

Naturwissenschaften, Kulturwissenschaften

Sicher Wahr

Philosophie, Theologie Lebenspraxis

Abbildung 30: Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen des Menschen nach Pietschmann (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 109)

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Solange der erkenntnishierarchische Primat von wahrer Erkenntnis gegenüber gesichertem Wissen und Richtigkeit unstrittig ist, können die damit verbundenen verschiedenen Weisen menschlicher Erkenntnis in harmonischem Miteinander problemlos koexistieren, ja geradezu miteinander prosperieren. Problematisch wird es erst in dem Moment bzw. in dem Maße, als gesichertes Wissen als eigentliches, »wahres Wissen« aufgefasst wird (siehe Kap. B/III/7).

6.

Der Seins-Grund wird materiell; Raum und Zeit werden absolut (gesetzt), Mensch-Sein wird »Sein-zum-Tode«

Zum besseren Verständnis, wie es im Verlauf der Neuzeit dazu kam, dass Materie zur eigentlichen Grundlage der Wirklichkeit erklärt wurde, eignet sich gut eine weitere Gründergestalt moderner Naturwissenschaftlichkeit: René Descartes. Mit seinem berühmten Cogito ergo sum, denkend (zweifelnd) bin ich, wollte er die unbezweifelbarevidente Grundwahrheit aufweisen, von der aus alles menschliche Erkennen seinen Ausgang zu nehmen hat. Doch dabei wurde nicht mitbedacht, dass mit diesem cogito immer nur die (zeit- und raumlose) Momentaufnahme eines individuellen Geistes gemeint sein kann. In weiterer Folge differenzierte Descartes bekanntlich zwischen res cogitans (dem Bewusstseinshaften, dem denkenden Sein) und res extensa (dem Ausgedehnten, der Materie); d. h. er sah Geist und Materie zwar als zu unterscheidende, jedoch nicht zu trennende Entitäten an. 20 Wie konnte es dazu kommen, dass es in weiterer Folge einerseits zur Trennung zwischen Geist und Materie bzw. zur Primärsetzung der Materie kommen konnte? Darauf gibt Pietschmann folgende plausible Antwort: »Obwohl Descartes durch seinen methodischen Zweifel eigentlich das Ich als denkendes Sein zur einzigen Gewißheit werden ließ, nahm die darauf Auf diesen wichtigen Sachverhalt verweist Carl Friedrich von Weizsäcker wie folgt: »In der Tat ist seine [Descartes’] Philosophie weder einseitig dem Geist noch einseitig der Materie zugewandt. Zwar hat er Geist und Materie scharf unterschieden, vielleicht schärfer als es je zuvor in der Geschichte der Philosophie geschehen ist. Aber er hat sie unterschieden, um dann auch die Art ihrer Beziehung zueinander ebenso scharf bezeichnen zu können. Historisch gehört er daher ebensosehr zu den Stammvätern des Methodenbewußtseins der Naturwissenschaft wie zu denen der Philosophie des Geistes.« (Weizsäcker 1976, 202).

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Der Seins-Grund wird materiell

folgende Entwicklung der Naturwissenschaft bald eine andere Richtung. Weil jedes der unzähligen ›Ichs‹ nur sich selbst gewiß sein konnte, war darauf eine allgemein verbindliche Wirklichkeit nicht zu gründen. In fast paradoxer Weise erklärt daher die Naturwissenschaft nicht das denkende Ich, wohl aber das ausgedehnte Sein, die Materie, zur eigentlichen Realität.« (Pietschmann 1990, 27)

Als sich zudem herausstellte, dass mit Hilfe der neuen naturwissenschaftlichen Methode (die vorerst nur auf Materie anwendbar schien bzw. angewandt wurde) großartige Erfolge zu erzielen waren, geriet das Phänomen Geist mehr und mehr außer Sicht, um schließlich entweder ganz geleugnet oder als Epiphänomen der Materie betrachtet zu werden. So konnte es kommen, dass sich das mechanistische Denken immer mehr durchsetzte und schließlich auch in den Bereichen des Lebendigen bzw. Humanen zunehmend Einzug hielt. Materie erschien nunmehr als das eigentliche Grundelement der Realität. Die aufs erste schwer zu erfassende Tragweite dieser Wende vom Geist- zum Materieprimat macht Ratzinger (1968, 119 f.) deutlich, wenn er dazu ausführt: »Was ist das eigentlich, Materie? Und was ist das: der Geist? Sehr abkürzend könnten wir sagen: Materie nennen wir ein Sein, das nicht selbst seinsverstehend ist, das also zwar ›ist‹, aber nicht sich selbst versteht. Die Reduktion allen Seins auf Materie als die primäre Form von Wirklichkeit behauptet folglich, daß den Anfang und den Grund allen Seins jene Form von Sein bildet, das nicht selber seinsverstehend ist: das heißt dann weiter, daß das Verstehen von Sein nur als ein sekundäres Zufallsprodukt im Lauf der Entwicklung sich einstellt.« 21

Vor diesem Hintergrund ist sowohl der bekannte Ausspruch von Rudolf Virchow, des berühmten Berliner Arztes und Entwicklers der Zellularpathologie: »Ich habe so viele Leichen seziert, aber nie eine Seele gefunden« (vgl. Hasslauer 2010) zu lesen wie das Statement von Juri Gagarin, dem ersten Raumfahrer im Weltall, der, nachdem er am 12. April 1961 als erster Mensch im Weltraum die Erde umkreist hatte, gesagt haben soll: »Ich bin in den Weltraum geflogen, aber Gott habe ich dort nicht gesehen.« 22 In diesem Zusammenhang erscheint schließlich die Erwähnung Basierend auf der entfalteten Definition von Materie beschreibt Ratzinger (1968, 120) Geist »als das sich selbst verstehende Sein …, als Sein, das bei sich selber ist.« 22 Es spielt dabei keine Rolle, ob Gagarin dies tatsächlich selbst gesagt hat oder ob es ihm aus ideologischen Gründen bzw. Propagandazwecken in den Mund gelegt wurde. 21

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

des Umstandes wichtig, dass man unter dem Primat der Materie praktisch genötigt ist, alles in den Kategorien von Raum und Zeit zu denken bzw. zu verorten, d. h. einer etwaigen Dimension der Raum-/ Zeitmächtigkeit 23 prinzipiell kein Platz mehr zugewiesen werden kann. Verkündet noch Newton in seinen Principia Mathematica: »Zeit, Raum, Ort und Bewegung, als allen bekannt, erkläre ich nicht« (Newton zitiert nach Heuser 2005, 140), wobei er an anderer Stelle seines Hauptwerkes die »wahre Zeit« mit dem Namen Dauer belegt (vgl. Newton 1963, 25), so wird um die Wende zum 20. Jahrhundert, als Einstein seine spezielle Relativitätstheorie vorlegt (1905) und damit die untrennbare »Verschränktheit« von Zeit, Raum und Materie postuliert, bereits ein sich ständig wandelndes Raumzeitkontinuum vorausgesetzt, in dem die Dimension der »Raumzeitmächtigkeit« – um es paradox auszudrücken – nicht mehr »Platz« hat. In dem Maße, als Materie als Grundelement der Wirklichkeit vorausgesetzt wurde, wie dies im Zuge der Moderne – gewissermaßen en passant – zunehmend geschah, musste schließlich der Seins-Grund nolens volens als unanrufbar gelten bzw. konnte schwerlich anders denn als »ES«, d. h. als irgendwie »dinghaft« angesehen werden. Dies wiederum hatte zur konsequenten Folge, dass als letztliche Instanz allen Handelns das individuelle Ich-Subjekt verstanden werden musste. Denn selbst wenn »der Wille das Absolute erstrebt« – wie Vereno (1960c, 500) schreibt –, »so wird dieses doch zum ›Es‹ gemacht; und da von diesem keine Antwort erfolgen kann, so muß er sich zwangsläufig zum Ich zurückwenden und dieses umkreisen. Auch wenn theoretisch nicht das Ich – als ›Selbst‹ – mit dem Absoluten in eins gesetzt wird, so wird doch auf jeden Fall praktisch das Ich verabsolutiert als der einzige wirklich verpflichtende Bezugspunkt des geistigen Strebens.« Schließlich wird – im Unterschied zu sämtlichen Offenbarungskulturen – bei Voraussetzung der Materie als Grundelement der Wirklichkeit Mensch-Sein »Sein zum Tode«, d. h. zu einem endgültigen Tod ohne »Jenseitshoffnung«. Treffend beschreiben diesen Kontext aus der Sicht der Nicht-Offenbarungskultur der abendländischen Moderne Gronemeyer in ihrem Band Leben als letzte Gelegenheit (1993) oder Peter Hodina in seinem Aufsatz Befristete Die jener Seinsdimension entspricht, die in der abendländischen Tradition für gewöhnlich als Ewigkeit bezeichnet wird.

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Die Verabsolutierung »gesicherten (wissenschaftlichen) Wissens«

Transgression. Die implizite Todesrevolute bei Faust und Don Juan (Hodina 1993).

7.

Die Verabsolutierung »gesicherten (wissenschaftlichen) Wissens« als einzig-eigentliche Form »objektiver« Erkenntnis

Wie in Kap. B/III/5 bereits ausgeführt: Solange die prinzipielle Differenzierung zwischen richtig, sicher und wahr unstrittig ist, stehen die mit Mathematik, (Natur-)Wissenschaft und Philosophie/Theologie/ Lebenspraxis jeweils verbundenen Erkenntnisvermögen und Erkenntnislimits des Menschen – zumindest strukturell – in wechselseitiger fruchtbarer Ergänzung zueinander. Wenn also Weber gleich am Anfang seines Werkes Non-dualistische Medientheorie schreibt, »Der folgende Text hinterfragt grundlegende Konsense des wissenschaftlichen Denkens. Ein – wenn nicht der Konsens ist die Subjekt/Objekt-Orientierung der Wissenschaft. Einerseits eine Orientierung am Dualismus von Subjekt und Objekt, von Ich und Welt, von Beobachter und Beobachtungsgegenstand. Andererseits aber auch – wenn man gleichsam das ›Subjekt‹ streicht – eine Objekt-Orientierung unseres Denkens. Damit ist gemeint, dass wissenschaftliches Denken immer auf (eine Welt der) Objekte gerichtet ist, auf die es sich bezieht. … Derlei Unterscheidungen sind nicht vom Himmel gefallen, gleichwohl scheint auf ihnen die gesamte abendländische erkenntnistheoretische Tradition aufzubauen.« (Weber 2005, 13),

so ist dabei präzise beobachtet, dass das abendländische Denken, insbesondere jenes der Moderne, nicht nur die kulturspezifische (natur-) wissenschaftliche Subjekt/Objekt-Orientierung hervorgebracht hat, sondern ebenso deren ubiquitäre Ausbreitung. Überzogen erscheint der Gedanke jedoch, wenn gleich die gesamte abendländische Erkenntnistradition in diese Richtung festgelegt wird. Darüber hinaus gilt es den Umstand nicht aus dem Auge zu verlieren, dass die Subjekt/Objekt-Erkenntnisstruktur nicht nur mit dem Bereich der Wissenschaftlichkeit verbunden ist, sondern eine mit dem Menschsein generell unabdingbar einhergehende Erfahrungs-Gestalt von Wirklichkeit darstellt. 24 Diesen Umstand macht Vereno deutlich, wenn er von der Begegnung mit einem Vertreter der nicht-dualistischen Kultur des Hinduismus, Prof. T. M. P. Mahadevan, wie folgt berichtet: »Als man Prof. Mahadevan, anläßlich seiner Gegenüberstellung

24

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Zu Schwierigkeiten (im Sinne Webers) kommt es erst bzw. in dem Maße, als die oben skizzierte hierarchische Struktur (wahr, sicher, richtig) nicht (länger) erkannt oder akzeptiert wird (was nicht unbedingt völlig bewusst geschehen muss) und etwa gesichertes wissenschaftliches Wissen – im Sinne Galileis – als eigentliches, »wahres Wissen« aufgefasst wird. Oder wenn in unadäquater Sprechweise mathematisch richtige Aussagen (z. B. 2 + 3 = 5) als wahre Aussagen, Naturgesetze als »Wahrheit« bezeichnet werden. Ein unrühmliches Beispiel dafür bildet nachfolgende Bemerkung Albert Einsteins im Vorwort zur deutschen Ausgabe des ersten Galileischen Hauptwerkes Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, wenn er dort schreibt: »Das Leitmotiv von Galileis Schaffen sehe ich in dem leidenschaftlichen Kampf gegen jeglichen auf Autorität sich stützenden Glauben. Erfahrung und sorgfältige Überlegung allein lässt er als Kriterien der Wahrheit gelten. Wir können uns heute schwer vorstellen, wie unheimlich und revolutionär eine solche Einstellung zu Galileos Zeit erschien, in welcher der bloße Zweifel an der Wahrheit von auf bloße Autorität sich stützenden Meinungen als todeswürdiges Verbrechen betrachtet und bestraft wurde.« 25 (Einstein zit. nach Galilei 1982, XII)

Ähnlich kritisch ist die Aussage Webers zu bewerten, wenn er – mit Bezug auf Mitterer – als eine der drei zentralen Gemeinsamkeiten (medien)wissenschaftlichen Denkens die »Orientierung der wissenschaftlichen Anstrengung an einem Ziel, nämlich dem der Wahrheit, verstanden als Übereinstimmung zwischen Erkenntnisprodukt (Aussage) und Erkenntnisgegenstand (Objekt)« benennt. (Weber 2005, 15) So geht etwa durch die Gleichsetzung von richtig und wahr die Differenz zwischen mathematischer (menschlicher) Konstruktion und Seinshaft-Vorgegebenem verloren. Die konstruierte Wirklichkeit »muss« dann praktisch nolens volens mit dem Sein schlechthin identifiziert und Materie allein als das »wahrhaft« Existierende gelten gelassen werden, wie in Abbildung 31 dargestellt.

des theistischen [an Wort-Offenbarung orientierten] und des nicht-dualistischen Denkens innerhalb der Hindu-Überlieferung darauf hinwies, daß er seinerseits ›dualistisch‹ spreche, gab er dies sofort zu: Unsere [menschliche] Sprache ist bereits ›dualistisch‹, die zweitlose letzte Wirklichkeit kann nicht unverfälscht ausgesagt werden.« (Vereno 1962b, 274) 25 Dies obwohl Galilei selbst nicht den Anspruch erhob, mit der von ihm kreierten wissenschaftlichen Methode Wahres bzw. Wahrheiten erkennen zu können.

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Die Verabsolutierung »gesicherten (wissenschaftlichen) Wissens«

»Mathemathisierung« der Wirklichkeit; Das formal Richtige wird mit dem Wahren gleichgesetzt. Richtig Sicher Wahr

Abbildung 31: »Mathematisierung« der Wirklichkeit als ErkenntnisGrenzüberschreitung (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 110)

Die Genese der modernen Wissenschaftlichkeit ist eng verbunden mit dem Streben nach einer »Mathematisierung der Wirklichkeit« bzw. der Entwicklung einer dementsprechenden Universalsprache. Dies lässt sich gegenwärtig sowohl im universitären Bereich konstatieren, etwa in Gestalt der aktuell beherrschenden Stellung der analytischen Philosophie oder im Mainstream der Biomathematik in den Lebenswissenschaften, als auch durch eine weithin beobachtbare Technisierung bzw. »Mathematisierung der Lebenswelt«. Damit ist nicht nur bzw. nicht in erster Linie die Entwicklung von modernen Kommunikationstechnologien respektive deren gegenwärtige Omnipräsenz gemeint 26 sondern der Umstand, dass beispielsweise in Wirtschaft und Politik Kommunikationshandlungen zunehmend auf Basis spieltheoretisch-mathematischer Grundlagen analysiert, prognostiziert, optimiert und schließlich operationalisiert werden. 27 Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf den kurz nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Aufsatz A Mathematical Theory of Communication (1948), verfasst vom Mathematiker und Elektrotechniker Claude Elwood Shannon (1916–2001), der zu diesem Zeitpunkt für die Bell Telephone Laboratories arbeitete, hingewiesen. Ein Jahr später erschien der Text – zusammen mit einem Aufsatz des Mathematikers Warren Weaver (1894–1978) – unter einem beinahe gleichlautenden Titel als Buch, das zahlreiche Auflagen erlebte (vgl. Shannon 1948 bzw. Shannon/Weaver 1972). Es wird von Baecker in seinem Band Kommunikation (2005) als eines der einflussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts herausgestellt. 27 Vgl. dazu Reisenbichler 2011. 26

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Erwähnenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch eine Beobachtung des Sprachwissenschaftlers Uwe Pörksen (vgl. 1988, 1994). Er beschreibt einen geistesgeschichtlichen Vorgang, bei dem Wörter aus der Umgangssprache – wie etwa Information, System oder Energie – im Bereich der Wissenschaften vorerst unter neuer bzw. reduziert-veränderter Bedeutung Verwendung finden, um schließlich – versehen mit der Aura der Wissenschaftlichkeit – in einer »Rückholphase« in die Alltagssprache reintegriert zu werden; nun allerdings als »entkontextualisierte«, singuläre Wortautoritäten, die als »pluripotente Füllwörter« beliebige Bedeutungen annehmen können (vgl. Pörsken 1988, 110). Auf Grund ihrer »semantischen Plastizität« spricht Pörksen hierbei von Amöben- oder »Plastikwörtern« ohne eigentliche Bedeutung. Diesen fehle sowohl die geschichtliche als auch die soziale Dimension. Deshalb biete deren Sprachgebrauch die Möglichkeit, lebendige (transkausale) Kommunikations-Kontexte in kausale Naturvorgänge umzudeuten. So entstehe auch von vielem Lebendigem und Geistigem die Vorstellung von dessen Quantifizierbarkeit. »Nicht nur ›Energie‹, ›Produktion‹, ›Konsum‹, auch ›Information‹ oder ›Kommunikation‹ erscheinen für unser alltägliches Bewußtsein zunehmend in der Dimension von Zahl und Statistik.« (Pörksen 1988, 112) Auf Grund der erwähnten Charakteristika hat es nach Pörksen für den Literaturwissenschaftler Sinn, von einer Mathematisierung der Umgangssprache zu sprechen. »Der Universalitätsanspruch der Mathematik« – so der Sprachwissenschafter noch einmal wörtlich – »hat nicht nur die Humanwissenschaften erreicht, er springt auch seit langem über in die Lebenswelt und spiegelt sich in der Sprache.« (Pörksen 1988, 112) Die gegenwärtig kulturprägendste »Erkenntnis-Grenzüberschreitung« stellt – wie oben schon kurz erwähnt – die »szientistische« dar. Hierbei wird dem Menschen die Wahrheits(erkenntnis-)fähigkeit abgesprochen 28 und insofern allein das »wissenschaftliche Wissen« als übersubjektiv-verbindliche Gestalt von Erkenntnis anerkannt. Dabei unterstützen sich zwei Vorstellungen in dynamischer Weise wechselseitig: Je mehr wissenschaftliches Wissen als die eigentliche Form von Erkenntnis erachtet wird, desto mehr führt dies zur Voraussetzung der Materie als eigentlichem Wirklichkeitsgrund. Je mehr wiederum Materie als Grundelement der Realität angesehen wird, desto mehr 28

Vgl. dazu etwa Ratzinger 2012, insb. 385–408.

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Die Verabsolutierung »gesicherten (wissenschaftlichen) Wissens«

kommt es vice versa dazu, dass wissenschaftliches Wissen in den Rang der eigentlichen und einzigen Form übersubjektiver Erkenntnis gehoben wird. So konnte es dazu kommen, dass mit dem 18. Jahrhundert in Europa in zunehmendem Maße nicht länger zwischen religiöser Wahrheit und gesichertem wissenschaftlichem Wissen unterschieden, sondern – wie Pietschmann (2009c) ausführt – »die Naturwissenschaft … zur neuen Religion erklärt [wurde], die nicht neben, sondern anstatt der ›alten‹ nunmehr das Weltbild zu bestimmen hatte«.

Richtig Sicher Wahr

Gleichsetzung des experimentell erprobten »gesicherten Wissens« mit wahrer Erkenntnis. Mathematik stellt eine Hilfswissenschaft dar.

Abbildung 32: Gesichertes Wissen als »wahre« Erkenntnis (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 112)

Fortan werden Sinn und Wahrheit innerhalb des »gesicherten Wissens« gesucht. Erst dadurch wird die Moderne nun zur Epoche der »Mythisierung von Rationalität« bzw. des »Szientismus« (vgl. dazu Vereno 1966a, Hommes 1981, Lübbe 1986). Erst dadurch kommt es nicht nur zum Siegeszug wissenschaftlichen Wissens bzw. der damit verbundenen modernen Technik, sondern darüber hinaus zum weltanschaulich-kämpferischen Positivismus. In unnachahmlicher Pointiertheit macht dies Dostojewskij in seinem Werk Die Brüder Karamasov deutlich, wenn er den aufkommenden szientistischen Geist des 19. Jahrhunderts mit Hilfe der Bemerkung zum Ausdruck bringt: »Die Chemie rückt an, Brüderchen, ja ja, die Chemie! Nichts zu machen, Ew. Hochehrwürden, Sie müssen zur Seite treten, die Chemie kommt.« (Dostojewskij zitiert nach Nigg 1986, 359)

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Damit geht das Bestreben einher, nun auch das Lebendige bzw. Geistige rein im Schema (natur-)wissenschaftlicher Kausalität analysieren zu können, d. h. auch alles Lebendige, ja selbst den Menschen – zumindest prinzipiell – als total erkennbar zu erachten. Dazu bemerkt Grätzel (1997, 89): »Der universale Kausalstil und seine Idealisierung der empirischen Forschung ist auch eine Ideologisierung … Geht man davon aus, daß alles im Stil wissenschaftlicher Kausalität zusammengehört, dann kann auf [personale] Erfahrung und Wahrnehmung verzichtet werden. Damit verschwinden ganze Welten aus dem Gesichtskreis der Forschung.« (Vgl. dazu auch Grätzel 2010) Anders ausgedrückt: Findet sich in Offenbarungskulturen (siehe Kap. B/I/3&7) eine Dreiheit von zentralen Erkenntnisvermittlungselementen: die überlieferte Lehre (»ES«), die (jeweilige) ReligionsGemeinschaft (»WIR«) und der persönliche geistige Meister (»DU«) (vgl. Sudbrack 1981), dementsprechend – als Erkenntnisvermittlungsstrukturen – sowohl one-to-many (die eine Lehre, die es an viele zu übermitteln gilt) als auch one-to-one (die persönliche Übermittlung von Lehrer zu Schüler 29), so stellt sich Erkenntnisvermittlung in der Nicht-Offenbarungskultur der wissenschaftszentrierten abendländischen Moderne völlig anders dar: Hier gilt es keine überlieferte Offenbarungserkenntnis (mehr) zu tradieren, sondern einzig (ständig wachsendes) »gesichertes Wissen« bzw. damit verbundenes Knowhow (»ES«) als zu übermittelnde »objektive« Erkenntnis; damit geht auch ein »Trivialisierungsprozess« von Erkenntnis einher (vgl. Tenbruck 1975). Dieses allgemeine gesicherte Wissen wird an viele übermittelt bzw. öffentlich zugänglich gemacht. Daher bildet die primäre und einzige Vermittlungsstruktur hier das einwegige bzw. monologische one-to-many! 30 Graphisch ist dies in Abbildung 33 dargestellt. ONE

to MANY

Abbildung 33: Erkenntnisvermittlungsstruktur one to many (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 135)

Dabei ist wichtig zu bedenken, dass hierbei die Ansicht vorherrscht, dass der Schüler den Lehrer »erkennt«, dieser insofern nicht als beliebig austauschbar gilt. 30 One meint hier das vom Menschen hervorgebrachte/gemachte gesicherte (wissenschaftliche) Wissen, das als vollständiger Ersatz für das vormalige religiöse »HeilsWissen« angesehen wird. 29

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Primat von Erkenntnis gegenüber Kommunikation

8.

Primat von Erkenntnis gegenüber Kommunikation im Geistesrahmen der Moderne als Folge der Absolutsetzung wissenschaftlichen Wissens

Als Folge der Primär- bzw. Absolutsetzung wissenschaftlichen Wissens als eigentlicher Gestalt menschlicher Erkenntnis kommt es – im Hinblick auf die Erkenntnis-Kommunikation-Relation – zu einem strukturellen Primat des Aspekts der Erkenntnis gegenüber jenem der Kommunikation, was wiederum ein vorwiegend technisch-instrumentelles Verständnis von menschlicher Kommunikation nach sich zieht. Dazu bemerkt Rombach (1977, 19) in seinem Beitrag Die Grundstruktur der menschlichen Kommunikation unter der Überschrift Ortung des Problems: »Ein Blick in die angeschwollene Literatur zur ›Kommunikationsforschung‹ zeigt, daß die an sich begrüßenswerten Bestrebungen in der Gefahr stehen, einen verengten und vereinseitigten Kommunikationsbegriff, wie er vor allem von den Ingenieurwissenschaften und von den Forschungen zur Massenkommunikation her bestimmt ist, zu etablieren.« (Vgl. dazu Eurich 1992) Auch Rühl (1999, 75) macht im Kapitel Neue Wissenschaft – neue Kommunikation – neue Gesellschaft seines Bandes Publizieren. Eine Sinngeschichte der öffentlichen Kommunikation anhand der Gestalt von Francis Bacon (1561–1626) deutlich, wie sich in der Moderne mit dem Erkenntnisverständnis auch das Kommunikationsverständnis gravierend wandelt, wenn er schreibt: »[Bacons] Empirisierung der Wissenschaft … hat erstaunliche gesellschaftliche Veränderungen zur Folge. Der Aufbruch aus dem feudalagrarischen Europa in die kapitalistisch-industrielle Weltordnung ist eng mit Bacons semantisch-sozialem Umbau von Kommunikation und Wissenschaft verbunden. Insofern bilden Denken und Werk Francis Bacons für eine Sinngeschichte des Publizierens besondere Dreh- und Angelpunkte.« 31 Bacon war Ende des 16. Jahrhunderts bereits ein Kind der aufkommenden Nicht-Offenbarungskultur der Moderne. Als vorrangiges gesellschaftliches Ziel sah er – als Politiker, der er auch war – die Erkenntnis der Natur, um diese dadurch besser beherrschen zu können. Demnach galt es, der Wirklichkeit ihre naturgesetzlichen Rühl verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf Bacons Schrift The Advancement of Learning (1605), in deutsch 1783 erschienen unter dem Titel Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Geheimnisse abzulauschen bzw. wenn nötig abzupressen. Das dabei gewonnene sichere Wissen sei schließlich dem Praktiker zum Zweck der sicheren Handhabung bzw. in weiterer Folge zum Zweck des allgemeinen Fortschritts bereitzustellen. Sein unbedingter Glaube an das kontinuierliche Wachstum des empirisch ermittelten Wissens – mit dem er die Forcierung der Naturforschung begründet – hatte konsequenterweise eine Funktionalisierung von Kommunikation (zum Zweck des Erkenntnisgewinns) zur Folge. Die aufkommenden Zeitungen bzw. sonstigen Periodika sieht er im Dienste der Informationsübermittlung bzw. des Wissenserwerbs. Mit Rühl (1999, 81) gesprochen: »Bacon stellt seine Untersuchungen der Zeitungen und der Rhetorik unter den Gesichtspunkt der Transmission.« Im Sinne des Wissensaustauschs befürwortet er auch die kontinuierliche Kommunikation zwischen den Forschern (vgl. Rühl 1999, 81). Wie im 18. Jahrhundert der Primat der Erkenntnis gegenüber der Kommunikation zunehmend in eine utilitaristische Handlungs- bzw. Kommunikationstheorie eingebettet wird, lässt sich anhand von Adam Smith (1723–1790) sehr gut zeigen, der zumeist nur im Zusammenhang der Ökonomie bekannt ist. Rühl (1999, 109) moniert, dass es Smith als Kommunikationstheoretiker noch zu entdecken gilt. 32 Smith denkt menschliches Handeln nicht wie sein neuzeitlicher Landsmann Hobbes als Kampf aller gegen alle, sondern als Kommunikation, als »Bühne der Begegnung«, auf der getauscht wird. Sympathie, Sprache und Tausch sind für ihn dabei die entscheidenden Größen. Vor diesem Hintergrund versteht Smith Markt nicht primär in einem engen wirtschaftlichen Kontext, sondern als Austausch von Gütern im weitesten Sinne. Er entwirft so eine marktförmige Kommunikationstheorie, die Georg Simmel um die Wende zum 20. Jahrhundert in seiner Theorie des Geldes zu Ende denken wird. Generell kann gesagt werden: Im Verlauf der Neuzeit wird die Bedeutung der modernen Massenkommunikationsmittel zum Zweck der Erreichung politischer Ziele zunehmend erkannt; dies nicht nur im Hinblick auf Zensur, sondern auch (schon) im Sinne positiver Imagepflege. 33 Rühl (1999, 109) verweist auf den Umstand, dass Smith in kommunikationswissenschaftlichen Standardwerken wie Littlejohns Theories of Human communication oder Burkarts Kommunikationswissenschaft nicht vorkommt. 33 Nessmann (2005, 405) verweist etwa darauf, dass schon Kaiserin Maria Theresia 32

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Primat von Erkenntnis gegenüber Kommunikation

Ein gänzlich anderes, wenngleich ebenso funktionales Verständnis von Kommunikation bzw. moderner Kommunikationsmittel gegenüber Erkenntnis vertreten Karl Marx sowie – in dessen gedanklichem Gefolge – Emile Durkheim, Max Weber, Ferdinand Tönnies oder Robert Ezra Park bis hin zu Jürgen Habermas. Hier wird die Funktionalisierung der Presse zum Zweck der »Herstellung gesellschaftlicher Öffentlichkeit« hervorgehoben. 34 Dahinter steht die aus der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts kommende Vorstellung, mit Hilfe der neuen Massenkommunikationsmittel vernunftbasierte Gesellschaften gestalten zu können. Bei Habermas findet sich dieses Funktionalisierungsmotiv von Kommunikation zum Zwecke der Förderung von Rationalität, Verständnisorientierung und Förderung hierarchiefreier Diskurse zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, wenn er die These vertritt, die Herstellung kommunikativer Öffentlichkeit solle als »Rationalisierung der politischen Herrschaft, als einer Herrschaft von Menschen über Menschen [dienen].« (Habermas 1962, 141 f.) Auch die anschließende Kritik von Habermas, dass die aufklärerische Idee der Benützung moderner Kommunikationsmittel zum Zweck eines herrschaftsfreien Diskurses durch einen (erneuten) Strukturwandel der Öffentlichkeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Folge zunehmender Zweckrationalisierung und eines organisierten Kapitalismus abgelöst worden sei, indem er beklagt, aus »Mitteln der Emanzipation« seien »Mittel der Manipulation« geworden, bleibt Habermas der Vorstellung des Erkenntnis-Primats gegenüber Kommunikation verhaftet. Selbst als – insbesondere nach dem 2. Weltkrieg – medienkritische Stimmen von bislang nicht gekanntem Ausmaß laut werden (vgl. Kap. B/V), wird hierbei vor allem die Struktur der modernen Bild-Medien als Konsumtions-Mittel kritisch reflektiert, jedoch nicht das weiterhin vorherrschende bloß »funktional-vermittelnde« Verständnis von Kommunikation.

(1717–1780) Informationsblätter verbreiten ließ, in denen die Bevölkerung über geplante Reformen »medial vorinformiert« wurde; etwa über die Einführung des allgemeinen Schulsystems. 34 So heißt es bei Marx: »Die freie Presse ist das überall offene Auge des Volksgeistes, das verkörperte Vertrauen eines Volkes zu sich selbst, das sprechende Band, das den einzelnen mit dem Staat und mit der Welt verknüpft …« (Marx zitiert nach Kleiner 2010, 90)

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

Das Gesagte wird gut anhand jenes schon oben skizzierten Schemas deutlich, demzufolge Kommunikation stets zugleich »Vermittlung von Etwas« und »Begegnung mit Jemand« bedeutet (Abbildung 34). KOMMUNIKATION (stets zugleich)

Vermittlung von ETWAS Technisches Übertragungsmodell

Begegnung mit JEMAND Personales Begegnungsmodell

Abbildung 34: Kommunikation: Stets zugleich Vermittlung und Begegnung (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 154)

Zwar müssen im Falle von Kommunikation stets beide Aspekte zugleich gegeben sein, jedoch nicht notwendigerweise gleich gewichtet. So lässt sich die kulturspezifische Gewichtung des Verhältnisses im Kontext der erkenntniszentrierten abendländischen Moderne wie in Abbildung 35 darstellen. KOMMUNIKATION (Gewichtung im Kontext der abendländischen Moderne)

Vermittlung von ETWAS

Begegnung mit JEMAND

Abbildung 35: Kulturspezifische Gewichtung (abendländische Moderne) Vermittlung/Begegnung (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 155)

9.

Säkulare Konzeptionen des »Neuen Menschen« im Kontext der Absolutsetzung »gesicherten Wissens« im Zuge der Moderne

Im Rahmen der vorliegenden Schrift geht es – mit Küenzlen formuliert – primär nicht um die Frage, »ob die Neuzeit als Abfall vom Christentum und als theologisch ›illegitime‹ Säkularisierung bestimmt wird oder eine vom Christentum hervorgebrachte … ›legitime‹ Kultur darstelle«, sondern in erster Linie um den Aufweis, dass »die neuzeitlich-okzidentale Kultur entscheidende Wurzeln im Christentum hat und ohne diese in ihrer Genese nicht zu denken ist.« (Küenzlen 1994, 52) 262 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Säkulare Konzeptionen des »Neuen Menschen«

Dies trifft insbesondere auch auf die Vorstellung der Schaffung eines »Neuen Menschen« zu, wie sie uns in vielen säkularen Konzeptionen entgegentritt. Anders ausgedrückt soll mit Küenzlen (vgl. 1994, insb. 53–62) die These vertreten werden, dass die Vorstellungen vom »Neuen Menschen« in der Moderne auf der Vorstellung des »Neuen Menschen« im Christentum fußen bzw. eine säkulare Variante davon darstellen. Dazu gilt es vorab kurz zu skizzieren, inwiefern im Christentum von einem »Neuen Menschen« gesprochen wird. Grundsätzlich lässt sich sagen: Alle Religionen sind gekennzeichnet durch die Vorstellung von einem (er)neue(rte)n Leben, von einer Neu- und Wiedergeburt des Menschen; sei es in der Erfahrung eines »Neu-Werdens« im diesseitigen Leben, sei es in Gestalt von dessen (eigentlicher) Realisierung nach dem irdischen Dasein. Das mit dem Christentum diesbezüglich aufkommende Neue liegt in der Verheißung Christi »Seht, ich mache alles neu« (vgl. Off. 21,5) begründet. Die Christen glauben, durch die Menschwerdung Gottes, des Seinsgrundes, in Jesus von Nazareth sei der Neue Mensch in der Geschichte erschienen, der neue Adam (= Mensch), der durch seine Erlösungstat allen, die an ihn glauben und ihm nachfolgen, »Neues Menschsein« verheißt. Dass sich diese Vorstellung auch in weiterer geschichtlicher Folge kirchlicher Institutionalisierung lebendig erhielt, macht Küenzlen deutlich, wenn er schreibt: »[A]uch in der Dogmengeschichte der … Kirche hat die Vorstellung des Neuen Menschen, der in Christus als dem zweiten Adam sein Urbild hat und der dem Christen durch Taufe, Bekehrung und Wiedergeburt [aus dem Geist] erreichbar ist, seine zentrale Bedeutung behalten. So hat etwa die via spiritualis des Mönchtums sich als Weg hin zum neuen Leben verstanden, hat Luther von der mortificatio als dem Sterben des ›alten Adam‹ und der vivificatio als dem Geborenwerden des Neuen Menschen gesprochen, oder es galt der altprotestantischen Orthodoxie ›Bekehrung‹ als der durch Buße und Taufe ermöglichte Übergang vom alten zum Neuen Menschen, und im Pietismus verstand man sich als ecclesiola der Neugeborenen.« (Küenzlen 1994, 55)

Diese christliche Vorstellung eines grundsätzlich »Neuen Menschen« wird im Zuge der Moderne nun gleichsam säkularisert. Dies bedeutet zweierlei: Einerseits wird das Neu-Werden des Menschen bzw. der Welt gänzlich verdiesseitigt; das heißt, es geht nun um die Schaffung des »Himmels auf Erden«; andererseits geht es um die Schaffung bzw. Herstellung dieses irdischen Paradieses allein durch den Men263 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

schen. Die Realisierung des »Neuen Menschen« wird damit ganz ohne »transzendenten Beistand« einzig vom Menschen her gedacht, der nun all jene Heilsaufgaben überantwortet bekommt, deren Bewerkstelligung vormals göttlichen Wirkmächten anvertraut bzw. zugeschrieben wurde. Da sich der »Neue Mensch« jedoch schwerlich von heute auf morgen herstellen lässt, sind die Vorstellungen von dessen Realisation verbunden mit säkular-eschatologischen Hoffnungsgestalten (vgl. Küenzlen 1994, 59). Im Kontext dieser zahlreichen »irdisch-immanenten« Fortschritts-Utopien spielt die parallel aufkommende »Neue Wissenschaft« bzw. damit verbundene neue Techniken/Technologien zumeist eine zentrale Rolle. Exemplarisch wird dies bei Auguste Comte (1798–1857) deutlich, der den Progress in Raum und Zeit als stetige erkenntnismäßige Höherentwicklichung vom Stadium der Religion über jenes der Philosophie bis hin zur Epoche der (positiven) Wissenschaft begreift. Wohl nicht zufällig wird in der aufkommenden neuzeitlichen »Kultur der Machbarkeit« der Mensch als homo faber charakterisiert, als der Werkzeug-Machende. Nichts und niemand scheint sich dem Werden hin zum utopischen »Neuen Menschen« in den Weg stellen zu können. Selbst fortschrittskritische Denker von Rang eines Søren Kierkegaard (1813–1855) oder Friedrich Nietzsche (1844–1900) vermögen im 19. Jahrhundert den in Realisierung begriffenen Säkular-Soteriologien nichts Wesentliches entgegenzusetzen. Das dann doch zunehmende Auftauchen einer der Moderne gegenüber in Theorie und Praxis kritisch eingestellten Grundstimmung ist insofern nicht primär als Resultat des gesellschaftlichen Einflusses der mentalen Konstruktionen der kritischer DenkerInnen des 19. und 20. Jahrhunderts zu sehen, sondern hat wohl in realen Irritationen zunehmend breiterer Bevölkerungsschichten auf dem Weg hin zu utopischen Zielen ihren Hintergrund. Küenzlen (1994, 212 f.) schreibt dazu: »Die Zeit der Jahrhundertwende [um 1900] war zum einen geprägt von einem ungebrochenen Fortschrittsbewußtsein, das sich äußerlich in der seit den Gründungsjahren fortwirkenden expansiven Industrialisierung begründet wußte und innerlich an die Geltung der die Moderne überhaupt tragenden Gestaltungsmächte: Wissenschaft, Technik und Rationalität gebunden war. Zum anderen aber wuchsen gleichzeitig … die Zweifel an dem Sinn und den Zielen dieses Fortschrittglaubens. … So entstanden um die Jahrhundertwende und in den Jahrzehnten danach die unterschiedlichsten Strömungen, Bewegungen und Gruppierungen, deren Botschaften inhalt-

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Säkulare Konzeptionen des »Neuen Menschen«

lich ganz verschieden sein mochten, die aber eines verband: das Unbehagen an der modernen Lebenskultur, eine mehr oder weniger ausformulierte Zivilisationskritik.«

Doch erst die Realität der Katastrophe des 1. Weltkrieges (1914– 1918) bildete eine unübersehbare allgemeine Zäsur auf dem Weg zum »Neuen Menschen«. Dies hinderte jedoch nicht, dass aus diesem »Sinnvakuum« zwei Säkularideologien in Reinkultur erwuchsen: Kommunismus und Nationalsozialismus, die sich beide als »wissenschaftliche Weltanschauungen« ausgaben. Wie sehr es diesen pseudowissenschaftlich-fundierten (politischen) Ideologien der Moderne – auch theoretisch – um eine Überwindung des Individuellen bzw. dessen Funktionalisierung für das (jeweilige) »ideologische Ganze« zu tun war, zeigt eine Passage aus einer der Reden des nationalsozialistischen Propagandachefs Joseph Göbbels anlässlich einer Ansprache an die Intendanten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften am 25. März 1933 zum Thema Die zukünftige Arbeit und Gestaltung des deutschen Rundfunks. Gleich zu Beginn verkündet er im Haus des Rundfunks in Berlin: »Am 30. Januar [1933] ist endgültig die Zeit des Individualismus gestorben. Die neue Zeit nennt sich nicht umsonst Völkisches Zeitalter. Das Einzelindividuum wird ersetzt durch die Gemeinschaft des Volkes. Wenn ich in meiner politischen Betrachtung das Volk in den Mittelpunkt stelle, dann lautet die nächste Konsequenz daraus, daß alles andere, was nicht Volk ist, nur Mittel zum Zweck sein kann. Wir haben also in unserer öffentlichen Betätigung wieder ein Zentrum, einen festen Pol in der Erscheinungen Flucht … das Volk als Ding an sich, das Volk als den Begriff der Unantastbarkeit, dem alles zu dienen und dem sich alles unterzuordnen hat.« (Göbbels zitiert nach Heiber 1991, 82) 35

Auch diesmal sind es nicht die mahnenden Stimmen, sondern der stumme Schrei der realen Vernichtung bzw. der vernichteten Realität Das Beispiel zeigt, dass die säkularen Ideologien – als Kinder der Moderne, die ja ihrer Geistesstruktur nach individualistisch geprägt ist (vgl. Kap. B/I/4) – den Individualismus durch das »Pseudo-Allgemeine« zu überwinden trachten. Insofern tragen sämtliche Ideologien der Moderne in sich bereits post-moderne Züge; ein Umstand, auf den Nikolai Berdjajew in seinem Buch Das neue Mittelalter bereits in den 1920er Jahren hingewiesen hat. Andererseits können die säkularen Ideologien der Moderne, als gleichsam »individualistische Totalitarismen«, als konsequente Fortsetzungen des Subjektivismus der Moderne angesehen werden, die in das mit der Neuzeit entstandene Vakuum hinsichtlich allgemeingültiger bzw. gemeinsamkeitsstiftender Verbindlichkeiten getreten sind.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

im Zuge des immer offensichtlicher zu konstatierenden Scheiterns dieser beiden wohl verheerendsten säkular-ideologischen Wirklichkeitskonzeptionen, die deren Ende (mit) herbeiführen. Dadurch wird eine weitere Gestalt der Missachtung der skizzierten hierarchischen Differenzierung zwischen richtig, sicher und wahr offensichtlich; nämlich jene im Kontext säkularutopischer Heilslehren sowie »fundamentalistischer« Deutungen traditioneller religiöser Überlieferungen respektive individueller »fixer Ideen«. Hierbei werden die Erkenntnis-Dimensionen der Mathematik (richtig/falsch) bzw. der Naturwissenschaft (sicher/ungesichert) instrumentalisiert, um eine politisch-ideologische bzw. religiös-fundamentalistische Idee »wisserisch« zu untermauern. 36

Richtig Sicher Wahr

Politische und religiöse Ideologien, »Fixe Ideen« bzw. Lebenspraxis instrumentalisieren Mathematik und »Gesichertes Wissen«

Abbildung 36: Ideologische Instrumentalisierung von »gesichertem Wissen« nach Reisenbichler (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 111)

Nach dem 2. Weltkrieg wird zunehmend Kritik auch an weniger explizit formulierten neuzeitlichen Säkular-Utopien der Moderne wie Utilitarismus, Kapitalismus bzw. »Konsumismus« laut, auch Kritik, die sich auf die ideologische Funktion der neuzeitlichen Massenkommunikationsmittel bezieht. Daneben ist eine Tendenz der Ablösung von der soteriologischen Grundfrage: »Wie ist Heil möglich?« zu konstatieren, begleitet von

Den Hinweis auf diese Grenzüberschreitung von Erkenntnisdimensionen verdanke ich Mag. Florian Reisenbichler.

36

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Der »linguistic turn«

der gleichzeitigen Hinwendung zur Problemstellung: »Wie kann Unheil vermieden, verunmöglicht, werden?«

10. Der »linguistic turn« als Ausdruck der Erkenntnis- und Kommunikationskrise der Moderne um 1900 Wie in Kap. B/II/4 schon kurz erwähnt, wird mit dem Terminus linguistic turn oder »Wende zur Sprache« die mit Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Einsicht bezeichnet, dass sich menschliche Erkenntnis stets unter sprachlichen Bedingungen vollzieht. Bekannt wurde der Begriff Ende der 1960er Jahre durch einen von Richard Rorty herausgegebenen Sammelband; geprägt wurde er allerdings schon Anfang der 1950er Jahre von Gustav Bergmann 37. Nicht selten wird zum besseren Verständnis des linguistic turn eine Parallele zur sogenannten »kopernikanischen Wende« bei Immanuel Kant gezogen. Damit wird Bezug genommen auf den Umstand, dass Kant nicht länger davon ausgeht, dass die äußeren Gegenstände bzw. Objekte an sich gegeben sind und von uns als solche erkannt werden. Vielmehr sei es genau umgekehrt (deshalb Kopernikanische Wende): Menschliche Erkenntnis richte sich nicht nach den Gegenständen, sondern die Gegenstände nach der Form unserer Erkenntnis. Die Dinge erscheinen demnach nicht einfach wie sie sind, sondern ihre Erscheinung wird vom erkennenden Subjekt bzw. den damit gegebenen Anschauungsformen Zeit und Raum einerseits mitbedingt, andererseits produziert. Diese Doppelaspektivität menschlichen Erkennens durch Bedingtheit einerseits bzw. Kreativität ande-

Gustav Bergmann (1906–1987) war ein aus Österreich emigrierter Wissenschaftstheoretiker, der dem sogenannten Wiener Kreis nahe stand. Nach einer Zeit als Assistent Einsteins in Berlin kehrte er vorerst nach Wien zurück, studierte Jus um schließlich 1938 – mit Hilfe Einsteins – in die USA zu emigrieren und dort in den Feldern Philosophie und Psychologie zu arbeiten. In seinem 1952 erschienenen Aufsatz Two Types of Linguistic Philosophy findet sich folgende Formulierung: »Of late philosophy has taken a linguistic turn. At least this is true of a large and, by general agreement, significant part of all philosophical activity that went on in the Englishspeaking countries during the last one or two generations.« (Bergmann 1952, 417) Die Frage beiseite lassend, inwieweit – wie Bergmanns Zitat nahelegt – der linguistic turn (vor allem) eine Wende in der englischsprachigen Philosophie des 20. Jahrhunderts darstellt, besteht zumindest darüber Einigkeit, dass diese Wende am Beginn des 20. Jahrhunderts anzusetzen ist.

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rerseits wird im Rahmen des linguistic turn nun speziell auf das Phänomen »Sprache« hin ersichtlich gemacht. Kurz: Im Zentrum des linguistic turn steht die Einsicht, dass alle menschliche Erkenntnis stets sprachliche Erkenntnis darstellt. Demnach bilden Sprache bzw. sprachliche Strukturiertheit sowohl die Voraussetzung als auch die Grenze des Erkennbaren. Sprache wird insofern nicht mehr nur als neutrales Mittel zur Abbildung von Realität bzw. zum Nachrichtenaustausch angesehen, sondern darüber hinaus einerseits als jene spezifische (und daher bedingte) Gestalt, innerhalb derer jede Art menschlicher Erkenntnis überhaupt erst möglich ist, andererseits als Vermögen des Menschen, selbst Realität zu konstruieren. Damit geriet bzw. gerät das »subjektlose Objektivitätsideal« der Moderne gravierend ins Wanken.Tarnas (2001, 501) bemerkt dazu: »Unter den vielen Strömungen, die in dieser intellektuellen Position [der Postmoderne] zusammenlaufen, nimmt die Sprachanalyse eine herausragende Stellung ein. Sie bringt die radikalsten skeptischen wissenschaftslogischen Modelle im postmodernen Denken hervor; diese Strömungen bezeichnen sich selbst am nachdrücklichsten und bewußtesten als ›postmodern‹.« 38

Besonders deutlich wird dies etwa anhand der Sprachphilosophie von Fritz Mauthner 39. In seinem 1901/1902 erschienenen dreibändigen Werk Beiträge zu einer Kritik der Sprache vertritt er die Auffassung, dass – wie Johnston (2006, 207) schreibt – »die Sprache gedankliche Als Quellen, aus denen sich dieses Denken speist, nennt Tarnas Friedrich Nietzsches Analyse der problembeladenen Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit, Charles Sanders Peirce Semiotik bzw. die damit aufkommende Ansicht, menschliches Denken ließe sich restlos auf Zeichen reduzieren, Ferdinand de Saussures epochenprägende Linguistik bzw. die dabei postulierte Willkürlichkeit der Beziehung zwischen Welt und Objekt, Zeichen und Bezeichnetem, Martin Heideggers existenzialistisch-linguistische Metaphysikkritik, Edward Sapirs und Benjamin L. Whorfs linguistische Hypothese, dass die subjektive Sprache die Wahrnehmung der Wirklichkeit gestalte, schließlich Michel Foucaults Konzeption der sozialen Konstruktion von Erkenntnis sowie Jacques Derridas Ansatz des Dekonstruktivismus, der vorgegebene Sinnhaftigkeit innerhalb eines Textes prinzipiell in Frage stellt (vgl. Tarnas 2001, 501). 39 Fritz Mauthner (1849–1923), wie Karl Kraus jüdischer Abstammung und in Böhmen geboren, promovierte als Jurist und startete vorerst eine Karriere als freier Schriftsteller und Journalist. In seinen letzten Lebensjahren (1920–1923) veröffentlichte er das vierbändige Werk Der Atheismus und seine Geschichte; darin entwarf er eine atheistische Mystik und pries das mystische Schweigen. 38

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Der »linguistic turn«

Inhalte gar nicht vermitteln könne, weil die Verbalisierung bereits die Einzigartigkeit des Gedankens zerstöre.« Mit anderen Worten: Realität kann – nach Mauthner – letztlich nicht gesagt, sondern nur gelebt werden. Ludwig Wittgenstein versuchte der erkenntnistheoretischen Herausforderung, die durch den linguistic turn aufgekommen war, anders beizukommen. In seinem frühen Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus (1922) vertritt er die Ansicht, übersubjektiv verbindliche Sprachaussagen hätten sich an Mathematik, Physik und Logik zu orientieren. Ziel des Wittgenstein’schen Tractatus war es demnach, »die Bedingungen, die [Bertrand] Russel 40 für eine logisch-perfekte Sprache festgelegt hatte, zu untersuchen.« (Johnston 2006, 218) Im Verlauf der nachfolgenden Jahre erkannte Wittgenstein jedoch, dass sein Ansatz im Tractatus, mit dem er die Philosophie vor einem drohenden Subjektivismus bewahren wollte, letztlich nicht durchzuhalten war. In seinem Spätwerk entwickelte er schließlich die Konzeption der sogenannten Sprachspiele, bei der er nun nicht mehr das bedingende, sondern das konstruktive Element von Sprache hervorhob.41 Damit wurde er einer der theoretischen Vordenker postmodernen Denkens. Treffend beschreibt Tarnas die damit verbundene erkenntnistheoretische Herausforderung wie folgt: »Grundsätzlich für diese [postmoderne] Perspektive ist die These, daß alles menschliche Denken letztlich von einzelnen, jeweils eigenständigen kulturell-linguistischen Lebensformen hervorgebracht wird und an sie gebunden ist. Menschliches Wissen ist das historische Produkt sprachlicher und sozialer Praktiken einzelner lokaler Gemeinschaften von Interpreten; … Weil die menschliche Erfahrung linguistisch vorBertrand Russel (1872–1970): Britischer Philosoph, Mathematiker und Logiker. Bei Russel hatte Wittgenstein 1912 in Cambridge studiert. Sprache ist für Wittgenstein das »Bild der Wirklichkeit« bzw. genauer: Der Satz sei Bild der Wirklichkeit (vgl. Tractatus 4.01). Da nun ein Satz – als Bild der Wirklichkeit – diese auch verstellen kann, geht es um den logischen Aufbau der Sätze. Wittgenstein bekennt sich im Tractatus insofern zu einer »idealen Metasprache«, worin jedoch ethische bzw. religiöse Fragen nicht beantwortet werden. Bekannt ist in diesem Zusammenhang das nachfolgende Motto des Tracatatus – das Wittgenstein nach Johnston bei Kürnberger entlehnt hat. »Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.« (Wittgenstein 1922,1–2) 41 Insofern wird im Werk von Wittgenstein zwischen »Wittgenstein I« (seiner Phase des Tractatus) und Wittgenstein II (seiner Phase des Sprachspielansatzes) differenziert. 40

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strukturiert ist, die verschiedenen Sprachstrukturen jedoch über keine nachweisbare Verbindung zu einer unabhängigen Wirklichkeit verfügen, kann der menschliche Geist nicht beanspruchen, zu irgend einer anderen als der von seiner lokalen Lebensform geprägten Wirklichkeit Zugang zu haben. Die Sprache ist – mit den Worten Wittgensteins – ein ›Käfig‹. Sprachliche Bedeutungen sind instabil, weil die Zusammenhänge, die die Bedeutung erst stiften, niemals starr und unbeweglich sind. … Jede Bedeutung ist daher letztlich unbeständig; eine ›wahre‹ Bedeutung gibt es nicht. Es existiert keine grundlegende Primärwirklichkeit, die als Fundament für die Versuche des Menschen gelten könnte, Wahrheit zu repräsentieren. Texte beziehen sich nur auf andere Texte – in endloser Regression, ohne jede sichere Grundlage in etwas, das nicht selbst auch wieder nur Sprache wäre.« (Tarnas 2001, 502) Insofern stellt der linguistic turn gerade für die Kommunikationswissenschaft eine gravierende erkenntnistheoretische Herausforderung dar (vgl. Hodina 1994).

11. Primat von Kommunikation gegenüber Erkenntnis im Geistesrahmen der Postmoderne Wir erinnern uns: Mit der Moderne wird der Sinn durch den Zweck ersetzt (vgl. Vereno 1966b, 17). Dadurch lässt sich menschliche Kommunikation nur entweder als Mittel zur Erlangung eines (vom Menschen selbst) bestimmten Zwecks verstehen (wie dies – strukturell – in der Neuzeit geschieht) oder – so tendenziell vermehrt in der PostModerne – als Selbst-Zweck. Eben dadurch kommt es in der Moderne zur (theoretischen) Funktionalisierung von Kommunikation gegenüber Erkenntnis bzw. vice versa zum umgekehrten Primat von Kommunikation gegenüber Erkenntnis 42 im Geistesrahmen der Postmoderne. Wie aber konnte es zu jenem Umschlag kommen? Die Selbstzweckhaftigkeit von Kommunikation gewann in dem Maße an kulturprägender Bedeutung, als die säkularen Forschrittsideen bzw. -ideologien sowie die damit verbundenen Strebungsziele ihre gesellschaftsgestaltende Kraft einbüßten, d. h. der Mensch – Bzw. des Primats des »unmittelbaren« Kommunikations-Aktes gegenüber dem mitte(i)lbaren Kommunikations-Ausdruck/-Resultat.

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Primat von Kommunikation

prinzipiell – nicht mehr als wahrheitsfähig angesehen wurde. Hören wir dazu noch einmal Tarnas (2001, 502): »Keine Textinterpretation [in der Postmoderne] kann für sich in Anspruch nehmen, die maßgebliche zu sein. … Jede Bedeutung ist daher letztlich unbeständig, eine ›wahre‹ Bedeutung gibt es nicht. Es existiert keine grundlegende Primärwirklichkeit, die als Fundament für die Versuche des Menschen gelten könnte, Wahrheit zu repräsentieren. … Die Vielzahl grundsätzlich unvereinbarer menschlicher Wahrheiten widerlegt die konventionelle Annahme, daß sich der Geist kontinuierlich auf ein besseres Verständnis ›der Wirklichkeit‹ zubewege.«

In der Post-Moderne dominiert demnach die Vorstellung der letztlichen bzw. gänzlichen Unerkennbarkeit der Wirklichkeit. Jedes Erkenntnissubjekt erschaffe vielmehr seine eigene Wirklichkeitssicht bzw. eine damit kompatible »Logik« (vgl. Derrida 2000, Ratzinger 2000, Gerl-Falkovitz 2003). Das Auftauchen des Phänomens Kommunikation als »postmoderner Mythos« (vgl. dazu Girgensohn-Marchand 1992) geht insofern mit der Einsicht einher, dass Wissenschaft über keine »Sinnstiftungskompetenz« verfüge bzw. die Epoche der »Großen Erzählungen« vorbei sei (vgl. auch Innerhofer 1977). Die letztliche Unmöglichkeit, miteinander »positiv« Wirklichkeit zu erkennen (vgl. Böning 2003 bzw. Spaemann 2010 sowie Spaemann 2011) hindert jedoch nicht, selbstzweckhaft einander zu kommunizieren. Als diesbezügliche theoretische Vorläufer können an der Wende zum 19. Jahrhundert Friedrich Schleiermacher (1768–1834), zu Beginn des 20. Jahrhunderts Georg Simmel (1858–1918) betrachtet werden. Schleiermacher stellt in seiner Schrift Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799) programmatisch fest: »Freie, durch keinen äußeren Zwecke gebundene und bestimmte Geselligkeit [um ihrer selbst willen] wird von allen gebildeten Menschen als eines ihrer ersten und edelsten Bedürfnisse laut gefordert.« (Schleiermacher 1927, 3)

Simmel beschreibt in seinen Grundfragen der Soziologie (1917) selbstzweckhafte »Geselligkeitskommunikation« (bereits) als inhaltsleer-reine Form humanen Menschseins: »Das Befreiende und Erleichternde aber, das gerade der tiefere Mensch in der Geselligkeit [um ihrer selbst willen] findet, ist: daß das Zusammensein und der Einwirkungstausch, in denen die ganzen Aufgaben und die Schwere des [zweckbestimmten] Lebens sich darstellt, hier in gleichsam artistischem

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Spiel genossen werden, in jener gleichzeitigen Sublimierung und Verdünnung, in der die inhaltsbegabten Kräfte der Wirklichkeit nur noch wie aus der Ferne anklingen, ihre Schwere in einen Reiz verflüchtigend. … So also bietet, wie gesagt, die Geselligkeit vielleicht den einzigen Fall, in dem das Reden legitimer Selbstzweck ist.« (Simmel 1970, 68 bzw. 63; Kursiv. E. H.) 43

Postmodern lässt sich dies wie folgt plakativ weiterdenken: Wenn nichts Orientierungsgebend-Allgemeingültiges (mehr) als erkennbar gilt, kann zumindest alles Mögliche (individualnützlich) selbstzweckhaft kommuniziert bzw. konsumiert werden. Dementsprechend zeigt sich ein wesentliches Moment des postmodernen Wirklichkeitsverständnisses im Trend zum »unmittelbaren« kommunikativen selbstzweckhaften Erleben, zur persönlichen Erfahrung. 44 Sei es die moderne Jugendkultur mit dem damit verbundenen Eintauchen in die verschiedensten »unmittelbaren« Klangbzw. Erlebnis-Welten (vgl. Luger 1991), sei es das zunehmende Platzgreifen der Sport- und Eventkultur, vom allgemeinen Fitnesslauf am Nationalfeiertag bis hin zu den – vor nicht allzu langer Zeit noch absurditätenkabinettsverdächtigen – Extremsportarten Ultratriathlon, Free-Climbing etc., sei es die mit dem sogenannten EsoterikBoom verbundene Kontaktnahme mit Außersinnlichem und/oder der eigenen Innen-Welt, sei es das Auftauchen des »Fun-Elements« im Rahmen der unterschiedlichsten Betätigungen. 45 Mit anderen Worten: In struktureller Ermangelung sowohl eines (allgemeinen/individuellen) Sinngrundes wie allgemeinzweckhafter Strebungsziele wird vermehrt das Sinnenhaft-Gegenwärtige zum selbstzweckhaften (Surrogat-)Strebungsziel. Dementsprechend, so die These, lösen in der Postmoderne das Bild 46 (vgl. Markus 2006) und der Ton (vgl. Bolz 1990), in KombinaDa Simmel in seiner Lebensphilosophie den Menschen als »autonomes Subjekt« voraussetzt, ist dies konsequent gedacht: denn die Begegnung des »Höchsten« – in diesem Fall des Menschen – mit seinesgleichen ist legitimer Selbstzweck (vgl. Hamberger 1986, 137). 44 Dies wird deutlich in einer Fülle diesbezüglicher Literatur, etwa in Gerhard Schulzes bekanntem Band Die Erlebnisgesellschaft (Schulze 1992). 45 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist etwa die Bestsellerfähigkeit des Buches Haben oder Sein von Erich Fromm (Fromm 2014) zu sehen, dessen längst zu einer unverzichtbaren Vokabel gewordener Titel indirekt zum Ausdruck bringt: es sollte uns nicht so sehr das Haben von Dingen bzw. von Erkenntnis und Wissen beschäftigen, sondern das In-Kommunikation-Sein mit Anderen bzw. Anderem. 46 Bild nicht nur im Sinne des »passiven« Bild-Konsums, sondern genauso des »aktiven« Erlebnis-Bild-Konsums (Stichwort: Urlaub, Sight-Seeing, »Erfahrungs-Hun43

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Primat von Kommunikation

tion Computer und Internet das Buch als zentrales Massenkommunikationsmittel der Moderne ab, – wie Bolz dies in seinem Werk Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse (Bolz 1993) aufzeigt. D. h. es kommt zur Dominanz jener Kommunikationsmittel, die dem oben skizzierten postmodernen Anspruch nach selbstzweckhafter Kommunikation – ihrer Struktur nach – am besten entsprechen. Zu diesem »Strukturwandel der Kommunikationsverhältnisse« bemerken Krallmann und Ziemann (2001, 10): »Vielerorts ist … eine offensichtliche terminologische wie auch theoretische Umstellung auf ein kommunikatives Paradigma bemerkbar. Die Häufigkeit, Vielfalt und Selbstverständlichkeit, mit der auf Kommunikation referiert wird, macht es notwendig, die speziellen Ideenkontexte, Bedeutungen, Ansprüche und Wirkungen sorgfältig zu sondieren, die dem jeweils begrifflich oder theoretisch verwendeten Ansatz von Kommunikation immanent ist.«

Deshalb werden in der westlichen Gesellschaft spätestens mit den 1970er Jahren kommunikative Geschehnisse vermehrt und bewusster sowohl theoretisch als auch alltagspraktisch in den Blick genommen. »Unauffällig, aber unaufhaltsam entstehen neue Professionen auf diesem Gebiet: Medien- und Kommunikationsberater, Öffentlichkeitsreferenten in den verschiedensten Organisationen, Gesprächstherapeuten, Supervisoren, Organisationsentwickler, Textgestalter, Werbefachleute, Netzplantechniker, Trainer für Rhetorik und Bewerbungsgespräche usf. Von ganz unterschiedlichen Richtungen ausgehend, befriedigen sie alle ein Bedürfnis, das durch die Aufwertung kommunikativer Prozesse in unserer Gesellschaft erzeugt wurde.« (Giesecke 1998, 18 f.)

Dies bedeutet keineswegs das Ende der Buchkultur, sondern vielmehr den Sachverhalt, dass das Kommunikationsmittel »Buch« den neuen Kommunikationsverhältnissen genauso angepasst wird (als Stichworte seien »Illustrierung« bzw. »Hörbuch« genannt) wie zu Beginn der Moderne andere Kommunikationsmittel dem neuen Leit-»Medium« Buch angepasst wurden. Pointiert bemerkt dazu Sigrid Löffler schon Mitte der 1990er Jahre, einen neuen Typus von Printbildmedien beschreibend: ger«). Geradezu archetypisch vereint erscheinen diese beiden Bildelemente im globalen – sowohl interaktiven wie interpassiven – »Welt-Bilder-Buch«, dem Internet. Darin kann man entweder nur blättern (besser bekannt als surfen) oder auch selbst malen und zeichnen, d. h. Mit-Autor sein.

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»Was sie liefern wollen, ist gedrucktes Fernsehen. Es sind Zeitschriften für Zapper und Switcher, Druckerzeugnisse für zappelige, zerstreute ChannelHopper, kurz: Video-Clip-Medien. … Die Heftseiten zucken und zappeln mit lauter Bildchen und Kästchen und zersplittern Informationen in Häppchen und Bröckchen, garniert mit lauter optischen Lesehilfen für den unaufmerksamen Leser, sozusagen visuellen Blinkanlagen. Analysen werden ersetzt durch Appetizer. Im Geflacker der Info-Bits und der Graphik-Torten geht der öffentliche Diskurs mit seinem Akzent auf dem Wort und dem Argument zuschanden.« (Löffler 1994, V)

Der strukturelle Primat von Kommunikation gegenüber Erkenntnis im »Denkrahmen der Postmoderne« drückt sich schließlich auch dadurch aus, dass der Mensch zunehmend als rein relationales Wesen – bis hin zur Vorstellung der Aufgabe eines »identitätsstiftenden« Wesenskerns – begriffen wird (vgl. Bodamer 1981, Meyer-Drawe 1990, Knaup 2012). Auch in dieser Hinsicht kann Georg Simmel als geistiger Wegbereiter ins Treffen geführt werden. Auf Grund seines oben schon skizzierten lebensphilosophisch-dynamischen Wirklichkeitsverständnisses, demzufolge sämtliches Inhaltlich-Werthafte dem – letztlich alles immer wieder verschlingenden – Lebensstrom untergeordnet ist, erhebt er das Phänomen der Wechselwirkung (»Interaktion«) in den Rang des metaphysischen Grundprinzips schlechthin. Werte entstehen nach Simmel insofern vorrangig aus zwischenmenschlicher Kommunikation, – mit dem Tausch als zentraler Kategorie bzw. dem Geld als dessen »reinstem« Symbol (vgl. Simmel 1926, 23 ff.). Dies führt jedoch letztlich zur Frage, wer in diesem Fall noch wem begegnet bzw. inwieweit hier überhaupt noch von handelnden Subjekten gesprochen werden kann? (Vgl. Haesler 1993, Rammstedt 1994 bzw. Rothe 2006, 106 ff.) In jedem Fall gilt es festzuhalten: Die Erkenntnis- bzw. Wissen(schaft)zentriertheit der Moderne wird in der Post-Moderne – zumindest tendenziell – durch die Kommunikationszentriertheit abgelöst bzw. unter dem Primat zweckhafter bzw. selbstzweckhafter Kommunikation funktionalisiert. Hierbei ist wichtig sich vor Augen zu führen, dass mit dem Aufkommen des Digitalmediums Internet um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert – strukturell – völlig neue Medien-Gebrauchsweisen einhergehen. Das weltweite Internet ermöglicht neben der herkömmlichen massenmedial-konsumtiven Verwendungsweise nämlich auch die aktive Individualnutzung bzw. Teilnahme. Anders formuliert: Es 274 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Primat von Kommunikation

gibt nicht mehr nur die »klassische« »Einweg-Kommunikation« (one-to-many) bzw. die damit einhergehende Sender-Empfänger-Relation. Dies einerseits deshalb, weil mit dem digitalen Multimedium Internet bzw. den Social Media nun eine mediale Dialogstruktur gegeben ist, die über das »passive« Rezipieren bzw. Konsumieren hinaus eine teilnehmende Aktivität erlaubt, andererseits, weil mit dem Schwinden allgemeingültiger Werte und Normen in postmodernen westlich-dominierten Kulturräumen ein noch vor wenigen Jahrzehnten unvorhersehbarer kultureller Leitmedienwandel einherging und weiter einhergeht. Dies wiederum hat zur Folge, dass zur – mit der Moderne aufkommenden – »One-to-many-Erkenntnisvermittlungsstruktur«, unter kreativer Nutzung des globalen und digitalen »Weltkommunikationsmediums« Internet, gänzlich neue Strukturen der Erkenntnisvermittlung aufkommen: one- to-one (Abbildung 37), many- to-many (Abbildung 38) sowie many-to-one (Abbildung 39). ONE

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Abbildung 37: Erkenntnisvermittlungsstruktur one to one (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 153)

Zum einen taucht die in vormodernen Offenbarungskulturen gebräuchliche One-to-One-Erkenntnisvermittlungsstruktur (wieder) auf (vgl. Kap. B/I/7). Nunmehr ist diese jedoch nicht rückgebunden in einer religiösen Tradition (und damit einer parallelen One-to-many-Offenbarungserkenntnisstruktur). Aufgrund dessen ist diese »One-to-One-Struktur« (zumindest strukturell) auch nicht hierarchisch (Lehrer-Schüler-Verhältnis) sondern egalitär, auf »Augenhöhe«, im Sinne des gleichberechtigen Austauschs individueller Sinnentwürfe (vgl. Steinmaurer 2016).

MANY

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Abbildung 38: Erkenntnisvermittlungsstruktur many to many (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 153)

Parallel dazu ermöglichen die Social Media in immer vielfältigerer Weise die Kommunikation von vielen mit vielen (many-to-many). Auch in diesem Fall ist der Informations- bzw. Gedankenaustausch zwischen den Nutzern weitestgehend »hierarchiefrei-horizontal« 275 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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(vgl. Shirky 2008), wobei die »Many-to-Many-Kommunikation« in besonderer Weise technologieabhängig ist. MANY

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Abbildung 39: Erkenntnisvermittlungsstruktur many to one (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 154)

Schließlich kommt mit dem Internet bzw. den sozialen Netzwerken eine weitere neue Kommunikationsweise auf, die direkt gar nicht leicht ersichtlich ist: many-to-one. Damit soll der Sachverhalt zum Ausdruck gebracht werden, dass der Einzelne gegenwärtig – gerade durch die Vielfalt an (multi)medialen Angeboten – vor der Herausforderung steht, sich zum Teil gravierend widersprechende »weltanschaulich«inhaltliche Botschaften bewerten zu müssen, was umso schwerer fällt, je weniger der oder die Betreffende nicht (länger) in einer traditionellen (One-to-Many)- Anschauung »rückgebunden« ist.

12. »The dark side of Communication« 47 Erst in den vergangenen Jahrzehnten begann man sich von Seiten der Kommunikationswissenschaft theoretisch eingehender und vermehrt mit pathologischen Gestalten von Kommunikation zu befassen. Auf diesen Umstand verweisen Smith und Wilson im von ihnen 2010 herausgegebenen Band New Directions in Interpersonal Communication Research wie folgt: »[T]he ›dark side‹ has become an influental metaphor guiding interpersonal communication research. These volumes have drawn attention away from seemingly positive topics such as authenticity, intimacy and openness that Parallel lässt sich mühelos auch eine »dark side of cognition/knowledge« skizzieren; man denke allein an Macchiavellis epocheprägendes Werk Der Fürst (Il Principe), an Bacons Erkenntnis-Diktum der Moderne »Wissen ist Macht« oder an den – vor diesem Hintergrund konzipierten, instrumentalisierten und strapazierten – Begriff des »Herrschaftswissens«. Dass es sich hierbei um kein abendländisch-neuzeitliches Spezifikum handelt, zeigt Hashi (2014) im Band Der Macchiavellismus von Ost und West: Philosophie zur Macht und Strategie bei Macchiavelli, Hanfeizi und Sunzi auf. Im Bezug zu den Wissenschaften hat sich Fröhlich eingehend der »dark side of knowledge« angenommen, etwa in seinem Beitrag Optimale Informationsvorenthaltung als Strategem wissenschaftlicher Kommunikation (Fröhlich 1998).

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pervaded the early interpersonal landscape … to also examine dysfunctional and ethically questionable practices such as bullying [Mobbing], deception [Irreführung], hurtful messages [schädigende Nachrichten], infidelity [Untreue], stalking and physical/sexual/verbal aggression – topics that have garnered a great deal of research attention in the past two decades …« (Smith/Wilson 2010, 7 f.)

