Rechtssprache und Kommunikation. Grundlegung einer semantischen Kommunikationstheorie [1 ed.] 9783428406586, 9783428006588

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German Pages 183 [184] Year 1966

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Rechtssprache und Kommunikation. Grundlegung einer semantischen Kommunikationstheorie [1 ed.]
 9783428406586, 9783428006588

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DIETER HORN

Rechtssprache und Kommunikation

Rechtssprache und Kommunikation Grundlegung einer semantischen Kommunikationstheorie

Von

Dr. Dieter Horn

D U N ,C K E R & H U M B L 0 T / B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1966 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

© 1966 Duncker

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Die Theorie der Rollenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation . . . . . . . . . . .

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3.1 Juristische Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.2 Theorien der Sprachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.3 Kritische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Kommunikationstheorien der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Kommunikation in einfachen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.1 Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.2 Die Theorie der präskriptiven Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.3 Die imperative Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

5.4 Kommunikation mittels des Sprachlautes "rechts" in einfachen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften . . . . . . . . . . . . .

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6.1 Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.3 Die Verbindung von Sprachlauten als Kommunikationstechnik....

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6.4 Die Reproduktion identischer Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7 Juristische Kommunikationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7.1 Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7.2 Die Benennung von Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens . . .. .. .... .. . . ... ... 110 7.3.1 Methodische Vorbemerkung ................ . .... . ......... . .. 110 7.3.2 Die Bedeutung des Ausdrucks "widerrechtlich" vom Standpunkt klassenlogischen Denkens .... .... . . . ... . .. . ...... 114 7.3.3 Die Bedeutung des Ausdrucks "widerrechtlich" vom Standpunkt inhaltslogischen Denkens .. ............ .. ... ...... 123

Inhaltsverzeichnis

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7.3.4 Die Verwendung des Ausdrucks "widerrechtlich" in der juristischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.3.5 Die Verwendung des Ausdrucks "widerrechtlich" in kommunikationstheoretischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen ..... 143 8 Zusammenfassung und Schlußbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Literaturverzeichnis .................................................. . 163 Sachverzeichnis

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1 Einleitung Die folgende Untersuchung gehört in den Bereich der Rechtswissenschaft und zugleich in den der Kommunikationstheorie. Die Ungewöhnlichkeit dieser Verbindung dürfte nicht nur Überraschung auslösen. Gegen sie könnte vorgebracht werden, daß die eine Disziplin den Geisteswissenschaften, die andere hingegen den Naturwissenschaften angehöre, die Kombination mithin unzulässig sei, da beide Bereiche ihren eigenen Gesetzen gehorchten. Wenn hier dennoch eine Verbindung vorgenommen wird, so geschieht das nicht deshalb, weil die Kommunikationstheorie eine neue Wissenschaft ist, die Beachtung verdiente, sondern auf Grund der Tatsache, daß sachliche und methodische Zusammenhänge bestehen. Es wird sich zeigen, daß auf diese Weise bei der Behandlung der Probleme vertiefte Einsichten gewonnen werden können, die für beide Bereiche nützlich sind. Der behauptete sachliche Zusammenhang ergibt sich aus der Herkunft der Rechtswissenschaft. Sie hat sich aus einer Urfunktion der sprachlichen Verständigung entwickelt. Einige Ausdrücke, die aus frühesten Zeiten auf die Gegenwart überliefert worden sind, haben besondere Bedeutung. Ihre ursprüngliche Verwendungsweise kann erschlossen werden, wenn sie mit eigenartigen Ausdrücken primitiver Kulturen verglichen werden. Dadurch wird es möglich, mit bestimmten Ausdrücken das Funktionieren sprachlicher Verständigung in einfachen Systemen zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion kann durch die in verschiedenen Wissenschaften gesammelten Kenntnisse gesichert werden. Das wichtigste Ergebnis dieser Rekonstruktion ist die Einsicht, daß das Funktionieren sprachlicher Verständigung nur dann verstanden werden kann, wenn eine neue Methode gewählt wird. Durch diese Klärung des methodischen Problems wird sowohl der Rechtswissenschaft als auch der Kommunikationstheorie ein Weg gewiesen, auf dem die Fragen sprachlicher Verständigung sinnvoller als in der Vergangenheit behandelt werden können. Beide Disziplinen mußten bisher bei der Behandlung der sprachlichen Verständigung auf die herkömmliche Sprachtheorie zurückgreüen, obwohl die Kommunikationstheorie ein neuer Beginn sein soll. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß die Kornmunikationstheorie mit der Behandlung von Fragen, die die Produktion und das Verstehen von Sprachlauten betreffen, begonnen hat. Als

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1 Einleitung

sie sich der Verständigung auf dem inhaltlichen oder semantischen Niveau zuwendete, übernahm sie die herkömmliche Sprachtheorie. Deren Lehren besagen, es sei evident, daß die sprachliche Kommunikation funktioniere. Deshalb hat sich die Sprachwissenschaft in der Vergangenheit nie mit der sprachlichen Verständigung selbst befaßt. Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen war immer allein das Problem, wie die Menschen es vermöchten, über die Dinge der Welt zu reden, da sie doch die Dinge selbst nicht in das Gespräch bringen könnten. Die Feststellung, daß sich die Sprache in bestimmter Weise auf die Dinge der Welt bezöge, wurde als Lösung angesehen. Mit diesen Überlegungen wird zwar ein wichtiger Aspekt sprachlicher Verständigung angeschnitten, das Funktionieren der sprachlichen Verständigung wird dadurch jedoch nicht erklärt. Auf der Grundlage der bei der Untersuchung einfacher Systeme gewonnenen Ergebnisse kann das Funktionieren der sprachlichen Verständigung in entwickelten Sprachgemeinschaften untersucht werden. Da sich herausstellt, daß die Verständigung nicht auf bestimmten Eigenschaften der Sprache beruht, wird die aktive Rolle der Kommunikationspartner deutlich. Dieses Ergebnis ist wiederum für die Rechtswissenschaft nicht ohne Interesse, da die traditionelle Lehre den Richter als passiven Empfänger bestimmter Informationen auffaßt.

2 Die Theorie der Rollenverteilung Die Rechtswissenschaft kann ihren Gegenstand unter verschiedenen methodischen Blickwinkeln behandeln. Sieht sie als Gegenstand die Summe der sprachlich fixierten Regeln an, so mag sie gemäß der wissenschaftstheoretischen Überlieferung1 ihre Aufgabe darin sehen, die Sätze festzustellen, zu ordnen, um auf diese Weise ein System des Rechts zu errichten2 • Von einem anderen Blickpunkt ist die Frage möglich, wie es zur Bildung, Veränderung und dem Untergang dieser Regeln kommt, denn die Rechtsgeschichte lehrt, daß die Rechtsinstitute ständigem Wandel unterworfen sind. Diese Frage erlaubt verschiedene Weisen der Annäherung. Wendet man die Aufmerksamkeit vor allem den Rechtsinstituten selbst zu, so gelangt man zu einer Beschreibung der wedJ.selseitigen Abhängigkeit der Regeln innerhalb eines Systems, was von Del Vecchio mit einem anatomischen Verfahren verglichen wird3 • Dieses Verfahren kann die anderen Bereichen entstammenden Regeln einbeziehen. Wird zum Beispiel die Moral ebenfalls als ein Satz von Regeln aufgefaßt, so ist es möglich die wechselseitige Beeinflussung dieser beiden Bereiche zu erforschen, um auf diese Weise die Bildung der Regeln zu erklären4 • Die Frage nach den wirksamen Faktoren lenkt aber die Aufmerksamkeit vor allem auf jene Menschen, die sich ständig mit diesen Regeln beschäftigen. Daß auch andere Faktoren diesen Prozeß beeinflussen, wird dabei keinesfalls übersehen. Häufig wird auf den Einfluß der Gesellschaft hingewiesen, die als Produzentin allgemeiner Ideen angesehen wird5 • Indes begnügt man sich meist mit dieser allgemeinen Bemerkung. Daß diese Kräfte nicht genauer untersucht werden, findet seinen Grund darin, daß die Ideen der Gesellschaft durch den Kanal der Sprache auf das Recht einwirken6 • Der Einfluß und Umfang außerrechtlicher Gedanken bleibt unbemerkt, weil der Sprachkanal in Wirklichkeit nicht zwei streng geschiedene Bereiche verbindet, vielmehr ist die Sprache das gemeinsame Kommunikationsmittel der Gemeinschaft, der auch die 1 Carnap (Aufbau) 2. : Vgl. Viehweg (Topik) 59 f.; Lahtinen (Grundlagen) 70. 3 Del Vecchio (Rechtsgeschichte) 90. 4 Hexner (Terminology) 6; Liver (Rechtsquelle) 21; Paton (Jurisprudence) 108 f.; Macmillan (Law). 5 Levi (Legal Reasoning) 4; Huber (Ungeschriebenes Verfassungsrecht) 112; Zippelius (Rechtsfortbildung) 1982. 6 Hexner (Terminology) 51.

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2 Die Theorie der Rollenverteilung

Rechtswissenschaftler angehören7 • Die Wechselwirkung zwischen den beiden Bereichen tritt aber deutlich hervor, wenn ein Rechtssystem in eine fremdartige Kultur verpflanzt werden soll. Die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland stieß auf eine heftige Opposition aus dem anderen Bereich8 • Der Widerstand gegen ein bereits übernommenes Recht kann so stark werden, daß man sich schließlich sogar von ihm abkehrt, was im japanischen Recht der Gegenwart beobachtet wird9 • Hirsch sagt deshalb, daß der Erfolg einer Rezeption vor allem von der Reaktion des Soziallebens des betreffenden Landes abhänge10• Obwohl der Rechtswissenschaft diese Tatsachen bekannt sind, sucht die Theorie die Ursachen für die Bildung und Veränderung der Rechtsregeln vornehmlich bei bestimmten Personen, denen durch die Verfassungen der modernen Staaten bestimmte Aufgaben zugewiesen sind. Da in diesen Untersuchungen verschiedenartige Funktionen der Beteiligten festgestellt werden, scheint es zweckmäßig zu sein, unter Verwendung eines in der Soziologie und Anthropologie gebräuchlichen Denkinstrumentes11 von einer Theorie der Rollenverteilung zu sprechen. Die juristische Theorie der Rollenverteilung ist von komplexer Beschaffenheit. Einerseits schreiben Setzungen eine bestimmte Rollenverteilung zwingend vor. Andererseits kann sich die Rechtswissenschaft aber mit dieser durch die Setzung vorgegebenen Rollenverteilung nicht einfach abfinden. Ihre Aufgabe ist es, die tatsächlichen Verhältnisse zu erforschen. Eine den Anforderungen der Wissenschaft genügende Antwort setzt voraus, daß Maßstäbe gefunden werden, die die Feststellung erlauben, in einem bestimmten Falle sei eine neue Rechtsregel gebildet oder eine alte verändert worden. Dies führt zu erheblichen Schwierigkeiten, denn bei den Untersuchungen ergibt sich, daß die Rechtswissenschaft diese Maßstäbe nicht zur Verfügung stellt, so daß der Jurist auf die Lehren anderer Disziplinen angewiesen ist. Die Theorie der Rollenverteilung ist deshalb in erheblichem Umfang mit Argumenten aus außerjuristischen Bereichen durchsetzt. Wohl alle entwickelten Rechte enthalten Regeln, die den Verwaltern des Rechts bestimmte Funktionen zuweisen. Allgemein verbreitet ist die Scheidung der beiden Funktionen Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Unter Umständen gibt es gar nur eine einzige Funktion, dann nämlich, wenn es sich um ein ewiges Recht handelt; hier bleibt als einzige Funktion die der Anwendung. Wegen 7 Raiser (Rechtspraxis) 1204; Black:shield (Justice) 154. s Beseler (Volksrecht) 40 ff. 9 Ruete (Rechtsgestaltung) 118 ff. 10 Hirsch (Rezeption) 133. 11 Nadel (Social Structure) 20: "It should be stated, ftrst of all, that the role concept is not an invention of anthropologists or sociologists but is employed by the very people they study"; Dahrendorf (Soziale Rolle).

2 Die Theorie der Rollenverteilung

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dieser Besonderheit der ewigen Rechte soll ein kurzer Blick auf die Theorie der Rollenverteilung in den religiösen Rechten geworfen werden. Der Islam ist als göttliches Recht grundsätzlich unveränderlich, führt Pritsch aus12• Die vertraute Ausdrucksweise zeigt, daß es doch veränderlich ist. Da der Koran nur wenige Rechtsvorschriften enthält, mußten die Lücken ausgefüllt werden, eine Aufgabe, die in diesem Fall nur von den Richtern erfüllt werden konnte. Die Rolle der Richter bei der Änderung des Rechts wird in der Auslegungslehre des Korans behandelt. Den Anfang macht das Gebot, es sei nicht wünschenswert, daß die heutigen Gerichte ihre eigenen Konstruktionen in den Koran hineinlegten. Dieser Warnung folgt aber die Erklärung, daß die islamische Rechtswissenschaft nicht statisch sei, sondern sich mit der Zeit entwickelt habe, deshalb müßten die Texte so angewendet werden, wie die modernen Verhältnisse es erforderten13• Das jüdische Recht wird von Silberg14 wegen seiner Anpassungsfähigkeit gerühmt, stets habe es den Normen und Idealen der jeweiligen Generation angeglichen werden können. Zu verdanken sei diese Anpassung dem Richter, die Bewältigung dieser Aufgabe werde ihm aber durch seine eigentümliche Stellung im jüdischen Recht erleichtert. Seine Funktionen wären von anderer Art als die des kontinentalen Richters; man könnte ihn eigentlich nicht als Urteiler ansehen, der einen Streit zweier Parteien zu entscheiden habe, seine Aufgabe sei vielmehr, den Parteien zu erklären, was für ein Verhalten den15 am Streit Beteiligten vom Rechte vorgeschrieben werde. Anders als der Richter des Kontinents müsse er nicht nach einer vorgegebenen Regel Ausschau halten. Gerade durch diese Anschauung werde aber dem Richter des Kontinents die Möglichkeit genommen, in ausreichendem Maße an der Anpassung des Rechts mitzuwirken18• Trotz des theoretischen Ausgangspunktes, der den Verwaltern des Rechts nur die Funktionen der Anwendung läßt, gestehen die religiösen Rechte dem Richter die Fortbildung des Rechts zu. Überdies erwecken die wiedergegebenen Äußerungen den Eindruck, daß man das Problem der Rollenverteilung unbefangener ansieht. Die Fortbildung des Rechts durch den Richter wird nicht nur hingenommen, sondern als selbstverständlich angesehen. Pritsch (Islam) 40. Fyzee (Muhammadan Law) 65, 66. Silberg (Law and Morals) 307. 15 Vgl. die ähnlichen Gedanken Werners in seinem Vortrag "Recht und Toleranz", Bericht vom Juristentag NJW 1962, 1854. 18 Silberg (Law and Morals) 307. 12

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2 Die Theorie der Rollenverteilung

Die deutsche Theorie muß von der Bestimmung des Art. 20 Abs. III GG ausgehen, die den Richter an Gesetz und Recht bindet. Die übliche Auffassung leitet diese Bestimmung aus dem Grundsatz der Gewaltentrennung ab17 • Es ist aber nicht völlig auszuschließen, daß gewisse Bedenken hinsichtlich der Person des Richters mitwirken18 • Diese Ansicht ist in allen entwickelten Rechtssystemen anzutreffen. Die Furcht vor richterlicher Willkür und die Annahme, der Richter besitze nicht immer hinreichenden Verstand19 , sind ihre Hauptbestandteile. Ruete20 berichtet, daß die chinesische Rechtsschule der Legisten forderte, die Gesetze müßten klar sein, damit jeder sie verstehe, und auch der sittlich unvollkommene Beamte sie richtig anwenden könne. Rümelin21 führt in diesem Zusammenhang aus, daß die Auffassung von der Sündhaftigkeit und Schwäche der menschlichen Natur die Ausgestaltung des kanonischen Rechts im Mittelalter nachhaltig beeinflußt habe. Berücksichtigt man die Verhältnisse in Preußen zur Zeit der Justizreformen, liegt die Annahme nahe, daß das Auslegungsverbot im Publikationspatent zum Landrecht22 wesentlich von derartigen Anschauungen abhängt. Auch in der Gegenwart tauchen derartige Erwägungen auf. Sie werden erkennbar, wenn man gewisse Schlüsselwörter beachtet, die regelmäßig bei der Interpretation der Bindung auftauchen. Eines dieser Wörter ist der Ausdruck "Rationalität". Maihofer23 sieht in diesem Ausdruck das Gebot, jede irrationale Bindung des Richters an die Gebote der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit aufzuopfern, damit die reine Herrschaft des Gesetzes erreicht werde. Die Verwendung des Ausdrucks "irrational" wird aber regelmäßig auch den Eindruck der Unvernünftigkeit, der Vorherrschaft des Gefühls hervorrufen24• So schreibt Simitis25 im Hinblick auf die Erscheinungsformen des Irrationalismus in der Rechtswissenschaft: "Die irrationale Entscheidung des Richters an die Stelle feststellbarer Größen zu setzen, bedeutet die Rechtsordnung in ihr Gegenteil verkehren, Willkür und Herrschaft der jeweiligen Machtkonstellation in die Gestalt einer Rechtsordnung zu hüllen." Die Tatsache, daß in allen entwickelten Rechtssystemen derartige Befürchtungen laut werden, scheint darauf hinzudeuten, daß hier ein wesentlicher Grund für die Theorie der Rollenverteilung liegt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die Ablehnung der gefühlsmäßig geMaunz (Staatsrecht) 212 f. Aristoteles (Rhetorik) 1354a meint, daß gute Gesetze möglichst wenig dem Richter überlassen. 19 Frank (Law) 140. 2o Ruete (Rechtsgestaltung) 5 f. 21 Rümelin (Rechtssicherheit) 57. 22 Allgemeines Landrecht, XIV. 28 Maihofer (Bindung) 30 f. 24 Hoffmeister (Wörterbuch) 25 Simitis (Logik) 64. 17 18

2 Die Theorie der Rollenverteilung

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troffeneu Entscheidung auch andere Gründe haben kann. Es ist denkbar, daß die Bekämpfung des Gefühls ein wichtiges Mittel der Selbsterziehung ist26 • Aus den Feststellungen der vergleichenden Psychologie scheint zu folgen, daß die Zurückdrängung des Gefühls notwendig ist, wenn sprachliche Kommunikation verbessert werden soll27 • Trotz der heute noch lebendigen Befürchtung gesteht die Theorie dem Richter zu, daß auch er zur Fortbildung des Rechts berufen sei. Diese Korrektur wird durch die Analyse der tatsächlichen Verhältnisse bei der Rollenverteilung erzwungen. Aus ihr folgt, daß jedenfalls nicht alle richterlichen Entscheidungen als einfache Anwendung des Gesetzes zu bestimmen sind. Die Untersuchung der tatsächlichen Verhältnisse führt zu verschiedenen Deutungen. Die Ge:fichte dürften meist auf dem Standpunkt stehen, daß sich ihre Tätigkeit regelmäßig in der Anwendung des Gesetzes erschöpfe28 • Auch in der Theorie scheint diese Anschauung vorzuherrschen. Es kann aber nicht übersehen werden, daß in der Gegenwart die Äußerungen häufiger werden, die besagen, der Richter habe einen größeren Anteil an der Fortbildung des Rechts als gewöhnlich angenommen werde. Die Ansichten einiger Autoren scheinen in letzter Konsequenz sogar den Gedanken der reinen Anwendung des Gesetzes aufzuheben. Eine vollkommene Abwendung von der überkommenen Ansicht bringen die Lehren Schuberts29• Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Tatsache, daß es unter gewissen Voraussetzungen möglich ist, den Ausgang eines Prozesses vorauszusagen. Notwendig für diese Prophezeihung sind Kenntnisse, die die Person der beteiligten Richter betreffen. Dieses Wissen ermöglichte es ihm sogar, die Abstimmungsverhältnisse mit erstaunlicher Genauigkeit vorauszusagen. Die Fähigkeit, richtige Prophezeibungen abzugeben, genügte Schubert indes nicht30, sein Ziel war die wissenschaftliche Fundierung dieser von vielen mit Erfolg ausgeübten Fähigkeit. Die Lösung dieser Frage glaubt er durch eine Analyse des richterlichen Verhaltens zu finden. Weiterhin nimmt er an, daß das Verhalten der Richter in einem Modell abgebildet werden könne; die Vorhersage von Entscheidungen solle dann lediglich der Verifizierung des Modells dienen31 • In seiner ersten Untersuchung will er das Modell mit Hilfe der Spieltheorie errichten. Diese Theorie ist nun dem Gegenstand der Untersuchung überhaupt nicht angemessen, sie- widerspricht sogar der Grundannahme Schuberts. Eine kurze Erläuterung der Spieltheorie macht das einsichtig. 26 27

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Vgl. z. B. Geiger (Nüchternheit) 153 ff. Werner (Psychology) 302 ff. Vgl. z. B. BAG in NJW 1955, 807; vgl. auch Isay (Rechtsnorm) 40, 66, 68, 92. Schubert (Judical Attitudes). Schubert (Judical Attitudes) 103. Schubert (Judical Attitudes) 102.

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2 Die Theorie der Rollenverteilung

Die von Morgenstern und Neumann entwickelte Spieltheorie gehört in den Bereich der Wirtschaftswissenschaft; sie will demzufolge das wirtschaftliche Verhalten des Menschen erklären. Da die Autoren das Verhalten in einem mathematischen Modell abbilden wollen, so daß die Einhaltung (weniger) bestimmter Regeln erzwungen wird, vergleichen sie das Verhalten des wirtschaftenden Menschen mit einem Spiel, das auch nach bestimmten Regeln erfolgt. Die Spieltheorie ist also nur dann anwendbar, wenn jeder Teilnehmer die Regeln kennt und ausschließlich nach ihnen handelt32. Die Verfasser nennen das rationales Verhalten33. Schubert will aber beweisen, daß der Richter seine Entscheidung nicht ausschließlich gemäß vorgegebenen Regeln fällt. Seine Theorie muß die Ursachen einer Entscheidung auch in der Person der beteiligten Richter finden, deshalb führt er die Annahme ein, das Erarbeiten der Entscheidung wäre nicht völlig rational. Obwohl er sieht, daß diese Annahme mit der Spieltheorie nicht verträglich ist, will er sie heranziehen, da sie ihm einen hinreichenden Grund für die Erklärung des richterlichen Verhaltens zu bieten scheint. Das von der Spieltheorie vorausgesetzte Streben nach Gewinn glaubt er auch für den Richter annehmen zu können; der Richter, so behauptet er, ließe sich bei der Urteilsbildung von dem Streben nach Macht leiten34 • Berns bemerkt dazu, daß Schubert selbst wohl nicht recht an diese Behauptung glaube35• Wahrscheinlich sind Schubert die Schwächen und gewisse Ungereimtheiten dieser Theorie nicht verborgen geblieben, denn in späteren Untersuchungen36 stellt er andere Gesichtspunkte in den Vordergrund. Er stellt die These auf, daß jeder Richter gewisse wohlgeordnete Haltungen gegenüber verschiedenen sozialen Fakten habe. Demgemäß versucht er es, diese sozialen Fakten ausfindig zu machen und zu benennen, um in einem zweiten Schritt die Haltungen der Richter hinsichtlich dieser Fakten zu bestimmen, was ihm schließlich die Aufstellung eines psychometrischen Modells erlaubt, in dem der Standort jedes Richters festgelegt ist. Eine genauere Darstellung dieser Methode erübrigt sich; bereits die Suche nach den sozialen Fakten wirft unlösbare Probleme auf. Berns, der mit diesen Methoden ins Gericht geht, erwähnt, daß drei Anhänger des Verfahrens, die überdies die gleiche Schulung genossen hatten, sich nicht über die für einen Sachbereich relevanten Fakten einigen konnten37. Schuberts Gedanken enthalten einen richtigen Kern. Das Verfahren ist indes zu einseitig. Wenn die ergangene Entscheidung als Reaktion des Richters auf vorgegebene Tatsachen gedeutet wird, dürfte unter 32

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Neumann und Morgenstern (Spieltheorie) 31, 32. Neumann und Morgenstern (Spieltheorie) 8 ff. Schubert (Judical Behavior) 176. Berns (Behavioral Science) 194. Schubert (Judical Attitudes) 108. Berns (Behavioral Science) 197.

2 Die Theorie der Rollenverteilung

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ihnen nicht die Regel des Gesetzes fehlen. Da Schubert aber nachweisen will, daß die Entscheidung auf den gefühlsmäßigen Reaktionen des Richters beruht, verschwindet die Regel aus dem Modell des richterlichen Verhaltens; einzige Ursache der Entscheidung ist also die Reaktion des Richters auf soziale Fakten, die bewirken, daß er eine ganz bestimmte gefühlsmäßige Haltung einnimmt. Trotz der offensichtlichen Schwäche der theoretischen Deutung gereicht es Schubert zum Verdienst, daß er mit Nachdruck auf die Bedeutung der Richterpersönlichkeit hingewiesen und auch durch umfangreiches Beobachtungsmaterial evident gemacht hat, wobei einschränkend indes zu berücksichtigen ist, daß bereits die Auswahl des Materials eine Deutung gemäß dem eingenommenen Standpunkt erheischt. Der Rechtswissenschaft ist das Problem der Richterpersönlichkeit nicht unbekannt38. In der Theorie der Rollenverteilung wird es allerdings regelmäßig ausgeklammert. Es taucht aber auf, wenn die Besetzung bestimmter Gerichte geregelt werden soll39 • Praktiker der Macht haben bewiesen, daß die Kenntnis dieser Zusammenhänge sehr nützlich sein kann; man denke an Roosevelts berühmte Drohung "to pack the court" und die von ihm eingeschlagene Strategie bei der Ersetzung der Richter, die ihm die Durchführung seiner gesetzgeberischen Maßnahmen erlaubte40 • Wenn auch die Einschränkung gelten mag, daß die Haltung des Richters vor allem in bestimmten Gerichtsbarkeiten Bedeutung erlange, so ist doch nicht auszuschließen, daß dieser Faktor auch sonst wirksam werden kann. Daß die Theorie der Rollenverteilung dennoch diesen Faktor vernachlässigt, wird auf der Annahme beruhen, daß er ausgeschaltet ist, weil er ausgeschaltet werden muß. Wenn im Gefolge des Ausdrucks "Rechtssicherheit" die Forderung auftaucht, eine Entscheidung müsse vorhersehbar sein, glaubt man offensichtlich, daß dieser Forderung genügt werden kann, wenn der Richter sich lediglich von den Regeln des Gesetzes leiten läßt und seine persönlichen Ansichten unterdrückt. Daß allgemein angenommen wird, der Richter sei befähigt, den eigenen Standpunkt zweigleisig denkend der Regel des Gesetzes unterzuordnen, kann aus gewissen typischen Redewendungen erschlossen werden. Wird das Urteil eines Richters von der übergeordneten Instanz nicht gebilligt, so trägt ihm das häufig den Vorwurf ein, er habe die Bedeutung der Vorschrift verkannt oder rechtsirrtümlich entschieden. Diese Ausdrucksweise erklärt die Abweichung als einen Fehler des Erkenntnisprozesses; der Vorwurf, daß die Entscheidung bewußt den persönlichen Standpunkt des Richters zum Ausdruck bringe, wird nicht erhoben. Nicht umsonst pflegen auch Richter der politischen Gerichtsbarkeit, ss Ehrenzweig (Law) 157. 39 Fritsch (Richterwahl) 49 ff.; und Glosse, in NJW 58, 1429. 40 Schubert (Judical Behavior) 193.

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2 Die Theorie der Rollenverteilung

wenn auch nur Überlegungen über mögliche Bindungen angestellt werden, zu erklären, daß die Urteilsfindung nicht durch solche Umstände beeinflußt werde, sondern allein den Regeln des Gesetzes folge. Die herkömmliche Ansicht ist deshalb genau so einseitig wie die von Schubert. Insofern erscheint die von Schubert aufgestellte Behauptung in einem anderen Licht; die Überbetonung der Bedeutung der Richterpersönlichkeit mag die Reaktion auf die Lehren sein, die allein die Regel als Ursache und Maßstab der Entscheidung anerkennen. Eine Korrektur der herkömmlichen Ansichten über die Rollenverteilung streben aber auch Autoren an, die von der Maßgeblichkeit der Regel ausgehen. In der Gegenwart mehren sich die Stimmen, die dem Richter einen größeren Anteil an der Fortbildung des Rechts zusprechen wollen. Larenz41 erklärt, daß der Richter das Recht nicht nur dann fortbilde, wenn er Lücken ausfülle, sondern auch dann, wenn er eine Vorschrift erstmalig oder neu interpretiere, nur sei in diesem Fall die Rechtsfortbildung verdeckt. Daß die bisherige Lehre dies nicht erkannt habe, beruhe auf einer Täuschung, die sich aus der unterschiedlichen Einstellung des Richters ergebe. "Der Richter, der eine Norm interpretiert oder einen ausfüllungsbedürftigen Begriff, indem er ihn anwendet, im Hinblick auf den konkreten Fall ,konkretisiert', will nur das erkennen und in seinem Urteil zur Geltung bringen, was die Norm nach ihrem eigenen Sinn besagt; er will das Gesetz selbst ,sprechen lassen', nicht aber ihm etwas hinzufügen." In ähnlicher Weise spricht Viehweg42 davon, daß die immer schon vorhandene, gleichsam verschwiegene Interpretation dem Juristen weitgehend bewußt geworden sei. Er wisse nämlich, daß er immer interpretiere, auch dann, wenn er im gegebenen Fall lediglich feststelle, die Vorschrift bedürfe keiner weiteren Auslegung, denn diese Feststellung könne letztlich nur besagen, daß über die einschlägige Interpretation Einigkeit herrsche. Selbst wenn das für den Zeitpunkt der Aussage richtig wäre, bliebe es doch möglich, daß sich das in der Zukunft ändern könne. Betti43 lenkt die Aufmerksamkeit auf die psychologische Seite der Gesetzeserkenntnis. Zwar sei es richtig, daß die Aufgabe des Interpreten einzig die sei, den gemeinten Sinn einer fremden (vergangenen) Bekundung eines Gedachten aufzusuchen und die darin auftretende Art u Larenz (Rechtsfortbildung) 1 f. und (Interpretation) 385 f.; ebenso WengIer (Völkerrecht), Bd. 1, 56 f.; vgl. andererseits Stein (Rechtsfortbildung) 1748 f. und Roth-Stielow (Auflehnung) 24: "Die Jurisprudenz ist eine interpretierende Wissenschaft. Daher darf innerhalb dieser Wissenschaft nur sehr zurückhaltend von "Rechtschöpfung" gesprochen werden". 42 Viehweg (Grundlagenforschung) 523. 43 Betti (Auslegungslehre) 113, 115.