Rothe verweist auf den Umstand, dass gerade diese dunkle, kommunikationstheoretisch lange Zeit wenig beachtete Seite von Beziehung den Ausschlag zur Gründung eines universitären Instituts gab. »Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema ›zwischenmenschliche Kommunikation‹« – schreibt sie da – »führte 1991 an der Universität Innsbruck zur Gründung des ›Senatsinstituts für zwischenmenschliche Kommunikation‹ … Auslöser dieser Entwicklung waren die vielfachen Erfahrungen eines Sich-nicht-verstehen-›Könnens‹, zusammen mit einem beharrlichen Missverstehen-›Wollen‹ … Frühe Überlegungen dazu fanden ihren Niederschlag unter dem Titel ›Umweltverschmutzung durch Kommunikation‹ …« (Rothe 2006, 1; vgl. dazu Fröhlich 1998) Gottschlich hat diesbezüglich nicht nur Kommunikationsdefizite im Bereich der Medizin offensichtlich gemacht, sondern daneben die heilsame Kraft des Wortes bzw. empathischer Kommunikation aufgewiesen (vgl. Gottschlich 1998 bzw. Gottschlich 2007). Hier eine gewiss nicht vollständige Auswahl aktuell thematisierter Gestalten krisenhafter Kommunikation: Sozialphobie, Mobbing/ Bossing, Autismus, Cybermobbing, Vereinsamung, Erschöpfungssyndrom, Burnout, Sexsucht, Narzissmus, Hörigkeit, destruktive Abhängigkeit, Langeweile, Bindungsunfähigkeit, Stalking, etc. Die zunehmende Realität bzw. Realisierung von Fehlgestalten menschlicher Kommunikation wird etwa durch die wachsende Zahl an therapeutischen Interventionsangeboten deutlich, obwohl diese in der Regel sehr kostenaufwändig sind (vgl. Rothe 2006, 2). Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, auf die erwähnten Fehlgestalten von Kommunikation im einzelnen näher einzugehen. Was jedoch nicht verabsäumt werden soll, ist in diesem Zusammenhang auf die nachfolgende Konklusion Rothes hinzuweisen, die sie in ihrer schon mehrfach erwähnten Habilitationsschrift Zwischenmenschliche Kommunikation wie folgt prägnant formuliert:

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»Die Absolutsetzung [des Ich] macht die Kommunikation unausweichlich inkongruent.« (Rothe 2006, 235) Damit stellt Rothe die aufs erste kühn erscheinende Behauptung auf: kommunikationstheoretisch–strukturell kann menschliche Kommunikation im kulturellen Kontext der Moderne nur inkongruent (also nicht übereinstimmend) gedacht werden (vgl. dazu auch Reisner 1964). Warum? Weil – wie oben (vgl. Kap. B/III/4) schon skizziert – die abendländische Moderne gekennzeichnet ist durch das »autonome Subjekt«. Dadurch wird, wie mit Hilfe von Evers (1979) bzw. Greshake (1997) zu zeigen versucht, der je Andere sowohl erkenntnis- als auch kommunikationstheoretisch zu einem Problem. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den Satz von David Hume, demzufolge der Mensch keinen Schritt über sich hinaus zu tun vermag – bzw. den Hinweis von Spaemann (2011, 9), dass dieser Satz den Mainstream modernen Denkens über den Menschen, d. h. damit auch: über den Menschen als Kommunizierenden, darstellt. Wie sehr diese Vorstellung längst – mehr oder weniger offen – in Kommunikationsratgeberliteratur Eingang gefunden hat, wird schon in den 1970er Jahren deutlich durch Bestseller wie Manipulieren – aber richtig von Josef Kirschner oder – neueren Datums – dem Buch von Hedwig Kellner Die Teamlüge. Von der Kunst, den eigenen Weg zu gehen. Dort heißt es ungeniert: »Es mag manche anwidern, dass jemand durch gezielt trainierte Verhaltensweisen in der inoffiziellen und später auch offiziellen Hierarchie aufsteigt. Aber so funktioniert das unter Menschen nun mal.« (Kellner 1997, 228) 48 Ihre Quintessenz lautet dementsprechend: Um berufliche Spitzenleistungen relevant anstreben zu können, ist es unabdingbar, dass das Bekenntnis zum Teamwork unbedingt ein Lippenbekenntnis bleibt (vgl. Kellner 1997, 239). »Was Kellner hier plastisch vor Augen führt,« – so Rothe (2006, 235) – »ist nichts anderes als das absolute Subjekt, das sich selbst als ein solches versteht und entsprechend handelt. Es sieht sich selbst im Als »zielführende« diesbezügliche Verhaltensmaßregeln führt die Autorin (Kellner 1997, 232 ff.) etwa an: »Nehmen Sie möglichst viel Raum ein; Seien Sie schneller als die anderen, ohne gehetzt zu wirken; Verschaffen Sie sich Gehör; Legen Sie Regeln für andere fest; Umgeben Sie sich mit Symbolen der Macht, Überlegenheit, Prestige. Dies alles – wohl gemerkt – im Kontext von Teamwork.«

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Zentrum seines Handelns und Erlebens. Dort, wo es steht, ist zugleich kein Platz für einen anderen Menschen. Dieser ist immer ein potenzieller Rivale um knappe Güter.« Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Zusatz, dass es sich dabei nicht um Sondermeinungen von wenigen unrelevanten Außenseitern handelt, sondern um den theoretischen common sense neuzeitlichen Ich-Verständnisses. Mit Rothe formuliert: »Die Tradition … der Absolutsetzung des Subjekts [hat] sich im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte als die dominierende durchgesetzt …« (Rothe 2006, 4) Als Ausdruck des damit verbundenen gegenwärtigen »Geistesklimas« kann der Bestseller EGO. Das Spiel des Lebens (2013) des FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher angesehen werden, dessen Botschaft Thomas Assheuer in einer ZEIT-Rezension wie folgt bündig zusammenfasst: »Für ihn [Schirrmacher] sind wir Zeugen davon, wie gerade ein neuer Mensch programmiert wird, eine neue Gesellschaft oder, um für Soziologen verständlich zu bleiben: eine neue Kodierung des Sozialen. Alles, in dem ein Funke menschlichen Lebens steckt, wird auf Marktförmigkeit umgestellt – die Herrschaft des ›Informationskapitalismus‹ legt ein Raster über die Welt, dem niemand entkommt. In diesem Raster gibt es nur eine Vernunft, nämlich den Eigennutz, und es existiert nur ein Sozialcharakter, der rationale Egoist. In der neuen Welt des Informationskapitalismus ist alles ein Investment, und alles, von den Träumereien eines einsamen Spaziergängers bis zum Kinderkriegen 49, muss sich rechnen, alles Tun und Trachten folgt der Ökonomie des selbstsüchtigen Herzens.« (IQ: Assheuer 2013)

Und etwas weiter unten heißt es weiter: »Das wahrhaft ›Menschliche‹ ist jetzt das Ökonomische (›Unterm Strich zähl ich‹), oder etwas eleganter mit Michel Foucault gesagt: Der (alte) Mensch ›verschwindet wie ein Gesicht im Sand‹, er verwandelt sich in den rationalen Spieler. Er lächelt, um zu gewinnen, er kooperiert, um den ande-

Vgl. dazu die aktuelle Thematik des sog. »Social Freezing« als spezielle Form der Eizell-Konservierung; ursprünglich für junge an Krebs erkrankte Frauen ersonnen, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen, damit diese nach überstandener Therapie größere Chancen auf eigenen Nachwuchs haben, meint »Social Freezing« das vorsorgliche Einfrieren befruchteter Eizellen ohne medizinischen Grund. In diesem Fall geschieht der Vorgang, um beruflich erfolgreichen jungen Frauen die Möglichkeit zu geben, einen Kinderwunsch auf später zu verschieben; große Firmen wie etwa Apple oder Facebook haben sich – wohl aus wirtschaftlichen Gründen – inzwischen (2014) bereit erklärt, die Kosten (ca. 20.000 $) dafür zu übernehmen.

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III. Der Kommunikations-/Erkenntnisverständniswandel im Europa der Moderne

ren auszutricksen, er ist ehrlich, um zu betrügen. Wenn er spricht, weiß niemand, ob er blufft oder die Wahrheit sagt. Schön ist das Leben in der Gesellschaft der ökonomischen Menschen nicht, denn das Leben ist Krieg, und Krieg ist Leben. Like it!« (IQ: Assheuer 2013)

Autonome ichzentrierte Subjekte reduzieren dabei den Anderen auf bestimmte Funktionen, etwa auf dessen Nützlichkeit bzw. Genießbarkeit, wobei der differenzierte Gebrauch der Kommunikation über die Funktionalisierung hinwegtäuschen soll. Dies gilt natürlich ebenso für das alltägliche bzw. das sogenannte Privatleben, das schwerlich anders denn als andauernder Kampf zwischen (zwei) sich absolut setzenden Subjekten verstanden werden kann. (vgl. Rothe 2006, 239) Dabei wird inkongruente Kommunikation sogar als probates Mittel zum Zweck angesehen oder – um Kellners Untertitel-Metapher zu benützen – als Kunstgriff, um sich den eigenen Karriere-Weg bahnen zu können. Rothe formuliert es noch krasser: »[Die] ›Lösung‹ für erfolgsbewusste Menschen, im Sinne des hier dargelegten [subjektautonomen, monadischen] Kommunikationsverständnisses, ist eine klare Empfehlung zur inkongruenten Kommunikation.« (Rothe 2006, 235) Ein besonders perfides Beispiel inkongruent-egozentrischer Kommunikation stellt das Phänomen Mobbing dar, das Rothe als Vernichtung durch Kommunikation beschreibt. Wörtlich heißt es da: »Mobbing ist eine extrem inkongruente Kommunikation über einen längeren Zeitraum zwischen mehr als zwei Personen mit dem Ziel des Ausschlusses von Menschen aus der Kommunikation, der Exkommunikation. Hier soll jemand durch diese Kommunikationsform aus der nächsten Umgebung verschwinden, praktisch inexistent werden. Kommunikation wird dazu mißbraucht, um jemanden aus der Kommunikation auszuschließen.« (Rothe 2006, 235)

Ein wesentliches Merkmal von Mobbing besteht darin, dass über diese Extrem-Form inkongruenter Kommunikation nicht kommuniziert werden kann, weil der oder die Mobbenden leugen, mit dem Gemobbten in dieser Weise ihr perfides kommunikatives Spiel zu treiben. Dass Mobbing gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann – bis hin zu andauernder psychosomatischer Erkrankung, ja bis zum Suizid –, gilt inzwischen als gesichert. Weniger bekannt ist der Sachverhalt, dass dabei nicht nur der oder die Gemobbte vom Tode bedroht ist, sondern auch der oder die Mobben280 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

»The dark side of Communication«

de, denn »[d]as sich selbst absolut verstehende Individuum eliminiert in der inkongruenten Kommunikation gewissermaßen das Leben, seine [eigenen] Entwicklungsmöglichkeiten, und nimmt den Tod schon vorweg.« (Rothe 2006, 236)

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

Bei aller Differenz im Hinblick auf die unterschiedliche Deutung der Kontextualität des Entstehens der modernen Massenkommunikationsmittel herrscht diesbezüglich zumindest insofern Übereinkunft, dass es sich bei dieser »Mediagenese« im Europa der Moderne um ein singuläres kulturspezifisches Ereignis handelt, das geistesgeschichtlich kein Äquivalent hat. Bevor darangegangen werden soll, dieses Ereignis im Kontext der Forschungsfrage näher zu betrachten, soll zuvor auf die Begriffe »Massenkommunikationsmittel« bzw. »Massenmedien« kurz eingegangen werden.

1.

Zum Begriff »(Massen)Medien«/ Massenkommunikationsmittel

Wie sehr der Verweis Gieseckes, dass jede Kultur selbst definiert, was für sie Kommunikation, Erkenntnis usw. sind, und dass die Erfassung dieser Selbstbeschreibungen eine unumgängliche Aufgabe für den Kommunikations- und Medienwissenschafter darstellt (vgl. Giesecke 2007, 17), gerade im Hinblick auf »Massen-Medien« zu beherzigen ist, zeigt ein Blick auf zwei völlig unterschiedliche diesbezügliche Definitionen, die zeitlich nur 25 Jahre auseinanderliegen. Anfang der 1980er Jahre stellt Silbermann im Rahmen einer Zusammenschau verschiedener Bedeutungsdefinitionen von Massenmedien 1 im Handwörterbuch der Massenkommunikation und Medienforschung folgende charakteristische Merkmale fest: Zu den Massenkommunikationsmitteln wurden zu dieser Zeit für gewöhnlich die verschiedenen Formen der Printmedien, Rundfunk (Radio), Film und Fernsehen gezählt, in erweiterter Gestalt auch Video, Schallplatte bzw. andere Bild- und Tonträger wie M(usic)C(asette) oder C(ompact)D(isc) sowie der P(ersonal)C(omputer). 1

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Zum Begriff »(Massen)Medien«/Massenkommunikationsmittel

»1. Die von den Massenmedien verbreiteten Aussagen werden über ein technisches Instrumentarium verbreitet. 2. Die Aussagen geschehen öffentlich und richten sich an die Öffentlichkeit. Sie werden von einer geringen Zahl ausgewählter Personen an eine Vielzahl beliebiger Empfänger signalisiert. 3. Die Aussagen werden [für gewöhnlich] in einer Ein-Weg-Kommunikation verbreitet. 4. Die Empfängerschaft besteht aus einzelnen Personen oder Personengruppen, die räumlich voneinander getrennt sind.« (Silbermann 1982, 295).

2007 beginnt Bolz seinen Band ABC der Medien mit den Worten: »Sir Karl Popper leicht variierend, könnte man drei Welten unterscheiden: Körper – Geist – Medien. Die Naturwissenschaften analysieren den Körper, die Geisteswissenschaftler interpretieren die Werke, und die Medienwissenschaftler beschreiben die Effekte der Medien. Diese Effekte sind aus zwei Gründen schwer zu verstehen. Zum einen tut ein Medium im Gegensatz zu einem Werkzeug nicht das, was man von ihm will – es schlägt zurück. Zum anderen wird die Bedeutung eines Mediums nur aus seinem Zusammenspiel mit anderen Medien verständlich. Der Medienverbund ist die primäre Gegebenheit.« (Bolz 2007, 13)

Vermittelt Silbermann noch das traditionelle Verstehensbild von Massenkommunikationsmitteln mit den Kennzeichen technisches Medium, ein/wenige Sender/viele (massenhafte) Empfänger, EinWeg-Kommunikation, disperses Publikum, so transportiert Bolz ein Vierteljahrhundert später ein völlig anderes Medienverständnis: Er thematisiert die Eigendynamik bzw. -Effektivität der Medien, Medienrückwirkungen, das Zusammenspiel der Medien als Primärgegebenheit, wobei er den Begriff »Massenkommunikation« überhaupt nicht mehr verwendet. Dieser inzwischen seltenere Gebrauch des Begriffs »Massenmedien« bzw. dessen Verkürzung auf »Medien« oder »Media« respektive in differenzierenden Formen (»Multi-Media«, »Media Mix«, »Social Media«) 2 hat meines Erachtens hauptsächlich zwei Gründe. 2 Burkart sieht sich in der 4. Auflage seines Bandes Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder (2002, 166 f.) bereits genötigt, seine Kapitelüberschrift Massenkommunikation zu rechtfertigen, wenn er schreibt: »Es mag fachkundigen Lesern möglicherweise anachronistisch erscheinen, wenn man am Beginn des 21. Jh.s in der Überarbeitung eines Lehrbuches noch an Massenkommunikation festhält, wo doch schon seit längerem vom sogenannten ›Abstieg der Massenmedien‹ (M a i s e l 1973) die Rede ist und auch spätestens seit den achtziger Jahren [des 20. Jh.] im deutschsprachigen Raum eine Entwicklung der Massenkommunikation hin zu einer Art ›Zielgruppenkommunikation‹ empirisch diagnostizierbar ist (K i e f e r

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

Zum einen haftet dem Begriffsteil »Masse« im Terminus »MassenKommunikation« (der eine Entlehnung des englischen mass communication darstellt) eine negative Note an; beinahe unwillkürlich schwingen dabei die kulturkritischen Termini des »Zeitalters der Massen«, des »Massenmenschen« oder der »Vermassung« mit. 3 Zum anderen hat sich mit dem »Medium« Internet technisierte Kommunikation inzwischen so individualisiert (vgl. Höflich 2015, Steinmaurer 2016), dass die Vorstellung, technische Kommunikationsmittel wären – zumindest in der Regel – per se dazu da, um mit (irgendwelchen) »Massen« zu kommunizieren, schwerlich aufrecht zu erhalten ist.

2.

Die unabdingbare Notwendigkeit einer geistesgeschichtlichen Be-Deutung des Phänomens »Moderne Massenmedien«

Wie an anderer Stelle (vgl. etwa Kap. A/VIII) schon näher ausgeführt, ist die vorgegebene, augenscheinlich erfahrbare Wirklichkeit nicht aus sich verständlich, sondern (je)der Mensch kommt nicht umhin, diese zu (be-)deuten, d. h. – je nach persönlichem Realitätsverständnis – zu »lesen« bzw. zu »(s)in(n)terpretieren«. Diese Notwendigkeit veranschaulicht der Naturwissenschaftler Milford Wolpoff, wenn er ironisch bemerkt: »The Data do not speak for themselves. I have been in rooms with data and listened very carefully. They never said a word.« (Wolpoff 1975, 15)

Das von Wolpoff in spezifisch-naturwissenschaftlichem Zusammenhang Gesagte gilt ganz allgemein: Das Faktum erfahrbare Wirklichkeit spricht nicht für sich, es bedarf stets der Be-Deutung. Der 1982). Kurz: die Vorstellung, man kommuniziere hier mit ›Massen‹ erscheint revisionsbedürftig. … Man könnte nun argumentieren, der Terminus sei überholt und aus der Fachsprache zu streichen. Dies halte ich jedoch aus zwei Gründen für nicht zweckmäßig. Erstens aus rein pragmatischen Motiven. Ein in der Fachsprache dermaßen gebräuchliches Wort läßt sich nicht schlichtweg eliminieren oder einfach durch ein anderes ersetzen. Derartige Bemühungen würden außerdem sehr schnell … als akademische Spinnerei abgetan werden. Zweitens aber auch aus einer inhaltlichen Perspektive. Weil nämlich die beiden Wortbestandteile auf strukturelle Grundmuster eines Prozesses verweisen, die für diesen – relativ unbeschadet von den quantitativen Veränderungen – immer noch charakteristisch sind.« 3 Der von Maletzke (1963, 28) vorgeschlagene Alternativbegriff »disperses Publikum« konnte sich über die Fachgrenzen hinaus kaum durchsetzen.

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Geistesgeschichtliche Be-Deutung des Phänomens »Moderne Massenmedien«

Mensch – als sich selbst (und damit des Ganzen) bewusstes Wesen – kann sich zum nicht-ichhaften Mit-Seidenden nicht (be)deutungslosneutral verhalten. Gilt nun diese Notwendigkeit der Realitätsbe-Deutung schon für das natürlich vorgegebene Seiende, so ebenso – wenn nicht in vermehrtem Maße – für die kultürlichen Hervorbringungen des Menschen, – und in besonderer Weise für (geistes-)kulturgeschichtlich einzigartige Phänomene wie die modernen Massenmedien. 4 Wie kommt es dann, dass der Kontext der geistesgeschichtlichen BeZur Veranschaulichung möchte ich zwei extrem divergierende Be-Deutungen der modernen Massenmedien nacheinander vorlegen. Da ist zuerst die geistesgeschichtliche Ein-Schätzung der Massenmedien von Ingo Hermann (1991, 157 f.), entnommen seinem Aufsatz Das Fernsehen als zentraler Kulturfaktor in der modernen Gesellschaft. Dort heißt es wie folgt: »Fernsehen hat für Kulturgesellschaften eine stabilisierende Wirkung, … vor allem wegen seines Charakters als Massenmedium und Massenkommunikationsmittel. … Fernsehen ist eine Institution gesellschaftlicher Sinnproduktion mit der Ermöglichung auch individueller Sinnproduktion … gegen den Druck der außengesteuerten Sinnproduktion und des alltäglichen Sinndiktats. … Alle Thesen zum Kulturverfall durch Fernsehen sind inhaltlich und methodisch widerlegt.« Die zweite Be-Deutung der modernen Massenmedien stammt vom Schweizer Kulturphilosophen Max Picard, der sein 1946 erschienenes Werk Hitler in uns selbst mit folgender massenmedientheoretischer Passage beginnt: »Während einer Reise in Deutschland im Jahre 1932 besuchte mich der Chef einer großen deutschen Partei und fragte mich, wieso es möglich gewesen sei, daß Hitler so bekannt habe werden, daß er so viele Anhänger habe finden können. Ich wies auf die Illustrierte Zeitung hin, die auf dem Tische lag und sagte zu ihm, er möge sie anschauen. Auf der ersten Seite war eine fast nackte Tänzerin abgebildet; auf der zweiten Seite übte ein Bataillon Soldaten mit einem Maschinengewehr; darunter wurde der Gelehrte X in seinem Laboratorium gezeigt; auf der dritten Seite war die Entwicklung des Fahrrades von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute nachgebildet; daneben war ein chinesisches Gedicht abgedruckt; auf der nächsten Seite waren Gymnastikübungen der Arbeiter in der Y-Fabrik während der Freizeit photographiert, darunter die Knüpfschrift eines südamerikanischen Indianerstammes. Gegenüber steht der Abgeordnete A. in der Sommerfrische. ›Das ist die Art‹, sagte ich, ›wie der Mensch von heute die Dinge der Außenwelt [Erfahrungswirklichkeit] zu sich nimmt.‹ … Diese Zusammenhanglosigkeit einer illustrierten Zeitschrift ist im Vergleich mit dem Radio [das Medium Fernsehen, geschweige denn Internet kannte Picard zu diesem Zeitpunkt noch nicht] fast altmodisch, fast noch handwerklich. … Diese Welt des Radio ist nicht nur zusammenhanglos, sie produziert die Zusammenhanglosigkeit, sie produziert die Dinge so, daß sie von vornherein nicht miteinander zusammenhängen … – sie operiert von vornherein auf die innere Diskontinuität, auf die Zusammenhanglosigkeit des Menschen hin, damit arbeitet sie.« (Picard 1980, 13 ff.) Konträrer lässt sich die geistesgeschichtliche Einschätzung der modernen Massenmedien wohl kaum darstellen.

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

Deutung der modernen Massenmedien in der gängigen publizistikbzw. kommunikationswissenschaftlichen Forschung bzw. Literatur kaum thematisiert wird? Der Umstand, weshalb der Frage nach dem Warum des Entstehens der modernen Medien gegenwärtig kaum eine »thematische Öffentlichkeit« zugestanden wird, lässt sich meines Erachtens schwerlich anders denn dadurch plausibel erklären, dass bereits eine evident erscheinende Be-Deutung des geistesgeschichtlichen Kontexts der modernen Massenmedien vorgegeben ist, der der Status einer kaum näher begründungsbedürftigen Selbstverständlichkeit zugestanden wird. Diese vorausgesetzte »Selbstverständlichkeit« besteht in der Ansicht (unter Berufung auf zumeist für gewöhnlich nicht explizit erwähnte [angebliche] naturwissenschaftliche Tatsachen), dass der »Fortgang der Dinge« einen sinnvollen Verlauf nimmt, oder salopper formuliert: einen »roten Faden« hat. Anders ausgedrückt: Der gesamte Geschehnisablauf in Raum und Zeit – und in diesem »evolutiven« Zusammenhang vom Werden des Kosmos (»Kosmogenese«) über das Werden des Menschen (»Anthropogenese«) bis hin zum Werden der modernen Technik bzw. der modernen Massenkommunikationsmittel (»Mediagenese«) – nimmt demzufolge einen (fast ist man versucht zu sagen: zwingenden) gerichteten Verlauf, dessen Tatsächlichkeit (wohl aufgrund der allgemeinen Verbreitetheit dieses »Erkenntnisgerüchts«) offensichtlich keiner besonderen Begründung bedarf. Und dies, obwohl sich dafür bei etwas eingehenderer Betrachtung des gegenwärtigen Forschungsstandes keine zwingenden Anhaltspunkte finden. Wie sehr dieses natur- und damit geistesgeschichtliche Evolutionstheorem gerade auch im Bereich der Kommunikationswissenschaft den Rang einer nicht näher begründungsbedürftigen Tatsache innehat, wird etwa deutlich, wenn Faulstich (1991, 176) im Rahmen des Werkes Medientheorien, in dem er die bekanntesten aktuellen medientheoretischen Ansätze darstellt, schließlich resümierend schreibt: »Die Möglichkeiten bei der zukünftigen medienevolutionären Entfaltung von Kommunikation sollten … grundsätzlich positiv gesehen werden. … Schon zweimal hat sich in der Kommunikationsgeschichte ein … grundsätzlicher, totaler Umschlag vollzogen, bei der Einführung der Sprache und bei der Einführung der Schrift; und jeweils ist es den Menschen, ist es der Gesellschaft gelungen, neue Freiräume daraus zu konstruieren und kom-

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Geistesgeschichtliche Be-Deutung des Phänomens »Moderne Massenmedien«

plexere Formen für kreatives Handels ihrer Mitglieder zu entwickeln. Es spricht nichts dagegen, warum nach der Sprach- und der Schriftgesellschaft nicht auch die Mediengesellschaft ihr derzeit immer noch sprunghaft sich steigerndes Interaktions- und Konsenspotential nicht ähnlich konstruktiv nutzen sollte.«

Der »evolutionistisch-fortschrittliche« (Geistes-)Hintergrund des Zitats von Faulstich, das stellvertretend für den aktuell diesbezüglich vorherrschenden kommunikationswissenschaftlichen Grundtenor steht, lässt sich mit »freiem Auge« erkennen. Dies ist insofern nicht weiter verwunderlich, steht man doch damit in der Tradition jenes »fortschrittlich-rationalistischen« Geistes der Moderne, aus dem heraus sich die Massenmedien entwickelten (vgl. dazu Prutz 1973, Markus 1999 bzw. Markus 2006). Etwas irritierend erscheint allenfalls die allzu schlüssige Argumentation, gerade diese verrät argumentative Un(ge)sichertheit. Als Gegenposition bzw. »Antithese« dazu existiert die grundsätzliche Kritik dieser »Modernismen« im Sinne der Konstatierung einer »negativen Evolution« des menschlichen Geistes. Diesem Grundgedanken entsprechend gab bzw. gibt es prinzipielle Massenmedienkritik (d. h. Kritik nicht nur an ihren spezifischen Inhalten, sondern an dieser Form von Kommunikation), seit es Massenmedien gibt. 5 Die Massenmedien grundsätzlich negativ einschätzenden Kulturpessimisten auf der einen Seite sowie die die modernen Kommunikationsmittel als Teil der Evolution der »Anthropogenese« (bzw. »Mediagenese«) ansehenden Kulturoptimisten auf der anderen Seite verbindet demzufolge die Ansicht, dass man aus dem faktisch-feststellbaren raumzeitlichen Geschehnisablauf einen »roten Faden« ablesen könne, der die – je nach Anschauung positive oder negative – Einschätzung der modernen Massenmedien nahelegt. Die Problematik dieser beiden weithin gängigen Sichtweise(n) besteht meines Erachtens dabei nicht in erster Linie in der evolutionistischen Deutung der Erfahrungswirklichkeit, sondern in der Auffassung, diese Konzeption(en) stringent belegen zu können. Beispiel-

Vor allem die katholische Kirche war über Jahrhunderte hinweg den modernen Massenmedien gegenüber äußerst kritisch eingestellt; erst mit dem II. Vatikanischen Konzil bzw. dem dabei verkündeten Dekret über die Sozialen Kommunikationsmittel, Inter Mirifica, sowie der daraus erwachsenen Pastoralinstruktion Communio et Progresso erwuchs langsam eine geänderte Sichtweise. 5

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

haft sei hierzu Bolz (2007, 13) zitiert, der im Hinblick auf die »Mediagenese« beinahe »dogmatisch« formuliert: »Der Übergang von der Kultur der Mündlichkeit zur Buchkultur hat zwei Gründe. Zum einen brauchen Zivilisationen Speichertechniken, die das einzelmenschliche Gedächtnis weit überbieten; zum anderen zeigt sich in größeren Gesellschaften rasch, daß Mündlichkeit nicht zeitelastisch genug ist. Schrift wird deshalb zum neuen Leitmedium.«

Gemäß der – aus der neuzeitlichen Synthese zwischen rationalistischen und evolutionistischen Denkmustern entstandenen – Vorstellung, den Geschehensprozess in Raum und Zeit eindeutig in den (Be-)Griff zu bekommen, erwuchsen also einerseits »medienglorifizierende«, andererseits »(medi)apokalyptische« geistesgeschichtliche Einschätzungen der modernen Massenmedien. Trotz aller inhaltlichen Differenz verbindet dabei beide »Lager« die Voraus-Setzung des Gedankens, dass der raumzeitliche Geschehnisablauf (so oder so, d. h. entweder unter positiven bzw. negativen Vorzeichen) durch Entwicklung gekennzeichnet sei. D. h.: Die Massenmedien seien offensichtlich das Resultat eines (mehr oder weniger natur- bzw. kulturgesetzlichen) (d)evolutiven Prozesses. Einig ist man sich demnach weitestgehend bezüglich der entwicklungstheoretischen Sicht der Mediagenese; uneins in der Einschätzung, ob es sich dabei um eine Fortschreitung zum Positiven oder zum Negativen handelt. Auf der »positiven« Seite werden die Medien als Instrumente des allgemeinen Fortschritts beschrieben, auf der »negativen« Seite werden sie als Instrumente des Kulturverfalls gedeutet. Ein »dazwischen« angesiedelter »mittlerer« Deutungsweg der modernen Massenmedien bleibt die große Ausnahme. Denn dazu müsste die Entstehung der (jeweils) neuen Kommunikationsmittel einerseits grundsätzlich positiv eingeschätzt (zumindest nicht prinzipiell »verteufelt«) werden, (gleichzeitig) andererseits nicht im Sinne eines gleichsam damit vorgegebenen quasigesetzhaft-automatischen Fortschritts zum Positiven, – wodurch es erst möglich würde, (auch) auf die jeweiligen strukturbedingten Gefahren der betreffenden modernen Massenkommunikationsmittel relevant einzugehen, ohne diese dabei grundsätzlich ablehnen zu müssen.

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Die Basis des Medienverständnisses der Moderne/Post-Moderne

3.

Die Basis des Medienverständnisses der Moderne/PostModerne: Materie als Grundlage aller Wirklichkeit

Die These mag aufs erste verblüffend klingen: Grundlage eines relevanten Verständnisses der neuzeitlichen »Mediagenese« sowohl in Moderne wie Post-Moderne sei die kulturspezifische Voraussetzung der Materie als Grundlage aller Wirklichkeit. Schauen wir näher zu: Vorerst gilt es sich diesbezüglich vor Augen zu führen, dass die Primärsetzung der Materie als Realitätsbasis im Zuge der Moderne nicht als direkter Akt, sondern als indirekte Folge des scharfen Descartes’schen Schnittes zwischen Geist und Materie 6 anzusehen ist, den Descartes selbst gar nicht beabsichtigte (vgl. Kap. B/III/6). Mit anderen Worten: Der offensichtliche Erfolg der – vorerst nur auf Materie anwendbaren – naturwissenschaftlichen Methode führte schließlich nicht nur dazu, auch Lebendes und Geistiges nach diesem Schema zu analysieren, d. h. daranzugehen, diesen reduktionistischen bzw. kausal-linearen »Denkrahmen« auf alle Bereiche der Wirklichkeit auszudehnen, sondern schließlich zur Ansicht, den Wirklichkeitsgrund materieanalog zu begreifen. Wenn wir nun fragen: Was meint eigentlich Materie im Unterschied zu Geist?, so lässt sich darauf – wie oben schon dargelegt – antworten: »Materie nennen wir ein Sein, das nicht selbstverstehend ist, das also zwar ›ist‹, aber nicht sich selbst versteht [, … während Geist] als das sich selbst verstehende Sein zu beschreiben [ist], als Sein, das bei sich selbst ist.« (Ratzinger 1973, 120) Primärsetzung der Materie als Grundlage allen Seins bedeutet bzw. behauptet dementsprechend, »daß den Anfang und den Grund allen Seins jene Form von Sein bildet, das nicht selber seinsverstehend ist: das heißt dann weiter, daß das Verstehen von Sein nur als ein sekundäres Zufallsprodukt im Lauf der Entwicklung sich einstellt.« (Ratzinger 1973, 120) Wird nun – wie in der Moderne – Materie (als das sich nicht selbstverstehende Sein) als Grund aller Wirklichkeit behauptet, wird der Mensch – nolens volens – zum zentralen und letztlichen Bezugspunkt der Wirklichkeit. Dies wiederum hat ein völlig neues Verhältnis zu der ihn umgebenden Natur zur konsequenten Folge. Diese ist nicht länger als Schöpfung Gottes verstehbar, sondern muss nun als stummes und widerständiges evolutionäres »Zufallsprodukt« angesehen werden, demgegenüber sich 6

Als Folge des cogito, ergo sum (vgl. Pietschmann 2005, 81).

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

der von »transzendenten Einschränkungen« befreite »autonome Mensch« behaupten muss. Auf diesen Zusammenhang macht Manfred Rühl (1999, 75 ff.) aufmerksam, wenn er im Kapitel Neue Wissenschaft – neue Kommunikation – neue Gesellschaft: Francis Bacon seines Bandes Publizieren. Eine Sinngeschichte öffentlicher Kommunikation folgenden Gedankengang entfaltet: Um den künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein, die mit einer Gesellschaft ohne Transzendenzbezug verbunden sind, sei es – so Rühl – nach Bacon notwendig, die materiale Natur (besser) zu beherrschen 7. Der Mensch könne die (stumme) materiale Natur jedoch nur in dem Maße besser beherrschen, als er sie besser kenne. Dies wiederum solle vor allem durch eingehende Naturbeobachtung und induktive Schlussfolgerung geschehen, woraus allgemeine kausale Naturgesetze aufgefunden werden könnten. Diese allein dürften fortan als Erklärungsgrund physikalisch-materialer Vorgänge angenommen werden. Das gewonnene Wissen sei schließlich dem Praktiker zum Zweck der sicheren Handhabung weiterzureichen. Hier kommt nun die Dimension der Kommunikation in Spiel, in dem Bacon bei diesem Prozess des kontinuierlich wachsenden Wissens über die Natur(gesetzlichkeiten) einerseits die kontinuierliche Kommunikation zwischen den Forscher befürwortet, andererseits die Kommunikationsmittel Zeitung, Chronik und Annalen als Hilfsquellen der Wissensübermittlung begreift (vgl. Rühl 1999, 81). Ziel der neuen naturwissenschaftlichen Vorgangsweise war es, notwendige (materiale) Ablaufsfolgen zu ermitteln, die eine präzise (mathematische) Vorausberechnung von materialen (physiko-chemischen) Interaktionen ermöglichten. Ursprünglich allein auf Materie angewandt, kam es – wie oben schon erwähnt – in dem Maße, als die »naturwissenschaftliche Methode« in Wechselwirkung mit dabei entstandenen neuen technischen Möglichkeiten von Erfolg zu Erfolg eilte, dazu, diese Methode auch auf »Gegenstands«-Bereiche des Lebendigen bzw. des Menschlichen zu übertragen und dort zur Anwendung zu bringen. Möglich war diese Vorgehensweise, weil alles beobachtbare LeIn diesem Sinne schreibt Pietschmann (2005, 83): »Die Neuzeit hat aus dem [durch den Wegfall transzendenter Rückbindung entstandenen] Bedürfnis nach Sicherheit und Verbindlichkeit Materie als ausschließliche Substanz der öffentlichen Wirklichkeit erklärt.«

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Das Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien

bendige bzw. Menschliche immer auch materiale Anteile hat, die gemäß naturwissenschaftlich-kausaler Methodik analysierbar sind. Legitim bzw. angezeigt erscheint diese Vorgangsweise, wenn angenommen wird, dass Materie das eigentliche Grundelement der Wirklichkeit darstellt. Denn in diesem Fall ist alles Lebendige, Menschliche bzw. Geistige als Epiphänomen der Materie aufzufassen, das sich – zumindest prinzipiell – auf materiale »Bestandteile« reduzieren und ausgehend von diesen verstehen lässt. 8 Wie es nun dazu kommen konnte, dass das »gesicherte Wissen« der aufkommenden (Natur-)Wissenschaft zur »wahren Erkenntnis« werden konnte und es in diesem Gefolge zum Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien kam, soll im folgenden Kapitel skizziert werden.

4.

Das Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien als Folge/Parallelerscheinung der Etablierung des »Denkrahmens der Moderne«

In Kap. B/III/3 wurde mit Hilfe von Gieseckes Standardwerk Der Buchdruck in der frühen Neuzeit zu zeigen versucht, warum die modernen Massenkommunikationsmittel im neuzeitlichen Europa und nicht etwa im China des 12. Jahrhunderts, wo die dazu notwendige Drucktechnik in analoger Weise bereits vorlag, geschichtsmächtig wurde. Entgegen der vorherrschenden Meinung, dass das kulturelle Umfeld im frühneuzeitlichen Abendland dafür förderlicher gewesen sei als in Asien, kann Giesecke nicht nur plausibel aufzeigen, dass die europäische Vormoderne keine »versteckte Schriftkultur« darstellte, sondern warum diese keine »Noch-Nicht-Buchdruck-Kultur« war. Dies gelingt ihm, weil er das Phänomen Schrift bzw. Buchdruck nicht In diesem Sinne bemerkt der schwedische Chemiker Hans von Euler (1873–1964): »Mit jedem experimentellen Fortschritt in der Pflanzenphysiologie wird es deutlicher, daß diese Wissenschaft früher oder später mit der Pflanzenchemie zusammenfallen wird. Seitdem es allgemein anerkannt ist, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen chemischen Reaktionen [Interaktionen] außerhalb und innerhalb des lebendigen Organismus nicht besteht, muß es die Aufgabe der Physiologie sein, die Lebenserscheinungen [bzw. damit verbundene Kommunikationsereignisse] als chemische Reaktionen darzustellen.« (Euler zitiert nach Jahn 2004, 506)

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

aus der vertrauten Perspektive der Moderne, sondern aus dem Blickwinkel der Vormoderne betrachtet. Anders ausgedrückt: Nicht aus der Warte einer Nicht-Offenbarungskultur (Moderne) sondern aus jener einer Wort-Offenbarungskultur (Christentum). Dadurch eröffnet sich das Verständnis, dass die vormoderne Offenbarungskultur des Christentums 9 zur massenhaft-technischen Verbreitung von Information grundsätzlich nicht geeignet erscheint. Deshalb fiel der Schrift – allein für sich betrachtet – im vormodernen Europa keine zentrale Rolle im Erkenntnisgeschehen zu (vgl. Giesecke 2006, 587). Mit anderen Worten: Zur Etablierung der Buchkultur der Neuzeit war es nötig, die bislang gebräuchliche Vorstellung eines – was die Erkenntnis anbelangt – zweidimensionalen Sinnesorganmodells (innere und äußere Sinne, wobei die inneren Sinne die eigentlichen Erkenntnisorgane darstellen) auf die äußeren Sinne zu reduzieren (vgl. Markus 2006, 152, Giesecke 2006, 582 f.). Giesecke dazu im Wortlaut: »Wenn der Prozeß der Informationsgewinnung … reversibel, für die Käufer der gedruckten Bücher wiederholbar sein soll, dann muß man nach einem anderen [als dem vormodernen der Offenbarungskultur des Christentums], einfacheren [Erkenntnis-]Modell vorgehen. Eine solche Vereinfachung nahmen die Autoren der Fachprosa in der frühen Neuzeit [der beginnenden Nicht-Offenbarungskultur der Moderne] vor. Sie sahen von den inneren Sinnesorganen ab und schufen ein eindimensionales Bild des Menschen als informationsverarbeitendem System. In diesem war kein Raum mehr für einen allmächtigen Kommunikator [für Offenbarung]. Stattdessen postulierte man die Gleichheit aller Phänomene der Umwelt und erklärte alle Informationen, die nicht mit den äußeren Sinnen aufgenommen werden konnten, als nicht relevant für die Fachprosa.« (Giesecke 2006, 587)

Kurzum: Erst durch die Marginalisierung der Dimension der Offenbarung (die auf oben erwähntem bisensorischem Erkenntnisvermögen des Menschen basiert) »ließ sich eine intersubjektive Information herstellen, die bei jedermann gleiche Erkenntnisvorgänge reproduzieren konnte und erst so die Herausbildung des typographischen Informationssystems ermöglichte.« (Markus 2006, 153)

In diesem Sinne schreibt auch Giesecke (2006, 577): »Die christlich-mittelalterliche Erkenntnis ist im Prinzip eine Offenbarungs- oder Verkündigungslehre. Ohne die Berücksichtigung des Verkünders, Gottes nämlich, als Kommunikator läßt sie sich nur unvollkommen verstehen.«

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Das Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien

»Das Grundproblem der Autoren in der frühen Neuzeit, dessen Lösung überhaupt erst den Weg für einen multifunktionalen Einsatz der typo-graphischen Informationsmedien freimachte, war […]« – um noch einmal Giesecke (2006, 562 f.) zu zitieren – »nicht die Verschriftung von zuvor sprachlich gespeicherten Informationen und natürlich erst recht nicht die bloße Transformation von Manuskripten in eine Druckfassung, sondern die Operationalisierung der Wahrnehmung der Umwelt.« (Vgl. dazu auch Fleck 2011) Markus macht die damit verbundene Herausforderung deutlich, wenn er schreibt: »Es geht [im Kontext des Kulturprägendwerdens moderner Massenmedien] nicht nur um die massenhafte Vervielfältigung und Verbreitung der schriftlichen Informationsmittel, sondern auch um die massenhafte Verstehbarkeit und Nachvollziehbarkeit (und in weiterer Folge Nützlichkeit) der darin gespeicherten Informationen …« (Markus 2006, 149) So kann Markus mit Bezug auf Giesecke schließlich feststellen: »Als die hinreichende Bedingung der Massenkommunikation [mit Beginn der Neuzeit] hat sich die intersubjektiv-reproduzierbare Information 10 in einer kulturdominanten Ausprägung herausgestellt. Nur … unter den Voraussetzungen einer intersubjektiv-reproduzierbaren Information … und dem gleichzeitig kulturbeherrschenden Bedarf nach dieser Information … wird eine Massenkommunikation bzw. die massenhafte Informationsverbreitung entstehen können.« (Markus 1999, 127 f.)

Kurz: Das erste neuzeitliche Massenmedium »Buch« konnte in dem Maße kulturprägend werden, als intersubjektiv »gesichertes (wissenschaftliches) Wissen« zur »wahren Erkenntnis« (v)erklärt wurde; oder anders ausgedrückt: sich der »Denkrahmen der Moderne« durchsetzte. Markus drückt dies so aus: »Überstieg … das vormoderne Wissen [wahre Erkenntnis] das Faktum Schrift vor allem dadurch, daß es nur in [personaler] Verbindung mit einer überweltlichen Instanz vollständig [bzw. relevant] informieren konnte, so gibt es vor dem Hintergrund des neuzeitlichen sprachlich-eindeutigen [widerspruchsfreien] Verständnisses menschlicher Erkenntnis keinen Teil der Wahrheit [besser: des Erkennenswerten], der [zumindest potenziell] nicht rein sprachlich vollständig ausgedrückt werden kann.« (Markus 1999, 133)

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum sich das Medium Schrift in idealer Weise dazu eignet(e), die neue Gestalt »wahren 10

Wie sie die naturwissenschaftliche Methode fordert.

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

Wissens« vollständig zu erfassen, sowie der Buchdruck mit beweglichen Lettern bzw. das Massenmedium Buch dazu, das festgestellte Wissen schnell und massenhaft zu verbreiten (vgl. Markus 1999, 134). Es steht außer Frage, dass sich damit nicht nur ein Kulturwandel vollzog, sondern ebenso ein Überlieferungsbruch einherging, der bei vielen mit gravierenden Orientierungsschwierigkeiten verbunden war. Dies nicht zuletzt bedingt durch den Umstand, dass sich dieses Geschehen in rascher Folge ereignete und die gesamte europäische Kultur ergriff. Sehr erhellend ist in diesem Zusammenhang die Genese des heute vielfach gebräuchlichen Begriffs Fundamentalismus im Kontext des amerikanischen Protestanismus. Ratzinger führt dazu aus: »Der Begriff Fundamentalismus ist zunächst im amerikanischen Protestanismus des 19. Jahrhunderts entstanden. Die historisch-kritische Auslegung der Bibel, die sich im Gefolge der Aufklärung [bzw. des Siegeszuges moderner Wissenschaftlichkeit] gebildet hatte, nahm der Bibel ihre Eindeutigkeit, die sie bisher gehabt hatte und die die Voraussetzung des protestantischen Schriftprinzips gewesen war. Das Prinzip ›Die Schrift allein‹ lieferte plötzlich keine klaren Grundlagen mehr. Da ein Lehramt [im Protestanismus] fehlt, war dies eine tödliche Bedrohung für die Gemeinschaft im Glauben. Dazu kam die Evolutionstheorie [bzw. allgemeiner: die Dynamisierung des Wirklichkeitsverständnisses, etwa bei Hegel und Simmel], die nicht nur den Schöpfungsbericht und den Schöpfungsglauben überhaupt in Frage stellte, sondern Gott überflüssig machte. Das ›Fundament‹ war weg. Dagegen stellte man das Prinzip der strengen Wörtlichkeit der Bibelauslegung: Der buchstäbliche Sinn gilt unverrückbar. … Das ist ›Fundamentalismus‹ im ursprünglichen Sinn.« (Ratzinger 2004, 145)

Mit dem 19. Jahrhundert ist schließlich auch ein vermehrtes und rasantes Aufkommen von bildzentrierten Massenkommunikationsmitteln zu konstatieren. D. h. nach dem Geschichtsmächtigwerden der schriftzentrierten »Massenmedien« (Buch, Zeitung, Zeitschrift) mit dem 15./16. Jahrhundert werden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (auch) bildzentrierte Massenkommunikationsmittel zunehmend kulturprägend. Zwar konnten Bilder auch schon vor dem 19. Jahrhundert – rein technisch – massenhaft verbreitet werden, ja sogar schon lange vorher, man denke etwa an das frühneuzeitliche Flugblatt, doch erst mit den 1830er Jahren werden »Bild-Medien« zu einem vermehrt gesamtgesellschaftsprägenden Faktor. Dies zeigen nach Markus (2006, 27) folgende drei zu dieser Zeit vermehrt feststellbare Parameter: »Die schnell steigende Bildnach294 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien

frage und -verbreitung, die schnell steigende Anzahl der Bilder (vor allem) in den (immer noch) Schrift-Medien sowie die Geburt und eine schnell steigende Anzahl der Bild-Medien.« Jetzt erst beginnt – im gesamten westlichen Kulturkreis (Europa, USA, British Commonwealth) – die sogenannte »Massen-Presse« zu entstehen 11. Dafür sind nach Bollinger (1996, 16) vor allem zwei Gründe verantwortlich: die Reduzierung des Verkaufspreises der Zeitung sowie deren Bebilderung. Zur Zunahme der Bebilderung von Zeitschriften von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schreibt Markus (2006, 34): »Betrug der prozentuelle Bildanteil von ›Westermanns illustrierten deutschen Monatsheften‹ im Jahre 1856 nur 5,2 Prozent, so waren es 1907 schon 24,4 Prozent und im Jahre 1927 36,4 Prozent. Im 20. Jahrhundert rückte dann das prozentuelle Verhältnis zwischen Bild und Text weiter in die Richtung einer Hälfte [50 %]. Dieses betrug im Jahr 1961 für drei große illustrierte Zeitschriften in Deutschland, 42,4/57,6 (Stern), 41,1/58,9 (Quick), 42,3/57/7 (Revue) Prozent.«

In seinem Buch Das optische Zeitalter. Grundzüge einer neuen Epoche schreibt Karl Pawek bereits Anfang der 1960er Jahre: »Der Mensch früherer Zeiten hatte in seinem ganzen Leben nur eine begrenzte Anzahl von [verfertigten] Bildern vor Augen: einige bildliche Darstellungen in seinem Haus, ein paar in der Kirche. Nur eine sehr kleine Schicht von Menschen sah außerdem noch ein paar weitere Bilder in Schlössern, in Rathäusern und in einigen Büchern oder Flugschriften. … Im Jahre 1963 zähle ich in einer beliebigen Wochenausgabe einer deutschen Illustrierten 331 Bilder. … Aber man gewinnt von einer solchen Aufzählung noch keine Vorstellung von der modernen Bilderflut. Daß eine einzige Illustrierte in einer einzigen Nummer 331 Bilder bringt, sagt noch gar nichts. Man muß in die Rechnung einsetzen, daß sie vielleicht in einer Auflage von 1 600 000 Exemplaren erscheint, das heißt sie streut wöchentlich über fünfhundert Millionen Bilder in die Welt. … Nun gibt es bekanntlich Illustrierte mit einer Auflage von mehreren Millionen, … die zusammen Auflagen von vielen Milliarden Exemplaren haben und daher wahrscheinlich Billionen Bilder in mehr oder minder kurzen periodischen Abständen in Bis dahin werden Zeitungen und Zeitschriften in relativ kleinen Auflagen gedruckt. Koszyk weist darauf hin, »daß die Auflagen von Zeitschriften im 18. Jahrhundert jeweils unter 1000 Exemplaren lagen.« (Koszyk 1972, 58) Bollinger bemerkt zur Pressesituation in den USA zu dieser Zeit: »Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besaßen die Vereinigten Staaten insgesamt 25 Tageszeitungen und 400 Wochenblätter, alle mit noch bescheidenen Auflagen, von einigen hundert Exemplaren in kleineren Orten bis tausend oder etwas mehr in den Städten.« (Bollinger 1995, 117 f.)

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IV. Die abendländische MEDIA-Genese

die Welt tragen. … Multipliziert man noch die Anzahl der Bildeinstellungen stundenlanger Fernsehprogramme mit der Millionenzahl der Bildschirme in der Welt, … so sieht man die Flut der Bilder ins Unermeßliche steigen.« (Pawek 1963, 13 f.)

In Paweks Zitat wurde schon deutlich, dass die »Evolution« der BildMedien – wie wir wissen – mit der Bebilderung von Printmedien nicht zu Ende war, sondern in Gestalt von Fotographie, Film, Radio, Fernsehen, Schallplatte, Videorecorder, Satellit-TV, Personal Computer, Mobiltelefon, Internet, Smart-Phone, Social Media usw. in zunehmend rascherer Folge neue bild- und tonzentrierte Technologien hervorbrachte (vgl. dazu auch Buchmayr 1985). Damit verbunden war – worauf Wilke (1989) verweist – ein zunehmender Beitrag von Massenkommunikationsmitteln beim Zustandekommen historischer Ereignisse (Abbildung 40).

Abbildung 40: Bildmedienzuwachs Moderne (nach Markus 2006, 40)

Dies führte im kommunikationswissenschaftlichen Diskurs zur These bzw. zum Konzept der »Mediatisierung« als einem der prägenden 296 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

»Mediatisierung«

»Metaprozesse« der Moderne/Post-Moderne, dem das folgende Kapitel gewidmet ist.

5.

»Mediatisierung« als zunehmend lebensprägendes und alltagsbestimmendes Phänomen

Was in den vorigen Kapiteln mit dem Geschichtsmächtigwerden des Buchdrucks mit dem 16. Jahrhundert bzw. dem Siegeszug bildzentrierter Medien ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis an die Gegenwart skizziert worden ist (vgl. auch Kap. A/II), hat am Beginn des 21. Jahrhunderts inzwischen ein derart kulturprägendes, ja globales Ausmaß angenommen, dass die nahezu vollständige medientechnische Durchdringung der postmodernen Lebens-, Arbeits-, Freizeitund Alltagswelt – inzwischen als »Mediatisierung« beschrieben (vgl. Krotz 2001, Höflich/Gebhardt 2003, Schulz 2004, Couldry 2008, Hjarvard 2008, Mazzoleni 2008, Livingstone 2009, Lundby 2009, Hepp/Hartmann 2010, Trappel et al. 2011, Krotz/Hepp 2012, Averbeck-Lietz 2013, Höflich 2015, Steinmaurer 2016) –, als einer der »Metaprozesse der Moderne« (Lundby 2009, 5) aufgefasst wird sowie im aktuellen kommunikationswissenschaftlichen Diskurs eine zunehmend bedeutendere Rolle einnimmt. Über den deutschsprachigen Raum hinaus hat vor allem Friedrich Krotz die Thematik angestoßen, insbesondere seit seiner Habilitationsschrift Die Mediatisierung des kommunikativen Handelns (Krotz 2001). Dabei formuliert er – von ihm selbst (vgl. Krotz 2003, 33 f.) kurz zusammengefasst – u. a. folgende Thesen im Zusammenhang des Phänomens der Mediatisierung: • These der Allgegenwart der Medien: mediale Angebote in verschiedensten Gestalten (Fernsehen, Radio, PC, Zeitung, Zeitschrift, Buch, Videospiele etc.) sind sowohl privat als auch öffentlich in zunehmendem Maße üblich und alltäglich bzw. zeitlich in immer längeren Phasen für prinzipiell jedermann verfügbar. Die dabei vermittelten Inhalte dienen zunehmend als Orientierungs- bzw. Sinnangebot. • These der Verwobenheit der Medien mit dem Alltag der Menschen: Das überwiegende Wissen heute lebender »mediatisierter« Menschen stellt Wissen aus den Medien dar; auch die Kommunikation mit anderen Menschen erfolgt in wachsendem Ausmaß mittels Medien, wobei der Inhalt der Kommunikation 297 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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wiederum vermehrt aus den Medien stammt. In diesem Sinne gibt es für »Medienkommunikation« keine räumlich oder zeitliche Einschränkung mehr. • These von der Vermischung von Formen der Kommunikation: Interpersonale und Medienkommunikation verflechten sich zusehends und beeinflussen sich so wechselweise (vgl. Höflich 2015). • These von der zunehmenden Alltagsbezogenheit der Inhalte der standardisierten Kommunikation: Die Inhalte der verschiedenen Medien und ihre Darbietungsgestalten nähern sich thematisch der Alltagswelt der Konsumenten an, was die Vermutung nährt, dass dies wiederum eine entsprechende Rückwirkung nach sich zieht. Die zentrale dabei aufgeworfene Frage lautet: Wie ist der skizzierten Herausforderung durch »Mediatisierung« – sowohl kommunikationstheoretisch als auch handlungspraktisch – relevant zu begegnen? Bolz postuliert in Anbetracht dieses Faktums in seinem ABC der Medien (2007) gleich auf dem Buchumschlag: »Wer die neuen Medien nicht versteht, gehört zu den Analphabeten des 21. Jahrhunderts.« Mit nachfolgendem Schema (Abbildung 41) illustriert er schließlich die zunehmend globale Dimension annehmende »Mediatisierung«, wobei Bolz die damit verbundene Herausforderung vor allem darin erblickt, dass sich die Menschen »in der [medial-]globalisierten Welt auf vier Schicksalsfelder [verteilen], die durch zwei orthogonal zueinander stehende Gegensätze gebildet werden: ›arm vs. reich‹ und ›vernetzt vs. nicht vernetzt‹.« (Bolz 2007, 8) Linked Global Players

»Inder«

Have

Have-Nots »Alteuropäer«

die Ausgeschlossenen Linked-Nots

Abbildung 41: Mediatisierung und Globalisierung nach Bolz (2007,9)

Erläuternd fügt er hinzu:

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»Mediatisierung«

»Die Global Players sind beratungs- und erklärungsunbedürftig; die Ausgeschlossenen, die man ja nicht nur in den Favelas von São Paulo, sondern auch unter den Rheinbrücken findet, machen uns ratlos. Lehrreich sind die beiden anderen Felder. Mit ›Inder‹ bezeichne ich das Feld, das von denen besetzt ist, die zwar wenig besitzen, aber Anschluß an die Internetkultur gefunden haben. Hier liegt das Wachstum der Zukunft. Mit ›Alteuropäer‹ bezeichne ich das genaue komplementäre Feld, das von den lernunwilligen Wohlhabenden der westlichen Welt besetzt wird. Die Dynamik, die wir hier erwarten müssen, ist die einer Abwärtsspirale. Die Zukunft wird wohl zeigen, daß der Gegensatz ›vernetzt‹ vs. ›nicht-vernetzt‹ mächtiger ist als der zwischen arm und reich.« (Bolz 2007, 9)

Etwas anders beschreibt Hörisch in seinem Band Eine Geschichte der Medien die aktuelle Tendenz hin zur »globalen Mediatisierung« bzw. »mediatisierten Globalisierung«. Zwar bemerkt auch Hörisch, dass »heute [im 21. Jh.] Medientheorie als diensthabende Fundamentaltheorie (für ›alle‹ : Soziologen, Mediziner und Juristen, Geisteswissenschaftler und Theologen) fungiert«, denn es sei »eine mittlerweile triviale Feststellung, daß sich die Weltgesellschaft im Übergang zum dritten Jahrtausend als Mediengesellschaft erfährt, beobachtet und beschreibt.« (Hörisch 2004, 18) Doch widersteht er dem Sog, ein Buch vorzulegen, das sich mit dem Satz »Alle Geschichte ist Mediengeschichte« resümieren lässt, einerseits dadurch, indem er »die Gültigkeit des Satzes von der Halbwertszeit aller Großtheorien auch in diesem Fall anerkennt«, andererseits »indem er … dem Jenseits der Medien Respekt erweist, das sich nicht selbst als Medium beschrieben hat.« (Hörisch 2004, 18) In C/III/4 bzw. C/VIII wird darauf näher zurückzukommen sein. In jedem Fall stellt das Phänomen der »Mediatisierung« die Kommunikationswissenschaft vor völlig neue Herausforderungen, die Krotz im Beitrag Kommunikation im Zeitalter des Internet wie folgt deutlich macht: »Wir leben in einer Zeit rapiden medialen Wandels und der darauf bezogenen gesellschaftlichen Kommunikationsformen. Der Computer als ›Universalmaschine‹ und seine telekommunikative Vernetzung als PC im Internet und als Kern von mobilen Telefonen verändern Alltag und Freizeit, Arbeit und Medien, interpersonale Kommunikation und Politik und auch sonst so gut wie alle Bereiche des Lebens. Sie beeinflussen auch die Wahrnehmung der Menschen von Kultur und Gesellschaft, von sozialen Beziehungen und ihrer eigenen Identität. Dieser Wandel stellt die (sozialwissenschaftliche) Kommunikationswissenschaft vor völlig neue Herausforderungen, und zwar in vielfältiger Hinsicht … Die Kommunikationswissenschaft hat sich

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… weder hinreichend um die mediatisierte interpersonale Kommunikation gekümmert noch kultur- und medienwissenschaftliche Fragen und Perspektiven angemessen integriert. Es fehlt auch eine Kommunikations- und Mediengeschichte und es fehlt ein Verständnis der sozialen und kulturellen Bedeutung von Kommunikation und Medien für Alltag und soziale Beziehungen der Menschen, für Identität, Kultur, Gesellschaft.« (Krotz 2003, 21)

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V. Die Genese der Kommunikationswissenschaft (bzw. deren Vorläufer) aus dem Geist moderner Wissenschaftlichkeit

Die These lautet: Die Entstehungsgeschichte der Kommunikationswissenschaft ist im Kontext der Genese allgemeiner moderner Wissenschaftlichkeit zu lesen; das heißt wiederum: vor dem Hintergrund des Wirklichkeitsverständnisses der Moderne. Deshalb soll in diesem Kapitel – notwendigerweise nur fragmentarisch bzw. pars pro toto – nicht in erster Linie die Geschichte der Kommunikationswissenschaft bzw. deren Vorläufer nachgezeichnet werden 1, sondern deren inhaltliche Kontextualität, speziell im Hinblick auf die Genese moderner Wissenschaftlichkeit. Die Anfänge der institutionellen Vorläufer der heutigen Kommunikationswissenschaft – auf beiden Seiten des Atlantik – datieren in etwa zurück zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei zeigen sich von Beginn an unterschiedliche Zugänge. Während im Rahmen der »Kommunikationsforschung« in den USA von Beginn an politologische und soziologische Untersuchungen zu öffentlicher Meinung, Medieninhalten bzw. Medienrezeption im Vordergrund stehen 2 (vgl. Schramm 1997 bzw. Löblich 2010, 295), vollzieht sich die institutionelle Etablierung im deutschsprachigen Raum zunächst über das (forschungsperspektivisch eingeschränktere) Interesse des Einflusses des Massenmediums Zeitung auf Gesellschaft und Individuum (vgl. Hachmeister 1987). Schon das erste im deutschsprachigen Raum diesbezüglich im November 1916 an der Universität Leipzig errichtete Institut für Zeitungskunde macht dies deutlich. Vom Bruch (1986, 1) weist nämlich Auch nicht in einem eingeschränkten Sinne eines primären Fokus auf die deutschsprachige Fachhistorie. Dies ist einerseits schon aus unterschiedlichen Perspektiven geschehen (vgl. Vom Bruch 1986, Schmolke 1992), andererseits nicht Kernthematik der vorliegenden Schrift. 2 Namentlich genannt seien dabei George Herbert Mead (1863–1931), Charles Horton Cooley (1864–1929), John Dewey (1859–1952) und Walter Lippmann (1889– 1974). 1

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darauf hin, dass die Bezeichnung »Institut für Zeitungskunde« programmatischen Charakter hatte. Denn Karl Bücher, der Leiter des neu errichteten Instituts, dachte bei der Gründung keineswegs an einen neuen Wissenschafts-Zweig. »Das Institut sollte« – so vom Bruch wörtlich – »die wissenschaftliche Ausbildung und berufsqualifizierende Vorbildung für Journalisten fördern, während die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Presse unter wirtschaftlichen, statistischen, historischen und rechtlichen Gesichtspunkten im wesentlichen von Nationalökonomen, Historikern und Juristen betrieben wurde. Eine Disziplin ›Zeitungswissenschaft‹ schien nicht nur entbehrlich, sondern auch mit dem Wissenschaftsverständnis der angesprochenen Disziplinen unvereinbar …« (Vom Bruch 1986, 1)

Mit anderen Worten: Im Zentrum der frühen deutschsprachigen Fachgeschichte steht vorerst nicht die Bemühung um eine eigene wissenschaftstheoretische Grundlegung des Zeitungswesens, sondern die praktische (Journalisten-)Ausbildung. Büchers Leipziger Institut markierte insofern primär eine wissenschaftsinstitutionelle, keine wissenschaftsinhaltliche Zäsur. Dissertationen zum Zeitungs- und Pressewesen, die es an fast jeder deutschsprachigen Universität gab 3, wurden – auch nach Gründung des Leipziger Instituts – zunächst an verschiedenen anderen Fakultäten verfasst (vgl. Grün 1986). Wohl gab es auch schon vor dem 1. Weltkrieg vereinzelte Bemühungen um ein spezifisches zeitungswissenschaftliches universitäres Institut 4, doch im Vordergrund stand zumeist die praxisorientiere Ausbildung von Journalisten (vgl. Kniefacz 2008, 12 f.). Erst nach Grün (1986, 31) nennt 356 diesbezügliche Dissertationen, die an 21 deutschen Universitäten und Hochschulen im Zeitraum zwischen 1874 und 1919 verfasst wurden. Kniefacz (2008, 11) weist darauf hin, dass ab 1890 mehrere Professoren verschiedener Disziplinen an deutschsprachigen Universitäten die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Zeitungswesen anregten. 4 Erwähnt sei etwa die Inititative von Adolf von Harnack (1851–1930), seines Zeichens Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek und Präsident der »KaiserWilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften«, der sich schon 1913 für den Neubau der Zeitungssammlungen der Staatsbibliothek in Berlin-Dahlem – mit angegliedertem Institut für Zeitungsforschung – stark machte (vgl. Benedikt 1986, 106); der 1. Weltkrieg machte das Vorhaben zunichte. In Österreich gilt es in diesem Zusammenhang insbesondere auf den Historiker Wilhelm Bauer (1877–1953) hinzuweisen, der schon 1914 die vielbeachtete Monographie Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen vorlegte und zum Themenfeld der »öffentlichen Meinung« sowohl Vorlesungen an der Universität Wien abhielt als auch dazu weiter publizierte (vgl. Schmolke 1992, 24–36). 3

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Kriegsende wurde vermehrt ein fachbezogener zeitungswissenschaftlicher Anspruch erhoben. Durch die – wie Kniefacz schreibt – »verbreitete Überzeugung, dass das Scheitern einer staatlichen Presseund Propagandapolitik die Niederlage [im Weltkrieg] herbeigeführt hatte, ließen die Widerstände an den deutschen Hochschulen gegenüber der systematischen Behandlung der Presse nach.« 5 Exemplarisch sei hier das Ringen um das Berliner Institut für Zeitungskunde und Zeitungswissenschaft in groben Zügen beschrieben. Schon 1919 verfasste Martin Mohr die Programmschrift Zeitung und Neue Zeit. Vorschläge und Forderungen zur wissenschaftlichen Lösung eines sozialen Grundproblems (Mohr 1919). 6 Doch erst 1924 war es endlich soweit: Durch einen Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbilderung wurde das »Deutsche Institut für Zeitungskunde« (DIZ abgekürzt) ins Leben gerufen. Es hatte »den Lehrzwecken des zeitungswissenschaftlichen Unterrichts an der Universität in der Art einer seminarischen Einrichtung zu dienen.« (Mohr 1927, 9) Zum Leiter des Instituts wurde der langjährige Vorsitzende der »zeitungswissenschaftlichen Kommission« ernannt: Martin Mohr. Im »vorläufigen Arbeitsprogramm« des neuen Instituts findet sich der fachspezifische wissenschaftliche Aspekt nun ganz explizt als hehres, um nicht zu sagen idealistisches Ziel herausgestellt: »Auf dem Boden absoluter Außerparteilichkeit, gestützt auf das Vertrauen und die Mitarbeit der Publizistik aller Parteien, soll das Institut errichtet werden, das für sich selbst unabhängig dasteht und in streng wissenschaftlicher Arbeitsweise, mit den Vorrechten und Pflichten ähnlicher auf das lebendige Leben gerichteter Forschungsinstitute ausgestattet, als geistige Zentrale der fachlichen und ethischen Belange des Presseberufes die nachfolgenden Aufgaben zu erfüllen hat: … 1. Allgemeine pressefachliche AusAls Frucht dessen kann der Umstand angesehen werden, dass 1921 in Leipzig Zeitungskunde erstmals zum Prüfungsfach erhoben und 1924 in München das erste etatmäßige Extraordinariat des Faches errichtet wurde. 6 Mohr war Leiter der »zeitungswissenschaftlichen Kommission«, die praktisch mit Ende des 1. Weltkriegs, ja in den Wirren des Zusammenbruchs, am 9. Oktober 1918, auf der Jahresversammlung des Reichsverbandes der Deutschen Presse (RDP) in Berlin gegründet wurde (vgl. Benedikt 1986, 106; vgl. zur Person Martin Mohr: Heuser 1994). Unabhängig von der »zeitungswissenschaftlichen Kommission« hatte der Staatswissenschaftler Otto Jöhlinger im selben Jahr einen Lehrauftrag für das Zeitungswesen an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität erhalten, den er trotz anderweitiger beruflicher Tätigkeit bis zu seinem überraschenden Tod 1924 (mit 41 Jahren) wahrnahm. 5

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kunftsstelle … 2. besondere Fachaufgaben a) Beratungsstelle für die Anwärter zum journalistischen Beruf; b) (Fortbildung) 3. Förderung der zeitungswissenschaftlichen Bestrebungen … an den deutschen Hochschulen … 4. Austauschverkehr mit zeitungswissenschaftlichen Instituten des Inund Auslandes.« (Richter zit. nach Benedikt 1986, 110 f.)

Diesen Umstand hebt Benedikt hervor, wenn er dazu ausführt: »Das Ziel Mohrs war es, die Zeitungswissenschaft als eigenständige Wissenschaft in die Universität zu integrieren und die vielfältigen Aufgaben der Zeitung als ›allumfassende Kulturfunktion‹ darzustellen, etwa ›in ihrer Bedingtheit durch die Umwelt und in ihren Verpflichtungen der Menschheit gegenüber‹. Mohr räumte ein, daß die Zeitungswissenschaft zunächst die Hilfe anderer Wissenschaften brauche, zum Beispiel, um ihre Methode zu entwickeln; sie könne aber ebenso allen anderen Wissenschaften ›dienlich sein‹. Er unterstrich aber nachdrücklich, daß Arbeitsgebiet und -methoden der neuen Wissenschaft etwas durchaus Eigenes seien. … So sollte das Institut ›das was bisher Kunde‹ ist, auf die Höhe der wissenschaftlichen Forschung und Lehre führen …« (Benedikt 1986, 111)

1927 veröffentliche Mohr dazu die wegweisende Schrift Zeitungskunde und Zeitungswissenschaft im Deutschen Institut für Zeitungskunde in Berlin (Mohr 1927). Darin entfaltet er ein Konzept systematischer zeitungswissenschaftlicher Grundlagenforschung durch die Aufteilung des Gegenstandsbereichs in vier jeweils von einem Referenten zu betreuenden Fachgebiete (vgl. Heuser 1994). Leider verstarb Mohr – völlig überraschend – noch im selben Jahr. So war es in den folgenden Jahren vor allem an seinem Mitarbeiter Emil Dovifat, mit dessen Namen die Fachgeschichte der Zeitungswissenschaft in Berlin für gewöhnlich verbunden wird, die von Mohr vorgezeichnete Institutsentwicklung voranzutreiben. Schon bald wurde das Deutsche Institut für Zeitungskunde zur größten zeitungswissenschaftlichen Facheinrichtung im deutschsprachigen Raum. Doch allgemein gestaltete sich die Emanzipierung der Zeitungskunde/Zeitungswissenschaft als eigenständiges Fach in den 1920er Jahren schwierig und hürdenreich. Kniefacz bemerkt dazu: »Dem Fach fehlte es bis Ende der [19]20er Jahre an Kooperation mit wissenschaftlichem Austausch. Die Zeitungskunde war gespalten hinsichtlich ihrer Fakultätszugehörigkeit, die Fixierung des Gegenstandsbereichs war umstritten, die Methodik wurde den ›Mutterfächern‹ entliehen und die Fachvertreter sahen sich gedrängt, die Existenz ihrer Disziplin zu legitimieren. Zwar unterschied man zwischen der Funktion des Faches als Hilfswissenschaft, der erkenntnistheoretischen Analyse des Objekts ›Zeitung‹ und

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der journalistischen Berufsausbildung, dennoch wurden die Bezeichnungen ›Zeitungskunde‹, ›Zeitungswissenschaft‹, ›Zeitungswesen‹, ›Zeitungslehre‹, ›Zeitungsforschung‹, ›Pressekunde‹ oder ›Journalistik‹ bis in die zweite Hälfte der [19]20er Jahre weitgehend wahllos und häufig variiert verwendet.« (Kniefacz 2008, 15)

Erst allmählich begann die Diskussion über den eigentlichen Gegenstandsbereich des Faches und seine Erweiterung in Richtung einer Publizistik-Wissenschaft (vgl. Averbeck 1999). Hierbei ist insbesondere die von Karl Jaeger verfasste Schrift Von der Zeitungskunde zur publizistischen Wissenschaft (Jena 1926; reprint 1988) zu erwähnen. Darin regt Jaeger eine allgemeine »Lehre von den Mitteilungen« an und schlägt hierfür die Bezeichnung »publizistische Wissenschaft« vor (vgl. Hachmeister 1987, 23 f.). 7 Substanziell anders gestaltete sich die Entwicklung der Kommunikationsforschung nach dem 1. Weltkrieg in den USA. Löblich (2010, 295) weist darauf hin, dass der »Aufstieg positivistischer, quantitativer Forschungsleitbilder aus Soziologie und Politikwissenschaft sowie der Aufschwung des Behaviorismus in der Psychologie in den USA der 1920er Jahre … sich stark auf die Kommunikationsforschung ausgewirkt [haben].« Exemplarisch wird dies anhand des frühen amerikanischen PRPioniers Edward L. Bernays (1891–1995) deutlich, dessen 1923 verfasstes Werk Crystallizing Public Opinion als erster Versuch einer eigenständigen PR-Theorie gelten kann. In seinem 1928 vorgelegten Werk Propaganda vertritt er die (vom Behaviorismus maßgeblich beeeinflusste) These, die Menschheit könne und solle, ja müsse (!) mit Hilfe der (naturwissenschaftlichen) Erkenntnisse der Massenpsychologie manipuliert werden. Dementsprechend trägt das erste Kapitel des Werkes die Überschrift Organizing Chaos und beginnt mit dem Satz: »The conscious and intelligent manipulation of the organized habits and opinions of the masses is an important element in democratic [!] society.« (Bernays 1928, 9 f.) Im Zentrum steht dabei – wie Kunczik anmerkt – »das engineering of consent, d. h. die Anwendung [natur-]wissenschaftlicher Prinzipien zur Manipulation bzw. Steuerung der Gesellschaft.« (Kunczik 2010, 235) Zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnung sei es insbesondere in Massengesellschaften unumgänglich, die MechanisDaneben ist auf die von Otto Groth zwischen 1928 und 1930 publizierte vierbändige Enzyklopädie Die Zeitung hinzuweisen.

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men und Motive einzelner Bevölkerungsgruppen zu verstehen und das gewonnene »gesicherte Wissen« mit Hilfe von PR treffsicher einzusetzen. Das dabei vorausgesetzte naturwissenschaftlich-kausale Verständnis des Menschen macht Kunczik deutlich, wenn er schreibt: »Das Indiviuum wird dabei als Zelle im Organismus der menschlichen Gesellschaft gesehen. Es komme darauf an, die Nerven des sozialen Körpers [durch gezielte mediale Reize] an der richtigen Stelle zu treffen, dann erhalte man, wie beim Pawlowschen Hund, die richtige Reaktion.« (Kunczik 2010, 235) Als ideale Überleitung zur Schilderung der weiteren Genese der deutschsprachigen Fachgeschichte dient die 1998 unter dem Titel The Father of Spin – Edward L. Bernays and the Birth of Public Relations erschienene erste Biographie von Bernays, verfasst von Larry Tye. Dort schildert der Autor nämlich, dass Joseph Göbbels Bernays Schriften zur Konzipierung seiner antijüdischen Propaganda benützte (Tye 1998, 111). So geriet, vereinfacht ausgedrückt, die frühe deutsche »Kommunikationsforschung« – fast möchte man den Sachverhalt als grotesk bezeichnen – ab 1933 8 quasi mit Hilfe der frühen amerikanischen Kommunikationsforschung in die Fänge diktatorisch-totalitaristischer NS-Politik; zahlreiche federführende Personen der jungen universitären Disziplin mussten emigrieren. Die nun einheitlich Zeitungswissenschaft genannte Disziplin wurde als nationalsozialistische »Paradedisziplin« instrumentalisiert (vgl. Kniefacz 2008, 19 f.). Vor diesem Hintergrund versteht es sich praktisch von selbst, dass sich das Fach nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes 1945 in einer umfassenden, oder detaillierter – mit Löblich (2010, 20) formuliert – »einer institutionellen, personellen und theoretischen Krise« befand. Kurzum: Dem Fach fehlte es nicht nur an Personalstellen, Räumlichkeiten und finanziellen Mitteln, sondern vor allem an institutioneller Legitimation. »Noch 1960 war die Publizistik- und Zeitungswissenschaft für den Wissenschaftsrat lediglich ein ›Sondergebiet‹, das nur an den Universitäten Berlin und München zu pflegen sei 9. … Immer wieder erwogen Kultusminister und Fakultä-

Die österreichische nach dem Anschluss 1938. In Österreich erfolgte die Wiedereröffnung des 1942 gegründeten Instituts für Zeitungswissenschaft bald nach dem 2. Weltkrieg unter schwierigen Bedingungen, jedoch wurde dessen problematische Vorgeschichte dadurch zu umgehen versucht, indem man tradierte, das Institut sei aus der Gesellschaft für Zeitungskunde entstanden,

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ten die Auflösung der fachwissenschaftlichen Einrichtungen.« (Löblich 2010, 21) Noch Mitte der 1970er Jahre, also zu einem Zeitpunkt, als das Fach vermehrt studentischen Zulauf fand, beklagt Noelle-Neumann, dass die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in der akademischen Rangordnung »ganz unten« stehe (vgl. Noelle-Neumann 1975, 744). Dass die Publizistik-/Kommunikationswissenschaft in weiterer Folge von den Nachbarfächern zumindest in ihrer universitären Daseinsberechtigung nicht mehr bestritten wurde/wird, hat(te) wohl nicht nur mit der rapide steigenden Studierendenzahl sowie dem Ansteigen der Fachprofessuren zu tun, sondern vor allem mit jenem Geschehen, das Löblich in ihrer (gleichnamigen) Dissertation die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft (Köln 2010) nennt. Dabei zeigt die Autorin detailliert auf, wie das Fach von 1945 bis 1980 – insbesondere beeinflusst von empirisch-sozialwissenschaftlichen Arbeitsweisen nach US-amerikanischem Vorbild – allmählich aber stetig von einem geisteswissenschaftlich-normativ zu einem sozialwissenschaftlich-empirisch dominierten wurde. Dies führt uns wieder zurück nach Amerika. Dort beginnt sich mit den 1940er Jahren eine Kommunikationsforschung zu etablieren, die sich vor allem als Massenkommunikationsforschung versteht. Nach dem 2. Weltkrieg beginnt diese, zuerst in den USA, dann weltweit, unter verschiedenen »Labels« (Communications, Communication Science, Study of Communication, Communicology) zu einer prosperierenden Disziplin zu werden (vgl. Peters 2008, 150 f.). Löblich (2010, 299) spricht in diesem Zusammenhang vom »Postwar American Export«. Federführend treten dabei Paul Lazersfeld (1901– 1976), Carl Hovland (1912–1961), Harold Lasswell (1902–1978) und Wilbur Schramm (1907–1987) in Erscheinung. Ab den 1950er Jahren gibt die US-amerikanische (Massen-) Kommunikationsforschung zunehmend die internationalen kommunikationswissenschaftlichen Maßstäbe vor. Ende der 1950er Jahre kann Harold D. Lasswell, eine der federführenden Gestalten, bereits feststellen: »No change in the academic world has been more characteristic of the age than the discovery of communication as a field of also aus der Zeit vor dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland (vgl. Kniefacz 2008, 199).

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research, teaching, and professional employment.« (Lasswell 1958 zit. nach Rühl 2008, 13) Löblich merkt dazu mit kritischem Unterton an, dass die kommunikationswissenschaftliche Leaderschaft der oben genannten »Fourfathers« 10 »nicht nur an ihrer wissenschaftlichen Brillanz [lag], sondern mindestens eben so sehr an der massiven staatlichen Förderung der quantitativen Sozialforschung zwischen 1940 und 1960.« (Löblich 2010, 297) 11 So nimmt es nicht Wunder, dass in den 1950er Jahren, (noch) im Unterschied etwa zum deutschsprachigen Raum, die US-amerikanischen Sozialwissenschaften weitestgehend von »objektivistischen Methodologien« beherrscht werden (vgl. Delia 1987, 23–46) und (Massen-)Kommunikationsprozesse vor allem als kausal-lineare, medienvermittelte Wirkungsprozesse analysiert werden. Ziel des neuen Institute for Communication Research war es dementsprechend, »empirische Generalisierungen oder ›Gesetze‹ des Kommunikationsverhaltens [zu entdecken], die durch Hypothesentestung mittels standardisierter Verfahren erarbeitet werden sollten. … Die Präferenz für quantitative Daten, experimentelle Forschung und statistische Auswertung marginalisierte historische, kulturwissenschaftliche sowie nicht-statistische Verfahren.« (Löblich 2010, 295 f.) Da bei der demokratischen Neuordnung Deutschlands und Österreichs nach dem 2. Weltkrieg die USA bekanntlich die federführende Rolle innehatten, erscheint die These Hardts (2002, 34); plausibel, dass die Adaption amerikanischer Massenkommunikationsforschung sehr gut geeignet war, die ideologisch diskreditierte Publizistik- und Zeitungswissenschaft in Deutschland zu rehabilitieren. Zudem half – wie Löblich (2010, 300) bemerkt – die »Orientierung an Diese als »Founding Fathers« der Mass Communication Research bezeichneten Forscher hatten fast alle »die Kriegsjahre damit verbracht, Propaganda, Truppenmoral und öffentliche Meinung zu erforschen oder Medieninhalte zu durchforsten« (Löblich, ebd., 297 bzw. Simpson 1994, 107–117). Simpson (1994, 9) schätzt, dass die USA allein in den frühen 1950er Jahren, d. h. zur Zeit des beginnenden »Kalten Krieges« zwischen Ost und West, jährlich eine Milliarde Dollar für die Erforschung von Propagandatechnologien mit Hilfe umfangreicher Sozialforschungsprojekte zur Verfügung stellte. 11 Beispielhaft wird dies deutlich, wenn Löblich mit Bezug auf Simpson (1994, 3 f.) schreibt: »Über Jahre lieferte das Regierungsgeld mehr als 75 Prozent des Jahresbudgets von Paul Lazersfelds Bureau of Applied Social Research an der Columbia-Universität, von Hadley Cantrils Institute for International Social Research in Princeton sowie von Ithiel de Sola Pools Center for International Studies am Massachusetts Institute of Technology.« (Löblich 2010, 298) 10

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V. Die Genese der Kommunikationswissenschaft

der Mass Communication Research mit ihren elaborierten Methoden … der Publizistikwissenschaft, ein eigenständiges empirisch-sozialwissenschaftliches Profil auszubilden und einen eigenen gesellschaftlich relevanten Forschungsgegenstand – Medienwirkungen – zu formulieren.« In diesem Zusammenhang spricht sie von der oben genannten »empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende« in der deutschsprachigen Publizistikwissenschaft ab den 1960er Jahren. Dieser Wandel ist insofern von nicht zu unterschätzender Bedeutung, als damit unterschiedliche Erkenntnis- bzw. Wissenschaftsverständnisse verbunden sind, die – nolens volens – eine grundlegende Veränderung des Fachverständnisses nach sich zogen (vgl. Löblich 2010, 33), wobei dieser Wandel nach Löblich nicht abrupt-revolutiv, sondern allmählich-evolutiv eintrat. Schon bald war im Zuge der fachlich-inhaltlichen Umorientierung zu konstatieren, dass die Beschäftigung mit historischen Themen drastisch zurückging (vgl. Löblich 2010, 96). Die Fachvertreter wandten sich vermehrt aktuellen medienpolitischen und medienpraktischen Themen sowie der Generierung von Anwendungswissen zu. Für die Verfechter der neuen empirisch-sozialwissenschaftlichen Richtung wie Noelle-Neumann oder Eberhard bestand kein Zweifel, dass die Publizistikwissenschaft zu den Sozialwissenschaften zu zählen war und im Fach vermehrt mit empirisch-statistischen Methoden zu arbeiten sei. Löblich bemerkt dazu: »Die Kernvorstellungen im empirisch-sozialwissenschaftlichen Fachverständnis sind: Orientierung an der US-amerikanischen Kommunikationsforschung, am Kritischen Rationalismus oder Positivismus, starkes Methodenbewusstsein, Anwendung quantitativer Verfahren, Formulierung empirisch überprüfbarer theoretischer Aussagen sowie Gegenwarts- und Anwendungsbezug.« 12 Löblich (2010, 151–210) zeigt in ihrer Arbeit mit Akribie, wie sich dieses neue Fachverständnis an unterschiedlichen kommunikatiEs sei zumindest in der Fußnote angemerkt, dass, wie Löblich (2010, 135) schreibt, »über Werturteilsfreiheit – eigentlich die zentrale Norm im empirisch-analytischen Wissenschaftsverständnis … außer von Fritz Eberhard und Franz Dröge nicht debattiert [wurde].« Diese wurde – als offenkundig nicht explizit begründungsbedürtig – einfachhin vorausgesetzt. Den damit verbundenen erkenntnistheoretischen Grundgedanken drückt Franz Dröge aus, wenn er betont, dass die Auflage der Publizistikwissenschaft nicht das »Setzen dessen, was geschehen soll« sei, sondern die »interessenlose, analytische« Beobachtung der »Wirklichkeit« (vgl. Dröge 1966, 149).

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onswissenschaftlichen Standorten durchgesetzt hat. Damit gelang es zwar nicht, ein explizites gemeinsames Fachverständnis zu formulieren, doch bestand zumindest hinsichtlich der empirisch-analytischen Ausrichtung des Faches weitgehend ein impliziter Konsens. Das Selbstverständnispapier der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) aus dem Jahr 2008 hat dies jüngst bekräftigt 13. Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass insbesondere nach dem 2. Weltkrieg – sowohl in Europa wie in Übersee – medienkritische Stimmen von bislang nicht gekanntem Ausmaß laut werden; sie reichen im englischsprachigen Raum von der soziologischen Studie The lonely crowd (Riesman, Glazer, Reuel, 1950), Vance Packards Hidden Persuaders (1957), Marie Winns The-Plug-In-Drug: Television, Children & The Family (1977) über Neil Postmans Amusing Ourselves to Death. Public Discourse in the Age of Showbusiness (1985) bis zu Norman Solomons aktueller Kritik an der weltweiten digitalen geheimdienstlichen Überwachung; im deutschsprachigen Bereich von den kulturkritischen Medientheorien Max Picards (Hitler in uns selbst, 1946, siehe 41980), Günther Anders’ (Die Antiquiertheit des Menschen, 1956) und Theodor W. Adornos (Prolog zum Fernsehen, 1953) über Claus Eurich (Das verkabelte Leben, 1980, Die Megamaschine, 1988) bis hin zu Stefan Webers Medialisierungsfalle (2008) und der gegenwärtigen Kritik an den Social Media, wobei insbesondere die »Konsumstruktur« der modernen Bild-Medien kritisch reflektiert wird. Darüber hinaus hat sich vor allem die angloamerikanische Kommunikationsforschung (vgl. Kap. B/III/12) in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt nicht nur der Frage den Bedingungen gelingender Human-Kommunikation zugewandt, sondern auch pathologische Gestalten von Kommunikation, also die »dark side of human communication«, theoretisch in den Blick genommen (vgl. Smith/Wilson 2010 bzw. Rothe 2003, 2006). Bemerkenswert erscheint schließlich die Wahrnehmung Löblichs, dass, nachdem manchen Autoren »die geisteswissenschaftliche Publizistik und Zeitungswissenschaft wie ein ›enges Korsett‹ vorgekommen [ist –], … [d]as Ergebnis der Wende … wieder aus einem Wörtlich heißt es da: »Die Kommunikations- und Medienwissenschaft versteht sich als theoretisch und empirisch arbeitende Sozialwissenschaft mit interdisziplinären Bezügen.« (DGPuK 2008, 1)

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Korsett, vor allem in methodologischer Hinsicht [, bestand].« (Löblich 2010, 311) Die Bedeutung der empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende sollte ihres Erachtens vor allem deshalb nicht überschätzt werden, weil bis dato die Lösung des Kernproblems des Faches, die Gewinnung einer spezifischen, disziplinären Erkenntnisperspektive, immer noch aussteht (vgl. Löblich 2010, 313). Es sollte jedenfalls zumindest zu denken geben, wenn sie resümierend – mit Verweis auf Bohrmann – bemerkt: »Auch wenn die Kommunikationswissenschaft heute ›von den Studenten nachgefragt, von der Praxis im allgemeinen geschätzt und von den Nachbarfächern nicht nur geduldet‹ wird (Bohrmann 1997: 65) – noch immer legitimiert sich die Disziplin vor allem durch ihre Ausbildungskompetenz und nicht in erster Linie durch ihre Forschungsleistungen.« (Löblich 2010, 313) Darauf wird im folgenden Teil C der Arbeit zurückzukommen sein.

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VI. Erneute – nun diagnostische – Bewertung der allgemeinen bzw. kommunikationsspezifischen aktuellen »Tendenzkräfte«

Basierend auf der vorangegangenen Betrachtung des Verhältnisses von Kommunikation und Erkenntnis im Kulturvergleich soll nun darangegeangen werden, die in Teil A anamnetisch ermittelten allgemeinen sowie kommunikationsspezifischen »Tendenzkräfte« diagnostisch zu bewerten: Führen wir uns dazu die in Teil A aufgeführten allgemeinen Tendenzkräfte bzw. deren kommunikationsspezifischen Pendants noch einmal im Überblick vor Augen (Abbildung 42). »Tendenzkräfte« allgemein

kommunikationsspezifisch

Dynamisierung

»Kommunikationshype«

Globalisierung

»Weltkommunikation«

Virtualisierung

Social media

Ökonomiesierung

Kommunikation als boomender Geschäftsbereich

Individualisierung

Profilierung

Ökologisierung

»Alternative Netzkultur«

Krisenhafte Beschreibung des status quo

Krisenhafte Beschreibung von Kommunikation

Fehlende Vor-Bilder, »gründende Worte«

Fehlen einer allgemeinen Theorie der Kommunikation

Abbildung 42: Tendenzkräfte

Die zu beobachtende Dynamisierung lässt sich in kulturspezifische Beziehung setzen zum Fortschrittsdenken der Moderne, das schließlich – insbesondere nach dem 2. Weltkrieg – primär im Sinne eines weitgehend »weltanschaulich«-wertneutralen Wohlstandsfortschritts bzw. einer damit verbundenen wirtschaftlichen Prosperität (mit den Schlagwörtern Entwicklungshilfe, Demokratisierung, freie 312 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VI. Erneute Bewertung der aktuellen »Tendenzkräfte«

Marktwirtschaft) verstanden wurde (vgl. Grieshofer 2014). Dadurch wird verständlicher, warum der Begriff Globalisierung ursprünglich betriebswirtschaftlich konnotiert ist und vorerst Phänomene transnationalen Wirtschaftens subsumiert. In enger Beziehung damit steht die nächste festgestellte »Tendenzkraft« der Virtualisierung. Wachsende weltweite Wirtschaftsbeziehungen über große Distanzen hinweg erfordern »globale Kanäle« zum Zwecke des möglichst raschen wechselseitigen Informationsaustauschs. Dafür ist das »Virt Wide Web« mit der Möglichkeit einer »globalen Allgegenwart« wie geschaffen. Ja mehr noch: Inzwischen ist Information bzw. damit verbundene IC-Technologie zu einem – wenn nicht zu dem – zentralen »Produkt« unserer Epoche geworden (vgl. Händeler 2005). Die Ökonomisierung als aktuelle Tendenzkraft lässt sich vor dem kulturspezifischen Hintergrund unserer plural-liberal ausgerichteten westlichen Gesellschaft begreifen, die in Ermangelung allgemein-verbindlicher Wertvorgaben das Nutzenprinzip zum eigentlichen »Leitstern« erkoren hat (vgl. Reisenbichler 2011, Grieshofer 2012). Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die beobachtbare Tendenz zur Individualisierung dechiffrieren: in dem Maße, in dem in einer Gesellschaft die allgemeinen Wertvorgaben zunehmend ausdünnen, ist der Einzelne angehalten, sich zu »sinndividualisieren«. Eine allgemeine Klammer bietet allenfalls eine gemeinsam zu schützende (globale) Umwelt (Tendenzkraft Ökologisierung), die jedoch nicht als allgemeine Sinnstiftungsinstanz, sondern bestensfalls als natürliche Grundlage dafür angesehen werden kann. 1 Diese individuelle Sinnsuche geht dabei – um es vorsichtig auszudrücken – nicht mehr notwendig mit der Suche nach allgemeinen ethischen Wertmaßstäben einher, insbesondere bedingt durch das Fehlen von Vorbildern bzw. »gründender Worte«; auch im Hinblick auf »Sinn« rückt so – in tendenzieller Ermangelung von Ethisch-Verbindlichem In diesem Sinne schreibt Schmucker (1980, 323): »Es gibt kein epochales, Lebenssinn vermittelndes [allgemeines] Weltbild mehr. Die intuitive Kraft des Menschenwesens, aus der die alten Bilder der Welt lebten, ist erlahmt unter dem Druck des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Zwar wird der Begriff ›Weltbild‹ heute gerade im Zusammenhang mit den Ergebnissen der modernen Naturwissenschaften noch recht häufig in Anspruch genommen, doch handelt es sich dabei – genau besehen – stets nur um wissenschaftlich-kostruierte Naturbilder. Diese Reduktion läuft parallel zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt.«

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VI. Erneute Bewertung der aktuellen »Tendenzkräfte«

– das utilitäre Element in den Vordergrund, in Gestalt des PrivatInteresses. 2 Das Fehlen eines allgemein-orientierunggebenden Wirklichkeitsverständnisses bzw. dessen Ersetzung durch »orientierungsneutrale« ökologische Natur(vor)bilder lassen nun die aktuelle krisenhafte Beschreibung des status quo besser diagnostizieren; Natur ist immer in der Krise, droht stets aus der Balance zu geraten (Missernten, Waldsterben, Artensterben, Umweltverschmutzung, Dürreperioden, Klimaerwärumung, Eiszeit etc.); in dem Maße, in dem sich eine Gesellschaft an einem ökologischen Natur(welt)bild orientiert, erlebt es den status quo – nolens volens – praktisch permanent als krisenhaft, als »ökologische Endzeit«. Damit zur Diagnose der kommunikationsspezifischen Pendants der allgemeinen Tendenzkräfte: Lässt sich die beobachtbare allgemeine Tendenzkraft der gesamtgesellschaftlichen Dynamisierung als Ausdruck des neuzeitlich-modernen Fortschrittsoptimismus auf dem Weg zu säkularutopischen Zielvorstellungen lesen, so erscheint der Kommunikations-Hype – als dessen spezifisches Pendant – vordergründig dadurch plausibel, dass eine Dynamisierung der Lebens- und Arbeitswelt beinahe zwangsläufig auch eine Intensivierung kommunikativen Austauschs nach sich zieht; grundlegemder betrachtet wird das Phänomen – in seiner umfassenden Multidimensionalität – jedoch vor allem dadurch lesbar, dass in gegenwärtigen (postmodernen) Realitätskonzeptionen, zumindest tendenziell, sowohl der Mensch als auch alle andernen Phänomene nicht nur in Beziehung zueinander stehend, sondern von Grund auf relational gedacht werden (vgl. Hamberger 2008a, 8). Alles steht demnach nicht nur mit allem in Beziehung, sondern alles ist letztlich Beziehung, Dialog, Wechselwirkung, Kommunikation. Theoretischer Ausdruck dessen ist eine zunehmende »RelationalisieDer Mediziner und Psychotherapeut Joachin Bodamer schreibt dazu schon Mitte der 1960er Jahre: »Mit einer gewollten Überspitzung möchte ich diesen Tatbestand so kennzeichnen: Wenn ein heutiger Mensch etwas Böses nicht tut, dann nicht deshalb, weil er das Böse haßt oder fürchtet, sondern weil ihm die böse Tat vielleicht Nachteile einbringen könnte vor der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit oder in seiner beruflichen Laufbahn, Gesichtspunkte, die mit Sitte und Ethik nichts zu tun haben. Recht und Unrecht, nicht im kriminellen Sinne, sondern im sittlichen, sind zweifelhafte Begriffe geworden, ihre Grenzen fließend und ineinander übergehend.« (Bodamer 1964, 111)

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VI. Erneute Bewertung der aktuellen »Tendenzkräfte«

rung des Wirklichkeitsverständnisses«, der praktisch offensichtlich wird in vielfältigen realen Manifestationen von Kommunikation. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen in diesem Sinne nicht nur »Weltkommunikation«, sondern können als integraler Bestandteil einer »relationalen Realität« begriffen werden. Diese Relationalisierung von Realität hat als einer der ersten Georg Simmel bereits Anfang des 20. Jahrhunderts postuliert, als er die Wechselwirkung zum eigentlichen »metaphysischen« Grundprinzip seiner Lebensphilosophie erhob. Damit sind zwei weitere kommunikationsassoziierte »Tendenzkräfte« verbunden: Social Media – als Spezifikum von Virtualisierung – sowie Profilierung als Kommunikationspendant zur (allgemeinen) Individualisierung. Beide genannten kommunikationsspezifischen Tendenzkräfte lassen sich insofern vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten postmodernen »Relationalisierung des Wirklichkeitsverständnisses« lesen, als es sowohl im Kontext von SocialMedia-Kommunikation wie in jenem der Profilierung im World Wide Web einerseits nicht mehr (nur) um Selbstdarstellung, sondern auch um Selbstkreation, um die immer wieder neue Selbsterfindung geht, wobei andererseits dieses »selbst« gerade im Austausch mit anderen bzw. deren Profilen entsteht, vergeht und sich so permanent wandelt. »Kommunikation« als boomender Geschäftsbereich – als kommunikationsspezifische Tendenzkraft zur allgemein beobachtbaren Ökonomisierung – schließt an die eben genannten Spezifika nahtlos an. In einer von Nützlichkeitsdenken, Kollektiv- bzw. Individualinteressen geprägten dynamisierten bzw. mediatisierten Kultur erscheint es folgerichtig, dass »Kommunikation« (bzw. dessen Ermöglichung) selbst zur Ware bzw. zur handhabbaren Ressource wird. Damit kommt ein neues Gesicht der Armut in den Blick: Informations- bzw. Kommunikations-Armut. Diese wird gerade in einer postmodernen Gesellschaft vermehrt spürbar und damit bewusst (Stichworte Mobbing, political correctness), die sich wie wohl keine zuvor als »vernetzte Kultur« beschreibt (vgl. Bolz 2007, 8 f.). Gerade dieses kritische aktuelle Bewusstsein – auch im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Ökonomie, Kommunikation und Information – lässt die kommunikationsspezifische Tendenzkraft »Alternative Netzkultur« relevanter diagnostizieren. Sie kann geradezu als Gegenstrom zur Ökonomisierung von Kommunikation gelesen werden, insbesondere was »transökonomische« Fromen von 315 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VI. Erneute Bewertung der aktuellen »Tendenzkräfte«

freier Partizipation oder Vergemeinschaftung im Internet anbelangt. Die verschiedenen – vielfach unbezahlten, ja unbedankten – Aktivitäten alternativer Netzkultur bieten somit, zumindest indirekt, auch einen Gegenentwurf zur gängigen Vorstellung des Menschen als »homo oeconomicus«. Wie lässt sich schließlich die vermehrt krisenhafte Beschreibung von menschlicher Kommunikation – als spezifisches Pendant zur allgemeinen krisenhaften Beschreibung des status quo –, die sich auch in zunehmender kommunikationswissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der »dark side of communication« in den vergangenen Jahrzehnten niederschlägt (vgl. Smith/Wilson 2010 7 f.), diagnostisch einschätzen? Dies kann vor dem Hintergrund gelesen werden, dass – wie an anderer Stelle schon deutlich gemacht – in dem Maße, in dem der Mensch in der abendländischen Moderne als »autonomes Subjekt« zu verstehen gegeben wird, der Andere (zumindest theoretisch) zu einem grundlegenden Problem wird (vgl. Evers 1979, Greshake 1997). Da der Mensch offenkundig ein auf Gemeinschaft hin angelegtes Wesen ist (schon Aristoteles beschrieb ihn als zoon politicon), stellt im kulturspezifischen Fall der Moderne der Andere nicht zuletzt ein (permanentes) Kommunikations-Problem dar, denn – mit Rothe (2006, 235) gesprochen – »die Absolutsetzung [des Ich] macht die Kommunikation unausweichlich inkongruent.« Bleibt noch die Frage, wie das gegenwärtige Fehlen einer allgemeinen Theorie der Kommunikation auf der Basis des skizzierten Kulturvergleichs zu diagnostizieren ist? Wie im vorangegangenen Kapitel B/V Die Genese der Kommunikationswissenschaft (bzw. deren Vorläufer) aus dem Geiste moderner Wissenschaftlichkeit deutlich wurde, verstand sich das Fach ursprünglich – mehr oder weniger unreflektiert – geisteswissenschaftlich-normativ. 3 Nach 1945 – insbesondere mit den 1960er Jahren – wurden in das Fach zunehmend empirisch-analytische bzw. soziologische Arbeitsweisen nach USamerikanischen Vorbild aufgenommen. Parallel dazu wurde – vor allem im Rückblick auf die Instrumentalisierung der Zeitungswissenschaft im Dritten Reich – eine normative Grundlegung – als etwas

Löblich (2010, 12) macht dies deutlich, wenn sie schreibt: »Von der Gründung des ersten Instituts für Zeitungskunde an der Universität Leipzig im Jahr 1916 bis in die 1960er Jahre hinein überwogen medien- und kommunikatorzentrierte Perspektiven, historische und philologische Methoden sowie ein normatives Fachverständnis.« (Vgl. dazu auch Averbeck/Kutsch 2002)

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VI. Erneute Bewertung der aktuellen »Tendenzkräfte«

prinzipiell zu Überwindendes angesehen. 4 So kam es – in aller Kürze skizziert – zu jenem aktuellen Selbstverständnis der Kommunikationswissenschaft als empirische Sozialwissenschaft 5. Mit anderen Worten: in den vergangenen Jahrzehnten bildete sich ein »sozialwissenschaftlich-empirischer Mainstream« heraus, der seinen (indirekten) Niederschlag in den Einführungswerken und Standardlehrbüchern des Faches Kommunikationswissenschaft findet. Warum – so gilt es zu fragen – ermangelt es dann noch immer an einer allgemeinen Theorie der Kommunikation? Dies liegt offenkundig darin begründet, weil man sich bislang – trotz Herausbildung eines weithin akzeptierten kommunikationswissenschaftlichen Selbstverständnisses – nicht auf ein gemeinsames inhaltliches Verständnis von Kommunikation einigen konnte; oder mit Löblich 2010, 305) ausgedrückt: »[e]ine gemeinsame theoretische Bestimmung des Gegenstands im Sinne einer ›disziplinären Perspektive‹ nicht erfolgte.« Demnach stellt die »empirisch-sozialwissenschaftliche Wende« in der Kommunikationswissenschaft vor allem eine Wende auf der methodologischen Ebene dar (vgl. Löblich 2010, 304), wodurch die Beantwortung der Frage nach Material- und Formalobjekt 6 des Faches Dass ein wertfreies Verständnis von Wissenschaflichkeit zwar eine hehre Gesinnung zum Ausdruck bringt, aber realiter nicht durchführbar ist, macht Tenbruck in seinem Band Die unbewältigten Sozialwissenschaften oder Die Abschaffung des Menschen deutlich, wenn er zu dieser Problemstellung kritisch anmerkt: »Wissenschaft bildet die Wirklichkeit nicht ab. Sie liefert eine besondere Art des Wissens und beruht deshalb [immer] auf einem irgendwie gearteten Interesse an dieser Art von Wissen. Logisch geht also eine aktuell verdeckte Wertentscheidung voraus, die diese Art von Wissen für wissenswert erklärt. Ob es das ist oder nicht, darüber lässt sich jedenfalls wissenschaftlich nicht mehr bündig entscheiden.« (Tenbruck 1984, 272; vgl. dazu auch Habermas 1970) Insofern basiert auch jede Gestalt empirisch-sozialwissenschaftlicher Kommunikationswissenschaft auf einer (verdeckten) Werthaltung und damit normativen Grundlage. 5 So schreibt etwa Löblich (2010, 11): »Die Kommunikationswissenschaft versteht sich im Kern als empirische Sozialwissenschaft. … Die Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) hat das in ihrem neuen Selbstverständnispapaier bekräftigt (2008, 1). Auch eine Umfrage unter ihren Mitgliedern aus dem Jahr 2002 belegt dieses Fachverständnis. Demnach war es 89,2 Prozent der Befragten wichtig, dass die ›empirisch-sozialwissenschaftliche‹ Perspektive in der Fachgesellschaft vertreten ist, und noch mehr Mitglieder bezeichnen ihren eigenen wissenschaftlichen Standpunkt als sozialwissenschaftlich.« 6 Formal-Objekt meint – im Unterschied zum »gegenständlichen« Material-Objekts einer Disziplin (wie etwa Materie im Bereich der Physik oder Massenkommunikationsmittel [Medien] im Bereich der Kommunikationswissenschaft) einen inhaltlich 4

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VI. Erneute Bewertung der aktuellen »Tendenzkräfte«

– als unverzichtbarer Grundlage einer allgemeinen Theorie von Kommunikation – weiterhin offen blieb bzw. variierte. Unmissverständlich macht dies Burkart deutlich, wenn er 2002, in der 4. Auflage seines Standardwerkes Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft, konstatieren muss: »Auch wenn die Kommunikationswissenschaft seit den [19]90er Jahren zweifelsohne eine Konsolidierung durchlebt, darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß eine eindeutige, allgemein akzeptierte Schwerpunktsetzung eigentlich nicht existiert.« (Burkart 2002, 15 f.)

bestimmten Fokus auf das Materialobjekt, eine – mit Rühl (1985, 241) gesprochen – »spezifische Auswahl an Problemstellungen, -behandlungen und -lösungen.« (Vgl. dazu auch Burkart 2002, 17)

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VII. Zusammenfassung

In Teil A wurde der Ausgang genommen vom evidenten Sachverhalt der (formalen) »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis. Wer erkennt, kommuniziert; wer kommuniziert, erkennt. In Teil B zeigte sich nun, dass das diesbezüglich in Frage stehende Verhältnis kulturspezifisch teilweise ganz unterschiedlich beantwortet wird. In Weiterführung des Gedankens von Giesecke (2007, 18) lässt sich demnach feststellen: Jede Kultur definiert nicht nur, was Erkenntnis, Kommunikation etc. meint, sondern damit immer zugleich auch das Verhältnis zwischen Kommunikation und Erkenntnis. Um Kulturen vergleichen zu können, bedurfte es eines Kulturenvergleichsschemas: Hierbei wurde zwischen Offenbarungs- und Nicht-Offenbarungskulturen unterschieden, wobei bei ersteren weiter differenziert wurde zwischen Wort- und Nicht-Wortoffenbarungskulturen, bei den Nicht-Offenbarungskulturen zwischen jener mit Erkenntnis-Primat (abendländische Moderne) und jener mit Kommunikations-Primat (globale Post-Moderne). Schließlich wurde mit Hilfe des sogenannten »Wirklichkeitsbedeutungsquadrats« eine weltanschaulich-inhaltliche Differenzierungsstruktur skizziert. An Hand unterschiedlicher kulturspezifischer Präferenzen hinsichtlich der vier unterschiedenen Wirklichkeitsaspekte (Sein, Ich/Wir, Erkenntnis, Kommunikation) konnte darangegangen werden, das jeweils Kulturspezifische (insbesondere im Hinblick auf die Phänomene Kommunikation und Erkenntnis bzw. des damit verbundenen Verhältnisses) ersichtlich zu machen. Vor dem Hintergrund dieser inhaltlichen Unterscheidung verschiedener »Kultur-Räume« erfolgte die Nachzeichnung abendländisch-europäischer Kultur-Epochen, um schließlich – darauf aufbauend – den Kommunikations- und Erkenntnisverständniswandel, der in der Neuzeit sowohl zur Genese der modernen Wissenschaftlichkeit 319 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VII. Zusammenfassung

wie zum Geschichtsmächtigwerden der modernen Massenmedien bis hin zur aktuellen »Mediatisierung« geführt hat, darzustellen. Auf dieser Basis wurde schließlich versucht, die Genese der Kommunikationswissenschaft (bzw. deren Vorläufer Zeitungskunde, Zeitungswissenschaft und Publizistik) aus dem Geist moderner Wissenschaftlichkeit ersichtlich zu machen. Darauf aufbauend erfolgte zuletzt die – nun diagnostische – Bewertung jener in Teil A anamnetisch festgestellten allgemeinen bzw. kommunikationsspezifischen »Tendenzkräfte«. Im folgenden Teil C geht es – auf der Basis des bislang Dargelegten – nun um die Gewinnung eines erweiterten Verständnisses von Kommunikation und Erkenntnis bzw. Kommunikationswissenschaft.

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Teil C THERAPIE oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Verständnis von Kommunikation und Erkenntnis bzw. Kommunikationswissenschaft

Man diagnostiziere nie eine Krankheit, gegen die man kein Mittel kennt. Paracelsus zitiert nach Hertzka (1989, 21)

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Teil C: THERAPIE

Nachdem in Teil A versucht wurde, die anthropologisch-allgemeine Struktur menschlicher Kommunikation und Erkenntnis bzw. deren Verhältnis zueinander anamnetisch zu skizzieren, und in Teil B darangegangen wurde, Kommunikation und Erkenntnis im Kulturvergleich diagnostisch zu betrachten bzw. zu bewerten, geht es in Teil C nun um die Gewinnung eines erweiterten Verständnisses von Kommunikation, Erkenntnis und Kommunikationswissenschaft – verstanden als theoretische »therapeutische« Maßnahme. Dazu gilt es – gleichsam in einem ersten »therapeutischen Schritt« –, die in Teil B diagnostizierte kommunikationstheoretische Problemstellung nun zu präzisieren bzw. vertieft zu erfassen.

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I. Präzisierung der in Teil B diagnostizierten kommunikationstheoretischen Problemstellung als erster therapeutischer Schritt

Als diese zentrale Problemstellung wurde – mit Krallmann/Ziemann – die Frage erachtet: Wie ist Kommunikation möglich? Wörtlich heißt es dort: »Die zentrale, sie fundierende wie auch vorwärtstreibende Problemstellung der Kommunikationswissenschaft lautet: Wie ist Kommunikation möglich? … Wenn … aller Forschung ein Rätsel, eine Frage, ein Problem vorausgeht, und sich dadurch Wissenschaften (be-)gründen, dann kann der Kommunikationswissenschaft eine disziplinäre Identität eben genau durch die genannte exklusive Problemstellung zugeschrieben werden. Mit diesem allgemeinen Problemfokus und allen spezielleren, damit verbundenen Fragen unterscheidet sich die Kommunikationswissenschaft explizit von anderen, sich ebenfalls um die Erforschung menschlichen Handelns und Verhaltens bemühenden Wissenschaften, die sich wiederum von ihren eigenen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen leiten lassen.« (Krallmann/Ziemann 2001, 17)

Diese das Fach Kommunikationswissenschaft allgemein konstituierende Frage-/Problemstellung konnte deshalb so lange verborgen bleiben, »weil man unterstellte, daß das, was alltäglich ist und scheinbar problemlos funktioniert [wie eben menschliche Kommunikation], auch problemlos erklärt werden kann …« (Merten 1999, 15) Je mehr man sich jedoch mit dem von jeder menschlichen Person jederzeit vollziehbaren und deshalb scheinbar banalen »Alltagsphänomen« Kommunikation erkenntnistheoretisch auseinanderzusetzen begann, desto mehr trat das Gegenteil zu Tage: »Gerade weil Kommunikation so einfach und ökonomisch einzusetzen ist, bleibt verdeckt, daß deren Analyse ungemeine Schwierigkeiten mit sich bringt.« (Merten 1999, 15) Die Frage erhält in dem Maße zusätzliches Gewicht, als kulturspezifisch vermehrt und explizit in Frage gestellt wird, wie menschliche Kommunikation eigentlich möglich sei. Genau dies geschieht in der 323 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Präzisierung der kommunikationstheoretischen Problemstellung

abendländischen Moderne bzw. Postmoderne. Bedingt durch den Umstand, dass mit der Moderne der Andere (theoretisch) zu einem Problem wird (vgl. Kap. B/III/4), gerät damit – nolens volens – auch zwischenmenschliche Kommunikation zu einer grundsätzlichen (theoretischen) Herausforderung. Noch einmal in Erinnerung gerufen: Warum wird der Andere in der Moderne zu einem Problem? Dies ist deshalb der Fall, weil sich vor dem Hintergrund der werdenden neuzeitlichen Kultur, die sich als Kultur der Aufklärung bzw. der Emanzipation gegenüber vormals gesellschaftsprägenden transzendenten Wirkmächten (die als Ermöglichungsbasis auch von menschlicher Kommunikation betrachtet wurden) versteht, es offenkundig nur zwei »Lösungs«-Möglichkeiten zum Verständnis der Wirklichkeit gibt, die beide jedoch mit einer gravierenden Schwierigkeit verbunden sind. Pietschmann beschreibt dieses doppelte Dilemma wie folgt: »Entweder wir gründen die einfachen Substanzen als Atome (oder Elementarteilchen) in der Materie, dann können wir den Geist nicht finden; oder wir gründen sie als Monaden im Geist, dann können wir Kommunikation nicht verstehen.« (Pietschmann 2009, 115)

Beginnen wir bei der erstgenannten »Lösung«: In diesem Fall wird Materie (bzw. Atome/Elementarteilchen) als Grundelement der Wirklichkeit angenommen; unter dieser Voraussetzung kann zwar »Kommunikation« – verstanden als physiko-chemische Wechselwirkung/Interaktion – problemlos erklärt werden, nicht jedoch Geist, d. h. menschliche Individualität (und damit menschliche Kommunikation), insofern dies etwas anderes ist als ein Gesamt zwangsläufig sich vollziehender physiko-chemischer Abläufe. Graphisch ist dies in Abbildung 43 dargestellt. Kommunikation materie-analog (Kommunikation lässt sich auf physiko-chemische Interaktionen reduzieren) ICH 1

MATERIE Medium

ICH 2

Problem: Wo ist Geist? Wo sind Freiheitsgrade menschlichen Handelns?

Abbildung 43: Kommunikation materie-analog

324 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

I. Präzisierung der kommunikationstheoretischen Problemstellung

Die andere Lösungsmöglichkeit geht mit einer umgekehrten Herausforderung einher: setzt man Geist (und damit menschliche Individualität) voraus, besteht die Schwierigkeit, Kommunikation (die etwas anderes meint als naturnotwendig ablaufende physiko-chemische Interaktion) nicht mehr plausibel machen zu können. Dies wird in Abbildung 44 wiederum ins Graphische übertragen. Kommunikation geist-analog (Kommunikation lässt sich nicht auf physiko-chemische Interaktionen reduzieren) ICH 1

MATERIE Medium

ICH 2

Problem: Wie ist Kommunikation möglich?

Abbildung 44: Kommunikation geist-analog

Sehr gut wird das Ausgeführte im diesbezüglichen Bemühen von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) deutlich. In seiner Monadenlehre versucht Leibniz alles Wirkliche nach Analogie des Geistes zu erklären 1. Sein Gedankengang: Einfache Substanzen muss es geben, weil es Zusammengesetztes gibt. Er nennt diese einfachsten Substanzen, die – wie gesagt – in ihrer höchsten Gestalt nicht materiell, sondern geistig aufgefasst werden, Monaden, im Sinne »geistiger Atome«. Dadurch gelingt es Leibniz zwar, den Primat des Geistes gegenüber der Materie zu bewahren, er sieht sich jedoch nun mit dem Problem konfrontiert, wie diese »Geistes-Monaden« miteinander zu kommunizieren vermögen. Denn die Monaden sind – als einfachste Geistessubstanzen – zwar vollkommen, aber zugleich vollkommen abgeschlossen; mit den Worten von Leibniz: »Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas hinein- oder heraustreten kann.« (Leibniz zit. nach Weischedel 1986, 149) Er löst das damit gegebene Problem der Kommunikation zwischen den Monaden durch die Hypothese der sogenannten »prästabilierten Harmonie«. Gemäß dieser ist »von Anbeginn alles, was in den unendlichen verschiedenen Monaden passiert, aufeinander abgestimmt.« (Weischedel 1986, 149) Konkret gesprochen: Wenn sich zwei Menschen begegnen und miteinander reden, so heißt das im Sinne der Monadenlehre nicht, dass Gemäß der Maxime, dass das Niedere durch das Höhere zu deuten sei und nicht umgekehrt.

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I. Präzisierung der kommunikationstheoretischen Problemstellung

sie sich wechselseitig öffnen. »Vielmehr besagt es: In der Zentralmonade des einen Menschen ist von ihrem Ursprung her angelegt, daß sie in diesem Augenblick die immer schon in ihr vorhandene verworrene Vorstellung von der Zentralmonade des anderen Menschen zur Deutlichkeit erhebt, und in der Zentralmonade des anderen Menschen geschieht das gleiche.« (Weischedel 1986, 150) Zu dieser Konzeption benötigt Leibniz – salopp ausgerückt – einen »großen Harmonisator«, der die verschiedenen einzelnen Monaden und ihre Harmonie von Anfang an in Einklang bringt bzw. hält. Dafür kommt für ihn bzw. für seine Zeit nur Gott der Schöpfer in Frage. Doch schon bald lässt sich die »Hypothese Gott« nicht länger einfach voraussetzen; das Problem, wie Kommunikation – insondere ich-überschreitende (den anderen meinende) Kommunikation – möglich sei, taucht so erneut auf. David Hume (1711–1776), schon ganz ein Kind des aufgeklärten 18. Jahrhunderts, meint das Problem dadurch endgültig gelöst zu haben, indem er postuliert, der Mensch könne ohnedies prinzipiell keinen Schritt über sich hinaus tun: »We never advance one step beyond ourselves.« (Hume zitiert nach Spaemann 2011, 9) Mit dem »Wir« deutet Hume an, dass er diesen Satz nicht nur als seine Privatmeinung verstanden wissen will. Dass dieses Postulat in weiterer Folge tatsächlich zu einem Leit-Satz neuzeitlichen Denkens über den Menschen wurde, macht Spaemann deutlich, wenn er im zweiten Band seiner gesammelten Reden und Aufsätze schreibt: »[D]er Satz Humes [»We never advance one step beyond ourselves«] sagt: Das Subjekt bleibt … bei sich selbst, und alles Außer-sich-Sein ist Illusion. Es ist hier nicht meine Aufgabe, den logischen Widersinn dieses Satzes aufzuzeigen. Wenn er wahr wäre, dann wäre es nämlich unmöglich, dies zu wissen und auszusprechen. Mir kommt es nur darauf an, darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Satz den Mainstream des modernen Bewusstseins kennzeichnet.« (Spaemann 2011, 9)

Dieser zwar widersprüchliche, aber suggestive Satz, der in weiterer Folge auch das Verständnis von menschlicher Kommunikation mitprägen wird, korrespondiert nun treffend mit einem anderen: dem in der Neuzeit ebenfalls geschichtsmächtig gewordenen erkenntnistheoretischen Grund-Satz von Thomas Hobbes (1588–1679):

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I. Präzisierung der kommunikationstheoretischen Problemstellung

Eine Sache erkennen heiße »to know what we can do with it when we have it.« (Vgl. Spaemann 2011, 9) Warum ist die Erkenntnis-Maxime von Hobbes so treffend als Ergänzung der Kommunikations-Maxime von Hume geeignet? Weil Hobbes damit (zumindest indirekt) analog zu Hume postuliert, dass der Mensch über sich hinaus nicht(s) zu erkennen vermag. Da nun auch in dem Fall, wenn der oder das andere für mich im Wesentlichen nicht erkennbar ist, ersichtlich ist, inwiefern mir deroder dasjenige, das ich im Grunde nicht erkennen kann, für mich nützlich sein könnte, wird Erkenntnis strukturell reduziert zum »Know-how«, zum »Gewusst-Wie« als alleiniger bzw. vorrangiger Erkenntnisweise. So werden in weiterer Folge diese beiden Grund-Sätze von Hume und Hobbes zu Leit-Seilen neuzeitlicher Erkenntnis- und Kommunikationstheorie. Die beiden grundsätzlichen Fragen: Wie ist Kommunikation möglich? bzw. Wie ist Erkenntnis möglich? werden so vordergründig dadurch beantwortet, in dem – vereinfacht ausgedrückt – Erkenntnis auf »Know-how«, auf »gesichertes (technisch-handhabbares) Wissen« und Kommunikation auf (technische) Übermittlung von Nachrichten und Informationen bzw. GedankenAustausch reduziert wird. Dementsprechend meint gelingende Kommunikation (im weitesten Sinne) zumeist »technisches« Gelingen von Verständigung bzw. Übermittlung, selten gelingendes Mit-Sein oder gelingende Gemeinschaft (vgl. Rombach 1977, Hamberger 2011b, 60). In dem Maße, als das »Alltagsphänomen« Kommunikation Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen wurde, konnte nicht verborgen bleiben, dass dessen erkenntnistheoretische »Analyse ungemeine Schwierigkeiten mit sich bringt«, wie Merten (1999, 15) zurecht schreibt. Die Herausforderung wuchs sich schließlich zu einem regelrechten Erkenntnisdilemma aus, als der Hume’sche Gedanke, der Mensch könne keinen Schritt über sich hinaus tun, zum Mainstream geworden war. Dies deshalb, weil – wie Rothe (2006, 4) hervorhebt – die »Tradition der individuumszentrierten Betrachtung des Menschen, der Absolutsetzung des Subjekts 2, die sich im Laufe Bzw. des Kollektivs als »Subjekt im Großen« wie im Falle der neuzeitlichen politischen Ideologismen.

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I. Präzisierung der kommunikationstheoretischen Problemstellung

der abendländischen Geistesgeschichte als die dominierende durchgesetzt hat, … in eine Aporie [führt, weil in diesem Fall] … sowohl die eigene Absolutsetzung als auch die Anerkennung durch den Anderen unverzichtbar sind.« Eben diese Überlegung bildet die Grundlage für die oben schon erwähnte konsequente Konklusion der Autorin: »Die Absolutsetzung [des Subjekts] macht die Kommunikation unausweichlich inkongruent.« (Rothe 2006, 235) Diese These von Rothe erscheint wie kaum eine andere geeignet, die in Teil B diagnostizierte kommunikationstheoretische Problemstellung, wie Kommunikation möglich sei, nun in vertiefter Weise zu erfassen. Warum? Weil die Autorin damit die prinzipielle Frage aufwirft, was vor dem individualistischen Hintergrund der Moderne – in all den damit verbundenen verschiedensten Spielarten – (noch) als »gelingende« Kommunikation bezeichnet werden kann. Oder anders ausgedrückt: wie der vom wissenschaftlichen Mainstream (zumindest implizit vertretenen) These des »autonomen Subjekts« kommunikationstheoretisch (relevant) begegnet werden kann. Kommunikationswissenschaftliche Aktualität erhält die Fragestellung zudem durch den Umstand einer vermehrt beobachtbaren theoretischen Auseinandersetzung – insbesondere im anglo-amerikanischen Raum – mit pathologischen Gestalten von Kommunikation (vgl. Kap. B/III/12 bzw. Smith/Wilson 2010). Gesamtgesellschaftliche Relevanz erhält die Frage- bzw. Problemstellung schließlich durch das vermehrte Auftauchen und Thematisieren von Phänomenen kommunikativ bedingten Leidens und Scheiterns sowohl im familiären/partnerschaftlichen wie im beruflichen Alltag. Neben einer breiten Palette an diesbezüglicher Ratgeberliteratur sind hierbei längst verschiedenste Weisen von Kommunikationstrainings oder andere Schulungsmaßnahmen bis hin zu therapeutischen Maßnahmen gang und gebe. Rothe merkt dazu an: »Die große Anzahl der verschiedensten Interventionsangebote, deren Umsetzung zeitlich, psychisch und finanziell sehr kostenintensiv ist, ist ein deutlicher Hinweis auf das Ausmaß des Leidens an misslungener Kommunikation.« (Rothe 2006, 2) Soviel zur Präzisierung bzw. Vertiefung der in Teil B skizzierten Problemstellung.

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

»Vor der Richtigstellung der Beziehungen steht die Richtigstellung der Bezeichnungen.« (Wilhelm 2013, 134) Auf der Basis dieser traditionellen chinesischen Weisheit von Kung-fu-tsu 1 sollen – als zweiter therapeutischer Schritt – zur Gewinnung eines grundlegenden allgemeinen Verständnisses von Kommunikation bzw. Kommunikationswissenschaft nachfolgende begriffliche Differenzierungen vorgeschlagen werden. Den Anfang machen die beiden zentralen Termini der Arbeit bzw. die damit jeweils verbundenen begrifflichen Unterscheidungen: Kommunikation 6¼ Interaktion 2 bzw. Erkenntnis 6¼ Wissen (vgl. Kap. A/IX/9&10).

1.

Kommunikation 6¼ Interaktion

Steht Interaktion (bzw. Wechselwirkung) für kausal-lineare Ablaufsfolgen ohne Freiheitsgrade (Verhaltensvariabilität), meint Kommunikation – im fundamentalen Unterschied dazu – ein Geschehen, das mit Freiheitsgraden verbunden ist, weil es stets nur im Kontext »handelnder Subjekte« gedacht wird. Dies bedeutet: Interaktion ist (zumindest prinzipiell) kausal voraussagbar 3, während Kommunikation – grundsätzlich – nicht (kausal) vorausgesagt werden kann; und dies nicht deshalb, weil es an (irgendwelchen) Informationen mangelt 4, sondern weil Kommunikation – seiner Grundstruktur nach – stets Latinisiert Konfuzius, Chinesischer Philosoph/Weisheitslehrer (551–479 v. Chr.). Der Autor ist sich bewusst, dass die Begriffe Kommunikation und Interaktion in der Kommunikationswissenschaft für gewöhnlich mit anderen Bedeutungen belegt werden (vgl. etwa Burkart 2002, 30 f.). 3 Auf den Sonderfall des Quantenbereichs braucht hier nicht eingegangen zu werden. 4 Selbst gesetzt den fiktiv konstruierten (weil de facto nicht realisierbaren) Fall, es 1 2

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

mit aktueller Entscheidungsfreiheit/-notwendigkeit verbunden ist, aus einer Anzahl von Handlungsoptionen wählen zu können bzw. wählen zu müssen. Mit Hengstenberg (1957, 42) in prägnanter Kürze formuliert: »Zur Entscheidung [Kommunikation] ist der Mensch gezwungen, in der Entscheidung aber frei. Das heißt: Der Mensch ist das zur Entscheidung gezwungene Wesen.« Damit keine Missverständnisse aufkommen: Jeder – mit Freiheitsgraden verbundene – Kommunikationsakt des Kulturwesens Mensch 5 bedarf stets eines »natürlichen« Mediums (Luft, Schallwellen, Licht etc.), das gerade über keine Freiheitsgrade (Verhaltensvariabilität) verfügt: ja diese naturgesetzliche Grundlage ist als die unabdingbare Voraussetzung von – mit Freiheitsgraden verbundener – »kultürlich-menschlicher« (sowohl massenmedialer wie interpersoneller) Kommunikation anzusehen. Kausale Interaktionen bilden demnach die unabdingbare Grundlage für transkausale Kommunikation (vgl. dazu ausführlicher Kap. C/II/6). Treffend zeigt diesen Zusammenhang – wie schon erwähnt – Splett (1976, 27) auf, wenn er bemerkt: »Das Miteinander, wie immer man es verstehe, bedarf zur Kommunikation eines Mediums, das nicht selber Freiheitswesen sein darf, aber eigengesetzlich sein muß: zur Interpersonalität gehört die Koordinate des Naturalen. Man kann dies am ›Tonträger‹ Luft zwischen den Sprechenden veranschaulichen. Sie [die Luft] darf einerseits nicht selbst die Worte ändern können, andererseits nicht durch den Hörenden beliebig veränderbar sein, da er ja das Gehörte hören soll.«

Graphisch lässt sich das Gesagte wie in Abbildung 45 darstellen. Das Schaubild soll ersichtlich machen, dass Kommunikation nicht für die Summe (auch nicht für mehr als die Summe) von Interaktionen steht, sondern für etwas grundsätzlich anderes! Für ein Begegnungs-/Bedeutungsvermittlungsgeschehen, das – wie oben dargelegt – stets mit Verhaltensvariabilität (Freiheitsgraden) verbunden gedacht wird und handelnde Subjekte voraussetzt.

lägen – im Hinblick auf eine gegebene Kommunikationssituation – alle erdenklichen Informationen vor. 5 Bzw. generell des Lebendigen.

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Kommunikation 6¼ Interaktion

INTERAKTION

KOMMUNIKATION

Abbildung 45: Hierarchisches Verhältnis Kommunikation / Interaktion

1.a »Checklist-Verhalten« als »Quasi-Interaktion« Diese prinzipielle zentrale Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion wird gerade anhand eines Phänomens gut ersichtlich, wo – aus vernünftigen Gründen – auf die mit dem Phänomen Kommunikation verbundenen Handlungsalternativen bewusst verzichtet wird: beim sogenannten »Checklist-Verhalten« bei Notfällen im Flugverkehr. Pietschmann bemerkt dazu in seinem Buch Eris & Eirene. Eine Anleitung zum Umgang mit Widersprüchen und Konflikten: »Nicht nur beim Bau, auch beim Fliegen unserer Flugzeuge muß jede einzelne Handlung einer genau vorgeschriebenen Liste folgen, einer sogenannten ›Checklist‹. Ich nenne diese Errungenschaft daher auch das ›Checklist-Verhalten‹ … Manchmal scheint es, ein Abgehen vom sklavischen Festhalten an einer Checklist [= Quasi-Interaktion] könnte Unheil verhindern; das mag auch der Fall sein, aber wird dies einmal grundsätzlich zugelassen, dann entsteht sicherlich mehr Schaden durch unbegründetes Abweichen von einer Checklist, als vernünftiges Besinnen auf eigene Verantwortung verhindern könnte.« (Pietschmann 2002, 24 f.)

Indem das Beispiel zeigt, dass es – unter bestimmten Umständen – vernünftig ist, sich strikt an vorgegebene Ablaufsfolgen zu halten, also quasi »interaktional« zu kommunizieren, wird gerade dadurch deutlich, dass Kommunikation im Regelfall mit Handlungsvariabilität verbunden ist, basierend auf individuellen situativen Einschätzungen, persönlichen Handlungsmustern und Werthaltungen. Allein insofern erscheint es unangebracht, (interaktionales) Checklist-Ver331 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

halten auf den Bereich der Alltags-Kommunikation übertragen zu wollen.

1.b »Bio-Kommunikation« Ein Bereich, wo die vorgenommene begriffliche Differenzierung fruchtbar gemacht werden könnte, ist das weite Forschungsfeld der Biowissenschaften. Dies insbesondere deshalb, weil die Life Sciences, speziell seit sie sich zunehmend als »harte Naturwissenschaft« verstehen, mit dem Erkenntnis-Dilemma konfrontiert sind, einerseits an physikalisch-chemischen Methoden orientiert zu sein, andererseits das Phänomen Leben zum Erkenntnis-»Gegenstand« zu haben; d. h. sich auf Erkenntnisverfahrensweisen zu stützen, die im Hinblick auf die Erforschung (der nicht-lebendigen) Materie entwickelt wurden und dort äußerst erfolgreich sind (vgl. Bohr 1963). Zwar lag es – dem Erkenntnisparadigma der Neuzeit entsprechend (vgl. Kap. B/III/7) – nahe, (auch) Leben als hochkomplexes Gesamt von (notwendigen) kausalen Interaktionen (und sonst nichts), d. h. maschinenanalog, zu verstehen (vgl. Snyder 1993, Ulrich 1997, Senn 2009), wodurch die Dimension der (transkausalen) (Bio-)Kommunikation auf der Ebene des (Nicht-menschlich-)Lebendigen weitgehend ausgeblendet wurde. Doch gerade die wachsenden faszinierenden Einsichten im Rahmen der Erforschung des Lebendigen legen immer mehr die Möglichkeit, ja fast Notwendigkeit nahe, auch dem Nichtmenschlich-Lebendigen »kommunikative Kompetenz« zuzusprechen, d. h. das Vermögen zu »Verhaltensvariabilität« 6, zu Bio-Kommunikation 7 (vgl. dazu Heitler 1970, Löw 1994, Cramer 1998, Kather 2003, Hamberger 2004, Hamberger 2007, Hagen 2008, Hamberger 2008c, Hashi 2011, Hamberger 2012, Hagen/Hamberger [IQ 2013] bzw. Hamberger/Pietschmann 2015, Hagen 2015).

»Verhaltensvariabilität« meint die Möglichkeit des Lebendigen (schon auf Zell-, Zellverbands- und Organebene), Signale als »Botschaften« zu interpretieren und – innerhalb eines bestimmten Rahmens – aus verschiedenen Kommunikations-/Aktionsmöglichkeiten wählen zu können (vgl. Labudda 2005). 7 In diesem Kontext ist der Autor seit 2006 als Lektor am Fachbereich Zellbiologie der Universität Salzburg tätig; 2012 initiierte er das fächerübergreifende Modul »Biokommunikation«. 6

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Erkenntnis 6¼ »Gesichertes Wissen«

Das folgende Zitat einer Nobelpreisträgerin soll pars pro toto das Ausgeführte exemplifizieren. Barbara Mc Clintock, die als erste Frau einen ungeteilten Nobelpreis für Medizin erhielt, sagte in ihrem Nobelpreisvortrag bereits 1983: »A goal for the future would be to determine the extent of knowledge the cell has of itself, and how it utilizes this knowledge in a ›thoughtful‹ manner when challenged.« (Mc Clintock 1984, 799)

2.

Erkenntnis 6¼ »Gesichertes Wissen«

Meint Gesichertes Wissen jene – mit der modernen Wissenschaftlichkeit, speziell mit Galileo Galilei neu aufgekommene – spezifische Gestalt von »Kenntnis« hinsichtlich gesicherter (interaktionaler) Ablaufsfolgen, die sich aus dem Wechselspiel von (naturwissenschaftlicher) Theorie und Experiment ergibt und – subjektungebunden (»intersubjektiv«) – zumindest prinzipiell jederzeit von jedermann an beliebigen Orten reproduzierbar ist, so steht Erkenntnis für das – von der einzelnen Person nicht ablösbare – menschliche Vermögen, Wahres 8 und Unwahres realisieren zu können; mitunter auch als »Orientierungswissen« bezeichnet (vgl. Kap. A/IX/9). Gesichertes (»wissenschaftliches«) Wissen basiert stets auf Orientierungswissen, d. h. auf vor- bzw. außerwissenschaftlichen Erkenntnisvoraussetzungen, die zwar nicht beweisbar, jedoch auch nicht widerlegbar sind. Um dazu noch einmal Tenbruck zu zitieren: »Jede Wissenschaft orientiert sich an der Idee von etwas Wissenswertem. Ob etwas wissenswert ist oder nicht, läßt sich jedoch wissenschaftlich nicht beweisen; es ist eine Wertfrage.« (Tenbruck 1984, 277; vgl. dazu auch Rothe 2006, 7; Löblich 2010, 29) Mit anderen Worten: Vorwissenschaftliche erkenntnisbasierte Grundannahmen sind – prinzipiell – bezweifelbar, werden jedoch im Fall der Voraussetzung nicht bezweifelt. Im Unterschied dazu muss gesichertes Wissen – grundsätzlich – falsifizierbar (wenngleich im Fall der aktuellen Gültigkeit nicht falsifiziert) sein (vgl. Kap. A/V/5).

Damit wird nicht automatisch die Existenz von »Übersubjektiv-Wahrem/Unwahrem« behauptet, sondern allein auf den Umstand verwiesen, dass Orientierungswissen stets auf der Grundlage einer Werte-Basis generiert wird; und sei dies die Maxime »Nur Bares ist Wahres«.

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

Mit »gesichertem Wissen« ist insofern – strukturell – keinerlei Anspruch verbunden, Wahrheit(en) zu erkennen bzw. als Wahrheitsersatz fungieren zu können. 9 Leider wird diese prinzipielle Differenzierung zwischen Wahrheit (Erkenntnis) und »gesichertem Wissen« mitunter zu wenig beachtet. Auch die vielzitierte nachfolgende Formulierung von Max Planck fällt in die Kategorie der Überstrapazierung »gesicherten Wissens« als »wahre Erkenntnis«. In seiner Wissenschaftlichen Selbstbiographie schreibt er: »Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.« (Planck 1948, 22; Kursiv. E. H.) Ähnlich irreführend ist die – vielfach zu konstatierende – Rede von einem »wissenschaftlichen Weltbild«. Denn ein »Weltbild« (im Sinne eines Wirklichkeits- bzw. Seinsverständnisses) beruht stets auf Orientierungswissen/Erkenntnis; wissenschaftlichem Wissen kommt dabei allenfalls eine unterstützende Funktion zu. Unmissverständllich macht dies Ferdinand Ebner (1963a, 951) deutlich, wenn er schreibt: »Die mathematisch formulierte Erkenntnis der Welt [= gesichertes Wissen] mußte in ihrem letzten Ende zum Nichts führen. Daß die Wissenschaft diesen Weg niemals wirklich zu Ende geht, hat vielleicht seinen Grund einzig darin, daß eben der Wissenschafter schließlich auch ein [werthaft erkennender] Mensch ist. Ein wissenschaftliches ›Weltbild‹ aber gibt es überhaupt nicht.« 10 Auf diesen zentralen – oben schon erwähnten – Umstand verweist auch Tomiska (2010, 21), wenn er zur Thematik Moderne Materievorstellungen bemerkt: »Die moderne Physik verzichtet … auf jedwede Interpretation der Materie, wenngleich dieser Sachverhalt fast nirgendwo explizit ausgedrückt und im Forscheralltag häufig vergessen wird. Wir [Physiker] klammern absichtlich jegliche Überlegungen über das ›Wesen‹ oder die ›wahre Natur‹ der Materie aus. Wir untersuchen und erforschen nur die Eigenschaften der Materie und nicht ihr Wesen.« 10 Doch auch der umgekehrte Fall einer »Unterstrapazierung« der differenzierten Weisen menschlichen Wissens bzw. Erkennens ist denkmöglich; nämlich dann, wenn – umgekehrt zur Erhebung gesicherten Wissens zu wahrer Erkenntnis – selbst logisch-evidente mathematische Richtigkeiten nicht akzeptiert werden. Einen solchen Parallelfall von »erkenntnishaftem Größenwahn« beschreibt Dostojewskij (zit. nach Gerigk 1992, 490) in seinem Werk Aufzeichnungen aus einem Kellerloch (das im Russischen den trefflichen Titel Der Paradoxalist trägt). Dort plädiert der Solo-Protagonist der Handlung für die falsche Gleichung »zwei mal zwei ist fünf« mit den Worten: »Zwei mal zwei ist vier – das ist doch, meiner Meinung nach, nur eine 9

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Werden 6¼ Entwicklung

In dem Maße, als in einer Kultur dem Menschen nun die Wahrheits-/ Erkenntnisfähigkeit prinzipiell abgesprochen wird, liegt es nahe, das »wissenschaftliche Wissen« – gleichsam ersatzhalber – als übersubjektiv-verbindliche »Erkenntnisbasis« zu begreifen (vgl. Kap. B/III/7). Nach der Skizzierung der beiden thematisch zentralen Differenzierungen Kommunikation 6¼ Interaktion bzw. Erkenntnis 6¼ (gesichertes) Wissen sollen nachfolgend weitere – damit zusammenhängende – analoge hierarchisch zu unterscheidende Phänomene respektive die damit verbundenen Begrifflichkeiten dargestellt werden. Da ist zuerst die grundsätzliche Differenzierung zwischen Werden und Entwicklung.

3.

Werden 6¼ Entwicklung

Steht Werden für ein (Kommunikations–)Geschehen, das sich nicht zwangsläufig vollzieht, sondern auch unterbleiben kann, um sich dann in einer Fehlgestalt (»Entwerdung«) auszuprägen, steht der Terminus Entwicklung für einen notwendigen (Interaktions–)Prozess ohne Möglichkeit zu Verhaltensvariabilität. In diesem Sinne schreibt Gebsattel »Die Entwicklung ist eine Angelegenheit, die sich automatisch nach impersonellen [Natur-]Gesetzen ereignet. Aber das Werden … hängt darüber hinaus von uns ab; es hat die Beschaffenheit eines Aktes, der über unsere Existenz oder Nicht-Existenz entscheidet; über unser Teilhaben am Sein oder Nicht-Sein …« (Gebsattel 1964, 16) Die Entwicklung des Menschen bedarf demnach keiner Entscheidung, wohl jedoch sein Werden. Vor diesem Hintergrund ist der

Frechheit. Zwei mal zwei ist vier sieht aus wie ein Pomadenjüngling, der sich dir in den Weg stellt, die Arme in die Seite gestemmt, und vor dir ausspuckt. Ich gebe ja zu, daß zwei mal zwei ist vier eine ausgezeichnete Sache ist; doch wenn man schon alles lobt, dann ist auch zuweilen zwei mal zwei ist fünf ein allerliebstes Sächelchen.« Gerigk bemerkt dazu: »Solches Witzwort ist zwar kein Paradox, hat aber, psychologisch gesehen, das gleiche Motiv, nämlich: das, was gilt, nicht gelten zu lassen. Zum Paradoxon gehört als Kennzeichen die verblüffende Gleichzeitigkeit von Sinn und Widersinn. Diese wiederum stellt der Kellerlochmensch, aufs Ganze gesehen, auch für sein Witzwort ›Zwei mal zwei ist fünf‹ her, denn er behauptet, nur dann frei zu sein, wenn er auch das, was sich [in diesem Fall logisch] verbietet, als wünschenswert … postulieren [kann].« (Gerigk 1992, 490)

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

schon erwähnte Satz Pindars 11 zu lesen: »Werde, der du bist!« Der antike Dichter beschreibt damit keinen Sachverhalt, sondern einen anthropologisch-allgemeinen Sollensanspruch. 12 Personales Werden ist insofern mit Akten der Selbst-Überschreitung verbunden. Unterbleiben diese aus Entscheidung resultierenden ich-überschreitenden Akte, spricht Gebsattel – aus langjähriger eigener ärztlicher Erfahrung – von »Werdens-Verweigerung«. Darin erblickt er die Hauptursache für die allermeisten psychischen Störungen. 13 Wenn man nun – in Abwandlung eines Gedankens von Robert Spaemann – fragt, wo eigentlich die Entscheidung fällt über die Interpretation des Menschen als Werdendem oder als Ent-Werdendem, so scheint die Antwort davon abzuhängen, ob Menschsein primär unter der Vorstellung der Selbsterhaltung oder der Selbsttranszendenz betrachtet wird. Indem nun – wie in der abendländischen Neuzeit – Menschsein (wie alles Leben) als etwas gegenüber der Materie ontologisch Nachrangiges angesehen wird (vgl. Kap. B/III/6) und infolgedessen letztlich nur selbstbezüglich bzw. selbsterhaltend verstanden werden kann, gerät der Mensch als Werdender damit zwangsläufig aus dem

Pindar (522 oder 518–446 v. Chr.): griechischer Dichter; der Satz stammt aus seiner zweiten Pythischen Ode. 12 Spaemann bemerkt dazu: »Nicht wenige Erwachsene empfinden einen Widerstand gegen die Vorstellung, daß bestimmte Grundhaltungen des Kindes als des anfangenden Menschen für sie eine prototypische Verbindlichkeit bekommen und behalten sollen. Diese Verbindlichkeit ist darin begründet, daß der Mensch in seiner Jetztexistenz auch als Erwachsener keineswegs bereits zur Endgültigkeit seines Menschseins gelangt, sondern bis zum Tod ein Werdender bleibt …« (Spaemann 1999, 16) 13 Wörtlich schreibt er dazu: »Ich stelle … die These auf: Jede Konfliktneurose hat eine Auseinandersetzung der Persönlichkeit mit ihrem Werden zur Voraussetzung und ist Ausdruck einer Werdensstörung …« (Gebsattel 1954, 131) Diese werde hervorgerufen »durch angehaltene Entscheidung zwischen zwei Konflikttendenzen, d. h. zwischen einander widersprechenden oder einander ausschließenden personalen Konzeptionen, durch welche Konzeptionen hindurch das Ich um seine Selbstverwirklichung, um seine schöpferische Selbstgestaltung kämpft.« (Ebd., 132) Besondere Bedeutung für die vorliegende Thematik erhält die These dadurch, dass Gebsattel das psychische Krankheitsbild der »Werdensverweigerung« überdies kulturspezifisch verortet, indem er konstatiert, dass »das Auftauchen des wissenschaftlichen Interesses für die Störungen im Gebiet des Werdens, des Zeit- und Raumerlebens in deutlicher Abhängigkeit von dem metaphysischen Evolutionismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und in seiner Fortbildung bis in die Gegenwart hinein [steht].« (Gebsattel 1954, 128 f.) 11

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Gestalt 6¼ Form

Blick. Denn Werden wohnt – wie oben skizziert – stets das Moment der Selbstüberschreitung, der Selbststeigerung (zum anderen hin) inne. Das heißt in letzter Konsequenz: Der einzelne kann gemäß des »Denkrahmens der Moderne« (basierend auf der Differenzierung von Gebsattel) nur als »Ent-Werdender« begriffen werden, da hier sogar – für gewöhnlich als unbedingt gut Erachtetes wie – Wahrheit oder Liebe nicht anders denn erhaltungsdienlich-funktional verstanden werden kann. In diesem Sinne bemerkt Rothe: »[D]as … heute dominierende individuumszentrierte Menschenbild … ist wesentlich für die verbreitete Inkongruenz zwischenmenschlicher Kommunikation und den entsprechenden Folgen verantwortlich. Diese erweist sich in ihrem Kern als ein andauernder Kampf zwischen zwei sich absolut setzenden Subjekten, die ihre eigentliche relationale Verfasstheit leugnen. Das sich autonom setzende Individuum reduziert den anderen auf bestimmte Funktionen, d. h. auf seine Nützlichkeit.« (Rothe 2006, 5)

Über diesen Umstand hinwegzutäuschen, dass jeder Versuch, selbsterhaltungsdienlich zu kommunizieren, zugleich Störung bzw. Zerstörung von Kommunikation bedeutet, stellt nach Rothe eines der wesentlichen Ziele der verschiedensten aktuellen Formen von »Kommunikationstraining« dar, »das den Anderen dazu zu bringen versucht, in bestimmter Weise zu kommunizieren [bzw. zu handeln], und das zugleich unbedingt den Eindruck erwecken will, dass es genau dies nicht tut.« (Rothe 2006, 5) Kurz: Während Entwicklung für einen notwendigen (Interaktions-)Prozess steht, meint Werden bzw. Entwerden/Werdensverweigerung ein (Kommunikations-)Geschehen, das sich nicht zwangsläufig vollzieht, sondern das aktiv vollzogen bzw. verweigert werden kann.

4.

Gestalt 6¼ Form

Während Form die rein äußerliche sichtbare Erscheinung eines materialen bzw. leblosen Dinges meint, steht Gestalt darüber hinaus für den Ausdruck von Innerlichkeit, oder anders formuliert: für den sichtbaren Aspekt von Unsichtbarem 14, also Lebendigem bzw. Geistigem. 14

Spaemann führt in seinem Aufsatz Das Unsichtbare gestalten dazu grundlegend

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

Diese Differenzierung macht der Physiker Walter Heitler deutlich, wenn er darauf hinweist, dass die (ausschließlich mit a-biotischer Materie) befasste Physik das Phänomen bzw. den Begriff »Gesamtgestalt« nicht kennt. 15 Basierend auf dieser Überlegung zeigt er die prinzipielle Differenz zwischen Form und Gestalt wie folgt beispielhaft auf: »Halten wir uns … etwas Lebloses und etwas Lebendiges vor Augen und vergleichen beides. Als Beispiel für etwas Lebloses können wir zum Beispiel wählen: einen beliebigen Stein, einen Sandhaufen … oder aber einen schönen Kristall. Ganz leblos wäre auch ein vom Menschen gemachter Apparat, ein Voltmeter zum Beispiel, aber dieses hat seine Gestalt und Funktionsweise vom Menschen erhalten. 16 Und daneben halten wir zum Vergleich irgendeine einfache Pflanze, eine bescheidene Wiesenblume, etwa ein Gänseblümchen. Es besteht offenbar wenig Ähnlichkeit. Aber worin besteht der wesentliche Unterschied? Die Form des Steines ist ziemlich zufällig. Sie hängt davon ab, wie er seit seinem Losbrechen vom Gebirge herumgestoßen wurde. Dasselbe gilt für den Sandhaufen; nur daß die Schwerkraft dafür sorgt, daß er unten breiter ist als oben. Sonst ist die Form zufällig. Der Kristall hat eine streng mathematische und mathematisch beschreibbare Form (Rhomboeder, Würfel usw.), – ein sichtbares Zeichen des in ihm klar zum Ausdruck kommenden physikalischen Gesetzes. Es ist geradezu eine sinnlich wahrnehmbare Verwirklichung der Physik. Demgegenüber hat das Gänseblümchen eine Gestalt. … Die Blume oder das Köpfchen ist keine einzelne Blüte, sondern besteht aus vielen Blüten. Jedes der vielen kleinen, gelben Kügelchen ist eine Blüte für sich, und jedes der kleinen, radial geschnittenen, weißen ›Blättchen‹ auch. … Solche Gestalt hat keine Ähnlichaus: »Allem Sichtbaren liegt das Sehen zugrunde, also Leben. Leben aber ist unsichtbar, und so auch die Welt des Lebendigen … Das Sichtbare setzt das Unsichtbare voraus. Es setzt nämlich das Sehen voraus, und das Sehen ist unsichtbar. Es gehört zur Naivität des Materialismus [der Moderne], diese Ordnung umkehren zu wollen, Sehen also als etwas Sichtbares erklären zu wollen, als einen Gehirnvorgang. Gehirne sind ja sichtbar. Aber eben deshalb verstehen wir, was ein Gehirn ist, nur, wenn wir wissen, was Sehen und was Bewusstsein ist, und nicht umgekehrt. … Der Primat des Sichtbaren über das Unsichtbare wäre die Entmündigung. … Das Unsichtbare, das aller Sichtbarkeit zugrunde liegt, … Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Sich-Freuen, Traurigsein, Hungrigsein, Lust oder Schmerz Empfinden, Denken, Lieben, Hassen. Kurzum: Leben.« (Spaemann 2011, 278 ff.) 15 Wörtlich führt er dazu aus: »Die Gesetze der Physik wirken ausnahmslos differenziell in Zeit und Raum. Aus den Gegebenheiten zu einer Zeit t0 folgt zunächst nur das Geschehen im unmittelbar folgenden Moment, t0 + dt. Ebenso wirken die Gesetze nur in die unmittelbare räumliche Nachbarschaft. Daraus folgt, daß die Physik den Begriff der ›Gesamtgestalt‹ nicht kennt.« (Heitler 1970, 18) 16 Deshalb kann es – in Abgrenzung zur Natur-Gestalt des Lebendigen – als KulturGestalt bezeichnet werden.

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Kontextualität 6¼ Komplexität

keit mit irgend etwas Leblosem. Die Form des Leblosen ist weitgehend zufällig oder starrer Ausdruck des physikalischen Gesetzes [wie beim Kristall].« (Heitler 1977, 47 f.)

Ganz anders beim Lebendigen bzw. Geistigen: Dort ist Gestalt nicht starrer Ausdruck von Naturnotwendigkeiten/Naturgesetzlichkeiten oder vom Zufall bestimmt, sondern – wie Portmann dies formuliert hat – Ausdruck von Innerlichkeit. Wörtlich schreibt der bekannte Schweizer Zoologe dazu: »Nachdem Wilhelm Roux 17 die Eigenschaften aufgezählt hat, die nach allgemeiner Ansicht alles Lebendige, Pflanzen wie Tiere, kennzeichnen – Stoffwechsel, Wachstum, Bewegung, Fortpflanzung, Vererbung und Entwicklung –, stellt er fest, es fehle in allen vertrauteren Definitionen etwas schwer Faßbares: Die ›Innerlichkeit‹ der Lebewesen …«. (Portmann 1974, 140) 18

Das Kapitel in einem Satz zusammengefasst: Wo Interaktion, da Form, wo Kommunikation, da Gestalt (und Form).