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des Denkens und Vorstellens zu verstehen. Dann fährt er aber fort, daß das nicht eine passiv bleibende mechanische Verrichtung sei. Ohne der Autonomie des Objektes Abbruch tun zu wollen, müsse anerkannt werden, daß der Interpret seine eigenen Denkkategorien zum Auslegungsprozeß beisteuern müsse.. Diese Tatsache erkläre denn auch das wechselvolle Schicksal der interpretativen Auffassung ein und desselben Objektes. Noch einen Schritt weiter geht Arndt. Er stellt fest, daß die aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung abgeleitete Theorie der Rollenverteilung unrichtig sei, da sich die Funktionen gar nicht in dieser Weise aufteilen ließen. Im Hinblick auf die Auslegung bemerkt er, es sei pseudojuristische Quacksalberei, sich mittels der Fiktion, das Gesetz besitze einen objektivierten Willen, einzureden, im Gesetz sei bereits alles vorgedacht gewesen, was die Rechtsprechung daraus entwickelt. Insbesondere wäre es nichts als Selbsttäuschung, wenn man die überschießende Bedeutung der Sprache behaupte", die es erlaubte dem Gesetz mehr zu entnehmen als der Sprechende in seine Rede gelegt habe. Rechtsprechen sei wesensgemäß immer Rechtschöpfung, die sich von der Rechtsetzung im Wege der Gesetzgebung nur durch die unterschiedliche Entstehung und Zielsetzung unterscheide45. In der Mehrung derartiger Äußerungen, die die überkommene Auffassung von der Rollenverteilung korrigieren, soll nicht fortgefahren werden. Wichtig sind allein die Gründe, die nach der Ansicht der Autoren die Korrektur erzwingen. Die Feststellung, daß der Richter auch Recht schaffe und bestehendes verändere ist eine bloße Behauptung, die sich durch nichts von der des Grundgesetzes unterscheidet, wonach der Richter auf die Anwendung des Gesetzes beschränkt ist. Der Wissenschaft obliegt es, Kriterien anzugeben, die diese Theorien nachprüfbar machen. Wenn von der Schöpfung und Veränderung des Rechts gesprochen wird, genügt es aber nicht auf die Urfunktion des Richters hinzuweisen411. Daß der Richter den Parteien im Streitfalle Recht zu geben hat und demzufolge das Recht den gegebenen Verhältnissen anpassen muß, mag zwar von einem anthropologischen und kommunikationstheoretischen Standpunkt völlig richtig sein. Diese Anschauung vernachlässigt indes die Rechtsregel, von der es heißt, daß sie geschaffen oder verändert werde. Es ist also notwendig Maßstäbe anzugeben, die diesen Vorgang feststellbar machen. Da die Verhältnisse bei der von Betti, Larenz und Viehweg behandelten Veränderung einer bestehenden Rechtsregel im Wege der Auslegung sehr kompliziert sind, soll hier mit dem einfacheren Fall der Bildung einer neuen Regel begonnen werden. u Anders Arndt (Sprache) 1200. Arndt (Richterrecht) 1273, 1279 f. 48 Arndt (Richterrecht) 1280; Pound (Gemeines Recht) 77 f . 45

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2 Die Theorie der Rollenverteilung

Diese Frage wird von Green'7 behandelt, als Beispiel wählt er die Entwicklung des right of privacy. Er schreibt, daß offensichtlich vor dem Jahre 1900 keine Entscheidung bekannt geworden wäre, die die Existenz eines derartigen Rechts angenommen hätte. Demzufolge wurde 1902 die erste Klage dieser Art mit der Begründung abgewiesen, daß den bisher ergangenen Entscheidungen eine derartige Regel nicht entnommen werden könne. Hingegen stellte eine Entscheidung, die drei Jahre später erging, fest, daß diese Regel bestehe. An diesen Vorgang knüpft er die Frage'8 , wie es sich mit dem Recht vor der zweiten Entscheidung verhalten habe. Drei Antworten hält er für denkmöglich. Erstens könne man sagen, daß zuvor überhaupt keine rechtliche Regelung dieser Materie bestand. Denkbar wäre auch die Antwort, daß das Recht zuvor die Existenz dieser Regel verneint habe. Diese beiden Antworten führten zu der Folgerung, der Richter habe die Regel geschaffen. Die dritte mögliche Antwort könne hingegen kaum akzeptiert werden, da sie auf die Behauptung hinausliefe, daß das Recht schon immer existiert habe; denn das bedeutete, daß kein Mensch des betreffenden Staates je über diese Frage nachgedacht habe. Schließlich müsse man in diesem Fall dennoch annehmen, daß die schon immer bestehende Regel erst durch den Spruch des Gerichtes zu einem &standteil des Rechts geworden sei". Diese Überlegungen postulieren die Existenz eines Rechts oder einer Rechtsregel, deren Sein unabhängig von dem sprachlich fixierten Satz ist, die dennoch aber mit diesem Satz in einem engen Zusammenhang steht, da ihre Existenz durch den Satz beobachtbar wird. Durch die Annahme einer objektiven und unabhängigen Existenz werden Probleme aufgeworfen, die auf der bisher gewonnenen Grundlage nicht gelöst werden können. Die Schaffung des sprachlich fixierten Satzes kann entweder als Schöpfung der Rechtsregel oder als Erkennen und Benennen einer bereits vorhandenen gedeutet werden. Aus der von Hexner50 vorgenommenen Zusammenstellung juristischer Ansichten ergibt sich, daß beide Deutungen vertreten werden. Von der weiteren Behandlung der vorgetragenen Gründe muß an dieser Stelle abgesehen werden, da beide Deutungen ein nicht näher beschriebenes Erkenntnisvermögen voraussetzen. Wenn behauptet wird, dem Recht oder der Rechtsregel käme ein ewiges und vielleicht sogar allgemeines Sein zu, wird es notwendig zu erklären, wie sich der Mensch die Kenntnis dieses Seienden verschaffen kann. Zwar behaupten manche Philosophen, daß sie über dieses Einsichtsvermögen verfügten51 • Das kann aber nicht als hinreichende Er47 Green (Law) 27; vgl. dazu Keeton (Torts) 465 f. •s Green (Law) 28. " Green (Law) 28. so Hexner (Terminology) 43 ff. 51 Bachenski (Universalienproblem) 138; behauptet die Existenz eidetischer Bedeutungen und verlangt von den Gegnern den Beweis des Gegenteils.

2 Die Theorie der Rollenverteilung

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klärungangesehen werden, denn dieses Einsehen läuft auf einen extrasensorischen Vorgang hinaus. Da die Wissenschaft diese Art von Perzeption noch nicht entdeckt hat, müßten diejenigen, die die besondere Fähigkeit behaupten, auch die nötigen Beweise liefern52• Auch die von Hexner53 vertretene Deutung, daß die Rechtsregel ein Gegenstück in der objektiven Welt brauche, weil sonst eben die Rechtsregel nicht beobachtbar sei, so daß also erst die Fixierung der Regel durch sprachliche Zeichen die Regel selbst schaffe und der Inhalt der vorher schon vorhandenen Gedanken eines Menschen nur als pränatales Faktum anzusehen sei, das die Schöpfung der Regel bedingt, führt letztlich zu den gleichen Erkenntnisvorgängen. Auch diese Deutung setzt nämlich eine objektive Norm voraus, die hinter oder neben der sprachlichen Fixierung steht und selbst nicht beobachtbar ist. Das gleiche Problem wird aufgeworfen, wenn der Versuch unternommen wird, die Veränderung einer Rechtsregel festzustellen. Auch hier ist die Rechtsregel die hinter dem sprachlich fixierten Satz stehende objektive Norm. Diese wird von der Änderung betroffen, denn der Satz des Gesetzes bleibt unverändert. Demzufolge muß es möglich sein, den Inhalt der Rechtsregel vor und nach der Änderung festzustellen, was wiederum die Annahme eines besonderen Erkenntnisvermögens bedingt. Dieser Umstand macht es erklärlich, daß häufig keine Einigkeit erzielt werden kann, ob im gegebenen Fall eine Rechtsnorm geändert worden ist6'. Am Beispiel der Theorie von der überschießenden Bedeutung läßt sich das leicht einsichtig machen. Coing56 lehrt, daß ein Satz Bedeutungen entwickeln kann, die jenseits der Ziele und des Bewußtseins liegen, die der Autor selbst hatte. Der Satz hat also Bedeutungen, die der Sprecher nicht gedacht hat. Das deckt sich mit der anthropomorph gewendeten Behauptung, das Gesetz sei klüger als der Gesetzgeber. Die Entdeckung einer überschießenden Bedeutung erscheint von diesem Standpunkt nicht als Änderung der Rechtsregel, da jene Bedeutung von Anfang an zum Inhalt der Regel gehörte und durch den Akt der Entdeckung lediglich ins Bewußtsein gehoben wurde. Arndt56, der im Hinblick auf diese Theorie von einer Selbsttäuschung spricht, nimmt demgemäß an, daß es sich um eine Rechtsänderung handele, die dem Richter auch erlaubt sei, da ihm aufgetragen wäre, das Recht veränderten sozialen Verhältnissen anzupassen. Steinbuch (Kybernetik) 250. aa Hexner (Terminology) 43 f. " Vgl. Larenz (Rechtsfortbildung) 2 f. 65 Coing (Auslegungsmethoden) 16. 68 Amdt (Richterrecht) 1279. 52

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2 Die Theorie der Rollenverteilung

Beide Ansichten beanspruchen, die richtige Bedeutung des sprachlich fixierten Satzes erkennen zu können. Da keine Angaben über den Vorgang dieses Erkenntnisprozesses gemacht werden, ist der Streit über die tatsächlichen Verhältnisse auf dieser Grundlage nicht entscheidbar. Die wiedergegebenen Ansichten zur Theorie der Rollenverteilung weisen aber auch den Weg, auf dem eine Lösung gesucht werden kann. Jeder der Autoren bringt die Sprache ins Spiel; Hexner verknüpft die Schöpfung einer Rechtsregel mit ihrer sprachlichen Fixierung, Coing spricht von der Bedeutung des Satzes. Diese Wendungen zeigen, daß die Theorie der Rollenverteilung nicht ein spezifisch juristisches Problem ist. Es handelt sich vielmehr um das allgemeine Problem der Kommunikation durch die Sprache. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß sich in der juristischen Kommunikation Besonderheiten ergeben können. Da die Kommunikation nicht durch gesprochene Sprache bei gleichzeitiger Anwesenheit der Beteiligten erfolgt, fehlt der gemeinsame engere Kontext. Dem Empfänger ist es auch nicht möglich durch Rückfragen Zweifel zu beseitigen. Andererseits kann der Sender nicht die Reaktion des Empfängers beobachten und weitere Hinweise geben, die dem Empfänger zu einem besseren Verständnis verhelfen. Nur nach~ träglieh könnte der Gesetzgeber Entscheidungen rügen, die von seinem Standpunkt fehlerhafte Reaktionen darstellen, in der Hoffnung, daß künftige Entscheidungen seinen Ansichten stärker entsprechen57• Schließlich mögen sich aus dem hohen Alter mancher Gesetze besondere Probleme ergeben, weil sich in diesem Fall der Gesetzgeber auch an Empfänger wendet, die in einer fernen Zukunft unter veränderten sozialen Verhältnissen leben werden; überdies ist es möglich, daß im Laufe der Zeit die Sprache Änderungen unterworfen war, die den Verständigungsprozeß erschweren können. Trotz dieser Besonderheiten der durch das Gesetz vermittelten Kommunikation bleibt die Tatsache bestehen, daß es sich um einen sprachlichen Verständigungsprozeß handelt. Auch die juristische Theorie muß deshalb auf die diesen Vorgang betreffenden Anschauungen zurückgreifen.

57 Die Tageszeitung "Die Welt" vom 4. 3. 1965 berichtet, daß Ministerialdirigent Pergande vom Wohnungsbauministerium gerügt habe, daß Gerichte bei Einsprüchen gegen die Kündigung des Mietverhältnisses die Sozialklauseln zu eng ausgelegt hätten, was nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers entspreche.

3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation 3.1 Juristische Ansichten Die juristische Theorie teilt den Kommunikationsvorgang in zwei Abschnitte. Der Gesetzgeber produziert Gesetze, der Empfänger bemächtigt sich ihres Inhaltes. Diese Gliederung ist auch in anderen Disziplinen üblich1, auf diese Weise scheint eine erste Annäherung am leichtesten bewerkstelligen zu sein. Indes darf diese Trennung nicht die Annahme aufkommen lassen, daß es sich tatsächlich um zwei verschiedene Prozesse handele. Kainz2 betont, daß die Leistungen des Sprechens und Verstehens nur dann richtig erfaßt werden können, wenn sie zur sprachlichen Kommunikation zusammengefügt werden. Diese Synthese wird allerdings selten angestrebt3 • Hinsichtlich der Rechtswissenschaft kann festgestellt werden, daß die Produktion und Anwendung des Gesetzes nicht als Kommunikationsvorgang verstanden wird, obwohl insbesondere die Auslegungslehren Bestandteile enthalten, die den Produzenten des Rechtssatzes berücksichtigen. Wahrscheinlich wird diese Haltung in erheblichem Maße auf die im vorigen Abschnitt ·geschilderte Theorie der Rollenverteilung zurückzuführen sein, denn diese Lehre weist den Partnern auch bestimmte Rollen in der sprachlichen Kommunikation zu. Zwar ist die funktionelle Abhängigkeit der beiden Leistungen anerkannt; der Gesetzgeber ist aufgefordert, brauchbare Gesetze zu erlassen, dem Richter hingegen obliegt es, den Willen des Gesetzgebers oder den letztlich auf den Gesetzgeber zurückzuführenden Willen des Gesetzes zu beachten. Die Berücksichtigung des Kommunikationspartners ist jedoch noch keine Synthese, dies würde vor allem einen Wechsel der Methode erforderlich machen. Verschiedene Autoren greüen zwar das Problem der Rechtssprache mit veränderter Fragestellung an4 ; ihre Untersuchungen sind indes noch nicht zum allgemeinen Besitz der Rechtswissenschaft geworden. Von der überkommenen und heute noch herrschenden Ansicht kann man behaupten, daß sie von der Scheidung der beiden Funktionen ausgeht. Das zeigt auch der Umstand, daß einschlägige Untersuchungen regel1

Kainz (Sprachpsychologie) 3. Bd., 331; Cherry (Communication) 75, 256.

z Kainz (Sprachpsychologie) 3. Bd. 485.

8 4

Kainz (Sprachpsychologie) 3. Bd., 485 ff.; Schaff (Semantics) 352 ff. Olivecrona (Legal Language); Ross (TU-Tu); Williams (Language).

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

mäßig nur einen Bereich betreffen. Gesetzgebungstechnik und Auslegungslehren mögen zwar gewisse Berührungspunkte aufweisen, dennoch handelt es sich um zwei verschiedene Kunstlehren, da man in jedem Bereich versucht, die auftretenden Fragen selbständig zu lösen. Die Rechtswissenschaft hat in der Vergangenheit und Gegenwart die sprachliche Kommunikation meist vom Standpunkt des Empfängers behandelt. Gegenüber den zahlreichen Arbeiten zur Auslegungslehre fallen die wenigen Untersuchungen zur Gesetzgebungstechnik kaum ins Gewicht. Die Gesetzgebungstechnik verfügt demzufolge nicht über den Wissensschatz, der in den Auslegungslehren im Laufe der Zeit zusammengetragen worden ist. Monographische Untersuchungen dieses Bereiches klammern außerdem die Probleme des Verständigungsprozesses häufig aus und beschränken sich auf die Behandlung technischer Einzelheiten, die bei der Redaktion eines Gesetzes zu beachten sind5 • Hinsichtlich der Grundfragen der sprachlichen Kommunikation werden nur allgemeine Anweisungen gegeben. Der Stil des Gesetzes solle knapp und klar sein, wird von Müller gefordert'. Weck erklärt, daß im Urgrund der Sprache der Begriff des Rechts liege, denn die Formen der Sprache beruhten auf zwingender Vereinbarung. Jedes Glied der Sprachgemeinschaft müsse für den gleichen Sinn immer das gleiche Wort gebrauchen, damit Verständigung möglich seF. Für die Sprache des Rechts ergebe sich daraus das Gebot, für einen Begriff immer das gleiche Wort zu setzen8 • Auf ähnlichen Gedanken wird die Forderung beruhen, die Wörter präzis zu verwenden und die Regeln des Gesetzes genau zu formulieren'. Auch Kritiker der Gesetzessprache, die manchmal sogar soweit gehen, sie als krankhaft entartet zu bezeichnen10, geben nur allgemeine Anweisungen. Mellinkoff11, der in einer umfangreichen Untersuchung den von ihm behaupteten Glauben der Juristen an die Präzision ihrer Sprache zerstört, schließt seine Untersuchung mit der Aufforderung, die Sprache der Zukunft möge sich in eine Tatsachensprache umwandeln. Dieses oft aufgestellte Gebot wird häufig mit der Behauptung begründet, daß bestimmte Wörter keine genaue Bedeutung hätten und manchen sogar jegliche Bedeutung abgehe12• Zuweilen wird dieses Verlangen in die Form gekleidet, abstrakte Ausdrücke durch konkrete zu ersetzen13• Zu diesen Ansichten und Reformvorschlägen soll vorläufig nur bemerkt werden, daß immer versäumt wird, anzugeben, wie Müller (Gesetzgebungstechnik). Müller (Gesetzgebungstechnik) 48. 1 Weck (Sprache) 8. 8 Weck (Sprache) 17; ebenso Müller (Gesetzgebungstechnik) 94. 8 Beutel (Jurisprudence) 18. 10 De Furia (Semantics) 18. 11 Mellinkoff (Language) 290 ff., 454. 12 Cohen (Legal Conscience) 47 ff., weitere Nachweise S. 48. 13 Arensburg (Communication) 316. 5

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3.1 Juristische Ansichten

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sie ausgeführt werden sollen. Wenn z. B. verlangt wird, daß für einen Sinn oder Begriff immer nur ein Wort verwendet werde, setzt das voraus, daß der Sinn bestimmbar ist. Da nun der Sinn von dem graphisch fixierten Wort verschieden sein soll, reicht die Technik des Erkennens von graphisch produzierten Wörtern nicht aus. Für das Erkennen des Sinnes müßte also ein zweites Verfahren angegeben werden. Dieses besondere Erkenntnisvermögen wird zwar von den Autoren vorausgesetzt, aber eine Erklärung dieses Vorganges wird nicht gegeben. Da auch die Auslegungslehren und die zugrunde liegenden Sprachtheorien mit diesem Problem zu ringen haben, soll die Frage erst an späterer Stelle genauer betrachtet werden. Die Theorie des Verstehens ist durch die Auslegungslehren zu einem weitaus höheren Stand geführt worden. Da die Richter seit langer Zeit hauptsächlich auf die schriftlich fixierten Sätze des Gesetzes angewiesen sind, haben sie seit jeher jede ihnen nützlich erscheinende Theorie der Sprache den Auslegungslehren einverleibt14 • Wenn man Verstehen im weitesten Sinne faßt, läßt sich sagen, daß wohl fast alle Disziplinen Beiträge geleistet haben. Den Beginn macht die Anthropologie15, den Schluß bildet die Zahlentheorie, die von Fuchs zur Klärung des Eigentumsbegriffes herangezogen wurde18• Durch diese Anleihen hat die Theorie der Feststellung des Gesetzes einen erheblichen Umfang gewonnen. Die Vielzahl der Regeln begründet aber nach der Ansicht einiger Kritiker17 zugleich einen schwerwiegenden Mangel, da es dem Richter dadurch ermöglicht werde, beliebig zwischen Regel und Gegenregel zu wählen. Es ist an dieser Stelle selbstverständlich nicht beabsichtigt, die Auslegungslehren in ihren Einzelheiten darzustellen. Für den Zweck der Untersuchung genügt es, die Ansichten hervorzuheben, die direkt das Problem des Verstehens sprachlicher Äußerungen betreffen. Eckhoff findet, daß das juristische Modell der Urteilsbildung von zwei miteinander verbundenen Grundansichten bestimmt werde18 • Eine betrifft die bereits erwähnte Betonung der Rationalität. Die andere werde durch die Anschauung gebildet, der Richter finde durch einen Erkenntnisprozeß eine vorgegebene RegeP'. Tatsächlich wird es kaum eine Auslegungslehre geben, die nicht die Ausdrücke "erkennen", "finden", usw. benutzt. Stellvertretend stehe hier eine Äußerung von Hatz20 : Es "dürfen die Fragen, wann ist richtig interpretiert?" und "wann ist richtig u Coing (Auslegungsmethoden) 7. Malinowski (Introduction) III ff. Viehweg (Grundlagenforschung) 537. 11 Fuchs (Unendlichkeitsprobleme) 53 ff. 17 Friedmann (Law) 264. 18 Eckhoff (Rationality) 39 f. 10 Eckhoff (Rationality) 40. zo Hatz (Rechtssprache) 42. ts

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

entschieden?" keineswegs verwechselt werden. Es ist eine der bedeutendsten Irrtumsquellen der juristischen Verstehenslehre, von dem Ziel der Entscheidung her die Interpretation des Begriffs motivieren zu wollen, da das teleologische Moment erst die nächste Stufe der Betrachtung bildet, dem reinen Verstehen fremd ist und klar geschieden betrachtet werden muß." Die Frage nach dem Gegenstand dieses Erkenntnisprozesses wird in verschiedener Weise beantwortet. Da überdies regelmäßig andere wissenschaftstheoretische Denkmodelle hinzugenommen werden, ergibt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Ansichten. Eine Übersicht und vielleicht auch eine Reduktion der Theorien scheint sich erreichen zu lassen, wenn ähnliche Ansichten zusammengefaßt werden. Eine Handhabe für dieses Vorgehen scheinen die jeweils verwendeten Leitwörter zu bieten. Auf diese Weise lassen sich im Einklang mit den bekannten Sprach- und Wissenschaftstheorien drei Gruppen bilden: 1. Wort, Wortlaut, Bedeutung, Begriff, Sinn, Name 2. Satz, Satzsinn, Aussage, Urteil, Tatbestand 3. Zusammenhang, Kontext, System.

Die vorgenommene Einteilung soll und kann an dieser Stelle nur mit wenigen Bemerkungen erläutert werden. Zunächst ist einmal dem möglichen Einwand zu begegnen, daß nicht alle Autoren in ihrem Sprachgebrauch der Gliederung folgten. Das ist richtig, findet aber seine Erklärung darin, daß manche Autoren ihre Theorie aus einem einzigen Prinzip entwickeln wollen. Wird z. B. der Begriff als primäres Denkinstrument genommen, so ist nicht nur das Wort die Erscheinungsform des Begriffes, sondern auch der Satz21 • Auch das System wird dann auf den Begriff bezogen, derart, daß es sich in die Beziehungen der Begriffe verwandelt, die dann die Begriffspyramide ergeben22 • Sieht man von den Monisten und den Autoren ab, die zufällig die Terminologie vermengen, läßt sich sagen, daß die Gliederung allgemein im Gebrauch ist. Die auch in der Rechtswissenschaft übliche Scheidung der ersten beiden Gruppen hängt mit der Frage nach der Bedeutungseinheit der Sprache zusammen, kommunikations- und erkenntnistheoretische Gesichtspunkte spielen hier eine Rolle23• Am häufigsten ist die Ansicht, daß Wort und Satz selbständige Bedeutungsträger sind2' . Die Bildung der dritten Gruppe ergibt sich aus der Einsicht, daß auch dem Zusammenhang Bedeutung entnommen werden kann. Der Zusammenhang oder Kontext kann im weitesten Sinn verstanden werden, dann ist nicht nur die EinVon Freytag-Löringhoff (Logik) 22. Von Freytag-Löringhoff (Logik) 32 ff. 23 Gardiner (Speech) 23; Wittgenstein (Tractatus) 2.01-2.13. u Ammer (Einführung) 63 f. 21 22

3.1 Juristische Ansichten

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fügung in ein bestimmtes Gesetz zu beachten, vielmehr wird es erforderlich, auch soziale und andere Verhältnisse zu berücksichtigen25 • Unter dem Einfluß logischer Lehren wandelt sich der Zusammenhang der Sätze zu einem völlig anderen Denkmodell. Entsprechend der wissenschaftstheoretischen Überlieferung ist das System die Summe der wohlgeordneten Begrüfe und Sätze, d~rch die Art der Anordnung ergibt sich außerdem ein Ableitungszusammenhang28• Eingeschoben sei, daß dieses Denkmodell erheblichen Einfluß auf die Anschauungen über die Rollenverteilung hat. Beck27 behauptet, weil der ältesten römischen Ordnung die Idee eines umfassenden geschlossenen Rechtssystems gefehlt habe, wäre die Stellung des römischen Richters freier gewesen. Im offenen System des klassischen Rechts habe daher die Gerechtigkeitsidee den Vorrang vor der Berechenbarkeit der Entscheidung gehabt28• Wird das System als Ableitungszusammenhang aufgefaßt, so ist es möglich, das System als selbständiges Erkenntnisobjekt auszuscheiden. Die Erlangung von richtigen oder wahren Feststellungen durch Deduktion aus vorgegebenen Axiomen29 setzt nämlich voraus, daß die Axiome erkannt werden und die Ableitung richtig vorgenommen wird. Erste Aufgabe des Benutzers ist also die Feststellung der Axiome. Diese werden aber wiederum durch Worte und Sätze vermittelt. Auch im Falle des Denkmodells "Zusammenhang" ist diese Reduktion möglich, da ihn die juristischen Verstehensiehren vorzüglich auf die Bedeutung des Wortes beziehen. Larenz30 schreibt: "Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der menschlichen Rede, daß sie nicht mechanisch aus Worten nur zusammengesetzt ist (so wie das Wort in der Buchstabenschrüt aus einzelnen Lautzeichen), sondern daß die Bedeutung der einzelnen Worte je nach dem Sinnzusammenhang der Rede variiert und daß daher der Sinn der ganzen Rede ebensowohl aus dem der einzelnen Worte erschlossen werden muß, wie er seinerseits deren jeweilige Bedeutung erst völlig erhellt." Obwohl auf die wechselseitige Abhängigkeit hingewiesen wird, hat doch das Wort die primäre Funktion, da aus dem Satz der Wörter der Sinn der Rede erschlossen werden muß. Beim Denkmodell "Kontext" liegen die Verhältnisse komplizierter. Da aber die Anschauungen des Urhebers der modernen Kontextlehre Wegener31 wie auch die der Verbreiter Firth und Malinowski32 keinen Otto (Sprachwissenschaft} 102. ze Carnap (Aufbau} 1 f. 21 Beck (Rechtsquelle} 276, 280. 28 Vgl. auch Viehweg (Grundlagenforschung) 527. u Vgl. Engisch (Logik) 86. ao Larenz (Methodenlehre) 244. al Wegener (Grundfragen) 25 ff. 32 Firth (Malinowski) 95 ff.; Malinowski (Meaning) 306 ff.

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

Eingang in die juristischen Verstehensiehren gefunden haben38, kann der Punkt hier vernachlässigt werden. Die vorgenommene Gliederung erlaubt es demnach, die in den juristischen Verstehensiehren vorkommenden Objekte des Verstehens auf zwei zu reduzieren; es sind die dem Wort und dem Satz zukommenden oder anhaftenden Qualitäten. Da fast alle Auslegungslehren am einzelnen Wort ansetzen34, kann man sagen, daß dem Wort die ursprünglichere Funktion zugeschrieben wird. Daß es die durch das graphisch produzierte Wort vermittelte Qualität gibt, die vom Wort verschieden ist, wird als selbstverständlich angesehen. Hatz35 bemerkt dazu, daß es auch den schärfsten Gegnern der Begriffsjurisprudenz nicht einfalle zu leugnen, daß es tatsächlich juristische Begriffe gibt. Diese Tatsache bedürfe ihrer Evidenz halber auch keines Beweises. Damit wird wiederum ein besonderes Erkenntnisvermögen behauptet, das keineswegs so evident ist, wie Hatz annimmt. Daß es nicht einfach ein sehendes Wiedererkennen sein kann, wissen die Juristen aus ihrer Erfahrung im Umgang mit Gesetzen. Bereits die Existenz der Auslegungslehre zeigt, daß man mit dem einfachen Modell des Wiedererkennens eines vorgegebenen Objektes" nicht auskommen kann. Obwohl die Theoretiker um diese Schwierigkeit wissen, versuchen doch die meisten das Denkmodell zu bewahren. Um Modell und Erfahrung in Einklang zu bringen, wird sehr oft der Weg beschritten, dem Objekt gewisse Eigenschaften zuzuschreiben, die seine Feststeilbarkeit erschweren. Zu diesem Zweck erklärt man mit einem Bild, daß die Bedeutung oder der Begriff unscharfe Ränder habe37• Dieses auch in der Sprachtheorie anzutreffende Bild hat aber vor allem den Zweck, die Bestimmtheit und Erkennbarkeit der dem graphisch produzierten Wort zukommenden Bedeutung zu erklären, denn dieses Bild vermittelt zugleich den Gedanken des festen Kerns38• Derartige Bemerkungen scheinen indes das Erkenntnisvermögen selbst nicht in Abrede zu stellen, obwohl der Ausdruck "reines Erkennen" zu dem Gedanken verleiten könnte, es gäbe auch ein getrübtes Erkennen. Im Gegensatz zu diesem vorherrschenden Standpunkt scheinen manche Äußerungen in letzter Konsequenz auf die Verwerfung dieses Denkmodells hinauszulaufen. Wenn Viehweg erklärt38, daß bereits die Feststellung des Richters, eine Vorschrift bedürfe nicht der Auslegung, Naess (Interpretation) 133, lehnt den Gedanken entschieden ab. u Vgl. z. B. Larenz (Methodenlehre) 241. 35 Hatz (Rechtssprache) 55. ae Hatz (Rechtssprache) 55, spricht von vorgegebenen Begriffen. 11 Larenz (Rechtsfortbildung) 1. as Erdmann (Bedeutung) 5; Slama-Cazacu (Langage) 141. sP Viehweg (Grundlagenforschung) 523.

sa

3.1 Juristische Ansichten

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weil der Wortlaut klar sei, eine Interpretation darstelle, kann dies besagen, daß es entweder das vorgegebene Objekt der Erkenntnis nicht gibt oder daß die Fähigkeit des Wiedererkennens nicht vorhanden ist. Da aber die Theorie der Auslegung trotz dieser Schwierigkeiten die Annahme beibehält, die dem Worte zukommende Bedeutung könne erkannt werden, schwanken die um Harmonisierung bemühten Auslegungslehren zwischen zwei Polen. So stellt z. B. Zimmermann40 folgende Regeln auf:

"1. 2. Auch der ,klare', ,eindeutige' Wortlaut muß ausgelegt werden, d. h . auf seinen konkreten Sinngehalt untersucht werden. Dem reinen Wortlaut kommt an sich noch keine entscheidende Bedeutung zu. Er ist nur das Mittel zur Erfassung eines bestimmten Gedankens, das Symbol für einen bestimmten Vorstellungsinhalt, Indiz unter anderen Indizien.

3.

4. Dessen ungeachtet ist und bleibt der Wortlaut des Gesetzes das vornehmste ErkenntnismitteL An den Gesetzgeber bleibt die Forderung gestellt, präzise zu formulieren und möglichst für dieselbe Sache auch denselben Ausdruck zu verwenden ..." Offensichtlich widersprechen sich diese beiden Auslegungsregeln. Die an den Gesetzgeber gerichtete Forderung, präzise zu formulieren und für eine Sache immer denselben Ausdruck zu verwenden, geht von der Anschauung aus, daß es möglich wäre, durch den Wortlaut sichere Erkenntnis zu erlangen. Das ist nicht im Einklang mit der Feststellung, daß auch der klare eindeutige Wortlaut der Auslegung bedürfe. Die Regel, für eine Sache (Begrüf) immer dasselbe Wort zu verwenden, setzt eine bestimmte und feststellbare zweigliedrige Relation voraus. Durch dieses Modell gelangt man somit zur Eindeutigkeit des Wortes, diese Annahme will aber nicht mit den Erfahrungen harmonieren, die die Juristen im täglichen Umgang mit der Sprache des Gesetzes machen. Das Zugeständnis, daß manche Wörter mehrdeutig wären, läßt den Grundsatz der Eindeutigkeit unangetastet. Damit wird wieder das Erkenntnisvermögen ins Spiel gebracht; denn wenn behauptet wird, daß es Wörter von so verschiedener Beschaffenheit gibt, drängt sich die Frage auf, welches Vermögen, welche Methode den Empfänger der Nachricht befähigt, diese Unterscheidung zu treffen. Schlägt der Belehrung suchende Jurist in den Werken nach, die ihm die Aufklärung verheißen, so wird er im Stich gelassen. Schneider41 , der Wort und Begrüf eine ganz enge Verbindung eingehen läßt, führt Beispiele für eindeutige und mehrdeutige Wörter '0 41

Zimmermann (Wortlaut) 1264. Schneider (Logik) 54, verbunden, wie die Farbe dem Gemälde.

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

an. Nach den Grundsätzen, die den Autor befähigten, diese Beispiele richtig auszuwählen, wird der Leser indes vergeblich suchen, ihm wird nur aufgetragen, selbst die Probe zu machen42 • Die letzten Bemerkungen zeigen, daß der Grund dieser Schwierigkeiten in dem Denkmodell zu suchen ist, das dem graphisch produzierten Wort eine besondere Qualität zuschreibt. Daß hier tatsächlich der Kern des Problems zu liegen scheint, zeigen die zahlreichen juristischen Untersuchungen, die sich mit der Bedeutung der Wörter befassen48 • Damit wird es erforderlich, die Theorien genauer zu betrachten, die jenes Denkmodell geschaffen haben, das heute noch vielen Untersuchungen der Sprache zugrundeliegt. Der Einfluß dieser Theorie wird erkennbar, wenn man das Literaturverzeichnis einer einschlägigen juriStischen Untersuchung liest. Tatsächlich bleibt dem nach besserem Verstehen der sprachlichen Kommunikation strebenden Juristen gar kein anderer Weg, als jene Lehren zu Rate zu ziehen, die sich mit der Sprache befassen''· Es verdient aber hervorgehoben zu werden, daß einige Rechtswissenschaftler versucht haben, sich von jenem Modell zu lösen und in neuartigem Ansatz die Klärung juristischer sprachlicher Kommunikation anstreben.