5.

Kontextualität 6¼ Komplexität

Die Schwierigkeit, das Gesamt eines Phänomens nicht eindeutig bzw. relevant beschreiben zu können, wird – nicht nur im Bereich der Wilhelm Roux (1850–1924), dt. Anatom und Embryologe, Portmanns diesbezüglicher Impulsgeber und Anreger. Konkret bezieht sich Portmann hier auf eine Zusammenfassung Roux’s aus dem Jahre 1915, erschienen in Kultur der Gegenwart. 18 Dazu führt er das folgende bemerkenswerte Beispiel an: »Seit Jahrzehnten ist es bekannt, in immer neuen Varianten überprüft und erweitert: Es ist die Teilung eines Strudelwurms … Der experimentierende Biologe teilt diesen Wurm quer, in zwei Teile. … Jedes der beiden Teilstücke formt sich zu einem Ganzen. … An der Schnittfläche des hinteren Teilstücks formt sich eine Zellmasse von embryonalem Charakter, welche bald die Gestalt des fehlenden Kopfgebietes annimmt und ein völlig neues Gehirn sowie zwei neue Augen und andere Sinnesorgane des vorderen Pols ausbildet. Darf ich einen Augenblick dieses Geschehen schulmeisterlich in einem Satz darlegen? Die hintere Hälfte baut – sich selbst – ein neues Gehirn auf. Ich möchte, daß wir einen Augenblick das Gewicht zweier Worte bedenken, die wir so leichthin aussprechen: ›sich‹ und ›selbst‹. Das ganze Rätsel oder das tiefe Geheimnis der lebendigen Gestalt ist damit ausgesprochen, ob wir nun vom Strudelwurm berichten oder von unserem Menschensein.« (Portmann 1974, 238) In diesem Sinne plädiert Schneider (2004, 245 f.) für die Relativierung des technomorphen (technikgestaltzentrierten) Zugangs in den Biowissenschaften und dessen Ergänzung durch einen biomorphen (lebensgestaltzentrierten) Blick. 17

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

Wissenschaften – vielfach damit begründet, dass es zu »komplex« sei. Die Verwendung der Termini komplex oder Komplexität 19 beschränkt sich dabei nicht nur auf materiale, sondern ebenso auf lebendige sowie geistige Entitäten. Diesbezüglich erscheint die prinzipielle Differenzierung Kontextualität 6¼ Komplexität angezeigt; vor allem um unterscheiden zu können, ob – wie bei materialen Phänomenen – die bedingte Beschreibungsmöglichkeit allein aus der Vielfalt und Vielzahl an Einflussfaktoren, Eigenschaften (darüber hinaus womöglich parallel ablaufender) physiko-chemischer Interaktionen resultiert, oder – wie im Falle lebendiger und geistiger Phänomene – (zudem) bedingt ist durch die transkausale Kommunikations-Struktur des Lebendigen/ Geistigen. Während Komplexität demnach für eine Vielzahl miteinander verbundener (parallel ablaufender) Interaktionen steht, meint Kontextualität darüber hinaus die Fähigkeit/Notwendigkeit, ein interaktionales bzw. kommunikatives Geschehen interpretieren zu können bzw. zu müssen. 20 Anders formuliert soll durch den Terminus Komplexität der multidimensionale Sachverhalt eines materialen Gesamt bezeichnet werden, der sich dann bzw. in dem Maße relevant beschreiben lässt, wenn vollständige Informationen über die vielfältig verbundenen Einzelkomponenten und ihre Interaktionen vorliegen. Im Unterschied dazu bzw. darüber hinaus meint Kontextualität einerseits die prinzipielle, nicht eindeutige Beschreibbarkeit (und damit Vorhersagbarkeit) eines Verhaltens/Agierens lebendiger/geistiger Entitäten auf Grund der damit einhergehenden Verhaltens- bzw. Handlungsvariabilität, andererseits die Fähigkeit/Notwendigkeit lebendiger/geistiger Entitäten, Situationen/Geschehen interpretieren zu können bzw. irgendwie deuten zu müssen. 21 Der Begriff leitet sich her vom Lateinischen complexum mit dem Partizip Perfekt complecti, »umschlingen«, »umfassen«, »zusammenfassen«. Dabei handelt es sich um einen zusammengesetzten Begriff aus der Präposition cum, »mit«, »zusammen mit« und dem Verb plectere, »(ver)flechten«, »ineinander fügen«, »verweben«. 20 Ein gutes Beispiel für Kontextualität im nicht-menschlichen Bereich bildet der Schwänzeltanz der Honigbienen (vgl. Frisch 1923, Frisch 1953, Frisch 1967, Frisch 1970; Witzany 1993, 51–60). 21 Die mit der Differenzierung Kontextualität 6¼ Komplexität verbundene kommunikationstheoretische Herausforderung wird sehr gut deutlich, wenn Schmolke im Kapitel Theoretische Reflexionen des Bandes Aufklärung und Aberwissen zunächst einerseits bemerkt: »Mit Sicherheit lässt sich nur eines über Medienwirkungen sagen: 19

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Kontextualität 6¼ Komplexität

So ist (je)der Mensch jederzeit zum einen in der Lage, zum anderen genötigt, jenen aktuell gegebenen Lebens-Kontext, in dem er sich gerade befindet, vor dem Hintergrund des (Seins-)Ganzen zu deuten bzw. zu interpretieren. Menschliche Erkenntnis ist insofern stets humankontextuelle Erkenntnis. 22 (Vgl. Kap. A/V/2) Voll bewusst wird dies dem Einzelnen freilich oft erst dann, wenn er sich für einen bestimmten Sachverhalt zu interessieren beginnt und er mit der Zunahme des Interesses sowie dem vermehrten Wissen darüber dessen vielfältige, ja unentwirrbar scheinende Verflochtenheit realisiert; etwa – um ein Beispiel zu geben – wenn die betreffende Person darangeht, das hochkontextuelle Geistesgeschichtsereignis der Genese des 1. Weltkriegs zu studieren. Oder, wenn eine Zellbiologin sich anschickt, ein umfassendes »kontextuelles« Bild von einem bestimmten biowissenschaftlichen Sachverhalt zu gewinnen, sagen wir hinsichtlich des Phänomens der Signaltransduktion, also der Übermittlung von Signalen und Botschaften in und zwischen lebendigen Entitäten, etwa Zellen, Geweben und Organen. Gerade anhand des letztgenannten Exempels wird eine weitere Differenzierungsnotwendigkeit deutlich; nämlich jene zwischen der »kontextuellen« Erkenntnis der Biologin bezüglich eines lebendigen Zusammenhangs sowie der »biokontextuellen« Erkenntnis der – bleiben wir bei dem Beispiel – untersuchten lebendigen Entität selbst. Denn auch diese (re)agiert – unter Voraussetzung von Verhaltensvariabilität – (bio-)kontextuell, das heißt je nach dem von

Sie sind – fast immer – komplex. Das heißt: Der einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhang (Hammer trifft Finger – statt Nagel – und löst Schmerz aus) kommt nur selten vor.« (Schmolke 1999, 19) Das heißt: Medienwirkungen sind demnach (in der Regel) nicht mono- sondern multi-kausal. Mit den Worten des Autors: »Die meisten Medienwirkungen (richtig: Massenkommunikationswirkungen, ausgelöst meistens durch Medieninhalte) kommen dadurch zustande, daß sie ein [kausaler] Faktor unter anderen sind – in einem Geflecht von [multikausalen Ursache-] Wirkungszusammenhängen.« (Schmolke 1999, 19). Als Beispiel dafür erwähnt Schmolke andererseits gerade die Dimension der (trans-kausalen) Kontextualität (vgl. Kap. C/II/6), indem er – zurecht – auf die individuelle Interpretationsnotwendigkeit einer medialen Botschaft verweist, wenn er schreibt: »Der Bericht über ein Konzert mit moderner Musik und trotzdem überwältigendem Erfolg wird nur bei jenen Zeitgenossen den Besuch der Wiederholung des Konzertes bewirken, die den Bericht verstehen (Namen, Begriffe, Fachausdrücke) und interpretieren können …« (Schmolke 1999, 20). 22 Im Hinblick auf den Umstand, dass der – sich selbst und damit der Frage nach dem Ganzen bewusste – Mensch stets auf »Welt« bezogen ist, kann von »humanspezifischer Welt-Kontextualität« gesprochen sprechen.

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

ihr wahrgenommenem (und damit interpretiertem) »Um-Weltkontext«. 23 Kurz zusammengefasst: In Abgrenzung zu komplexen physikochemischen Interaktionsabfolgen (ohne Möglichkeit zu Verhaltens-/ Handlungsvariabilität) soll ein vielfältig verflochtener Zusammenhang miteinander verbundener Entitäten darüber hinaus als Kontext 24 bzw. Kontextualität bezeichnet werden, wenn dieser Zusammenhang von »jemandem« als solcher wahrgenommen (und damit interpretiert) werden kann/muss, es sich also um ein Kommunikations-Geschehen handelt. 25

6.

Trans-Kausalität 6¼ Kausalität

Die entscheidende Differenz liegt hier – wie oben (Kap. C/II/2) bereits kurz erwähnt – im Umstand begründet, dass Kausalität für eine notwendige Ablaufsfolge steht, während Trans-Kausalität den Umstand hervorhebt, dass Lebendiges bzw. Geistiges stets als mit Freiheitsgraden ausgestattet gedacht wird, d. h. naturnotwendige Kausalketten prinzipiell übersteigt (vgl. dazu Hamberger 2012). 26 Den Umstand der »Biokontextualität« zu berücksichtigen, bildet meines Erachtens eine der erkenntnistheoretischen Hauptherausforderungen der aktuellen lebenswissenschaftlichen Forschung. In diese Richtung weist auch der Hinweis Portmanns, dass, wer Messungen bzw. Quantifikationen im Kontext des Lebendigen durchführe, zu beachten habe, »daß in dieser Messung auch das ›Selbst‹ zum Ausdruck kommt, und daß der messende Versuch nur ein Weg zum Einblick in eine verborgene Wirklichkeit ist.« (Portmann 1974, 140) Vor dieser Herausforderung steht insbesondere eine Medizin, die das Verständnis von Gesundheit primär auf Messwerten aufbaut. 24 Von Contextus (lat.), »enge Verknüpfung«, »Zusammenhang«; mit den Verben contextere: »eng verknüpfen« und textere: »weben«, »flechten«, »zusammenfügen«; vgl. dazu auch das lat. textus: »Gewebe«; spätlat. textus: »Inhalt«. 25 Beispiele wären etwa der materielle Zusammenhang von Energiezufuhr und der Funktion technischer Geräte, der Bedeutungs-Zusammenhang von Begriffen und Aussagen im Rahmen einer Theorie oder der emotionale Zusammenhang/-halt im Rahmen einer sozialen Gruppe. So sind relevante Verständnisse menschlicher Handlungen vielfach bedingt durch situative, familiäre, gesellschaftliche, kulturgeschichtliche, kommunikative und andere Kontexte. Selbst wissenschaftliche Werke werden vielfach erst »lesbar« durch deren Einbettung in den jeweiligen Erkenntnis-Kontext. 26 Durch diese Differenzierung wird die Extremgestalt von Rationalität, die geradezu als »Geisteskrankheit der Moderne« beschrieben werden kann, prinzipiell relativiert und damit in konstruktive Beziehung zu anderen Weisen menschlicher Erkenntnis gesetzt. Darauf verweisen etwa G. K. Chesterton mit dem modernekritischen Aphorismus »Verrückt ist der, der alles verloren hat, außer seinen Verstand« (Chesterton 23

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Trans-Kausalität 6¼ Kausalität

Dieses transkausale Element von Kommunikation hat insbesondere Vilem Flusser ins Zentrum seiner theoretischen Reflexionen über Kommunikation gestellt. In seiner Schrift Kommunikologie hebt er menschliche Kommunikation grundsätzlich von naturnotwendigen bzw. naturgesetzlichen Vorgängen ab, wobei der zentrale Aspekt menschlicher Kommunikation seines Erachtens darin liegt, dass diese – im Unterschied zu allen naturgesetzlich-kausalen Abläufen, die zwangsläufig der Entropie 27 unterworfen sind – charakterisiert sei durch negative Entropie (also durch eine Zunahme an Ordnung). Menschliche Kommunikation trage insofern übernaturgesetzliche, eben trans-kausale Züge (vgl. Flusser 1998, 255), weil diese stets mit Absicht (Intentionalität) erfolge, die auf Freiheit und Ordnungsgewinn basiere. Ursache-Wirkungs-Relationen würden dabei keineswegs negiert, sondern bloß relativiert. Dazu führt er das folgende prägnante Beispiel an: »Wenn ich mit Kreide schreibe, unterliegt der materielle Prozess der Entropie, während der damit unterstützte ›Kommunikationsprozess‹ an Ordnung gewinnt.« (Flusser 1998, 253) 28

Vor diesem Hintergrund scheint das nachfolgende Zitat von Baecker (2005, 98) von paradigmatisch-wegweisender Bedeutung:

2011, 47) oder Friedrich Weinreb, wenn er in seinem Werk Traumleben (München 1979) hervorhebt, dass die Moderne gekennzeichnet sei durch die Vorherrschaft des Kausalen, im Denken wie im Handeln, wodurch das Leben zu einer »zweckhaften Sachzwangsjacke« werde und für das Trans-Kausale (Überrationale) kein Platz mehr sei. 27 Der Begriff bezeichnet den Sachverhalt, dass in abgeschlossenen abiotischen Systemen Übergänge stets von geordneten zu weniger geordneten Zuständen erfolgen. 28 Es erscheint zumindest als Fußnote erwähnenswert, dass Erwin Schrödinger in seinem Buch What is life? zu ähnlichen Gedanken bezüglich des Lebendigen gekommen ist und im »Anti-Entropischen« das eigentlich charakteristische Element alles Lebendigen erblickt. Gerade vor diesem Hintergrund ist aktuell in den Biowissenschaften eine Entwicklung zu beobachten, bei der in zunehmenden Maße mit Begriffen (signalling, cell-cell-communication, decision making, identity) und Konzeptionen operiert wird, die einen sprach-/kommunikationswissenschaftlichen Zusammenhang nahe legen, ja zu erfordern scheinen. Aus eigener Erfahrung der Kooperation mit Biowissenschaftern kann ich dazu bemerken: Die theoretische Hilfestellung, die sich die Biowissenschaften aktuell von der Kommunikationswissenschaft erwarten, zielt primär auf deren Know-how hinsichtlich interpersoneller Kommunikation (vgl. Kap. C/VI).

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

»Gemessen an seiner Intention und Intuition tritt der Kommunikationsbegriff im 20. Jahrhundert die Nachfolge des Kausalitätsbegriffs des 19. Jahrhunderts an.« (Baecker 2005, 98; Hervorheb. E. H.)

Mit dieser Aussage will Baecker offenkundig zum Ausdruck bringen, dass das Phänomen Kommunikation – seiner grundsätzlichen Struktur nach – transkausale Züge aufweist. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz beschreibt Kommunikation ebenfalls als transkausales Geschehen, wenn sie den Ereignis-Charakter von Kommunikation, insbesondere im Rekurs auf drei der französischen Postmoderne zugerechnete Philosophen betont: JeanFrancois Lyotard, Jean-Luc Marion und Jaques Derrida. »Das [Kommunikations-]Ereignis« – so Gerl-Falkovitz Lyotards 29 Konzeption der erkenntnistheoretischen Unverfügbarkeit kommunikativen Geschehens erläuternd – »als Ereignis sei philosophisch nicht systematisierbar, es bleibe unbestimmt im Sinne des Undarstellbaren. Das zeigt eine Weigerung an, überall ›vernünftige‹ Zusammenhänge zu setzen – und Lyotard ist ein entschiedener Gegner von Habermas’ ›vernünftigem Diskurs‹.« (Gerl-Falkovitz 2004, 14) Mit dem Undarstellbaren meint Lyotard nicht etwa einen »irrationalen Rest« an Wirklichkeit, der sich (noch) nicht rational entziffern lässt, sondern das von ihm sogenannte Sublime – im Anschluss an Kants Schrift Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (vgl. Lyotard 1991). Im (transkausalen) Kommunikations-Ereignis zeige sich dieses Erhabene/Sublime als etwas, das rationaler Ein-Ordnung grundsätzlich entzogen sei, 30 – als das prinzipiell Un-Erdenkliche, Un-Vorhersehbare, Un-Erfassliche. Lyotard dazu wörtlich: »Das Sublime ist jenes einbrechend Neue, Unvorhergesehene, jene Wirklichkeit, die sich plötzlich unseres Denkens und unserer Kategorien bemächtigt.« (Lyotard 1989b, 81) 31 Jean-Francois Lyotard (1924–1998), frz. Philosoph, der mit seinem Essay La condition postmoderne, Paris 1979, dt. Das postmoderne Wissen (1982), die Geistesströmung der sogenannten Postmoderne mit auslöste. 30 In diesem Zusammenhang kann auch auf Friedrich Schillers Bemerkung an die Naturforscher verwiesen werden: »Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen. Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen Euch gibt? Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume; Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.« (Schiller 1912, 268) 31 Mit den Worten von Gerl-Falkovitz (2007, 205): »[I]m Erhabenen [Akt der Kommunikation] ist laut Lyotard eine ›Monstrosität‹, eine Un-Form oder Formlosigkeit [vielleicht besser: Über-Gestalthaftigkeit], die sich dem [rationalen] Denken formal 29

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Information 6¼ Signal

Oder nochmals anders ausgedrückt: Lyotard erkennt eine sowohl ursprüngliche wie letztliche (Er)Fassungslosigkeit gegenüber transkausalen Phänomenen kommunikativer Wirklichkeit (an). 32 Jean-Luc Marion rückt die dialogische Struktur transkausaler Kommunikationsvollzüge in den Mittelpunkt, indem er vom SinnEreignis als dem Einbruch des Unerwarteten, des sowohl positiv wie negativ Verstörenden spricht (vgl. Marion 2014). Darauf wird im Abschnitt, der dem Dialogischen Denken gewidmet ist (Kap. C/V), noch detailliert Bezug genommen. Jaques Derrida, der dritte erwähnte Vertreter der französischen Postmoderne, macht schließlich die transkausale Struktur von Kommunikation ersichtlich, indem er das »transökonomische« Element menschlicher Sozietät thematisiert. Sein Grundgedanke dabei: Um Fehlgestalten von Tausch als solche ersichtlich machen zu können, sei es unabdingbar, neben dem utilitären Geben und Nehmen, dem »do ut des«, die reine »zweckfreie Gabe« zu denken. »Nur weil wir die reine Gabe denken« (müssen [bzw. können]) – bemerkt Gerl-Falkovitz, Derridas Ansatz kommentierend –, »wird daran die Unvollkommenheit der Tausch-Kultur erkennbar, genauerhin die Kultur überhaupt, die grundsätzlich auf Tausch, nicht aber auf dem vorbehaltlosen Geben aufruht.« (Gerl-Falkovitz 2007, 208)

7.

Information 6¼ Signal

Information steht hierbei für »Bedeutungseinheit«, die von jemandem für jemanden generiert/dargestellt/übermittelt etc. wird, während Signal einen physiko-chemischen Impuls (bzw. dessen kleinste entzieht. Das Denken kann nachträglich daran arbeiten; aber es kann nicht daran arbeiten, solange es währt. Wenn die Vernunft Form schafft – Überblick, argumentative kausale Bezüge –, dann wird sich das Erhabene so monströs gegen eine Verarbeitung sperren (monströs im Sinne von ›monstrare‹ = sich selber zeigend), dass es vom Verstand nur fassungslos wahrgenommen werden kann.« 32 Bemerkenswerterweise findet sich ein Hinweis auf die transkausale Struktur menschlichen Handelns bzw. Kommunizierens bereits in Adalbert Stifters Roman Witiko. Dort fragt die Titelfigur das ihm zufällig begegnende Mädchen Bertha, warum sie Rosen trage. Daraufhin entspinnt sich folgender Dialog: Bertha: »›Ich trage die Rosen, weil ich will.‹ Witiko: ›Und warum willst du denn?‹ Bertha: ›Für den Willen gibt es keine Ursache.‹ Witiko: ›Wenn man vernünftig ist, gibt es für den Willen immer eine Ursache.‹ Bertha: ›Das ist nicht wahr, denn es gibt auch Eingebungen.‹« (Stifter [um 1959], 21)

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

Einheit) bezeichnet. Auf diese fundamentale Differenz macht – indirekt – Günter Tembrock in seiner Schrift Biokommunikation 33 aufmerksam, wenn er als Grundkennzeichen des Lebendigen – neben Formwechsel 34 und Stoffwechsel – den Informations-Wechsel hervorhebt. Wörtlich schreibt er dazu: »Informationswechsel. Dieser Begriff soll hier stehen für die ältere Bezeichnung ›Irritabilität‹. Er kennzeichnet die dritte elementare Eigenschaft lebender Systeme. Er ist wie der Stoffwechsel raumzeitlich determiniert durch den Formwechsel (ein Milliardenzeller erfordert ungleich mehr und differenziertere Informationen als ein Einzeller). Er stellt die zweite elementare Verbindung zwischen dem Formwechsel und der ›Umwelt‹ her. Er vollzieht sich im Organismus (an den Strukturen) und ist durch Informationsaufnahme und Informationsabgabe gekennzeichnet. … Der Informationswechsel setzt nicht nur den Formwechsel voraus, da er sich nur an Strukturen vollziehen kann, er verbraucht auch Energien und ist daher auch an den Stoffwechsel gebunden. Zugleich aber liefert er für beide wesentliche Informationen und gewährleistet die räumliche und zeitliche Zuordnung des Organismus zu seiner Umwelt.« (Tembrock 1975, 14 f.)

Beim Lebendigen gibt es demnach nicht nur (»technische«) Signalübertragung (Signal im Sinne eines physiko-chemischen Impulses; vgl. Gomberts 2002) sondern immer auch Informationswechsel bzw. Informationstransfer (Information im Sinne einer »Bedeutungseinheit«). 35 Abiotische Entitäten sind gemäß diesem Verständnis nicht in der Lage, Informationen auszutauschen. Auch vom Menschen gefertigte Maschinen tauschen keine Informationen aus; vielmehr tauschen Menschen mit Hilfe von Maschinen Informationen aus bzw. übermitteln lebendige Entitäten mit Hilfe von Molekülen/physiko-chemischen Interaktionen (»Mechanismen«) Informationen. Auf diesen wichtigen Umstand verweist Spaemann, wenn er schreibt: »Maschinen denken nicht, weil sie nicht erleben, dass sie denken. Der Physikalismus 36 irrt nach dieser Auffassung nicht, weil

Tembrock war meines Wissens der erste, der den Begriff Biokommunikation (im gleichnamigen Buch, zuerst erschienen 1971 in Berlin/DDR, 1975 dann als RowohltTB, Reinbek bei Hamburg) verwendet. 34 Im Sinne von Gestaltwechsel (vgl. Kap. C/II/4). 35 Der Biowissenschafter Dr. Robert Prinz (Düsseldorf) machte mich darauf aufmerksam, dass in englischsprachigen Lexika – was die Bedeutung des Begriffs Signal angeht – eine enorme »semantische Bandbreite« zu konstatieren ist. 36 Damit wird jener gegenwärtig weit verbreitete Wirklichkeitszugang bezeichnet, 33

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Das hierarchische Verhältnis der differenzierten Begriffspaare

er materielle Ursachen seelischer Zustände annimmt, sondern weil er die Reaktion von Lebewesen physikalisch und nicht biologisch erklärt. Aber Lebewesen sind nicht bloße Transformatoren deterministischer physikalischer Prozesse [bzw. Signale], die nur durch sie hindurchlaufen, sondern sie sind selbst Entitäten, die ihren eigenen spezifischen Determinanten [Informationsmustern] folgen« (Spaemann 2011, 11). Capurro verweist ebenso auf diesen Umstand, wenn er in seinem Beitrag Theorie der Botschaft zur bekannten Arbeit von Shannon und Weaver A mathematical Theorie of communication ausführt: »Sowohl Shannon als auch Weaver geben sich große Mühe, den alltäglichen durch Semantik und Pragmatik geprägten Informationsbegriff vom statistischen Informationsbegriff zu unterscheiden. Was aber gewissermaßen unthematisch und dennoch zentral bleibt, ist der Begriff der Botschaft (message) 37. Kurz, die Shannon’sche Kommunikationstheorie ist eine Theorie der elektrotechnischen Übertragung von als Signale kodierten Botschaften, nicht mehr und nicht weniger.« (Capurro 2008, 67 f.)

8.

Das hierarchische Verhältnis der differenzierten Begriffspaare

Alle differenzierten »Ungleichungen« sind nicht – wie etwa im Zusammenhang eines komplementären Begriffsverhältnisses (z. B. bei der Welle/Teilchen-Beschreibung in der Quantentheorie; vgl. Pietschmann 2003 bzw. Kap. C/IV/5a) – auf gleichem Beschreibungsniveau, sondern stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, wobei der hierarchisch höhere Terminus der jeweils erstgenannte ist (Kommunikation gegenüber Interaktion, Erkenntnis gegenüber gesichertem Wissen etc.). Dies sei anhand nachfolgender Graphik (Abbildung 46) beispielhaft mittels der ersten drei dargestellten hierachischen Verhältnisse Kommunikation 6¼ Interkation, Erkenntnis 6¼ Gesichertes Wissen bzw. Werden 6¼ Entwicklung veranschaulicht.

demzufolge alles, was ist, direkt oder indirekt auf physikalische Gesetzmäßigkeiten rückführbar ist (vgl. Knaup/Müller/Spät 2011, 13). 37 Das heißt der – im Kontext von Humankommunikation entscheidende – semantische bzw. pragmatische Aspekt von Informationsübermittlung.

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II. Differenzierung als zweiter therapeutischer Schritt

Interaktion Gesichertes Wissen Entwicklung Kommunikation Erkenntnis Werden

Abbildung 46: Hierarchische Verhältnisse anhand verschiedener Beispiele

Die Graphik soll zum einen die hierarchischen Relationen der oben differenzierten Begriffe augenscheinlich machen, zum anderen deutlich werden lassen, dass Kommunikation der Interaktion, Erkenntnis des gesicherten Wissens, Werden der Entwicklung, Gestalt der Form, Kontextuelles des Komplexen, Trans-Kausales des Kausales bedarf, insofern alles Phänomenal-Wahrnehmbare stets auch materiale Anteile besitzt. Dieser Umstand bringt es zudem mit sich, dass alles Phänomenale auf seine materialen Anteile zurückgeführt, reduziert bzw. (allein) von diesen aus zu verstehen versucht werden kann. Insofern kann, wie Krings konsequent bemerkt, selbst die »Handlung [eines Menschen] als Quasi-Naturereignis auch objektiviert und quodammodo Gegenstand der Kausalerklärung werden.« (Krings 1982, 391) Das Zitat von Krings zeigt geradezu idealtypisch, was mit Hilfe des zweiten therapeutischen Schrittes in Gestalt der prinzipiellen Differenzierung zentraler hierarchischer Begriffe/Begriffspaare sowie damit verbundener Phänomene erreicht werden sollte: nämlich Klarheit darüber, dass die als Interaktion bezeichneten Ablaufsfolgen im Schema moderner Wissenschaftlichkeit – zumindest prinzipiell – hinreichend kausal erklärt zu werden vermögen, nicht jedoch der davon unterschiedene Phänomenbereich der Kommunikation. Demzufolge besteht der folgende dritte therapeutische Schritt darin, uns jenem Gegenstandsbereich zuzuwenden, bei dem zum ersten Mal dieser klassische wissenschaftliche »Denkrahmen der Moderne« auf wissenschaftlichem Wege erfolgreich überschritten wurde: Gemeint ist die Quantentheorie. 38 38

Wenn in der Folge von Quantentheorie die Rede ist, ist stets die – in der Physik

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III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie für den Phänomenbereich Kommunikation als dritter therapeutischer Schritt

Nachfolgend soll zu zeigen versucht werden, inwiefern die Quantentheorie die klassische Vorstellung der Gewinnung »gesicherten Wissens« im Sinne neuzeitlicher Wissenschaftlichkeit zu überschreiten vermochte bzw. inwieweit sie dadurch der Kommunikationswissenschaft möglicherweise erkenntnistheoretische Impulse zu geben imstande wäre.

1.

Die Quantentheorie als Überschreitung des »Denkrahmens der Moderne«

Dass es sich im Fall der Quantentheorie um eine grundlegend neue, ja revolutionäre erkenntnistheoretische Konzeption im Zuge der Beschreibung des Subatomar-Materialen handelt, macht allein schon der Hinweis von Pietschmann deutlich, »dass 5 der Nobelpreisträger (Max Planck, Albert Einstein, Max von Laue, Louis de Broglie und Erwin Schrödinger), ohne deren Beitrag die Quantenmechanik in ihrer heutigen Form nicht zustande gekommen wäre, … deren heute übliche Interpretation nie akzeptiert … [haben].« (Pietschmann 2005b, 139) Oder wenn Niels Bohr noch Anfang der 1950er Jahre, also fast ein Vierteljahrhundert nach Formulierung der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie 1927, in einem Vortrag sinngemäß bemerkt: Wer die Quantentheorie problemlos versteht, der hat sie eben nicht verstanden. Er will damit andeuten, dass mit der quantentheoretischen Interpretation des Mikrokosmos nicht nur ein gravierender Zuwachs an Wissen bezüglich des Subatomaren möglich geworden

gegenwärtig weitgehend uneingeschränkt anerkannte – sogenannte Kopenhagener Deutung gemeint.

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III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie

ist, sondern dass damit – weit darüber hinaus – ein grundlegend neues Verständnis von wissenschaftlichem »Verstehen« einhergeht. 1 Dazu eine kurze geistesgeschichtliche Kontextualisierung: Wie oben (vgl. Kap B/III/5) schon skizziert, setzt sich mit dem 17. Jahrhundert im Abendland die von Galilei als »Neue Wissenschaft« bezeichnete Erkenntnismethodik durch. »Erkenntnis« meint in diesem Zusammenhang, wie erwähnt, nicht länger Einsicht in die Natur eines Dinges, sondern »gesichertes Wissen« über Ursache-Wirkungs-Relationen, das aus dem Wechselspiel zwischen (logisch-widerspruchsfreiem) Theorie-Modell und Experiment gewonnen wird. Das bedeutet: Moderne Wissenschaftlichkeit beschränkt sich auf den reproduzierbaren bzw. quantitativ beschreibbaren Teil der Gesamtwirklichkeit und gelangt so zur Formulierung widerspruchsfreier Naturgesetze als allgemeiner Aussagen, die immer und überall Gültigkeit beanspruchen. Auf eine eigentliche (Wesens-)Beschreibung der beforschten komplexen Realität(en) wird dabei verzichtet. An dessen Stelle tritt die Konstruktion eines vereinfachten Modells, das mathematisch formuliert werden kann. Ein solches Modell wird in der Regel dadurch gewonnen, indem man den betreffenden Gegenstand analysiert, das heißt so weit wie möglich in seine Einzelelemente zerlegt. Als verstanden gilt ein Objekt dann bzw. in dem Maße, als man – ausgehend von den kleinsten »Bestandteilen« – in der Lage ist, ein widerspruchsfreies mathematisch-mechanisches Modell zu erstellen (vgl. Pietschmann 2003, V). Im Quantenbereich erweist sich ein solch modellhaft-vereinfachtes widerspruchsfreies Verständnis eines Erkenntnisgegenstandes jedoch nicht (mehr) als möglich, da die physikalischen Objekte im Mikrokosmos widersprüchliche Eigenschaften zeigen, nämlich sowohl diskrete (Teilchen-) als auch kontinuierliche (Wellen-)Eigenschaften. Da nun – wie Pietschmann betont – »die Begriffe ›Teilchen‹ und ›Welle‹ (oder diskret und kontinuierlich) nicht widerspruchsfrei vereint werden können, müssen wir den mathematischen Formalismus, der ja per definitionem widerpruchsfrei ist, durch eine Interpretation des Messprozesses ergänzen, die die beiden widersprüchlichen

Der theoretische Physiker und Wissenschaftshistoriker Herbert Pietschmann hat dazu ein eigenes Buch verfasst mit dem präzisen Titel Quantenmechanik verstehen (2003).

1

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Die Quantentheorie als Überschreitung des »Denkrahmens der Moderne«

Seiten des Ganzen (diskret und kontinuierlich) enthält […] [W]egen ihrer ›widersprüchlichen Vereinigung‹ spricht man daher vom ›Welle-TeilchenDualismus‹. Damit ist gemeint, dass wir in gegebenen Beispielen die mathematischen Ergebnisse entweder statistisch (Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons als ›Teilchen‹) oder als Verteilung (Ladungsdichte des ›verschmierten‹ Elektrons) interpretieren können. Wichtig ist aber, dass auf keine der beiden Interpretationen verzichtet werden kann, weil sich sonst Fehler einstellen.« (Pietschmann 2014, 84 f.)

Anders ausgedrückt: Im Unterschied zu Theorien der »klassischen« Physik, die sich auf »große Objekte« beziehen, ist die mathematische Formulierung im Rahmen der Quantentheorie insofern nicht vollständig, als sie zudem der Interpretation bedarf, »ohne die eine experimentelle Überprüfung ihrer Voraussagen nicht möglich wäre. Und in dieser Interpretation ist der Widerspruch als Welle-Teilchen-Dualismus oder als Komplementarität bewahrt!« (Pietschmann 2014, 85) Dies hat zur Folge, dass – im klassischen Sinne – die Erkenntnis»Objekte« der Quantenphysik tatsächlich nicht mehr verständlich sind. Oder anders ausgedrückt: Wenn unter Verstehen gemeint ist, eine widerspruchsfreie, modellhaft-bildliche Vorstellung eines Gegenstandes zu gewinnen, »dann ist Quantenmechanik tatsächlich nicht zu verstehen.« (Pietschmann 2003, VI) Vor diesem Hintergrund definiert der theoretische Physiker Pietschmann verstehen nun in einem breiteren Kontext. Wörtlich führt er dazu aus: »Ich will … den Begriff ›verstehen‹ weiter fassen; wenn wir aus einem Gegenstand – z. B. der Quantenmechanik – alle Widersprüche, die wir eliminieren können, entfernt haben, aber bei denjenigen Widersprüchen, die dann noch übrig bleiben, erkannt haben, warum sie nicht zu eliminieren sind, und wir sie überdies handhaben können, dann haben wir diesen Gegenstand in einem weiteren Sinne auch ›verstanden‹. Auf Anschaulichkeit im klassischen Sinne müssen wir dann freilich verzichten.« (Pietschmann 2003, VI)

Das erkenntnistheoretisch »Revolutionäre« der Quantentheorie besteht demzufolge darin, dass hier erstmals in der neuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte ein Widerspruch im (natur-)wissenschaftlichen Verständnis eines Erkenntnisgegenstandes nicht aufgelöst, sondern bewahrt bleibt. Dies hat nun auch – zumindest indirekt – Folgen im Hinblick auf das Verständnis des Seins-Ganzen: denn wenn selbst das SubatomarKlein(st)e sich einer widerspruchsfreien Beschreibung entzieht, in351 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie

wieweit lässt sich dann noch die – in der Moderne gängige gewordene – Vorstellung eines widerspruchsfreien Seins-Ganzen bzw. einer damit einhergehenden nicht aporetischen Welt-Anschauung aufrecht erhalten, d. h. eines in sich logisch-geschlossenen Denksystems, das »Welt in ein fest umrissenes Bild verwandelt, das sich anschauen lässt?« (Hahn 2013, 7; vgl. Kap. B/I/4) Sehen wir uns vor diesem Hintergrund die zentralen neuen Erkenntnismodi im Gefolge der Quantentheorie nun etwas näher an.

2.

Zentrale »Erkenntnismodi« der Quantentheorie

Ein erster zentraler Erkenntnismodus der Quantentheorie, mit Hilfe dessen es erstmals gelingt, den »Denkrahmen der Moderne« zu überwinden, wurde von Niels Bohr etabliert und von ihm mit dem Terminus »Komplementarität« bezeichnet.

2.a Komplementarität Bohr verwendet den Begriff Komplementarität (im quantentheoretischen Kontext) erstmals 1927 anlässlich eines Vortrags in Como. Dort bezeichnet der dänische »Vater der Quantentheorie« Komplementarität als »die sich gegenseitig widersprechenden, aber gleichzeitig notwendigen Bilder der physikalischen Beschreibung von Welle und Korpuskel.« (Stolzenburg zit. nach Röhrle 2001, 16)

Bohr reagierte mit der Etablierung des Begriffs Komplementarität auf ein Erkenntnisproblem in der Physik, das seit längerem einer Lösung harrte. Bis dato lagen zwei sich gänzlich widersprechende Theorien bezüglich des Lichts vor: Eine – sie heiße »Wellentheorie« – beschrieb Licht als ein kontinuierliches Phänomen. Sie fußte auf der Lichtbrechungstheorie von Christian Huygens (1629–1695). Die andere – sie heiße »Korpuskeltheorie« – begriff bzw. beschrieb Licht als eine Abfolge »diskreter Teilchen«. Dieses Verständnis basierte vor allem auf der Autorität Isaak Newtons (1643–1727), geriet jedoch durch das Doppelspaltexperiment von Young (1802), das die »Wellen-Natur« des Lichts offenkundig zu machen schien, ins Hintertreffen. Zur völligen diesbezüglichen Irritation kam es schließlich ab 1905, als Albert 352 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Zentrale »Erkenntnismodi« der Quantentheorie

Einstein mit seinem Postulat von Licht-Teilchen (Photonen) 2 die »Korpuskeltheorie« ebenfalls plausibel experimentell untermauern konnte. Bohrs erste wesentliche erkenntnistheoretische Leistung in diesem Zusammenhang bestand – wie Röhrle (vgl. 2001, 16) treffend formuliert – darin, dass er sich (bereits 1913) entschied, diese unvereinbar erscheinenden Deutungen nicht nach einer Richtung hin auflösen zu wollen, sondern in ihrer »Gegensätzlichkeit« bestehen zu lassen. Damit war er gedanklich jedoch noch nicht zum Konzept der Komplementarität durchgedrungen, sondern erst bei jenem der Dualität angelangt. Damit war er »Teil« einer Geistesströmung (nicht zuletzt auch unter Physikern) um 1900 geworden, die durch eine vermehrte Hinwendung zu einem Erkenntnisverständnis gekennzeichnet war, das unzweideutig dualistische Züge trug, also menschliches Erkennen vermehrt in dualer Aspektivität zu betrachten begann: Rationale Erkenntnis auf der einen, irrationale bzw. vorrationale auf der anderen Seite. Oder: Rational-Bewusstes einerseits, Seelisch-Unbewusstes (bzw. prinzipiell Unwissbares) andererseits. Niels Bohr nahm dieses aufkommende dualistische Verständnis menschlichen Erkennens nun insofern spezifisch auf, als er es – und das ist das grundlegend Neue – in die Sphäre der Rationalität selbst überträgt. D. h. wie oben schon erwähnt: Er entschied sich, innerhalb des rationalen Erkenntnis-Rahmens der Physik die Dualität zwischen Welle- und Teilchen-Theorie des Lichts bestehen zu lassen. Doch wie kam Bohr von dieser Dualitäts-Konzeption (ab 1913) schließlich zur Komplementaritäts-Konzeption (ab 1927)? Ein Erkenntnisschritt, der fast eineinhalb Jahrzehnte in Anspruch nahm! Es ist das Verdienst Stolzenburgs, sich mit dieser zentralen Frage in seiner Dissertation (vgl. Stolzenburg 1977) intensiv auseinandergesetzt zu haben. Darin zeigt der Autor, wie sich der Komplementaritätsbegriff bei Bohr aus dem Dualitätsbegriff entwickelte. Wörtlich führt er dazu in einer zentralen Passage aus: »Der Übergang von dem Begriff Dualität zu Komplementarität [bei Bohr] stellt eine logische Entwicklung dar. Während Dualität zwei sich widersprechende Bilder erkennt, fordert Komplementarität darüber hinaus, daß sich diese beiden einander widersprechenden Bilder gleichzeitig zu einer vollständigen Beschreibung ergänzen.« (Stolzenburg 1977, 297 f.)

2

In Weiterführung der Planck’schen »Quanten-Hypothese« von 1900.

353 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie

Abgesehen von der (in diesem Zusammenhang nicht zentralen) Frage, inwiefern es sich dabei um eine logische Entwicklung handelte, interessiert vor allem, welchen entscheidenden inhaltlichen Gedankenschritt Bohr zu gehen hatte, um von der Dualitäts- zur Komplementaritätskonzeption zu gelangen. Dieser ist nach Stolzenburg in der Überlegung zu erblicken, dass Bohr nicht länger von einer Wellen- bzw. Korpuskel-Natur des Lichts ausgeht, d. h. die Vorstellung aufgibt, feststellbare Erkenntnis sei Erkenntnis über die Wirklichkeit, also darüber – wie es IST –, sondern Erkenntnis sei bloß dasjenige, »was wir über die Natur sagen können.« (Stolzenburg zitiert nach Röhrle 2001, 16) Damit konnte Bohr zum Ausdruck bringen, dass es sich im Fall der Wellen- und Teilchen-Beschreibung des Lichts nicht um eine Dualität, sondern um eine Komplementarität handelte, das heißt, dass sich die »beiden einander widersprechenden Bilder gleichzeitig zu einer vollständigen Beschreibung ergänzen.« (ebd., 16) Komplementarität steht in diesem Sinne – allgemein ausgedrückt – für einen bestimmten Beschreibungsmodus von Erkenntnis-Objekten/Phänomenen, wobei eine Beschreibung dann als komplementär bezeichnet werden kann, wenn zwei Beschreibungsmodi sich a) auf ein Phänomen/Objekt beziehen; b) sich gegenseitig ausschließen in dem Sinne, dass sie nicht zusammen angewandt werden können; c) zur zureichenden/vollständigen Erfassung des Objekts/Phänomens unabdingbar erscheinen; d) auf gleichem »Beschreibungsniveau« stehen, d. h. gleichwertige Aspekte des Phänomens/Objekts erfassen (vgl. Hamberger 2008b, 229).

• • • •

2.b Unbestimmtheitsrelation Der zweite zentrale, mit der Quantentheorie untrennbar verbundene neue Erkenntnismodus ist jener der sogenannten Heisenberg’schen Unbestimmtheitsrelation. 3 Hören wir vorerst dazu Heisenberg selbst anhand seiner Darstellung aus dem Jahr 1927: 3

Nicht selten auch als »Unschärferelation« bezeichnet.

354 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Zentrale »Erkenntnismodi« der Quantentheorie

»In unserer [allgemeinen] Anschauung hat es, auch für sehr kleine Teilchen, wie z. B. Elektronen, immer einen unmittelbaren Sinn, vom ›Ort‹ und von der ›Geschwindigkeit‹ eines Teilchens zu sprechen. Der Physiker stellt sich jedoch auf den Standpunkt: Diese Worte haben nur einen Sinn, sofern man angeben kann, in welcher Weise sich ›Ort‹ und ›Geschwindigkeit‹ feststellen, d. h. experimentell messen lassen. Man kann sich sehr wohl Experimente denken, die eine Messung etwa des ›Ortes‹ beliebig genau ermöglichen: z. B. kann man prinzipiell das Elektron unter einem Mikroskop sehr großen Auflösungsvermögens betrachten; ebenso gibt es Messungen zur Bestimmung der Geschwindigkeit (z. B. durch Dopplereffekt). Es scheint aber ein allgemeines Naturgesetz zu sein, daß wir Ort und Geschwindigkeit nicht simultan beliebig genau bestimmen können. Je genauer wir den Ort bestimmen, desto ungenauer ist in diesem Augenblick die Geschwindigkeit bestimmbar und umgekehrt.« (Heisenberg 1927, 83)

Daraus zieht Heisenberg (1927, 83) nun die Schlussfolgerung: »In prinzipieller Hinsicht hat die obengenannte von der Natur festgestellte Genauigkeitsgrenze die wichtige Folge, daß das Kausalitätsgesetz in gewisser Weise gegenstandslos wird.« Denn – so seine weitere Argumentation – »[a]n der scharfen Formulierung des Kausalgesetzes: Wenn wir die Gegenwart kennen, können wir die Zukunft berechnen, ist nicht der Nachsatz, sondern die Voraussetzung falsch. Wir können die Gegenwart prinzipiell nicht in allen Bestimmungsstücken genau kennen lernen [nicht einmal im Bereich der Materie]. Da diese Genauigkeitsgrenze eine notwendige Voraussetzung der Quantenmechanik ist, und da andererseits die Quantenmechanik experimentell als gesichert angesehen werden darf, so scheint durch die neuere Entwicklung der Atomphysik die Ungültigkeit oder jedenfalls die Gegenstandslosigkeit des Kausalgesetzes definitiv festgestellt.« (Heisenberg 1927, 83)

Mag die Formulierung Heisenbergs, durch die Entdeckung der Unbestimmtheitsrelation sei »das Kausalitätsgesetz in gewisser Weise gegenstandslos geworden« etwas überschwänglich ausgefallen sein, so werden dadurch jedenfalls nicht nur technische, sondern prinzipielle Erkenntnisgrenzen deutlich, was die Anwendung der Kausalität im Bereich des Subatomaren betrifft. Die Heisenberg’sche Unbestimmtheitsrelation zeigt dabei die grundsätzliche Beschränktheit von Mess-Möglichkeiten im Bereich des Subatomaren allein dadurch auf, weil bei einer Messung im Quantenbereich die Eigenschaft des jeweils gemessenen Objekts nicht festgestellt, sondern durch die Messung erst hergestellt werden, wie Pietschmann (2013, 87) einprägsam formuliert. Folglich können 355 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie

(so genannte konjungierte) Paare von Messgrößen (z. B. Ort und Impuls) zugleich gar nicht genau (nebeneinander) existieren. Dadurch wird darüber hinaus die grundsätzliche Unmöglichkeit eines direkten »Erkenntniszugriffs« gegenüber der sogenannten Realität als dem offensichtlich Gegebenen deutlich.

2.c Verschränkung Das dritte wesentlich Neue der Quantenphysik gegenüber der klassischen Physik, das an dieser Stelle skizziert werden soll, stellt ein »Beziehungsphänomen« dar; gemäß obiger Begriffsdifferenzierung: ein (bis dahin völlig unbekanntes) Interaktionsphänomen, das als »Verschränkung« bezeichnet wird. Erwin Schrödinger meinte sogar, darin sei das eigentlich »Revolutionär-Neue« der Quantenphysik zu erblicken. Was wird mit diesem Terminus zu verstehen gegeben? Jürgen Audretsch macht dies deutlich, wenn er in seinem Beitrag Quantenmechanik. Eine Welt der Beziehungen den Unterschied zwischen einer Messung im (Erkenntnis-)Rahmen klassischer Physik, also »großer materialer Objekte«, und einer solchen im Quantenbereich wie folgt darstellt: »[I]n der klassischen Physik [findet] bei der Messung eine Wechselwirkung mit dem Objekt … statt, die das Objekt in den Werten seiner Eigenschaften nicht abändert. Die Messung informiert also über die Eigenschaften, die das Objekt im Augenblick der Messung sowohl unmittelbar vorher wie unmittelbar nachher hat.« (Audretsch 2008, 18)

Mit anderen Worten: In der klassischen Physik geht man von einer lokalen Realität der messbaren Dinge aus. Diese haben ihre Eigenschaften beständig in objektiver und realer Weise und sind deshalb jederzeit feststellbar. Ganz anders stellt sich die Sachlage im Quantenbereich 4 dar. Hier sind nicht länger – wie im Fall der klassischen Physik – die (beständigen) Eigenschaften primär, sondern der Zustand, in dem sich ein »Quantensystem« befindet. »Ein Quantensystem« – so Au-

Damit wird jener – in seinen Größendimensionen noch nicht ausgelotete – Bereich bezeichnet, innerhalb dessen sich die Quantentheorie erfolgreich anwenden lässt (vgl. Audretsch 2008, 19).

4

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Zentrale »Erkenntnismodi« der Quantentheorie

dretsch (2008, 19) – »wird … durch eine mathematische Größe, den so genannten Zustandsvektor, beschrieben. Eigenschaften im klassischen Sinne können einem Quantensystem im Allgemeinen nicht ständig zugeordnet werden.« Obwohl sich auch im Quantenbereich (weiter klassische) physikalische Eigenschaften wie Ort, Impuls oder Energie messen lassen, gelten für die Messungen im Quantenbereich jedoch ganz andere Verhältnisse und Voraussetzungen wie für Messungen an klassischen materialen Objekten. 5 Der entscheidende Unterschied wurde gerade oben mit Pietschmann (2013, 87) deutlich: »In der Quantenphysik werden die Eigenschaften eines Objektes durch die Messung nicht [wie in der klassischen Physik] festgestellt, sondern erst hergestellt!« (Pietschmann 2013, 87)

Analog dazu betont Audretsch: »Die Quantenrealität unterscheidet sich … fundamental von der Realität klassischer Objekte. Es gibt [dort] im Allgemeinen keine lokale Realität von Eigenschaften. Eine Eigenschaft eines Quantensystems entsteht erst in der entsprechenden Messung. Danach ist sie real, wie die Wiederholungsmessung zeigt.« (Audretsch 2008, 21)

Neben dem Umstand, dass also im Quantenbereich keine lokale Realität der Eigenschaften (mehr) angenommen werden kann, liegt – bei mehr als einem »Quantensystem« – selbst im Hinblick auf ihren Zustand keine Separabilität 6 mehr vor; d. h. die »Quantensysteme« gelten als »verschränkt«. Mit den Worten von Audretsch: »Für verschränkte zusammengesetzte [Quanten-]Systeme kommen den Einzelsystemen nicht einmal mehr wohldefinierte Quantenzustände zu. Es gibt keine lokale Realität der Quantenzustände. Vielmehr liegt bei verschränkten Quantensystemen ein genuines Gesamtsystem[-phänomen] neuen Typs vor, das nicht einfach aus Untersystemen zusammengesetzt ist. … Was sich aber zeigt, ist eine unauflösliche Relationalität [Verbundenheit] Das Messgerät gehört dabei – natürlich – dem Bereich der klassischen Physik an (vgl. Audretsch 2008, 19). 6 Damit wird der Umstand bezeichnet, dass eine bestimmte Entität ihre Eigenschaften und/oder ihre Zustände unabhängig von allen anderen Entitäten besitzt. Meine Haarfarbe habe ich unabhängig von der meines Bruders Hermann; meine Kopfschmerzen habe ich unabhängig vom diesbezüglichen Wohlbefinden unserer Töchter Edith und Agnes. 5

357 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

III. Offerierung erkenntnistheoretischer Impulse der Quantentheorie

von Eigenschaften der Untersysteme, wie sie sich in Doppelmessungen zeigen.« (Audretsch 2008, 24)

Kurzum: Zwei (oder mehr) Teilchen 7 bezeichnet man als verschränkt, wenn sie – im Unterschied zur klassischen Physik – nicht unabhängig voneinander beschrieben werden können. Das Verblüffende daran ist nun insbesondere, dass das Phänomen der Verschränkung auch dann experimentell aufweisbar ist, wenn etwa ein verschränktes »Photonen-Paar« auf technische Weise getrennt wird und die beiden einzelnen Photonen räumlich (beliebig) weit voneinander entfernt sind 8. Auch in diesem Fall führt eine Zustands-Messung an einem der beiden Teilchen instantan, d. h. ohne jegliche zeitliche Verzögerung, dazu, dass sich der Zustand auch beim anderen Teilchen ändert. 9 Nicht das Ergebnis der Messung steht also von vornherein fest (das wird – siehe oben – durch die Messung erst hergestellt), sondern die verschränkte Korrelation. »Ein Charakteristium der Quantenwelt ist es,« – so Audretsch (2008, 24) dieses Kapitel quasi resümierend – »dass Verschränktheit der Normalzustand ist. Eine Wechselwirkung [Interaktion] zwischen zwei zunächst isolierten Quantensystemen überführt die beiden Systeme in ein verschränktes Gesamtsystem, in dem den Einzelsystemen keine Zustandsvektoren mehr zugeordnet werden können. Die Quantenwelt ist also von vornherein holistisch [d. h. im Sprachgebrauch der vorliegenden Schrift: primär interaktional] strukturiert.«

Pietschmann gebraucht dabei den Begriff des »Doppelteilchens«, um den relationalen Charakter besser herauszustreichen. 8 Die Gruppe um Anton Zeilinger konnte 2013 die Verschränkung von Photonenpaaren über 144 Kilometer – zwischen La Palma und Teneriffa – nachweisen. 9 Albert Einstein sprach in diesem Zusammenhang von »spukhafter Fernwirkung« und ersann in den 1930er Jahren mit zwei Kollegen (Boris Podolsky und Nathan Rosen) ein Gedankenexperiment, das die universelle Gültigkeit des quantenphysikalischen »Verschränkungsphänomens« in Frage stellt. Doch konnte eine Gruppe um Alain Aspect Anfang der 1980er Jahre experimentell zeigen, dass auch in diesem Fall das Phänomen der Verschränkung zu beobachten ist. Anton Zeilinger, der mit seiner Gruppe zu den weltweit führenden Experten auf diesem Gebiet zählt, bemerkt dazu im Rahmen eines Interviews: »Es gibt die sogenannte Verschränkung, wo zwei Teilchen so zusammenhängen, auch über große Entfernung, dass die Messung an einem der beiden den Zustand des anderen sofort ändert, ohne dass es da ein Signal von A nach B geben kann; und da fragt man sich natürlich: Wie ist das möglich? Und da muss man sagen: Die Quantenphysik kann das mathematisch wunderbar beschreiben, das ist überhaupt keine Frage, dass das korrekt ist. Aber anschaulich verstehen, das ist die Herausforderung. Das hat man eigentlich noch nicht gelöst.« (IQ Zeilinger 2014) 7

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten für den Bereich der Kommunikationswissenschaft als vierter therapeutischer Schritt

Schon bald nach der erstmaligen Formulierung der (Kopenhagener Deutung der) Quantentheorie (1927) wurde sie – wohl mit der Solvay-Konferenz 1930 – in der modernen Physik allgemein akzeptiert und als neuer fachinterner status quo im Verständnis des Subatomaren anerkannt 1; dafür zeugen nicht zuletzt die bald darauf verliehenen Nobelpreise für Heisenberg (1932), Schrödinger und Dirac (beide 1933). Schon sehr bald tauchte – nicht zuletzt angeregt von Niels Bohr selbst – die Frage auf, inwiefern sich die im Quantenbereich so zentrale Konzeption der Komplementarität auch auf andere Erkenntnisbereiche, etwa die Biologie, übertragen lasse. Vom »Vater der Quantentheorie« angeregt, befassten sich bald einige Schüler Bohrs – etwa Max Delbrück oder Pascal Jordan – mit dieser Herausforderung, die seitdem als »scientific challenge« immer wieder und in den verschiedensten Kontexten auftaucht (vgl. Röhrle 2001).

1.

Die Unmöglichkeit einer direkten Übertragung quantenphysikalischer Einsichten in die Bereiche des Lebendigen bzw. Geistigen

Bei den oben erwähnten Vorhaben, quantenphysikalische Einsichten auf andere Forschungsbereiche zu übertragen, wurde zumeist die Schwierigkeit außer Acht gelassen, dass sich diese nicht direkt auf die Bereiche des Lebendigen bzw. Geistigen übertragen/übersetzen lassen. Warum nicht? Auf Grund der oben skizzierten fundamentalen Trotz des erwähnten Umstandes, dass federführende Autoritäten der Physik, die am Zustandekommen der Quantentheorie maßgeblich mitgewirkt hatten (wie etwa Albert Einstein, Erwin Schrödinger oder Louis de Broglie), die Konzeption letztlich selbst nicht mitzutragen vermochten.

1

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

Differenzierung zwischen Interaktion und Kommunikation. Mit anderen Worten: Erkenntnistheoretische Einsichten der Quantenmechanik können deshalb nicht direkt etwa ins Kommunikationswissenschaftliche oder Biologische übertragen werden, weil ihr Gegenstandsbereich ausschließlich materiebezogen ist, d. h. allein konzentriert auf Phänomene der Interaktion, niemals auf jene der Kommunikation, die – siehe oben – in Bereichen des Lebendigen bzw. des Human-Geistigen jenen der Interaktion übergeordnet sind. Insofern ist es grundsätzlich nicht möglich, die oben skizzierten Erkenntnis-Modi Komplementarität, Unbestimmtheitsrelation und Verschränkung eins zu eins von der Quantenphysik in die Kommunikationswissenschaft zu übertragen. Wie sich die genannten quantenphysikalischen Einsichten dennoch für die Kommunikationswissenschaft fruchtbar machen lassen, soll im Folgenden deutlich werden. Pietschmann gibt diesbezüglich insofern einen ersten zentralen Hinweis, wenn er bemerkt, dass die Quantenmechanik deshalb für Lebens-, Kultur- bzw. Geisteswissenschaften fruchtbar gemacht werden kann, »um mit Hilfe der grundlegenden quantentheoretischen Einsichten einen Weg überall dort zu weisen, wo Aporien offensichtlich werden« (Pietschmann 2009b). Oder zugespitzter formuliert: Der theoretische Physiker sieht das oben skizzierte – den Widerspruch integrierende – erweiterte Verständnis von Verstehen nicht allein auf die Quantentheorie beschränkt, sondern ebenso wegweisend für all jene Wissenschaftsbereiche, wo der Widerspruch – nicht wie in der Physik – die Ausnahme (Quanten-Physik), sondern den Regelfall (Lebens-, Kultur- und Geisteswissenschaften) bildet (vgl. Hamberger 2011a, 195 f.) 2, – um auch dort zur Überwindung/Relativierung des mechanistischen »Denkrahmens der Moderne« beizutragen (vgl. Pietschmann 2009b, bzw. Hamberger 2008b). Dafür hat Pietschmann ein eigenes »Denk-Modell« entwickelt, dem das folgende Kapitel gewidmet ist.

Darunter sind all jene wissenschaftlichen Disziplinen zu subsumieren, die sich in zentraler Weise mit den Phänomenen Leben, Kommunikation, Erkenntnis, Geist, Mensch und ähnlichen beschäftigen.

2

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Das HX-Schema nach Pietschmann

2.

Das HX-Schema nach Pietschmann als zentrale Verstehenshilfe aporetischer/zerraporetischer Phänomene des Lebendigen bzw. Menschlich-Geistigen

Im vorigen Abschnitt wurde deutlich: Das Revolutionär-Neue der Quantentheorie ist vor allem in der Integration des Widerspruchs/ der Aporie in die moderne Wissenschaftlichkeit zu sehen; anhand der Bohr’schen Konzeption der Komplementarität wurde dies besonders augenscheinlich. Da sich die Quantenmechanik jedoch ausschließlich auf die Beschreibung der Bausteine der Materie bezieht, kann sie nicht direkt als »inhaltliches Muster« zur Beschreibung des Lebendigen bzw. Geistigen herangezogen werden (vgl. Pietschmann 2009b, 50). Insofern gilt es – will man den Erkenntnisimpuls der Quantentheorie aufnehmen –, die aporetische Struktur weiter zu fassen. Genau dies stand dem Physiker Herbert Pietschmann, dem es schon seit Jahrzehnten ein Anliegen ist, die theoretischen Erkenntnisse der Quantenphysik auch für andere Erkenntnisbereiche fruchtbar zu machen, vor Augen, als er das von ihm sogenannte »HX-Modell« entwickelte, um damit die aporetische Struktur menschlichen bzw. lebendigen Seins ersichtlich zu machen bzw. näher zu bestimmen. Dies nun gerade in Abgrenzung gegenüber jenen aporetischen Erscheinungsweisen, wie sie uns im Quantenbereich begegnen. Mit Hilfe von besagtem HX-Modell gelingt es ihm, die komplementäre Ergänzungsnotwendigkeit in zahlreichen Kontexten menschlichen Seins aufzuzeigen. Exemplum docet! Als Beispiel führt Pietschmann etwa an, dass ein Wissenschafter zugleich durch die offenkundig widersprüchlichen Potenziale eines kritischen Geistes auf der einen und Offenheit auf der anderen Seite gekennzeichnet sein müsse, wobei beide Aspekte als gleichberechtigt anzunehmen seien und einander bedingten. 3 Demzufolge muss der lebendige Erkenntnisvollzug wissenschaftlichen Handelns stets grundsätzlich widersprüchlich-komple-

Wörtlich bemerkt Pietschmann (2002, 85) dazu: »Wer eine Entdeckung vorschnell veröffentlicht, weil er damit einer hypothetischen Vorhersage entspricht und sich Ruhm und Ansehen erwartet, ist nicht kritisch genug gegen seine eigenen Ergebnisse; wer neue Phänomene wegdiskutiert, weil er Angst hat, sich mit nicht-reproduzierbaren Ergebnissen zu blamieren, ist nicht offen genug für unerwartete Erkenntnisse. Die notwendige Haltung eines Wissenschaftlers ist also zugleich offen und kritisch.«

3

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

mentäre Aspekte enthalten – soll er wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. In analoger Weise sieht Pietschmann als allgemeinnotwendige Grundlage zur Erfassung verschiedenster Phänomene menschlich-geistigen Seins deren komplementär-aporetische Beschreibung. Darüber hinaus postuliert er, dass es zu den beiden positiv-komplementären Aspekten jeweils eine Fehlgestalt gibt: Er nennt dies den dazugehörigen Schattenbegriff. Mit anderen Worten: Das HXSchema macht nicht nur – wie im Quantenbereich – das Phänomen (positiv-)komplementärer Ergänzung deutlich, sondern auch ein negatives Pendant, gleichsam eine Gestalt von »Schatten-Komplementarität«. Am obigen Beispiel veranschaulicht bedeutet dies: Wer nicht offen ist, ist nicht (damit automatisch) kritisch, sondern (womöglich) borniert! Beziehungsweise im umgekehrten Fall: Wer nicht kritisch ist, ist nicht (damit automatisch) offen, sondern (womöglich) leichtgläubig! Graphisch lässt sich dies so darstellen 4: OFFEN

LEICHTGLÄUBIG

H

KRITISCH

BORNIERT

Abbildung 47: HX-Schema nach Pietschmann (2002, 85)

Permanente Maxime wissenschaftlicher Praxis sollte es daher sein, gerade die positive Aporie-Balance zwischen Offenheit und KritikErstmals beschrieben in seinem Werk Aufbruch in neue Wirklichkeiten (Pietschmann 1997b, 25 ff.); ausführlich erläutert im Werk Eris & Eirene. Eine Anleitung zum Umgang mit Widersprüchen und Konflikten, Wien 2002. Das H steht dabei für Harmonie, das heißt für die Einsicht der notwendigen Ergänzung zwischen den komplementären Begriffen bzw. Phänomenen; im Beispielsfall zwischen Offenheit und Kritikfähigkeit. Das X steht für den Kampf, in dem die Vertreter der logischwidersprüchlichen Positionen nicht die Ergänzungsnotwendigkeit des eigenen Aspekts sehen, sondern primär den »Schatten« des Komplements bekämpfen. Am konkreten Beispiel anschaulich gemacht: Der kritische Geist bekämpft (zurecht) die Leichtgläubigkeit, der offene Geist (zurecht) die Borniertheit. Zur Schwierigkeit, diesen Kampf zu beenden, bemerkt Pietschmann (2002, 42): »Es geht darum, die X-Situation [wieder] in eine H-Lage zu bringen, und das scheint eigentlich ganz einfach zu sein: Denn die Berechtigung im Kampf jeder Seite entsteht ja dadurch, daß sie jeweils auf den Schatten der anderen Seite zielt. Wenn dies erst einmal erkannt ist, könnte der Prozeß der HX-Verwirrung in eine neue Phase treten. Dazu müssen die Kämpfenden zugeben, daß der wahre Gegner der eigene und nicht der fremde Schatten ist, so wie dies durch das anzustrebende H angedeutet wird!«

4

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Das HX-Schema nach Pietschmann

fähigkeit immer wieder aufs Neue herzustellen bzw. zu erhalten, auszuhalten, auszutarieren, um so dem Absinken in die jeweiligen »Schatten« (Leichtgläubigkeit, Borniertheit) bzw. in die Schattenkomplementarität entgegenzuwirken. Sonst droht die Gefahr der – von Pietschmann sogenannten – »HX-Verwirrung« 5. Diese ist in Abbildung 48 dargestellt. OFFEN

LEICHTGLÄUBIG

KRITISCH

X

BORNIERT

Abbildung 48: HX-Schema nach Pietschmann (2002, 87)

Noch einmal: Warum ist dieses HX-Schema im Zusammenhang der Darstellung aporetischer/»zerraporetischer« Strukturen des Lebendigen bzw. Menschlichen so hilfreich? Weil es – jenseits des Entweder/ Oder-Schemas – gestattet, nicht nur logisch widersprechende Aspekte als ergänzende Komplemente zu verstehen, sondern darüber hinaus ermöglicht, mit Hilfe der Struktur einer »Schattenkomplementarität« (potenzielle) Fehlgestalten von Mensch-Sein bzw. Lebendig-Sein (relevanter) in den Blick zu nehmen.

Zu einer solchen »HX-Verwirrung« kommt es nach Pietschmann in dem Maße, als »die Gefahr des Schattens mehr wiegt als das Ziel der harmonischen Vereinigung«. Und dies ist der Fall, wenn in einem Erkenntnisverständnis das »Entweder-Oder-Denken« überwiegt. Am konkreten Beispiel ersichtlich gemacht, kommt es dazu in dem Maße, als die positive Balance nicht mehr vollzogen wird und die Gefahr besteht, dass der kritische Geist Offenheit nicht mehr als gleichrangig-notwendige komplementäre Ergänzung ansieht, sondern vielmehr Offenheit tendenziell mit Leichtgläubigkeit gleichsetzt oder Kritikfähigkeit mit Borniertheit identifiziert und so – um mit Pietschmann zu sprechen – »in den eigenen Schatten fällt«. Im Gegensatz zur komplementären Ergänzung von Offenheit und kritischem Geist bilden Borniertheit und Leichtgläubigkeit nun gerade keine konstruktive Ergänzung, sondern eine destruktive Verstrickung. Destruktive Verstrickung oder »Nonsense-Paradoxie« meint, dass Borniertheit und Leichtgläubigkeit (bzw. analoge Schattenbegriffe) – obwohl sie sich nicht komplementär ergänzen (wie Offenheit und kritischer Geist) – trotzdem in merkwürdiger Weise untrennbar in konfuser Weise miteinander verstrickt sind; das heißt in einer negativ-paradoxen Weise aneinander gebunden, lebensfeindlich verflochten. Der Bornierte ist in dem Maße, als er nicht (mehr) offen ist für konstruktive Kritik, demzufolge absurderweise der Leichtgläubigkeit verfallen (nämlich was sein eigenes Denken anbelangt); umgekehrt ist gerade der Leichtgläubige in dem Maße mit Borniertheit geschlagen, als er nicht (mehr) kritisch zu sein vermag gegenüber seiner eigenen Leichtgläubigkeit (vgl. Pietschmann 2002, 86 f.).

5

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

Dies soll im nächsten Kapitel durch die nähere Ersichtlichmachung der positiv- wie negativ-aporetischen Gestalt von (menschlicher) Kommunikation deutlich gemacht werden.

3.

Kommunikation als aporetisches/ zerraporetisches Phänomen

Im vorigen Abschnitt wurde deutlich zu machen versucht: Menschliches (bzw. lebendiges) Sein lässt sich relevant nur widersprüchlich (aporetisch) beschreiben. Damit soll – um dies noch einmal hervorzuheben – kein negatives Element, sondern eine allgemeine (Erkenntnis-)Struktur des Menschlichen – und damit auch menschlicher Kommunikation – gekennzeichnet werden. Das oben skizzierte HX-Schema eignet sich dazu – wie erwähnt – deshalb so gut, weil es – jenseits des Entweder-Oder-Schemas – einerseits gestattet, logisch widersprechende Aspekte menschlichen Seins bzw. Handelns/Kommunizierens als ergänzende Komplemente zu verstehen und andererseits bzw. darüber hinaus ermöglicht, mit Hilfe der Struktur der »Schattenkomplementarität« (potenzielle) Fehlgestalten von Kommunikation bzw. Lebendig-Sein relevanter in den Blick zu nehmen, etwa die Problemgestalt von Egoität als Fehlgestalt von Ich-Sein 6. Zuerst gilt es, Menschsein (bzw. menschliche Kommunikation) als konstruktiv-aporetisches Phänomen ersichtlich zu machen. Die bekannte Descartes’sche Formel cogito, ergo sum (denkend/zweifelnd bin ich) scheint dem entgegenzustehen. Denn abgesehen vom Umstand, dass jeder Mensch eine Um- bzw. Außenwelt benötigt, um er selbst sein zu können, erscheint der Einzelne gemäß dieser Definition als widerspruchsfrei beschreibbares Individuum. Pietschmann macht jedoch darauf aufmerksam, dass es sich bei der Aussage »ich denke, also bin ich« um eine zeitlose Momentaufnahme eines Erwachsenen handelt, bei der nicht mitbedacht wird, dass der Betreffende Kind einer Frau ist, die ihn zur Welt brachte und ihn durch kommunikative Zuwendung sprechen (und damit denken) lehrte. Vgl. dazu den Topos der »ontologischen Entropie« bei Zucal (Zucal 2013) bzw. das Motiv des »dämonischen Dialogs« Kierkegaard’scher Ästhetiker-Gestalten (Cattepoel 2005).

6

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Kommunikation als aporetisches/zerraporetisches Phänomen

Der Physiker dazu wörtlich: »Denken setzt Sprache voraus und sprechen kann ich nur, weil ich von Bezugspersonen dazu … erzogen worden bin. … Voraussetzung dafür, dass ›ich denke‹, ist die vorherige Kommunikation mit anderen Menschen und auch jetzt findet mein Denken nicht im Vakuum des Solipsismus statt, sondern zielt auf Kommunikation.« (Pietschmann 2009a, 120)

Das oben schon erwähnte – Kaiser Friedrich II. zugeschriebene – grausame Experiment im 13. Jh. macht deutlich, was passiert, wenn diese kommunikative Zuwendung am Lebensbeginn konsequent unterbleibt. Ammen wurden verwaiste Neugeborene zur Aufzucht übergeben mit dem Auftrag, sie ganz gewöhnlich zu füttern, zu waschen und zu pflegen, jedoch unter dem strengsten Verbot, mit ihnen zu sprechen bzw. sie taktil zu liebkosen. Auf diese Weise wollte der wissensdurstige Kaiser die »Ursprache« des Menschengeschlechts herausfinden. Das Resultat war jedoch ein ganz anderes: Sämtliche Kinder starben nach kurzer Zeit. Daraus lässt sich folgern: Um Ich sein zu können, benötigt (je-) der Mensch ein anderes (mich ansprechendes) Ich (= Du). Aporetisch formuliert: Ein Mensch allein ist noch kein Mensch! Mensch-Sein heißt immer zugleich – Mensch-Sein mit anderen! 7 In diesem Sinne bemerkt auch Jaspers: »Ich bin nur in Kommunikation mit dem anderen. Ein einziges isoliertes Bewußtsein wäre ohne Mitteilung, ohne Frage und Antwort, daher ohne Selbstbewußtsein. Es muß im anderen Ich sich erkennen.« (Jaspers 1973, 50) 8 In ähnlicher Weise schreibt Ferdinand Ebner, einer der maßgeblichen dialogischen Denker:

Weiter unten (Kap. C/V2: Vorläufer des Dialogischen Denkens) werden wir dieser Überlegung bei Feuerbach wieder begegnen. 8 Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass Pietschmann selbst hinsichtlich der »klassischen« physikalischen Teilchenvorstellung »Antinomien der Verschränkung« (Schrödinger) ortet. »Der Begriff des ›Teilchens‹ ist eine Abstraktion [analog zum Descartes’schen cogito ergo sum], die wir zwar zur widerspruchsfreien Beschreibung brauchen, die aber in der Welt gar nicht vorkommt. … Nur in Wechselwirkung stehende Teilchen (Aporons) sind mathematisch und physikalisch ›vernünftig‹. … Physikalische Teilchen tragen gewissermaßen den Widerspruch in sich, einerseits selbständige Objekte zu sein, andererseits ohne Wechselwirkung keine Existenzberechtigung zu haben. In diesem Sinne möchte ich sie Aporons nennen.« (Pietschmann 2009a, 164 ff.) Mit anderen Worten: Selbst ein Atom kann interaktionslos-isoliert nur als Abstraktion gedacht werden, während es realiter permanent in Wechselwirkung mit anderen materialen Entitäten steht. 7

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

»Vorausgesetzt, daß die menschliche Existenz in ihrem Kern überhaupt eine geistige, das heißt eine in ihrer natürlichen Behauptung im Ablauf des Weltgeschehens sich nicht erschöpfende Bedeutung hat 9; vorausgesetzt, daß man anders als im Sinne einer poetisch oder auch metaphysisch gemeinten oder gar nur aus sozialen Gründen gebotenen Fiktion von etwas Geistigem im Menschen sprechen darf: so ist dieses wesentlich dadurch bestimmt, daß es vom Grund aus angelegt ist auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es und in dem es existiert.« (Ebner 1963a, 80 f.)

Demnach ist Kommunikation nicht (nur) etwas, das der Mensch vollziehen kann oder nicht, sondern ein Existenzial, ein aporetischer Grundvollzug, der sein Ich-Sein permanent konstituiert. In diesem Sinne schlägt Pietschmann vor, den Begriff Individuum zu ersetzen durch Aporon, um dadurch die grundsätzlich-widersprüchliche Struktur von Menschsein besser zum Ausdruck zu bringen. Analog dazu sollte seines Erachtens das Descartes’sche cogito ergo sum ersetzt werden durch ein communico, ergo sumus (ich kommuniziere, also sind wir) bzw. communicamus, ergo sum (wir kommunizieren, also bin ich). Wörtlich heißt es dazu bei Pietschmann (2013, 126): »Während Descartes den Widerspruch von Individuum und Gemeinschaft auseinander gerissen hat und vom Individuum allein ausgeht, soll ein Aporon die Synthese von Individuum und Gemeinschaft ebenso darstellen wie die von Selbstverwirklichung und Gemeinschaftssinn. … Nicht ›cogito ergo sum‹, sondern ›communico ergo sumus‹ lege ich meinen Gedanken zugrunde! ›Ich kommuniziere, also sind wir‹ und ›Wir kommunizieren, also bin ich‹ müssen gerade wegen ihrer Widersprüchlichkeit immer zusammen gedacht werden.«

Nach der Skizzierung der aporetischen Grundstruktur des Menschseins bzw. menschlicher Kommunikation soll im nächsten Gedankenschritt auf jenen Umstand näher eingegangen werden, der oben schon als Kennzeichen des Lebendigen bzw. Humanen (d. h. Kommunikationsfähigen) genannt wurde: die damit verbundene Möglichkeit der Ausbildung von Fehlgestalten, die im Bereich des rein Materialen (Interaktionalen) nicht gegeben ist.

Im Sinne von: dass das Phänomen Geist nicht die Summe (bzw. mehr als die Summe) von physiko-chemischen Interaktionen darstellt, sondern etwas grundsätzlich anderes.

9

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Kommunikation als aporetisches/zerraporetisches Phänomen

Menschsein bzw. menschliche Kommunikation kann sich insofern als konstruktiv-aporetisches oder als destruktiv-aporetisches 10 Phänomen zeigen. Wann ist Menschsein/menschliche Kommunikation nun als konstruktiv-aporetisches Phänomen aufzufassen? Im Sinne des oben skizzierten HX-Schemas kann darauf geantwortet werden: Menschliches Sein bzw. Kommunikation ist immer dann bzw. in dem Maße als konstruktiv-aporetisch aufzufassen, als die verschiedenen Aporien, durch die Menschsein gekennzeichnet ist, durch aktiven Vollzug in ergänzend-komplementärer Balance bzw. widersprüchlicher Spannung aufrecht erhalten, d. h. nicht nach einer der beiden Seiten abgespannt werden. Am schon erwähnten Beispiel verdeutlicht: Wenn ein(e) WissenschafterIn sich kontinuierlich bemüht, zugleich offen und kritisch zu sein/zu bleiben, also diesen Widerspruch erträgt/bewahrt, ohne in Leichtgläubigkeit auf der einen Seite oder in Borniertheit auf der anderen Seite zu verfallen. Allgemeiner ausgedrückt: Von konstruktiv-aporetischem Menschsein kann in dem Maße gesprochen werden, als es dem/der Betreffenden gelingt, den konstruktiven Widerspruch zwischen Selbstverwirklichung und Gemeinschaftsbezug »in der Waage« zu halten, ohne in Egoismus (Funktionalisierung der anderen für mich) oder Selbstaufgabe (Sich-Funktionalisieren-Lassen durch andere) zu verfallen. 11 SELBSTVERWIRKLICHUNG

EGOISMUS

H

GEMEINSCHAFTSSINN

SELBSTAUFGABE

Abbildung 49: HX-Schema nach Pietschmann (2009a, 133)

Vor allem letzteres Beispiel macht zumindest implizit deutlich, dass zur aktiven Aufrechterhaltung konstruktiver Aporien (etwa Selbstverwirklichung und Gemeinschaftsbezug) Akte der Selbst-Überschreitung notwendig sind. Wenn Spaemann die – oben schon erwähnte – rhetorische Frage stellt, »wo eigentlich die Entscheidung fällt über die Interpretation des Lebens [und damit von Kommunika-

10 11

In der Folge auch als zerraporetisch bezeichnet. Bei Pietschmann steht als Schattenbegriff Altruismus.

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

tion] als Epiphänomen 12 oder als ontologisch ursprüngliche Dimension«, und die Antwort seines Erachtens davon abhängt, »ob wir die Finalität des Lebens [der Kommunikation] primär als eine Finalität der Selbsterhaltung oder als eine Finalität der Selbsttranszendenz betrachten« (Spaemann 2011, 88), so wird dadurch zumindest zweierlei deutlich: Zum einen, dass Kommunikation grundsätzlich selbstüberschreitend gedacht werden kann; zum zweiten, dass Kommunikation in dem Maße rein selbstbezüglich gedacht werden muss, wenn Materie (explizit oder implizit) als Grundlage aller Wirklichkeit erachtet wird. Genau dies ist nun im kulturspezifischen Kontext der abendländischen Moderne der Fall (vgl. Kap. B/I/4a bzw. Pietschmann 2005a, 83 f.). Mit anderen Worten: Auf der Basis des erkenntnis- und kommunikationstheoretischen Mainstreams der Moderne ist es (nicht länger) möglich, Menschsein bzw. menschliche Kommunikation selbsttranszendierend und damit konstruktiv-aporetisch zu beschreiben. Das geistesgeschichtliche Werden dieses Mainstreams zeichnet wiederum Spaemann in luzider Differenzierung nach, wenn er bemerkt: »Es ist interessant, dass in der frühen Neuzeit, so bei Descartes und Leibniz, das [menschliche] Bewußtsein denkend und fühlend mit der Wirklichkeit [›außerhalb‹ des eigenen Ich] zu sein, nur noch auf dem Umweg über die Gottesidee möglich ist. 13 Und dort, wo wie bei Hume auch die Gottesidee nur noch eine Idee ist, da zieht sie das, was wir alltäglich unter Wahrheit verstehen, mit sich in die universale Skepsis.« (Spaemann 2011, 311)

So erscheint es als konsequent, wenn David Hume, der Vater des angelsächsischen Empirismus, zur schon erwähnten Ansicht gelangt: »We never advance on step beyond ourselves«; »Wir tun nie einen Schritt über uns hinaus.« (Hume zitiert nach Spaemann 2011, 310) Vor diesem Hintergrund wird die ebenfalls schon dargelegte diagnostische Einschätzung Rothes durchsichtiger: »Das heute in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft herrschende Menschenbild ist ein individuumszentriertes oder ›egomanisches‹, wie Richter D. h. als ein dem Bereich der Materie, des Interaktionalen, ontologisch nachgeordnetes Phänomen. 13 Vgl. dazu die Konzeption der Leibniz’schen Monadenlehre vor dem (kommunikationsermöglichenden) Hintergrund einer »prästablierten Harmonie«. 12

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Kommunikation als aporetisches/zerraporetisches Phänomen

(2002) es nennt. Die Tradition der individuumszentrierten Betrachtung des Menschen, der Absolutsetzung des Subjekts … [hat] sich im Laufe der abendländischen Geschichte als die dominierende durchgesetzt …« (Rothe 2006, 4)

Kurz: Mit der theoretischen Absolutsetzung des Subjekts finden sich – zumindest im Mainstream des modernen (kommunikationswissenschaftlichen) Denkens – zwei Elemente nicht mehr, die zur Beschreibung konstruktiv-aporetischen Menschenseins bzw. Kommunizierens unabdingbar sind: das Element des (positiven) Widerspruchs und jenes der Selbsttranszendenz. Das moderne Denken fasst den Menschen vielmehr als widerspruchsfreies autonomes Subjekt, dem es letztlich – nolens volens – um Selbsterhaltung zu tun ist. »Spinoza hat diese Tendenz auf die einfachste und radikalste Formel gebracht: Conatus sese conservandi est essentia rerum – ›Das Streben nach Selbsterhaltung ist die Essenz alles Seienden‹.« (Spaemann 2011, 319) Damit kommen wir zur Skizzierung der zerraporetischen bzw. destruktiv-aporetischen Gestalt von Menschsein bzw. Kommunikation. Das damit verbundene zentrale Problem hat Ferdinand Ebner mit seinem Motiv der modernen »Ich-Einsamkeit« bzw. »Du-Verschlossenheit« beschrieben. Was gibt der dialogische Denker damit zu verstehen? In Abgrenzung von der Erfahrung existenzieller »Einsamkeit des Einzelnen«, die jeder Mensch allein dadurch macht, dass er sich vor dem Hintergrund der Realität des Todes 14 als ein zu selbstverantwortlicher Entscheidung sowohl fähiges als auch genötigtes Wesen wahrnimmt, meint Ebner mit dem Terminus »Ich-Einsamkeit« ein pathologisches Bezogensein auf sich selbst – bei gleichzeitiger Verschlossenheit gegenüber (jedwe)dem Du. Dieses durch »Ich-Einsamkeit« geprägte Daseinskonzept »im Schema ego-zentrischer Intentionalität« (Wucherer-Huldenfeld 1985, Ebner selbst bemerkt dazu: »Je menschlicher ein Mensch sein Leben lebt, je mehr ihm seine Existenz in der Welt zur Offenbarung dessen wird, was Mensch-Sein heißt, desto mehr weiß er um die Einsamkeit. Daß es überhaupt eine Einsamkeit gibt – das Wort Einsamkeit in seinem tiefsten Sinne verstanden, den es überhaupt geben kann –, daran haben Geist und Tod in gleicher Weise Anteil. … Es gibt keinen [Menschen], dessen Existenz in der Welt nicht innerlich vom Schatten des Todes verdunkelt würde. Und es gibt keinen, dessen Bewußtsein, dessen Erleben der Welt also und Sich-selbstin-der-Welt-Erleben, nicht auch ein Wissen um den Geist in sich begriffe. Möge dieses Wissen auch in den rohesten Formen des Fetischismus und Naturgeisterglaubens seinen Ausdruck gefunden haben.« (Ebner 1963a, 25)

14

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

90) geht einher mit einer – wie Wucherer-Huldenfeld (ebd., 92) dies nennt – »apersonalen Reflexionstruktur«. Ebner selbst beschreibt dies wie folgt: »Liebt der Mensch aber sich selbst – in der Icheinsamkeit und Duverschlossenheit seiner Existenz –, dann macht er … sich selbst zum Objekt.« Mit anderen Ebner’schen Worten gesagt: »Er [der Mensch] vergegenständlicht sich [bei gelebter Ich-Einsamkeit] und ist sich nur als dieser Gegenstand, als dieses Double gegeben.« (Ebner zitiert nach Wucherer-Huldenfeld 1985, 92) Das heißt: In dem Maße, als sich der Mensch ohne Du-Bezug selbst begehrt, erfährt er sich selbst – nach Ebner – nur als einen individuellen Gegen-Stand, als ein EtwaS seiner Re-flexion. Die Folge davon: In der egozentrischen Selbst-Zuwendung erreiche »ich« mich selbst nie; ja dieses Ich (Ego) als »Gegenstand« bin ich eigentlich gar nicht; es ist vielmehr ein von mir Ausgedachtes bzw. Vorgestelltes. 15 Kurz: Mit dem Topos »Ich-Einsamkeit« versucht Ebner zu zeigen, dass sich der Einzelne unabhängig vom Du gar nicht ursprünglich auf sich selbst beziehen kann, sondern nur in einer verkehrten Weise. 16 Eben diese verkehrte Weise von Ich-Sein bzw. menschlicher Kommunikation lässt sich sehr gut mit Hilfe des nachfolgenden Pietschmann’schen HX-Schemas 17 als »Schattenkomplementarität« veranschaulichen. Greshake bemerkt in analoger Weise, wenn er zum autonomen Subjekt der Moderne ausführt: »Denn indem die Monas des sich selbst bestimmen wollenden Subjekts alles andere als ›Objekt-für-sich‹ proklamiert und totalitaristisch für sich beschlagnahmen und in sich ›einverleiben‹ will, schlägt diese objektivierte Wirklichkeit gegen das Subjekt zurück. Dies geschieht zum einen dadurch, dass das Subjekt sich freiwillig darin gefällt, auch sich selbst zu objektivieren … oder Momente seiner selbst an Objektivationen abzugeben (Stichwort: der neuzeitliche ›Entschuldungswahn‹, alle moralische Verantwortung von sich weg auf ›die anderen‹, die Gesellschaft, ›die Verhältnisse‹ usw. abzuschütteln). Zum anderen aber geschieht dies dadurch, daß die universal herrschende Atmosphäre gegenseitiger Objektivierung, Bemächtigung und totalitärer Inbeschlagnahme auch vor dem Subjekt selbst nicht Halt macht.« (Greshake 1997, 448) Pietschmann bringt diese »Objektivierungstendenz« hinsichtlich des Menschen bzw. das »objektivierende Denken« der Neuzeit in Zusammenhang mit dem »Denkrahmen der Moderne«. Dieses habe unleugbare Vorteile; aber es »hat den Nachteil, dass es uns sogar von uns selbst entfremdet. Nicht nur von anderen Menschen, sondern sogar uns von uns selbst.« (IQ: Pietschmann 2010) 16 Vgl. dazu die Topoi der »Entwirklichung« durch Mangel an Du-Bezug bei Casper (2002, 219 f.), der »Vergegnung« als nicht-gelingender Begegnung bei Buber (vgl. Kap. IV 3c Martin Buber) bzw. der »Werdensverweigerung« bei Gebsattel (1954, 128 ff.) 17 Ich nehme dabei vor allem Bezug auf die Ausführungen von Pietschmann im oben 15

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Kommunikation als aporetisches/zerraporetisches Phänomen

ICH

EGO (Ich Einsamkeit)

X

DU/WIR

Konstruktiv-aporetisches Selbst-Sein im offenen Bezug

PSEUDO-DU/WIR Destruktiv-aporetisches (Objekt!) Selbst-Sein bei geschlossenem Bezug; Double-Bind

Abbildung 50: HX-Schema Ich und Du/Wir bzw. Ego und »Pseudo«-Du/-Wir (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 286)

Dadurch wird graphisch ersichtlich, dass »Ich-Einsamkeit« (als Selbst-Sein bei geschlossenem Bezug) einerseits mit letztlich prinzipiellem Desinteresse an allem Nicht-Ichhaften verbunden ist, bei gleichzeitiger Uneliminierbarkeit des Elements der kommunikativen Bezogenheit auf das Nicht-Ichhafte. Weiters, dass hierbei das NichtIchhafte keineswegs – wie beim offenen Bezug – als Bereicherung, als Mit-Sein, erfahren wird, sondern als Abhängigkeit, ja als etwas Abstoßenswert-Nicht-zu-mir-Gehörendes, mit dem ich trotzdem in unheilvoller Weise untrennbar verstrickt bin. 18 In geradezu prototypischer Weise veranschaulicht den Zusammenhang einer destruktiv-aporetischen bzw. paradoxen Verstrickung zwischen Ego und objekthaftem »Pseudo-Du« Fjodor Dostojewskij anhand der pausenlos monologisierenden Hauptgestalt 19 seines Werkes Aufzeichnungen aus einem Kellerloch. Horst-Jürgen Gerigk (1992,

erwähnten Innsbrucker Vortrag. Es scheint mir erwähnenswert, dass Reisenbichler (2011, 64 f.) – in grundsätzlicher Kenntnis des formalen Pietschmann’schen HXSchemas – im Rahmen seiner Diplomarbeit ein analoges HX (mit den positiven Polen Ich und Du bzw. den Schatten Ego und Man) vorgelegt hat. Konstruktiv-aporetisch wird dieses Selbst-Sein deshalb bezeichnet, weil es nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann. Dies wird deutlich, wenn Ebner im 1. Fragment seines Hauptwerks feststellt: »Was für eine Bewandtnis aber hat es nun mit dem eigentlichen Ich? Die Sache ist sehr einfach: dessen Existenz liegt nicht in seinem Bezogensein auf sich selbst, sondern – und das ist der Umstand, auf den alles Gewicht fällt – in seinem Verhältnis zum Du.« (Ebner 1963a, 84) Und noch stärker: »[E]in Ich außerhalb dieses Verhältnisses gibt es gar nicht.« (Ebd., 84) Wahres Ich-Sein meint demnach konstruktivaporetisches Selbst-Sein im offenen Bezug. 18 Vor diesem Hintergrund ist das erwähnte Diktum von Jean-Paul Sartre: »L’enfer, c’est les autres«, »Die Hölle, das sind die anderen« zu lesen. Dementsprechend versteht der französische Philosoph Kommunikation als Ur-Unglück des Menschen. 19 Im Deutschen hat sich für diese namenlose Gestalt die Bezeichung »Kellerlochmensch« etabliert.

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

483) bemerkt dazu: »Die Aufzeichnungen aus einem Kellerloch führen uns ein Bewußtsein vor, das in der Entzweiung mit sich selber verharrt, indem es diese immer wieder neu hervorbringt. Die für dieses Bewußtsein typische Äußerungsform ist … das Paradoxon.« Der namenlose Kellerlochmensch will mit nichts und niemandem mehr etwas zu tun haben und kommt gerade deshalb von den anderen bzw. vom Nicht-Ichhaften nicht los. Er strebt nach vollkommener Freiheit (auch gegenüber der Vernunft) und wird eben dadurch Sklave seiner Irr-Rationalität. Er will sich prinzipiell nicht festlegen und erfährt sich gerade dadurch als determiniert. Seine »Aufzeichnungen«, die er seinen Lesern als jemand vorstellt, der »versichert, dass er wisse, niemand werde ihn lesen« (Gerigk 1992, 486), finden übrigens konsequenterweise auch kein Ende. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass zum Abschluss über den endlos Reflektierenden in der dritten Person gesagt wird: »Übrigens enden die ›Aufzeichnungen‹ dieses widersinnigen Menschen hier noch nicht. Er hielt es nicht aus und führte sie fort.« (Dostojewskij zit. nach Gerigk 1992, 483) Nietzsche erblickt in diesem Werk – wie Gerigk (1992, 489) bemerkt – »eine Art Selbstverhöhnung des gnothi seauton, … des delphischen Imperativs ›Erkenne dich selbst.‹« Doch nicht immer sind Schattenstrukturen so offensichtlich wie beim »Kellerlochmenschen« Dostojewskijs. Gebsattel (um 1944, 5) macht diesen Sachverhalt deutlich, wenn er in seinem Band Not und Hilfe eine »Schattengestalt« von menschlichem Glück wie folgt aufzeigt: »In Reinhold Schneiders Erzählung ›Der Gast‹ ruft der Heilige einen Priester zu seiner höheren Aufgabe zurück. ›Du sollst ja der himmlischen Liebe leben‹, spricht er, ›und hast die irdische ergriffen, und hast doch nicht mehr gesucht, als ein wenig Wärme und Licht.‹ ›Aber‹, so spricht er weiter, ›dein Glück war nur Not‹. So spricht der helfende Mensch zum Menschen im [Schatten-]Glück. Er sagt nicht zu ihm: Du Glücklicher, sondern: Mache die Augen auf und erkenne, daß Dein Glück Not ist.«

»Das also gibt es« – so Gebsattel (um 1944, 5) weiter, die geschilderte Episode ins Grundsätzliche hebend: – »daß, was von außen sich anfühlt wie Glück, von innen gesehen Not ist oder gar Unheil.« Gleiches veranschlagt der Seelenarzt auch von ähnlichen »Gütern« wie Erfolg, Geltung oder Selbstzufriedenheit. »Ja sogar von der Gesundheit – ich meine die seelisch-geistige Gesundheit – eines Menschen, läßt sich unter Umständen zeigen, dass sie eine Unheilstiefe 372 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerrapore-

der Seele verdeckt und also nicht Gesundheit ist bis auf den Grund …« (Gebsattel um 1944, 6) Hilfe kann nun darin bestehen, dass man den oder die scheinbar Glücklichen nicht in ihrem »Schattenglück« bestärkt, sondern im Gegenteil: ihnen die Schattenhaftigkeit ihres Glücks zu Bewusstsein bringt (vgl. dazu auch Pietschmann 2005c). Rothe zeigt die mit dem gängigen ego-zentrischen Verständnis von menschlicher Kommunikation einhergehende zerraporetische Struktur auf, wenn sie schreibt: »Die Tradition der individuumszentrierten Betrachtung des Menschen, der Absolutsetzung des Subjekts 20, die sich im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte als die dominierende durchgesetzt hat, führt jedoch in eine [Schatten-]Aporie, wenn sowohl die eigene Absolutsetzung als auch die Anerkennung durch den Anderen unverzichtbar ist.« (Rothe 2006, 4; vgl. dazu auch Böning 2003) 21

4.

Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerraporetischer Sicht

Analog dazu, dass sich (menschliche) Kommunikation relevant nur widersprüchlich (aporetisch) beschreiben lässt, trifft dies konsequenterweise auch für das Verhältnis von Kommunikation und Erkenntnis zu. Auch hier gilt es zwischen einer konstruktiv-aporetischen Gestalt und einer destruktiv-zerraporetischen zu unterscheiden. Zuerst wieAls spezifische Variante davon kann das gleichsam »kollektivindividualistische« Verständnis des Menschen in säkularideologischen Diktaturen wie etwa dem Nationalsozialimus bzw. Kommunismus aufgefasst werden, wo Rasse oder Klasse als gleichsam »Große Subjekte« fungieren. 21 Analoges gilt übrigens auch für die Deutung des Bereichs des Nicht-MenschlichLebendigen im Kontext der Neuzeit. Oben wurde mit Spaemann festgestellt, dass Kommunikation in dem Maße rein selbstbezüglich gedacht werden muss, als Materie als Grundlage aller Wirklichkeit vorausgesetzt wird – und dass genau dies gemäß dem Mainstream im kulturspezifischen Kontext der abendländischen Moderne der Fall sei. Alles Streben sei dementsprechend Streben nach Selbsterhaltung (Spinoza). Basierend auf diesem Hintergrund schreibt Spaemann (2011, 89): »[W]o [in der Moderne] von Streben die Rede ist, da wird dieses Streben zum bloßen conatus sese conservandi, wie es bei Spinoza heißt. Finalität existiert nur als selbstbezügliche, sie ist Trieb, der sich auf Selbstbehauptung, nicht auf Selbststeigerung bezieht. Und so wird er auch in der modernen Biologie verstanden. Alle Evolution ist das beiläufige Ergebnis des Strebens nach Selbstbehauptung.« 20

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

derum zur positiven Gestalt: Frank Koren-Wilhelmer schreibt in seinem Werk Auf der Spur des Du zum konstruktiven Paradox des Verhältnisses zwischen Kommunikation und Erkenntnis: »Die Offenheit der Begegnungssituation mündet im erkenntnistheoretischen und anthropologischen Problem des Widerspruchs zwischen dem [begegnenden kommunikativen Mit-]Sein und dem Erkennen, welches in seinem dynamischen Charakter dann am deutlichsten hervortritt, wenn wir uns die Realität des Beziehungsgeschehens zu unseren Mitmenschen vergegenwärtigen. Das jeweilig vom Anderen Wahrgenommene, d. i. das erkannte Individuum, kann mit dem ganzen Sein des Anderen nicht identisch sein und es auch niemals werden. Denn jene Intuition, durch die wir uns ins Dasein des anderen versetzen, vermag die Differenz zwar herabzumindern, aber nicht aufzuheben. Das ist eine Infragestellung, aber keine Absage an die prinzipielle Möglichkeit wechselseitigen Verstehens. Die Spannung ›zwischen dem Bild der Person, die wir in unserem Kontakt im Sinne haben, und der tatsächlich seienden Person ist nicht einseitig negativ zu verstehen.‹ Denn sie ›leistet einen wesentlichen Beitrag zur eigentümlichen Dynamik des zwischenmenschlichen Lebens.‹« (Koren-Wilhelmer 2007, 127)

Demnach lässt sich das konstruktiv-aporetische Verständnis des Verhältnisses von Kommunikation und Erkenntnis wie folgt formulieren: Das jeweilige Mit-Sein (Kommunikation) im Rahmen einer Begegnungssituation ist nie ein totales und kann es auch niemals werden, im Sinne eines gänzlichen Zwei-Eins-Seins. Denn die Offenheit, die dem Anderen – gemäß diesem Verständnis – entgegengebracht werden kann, vermag verschiedene Grade des Austauschs, von communicatio, des Mit-Einander, von communio, zu realisieren aber keine comm-unio. Dieser Umstand ist nun gerade keine Absage der prinzipiellen Möglichkeit kommunikativen Mit-Einander-Seins. Vielmehr ergänzen sich die Offenheit der Begegnungssituation (die relative Erkenntnis ermöglicht – und insofern nach weiterer Kommunikation verlangt) und die gleichzeitig gegebene Offenheit der Erkenntnissituation (die relatives Mit-Sein ermöglicht und insofern nach weiterer Erkenntnis verlangt). Sehr gut wird dieses konstruktiv-widersprüchliche Zueinander von Kommunikation und Erkenntnis bei Plotin (2. Jh. n. Chr.) deutlich. Werner Beierwaltes schreibt darüber in seinem Beitrag Reflexion und Einung. Zur Mystik Plotins wie folgt: »Plotin versteht … begreifendes, diskursives und dialektisches Denken [Erkennen] als notwendige Einübung in dessen eigene Aufhebung: damit voll-

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Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerrapore-

endet sich in der Einung [Kommunikation] das Denken [Erkenntnis], indem es sich selbst übersteigt. … Demnach vollzieht sich Plotins mystische Philosophie [Erkenntnis] und jede von ihr geleistete mystische Erfahrung [Kommunikation] im Spannungsfeld von Reflexion [Erkenntnis] und Einung [Kommunikation]: das gesamte Philosophieren [Erkennen] tendiert zur Einung [Kommunikation] als seinem Telos, die Einung [Kommunikation] wiederum wirkt zurück aufs Denken [Erkennen], ist dessen Erfüllung verheißender Stimulans.« (Beierwaltes 2002, 10 f.)

Hier wird nicht nur die aporetische Struktur des Verhältnisses zwischen Kommunikation und Erkenntnis deutlich, sondern zudem dessen dynamischer bzw. chrono-logischer Charakter: Immer wieder gilt es nach Plotin (erfahrend, reflektierend, begreifend, analysierend) zu erkennen, um schließlich gerade dadurch dessen immanente Unvollendbarkeit zu realisieren und dieses Erkennen schließlich insofern zu »vollenden«, indem ich es übersteige, überwinde; dies dadurch, dass ich nun dem Kommunikationsaspekt, der Offenheit der Begegnungssituation, dem (prinzipell unwissbaren und daher unvorhersehbaren) Akt der Kommunikation für eine gewisse Zeit den Vortritt einräume: nur dadurch bin ich in der Lage, dem anderen neu zu begegnen (sonst besteht die zunehmende Gefahr, dass ich in meinem Gedanken-Gebäude, meinem Erkenntnis-System gefangen bleibe, mit all den schönen und stimmigen Bildern, die ich mir vom Anderen gemacht habe). 22 Kurz: von einem konstruktiv-aporetischen Verhältnis zwischen Kommunikation und Erkenntnis soll in dem Maße gesprochen werden, als einerseits eine Balance zwischen Kommunikation und Erkenntnis herrscht – auf der Basis des (im Zusammenhang des Phänomens Kommunikation schon skizzierten) konstruktiven Widerspruchs zwischen Selbstverwirklichung und Gemeinschaftssinn, d. h. der (zumindest prinzipiellen) Möglichkeit zur Selbstüberschreitung. Als HX-Schema – mit primärem Blick auf die positiv-komplementären Begriffe – veranschaulicht:

Wohl nicht zufällig wird in der jüdischen Tradition für den zwischenmenschlichen Liebesakt die Bezeichnung gebraucht: »Und sie erkannten einander.« (Vgl. Gen 4,1) Demnach schenkt wahre Kommunikation wahres gegenseitiges Erkennen wie umgekehrt wahre Erkenntnis wahre Kommunikation ermöglicht im Sinne von: Wenn ich erkannt habe, wie der andere ist, bin ich dadurch besser in der Lage, ihm/ihr gemäß zu kommunizieren.

22

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

KOMMUNIKATION

TOTALE KOMMUNIKATION (Post-Moderne)

X

ERKENNTNIS

TOTALE ERKENNTNIS (Abendl. Moderne)

Abbildung 51: HX-Schema Kommunikation – Erkenntnis

Oder, veranschaulicht im Kontext des Wirklichkeitsbedeutungsquadrats:

KOMMUNIKATION

SEIN

ERKENNTNIS

ICH/WIR

Abbildung 52: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Trans-Moderne (nach Hamberger 2008b, 258)

Damit soll zum Ausdruck gebracht werden: Bildet der Widerspruch (zwischen Kommunikation und Erkenntnis) sowohl das zentrale Problem der erkenntniszentrierten Moderne als auch der kommunikationszentrierten Post-Moderne, so fungiert die aporetisch-komplementäre Ergänzung in einer »transmodernen« 23 Kultur als Lösung; d. h. im Hinblick auf das vorgestellte Modell: in Gestalt der gleichwertigen Be-Deutung von KOMMUNIKATON und ERKENNTNIS (vgl. Ziegler 1951, Meurers 1972, Tenbruck 1981). Damit zur Frage nach der zerraporetischen bzw. destruktiv-aporetischen Gestalt des Zueinanders von Kommunikation und Erkenntnis. Aus dem gerade Gesagten lassen sich indirekt zwei zu unterscheidende Zerrformen differenzieren, bei denen jeweils einer der beiden Aspekte (Kommunikation oder Erkenntnis) strukturell präferiert und der andere dadurch funktionalisiert wird. 23

Als der von mir vorgeschlagene Begriff.

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Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerrapore-

Da ist zum einen die durch die prinzipielle Absolut- bzw. Primärsetzung des Erkenntnisaspekts bedingte Fehlgestalt des Verhältnisses Kommunikation und Erkenntnis (vgl. Kap. B/III/8): In diesem Fall wird versucht, Erkenntnis »systematisch zu vollenden«, ohne (weiterhin) existenziell kommunizieren zu müssen (die »naturgegebene« Kommunikationsnotwendigkeit braucht dabei nicht geleugnet zu werden; diese bildet jedoch stets nur eine untergeordnete, funktionale Rolle). Das heißt: in diesem Fall wird zwar konzidiert, dass Wirklichkeit (nicht einmal »meine« Wirklichkeit«) nicht restlos (wenn überhaupt) erkenntnishaft durchdrungen werden kann, doch der Weg zu weiterer Erkenntnis wird nicht – wie bei Plotin – in einem Überschreiten hin zum (unwissbaren, unvorhersehbaren) Akt der Kommunikation gesehen, sondern in ständiger Fortführung bzw. Optimierung der individuellen Erkenntnisbemühungen (unter Funktionalisierung des Kommunikationsaspekts, der ja aufgrund der untrennbaren Verbundenheit von Kommunikation und Erkenntnis permanent unabdingbar stets mit gegeben ist und so ständig dienstbar gemacht werden kann). Die zweite grundsätzliche zerraporetische Fehlgestalt im Kontext des Verhältnisses von Kommunikation und Erkenntnis ist die spiegelverkehrte: die prinzipielle Absolut-/Primärsetzung des Kommunikationsaspekts gegenüber dem Aspekt der Erkenntnis. Hierbei vollzieht sich genau das Gegenteilige: In diesem Fall wird versucht, Kommunikation (methodisch/handlungspraktisch) zu optimieren, ohne existenziell erkennen zu müssen; auch hier wird vice versa die »naturgegebene« Erkenntnisnotwendigkeit nicht geleugnet; doch bildet diese ebenso (wie bei der obigen Fehlgestalt) stets nur eine untergeordnete, funktionale Rolle (vgl. Kap. B/III/11). Was beiden Fehlgestalten ermangelt, ist der Akt der Überschreitung; und dies in doppelter Hinsicht. Zum einen gibt es kein existenzielles Überschreiten des Aktes der Erkenntnis zu jenem der Kommunikation und umgekehrt, zum anderen – bzw. damit verbunden – keine Akte der Selbstüberschreitung. Daher meint Erkenntnisgewinn hier im Grunde immer nur: mehr Wissen für mich (bzw. für uns), jedoch nicht Erkenntnis des Anderen; insofern bedeutet gelingende Kommunikation hier letztlich nur: Erfolg bei der Selbstbehauptung. Ein treffliches diesbezügliches Beispiel bietet Rothe, wenn sie zu Hedwig Kellners Buch Die Teamlüge. Von der Kunst, den eigenen Weg zu gehen (1997) anmerkt:

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

»Ihre [Kellners] ›Lösung‹ für erfolgsbewusste Menschen, im Sinne des hier dargelegten Kommunikationsverständnisses, ist eine klare Empfehlung zu inkongruenter Kommunikation. Für Kellner gibt es Menschen, die sich im Team wohl fühlen und deswegen auf Karriere verzichten. Wer aber das nicht will, für den muss die Teamarbeit immer nur Mittel zum Zweck bleiben (vgl. ebd., 216). ›Es mag manche anwidern, dass jemand durch gezielt trainierte [Kommunikations-]Verhaltensweisen in der inoffiziellen und später auch offiziellen Hierarchie aufsteigt. Aber so funktioniert das unter Menschen nun mal‹ (ebd. 228). Die entsprechenden Regeln lauten: Nehmen Sie immer viel Raum ein. Seien Sie schneller als die anderen, ohne dabei gehetzt zu wirken. Verschaffen Sie sich Gehör. Legen Sie Regeln für andere fest. Umgeben Sie sich mit Symbolen von Macht, Überlegenheit, Prestige (vgl. ebd. 232 ff.). … Daraus folgt für Kellner: ›Wenn Sie Spitzenleistungen anstreben und beruflichen Aufstieg, dann muss das Bekenntnis zum Teamwork unbedingt ein Lippenbekenntnis bleiben‹ (ebd. 239).« (Rothe 2006, 234 f.)

Bei beiden Fehlformen wird der jeweils relative Primat (beim Akt des reflektierenden Denkens liegt dieser beim Erkennen, beim Akt des Mit-Seins beim Kommunizieren) zu einem absoluten: im einen Fall, wenn erkannt werden will, ohne Bereitschaft oder Notwendigkeit zu zeigen, (auch immer wieder) existenziell (selbsttranszendierend) kommunizieren zu müssen; im anderen Fall, wenn kommuniziert werden will, ohne Bereitschaft zu zeigen, dabei (auch immer wieder) sachlich 24 (selbsttranszendierend) erkennen zu müssen. Im einen Fall begegne ich meiner Mitwelt nur mehr uneigentlich (aufgrund der permanenten Primärsetzung meines Erkennens für mich) und nehme folglich meine Mitwelt nicht mehr eigentlich, sondern nur mehr erkenntnisfunktional wahr. Im anderen Fall (ver)mag ich meine Mitwelt nur mehr uneigentlich zu erkennen (aufgrund der permanenten Primärsetzung meines Kommunizieren um des Eigenerfolgs willen) und nehme diese nur mehr als meine »Gebrauchs-Umwelt« kommunikationsfunktional (für mich) wahr. Dies führt – in beiden Fällen – sowohl zu einer dramatischen Verminderung der »Offenheit in der Begegnungssituation« als auch der »Offenheit der Erkenntnissituation«. 25 Sachlich im Sinne Hengstenbergs: Dies meint jene (selbstüberschreitende) »Haltung, die sich einem Gegenstand [oder einer Person] um seiner selbst willen zuwendet, ohne Rücksicht auf einen [Eigen-]Nutzen.« (Hengstenberg 1957, 9) 25 Mit Hilfe des sogenanten Kommunikationsgradientenmodells (vgl. Hamberger 2004, 493), das der Autor mit Hilfe von Nikolaus Bresgen (FB Zellbiologie, Uni Salz24

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Das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis aus aporetischer/zerrapore-

Die zerraporetische Struktur der beiden skizzierten Fehlgestalten des Verhältnisses von Kommunikation und Erkenntnis manifestiert sich schließlich insbesondere dadurch, dass die beiden Fehlgestalten miteinander verstrickt sind. D. h. keine der Fehlgestalten tritt alleine auf, sondern stets bedingen sich die beiden vice versa. Mit anderen Worten: Der egozentrisch Erkennende ist zugleich genötigt, egozentrisch zu kommunizieren und umgekehrt. 26 Die konstruktiv-aporetische Balance zwischen Kommunikation und Erkenntnis ist dabei stets als bedrohte anzusehen; bei jedem Menschen; wohl in jeder Biographie gibt es Abschnitte, in denen die Gefahr besteht, dass sich die eine oder andere Fehlform »chronisch« zu manifestieren anschickt. Eine andere Dimension der Problemstellung stellt der Umstand dar, dass eine Kultur als ganze – gleichsam als Subjekt im Großen – der skizzierten Balance (nach der einen oder anderen Seite) verlustig geht. Als Beispiel hierfür kann meines Erachtens die abendländische Moderne gelten. Den damit verbundenen kulturdominanten Erkenntnis-Primat bringt Carl Friedrich von Weizsäcker auf den Punkt, wenn er schreibt: »Die wissenschaftliche und technische Welt der Neuzeit ist das Ergebnis des Wagnisses des Menschen, das Erkennen ohne Liebe [Kommunikation] heißt.« (Weizsäcker 1948, 132, zitiert nach Meyer-Abich 1997, 40) burg) erstellte, sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass mit höherer Organisationsweise des Lebendigen nicht nur das Vermögen bzw. die Notwendigkeit zu Kommunikation und Erkenntnis zunimmt, sondern ebenso die Möglichkeit zu Fehlgestalten von Kommunikation, Erkenntnis bzw. dem damit verbundenen Verhältnis – mit dem potenziellen Höhepunkt beim Menschen, der – als sich selbst bewusstes – wie kein anderes irdisches Lebewesen die Möglichkeit hat, »fehlgestalthaft« zu kommunizieren und zu erkennen. 26 Müller-Eckhard verweist auf Grund von Erfahrungen aus seiner psychotherapeutischen Praxis darauf, dass trotz bisweilen über Jahre, sogar Jahrzehnte andauernder diesbezüglicher individueller Fehlhaltungen diese durch außerordentliche Kommunikations- bzw. Erkenntniserlebnisse »in Frage gestellt« zu werden vermögen. Wenn er dabei vom Gesetz der Diskontinuität in der geistigen Entwicklung des Menschen spricht, so verweist er damit indirekt auf das oben skizzierte konstruktiv-aporetische Verhältnis zwischen Kommunikation und Erkenntnis. »Wir stehen hier vor dem Gesetz der Diskontinuität, vor dem Gesetz, daß … Erfahrung [des Mit-Seins, der wahren Kommunikation] nicht nach der Art einer Evolution in einer geradlinigen Entwicklung erfolgt, sondern als ein Einbruch in das Leben des [geordnet erkennenden] Menschen, als ein unmittelbares Betroffenwerden, unerwartet und un[be]greifbar …« (Müller-Eckhard 1964, 72)

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

In diesem Sinne lässt sich formulieren: Die (wissenschaftszentrierte) Moderne ist das Projekt unter dem Titel »Erkenntnis ohne Selbstüberschreitung« 27; das Wagnis, wissen zu wollen, ohne wahrhaft begegnen zu müssen (zu können). Umgekehrt lässt sich die Post-Moderne als das (Gegen-)Projekt unter dem Titel »Kommunikation ohne Wahrheitsbezug« beschreiben, als der gewagte Versuch, Begegnung anzustreben, ohne den anderen dabei in seiner wahrhaftigen Andersheit zu erkennen und damit anzuerkennen. 28 Im obigen HX-Schema – das nun primär auf die Schattenbegriffe abzielt – dargestellt: KOMMUNIKATION

TOTALE KOMMUNIKATION (Post-Moderne)

ERKENNTNIS

X

TOTALE ERKENNTNIS (Abendl. Moderne)

Abbildung 53: HX-Schema Kommunikation – Erkenntnis

In einem letzten Punkt dieses Abschnitts soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die zentralen mit der Etablierung der Quantentheorie verbundenen Erkenntnismodi – indirekt – für die Kommunikationswissenschaft fruchtbar gemacht werden können.

5.

Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie für den Phänomenbereich Kommunikation

In Kap. C/IV/1 wurde aufgezeigt, dass sich die zentralen mit der Etablierung der Quantentheorie verbundenen Erkenntnismodi (Komplementarität, Unbestimmheitsrelation, Verschränkung) deshalb nicht Um das unter Pathosverdacht stehende Wort »Liebe« zu vermeiden. In diesem Sinne schreibt Ratzinger (1973, 110) aus philosophischer bzw. theologischer Sicht: »Denn nur weil [bzw. wenn] die Wahrheit unzerstörbar bleibt [dauert] und auch von Gott selbst nicht ausgelöscht werden kann oder will, gibt es keinen Kompromiß, kein Einstimmen in das, was alle wollen. Nur weil die Wahrheit bleibt, wird Liebe tödlich, Wahrheit [Erkenntnis] ohne Liebe [Kommunikation] braucht nicht sterben [d. h. auch: sich immer wieder zum anderen Pol hin überschreiten], nur richten; Liebe ohne Wahrheit braucht gleichfalls nicht sterben, nur nachgeben. Wo aber beide zusammen sind [Wahrheit und Liebe, Erkenntnis und Kommunikation], ereignet sich das Kreuz.«

27 28

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Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie

direkt auf den Phänomenbereich »Kommunikation« übertragen lassen, da sich ihr Anwendungsbereich allein auf den Phänomenbereich des Materialen (und damit Interaktionalen) beschränkt, also nicht auf jene Bereiche des Lebendigen bzw. Geistigen (und damit der Kommunikation) erstreckt, die – basierend auf der oben sizzierten fundamentalen Differenzierung zwischen Interaktion und Kommunikation – jenen der Interaktion übergeordnet sind. Wie lassen sich die genannten quantenphysikalischen Einsichten dennoch für die Kommunikationswissenschaft fruchtbar machen? Dies soll zuerst am Erkenntnismodus Komplementarität ersichtlich zu machen versucht werden.

5.a Komplementarität Rufen wir uns dazu noch einmal in Erinnerung, dass Bohr den Begriff Komplementarität (im quantentheoretischen Kontext) benützt, um dadurch im Hinblick auf das Phänomen Licht »die sich gegenseitig widersprechenden, aber gleichzeitig notwendigen Bilder der physikalischen [also interaktionalen] Beschreibung von Welle und Korpuskel [zu bezeichnen].« (Stolzenburg zit. nach Röhrle 2001, 16; vgl. Kap. C/III/2a) Mit anderen Worten: Bohr gelangt zu der Erkenntnis, dass eine dualistische Beschreibung bestimmter Quantenphänomene allein zwei sich widersprechende Bilder konstatiert, während eine komplementäre Beschreibung darüber hinaus postuliert, dass sich zwei einander widersprechende Bilder (auf demselben Beschreibungsniveau!) gleichzeitig zu einer vollständigen Beschreibung ergänzen können.« (Vgl. Stolzenburg 1977, 297 f.) Dies war ihm dadurch (denk-)möglich, dass er nicht länger (im Hinblick auf das Phänomen Licht) von zwei sich widersprechenden Naturen (Welle- bzw. Korpuskel-Natur des Lichts) ausging, sondern von zwei (sich zwar widersprechenden, aber dennoch ergänzend-vollständigen) Beschreibungsweisen des Lichts. Allgemein ausgedrückt steht Komplementarität demnach – um auch dies noch einmal zu wiederholen – für einen spezifischen Beschreibungsmodus von Objekten/Phänomenen, wobei eine Beschreibung dann als komplementär bezeichnet werden kann, wenn sich zwei Beschreibungsmodi a) auf ein Phänomen/Objekt beziehen; b) sich gegenseitig ausschließen in dem Sinne, dass sie nicht zusam381 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

men angewandt werden können; c) zur zureichenden/vollständigen Erfassung des Objekts/Phänomens unabdingbar erscheinen; d) auf gleichem »Beschreibungsniveau« stehen, d. h. gleichwertige Aspekte des Phänomens/Objekts erfassen (vgl. Hamberger 2008b, 229). Wichtig ist dabei zu betonen, das dieser Erkenntnismodus kein zwingend-notwendiger ist; d. h. wer die Idee der Komplementarität (weiterhin) nicht anerkennen will (selbst als Physiker), wird Welle und Teilchen (weiter) ins Entweder-Oder setzen und sich für eine der beiden entscheiden (müssen), wie dies etwa Erwin Schrödinger getan hat. Wie stellt sich die Sachlage hinsichtlich Komplementarität nun im Kontext des Lebendigen bzw. Geistigen dar, also im Phänomenbereich Kommunikation, der – siehe oben – von Interaktion ebenso zu unterscheiden ist wie Transkausalität von Kausalität (bzw. A-Kausalität)? Machen wir uns die Problematik noch einmal anhand der Phänomene/Begriffe Welle und Teilchen deutlich. Im Bereich der »großen materialen Objekte« – sprich: der klassischen Physik – gelten sie als vollständig geklärt, in der »Quantenwelt« werden sie aporetischkomplementär verstanden, da sie dort zugleich auf dasselbe Phänomen angewandt werden müssen, um etwa der Beschreibung des Phänomens Licht gerecht zu werden. Inwiefern stellt sich die Sachlage im Bereich des Lebendigen bzw. Geistigen – und damit dem Phänomenbereich Kommunikation – nun anders dar? Das Erkenntnisproblem besteht hier nicht primär darin, dass durch eine komplementäre Beschreibung von Lebendigem bzw. Geistigem der »Denkrahmen der Moderne« überschritten würde; denn diese Pionierleistung hat ja bereits die Quantentheorie vollbracht, sondern in erster Linie im Umstand, dass die jeweiligen komplementären Zielbegriffe einerseits nicht von vornherein erkenntnistheoretisch feststehen (weder bei einer Geisteskultur im allgemeinen – als »Subjekt im Großen« – noch bei jedem einzelnen), andererseits »statisch-endgültig« nie erreichbar sind, sondern ein permanentes dynamisches Geschehen darstellen, das ständiger persönlich-aktueller Zuwendung bedarf. Warum ist das so? Dies ist Konsequenz dessen, dass es in den Seinsbereichen der Kommunikation (des Lebendigen und Geistigen) im Unterschied zu jenem der Interaktion (des Materialen) Fehl- bzw. Schattengestalten gibt, wie mit Hilfe des HX-Schemas dargestellt wurde (vgl. Kap. C/IV/2). 382 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie

Mit anderen Worten: In diesem Bereich haben wir es nicht nur mit Komplementarität(en) zu tun, sondern ebenso mit »Schattenkomplementarität(en)« bzw. »Schattenaporie(n)«, weil die jeweiligen Schattenbegriffe im Rahmen eines HX-Schemas zwar im EntwederOder stehen, jedoch miteinander untrennbar »verstrickt« sind. Adaption des Erkenntnismodus Komplementarität auf den Bereich Kommunikation meint demnach zum einen die jeweilige Ermittlung von positiv-komplementären Phänomenen 29 bzw. der dazugehörigen negativ-komplementären Schattenphänomene (vgl. Pietschmann 2002), zum anderen die damit verbundenen lebenspraktischen Herausforderungen; seien diese mehr individueller Natur, wie etwa im Falle einer Person, die in ihrem Beruf damit konfrontiert ist, die individuelle Balance zwischen Verantwortung und Sorgfaltspflicht (unter Vermeidung der Schattenphänomene Selbstherrlichkeit und Kadavergehorsam) zu realisieren, oder mehr gesamtgesellschaftlicher Art, wenn z. B. Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft diese Balance durch ihr gesetzgeberisches oder sonstwie prägendes Wirken für die Allgemeinheit entweder fördern oder (noch mehr) aus dem Gleichgewicht bringen. 30

5.b Unbestimmtheitsrelation Wie verhält es sich diesbezüglich nun mit der (Heisenberg’schen) Unbestimmtheitsrelation, der zweiten großen Erkenntnisneuerung im Gefolge der Quantentheorie? Rufen wir uns auch hierzu ins Gedächtnis zurück, was damit zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Kap. C/III/2b). Heisenberg postuliert, dass im Bereich des materiell ganz Kleinen so genannte »konjugierte Paare« (z. B. Ort und Impuls) gemeinsam nicht beliebig genau gemessen werden können. So sind demnach etwa Ort und Geschwindigkeit eines Elektrons nicht simultan beliebig genau bestimmbar. Inwiefern lässt sich diese fundamentale Einsicht von HeisenVgl. dazu Hamberger 2008b, 244–257; dort habe ich versucht, den Erkenntnismodus Komplementarität auf die Kontexte des Erkenntnis-Gegenstandes, des Erkenntnis-Aktes sowie der Erkenntnis-Dimension anzuwenden. 30 In dieser Hinsicht stellt die abendländische Neuzeit – mit deren Bemühung um Ausmerzung alles Aporetischen im Gefolge des Siegeszuges des »Denkrahmens der Moderne« – wohl ein historisch einzigartiges »Paradebeispiel« für eine kulturspezifische »Disbalance« dar. 29

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

berg, dass im Bereich des Subatomaren nicht nur technische, sondern prinzipielle Erkenntnisgrenzen deutlich werden, nun (wenn überhaupt) für die Bereiche des Lebendigen bzw. des Geistigen fruchtbar machen? Oder anders gefragt: Warum lassen sich Verhalten bzw. Reaktionen lebendiger bzw. geistiger Entitäten nicht in analog-präziser Weise vorhersagen wie die Bewegungen eines Pendels, also eines großen materialen Objekts? Dies ist (schon) deshalb prinzipiell nicht möglich, da Leben bzw. Mensch-Sein gekennzeichnet ist durch permanenten Stoff-, Gestaltund Informationswechsel (vgl. Tembrock 1975 bzw. Kap. C/II/7). Die damit verbundene prinzipielle »Erkenntnisunschärfe« bzw. -unbestimmtheit zeigt Overhage (1966, 377) auf, wenn er in seinem Text Das Problem der Art schreibt: »Sobald man eine [biologische] Art, auch eine polytypische, in ihren Merkmalen und ihrer genetisch-geographischen Isolation [also ihrer »biologischen Orts-Beobachtung«] beschreibt, wird sie zu etwas Statischem, das ihr Werden [ihre »biologische Geschwindigkeit«] unberücksichtigt lässt. Legt man dagegen den Akzent auf die Phylogenese [= GeschwindigkeitsBeobachtung], dann beginnen die morphologischen Merkmale und die ausbalancierten genetischen Zustände der Populationen an Schärfe zu verlieren oder ganz zu verschwimmen. ›[E]ine Definition, die gleichzeitig sozusagen ein Rezept zur Unterscheidung der Arten liefert, [ist] nicht möglich.‹ Oder anders ausgedrückt: Eine Art oder Population [bzw. generell: Lebendiges] kann nur solange scharf abgegrenzt werden, als sie nicht als ›Chronotyp und überhaupt nicht als historisches Wesen‹ betrachtet wird. Die Zeit muß als stillstehend, das heißt, das genetische Erbe der Art als unveränderlich, aber auch die Einflüsse der Umwelt als konstant [bzw. linear] gedacht werden [wie bei der Materie]. Ein solcher ›zeitloser Querschnitt‹ entspricht natürlich nicht der Wirklichkeit [des Lebendigen], weil es ein unveränderliches Erbgut in einer Population und eine unveränderliche Umwelt nicht gibt.«

Dazu kommt, dass die Phänomene des Lebendigen und Geistigen (also der Phänomenbereich der Kommunikation) ebenso wie die Quantenphänomene einem strikt kausalen Erkenntniszugang entgegenstehen. Auf diesen Umstand verweist Niels Bohr, der »Vater der Quantentheorie«, im Rahmen zweier Vorträge zum Thema Licht und Leben: 1932 in Kopenhagen, im Rahmen eines Kongresses für Lichttherapie, und – in einer Wiederaufnahme der Thematik – 1962, in seinem Todesjahr, anlässlich der Einweihung des Instituts für Genetik in Köln. Für den in Frage stehenden Zusammenhang ist besonders die 384 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie

nachfolgende Passage des Textes von Belang, wo Bohr auf die prinzipiellen Grenzen der Erkenntnis(-Unbestimmbarkeit) des Lebendigen zu sprechen kommt. Wörtlich heißt es da: »[Wir] würden … zweifellos ein Tier töten, wenn wir versuchten, eine Untersuchung seiner Organe so weit durchzuführen, dass wir den Anteil der einzelnen Atome an den Lebensfunktionen angeben könnten. In jedem Versuch an lebenden Organismen muss daher eine gewisse Unsicherheit [Unbestimmtheit] in Bezug auf die physikalischen Bedingungen, denen sie unterworfen sind, bestehen bleiben; und es drängt sich der Gedanke auf, dass die geringste Freiheit, die wir in dieser Hinsicht den Organismen zugestehen müssen, gerade groß genug ist, um ihnen zu ermöglichen, ihre letzten Geheimnisse gewissermaßen vor uns zu verbergen. Von diesem Gesichtspunkt aus muss die Existenz des Lebens als eine Elementartatsache aufgefasst werden, für die keine nähere Begründung gegeben werden kann und die als Ausgangspunkt für die Biologie genommen werden muss, in ähnlicher Weise, wie das Wirkungsquantum, das vom Standpunkt der klassischen mechanischen Physik aus als ein irrationales Element erscheint, zusammen mit der Existenz der Elementarpartikel die Grundlage der Atomphysik ausmacht. Die behauptete Unmöglichkeit einer physikalischen oder chemischen Erklärung eigentlicher Lebensfunktionen dürfte in diesem Sinne analog zu der Unzulänglichkeit der mechanischen Analyse für das Verständnis der Stabilität der Atome sein.« (Bohr 1933, 245; vgl. Bohr 1963)

Die prinzipielle Erkenntnisgrenze im Hinblick auf das Lebendige (bzw. Geistige und damit Kommunikative), auf die Bohr verweist, ist hier jedoch nicht durch A-Kausalität bedingt (aufgrund des »objektiven Zufalls« wie im interaktionalen Quantenbereich), sondern durch Trans-Kausalität, d. h. durch den Umstand, dass Lebendiges bzw. Geistiges (und damit Kommunikation) sich nicht (nur) prozesshaftnaturnotwendig vollzieht (oder nicht), sondern sich stets als Ereignis manifestiert, dem ein Entscheidungsakt (für eine bestimmte Handlungs-/Verhaltensalternative) zugrunde liegt (vgl. Gerl-Falkovitz 2007). Auf diese zentrale Differenz zwischen A-Kausalität und TransKausalität (im Hinblick auf erkenntnistheoretische Bestimmbarkeitsgrenzen) verweist erneut Niels Bohr, übrigens schon in den 1930er Jahren. Als ihn nämlich Pascal Jordan 31 mit der Idee konfrontierte, ob nicht in den Unbestimmtheiten der Quantenphänome womöglich auch ein Verstehensgrund für die Willensfreiheit des Menschen zu Pascal Jordan (1902–1980): Einer der zahlreichen (bekannt gewordenen) Schüler Bohrs.

31

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

erblicken sei, stieß dieser beim Vater der Quantenmechanik auf wenig Verständnis. Denn das Phänomen der menschlichen Freiheit 32 war für Bohr nicht ein zufälliges (a-kausales) Interaktions-Geschehen, sondern ein schöpferisches (transkausales) Kommunikations-Ereignis (vgl. Fischer 2012). Mit dem Lebendigen/Geistigen/Kommunikativen ist schließlich eine weitere prinzipielle Unbestimmtheitsstruktur verbunden. Diese resultiert aus dem Umstand der qualitativen Individualität alles Lebendigen/Geistigen/Kommunikativen. 33 Kommunikation vollzieht sich stets nur zwischen »qualitativ unterschiedlichen Entitäten«. Der durch Kommunikation übermittelte Inhalt kann insofern niemals identisch sein und sperrt sich somit grundsätzlich gegen (restlose) Quantifizierbarkeit. Das bedeutet: je mehr man sich auf die Erkenntnis eines bestimmten (qualitativen) Lebewesens konzentriert (z. B. eine spezielle Person), desto weniger lässt sich die dabei gewonnene Erkenntnis verallgemeinern – wie umgekehrt: Je allgemeiner die betreffende Erkenntnis hinsichtlich des Lebendigen/Geistigen, desto weniger lässt sich diese auf den Einzelnen/das Einzelne übertragen. 34 Kurz: Im Phänomenbereich Kommunikation gibt es demnach – analog zur quantenphysikalischen Interaktion – prinzipielle Bestimmbarkeitsgrenzen bzw. Unbestimmbarkeiten. Ist also die Bestimmbarkeitsgrenze im (materialen) Quantenbereich Ausdruck von A-Kausalität, so rührt diese im Bereich des Lebendigen bzw. Geistigen, d. h. dem Bereich der Kommunikation, von der damit stets untrennbar verbundenen Trans-Kausalität 35 (reAnalog lässt sich hinzufügen: der Verhaltensvariabilität beim Nicht-MenschlichLebendigen. 33 Im Hinblick auf das Nicht-Menschlich-Lebendige schreibt diesbezüglich Köchy (2006, 97): »Die je einzigartige Biographie eines Lebewesens, die nur diesem Organismus zukommende [Kommunikations- bzw. Erkenntnis-]Erfahrung, schließt ein identisches Reiz-Reaktions-Verhalten in biologischen Experimenten nahezu aus.« »In der Biologie hat man es nicht mit einer Klasse identischer Entitäten zu tun (wie in vielen physikalischen und logischen Kontexten), sondern mit Populationen, die aus einzigartigen Individuen bestehen.« (Köchy ebd., 95) 34 Am augenscheinlichsten zeigt sich dies vielleicht im Bereich der Medizin. 35 Sehr gut wird dieser Zusammenhang deutlich, wenn Hengstenberg im Hinblick auf menschliche Entscheidungs-/Kommunikations-Akte – um es in einem Sprachbild auszudrücken – die letztlich »unergründliche Grundlosigkeit« menschlichen Handels wie folgt hervorhebt: »Zur Entscheidung ist der Menschen gezwungen, in der Entscheidung aber frei. … Für diese Entscheidung … gibt es keine ›Gründe‹ mehr. … 32

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Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie

spektive der damit verbundenen Nicht-Quantifizierbarkeit bedingt durch qualitative Individualität) her. Insbesondere wird dies dadurch deutlich, dass der durch Kommunikation zu übermittelnde Inhalt bei Sender und Empfänger niemals identisch ist; allein deshalb, weil dieser stets mehr oder weniger unterschiedlich qualitativ kontextualisiert ist. Dazu kommt, dass der Versuch, durch präzise Definitionen Eindeutigkeit herzustellen, dazu führt, dass sich der Kreis möglicher Adressaten verringert, weil nur wenige die präzise Definition kennen. Es handelt sich um das bekannte Phänomen der Spezialisierung, das als folgendes Bonmot bekannt ist: Ein Spezialist ist ein Mensch, der immer mehr von immer weniger weiß, bis er schließlich alles von nichts weiß; beim Generalisten ist es umgekehrt, er weiß immer weniger von immer mehr, bis er schließlich nichts von allem weiß. Formal erinnert das an die Unbestimmtheitsrelation: Je genauer der Ort eines Teilchens bekannt ist, umso ungenauer wird der Impuls zu bestimmen sein, bis schließlich bei exakt bestimmtem Ort der Impuls vollkommen unbestimmt bleibt und umgekehrt.

5.c Verschränkung 36 Zur Erinnerung: Von Verschränkung wird in der Quantenphysik gesprochen, wenn zwei identische Teilchen zusammentreffen, die zu einem völlig neuen »Doppelteilchen« verschmelzen, das an deren Stelle tritt (vgl. Kap. C/III/2c). Bei der Bemühung, dieses quantenphysikalische InteraktionsPhänomen der Verschränkung auf den Bereich der Kommunikation zu übertragen, gilt es wiederum, vorschnelle Vergleiche zu unterlassen. Denn auch hier ist zwischen Interaktion und Kommunikation [Wobei:] Nicht die Entscheidung als Realgeschehen ist grundlos. Als solche setzt sie vielmehr einerseits die eben auf Entscheidung angelegte Natur des Menschen voraus, andererseits reale Objekte, vor denen der Mensch die Grundentscheidung fällt. Grundlosigkeit herrscht nur hinsichtlich der Qualifikation der Grundentscheidung, hierfür gibt es keine Gründe, d. h. keine Motive. Alle Motivation des konkreten Menschen haben vielmehr ihren Ursprung in der Grundentscheidung.« (Hengstenberg 1957, 42 f.) 36 Im Unterschied zu Komplementarität und Unbestimmtheitsrelation handelt es sich dabei nicht um einen Erkenntnis-Modus, sondern um ein »Beziehungs«-Phänomen, dass im Kontext der Erforschung des ganz Kleinen zu Tage tritt.

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IV. Adaptierung quantenphysikalischer Einsichten

strikt zu differenzieren. Das bedeutet: Analog zur Unterscheidung zwischen Interaktion und Kommunikation gilt es, Verschränkung und Gemeinschaft auseinanderzuhalten. Schon im Bereich lebender Zellen hat es keinen Sinn mehr, von Verschränkung (im physikalischen Sinn) zu sprechen – nicht einmal als Metapher. Denn wie oben skizziert wurde: Wo Leben und Kommunikation, da nicht nur quantitatives Nebeneinander, sondern qualitative Individualität in Gemeinschaft bzw. Sozietät, die durch Kommunikation qualitativ unvergleichlicher Individualitäten gewährleistet ist. 37 Dazu kommt, dass Kommunikation – im Unterschied zu physiko-chemischer Interaktion – Fehlgestalten kennt; d. h. stets von der Möglichkeit bedroht ist, zu misslingen bzw. Fehlgestalten zu aktualisieren 38. Auch bleiben in einer Kommunikations-Gemeinschaft die Teilnehmer – trotz relativer Veränderung – in ihrem Eigen-Sein erhalten. Mit anderen Worten: Wenn zwei Subjekte kommunizieren, hören diese dadurch gerade nicht auf, Subjekte zu sein; sonst würde ja augenblicklich die Kommunikation beendet. Selbst bei positivsten bzw. »unmittelbarsten« Gestalten von Kommunikation verschmelzen die Kommunizierenden nicht zu einem gemeinsamen »Doppelsubjekt«, sondern steigern gerade dadurch ihre jeweilige personale Subjektivität. 39 So lautete etwa der Titel des Vortrags von Jim Trosko im Rahmen eines Krebskongresses in Palermo 2010, an dem der Autor teilnahm, The society of cells. 38 Vgl. dazu das Kommunikationsgradientenmodell in Hamberger 2004, 493 bzw. Hamberger/Pietschmann 2015, 348. 39 Im Hinduismus etwa gilt als zentrale Erfahrung des »zum Sein Erwachten« nicht – wie manchmal zu lesen – die Erfahrung der Einheit (im Sinne einer pantheistischen Verschmelzung mit allem), sondern jene des A-dvaita, der Nicht-Dualität, der NichtZweiheit. Josef Sudbrack, der große Kenner östlicher wie westlicher Geistestraditionen, hebt diesen Sachverhalt hervor, wenn er unmissverständlich schreibt: »Wir europäisch Ge(ver)bildeten müssen wohl lernen, die Dokumente anderer Religionen und ihre religiöse Erfahrung lebendiger [wir können auch sagen: aporetischer] zu verstehen. Es ist einfachhin unrichtig, die … Erfahrung der Religiosität des indischen Subkontinents auf Einheit und Subjekt-Objekt-Verschmelzung festzulegen, wie es durch A. Schopenhauers Verehrung des Buddhismus üblich geworden ist.« (Sudbrack 1994, 101) Im Kapitel Verschmelzung oder Begegnung seines Buches Mystik. Sinnsuche und die Erfahrung des Absoluten beschreibt Sudbrack die Wende Martin Bubers vom monistischen »Alleinheits-Mystiker« zum dialogischen Denker wie folgt: »Vor seiner [Bubers] von ihm selbst so bezeichneten ›Bekehrung‹ vertrat er 1909 in den ›Ekstatischen Konfessionen‹ eine [monistische] Mystik-Auffassung, die … Mystik mit der Erfahrung von All-Einheit gleichsetzte. Die dort gesammelten, reichen Zeugnisse zur Mystik machten das Buch für viele Intellektuelle wie Robert Musil zu 37

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Adaptierung zentraler Erkenntnismodi der Quantentheorie

Aufgrund des Umstandes, dass Kommunikation die Möglichkeit des Misslingens bzw. damit verbundener Fehlgestalten kennt, sind hier (im Unterschied zur interaktionalen »Verschränkung«) Zerr-Formen von Gemeinschaft möglich; etwa in Gestalt von Abhängigkeit. Hierbei sind die Kommunizierenden nicht miteinander verbunden, sondern gegenseitig verstrickt bzw. aneinander gebunden. Dazu zählen die verschiedensten Gestalten von Sucht, speziell Beziehungs-Sucht (vgl. Gebsattel 1954, insb. 74–128 bzw. 161–212). In dem Maße, als – wie in der Moderne weitestgehend üblich – vom theoretisch-widerspruchsfreien »autonomen Subjekt« ausgegangen wird, das keinen Schritt über sich hinaus zu tun vermag, kann das damit einhergehende Verständnis von zwischenmenschlichem Miteinander schwerlich anders als entweder im Sinne einer rein utilitaristischen Zweck-Gemeinschaft oder in der Weise verschiedener Gestalten von Abhängigkeitsverhältnissen begriffen werden. 40 Dass spezifische Personen bzw. Kulturen (als Subjekte im Großen) von bestimmten Fehlgestalten mehr bedroht sind als von anderen, zeigt etwa ein Vergleich zwischen der gegenwärtigen westlichen Kultur und der japanisch-ostasiatischen. Während die westliche Kultur tendenziell von der Überbetonung des Individuums auf Kosten der Gemeinschaft bedroht ist, besteht die Herausforderung der japanischen (bzw. allgemeiner: der ostasiatischen) Kultur(en) eher in der Gefahr der Überbetonung des Kollektivs bzw. der damit verbundenen Funktionalisierung des einzelnen (vgl. Kikuchi 1981). Ein solcher Kultur-Vergleich macht darüber hinaus deutlich, dass eine derartige »Selbstbestimmung« einer Gesellschaft bzw. Gemeinschaft voraussetzt, dass Kommunikation nicht vollständig der Naturnotwendigkeit/Naturgesetzlichkeit unterliegt.

einem Handbuch der Mystik. Doch mit seiner Bekehrung distanzierte sich Buber so scharf von diesem Entwurf, dass er die Neuauflage der ›Ekstatischen Konfessionen‹ untersagte.« (Sudbrack 2002, 19) 40 Ähnliches gilt auch für das neuzeitliche Verständnis des Beziehungsgeschehen im Kontext des Nicht-Menschlich-Lebendigen. Beispielhaft seien erwähnt Charles Darwin’s Konzept des Überlebens des »Fittesten« (London 1859), Wilhelm Roux’s Werk Der Kampf der Theile des Organismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der mechanischen Zweckmässigkeitslehre (Leipzig 1881) oder Richard Dawkins Bestseller Das egoistisches Gen (Oxford 1976). Wenn von kooperativer Kommunikation im Tierreich die Rede ist, dann in der Regel meist nur im utilitaristischen Sinn des »Tit for Tat«; vgl. dazu: Axelrod 2005; Novak 2011; Reisenbichler 2011.

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse des Dialogischen Denkens im Rahmen der Kommunikationswissenschaft als fünfter therapeutischer Schritt

Die nachfolgend entfaltete These lautet: Dialogisches Denken stellt eine geistesgeschichtliche Analogie zur Genese der Quantenheorie dar. Dies nicht nur deshalb, weil beide Konzeptionen in den 1920er Jahren das »Licht der Erkenntniswelt« erblickten, sondern weil beide den »Denkrahmen der Moderne« überschritten haben. Doch bevor darauf näher eingegangen wird, gilt es zuvor zu (er)klären, was unter »Dialogischem Denken« eigentlich zu verstehen gegeben wird. 1

1.

Was meint »Dialogisches Denken«?

Was mit Dialogischem Denken gemeint ist, macht Schrey im Vorwort des gleichnamigen Buches (1970, IX) gut deutlich, wenn er schreibt: »Das Dialogische ist … ein wesentliches Element gegenwärtiger Lebenseinstellung. … Im Begriff des Dialogischen schwingt … immer die mitmenschliche, vornehmlich durch die Sprache vermittelte Begegnung mit. Es wird so zur Fundamentalkategorie dessen, was M. Theunissen ›Sozialontologie‹ genannt hat.«

Anders ausgedrückt: Dialogisches Denken steht für einen (neuen) Zugang zum Phänomen Kommunikation bzw. Sprache, bei dem nicht – wie bei den analytischen und linguistischen Sprachtheorien des 20. Jahrhunderts – der Aspekt der Übermittlung von Botschaften von einem Sender zu einem Empfänger mittels der Sprache im Vordergrund steht, sondern der dialogische Akt, wobei Sprache (vor allem) als gesprochene Sprech-Handlung aufgefasst wird. 2 Zum Dialog-Begriff allgemein siehe Hasselberg/Martienssen/Radtke 1996; zum geistesgeschichtlichen Umfeld der aufkommenden Dialogphilosophie siehe Skorulski 2012. 2 Der Unterschied zu den von John Austin ausgehenden Sprech-Akt-Theorien (vgl. 1

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Was meint »Dialogisches Denken«?

»Dahinter steht die Einsicht,« – so Stephan Grätzel – »dass Sprache schon durch Verschriftlichung, erst recht aber auf dem Weg der Formalisierung durch die Logik ihre eigentliche Grundlage verliert: den Dialog. Sprache ist [im Verständnis des Dialogischen Denkens] zunächst Gespräch und behält auch in der monologischen Form des Selbstgespräches und des Nachdenkens die dialogische Form bei. Wenn aber Sprache nur als monologisches Werkzeug und Produkt eines Sprechers verstanden wird, dann tritt die Dialogizität in den Hintergrund. Außerdem bleiben auch die Gründe für die unterschiedliche Wirksamkeit von Sprache, soweit Sprache als Gespräch nicht nur sachlich feststellen, sondern anerkennen und verletzen kann, weitgehend verborgen. Sprache gibt und nimmt [im Sinne des Dialogischen Denkens] Leben, und das nicht nur in einem Urteil über Leben, sondern in erster Linie und allgegenwärtig im Alltag durch das Wort, das wir uns als Menschen gegenseitig geben oder vorenthalten.« (Grätzel zitiert nach Rosenstock-Huessy 2012, 9)

Evers führt dazu aus: »Als Denker aus der wortvermittelten Begegnung wissen sie [die »Dialogiker«] ihr Denken in einer langen Tradition, sind sich aber dennoch des Neuen ihres Denkens bewußt. Das Denken aus wortvermittelter Begegnung wurde von seinen Begründern als neues Denken nach dem totalen im [1.] Weltkrieg sich manifestierenden Bankrott des icheinsamen Denkens des idealistischen Menschen verstanden …« (Evers 1979, 89 ff.)

Wichtig ist dabei, die Konzeption(en) des Dialogischen Denkens nicht mit zwei »geistesverwandt« erscheinenden Tendenzen in eins zu setzen: der Primärsetzung des Relationalen (gegenüber dem Personalen) wie dies etwa bei Georg Simmel der Fall ist 3 (vgl. Simmel 1970 bzw. Schmidinger 1994), zum anderen der »Dynamisierung des Individualen (Monadischen)« im Sinne einer »Floating Identity«. In beiden genannten Fällen bildet zwar das Beziehungshafte unzweifelhaft eine prägende Rolle, jedoch nicht die eigentlich grund-legende. Bei den Konzeptionen der Primärsetzung des Relationalen wird den Krallmann/Ziemann 2001, 71–100) nach dem 2. Weltkrieg, in denen Sprache ebenfalls als Handlung begriffen wird, liegt nach Grätzel darin, »dass Austin mit der sogenannten ›Lokution‹ den Text oder bestenfalls den Sprecher zum Ausgangpunkt und Zentrum der Sprache macht. Für Rosenstock[-Huessy, als einen Vertreter des Dialogischen Denkens] kommt dagegen der Hörer vor dem Sprecher. Bevor wir Sprecher und Leser einer Sprache werden, sind wir Hörer. Das Ich ist auch nicht die erste Person in der Grammatik, sondern das Du. Bevor ich zum ›Ich‹ wurde, war ich ›Du‹.« (Grätzel zitiert nach Rosenstock-Huessy 2012, 10) 3 Der – wie oben schon erwähnt – die »Wechselwirkung«/Interaktion zum eigentlichen metaphysischen Grundprinzip erklärt.

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

Kommunizierenden keine dauerhafte Existenz zugestanden, bei den Konzeptionen der Dynamisierung des Individualen (Monadischen) wird zwar von einem »dauerhaften« Ich ausgegangen, jedoch kann hier – trotz forcierter Beziehungshaftigkeit – kein eigentlicher Dialog zwischen den kommunizierenden Individuen plausibel gemacht werden, sondern stets nur ein wechselseitiger »Monolog zu zweit«.

2.

Vorläufer des Dialogischen Denkens

In diesem Zusammenhang gilt als ein erster Wegbereiter des Dialogischen Denkens 4 Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819); seines Zeichens Philosoph, Jurist, Kaufmann und Schriftsteller in einer Person. In einem Brief an Lavater 5, datiert vom 16. Oktober 1775, schreibt er: »Die Philosophen analysieren und räsoniren und explicieren, welcher Maßen es zugehe, daß wir erfahren: Etwas sey außer uns. Ich muß der Leute lachen, unter denen auch ich gewesen bin. Ich öffne Aug’ und Ohr, oder ich strecke meine Hand aus, und fühle in demselbigen Augenblick unzertrennlich: Du und Ich; Ich und Du.« (Jacobi zit. nach Böckenhoff 1970, 93)

»Ausdrücklich, aber ohne Begründung« betont Jacobi dabei, wie Böckenhoff (1970, 100 f.) schreibt, »daß man vom Du [bzw. von der Realität eines Du] ausgehen müsse.« Wörtlich heißt es dazu bei Jacobi in einem Brief an einen Ungenannten (Jacobi zit. nach Böckenhoff 1970, 101; Kursiv. E. H.): »Denn ohne Du, ist das Ich unmöglich.« Jacobi vermag diesen Satz nicht zu begründen, jedoch zu empfinden. Er meint, man müsse an die Realität von Gegenständen glauben; damit ist nicht Glaube in einem religiösen Sinn gemeint, sondern die Ansicht, dass die Realität eines »Außen« weder mit Vernunftgründen noch mit Beweisen abgesichert werden kann. Einen weiteren Vorläufer des Dialogischen Denkens stellt Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) dar. Fichte kommt erkenntnistheoretisch von Kant her und postuliert, die Welt entspringe unserer Vorstellung. Von manchen wird auch Johann Georg Hamann (1730–1788) zu diesen Vorläufern gezählt (vgl. Seils 1961, Baudler 1970, Bayer 1998, Bayer 2002). 5 Johann Kaspar Lavater (1741–1801): Evangelischer Theologe, Philosoph und Schriftsteller. 4

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Vorläufer des Dialogischen Denkens

Ein Frühwerk trägt den Titel Versuch einer Kritik aller Offenbarung: Die Bestimmung des Menschen (1800). Wir Menschen benötigen seines Erachtens etwas »jenseits« unserer Vorstellungen. Wie können wir dies erfahren? Durch Hineinhorchen in uns selbst. Auf diesem Weg kommt Fichte zu einem mitmenschlichen Seins-Verständnis. »Nur wenn das Ich eine wirklich absolute und unbedingte Grenze entdeckt, kann es selbst Stand gewinnen. … Es muß also eine Grenze für das Ich gesucht werden, die nicht auf der Ebene der Dinge, also gleichsam unterhalb des Ich liegt, sondern eine Grenze, die gerade dem absoluten Ich, das den Dingen überlegen ist, Halt gibt. … Das Ich ist Prinzip des Wissens und als solches das Selbstbewußtsein, das alles Dingliche bestimmt. … Die Grenze aber, die das Ich als eine unbedingte anzuerkennen hat, ist das ihm gleiche Wesen, der Andere. Allein am anderen Ich gewinnt das Ich Halt und Ständigkeit.« (Fichte zitiert nach Böckenhoff 1970, 104 f.)