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft Wissenschaft von der Sprache soll hier im weitesten Sinn verstanden werden, so daß alle Disziplinen, die sich mit dem Gegenstand "Sprache" befassen, darunter begriffen werden. Außer der Sprachwissenschaft sind das vor allem Logik und Philosophie. Die Zusammenfassung ist geboten, da die Untersuchung nur bezweckt, die kommunikationstheoretisch bedeutsamen Denkmodelle darzustellen. Es wird sich auch herausstellen, daß die Zusammenfassung möglich ist, weil die in den verschiedenen Bereichen verwendeten Denkmodelle einander ähnlich sind. Zwar mag in der Gegenwart noch die Auffassung vorherrschen, daß die Lehren der eigenen Disziplin von besonderer Art wären, so daß der Blick über die Grenzen der Disziplin nicht nur überflüssig wäre, sondern tunliehst zu vermeiden sei. Indes gibt es bereits verschiedene Wissenschaftler, die auf die gemeinsamen Züge der verschiedenen Sprachtheorien hinweisen. Der Logiker Quine bezieht sich auf die Ansichten des Schneider (Logik) 55. Vgl. z. B. Neumann-Duesberg (Sprache); Fischer (Fiktionen); Hochstrasser (Sprachliche Gestaltung); Olivecrona (Legal Language); Hexner (Terminology) ; Williams (Language); Williams (Law) ; Weisgerber (Vertragstexte) ; Philbrick (Language). 44 Über neuere Einflüsse unterrichtet Friedmann (Legal Theory) 223 ff. 42

43

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft

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Linguisten Whorf1 und der Sprachwissenschaftler Wüster2 auf die Lehren der Logik. Andererseits werden an dieser Stelle nur jene Theorien berücksichtigt, die die soeben dargestellten juristischen Ansichten geprägt haben oder doch zumindest mit ihnen übereinstimmen. Diese Bemerkung ist deshalb erforderlich, weil insbesondere in der Gegenwart verschiedene Richtungen versuchen, sich von diesen Denkmodellen zu lösen. Erwähnt sei nur der Strukturalismus, von dem Collinder3 sagt, daß er aus der Revolte gegen überlieferte Auffassungen entstanden sei. Diese Richtung lehnt vor allem die Semantik oder Bedeutungslehre ab, deren Untersuchungen auf dem Denkmodell fußen, dem lautlich oder graphisch produzierten Wort komme die bestimmte Eigenschaft "Bedeutung" zu. Manche gehen in ihrer Ablehnung soweit, die Bedeutung als "dirty word" zu bezeichnen4 • Für die Betrachtung dieser Sprachmodelle ist es nun unerläßlich, den methodischen Ansatz jener Lehren zu berücksichtigen. Aus ihm folgt zwangsläufig ein ganz bestimmtes SprachmodelL Die Theorie der Wortbedeutung kann deshalb nur dann richtig verstanden werden, wenn sie in diesem Zusammenhang gesehen wird. Wie entscheidend die Art des methodischen Zugangs ist, zeigen auch die Bemühungen der Sprachwissenschaftler, die bei der Erforschung der Sprache nach neuen Wegen suchenG. Das wichtigste Kennzeichen dieser Sprachtheorien läßt sich in erster Annäherung als die Vorherrschaft des ontologischen oder erkenntnistheoretischen Standpunktes andeuten. Da dieser Standpunkt auch in der Rechtswissenschaft vorherrscht, soll ein Vergleich verdeutlichen, was gemeint ist. Juristische Theoretiker fragen vorzugsweise, was das Recht eigentlich sei6 • Diese Frage wird von vielen so verstanden, daß es notwendig sei, die Beschaffenheit des Rechts zu beschreiben. Zu diesem Zweck unternimmt man es, die sprachlich fixierten Regeln darzustellen, zu ordnen und sie zu harmonisieren. Bei diesem Vorgehen löst man das Recht aus dem sozialen Prozeß. Man nimmt an, sich des Gegenstandes "Recht" bemächtigen zu können, wenn man ihn in dieser Weise isoliert. Die Einbettung des Rechts in den sozialen Prozeß wird zwar nicht übersehen, sie bildet bei dieser Anschauung ein nachrangiges Problem. In gleicher Weise lösen nun jene Sprachtheorien die Sprache aus dem sozialen Prozeß. Ihr Gegenstand ist nicht die Rolle der Sprache im Ge1

Quine (Meaning) 61.

z Wüster (Begriffswelt) 616.

Collinder (Structuralisme) 3. Ullmann (Semantics) 317. ' Weisgerber (Gestaltung) 24 ff., 73 ff. 1 Hart (Theory) 1; Paul (Semantics) 227. 8

4

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

samtgefüge einer Kultur7 , nicht die sprachliche Kommunikation, auch nicht die Rede des einzelnen Menschen8 , sondern die Nationalsprache einer bestimmten Zeit, wie sie in den Wörterbüchern in Erscheinung tritt. Die Aufmerksamkeit gilt dann vor allem den Einheiten der Sprache'. Vom Wort oder Satz ausgehend wird nach der Bedeutung oder dem Sinn gefragt. Da für die Entwicklung und Darlegung der Ansicht häufig Wörter gewählt werden, die als Namen von realen Objekten der Umwelt gelten, wird die Vorherrschaft des ontologischen Standpunktes erkennbar10 : Die Wörter sind ein Gegenstück der objektiven Welt, sie sind die richtigen Namen, sie vermögen die Umwelt widerzuspiegeln oder sind deskriptiv. Ein weiterer eigentümlicher Zug dieser Sprachtheorien läßt sich als Grundsatz der Methodenreinheit kennzeichnen. Man könnte diesen auch in anderen Disziplinen anzutreffenden Grundsatz mit dem Bestreben des Fachwissenschaftlers erklären, den Gegenstand seiner Wissenschaft in eigener Verantwortung, mit einer eigenständigen Methode zu behandeln, und zwar mit der Methode, die dem Gegenstand angemessen ist. Daraus folgt dann zugleich, daß die Lehren anderer Disziplinen, auch wenn sie sich auf ähnliche Probleme beziehen, nicht mit der eigenen Lehre vermengt werden dürfen11• Bei den zu behandelnden Sprachtheorien ergibt sich dieses Verfahren aber auch aus dem methodischen Ansatz. Das zeigt deutlich die in der L-Semantik übliche Einteilung der Semiotik. Diese gliedert man in Pragmatik, Semantik und Syntax. Stegmüller12 schreibt dazu, es sei klar, daß die Pragmatik, die zugleich den Sprecher, den Ausdruck und den dadurch benannten Gegenstand berücksichtigt, nicht eine reine Wissenschaft sein könne, da die Einbeziehung des Sprechers notwendig auch die Untersuchung des Sprechvorganges erzwänge. Man könne aber vom ersten Faktor abstrahieren und allein die Beziehungen zwischen den sprachlichen Ausdrücken und den betreffenden Gegenständen untersuchen. Dieser erkenntnistheoretische Ansatz führt demnach zur Ausschaltung der Disziplinen, die sich mit dem Sprechen und der sprachlichen Kommunikation befassen. Carnap betont13, daß das Problem der Bedeutung in der angewandten Logik 7 Sapir (Language) 15. s Humboldt (Sprachbau) 41. • Vgl. dazu Weisgerber (Sprache) 12; Snell (Ordnung) 211. to Vgl. dazu Stegmüller (Semantik) 215 ff.; Glaserfeld (Übersetzung) 39, spricht von dem siamesischen Zwillingspaar Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie. u Vgl. dazu Kandler (Weltbild) 260; Albrecht (Sprache und Erkennen) 89: "Logica, cave psychologicam". u Stegmüller (Semantik) 42. ta Camap (Meaning) 73.

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft

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und der Methodologie ein besonderes Problem darstelle, es habe nichts mit der Frage nach der Bedeutung zu tun, wie sie in psychologischen Untersuchungen auftrete. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß die Ausschaltung des Psychologismus in der Logik noch einen anderen Grund hatte14• Da die psychologische Richtung die Wahrheit von Urteilen auf psychische Erlebnisse stützen wollte15, schien die Sicherheit und Objektivität der Logik dahinzuschwinden. Um der Logik wieder eine sichere Grundlage zu geben, zog man sich auf die Theorie der Richtigkeit der Sprache zurück und entfernte zu diesem Zweck den Menschen aus dem SprachmodelL Auch Sprachwissenschaftler befolgen den Grundsatz der Methodenreinheit; wieder trifft vor allem die Psychologie auf Ablehnung. Wie Funke16 bemerkt, ist es heute in gewissen linguistischen Kreisen nahezu tabu, der Berücksichtigung psychologischer Aspekte das Wort zu reden. Obwohl gerade in der Gegenwart diese Auffassung noch zu herrschen scheint, ist sie eigentlich schon überwunden. Es mehren sich die Äußerungen, die auf die Unhaltbarkeit dieses Standpunktes hinweisen17• Von diesem Standpunkt ist zum Beispiel die Rolle des Menschen bei der Veränderung der Sprache nicht zu erklären und der kommunikationstheoretische Aspekt geht völlig verloren, allenfalls wird er beiläufig erwähnt. Aus der Kombination der geschilderten methodischen Grundsätze ergeben sich nun ganz bestimmte Sprachmodelle. Zwei Typen lassen sich unterscheiden: Ein einfacheres18 und ein Modell höherer Ordnung, das aus dem ersten durch Differenzierung hervorgegangen ist. Von einfacherer Art ist z. B. jenes; das die Logiker künstlich geschaffen haben. In Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch der Logiker und verschiedener Sprachwissenschaftler kann man es die Namenstheorie nennen; denn die sprachlichen Ausdrücke werden als Benennungen von Gegenständen der objektiven Welt gedeutet. Obwohl die Theorie vorzugsweise an Ausdrücken eingeführt und erläutert wird19, die auch in der Alltagssprache als Namen angesehen werden, erfahren auch Wörter diese Deutung, die gemeinhin nicht als Namen gelten; so, wenn "grün" zum Namen der Grünheit gemacht wird20• Wörter, die sich dieser Deutung nicht fügen, werden vernachlässigt. Allerdings kann dieses künstlich vereinfachte Modell nicht rein durchgeführt werden. Die Existenz 14 Husserl (Untersuchungen) Bd. 1, 1 ff.; Scholz (Geschichte) 58, spricht vom Ballast der Psychologie; vgl. auch Beth (Foundations) 632. 15 Brentano (Logik) 141 ff. te Funke (Bedeutung) 142. 17 Funke (Bedeutung) 142; Kandler (Weltbild) 256 ; Sommerfeit (Language) 47 ff., 87 ff. ts Vgl. Boche6ski (Denkmethoden) 58; Küng (Sprache) 41. te Carnap (Seinantics) 9. 2° Carnap (Necessity) 98; Husserl (Untersuchungen) Bd. 1, 129.

3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

32

abstrakter Wesenheiten veranlaßt die Logiker, die Unterscheidung von Benennung und Bedeutung einzuführen. Das ist aber eine Denkfigur des höheren Modells. Zur vorläufigen Erklärung dieser Unterscheidung und zur Rechtfertigung der Ausdrucksweise genügt es, einige Bemerkungen aus dem sprachwissenschaftlichen Lager zu zitieren, die es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen. Martinet21 schreibt, daß nach einer ganz naiven, aber recht verbreiteten Ansicht die Wörter eine Inventarliste bilden. Jedem Wort der Liste entspricht eine Sache. Gipper22 berichtet von einer Notiz aus dem Nachlaß Saussures. Danach meinte Saussure, daß die Vorstellung, die sich die meisten Philosophen von der Sprache machen, an unseren Erzvater Adam erinnere, der die Tiere zu sich rief, um jedem seinen Namen zu geben. Diese Rüge ist indes in mehrfacher Beziehung etwas ungerecht. In Wirklichkeit ist diese Auffassung eine recht fortgeschrittene Theorie. Man kann von einem Entwicklungsstadium sprechen, das jede Theorie der Sprache durchlaufen muß. Wenn man will, kann man diesen Vorgang auch in der Ontogenese nachweisen. Im Hinblick auf Wittgensteins Sprachphilosophie bemerkt Hartnack2s, daß der frühe Wittgenstein die Sprache als Bild der Tatsachen auffaßt, später aber diese Annahme preisgibt. Da die Namenstheorie tatsächlich weit verbreitet ist und eine recht einleuchtende Erklärung der Sprache gibt, ist es angebracht, von diesem Standpunkt die früheren Auffassungen zu begreifen. Dieser Rückgriff wird auch den Standort der Namenstheorie und den der daraus hervorgegangenen Lehren verständlicher machen. Erkennbar wird diese Vorform in der von Kratylos im Kratylosdialog vorgetragenen These. Diese behauptet eine natürliche Richtigkeit der Wörter24 • Die Begründung wird aus einem Sprachmodell hergeleitet, in dem Wort und Sache eine enge Verbindung eingehen. Von der Sache her gesehen ist das Wort eine Qualität der Sache oder eine fast vollkommene Wiederholung der Sache. Demzufolge betreffen Änderungen des Wortes auch die Sache25 • Da das Wort noch nicht als Name deutlich von der Sache abgesetzt ist, sagt man, daß Wort und Sache eine Einheit bilden2e. Noch besser läßt sich diese Vermengung vom heutigen Standpunkt und unter Verwendung unserer Terminologie als Identität deuten27 • Martinet (Sprachwissenschaft) 18. Gipper (Wortinhalt) 271. n Hartnack (Wittgenstein) 55; vgl. auch Gellner (Words) 137 ff. 24 Platon (Kratylos) 384a ff. 25 Derbolav (Kratylos) 39. 28 Vgl. Lohmann (Syllogistik) 215; Büchner (Kratylos) 22 ff. 27 Derbolav (Kratylos) 39.

21

22

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft

33

Wichtig ist nun, daß die im Kratylos vorgetragene Ansicht nicht das zufällige und singuläre Produkt eines philosophischen Denkers darstellt. Diese Ansicht ist vielmehr in jedem Frühstadium einer Sprachtheorie zu beobachten. Die Tatsache, daß diese Anschauung bei allen primitiven Völkern anzutreffen ist28 und auch in der Ontogenese festgestellt werden kann, veranlaßt Werner28 , ein allgemeines Entwicklungsprinzip aufzustellen. In einem hypothetischen Schema stellt er die folgenden vier Stufen dar: 1. The name as a material property of the thing. 2. The name as a concrete, physiognomic picture of the thing. 3. The name as a physiognomic diagram of the (abstract) concept. 4. The name as an algebraic symbol of the concept. Da es so langer Anstrengungen bedurfte, die Verschiedenheit von Wort und Sache zu erkennen, kann man sagen, daß die Namenstheorie in Wirklichkeit eine sehr fortgeschrittene Theorie bildet. Erst die Trennung von Wort und Sache macht das Problem der Sprache erkennbar30• Daß dieser Vorgang ein wichtiger Abschnitt in der Entwicklung der Sprachtheorie ist, wird oft betont. Dennoch sind die Leistungen der Namenstheorie äußerst beschränkt. Bei reiner Durchführung könnte z. B. noch nicht die Identität gedacht werden. Die Weiterentwicklung und die Ausbildung der Logik war erst möglich, als eine noch stärkere Trennung von Wort und Sache erfolgte, die durch Einschaltung eines Zwischengliedes erreicht wurde. Dieses Zwischenglied ist die dem lautlich oder graphisch produzierten Wort zukommende Bedeutung. Im Bereich der europäischen Sprachen ist diese Unterscheidung erstmalig von der stoischen Philosophie klar herausgearbeitet worden31 • Die Bedeutung ist weder das Wort noch die Sache, sie ist vielmehr ein Drittes32 ; ein Gedanke, der auch in der heutigen Informationstheorie in abgewandelter Form auftaucht33• Da diese Anschauung aus der Namenstheorie abgeleitet worden ist, ist es angebracht und zweckmäßig von einem Sprachmodell höherer Ordnung zu sprechen. Nach dieser kurzen Schilderung der Entwicklung der Sprachmodelle ist zunächst zur Namenstheorie zurückzukehren, da sie eine erhebliche Bedeutung für die Wissenschaftstheorie hat. Vgl. Levy-Bruhl (Naturvölker) 35; Hayakawa (Language) 29. Wemer (Psychology) 254 ff., 266. ao Picard (Wort) 35. 31 Lohmann (Syllogistik) 214 f., Beth (Foundations) 23; dieses Sprachmodell taucht auch in anderen Kulturen auf, vgl. Steherbatsky (Buddhist Logic) 28

2e

457 ff. 32

83

Lohmann, Borgeaud und Bröcker (Signe) 27. Günther (Kybernetik) 18.

3 Horn

34

3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

In der Gegenwart fußen die Lehren der Onomasiologie und der L-Semantik auf der Namenstheorie. Nur die Anhänger der Onomasiologie führen aber diese Anschauung rein durch. Die Logiker hingegen verwenden oft auch Elemente des Sprachmodells höherer Ordnung. Die Onomasiologieu sieht ihre Aufgabe darin, Wörter zu sammeln, die als (verschiedene) Namen einer Sache verwendet werden. Im Hinblick auf die weitere Untersuchung soll hervorgehoben werden, daß man die Erfahrung machen muß, daß die ,.Sache" oft nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, und zwar auch dann, wenn es sich um sinnlich wahrnehmbare Objekte handelt85• Da die Onomasiologie von der Sache ausgeht, hat sie keine Bedeutung für die Wissenschaftstheorie und die Rechtswissenschaft, die vom Wort ausgehend nach dessen Bedeutung fragen88• Aus zwei Gründen verdient aber die in der L-Semantik entwickelte Theorie der Namensrelation Beachtung. Hier werden einige Prämissen des Sprachmodells in exakter Weise formuliert, die auch in der Rechtswissenschaft in weniger präziser Form die Grundlage der Auslegungslehre bilden. Weiterhin haben aber die Logiker selbst nachgewiesen, daß dieses Sprachmodell in der Anwendung zu Widersprüchen führt. Diese Feststellung ist sehr wichtig, weil mit der Lehre von der Namensrelation versucht wurde, der Logik zu einer sicheren Grundlage zu verhelfen. So verschiedenartig auch die Ansätze der einzelnen logischen Richtungen sein mögen, ist es doch allgemeine Überzeugung, daß mit Hilfe der Logik Sicherheit, Präzision oder Wahrheit erreicht werden könne. Da aber die Logik der Sprache bedarf, und zwar auch dann, wenn sie sich als Denklehre begreift, ist es erforderlich, ein Sprachmodell einzuführen, das die gewünschte logische Ableitung ermöglicht. Eine der unabdingbaren Voraussetzungen ist die Einwertigkeit der sprachlichen Ausdrücke. In der Vergangenheit nahm man an, daß die von der Wissenschaft bearbeiteten Ausdrücke der Umgangssprache den Anforderungen der Logik genügten87• Auf diese Weise glaubte man feste Begriffe zu erlangen, die als feste Rechensteine der Logik taugten. Indes mußten die Logiker feststellen, daß auch die bearbeitete Alltagssprache nicht den gestellten Anforderungen genügte. Überdies schien die Möglichkeit der logisch richtigen Ableitung unter dem Einfluß psychologischer Lehren dahinzuschwinden. In dieser Situation suchten die Logiker nach einem neuen Weg. Man revidierte aber nicht die Annahmen, die zuvor hinsichtlich der Alltagssprache gehegt worden waren, sondern gab u Quadri (Onomasiologie).

85

Quadri (Onomasiologie) 53.

ae Anderer Ansicht ist Hochstrasser (Sprachliche Gestaltung) 119, er glaubt,

sie könne sich für die Rechtswissenschaft als überaus nützlich erweisen. n Vgl. dazu Ajdukiewicz (Logik) 33.

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft

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die Alltagssprache preis und schritt zur Entwicklung künstlicher Sprachen, die diesen Annahmen entsprechen sollten. In der Theorie der Namensrelation werden demzufolge drei Voraussetzungen gemacht88 : 1. Grundsatz der Eindeutigkeit. Jeder sprachliche Ausdruck, der in einem bestimmten Kontext als Name gebraucht wird, ist der Name genau einer konkreten oder abstrakten Wesenheit (Gegenstand). 2. Grundsatz der Gegenstandsbezogenheit. Ein Satz, der diese Namen enthält, spricht von diesen Gegenständen.

3. Grundsatz der Austauschbarkeit. Wenn eine Wesenheit zwei Namen hat, so können die Namen ausgetauscht werden, ohne daß die Wahrheit des Satzes betroffen wird. Dieses Sprachmodell erklärt die Einwertigkeit der Wörter auf eine einleuchtende Weise. Es gibt nur das graphisch produzierte Wort und den Gegenstand. Da das Wort der Name des Gegenstandes ist, wird damit das Wort dem Gegenstand zugeordnet. Die so geschaffene Relation ist zweigliedrig, demzufolge gibt es nur eine Beziehung. Bezieht man dann diese Relation auf das Wort selbst, gelangt man zwanglos zur Einwertigkeit des sprachlichen Ausdrucks. Da das Denkmodell der zweigliedrigen Relation auch in den höheren Sprachmodellen, die mit der Bedeutung des Wortes operieren, verwendet wird, verdienen auch die Erfahrungen der Logiker, die sie bei der praktischen Anwendung gemacht haben, Beachtung. Alle Logiker stimmen darin überein, daß die Annahme dieser Grundsätze beim Aufbau künstlicher Sprache zu außerordentlichen Schwierigkeiten führt39• Selbst in einfachsten Fällen stellt sich heraus, daß der Ausdruck nicht eindeutig ist40• Wie Carnap zutreffend hervorhebt, liegt der Grund in der Methode der Namensrelation selbst41 • Wenn diese für die Analyse der Sprache bedeutsam sein soll, muß die Masse der Wörter als Namen angesehen werden. Zwar wird eingeräumt, daß es Wörter gäbe, die keinen Gegenstand bezeichnen. Die für die Klasse der Nichtgegenstände (Nullklasse) angeführten Beispiele42 "Einhorn", "Apollo" lassen aber erkennen, daß man nur wenige Wörter aus der Klasse der Namen ausscheiden will. Deshalb wird auch die Forderung der Nominalisten, alle abstrakten Wesenheiten auszumerzen, meist entschieden zurückgewiesen43 • Dieser Standpunkt macht es also Carnap (Necessity) 62; Stegmüller (Semantik) 128 f. n Vgl. z. B. Carnap (Necessity) 133; Stegmüller (Semantik) 129; Quine (Existence) 77 ff. 40 Quine (Existence) 77, hinsichtlich eines Eigennamens. 41 Carnap (Necessity) 133. 42 Lewis (Meaning) 238. 43 Vgl. z. B. Carnap (Necessity) 221; Pears (Universals) 62. 811

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

erforderlich, jedem Namen einen Gegenstand zuzuordnen. Da dieses Verfahren die Erkennbarkeit der Gegenstände voraussetzt, kommt schließlich auch die Psychologie wieder zur Hintertür herein44 • Die Feststellbarkeit eines Gegenstandes wird auf die reine und richtige Beobachtung gestützt. Trotz dieser vorausgesetzten Fähigkeit führt die Suche nach den jeweiligen Gegenständen zu unterschiedlichen Antworten. Nicht nur bei abstrakten Ausdrücken wie "sterblich", sondern auch bei Eigennamen muß man feststellen, daß der Gegenstand in verschiedener Weise bestimmt werden kann45 • Wie auch im Falle der Onomasiologie zeigt sich also, daß die künstliche Vereinfachung des Sprachmodells nicht zu der erwünschten Sicherheit führt. Von den zahlreichen Vorschlägen, die die Logiker gemacht haben, um die Widersprüche zu beheben, sollen nur jene verfolgt werden, die zu dem Sprachmodell höherer Ordnung führen. Frege46 führt am Beispiel der Wörter "Morgenstern" und "Abendstern" aus, daß sie zwar den gleichen Gegenstand benennen, daß man aber dennoch nicht sagen könnte, die Wörter hätten den gleichen Sinn. Frege führt also eine weitere Qualität des Wortes ein, die in dem Sinn (Bedeutung) gesehen wird. Von diesem Sinn sagt er nun, daß er zwischen der Sache und der Vorstellung, welche wir davon haben, liegt. Letztere sei subjektiv, der Sinn hingegen sei objektiv, obwohl er nicht die Sache selbst wäre. Einen ähnlichen Gedanken trägt W eisgerber47 bei der Kritik der onomasiologischen Methode vor: "Denn es ist gerade das Wesen der menschlichen Sprache, daß sie die Dinge nicht objektiv fassen und bezeichnen, sondern immer nur begrifflich formen und in diesem oder jenem Zusammenhang verarbeiten kann. Es ist das eine alte Weisheit, aber gerade die Wissenschaft, die am meisten Grund hätte, sie zu beachten, geht daran vorbei. Die Bezeichnungslehre, die eine direkte Verbindung zwischen Objekt und Namen sucht, springt gerade über die Sprachinhalte, die Begriffe, weg." Diese Äußerungen zeigen, daß der vorhin zur Kennzeichnung des Sprachmodells benutzte Begriff des Zwischengliedes keine willkürliche Erfindung ist, sondern aus der Sprachwissenschaft selber stammt48 • Von diesem Zwischenglied wird aber nicht nur gesprochen, es wird auch in geometrischen Modellen dargestellt. Das wohl berühmteste Beispiel ist das semantische Dreieck von Ogden und Richards49 • Seine Aufgabe ist " Carnap (Necessity) 207; vgl. Kraft (Wiener Kreis) 77 ff. •s Quine (Existence) 77. 4e Frege (Bedeutung) 25 ff., 30. 47 Weisgerber (Bedeutungslehre) 178. 48 Zur Entwicklung des Gedankens vgl. Beth (Foundations) 23 f. 4 9 Ogden und Richards (Meaning) 11; vgl. auch Meredith (Semantics) 2; Ullmann (Meaning) 13 f.

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft

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es, dem Leser klar zu machen, daß die direkte Relation zu den Sachen nicht besteht, sondern über die Gedanken des Menschen führt. Das Bild des Dreiecks dient diesem Zweck am besten. Will man die direkte Relation zwischen zwei Gliedern aufheben, so setzt man das Zwischenglied nicht auf die Gerade zwischen den beiden Punkten, sondern wählt einen Punkt außerhalb der Geraden. Obwohl dieses Zwischenglied unterschiedlich benannt und gedeutet wird, scheint eine Reduktion auf drei Grundformen möglich zu sein, die in mehr oder minder reiner Form jeweils erkennbar werden. Nach der einen Ansicht befindet es sich ausschließlich im Geist des Menschen50. Nach einer zweiten Ansicht ist es sowohl von dem Bewußtseinsakt als auch von der Sache zu scheiden; es ist vielmehr ein drittes Gebilde, das zwar ideal aber dennoch objektiv ist51. Der dritte Standpunkt vereinigt die beiden Auffassungen, aus gewissen Gründen scheint er beiden anderen Denkmöglichkeiten vorgezogen zu werden. Auch bei Autoren, die eine der ersten beiden Ansichten vertreten, wird diese Auffassung erkennbar. Z. B. sagt Wüsterse, daß der Begriff dem Wort primär nur in den Köpfen der Menschen zugeordnet sei. In seinem vierteiligen Wortmodell findet sich aber der Begriff als Klassenname auch außerhalb des menschlichen Geistes. Sehr deutlich zeigt sich diese Auffassung bei den Autoren, die den Bedeutungswandel untersuchen. Die diachronische Semantik53 befaßt sich mit den Veränderungen der objektiven Bedeutung. Diese ist der Maßstab, an der die Veränderung gemessen wird. Zu den Ursachen aber, die diese Veränderung bewirken, werden auch psychische Kräfte gerechnet54. Das besagt in anderen Worten, daß die subjektive Bedeutung die objektive Bedeutung ändern kann. In gleicher Weise nehmen Psychologen die objektive Bedeutung zum Maßstab, wenn sie klären wollen, welche subjektiven Bedeutungen verschiedene Individuen mit einem Wort verbinden5s. Die wiedergegebenen Bemerkungen zeigen, daß auch die Sprachmodelle höherer Ordnung bei diesem erkenntnistheoretischen oder ontologischen Ansatz verharren. Die Einschaltung des Zwischengliedes bezweckt zwar eine stärkere Scheidung von Wort und Sache, läßt aber die Grundanschauung unberührt. Nicht mehr das Wort direkt, sondern die ihm verbundene Bedeutung weist nunmehr auf die Sachen der Welt. Gegen diesen methodischen Standpunkt ist selbstverständlich nichts Reiss (Language) 262 ff.; Kronasser (Semasiologie) 23. Bröcker und Lohmann (Zeichen) 26; Gardiner (Signe) 108 f. 52 Wüster (Wort) 188. 53 Vgl. Ullmann (Semantics) 171 ff. 64 Otto (Sprachwissenschaft) 154 ff. &s Coombs (Foreword) 7. 60

61

38

3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

einzuwenden. Es ist aber festzustellen, daß derartige Sprachtheorien keine Kommunikationstheorien sind und auch gar nicht sein wollen, Auf diesem Standpunkt stehen auch Autoren, die sich von den überkommenen Methoden der Semantik lösen wollen. Weisgerber1 z. B. will begreülich machen, daß die Sprache als ein Mittel der geistigen Anverwandlung der Welt durch den Menschen verstanden werden müsse. Zur Erklärung seiner Methode, die er das Worten der Welt nennt67, sagt er, daß zwar auch von der Verständigungsfunktion der Sprache ein Weg zur sprachlichen Weltgestaltung führe, daß indes auf diesem Weg soviel Vordergründiges überwunden werden müßte, daß die einschlägigen Überlegungen meist zu früh steckenblieben. Dennoch gehen die Wissenschaftler, die mit dieser Methode und mit diesem Sprachmodell arbeiten auf die sprachliche Verständigung ein. Die aus diesem Bereich stammenden Ansichten sind allgemein verbreitet. Es scheint keine Disziplin zu geben, die sich nicht darauf beriefe, wenn die Frage der sprachlichen Verständigung anzuschneiden ist. Die Herkunft dieser Ansichten erklärt es, daß das Funktionieren der sprachlichen Verständigung fast ausschließlich auf die Bedeutung des Wortes gestützt wird. Dieses Sprachmodell macht nun weitere Annahmen erforderlich; die drei folgenden sind sehr häufig anzutreffen, allerdings müssen sie nicht zugleich gemacht werden. Die erste Annahme betrüft die Einwertigkeit der Ausdrücke; begründet wird sie auf verschiedene Weise. Einen pragmatischen Grund führt der Philosoph und Logiker Bocheil.ski an. Er58 sagt, daß es schwierig wäre, sich vorzustellen, wie eine Verständigung unter Menschen überhaupt möglich sein sollte, wenn alle Ausdrücke mehrdeutig wären. Da aber die Verständigung eine Tatsache sei, bliebe nur der Schluß, daß zumindest die Mehrzahl der Ausdrücke eindeutig sei. Häufiger wird aber die Verbindung des lautlich oder graphisch produzierten Wortes zu seiner Bedeutung als Grund angegeben59 • Wie bei der Darstellung der Namenstheorie ausgeführt wurde, führt die Verbindungzweier Glieder notwendig zu einer einzigen und damit einwertigen Relation, die dann leicht in eine Einwertigkeit des Ausdrucks umgedeutet werden kann. Überhaupt kein Zweifel an der Einwertigkeit ist möglich, wenn Wort und Bedeutung zu einer Einheit verschmolzen werden. Die Bedeutung ist in diesem Falle eine notwendige und zugleich die einzige Eigenschaft des Wortes. Um die Einheit und Untrennbarkeit der beiden Glieder darzutun, werden sinnfällige Beispiele benutzt. Wie Wüster60 aber mit Weisgerber (Gestaltung) 65. n Weisgerber (Worten). se Bochenski (Universalienproblem) 141; so bereits Aristoteles (Metaphysik) 1063 b. 5° Vgl. die Zusammenstellung bei Ullmann (Semantics) 70 ff. eo Wüster (Worten) 189. 5o

3.2 Theorien der Sprachwissenschaft

39

Recht hervorhebt, sollte diese Auffassung überwunden sein, da sie einer niederen Entwicklungsstufe angehört. Zuletzt ist eine Lehre zu erwähnen, die die Einwertigkeit aus dem Zusammenhang ableitet. Daß diesem Bedeutung entnommen werden kann, ist eine alte Einsicht und durch die Lehren der modernen Kontexttheorien hinreichend belegt81 • Die hier zu betrachtende Ansicht verwandelt aber den Zusammenhang in das logischen Lehren entspringende System. Der Ausdruck "Begriffssystem" wird allerdings selten verwendet; meist benennt man diese Lehre nach dem Vorbild des Urhebers Trier62 als Feldtheorie. Nach dessen Ansicht ist das Wortfeld zeichenhaft einem mehr oder weniger geschlossenen Begriffskomplex zugeordnet, dessen innere Aufteilung im gegliederten Wortfeld erkennbar wird. Dieses Bild vermittelt den Eindruck der Wohlgeschiedenheit der einzelnen Wörter. Durch die Nachbarwörter erlangt das eingeschlossene Wort seine feste Begrenzung, woraus dann leicht die Einwertigkeit abgeleitet werden kann83• Umgekehrt führt die Unkenntnis eines Wortes auch zur Unsicherheit bei der Anwendung der anderen Wörter8'. Die These von der Einwertigkeit der Wörter läßt sich nicht mit der allgemein bekannten Tatsache vereinbaren, daß die Bede1,1tung durch den Kontext verändert werden kann. Nur selten wird deshalb die Annahme gänzlich aufgegeben. Zu diesem Ergebnis gelangen beispielsweise konsequente Verfechter der Kontexttheorie. Malinowski85, der ihre Bedeutung für die Untersuchung lebender Sprachen hervorhebt, sagt, daß eine Äußerung nur durch den Kontext der Situation Bedeutung erlangen könne. Meist wird der Versuch unternommen die Einwertigkeit dennoch zu retten. Wohl die beliebteste Erklärung ist die auch in der Rechtswissenschaft verbreitete Beschreibung des Objektes "Wortbedeutung" als eines festen Kerns, der von einem Randgebiet umschlossen ist, dessen Grenzen unsicher sind80• Eine andere Erklärung behauptet die Prädominanz des Wortes im Kontext87 • Offensichtlich genügt die Annahme der Einwertigkeit allein nicht, um das Funktionieren der sprachlichen Verständigung zu erklären, da noch nicht die Fähigkeiten der Sprachgenossen berücksichtigt sind. Zu diesem Zweck behauptet man, daß die Kommunikationspartner im Besitze der Sprache und der Bedeutung wären, zumindest aber über einen gemeinsamen Sprachkern verfügten88• Wegener (Grundfragen) 21 ff.; Williams (Language) 301. Trier (Wortschatz) 1. 13 Vgl. dazu die Bemerkungen Kandlers (Weltbild) 259. &t Weisgerber (Sprache) 22. 15 Malinowski (Meaning) 307. 18 Erdmann (Bedeutung) 4 f.; Slama-Casacu (Langage) 141 ff. •• Ammer (Einführung) 63. es Schreiber (Logik) 8. 01 11

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

In dieser ausdrücklichen Weise wird die Annahme selten gemacht, bei vielen Autoren kann man aber erkennen, daß sie stillschweigend vorausgesetzt wird. So schreibt der Logiker Ajdukiewicz" bei der Behandlung der sprachlichen Verständigung, daß bei der Übermittlung der Gedanken häufig Fehler durch den Gebrauch mehrdeutiger Aussagen ent~;~tünden, da der sprachkundige Hörer diese Mitteilung eben in verschiedener Weise verstehen könnte. An den Gesetzgeber gewendet, fährt er fort, daß er sich dieser Gefahr bewußt sein möge und deshalb bei der Wahl der Ausdrücke sich bemühen solle, eindeutige Wörter mit sicherem Umfang zu verwenden. Auf den ersten Blick scheint die Behauptung des gemeinsamen Sprachbesitzes in Verbindung mit der Theorie der Eindeutigkeit eine hinreichende Erklärung für das Funktionieren der Verständigung zu geben. Eine genaue Betrachtung zeigt aber, daß diese Annahmen nicht genügen; denn sie erklär-en nicht, wie die Mitglieder der Sprachgemeinschaft in den Besitz der Sprache und der Bedeutungen gelangen. Diese Frage wird sehr selten gestellt, denn die meisten Wissenschaftler setzen voraus, daß der Mensch mit der Sprache auch über die Fähigkeit verfüge, bedeutungsvolle Mitteilungen zu machen. Das so oft ausgesprochene Gebot, der Sprecher möge für seine Mitteilung das Wort mit der richtigen Bedeutung wählen, fußt auf dieser Anschauung. Offensichtlich ist die weiterführende Frage nach der Herkunft der Fähigkeit, das Wort mit der richtigen Bedeutung zu wählen, nicht einfach. Das macht es verständlich, daß sehr unterschiedliche Antworten gegeben werden. Manchmal wird die einheitliche Geltung der Wörter auf einen Gesellschaftsvertrag über die Sprache zurückgeführt70• Andere Autoren nehmen an, daß die Bedeutung gelernt werde71 • Wohl am verbreitetsten ist die auch in der juristischen Auslegungslehre herrschende Ansicht, daß die Bedeutung erkannt werden könne72• Bisher hat man sich noch nie einigen können, welche Antwort vorzuziehen sei. Auf einem Kongreß, der sich mit diesen Problemen beschäftigte, erklärte Findlay73 , daß die Annahme eines Lernprozesses diese Fähigkeit nicht hinreichend erkläre, so daß man auf die Lehre Platons zurückgreüen müsse. Das ist die Lehre des Wiedererkennens. Tatsächlich scheint man ohne diese nicht auskommen zu können, da die beiden ersten Ansichten keine Lösung für das Wiedererkennen geben. Die Dareu 10 71

Ajdukiewicz (Logik) 56 ff. Vgl. dazu Goldberg (Language) 43 ff. Pos (Meaning) 286; vergleicht den Erwerb mit der Fähigkeit, ein Werk-

zeug benutzen zu lernen. 72 Schaff (Semantics) 352 sagt: "In order to understand a sign we must perceive it and at the same time experience a psychic act, either such as in the case o.f phonic speech when the verbal sign is "transparent to meaning", or ..." 73 Findlay (Teaching of Meaning) 169 ff.

3.3 Kritische Bemerkungen

41

stellung dieses Erkenntnisvorganges soll aber zurückgestellt werden, denn es scheint zweckmäßig zu sein, diese alte Lehre mit den Kenntnissen zu kombinieren, die inzwischen in anderen Disziplinen erlangt worden sind. Dies soll in den folgenden kritischen Bemerkungen geschehen, da mit der Wiedergabe der drei Annahmen zur Wortbedeutung die wichtigsten Ansichten über die sprachliche Verständigung erfaßt sind.

3.3 Kritische Bemerkungen

Die herkömmliche Ansicht stützt das Funktionieren sprachlicher Kommunikation auf die Theorie der Wortbedeutung. Wie gezeigt wurde, ist dieses Sprachmodell entwickelt worden, um das Verhältnis der Sprache zu den Dingen der Welt zu klären. Da diese Theorien nicht die sprachliche Verständigung betreffen, müßte eigentlich sofort die Frage gestellt werden, ob es möglich ist, das Sprachmodell in die Theorie der Verständigung zu übernehmen. Das ist an dieser Stelle aber nicht beabsichtigt. Hier soll vielmehr angenommen werden, dem lautlich oder graphisch produzierten Wort komme eine Bedeutung (Begriff) zu. Wird dieser konventionelle Standpunkt eingenommen, so sind lediglich die daraus hergeleiteten Ansichten zu betrachten. Das sind die im vorigen Abschnitt dargestellten Annahmen, die gemacht werden, um die sprachliche Verständigung zu erklären. Alle Begründungen, die für die Einwertigkeit oder Eindeutigkeit der Ausdrücke angeführt werden, klingen außerordentlich einleuchtend. lndes befindet sich diese Lehre nicht im Einklang mit den Erfahrungen, die im Umgang und in der Anwendung der Sprache gemacht werden. Jede Disziplin, die sich mit dieser Frage befaßt, kommt zu dem Ergebnis, daß die Einwertigkeit nicht zu erweisen ist1 • Selbst die Logik und Onomasiologie, die mit künstlich vereinfachten Sprachmodellen die sichere Zuordnung und damit die Eindeutigkeit erreichen wollten, mußten diese Feststellung treffen2 • Der Harmonisierungsversuch, die Wortbedeutung als ein Objekt mit festem Kern und verfließenden Konturen darzustellen, ist in sich unrichtig. Diese Auffassung besagt nämlich, daß das Wort immer die Kernbedeutung hat. Die Erfahrung lehrt aber, daß der Kontext zu einer völligen Veränderung der Bedeutung führen kann3• Auf die genauere Behandlung dieses Lösungsversuches kann verzichtet wer1 Vgl. z. B. die Ansichten eines Biologen Hardin, Meaninglessness of the Word "Protoplasm". 1 Vgl. 3.2, Anm. 39. 3 Vgl. dazu Horn (Logik) 65 ff.

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

den, da jeder, der behauptet, die richtige Bedeutung eines Ausdrucks zu haben, voraussetzt, daß er sie erkennen kann. Vor der Untersuchung des Erkenntnisvorganges ist aber noch kurz bei der Behauptung zu verweilen, daß in einer Sprachgemeinschaft alle Mitglieder im Besitz der Sprache und der Bedeutungen wären. Da kein Sprachgenosse alle Wörter seiner Sprache kennen kann, wird regelmäßig nur von dem gemeinsamen Besitz eines Sprachkerns gesprochen. Auch diese Erklärung klingt einleuchtend; wiederum läßt sich diese Ansicht aber nicht mit einigen allgemein bekannten Tatsachen vereinbaren. Die Auffassung führt zu einem statischen Sprachmodell und vernachlässigt demzufolge die Bedeutung des Zeitablaufs. Wollte man zum Beispiel einen Mindestwortschatz der deutschen Juristensprache aufstellen, würde gewiß der Ausdruck "Juristische Person" in ihn aufgenommen werden. Der Gedanke, daß dieser Ausdruck in der Zukunft einmal verloren gehen könnte, wird sich kaum einstellen. Blickt man zurück, zeigt sich die Angelegenheit in einem anderen Licht. Der in der Vergangenheit verwendete Ausdruck "moralische Person" würde wahrscheinlich von manchen Juristen der Gegenwart mißdeutet werden. Nun könnte man meinen, daß sich die Veränderung der Sprache in der Zeit so langsam vollzöge, daß sie vernachlässigt werden könne. Dazu sagt Martinet', daß die Menschen zwar glaubten, zu ihren Lebzeiten verändere sich die Sprache nicht, in Wirklichkeit sei sie aber in ständiger Veränderung begriffen. Er belegt das mit einem Beispiel aus der Phonetik. 66 zufällig zusammengewürfelte Pariser, vor 1920 geboren, sprechen alle die Wörter "patte" und "päte" mit zwei verschiedenen Vokalen; von einigen hundert nach 1940 geborenen Pariserinnen haben hingegen mehr als 60 Ofo in diesen beiden Wörtern ein und denselben Vokal. Da die diachronische Semantik lehrt, daß auch die Bedeutung der Wörter der Veränderung unterworfen ist, dürfte sich der gemeinsame Mindestwortschatz sehr verringern, so daß diese Erklärung nicht geeignet scheint, das Funktionieren sprachlicher Verständigung begreiflich zu machen. Die beiden soeben erwähnten Annahmen müssen nicht gemacht werden, wenn der Mensch die Fähigkeit besitzt, die richtige Bedeutung eines Ausdrucks festzustellen oder zu erkennen. Im vorletzten Abschnitt wurde dargelegt, daß dies die wichtigste Voraussetzung der juristischen Verstehensiehren ist. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, das richtige Wort zu wählen. Der Richter schließlich ist in der Lage sich durch einen rationalen Erkenntnisprozeß des Inhaltes dieser sprachlich fixierten Regel zu bemächtigten. Da nun die Bedeutung von dem graphisch produzierten ' Martinet (Sprachwissenschaft) 36 f.; vgl. auch Porzig (Leistung der Sprache) 331; Senn (Methode) 419.

3.3 Kritische Bemerkungen

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Ausdruck verschieden ist, kann die bloße Versicherung, es gebe das reine Verstehen, nicht als ausreichende Erklärung hingenommen werden. Auch die· herkömmlichen Sprachtheorien schweigen sich zu diesem Punkt meist aus. Das ist verständlich, denn diese Sprachtheorien sollen das Verhältnis der Sprache zu den Dingen der Welt klären. Die Wissenschaften, die die Denkfigur der Wortbedeutung geschaffen haben, die in allen wissenschaftlichen Bereichen zu einem zentralen Begriff geworden ist, tragen also nichts zur Erklärung des Verstehens der Wortbedeutung bei. Die Kenntnisse von diesem Vorgang sind also äußerst gering. Wohl auch aus diesem Grund mag Findlay5 vorgeschlagen haben, zu der Lehre Platons zurückzukehren. Da diese ein einfaches Modell des Wiedererkennens gibt, soll mit ihr begonnen werden. Die platonische Lehre enthält zwei voneinander unabhängige Bestandteile. Ein Teil der Lehre befaßt sich mit der Herkunft dieser Fähigkeit, der andere gibt ein Modell vom Vorgang des Erkennens. Den Ursprung der Fähigkeit erklärt Platon6 als eine Wiedererinnerung der Seele an Ideen aus einem früheren Dasein. Nach der heutigen Terminologie wäre das eine angeborene Eigenschaft7 • Eine derartig erworbene Fähigkeit kann aber nicht nachgewiesen werden, da nicht einmal von der Sprachfähigkeit gesagt werden kann, sie sei angeboren. Kainz8 faßt die Ergebnisse neurologischer Forschungen in dem Satz zusammen: "Das Kulturkind, obgleich Erbe zahlloser über Sprache verfügender Vorfahrengenerationen, kommt ohne ausgebildete und kongenital funktionstüchtige Sprachregionen zur Welt. Aber gewisse formale Gerüstetheiten im Sinne von Präinformationen und potentiellen Einstimmbarkeiten existieren bei ihm in bestimmten Cortexarealen ... Wird dem Kind aber durch die Umgebung keine entsprechende sprachliche Betreuung zuteil, so vereindeutigen sich diese formalen Gerüstetheiten nicht zu inhaltlichen Gerichtetheiten, das Kind bleibt sprachlos ... " Demzufolge könnte die Erlangung dieser Fähigkeit nur durch einen Lernprozeß erklärt werden. Diese Erklärung wird wohl heute auch allgemein vorgezogen. Man sagt, daß ein Mensch die (richtige) Bedeutung gelernt hat. Daraus ergibt sich ein einfaches Modell des Wiedererkennens. Nach dem Lernvorgang ist die richtige Bedeutung im Kopf des Menschen dem Wort zugeordnet, so daß er die objektive Bedeutung erkennen kann. Auch die zuvor geschilderte Anschauung, nach der das Zwischenglied "Bedeutung" ein objektiver Gegenstand der Welt ist, aber zugleich auch im Kopf des Menschen anzutreffen ist, dürfte durch diese Ansicht hervorgerufen werden. Objektive und subjektive Bedeutung entsprechen ' Findlay (Teaching of Meaning) 172. Platon (Meno) Sla ff.; vgl. auch Schmölz (Thomas von Aquin) 56. 7 Vgl. Derbolav (Kratylos) 63. 8 Kainz (Tiersprache) 118. 1

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3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

sich. Wahrscheinlich hat auch Platon in seiner Ideenlehre dieses Modell des Wiedererkennens gegeben. Hoffmann9 gibt eine Äußerung wieder, die Platon in der mündlichen Belehrung gemacht haben soll. Da sie vollkommen mit Platons anderen Anschauungen harmoniert, sagt er, es sei nicht zu bezweifeln, daß sie von Platon stamme. Nach dieser Überlieferung hat Platon gesagt: "Wenn es ein Gedächtnis gibt, so muß es tatsächlich auch Ideen geben, denn das Gedächtnis setzt etwas Ruhendes und Bleibendes voraus; nichts anderes hat aber festen Bestand als die Ideen. Auf welche Weise sollten die lebenden Wesen sich erhalten, wenn sie nicht in gewissem Zusammenhang mit den Ideen stünden und dafür von der Natur den Verstand empfangen hätten? So aber erinnern sie sich der Gleichheit von Getränk und Nahrung, wie sie ihrer Art nach für sie paßt, wodurch sie zu erkennen geben, daß allen lebenden Wesen die Kenntnis der Gleichheit eingepflanzt ist . .. " Die Entsprechung der objektiven und subjektiven Bedeutung wird in diesem Modell als Gleichheit gedeutet. Das Original wird von dem Duplikat im Gehirn gedeckt10• Das ist ein abstraktes Gegenstück zur sinnlich gebundenen Abbildtheorie11 • Sieht man von der Abstraktion ab, so handelt es sich darum, daß zwei Gegenstände sich decken oder gleichgesetzt werden können. Dieses Denkmodell ist sehr beliebt und in allen Bereichen anzutreffen. Z. B. pflegen Juristen von Willenserklärungen zu sagen, daß sie sich decken. Da das Denkmodell der Gleichsetzung zweier Dinge sich gewissermaßen anbietet, wird es auch immer wieder neu erfunden. So haben es Techniker verwendet, die den Vorgang des Erkennens geometrischer Figuren maschinell nachahmen wollten. Dieser Versuch soll in Kürze erwähnt werden, da er zeigt, daß das Wiedererkennen mit Hilfe dieses Modells nicht möglich ist, woraus sich ergibt, daß es auch nicht geeignet ist, diesen Vorgang zu erklären. Bei der Entwicklung von Klartextlesemaschinen, die von der Post verlangt werden12, um Briefe automatisch sortieren zu können, taucht das Problem des Wiedererkennens von Buchstaben auf. Bei einem der ersten Versuche setzte man dem Lesegerät eine Blende ein, in die die Vergleichszeichen eingeschnitten waren. Im Falle der Deckung der beiden Zeichen empfängt ein Wandler dann ein Minimum des Lichtstroms, woraus sich ergibt, daß das vorgelegte Zeichen richtig erkannt worden ist. Es stellte sich nun heraus, daß die Leistung dieses Systems äußerst gering ist. Das Gerät kann zunächst einmal nur den Schrifttyp lesen, der • Hoffmann (Platon) 71. Hoffman (Platon) 10; Meyer-Eppler (Verstehen) 250, spricht von Kongruenz und Crystal (Language) 48, von Identität. u Vgl. dazu Allport (Perception) 68. I! Steinbuch (Erkennungsverfahren) 816. 10

3.3 ·Kritische Bemerkungen

45

der Schablone entspricht. Aber auch wenn dieser Voraussetzung genügt ist, machen ungenaue Zentrierung und Defekte des vorgelegten Zeichens den Erfolg fraglich, da dann das Minimum des Lichtstroms nicht erreicht wird. Daß das Wiedererkennen nicht einfach als Vergleich zweier fester Objekte gedeutet werden kann, ist auch durch psychologische Versuche bewiesen worden. Hebb13 belegt das mit dem instruktiven Beispiel des Lernens von "Dreieckigkeit". Zunächst stellte sich einmal heraus, daß manche Lebewesen weniger, andere aber mehr Lernversuche brauchen, um das Wiedererkennen zu beherrschen. Eine Ratte lernt schneller als ein Schimpanse. Während eine Ratte bei einfachen Unterscheidungen nur 10 bis 20 Lernversuche braucht, benötigt ein Schimpanse dafür 200, 300 oder. sogar 400 Versuche. Wenn aber der Schimpanse schließlich zum Ziel gelangt ist, zeigt sich, daß er mehr über Dreieckigkeit gelernt hat als die Ratte. Beiden Tieren wurde zum Lernen ein Dreieck in Form einer weißen Fläche dargeboten. Beim Test mit anderen Objekten zeigten die Tiere verschiedene Reaktionen. Die Ratte reagierte nicht auf ein gewendetes weißes oder ein schwarzes Dreieck; beide Figuren erkannte hingegen der Schimpanse. Übertroffen wurden die beiden Tiere von einem zweijährigen Menschenkind, das das Dreieck auch dann erkannte, wenn es durch sechs weiße entsprechend angeordnete Punkte dargestellt wurde. Hebb knüpft an diese Beobachtung die Bemerkung, daß ein großes Gehirn wahrscheinlich nicht in der Lage ist, einfache Dinge auf einem einfachen Wege zu bewältigen. Wegen dieser feststellbaren Komplexität der Gehirnvorgänge warnt er vor einer Übervereinfachung der Theorie des Lernens. Demnach erweist sich das von der Verstehenslehre zugrunde gelegte Modell als nicht geeignet, den Vorgang des Verstehens zu erklären. Der Frage, ob Verbesserungen des Modells Abhilfe schaffen könnten, braucht aber nicht nachgegangen zu werden; denn diese Verstehenslehre enthält eine weitere Voraussetzung, die zur Zeit überhaupt nicht erklärt werden kann. Nach allgemeiner Ansicht ist die Bedeutung nicht das graphisch oder lautlich produzierte Wort. Nur einige Wissenschaftler lehren, daß die Bedeutung ausschließlich in dem Kopf des Menschen anzutreffen ist. Die herrschende Auffassung sieht hingegen die Bedeutung als objektiven und idealen Gegenstand der Welt. Insbesondere wird diese Ansicht in den juristischen Verstehensiehren vertreten. Die Begriffe sind dem Juristen vorgegeben und können erkannt werden. Nach dieser Auffassung kann die Bedeutung weder gehört noch gesehen werden. Man wird auch nicht annehmen dürfen, daß die Bedeutung, weil sie dem Wortkörper 13

Hebb (Psychology) 454 ff.

46

3 Die traditionelle Theorie der sprachlichen Kommunikation

eng verbunden ist, unbemerkt und heimlich mit dem Wort zugleich in das Gehirn eindringt. Dies stünde auch nicht mit der Erfahrung im Einklang, daß nur die Bedeutung bekannter Wörter erkannt wird. Damit läuft die Theorie des Erkennens der Bedeutung auf einen extrasensorischen Vorgang hinaus. Zwar hat sich in der Gegenwart herausgestellt, daß der Mensch mehr Sinne hat als ihm die klassische Lehre zubilligt. Ein Empfangsorgan für die Wortbedeutung ist indes noch nicht entdeckt worden; sehr wahrscheinlich wird es auch nicht entdeckt werden. Wer behauptet, daß er über diese extrasensorische Fähigkeit gebiete, muß das auch beweisen14• Dieser Beweis ist aber bisher noch nicht geliefert worden. Zusammenfassend kann man sagen, daß die von den alten Sprachtheorien gegebene Deutung die sprachliche Kommunikation nicht erklären kann. Die bisherigen Ausführungen lassen auch schon den Grund des Versagens ahnen. Mit der Annahme der Eindeutigkeit, der einheitlichen Geltung für alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft und der Übereinstimmung der objektiven und subjektiven Bedeutung erzeugen die klassischen Theorien ein statisches System, dessen Funktionieren mit Übereinstimmung erklärt wird. In diesem System gilt also, logisch gesprochen, der Grundsatz der Identität. Daß mit Hilfe dieses Grundsatzes Erkennen nicht simuliert und Lernvorgänge nicht erklärt werden können, haben die eben angeführten Beispiele gezeigt. Das Beispiel des Lernens von Dreieckigkeit scheint darauf hinzudeuten, daß dieser Vorgang besser als Anpassungsleistung (Analogie) erklärt werden kann. Eine derartige Deutung dürfte auch die sprachliche Verständigung weitaus besser begreiflich machen. Da die Sprache in ständiger Änderung ist, und zwar deshalb, weil sie durch das Sprechen ständig verändert wird, muß der Grundsatz der Identität versagen. Diese Feststellung führt wieder zur Wortbedeutung zurück, denn diese Denkfigur ist notwendig mit der Idee der Eindeutigkeit verbunden. Dadurch werden dann auch die anderen Annahmen der allgemeinen Geltung und der Erkennbarkeit der Bedeutung erzwungen. Deshalb kann man sagen, daß die bisherige Theorie der sprachlichen Verständigung an dem Grundbegriff dieses Sprachmodells scheitert, obwohl ihm gerade die Aufgabe zugedacht ist, die Verständigung zu erklären. Erinnert man sich an die Entwicklung, die zu diesem Sprachmodell höherer Ordnung geführt hat, überrascht das Ergebnis nicht allzusehr. Keine dieser sprachwissenschaftlichen Untersuchungen ist zu dem primären Zweck unternommen worden, die sprachliche Kommunikation zu klären. Dennoch haben die Disziplinen, die es vor allem mit der sprachlichen Verständigung zu tun haben, unbedenklich diese Denkfigur 14

Steinbuch (Kybernetik) 250.

3.3 Kritische Bemerkungen

47

übernommen. Obwohl einige juristische Autoren15 die gewöhnliche Deutung der Wortbedeutung so sehr verfeinert haben, daß eigentlich von der Bedeutung nichts übrig geblieben ist, steht zumindest die Rechtsprechung noch völlig im Bann dieser ungeeigneten Denkfigur. Die sich daraus ergebenden und allgemein beklagten Schwächen der juristischen Verstehenslehre sind allein ein hinreichender Grund, sich dem Problem der sprachlichen Verständigung zu widmen. Wie schon gesagt wurde, ist gerade die Rechtssprache für diese Analyse besonders geeignet, da sie sich aus einer Urfunktion der sprachlichen Kommunikation entwickelt hat. Dieser noch erkennbare Zusammenhang erlaubt es, einfache Kommunikationssituationen zu rekonstruieren, die einer Analyse eher zugänglich sind. Mit diesen Bemerkungen ist bereits die Art des methodischen Vergehens angedeutet. Da das Sprachmodell, das dem Wort eine Bedeutung zuspricht, ausgeschaltet werden muß, ist das lautlich oder graphisch produzierte Wort nicht mehr von Bedeutung begleitet, die im Kommunikationsvorgang vom Sprecher zum Hörer fließt. Sprechen und Hören kann deshalb nicht als einfaches Geben und Nehmen von Bedeutung verstanden werden. Anders ausgedrückt bedeutet das, daß durch die Untersuchung der Sprache allein nicht Aufschluß über den Vorgang der sprachlichen Verständigung erlangt werden kann. Dies bedingt eine entschiedene Abwendung von den herkömmlichen Methoden, da diese die Sprache aus dem Kommunikationsvorgang lösen. Die folgenden Untersuchungen werden zeigen, daß es notwendig ist, nicht nur den Kommunikationsvorgang, sondern auch die Kommunikationssituation in die Untersuchung einzubeziehen.

ts Z. B. Betti (Auslegungslehre).

4 Kommunikationstheorien der Gegenwart Eine Untersuchung, die das Funktionieren sprachlicher Verständigung klären will, kann nicht an den Arbeiten vorübergehen, die das gleiche Ziel anstreben. Zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte beschäftigen sich mit diesem Problem oder gehen doch zumindest beiläufig darauf ein. Zu der Ausbildung einer einheitlichen Lehre ist es aber noch nicht gekommen. Lediglich die verwendeten Benennungen mögen diesen Eindruck hervorrufen. Auch Integrationsversuche sind nicht wesentlich über eine zusammenfassende Darstellung der verschiedenartigen Ansätze hinausgekommen1 • Seinen Grund findet das darin, daß die einschlägigen Überlegungen von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen stammen, die bei der Behandlung spezifischer Probleme ihrer Disziplin Denkmodelle entwickelt haben, die dann auf die Theorie der sprachlichen Verständigung übertragen wurden, weil sie sich auch zur Lösung dieser Frage zu eignen scheinen. Deshalb sagt Cherry2, daß allenfalls gewisse gemeinsame Grundanschauungen bestehen, so daß man auf eine fruchtbare Entwicklung hoffen könne. Zu berücksichtigen sind vor allem die Lehren der Informationstheorie, Kybernetik und Kommunikationsforschung, da viele Autoren aus diesen Bereichen auf die Frage der sprachlichen Verständigung eingehen. Die Namensgebung erfolgt allerdings keineswegs einheitlich3, deshalb kommt es auch zu Überschneidungen. Relativ fest ist der Bereich der Informationstheorie abgesteckt; mit ihr soll begonnen werden. Von der Methode her kann sie als ein Zweig der angewandten Wahrscheinlichkeitsrechnung bezeichnet werden4, die zur Behandlung verschiedener Probleme der Nachrichtentechnik entwickelt worden ist. Zum Verständnis des in diesem Zusammenhang bedeutsamen Teils der Theorie genügt es, ein Problem der Fernmeldetechnik kurz zu skizzieren. Bei der Übermittlung von Nachrichten, die dem Nachrichtentechniker durch graphisch fixierte Wörter vorgegeben sind, wird es erforderlich, die verwendeten Buchstaben durch andere Zeichen wiederzugeben. In der Ausdrucksweise der Nachrichtentechnik handelt es sich um das Problem der Kodierung. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß durch die Vgl. z. B. Cherry (Communication). Cherry (Communication) 2. a Vgl. z. B. die Abweichungen bei Gabor (Communication Theory). 4 Chintschin (Informationstheorie). t 2

4 Kommunikationstheorien der Gegenwart

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Wahl eines zweckmäßigen Kodes Zeit und Kosten bei der Übertragung der Nachricht gespart werden können. Davon machte bereits Morse Gebrauch. In seinem Zeichenalphabet ist der Punkt als kürzestes Zeichen dem Buchstaben "e" zugeordnet, seltenere Buchstaben werden hingegen durch Kombinationen von vier Zeichen wiedergegeben. Dieses Beispiel zeigt, daß sich die Theorie der Kodierung mit dem vorgegebenen Text der Umgangssprache beschäftigen muß, wenn eine optimale Lösung dieses Problems angestrebt wird. Die Informationstheorie ist nun auch zur Untersuchung der daraus folgenden Fragen geschaffen worden5 • Zwecks exakter Behandlung dieses Problems bedient sie sich der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Mit ihrer Hilfe soll die statistische Struktur des vorgegebenen Textes untersucht werden. Um die Wahrscheinlichkeitsrechnung in diesem Zusammenhang sinnvoll anwenden zu können, hat man sie mit einem eigentümlichen Denkmodell verknüpft. Man bezieht den menschlichen Empfänger der Nachricht in die Überlegungen ein. Von ihm wird angenommen, daß er (immer) bereits gewisse Kenntnisse (Präinformationen) hat, die direkt die übermittelte Nachricht betreffen oder doch jedenfalls ihr Verständnis erleichtern. Die empfangene Nachricht beseitigt oder verringert somit die vorherige Ungewißheit. Goldman8 erläutert das mit dem folgenden Beispiel. Wird angenommen, daß ein Mensch weiß, im Hause des Nachbarn. ist ein Kind geboren worden, kann von ihm die Frage nach seinem Geschlecht gestellt werden. Die Antwort, daß es ein Junge sei, beseitigt die Ungewißheit. Da es in diesem Beispiel nur noch eine andere Möglichkeit gibt, beträgt die Wahrscheinlichkeit für jedes Ereignis 112. Diese Wahrschein'lichkeit wird nun auf die Nachricht selbst bezogen, so daß man sagen kann, die Nachricht habe einen bestimmten Informationswert, der gemessen werden kann, wenn man ihn der Wahrscheinlichkeit gleichsetzt. Information ist nach dieser Auffassung eine meßbare Quantität. Da Nachrichtentechniker das Wort aber nicht als Einheit übertragen, sondern den Buchstabenfolgen, die für das Wort stehen, Zeichen zuordnen, wird der Denkansatz auf die Buchstabenfolgen übertragen. Das macht es erforderlich, auch die Zwischenräume in die Untersuchung einzubeziehen. Vernachlässigt man diesen Umstand, kann man sagen, daß jedem Buchstaben (Zeichen) ein bestimmter Informationswert zukommt?. Auch diese Behauptung scheint sich durch die Erfahrung belegen zu lassen. Verstümmelte Wörter, denen einige Buchstaben fehlen, werden häufig vom Empfänger richtig gelesen oder geraten8 • Chintschin (Informationstheorie) 22 ff. Goldman (Information Theory) 4. 7 Chintschin (Informationstheorie) 95 ff. s Steinbuch (Kybernetik) 42.