Ebenfalls als gedanklicher Vorläufer des Dialogischen Denkens wird Ludwig Feuerbach (1804–1872) genannt: Feuerbach wurde zum Vorläufer der Begegnungsphilosophie aus Opposition gegen Hegel, überhaupt gegen alle spekulative Theologie und Schulphilosophie. Er setzte es sich zum Ziel, alle Theologie in Anthropologie umzuwandeln. Mit dem Idealismus ging er noch insoweit konform, dass man vom Ich, also vom Subjekt, ausgehen müsse. Er fordert aber – wie Böckenhoff (1970, 108) schreibt – »eine wesentliche ontische Beziehung des Menschen zum Anderen, weil sonst das sichere Erkennen nicht möglich sei«. Warum? Weil es seines Erachtens ohne sinnliche Anschauung und ohne reales Du unmöglich ist, zur Realität der Dinge außerhalb des Denkens vorzustoßen. Mit anderen Worten: Feuerbach erkennt die Problematik der Subjektivität als Strukturprinzip neuzeitlichen Erkennens. Wörtlich heißt es da: »Ich bin ja nur Mann, weil ein Weib ist, … bin wesentlich ein mich auf ein anderes Wesen außer mir beziehendes Wesen, bin nichts ohne diese Beziehung.« (Feuerbach zit. nach Böckenhoff 1970, 109).

So definiert er schließlich: »Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt.« (Feuerbach zitiert nach Böckenhoff 1970, 109).

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

3.

Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Als Hauptvertreter des Dialogischen Denkens werden für gewöhnlich Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner und Martin Buber genannt 6; dazu soll noch auf Eugen Rosenstock-Huessy sowie – was noch zu begründen sein wird – auf Edith Stein verwiesen werden 7.

3.a Franz Rosenzweig Franz Rosenzweig wird am Weihnachtstag des Jahres 1886 als einziges Kind jüdischer Eltern in Kassel geboren; er gehört also der Philosophengeneration von Karl Jaspers (* 1883), Martin Heidegger (* 1889) und Edith Stein (* 1891) an. Rosenzweig wächst in einem assimilierten Elternhaus auf, in dem der Glaube der Väter keine prägende Rolle mehr spielt. 1905 nimmt er sein Studium auf; jedoch nicht – wie man vielleicht zu vermuten geneigt ist – Philosophie, sondern Medizin; in Göttingen, München und schließlich ab Herbst 1906 in Freiburg. Dort begegnet er – als Kommilitonen – Viktor von Weizsäcker, der das geistige Umfeld Freiburgs, in dem sich die beiden Studiosi befinden, im Buch Natur und Geist. Erinnerungen eines Arztes (Weizsäcker 1955) nachzeichnet. 8 Bernhard Casper (2002, 64) macht darauf aufmerksam, dass selbst Martin Heidegger nach dem Abbruch seiner theologischen Studien beinahe nur naturwissenschaftliche Vorlesungen belegte und bis zu seiner Promotion in der naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät eingeschrieben blieb. Dabei gilt es jedoch gleich hinzufügen, dass die naturwissenschaftliche bzw. medizinische Forschung – viel mehr als heute – auch von philosophischen Fragestellungen geprägt war. So ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen, dass selbst in den 1960er Jahren in Österreich das Studium der Physik Mitunter werden auch weitere genannt, etwa Michael Bachtin (vgl. Soboleva 2010). Als frühes vom Dialogischen Denkens inspiriertes Werk kann Löwiths bislang kaum beachtete Habilitationsschrift Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen (Löwith 1928, neu ediert 2013) angesehen werden. 8 Weizsäcker, Viktor von (21955): Natur und Geist. Erinnerungen eines Arztes, Göttingen. Vgl. zur Kennzeichnung dieser Zeit auch Meinecke 1949. Viktor von Weizsäcker entwickelt in den 1920er Jahren sein Arzt-Patient-Konzept des »Gestaltkreises«, das wesentlich mitgeprägt ist durch die dialogphilosophische Konzeption seines Studienkollegen Rosenzweig (vgl. Weizsäcker 1940, Zybowsky 2009). 6 7

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

mit dem Dr. phil. abgeschlossen wurde und jeder angehende Physiker zwei philosophische Rigorosen zu absolvieren hatte. So nimmt es nicht wunder, dass Rosenzweigs und Weizäckers gemeinsamer Lehrer in Physiologie, Johannes Kries, seine Arbeit zwischen »Philosophie und Physiologie« teilte (vgl. Casper 2002, 64). Vor diesem Hintergrund wird auch besser verständlich, dass der Mediziner Rosenzweig bereits in seinem ersten Freiburger Semester (1906/1907) an einem Kant-Seminar teilnimmt. Im Unterschied zu Karl Jaspers – der schließlich in Medizin promoviert – wechselt Rosenzweig nach dem Physikum 9 die Studienrichtung; er wendet sich nun dem Fach Geschichte zu. Dies geschah wohl unter dem Eindruck des herausragenden Historikers Friedrich Meinecke (1862–1954). Dabei ist wichtig zu wissen, dass es dem Geschichtswissenschaftler anno 1910 nicht primär um die Erhebung historischer Daten und Fakten zu tun ist, sondern »die Geschichtswissenschaft war im Zeitalter des Historismus die Wissenschaft von dem menschlichen Leben im ganzen geworden. … Die Geschichtsforschung hatte im Zeitalter des Historismus begonnen, gegenüber der Fachphilosophie, die ganz auf die Erkenntniskritik abgedrängt zu sein schien, die blutvollere lebendigere Philosophie zu werden.« (Casper 2002, 65) In diesem Geist wechselt Rosenzweig also zur Geschichte und promoviert schließlich – bei Meinecke – mit dem Thema Hegel und der Staat, wobei Rosenzweig die These von der letztlichen Irrelevanz des Individuums für die Gesamtheit kritisiert. Dabei wird er vertraut mit dem deutschen Idealismus, den er zunächst nur »vom Boden der historischen Forschung aus … als eine bis zum äußersten erforschte historische Gestalt« (Casper 2002, 67) versteht. Genau dies markiert nun den Punkt, wo dem Historiker Rosenzweig ein Problem bewusst wird: Er erkennt das Dilemma zwischen dem Anspruch Hegels, die absolute Wahrheit zu erkennen, und dem prinzipiellen Relativismus der historischen Methode. Relativismus und damit Dilemma deshalb, weil seines Erachtens keine geschichtliche Gestalt – so sehr diese auch beforscht werde –, einen absoluten Maßstab abgeben könne. Vor dieses Problem fand sich auch Georg Simmel gestellt (vgl. Kap. B/III/11), der es mit seiner »Wechselwirkungsphilosophie« zu lösen suchte. Doch für Rosenzweig tut sich ein Abgrund auf. 10 Wörtlich schreibt er diesbezüglich: 9 10

Physikum: Erster Abschnitt des Medizinstudiums. Zu den divergierenden Lösungsansätzen von Simmel und Rosenzweig siehe Liebe-

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»Mir ist im Jahre 1913 etwas geschehen, was ich, wenn ich einmal davon reden soll, nicht anders bezeichnen kann als mit dem Namen Zusammenbruch. Ich fand mich plötzlich auf einem Trümmerfeld oder vielmehr: ich merkte, dass der Weg, den ich ging, zwischen Unwirklichkeiten dahinführt. … Inmitten der Fetzen meiner Talente suchte ich nach mir selber, inmitten alles Vielen das Eine …«. (Rosenzweig 1979, 678 f.)

Das heißt: Gerade durch sein Talent, geschichtliche Gestalten im einzelnen genau und zugleich in ihrem Zusammenhang bis zum Äußersten hin zu erfassen (vgl. Casper 2002, 68), bricht in ihm die Frage auf, was im Wandel der Gestalten nun das eigentlich Dauernde, im Vielen, im Werdenden und Vergehenden, das Eine sei. 11 Im Lichte dieser Frage wendet sich Rosenzweig während des Sommers 1913 einerseits der Religion zu; das heißt: er erwägt unter dem Einfluss zweier Cousins und seines bereits konvertierten Freundes Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973, vgl. Kap. C/V/3d), zum evangelischen Glauben überzutreten, entscheidet sich jedoch beim Besuch einer Synagoge an Jom Kippur, dem jüdischen Verstöhnungstag, der Überlieferung seiner Vorfahren nachzugehen. Nach einem mehrmonatigen Studium bei Hermann Cohen (1842–1918) in Berlin beschließt er, zukünftig den Judaismus zu studieren und zu lehren. Parallel dazu vollzieht Rosenzweig nun die Wende vom Historiker zum Philosophen. Damit war jedoch seine Problemfrage noch in keiner Weise beantwortet, sondern erst umrissen. Als erste Frucht dieses neuen Denk-Weges ist Rosenzweigs Aufsatz Atheistische Theologie anzusehen, in dem er – mit Hilfe dieses provokanten Titels – die Frage aufwirft, welche Rolle selbst für religiöse Überlieferungen noch die Größe »Offenbarung« spiele (vgl. Kap. B/I/2&3). Konkret beinhaltet der Essay – wie Paul Mendes Flohr schreibt –

schütz’ Buch Von Georg Simmel zu Franz Rosenzweig. Studien zum Jüdischen Denken im deutschen Kulturbereich (Liebeschütz 1970). 11 Vor dem Hintergrund seiner vielfältigen Studien erachtet Casper Rosenzweig als den »universalsten Geist« der dialogischen Denker. Wörtlich schreibt er diesbezüglich: »[U]nter den … [dialogischen] Autoren ist Rosenzweig … derjenige, der mit der größten Klarheit die geschichtliche Situation, in der sein eigenes Denken an der Zeit war und seine Stunde hatte, erfaßte und durchschaute. … Dank seines intensiven geistesgeschichtlichen Studiums, dem eine genaue Kenntnis der naturwissenschaftlichen Methode vorausging, war Rosenzweig … der universalste Geist, dessen philosophische Fähigkeiten dann aufs glücklichste mit dem zusammentrafen, was das intensive Studium ihm erbracht hatte.« (Casper 1967, 356 f.)

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»eine Kritik dessen, was er als durchgehende Tendenz des religiösen Denkens seit der Aufklärung ansah, nämlich, den Begriff der Offenbarung aus seinem Horizont zu verdrängen und so in Wirklichkeit die Absurdität einer gottlosen Theologie zu vertreten. … Als Beitrag zu einem Band über die Erneuerung des Judentums eingereicht, wurde er von dessen Herausgeber, Martin Buber (mit dem er sich erst noch anfreunden mußte), abgelehnt. … Der Essay mag außerdem bei Buber eine wunde Stelle getroffen haben. Buber hing nämlich damals – wie übrigens viele seiner Zeitgenossen – einer Art romantischem Mystizismus an …«. (Flohr zitiert nach Casper 2002, Kap. Rosenzweig)

Warum beschäftigt sich Rosenzweig mit dieser Thematik? Weil der historische Charakter der Offenbarung zugleich überhistorische Züge trägt – und insofern eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem absoluten Maßstab zu geben imstande ist. Offenbarung verheißt Orientierung, im Sinne eines absoluten oben und unten, verheißt verlässlichen Sinn von Sein. Mit eben dieser Fragestellung bzw. Thematik wird sich Rosenzweig fortan beschäftigen: Gibt es offenbarende Orientierung bzw. orientierende Offenbarung? Zu diesem Zweck setzt sich Rosenzweig mit der abendländischen Philosophie auseinander und findet darin eine Grundtendenz: Nämlich jene, alles in die Klarheit des Denkens zu bringen (vgl. dazu Anckaert/Casper 1995). Von der Ionischen Naturphilosophie führt nach Rosenzweig eine direkte Linie zu der Gleichsetzung von Denken und Sein bei Parmenides, der so das Prinzip alles folgenden abendländischen Denkens ausgesprochen habe. Demzufolge kommt es vor allem darauf an – wie Casper (2002, 73) schreibt –, »jenen, in vielen Gedanken letztlich einen Gedanken nachzudenken und ihn damit in die Klarheit des erkannten Gedachten einzubringen.« In diesem Sinne steht nach Rosenzweig alles abendländische Philosophieren unter der Herrschaft der Frage: »Was ist?«, die immer die Frage meint: »Was ist alles, das ist?« Dazu schreibt Rosenzweig in seinem dialogphilosophischen Hauptwerk Der Stern der Erlösung: »Immer wieder lief doch das [abendländische] Denken den Abhang der gleichen Frage, was die Welt sei, hinan; immer wieder ward an diese Frage alles andere noch Fragwürdigere angeschlossen; immer wieder endlich wurde die Antwort auf diese Frage im Denken gesucht.« (Rosenzweig 1976, 6) Seines Erachtens basiert das abendländische Erkenntnisschema auf folgenden Voraussetzungen bzw. Konsequenzen:

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– –

Die Welt bzw. das All ist alles, was ist; Alles was ist, ist denkbar (weil alles aus einheitlichen Grundelementen besteht); – Da auch die einheitlichen Grundelemente als denkbar gelten, gilt es diese zu erkennen bzw. nachzudenken. In Hegel sei dieses Erkenntnisverständnis der Wirklichkeit nun zu einem Abschluß gekommen. »[Als] einen Abschluß muß man es wohl bezeichnen,« – so Rosenzweig wörtlich im Stern der Erlösung (Rosenzweig 1976, 6) – »wenn das Wissen nicht mehr bloß einen Gegenstand, das All, sondern auch sich selber, restlos, wenigstens nach seinen eigenen Anprüchen und in seiner selbsteigenen Weise restlos umgreift. Das ist geschehen in Hegels Einziehung der Philosophiegeschichte ins System. Weiter scheint das Denken nicht mehr gehen zu können …« So kommt – nach Rosenzweig – das in Parmenides angebrochene Verständnis »Sein ist Denken« zu einer Voll-Endung. Rosenzweig gebraucht im Stern der Erlösung dafür die einprägsame Formel zur Kennzeichnung der abendländische Philosophie: Von Ionien bis Jena; soll heißen: von der griechischen Naturphilosophie zum deutschen Idealismus. Hier fragt Rosenzweig nun kritisch nach: »[Ist] mit diesem Verständnis von Sein … und seinem annäherungsweise zu erreichenden völligen Hellwerden [im Denken] schon jede Möglichkeit des Menschen erschöpft? Denn dies müßte der Horizont der Frage ›Was ist alles?‹ leisten, wenn er der einzig mögliche und absolute sein sollte.« (Casper 2002, 73)

Oder – und dies ist nun Rosenzweigs Einwand gegen dieses Seins-, Denk- und Philosophieverständnis – ist mit diesem zweifelsohne faszinierenden Konzept des »denkbaren All(e)s« andererseits eine Verstellung anderer Erkenntniszugänge des Menschen zum Sein verbunden? Anders ausgedrückt: Ist mit der Voraussetzung der – zumindest prinzipiell – restlosen Denkbarkeit des All(e)s (insbesondere) unter dem Primat der Materie – eine erkenntnistheoretische Engführung verbunden, die das Sein selbst aus dem Blick verliert und dadurch verfehlt bzw. schließlich vergisst? Eben diese These, die uns heute vor allem aus dem Werk Martin Heideggers bekannt ist (vgl. Sein und Zeit, 1927), begründet Rosenzweig ein Jahrzehnt früher im Stern der Erlösung. Er entwickelt diese Überlegungen dabei nicht – wie die meisten Philosophen – am 398 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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Schreibtisch, sondern im Schützengraben während des 1. Weltkrieges, wo er als Sanitäter und bei der Artillerie eingesetzt ist. Die Entwürfe zu seinem Hauptwerk, auf das gleich näher eingegangen wird, verfertigt er an der mazedonischen Front und sendet sie auf Feldpostkarten nach Deutschland. Dazu hinführend ist zuvor noch zu erwähnen, dass er im Büchlein Vom gesunden und kranken Menschenverstand (Rosenzweig 1964) ersichtlich macht, dass die das abendländische Denken prägende Frage »Was ist alles?« letztlich dem Fragenden jeden Boden unter den Füßen entziehe! Warum? Weil die »Mitte«, in der sich das jeweilige Bewusstsein bzw. das vergleichende Denken ereignet, nur eine scheinbare Mitte darstellt. Weshalb? Weil das jeweilige Ich-Bewusstsein sich ja selbst in den alles vergleichenden Vorgang des Nach-Denkens einorden muss. Bernhard Casper (2002, 75) vermerkt dazu den entscheidenden Gedanken: »Insofern es [das Ich-Bewusstsein] sich selbst denkt, ist es ein vom Allgemeinen her Gedachtes, ein ES, kein Ich.« Anders ausgedrückt, wieder von Casper (2002, 75): »Unter der Macht der Frage ›Was ist?‹ findet alle Beziehung [Kommunikation] nur statt zwischen dritten Personen [Sächlichkeiten, Dingen].« »[Das] System ist die Welt in der dritten Person«, lesen wir bei Rosenzweig (1984, 130) wörtlich. Soweit die fundamentale Diagnose Rosenzweigs den Denk-Weg des Abendlandes betreffend. Wie sieht es nun mit seiner vorgeschlagenen Therapie aus? Oder mit Casper (2002, 78) gefragt: »Kann das Denken denn jener Seinsvergessenheit, die offenbar ist, da es das Sein als [dauerndes] Wesen denken muß, … überhaupt entkommen?« Die Antwort fällt – wie erwähnt – Rosenzweig nicht in der Studierstube ein, sondern offenbart sich ihm in der Todesbedrohtheit der Schützengräben und Fronterfahrungen des 1. Weltkrieges. Dort erfährt, erlebt und reflektiert er schließlich, dass ich selbst, der ich zeiträumlich bin, auch in meiner Endlichkeit und Bedingtheit prinzipiell nicht systematisierbar bin in ein allgemeines Wesen der Dinge. Was heißt das konkret? Das heißt: es gibt einen zentralen »Rest«, der von der Frage »Was ist?« – im beschriebenen Sinn – nicht erreicht werden kann. Dieser Rest heißt Freiheit. Freiheit verstanden im Sinne Kants als das »Wunder in der Erscheinungswelt« (Rosenzweig 2011, 11 bzw. 399 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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50). Mit Freiheit ist also nicht eine relative Freiheit innerhalb eines Systems gemeint, sondern eine grundlegende – vor aller von Systemen gewährleisteten bzw. ermöglichten – Freiheit. Diese »grundlose Freiheit … wird Rosenzweig zu dem … festen Ausgangspunkt, in dem das Denken über die Seinsvergessenheit hinauskommt.« (Casper 2002, 79) Er versucht dies deutlich zu machen, in dem er aufzeigt, dass das Denken »von Ionien bis Jena« nicht nur ein seinsvergessenes, sondern auch ein zeitloses Denken darstellt. Mit den Worten von Casper (2002, 80): »Rosenzweig entdeckt, dass das unter der Macht der Frage ›Was ist?‹ stehende Denken mit Notwendigkeit darauf ausgeht, die Zeit als Bedingung des Erkennens zu eliminieren.« Warum ist das so? Weil die Frage »Was ist?« nach Zeit-Überdauerndem, Wesenhaften fragt. Anders formuliert: »In der Frage nach dem Wesen sucht das Denken das Sein fest-zumachen, es im Denken zu beherrschen. … Das die Frage nach dem Wesen [der Dinge] stellende Denken denkt nach, weil es ›hinter‹ das Erkannte kommen möchte. (Casper 2002, 80 f.) Dadurch aber wird die Ereignishaftigkeit aufgehoben und die Zeitlichkeit des Ereignisses eliminiert (vgl. Casper 2002, 81). Das Wesenhafte wird so einerseits als das Zeit-Überdauernde, andererseits als zeitlos verstanden bzw. zu verstehen gegeben. Oder anders ausgedrückt: Auf die Frage »Was ist?« gibt es – unter obiger »Ausschneidung der Zeit« – nur eine sinnvoll-mögliche Antwort: das »zeitlose Wesen« (vgl. Casper 2002, 82). Erhellend ist nun Rosenzweigs Begründung, warum sich das abendländische Denken der Zeitlichkeit entschlagen habe: Die Antwort darauf lautet: aus Angst vor dem Tod. Denn die Zeit halte dem Erkennenden stets vor Augen, dass alles wahrnehmbare Seiende, natürlich auch er selbst, sein Sein, dem Tod unterworfen ist. Vor diesem Hintergrund führt Rosenzweig in seinem dialogphilosophischen Hauptwerk jene beiden Menschsein konstituierenden Momente zusammen, die in der »Was-ist-Frage« außen vor bleiben: Die grundlosgrundlegende Freiheit des Einzelnen und dessen Wissen um seine Sterblichkeit. Casper (2002, 82) bemerkt dazu: »Rosenzweig [führt] vor allem am Anfang des Stern aus, der Mensch ist ja gerade durch das, was er ist, daß er sterben kann. Er ist in seinem Selbstverständnis das Wesen, welches das Nichts, das Nochnicht und Nichtmehr erblicken kann. Ende ist für ihn nicht einfach Ende als bloße Widerfahrnis, sondern er weiß um das Ende als Ende, was nur ein anderes Wort dafür ist, daß er um die Zeit weiß und also nicht nur in der Zeit ist, sondern zeitlich da

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

ist. Daß der Mensch sterben kann, ist die Voraussetzung seines Menschseins, die entscheidende Prägung, durch die erst die Freiheit vor der Freiheit zum wirklichen Menschsein bestimmt wird.«

So wird für Rosenzweig deutlich, dass die Frage »Was ist alles?« nicht voraussetzungslos ist, sondern als unhintergehbare Grundlage – und damit offensichtliche Voraussetzung – »das Rätsel des Sterbenmüssens bzw. die Zeitlichkeit alles Menschlichen und die Endlichkeit alles Irdischen (Casper 2002, 83) [hat].« In Abhebung von der Frage nach dem zeitlosen Wesen bzw. in Anerkennung der Zeitlichkeit als zentrales Moment menschlicher Erkenntnis skizziert Rosenzweig im 1. Teil des Stern der Erlösung nun drei Ur-Phänomene, die nicht aufeinander rückführbar sind: Gott, Welt, Mensch. Entscheidend ist dabei für ihn das Verhältnis – die Relation – dieser Urphänomene zueinander. Mit Evers gesprochen: »Orientierung [wird für Rosenzweig erst] möglich, wenn die Tatsächlichkeiten [Gott, Mensch, Welt] in wirkliche Beziehung treten als zeitlichem Geschehnis. Dann wird Orientierung als ›Offenbarung der wirklichen Wirklichkeit. Das Sein des Seienden offenbart sich in seiner gerichteten Wirklichkeit.‹« (Evers 1979, 105)

Dieses wirkliche Sein bedarf – nach Rosenzweig – nun eines (neuen) Denkens, das die Zeitlichkeit nicht mehr eliminiert. Hier bringt Rosenzweig nun das Phänomen der Sprache ins Spiel; nicht jedoch als vorliegende Sprache, als langue, sondern als Sprechen. Dazu bemerkt Casper (2002, 120; vgl. Evers 1979, 105) erhellend: »Nicht zeitloses, sondern sich ereignendes, zeitigendes Denken aber ist das Sprechen. Die Sprache, nicht insofern sie vorliegt, sondern insofern sie gesprochen wird, wird deshalb zum Organon des neuen Denkens, dem die sich zeitigende Wirklichkeit als ›Bahn‹ oder ›Weg‹ aufgeht.«

Kurz: Vom Sprachdenken findet Rosenzweig zur Gott-Mensch-WeltWirklichkeit. Sein ist für ihn nicht identisch mit Denken, sondern geschichtliches Sprachereignis. In zentraler Weise zeigt sich dies, wenn er – hier beeinflusst von Rosenstock-Huessy – die Grammatik, die Lehre von den Wortformen, hierarchisch abhebt von Logik und Mathematik. In diesem Zusammenhang betont Rosenzweig die Bedeutung der Kategorien Schöpfung, Offenbarung und Erlösung, also Kategorien, die im modernen Denken, auch im modernen religiösen Denken, weitgehend unbeachtet, negiert oder zumindest ins Metaphorisch-Ungreifbare und damit Unangreifbare transferiert wurden/ werden. 401 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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Damit redet Rosenzweig jedoch keineswegs einer romantischen Rückkehr zu einem ursprünglichen, traditionalistischen, von der modernen Kultur unbeeinflussten Glauben das Wort. Im Gegenteil: ihm geht es viel mehr um die Verbindung zwischen religiöser Tradition und modernem Leben bzw. philosophischem Denken. Treue zur jüdischen Tradition und Verbundenheit mit der westlichen, insbesondere deutschen Kultur der Moderne bilden für Rosenzweig keinen Gegensatz, wenngleich eine Spannung; aber eine Spannung, die man liebevoll akzeptieren müsse, die es nicht loszuwerden bzw. zu überwinden gelte. In einem Brief an den Freund Rudolf Hallo bekennt er 1923: »Ich habe ja vielleicht eine besondere Harmlosigkeit gegenüber dem Problem Deutschtum und Judentum. Ich glaube, die Verjudung hat aus mir keinen schlechteren, sondern einen besseren Deutschen gemacht. Ich halte die Generation vor uns wirklich für keine besseren Deutschen als uns. … Wenn das Leben mich einmal auf die Folter spannen würde und mich in zwei Stücke reißen, so wüßte ich freilich, mit welcher der beiden Hälften das Herz, das ja unsymmetrisch gelagert ist, mitgehen würde; ich wüßte auch, daß ich diese Operation nicht lebendig überstehen würde.« (Rosenzweig 1979, 887 f.)

Rosenzweigs zentrales Element ist – wie schon erwähnt – die in der Zeitlichkeit sich ereignende gesprochene Sprache. Schon der erzählende Sprecher erfahre diese Zeitlichkeit. Erst recht wird dies deutlich im Zwiegespräch. Casper schreibt dazu: »Der Sprecher des Zwiegesprächs … weiß, daß das [Kommunikations-]Ereignis des Gesprächs völlig seiner Macht entzogen ist wie auch der des Partners. Das Gespräch kommt in Gang und ereignet sich [oder nicht]. Woher? [Warum nicht?] Das Wunder des Gesprächs besteht ja gerade darin, daß beide Sprecher, wären sie auf sich allein gestellt, sofort enden müßten. Das Ereignis des Gesprächs ist so reine Offenbarung. … Im Gespräch [in der Kommunikation], das nicht ohne die beiden Sprechenden ist, sind die beiden Sprechenden doch ganz dem Ereignis des Gesprächs überantwortet.« (Casper 2002, 115)

Im wahren Gespräch werden nach Rosenzweig so aus Selbst und Selbst Ich und Du. Das geschieht, ohne dass die Gesprächspartner über das Kommunikations-Ereignis, das sie erst zu Ich und Du macht, verfügen könnten 12. Ein sich ereignendes wahres Gespräch ist insofern – nach Rosenzweig – stets Offenbarung bzw. hat offenbarenden 12

Vgl. die skizzierte Ereignis-Konzeption von Lyotard.

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Charakter. Die Gesprächspartner können sich dem Ereignis sozusagen nur übereignen und so der Situation ent-sprechen. Im schon bekannten Schema dargestellt bzw. adaptiert: SELBST 1

Materiales Medium

SELBST 2

Abbildung 54: Selbst 1 und Selbst 2 nach Moderne ICH

GESPRÄCH Materiales Medium

DU

Abbildung 55: Ich und Du entstehen aus Gespräch (nach Rosenzweig)

Mit diesem Schema sind wir in der Mitte des Rosenzweig’schen Denkens. Wir sind bei jenem Grund-Gedanken, von dem aus bzw. auf den hin Rosenzweig seine Denkbemühungen entfaltet/lenkt. Mit den Worten von Casper: »Sein, insoweit es dem menschlichen Denken hell wird – und anders kann von Sein nicht gesprochen werden –, zeigt sich als Sprache. Aber Sprache ereignet sich je neu zwischen zweien im Ereignis des Gespräches. Entspringt aber, was Sein heißen kann, auf diese Weise, nämlich als Sprache, die sich zwischen zweien ereignet, so kann Sein nicht mehr zeitlos und nur als die Helle des sich selbst hellen transzendentalen Subjekts verstanden werden. Sondern Sein als dem Menschen helles Sein ist zutiefst davon gekennzeichnet, daß es sich ereignet und das es sich im Zwischen ereignet.« (Casper 2002, 14)

Anders ausgedrückt: »Das wirkliche Denken, dem Sein hell ist, kann sich dementsprechend nicht mehr als zeitloses und nicht mehr als des Anderen unbedürftiges Denken verstehen. Vielmehr weiß das Denken nun darum, daß es erst dadurch beim Sein ist, daß es des Anderen wie der Zeit bedarf. Sein, das in der Helle des menschlichen Denkens hell wird, stellt sich durch die Rückführung auf sein Sich-Ereignen in der Sprache zugleich als das Unverfügbare dar, wie dies Rosenzweig im Aufsatz Das neue Denken … deutlich zum Ausdruck gebracht hat.« (Casper 2002, 114 f.)

Ebendort schreibt Rosenzweig: »Im wirklichen Gespräch geschieht eben etwas; ich weiß nicht vorher, was mir der andere sagen wird, weil ich nämlich auch noch nicht einmal weiß [bzw. wissen kann], was ich selbst sagen werde; ja vielleicht noch nicht einmal, daß ich überhaupt etwas sagen werde! … Zeit brauchen heißt: nichts vorwegnehmen können, alles abwarten müssen, mit dem Eigenen vom An-

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deren abhängig sein. Das alles ist dem denkenden Denker völlig undenkbar, während es dem Sprachdenker völlig entspricht.« (Rosenzweig 1984, 151)

Das »wirkliche Gespräch«, bei dem sich die Gesprächspartner – wie erwähnt – nur übereignen, anvertrauen können, hebt Rosenzweig vom Pseudo-Gespräch 13 ab, wo dieses Übereignen nicht vollzogen wird und trotzdem Kommunikation geschieht: Das lässt sich graphisch wie in Abbildung 56 darstellen. EGO 1

Pseudo-GESPRÄCH Materiales Medium

EGO 2

Abbildung 56: EGO 1 vs. EGO 2 und Pseudo-Gespräch

Beim nun folgenden Hauptvertreter des Dialogischen Denkens, Ferdinand Ebner, wird in abgewandelter Form auf dieses Schema zurückzukommen sein.

3.b Ferdinand Ebner Hinsichtlich Ebners Denken gilt wohl für viele, was Emil Brunner 1935 – im von Hildegard Jone herausgegebenen Band Für Ferdinand Ebner. Stimmen der Freunde – so formulierte: »Ebners Buch 14 machte auf mich einen bedeutenden Eindruck, aber ich verstand es [1922] nicht und legte es, nur zur Hälfte gelesen, wieder weg. Ich habe es erst jetzt wieder vorgenommen und stehe erschüttert vor der Tatsache, daß der ganze Weg, den ich seitdem gegangen bin, von Ebner vorausgegangen wurde.« (Brunner zitiert nach Jone 1935, 13)

Wie bei den anderen Hauptvertretern des Dialogischen Denkens soll auch bei Ferdinand Ebner am Beginn eine kurze biographische Skizze stehen. Wirft man einen primär äußerlichen Blick auf seine Person, seine Biographie, und fragt nach bedeutenden Wirkungsstätten, umfangreichem Werk, gesellschaftlichem Reüssieren, so lässt sich Ebner – im Unterschied zu Rosenzweig, geschweige denn Martin Buber – aufs Erste gesehen kaum wahrnehmen. In diesem Sinne schreibt Evers (1979, 201) in seiner Dissertation Sittlichkeit im Wortfeld der Vgl. das Motiv des Pseudo-Dialogs bei Martin Buber. Gemeint ist Ebners Hauptwerk Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente, Innsbruck 1921.

13 14

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Begegnung, in der er das Denken Ebners mit jenem von Heinrich Rombach vergleicht: »Das äußere Leben Ferdinand Ebners … verläuft im Unscheinbaren.« Ein solch unscheinbarer erster flüchtiger biographischer Blick gibt etwa Folgendes zu erkennen: – Ferdinand Ebner wird am 31. Januar 1882 in Wiener Neustadt geboren. – Nach Volksschule und Lehrerbildungsanstalt (wo er die Reifeprüfung 1902 mit Auszeichnung ablegt) ist er für 22 Jahre als Volksschulleher in Niederösterreich (Waldegg und Gablitz) tätig. – 1923: Verheiratung mit der Lehrerkollegin Maria Mitzera. – Aus gesundheitlichen Gründen frühpensioniert im gleichen Jahr. – 1924: Geburt des Sohnes Walter. – Gestorben an Tuberkulose in Gablitz am 17. Oktober 1931. Soweit in aller Kürze die äußerlich markant erscheinenden Lebensdaten. Dass wir heute von einem Dialogischen Denken Ebners sprechen können, rührt daher, dass sich Ebner – neben seiner Beschäftigung als Volkschullehrer – mit dem geistig-kulturellen Leben seiner Zeit in kaum nachvollziehbar-fundamentaler Gründlichkeit auseinandergesetzt hat und diese Beschäftigung in wenigen Veröffentlichungen, genauer gesagt: einem Hauptwerk und etlichen Aufsätzen 15, ihren Niederschlag fand. Auf diesem Weg hat sich Ebner kaum vernehmbar »öffentlich« zu Wort gemeldet. Es nimmt deshalb kaum wunder, dass – um noch einmal Evers zu zitieren – »die gesellschaftliche, literarische und wissenschaftliche Welt … [vorerst] kaum Notiz … [von Ebner genommen] hat.« (Evers 1979, 202) Doch wenige haben die spärlichen Veröffentlichungen dann doch wahrgenommen; beginnend schon mit dem Abdruck von Ebners ersten Aufsätzen im Brenner 1919! Es waren dies federführende Geistesgrößen dieser Zeit wie (der oben erwähnte) Emil Brunner, Hans Ehrenberg, Franz Rosenzweig, – dadurch – Martin Buber; Michael Bachtin (wie wir inzwischen wissen; dadurch höchstwahrscheinlich Ludwig Wittgenstein; vgl. Fedjaeva 2009), die allem Anschein nach die Potenzialität in diesem zaundürren Oeuvre des unbekannten niederösterreichischen Volkschullehrers realisierten. 15

Allesamt erschienen im Innsbrucker Brenner-Verlag zwischen 1919 und 1931.

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Spätestens seit der 3-bändigen Ausgabe seiner Schriften (vgl. Ebner 1963a, 1963b bzw. Ebner 1965) ist Ebner als einer der zentralen Wegbereiter des Dialogischen Denkens anerkannt. Es kann nicht anders als ein außergewöhnlicher Glücksfall bezeichnet werden, dass inzwischen eine ausgezeichnete Hinführung zum Ebner’schen Denken vorliegt, nämlich die Schrift von Wucherer-Huldenfeld: Personales Sein und Wort. Einführung in den Grundgedanken Ferdinand Ebners (Wucherer-Huldenfeld 1985). Darüber hinaus existiert ein von Ebner selbst im Vorwort seines Hauptwerkes Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente (erstmals erschienen wie Rosenzweigs Stern der Erlösung 1921) zusammengefasster Grundgedanke, den er seiner Schrift voranstellt. 16 Indirekt ist diese Zusammenfassung des Grundgedankens im Vorwort Adolph Stöhr, seines Zeichens – zu dieser Zeit (also um 1920) – Ordinarius für Philosophie an der Universität Wien, zu verdanken. An eben diesen wandte sich der renommierte Wiener Braumüller-Verlag mit der Bitte um Begutachtung eines Manuskripts, das ein unbekannter Volksschullehrer namens Ebner, der bislang nichts veröffentlicht hatte (außer einigen Gedichten in Wiener Neustädter Tageszeitungen um die Jahrhundertwende), dort verlegen lassen wollte. Dieses Stöhr’sche Gutachten liest sich in Auszügen wie folgt: »Von diesem Werke sagt der Verfasser, daß es im Winter 1918/19 geschrieben worden sei. Es macht sich auch deutlich darin der Eindruck des politischen und kulturellen Zusammenbruchs auf den Verfasser fühlbar. Aus diesem Werke spricht die Abkehr von Wissenschaft, Philosophie, Kunst und Kultur überhaupt … Es ist für einen Leser, der nicht das Interesse eines Fachpsychologen oder eines Psychiaters von Beruf diesem hoch interessanten Fall [!] entgegenbringt, direkt eine Qual, sich in ewigen Wiederholungen eines einzigen Gedankens und gleicher Redensarten durch 300 Seiten hindurchzuwinden und dabei das Gefühl zu haben, sich immer um denselben Punkt zu drehen. … Dieser pathologische Zug muß sich schon vor längerer Zeit entwickelt und festgelegt haben, denn er ist nach allen Seiten hin ausgesponnen. Der Verfasser wird aus seinem Zustand nicht mehr heraus und zurück können, wahrscheinlich auch nicht mehr heraus- und zurückkommen wollen. … Wissenschaftlichpsychologisch und wissenschaftlich-philosophisch ist das Werk glattweg unmöglich.« (Ebner 1963a, 80; Anmerkung: Das Wort unmöglich ist auch im Originalgutachten kursiv geschrieben) Überflüssig zu erwähnen, dass der Braumüller-Verlag von einer Drucklegung absah. Nach einer weiteren Ablehnung der Drucklegung beim Wiener Strache-Verlag gelangt das Manuskript über Vermittlung von Theodor Haecker zu Ludwig von Ficker, dem Herausgeber der Brenner-Zeitschrift und des gleichnamigen Verlages. Und dieser bietet Ebner nicht nur die Drucklegung an, sondern schreibt an ihn am 17. September 1919: »[I]ch empfände es als Ehre, Ihr Buch im Brenner-Verlag herausgeben zu dürfen – so tief bin ich von seiner ungewöhnlichen und dauernden Bedeutung durchdrungen.« (Evers 1979, 300 bzw. Ebner 1965, 291) So erscheint schließlich im September 1921 im Brenner-Verlag (Innsbruck) Ebners Hauptwerk Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologiche Fragmente. Im Vorwort des Buches schreibt Ebner nun einleitend: »Eine angesehene Wiener Buchhandlung

16

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Um diesen zentralen Gedanken adäquat nachvollziehen zu können, erscheint vorerst dessen Kontextualisierung angebracht. Ebner vollzieht damit eine – wie oben im Hinblick auf das Dialogische Denken allgemein erwähnte – Überschreitung des »Denkrahmens der Moderne« im Bereich der Philosophie. Die Grundlage hierfür bildet die »Reprimatisierung des Geistes«. Dazu sei in Erinnerung gerufen (vgl. Kap. B/III/6): Im Verlauf der Moderne wurde in zunehmendem Maße Materie als die eigentliche Grundlage der Wirklichkeit angesehen. 17. Vor diesem »materialistisch-mechanistischen« Verstehenshintergrund seiner Epoche, in dessen Kontext das Phänomen »Geist« als

lehnte die Verlagsübernahme dieser Fragmente auf Grund des folgenden, von einem Philosophieprofessor der Universität Wien abgelehnten Gutachtens ab.« (Ebner 1963a, 80) Nach vollinhaltlichem Zitat des Gutachtens vermerkt Ebner schließlich: »Man lese die Fragmente [Fragmente steht für den ganzen Titel des Hauptwerkes] mit einiger Bemühung nur, sie in ihrem Wesentlichen zu verstehen, und man wird erkennen, daß dieses Gutachten tatsächlich mit herein in das Buch gehört und seinen besten Platz an dessen Spitze hat – als ein ›Zeichen der Zeit‹. Nachdem es von einem Lehrer der Philosophie verfaßt wurde, kann es nicht als böswillige Satire auf die Philosophieprofessoren gemeint sein.« (Ebner 1963a, 80) 17 Dies brachte mit sich, dass man – mit dem ungeahnten Erfolg des »wissenschaftlichen Erkenntnisschemas«, das ja vorerst allein auf abiotische Entitäten angewandt wurde – schließlich auch daranging, es ebenso auf Lebendiges bzw. den Menschen selbst anzuwenden. Nicht zufällig spricht Sigmund Freud vom »psychischen Apparat« des Menschen, Georg Simmel von sozialer Wechselwirkung, Auguste Comte von Soziologie als »sozialer Physik«. Eine Konsequenz dieses Primats der Materie bestand/besteht darin, alle Realität (letztlich auch alles Lebendige sowie MenschlichGeistige, etwa Akte des Wollens oder aus Freiheit resultierendes menschliches Handeln) im Schema kausaler Notwendigkeit zu begreifen: einerseits begreifen/analysieren zu können, andererseits begreifen/analysieren zu müssen (vgl. Hamberger 2012). Erst durch die Primärsetzung der Materie als eigentlicher Realität lässt sich meines Erachtens sowohl die Beschränkung der naturwissenschaftlichen Methode allein auf Kausalität (Ursache-Wirkungs-Relation) als Begründungszusammenhang (bei Ausklammerung der Finalität) als auch sein globales Geschichtsmächtigwerden plausibel erklären. Pietschmann bemerkt dazu erhellend: »Die Neuzeit hat aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Verbindlichkeit Materie als ausschließliche Substanz der öffentlichen Wirklichkeit erklärt und allen Geist aus ihr verdrängt. … [Die] … Verlässlichkeit der [durch experimentelles Handeln gefundenen und bestätigten] Naturgesetze wurde in einer Welt, die Geist und Freiheit verleugnet, bald an Stelle der Wahrheit gesetzt und mit ihr verwechselt. Voraussetzung dafür war die öffentliche Übereinkunft, Materie sei das eigentliche Element der Realität; alles Nicht-Materielle durfte damit ins bloße Schein-Dasein gedrängt werden. Mit der ›Austreibung‹ der Geister aus der Natur war dabei auch der Geist selbst vertrieben worden, und Materie sollte sich bald zum Götzen der Neuzeit entwickeln.« (Pietschmann 2005a, 82 f.)

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Epiphänomen der Materie verstanden wird, argumentiert Ebner nun nicht – wie viele andere – »defensiv«, indem er sagt: Menschliche Existenz hat – auch wenn dies die Materialisten anders sehen – im Kern (doch) geistige Bedeutung. Sein Argumentationsgang ist genau »spiegelverkehrt«: Menschliche Existenz habe in ihrem Kern (solange) keinerlei geistige Bedeutung – auch wenn es so aussehen mag –, solange sich diese nur in der Behauptung im Rahmen des natürlichen Ablaufs des Weltgeschehens erschöpfe, – wie dies im Argumentationsgang zur Erklärung menschlicher Geistigkeit im Rahmen neuzeitlichen Denkens vielfach geschieht. Das heißt: Menschliche Geistigkeit, die sich irgendwie im »evolutiven Gang« gleichsam notwendig-zufällig entwickelt hat, stellt für Ebner im Kern gar keine Geistigkeit dar. Dementsprechend beginnt sein Grundgedanke mit der Formulierung: »Vorausgesetzt, dass der Mensch [überhaupt] ein geistiges Wesen ist …«. (Ebner 1963a, 80; Kursiv. E. H.) Mit anderen Worten: Ebner sucht nicht die offensichtliche »Geistigkeit« des Menschen zu verteidigen, sondern umgekehrt, dieser in dem Maße keinerlei eigentlich-geistige Bedeutung zuzuschreiben, als naturnotwendig-evolutionistisch argumentiert wird. In der Darlegung seines Grundgedankens fährt Ebner wie folgt fort: »Vorausgesetzt, dass man anders als im Sinne einer poetisch oder auch metaphysisch oder gar nur aus ›sozialen‹ Gründen gebotenen Fiktion von etwas Geistigem im Menschen sprechen darf; so ist dieses wesentlich dadurch bestimmt, dass es von Grund aus angelegt ist auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es und in dem es existiert.« (Ebner 1963a, 80) Damit postuliert er indirekt: von etwas Geistigem im Menschen kann nur dann gesprochen werden, insofern dieses Geistige aporetische Züge trägt. Denn das Geistige im Menschen (Ich) ist einerseits gekennzeichnet durch Selbstand, gleichzeitig bzw. gleichursprünglich jedoch auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm (Du) angelegt, durch das es und in dem es existiert. Den »objektiv« fassbaren und darum einer objektiven Erkenntnis zugänglichen Ausdruck für diese aporetische Struktur des Menschen sieht Ebner in der Tatsache, dass der Mensch ein sprechendes Wesen ist, dass er das »Wort hat«, wobei er auch hier die gängige Sichtweise auf den Kopf stellt: Sprache bzw. Wort sind seines Erachtens nicht eine Frucht menschlicher Vergemeinschaftung, sondern umgekehrt: Sozietät habe das in den Menschen gelegte Wort zur Vo408 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

raussetzung ihres Bestandes. Hier nun der komplette Grundgedanke im Wortlaut: »Vorausgesetzt, dass die menschliche Existenz in ihrem Kern überhaupt eine geistige, das heißt eine in ihrer natürlichen Behauptung im Ablauf des Weltgeschehens sich nicht erschöpfende Bedeutung hat; vorausgesetzt, daß man anders als im Sinne einer poetisch oder auch metaphysisch oder gar nur aus ›sozialen‹ Gründen gebotenen Fiktion von etwas Geistigem im Menschen sprechen darf; so ist dieses wesentlich dadurch bestimmt, dass es von Grund aus angelegt ist auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es und in dem es existiert. Ein Ausdruck, und zwar der ›objektiv‹ faßbare und darum einer objektiven Erkenntnis zugängliche Ausdruck des Angelegtseins auf eine derartige Beziehung ist in der Tatsache zu finden, dass der Mensch ein sprechendes Wesen ist, dass er das ›Wort hat‹. Das Wort jedoch hat er nicht aus natürlichen und aber auch nicht aus sozialen Gründen. Sozietät im menschlichen Sinne ist nicht die Voraussetzung der Sprache, sondern hat selbst vielmehr diese, das in den Menschen gelegte Wort, zur Voraussetzung seines Bestandes. Wenn wir nun, um ein Wort dafür zu haben, dieses Geistige im Menschen Ich nennen, das [Geistige] außer ihm aber, zu dem im Verhältnis das ›Ich‹ existiert, Du, so haben wir zu bedenken, dass dieses Ich und dieses Du uns eben durch das Wort und in ihm [dem Wort] in seiner ›Innerlichkeit‹ gegeben sind; [Ich und Du sind gegeben] nicht jedoch als ›leere‹ Wörter, denen kein Bezughaben auf eine Realität innewohnte – als was sie freilich in ihrem abstrakten, substantivierten und substanzialisierten Gebrauch erscheinen – vielmehr [sind Ich und Du gegeben] als Wort, das in der Konkretheit und Aktualität seines Ausgesprochenwerdens in der durch das Sprechen geschaffenen Situation seinen ›Inhalt‹ und Realitätsgehalt ›redupliziert‹. Das ist in Kürze der Grundgedanke.« (Ebner 1963a, 80 f.)

Wucherer-Huldenfeld (1985, 24) hat diesen in seinem oben erwähnten Einführungswerk zum Ebnerschen Denken in mehreren Reduktionsstufen wiedergegeben. Hier Reduktionsstufe drei: »Zur Erleichterung des Verstehens soll die Gedankenbewegung der Kurzformel [= des Ebner’schen Grundgedankens] etwas strukturiert wiedergegeben werden: 1) Die menschliche Existenz hat im Kern geistige Bedeutung, d. h. im Menschen ist etwas Geistiges, weil er von Grund aus angelegt ist auf etwas Geistiges außer ihm, durch das er überhaupt ist und in dem er ist: Das Ich gründet im Verhältnis zum Du. 2) Worin zeigt sich das? Ausdruck für diese Geistigkeit der Existenz ist das sprechende Wesen des Menschen. Dies ist der für eine objektive Erkenntnis faßbare Zugang.

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

3) Zu bedenken ist, daß dieses Ich-Du-Verhältnis gegeben ist a) durch das Wort, b) im Wort und c) als Wort, und zwar 4) in der Aktualität des Ausgesprochenwerdens, in der durch das Sprechen geschaffenen Situation, d. h. im Gespräch [vgl. Rosenzweig], im Dialog [vgl. Buber]. Damit ist auch das Ausgangsphänomen für Ebners Denken genannt.«

Zum Vergleich noch Reduktionsstufe vier: »Nochmals der [Ebner’sche] Grundgedanke, nun noch kürzer gefasst: Wird 1) vorausgesetzt, daß von geistigen Realitäten (Ich und Du) geredet werden darf, so stellt sich 2) die Frage: Wieso? Wo sind diese zugänglich? Sie zeigen sich im Menschen als dem sprechenden Wesen. 3) Fragt sich: Wie und auf welche Weise? Sie sind durch das Wort, im Wort und als Wort gegeben, wobei 4) dieses Wort im Vollzug des Sprechens zu jemandem erstlich zugänglich ist.« (Wucherer-Huldenfeld 1985, 24)

Anhand des ersten Abschnittes des Ebner’schen Grundgedankens soll – gewissermaßen auf dem umgekehrten Weg – aufgezeigt werden, warum es auch heute noch, fast 100 Jahre nach Abfassung, so schwer fällt, diesen Gedanken zu verstehen bzw. dessen eigentliche Intention deutlich zu machen. Hier also noch einmal besagter erster Abschnitt: »Vorausgesetzt, dass die menschliche Existenz in ihrem Kern überhaupt eine geistige, das heißt eine in ihrer natürlichen Behauptung im Ablauf des Weltgeschehens sich nicht erschöpfende Bedeutung hat; vorausgesetzt, dass man anders als im Sinne einer poetisch oder auch metaphysisch oder gar nur aus ›sozialen‹ Gründen gebotenen Fiktion von etwas Geistigem im Menschen sprechen darf: … so ist dieses wesentlich dadurch bestimmt, dass es von Grund aus angelegt ist auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es und in dem es existiert.« (Ebner 1963a, 80)

Wenn wir das Zitat genau betrachten, fällt auf, dass Ebner nicht sagt: Menschliche Existenz hat geistige Bedeutung – und dies zeigt sich in hervorragender Weise daran, dass er sprechen kann. Sein Gedankengang geht vielmehr so: Menschlicher Existenz kommt – in ihrem Kern – keinerlei geistige Bedeutung zu, wenn sich diese nur in der Behauptung im Rahmen des natürlichen Ablauf des Weltgeschehens erschöpft, also etwa in dem Sinne, um damit menschliche Sozietät zu gewährleisten. Was will Ebner damit sagen? Er möchte damit zum Ausdruck bringen, dass seines Erachtens vom Menschen nicht als einem geistigem Wesen gesprochen werden kann, solange diese »Geistigkeit« etwa als »Produkt der Evolution« verstanden wird oder als Medium zur 410 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Gewährleistung bzw. Aufrechterhaltung humaner Vergesellschaftung. An Hand eines Zitats von Pietschmann soll dieser Zusammenhang noch besser deutlich werden. »Die Neuzeit hat aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Verbindlichkeit Materie als ausschließliche Substanz der öffentlichen Wirklichkeit erklärt und allen Geist aus ihr verdrängt. … [Die] … Verlässlichkeit der Naturgesetze wurde in einer Welt, die Geist und Freiheit verleugnet, bald an Stelle der Wahrheit gesetzt und mit ihr verwechselt. Voraussetzung dafür war die öffentliche Übereinkunft, Materie sei das eigentliche Element der Realität; alles Nicht-Materielle durfte damit ins bloße Schein-Dasein gedrängt werden.« (Pietschmann 2005a, 82 f.)

Das Zitat veranschaulicht, dass im Zuge der Moderne in zunehmendem Maße Materie als eigentlicher Grund aller Realität vorausgesetzt wird; anders ausgedrückt: Als ein zentrales Element des neuzeitlichen Wirklichkeitsverständnisses ist der Umstand anzusehen, dass Geist zu einem Epiphänomen der Materie erklärt wird, d. h. zu einer gegenüber der Materie nachrangigen Größe. Damit sollte nun klar geworden sein, was Ebner meint: Solange Geist als Epiphänomen der Materie begriffen wird, komme menschlicher Existenz – in ihrem Kern – keinerlei geistige Bedeutung zu. Der Zusammenhang anhand des schon bekannten Schemas vor Augen geführt: Kommunikation materie-analog (Kommunikation lässt sich auf physiko-chemische Interaktionen reduzieren) ICH 1

Materiales Medium

ICH 2

Abbildung 57: Kommunikation materie-analog

Ebner stellt gleichsam die Frage, wo hier Geistigkeit bzw. Freiheitsgrade menschlichen Handelns auszumachen sind. Das Problem löst sich nach Ebner auch dann nicht, wenn im herkömmlichen Sinne Kommunikation zwar geistanalog zu verstehen versucht wird, indem geistige Entitäten – nennen wir diese Ich 1 und Ich 2 – einfachhin vorausgesetzt werden, jedoch das Ich 1 und Ich 2 verbindende Medium nur materieanalog begriffen werden kann, denn nun stellt sich die Frage: Wie ist Kommunikation möglich? (Vgl. Abbildung 58)

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse Kommunikation geist-analog (Kommunikation lässt sich nicht auf physiko-chemische Interaktionen reduzieren) ICH 1

Materiales Medium

ICH 2

Abbildung 58: Kommunikation geist-analog

Der Herausforderung lässt nach Ebner nur in dem Maße adäquat begegnen, in dem das Ich 1 und Ich 2 verbindende Medium nicht nur bzw. nicht primär materieanalog, sondern geistanalog aufgefasst wird (vgl. Jagiello 1997). ICH

WORT Materiales Medium

DU

Abbildung 59: Ich und Du konstituieren sich durch das Wort (nach Ebner)

Die Ähnlichkeit zu Rosenzweig, der – wie oben skizziert – an die Stelle des Wortes bei Ebner das Gespräch setzt, ist offenkundig. Kurz zusammengefasst: Denkfiguren der Neuzeit, wie das primär materieanalog verstandene Medium zwischen Ich und Ich, erscheinen Ebner nicht wirklichkeitsadäquat. Sie stellen für ihn Gestalten defizitären Denkens, bloßen – wie er es nennt – »Traum vom Geist« dar; dem zufolge auch als unernst-beliebiges Denken, das unter der Motivation des »Willens zur Macht« steht; eben als ein »icheinsames«, privatistisches, ja »autistisches Denken« ohne existenzielle Erfahrung des Anderen (vgl. Ebner 1963a, 204). Ebners Grundeinsicht ist dagegen das Miteinandergegebensein von Ich und Du (den geistigen Realitäten) im Kontext geschehender Sprache, das heißt: im Wort. Er verweist damit programmatisch – analog zu Rosenzweig – auf die Bedürftigkeit des Einzelnen als bloß Denkenden. Ich denke, das heißt für Ebner zugleich: Ich bin des Anderen bedürftig, des Anderen in seiner uneinholbaren Freiheit. Ich-Bin ereignet sich nach Ebner im offenen Bezug auf den Anderen, ohne dessen Andersheit ich nicht sprechen kann – im Vertrauen auf das sich zwischen Ich und Du ereignende Wort. Casper (1985, 129 f.) weist darauf hin, dass diese Erfahrung des Du bei Ebner »keineswegs eine Wirklichkeit besonderer Art unter anderen Wirklichkeiten oder gegenüber anderen Wirklichkeiten [ist]. Es ist auch nicht eine Du-Welt

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

gegenüber einer Es-Welt [wie bei Buber]. Sondern es ist die Wirklichkeit der zwischen dem anderen und mir g e s c h e h e n d e n Sprache.« Insofern nun Ebner das sich ereignende Wort weder als in eigener Macht liegend, noch als in der Macht des Gegenüber befindlich ansieht, kommt er zum Verständnis der schlechthinnigen Transzendenz des Phänomens der Sprache, als dem »Ergründungswürdigsten« menschlichen Seins. So steht im Zentrum der Ebner’schen Subjekt-Konzeption weder Du noch Ich, sondern das Wort als jenes »Vehikel-Phänomen«, das sich zwischen Ich und Du zuträgt. Auch Ferdinand Ebner hat seinen Grundgedanken – wiederum Rosenzweig sehr ähnlich – nicht in der Ich-Einsamkeit des verschrobenen Kulturkritikers hervorgebracht, sondern im Dialog – insbesondere mit Luise Karpischek, mit der er um die 1000 Briefe wechselte. Leider harrt dieser zentrale Briefwechsel immer noch der Herausgabe.

3.c Martin Buber Martin Buber wird am 8. Februar 1878 in Wien in einem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus geboren. Als er drei Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern. Insbesondere die Trennung von seiner Mutter Elise sollte zeitlebens für ihn ein einschneidendes Erlebnis bleiben. Er selbst schreibt dazu: »Hier stand ich einmal, in meinem vierten Lebensjahr, mit einem um mehrere Jahre älteren Mädchen, der Tochter eines Nachbarn, deren Aufsicht mich die Großmutter anvertraut hatte. Wir lehnten beide am Geländer. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich zu meiner überlegenen Gefährtin von meiner Mutter gesprochen hatte. Aber ich höre noch, wie das große Mädchen zu mir sagt: Nein, sie kommt niemals zurück. Ich weiß, dass ich stumm blieb, aber auch, dass ich an der Wahrheit des gesprochenen Wortes keine Zweifel hegte. Es blieb in mir haften, es verhaftete sich von Jahr zu Jahr, immer mehr in meinem Herzen, aber schon nach etwa zehn Jahren hatte ich begonnen, es als etwas zu spüren, was nicht bloß mich, sondern den Menschen anging. Später habe ich mir das Wort Vergegnung zurechtgemacht, womit etwa das Verfehlen einer wirklichen Begegnung zwischen Menschen bezeichnet war.« (Buber zitiert nach Koren-Wilhelmer 2007, 94)

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

Aus dem Zitat geht indirekt hervor, dass die Scheidung seiner Eltern den jungen Martin zu seinen Großeltern nach Lemberg bringt, dem heutigen Lwiw in der Ukraine. Dort bleibt er bis zu seinem 18. Lebensjahr und kehrt schließlich 1896 nach Wien zurück, um fortan Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte zu studieren. Die Hauptstadt der Donaumonarchie ist damals ein Schmelztigel und Umschlagplatz der verschiedensten kreativen Geister und Kräfte. Um nur einige in diesem Zusammenhang bekannte Namen zu nennen: Karl Kraus, Adolf Loos, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud, Fritz Mauthner, Egon Schiele, Gustav Klimt. Der zum jungen Mann herangereifte Martin Buber ist fasziniert, vor allem von der Kultur. Wie er selbst berichtet, habe er zu dieser Zeit – fast täglich – das Burgtheater besucht. Wien ist um die Wende zum 20. Jahrhundert gekennzeichnet durch eine spezifische »Stimmung«, die Koren-Wilhelmer (2007, 95) wie folgt schildert: »Insgesamt … herrschte quer durch alle Bevölkerungsschichten eine gesteigerte Sensibilität für die Vergänglichkeit 18 und Zerbrechlichkeit unseres [menschlichen] Daseins. Gleichzeitig wuchs ein Bewusstsein für die Bedeutung von Sprache und Psyche für die Einzelnen und die Gesellschaft.«

1897 tritt Buber, der bis dahin sein Jude-Sein – wie die damalige Mehrheit der jungen jüdischen Intellektuellen – keineswegs in den Vordergrund rückt, wenn nicht gar verleugnet, der zionistischen Bewegung bei, an deren Spitze der charismatische Theodor Herzl (1860–1904) 19 steht. Es geht um die Verwirklichung der Idee eines eigenständigen jüdischen Staates. Buber begeistert sich dabei vor allem für die politische Agitation. Schließlich wechselt er – aus Studiengründen – nach Leipzig und Berlin, wo er unter anderem Georg Simmel hört. Am prägendsten aber ist für Buber in dieser Zeit wohl die Begegnung mit dem Schriftsteller Gustav Landauer (1870–1919), einem Freund Fritz Mauthners, der dem Utopismus, Pazifismus und Anarchismus nahe steht. Zurück in Wien gründet er 1902 den Jüdischen Verlag und wird 1904 mit der Dissertation Zur Geschichte des Individuationsproblems promoviert. Daraufhin widmet er sich – nicht zuletzt aufgrund einer gewissen finanziellen Unabhängigkeit – in den folgenden Jahren Stu-

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Vgl. dazu die oben skizzierte Biographie von Franz Rosenzweig. Österreischicher Politiker und Schriftsteller. Begründer des politischen Zionismus.

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

dien über die Bedeutung der mystischen Strömung des Judentums, des sogenannten Chassidismus 20, bzw. ekstatischer Erfahrungen in anderen kulturellen Überlieferungen. 21 Dabei wird die Möglichkeit unmittelbarer und konkreter Begegnung mit dem »Göttlichen Grund« betont. In diesem Sinne können diese Geistesströmungen tendenziell als »spiritueller Monismus« aufgefasst werden, wodurch verständlicher wird, warum Martin Buber, der den Chassidismus vor allem in seinen jungen Jahren bei seinen Großeltern in Lemberg kennengelernt hatte, nun 1909 ein Werk verfasst, das den Titel Ekstatische Konfessionen trägt, worin Buber einen monistischen Standpunkt vertritt 22, also einen genau gegensätzlichen zu seinem späteren dialogphilosophischen Ansatz. Vor diesem skizzierten Hintergrund beginnt Casper sein Buch über das Dialogische Denken mit einer Darlegung der vordialogischen Periode Martin Bubers. Wörtlich heißt es da:

20 Chassidismus (von hebr. Chassidim, »die Frommen«). Der Chassidismus hat seine Wurzeln in der jüdischen Geheimlehre der Kabbala, einer Überlieferung, die (mit Wurzeln, die bis ins 2. nachchristliche Jahrhundert zurückreichen) um 1200 im Abendland Gestalt gewinnt, genauer: in Spanien und der Provence. In diesem Sinne bildet die Kabbala keinen traditionellen Zweig der Überlieferung des orthodoxen Judentums (dem Sufismus im Islam ähnlich, der etwas früher entstand), sondern eine Geistesströmung, die man heute als esoterisch bezeichnen würde. Diese verbreitete sich – nach der Vertreibung der Juden im Jahre 1492 aus Spanien – in der gesamten jüdisch-europäischen Diaspora, wobei es einen südeuropäischen und einen osteuropäischen Hauptausbreitungszweig gab. Im Unterschied zum deutschen Kulturraum, wo sich das intellektuelle jüdische Leben vor allem auf die Interpretation der Thora (also der schriftlichen) sowie die Auslegung des Talmud (der mündlichen Überlieferung) konzentrierte – oder sich assimilierte –, erwuchs im Osten Europas eine von der Kabbala beeinflusste mystische Strömung, eben der Chassidismus. 21 Dabei ist es wichtig zu wissen, dass um 1900 Mystik im abendländischen Kulturkreis weithin als Einheitserlebnis bzw. als Verschmelzungprozess verstanden wird, genährt von der neuzeitlichen Rezeption bzw. Interpretation östlicher Weisheitslehren (insbesondere im Anschluss an Schopenhauer). Diese verkürzte Rezeption wird den östlichen Traditionen (vgl. Kap. B/I/3a) nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund ist auch die radikale Mystik-Kritik von Ferdinand Ebner zu lesen. 22 Dabei wird die Ansicht vertreten, alles Sein sei letztlich ununterscheidbar EINES, etwa in der Vorstellung eines allumfassenden GROSSEN (transpersonalen) SELBST, mit dem sämtliche menschliche Individualität sich verschmelze bzw. in das hinein sich alles Individuelle auflöse. Diesen monistischen Standpunkt gibt es übrigens nicht nur unter dem Primat des Geistes, sondern ebenso unter dem Primat der Materie. In diesem Fall herrscht die Ansicht vor, letztlich würde sich alle menschliche Gestalthaftigkeit in eine Form allgemeiner Energie umwandeln, gleichsam in einem Entropieprozess des Rückflusses individuellen Geistes zur allgemeinen Materie (= Energie).

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

»Das dialogische Denken ist durch Martin Buber am bekanntesten geworden. Man verbindet die Vorstellung von dem, was dialogisches Denken sei, mit Bubers Namen und seinem 1923 erschienenen Werk ›Ich und Du‹. … Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Buber, als er das Werk, das ihn berühmt machte, niederschrieb, bereits über 20 Jahre lang eine reiche schriftstellerische Tätigkeit entfaltet hatte, die zum Teil bekenntnishaften Charakter trägt. … Von dem später erreichten [dialogischen] Standpunkt des Denkens aus hat Buber viele Gedanken seines Frühwerks als ungenau und uneigentlich abgetan.« (Casper 2002, 16 f.)

Sudbrack (2001, 251) bemerkt dazu sogar: »In den ›Ekstatischen Konfessionen‹ aus seiner ersten Schaffensperiode veröffentlichte er eine Sammlung mystischer Zeugnisse, die er in ein pantheistisches Grundschema … hineinpreßte.« 23 Nach einer Erfahrung, die Buber selbst als »Bekehrung« beschreibt, distanziert er sich in der Folge so sehr von seiner frühen Deutung von Mystik, dass er eine Neuauflage der Ekstatischen Konfessionen zeitlebens verbietet. 24 Wie genau sich Martin Bubers Wende zum Dialogischen vollzog, blieb bislang im Dunkeln. Er selbst hat sich dazu zwar geäußert, doch offenkundig in der Absicht darzulegen, dass er schon früher als seine Mitstreiter (Rosenzweig und Ebner) diesen Gedanken verfolgte (vgl. Buber 1947). Der Hauptgrund dafür könnte darin zu suchen sein, dass sein dialogphilosophisches Hauptwerk Ich und Du, wie im Zitat von Casper schon erwähnt, (erst) im Jahre 1923 erscheint, also 2 Jahre nach Rosenzweigs Stern der Erlösung bzw. Ebners Wort und die geistigen Realitäten. Wer mit Martin Bubers dialogischem Ansatz auch nur einigermaßen vertraut ist, assoziiert damit einen Zentralbegriff: den Terminus des sogenannten »Zwischen«. In diesem Sinne bemerkt Theunissen in seinem klassischen Werk Der Andere zur Dialogphilosophie (1977, 259): »Der Begriff Zwischen ist der Schlüsselbegriff, der den Zugang zur Intention Bubers, ja zum ganzen Dialogismus eröffnet.« (Theunissen 1977, 259)

23 Bubers Ekstatische Konfessionen haben – wie an anderer Stelle schon erwähnt – unter anderem so maßgebliche Personen wie Thomas Mann und Robert Musil (Der Mann ohne Eigenschaften) prägend beeinflusst. 24 Erst 1993 (2. Aufl. 1994) kam es durch Peter Sloterdijk zu einer Neuausgabe (siehe Sloterdijk 1993); vgl. dazu auch Arslan 2014. insb. 147–157.

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Sehen wir nun näher zu, wie der Begriff bei Buber verwendet wird. Theunissen zitiert diesbezüglich Buber nach seinem Werk Das Dialogische Prinzip (Buber zitiert nach Theunissen 1977, 260), wo es heißt: »Geist ist nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du.« Darum – so Theunissen – kann Buber (die inzwischen zum geflügelten Wort gewordene Formulierung) sagen: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« (Buber 1923, 15) Oder an anderer Stelle noch einmal Buber: »Jenseits des Subjektiven, diesseits des Objektiven, auf dem schmalen Grad, darauf Ich und Du sich begegnen, ist das Reich des Zwischen.« (Buber zitiert nach Theunissen 1977, 266) Umso größer ist deshalb die Überraschung, dass dieser Zentralbegriff des Zwischen in seinem dialogischen Erstlings- und Zentralwerk Ich und Du schlichtweg nicht vorkommt. Dieser taucht bei Buber – und dies scheint doch höchst bedenkenswert – erst später auf. 25 Mit anderen Worten: Es muss also nicht nur davon ausgegangen werden, dass Bubers Schrift Ich und Du – wie Rivka Horvitz ans Tageslicht brachte – von Ebners Werk Pneumatologische Fragmente. Das Wort und die geistigen Realitäten beeinflusst ist 26, sondern dass darüber hinaus in Ich und Du die alles entscheidende Begrifflichkeit 25 Wohl zum ersten Mal in seiner Schrift Zwiesprache, die im Todesjahr von Rosenzweig (1929) erscheint; dann vor allem im Werk Das Problem des Menschen (1943, dt. 1948) bzw. im Sammelband Das dialogische Prinzip (Buber 1962). Damit gebraucht Martin Heidegger, der bekanntlich nicht zu den dialogischen Denkern gezählt wird, den Begriff des Zwischen früher als Buber, nämlich in seinem epochemachenden Frühwerk Sein und Zeit (Heidegger 1927), womöglich beeinflusst durch die Lektüre von Rosenzweigs Stern der Erlösung (vgl. dazu Löwith 1942/1943 bzw. Löwith 1960b). Wer sich dafür näher interessiert, sei auch verwiesen auf das Werk von Eveline Cioflec Der Begriff des »Zwischen« bei Martin Heidegger: Eine Erörterung ausgehend von Sein und Zeit (Cioflec 2012). Dabei versucht die Autorin zu zeigen, wie Heidegger in Sein und Zeit darangeht, mit Hilfe des Begriffes des »Zwischen« die Aufhebung des Subjekt-Objekt-Bezuges durch den Aspekt der Relationalität darzulegen. 26 Was Buber zeitlebens nicht zuzugeben vermochte. Zur Frage, inwieweit Rosenzweigs Stern der Erlösung (1921) Bubers Ich und Du (1923) inspiriert hat, bemerkt Casper: »Was das Verhältnis Bubers zu Rosenzweig anlangt, so hat sich uns im Laufe der Untersuchung öfter gezeigt, daß der Jüngere [Rosenzweig] dem Älteren [Buber] sachlich voraus war, und wir vermuteten infolgedessen …, daß der dialogische Buber für die Fertigstellung des eigenen Gedankens Rosenzweigs Einfluß möglicherweise manches verdankt.« (Casper 1967, 358)

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

zum Verständnis wahren Mitseins fehlt: eben der Topos bzw. der Terminus des »Zwischen«. Jetzt könnte jemand die Frge stellen: Wie denkt Buber dann das Mit-Sein von Ich und Du in seiner berühmten Schrift? Er denkt es in der Weise, dass sich Ich und Du gegenseitig konstituieren. ICH

Materiales

DU

Medium

Abbildung 60: Ich und Du konstituieren sich gegenseitig (nach Buber).

In Ich und Du heißt es dementsprechend: »Ich-wirkend-Du und Du-wirkend-Ich.« (Buber 1962, 30) Vor diesem Hintergrund macht nun Theunissen (1977, 273) in seinem schon genannten Werk Der Andere das Problem offenkundig, das Buber hat, wenn er in Ich und Du von einer gegenseitigen Konstituierung von Ich und Du spricht. Wörtlich heißt es da: »Die Geburt der Partner aus dem Ereignis der Begegnung denkt Buber als die gegenseitige Konstitution von Ich und Du, als Entstehung des Ich aus dem Du und des Du aus dem Ich. ›Ich-wirkend-Du und Du-wirkend-Ich‹ (Ich und Du, S. 30) – das soll die Urgenesis sein, die der Stiftung alles Subjektiven wie alles Objektiven vorhergeht. Aber nur als Chiffre für den Ursprung von Ich und Du aus dem Zwischen hat der Gedanke der gegenseitigen Konstitution einen Sinn.«

Es kann insofern als das große Verdienst Theunissens angesehen werden, den Primat des Zwischen vor den Grundworten Ich-Du bzw. IchEs herausgearbeitet zu haben sowie das Fehlen dieses Primats in Bubers Paradeschrift Ich und Du. Inwiefern Buber das Fehlen der Dimension des Zwischen in seinem Hauptwerk bewusst gewesen ist, soll hier nicht näher erörtert werden. In der Folge hat er jedenfalls den Begriff in den verschiedensten Zusammenhängen benützt. So heißt es in seinem Buch Das Problem des Menschen: »Das Zwischen ist nicht eine Hilfskonstruktion, sondern wirklicher Ort und Träger zwischenmenschlichen Geschehens.« (Buber 1948, 165)

Oder, im Hinblick auf die Frage nach dem wahren Kunstwerk: »Kunst ist Werk und Zeugnis der Beziehung zwischen der substantia humana und der substantia rerum, das gestaltgewordene Zwischen.« (Buber 1962, 424, zit. nach Koren-Wilhelmer 2007, 103).

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

In seiner 1960 erschienenen Untersuchung Das Wort, das gesprochen wird schreibt er: »Besinnen wir uns auf die aller einfachste Tatsache unseres Umgangs miteinander. Das Wort, das gesprochen wird, hier wird’s geäußert und dort vernommen; aber sein Gesprochensein hat das Zwischen zum Ort.« (Buber 1960 zit. nach Koren-Wilhelmer 2007, 105)

Trotzdem kommt Theunissen (1977, 284) zur radikalen Aussage: »Man muß sich nun fragen, ob Buber [auch nach Ich und Du] überhaupt eine Ontologie des Zwischen geben wollte. Buber gebraucht zwar das Wort ›Ontologie des Zwischenmenschlichen‹ (Werke I, S. 283). Wenn darunter jedoch eine vollständige Beschreibung des Phänomens des Zwischen verstanden sein will, so hat Buber sie nicht gegeben.« 27 Zwei zentrale Verdienste Bubers sind jedoch unstrittig: Auf das eine verweist Koren-Wilhelmer (2007, 105), wenn er schreibt: »Es ist festzustellen, dass er [Buber] die Kategorie der Relation [Beziehung], die z. B. bei Aristoteles und in der Folge in den meisten ontologischen Entwürfen neben der Kategorie der Substanz eine eher untergeordnete Rolle spielt, wieder entschieden aufwertet.« Ein zweites zweifelsfrei großes Verdienst Bubers, das in seiner Bedeutung vielleicht noch gar nicht gebührend erkannt ist, besteht darin, dass er schon früh auf die Dimension der Überzeitlichkeit/ Überräumlichkeit hingewiesen hat. In seiner Schrift Das Problem des Menschen berichtet er, dass ihn bereits im Alter von 15 Jahren die Lektüre von Kants Prolegomena über die Antinomien der Vorstellung von Raum und Zeit als begrenzt bzw. zugleich unbegrenzt zuerst an den Rand der Verzweiflung und schließlich zur Einsicht brachte, »daß das Sein selber der raumzeitlichen Endlichkeit und der raumzeitlichen Unendlichkeit gleichermaßen entrückt ist, weil es in Raum und Zeit nur erscheint, aber in diese seine Erscheinung nicht selber eingeht. Damals begann ich zu ahnen, daß es das ›Ewige gibt‹, das etwas ganz anderes ist als das Unendliche, genau ebenso wie es etwas ganz anderes ist als das Endliche, und daß es doch zwischen mir, dem Menschen, und dem Ewigen eine Verbindung geben kann.« (Buber 1948, 40 f.)