5 8

4 Horn

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4 Kommunikationstheorien der Gegenwart

Diese Schilderung zeigt zunächst einmal, daß der Ausdruck "Information" in ganz ungewöhnlicher Weise verwendet wird. Obwohl Vertreter der Informationstheorie auf diese Besonderheit hinweisen', vermitteln doch manche Äußerungen den Eindruck, daß die Informationstheorie das Problem der sprachlichen Verständigung gelöst habe oder zumindest doch den richtil{en Ansatz zur Lösung bereitstelle. Eine kurze Überlegung zeigt, daß das nicht der Fall ist. Die mathematische Informationstheorie befaßt sich mit den statistischen Eigenschaften der Buchstabenfolgen. Gegen diesen methodischen Ansatz ist selbstverständlich nichts einzuwenden, da er sich aus der Problemstellung der Nachrichtentechnik sozusagen zwangsläufig ergibt. Ein Kurzschluß wäre es aber, wenn man die statistische Struktur des vorgegebenen Textes als eine Eigenschaft der Sprache oder des Sprechens auffaßte. Das würde bedeuten, daß die Buchstaben die Grundeinheit der Sprache bildeten. Soviel man aber auch über die richtige Grundeinheit der Sprache streiten mag, der Buchstabe ist es keineswegs. Das Alphabet ist eine recht späte Erfindung10• Durch mehr oder minder willkürliche Zuordnung der Buchstaben zu den Sprachlauten erlaubt diese Technik Gesprochenes, schriftlich zu fixieren. Daraus folgt, daß sich die Informationstheorie nicht mit der Sprache selbst beschäftigt, ihr Gegenstand ist eine sekundäre Schöpfung. Da Wissenschaftler sich vorzugsweise mit sprachlichen Äußerungen beschäftigen, die graphisch fixiert sind, wird es oft möglich, aber auch ungefährlich sein, über die Verschiedenheit hinwegzusehen. Eine Theorie hingegen, die den Anspruch erhebt, sprachliche Kommunikation erklärbar zu machen, kann auf keinen Fall von dieser naiven Gleichsetzung ausgehen. Aus diesem entscheidenden Grund verbietet es sich, die Informationstheorie in den Bereich der sprachlichen Verständigung zu übertragenu. Sollen gewisse Ansätze der Informationstheorie dennoch verwendet werden, wird es erforderlich, den Begriff der Information anders zu fassen. Stellvertretend seien hier die Ansichten Meyer-Epplers wiedergegeben. Im Vorwort12 seines Buches wird die Zielsetzung der Informationstheorie mit den Worten umrissen, daß es ihre Aufgabe sei, die Kommunikation von Mensch zu Mensch, die sich als Zeichenverkehr manifestiere, oder die Kommunikation des Menschen mit der Welt, die auf eine Beobachtung hinauslaufe, einer quantitativen und strukturel• Berger (Nachrichtentheorie) 58. Vgl. dazu Bodmer (Sprachen) 33 ff. u Vgl. auch Bar-Hillel und Camap (Information) 503; sie sagen, daß es unzulässig sei, die Informationstheorie in den semantischen Bereich der Sprache zu übertragen; ebenso Majsel (Kibemetiki) 470. 11 Meyer-Eppler (Informationstheorie) III; vgl. auch Mandelbrot (Language) 486. 10

4 Kommunikationstheorien der Gegenwart

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len Erfassung zugänglich zu machen. Deshalb sagt er an späterer Stelle13, er habe versucht, der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes "Information" Rechnung zu tragen. Demzufolge erklärt er, daß das vom Expedienten dem Perzipienten übermittelte Signal als Träger sprachlicher Funktionen Zeichen kraft seiner Zuordnung zu geistig erfaßten Gegenständen und Sachverhalten sei. Diese Zuordnung beruhe entweder auf Setzung oder einer besonderen Übereinkunft zwischen dem Expedienten und dem Perzipienten; der Zeichencharakter werde dem Signal verliehen, er hafte ihm nicht an wie das Symptom. Zwischen den Kornmunikationspartnern bestehe also eine zweüache Verbindung. Neben die reale, mit physikalischen Methoden nachweisbare Signalverbindung, trete eine Vereinbarung über die Zeichenverbindung. Zwar wird der Ausdruck "Bedeutung" nicht benutzt, es ist aber einsichtig, daß die Annahme einer besonderen Wortqualität auf das früher geschilderte Sprachmodell hinausläuft. Die Informationstheorie greüt also auf die Lehren der Sprachwissenschaft zurück14• Bemerkenswert ist nur, daß Meyer-Eppler klar herausgearbeitet hat, daß dieses Sprachmodell eine zweüache Verbindung zwischen den Kommunikationspartnern bedingt. Allerdings kann seine Erklärung der zweiten Verbindung das Funktionieren sprachlicher Kommunikation nicht begreiflich machen. Wird angenommen, daß diese Verbindung auf einer Setzung oder besonderen Übereinkunft beruhe, so wird das Problem lediglich verschoben. Es müßte nämlich angegeben werden, wie diese Setzung oder Übereinkunft zu bewerkstelligen ist. Offensichtlich steht nur die Erklärung zur Verfügung, daß auch diese Vereinbarung mit Hilfe der Sprache getroffen wird. Dann wäre es wiederum erforderlich, daß der Wert der bei dieser Vereinbarung verwendeten Signale zuvor vereinbart worden wäre, und so fort. Die Annahme einer zweiten Verbindung, die mit physikalischen Methoden nicht beobachtet werden kann, läuft also auf einen nicht erklärbaren extrasensorischen Vorgang hinaus. Ursprünglich befaßte sich die Kybernetik nicht mit der sprachlichen Verständigung. Ihr Beginn ist das Denkmodell der Rückkopplung. Das Prinzip der Rückkopplung erlaubt es, abgeschlossene Systeme im Zustand der Stabilität zu erhalten. Da zahlreiche Vorgänge im Menschen durch dieses Prinzip erklärt werden können, wie zum Beispiel die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur, beschäftigte sich die Kybernetik in zunehmendem Maße mit dem Menschen. Die heutige Kybernetik kann deshalb vor allem als naturwissenschaftlicher Beitrag zur Deu1a Meyer-Eppler (Informationstheorie) V, 2. So verfahren alle Informationstheoretiker, die die Theorie zur Klärung sprachlicher Verständigung heranziehen wollen; vgl. z. B. Frank (Semantik) 101; Langer (Informationstheorie) 13; Megla (Nachricht) 17 f. 14

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4 Kommunikationstheorien der Gegenwart

tung des Menschen verstanden werden15• Zu diesem Zweck übernahm die Kybernetik entsprechende Lehren aus anderen Disziplinen. Die Herkunft der Kybernetiker erklärt, daß naturwissenschaftliche und mathematische Theorien bevorzugt werden. Zur Deutung der sprachlichen Kommunikation übernahm man die Informationstheorie16, die wiederum mit dem Sprachmodell der Sprachwissenschaft verbunden wird. Nach der Ansicht Wieners17 ist Information weder Materie noch Energie, sondern ein Drittes. Wenn auch die Terminologie abweicht, so ist es doch einfach das Sprachmodell höherer Ordnung; denn dem lautlich oder graphisch produzierten Wort kommt die besondere Qualität "Information" zu. Seine Darlegungen zur Bedeutung der Kommunikation im Bereiche des Rechts zeigen deutlich die Übereinstimmung mit dem herkömmlichen SprachmodelL Damit der einzelne Bürger seine Rechte und Pflichten im voraus abschätzen könne, müsse er die Möglichkeit haben festzustellen, welche Ansicht ein Richter von seinem Fall haben werde. Dies setze aber voraus, daß die Gesetze klar und reproduzierbar wären. Erste Pflicht des Gesetzgebers sei es daher, klare und unzweideutige Feststellungen zu treffen, die nicht nur der Fachmann, sondern auch der einfache Mann unserer Tage auf eine und nur eine Weise auslegen könnte. Diese Äußerungen könnten von einem Juristen stammen, so genau entsprechen sie den Gedanken, die in der Rechtswissenschaft zur Verbesserung der Kommunikation entwickelt worden sind. Der Unterschied liegt nur darin, daß ein großer Teil der Juristen derartige Vorschläge mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Allerdings scheint sich auch Wiener bewußt zu sein, daß dieser ideale Zustand nicht ohne weiteres erreicht werden kann. An anderer Stelle18 sagt er nämlich, kein neuer Rechtsbegrüf habe einen bestimmten Sinn, solange er nicht durch Präzedenzfälle genauer bestimmt worden sei. An letzter Stelle sind einige Untersuchungen zu betrachten, die die menschliche Kommunikation betreffen19, da diese Ausdrucksweise glauben läßt, die Untersuchungen beträfen das Problem der sprachlichen Verständigung. Das ist aber nicht der Fall. Unter diesem vorzugsweise in den Vereinigten Staaten verwendeten Namen werden sehr verschiedene Forschungen zusammengegrüfen. Der weitaus größere Teil dieser Untersuchungen betrüft die Beeinflußbarkeit des Menschen in der Kommunikation, wobei der Ausdruck Kommunikation in einem sehr allgeu Vgl. z. B . Wiener (Menschmaschine); Steinbuch (Kybernetik); Kamarit (Kybernetik) 51. u Wiener (Menschmaschine) 16 ff. ; Steinbuch (Kybernetik) 34 ff. n Wiener (Menschmaschine) 96; Steinbuch (Kybernetik) 337. 18 Wiener (Menschmaschine) 104. 19 Schramm (Kommunikationsforschung).

4 Kommunikationstheorien der Gegenwart

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meinen Sinn genommen wird, so daß also auch nichtsprachliche Kornmunikationstechniken einbezogen werden. Vor allem soll die Wirkung von Rundfunk, Fernsehen und anderen Massenmedien analysiert werden. Dieser Ausgangspunkt macht es verständlich, daß man mit besonderem Interesse die Voraussetzungen der Meinungsbeeinflussung erforscht. Das ist zwar ein wichtiger Aspekt sprachlicher Kommunikation, betrifft aber nicht die hier gestellte Frage. Daß die Kommunikation mittels der Sprache funktioniert, wird in diesen Untersuchungen vorausgesetzt. Wird angenommen, daß die Meinung eines Menschen verändert werden kann, wenn ihm in bestimmter Weise durch sprachliche Ausdrücke Informationen vermittelt werden, so muß man ein Bezugssystem haben, das es erlaubt, die Information und den Meinungswandel festzustellen. Dieses Bezugssystem ist wiederum die objektive Bedeutung lautlich oder graphisch produzierter Äußerungen. Zur genaueren Behandlung dieser Fragen haben einige zu dieser Richtung gehörende Forscher versucht, Methoden zur Messung der Bedeutung zu entwickeln20. Gemessen werden soll die subjektive Bedeutung, d. h. die Bedeutung, die das Wort für den einzelnen Menschen hat. Zur Festlegung der Bedeutung nimmt man zunächst einen n-dimensionalen Raum an21, in dem die Bedeutung eines jeden Wortes durch einen Vektor angegeben wird. Vereinfacht man den Grundgedanken, so handelt es sich um eine kompliziertere Feldtheorie. Die einfache Feldtheorie nimmt das geometrische Denkmodell der Fläche und bestimmt die Bedeutung eines Wortes durch die Grenzen zu den Nachbarwörtern. Im Raum mit mehr als drei Dimensionen tritt an die Stelle der Begrenzung der Vektor, dessen Richtung und Länge die Bedeutung festlegen. Die nähere Beschreibung dieses Raumes interessiert nicht, da es in diesem Zusammenhang nur auf das Verfahren zur Festlegung der subjektiven Bedeutung ankommt. Zu diesem Zweck wird die weitere Annahme eingeführt, daß die zu messende Bedeutung durch eine Klasse ausgezeichneter Wortbedeutungen festgelegt werden kann. Die ausgezeichnete Klasse besteht aus gegensätzlichen Wortpaaren wie schnell-langsam, schön-häßlich, weich-hart, usw. Eine Versuchsperson hat alsdann zur Bestimmung der subjektiven Bedeutung anzugeben, welche Wörter der vorgelegten Paare sie mit dem Begriff verbindet. Z. B. könnte die subjektive Bedeutung des Begriffes "Kuh" durch die Entscheidung für weich, schön, langsam festgelegt werden. Gegen diese Methode läßt sich vieles einwenden; hier sei nur auf folgendes hingewiesen: Einerseits wird angenommen, daß jeder Mensch seine eigene subjektive Bedeutung von einem Wort habe, andererseits wird aber vorausgesetzt, daß es Wörter gibt, die eine objektive und Osgood (Bedeutung) 39 ff.; Vastenhouw (Meaning). u Osgood (Bedeutung) 40.

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4 Kommunikationstheorien der Gegenwart

eindeutige Bedeutung haben. Diese Annahme muß gemacht werden, wenn das Verfahren sinnvoll sein soll. Hätten nämlich die zur Messung verwendeten Wortpaare auch nur eine subjektive und keine feststellbare objektive Bedeutung, so wäre der Meßvorgang nicht möglich. Diese Theorie zeigt nur einmal mehr, daß das Denkmodell der Wortbedeutung bei der Behandlung sprachlicher Kommunikation zu unauflösbaren Widersprüchen führt. Als Ergebnis dieser Betrachtungen ergibt sich also, daß keine dieser modernen Theorien das Funktionieren der sprachlichen Kommunikation erklären kann. Einige dieser Denkansätze betreffen überhaupt nicht das Problem, nur das oberflächliche Haften an der Terminologie vermag die gegenteilige Anschauung herbeizuführen. Einige andere Denkansätze sind nicht einmal neuartig, da sie sich in Umbenennungen erschöpfen. Ein anderes Wort schafft aber noch kein neues Denkmodell.

5 Kommunikation in einfachen Systemen 5.1 Methodische Vorbemerkung

Die analytische Behandlung der sprachlichen Kommunikation kann sich auf das bisher erlangte Ergebnis stützen. Daß mit Hilfe der herkömmlichen Sprachmodelle das Funktionieren sprachlicher Verständigung nicht erklärt werden kann, ist zwar nur eine Feststellung negativen Charakters; dennoch ist sie recht nützlich, weil die Erfahrung zeigt, daß auch die nach neuen Wegen Suchenden von diesem Sprachmodell in Bann geschlagen werden. Die bisherige Entwicklung der Sprachtheorie kann als der ständig neu unternommene Versuch angesehen werden, dieses Sprachmodell zu überwinden. Der Mensch kann sich aber nur mühsam von diesem Sprachmodell lösen. Deshalb hat keiner der zahlreichen Versuche zu einer völligen Preisgabe des Modells geführt. Der Verzicht scheint deshalb ein wesentliches Hindernis aus dem Weg zu räumen. Auf eine negative Feststellung allein läßt sich indes die Untersuchung nicht stützen. Wie bereits angedeutet wurde, scheint ein fruchtbarer Ansatz möglich zu sein, wenn man von der zweüellos richtigen Anschauung ausgeht, daß die Sprache ein wichtiges Werkzeug der menschlichen Kommunikation istl. Unzweckmäßig scheint es zu sein, die Analyse am Beispiel unserer europäischen Sprache zu versuchen. So paradox es auch klingen mag, gerade die Vervollkommnung der sprachlichen Kommunikation in den europäischen Sprachen erschwert die Untersuchung, da die Vielzahl der sprachlichen Mittel die Suche nach den entscheidenden Faktoren fast aussichtslos macht. Deshalb soll hier der Versuch unternommen werden, einfache Kommunikationssituationen zu rekonstruieren, um auf diese Weise die Mindestvoraussetzungen für das Funktionieren der sprachlichen Kommunikation feststellen zu können. Dieses Ziel kann nur schrittweise angestrebt werden, da einfache Kommunikationssysteme, die mit einem Minimum von sprachlichen Mitteln auskommen, nirgends anzutreffen sind, sofern man von der Ontogenese absieht. Die Entwicklung der Sprachfähigkeit des heranwachsenden Kindes in den europäischen Sprachgemeinschaften soll vorerst gänzlich unberücksichtigt bleiben, obwohl zahlreiche Kenntnisse zusammengetragen worden sind. 1 Sapir (Language) 15, "The primary function of language is generally said tobe communication". ·

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5 Kommunikation in einfachen Systemen

Diese werden jedoch vom Standpunkt des gelehrten Erwachsenen gedeutet, so daß schließlich immer das herkömmliche Sprachmodell zur Erklärung herangezogen wird. Eine zweckmäßige Annäherung scheint indes möglich zu sein, wenn man die Sprachen der sogenannten primitiven Völker2 in die Betrachtung einbezieht. Ob deren Sprachen von einfacherer Beschaffenheit sind, mag zunächst offen bleiben. Auf jeden Fall sind ihre Sprachen anders geartet, so daß die oft geübte Strategie des Vergleichens nützlich zu sein vermag, da durch sie insbesondere auch der eigene Standort deutlicher werden kann. Einige Ausdrücke der primitiven Sprachen haben das besondere Interesse der Anthropologen und Linguisten gefunden. Tatsächlich scheinen diese Ausdrücke geeignet zu sein, die Erforschung der sprachlichen Kommunikation in neue Bahnen zu lenken. Alf Ross3 benutzt in einem Tu-Tu überschriebenen Aufsatz einen derartigen Ausdruck, um die Verwendungsweisen der Wörter unserer heutigen Rechtssprache zu erklären. Er berichtet, daß er seine Kenntnisse von einem Forscher namens Ydobon habe, der die seltsamen Sprechweisen der Bewohner der Noisulli-Inseln im Südpazifik studiert habe. Allerdings wird man den Forscher, die Inseln und ihre Bewohner vergeblich suchen. Liest man die Namen rückwärts, zeigt sich, daß es ein Scherz ist4 • Das ist aber ganz unwichtig, denn es gibt tatsächlich eine ganze Zahl entsprechender Ausdrücke. Und die von Ross gegebene Erklärung stimmt völlig mit der üblichen anthropologischen Deutung überein. Das Wort "Tabu"5 ist so bekannt geworden, daß es sogar in den Sprachschatz der meisten europäischen Sprachen eingedrungen ist. Weniger bekannt dürften die Untersuchungen der Wörter "bahadzid" 6 , "ifer", "kwaghbo"7 , "kipua"s, "qual-li"9 und anderer sein. Aus vielen Gründen verdienen diese Ausdrücke Beachtung. Die Rechtswissenschaft gehen sie unmittelbar an. Wenn Ross diese Wörter mit heutigen Begriffen der Rechtswissenschaft vergleicht, so wird das durch die Vermutung veranlaßt sein, daß es einen Zusammenhang gibt. Dieser besteht tatsächlich, er betrifft das Problem der Rechtssprache oder besser das Problem der sprachlichen Kommunikation. Man kann nämlich diese Wörter als eine Vorform unserer heutigen hochentwickelten Rechtssprachen deuten. Es wird sich sogar herausstellen, daß auch 2 Gegen diese übliche Ausdrucksweise wendet sich Winthuis (Primitive Völker) 56. s Ross (TU-Tu) 812 ff. 4 Vgl. auch Grönfors (Recht) 42. 5 Zur Herkunft vgl. Piddington (Social Anthropology) 378. 1 Edel (Anthropology) 115. 7 Bohannan (Justice) 173 f. s Hagbin (Law) 165. ' Havers (bonus) 69.

5.2 Die Theorie der präskriptiven Ausdrücke

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die modernen Rechtssprachen entsprechende Ausdrücke enthalten, die allerdings in abgeschliffener und abgewandelter Form auftreten. Unter Verwendung der herkömmlichen Terminologie kann man sagen, daß die alten Worthülsen erhalten geblieben, aber mit neuen Inhalten versehen worden sind. Die entsprechenden Ausdrücke unserer Rechtssprache sollen vorerst nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Die durch diese Ausdrücke geschaffene Kommunikationstechnik läßt sich leichter am Beispiel der uns nichtssagenden Ausdrücke fremder Kulturen behandeln, da dadurch eine zweckmäßige Verfremdung des Problems erreicht werden kann. Diese Wörter sind nicht nur Vorformen der heutigen Rechtssprachen, sie sind zugleich auch Urwörter der sprachlichen Kommunikation. Bereits das Studium primitiver Kulturen zeigt, daß die Kommunikation mittels dieser Wörter funktioniert, obwohl nur wenige sprachliche Mittel eingesetzt werden. Nimmt man unsere Kenntnisse der Phylogenese hinzu, läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, daß zumindest einige dieser Ausdrücke aus den Anfängen der Sprache auf uns überkommen sind. Um Sprünge zu vermeiden soll aber mit der Deutung begonnen werden, die diese Ausdrücke vom Standpunkt der herrschenden Sprachtheorie erfahren haben. 5.2 Die Theorie der präskriptiven Ausdrücke Diese Theorie nimmt eine wichtige Revision des Sprachmodells höherer Ordnung vor. Entstanden ist die Lehre anläßlich des vergeblichen Versuchs, gewisse Ausdrücke mit diesem Modell zu erfassen. Am verständlichsten wird diese Ansicht, wenn man von den erwähnten Ausdrücken der primitiven Sprachen ausgeht. Will man Wörter einer fremden Sprache verstehen, so muß man versuchen, sie durch die eigene Sprache zu begreifen. Nach der herkömmlichen Ansicht kann das durch eine Übersetzung erreicht werden. Die Theorie der Übersetzung beruht auf dem Sprachmodell höherer Ordnung1 • Der Übersetzer hat also zum Zweck der Übersetzung die Bedeutung des fremden Wortes festzustellen und dann ein Wort der Muttersprache mit der gleichen Bedeutung zu suchen. Schärferes Nachdenken führt noch zu einer weiteren Annahme, daß nämlich in jeder Sprache jegliche objektive Bedeutung ausgedrückt werden kann2 • Das bedeutet, daß in jeder Sprache alles gemeint werden kann. Diese Darstellung mag den Einwand hervorrufen, daß die Deutung des Übersetzungsvorganges unrichtig sei oder doch zumindest die Vgl. z. B. Koschmieder (übersetzung) 121. Koschmieder (übersetzung) 124; Koschmieder (Weltbild) 16. Thümmel (Zeicheninventar) 31. 1 1

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5 Kommunikation in einfachen Systemen

Angelegenheit ungebührlich vereinfache. Tatsächlich handelt es sich um eine beabsichtigte Vereinfachung. Sie ist aber zulässig, weil Theorie und auch die Praxis des Übersetzens trotz aller Verfeinerungen und Korrekturen diese Grundauffassung beibehalten. Sehr deutlich treten diese Prinzipien bei der sogenannten automatischen Übersetzung in Erscheinung. Dieser Ausdruck, obwohl allgemein üblich, ist irreführend, weil es sich eben nicht um eine maschinelle oder automatische Übersetzung handelt. Auch die automatische Übersetzung ist ein menschliches Werk, die sich von der herkömmlichen nur durch die eingeschlagene Technik unterscheidet. Während bei dem herkömmlichen Verfahren der Übersetzer einen vorgegebenen Text in die Zielsprache überträgt, will der menschliche Übersetzer bei der automatischen Übersetzung durch einen Arbeitsgang die Übertragung einer Vielzahl künftig anfallender Texte in die Zielsprache ermöglichen. Eine Übersetzung im herkömmlichen Sinn ist das nicht. Vielmehr läuft dieses Verfahren auf die Annahme hinaus, daß es möglich ist, die Zielsprache der Ausgangssprache so zuzuordnen, daß die Übertragung beliebiger Texte der Ausgangssprache auf Grund dieser einmaligen Zuordnung erfolgen kann3• Automatisch läuft bei diesem Verfahren nur die Suche nach den zugeordneten Ausdrücken ab. Wesentlich bei diesem Verfahren ist die Art der Zuordnungstechnik. Diese fußt, obwohl einige Einschränkungen gemacht werden, auf der soeben erwähnten Theorie des Übersetzens, die annimmt, daß durch Verwendung des Denkmodells der Wortbedeutung die Gleichsetzung zweier Wörter verschiedener Sprachen möglich wird'. Es sei eingeflochten, daß bislang mit diesen Verfahren die Übersetzung beliebiger Texte nicht möglich ist. Selbst bei äußerster Beschränkung des Vokabulars und Auswahl geeigneter Texte läßt die Qualität der Übersetzung oft sehr zu wünschen übrig. Der Leser wird manchmal nur erraten können, worum es in diesem Text ungefähr geht5 • Wendet man nun diese Theorie des Übersetzens auf jene Wörter der primitiven Sprachen an, so ist von vornherein zu erwarten, daß sie verschieden übersetzt werden, weil sie offensichtlich von eigentümlicher Beschaffenheit sind. Bohannan8 erläutert das an einigen Wörtern der Tivsprache, von der ein Missionar und ein Verwaltungsbeamter zweisprachige Wörterbücher angefertigt haben. Bohannan findet es interessant, daß der Missionar die Ausdrücke "üer", "kwaghbo" und "kwagha Richens and Booth (Translation) 25 ff.; Booth (Obersetzung) 8 ff.; vgl. die kritischen Bemerkungen bei Taube (Mytos) 34. 4 Vgl. Booth (Obersetzung) 9; Bar-Hillel (Idioms) 183 ff.; Yngve (Meaning) 208 ff.; Yngve (Translation) 7 ff. 5 Vgl. z. B. Schnelle (Übersetzung) 41 und 4. 48; Glaserfeld (Übersetzung) 36; sowie das von Zemanek (Übersetzung) 98 f. angeführte übersetzungsbeispiel. 1 Bohannan (Justice) 116 ff.

5.2 Die Theorie der präskriptiven Ausdrücke

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dang" jeweils durch den Begriff "thin" oder "wickedness" wiedergegeben habe, wohingegen der Verwaltungsbeamte die Begriffe "crime", "fault" und "misdemeanour" wählte. Er meint, daß solch eine Übersetzung mehr über Verwaltungsbeamte und Missionare sage als über das, was die Tiv mit diesem Ausdruck meinten. Tadelnswert sei eigentlich nicht die Verschiedenheit der Übersetzungen; insofern gesteht er beiden Verfassern sogar zu, daß sie recht hätten. Der entscheidende 'Mangel dieser Übersetzungen liege vielmehr in dem Umstand, daß sie dem Leser eine Differenzierung vorspiegelten, die in der Sprache der Tiv gar nicht gemacht würde. Man trage damit eine Unterscheidung hinein, die nur in den europäischen Sprachen anzutreffen wäre. Diese Feststellung führt zu der folgenden Alternative. Entweder räumt man efu, daß eine Übersetzung nach den Regeln dieser Theorie überhaupt nicht möglich ist7, oder aber man versucht, durch eine genauere Beschäftigung mit diesen Wörtern doch noch eine sichere Grundlage für die Übersetzung zu finden. Schlägt man den zweiten Weg ein, so studiert man üblicherweise die Verwendung dieser Ausdrücke. Dabei zeigt sich nun, daß es dem Europäer schwerfällt, diese Ausdrücke zu verstehen. Er begreift zwar sehr wohl, daß die Eingeborenen mit Hilfe dieser Ausdrücke erfolgreich miteinander zu verkehren vermögen, er sieht aber nicht den Sinn derartiger Redeweisen ein, sie erscheinen ihm inhaltslos. Ross8 hat den Eindruck, den der Europäer notwendig empfängt, zur Grundlage seiner Studie über die Verwendung sprachlicher Ausdrücke gemacht. Er sagt, daß die Erklärung, ein Mensch werde tü-tü bei der Übertretung eines Gebotes, nicht leicht zu verstehen sei. Der Sache am nächsten käme vielleicht die Erklärung, daß tü-tü eine Art gefährlicher Erkrankung darstelle, die die ganze Gemeinschaft mit Unglück bedrohe, so daß es aus diesem Grund erforderlich werde, daß sich die betreffende Person einer Reinigungszeremonie unterziehe'. Offensichtlich sei aber das Reden über tü-tü reiner Unsinn. Wenn nämlich von einem Menschen gesagt werde, daß er tü-tü geworden sei, so schiene sich das auf die Welt der Tatsachen zu beziehen, es handele sich also um den semantischen Bereich ·der Sprache. In diesem Fall aber müsse die Tatsache existieren, sonst wäre der Ausdruck sinnlos. Versuche man nun die Richtigkeit des Ausdrucks tü-tü zu verifizieren, indem man sich den Tatsachen zuwende, um ein Gegenstück für "tü-tü" in der objektiven Welt zu entdecken, müsse man feststellen, daß in der Realität nichts entdeckt werden könne, was dem betroffenen Menschen als Qualität zukomme und mit dem Wort in Relation stehe. Daraus folge, daß allein der Aberglaube des Stammes der Grund der Ausdrucksweise sei. 7

Vgl. dazu Post (Ethnologische Jurisprudenz) 26.

e Ross (Tü-Tii) 813 ff.

Vgl. dazu Firth (Maori) 235; Piddington (Social Anthropology 327; Freud (Tabu) 25 f. 1

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5 Kommunikation in einfachen Systemen

Diese von den herkömmlichen Sprachtheorien ausgehende Betrachtung macht den Denkvorgang sehr deutlich. Nach dem Sprachmodell höherer Ordnung hat das lautlich oder graphisch produzierte Wort eine Bedeutung, die sich aber auf Dinge der objektiven Welt bezieht. Fehlt das Gegenstück, so ist das eine sehr überraschende Feststellung. Der Laie huldigt der Anschauung, worauf Sprachwissenschaftler immer wieder mit besonderem Nachdruck hinweisen, daß (fast) jedes Wort der Name einer Sache dieser Welt sei. Aber auch dem Sprachmodell höherer Ordnung kommt diese ausschließliche Geltung zu. Die Theorie der Semantik geht stillschweigend von der Voraussetzung aus, daß (fast) alle Wörter bedeutungsvoll sind. Selten nennen Semantiker Ausnahmen. Daß es Ausnahmen gibt, die nicht dem Modell entsprechen, überrascht aber nicht nur, sondern führt bei der Beibehaltung der Terminologie zu einem eigenartigen Ergebnis. Aus dem Sprachmodell höherer Ordnung ergibt sich die Erklärung, daß bei der sprachlichen Kommunikation der Sprecher dem Empfänger bedeutungsvolle Mitteilungen macht. Die sprachliche Kommunikation funktioniert, weil Wörter eben eine Bedeutung haben und nicht sinnlose Laute sind. Der Sprecher gibt also dem Empfänger mit dem Wort zugleich eine Bedeutung. Muß man wegen Fehlens des Gegenstückes in der objektiven Welt dem Wort die Bedeutung absprechen, so hieße das bei Beibehaltung dieser Terminologie, daß die Partner bedeutungslose Wörter wechselten. Da das nach dieser Theorie nicht der Fall sein sollte, verlangen konsequente Denker die Beseitigung dieser Ausdrücke. Die Ausmerzung von Unnamen bildet seit jeher einen wesentlichen Teil der Wissenschaftstheorie. Im Hinblick auf einige Wörter der Rechtswissenschaft sagt Cohen10, daß "any word that cannot pay up in the currency of fact, upon demand, is to be declared bankrupt, and we are to have no further dealings with it". Aus diesen Deutungszweilein führt aber noch ein anderer Weg hinaus. Da die Wörter mit Erfolg in der sprachlichen Kommunikation verwendet werden, kann und muß man bei Beibehaltung der herkömmlichen Erklärung sagen, daß die Wörter eine Aufgabe in der Kommunikation haben müssen. Einige Verwendungsweisen dieser Ausdrücke legen eine bestimmte Deutung nahe. Wenn z. B. gesagt wird, daß es tu-tu sei, für den Häuptling bestimmte Nahrung zu essen, wird durch diese Äußerung eine Vorschrift gemacht. In der Wissenschaft hat sich der Ausdruck "präskriptiv" zur Kennzeichnung dieser Funktion durchgesetzt11 • Unter diesem Ausdruck werden alle Wörter zusammengegriffen, die die Aufgabe haben, das Verhalten eines anderen Menschen zu beeinflussen. Als wichtigste Beispiele werden neben den Wörtern der primitiven Sprachen unsere Ausdrücke der moralischen Sprache angeführt. 10 Cohen (Legal Conscience) 48; er weist auch eine ganze Reihe derartiger Wörter nach. 11 Vgl. die Nachweise bei Edel (Anthropology) 126.

5.2 Die Theorie der präskriptiven Ausdrücke

61

Es muß betont werden, daß diese Lehre ein völlig neues Denkmodell schafft, obwohl schon immer auf den Zweck der Sprache hingewiesen worden ist. Wohl kein Sprachforscher von .,Rang,. hat...es- je. .versäumt auf die Bedeutung dieses Punktes bei der Behandlung sprachlicher Probleme aufmerksam zu machen. In der Gegenwart wird die Bedeutung diesesPunktesnoch häufiger hervorgehoben.Probert12 tadelt die einflußreiche Untersuchung von Ogden und Richards13, weil sie eben diese Funktion der Sprache nicht berücksichtige. Weisgerber14 hat auch schon in seinen frühen Arbeiten darauf hingewiesen, daß die Sprache nicht nur als das Ergebnis der Auseinandersetzung einer Sprachgemeinschaft mit ihrer Lebenswelt verstanden werden dürfe, daß also die Sprachgemeinschaft nicht nur als Erkenntnisgemeinschaft, sondern im höheren Maße als Lebens- und Handlungsgemeinschaft begriffen werden müsse15• In einigen seiner späteren Untersuchungen rückt er diese Funktion der Sprache in den Vordergrund; wie er darlegt, kann die Entstehungsgeschichte des Wortes "deutsch" nur von diesem Standpunkt verstanden werden18• Sieht man von unbekannt gebliebenen Vorläufern ab17, so kann man sagen, daß diese Theorie einen neuartigen Beitrag zur Sprachwissenschaft der Gegenwart bildet. Auch die herkömmliche Auffassung berücksichtigt zwar den Sprachzweck, denn in der Terminologie der Schulgrammatik unterscheidet man Aussage- und Befehlssätze. Das Sprachmodell höherer Ordnung wird jedoch von dieser Unterscheidung nicht betroffen, da die Elemente beider Sätze die bedeutungstragenden Wörter sind. Die Funktion ist deshalb hier eine Qualität des Satzes. Die Theorie der präskriptiven Ausdrücke besagt aber gerade, daß es sich um eine Eigenschaft des Wortes handele. Damit wird das Sprachmodell höherer Ordnung für eine Zahl von Wörtern geleugnet. Weil von diesen Wörtern gesagt wird, daß sie keine Beziehung zu den Dingen der objektiven Welt haben, darf man von einem wichtigen Abschnitt in der Entwicklung der wissenschaftlichen Theorie sprechen. Diese Erkenntnis ist die Frucht der zahlreichen semantischen Untersuchungen der jüngsten Vergangenheit. Daß sie in der Luft Jag, zeig.t. .die Tatsache, daß der Schritt von Forschern verschiedener Disziplinen unabhängig voneinander zur ungefähr gleichen Zeit gemacht worden ist18 • Trotz dieser Neuartigkeit überwindet diese Theorie das herkömmliche Sprachmodell nicht in allen Beziehungen. Wie die Bedeutung ist Probert (Language Behaviour) 49. Ogden und Richards (Meaning). u Weisgerber (Sprache) 14. 1s Weisgerber (Sprache) 14. 11 Weisgerber (Kraft der Sprache) 34. 17 Vgl. z. B. Wegener (Grundfragen) 100 f. 18 Olivecrona (Legal Language) 169 ff.; Hexner (Terminology) 14; Granet (Chinesisches Denken) 22; Nai-Tung Ting (Laotzu) 12 ff. 12

13

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5 Kommunikation in ~infachen Systemen

auch die Präskription eine Eigenschaft des Wortes. Diese Auffassung begründet den entscheidenden Mangel der Theorie. Erkennbar wird er, wenn man versucht, präskriptive Ausdrücke zu bestimmen. Bei den angeführten Ausdrücken der primitiven Sprachen werden die meisten Angehörigen der europäischen Sprachgemeinschaften gewiß mit Überzeugung der Auffassung beipflichten, daß diesen Wörtern die Bedeutung abgehe, weil sie kein Gegenstück in der objektiven Welt haben; deshalb werden sie auch die weitere Behauptung akzeptieren, daß es sich um präskriptive Ausdrücke handele". Ob diese Deutung bei den Grundwörtern unserer moralischen Sprache hingenommen würde, ist bereits sehr zweifelhaft. Dadurch beraubte man sich der Möglichkeit, diese Ausdrücke deskriptiv zu verwenden. Aussagesätze in denen diese Wörter als Prädikat eingesetzt werden, wären von diesem Standpunkt nicht zu erklären und deshalb wohl besser zu vermeiden. Für einen Lehrer der Moral bedeutete dies, daß er auf die Behandlung der Werturteile verzichten müßte. Selbst die Anhänger dieser Theorie werden wahrscheinlich, wenn sie vor diese Alternative gestellt werden, dazu neigen, den betreffenden Wörtern einen Rest von Bedeutung zu lassen20• Ganz gewiß werden aber die Wissenschaftler die Gefolgschaft versagen, wenn wissenschaftliche Ausdrücke ihrer eigenen Disziplin in dieser Weise gedeutet werden. Ross benutzt diese Theorie, um zu erklären, daß das Wort "Eigentum" bedeutungslos sei und deshalb in anderer Weise gedeutet werden müsse. Allerdings spricht er nicht von einer präskriptiven Funktion, er faßt vielmehr das. Wort als logischen oder systematischen21 Ausdruck auf. Seine Aufgabe bestehe darin, zwei verschiedene Arten von Rechtssätzen in einfacher und eleganter Weise zu verbinden. Alle Rechtssätze, die die Erwerbsgründe behandeln, seien durch dieses Wort mit allen Sätzen verbunden, die die Ansprüche des Eigentümers betreffen. Nach dieser Deutung wird durch das Wort das Prinzip der Sparsamkeit bei der Aufstellung der Rechtssätze verwirklicht. Bestände zum Beispiel die erste Klasse aus n und die zweite Klasse aus p Sätzen, käme man demnach mit n+p Sätzen aus, verzichtete man hingegen auf das Wort, so wären np Regeln erforderlich. Die meisten Juristen werden bereits die Behauptung zurückweisen, daß das Wort "Eigentum" keine Bedeutung habe oder daß das Eigentum nicht existiere. So oft nämlich ein Theoretiker die Existenz des Eigentums leugnete, fand sich ein Gegner, der diese Ansicht entschieden bekämpfte22. Das verleiht nur der allgemeinen Auffassung Ausdruck. Auch 11

Vgl. Louch (Language) 125, Mc Kenzie (Guilt) 94.

to Vgl. dazu Stevenson (Ethics) 20 ff., 85. t1 Ross (Tü-Tü) 819 ff.; Ross (Definition) 144. zt Fuchs (Rechtswissenschaft) 23 f.; gegen Lundstedt (Unwissenschaftlich-

keit).

5.3 Die imperative Kommunikationssituation

63

Wissenschaftler gelangen nicht immer über das Sprachmodell niederer Ordnung hinaus. Nach diesem weist jedes Wort auf ein Ding der objektiven Welt, so daß die Leugnung der Existenz fremdartig und abwegig erscheinen muß. Diese Meinungsverschiedenheiten müssen zwangsläufig auftreten. Sie ergeben sich aus der Anlehnung an das herkömmliche SprachmodelL Zwar spricht man einer Klasse von Ausdrücken die Eigenschaft "Bedeutung" ab, versieht sie aber sofort mit einer anderen Eigenschaft23• Der Unterschied liegt nur darin, daß die Eigenschaft "Bedeutung" auf die Dinge der Welt hinweist, wohingegen die Eigenschaft "präskriptiv" als wirkende Kraft verstanden werden muß. In beiden Fällen bildet der Wortlaut demnach eine Substanz, die mit gewissen Eigenschaften versehen ist. Da die Eigenschaft von dem lautlich oder graphisch produzierten Wort verschieden ist, treten die früher behandelten Schwierigkeiten auf. Auf dieser Grundlage ist es letztlich nicht einmal möglich, mit Sicherheit einen Ausdruck als präskriptiv zu bestimmen, weil damit ein bisher noch nicht festgestellter und nicht näher erklärbarer extrasensorischer Vorgang angenommen wird. Die von der Wissenschaft namhaft gemachten präskriptiven Ausdrücke scheinen jedoch den Weg zu weisen, der diese Schwierigkeiten überwindet. Zu diesem Zweck muß die herkömmliche Erklärung der sprachlichen Verständigung durch ein etwas komplizierteres Modell ersetzt werden. Unter Anlehnung an bereits im Gebrauch befindliche Terminologie soll es die "imperative Kommunikationssituation" genannt werden. 5.3 Die imperative Kommunikationssituation

Auch zu der nur vorläufigen Erklärung des Modells müßten viele Dinge gleichzeitig gesagt werden. Da das nicht möglich ist, empfiehlt es sich, bei der schrittweisen Entwicklung an den zuletzt behandelten Punkt anzuknüpfen. Will man die so.e ben erwähnte Schwierigkeit vermeiden, die sich daraus ergibt, daß dem Wortlaut eine besondere Eigenschaft zukommt, muß diese Annahme aufgegeben werden. Damit die Bedeutung dieses Schrittes klar wird, sei noch einmal daran erinnert, daß nach der herkömmlichen Auffassung die sprachliche Verständigung funktioniert, weil der Sprecher dem Empfänger durch den Sprachlaut eine Bedeutung oder Präskription vermittelt. Nach dieser Auffassung wird der Erfolg der Verständigung (allein) durch die Sprache herbeigeführt. Die Sprachlaute bilden also eine Teilklasse der von dem Menschen produzierbaren Laute. 11

Vgl. Rommetreit (Norms) 59 ff.

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5 Kommunikation in einfachen Systemen

Die ihr angehörenden Ausdrücke sind durch die Tatsache ausgezeichnet, daß sie Träger einer Bedeutung oder Präskription sind. · Will man diese Annahme aufgeben, muß der Erfolg der Verständigung auf andere Weise erklärt werden. Offensichtlich bleibt nur die Möglichkeit, den Erfolg mit menschlichen Fähigkeiten zu erklären. Mit einem Bild könnte man zunächst einmal sagen, daß der mit Verstand begabte Sprecher den Laut als Werkzeug benutzt, um dem ebenso begabten Empfänger etwas zu sagen1• Auch von einem Werkzeug sagt man ja nicht, daß es sinnvoll sei. Richtigerweise heißt es, daß der Mensch es sinnvoll gefertigt habe und es sinnvoll gebrauche. Dieses Bild erklärt natürlich nichts. Eine analytische Behandlung muß angeben können, welche Fähigkeiten den sinnvollen Gebrauch dieses Werkzeuges ermöglichen und zu welchen Zwecken der Mensch von ihm Gebrauch machen kann. Wie sich sogleich zeigen wird, lassen sich die beiden Fragen eigentlich nicht trennen. Aus methodischen Gründen, die sich aus unserer heutigen Auffassung ergeben, soll aber von der Verschiedenheit der beiden Punkte ausgegangen werden. Daß die menschliche Fähigkeit, einen Sprachlaut sinnvoll zu gebrauchen, durch einen Lernprozeß erklärt werden kann und auch erklärt werden muß, wird auch von Vertretern der herkömmlichen Ansicht oft betont. Zunächst muß durch diesen Lernprozeß die Fähigkeit ausgebildet werden, den Sprachlaut zu produzieren und zu erkennen. Damit ist es aber nicht getan, weil dieses Vermögen nicht ausreicht, den Sprachlaut in der Kommunikation sinnvoll oder zweckhaft zu verwenden. Offensichtlich wird diese Fähigkeit erst durch weitere Lernprozesse ausgebildet. Auch das ist eine seit langem bekannte Tatsache2 • Auch noch in der Gegenwart wird das Verständnis dieser Lernprozesse einerseits durch die relativ geringen Kenntnisse der Gehirnvorgänge und andererseits durch die Komplexität der entwickelten Sprachen erschwert. Da die Sprache einer Gemeinschaft nicht als Komplex durch einen einzigen Lernvorgang in den Besitz eines Sprachgenossen gelangt, müßte der Lernprozeß für jede kommunikationstechnisch bedeutsame Einheit der Sprache beschrieben werden. Zur Zeit ist es aber nicht einmal sinnvoll, eine derartige Frage zu stellen. Vorerst kann nur der Versuch gewagt werden, an einzelnen Beispielen wichtige Grundsätze des Lernprozesses festzustellen. 1 Vgl. dazu Revesz (Vorgeschichte der Sprache) 122; Bühler (Sprachtheorie) 28; Pätsch (Sprachtheorie) 53 ff.; Plato (Kratylos) 388 a; Piddington (Social Anthropology) 327; hinsichtlich der präskriptiven Ausdrücke, die dadurch eine bindende Kraft erlangten. 2 Rossi (Stimme und Sprache) 91; Johnson (Language) 31.

5.3 Die imperative Kommunikationssituation

65

Auch dieser Versuch sieht sich erheblichen Schwierigkeiten gegenüber, die bereits bei der Auswahl geeigneter Beispiele beginnen. Anläßlich der Darstellung des Sprachmodells höherer Ordnung war darauf hingewiesen worden, daß keine Einigkeit über die richtige Grundeinheit der Sprache besteht, wenn die deskriptive oder kommunikationstechnische Funktion der Sprache betrachtet wird3 • Ob die Erklärung des Lernprozesses am Wort oder am Satz anzusetzen hat, ist deshalb mehr als zweifelhaft. Slama-Cazacu' wählt zur Erläuterung eines derartigen Lernvorganges das Wort "Nase". Durch den Lernvorgang entstehe ein bedingter Reflex durch den das Wort mit dem Objekt verbunden werde; allerdings gelte das nur für ganz kleine Kinder. Diese Einschränkung mag ihren Grund darin finden, daß der Begrüf des bedingten Reflexes durch seine Herkunft so festgelegt ist, daß man sich scheut, ihn mit mehr geistigen Vorgängen in Beziehung zu bringen5• Versteht man aber unter einem bedingten Reflex einfach die Verbindung zweier spezifischer Gehirnfähigkeiten8, kann man diese Bedenken wohl vernachlässigen. Überdies wäre es möglich einen Ausdruck zu wählen, der weniger festgelegt ist. Auch Psychologen pflegen in diesem Zusammenhang auf das Vokabular der Fernmeldetechnik zurückzugreUen und sprechen unbefangen von einer Schaltung7 • Ob diese Vergleiche oder Bilder richtig oder angemessen sind, braucht aber nicht verfolgt zu werden, da hier nicht beabsichtigt ist, eine Beschreibung der Gehirnvorgänge zu geben. Hinsichtlich des hier verfolgten Zweckes ist nur wichtig, daß die alte, unbrauchbare Deutung durch ein besseres Denkmodell ersetzt werden kann. Diese Deutung erlaubt es nämlich, die Ansicht aufzugeben, daß durch den Lernprozeß der Sprachlaut mit einer unerkennbaren Bedeutung verbunden wird. Daß das Modell der Verbindung zweier spezifischer Gehirnfähigkeiten im Prinzip richtig ist, wird durch die Feststellungen der Gehirnforschung bestätigt. Penfield und Roberts8 berichten von einem Experiment bei dem das Gehirn eines Patienten an einer bestimmten Stelle mit einer Elektrode berührt wurde. Diese Berührung hatte die Wirkung, daß der Patient auf die Frage nach dem Namen für Fuß nicht in der Lage war, das Wort "Fuß" zu sprechen. Er sagte indes, daß er schon wisse, was es sei; es sei das, was man in die Schuhe stecke. Nachdem die Elektrode entfernt war, produzierte er sofort das Wort "Fuß". 3 4 5 6 7 8

Gardiner (Speech) 23; Wittgenstein (Tractatus) 2.01-2.13. Slama-Cazacu (Langage) 157. Vgl. z. B. Hilgard (Learning) 462 ff.; Jasper (Brain) 37. Walter (Gehirn) 129; Blum (Mind) 32. Kainz (Tiersprache) 109. Penfield and Roberts (Speech and Brain-Mechanism) 116 f.

5 Horn

5 Kommunikation in einfachen Systemen

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Zwar könnte man daran denken, daß durch die Berührung mit der Elektrode allein die zur Produktion des Wortes erforderlichen Vorgänge blockiert waren; wahrscheinlicher ist aber die Deutung, daß die Berührung die Verbindungzweier Gehirnfähigkeiten störte. Das von Slama-Cazacu gewählte Beispiel verdeutlicht zwar ein wichtiges Prinzip des Lernprozesses, es ist aber nicht geeignet, den Vorgang sinnvoller oder zweckhafter sprachlicher Kommunikation zu erklären. In einzelnen Fällen mag zwar der Gebrauch eines Sprachlautes als Hinweis oder Erinnerung an ein bestimmtes Objekt der Welt als ausreichende sprachliche Kommunikation stattfinden; indes erschöpft sich sprachliche Kommunikation nicht im Austausch von Namen. Daß am Beispiel derartiger Wörter sprachliche Kommunikation nicht erklärt werden kann, liegt daran, daß sie Produkte entwickelter Sprachgemeinschaften sind, die ihre Entstehung dem Bedürfnis der Sprachgemeinschaft nach Verbesserung der Kommunikation verdanken. Ihre Aufgabe in der Kommunikation vermögen sie nur zu erfüllen, wenn man sie in einen allgemeineren Zusammenhang stellt9 • Will man Ausdrücke finden, die zur Erklärung der Kommunikation besser geeignet sind, muß der Zweck sprachlicher Kommunikation berücksichtigt werden. Die wenigen Forscher, die auf diesen Punkt eingehen, kommen zu dem Ergebnis, daß der Laut mit einer Situation verbunden werden müsse. Goldberg10 schreibt: "Sounds, in fact, do not begin to MEAN anything until they are found to possess a negotiable utility." Nach der Aufzählung der weiteren Erfordernisse des Lernprozesses fährt er fort: "It (the sound) must be simple and oft-repeated, so that it may form tagether with the situations in which it naturally occurs, a Iasting association." Wegener11 lehrt: "Die einfachste sprachliche Äußerung ist ursprünglich ein Imperativ, - der Befehl für den Hörenden, sich an eine Situation zu erinnern, jedes Wort ein neuer Imperativ." Nach dieser Auffassung wird der Sprachlaut in weitaus allgemeinerer Weise verwendet, dennoch scheint in dieser Erklärung noch ein wichtiger Bestandteil zu fehlen. Begriffe man unter dem Ausdruck "Situation" die die beiden Partner umgebende Außenwelt und die darin stattfindenden Vorgänge, so wären lediglich Hinweise von der Art möglich, daß sich dieses oder jenes ereignet habe. In entwickelten Sprachgemeinschaften sind Kontakte dieser Art gewiß sehr häufig und auch wichtig, am Anfang sprachlicher Entwicklung stehen sie aber nicht, wenn vorausgesetzt wird, daß die Partner mit dem sprachlichen Kontakt einen sozialen Zweck verfolgen. Diesem Zweck ist aber genügt, wenn das Verhalten der Kommunikationspartner in einer Situation in die Betrach9

to 11

Humboldt (Sprachbau) 74. Goldberg (Language) 67 f. Wegener (Grundfragen) 100.

5.3 Die imperative Kommunikationssituation

67

tung einbezogen wird. Mit Hilfe des Sprachlauts müßte demnach auf eine Situation hingewiesen werden, die ein bestimmtes gefordertes Verhalten einschließt. Mit dieser zusätzlichen Annahme ist einer der einfachsten Fälle sozial zweckhafter und erfolgreicher sprachlicher Kommunikation in einfachen Systemen beschrieben. Das so geschaffene Modell soll die imperative Kommunikationssituation genannt werden. Daß es sich nicht um ein rein willkürlich geschaffenes Gedankengebilde handelt, läßt sich durch verschiedene Tatsachen mit hinreichender Sicherheit erweisen. Insbesondere läßt sich am Beispiel einiger der oben erwähnten präskriptiven Ausdrücke zeigen, daß eine derartige Kommunikation tatsächlich stattgefunden hat und auch noch heute geübt wird. Verschiedene dieser Wörter ermöglichen es sogar, von einer bloß abstrakten Beschreibung des Modells abzugehen und stattdessen das Funktionieren am Beispiel bestimmterAusdrücke zu erörtern. Wird zunächst einmal angenommen, daß in dieser Kommunikationssituation nur ein Sprachlaut verwendet wird, so muß geklärt werden, ob dieses Verfahren der Partner zum gewünschten Erfolg führen kann. Mit der üblichen Vorstellung, daß der Ausdruck eine und nur eine Bedeutung habe, läßt sich das schlecht fassen. Im Gegenteil müßten dem Wort viele irgendwie verbundene Bedeutungen zukommen, was nach der herkömmlichen Auffassung jedoch den Erfolg der sprachlichen Kommunikation ausschlösse. Von diesen Vorstellungen muß man deshalb völlig absehen. Daß ein einzelner Sprachlaut in der imperativen Kommunikationssituation zur Verständigung führt, kann bei der Erziehung des kleinen Kindes beobachtet werden. Manche Mütter benutzen den Ausdruck "Pfui", um das Kind von einer unerwünschten Handlung abzuhalten. Obwohl sich manche Mütter so ausdrücken, daß ein Zuhörer den Eindruck gewinnt, "Pfui" sei der Name garstiger Gegenstände, pflegen die Kinder nie Konsequenzen aus der falschen Theorie ihrer Mütter zu ziehen; sofern sie wohlerzogen sind, unterlassen sie die Handlung12• Dieser Erfolg ist nur deshalb möglich, weil der Ausdruck zugleich situations- und handlungsbezogen ist. Diese Erscheinung dürfte aber nicht nur am Anfang der Ontogenese stehen, sie scheint auch das wesentliche Kennzeichen der sprachlichen Kommunikation für die frühen Formen in der Phylogenese zu sein. Diese Annahme kann zunächst einmal auf Erkenntnisse gestützt werden, die bei der Beobachtung des Denkens und Sprechens primitiver Völker gesammelt wurden. Thurnwald13 erklärt, daß die Diffusheit vielleicht der hervorstechendste Zug des "primitiven Denkens" sei, den er als Mangel an Exaktheit 12 Vgl. dazu Wegener (Grundfragen) 100; Locke (Essay) 39; Luria (Genesis) 166 ff. 1a Thurnwald (Schriften) 29.

5 Kommunikation in einfachen Systemen

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und Geschlüfenheit kennzeichnet. Die Gründe für die Erscheinung findet er im Fehlen umfassender Beobachtungen und in der Unmöglichkeit aus dem beschränkten Erfahrungsmaterial gemeinsame Zusammenhänge scharf herauszuanalysieren. Primitives Denken operiere deshalb mit groben Erfahrungsklumpen. Werner14 erklärt diese Erscheinung vom Standpunkt des europäischen Erwachsenen, der es gelernt hat, die Wörter in genauer Weise zu gebrauchen: "The conceptual names of primitive people (and also of children and pathological individuals) are concrete not only in the sense that they are cast in an individualized, picture-like mold, but also in the sense that they refer much more directly to some diffusely constituted, collective situation. This conceptual diffuseness may be clearly observed in languages of gesture, or sign languages, which to a high degree exhibit a "holophrastic" form. By a "holophrastic" form we mean that kind of language in which the sign not only stands for a single, limited thing, but also connotes, suggests, a whole related idea. Let us consider, for example, the sign language of Northwest Queensland. The sign for boomerang does not so much express the single object as suggest a continuum of thought the idea of hitting something with the boomerang and thereby killing it, or of selling the boomerang, or of finishing its manufacture, or even of stealing it." Dieses Beispiel zeigt zunächst einmal, daß auch in entwickelten Sprachen Ausdrücke im Gebrauch sind, die der oben gemachten Annahme genügen, wonach ein einzelner Ausdruck verwendet wird, um auf eine komplexe Situation hinzuweisen, die zugleich ein mehr oder weniger bestimmtes menschliches Verhalten einschließt. Wenn man die herkömmliche Ausdrucksweise anwenden will, so kann man sagen, daß gerade diese umfassende Bedeutung zum Erfolg der Kommunikation führt. Durch den Sprachlaut wird der Hörer an frühere Situationen erinnert, die auch sein Verhalten betreffen. Vielleicht wäre die Erklärung richtiger, daß der Empfänger in erster Linie an sein eigenes Verhalten in früheren ähnlich gelagerten Situationen erinnert werde. Aus dem Vergleich mit anderen entsprechenden Beobachtungen folgt weiterhin, daß Diffusheit des Sprechens eine allgemeine Eigenschaft niederer sprachlicher Kommunikationssysteme ist15 • Nimmt man die Kommunikationstechnik in entwickelten Sprachgemeinschaften hinzu, ergibt sich ein wichtiges Prinzip der sprachlichen Entwicklung. Von einfachen diffus verwendeten Ausdrücken führt der Weg zu differenzierten Kommunikationstechniken. Dieses Entwicklungsprinzip macht es einleuchtend und wahrscheinlich, daß am Anfang der sprachlichen Entwick14 15

Werner (Psychology) 275 ff. Werner (Psychology) 275 f., 282, 305 f.

5.3 Die imperative Kommunikationssituation

69

lung einfache Sprachlaute gestanden haben, die in dem angenommenen Modell vorausgesetzt werden. Das ist übrigens eine Annahme, die wohl von allen, die sich mit der Entwicklung der Sprache beschäftigen, gemacht wird16• Als letzter Punkt ist die Behauptung zu behandeln, daß der imperativen Kommunikationssituation die funktionale Priorität zukommt. Daß der Mensch in der sprachlichen Kommunikation Zwecke verfolgt, bedarf keiner weiteren Erläuterung, weil eben der Mensch ein geselliges Lebewesen ist. Auch in dem herkömmlichen Sprachmodell hat der Zweck seinen Platz. Von den vielen denkbaren wird allerdings einer ungebührlich in den Vordergrund geschoben. Gewiß ist die deskriptive Funktion sehr wichtig, eine Sprachgemeinschaft aber, die sich begnügte Erkenntnisgemeinschaft zu bleiben, die also lediglich Mitteilungen über die Beschaffenheit der Welt austauschte, würde kaum Zeit zur Entfaltung haben17• Daß nun gerade der imperativen Kommunikationssituation die funktionale Priorität zukommt, kann durch verschiedene Beobachtungen hinreichend gesichert werden. In der Ontogenese erkennt der geschulte Beobachter, daß das kleine Kind Sprachlaute ausschließlich zu jenem Zweck einsetzt. Mit dem Wort "Mama", so sagt Revesz18, will das Kind nicht die Anwesenheit der Mutter anzeigen, sondern gibt damit einer vertrauten Person die Aufforderung, eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Das gleiche gilt für die Sprachlaute, die der Erwachsene lediglich als Namen von Objekten der Umwelt bezeichnen würde. Die Mutter dagegen erkennt, daß das weinerlich gesprochene "Butterbrot" eine Aufforderung darstellt19• Für die Phylogenese läßt sich der Vorrang dieser Kommunikationsform nur mittelbar erschließen. Die schriftlichen Überlieferungen betreffen nur den jüngsten und kürzesten Abschnitt der Entwicklung. Aus diesem Material kann aber die historische Sprachwissenschaft entnehmen, daß die von der heutigen Grammatik als Imperativ bezeichnete Wortform ein sehr hohes Alter hat. Das ist eine der wichtigsten Tatsachen, auf die Revesz20 seine Ansicht stützt, daß dem Imperativ die zeitliche und auch funktionale Priorität zukomme. Die zusammengestellten Beobachtungen zeigen also, daß einzelne Sprachlaute den Erfolg herbeiführen können und daß der Sprecher in einfachen Systemen den Laut vornehmlich verwendet, um den Hörer 16 Vgl. z. B. Revesz (Vorgeschichte der Sprache) 201; Rossi (Stimme und Sprache) 45 ff. 17 Vgl. dazu Keith (Evolution) 110 ff. 18 Revesz (Vorgeschichte der Sprache) 215 ff. 19 Wegener (Grundfragen) 68; Kainz (Tiersprache) 246. 20 Revesz (Vorgeschichte der Sprache) 224 ff.; vgl. auch Mead (Geschlecht) 92.

5 Kommunikation in einfachen Systemen

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zu einem Verhalten zu veranlassen. Dagegen wird durch diese Beobachtungen nicht der Punkt bestätigt, der Anfang dieses Abschnittes besonders betont wurde. Um das Modell der imperativen Kommunikationssituation deutlich von der herkömmlichen Auffassung abzuheben, war gesagt worden, daß der Sprachlaut den Partnern als Werkzeug diene, daß sie also einen sinnlosen Laut gebrauchten, dennoch aber zur Verständigung gelangten, weil sie es verstünden den Laut sinnvoll zu gebrauchen. Daß diese Annahme notwendig ist, ergibt sich aus der Existenz anderer Kommunikationssysteme. Obwohl man von der Sprache der Tiere spricht und auch Gemeinsamkeiten nicht abstreiten will, herrscht doch die Auffassung, daß sie sich von der menschlichen Sprache in wichtigen Punkten unterscheidet oder unterscheiden muß21 • Selbst im Hinblick auf sehr präzis funktionierende Systeme würde man diese Verschiedenheit betonen. Obwohl die Bienensprache in einem Teilbereich das Geben genauester Fluganweisungen erlaubt, wie sie in der menschlichen Alltagssprache nicht möglich wären, ist doch auch dieser Teilbereich nicht mit menschlicher Verständigung zu vergleichen22 • Ließe man diesen Punkt außer Acht, so wäre der Einwand berechtigt, daß sich das Modell einfacher sprachlicher Verständigung nicht von bekannten tierischen Kornmunikationssystemen unterschiede und deshalb nicht zur Erklärung sprachlicher Verständigung geeignet sei. Kommunikationssysteme, die die bisher angenommenen Voraussetzungen der imperativen Kommunikationssituation ebenfalls erfüllen, finden sich z. B. bei den Affen. Jede gesellige Affenart verfügt über Kontaktlaute; ihr Funktionieren erklärt Kainz23 am Beispiel der Flucht einer Herde. Diese könne von dem Leitaffen beeinßußt werden, da ihm ein hetzender Aufmunterungs- und Treiblaut zur Verfügung stände. Keinesfalls dürften diese Laute mit steuernden Zurufen von der Art "Geradeaus", "Rechtshalten" und "Schneller" verglichen werden; der Laut des Affen stelle nur eine allgemeine Aufforderung dar. In diesem Punkt sieht er den wesentlichen Unterschied der beiden Kommunikationsweisen: Nur der Mensch kann die Aufgabe bezeichnen und sagen, was zu tun ist. Die von Kainz gegebene Beschreibung der Kommunikation geselliger Affen deckt sich mit der bisher gegebenen Schilderung einfacher sprachlicher Kommunikation. Wegen dieser Übereinstimmung ist es erforderlich, die weitere in das Modell eingeführte Voraussetzung genauer zu betrachten. Daß der Mensch den Laut wie ein Werkzeug verwende, mag zwar ein recht einleuchtendes Bild sein, gibt aber keine hinreichende Erklärung. Zwecks Erörterung dieses Punktes muß allerdings das Denkmodell verlassen werden. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, 21 22

t3

Kainz (Tiersprache), Gipper (Bausteine) 15. Porzig (Sprache) 54 und (Leistung der Sprache) 331. Kainz (Tiersprache) 95, 113.

5.4 Kommunikation mittels des Sprachlautes "rechts"

71

um im Falle einer durch Laute vermittelten Kommunikation von menschlicher Verständigung zu sprechen, kann sinnvoll nur am Beispiel bestimmter Sprachlaute untersucht werden. Nicht ohne Grund wählt Kainz für diesen Vergleich den Ausdruck "rechts". Dieser Laut gehört zu den präskriptiven Ausdrücken. Da aus gewissen Tatsachen gefolgert werden kann, daß er ein sehr hohes Alter hat, ist es angebracht, seine Verwendung in einfachen Systemen zu betrachten, um durch diese Rekonstruktion Aufschlüsse über die Besonderheiten erfolgreicher sprachlicher Kommunikation zu erlangen. 5.4 Kommunikation mittels des Sprachlautes "rechts" in einfachen Systemen Aus verschiedenen Gründen ist es angebracht von der heutigen Verwendung des Ausdrucks auszugehen. Nach der üblichen Denkweise müßte man dann sagen, daß das eine Wort zahlreiche voneinander verschiedene Begrüfe benenne. Eine Reduktion ist möglich, wenn man den Kontext berücksichtigt. Zwei Klassen von Sätzen könnte man dann unterscheiden: Sätze, die den Ausdruck als Orts- oder Richtungshinweis verwenden und Sätze, die irgendeine rechtliche Bedeutung haben. Unter den Sätzen der letzteren Art sind nun jene wichtig, die das Wort so gebrauchen, daß man es einen präskriptiven Ausdruck nennen könnte. In der heutigen deutschen Rechtssprache kommen entsprechende Sätze wohl kaum vor. Schwach mag diese Funktion vielleicht in einigen Wendungen anklingen, so, wenn der Richter aufgefordert wird, das Recht zu verwirklichen. Hingegen kennt die alte deutsche Rechtssprache1 und auch noch die heutige Umgangssprache2 eine Zahl von Fügungen, in denen das Wort als Verhaltensanweisung erscheint. Da auch die Verwendung als Richtungshinweis oft den präskriptiven Charakter erkennen läßt und überdies die beiden Wörter gleich lauten, ist die Vermutung gerechtfertigt, daß ein Zusammenhang besteht. Obwohl auf diese Verwandtschaft schon oft hingewiesen worden ist, besteht keine rechte Klarheit über die Art des Zusammenhanges3 • Geht man zunächst einmal davon aus, daß es sich um zwei verschiedene Verwendungen des Wortes handelt, kann man annehmen, daß der Richtungshinweis elementaren Charakter hat. Deshalb stellt man allgemein diesen Komplex an den Anfang. 1 Vgl. z. B. die Reimvorrede des Sachsenspiegels, 139: "daz wir recht sin alle". 1 "Tue recht, scheue niemand." 3 Fritsch (Rechts) 28 ff.