Demnach kann nur bedingt zwischen drei Phasen im Denken Martin Bubers – einer vordialogischen, einer dialogischen ohne die Dimension des »Zwischen« und einer dialogischen mit der Dimension des »Zwischen« – unterschieden werden.

27

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Zum weiteren Lebensweg Martin Bubers: 1938 muss er aus Deutschland flüchten und zieht nach Palästina, das damals unter englischem Protektorat steht 28. An der dortigen Universität gibt es insofern Probleme, als die traditionellen Juden Buber als Professor ablehnen. So wird ihm, dem inzwischen Berühmten, ein Extraordinariat für Sozialphilosophie eingerichtet. Martin Buber stirbt – hoch geehrt von aller Welt – in Jerusalem 1965.

3.d Eugen Rosenstock-Huessy Eugen Rosenstock entstammt wie Franz Rosenzweig und Martin Buber einem jüdischen Elternhaus (geboren 1888), empfing jedoch – im Unterschied zu den Vorgenannten – 1905 die evangelische Taufe. 1910 schließt er sein auf Wunsch des Vaters betriebenes rechtswissenschaftliches Studium in Heidelberg mit der Promovierung ab. Schon 1912 habilitiert er sich an der Universität Leipzig für Privatrecht und Rechtsgeschichte. Während eines Studienaufenthalts in Florenz (1913/1914) lernt er Margrit Huessy kennen; 1914 heiraten die beiden, 1921 kommt Sohn Hans zur Welt. Ab 1925 führt Eugen Rosenstock den Mädchennamen seiner Frau als Doppelnamen. Vielfältig gestaltet sich sein beruflicher Werdegang. Nach dem 1. Weltkrieg schlägt er lukrative Angebote (u. a. der Universität Leipzig) aus und geht zu Daimler-Benz, wo er die erste Werkszeitung Deutschlands herausgibt, um die mangelhafte firmeninterne Kommunikation zu verbessern. Seine zahlreichen weiteren Tätigkeiten in Deutschland werden durch die Machtübernahme der Nazionalsozialisten jäh unterbrochen. Noch 1933 verlässt er Deutschland und findet – wie viele andere – eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten von Amerika. Zunächst für kurze Zeit Lecturer in German Art and Culture an der Harvard University, ist er von 1935 bis 1957 am Dartmouth College, Hangover (New Hampshire) tätig. Rosenstock-Huessy stirbt am 24. Februar 1973. 29 Dass Rosenstock-Huessy für gewöhnlich nur selten wie Buber, Ebner und Rosenzweig zu den Hauptvertretern des Dialogischen Denkens gerechnet wird, mag mit seinem vielfältigen Schaffen zu tun haben, denn er kann mit Fug und Recht nicht nur als Sprachphi28 29

Der Staat Israel wurde erst 1948 gegründet. Zur Biographie von Rosenstock-Huessys siehe Richter 2007, insb. 25–35.

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

losoph, sondern ebenso als Soziologie, Sozialpädagoge und Rechtshistoriker bezeichnet werden. Als verbindendes Zentrum fungiert dabei jedoch unzweifelhaft sein Denken zu Sprache und Grammatik. In diesem Sinne zitiert Eva-Maria Heinze in ihrer Einführung in das dialogische Denken Richter (2007, 37) wie folgt: »Trotz der ungeheueren inhaltlichen Spannweite der Arbeiten RosenstockHuessys liegt in seinen Thesen zu Sprache und Grammatik das thematische Zentrum, das alle peripheren Gedankengebilde miteinander verbindet und zusammenhält. Denn Sprache und Grammatik bilden [nach RosenstockHuessy] … das ›Geflecht‹ von Beziehungen, mit dessen Hilfe auf die Wirklichkeit zugegriffen werden kann. Hierbei bilden nicht das Ich und nicht die Kategorien des Denkens die Bedingungen der Möglichkeit für Erkenntnis, sondern in Bezug auf den Erkennenden alle grammatischen Personen und Strukturen.« (Richter zitiert nach Heinze 2011, 18)

Dabei vertritt Rosenstock-Huessy mit Rosenzweig und Ebner (aber etwa gegen de Saussure) den erkenntnistheoretischen Primat des Sprechens, des aktuellen Sprechaktes bzw. des Gesprächs vor dem (feststellbaren) Sprachausdruck. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass Eugen Rosenstock schon vor dem 1. Weltkrieg mit Franz Rosenzweig bzw. dessen Vettern Hans und Rudolf Ehrenberg bekannt wurde. Exemplarisch für den »lebendigen Dialog« steht dabei das sogenannte »Leipziger Nachtgespräch« zwischen den Genannten vom Sommer 1913, »in welchem Rosenstock-Huessy Sprechen als ›zeitenschaffendes Wunder der Wirklichkeit und des Glaubens‹ definiert.« (Heinze 2011, 18) Aus dem daraus folgenden Briefwechsel zwischen Eugen Rosenstock und Franz Rosenzweig während des 1. Weltkrieges erwächst schließlich 1916 der sogenannte Sprachbrief 30, der von manchen als Abgedruckt findet sich der erwähnte Sprachbrief erstmals 1924 unter dem Titel Angewandte Seelenkunde (vgl. Rosenstock-Huessy 1924), mit geringfügigen Änderungen als »Zusammenfassung des ersten und zweiten Teils« einer »leibhaften Grammatik« in Bd. 1 von Sprache des Menschengeschlechts (Rosenstock-Huessy 1963, 739–809). Wörtlich heißt es da: »Hat denn die Seele eine Grammatik? Nun, da doch das Wort aus der Seele kommt, und das wahrste Wort gerade aus tiefster Seele, da wir die Macht der Sprache gerade aus der Erschütterung der Seele messen, … so wird wohl – so wie der Geist Logik – die Seele ›Wortgefüge‹, und eben das heißt ›Grammatik‹, als Struktur ihres Innern haben. Diese Analogie ist nicht leichthin, sondern in all ihrer nur irgend erfaßbaren Tragweite gemeint. Der programmatische Charakter dieser Schrift kann darum nichts anderes sein als ein grammatischer. … Grammatik [ist] der Schlüssel, der das Schloß der Seele aufschließt. Die Geheimnisse der Sprache muß ergründen, wer die Seele erkunden will.« (Rosenstock-Huessy 1963, 752 f.) 30

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die erste Manifestation des Dialogischen Denkens im 20. Jahrhundert angesehen wird. 31 Rosenzweig hat darauf hingewiesen, dass er bei der Formulierung seines Dialogischen Denkansatzes im Stern der Erlösung (verfasst 1917/1918, veröffentlicht 1921) von Rosenstock nicht nur maßgeblich beeinflusst wurde, sondern ohne seinen Dialog-Partner den »Stern« nie geschrieben hätte (vgl. Rosenzweig 1937, 388). Gegen den vorherrschenden hierarchischen Primat des Denkens gegenüber dem Sprechen stehen im Zentrum des Rosenstock’schen Sprachverständnisses die kontextuellen Größen Zeit und Geschichte. »Die Krise unserer menschlichen Beziehungen« – so Rosenstock dazu wörtlich – »hat mich zu der Forderung gebracht, die Grammatik zum Rang einer Sozialwissenschaft zu erhöhen. Die erhöhte Grammatik muß die Wirklichkeit des Hörens und Sprechens [des Kommunikations-Aktes] wieder einsetzen an Stelle des Wahntraums von sprachlosen Denkern, die ein sprachloses Universum berechenbar machen wollen.« (Rosenstock-Huessy 1963, 436)

Wie Rosenzweig wendet sich auch Rosenstock-Huessy damit gegen das Verständnis der klassischen modernen Sprachphilosophie, die – um »reines Denken« bemüht – von Zeit, Raum und sozialer Kontextualität weitestgehend absieht. Den Menschen hingegen »als nicht nur von geschichtlichen Abläufen dominiertes, sondern vielmehr [als] ein sich durch Sprache konstituierendes Wesen schriftlich niederzulegen, sei eigenen Angaben zufolge Ziel sämtlicher Studien und Lehren seines [Rosenstock-Huessys] Lebens gewesen.« 32 (Heinze 2011, 19) In diesem Sinne sieht Rosenstock-Huessy nicht in der Denk-, sondern in der Hörfähigkeit die primäre Möglichkeitsbedingung des Menschseins, denn »[n]icht denkend, sondern auf den ihm zugerufenen Namen hörend, kommt der Mensch … zum Bewußtsein seiner selbst.« (Richter 2007, 43) Dabei ist nicht nur die Phase des allmählichen Spracherwerbs im (Klein-)Kindesalter gemeint, sondern sämtliche Stadien auf dem menschlichen Lebensweg. »Rosenstock bemängelt«, wie Heinze schreibt (2011, 22), »dass üblicherweise die Evers (1979, 93) verweist auf den Umstand, dass es vor allem Rohrbachs Verdienst ist, die hohe Bedeutung Rosenstock-Huessys für die Genese des Dialogischen Denkens hervorgehoben zu haben (vgl. Rohrbach 1973). 32 Dieses Ansinnen versuchte er schließlich als beinahe Siebzigjähriger im Werk Im Kreuz der Wirklichkeit. Eine nach-goethische Soziologie (vgl. Rosenstock-Huessy 2009) zu realisieren. 31

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Differenzierung respektive Hierarchisierung der Kommunikationselemente aus der Perspektive des Sprechers vorgenommen und im Zuge dessen das Hören vernachlässtigt wird.« Die menschliche Hörfähigkeit korrespondiere dabei derart mit der Antwort-Fähigkeit, dass »[d]er Sprecher … dazu angehalten [sei], selbst auf das zu achten, was durch ihn hindurch spricht, ›[d]enn so wenig die Nahrung im Magen endet, so wenig stirbt das Wort auf den Lippen des Sprechers‹ [RH 147 33], insofern sind Sprecher und Hörer gleichsam parallel in einer Person.« (Heinze 2011, 23; vgl. dazu auch Schinzilarz 2006) Vor diesem Hintergrund thematisiert RosenstockHuessy die Zentralität des Angesprochenwerdens, des Angesprochenwerdens mit dem je eigenen Namen. Rosenstock-Huessy dazu wörtlich: »Im Sprechen kommt es nicht darauf an, was ich mir denke, oder auch nur, was ich sage, sondern darauf kommt es an, wie wir einander gegenseitig anreden. Wir sprechen gar nicht, wie die Semantiker behaupten, um etwas zu verstehen. Wir sprechen, damit der andere sich versteht durch die Art, wie er uns anredet.« (Rosenstock-Huessy 2009, 162)

Anreden heißt nach Rosenstock-Huessy demnach: »ins Leben rufen«; damit möchte er aufzeigen, dass jeder Mensch zuallererst des namentlichen An- und Aufrufs durch die Mitmenschen bedarf, um sich selbst konstituieren zu können. Insofern unterscheidet er nicht nur zwischen verschiedenen menschlichen (An-)Sprechweisen vom namentlichen An- bzw. Aufruf über den gewöhnlichen Sprachgebrauch bis hin zu Gesetzestext und Begriffszerlegung, sondern betont dabei deren hierarchische Gegliedertheit. Werde diese verkehrt, d. h. die sachlich-analytische/objektivierende Sprachdimension in den Vordergrund gerückt, führe dies zu Erkenntnisdefizit und der Gefahr einer ideologischen Instrumentalisierung der Sprache. Mit den Worten Rosenstock-Huessys ausgedrückt: »Die Menschen hören auf zu verstehen und zu sprechen, sobald sie die Reihenfolge NamensAusruf, Singen und Sagen, Sprachgebrauch, Gesetzestext, Begriffszerlegung nicht respektieren. … Wer mit dem Begriff anfangen will, versteht nichts.« (Rosenstock-Huessy 2009, 160; vgl. Heinze 2011, 31 f.) 34

Vgl. Rosenstock-Huessy 2009, 147. Heinze weist darauf hin, dass – nach Rosenstock-Huessy – auch die Sprechakttheorie Austins (selbst in der revidierten Version) diese hierarchische Reihenfolge nicht

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

Nicht zuletzt im wissenschaftlichen Diskurs besteht die Tendenz, die Sprachdimension des Angesprochenwerdens bzw. Ansprechens im persönlichen Gespräch weitgehend auszuklammern und Sprache auf ihren funktionalen Charakter zu reduzieren. Insofern plädiert Rosenstock-Huessy für eine neue »Höhere Grammatik«, die davon ausgeht, das das Ich vor allem »als die Antwort auf einen Anruf, auf die Nennung des Namens« (Schrey 1970, 90) verstanden wird. Damit ist gemeint: Im Zentrum der Grammatik sollten nicht länger Begriffe und Wörter stehen, also Indikative, sondern Vokativ und Imperativ (vgl. dazu auch Mautner 1994, insbs. 33 f. und 57 f.) 35. Dementsprechend differenziert Rosenstock-Huessy (vgl. 2009, 164) zwischen vier aufeinander folgenden Stufen des Sprach-Erlebens: Aufhorchen, Mitteilen, Erzählen, Systematisieren. Diese haben wiederum in verschiedenen Sprachhandlungen (beseelen im Aufhorchen, begeistern im Mitteilen, bekleiden im Feststellen, begreifen im System) ihre adäquate Entsprechung. 36 Diese grundlegend dialogische Struktur des Sprechens gerät nun in dem Maße außer Sicht, als das Objektivierungsvermögen von Sprache ins Zentrum der Betrachtung bzw. von Grammtik rückt; denn »[i]m Sprechen in der beziehungsweise über die 3. Person ist weder der Sprechende noch der Angesprochene emotional involviert, so gedeihen auf diesem neutralen Terrain der sachlichen Mitteilung jenseits des Zwischenmenschlichen keine Beziehungen, lediglich Tatsachen, die Rede wird nüchtern und abstrakt.« (Heinze 2011, 36) einhält, indem dieser »das Lokutionäre, also das Ergebnis in Form nüchterner Sachlagen, an erster Stelle aufführt.« (Heinze 2011, 31) 35 In diesem Sinne ruft Rosenstock-Huessy den Lesern gleichsam zu: »Der Vokativ provoziert das Gespräch. … Der Vokativ besagt: ›Dreh‹ Dich zu mir um; wir wollen mal miteinander reden.‹ So eine Vorladung, Einladung, Aufforderung, Vorstellung setzt Menschen in Bewegung. Die anderen Fälle der Deklination lassen alle Genannten am Platz. Der Vokativ dreht sie aber um! … Der Nominativ deutet nur auf die verschiedenen Dinge, so wie sie stehen oder liegen … Aber der Vokativ gehört in die Konjugation. Der Rufer und der Angerufene werden konjugiert. … So entdecken wir den ersten Grundakt des Erlebens als die Erschütterung eines Menschen dadurch, daß er angesprochen, endlich angesprochen und aufgefordert wird, sich am Gang der Geschichte im eigenen Namen zu beteiligen.« (Rosenstock-Huessy 2009, 163 f.) 36 Dazu führt Heinze aus: »Als Du ist der Mensch Angerufener (Präject – Vorwerfen), der auf den Anruf horcht: ›geh!‹ (Vokativ, Imperativ – Namengebung, Berufung), als Ich begeisternd Antwortender (Subjekt – Unterwerfen): ›ich gehe‹ (Abund Anerkenntnis; Versprechen), als Wir Traject (Durchführen): ›wir sind gegangen‹ (Erzählung, Geschichten, Rechtssprechung), als Es der Beschriebene, Beurteilte (Objekt – Absetzen): ›sie sind gegangen‹ (Begriffe und Definitionen).« (Heinze 2011, 34)

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Grätzel führt schließlich am Beispiel Rosenstock-Huessy aus, dass erst die dialogischen Denker die Kopernikanische Wende des »linguistic turn« (vgl. Kap. B/III/10) vollzogen hätten, wenn er schreibt: »Rosenstock-Huessy wendet sich nicht nur gegen die auf einer falschen Grammatik aufbauenden Sprachtheorien, er legt auch die Fundamente für eine der Sprache und ihrer Dramaturgie angemessene Kommunikationstheorie. Dazu ist zunächst eine grundlegende Wende in der Sprachphilosophie notwendig. Zwar wird seit Richard Rortys Prägung des sogenannten linguistic turns schon von einer solchen Wende im 20. Jahrhundert gesprochen, aber ausschließlich bei Moore, Russell und Wittgenstein gesehen. Dort und bei den Nachfolgern bleibt sie aber genau besehen dem ptolemäischen Weltbild verhaftet, weil der Sprecher der Mittelpunkt der Sprache bleibt. Erst die Herausstellung von Rosenstock-Huessy, dass nicht die Sprache in dem Sprecher steckt, sondern der Sprecher in der Sprache, macht die wahre Wende vom ptolemäischen zum kopernikanischen Sprachbild möglich. Dieser Ansatz ist aber weder von der Sprachphilosophie noch von der Linguistik bisher überhaupt wahrgenommen worden. Vielleicht steckt aber auch Methode dahinter, denn das Ernstnehmen seines Sprachkonzeptes wäre das Ende der analytischen Sprach- und Handlungsphilosophien.« (Grätzel zitiert nach Rosenstock-Huessy 2012, 10 f.)

Die aktuelle Herausforderung besteht nach Rosenstock-Huessy demnach darin, gegen diese »objektivierende« Gestalt von Sprache und Sprechen das Vermögen wieder zu gewinnen, Erlebtes als »dialogische Sprach-Wirklichkeit« und nicht bloß als abstrakte Begrifflichkeit zu erfassen. Kritisch kann zu Rosenstock-Huessy allenfalls angemerkt werden, dass sein apodiktischer Rede- und Schreibstil nicht gerade als dialogisch eingestuft werden kann bzw. dass er zu wenig (bzw. zu wenig explizit) auf die Beantwortung der Frage eingeht, wie die von ihm angemahnte »dialogische Wende« realiter vonstatten gehen kann und nicht bloß kulturkritisches Sprachphilosophem bleibt.

3.e Edith Stein Wie drei der vier oben erwähnten Hauptvertreter des Dialogischen Denkens entstammt auch Edith Stein einem jüdischen Elternhaus. Sie wird am 12. Oktober 1891, an Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungstag, im damals schlesischen Breslau (heute Wroclaw/Polen) als Tochter einer Kaufmannsfamilie geboren. Noch nicht zwei Jahre alt, stirbt der Vater überraschend an einem Hitzschlag. Der Mutter gelingt es, den Holzhandel alleine weiterzuführen und den Kindern eine 425 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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solide Ausbildung zu ermöglichen. So kann Edith das Gymnasium besuchen und studieren; zuerst Lehramtstudien in Breslau, dann Philosophie in Göttingen und Freiburg. 1916 wird sie summa cum laude promoviert. Danach ist sie zwei Jahre Assistentin bei Edmund Husserl (1859–1938), ihrem verehrten Lehrer, Doktorvater und Begründer der Phänomenologie. Ihr viermaliger Versuch sich zu habilitieren scheitert am alleinigen Umstand, dass sie eine Frau ist. 1922 konvertiert sie zur katholischen Kirche und wird Lehrerin in Speyer, schließlich an der Pädogogischen Hochschule in Münster (bis 1933). Daneben hält sie Vorträge zur Frauenfrage und publiziert weiterhin. Bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten quittiert sie ihren Dienst und tritt mit 42 Jahren in den Karmel in Köln ein. Dort vollendet sie ihr philosophisches Hauptwerk Endliches und Ewiges Sein (Stein 1950). 1938 übersiedelt Stein schließlich in den Karmel im niederländischen Echt, um ihre Mitschwestern im Kölner Konvent aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht zu gefährden. Nach der deutschen Besatzung der Niederlande 1940 erneut vom nationalsozialistischen Terrorregime eingeholt, wird Edith Stein mit ihrer Schwester Rosa am 2. August 1942 verhaftet, nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort wenige Tage später, am 9. August, ermordet. Es mag fürs Erste völlig überraschen, wenn Edith Stein, die neben Martin Heidegger als Meisterschülerin von Edmund Husserl gilt, zu den Hauptvertretern des Dialogischen Denkens gerechnet wird. Dies umso mehr, als Stein – wie die meisten Phänomenologen – die zeitgleiche Dialogphilosophie offenkundig überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. So findet sich im gesamten veröffentlichten 2-bändigen Briefkorpus von Stein – selbst im Namensverzeichnis, wo auch alle in den Briefen (bloß) erwähnten Personen aufgelistet sind – nirgendwo auch nur der Name eines der maßgeblichen dialogischen Denker. Der Grund, warum sie dennoch meines Erachtens als Hauptvertretern des Dialogischen Denkens angesehen werden kann, besteht darin, dass Stein – völlig eigenständig – zeitgleich eine (weitgehend unbekannte) »dialogische« Phänomenologie der Person entwickelt. 37

Es gebührt Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz das Verdienst, auf diesen Umstand hingewiesen zu haben. Vgl. dazu ihren Vortrag Vom Werden in Begegnung. Zur sachlichen Beziehung von Edith Stein und Ferdinand Ebner, Innsbruck, 18. März 2014 (IQ: Gerl-Falkovitz 2014). Ich beziehe mich bei den weiteren Ausführungen vor allem auf ihren Vortrag Vom Unglauben über das Denken zum Glauben, gehalten

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Diese soll nun kurz skizziert werden. Dazu erscheint es sinnvoll, ihren dialogischen Grundgedanken vor dem Hintergrund der Genese des phänomenologischen Denkens, in dem Edith Stein gewissermaßen »groß« geworden ist, zu entfalten. Die von Edmund Husserl initiierte Phänomenologie kann als Reaktion auf die Subjektivierung der Erkenntnis im Gefolge Kants verstanden werden, der bekanntlich die unhintergehbare subjektive Bedingtheit menschlicher Erkenntnis aufzeigte, d. h. deutlich machte, dass alle menschliche Erkenntnis durch kulturspezifische bzw. subjektive Vorgaben eingeschränkt ist. Daraus ist zwar nicht zwingend ein radikaler Subjektivismus ableitbar, jedoch ist dieser nicht unnaheliegend. Subjektive Meinung stünde demzufolge gegen subjektive Meinung. Alle menschliche Erkenntnis wäre demnach in einem radikalen Sinn subjektiv bzw. relativ und in diesem Sinne nicht geeignet, Verbindliches über die Wirklichkeit auszusagen; mit dem potenziell (fatalen) Nebeneffekt, dass man – in Ermangelung anderer verbindlicher Erkenntnisgrundlagen – »gesichertes (wissenschaftliches) Wissen« als die eigentliche bzw. einzige verbindliche/verbindende Gestalt menschlicher Erkenntnis anzusehen hätte 38. Ebendies wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts vermehrt mit Hilfe von Kant (jedoch im Grunde gegen seine eigene Intention) ins Treffen geführt, verbunden mit der Schlussfolgerung, dass der Mensch letztlich gar nicht wahrheitsfähig sei, sondern als verbindliche/verbindende Erkenntnis allein »gesichertes Wissen« über notwendige kausale Ablaufsfolgen feststellbar sei (vgl. Kap. B/III/7). Hier setzt nun Husserls Phänomenologie an: Er fragt nicht länger nach den subjektiven Bedingungen bzw. Bedingtheiten von menschlicher Erkenntnis, sondern nach den Phänomenen, d. h. nach dem, was sich allen zeigt. Das dem entsprechende vielzitierte Motto lautet: »Zurück zu den Sachen selbst«! Husserl öffnet damit erneut den Blick auf den Gegenstand, der erscheint, der sich zeigt. Dazu entwickelt er eine spezifische phänomenologische Wahrnehmungsmethode, mit deren Hilfe er seine Schüler dazu hinführen will, »Übersubjektiv-Gültiges« darüber aussagen zu können, was sich da zeigt. Husserl weist

am 10. Mai 2012 im Rahmen eines Edith-Stein-Symposions in Graz (IQ: Gerl-Falkovitz 2012). 38 Vor diesem Hintergrund entstanden nicht zuletzt jene sich szientistisch gebenden pseudowissenschaftlichen Welt-Anschauungen der prägenden politischen Ideologien des 19. bzw. 20. Jahrhunderts (vgl. Küenzlen 1994).

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damit methodisch-formal einen Erkenntnis-Weg, wo nicht (primär) danach gefragt wird, was sich mir zeigt, in meinem eigenen privaten Vollzug, sondern was sich an sich (mir) zeigt, und das möglichst ohne Vorurteile, (so weit wie möglich) ohne Meinungsgehalt, allein im präzisen Hinblick. Edith Stein geht nun (beginnend schon ab 1918) in zunehmendem Maße insofern über Husserl hinaus, als sie die Frage stellt, ob es Phänomene gibt, die möglicherweise sogar in der Lage sind, mein Selbst-, Seins-, Erkenntnis- und Kommunikations-Verständnis – und damit meine Erkenntnis-Methodik als ganze – (be)fragwürdig erscheinen zu lassen. Anders ausgedrückt: Ob es Erlebnisse, Eindrücke, Wahrnehmungen gibt, die an der methodischen Vorgangsweise, Wirklichkeit zu erkennen, rütteln. Noch anders formuliert: Gibt es Sinn-Ereignisse, die nicht nur den Horizont unserer Erkenntnis der Welt erweitern, sondern – viel gravierender – unser Verständnis von Ich-Sein zweifelhaft werden lassen? D. h. Sinn-Ereignisse, die sich gleichsam gegen unser angestammtes modernes Subjekt- (und damit Erkenntnis- bzw. Intentionalitäts-)Verständnis durchsetzen; Sinn-Ereignisse, die nicht mehr vom Ich-Sein aus plausibel verstehbar gemacht werden können, sondern eine »ich-übermächtigende« Größe vorauszusetzen nötigen. In der aktuellen französischen Philosophie wird diese Sichtweise als »Gegenintentionalität« bezeichnet. 39 Demnach ist nicht mehr nur »gesichtertes [wissenschaftliches] Wissen«, d. h. subjektunabhängige, vorhersagbare kausale Ablaufsfolgen, geeignet, das »Prädikat« »übersubjektiv« zu tragen, sondern ebenso Ereignisse, die eine »gegenintentionale Struktur« aufweisen, d. h. ein »Drittes« voraussetzen, das in der Lage ist, Ich und Du zu konstituieren. 40 Mit anderen Worten: Die dialogische Phänomenologie der Gegenintentionalität öffnet ein Bewusstsein dafür, dass die Frage nach der menschlichen Kapazität bzw. nach der menschlichen Erkenntnisund Kommunikations-Verfasserschaft sowie der damit verbundenen Intentionalität – gegenüber dem Phänomen der »Gegenintentionalität« – eine absolut nachgeordnete ist. 41 Als einen der Hauptvertreter nennt Gerl-Falkovitz dabei Jean-Luc Marion. Allein dadurch kann dieses »Dritte« keine primär materiale Grundlage aufweisen. 41 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Mit »Gegenintentionalität« ist nicht jener (ich-immanente) unbewusste Bewusstseinsstrom gemeint, der aller ratio39 40

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

Gerl-Falkovitz nennt nun – exemplifizierend durch Edith Steins Zuneigungs-Erlebnisse mit Roman Ingarden und Hans Lipps – das Phänomen der Liebe als ein solches Sinn-Ereignis, einen solchen Ereignis-Grund, der dem Menschen den (rationalen) Boden unter den Füßen entzieht, uns – in gewisser Hinsicht – in völlige Handlungsohnmacht stürzt. Daraus zieht Stein den Schluss, dass es Erlebnisströme gibt, für die das rational erkennende Subjekt keine Antwort hat; wie etwa eben das Erlebnis der Liebe. 42 Edith Stein zieht aus ihren Erfahrungen die Konsequenz, sich um möglichste Öffnung – nicht zuletzt auch philosophisch – gegenüber dem Erlebnisstrom zu bemühen, »Fensterscheibe« zu werden, Wirklichkeit einströmen zu lassen, also der [überrationalen] Wirklichkeit gegenüber möglichst keine Vorbehalte zu machen; das heißt die Phänomene – welche auch immer – zu ihrer Wirkung kommen zu lassen, also zuzulassen, was sich zeigt. Die Sachen selbst erscheinen – so – nicht länger im Horizont nalen Welterfahrung bzw. -Deutung und Reflexion des Menschen zu Grunde liegt und selbst nie zur Gänze in die Helle des Rationalen gefördert werden kann. Dies ist bekanntlich die große Erkenntnis Freuds: Wir sind letztlich nie ganz bewusster Herr im eigenen Haus auf Grund des »Unbewussten«, das allem Bewussten vorgelagert ist. Für Edith Stein ist schon um 1920 klar, dass es mit Hilfe einer reflexiv-rationalen Analyse der Wirklichkeit prinzipiell unmöglich ist, diesen unbewussten Grund in den Blick zu nehmen, d. h. jene Dimension, über die wir keinerlei direkte Herrschaft haben. Hier stellt sich nun die Frage: Ist dieser Grund irrational (wie Freud dies dachte), was zur konsequenten Folge hat, dass der Mensch prinzipiell Wirklichkeit nicht zu erkennen vermag bzw. als nicht wahrheitsfähig angesehen werden muss; der zu akzeptieren hat, dass all seine Ordnungsschemata nur subjektive bzw. irgendwie brauchbare Konstruktionen sind, die jedoch mit der eigentlichen Realität nichts zu tun haben? Oder ist dieser Grund (wie Edith Stein postuliert) überrational, was mit dem Umstand verbunden ist, dass der Mensch hier als prinzipiell wahrheitsfähig anzusehen ist, dessen rationale »Ordnung der Dinge« eine mehr oder weniger große Annäherung an diesen Grund bedeutet, ja ein Anteilhaben an ihm, ein kommunikatives Verhältnis zu ihm (vgl. Kierkegaards Definition des Menschen »als Verhältnis, dass sich zu sich selbst verhält« in seinem Werk Krankheit zum Tode [Kierkegaard 1985] bzw. das »Zwischen« beim späten Buber oder das »Wort« bei Ebner)? 42 Bei der Bewältigung dieser Heraus-Forderung sehe ich zwei Fehlgestalten: Die eine besteht in der »schizophrenen« Aufsplittung einerseits in die Welt der Rationalität, der Geordnetheit, der planenden Arbeit etc. und andererseits in die Welt der Irrationalität, des Gefühls- bzw. Rauschhaften, des Ungebändigten, des Unbändigbaren. Die zweite Fehlgestalt sehe ich im Versuch, den »Ereignis-Einbruch der Liebe« zu domestizieren, irgendwie doch »in die Hand zu bekommen«, ins Machbare, schließlich ins Manipulierbare zu überführen; ein gutes Beispiel hierfür ist etwa die Gestalt des Johannes des Verführers in Kierkegaards Entweder/Oder.

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einer (wissenschaftlichen) a-subjektiven Objektivität, ebenso wenig im privaten »Interessens-Schema« meines subjektiven Ego, sondern – zumindest der Möglichkeit nach – als überrational fundierte. Edith Stein nennt dies in ihrem bereits 1924 verfassten Aufsatz Natur, Freiheit und Gnade (vgl. Stein 1962a, 1962b) 43 die Möglichkeit der selbstlosen Hingabe an ein Erleben 44, ohne es (aufgrund subjektiver Interessenslagen) abzuwehren. Im genannten Aufsatz skizziert Stein den Menschen nicht mehr primär als aktives, erkennendes Ich, das einfachhin nach der Wirklichkeit greift (und damit begreift bzw. deutet) und diese – in Konsequenz – vom Ich her definiert, also den eigenen Horizont bestimmt und beschreibt, sondern hier wird ein gänzlich anderer Freiheitsbegriff im Kontext des Menschen vorausgesetzt, der das Phänomen der »Gegenintentionalität« zur Grundlage hat (obwohl Stein den Begriff nicht gebraucht). Dabei wird das Verhältnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit – gegenüber der herkömmlichen Sichtweise – völlig umgedreht (vgl. Hamberger 1986, 80–90). Dem bis dato gängigen Verständnis dieses Verhältnisses (im Anschluss an Husserl) zufolge lässt die subjektive Wahrnehmung Wirklichkeit ein (in den jeweiligen Interessens-Grenzen, in denen das verhaltende Bewusstsein das will; vgl. Habermas 1970). Bei Stein ist es nun umgekehrt: Ihr zufolge bemächtigt sich die Wirklichkeit der Wahrnehmung. Diese »Achsendrehung« erscheint jedoch nur sinnvoll, wenn man das Phänomen der Gegenintentionalität voraussetzt, also die Möglichkeit, dass der Grund aller Wirklichkeit nicht Materie bzw. eine Ur-Sache darstellt, von der aus alles weitere notwendig abläuft, sondern selbst intentionalen Charakter hat, also selbst wollensfähig ist. 45 Wie vollzieht sich dies nach Edith Stein? Sie unterscheidet – im Anschluss an Freud – zwischen Psyche (als mehr oder weniger kauDer Aufsatz wurde irrtümlich unter dem Titel: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik veröffentlicht und blieb wohl deshalb lange unbeachtet (vgl. Stein 1962a). 44 Vgl. dazu Hengstenbergs Motiv der Sachlichkeit als Sinnereignis bzw. Liebe als höchste Gestalt der Sachlichkeit (Hengstenberg 1957). 45 Nach Edith Stein besteht demzufolge die Möglichkeit, dass sich die [überrationale, gegenintentionale] Wirklichkeit (auch im Sinne des Wortes bei Ebner, des Gesprächs bei Rosenzweig bzw. des Zwischen beim späten Buber) gegen die subjektiv-beschränkte Wahrnehmung durchsetzt bzw. diese zum »Übersubjektiven« (und damit Intersubjektiv-Verbindlichen bzw. Verbindenden) hin aufbricht. 43

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Hauptvertreter des Dialogischen Denkens

sal-notwendige psychische »interaktionale« Abläufe) und Seele (als die Möglichkeit zu freier Stellungnahme – als der Dimension personaler Innerlichkeit 46). Personale Innerlichkeit – um den Begriff Seele zu vermeiden – ist nach Stein dagegen nicht primär kausal bestimmt, sondern intentional (motivational bzw. im Rahmen der hier verwendeten Terminologie: transkausal); d. h., diese ist nicht von einer Ursache bestimmt, determiniert, sondern von einem Wozu, von einem Motiv, einer Entscheidung. Kurz: hier kann zwischen verschiedenen Zielen gewählt werden, hier ist unverursachte Entscheidung möglich 47, mit einem (Schlag-)Wort: Freiheit. 48 Freiheit bedeutet nach Stein hier nun zweierlei: Zum einen – im Anschluss an Kant – Freiheit zu einer selbstbestimmten Autonomie, also des Bewusstseins, sich zu bestimmten Dingen aus eigenem Entschluss entscheiden zu können, mithin freiheitsfähig zu sein, sich als freiheitsfähig zu erleben. Zum anderen gibt die Husserl-Schülerin zu bedenken, dass diese Selbsthabe (im Sinne subjektiver Entscheidungsfreiheit für sich, also Freiheit von Zwang) noch nicht viel bedeute. Erst durch die »freie Hingabe dieser Freiheit« – als Befreitsein zu etwas bzw. zu jemandem (also motivational bzw. intentional), durch diese »(Wo)Hingabe« – werde ich nach Stein zu mir selbst befreit.Stein will damit zeigen, dass Freiheit in dem Maße, als menschliche Freiheit – wie in der Moderne – primär als Autonomie im Sinne der Freiheit von (Unterdrückung etc.) verstanden wird, nicht weit führt, weil dadurch die Dimension des Anderen völlig aus dem Blick rückt 49. Dies leistet erst ein Konzept wie jenes der »Gegenintentionalität«, das erklären kann, wie der Einzelne durch seine offene Hingabe bzw. hingegebene Offenheit zu seiner eigentlichen Freiheit befreit wird. Vor diesem Hintergrund wird der paradox scheinende Satz von Edith Stein verständlich: »[V]on der Freiheit wird am Ort der Freiheit kein Gebrauch gemacht.« (Stein 1962b, 138)

Vgl. Portmanns Motiv der Innerlichkeit als der Möglichkeit zum Selbstausdruck bzw. das Phänomen der Gestalt als Ausdruck von Innerlichkeit. 47 Auch wenn dieses »Ziel« bloß heißt: »Weg von hier« wie im Falle zuständlicher Langeweile (vgl. Revers 1949, Schörghofer 1993). 48 Vgl. das Motiv der Verhaltensvariabilität beim Lebendigen bei Heitler 1970. 49 In der Moderne prallen die subjektiven Freiheitsinteressen der Einzel- bzw. Kollektiv-Subjekte aufeinander, ohne dass letztlich »gemeinsame Freiheit« in den Blick kommen könnte (vgl. Kap. B/III/4). 46

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Auch dieser Satz ergibt nur Sinn unter Voraussetzung einer Dimension der Gegenintentionalität, einer Dimension des »Zwischen«, die in der Lage ist, mich zu mir selbst zu befreien, indem sie mir das Vermögen der eigenen Hingabe zukommen lässt, das heißt, mich in die Lage versetzt, meinen Interessensschwerpunkt außerhalb von mir selbst zu verorten, kurz: ich-überschreitend zu handeln. In diesem Sinne macht der Mensch Gebrauch von seiner Freiheit, indem er sich auf etwas Anderes (aus)richtet, das heißt, dass er – aus Freiheit – auf seine Möglichkeiten zu egoistischer Freiheit verzichtet, um sich – aus freien Stücken – dem anderen hinzugeben. Insofern schreibt Stein wiederum paradox: »Man müsste frei sein, um befreit sein zu können.« (Stein 1962b, 139) Das heißt, ich gebe nicht nur meine eigene Freiheit hin, sondern jemand nimmt mich auch und befreit mich zu meiner (eigentlichen) Freiheit. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die menschliche Aktivität bei Stein als horchende, gehorchende Aktivität verstanden wird, bereit, den anfordernden Ruf der »Gegenintentionalität« wahrzunehmen und ihn zu erwidern, zu beantworten (vgl. den Primat des Hörens bei Rosenstock-Huessy, Kap. C/V/3d). Das aktive Ich tritt zurück; in den Vordergrund tritt jedoch nicht ein passives Ich, sondern ein empathisches, also ein Ich, das sich geben lassen kann. Das freiheitsfähige Subjekt muss nach Edith Stein demzufolge, um mit seiner Freiheit etwas anfangen zu können, diese – zumindest teilweise – aufgeben bzw. besser: jemandem überantworten; doch dieser Jemand soll – letztlich – kein Mensch sein, der mir meine Verantwortung abnimmt, sondern jene Dimension der Gegenintentionalität (des Wortes, des Gesprächs, des Zwischen), die mir Verantwortung für andere bzw. für anderes zuteilt, zuspricht. Edith Stein in aller Kürze: »Selbsthingabe ist die freieste Tat der Freiheit!« (Stein 1962b, 156) Aber zu dieser Tat gehört der Umstand, dass ich diese Tat nicht allein vollziehe, sondern dass ich diese »freieste Tat der Freiheit« zugleich als ein Handeln an mir wahrnehme, als »Gehandelt-Werden« (vgl. IQ: Gerl-Falkovitz 2012). Stein gebraucht hier die Begriffe »Loslassen« und »Aufgeben«; Gerl-Falkovitz [IQ 2012] sagt hinzu, dass man zeigen sollte, dass Husserl (bzw. ich sage hinzu: die gesamte Moderne bzw. Postmoderne) dies nicht denken kann, da weder hier noch dort 432 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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die Dimension der »Gegenintentionalität« bzw. eines »Zwischen« vorausgesetzt wird, sondern allein Materie als Grund der Wirklichkeit respektive menschlich-subjektive Intentionalität (als Frucht der Evolution). Edith Stein spricht in diesem Zusammenhang vom Spiel zwischen menschlich(-intentional)er Freiheit und (gegenintentionaler) Gnade. Je mehr sich menschliche Freiheit der gegenintentionalen Gnade hingibt, desto mehr wird der Boden bereitet für einen möglichen Neubeginn. 50 Die »befreite Freiheit« entbindet insbesondere vom (lautlosen) Zwang der Selbst-Sicherung. Wichtig ist – um dies noch einmal hervorzuheben –, dass der Mensch nach Stein aus sich alleine dazu nicht imstande ist, sondern der gegenintentionalen Hilfe bedarf. Auch die eigene Hingabe ist in diesem Sinne nicht ein autonomer Akt von uns; dies sei schon eine Form der Selbst-Täuschung. Vielmehr sei der Akt der Freiheit ein Kommunikations-Akt, ein Akt, bei dem der Mensch in Resonanz tritt, er auf ein Gezogen-Werden antwortet. »Im Grunde ist Hingabe« – so Gerl-Falkovitz [IQ 2012] – »ein responsorischer Akt«, mithin ein existentiell kommunikativ-dialogischer Akt; das heißt nicht eine primär aktive Handlung des Menschen, zu der er – auf Grund irgendwelcher Fähigkeiten bzw. Ursächlichkeiten – aus sich selbst in der Lage wäre. Es scheint mir lohnend, dass sich die Kommunikationswissenschaft mit dieser Konzeption der Gegenintentionalität auseinandersetzt. 51 Zusammenfassend kann gesagt werden: Edith Stein hat mit ihrer dialogischen Konzeption der Person nahegelegt, dass nicht das autarke oder autonome Ego im Griff auf Welt hin sich behauptet, sondern dass der Griff auf Welt in das Begreifen meiner selbst umgewandelt werden kann, und zwar von einer »Gegengröße«, die bis dahin in der

Dies kann man völlig religiös orthodox hören und lesen, aber Edith Stein denkt es vor allem philosophisch, indem sie zu zeigen versucht, wie sehr man über den kantischen Freiheitsbegriff der autonomen Selbst-Habe hinausgehen muss, um »befreite Freiheit« des Menschen (die nicht wieder eine andere Form von Zwang bzw. Unterdrückung darstellt) denken zu können. 51 Vor dem Hintergrund dieser Konzeption der »Gegenintentionalität« hat Edith Stein in ihrem Todesjahr auch ihr letztes Werk verfasst: die Kreuzeswissenschaft (1942; vgl. Stein 2003). Darin skizziert sie – im Anschluss an Johannes vom Kreuz – dieses Einbrechen der »Gegenintentionalität« in die menschliche Existenz. Auch dieses Werk lässt sich rein religiös, aber auch genauso primär phänomenologisch lesen. 50

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

Moderne nicht thematisiert war (bedingt durch die Primärsetzung der Materie, von Raum und Zeit bzw. damit verbunden – des autonomen Ich): nämlich jener der »Gegenintentionalität«. Erst durch das Dialogische Denken – so meine Hypothese – kann die Bedeutung dieser Konzeption Steins in vollem Umfang erkannt werden. Denn Stein und Ebner gelangen auf unterschiedlichen Wegen zur selben Erkenntnis: Die Person wird in Begegnung.

4.

Die Aktualität des Dialogischen Denkens für die Kommunikationswissenschaft

Auf die generelle Aktualität des Dialogischen Denkens weist Bernhard Casper (2002, 7) hin, wenn er in der Neuauflage seines 1967 erschienen Werkes Das Dialogische Denken Anfang des 21. Jahrhunderts schreibt: »Wenn ein Werk nach mehr als einem Vierteljahrhundert neu aufgelegt wird, so bedarf dies … eines Grundes. Im Falle des vorliegenden Werkes erscheint dieser dadurch gegeben, dass ›dialogisches Denken‹ einerseits zu einem Jedermannswort geworden ist, einer allzu abgegriffenen Münze, daß andererseits aber die Sache, die sich hinter dem Wort verbirgt, keineswegs eine Sache von gestern geworden ist.«

Beispielhaft macht Casper dies anhand der zunehmenden Beachtung des dialogischen Denkens von Franz Rosenzweig deutlich: »Die Rezeptionsgeschichte insbesondere des Denkens Rosenzweigs 52 hat gezeigt, auf welches Interesse weltweit diese [dialogischen] Ansätze zu einem aus der Begegnung mit dem anderen Menschen als anderen heraus lebenden Denken stoßen … Man braucht hier nur an das Werk von Emmanuel Levinas zu erinnern.« (Casper 2002, 7)

Zwar erscheint es nicht statthaft, allein auf Grund der aktuellen Konjunktur des Begriffs Dialog direkt auch auf eine Aktualität des Dialogischen Denkens zu schließen: Dazu sind die meisten diesbezüglichen Werke doch zu sehr geprägt entweder von einer wechselseitigen Konstitution von Ich und Du, ohne dass die zentrale Dimension des

Vgl. dazu Anckaert und Casper 1995. Casper (2002, 7) weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Else Freund, die erste Interpretin Rosenzweigs (vgl. Freund 1959) und insbesondere Karl Löwith (vgl. Löwith 1942/ 1943, Löwith 1960b) auf die Nähe des frühen Heidegger zu Rosenzweigs Denken aufmerksam machen.

52

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Die Aktualität des Dialogischen Denkens für die Kommunikationswissenschaft

»Zwischen« gebührend beachtet würde, oder von einer rein relationalen Sichtweise, bei der die Subjekte des Dialogs außer Sicht geraten (vgl. Kap. B/III/4). Doch der Umstand, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Neuerscheinungen speziell zu den Hauptvertretern des Dialogischen Denken zu konstatieren sind, lässt sich unzweifelhaft in diese Richtung lesen: So sind etwa allein im deutschsprachigen Raum im Jahre 2013 fünf Monographien zum Denken von Franz Rosenzweig erschienen; daneben finden sich neue Zugänge zum dialogischen Sprachdenken von Eugen Rosenstock-Huessy, etwa Grammatik statt Ontologie: Eugen Rosenstock-Huessys Herausforderung der Philosophie (Schmidt 2011), die Wiederauflage von Ebners Hauptwerk Das Wort und die geistigen Realitäten (Ebner 2009), die erstmalige Edition seines Frühwerks Ethik und Leben (Ebner 2013), die Veröffentlichung seines 1918er Tagesbuches (Ebner 2014) usw. 53 Worin ist nun die spezifische Aktualität des Dialogischen Denkens für die Kommunikationswissenschaft zu erblicken? Der Beantwortung dieser Frage ist das folgende Kapitel gewidmet.

Hier eine kleine Auswahl zu neuerer bzw. neuester Literatur zum Dialogischen Denken: Ebner, Ferdinand: Ethik und Leben. Fragmente einer Metaphysik der individuellen Existenz, hrsg. von Richard Hörmann und Ernst Pavelka, Wien – Berlin 2013; Bidese, Ermenegildo u. a. (Hrsg.): Pneumatologie als Grammatik der Subjektivität: Ferdinand Ebner, Wien – Berlin – Münster 2012; Flatscher, Markus; Hörmann, Richard (Hrsg.): Ferdinand Ebner Tagebuch 1918, Wien – Berlin 2014; Hahn, Frank: Der Sprache vertrauen – der Totalität entsagen. Annäherungen an Franz Rosenzweigs Sprachdenken, Freiburg/Br. 2013; Brasser, Martin (Hrsg.): Dialogphilosophie, Freiburg/Br.- Ausgewählte Texte zu Sprache, Dialog und Übersetzung, hrsg. von Stephan Grätzel, Freiburg/Br. 2013; Ricci-Sindoni, Paola: Franz Rosenzweig: l’altro, il tempo e l’eterno, Roma 2012; Yehoyada, Amir u. a. (Hrsg.): Faith, truth and reason: new perspectives on Franz Rosenzweig’s »Star of redemption«, Freiburg/Br. 2012; Herzfeld, Wolfgang D. (Hrsg.): Feldpostbriefe: die Korrespondenz mit den Eltern (1914–1917) / Franz Rosenzweig, Freiburg-München 2013; Rosenstock-Huessy, Eugen: Die Kopernikanische Wende in der Sprachphilosophie, hrsg. von Stephan Grätzel u. a., Freiburg/Br. 2012; Schmidt, Manfred A.: Grammatik statt Ontologie: Eugen RosenstockHuessys Herausforderung der Philosophie, Freiburg – München 2011; Wojcieszuk, Magdalena: »Der Mensch wird am Du zum Ich«. Eine Auseinandersetzung mit der Dialogphilosophie des XX. Jahrhunderts, Freiburg/Br. 2010. 53

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

5.

Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie des »Zwischen« bzw. des »Pseudo-Zwischen«

Das Dialogische Denken erscheint gegenwärtig für die Kommunikationswissenschaft vor allem dadurch von Bedeutung, dass es die in Kap. C/I skizzierte zentrale fachspezifische Herausforderung »Wie ist Kommunikation möglich?« kommunikationstheoretisch zu meistern hilft. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit der zu entfaltenden Kommunikationstheorie des »Zwischen« bzw. »PseudoZwischen« ist nicht eine Fachtheorie »mittlerer Reichweite« gemeint wie etwa die Konzeption des Agenda-Setting oder des Multi-StepFlow-of-Communication, sondern eine grund-legende Basistheorie menschlicher Kommunikation, die geeignet scheint, jenes mit der Moderne aufkommende »Doppel-Dilemma« zu überwinden, das Pietschmann – wie an anderer Stelle schon zitiert – folgendermaßen beschreibt: »Entweder wir gründen die einfachen Substanzen als Atome (oder Elementarteilchen) in der Materie, dann können wir den Geist nicht finden; oder wir gründen sie als Monaden im Geist, dann können wir Kommunikation nicht verstehen.« (Pietschmann 2009a, 115)

Wird Materie (bzw. Atome/Elementarteilchen) als Grundelement der Wirklichkeit angenommen, so kann zwar »Kommunikation« verstanden und als (naturnotwendig ablaufende) physiko-chemische Wechselwirkung/Interaktion erklärt werden, nicht jedoch Geist. Das heißt: menschliche Kommunikation (und Erkenntnis) kann in diesem Fall letztlich nur als ein Gesamt zwangsläufig sich vollziehender physiko-chemischer Abläufe (und nichts sonst) begriffen werden. Abbildung 61 zeigt noch einmal das damit verbundene Schaubild: Kommunikation materie-analog (Kommunikation lässt sich auf physiko-chemische Interaktionen reduzieren) ICH 1

MATERIE Medium

ICH 2

Problem: Wo ist Geist? Wo sind Freiheitsgrade menschlichen Handelns?

Abbildung 61: Kommunikation materie-analog

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Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie

Wird andererseits Geist (und damit menschliche Individualität) vorausgesetzt, besteht die umgekehrte Schwierigkeit: Kommunikation nicht mehr plausibel machen zu können. Kommunikation geist-analog (Kommunikation lässt sich nicht auf physiko-chemische Interaktionen reduzieren) ICH 1

MATERIE Medium

ICH 2

Problem: Wie ist Kommunikation möglich?

Abbildung 62: Kommunikation geist-analog

Das graphische Schaubild (Abbildung 62) soll die diesbezügliche kommunikationstheoretische Problemstellung noch einmal veranschaulichen: Wie können zwei geistige Individualitäten miteinander in Beziehung treten – jenseits bloßer technischer Verständigung? David Hume versuchte das Problem – wie oben skizziert – dadurch zu »lösen«, indem er postulierte, der Mensch könne ohnedies grundsätzlich keinen Schritt über sich hinaus tun: »We never advance on step beyond ourselves.« (Hume zitiert nach Spaemann 2011, 9) Mit Spaemann (2011, 9) wurde weiters zu zeigen versucht, dass diese Hume’sche Ansicht in der Folge zu einem Leit-Satz neuzeitlichen Denkens über den Menschen als kommunizierendes Wesen wurde, »begleitet« vom Hobbes’schen Erkenntnis-Grundsatz: eine Sache erkennen heiße »to know what we can do with it when we have it.« (Hobbes zit. nach Spaemann 2011, 9) Dadurch wurden die beiden grundsätzlichen Fragen: Wie ist Kommunikation möglich? bzw. Wie ist Erkenntnis möglich? vordergründig zwar beantwortet, Erkenntnis dabei jedoch auf »Know-how« bzw. auf »gesichertes (technisch-handhabbares) Wissen« sowie Kommunikation vor allem auf (technische) Übermittlung von Nachrichten und Informationen bzw. GedankenAustausch reduziert. Dementsprechend wurde/wird gelingende Kommunikation (im weitesten Sinne) zumeist als »technisches« Gelingen von Verständigung bzw. Übermittlung, selten als gelingendes Mit-Sein oder gelingende Gemeinschaft verstanden (vgl. Rombach 1977, Hamberger 2012, 60). In jüngerer Zeit wurde nun offenbar, dass der zum Mainstream gewordene Hume’sche Gedanke kommunikationstheoretisch in ein Dilemma bzw. eine negative Aporie führt, weil in diesem Fall »sowohl 437 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

die eigene Absolutsetzung als auch die Anerkennung durch den Anderen unverzichtbar sind« (Rothe 2006, 4), d. h. die »Absolutsetzung [des Subjekts] die Kommunikation unausweichlich inkongruent [macht].« (Rothe 2006, 235) Kommunikationswissenschaftliche Aktualität erhält dieses kommunikationstheoretische Dilemma durch den Sachverhalt des vermehrten Auftauchens lebenspraktischer pathologischer Gestalten von Kommunikation in den verschiedensten Kontexten. Für diese gegenwärtige kommunikationswissenschaftliche Kernherausforderung bietet das Dialogische Denken nun einen Lösungsansatz. Im Folgenden sollen die damit verbundenen wesentlichen Elemente skizziert werden. Da ist als ein erstes Element die Reprimatisierung des Geistes gegenüber der Materie zu nennen. 54 Damit befinden sich die Vertreter des Dialogischen Denkens zwar im Gegensatz zu manchen – um nicht zu sagen – zahlreichen zeitprägenden Denkern der neuzeitlichen Moderne bzw. aktuellen postmodernen Geistesströmungen, jedoch im Einklang mit den großen Überlieferungen vormoderner bzw. außerabendländischer Philosophien bzw. Weisheitslehren. Wie oben schon gezeigt wurde (vgl. Kap. C/IV/3&4), geht mit dem Primat des Geistes bzw. des Lebens (gegenüber der Materie) stets eine aporetische Struktur einher. Dies wurde indirekt deutlich, als mit Rothe (2006, 4) die negative Aporie aufgezeigt wurde, dass im Fall des »autonomen Subjekts« sowohl die eigene Absolutsetzung als auch die Anerkennung durch den Anderen unverzichtbar sind. Im Kontext des Dialogischen Denkens kann darüber hinaus – als weiteres spezifisches Element – eine positive Aporie in Gestalt der wechselseitigen Ergänzung von Ich und Du/Wir – auf der Basis geschehender (transkausaler) Sprachlichkeit – veranschlagt werden. Damit ist nun eine Überschreitung jenes »universalen Kausalstils« (Stephan Grätzel) verbunden, also dessen, was Pietschmann den »Denkrahmen der Moderne« nennt. Auf diese »Reprimatisierung des Geistes« verweisen gerade in jüngster Zeit – insbesondere im Zusammenhang mit naturwissenschaftlicher Forschung – eine wachsende Zahl von Autoren und Autorinnen. Aus einer Fülle an diesbezüglicher Literatur sei verwiesen auf: Knaup 2012; Knaup/Müller/Spät 2011; Pietschmann 2013; Nagel 2012. All diese Personen eint die Ansicht, dass sich menschlicher Geist, Bewusstsein, Denken, Kommunikation, wertgeleitetes Handeln prinzipiell nicht auf naturnotwendige Prozesse bzw. physiko-chemische Ablaufsfolgen reduzieren lässt.

54

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Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie

In diesem Zusammenhang wird nun explizit deutlich, wie sehr das Dialogische Denken imstande ist, jenes widerspruchsfreie Systemdenken der Moderne, von dem nicht nur die neuzeitliche Wissenschaft, sondern auch die Philosophie der Neuzeit geprägt ist (vgl. Kap. B/I/4a), hin zu einem »Neuen Denken« (Rosenzweig) zu überschreiten. 55 Oder anders formuliert: Dadurch wird eine grundsätzliche Relativierung (widerspruchsfreien) »wissenschaftlichen Wissens« gegenüber anderen (aporetischen) Weisen menschlicher Erkenntnis strukturell möglich, die solange nicht statthaben kann, als man davon ausgeht, dass – wie Grätzel (1997, 89) anmerkt – »alles im Stil der wissenschaftlichen Kausalität zusammengehört, [denn] dann kann auf Erfahrung und Wahrnehmung verzichtet werden, … [wodurch] ganze Welten aus dem Gesichtskreis der Forschung [verschwinden].« 56 Casper (1967, 354) drückt diesen Zusammenhang – insbesondere mit Blick auf Rosenzweig – so aus: »Sein wird [im Kontext des Dialogischen Denkens] zuäußerst nicht mehr nur verstanden als das zeitlos vorhandene und verfügbare, welches Verständnis von Sein den Boden für die neuzeitlich mathematisch-physikalische Naturerfassung abgab und die technische Zivilisation ausbildete. Sondern [menschliches] Sein wird zuäußerst verstanden als das der Zeit und des Anderen, der ist wie ich, bedürfende. … Dieses neue SeinsverständHahn bemerkt dazu mit Bezug auf Rosenzweig: »Rosenzweig hat auf seine Weise den lebensfeindlichen und weltabgewandten Charakter von [widerspruchsfreien] Weltanschauungen benannt, indem er das eingängige Bild vom Stau des Lebensstromes geprägt hat. … In der Weltanschauung … werde das Flussbett zur Schale, ›die der Betrachter mehr oder weniger gefüllt heraushebt aus jenem Strom, um sie in Ruhe staunend zu betrachten. …‹ Wer meint, die Welt anzuschauen, blickt in Wirklichkeit gebannt auf eine Schale – er versucht, etwas fest-zustellen, das sich im ungehemmten Fluss … des wirklichen Lebens jeder Fest-stellung entzieht. … Die Staustufe ist [dabei] nur ein anderes Wort für die Totalität der äußeren Form (der Schale), in welche die unüberschaubare – also nicht anschaubare – Vielzahl an Dingen und ›Weltteilen‹ gezwängt werden soll. Wer sich der [widerspruchsfreien] Totalität der Schale nicht fügen mag, wird ausgeschlossen, – er gehört und passt nicht dazu.« (Hahn 2013, 13 f.) 56 Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang das nachfolgende Zitat von Keiji Nishitani; der japanische Philosoph schreibt dazu (Nishitani 1982, 99): »Wissenschaft besteht nicht losgelöst von denen, die sich mit ihr befassen. Überdies stellt das ›Wissen‹ in ›Wissenschaft‹ nur eine Art menschlichen Wissens dar. Als Mensch ist der Wissenschaftler zum Beispiel wie jeder andere mit dem nihilum konfrontiert; womöglich zweifelt er am Sinn seiner eigenen Existenz wie an dem der Existenz aller anderen Dinge. Die Dimension, in der ein solcher Zweifel sich erhebt, die Dimension, in der vielleicht eine Antwort auf diesen Zweifel möglich ist, übersteigt den Bereich dieser Art von [wissenschaftlichem] Wissen bei weitem. Es ist dies eine Dimension, die sich im Grund der menschlichen Existenz selbst eröffnet.« 55

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

nis schließt – ausdrücklich allerdings nur bei Rosenzweig – das alte, zeitlose, den Boden der mathematisch-physikalischen Naturwissenschaften bildende Seinsverständnis mit ein. Es negiert die Größe dieses spätabendländischneuzeitlichen nicht, sondern erweist sich ihm gegenüber nur als die noch größere, umfassendere Wahrheit, die jenes Seinsverständnis, das die technische Zivilisation ausbildete, durchaus in sich enthält.« (Vgl. dazu auch Casper 1967, 364)

Schematisch lässt sich der Zusammenhang wie in Abbildung 63 darstellen:

Zahl/ Mathematik Kausalität Logik Wort/Sprache Transkausalität Dialog

Abbildung 63: Hierarchisches Verhältnis Wort/Sprache bzw. Zahl/Mathematik

Mit Hilfe der Graphik soll veranschaulicht werden, dass im Kontext Dialogischen Denkens (ganz explizit bei Rosenzweig und Ebner) Sein als sich ereignende Sprache verstanden wird. Zudem soll dadurch aufgewiesen werden, dass jenes (widerspruchsfreie) Seinsverständnis, das in der Neuzeit das europäische Denken weitgehend beherrscht hat, durch das Dialogische Denken nicht negiert, sondern relativiert, relationalisiert bzw. kontextualisiert wird (vgl. Casper 1967, 354). Der zentrale Impuls des Dialogischen Denkens, insbesondere für die Kommunikationswissenschaft, ist schließlich in der postulierten Primatisierung eines »Zwischen« – als eines »geistigen Dritten« – zu sehen, das Ich und Du nicht nur verbindet, sondern erst als Ich und Du konstituiert. 57 Auf diesen Umstand verweist Böning (2003, 5) wie folgt: Dieses Ich und Du verbindende, ja konstituierende (geistige) »Dritte« trägt bei den Hauptvertretern des Dialogischen Denkens wie erwähnt unterschiedliche Bezeichnungen. Rosenzweig nennt es »Gespräch«, Ebner »Wort«, (der späte) Buber »Zwischen« (vgl. Roth/Schäfer 2014). Dieses Postulat bildet den eigentlichen Grund, warum das Dialogische Denken nicht nur als eine Spezialvariante des linguistic turn

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Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie

»[I]mmer brauche ich ein dem Ich und dem Du vorausgesetztes allgemein-, das heißt gleich-gültiges [geistiges] Drittes, dem sich beide unterordnen, damit ich dem Dilemma entkommen kann, daß ich das Du nur vermöge meiner eigenen Deutungsleistungen zu verstehen vermag. Gibt es [solch] ein gegebenes Drittes … dann darf das Ich davon ausgehen, daß seine [des Ich] Deutungsleistungen dem Du adäquat sind, dann darf es behaupten, daß es ihm mit diesem ›selbsthaften‹ Verstehen keine Gewalt antut, weil dann das begegnende Du nicht radikal, sondern nur relativ anders oder fremd ist, so daß ihm keine Anderheit (alterité, Alterität), sondern nur Andersheit zukommt.«

Auf die unverzichtbare Bedeutung eben dieses verbindenden »Dritten« verweist auch Cattepoel (2005, 55) in seiner Schrift Sören Kierkegaard als Kommunikationsanalytiker und Sozialkritiker, wenn er schreibt: »Die beiden primären Teile müssen Gegensätze sein, sonst könnten sie nicht vereinigt werden, sondern wären schon vereinigt. Diese Gegensätze können sich nicht unmittelbar miteinander vereinigen, denn nähme der eine den anderen in sich auf, so wären sie von vornherein keine Gegensätze gewesen. Um sich als Gegensätze zu vereinigen, müssen sie sich also in einem Dritten vereinigen. Dieses Dritte darf seinerseits nicht von dem einen oder anderen der ursprünglichen Elemente abgeleitet sein, denn sonst vereinigte es zwar etwas, aber keine Gegensätze. Das Dritte muß also ebenfalls einen Gegensatz bilden zu jedem der beiden ursprünglichen Elemente. Andererseits darf das Dritte auch nicht gleichgültig sein gegen die beiden primären Teile, denn sonst könnten sie sich nicht in ihm vereinigen. Dieses spannungsreiche Verhältnis der drei Elemente einer existenziellen Synthese kann man sich nur vorstellen, wenn das Dritte, in dem sich die beiden ursprünglichen Gegensätze vereinigen, immer nur im Vollzug dieser Vereinigung entsteht und nicht außerhalb bestehen kann, und wenn auch die beiden primären Teile nur dann als Gegensätze faßbar werden und existieren, wenn sie in der Synthese zusammengefaßt sind.«

In Bezug auf die dialogischen Denker schreibt Casper dazu generell: »[D]ieses Seinsverständnis [des Dialogischen Denkens] ist neu gegenüber dem Seinsverständnis, das sich als das selbstverständliche bei Descartes zeigte und das in Hegels System zu einer unüberbietbaren Höhe gediehen war. Sein wird nicht mehr nur verstanden als der absolute Binnenraum des sich selbst hellen Geistes. Sondern es zeigt sich als das sich je neu im Zwi-

anzusehen ist, wo primär die sprachliche Bedingtheit/Begrenztheit menschlicher Erkenntnis in den Blick rückt (vgl. Kap. B/III/10).

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

schen Ereignende, das in der je neu sich ereignenden Sprache zwischen Menschen hell wird und zum Ausdruck kommt.« (Casper 1967, 354) 58

Ebner, um einen dialogischen Denker hier explizit erwähnen, versucht etwa, dieses – in der erkenntnisstrukturell materieorientieren Moderne weithin unbeachtete – geistige »Zwischen« wieder zu etablieren, in dem er den Menschen weder vom Du noch vom Ich her zu verstehen trachtet (auch nicht wechselseitig, wie dies Buber in Ich und Du vornimmt), sondern vom Wort her. In radikalem Unterschied zur gängigen Sichtweise im Gefolge von Descartes begreift Ebner menschliche Geistigkeit nicht von der individuellen Geistigkeit des Einzelnen aus, sondern vom (Ich und Du verbindenden) Wort. Wort versteht Ebner dabei – gegen die fast gesamte Denktradition der abendländischen Moderne – gerade nicht primär (technisch-)funktional, als Mittel (zum Zweck) der zwischenmenschlichen Verständigung bzw. des Nachrichtenaustauschs, sondern existenzial, als jenen (raum- und zeitmächtigen) Seins-, Sinn- und Wirklichkeitsgrund, der Ich und Du konstituiert bzw. eigentliche Kommunikation erst ermöglicht und Gemeinschaft stiftet. Im Grundgedanken Ebners liest sich das – wie erwähnt – so: Das Geistige des Menschen ist »wesentlich dadurch bestimmt, dass es von Grund aus angelegt ist auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es und in dem es existiert. … Wenn wir nun, um ein Wort dafür zu haben, dieses Geistige im Menschen Ich nennen, das [Geistige] außer ihm aber, zu dem im Verhältnis das ›Ich‹ existiert, Du, so haben wir zu bedenken, dass dieses Ich und dieses Du uns eben durch das Wort und in ihm [dem Wort] in seiner ›Innerlichkeit‹ gegeben sind«. (Ebner 1963a, 80 f.)

Dass auch diesbezüglich eine verblüffende Nähe zum japanischen bzw. ostasiatischen Denken besteht, wird beispielhaft deutlich, wenn Das von Casper thematisierte Neue des Dialogischen Denkens zeigt sich auch in Gestalt einer damit verbundenen erneuten Öffnung gegenüber der – in Moderne und Postmoderne ausgeblendeten – Dimension der Offenbarung. Wörtlich bemerkt er dazu: »Innerhalb des neuen Verstehenshorizonts von Sein öffnet sich aber nun auch … ein neuer Zugang zu dem Verständnis von Offenbarung. Denn in der je neuen Zeitigung des Seins zwischen mir und dem Anderen kommt, insofern sich Sein je wieder als dieselbe Gabe erweist, ins Spiel, was als solches freilich ›außerhalb des Systems‹ bleibt, aber sich in dem je neuen Gewähren des Zwischen zeigt.« (Casper 1967, 356) Anders ausgedrückt: Die dialogischen Denker, allen voran Rosenzweig und Ebner, verstehen das (transkausale) zwischenmenschliche Sprach- bzw. Kommunikations-Ereignis vor dem Hintergrund des sich offenbarenden Seins (vgl. Casper 1967, 367 f.).

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Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie

es bei Ryogy Okochi heißt: »Der Japaner sieht den Ort, wo das Wesen des Menschen sich zeigt, nicht als den Ich-Punkt, den KörperOrt, sondern als das Dasein in der Gestalt von Zwischenraum zwischen den Menschen.« (Ryogy Okochi zitiert nach Pietschmann 2013, 168) Das japanische Denken begreift den Menschen also weder als »autonomes Subjekt« noch als »ichlosen Mechanismus« sondern in seiner Zwischenhaftigkeit. Dadurch erscheint es prädestinierter als das abendländische, insbesondere neuzeitlich-moderne Denken, die Bedeutung eines »existenziellen Zwischen« der Dialogphilosophien eines Ebner, Rosenzweig oder – mit Abstrichen – (späten) Buber zu erfassen. In dem Maße, als dieses verbindende geistige »Dritte« – wie in der abendländischen Moderne – jedoch für tot (Nietzsche), erst evolutiv-werdend (Hegel) bzw. nicht existent (Physikalisten) erklärt wird, hat dies – um noch einmal Böning zu zitieren – mindestens dreierlei zur Folge: »1. daß Ich und Du radikal getrennt und d. h. einander fremd sind; 2. daß sich diese Fremdheit nur scheinhaft und mit Gewalt überwinden läßt; 3. daß die mit den Trennungen verbundene Pluralität nicht auf das Zerbrechen einer vorab bestehenden, mithin wieder herzustellenden Identität zurückgeführt werden kann.« (Böning 2003, 5) Anders ausgedrückt: Fehlt dieses geistige »Zwischen«, gerät der Mensch nach Ansicht der Hauptvertreter des Dialogischen Denkens unweigerlich unter überfordernden »Gottwerdungsdruck« (Odo Marquard), weil er nun – aus sich – all jenes zu leisten bzw. zu produzieren genötigt ist, was das Leben lebenswert macht: Liebe, Freundschaft, Treue, Freude, Glück, Offenheit, Verzeihen und anderes mehr. Als es in der neuzeitlichen Moderne zum einen zur Ausbildung des sogenannten »autonomen Subjekts« kam, zum anderen Materie als das eigentlich grundlegende Element der Wirklichkeit angesehen wurde (vgl. Pietschmann 2005a bzw. Hamberger 2011a), wurde Sprache – zumindest tendenziell – als »funktionales Medium« begriffen, als Hilfs-Mittel zur Verständigung zwischen verschiedenen Subjekten, jedenfalls als et-Was, das Ich und Du nachgeordnet ist. Im Hinblick auf das Wort – nun primär verstanden als sprachlicher Ausdruck menschlicher Rede – rückte so der technische Aspekt der Übermittlung, der Perfektionierung des Nachrichtenaustauschs zunehmend ins Zentrum der Betrachtung, gefolgt von der Frage nach 443 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

Möglichkeiten der Beschleunigung des Informations-Transfers. Hermann Lübbe weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Dynamisierung der modernen Lebenswelt vor allem mit der Entkopplung der Verkehrs- von den Informationsnetzen im 19. Jahrhundert einhergeht. 59 Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich die Kommunikationswissenschaft lange Zeit fast ausschließlich mit dem Aspekt der Übermittlung von Nachrichten bzw. Botschaften mit Hilfe moderner Massenmedien sowie mit der Frage der Beeinflussbarkeit des modernen Massenmenschen mit Hilfe von Massenkommunikationsmitteln (vgl. Kunczik 2010). Eine dialogische Kommunikationstheorie des »Zwischen« (bzw. »Pseudo-Zwischen«) soll den aktuellen kommunikationstheoretischen status quo nun insofern erweitern, als einerseits aufgewiesen wird, dass es sich im Falle menschlicher Kommunikation um keinen notwendigen (d. h. rein interaktionalen) Prozess handelt, sondern um ein aporetisches Geschehen, das mit Handlungsvariabilität verbunden ist, zum anderen, dass sowohl positives menschliches In-Beziehungs-Treten/In-Beziehung-Sein bzw. negative Beziehungs-Gestalten sich stets vor dem Hintergrund eines »Dritten« vollziehen. Dem wäre insofern Rechnung zu tragen, dass eine solche Kommunikationstheorie nicht nur die aporetische Spannung bzw. das Schema Ich – ZWISCHEN – Du zu veranschlagen hätte, sondern ebenso die zerraporetische »Schattenstruktur« EGO – Pseudo-Zwischen – Pseudo-Du. Als HX-Schema dargestellt: ICH

ZWISCHEN

EGO

»Pseudo«-Zwischen

X

DU

»Pseudo«-Du

Abbildung 64: HX-Schema Zwischen/Pseudo-Zwischen

Ein viertes wesentliches Element einer auf Dialogischem Denken basierenden Kommunikationstheorie bildet schließlich der Aspekt, den Anderen als Anderen theoretisch in den Blick nehmen zu können.

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Vgl. dazu dessen Werk Die Zivilisationsökumene (Lübbe 2005).

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Dialogisches Denken als Kommunikationstheorie

Das heißt, nicht nur in der Lage zu sein, ich-überschreitendes Handeln zu erklären, sondern – damit verbunden – die Wahrnehmungsfähigkeit eines Du bzw. das Empfangen von Sinnhaftem, das von außen auf mich zukommt (auch gedanklich bzw. konzeptiv) nachvollziehen zu können. Demnach müsste nicht länger konstatiert werden, dass es dem Menschen unmöglich sei, einen Erkenntnis- bzw. Kommunikationsschritt über sich hinaus zu tun, sondern – au contraire – um die Einsicht, dass sich, entgegen postmodern-säkularer Erkenntnis- und Kommunikationstheorien, Verbindlich-Verbindendes erkennen lässt, weil »es« sich zu erkennen gibt. Insofern handelt es sich um eine geradezu umgekehrte Fassungslosigkeit wie bei jener um 1900, als sich im Zuge der Etablierung von Psychoanalyse, Quantentheorie u. a. unverrückbar-gewiss Scheinendes als prinzipiell unwissbar herausstellte. Jean-Luc Marion verwendet diesbezüglich den Topos des SinnEreignisses 60. In dem er »vom Sinnereignis als jenem Einbruch in das intentionale gegenstandsbezogene Bewusstsein – wie von Husserl entwickelt – als ›Gegenintentionalität‹ [spricht]« (Gerl-Falkovitz 2007, 207), rückt er damit eine dialogphilosophische Deutung menschlicher Kommunikationsvollzüge in den Mittelpunkt. Dies deshalb, weil er Sinn nicht – vom Ich aus – als etwas Kausal-Herleitbares bzw. Machbares versteht, das dem intentionalen Bewusstsein entspringt, sondern als Unerwartetes, ja mitunter Verstörend-Neues. In diesem Zusammenhang kritisiert Marion Husserls Konzeption der Intentionalität als eine ich-immanente. Warum? Weil eine vom Ich ausgehende (und letztlich bei diesem verbleibende) »BlickRichtung« sein Gegenüber als idolisierten Gegenstand konstruiert, ohne darin – wie Gerl-Falkovitz präzise bemerkt – »die Eigenspiegelung (Reflexion) durch das Idolisierte zu erkennen.« (Gerl-Falkovitz 2005, 207) Ein solcher rein ich-immanent-konstruktivistischer Blick fixiert und erschöpft sich nach Marion im Erblickbaren. Ich sehe, was ich (im anderen) sehen will. Allgemein ausgedrückt: Der Mensch erschafft sich seine Idole, seine »Götzenbilder«, indem er keinen Schritt über sich hinaus vollzieht und so das nicht-ichhafte Erblickbare fixiert, Vgl. zur aktuellen Phänomenologie in Frankreich generell Gondek/Tengelyi 2011; zu den bedeutendsten Vertretern werden neben Jean-Luc Marion vor allem Michel Henry und Marc Richir gezählt.