5 Kommunikation in einfachen Systemen

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Nach de:r üblichen Auffassung wäre "rechts" der Name einer Gegend im Rau:rr.., was zu der weiteren Annahme zwingt, der Mensch könne dies auch erkt:nnen. Daß diese Deutung sehr unwahrscheinlich ist, führt Fritsch4 aus. Sollte der Mensch die Gegend des Raumes erkennen können, müßte er nämlich mit einem entsprechenden Sinn ausgestattet sein, für den sich auch ein Empfangsorgan finden lassen müsse. Da dies aber nicht zu entdecken sei, könne es sich nur um einen organlosen Sinn handeln. Daß dem Menschen die Fähigkeit zur Unterscheidung von rechts und links nicht ursprünglich zukommen könne, zeige sich schließlich auch darin, daß dem Menschen die Unterscheidung oft unter vielen Mühen beigebracht werden müsse, wie z. B. die Dressur dummer Rekruten im zaristischen Rußland zeige, denen man zur Erleichterung des Lernvorganges an das linke Bein ein Bündel Heu und an das rechte ein Bündel Stroh band. Deshalb enthalte die Unterscheidung von Anfang an eine "höhere" Tätigkeit, die darin bestehe, daß der Mensch etwas seinem eigenen, ihm durch die kinästhetischen Empfindungen bekannten Körperschema zuordne. Zwar sei das ein sehr primitiver, aber dennoch schon ein menschlicher Akt. Auch bei Wegener5 klingt bereits dieser Gedanke an. Er sagt nämlich, daß der Mensch in seinem Inneren feste Raum- und Bewegungsmuster habe, die sich aus den automatischen Bewegungsformen des Menschen bilden. Von diesen Bewegungsmustern sagt er nun, daß sie den Menschen befähigen, sprachliche Mitteilungen über Bewegungen zu ergänzen. Nach Wegener wird also der Sprachlaut durch eine spezifische Gehirnfähigkeit ergänzt, nach Fritsch ordnet der Mensch dieser Fähigkeit etwas zu. Diese Gedanken entsprechen der im vorigen Abschnitt aufgestellten Behauptung, daß die Kommunikationstauglichkeit eines Sprachlautes der Erfolg verschiedener Lernprozesse ist. In diesem Fall muß zuerst der Sprachlaut gelernt werden. Diese Fähigkeit muß durch einen weiteren Lernprozeß mit jener spezifischen Fähigkeit verbunden werden, die es dem Menschen ermöglicht, seine Bewegungen zu steuern. Die Aufzählung dieser Lernprozesse sagt aber dem Erwachsenen unserer heutigen entwickelten Sprachgemeinschaften nichts, weil er über alle diese Fähigkeiten verfügt und die Gehirnvorgänge überdies so schnell ablaufen, daß er nicht einmal zum Nachdenken über die Vorgänge kommt. Will man also die Bedeutung dieser Lernprozesse verstehen, muß man in einem Gedankenexperiment sich die Sprachfähigkeit zunächst einmal wegdenken. In diesem angenommenen Fall verfügt der Mensch über die Fähigkeit, seine Bewegungen willkürlich steuern zu können6 • Teils wird Fritsch (Rechts) 50 ff., 142 ff. Wegener (Grundfragen) 165; vgl. auch Trojan (Primärfunktionen) 6. s Zum Erwerb dieser Fähigkeit vgl. Michotte (Perception) 8; Wieser (Organismus) 72, 136; Bergson (Gedächtnis) 102 ff. und Dijkraaf (Erdschwerereiz) 492. 4

5

5.4 Kommunikation mittels des Sprachlautes "rechts"

73

sie auf Anlage beruhen, denn auch niedere Lebewesen besitzen sie, teils wird sie durch Lernprozesse ausgebildet worden sein. Diese Fähigkeit erlaubt es dem kleinen Kind, seine Schritte nach rechts zu lenken, auch wenn es den Sprachlaut noch nicht hat und der Erwachsene kann das Gleiche tun, ohne sich den Laut vorzusagen. Durch den Erwerb des Sprachlautes und seine Verbindung mit der erwähnten Fähigkeit wird diese Fähigkeit selbst überhaupt nicht verändert. Die Bedeutung dieses Lernvorganges muß also in etwas anderem liegen. Da der Sprachlaut für den Menschen, wenn man ihn als isoliertes Einzelwesen sieht, ohne jede Bedeutung ist, kann der Lernvorgang nur vom Kommunikationssystem her verstanden werden. Durch den Erwerb der zusätzlichen Fähigkeit werden die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft in die Lage versetzt, wechselseitig Bewegungsabläufe auszulösen und zu steuern. Demnach kann der Erwerb des Sprachlautes als die Ausbildung einer Kommunikationstechnik verstanden werden, die von den Mitgliedern der Gemeinschaft geschaffen wird, um auf das Verhalten anderer Mitglieder Einfluß zu nehmen, die also sozialen Zwecken dient. Betrachtet man die Angelegenheit von unserem heutigen Standpunkt, so könnte man meinen, daß die Ausbildung der Technik keine besondere Leistung darstelle und der dadurch bewirkte Erfolg gering sei. Dieser Eindruck kann aber nur dadurch entstehen, daß diese auch heute noch geübte Technik in der Masse der vielfältigen Kommunikationstechniken, die wesentlich leistungsfähiger sind, untergeht. Daß der durch die erwähnte Technik bewirkte Erfolg auch heute noch überaus bedeutsam ist, zeigt sich darin, daß nicht nur kleine Kinder, sondern auch Rekruten und Verkehrsteilnehmer die Technik einüben müssen. Trotz der Primitivität des Vorganges muß daher die Erfindung der Kommunikationstechnik als höhere oder menschliche Leistung angesehen werden. Erst recht gilt diese Feststellung hinsichtlich der aus dieser Technik hervorgegangenen Verwendungsweisen. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, daß der Sprachlaut, der zunächst nur zur Steuerung von Bewegungsabläufen diente, später als Hinweis auf richtiges Verhalten schlechthin verwendet wurde. Von diesem Vorgang könnte man dann sagen, daß er eine typische Anpassungsleistung des Gehirns darstelle7 , die in der Ausdrucksweise der Logik, sofern sie sich als Denklehre begreift8, als Analogie bezeichnet werden kann. Diese Anpassungsleistung entspricht der heute in der Rechtswissenschaft geübten TeChnik einen rechtlich bedeutsamen Sachverhalt durch Bilder oder Fiktionen zu be7 Wieser (Organismus) 104. s Vgl. die Beispiele bei Klaus (Logik) 366 ff.; a1.1ch Pawlows Gedanke des bedingten Reflexes beruht auf einer Analogie, vgl. Rowenski und Ujomow und Ujomowa (Kybernetik) 101.

5 Kommunikation in einfachen Systemen

74

die, und das ist der entscheidende Gesichtspunkt, mehr oder minder bewußt zu eben diesem Zweck eingesetzt werden.

schreiben~,

Es dürfte aber zweckmäßig sein, den allzu vertrauten Ausdruck "rechts" durch einen anderen zu ersetzen. Von den Azteken berichtet HaekeP 0, daß in ihrer Sprache gut qual-li hieße; da der Stamm qual essen bedeute, meine gut ursprünglich das Eßbare; a-qual-li bedeute hingegen das Nicht-Gute, das Böse. Auf Grund dieses durch die Übersetzung nahegelegten Zusammenhanges könnte man vermuten, daß in einer fernen Vorzeit ein Sprecher den Hörer in einer neuartigen Situation plötzlich aufforderte, sich wie eßbar zu verhalten. Das ist im Kern völlig richtig, nur darf man diesen Vorgang nicht auf der Grundlage der heutigen sprachtheoretischen Auffassung deuten, da das zu einem erheblichen Mißverständnis führte. Nach der herkömmlichen Lehre bewirkt der metaphorische Gebrauch eine Bedeutungsänderung; dem Sprachlaut kommen nach der Übertragung zwei Bedeutungen zu. Diese Deutung, die mit zwei relativ festen voneinander verschiedenen Begriffen operiert, macht den Vorgang schwer verständlich, weil für unsere Auffassung die beiden Begriffe zu weit auseinanderliegen, so daß die Übertragung weder sinnvoll wäre noch verspräche, die Kommunikation erfolgreich zu machen. Die in dieser Anschauung vorausgesetzte Differenzierung geht aber den primitiven Kommunikationssystemen gerade ab, so daß die Übertragung des Sprachlautes weitaus einfacher vonstatten gehen konnte. Auch von dem Sprachlaut "qual-li" wird man annehmen können, daß er zu den Urwörtern gehört. Demzufolge wird er in Situationen gelernt worden sein, die noch nicht durch andere Lernprozesse aufgegliedert waren. Die ursprüngliche Situation war also von komplexer Beschaffenheit, weil sie Handlungen des Menschen an Objekten der Umwelt umfaßte, die von emotionellen Reaktionen begleitet waren. Bezieht man das auf den Sprachlaut, so folgt daraus, daß er in düfuser Weise verwendet wurde, weil er in der Situation auf dieses oder jenes bezogen werden kann. Auch in den heutigen entwickelten Sprachen ist das noch möglich. Die Feststellung, daß Schuhsohlen eßbar wären, könnte von dem einen Hörer mehr auf das Objekt, von einem anderen hingegen wegen der Festigkeit seiner Zähne auf die Handlung bezogen werden. Wegen der in primitiven Kommunikationssystemen herrschenden Diffusheit ist die derart erfolgte Übertragung des Sprachlautes nicht nur denkbar, sondern sogar recht wahrscheinlich. Obwohl die in primitiven Kommunikationssystemen herrschende Düfusheit die Übertragung oder Analogie erheblich erleichtert haben

° Fischer (Fiktionen) 165 ff. 10

Nachgewiesen von Havers (bonus) 69; vgl. auch Hartmann (Sprache) 129.

5.4 Kommunikation mittels des Sprachlautes "rechts"

75

dürfte, handelt es sich dennoch um eine mehr oder minder bewußt gestaltete Kommunikationstechnik. Eine bloß zufällige Übertragung kann ausgeschlossen werden, weil der Vorgang bei vielen präskriptiven Ausdrücken erkannt werden kann.



Die von Havers11 getroffene Feststellung, daß fast alle unserer ethischen Ausdrücke auf sinnliche Wurzeln zurückgehen, besagt nach der herkömmlichen Ansicht, daß diese Ausdrücke ursprünglich eine andere Bedeutung hatten oder in anderer Weise verwendet wurden. Von diesem Standpunkt läßt sich der Zusammenhang schwer erklären, die Feststellung klingt eher etwas überraschend. Sie fügt sich aber zwanglos in das Modell der imperativen Kommunikationssituation ein. Wie das Beispiel der Sprachlaute "rechts" und "qual-li" zeigt, dürften zumindest einige der ethischen Ausdrücke aus den Anfängen der Sprachentwicklung herrühren. Ihr hohes Alter ergibt sich insbesondere daraus, daß die ersten Kommunikationstechniken an bereits ausgebildete menschliche Fähigkeiten anknüpfen werden, die für den einzelnen Menschen und zugleich für die Gemeinschaft besonders wichtig sind. Zu diesen früh ausgebildeten Fähigkeiten gehören nun gewiß jene, die das Zurechtfinden in der Umwelt und die Nahrungsaufnahme betreffen. Nimmt man ein hohes Alter dieser Ausdrücke an, so werden sie auf Sprachlaute zurückgehen, die in früheren Zeiten in der imperativen Kommunikationssituation verwendet wurden, um den Partner zu einem Verhalten in einer bestimmten Situation zu veranlassen. Ihre Kommunikationstauglichkeit beruhte demnach unter anderem darauf, daß sie mit der Fähigkeit verbunden worden waren, sich an früher gelernte Situationen zu erinnern, was vorzüglich eine Leistung der äußeren Sinnesorgane ist. Die sinnliche Wurzel dieser Ausdrücke ergibt sich dann einfach daraus, daß sie ursprünglich auch die Aufgabe hatten, an frühere Situationen zu erinnern, die das Verhalten einschloß. Analoge Verwendungsweisen führten im Lauf der Entwicklung zu Veränderungen, die den ursprünglichen Zusammenhang vergessen ließen. Verloren ging vor allem die Kenntnis, daß diese Ausdrücke ursprünglich in erster Linie zu einem Verhalten aufforderten. Auch der umgekehrte Vorgang kann festgestellt werden. Bei einigen ethischen Ausdrücken ist zwar der Zusammenhang mit menschlichem Handeln erkennbar geblieben, jedoch die Beziehung zur Situation vergessen worden. Hinsichtlich des Ausdrucks "bonus" bemerkt Havers12, daß er auf keine sinnliche Wurzel zurückzuführen sei. Bei der Interpretation der Frühformen stellt er aber einen Zusammenhang mit dem Begriff des "Gebens" her. In seiner Untersuchung der griechischen u Havers (bonus) 69. Havers (bonus) 71 f.

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5 Kommunikation in einfachen Systemen

Sprache macht StenzeP3 eine Bemerkung, die in die gleiche Richtung weist. Von den ethischen Ausdrücken sagt er, daß sie ihrer Struktur nach viel mehr Verwandtschaft mit dem Verbalen haben. "Das Gute, Gerechte ist eine Art des Handelns, ein Tun . .."

Kombiniert• man diese Kenntnisse von der Entstehungsgeschichte ethischer Ausdrücke, so gelangt man wiederum zur imperativen Kommunikationssituation, so daß dieses Modell einfachster sprachlicher Verständigung durch die Existenz der ethischen Ausdrücke hinreichend bestätigt wird. Daß man von sprachlicher Verständigung sprechen muß, folgt daraus, daß die Entwicklung der ethischen Ausdrücke von dem Prinzip der Analogie beherrscht wird. Mit einer entwickelten Sprache können diese, auf wenige Situationen beschränkten Kommunikationstechniken selbstverständlich nicht verglichen werden. Die Kommunikationsleistungen dieser Technik sind äußerst gering, ein Vergleich mag das verdeutlichen. Taubstumme, die in ihrer Zeichensprache gewiß ein düferenzierteres Kommunikationsmittel haben, hielt man bis zum Beginn der Neuzeit für Idioten. Daß das seinen Grund allein in den Mängeln der Zeichensprache hatte, merkte man, als es gelang, Taubstummen die gesprochene Sprache zu lehren und sich nun zeigte, daß der Geist eines Taubstummen dadurch voll entfaltet werden kann14• Wegen dieser Leistungsbeschränkungen kann das Modell das Funktionieren sprachlicher Verständigung in entwickelten Sprachgemeinschaften nicht begreiflich machen. Trotzdem leistet es auch dafür einen nützlichen Beitrag, weil damit ein sicherer Ausgangspunkt gewonnen ist, von dem aus spätere Veränderungen der Sprache besser verstanden werden können.

u Stenze! (Griechische Sprache) 81; vgl. auch Benton (Cheng Ming) 320; Nai-Tung Ting (Laotzu) 17; Mc Gee (Ethical Rules) 201; Aristoteles (Metaphysik) 1078 a bemerkt, daß sich das Gute immer in der Verbindung mit einer Handlung finde. 14 Rossi (Stimme und Sprache) 91; Pos (Meaning) 282; Schuy (Taubstumme) 151 ff. '

6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften 6.1 Methodische Vorbemerkung

Sprechen und Hören sind nach der hier vorgetragenen Auffassung eine Art der Kommunikation in menschlichen Gemeinschaften1• Da die Sprachlaute Mittel dieser Kommunikation sind, darf angenommen werden, daß Veränderungen der Sprache auch durch die Kommunikationsbedürfnisse der Gemeinschaft hervorgerufen werden. Das ist auch die Ansicht der herkömmlichen Meinung2 • Bei der genaueren Bestimmung dieser Kommunikationsbedürfnisse wird die Sprache nun regelmäßig in einen Zusammenhang mit den sozialen, wirtschaftlichen und geistigen Verhältnissen einer Gemeinschaft gebracht, derart, daß die Veränderungen der Sprache durch die Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse in einer Gemeinschaft ausgelöst werden; so bewirkt die Schaffung neuer Wirtschaftsgüter auch die Schaffung neuer Ausdrücke zu ihrer Bezeichnung3• Nach dieser Ansicht scheinen sprachliche Veränderungen (fast) ausschließlich die Folge von vorgegebenen Tatsachen zu sein, die sich außerhalb des Menschen befinden4 • Dadurch wird der Erkenntnischarakter der Sprache besonders betont; die Sprache ist das Mittel, das es ermöglicht, neuartige Verhältnisse der Umwelt festzuhalten oder wiederzugeben. Diese Beobachtung ist gewiß richtig; indes scheint es mehr als zweifelhaft zu sein, ob in dieser Begründung das einzige und zugleich wichtigste Prinzip sprachlicher Veränderung gefaßt worden ist. Denkt man an die geringen Leistungen der Kommunikationstechniken in primitiven Gesellschaften, so scheint die Annahme nicht abwegig zu sein, daß Veränderungen vor allem auch durch das Verlangen nach besserer Verständigung ausgelöst worden sind. Von einem anthropologischen Standpunkt scheint diese Deutung auch richtiger zu sein, weil eine Sprachgemeinschaft in erster Linie nicht Erkenntnisgemeinschaft ist5 • Diese Deutung erlaubt es schließlich auch die herkömmliche Ansicht besser zu begreifen. Die Wiedergabe oder Aneignung vorgegebener Verhältnisse in der Umwelt ist nicht ein Vorgang, der allein durch das Erkenntnis1 Huppe (Language) 43. z Martinet (Sprachwissenschaft) 161 f. 3 Martinet (Sprachwissenschaft) 161; Sapir (Method) 62. ' Vgl. z. B. Thurnwald (Schriften) 73; Senn (Methode) 419 ff. 5 Weisgerber (Sprache) 14, Lohmann (Sprachwissenschaft) 139 ff.

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6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

streben der Sprachgemeinschaft hervorgerufen wird, er kann vielmehr als eine bewußt gestaltete Kommunikationstechnik zur Verbesserung der Verständigung verstanden werden. Der Weg, den diese Technik eingeschlagen hat, kann erschlossen werden, wenn man ein Prinzip, das in der Veränderung der Sprache erkennbar wird, auf die imperative Kommunikationssituation anwendet. Für den von der Sprachwissenschaft überschaubar gemachten Zeitraum gilt, daß die Veränderungen der Sprachetrotz einiger gegenläufiger Tendenzen als Prozeß der Differenzierung beschrieben werden können. Auch in der Rechtssprache der Vergangenheit und Gegenwart kann diese Entwicklung festgestellt werden. Boas6 bemerkt: "that the history of legal terminology has moved in the direction of finer distinctions ...". Da in der imperativen Kommunikationssituation ein Sprachlaut als Hinweis auf eine komplexe Situation diente, die ein menschliches Verhalten einschloß, wird die daraus folgende Düfusheit nicht selten zu Mißerfolgen in der Kommunikation geführt haben. Den Partnern mußte demzufolge daran gelegen sein, Techniken zu erfinden, die es ermöglichten, Situationen und Handlung genauer zu bestimmen. Da diese Ausdrucksweise den Eindruck erweckt, daß es sich um zwei verschiedene Probleme handele, die demzufolge auch isoliert gelöst werden könnten, muß ein Vorbehalt gemacht werden, der allerdings erst bei der Erörterung juristischer Kommunikationstechniken verfolgt werden soll. Nach herkömmlicher Auffassung ist diese Scheidung jedenfalls möglich; von dieser Annahme soll ausgegangen werden. Offensichtlich haben die für die Situationsbestimmung ausgebildeten Techniken die größere Bedeutung. Deshalb befaßt sich die Sprachtheorie der Vergangenheit und Gegenwart auch fast ausschließlich mit dem Verhältnis der Sprache zur Welt. Die in dieser Anschauung vorausgesetzte deskriptive Eigenschaft der Sprache ist in Wirklichkeit jedoch die Ausbildung von Kommunikationstechniken zur genaueren Bestimmung einer Situation. Nach der heutigen Auffassung kann eine Situation in beliebig genauer Weise beschrieben werden. Warum und wie das möglich ist, hat zuletzt Wittgenstein7 in einfacher und außerordentlich klarer Weise dargestellt. Danach besteht die Welt aus Sachverhalten, die eine Verbindung von Sachen und Dingen in dieser Welt sind; diese Sachverhalte können durch die Sprache abgebildet werden, da die Elemente der Sprache in einer Struktur verbunden seien, in der sich die Elemente ebenso zueinander verhielten wie die Gegenstände der Welt. Zwei miteinander zu verbindende Verfahren sind nach dieser Ansicht für die Beschreibung einer Situation der Umwelt erforderlich; die Ges Boas (Rason) 29; Bemeker (Versuch) 55 ff. behandelt die Differenzierung der Tötungsdelikte im griechischen Recht; vgl. Robson (Law) 87. 7 Wittgenstein (Tractatus) 1. 2. 15.

6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik

79

genstände der Welt müssen durch sprachliche Ausdrücke gekennzeichnet werden, um alsdann in einer nicht näher beschriebenen Weise zusammengefügt zu werden. Aus der Reihenfolge ergibt sich, daß die Namensgebung die größere Bedeutung hat8 • Daß sie eine wichtige Errungenschaft des menschlichen Geistes darstellt, folgt schon aus der Rolle, die sie in der Theorie spielt.

6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik Nach der herkömmlichen Auffassung hat der Mensch eine gegliederte Situation vor sich. Die einzelnen Objekte oder Gegenstände in ihr können erkannt und durch die richtigen Namen benannt werden1 • Das ist auch die Ansicht derer, die erkennen, daß in einfachen Kommunikationssystemen die Umwelt dem Menschen als ungegliederte komplexe Einheit gegenübersteht, denn sie nehmen an, daß der Mensch durch Analyse die einzelnen Elemente des Komplexes erfassen und benennen könne2• Daß diese Analyse leicht zu bewältigen ist, dürfte die allgemeine Ansicht der Erwachsenen in entwickelten Sprachgemeinschaften sein. Zu diesem Zweck habe der Mensch die vor ihm befindliche Situation lediglich genau zu betrachten, da er auf diese Weise auch sofort die einzelnen Gegenstände oder Objekte in ihr erkennen könne. Sollte ihm dabei ein unbekannter Gegenstand ins Auge fallen, wäre es nur noch erforderlich, ihn mit einem Namen zu versehen. Wittgenstein sagt dazu: "Das Benennen erscheint als eine seltsame Verbindung eines Wortes mit einem Gegenstand. -Und so eine seltsame Verbindung hat wirklich stattgefunden, wenn nämlich der Philosoph, um herauszubringen, was die Beziehung zwischen Namen und Benanntem ist, auf einen Gegenstand vor sich starrt und dabei unzählige Male einen Namen wiederholt, oder auch das Wort "dieses". Denn die philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache feiert und da können wir uns allerdings einbilden, das Benennen sei irgend ein merkwürdiger seelischer Akt, quasi eine Taufe eines Gegenstandes3 ." Diese Auffassung führt zu dem bereits beschriebenen Sprachmodell niederer Ordnung. Es beruht auf der Annahme, daß es das reine durch keine anderen Einflüsse verfälschte Erkennen gibt, das durch die Namensgebung abgeschlossen wird. Da die dadurch geschaffene Relation eindeutig ist, kann der Vorgang umgekehrt werden. Aus der Existenz eines Sprachlautes kann deshalb auf die Existenz eines Objektes Weisgerber (Muttersprache) 12. Carnap (Meaning) 69; Ayer (Science) 6. Robinson (Verstand) 76. 3 Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen) 309; vgl. auch Gehlen (Anthropologie) 51. 8

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6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

geschlossen werden4 • Zur Erläuterung dieser Annahmen benutzt man sehr häufig die Farbwörter. Bevorzugt werden sie, weil sie auf ein einfaches ungegliedertes Quale hinzuweisen scheinen5, allerdings machen einige Philosophen Vorbehalte6• Dennoch kann man sagen, daß viele Wissenschaftstheorien auf solche Beispiele gegründet sind7 • Nach dieser Auffassung ist der Sprachlaut "rot" der Name der Röte. Der Röte kommt eine objektive Existenz zu8 • Sie kann erlebt oder gesehen werden9• Der Satz "ich sehe rot" ist ein Beobachtungssatz10• Diese Annahmen führen indes zu eigentümlichen Schwierigkeiten. Weist der Sprachschatz einer Gemeinschaft ein dem Theoretiker aus seiner eigenen Sprache geläufiges Wort nicht auf, so müßte daraus gefolgert werden, daß das Erkenntnisvermögen dieser Gemeinschaft von anderer Art sei. Auf Grund dieser Erwägung behauptet Schulz11, daß die Hellenen farbblind gewesen wären. Da er bei der Musterung ihrer Farbbezeichnungen keineAusdrücke für reines blau und gelb entdecken kann, schließt er, es sei sehr wahrscheinlich, daß die Hellenen blaugelbblind waren12 • Er sieht die Vermutung bestätigt durch die Farbgebung griechischer Gemälde dieser Epoche13• Da bekannt ist, wie Farbfehlsichtigkeiten vererbt werden14 und weiterhin angenommen werden kann, daß der Genbestand einer Population in dem fraglichen Zeitraum relativ konstant ist, wäre zu erwarten, daß die Nachkommen dieses Volkes den gleichen Defekt aufwiesen, was aber nicht der Fall ist. Offensichtlich ist also diese Folgerung unrichtig15• Zur Erklärung dieser und ähnlicher Beobachtungen schlägt man deshalb meist andere Wege ein. Am häufigsten ist die Erklärung anzutreffen, daß der Geist des Menschen auf irgendeine Art bei der Namensgebung beteiligt sei, so daß geistige Unterschiede dazu führten, daß die Objekte der Welt in verschiedener Weise erfaßt würden18• Damit wird ein sprachliches Relativitätsprinzip aufgestellt. Weisgerber17 lehrt, daß 4 Darauf beruht auch die Methode der Onomasiologie; vgl. auch Weisgerbers Bemerkungen zum Sprachrealismus (Kultur) 29 ff. 5 Fuchs (Rechtswissenschaft) 31. e Vgl. z. B. Wittgenstein (Tractatus) 2.0131 und 2.0232. 7 Husserl (Logik) Bd. 1, 101, 129, Bd. 2, 29; Pap (Erkenntnistheorie) 6, A. 12. 8 Dempe (Sprache) 42, Bernays (Mathematik) 17. 8 Husserl (Lo~ik) Bd. 2, Tl. 2, 29. 10 Bavink (Wahrheit) 47; Hempel (Meaning) 164; Apel (Wahrheitsbegriff) 26. 11 Schulz (Hellenen). 12 Schulz (Hellenen) 186 f.; Snell (Sprache) 149. 13 Schulz (Hellenen) 141 ff.; was andere Beobachter nicht bestätigen; Andre (Couleur) 17. t4 Ford (Genetics) 206. 15 Andre (Couleur) 392; Trendelenburg (Farbensinn) 31; O'Neale and Dolores (Papago) 395. 18 Vgl. Dennis (Perception) 152; Korzybski (Perception) 170 ff. 17 Weisgerber (Gestaltung} 16 ff.; vgl. auch Johnson (Language) 114; Landsherger (Babylon) 358 ff. und Obermeier (Begriffsautonomie) 223.