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V. Etablierung kommunikationstheoretischer Impulse

»wobei die [Ich-]Starre des Blicks … zur (unerkannten) Starrheit des Idols führt [, … als dem] Göttliche[n] nach dem Maß des menschlichen Blicks«. (Gerl-Falkovitz 2005, 207) Marion legt damit die Auffassung nahe, dass das Sichtbare bzw. Reale sich erst da zeigt, wo die Ab-Sicht aufhört, d. h. im absichtslosen Sehen. Denn das Sinnereignis bzw. der Kommunikations-Akt wird hier nicht (primär) verstanden als konstruiert, sondern als empfangen; empfangen von einem Anderen, »das« mir entgegen kommt, gleichsam von einem »Entgegenüber«; oder in der oben gebrauchten Terminologie formuliert: als »Gegenintentionalität«. Mit den Worten von Marion ausgedrückt: »Das Wesentliche in ihm [dem Blick] kommt ihm von anderswoher zu, oder vielmehr: kommt ihm als dieses Anderswo zu.« (Marion 1981, 128) 61 Dies bedeutet: Der Andere ist insofern immer mehr als ich (von ihm) erblicke; er ist immer zugleich auch Bild der Verheißung, Verweis auf (noch) Unerblicktes, noch Unerblickbares. Solche Erfahrungen kommen – um ein Bild von Ferdinand Ebner zu verwenden – dem unausdenkbaren Ereignis des Einsturzes der »Chinesischen Mauer« gleich, die Ich und Ich prinzipiell voneinander zu trennen scheint – was die wechselseitige Erkennbarkeit bzw. wahre ich-übersteigende Kommunikation anbelangt. 62 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch nachfolgendes Zitat von Ebner lesen, der – ausgehend von der sprachlichen Wendung »es gibt« – darzulegen sucht, dass nicht nur der Andere, sondern das Sein an sich »Gabe« ist. Wörtlich heißt es da: »Das Verbum ›geben‹ hat in seinem personalen Gebrauch, der die Regel und das Gewöhnliche ist – z. B. das Kind gibt mir seine Puppe – einen ohne weiteres verständlichen Sinn. Wie aber kommt es zu seinem unpersönlichen Gebrauch in Existentialbehauptungen? In Wendungen wie ›Es gibt einen Gott‹ oder ›Es gibt ein Wiedersehen‹ usw., die die Umschreibung von Ist-Sätzen sind. Sage ich: Das Kind gibt mir seine Puppe, so ist da die Rede von einer Tätigkeit, durch die etwas zu einer Gabe gemacht wird, von einem Geben, das von einem Geber ausgeht. Wenn ich aber sage: heuer gibt es viel Obst, wird auch da durch eine Tätigkeit etwas, das Obst, zu einer Gabe gemacht, ist auch da die Rede von einem Geber? In gewissem Sinne: die Natur selbst und ihr Walten ist die Tätigkeit, durch die uns das Obst ›gegeben‹ ist, sie ist der ›Geber‹. Die Umschreibung der Existentialbehauptung eines Ist-Satzes durch das ›Es gibt‹ ist nicht ohne tiefen Sinn. In ihr wird alles als Gabe, d. h. im letzten Grunde als Gnade begriffen.« (Ebner zitiert nach Wucherer-Huldenfeld 1985, 252; vgl. dazu auch Casper 2002, 210 f.) 62 Hans Müller-Eckhard verweist aufgrund von Patientenerfahrungen aus seiner psychotherapeutischen Praxis dabei schon in den 1960er Jahren auf den Umstand, dass solche Sinn-Erlebnisse, ja geradezu Sinn-Einbrüche vielfach im Widerspruch zu unserer rationalisierten bzw. technisierten Kultur empfunden werden. Wörtlich schreibt er dazu: »Durch die Intellektualisierung des gegenwärtigen Lebens, die intellektuelle 61

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VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft oder Auf dem Weg zu einem erweiterten Fachverständnis

Einleitend wurde festgestellt, dass die Kommunikationswissenschaft auch ca. 100 Jahre nach Gründung des ersten Instituts für Zeitungskunde 1916 in Leipzig gegenwärtig – noch immer – nach einem gemeinsamen Fachverständnis sucht. Zwar besteht aktuell ein weitgehender impliziter Konsens hinsichtlich der empirisch-analytischen Ausrichtung des Faches, nachdem sich diese erkenntnistheoretische Richtung im Zuge der »empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende« (Löblich 2010) an unterschiedlichen kommunikationswissenschaftlichen Standorten durchgesetzt hat; doch daraus resultierte gerade kein explizites disziplinspezifisches Fachverständnis. Nach Löblich (2010, 311) ist vielmehr gegenwärtig eine Tendenz zu bemerken, dass, nachdem manchen Autoren die normativ orientierte »geisteswissenschaftliche Publizistik und Zeitungswissenschaft wie ein ›enges Korsett‹ vorgekommen [ist], … [das] Ergebnis der [empirisch-sozialwissenschaftlichen] Wende … wieder aus einem Korsett, vor allem in methodologischer Hinsicht [bestand].« (Ebd., 311) Wenn schließlich die Autorin darüber hinaus bemerkt: »Nach der Umorientierung waren naturwissenschaftliche analytisch-quantitative Verfahren fraglos das [kommunikationswissenschaftliche Erkenntnis-]Leitbild geworden, historische und andere geisteswissenschaftliche Ansätze wurden an den Rand gedrängt« (ebd., 311), so lässt sich nun – nach unserem Denkweg durch die Erkenntnis-, WisPräjudizierung alles Denkens und Fühlens wird eine Kundgabe der Tiefe als Zumutung empfunden; will man sie ernst nehmen, … dann ist das zunächst nicht ohne Widerspruch des Verstandes möglich.« (Müller-Eckhard 1964, 63) Dass solche SinnEreignisse auch verdrängt, unterdrückt bzw. nicht zur (Er-)Kenntnis genommen werden können, macht Sören Kierkegaard am Ende des 1. Bandes seines Werkes Entweder/Oder im Tagebuch des Verführers deutlich, wo es dem Protagonisten Johannes gelingt, ein völlig unerwartetes »Du-Ereignis« in Gestalt eines faszinierendes Subjekts peu à peu »erfolgreich« in ein »Pseudo-Du«, d. h. ein »Objekt für mich« zu verwandeln (vgl. Kierkegaard 1988, 351–521).

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VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft

senschafts- und Kommunikationsgeschichte – das methodologisch »enge Korsett« der empirisch-analytisch orientierten Kommunikationswissenschaft mit dem gleichsetzen, was Pietschmann als »Denkrahmen der Moderne« beschrieben hat. Indem jedoch durch die Quantentheorie offenkundig wurde (vgl. Kap. C/III), dass dieser Denkrahmen nicht einmal ausreichend ist, um Materie vollständig zu beschreiben, erweisen sich dessen prinzipielle Grenzen erst recht bei der Beschreibung des Lebendigen bzw. Humanen, d. h. im Falle von menschlicher Kommunikation und Erkenntnis. Gemäß dem klassischen Erkenntnisgrundsatz, dass der Gegenstand die Methode(n) bestimmt (und nicht umgekehrt), gilt es – gerade methodologisch – der aporetischen Struktur des Phänomens Kommunikation Rechnung zu tragen (vgl. Kap. C/IV/3) und von da aus zu versuchen, die Kommunikationswissenschaft im »Wissenschafts-Orchester« zu verorten. Damit lässt sich nun zumindest die Suchrichtung angeben. Nach dem Ausgeführten könnte die Kernaufgabe einer Kommunikationswissenschaft der Zukunft in ihrer Rolle als Integrationsdisziplin (vgl. Karmasin/Rath/Thomaß 2014) im Hinblick auf die fächerübergreifende Vielfalt von (ihrer Struktur nach aporetischen) Kommunikationsphänomenen des Human-Geistigen (bzw. generell: des Lebendigen) bestehen. Integration dabei nicht nur verstanden als Brücke zwischen Disziplinen, sondern auch zwischen unterschiedlichen kulturspezifischen (und damit) kommunikationswissenschaftlichen Zugängen (vgl. Le Saux 1968). Hier tauchen Herausforderungen auf, die durch eine – am Gegenstandsbereich Materie bzw. am Denkrahmen der Moderne orientierte – (Natur-)Wissenschaftlichkeit prinzipiell nicht in den Blick kommt. Ein Beispiel: Stefanie Averbeck-Lietz (2010, 13 f.) macht darauf aufmerksam, dass die renommierte französische Kommunikationswissenschaftlerin Anne-Marie Laulan die fehlende weltweite Grenzüberschreitung von theoretischem Wissen in ihrem Fach beklagt, insbesondere das Fehlen einer gemeinsamen Entwicklung von transkulturellen Forschungsansätzen und Theorien auf einer internationalen Ebene. Zentrale Fragestellungen des Faches wären demzufolge: Inwiefern differiert das Verständnis von Kommunikation je nach Geisteskultur? (Vgl. dazu Wang 2013) Was kennzeichnet menschliche Kommunikation im Unterschied zu Bio-Kommunikation (beim Nicht448 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft

Menschlich-Lebendigen) sowie insbesondere in Abgrenzung gegenüber (physiko-chemischer) Interaktion? Vor allem: Wie ist Kommunikation überhaupt möglich? (Vgl. C/I bzw. Krallmann und Ziemann 2001, 17) All die anderen universitären Disziplinen, die sich – aus ihren fachspezifischen Blickwinkeln und Erkenntnisinteressen – mit dem Phänomen Kommunikation beschäftigen (dies sind die allermeisten; vgl. Burkart 2002, 15), könnten auf diese Weise auf das von der Kommunikationswissenschaft bereitgestellte allgemeine bzw. transkulturelle Wissen hinsichtlich Kommunikation zurückgreifen sowie ihrerseits der Kommunikationswissenschaft eigene fachspezifische Erkenntnisse übermitteln, die so als disziplinenverbindende transdisziplinäre sowie transkulturelle Brückenwissenschaft zu fungieren in der Lage wäre. 1 Einmal abgesehen von persönlichen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten steht dieser Vision echter fächerübergreifender – transdisziplinärer 2 – Forschung vor allem die erkenntnistheoretische Hürde (zum Teil völlig) unterschiedlicher Fachsprachen (Technolekte) im Weg (vgl. Bernkopf/Esterbauer/Ruckenbauer 2007, Hamberger/Luger 2008, Vilsmaier 2009). Damit sind nicht bloß interdisziplinäre Zusammenarbeiten gemeint, bei der z. B. eine Wissenschaft als Hilfswissenschaft einer anderen »zuspielt« 3; in diesem Fall gibt es eine hierarchische Rangordnung, derzufolge die ermittelten Ergebnisse der untergeordneten Disziplin »diskussionslos« in den Erkenntnisfundus der übergeordneten eingeordnet werden können; eine fächerübergreifende Verständigung im Hinblick auf Spezialbegriffe und deren Bedeutungen kann in diesem Fall weitgehend unterbleiben. Ebenfalls nicht gemeint sind Versuche interdisziplinärer Verständigung über unterschiedliche Bedeutungen von ein und demselben Begriff (z. B. Information, Substanz, Energie, Kommunikation, Interaktion) in fachspezifischen Kontexten. Resultat dessen ist zumeist Erstaunen über die verschiedensten Verwendungsweisen des Vgl. dazu nähere Ausführungen bzw. das »Kulturen-HX-Schema« in Hamberger/ Pietschmann 2015. 2 Vgl. zur Differenzierung zwischen Transdisziplinarität, Interdisziplinärität und Multidisziplinarität aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht Bonfadelli/Jarren/ Siegert 2010, insbes. 3–18. 3 Ein Beispiel wäre etwa die von Physikern und/oder Chemikern vorgenommene Altersbestimmung eines Gegenstandes für die Geschichtswissenschaft. 1

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VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft

Begriffs, ohne jedoch in der Lage zu sein, das Gesamt der unterschiedlichen Bedeutungen zueinander in Beziehung zu setzen bzw. setzen zu können. Kurz: Trotz wechselseitigen Bemühens um bzw. Sehnsucht nach fächerübergreifende(r) Zusammenarbeit bildet echte »transdisziplinäre« Forschung bislang wohl die große Ausnahme. Dies liegt – wie angedeutet – nicht zuletzt an der Spezialisierung der Wissenschaften bzw. dem damit verbundenen unterschiedlichen technolektisch-eingeengten Bedeutungsumfang der jeweils verwendeten Begriffe, wodurch eine Verständigung über Fachgrenzen hinaus schwer möglich erscheint. Da nun seriöse Wissenschaftlichkeit untrennbar mit dem Anspruch präzise definierter Begriffe einhergeht, scheint Transdisziplinarität schon allein dadurch schwer verwirklichbar, wenn nicht gar illusorisch! Gleichzeitig wird jedoch »echte« fächerübergreifende Zusammenarbeit durch Forschungsresultate bzw. von den Phänomen selbst nahegelegt. Wie kann diesem Dilemma relevant begegnet werden? Dies kann dadurch geschehen, dass man auch im Hinblick auf fächerübergreifende Forschung einen unauflöslichen (konstruktiven) Widerspruch akzeptiert, der zwei entgegengesetzte (wissenschaftliche) Haltungen erfordert 4 (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 376–382): • Mut zur »Unsauberkeit« zwecks Kommunikationsfähigkeit mit anderen Disziplinen. • Strenge Gewissenhaftigkeit gegenüber der eigenen Disziplin. Daraus folgt – nach Pietschmann – nun zweierlei: Zum einen gilt es im Hinblick z. B. auf den Begriff Kommunikation, zu unterscheiden, ohne zu trennen, d. h. die Differenz der begrifflichen Bedeutungen aufzuweisen. Daneben gilt es zu vereinen, ohne zu egalisieren, also die unterschiedenen Bedeutungen im Kontext eines Bedeutungsganzen zu sehen (vgl. Pietschmann 1997a). Das fächerübergreifende Ziel besteht in der »parallelen Gültigkeit« von Vielfalt und Einheit der fachspezifischen Bedeutungen. Auf den Begriff Kommunikation angewandt: Die Verwendungs-Vielfalt des Begriffs Kommunikation in den Disziplinen bedarf zugleich einer Dies kann als »Nebenaporie« der im Kap. C/IV/2 – mit Pietschmann (2002, 85 ff.) – beschriebenen Grundaporie jeder Wissenschaftlichkeit aufgefasst werden, die zugleich offen und kritisch zu sein hat.

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VI. Die fächerübergreifende Bedeutung der Kommunikationswissenschaft

einheitlichen Zusammenschau des Begriffs, um der Gefahr der terminologischen Beliebigkeit vorzubeugen. Umgekehrt bedarf eine allgemein-einheitliche Zusammenschau von »Kommunikation« vice versa der Ergänzung durch die Vielfalt der disziplinären Bedeutungen, um einem uniform-oberflächlichen Verständnis entgegenzuwirken. Demzufolge sind zwei Extremstandpunkte zu vermeiden: die fächerübergreifende Begriffsdominanz durch eine Disziplin sowie eine bloß multidisziplinäre Bedeutungsvielfalt. Zum Gelingen fächerübergreifend-transdisziplinärer Forschung scheinen demnach (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 381) drei Voraussetzungen unerlässlich: • Gegenseitiges Vertrauen: Teilnehmer müssen einander menschlich nahe (befreundet) sein! • Unsaubere Verwendung von Begriffen muss immer vorläufig sein! • Ergebnisse müssen immer im Konsens gestaltet werden!

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VII. Zusammenfassung / Ergebnisse / Ausblick

Beginnend mit der Skizzierung der Forschungsfrage nach dem Verhältnis von Kommunikation und Erkenntnis auf der Grundlage einer geistesgeschichtlichen und kulturenübergreifenden Kontextualisierung wurde vorerst eine offensichtliche Ausgangsbasis für die weiteren Überlegungen gesucht. Durch den Umstand des gegenwärtigen Nicht-Vorliegens eines allgemein-verbindlichen Verständnisses von Kommunikation, d. h. eines – wenn man so will – kommunikationswissenschaftlichen »Standardmodells«, wurde daraufhin nach Evidentem gefragt, also nach Voraussetzbarem, das – auf Grund von dessen Offensichtlichkeit – keiner expliziten Begründung bedarf. Dazu diente vor allem Teil A: Anamnese oder Was liegt vor? Nach der Darlegung gegenwärtig zu konstatierender – sowohl allgemeiner wie kommunikationsspezifischer – »Tendenzkräfte« wurden offensichtliche anthropologische Grundgegebenheiten in Zusammenhang menschlicher Kommunikation und Erkenntnis herausgearbeitet (Kap. A/V–IX): Die Welt-Bezogenheit des Menschen; Zeit, Raum und Materie als Determinanten menschlichen Kommunizierens und Erkennens; die Zwei-Einheit Ich-Bewusstsein/Wortsprache; das Wort-Sprachvermögen als kulturspezifisches Gut; Differenzierung zwischen Vermittlung, Mittel und Medium (nach Rückriem); Handlungsmacht und Handlungs-Ungesichertheit des Menschen; der Mensch als Wesen, das Zeit und Geschichte hat; die Fähigkeit des Menschen, ich-bewusst sowohl in Kontakt als auch in Distanz treten zu können; das Wissen des Menschen um den Tod sowie die Wahrnehmungsfähigkeit eigener und fremder Not; die Frage- und Irrtumsfähigkeit des Menschen. Als allgemeine anthropologische Konsequenz ergab sich daraus die Unabdingbarkeit für jeden Menschen (bzw. jede Kultur), (mindestens) folgende Verständnisse zu haben bzw. zu entwickeln: ein SeinsVerständnis, das die Frage beantwortet: Was ist (alles, das ist)?; ein Ich-/Wir-Verständnis, das die Frage beantwortet: Wer bin ich/wer 452 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VII. Zusammenfassung / Ergebnisse / Ausblick

sind wir (welche Gestalten von Sozietät gibt es)?; ein Erkenntnis-Verständnis, das die Frage beantwortet: Inwiefern kann (soll/soll nicht) der Mensch erkennen?; schließlich ein Kommunikationsverständnis, das die Frage beantwortet: Inwiefern kann (soll/soll nicht) der Mensch kommunizieren? Schließlich wurden spezifische kommunikationstheoretische Konsequenzen, die sich aus der Zwei-Einheit Wort-Sprache/Ich-Bewusstsein ergeben, ersichtlich gemacht: Der Umstand, dass der Mensch sowohl an spezifisch-menschlichen, nicht-spezifischmenschlichen Kommunikations- und Erkenntnisvermögen sowie an (abiotischen) physiko-chemischen Interaktionsabläufen Anteil hat; der Sachverhalt, dass jede allgemeine Theorie (menschlicher) Kommunikation (mindestens) die Grundelemente Subjekte der Kommunikation, Objekte der Kommunikation, Medien der Kommunikation sowie (sprachliche wie sprachanaloge) Mitteilungssysteme der Kommunikation zu beinhalten hat; die »Vierdimensionalität« menschlicher Kommunikation (nach Schulz von Thun); die Doppelaspektivität begegnender und übermittelnder Kommunikation; das Verständnis von interpersoneller (personaler) Kommunikation als Voraussetzung eines Verständnisses (massen-)medial-vermittelter Kommunikation. In weiterer Folge wurden drei zentrale Verhältnisse menschlicher Kommunikation und Erkenntnis skizziert: die »Verschränktheit« von Ich und Du/Wir; die »Verschränktheit« von personaler (interpersoneller) und medial vermittelter Kommunikation sowie die »Verschränktheit« von Kommunikation und Erkenntnis, wobei alle drei Verhältnisse mit einer Sollens/Nicht-Sollens-Dimension von Kommunikation (und Erkenntnis) verbunden sind. Darauf aufbauend wurden drei Beschreibungsebenen von Kommunikation differenziert: Kommunikation (und Erkenntnis) als Fundamental lebendiger Wirklichkeit; Kommunikation (und Erkenntnis) als geschehendes / nicht geschehendes bzw. gelingendes / nicht gelingendes Beziehungsgeschehen; Kommunikation (und Erkenntnis) als vorbildliches bzw. zerrbildliches In-Beziehungs-Treten / In-Beziehung-Sein. Auf dieser Basis wurde schließlich das sogenannte »Wirklichkeitsbedeutungsquadrat« als allgemeines anthropologisches Vergleichs- bzw. Deutungsschema dargelegt, um dadurch imstande zu sein, im folgenden Teil B (Diagnose oder Kommunikation und Erkenntnis im Kulturvergleich) die Phänomene Kommunikation und 453 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

VII. Zusammenfassung / Ergebnisse / Ausblick

Erkenntnis kulturenvergleichend in den Blick nehmen zu können. Dazu bedurfte es eines Kulturenvergleichsschemas, das in der prinzipiellen Differenzierung zwischen Offenbarungs- und NichtOffenbarungskulturen bzw. den damit verbundenen Feindifferenzierungen zwischen Wort-Offenbarungskulturen und Nicht-Wortoffenbarungskulturen sowie – im Hinblick auf Nicht-Offenbarungskulturen – zwischen (abendländischer) Moderne und (ins Globale ausgreifender) Post-Moderne vorgenommen wurde. Im Hinblick auf die zentrale Forschungsfrage nach dem Zueinander von Kommunikation und Erkenntnis erwies sich ein solches Kulturenvergleichsschema allein schon deshalb als unverzichtbar, weil jede Kultur – um mit Giesecke (vgl. 2007, 17) zu sprechen – nicht nur selbst definiert, was für sie Kommunikation, Wissen, Information, Medien der Vernetzung und Verständigung sind, sondern ebenso mit einem kulturspezifischen Verständnis des Verhältnisses zwischen Kommunikation und Erkenntnis verbunden ist. Insbesondere half das skizzierte Schema, den kulturspezifischen Kontext des Entstehens moderner Wissenschaftlichkeit (im allgemeinen) bzw. von Kommunikationswissenschaftlichkeit (im speziellen) ersichtlich zu machen. Dadurch wurde die zentrale kommunikationstheoretische Herausforderung, die mit der fachkonstituierenden Frage »Wie ist Kommunikation möglich?« (Krallmann/Ziemann 2001, 18) verbunden ist, erst in voller Gestalt deutlich. Dies deshalb, weil kulturkontextuell dargelegt werden konnte, dass (erst) mit der abendländischen Moderne der Andere (und damit Kommunikation) zu einem grundlegenden (theoretischen) Problem wird (vgl. Evers 1979). Denn die zwei hauptsächlichen Problemlösungsversuche, Kommunikation plausibel zu machen, erweisen sich beide, zu Ende gedacht, in diesem Fall als unbefriedigend (vgl. Pietschmann 2009a). Beim materiezentrierten Lösungsansatz lässt sich zwar das (zwischenmenschliche) Beziehungsgeschehen gut verständlich machen, doch bleibt die ungelöste Frage, inwiefern dem Menschen – unter Voraussetzung der Materie als Grundelement der Wirklichkeit – Handlungsvariabilität zugeschrieben werden kann, wovon Theorien zwischenmenschlicher Kommunikation im Regelfall ausgehen. Beim geistzentrierten Lösungsansatz lässt sich – vice versa – zwar die Handlungsfreiheit (-variabilität) des Menschen gut zeigen, jedoch bleibt hier das ungelöste Problem, wie die einzelnen Subjekte – bedingt durch ihre je »individuelle Geistigkeit« – in (ich-überschreitende) Kommunikation zu treten vermögen; d. h. nicht nur wechsel454 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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seitige Verständigung nachvollziehbar ist, sondern auch gemeinsames Verstehen bzw. Mit-Sein. Die Präzisierung dieser diagnostizierten kommunikationstheoretischen Herausforderung(en) bildete den Beginn von Teil C (Therapie) bzw. den ersten therapeutischen Schritt auf dem Weg zu einem erweiterten Verständnis von Kommunikation, Erkenntnis und Kommunikationswissenschaft. Als zweiter Schritt folgte die grundlegende begriffliche Differenzierung zwischen Kommunikation und Interaktion bzw. Erkenntnis und (gesichertem) Wissen. Interaktion (Wechselwirkung) steht hierbei für kausale Ablaufsfolgen ohne Verhaltens-/Handlungsvariabilität (»Freiheitsgrade«), während Kommunikation – im fundamentalen Unterschied dazu – ein Geschehen/ Ereignis meint, das mit Verhaltens- bzw. Handlungsvariabilität verbunden ist, da ohne »handelnde Subjekte« nicht denkbar. Demzufolge lässt sich Interaktion (zumindest prinzipiell) im streng kausalen Sinne voraussagen, während dies im Fall von Kommunikation als grundsätzlich unmöglich zu erachten ist – bedingt durch die damit stets aktuell verbundene Entscheidungsmöglichkeit/-notwendigkeit für oder gegen bestimmte Handlungsalternativen; oder anders ausgedrückt: bedingt durch den »Ereignischarakter« von Kommunikation. Da jedes Kommunikations-Ereignis – auf Grund menschlicher Leiblichkeit bzw. Materialität – stets auch untrennbar mit parallel dazu ablaufenden Interaktions-Prozessen einhergeht, ließ sich daraus ein hierarchisches Verhältnis der beiden Phänomene bzw. Begriffe ableiten. In analoger Weise wurde im Hinblick auf den zweiten Zentralbegriff der Arbeit begriffshierarchisch zwischen gesichertem (wissenschaftlichem) Wissen und Erkenntnis unterschieden: Wissen steht dabei für jene spezifische »Kenntnis« gesicherter (weil prinzipiell stets wiederholbarer) Ablaufsfolgen, die sich aus dem Wechselspiel zwischen (natur-)wissenschaftlicher Theorie und (wissenschaftlichem) Experiment ergibt, während Erkenntnis jenes vor-/außerwissenschaftliche menschliche Vermögen zu bedeutender (Wirklichkeits-)Wahrnehmung bezeichnet, sich auf der Basis von Werthaltungen/-Entscheidungen orientieren zu können. Analog zur Differenzierung zwischen Interaktion und Kommunikation wurde dabei alles (gesicherte) Wissen als auf Erkenntnis beruhend angesehen, das ohne diese nicht gedacht werden kann. Mit Hilfe dieser hierarchischen Differenzierung konnte gezeigt 455 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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werden, dass gesichertes Wissen prinzipiell nicht in der Lage ist, als Wahrheitsersatz zu fungieren bzw. ein orientierunggebendes (wissenschaftliches) Weltbild zu generieren; bestenfalls kommt ihm dabei unterstützende Funktion zu. Gemäß der anhand der beiden zentralen Termini erarbeiteten hierarchischen Begriffsstruktur wurde daraufhin in analoger Weise unterschieden zwischen Werden 6¼ Entwicklung, Gestalt 6¼ Form, Kontextualität 6¼ Komplexität, Transkausalität 6¼ Kausalität sowie Information 6¼ Signal. In einem dritten therapeutischen Schritt (»Offerierung«) ging es schließlich darum, erkenntnistheoretische (Hilfs-)Impulse der Quantentheorie für die Kommunikationswissenschaft darzulegen. Diese aufs Erste nicht leicht nachvollziehbare Hilfestellung bedurfte einer näheren Erläuterung: Durch die Quantentheorie (genauer: die gegenwärtig weithin akzeptierte Kopenhagener Deutung im Gefolge von Niels Bohr, Werner Heisenberg u. a.) wurde erstmals der »Denkrahmen der modernen Wissenschaftlichkeit« (Pietschmann) überschritten. Diesem zufolge gelangt man durch Beschränkung auf den reproduzierbaren bzw. quantitativ beschreibbaren Teil der Wirklichkeit zur Formulierung widerspruchsfreier Naturgesetze als allgemeiner Aussagen, die immer und überall Gültigkeit beanspruchen. Dabei tritt an die Stelle einer Wesens-Beschreibung der beforschten Entitäten (»Objekte«) die Konstruktion eines vereinfachten (widerspruchsfreien) Modells, das mathematisch formulierbar ist. In dem Maße, als dies möglich ist, gilt ein »Erkenntnisobjekt« als verstanden. Genau ein solches widerspruchsfreies Modell-Verständnis erwies/erweist sich im Erkenntniskontext des Quantenbereichs als (prinzipiell) unmöglich, da die mikrophysikalischen Objekte widersprüchliche Eigenschaften zeigen. Exemplarisch wird dies am Phänomen des Lichts deutlich, wo sich zwei widersprechende Beschreibungsweisen (Licht als kontinuierliche »Welle«, Licht als diskretes »Teilchen«) zu einer vollständigen Beschreibung ergänzen; d. h. zum Verständnis des Phänomens Licht kann auf keine der beiden Beschreibungen verzichtet werden. So wurde der Widerspruch bestehen gelassen und (von Bohr) als Komplementarität formuliert, »als die sich gegenseitig widersprechenden, aber gleichzeitig notwendigen Bilder der physikalischen Beschreibung von Welle und Korpuskel.« (Bohr zit. nach Röhrle 2001, 16). Der »Preis« dafür: Es gibt für »Quantenobjekte« kein anschauliches Modell (mehr) und es bleibt eine gewisse (prinzipielle) »Erkennt456 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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nisunschärfe« (Heisenberg’sche Unbestimmtheitsrelation). Als weiteres – gegenüber der klassischen Physik – neues Phänomen im Quantenbereich wurde jenes der sog. »Verschränkung« ersichtlich gemacht. Damit ist eine »unauflösliche Relationalität« (Audretsch) bei interagierenden Quantensystemen gemeint. Mit anderen Worten: Zwei oder mehr »Teilchen« bezeichnet man als »verschränkt«, wenn diese – im Unterschied zur klassischen Physik im makrosopischen Bereich – nicht unabhängig voneinander beschrieben werden können. Selbst wenn ein »verschränktes Photonenpaar« auf technische Weise getrennt wird, führt eine Zustandsmessung bei einem der Teilchen dazu, dass instantan – also ohne jegliche zeitliche Verzögerung – auch beim anderen (verschränkten) Teilchen (bei beliebiger Entfernung) eine Zustandsänderung beobachtbar ist. Im vierten therapeutischen Schritt (»Adaptierung«) wurde zu veranschaulichen versucht, inwiefern diese Erkenntnisimpulse der Quantentheorie für die Kommunikationswissenschaft fruchtbar gemacht werden können. Dass dabei eine fachspezifische Adaptierung von nöten ist, ergab sich einerseits aus dem Umstand, dass es sich bei »Kommunikationsereignissen« (selbst auf Zellebene) um – im Vergleich zum Quantenbereich – riesige Objekte handelt, die in den Erkenntnisbereich der klassischen Physik fallen. Dazu kommt (vgl. die Differenzierung zwischen Interaktion und Kommunikation), dass der Gegenstandsbereich der Quantenwelt rein interaktional, weil materiebezogen ist, während menschliches In-Beziehung-Treten/In-Beziehung-Sein darüber hinaus immer auch – davon prinzipiell zu unterscheidende – kommunikative Struktur(en) aufweist. Allein dadurch lassen sich – wie sich zeigte – quantenphysikalische Einsichten nicht direkt in den Bereich des Lebendigen bzw. Humanen übertragen; es bedurfte einer grundsätzlichen Adaptierung. Ausgangspunkt dazu bildete die Überlegung Pietschmanns, dass quantenphysikalische Einsichten (jenseits der Quantentheorie) überall dort fruchtbar gemacht werden können, wo widersprüchliche (aporetische) Beschreibungen nicht nur (wie in der Quantenphysik) die Ausnahme, sondern den Regelfall darstellen, – wie eben in den Bereichen des Lebendigen bzw. Geistigen. Dabei galt es nun die »aporetische Struktur« weiter zu fassen als im Quantenbereich und zwischen »positiven« Aporien und »negativen« Schatten- bzw. Zerraporien zu unterscheiden, weil mit dem Vermögen zur Kommunikation

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stets die Möglichkeit (zur Aktualisierung auch) pathologischer Gestalten einhergeht. Zur Herausarbeitung dieses Zusammenhangs diente das sog. »HX-Schema« (nach Pietschmann), mit dessen Hilfe aporetische/ zerraporetische zwischenmenschliche (Kommunikations-)Phänomene skizziert wurden; etwa die Herausforderung des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin, zugleich offen und kritisch zu sein. Insbesondere wurde dies auch im Hinblick auf das Verhältnis Kommunikation und Erkenntnis dargestellt. Schließlich wurde zu zeigen versucht, wie die zentralen quantenphysikalischen Spezifika Komplementarität, Unbestimmtheitsrelation und Verschränkung – auf indirekte Weise – im Bereich der Kultur- bzw. Geisteswissenschaften fruchtbar gemacht werden können. Darauf aufbauend wurde in einem fünften therapeutischen Schritt (»Etablierung«) zuletzt darangegangen, die adaptierten erkenntnistheoretischen Impulse der Quantentheorie mit Hilfe des sogenannten Dialogischen Denkens in der Kommunikationswissenschaft zu etablieren. Das zeitgeschichtlich parallel zur Quantentheorie in den 1920er Jahren entstandene Dialogische Denken erwies sich diesbezüglich vor allem deshalb als geeignet, weil es – im Unterschied zu den gängigen Kommunikationstheorien der Moderne und Postmoderne – den Menschen grundsätzlich als aporetisches Wesen (und damit Kommunikation bzw. Erkenntnis als aporetische Phänomene) begreift. Anhand der Hauptvertreter Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner, Martin Buber, Eugen Rosenstock-Huessy und (der für gewöhnlich nicht als dialogische Denkerin bezeichneten) Edith Stein wurde die Aktualität des Dialogischen Denkens gerade für die Kommunikationswissenschaft bzw. die damit verbundene fachspezifische Zentralfrage »Wie ist Kommunikation möglich?« herausgearbeitet. Die diesbezügliche Bedeutung zeigte sich vor allem darin, dass das Dialogische Denken geeignet erscheint, jenem in Teil B skizzierten »Doppeldilemma« beizukommen: entweder zwar »Kommunikation« – im Sinne komplexer Interaktionen – erklären, jedoch dann nicht die dem Menschen für gewöhnlich zugesprochene kommunikative Handlungsfreiheit attestieren zu können, – oder andererseits dem Menschen zwar Handlungsvariabilität zuzusprechen, in diesem Fall jedoch nicht plausibel machen zu können, wie sich Kommunikation – verstanden als etwas anderes als die Summe bzw. mehr als die

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Summe von naturnotwendigen physiko-chemischen Abläufen – ereignen kann. Grundlage hierfür bildete das allen Ansätzen des Dialogischen Denkens inhärente Element der »Reprimatisierung« des Geistes (gegenüber der Materie) bzw. die Voraussetzung einer aporetischen Struktur des Menschseins in Gestalt der grundsätzlichen Ergänzungsnotwendigkeit von Ich und Du/Wir auf der Basis geschehender Sprachereignisse. Dazu kommt, dass die Hauptvertreter des Dialogischen Denkens ein Ich und Du verbindendes »Drittes«, als ein geistiges »Zwischen«, postulieren, das Ich und Du nicht nur verbindet, sondern überhaupt erst konstituiert. Vor diesem Hintergrund wurde schließlich darangegangen, neben der dialogischen Kommunikationsstruktur Ich/Zwischen/Du auch dessen Pendant, die »pseudodialogische« Schattenstruktur Ego/Pseudo-Zwischen Pseudo-»Du« aufzuzeigen. Kulturspezifische Seitenblicke zu asiatischen Denkansätzen zeigten dabei, wie anschlussfähig das Dialogische Denken gerade im Hinblick der Erarbeitung einer – ebenfalls angemahnten – kulturenübergreifenden Kommunikationstheorie ist (vgl. Mooren 1993, Bin 1995, Teoharova 2003, Laulan/Lochard/Oillo/Bambridge 2004, BotzBornstein 2004, Koren-Wilhelmer 2007, Averbeck-Lietz 2010, Wiedemann/Meyen 2013, Roth/Schäfer 2014). Die Etablierung des Dialogischen Denkens in fachspezifischen kommunikationswissenschaftlichen Kontexten würde es insofern (wieder) möglich machen, den Anderen als Anderen kommunikationstheoretisch in den Blick zu nehmen. Vor dem Hintergrund des Ausgeführten wurde zuletzt versucht, die fächerübergreifend-transdisziplinäre Bedeutung der Kommunikationswissenschaft bzw. damit einhergehend ein erweitertes Fachverständnis zu skizzieren. Eine der – wenn nicht die – Kernaufgabe(n) einer Kommunikationswissenschaft der Zukunft wurde dabei darin erblickt, als fächerübergreifende Integrationsdisziplin (vgl. Karmasin/Rath/Thomaß 2014) zu fungieren, um auf diese Weise die Vielfalt disziplinärer Kommunikationsphänome vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen aporetischen Grundstruktur betrachten und analysieren zu können. Anhand dessen – so die Überlegung – könnte die vielfach geforderte, jedoch genauso selten eingelöste Transdisziplinarität (vgl. Schweidler 2007, Bonfadelli/Jarren/Siegert 2010) am Beispiel der Kommunikationswissenschaft realisiert werden; konkret gesprochen 459 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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dadurch, in dem aufgezeigt wird, dass die offensichtliche Verwendungsvielfalt des Begriffs Kommunikation in den unterschiedlichsten Disziplinen (vgl. Burkart 2002, 15) zugleich eine verbindliche (und damit verbindende) Fassung des Phänomens/Begriffs erfordert, um der Gefahr der Beliebigkeit bzw. des terminologischen Wirrwars vorzubeugen, wie umgekehrt ein allgemein-einheitliches Verständnis von Kommunikation stets der Ergänzung/Erweiterung durch die Vielfalt disziplinärer Bedeutungen bedarf, um dem Problem eines rein oberflächlich-uniformen Verständnisses von Kommunikation (und Erkenntnis) vorzubeugen. Auch »Transdiziplinarität« zeigte sich dadurch als aporetische Herausforderung, bei der es zwei (widerspruchsfreie) Extrempositionen zu vermeiden gilt: einerseits die fächerübergreifende Begriffsdominanz durch eine Disziplin, andererseits eine pluridisziplinäre Bedeutungsvielfalt bzw. -beliebigkeit ohne gemeinsame (fächerübergreifende) Bedeutungsverbindlichkeit. In dem Maße, als KommunikationswissenschaftlerInnen diese Herausforderung (an)erkennen und sich ihr stellen, könnte der Kommunikationswissenschaft – als Adaptierung der Impulse der Quantentheorie bzw. des Dialogischen Denkens auf kommunikationswissenschaftlicher Ebene – auch eine maßgebliche Rolle im Kontext der Erneuerung von Universität zukommen. Zuletzt soll versucht werden, das Ergebnis der Schrift noch einmal in möglichster Kürze zusammenzufassen. Hinsichtlich der zentralen Forschungsfrage nach dem Zueinander von (menschlicher) Kommunikation und Erkenntnis zeigte sich, dass es (kulturenübergreifend) zwei Extremstandpunkte zu vermeiden bzw. zu überwinden gilt. Den einen – kulturspezifisch stellvertretend steht dafür die erkenntniszentrierte abendländische Moderne – hat, zurückblickend auf das Eingangsmotto der Arbeit, von Feuchtersleben (1837, 377) so formuliert: »Das ist der Fels, an dem die Besten scheitern, dass sie aufhören zu lieben [wahrhaft zu kommunizieren], wenn sie anfangen zu erkennen.« 460 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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Der andere – für den stellvertretend die zunehmend globale Dimensionen annehmende kommunikationszentrierte Post-Moderne steht – lässt sich in Abwandlung bzw. Weiterführung des obigen Zitats wie folgt ausdrücken: Das ist der andere Fels, an dem die Besten scheitern; dass sie aufhören (wahrhaft) zu erkennen, wenn sie anfangen (erfolgreich) zu kommunizieren. In beiden Fällen wird – auch theoretisch – sowohl Kommunikation als auch Erkenntnis verfehlt. Dazwischen liegt bzw. ereignet sich jene anzustrebende »aporetische Balance« kommunikativer Erkenntnis und erkennender Kommunikation, die einem ernsten Spiel gleicht (siehe Rahner 2008, 28– 43), das jede(n) von uns beständig aufs Neue herausfordert, die beiden oben genannten Extrempositionen zu überschreiten. Oder, noch einmal in Abwandlung des Diktums von von Feuchtersleben: Das ist der unergründlich-grundgebende Ozean, auf den es sich (auch theoretisch) hinaus zu wagen gilt, um Scheitern zu verhindern: dass ich nicht aufhöre zu lieben (wahrhaft zu kommunizieren), wenn ich anfange, ein Du zu erkennen; und – dass ich nicht aufhöre, den Anderen als Du wahrzunehmen, wenn ich anfange, (erfolgreich) zu kommunizieren.

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Tendenzkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 2: Sender-Empfänger Modell nach Shannon und Weaver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 3: Kommunikation: Sender-Empfänger-Modell . . Abbildung 4: Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen nach Pietschmann (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 109) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5: Vermittlung: Eine 2 + 1-Beziehung (nach Rückriem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 6: Medium: Eine 3 in 4-Beziehung (nach Rückriem) Abbildung 7: Spezifika des Menschlichen . . . . . . . . . . . Abbildung 8: Quellen der Philosophie . . . . . . . . . . . . Abbildung 9: Kommunikationselementequadrat . . . . . . . Abbildung 10: Person als geistiger Aktionsgrund nach Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 11: Kommunikationselemente Fundamentalprimat . Abbildung 12: Kommunikationselemente Vorbild/Zerrbildprimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 13: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat (nach Hamberger 2008b, 229) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 14: Kulturenvergleichsschema (nach Hamberger 2013, 149) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 15: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Nicht-Wortoffenbarungskulturen (nach Hamberger 2008b, 231) . . . Abbildung 16: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Wortoffenbarungskulturen (nach Hamberger 2008b, 232) . . . . . Abbildung 17: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Moderne (nach Hamberger 2008b, 234) . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 18: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Post-Moderne (nach Hamberger 2008b, 238) . . . . . . . . . . . . . .

53 56 56

77 92 92 99 104 115 118 137 138 145 160 197 198 198 199

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 19: Mittel, Medium, Kultur-Leit-Medium (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 137) . . . . . . . . Abbildung 20: Mittel, Medium, Kultur-Leit-Medium, SeinsMedium/»Zwischen« (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 370) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 21: Kommunikationselementequadrat . . . . . . . Abbildung 22: Kommunikationselementequadrat Nicht-Wortoffenbarungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 23: Kommunikationselementequadrat Wort-Offenbarungkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 24: Kommunikationselementequadrat abendländische Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 25: Das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Realismus (abendländische Moderne) nach Pietschmann . . . . . . Abbildung 26: Kommunikationselementequadrat Post-Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 27: Das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Konstruktivismus nach Pietschmann . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 28: Offenbarungskulturen vs. Nicht-Offenbarungskulturen (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 131) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 29: Westliche Moderne und Japanische Kultur im Vergleich (nach Kikuchi 1981, 44) . . . . . . . . . . . . Abbildung 30: Grundsätzlich zu differenzierende Erkenntnisweisen des Menschen nach Pietschmann (vgl. Hamberger/ Pietschmann 2015, 109) . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 31: »Mathematisierung« der Wirklichkeit als Erkenntnis-Grenzüberschreitung (nach Hamberger/ Pietschmann 2015, 110) . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 32: Gesichertes Wissen als »wahre« Erkenntnis (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 112) . . . . . . . . Abbildung 33: Erkenntnisvermittlungsstruktur one to many (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 135) . . . . . . . . Abbildung 34: Kommunikation: Stets zugleich Vermittlung und Begegnung (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 154) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 35: Kulturspezifische Gewichtung (abendländische Moderne) Vermittlung/Begegnung (nach Hamberger/ Pietschmann 2015, 155) . . . . . . . . . . . . . . . . .

498 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

201

202 205 206 207 208 208 210 210

236 241

249

255 257 258

262

262

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 36: Ideologische Instrumentalisierung von »gesichertem Wissen« nach Reisenbichler (vgl. Hamberger/Pietschmann 2015, 111) . . . . . . . . Abbildung 37: Erkenntnisvermittlungsstruktur one to one (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 153) . . . . . . . . Abbildung 38: Erkenntnisvermittlungsstruktur many to many (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 153) . . . . . . . . Abbildung 39: Erkenntnisvermittlungsstruktur many to one (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 154) . . . . . . . . Abbildung 40: Bildmedienzuwachs Moderne (nach Markus 2006, 40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 41: Mediatisierung und Globalisierung nach Bolz (2007,9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 42: Tendenzkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 43: Kommunikation materie-analog . . . . . . . . Abbildung 44: Kommunikation geist-analog . . . . . . . . . Abbildung 45: Hierarchisches Verhältnis Kommunikation / Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 46: Hierarchische Verhältnisse anhand verschiedener Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 47: HX-Schema nach Pietschmann (2002, 85) . . . Abbildung 48: HX-Schema nach Pietschmann (2002, 87) . . . Abbildung 49: HX-Schema nach Pietschmann (2009a, 133) . . Abbildung 50: HX-Schema Ich und Du/Wir bzw. Ego und »Pseudo«-Du/-Wir (nach Hamberger/Pietschmann 2015, 286) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 51: HX-Schema Kommunikation – Erkenntnis . . Abbildung 52: Wirklichkeitsbedeutungsquadrat Trans-Moderne (nach Hamberger 2008b, 258) . . . . . . . . . . . . . Abbildung 53: HX-Schema Kommunikation – Erkenntnis . . Abbildung 54: Selbst 1 und Selbst 2 nach Moderne . . . . . . Abbildung 55: Ich und Du entstehen aus Gespräch (nach Rosenzweig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 56: EGO 1 vs. EGO 2 und Pseudo-Gespräch . . . . Abbildung 57: Kommunikation materie-analog . . . . . . . . Abbildung 58: Kommunikation geist-analog . . . . . . . . . Abbildung 59: Ich und Du konstituieren sich durch das Wort (nach Ebner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 60: Ich und Du konstituieren sich gegenseitig (nach Buber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266 275 275 276 296 298 312 324 325 331 348 362 363 367

371 376 376 380 403 403 404 411 412 412 418 499

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 61: Kommunikation materie-analog . . . . . . . Abbildung 62: Kommunikation geist-analog . . . . . . . . Abbildung 63: Hierarchisches Verhältnis Wort/Sprache bzw. Zahl/Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 64: HX-Schema Zwischen/Pseudo-Zwischen . .

. 436 . 437 . 440 . 444

Die in diesem Buch verwendeten Graphiken entstanden nach Vorlagen von Max Stary.

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Namensverzeichnis

Adenauer, Konrad 214 Adorno, Theodor W 310 Akerma, Karim 185 Akyel, Dominic 34 Albrecht, Carl 130 Ammann, Hermann 94, 102 Anaximander 166, 215 Anckaert, Luc 397, 434 Anders, Günther 310 Anselm von Canterbury 193 Archilochos 177–178 Ariés, Philippe 102 Aristoteles 129, 316 Arslan, Cüneyt 416 Ashton, Kevin 33 Aspect, Alain 358 Assheuer, Thomas 279–280 Assurpanipal 164 Audretsch, Jürgen 43, 356–358, 457 Augustinus 230 Austin, John 390 Averbeck-Lietz, Stefanie 297, 305, 448, 459 Averbeck, Stefanie 316 Axelrod, Robert 389 Baalschem-Tow 176 Bachtin, Michael 394, 405 Bacon, Francis 259, 276, 290 Baecker, Dirk 55, 140, 255, 343–344 Badura, Bernhard 56 Bambridge, Tamatoa 459 Bartz, Olaf 62 Baudler, Georg 392 Baudrillard, Jean 223

Bauer, Barbara 32 Bauer, Thomas A 24 Bauer, Wilhelm 302 Bäumer, Bettina 164, 173 Bayer, Oswald 392 Beck, Klaus 57 Beck, Matthias 43–44 Beck, Ulrich 43, 110 Beierwaltes, Werner 374–375 Bell, Simon 36 Benedikt, Klaus Ulrich 302–304 Benjamin, Walter 81 Bentele, Günter 57 Berdjajew, Nikolai 265 Berger, Peter L 40 Berglar, Peter 39, 156, 181 Bergmann, Gustav 267 Bernays, Edward L 305–306 Bernkopf, Elisabeth 449 Bidese, Ermenegildo 40, 435 Bin, Kimura 459 Biser, Eugen 31 Böckenhoff, Josef 87, 392–393 Bodamer, Joachim 38, 274, 314 Bohr, Niels 332, 349, 352–354, 359, 361, 381, 384–385, 456 Bohrmann, Hans 241 Bollinger, Ernst 295 Bolz, Norbert 41, 49, 88, 110, 126, 132, 200, 225–226, 242–243, 272– 273, 283, 288, 298, 315 Bonfadelli, Heinz 350, 449, 459 Böning, Thomas 192, 241, 271, 373, 440, 443 Botz-Bornstein, Thorsten 459 Brasser, Martin 435

501 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis Braunfels, Sigrid 182 Breier, Albert 156–157 Bresgen, Nikolaus 378 Brettenthaler, Josef 74 Brink, Simone 24, 191 Broglie, Louis de 359 Brosius, Hans-Bernd 57 Bruckmoser, Josef 190 Brunner, Emil 404–405 Buber, Martin 27, 84, 162, 176, 179, 188, 217, 370, 388, 394, 404, 413– 420, 429–430, 440, 442–443 Bücher, Karl 302 Buchmayr, Friedrich 296 Büchner, Georg 240–241 Bühler, Karl 116 Bühler, Michael 58 Bulgakov, Sergej 204–205 Burkard, Franz-Peter 147 Burkart, Roland 12, 26, 46, 56–57, 63–64, 67–68, 70, 76, 80–83, 122, 130–131, 139–140, 148, 283, 318, 329, 449, 460 Camus, Albert 38 Cantril, Hadley 239 Capurro, Rafael 56, 347 Casper, Bernhard 174, 179–180, 240, 370, 394–403, 412, 415–417, 434, 439–442, 446 Cattepoel, Jan 224, 364, 441 Cesana, Andreas 123 Chesterton, Gilbert Keith 342–343 Chargaff, Erwin 141 Chomsky, Noam 96 Cicero 211 Cioflec, Eveline 417 Cohen, Hermann 396 Comte, Auguste 219, 264, 316 Conti, Luisa 33 Cooley, Charles Horton 301 Couldry, Nick 297 Cramer, Friedrich 332 Creighton, Harold 200 D’ Ester, Karl 59 Darwin, Charles 389

Dawkins, Richard 389 Dawson, Christopher 213 De Gaspari, Alcide 214 De Kerckhove, Derrick 200 Delbrück, Max 359 Delia, Jesse G 308 Derrida, Jacques 268, 271, 344–345 Descartes, René 220, 249–250, 289, 364, 366, 368, 442 Dewey, John 301 DGPuK 61–63, 310, 317 DGPuZ 61 Dirac, Paul Adrien 359 Döhn, Lothar 81 Dolch, Heimo 147 Dostojewskij, Fjodor 257, 371–372 Dovifat, Emil 59, 304 Drewermann, Eugen 178 Dröge, Alicia 33 Dröge, Franz 309 Duchkowitsch, Wolfgang 59–60 Duck, Steve 34 Dürckheim, Karlfried 105 Durkheim, Emile 261 Eberhard, Fritz 61, 240 Ebner, Ferdinand 27, 82–83, 87, 183, 239, 334, 366, 369–371, 394, 404– 413, 415–417, 429, 435, 440, 442– 443, 446, 458 Ehrenberg, Hans 405, 421 Ehrenberg, Rudolf 421 Einstein, Albert 252, 267, 353, 358– 359 Eisenstein, Cornelia 122 Eliade, Mircea 162, 172, 180 Engels, Friedrich 184 Epiktet 103–104, 126 Erickson, Milton H 130 Eschbach, Achim 57 Eschbach, Nora 57 Esterbauer, Reinhold 449 Euler, Hans von 291 Eurich, Claus 259, 310 Evers, Gernot Dirk 87, 192, 240, 243, 278, 316, 391, 401, 404–406, 422, 453

502 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis Fabeck, Hans von 223 Faulstich, Werner 286 Fedjaeva, Tatjana 405 Feuchtersleben, Ernst von 9, 460–461 Feuerbach, Ludwig 86, 219, 365, 393 Feyerabend, Paul 186 Fichte, Johann Gottlieb 392–393 Ficker, Ludwig von 406 Fiedler, Peter 123 Fiehler, Reinhard 55 Fischer, Ernst Peter 26, 386 Flachmann, Holger 236 Flatscher, Markus 435 Fleck, Ludwik 142, 149, 293 Flohr, Paul Mendes 396–397 Flusser, Vilém 222, 343 Forrester, Viviane 35 Förster, Herbert 87 Foucault, Michel 268 Frankl, Viktor 42, 105 Freud, Sigmund 407, 414, 429–430 Freund, Else 434 Friedell, Egon 213 Friedrich II 86, 365 Frisch, Karl von 76, 340 Fröhlich, Gerhard 276–277 Fromm, Erich 272 Fukuyama, Francis 43, 195, 222–223 Gagarin, Juri 251–252 Galilei, Galileo 141, 246–249, 254, 333, 350 Gaspari, Christoph 34 Gates, Rick 51 Gebhardt, Julian 297 Gebsattel, Viktor Emil 101–102, 106, 125, 335–336, 370, 372–373, 389 Gehlen, Arnold 223 Geiselberger, Heinrich 33 Geltinger, Anna 239 Gergen, Kenneth J 244 Gerhard von Borgo San Donnino 218 Gerigk, Horst-Jürgen 334–335, 371– 372 Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara 46, 166, 178, 187, 223, 232, 271, 344–

345, 385, 426–429, 432–433, 445– 446 Giesecke, Michael 26–27, 57, 67, 69, 133, 136, 138, 153, 156, 200–201, 233–238, 273, 282, 291–293, 319, 453 Gingerich, Owen 246 Gipper, Helmut 80 Girgensohn-Marchand, Bettina 271 Glasenapp, Helmuth von 173 Glazer, Nathan 310 Göbbels, Joseph 265, 306 Goethe, Johann Wolfgang 192 Gomberts, Bastien D 346 Gondek, Hans-Dieter 445 Gottschlich, Maximilian 277 Götz, Karl 97 Grätzel, Stephan 258, 391, 425, 435, 439 Greshake, Gisbert 102, 108, 165, 182, 225, 227–229, 231, 239, 242, 278, 316, 370 Grieshofer, Alexandra 39, 313 Grober, Ulrich 36 Gronemeyer, Marianne 164–165, 239, 252 Gronemeyer, Reimer 40 Grosse, Alfried 45 Groth, Otto 305 Gruhl, Herbert 36 Grün, Edith Susanne 58, 302 Grunwald, Armin 36 Gutenberg (Johannes Gensfleisch) 168, 201 Habermas, Jürgen 56, 147, 261, 317, 430 Hachmeister, Lutz 59, 301, 305 Haecker, Theodor 144, 406 Haesler, Aldo 274 Hagen, Jörg von 332 Hahn, Frank 23, 74, 183, 435, 439 Halimi, Serge 32 Hallo, Rudolf 402 Hamann, Johann Georg 392 Hamberger, Erich 27, 46, 48, 77, 98, 108, 126, 138, 145, 160, 197–199,

503 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis 201–202, 236, 249, 255, 258, 262, 266, 272, 275–276, 314, 327, 332, 342, 354, 360, 371, 376, 378, 382– 383, 388, 407, 430, 437, 443, 449– 451 Hammer, Thomas 169 Han, Bhung-Chul 32, 37, 52 Händeler, Erik 313 Harb, Karl 32 Hardt, Hanno 308 Harenberg, Bodo 147 Harnack, Adolf von 302 Harrison, Mark 33 Hartley, Peter 140 Hartmann, Frank 47–48 Hartmann, Maren 297 Hashi, Hisaki 169, 276, 332 Hasselberg, Erwin 390 Hasslauer, Steffen 251 Hattrup, Dieter 187, 246 Hausjell, Fritz 59–60 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 183, 198, 220, 222–223, 294, 393, 395, 344, 443 Heiber, Helmut 265 Heide, Walt(h)er 59–60 Heidegger, Martin 220, 222, 240, 268, 394, 398, 417, 426, 434 Heider, Don 33 Heinze, Eva-Maria 421–424 Heisenberg, Werner 354–355, 359, 383, 456–457 Heitler, Walter 143, 332, 338–339, 431 Hengstenberg, Hans Eduard 94, 112, 124–125, 129, 135, 330, 378, 386– 387, 430 Henry, Michel 445 Hepp, Andreas 297 Heraklit 164, 175, 215 Herdin, Thomas 24 Hermann, Ingo 285 Herodot 211–212 Hertzka, Gottfried 321 Herzfeld, Wolfgang D 435 Herzl, Theodor 414 Herzog, Walter 65

Hesiod 215 Heuser, Harro 252 Heuser, Joachim 303–304 Hjarvard, Stig 297 Hobbes, Thomas 260, 326–327, 437 Hodina, Peter 252–253, 270 Hoff, Gregor Maria 183–184 Höflich, Joachim R 284, 297–298 Hofmannsthal, Hogo von 414 Höhn, Hans Joachim 36 Holz, Harald 185 Holzkamp, Klaus 66 Hömberg, Walter 139 Hommes, Ulrich 257 Hörisch, Jochen 46, 89, 299 Hörmann, Richard 435 Horvitz, Rivka 417 Hovland, Carl 307 Huessy, Margrit 420 Hügli, Anton 106, 123, 190 Humboldt, Wilhelm von 83, 156 Hume, David 278, 326–327, 368, 437 Husserl, Edmund 426–428, 430–432, 445 Huygens, Christian 352 Hybasek, Elisabeth 147 Ingarden, Roman 429 Innerhofer, Franz 271 Innies, Harold Adam 200 Ipuwer 164 Irle, Martin 65 Ivánka, Endre von 217 Jackson, Janet 190 Jackson, Michael 190 Jacob, Susanne 244 Jacobi, Friedrich Heinrich 392 Jaeger, Karl 305 Jagiello, Jaroslaw 412 Jahn, Ilse 291 Jarren, Otfried 57, 350, 449, 459 Jaspers, Karl 23–24, 73, 103–106, 123, 147, 365, 394–395 Jeschke, Sabina 33 Jesus von Nazareth 175, 177, 182, 216, 229, 231–232

504 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis Joachim von Fiore 218–219 Jöhlinger, Otto 303 Johnston, William M 268–269 Jone, Hildegard 404 Jordan, Pascal 359, 385 Kaegi, Dominic 123 Kant, Immanuel 198, 267, 392, 395, 419, 427, 431 Karmasin, Matthias 27, 69, 448, 459 Karpischek, Luise 413 Kaschnitz, Marie Luise 101–102 Kather, Regine 332 Katz, Elihu 65 Kaufmann, Fritz 147 Kellner, Hedwig 278, 377–378 Kerckhove, Derrick de 200 Kerényi, Karl 160, 169 Kettner, Matthias 34 Khoury, Adel Theodor 170 Kiel, Albrecht 23, 123 Kierkegaard, Sören 98, 103, 220, 224, 264, 334, 429, 447 Kikuchi, Makoto 241, 389 Kipper, Silke 54 Kirschner, Josef 278 Kleiner, Marcus 261 Kleinsteuber, Hans J 200 Klimt, Gustav 414 Klose, Hans-Georg 45 Knaup, Marcus 187, 274, 347, 438 Kniefacz, Katharine 58–59, 302–307 Knoll, Fritz 60 Kobbelt, Leif 33 Koch, Adolf 58–59 Köchy, Kristian 386 Kojève, Alexandre 223 Konfuzius (Kung-fu-tsu) 329 König, René 26 Kopernikus, Nikolaus 245 Kopfmüller, Jürgen 36 Koren-Wilhelmer, Frank 374, 413– 414, 418–419, 459 Koslowski, Peter 31, 34, 36–37, 162 Koszyk, Kurt 295 Krallmann, Dieter 63, 68–71, 122, 273, 323, 391, 449, 453

Kramar, Thomas 34 Krämer, Sybille 46, 54–55, 136 Kraus, Karl 268, 414 Krebs, Cindy 33 Kreuzer, Franz 40–41 Kries, Johannes 395 Krings, Hermann 348 Kroker, Arthur 200 Krönig, Franz Kasper 34 Krotz, Friedrich 297, 299–300 Küenzlen, Gottfried 37, 102, 190, 193, 224, 262–264, 333, 427 Kunczik, Michael 305–306, 444 Kunze, Caren 32 Kürnberger, Ferdinand 269 Kurth, Karl 60 Kutsch, Arnulf 59, 316 Labudda, Silke 80, 332 Landauer, Gustav 414 Lang, David 123 Langer, Inghard 116 Las Casas, Bartolomé 213 Lasswell, Harold 307–308 Laue, Max von 349 Laulan, Anne-Marie 448, 459 Lavater, Johann Kaspar 392 Lazersfeld, Paul 307 Le Saux, Henri 205, 448 Leeker, Martina 200 Leibniz, Gottfried Wilhelm 184, 243, 325–326, 368 Lenin, Wladimir Illjitsch 196 Lessing, Gotthold Ephraim 219 Libet, Benjamin 187 Liebes, Tamar 65 Liebeschütz, Hans 395–396 Linder, Alexandra 34, 215 Lippmann, Walter 301 Lipps, Hans 429 Littlejohn, Stephen 144, 260 Livingstone, Sonia 297 Löbl, Emil 58 Löblich, Maria 30, 53, 57, 60–62, 66, 301, 305–309, 311, 316–317, 333, 447 Lochard, Guy 459

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Namensverzeichnis Löffelholz, Martin 57 Löffler, Sigrid 273–274 Loos, Adolf 414 Lovink, Geert 51–52 Löw, Reinhard 133, 167, 195, 332 Löwith, Karl 184, 215, 218–222, 324, 338, 394, 417, 434 Lübbe, Hermann 181, 257, 444 Lübcke, Paul 106, 190 Luckmann, Thomas 54 Luger, Kurt 24, 213, 272, 449 Luhmann, Niklas 49, 244 Lundby, Knut 297 Luther, Martin 231, 236 Luxenberg, Christoph 170 Lyotard, Jean-Francois 185–186, 344–345, 402 Macciavelli, Niccolò 276 Mahadevan, Telliyavaram Mahadevan Ponnambalam 253 Maier, Hans 133, 161 Maletzke, Gerhard 55–56, 61–62, 76, 138, 284 Mander, Matthias 35 Manella, Jürg 46, 244 Mann, Thomas 323 Maoro, Bettina 45 Maria Theresia (Kaiserin) 260–261 Marion, Jean-Luc 344–345, 428, 445– 446 Markus, Mark 223–224, 234–235, 237–238, 272, 287, 292–296 Marquard, Odo 191, 196, 443 Martienssen, Ludwig 390 Marx, Karl 183–184, 219–220, 261 Mauthner, Fritz 268–269, 414 Mautner, Ruth 424 Mayrhofer, Franz 35 Mazzoleni, Gianpietro 297 Mc Clintock, Barbara 332 Mc Ginn, Bernard 173 Mc Luhan, Herbert Marshall 34, 200 Mc Mahan, David D 46 Mc Quail, Denis 62 Mead, George Herbert 71, 301 Meid, Volker 182

Meinecke, Friedrich 394–395 Merlan, Philip 102 Merten, Klaus 70, 139–140, 244, 323, 327 Mettler-Meibom, Barbara 124–125, 132–133, 135 Metz, Jean-Baptiste 32, 43, 172 Meurers, Joseph 376 Meyeen, Karl von 224 Meyen, Michael 30, 53, 459 Meyer-Abich, Klaus Michael 379 Meyer-Drawe, Käte 274 Michahelles, Florian 33 Mirandola, Pico della 182, 232 Mitterer, Josef 71, 254 Mitzera, Maria 405 Mohr, Martin 303–304 Mooren, Thomas 459 Moorstedt, Tobias 33 Morse, Stephen 36 Moscovici, Serge 65 Moses 103, 228 Müller-Eckhard, Hans 38, 379, 446– 447 Müller, Gabriele 43 Müller, Tobias 347, 438 Musil, Robert 388 Mutschler, Hans Dieter 42–43 Nagel, Thomas 438 Nagorny, Klaus 33 Neidl, Walter 169–171 Nentwich, Michael 33 Nessmann, Karl 260 Neusner, Jakob 232 Newton, Isaak 252, 352 Niethammer, Lutz 223 Nietzsche, Friedrich 117–118, 187– 189, 223, 243, 264, 268, 372, 443 Nigg, Walter 38, 218, 257 Nikolaus von Kues 245 Nishitani, Keiji 439 Noelle-Neumann, Elisabeth 61, 307 Novak, Martin 389 Obst, Bernhard 58–59 Oillo, Didier 459

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Namensverzeichnis Okochi, Ryogy 443 Origenes 218 Orlan 125 Orloff, Avril 65 Osterhammel, Jürgen 32 Otto, Rudolf 224 Otto, Walter F 169 Overhage, Paul 384 Ovid 215 Packard, Vance 310 Paracelsus 321 Park, Robert Ezra 261 Parmenides 397–398 Pascal, Blaise 29 Passoth, Jan-Hendrik 50 Paul VI 165 Pavelka, Ernst 435 Pawek, Karl 295–296 Peirce, Charles Sanders 268 Peters, John Durham 30, 65, 225, 307 Petersson, Niels 32 Pfabigan, Alfred 224 Pfusterschmid-Hardtenstein, Heinrich 35 Picard, Max 285, 310 Picker, Richard 191 Pietschmann, Herbert 23, 27, 42, 77– 78, 86, 110, 123, 141, 143, 183, 201– 202, 208, 210, 213, 236, 241, 246– 251, 255, 257–258, 262, 266, 275– 276, 284, 289–290, 324, 331–332, 347, 349–351, 355, 357–358, 360– 363, 365–368, 370–371, 373, 383, 388, 407, 411, 436, 438, 443, 448– 451, 454, 458 Pindar 126, 336 Planck, Max 334, 353 Platon 215 Plotin 164, 375, 377 Podolsky, Boris 358 Pool, Ithiel de Sola 239 Pörksen, Uwe 256 Portmann, Adolf 117, 339, 342, 431 Postman, Neil 200, 310 Prinz, Robert 346

Prisching, Manfred 40 Prutz, Robert 183, 287 Pürer, Heinz 114 Quandt, Thorsten 57 Radtke, Frank 390 Rahn, Helmut 175 Rahner, Hugo 163–164, 173, 461 Rahner, Karl 230–231 Rammstedt, Otthein 31, 188–189, 274 Randa, Alexander 213, 217 Rassem, Mohammed 134 Rath, Matthias 27, 69, 448, 459 Ratzinger, Joseph 74, 87, 162, 175, 178, 181, 191, 204, 211–213, 217, 226, 228, 230–232, 236, 251, 256, 271, 289, 294, 380 Rausch, Hannelore 163 Rautert, Timm 43, 110 Reemtsma, Jan Philipp 240 Rehmann-Sutter, Christoph 149 Reichertz, Jo 54, 114 Reisenbichler, Florian 255, 266, 313, 371, 389 Reisner, Erwin 278 Rekacewicz, Philippe 32 Renckstorf, Carsten 30, 57, 65, 68, 144 Reuel, Denney 310 Revers, Wilhelm Josef 24, 98, 129, 146, 431 Ricci-Sindoni, Paola 435 Richir, Marc 445 Richter, Christoph 420–422 Richter, Helmut 54 Riesman, David 310 Rilke, Rainer Maria 414 Ritt, Reinhold 147 Rohrbach, Wilfried 422 Röhrle, Erich 352–354, 359, 381, 456 Rolf, Thomas 123 Rombach, Heinrich 24, 103, 128–129, 184, 259, 327, 405, 437 Rorty, Richard 267 Rosen, Nathan 358

507 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis Rosenstock-Huessy, Eugen 27, 391, 394, 396, 401, 420–425, 432, 435, 458 Rosenzweig, Franz 27, 75, 179, 220, 394–406, 412–414, 421–422, 430, 434–435, 439–440, 458 Rossi, Ernest L 130 Roth, Martin 440, 459 Rothe, Friederike 11, 52, 65–66, 77, 121, 139–140, 149, 242–245, 274, 277–281, 310, 316, 327–328, 333, 337, 368–369, 373, 377–378, 438 Rother, Christian 223 Röthlein, Brigitte 113 Roux, Wilhelm 339, 389 Ruckenbauer, Hans-Walter 449 Rückriem, Georg 89–92, 199, 452 Rüdiger, Thomas-Gabriel 33 Rühl, Manfred 11–12, 53, 57, 63, 67, 69, 71, 259–260, 290, 308, 318 Russel, Bertrand 156, 269 Salomon, Ludwig 58 Saner, Hans 147 Sapir, Eduard 268 Sartre, Jean-Paul 240, 371 Saussure, Ferdinand de 268, 421 Schäfer, Fabian 440, 459 Scherrer, Christoph 32 Scheufele, Bertram 57 Schiele, Egon 414 Schiller, Friedrich 344 Schimmel, Annemarie 170 Schinzilarz, Cornelia 423 Schipperges, Heinrich 164 Schirrmacher, Frank 279 Schleiermacher, Friedrich Daniel 271 Schlette, Heinz Robert 157, 159, 168– 171, 174, 184 Schmidinger, Heinrich 103, 186, 391 Schmidt, Kerstin 200 Schmidt, Manfred A 435 Schmidt, Siegfried 68 Schmitz, Walter 54 Schmolke, Michael 58, 301–302, 341 Schmucker, Joseph 41, 185, 313 Schnädelbach, Herbert 183

Schneider, Hans J 339 Schneidewind, Uwe 36 Schnider, Tanja 147 Scholem, Gershom 173 Schopenhauer, Arthur 198, 323, 415 Schörghofer, Gustav 431 Schramm, Wilbur 68, 301, 307 Schrey, Heinz-Horst 390, 424 Schrödinger, Erwin 25–26, 343, 356, 359, 365, 382 Schulz von Thun, Friedemann 55, 115–117, 119–121, 123–124, 152, 453 Schulz, Winfried 297 Schulze, Gerhard 272 Schuman, Robert 214 Schweidler, Walter 459 Sedláček, Tomás 35 Seils, Martin 392 Semrad, Bernd 59–60 Senn, Walter 332 Shannon, Claude Elwood 55–56, 140, 255, 347 Shibajama, Zenkei 168 Shirky, Clay 276 Siegert, Gabriele 350, 449, 459 Silbermann, Alphons 282–283 Simmel, Georg 31, 71, 132, 188–189, 196, 199, 220, 243, 260, 271–272, 274, 294, 315, 391, 395, 407, 414 Simpson, Christopher 308 Skorulski, Krzysztof 390 Sløk, Johannes 224 Sloterdijk, Peter 416 Smith, Adam 260 Smith, Sandi W 276–277, 310, 316 Snyder, Solomon 332 Soboleva, Maja E 394 Sokrates 103 Solomon, Norman 310 Spaemann, Heinrich 260 Spaemann, Robert 196, 271, 278, 326–327, 336–338, 346–347, 367– 369, 373, 437 Spät, Patrik 347, 438 Spengler, Oswald 221, 223 Spinoza, Baruch 289

508 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis Splechtna, Erich 191 Splett, Jörg 90, 108, 148, 173, 185, 330 Spoerri, Theophil 102, 182 Stein, Edith 46, 394, 425–433, 458 Stein, Rosa 426 Steinmaurer, Thomas 284, 297 Steinschaden, Jakob 48 Stifter, Adalbert 345 Stöhr, Adolph 406 Stolzenburg, Klaus 353–354, 381 Straubinger, Johannes 36 Sudbrack, Josef 173, 203, 258, 388– 389, 416 Szynka, Peter 48, 105 Tarnas, Richard 31, 186, 193, 196, 269–271 Tausch, Reinhard 116 Tembrock, Günter 346, 384 Tenbruck, Friedrich 39, 85, 93–94, 142, 158, 209, 258, 317, 333, 376 Tengelyi, Laszlo 445 Teoharova, Genoveva 459 Thales von Milet 231 Theunissen, Michael 201, 240, 417– 419 Thiedecke, Udo 34 Thiel, Josef Franz 161–162, 164 Thomaß, Barbara 27, 69, 448, 459 Tichy, Herbert 156 Todt, Dietmar 54 Tomiska, Josef 247, 334 Tönnies, Ferdinand 261 Trappel, Josef 297 Trosko, Jim 388 Trost, Kai Erik 48 Tye, Larry 306 Uckelmann, Dieter 33 Ueda, Shizuteru 223 Ulrich, Gerhard 149, 257 Vattimo, Gianni 33 Vereno, Matthias 95, 156–157, 159– 161, 167–168, 170, 172–174, 177– 178, 181–182, 184, 189, 192, 194,

203–205, 207, 209, 214, 226–227, 231, 245, 247, 252–254, 257, 270 Vesalius 233 Vester, Frederic 48 Vetter, Helmuth 117 Vico, Giambattista 192, 220–221 Vilsmaier, Ulli 449 Virchow, Rudolf 251 Voltaire 184 Vom Bruch, Rüdiger 58, 301–302 Vonessen, Franz 41–42, 105, 165– 166, 227 Waldenfels, Hans 159 Wandruszka, Mario 95–97 Wang, Georgette 448 Wanhoff, Thomas 50 Watts, Alan 163 Watzka, Heinrich 101 Watzlawick, Paul 40–41, 116, 119, 129–130 Weaver, Warren 55–56, 255, 347 Weber, Max 59, 83, 261 Weber, Stefan 25, 57, 66, 71, 126, 148–149, 253–254, 310 Wehner, Josef 50 Weinreb, Friedrich 343 Weischedel, Wilhelm 104, 325–326 Weiser, Mark 33 Weizsäcker, Carl Friedrich von 248, 250, 379 Weizsäcker, Viktor von 394–395 Welsch, Wolfgang 33, 185 Wettstein, Oskar 58 Whorf, Benjamin L 268 Wiedemann, Thomas 459 Wiehl, Reiner 123 Wilhelm, Richard 329 Wilke, Jürgen 296 Wilson, Edward O 76 Wilson, Steven R 276–277, 310, 316 Windelband, Wilhelm 86 Winn, Marie 310 Wittgenstein, Ludwig 269, 405 Witzany, Günther 340 Wojcieszuk, Magdalena 435 Wolpoff, Milford 284

509 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

Namensverzeichnis Wucherer-Huldenfeld, Augustinus Karl 82–83, 98, 369–370, 406, 409– 410, 446 Wundt, Wilhelm 71 Yehoyada, Amir 435 Young, Thomas 352

Ziegler, Jürgen 80–81 Ziegler, Leopold 376 Ziegler, Ulf 43, 110 Ziemann, Andreas 63, 68–71, 122, 273, 323, 391, 449, 453 Zucal, Silvano 24, 364 Zurstiege, Guido 68 Zybowsky, Przemyslav 394

Zeilinger, Anton 358

510 https://doi.org/10.5771/9783495817803 .

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