6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik

81

der Inhalt des Wortes als geistiger Gegenstand als eine Form des geistigen Zugriffs auf das Sein verstanden werden müsse, durch den eine Sprachgemeinschaft sprachlich die Welt gestalte. Diese Gestaltungskraft der Sprache ermögliche dem menschlichen Bewußtsein das Herübernehmen von Erscheinungen des Seienden in die Welt des Bewußtseins. Whorf18 gebraucht in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Wort "Relativitätsprinzip"; der entscheidende Satz lautet: "We are thus introduced to a new principle of relativity, which holds that all observers are not led by the same physical evidence to the same picture of the universe, unless their linguistic backgrounds are similar, or can in some way be calibrated19." Ähnliche Gedanken werden auch von philosophischer Seite vorgetragen. Apel20, der den Wandel des philosophischen Wahrheitsbegriffes nachzeichnet, erklärt, daß es keiner Theorie von Plato an gelungen sei, dem Problem der Wahrheit gerecht zu werden, wie es in der Welterschließung der lebendigen Sprache aufgegeben ist. Deshalb gelangt er zu einer Relativierung der Sprachwahrheit, indem er sie auf den zufälligen Standort des Menschen auf der Erde bezieht: "Mit der existentialen Rückbeziehung der dogmatischen Wahrheit einer Weltansicht, welche in der Sprache ,erschlossen' ist, auf das leibhaftige In-der-Welt-sein als Wohnen des Menschen (hier: einer Gruppe, eines Volkes) auf der Erde wird es nun aber möglich, dem Begriff der Welterschließung, wie sie in der Sprache stattfindet, noch einen genaueren erkenntnisanthropologischen Sinn zu geben: ...". Auch die Wissenschaftstheorie berücksichtigt diesen geistigen Faktor bei der Namensgebung; indes wandelt sie diesen Gedanken ihren Bedürfnissen gemäß etwas ab. Wenn im Anschluß an Aristoteles verlangt wird2 1, daß jede Wissenschaft eine empirische Grundlage haben müsse, setzt man zugleich voraus, daß die Kenntnisse aus der Beobachtung der Tatsachen erlangt werden können. Im Laufe der Zeit zeigte sich nun, daß die Erlangung wissenschaftlicher Kenntnisse aus der Beobachtung allein offensichtlich nicht möglich ist22• Die weitere Entwicklung schränkte die Theorie des Empirismus noch weiter ein. Einige Forscher nehmen an, daß zwar die Konstituierung der Wissenschaft aus Beobachtungssätzen nicht möglich sei, halten aber dennoch einen Rest von Empirismus aufrecht, wenn sie zwecks Verifikation oder Falsifikation auf Beobachtungssätze zurückgreifen23 • Andere Forscher gehen noch weiter Whorf (Language) 214. Zur Kritik dieser These vgl. Kaschmieder (Weltbild) 8 ff.; Hoijer (Preface) IX; Hoijer (Hypothesis) 96; Fearmg (Examination) 47 ff.; Schaff (Sprache) 89 f. 20 Apel (Wahrheitsbegriff) 17, 27, 34. n Beth (Foundations) 38. 22 Popper (Erfahrungswissenschaft) 6 ff. 23 Popper (Erfahrungswissenschaft) 8. ts

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6 Horn

6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

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und bestreiten, daß die Beobachtungssätze eine ausgezeichnete Klasse von Sätzen darstellen, die infolge ihrer anderen Qualität einen Vorrang vor den anderen Sätzen der Wissenschaft haben. Da die Beobachtungen mit Hilfe der Sprache wiedergegeben werden, seien sie nicht frei von Bearbeitung und deshalb nicht ursprünglicher als andere Sätze. Deshalb sei es möglich, auch diese Basissätze nötigenfalls für ungültig zu erklären24. Köhler25 verleiht diesem Gedanken in folgender Form Ausdruck: "The most basic convinctions of scientific culture lost the character of theoretically formulated sentences. Gradually they have become aspects of the world as we perceive it: the world Iooks today what our forefathers learned to say about it; we act and speak accordingly." Diese Theorien weisen zwar darauf hin, daß die Namensgebung auch oder vor allem ein geistiger Vorgang sei, sie erklären den Vorgang selbst aber nicht. Trotz der Relativierung bleibt letztlich das Modell des reinen Erkennens erhalten, wonach ein Mensch das ihm gegenüberstehende Objekt erfassen kann. Diese einfache Theorie des Erkennens1 die dem Betrachter das Objekt gegenüberstellt, dürfte nicht zuletzt durch die Eigentümlichkeiten unserer Sprache verursacht sein. Durch die Verwendung des Ausdrucks "Objekt" entsteht der Eindruck, daß der Mensch einer wohlabgeschiedenen Einheit gegenüberstehe26 • Bereits Johnson27 wies darauf hin, daß durch die Sprache häufig eine Einheit impliziert werde, die in der Natur nicht bestehe, weil sich die Wahrnehmung des Objektes aus verschiedenen Sinneseindrücken zusammensetze. Die Berücksichtigung der Zeitkomponente kompliziert die Angelegenheit noch mehr. Der Sprachlaut "Sonne" ist uns der Hinweis auf ein einziges Objekt. Noch heute soll es aber primitive Stämme geben, die diese Kenntnis nicht besitzen, die aufgehende Sonne sei für sie etwas anderes als die untergehende2s. Es ist einleuchtend, daß die Erlangung des fortgeschrittenen Standpunktes hauptsächlich auf einer Denkleistung und nicht auf dem einfachen Erkennen des "Objektes" beruht. Von der Erklärung, daß der Mensch die Situation bestimmen oder beschreiben könne, weil er im Wege des Erkennensund der Namensgebung die Objekte in die Welt der Sprache übernehmen könne, um auf diese Weise mit ihnen zu hantieren, gilt deshalb was Derbolav29 gesagt hat, daß letztlich alle bloß sprachlichen und modellmäßigen Vermittlungsversuche zwischen Denken und Sein als Methaphern dastehen. Kraft (Wiener Kreis) 109. Köhler nachgewiesen bei Halloweil (Perception) 172. Camap (Aufbau) 23. 27 Johnson (Language) 55. 28 Wemer (Psychology) 301. zp Derbolav (Kratylos) 90, vgl. auch Goldberg (Language) 86, "in a deep sense, reality is the greatest metaphor that the human mind has ever conceived". 24

zs zs

6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik

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Die Mängel dieser ehrwürdigen Theorie werden offensichtlich durch die Tatsache begründet, daß die Probleme der Perzeption, der Kommunikation, usw. unbeachtet bleiben. Will man die bedeutsame Technik der Namensgebung etwas besser verstehen, so muß der Versuch unternommen werden, die in den einschlägigen Disziplinen gesammelten Kenntnisse zu integrieren. Für diesen Versuch empfehlen sich die Farbnamen, weil sie nach der heutigen Auffassung auf eine einfache Qualität hinzuweisen scheinen, weshalb sie schon immer das Interesse der Theorie geweckt haben. Weiterhin sind aber auch in diesem Komplex die meisten Kenntnisse gesammelt worden. Nach vulgärer Auffassung besitzt ein roter Gegenstand die Eigenschaft Röte, die von dem Betrachter wahrgenommen werden kann30• Vom Standpunkt der Physik handelt es sich dagegen um reflektiertes Licht. Seine Eigenschaften hängen von den Eigenschaften des auffallenden Lichtes und den Eigenschaften des reflektierenden Gegenstandes ab. Zur Beschreibung dieser Eigenschaften faßt die Physik das Licht bald als Weile, bald als Photon auf31 • Demnach ist es also sinnlos von farbigen Gegenständen und farbigem Licht zu sprechen32• Daß Physiker dennoch in einem gewissen Umfang an dieser Ausdrucksweise festhalten, hängt damit zusammen, daß das letzte Glied einer Experimentalkette immer der Mensch ist, der die Ergebnisse den vorgegebenen sprachlichen Kenntnissen anpassen muß33. Der dritte und hier wichtigere Faktor für den Vorgang des Farbensehens sind die Eigenschaften des Empfangsapparates. Die vergleichende Psychologie hat nachgewiesen, daß er nicht bei allen Lebewesen gleich ist. Unterschiede bestehen z. B. im Empfangsbereich der Wellenlängen. Frisch34 stellte auf Grund seiner Experimente fest, daß Bienen das für uns unsichtbare tntr:wiolett erkennen können. Deshalb läßt sich durch Mischung von 55 °/o gelb + 30 °/o blauviolett + 15 °/o ultraviolett eine neutrale Mischfarbe "Bienenweiß" darstellen. Wenn ein uns weiß erscheinender Gegenstand, das Ultraviolett nicht reflektiert, sieht die Biene den Gegenstand farbig. Diese Bedeutung des Empfangsapparates zwingt zunächst einmal zu einer Relativierung des Objektes. Die absoluten Eigenschaften des "Objektes an sich" verschwinden. Nur hinsichtlich eines relativ abgeschlossenen Systems ist es sinnvoll, von den Eigenschaften eines Objektes zu sprechen35• 30 Bavink (Wahrheit) 47; Hempel (Meaning) 163; Pap (Erkenntnistheorie) 6, Anm. 12; Albert (Ethik) 35. 31 Gaviola (Mind aild Matter) 141, "Waves and corpusdes are neither real nor unreal, they are creations of the human mind that serve the purpose of describing ..." 32 Gipper (Farbe) 136. n Jordan (Physik) 38; Zellinger (Geist- Physik) 87. 84 Frisch (Farbensinn) 22. · ss Vgl. Lorenz (Verhalten) 270.

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6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

Die Vorgänge im menschlichen Empfangsapparat sind noch keineswegs ausreichend geklärt. Die bisherigen Kenntnisse zeigen aber, daß es notwendig ist, den Vorgang der Farbunterscheidung zu differenzieren. Werner36 unterscheidet drei Stufen der Farbunterscheidung: "discrimination on the motor-sensori-affective level, on the perceptuallevel, and on the conceptuallevel". Die sogenannte Unterscheidung der untersten Stufe entspricht den von der Physiologie bei Tieren und Pflanzen beobachteten Reaktionen. Rot bestimmter Wellenlänge fördert bei Tieren und Pflanzen das Wachstum, blau hat die entgegengesetzte Wirkung37• Wahrscheinlich lassen sich diese Wirkungen durch den unterschiedlichen Energiewert des aufgenommenen Lichtes erklären38• Auch bei Menschen kann diese Wirkung der Farben beobachtet werden. Kinder von sechs Monaten, die noch nicht die Fähigkeiten der zweiten Stufe erworben haben, können darauf trainiert werden, verschieden gefärbte Milchflaschen zu unterscheiden39 • Erwachsene werden durch die Bestrahlung mit Licht bestimmter Wellenlängen zu motorischen Reaktionen veranlaßt. Da diese Wirkung auch bei geschlossenen Augen eintritt, ist der Empfangsapparat nicht im Auge zu suchen40 • Nur auf dieser Stufe kann von einer Gleichheit der menschlichen Fähigkeiten gesprochen werden, die auf phylogenetisch früher entwickelten Leistungen des Empfangsapparates beruht. Die Vorgänge bei der Farbunterscheidung der zweiten Stufe sind wesentlich komplizierter. Über die Prozesse im Auge ist bis heute noch keine Klarheit gewonnen worden, da es bislang noch nicht gelungen ist, die nach den alten Theorien des Farbensehens notwendigen Farbsehstoffe oder nervösen Strukturen zu entdecken41 • Nach einer neuen Theorie des Farbensehens soll es sich bei den Vorgängen im Auge nur um solche von elektrischer Art handeln42 • Dies bestätigt die schon früher vorgetragene Ansicht, daß die eigentliche Farbempfindung erst durch Vorgänge im Gehirn entsteht. Von der Kinderpsychologie weiß man, daß die Fähigkeiten des Gehirns durch Lernprozesse ausgebildet werden müssen43 • Auch Blinde, die später das Augenlicht erlangen, müssen erst die Farbunterscheidung erlernen44• Umgekehrt kann beim Erwachsenen die Fähigkeit zur Unterscheidung zeitweilig reduziert werden45 • ae Werner (Psychology) 101. 37 Vgl. Heimendabi (Farbe) 256 ff. 88 Vgl. Heimendabi (Farbe) 257. 89 Werner (Psychology) 100; vgl. auch Landretb (Cbildbood) 112. 4o Vgl. Heimendabi (Farbe) 267 f. u Das wurde auf einem Kongreß über die Probleme der Farbunterscheidung 1958 in Paris festgestellt; vgl. Dartnall (Visual Pigments) 147; Scheglmann (Synthese) 223. 42 Scheglmann (Synthese) 226. 43 Landretb (Childhood) 248. 44 Vgl. Michotte (Perception) 9; Harlow (Behavior) 13. 45 Werner (Psychology) 94 ff.

6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik

85

Die dritte Stufe der Farbunterscheidung soll die des Sprechens (der Sprache) sein. Sicher ist, daß sie mit den Fähigkeiten der zweiten Stufe in einem Zusammenhang steht, da sie durch Lernprozesse mit ihr verbunden ist. Auch mit der Farbunterscheidung der ersten Stufe scheint es einen Zusammenhang zu geben, da manche Farben als warm, usw. bezeichnet werden. Auch die Verwendung von Farbnamen zur Fällung moralischer Urteile könnte auf diese Verbindung hinweisen46• Hinsichtlich der hier besonders wichtigen Verbindung mit der zweiten Stufe ist nicht viel bekannt. Aus der Kinderpsychologie weiß man, daß die Unterscheidung von Farben leichter fällt, wenn sie benannt werden können47 • Trotz dieser Verbindungen handelt es sich um zwei unabhängige Fähigkeiten des Gehirns, was sich daraus ergibt, daß trotz Fehlens oder Verlust des Farblautes die Unterscheidung der zweiten Stufe vorhanden sein kann48 • Diese Feststellung ist wichtig, weil sie die Frage erzwingt, welche Bedeutung der Farbunterscheidung der dritten Stufe zukommt. Werner verwendet zur Kennzeichnung den Ausdruck "Konzept". Der Farblaut ist demnach ein Klassenname oder ein unbestimmter Begriff40 • Diese Ansicht hat Weisgerber50 in einer seiner früheren Arbeiten an einem instruktiven Versuch erläutert. Dieser wurde mit einem Aphasiekranken angestellt, der noch die vollen Fähigkeiten der zweiten Stufe besaß, aber die "Farbwörter verloren hatte". Als man dem Patienten die Aufgabe stellte, nach einem Musterfaden aus einer Anzahl Wollfäden gleichfarbige Fäden zusammenzusuchen, zeigte sein Verhalten und die Bemerkung, er könne das nicht fassen, alle Farben seien doch verschieden, daß ihm die Ausführung schwer fiel, weil er den Sinn der Aufgabe nicht recht verstand. Weisgerber sagt dazu, dies zeige, daß die Sprachstörung im Fehlen des Begriffes liege. Der normale Mensch erkenne den Musterfaden als Vertreter der begrifflichen Klasse und handele dann nicht mehr unter dem Eindruck des Musterfadens, der auch sofort wieder weggenommen werden könne, sondern auf Grund des Wissens um diesen Begriff. Aus dieser und anderen Beobachtungen ergebe sich daher der Schluß, daß die sprachliche Benennung darauf beruhe, daß der Mensch die Erscheinungen nicht konkret-vereinzelt sehe, sondern kategorial, in begrifflicher Verarbeitung auffasse. Trotz der Verfeinerungen wird das herkömmliche Modell der Namensgebung nicht verändert. Dieses Modell gibt aber aus verschiedenen Gründen keine angemessene Darstellung der bei der Farbunterscheidung ablaufenden Prozesse. Daß der durch das Modell vermittelte Ein-

•e Vgl. Leisi 47

48 49

5o

(Altenglische Wortinhalte) 310; Frances (Developpement) 159. Landreth (Childhood) 247 f. O'Neale and Doleres (Papago) 395; Schmidt-Rohr (Sprache) 19 f . Russen (Wissen) 258 ff. Weisgerber (Muttersprache) 16 ff.

86

6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

druck der Einheitlichkeit des Objekts und seiner Unabhängigkeit vom Beobachtungssystem nicht zutreffend ist, war schon gesagt worden. Weiterhin läßt das Modell den Erkenntnisvorgang als eine vorwiegend passive Reaktion des Menschen erscheinen. Die für die Farbunterscheidung der zweiten Stufe erforderlichen Lernprozesse müssen aber als eine aktive Tätigkeit des Menschen verstanden werden51• Schließlich wird der Erwerb des Sprachlautes auf den Erkenntnisvorgang bezogen; es handelt sich um die Namensgebung, die den Vorgang des Erkennens abschließt. Das ist offensichtlich keine ausreichende oder sinnvolle Deutung des Vorganges. In diesem erkenntnistheoretisch orientierten Modell wird der Mensch als isoliertes Einzelwesen genommen. Da jedoch der Mensch die Farbunterscheidung der zweiten Stufe unabhängig von der Sprache erlernen kann, verändert der Erwerb des Sprachlautes die Fähigkeiten des erkennenden Einzelwesens nicht. Daß er jetzt auch den Sprachlaut beherrscht, ist für ihn belanglos, sofern es sich lediglich um das Erkennen handelt. Insofern würde der Erwerb des Sprachlautes die Ausbildung einer überflüssigen weil nutzlosen Funktion bedeuten. Der Erwerb des Sprachlautes kann deshalb nur von einem kommunikationstheoretischen Standpunkt richtig verstanden werden. Der primäre Zweck des Erwerbs ist die sprachliche Verständigung. Der Sprachlaut ist lediglich ein Mittel der Kommunikation. Er ist zwar durch Lernprozesse mit der Farbunterscheidung der zweiten Stufe verbunden, dies aber nur deshalb, weil das Sprechen als aufgelagerte Funktion nur dann zum Erfolg führt, wenn an bereits ausgebildete Fähigkeiten des Gehirns angeknüpft wird. Das erklärt auch auf einfache Weise, warum Farbennamen in verschiedenen Sprachgemeinschaften verschieden ausgebildet sein können. Die Farbwörter sind primär ein Instrument der Kommunikationstechnik. Allein von den Kommunikationsbedürfnissen der Sprachgemeinschaft hängt es demzufolge ab, wie sie ausgebildet und entwickelt werden. Nach der hier vorgetragenen Auffassung ist eines der wichtigsten Ziele die Verbesserung der sprachlichen Verständigung, um dem Partner das Verhalten in einer Situation besser vorschreiben zu können. Farbwörter sind demnach eines der Mittel, eine Situation genauer zu bestimmen. Dieser Zusammenhang ist auch heute noch klar erkennbar. Der mit dem Aphasiekranken angestellte Versuch zeigt diese Verwendung. Wittgenstein52 hat in einem seiner Sprachspiele ebenfalls auf diesen Gebrauch hingewiesen. Der Gang der Entwicklung kann auf Grund des Beobachtungsmaterials der sprachwissenschaftlichen Forschung rekonstruiert werden. Am Anfang der Entwicklung stehen Wörter, die sowohl auf das Objekt wie auch auf dessen Farbigkeit hinweisen53• Auch entwickelte Sprachen ha51

52

Wieser (Organismus) 128 ff.; Hensel (Sinneswahrnehmung) 750. Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen) 290, 389.

6.2 Die Namensgebung als Kommunikationstechnik

87

bennoch einen Restbestand derartiger Ausdrücke54. In diesem Fall können aber in der Kommunikation Mißverständnisse auftreten. Objekt und Farbigkeit können verwechselt werden. Überdies sind Objekte selten einfarbig. So verwendet zur Überraschung europäischer Erwachsener ein Indianerstamm den Namen eines Papageien, um auf drei wesentlich verschiedene Farben hinzuweisen55. Zur Verbesserung der Verständigung wurden daher im Laufe der Entwicklung Objekt und Farbe getrennt. Daß das eine erhebliche Leistung darstellt, zeigen die diesem Problem gewidmeten philosophischen Überlegungen verschiedener Kulturen56. Auf diese Weise wurden zunächst nur wenige reine Farbwörter gebildet. Im Hochmittelalter hat der deutsche Sprachbereich die Sprachlaute "rot", "gelb" und "grün" zur Bezeichnung der Regenbogenfarben57. Zur weiteren Verbesserung der Verständigung bildete man weitere Farbwörter. Im Bereiche der Mode z. B. ist dieser Prozeß auch noch heute erkennbar. Diese Entwicklung hat allerdings Grenzen. Für die Kommunikationsbedürfnisse im Alltag ist eine gewisse Unbestimmtheit eher von Vorteil. Die in Wittgensteins Sprachspiel gegebene Anweisung, rote Äpfel zu kaufen, ist nur ausführbar bei einer gewissen Schwankungsbreite von "rot", bei genauerer Bestimmtheit würde es häufig das entsprechende Objekt nicht geben. Wegen dieser zu großen Bestimmtheit erklärte der Aphasiekranke in dem oben geschilderten Versuch, daß die Aufgabe nicht durchführbar sei. Eine weitere Grenze der sprachlichen Differenzierung ergibt sich daraus, daß das Farberinnerungsvermögen nicht das Farbunterscheidungsvermögen der zweiten Stufe erreicht. Die Hausfrau gleicht bei der Befriedigung ihrer singulären Bedürfnisse den Mangel aus, indem sie eine Stoffprobe mitnimmt, wenn sie genau passendes Nähgarn kaufen will. In entsprechender Weise geht man vor, wenn man die Kommunikationsbedürfnisse der Gemeinschaft nach größerer Übereinstimmung befriedigen will. Um industriellen Bedürfnissen unserer Zeit Rechnung zu tragen, hat man daher einen Farbenkatalog aufgestellt, in dem jeder Farbe ein Sprachlaut zugeordnet wird58 • Was hier hinsichtlich der Sprachlaute gesagt worden ist, die mit Sinneserfahrung verbunden worden sind, gilt auch für die Sprachlaute, bei denen sich diese Verbindung mit "Sinneserfahrung" nicht nachweisen läßt. Nach der herkömmlichen Auffassung sind auch diese Sprachlaute Namen, die allerdings die Wirkung haben, daß sie dem Objekt erst das Vgl. Levy-Bruhl (Naturvölker) 145. Z. B. falb, vgl. Tschirch (Weltbild) 33. u Werner (Psychology) 225. 58 Lohmann (Ontologie) 6 ff.; Grabmann (Geschichte) 1. Bd. 293. 57 Tschirch (Weltbild) 60 f.; Schmidt-Rohr (Sprache) 20. 58 Vgl. die Bemerkungen Richters zur DIN-Farbenkarte.

s3 54

88

6

Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

Sein verschaffen59• Daß auch diese Sprachlaute Bestandteile von Kornmunikationstechniken sind, kann leicht gezeigt werden. An einem Beispiel aus der Theorie der Zahlen soll das demonstriert werden. Eine Theorie der Zahlen kann an die Entwicklungsgeschichte der Zahlen anknüpfen. Dann sind Zahlwörter Sprachlaute, die verwendet werden, wenn der Mensch isolierte Objekte zählt80• Auch Mathematiker, die von diesem Zusammenhang absehen, weil sie ein formales Zeichensystem aufbauen wollen, greifen dennoch auf ihn zurück, da sie die Konstitutionsregeln so wählen, daß die Verbindung mit der alltäglichen Verwendung der Zahlwörter gewahrt bleibt61 • Wird dieser Zusammenhang mit der Technik des Zählens aufrecht erhalten, ist es einsichtig, daß es für diese Tätigkeit nicht des Ausdruckes "Null" bedarf. Eine weniger entwickelte Technik könnte diesen Ausdruck überhaupt nicht in ihrem Vokabular unterbringen. Whitehead62 meint, daß die meisten Mathematiker der alten Welt durch die Zahl Null schrecklich verwirrt worden wären. Für die griechische Theorie war die erste Zahl erst die Zwei83 ; ebenso verhält es sich in der Entwicklung des Kindes, auch hier entsteht zuerst meist der Zahlbegriff "zwei" 64• Nach der heutigen Zahlentheorie wird aber die Null zu den Zahlen gezählt. Demnach müßte auch die "Null" der Name eines Objektes sein und für dieses Objekt müßten schließlich alle Rechenregeln gelten, die für die Zahlen aufgestellt worden sind65 • Beides ist aber nicht der Fall. Diese Schwierigkeiten verschwinden, wenn die Frage nach der Washeit von Null aufgegeben wird und der Ausdruck "Null" lediglich als Hinweis auf eine von dem rechnenden Menschen einzuschlagende Technik verstanden wird. Nach Whitehead bestand der erste Verwendungszweck der Null darin, daß bei der arabischen Schreibweise der Zahlen eine Zahl auf die zweite oder weitere Stelle verschoben werden konnte68, erst im Laufe der Zeit wurde sie zu anderen Techniken verwendet87• Auch diese späteren Techniken stehen aber mit menschlichem Handeln in bestimmten Situationen in Zusammenhang. Die beiden hier erörterten Beispiele lassen zur Genüge erkennen, daß die Theorie der Namensgebung ein Modell schafft, das den Vorgang des Sprechens unverständlich macht. Nur auf der Grundlage des hier herso Weisgerber (Gestaltung) 127; Heidegger (Sprache) 164: "Das Wort verschafft dem Ding erst das Sein, anders verhält es sich aber mit Dingen von der Art der Raketen, Atombomben, ..."; Güntert (Sprachwissenschaft) 17. so Vgl. Körner (Mathematik) 25, 30 ff. 8 1 Beth (Foundations) 113 ff. u Whitehead (Mathematik) 36. 83 Bröcker (Plato) 56; vgl. Aristoteles (Metaphysik) 1084 b f. 0 4 Kühnel (Rechenunterricht) 11. os Bentley (Mathematics) 141. os Whitehead (Mathematik) 37 ff. 87 Mach (Erkenntnis) 325.

6.3 Die Verbindung von Sprachlauten als Kommunikationstechnik

89

ausgestellten kommunikationstechnischen Aspekts ist es möglich, die Bedeutung eines Sprachlautes zu verstehen. Diese Feststellung besagt selbstverständlich lediglich, daß dieser Ausgangspunkt die einzuschlagende Methode bestimmt. Die Bedeutung eines Sprachlautes in der Kommunikation kann nur durch eine analytische Untersuchung der Verwendung des jeweiligen Wortes geklärt werden, die allerdings in integrierender Weise alle verfügbaren Kenntnisse berücksichtigen muß.

6.3 Die Verbindung von Sprachlauten als Kommunikationstechnik Sind Sprachlaute durch die beschriebenen Lernprozesse mit den früher ausgebildeten Fähigkeiten des Gehirns verbunden worden, so können sie von einem Mitglied der Gruppe als Hinweis auf "isolierte Objekte" der Situation verwendet werden, um so dem Partner die Situation bestimmter zu machen. Trotz der dadurch bewirkten Verbesserung der Verständigung ist diese Technik überaus primitiv. Sie erlaubt nicht einmal die Aufzählung der Objekte in einer Situation, da ein Sprachlaut fehlt, der die Konjunktion schafft. Auch die herkömmlichen Sprachtheorien, die die Leistungen der Sprache hauptsächlich auf die Namensgebung zurückführen, wissen, daß die Häufung der Namen allein nicht genügt. Wie Klaus sagtt, treten die Menschen nicht unmittelbar durch Begriffe in geistige Beziehung, sondern der geistige Austausch erfolgt in Sätzen und Urteilen. Umstritten ist lediglich die Frage, ob die Fügung oder der Name in dieser Fügung den Vorrang hat. Dieser Streit ist so alt wie die Sprachtheorie, er wird lediglich unter wechselnden Namen ausgetragen. In der Sprachwissenschaft stritt man früher über die Frage, ob der Satz oder das Wort die richtige Grundeinheit der Sprache sei2 • In der heutigen Theorie ist es die Kontroverse zwischen Semantik und Strukturalismus3 • Die klassische Logik gebraucht zur Kennzeichnung der entsprechenden Positionen die Ausdrücke "Begriff" und "Urteil"\ die moderne Logik verwendet hierfür die Ausdrücke "Semantik" und "Syntax" 5 • Die Rechtswissenschaft kennt dieses Problem in der Gegenüberstellung von Wort- und Satzsinn8• Die dieser Auseinandersetzung zu Grunde liegende Frage ist jedoch nicht hinreichend Klaus (Logik) 28. Vgl. z. B. Gardiner (Speech) 23: " ... , it must not be forgotten that all schools of grammarians are now agreed that the unit of speech is not the word, but the sentence." Vgl. auch Weisgerber (Muttersprache) 12; Weisgerber (Gestaltung) 380 ff. 8 Ullmann (Semantics) 317 ff. 4 Klaus (Logik) 26. • Stegmüller (Semantik) 174. 6 Larenz (Methodenlehre) 241 ff. 1 2

90

6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

klar gestellt. Da die Sprache ein Mittel der Kommunikation ist, muß eine derartige Frage den Kommunikationszweck angeben. Wird er berücksichtigt, so zeigt sich, daß die Frage für ein Kommunikationssystem verschieden beantwortet werden muß. Auch in entwickelten Systemen ist es möglich, körperlichen und seelischen Schmerz durch einzelne vorsemantische Laute in überzeugender Weise mitzuteilen, weil hier das Verständnis auf tieferen Schichten erreicht werden kann. Weiterhin kann diese Frage nur hinsichtlich eines bestimmten Kornmunikationssystems sinnvoll gestellt werden. Die Rekonstruktion einfacher Systeme zeigt, daß in ihnen einzelne Sprachlaute die Funktion haben, die in entwickelten Systemen der Fügung zukommt. Diesen Gesichtspunkt stellte bereits Humboldt7 heraus. Er sagte: "Man kann sich unmöglich die Entstehung der Sprache als von der Bezeichnung der Gegenstände durch Wörter beginnend, und von da zu der Zusammenfügung übergehend denken. In der Wirklichkeit wird die Rede nicht aus ihr vorangegangenen Wörtern zusammengesetzt, sondern die Wörter gehen umgekehrt aus dem Ganzen der Rede hervor ..." Eine der wichtigsten Fügungen, die hier vom kommunikationstheoretischen Standpunkt behandelt werden soll, ist jene, die in der Grammatik Aussagesatz genannt wird. Die Bedeutung dieser Fügung ergibt sich bereits aus der Tatsache, daß die alte und moderne Logik wesentlich auf ihr fußen. Nur wenige Logiklehren gehen von anderen Fügungen aus8• Und es wird angenommen, daß durch die Umformung derbetreffenden Fügungen die traditionelle Logik anwendbar wird8 • Auch in der Philosophie spielt diese Fügung eine überragende Rolle. Rougier10 deutet an, man könne die Geschichte der Philosophie als eine Folge von Wortspielen über das Wort "Sein" auffassen. Nach seiner Ansicht hat die Verwendung des Ausdrucks in der griechischen Sprache eine ganz bestimmte Entwicklung der griechischen Philosophie verursacht; den gleichen Wirkungszusammenhang behauptet er für spätere philosophische Lehren. Wäre diese Ansicht richtig, dürfte man vermuten, daß die Philosophie in Sprachgemeinschaften, denen die Fügung fehlt, eine andere Entwicklung genommen hat. Tatsächlich wird dieser Zusammenhang von Chang Tung-Sun11 hinsichtlich der chinesischen Sprache behauptet. Er stellt fest, daß die chinesische Sprache kein Verb verwendet, das unserem Ausdruck "sein" vergleichbar wäre. Der in der Umgangssprache benutzte Ausdruck "shih" vermittle nicht den Gedanken der Existenz, das literarische "wei" andererseits vermittle den Gedanken des "ch'eng", Humboldt (Sprachbau) 74 f. Vgl. Ross (Imperatives) 30 und die dort gegebenen Nachweise. 9 Klug (Analyse) 122. to Rougier (Langage) 73. 11 Chang Tung-Sun (Theory of Knowledge) 212, 217. 7

9

6.3 Die Verbindung von Sprachlauten als Kommunikationstechnik

91

was werden bedeute. Diese Bedeutung sei aber der des "sein" genau entgegengesetzt. Weiterhin behauptet er, daß die chinesische Philosophie nie eine Ontologie entwickelt habe, die der europäischen vergleichbar wäre. Kennzeichnend für das chinesische Denken wäre die Frage nach dem Wie, der europäischen Denkweise entspräche dagegen die Frage nach dem Was. Diese Tatsache würde auch erklären, warum die chinesische Sprachgemeinschaft nie eine Naturwissenschaft entwickelt hat, die der europäischen verglichen werden kann12• Allerdings ist es möglich, daß dieser von dem chinesischen Philosophen behauptete Zusammenhang bestritten wird, da die erwähnten Fügungentrotz gewisser Unterschiede doch den in den europäischen Sprachen verwendeten entsprächen13• Einige der wichtigsten Eigenschaften, die dieser Fügung zugeschrieben werden, faßt Sax in den Sätzen zusammen14 : "Begrüfe stehen im Dienste der Erkenntnis. In den Urteilen, die Art und Grad der Erkenntnisgewißheit ausdrücken, erfaßt der Subjektsbegriff den Erkenntnisgegenstand und unterwirft (subicere) ihn dem urteilenden Denken, während der Prädikatsbegriff die Erkenntnisaussage (praedicare) bildet, die durch das "Ist", die Kopula (copulare) auf den Subjektsbegrüf bezogen, mit ihm verkoppelt wird." Zwei der in dieser Feststellung hervorgehobenen Eigenschaften bedürfen einer genaueren Betrachtung. Die Aussage handelt von Sachverhalten der Welt. Das ist der ontologische Standpunkt. Für die Masse der Menschen ergibt sich daraus kein Problem, denn für sie ist die Sprache die Welt selbst15• Gelangt der reflektierende Verstand zu der Einsicht, daß dies nicht der Fall sei, entsteht das Sprachmodell niederer Ordnung. Die Verschiedenheit von Sprache und Welt wird betont, die Weltbezogenheit der Sprache muß demzufolge auf andere Weise erklärt werden. Keine Schwierigkeiten entstehen der Deutung einzelner Ausdrücke, die als Namen genommen werden können. Ihre Nennung weist auf die Gegenstände der Welt hin. Anders verhält es sich hingegen bei der Deutung von Fügungen. Wenn einmal angenommen wird, daß sich eine Fügung in eine Folge diskreter Sprachlaute auflösen lasse, hätte man eine lineare Folge verschiedener Sprachlaute. Andererseits soll diese Folge aber eine hinreichende Bestimmung (Deskription) einer komplexen, gegliederten Situation sein. Soll die deskriptive Leistung der Fügung bejaht werden, muß offensichtlich die lineare Folge diskreter Zeichen besondere Eigenschaften besitzen. Diese Eigenschaften 12 Vgl. auch Nakamura (Thinking) 166 ff. 275; Lohmann (Sprachwissenschaft) 172. 1a Gipper (Bausteine) 179 ff. 14 Sax (Rechtsbegriffe) 133. 1& Lohmann (Sprachwissenschaft) 98.

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6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

müssen denen der beschriebenen Situation gleichen. Da diese dem Beobachter gegliedert erscheint, muß auch die Folge der Sprachlaute in entsprechender Weise gegliedert sein. Diesen Gedanken hat Wittgenstein mit großer Klarheit im Tractatus entwickelt18 • Nach diesem Denkmodell entwirft die Fügung wegen ihrer Struktur (Isomorphie) ein Abbild des Weltausschnittes. Diese traditionelle Lehre ist falsch, ihre Unrichtigkeit ergibt sich daraus, daß den Sprachlauten und der Fügung von Sprachlauten Eigenschaften zugesprochen werden, die sie nicht haben, deren Feststellung überdies extrasensorische Fähigkeiten voraussetzen würde17• Daß die Folge der Sprachlaute selbst nicht gegliedert ist, erkennt man bei der Beobachtung fremdartiger Kommunikationssysteme. Beim Hören einer Sprache, die der Muttersprache nicht verwandt ist, wird der Hörer meist nicht einmal in der Lage sein, eine Folge diskreter Laute zu erkennen. Die Unterscheidung einzelner Zeichen wird beim Betrachten einer von einem Taubstummen produzierten Zeichenfolge möglich sein, eine Gliederung wird indes nicht erkennbar, und zwar auch dann, wenn die Zeichenfolge übersetzt ist18• Die Gliederung ist also nicht eine Eigenschaft der Fügung, vielmehr wird die Aufgliederung vom menschlichen Gehirn geleistet19 • Die ontologische Annäherung erweist sich somit als ungeeignet. Wird bei der Erörterung der Fügung ein erkenntnistheoretischer Standpunkt eingenommen, so behandelt man vor allem die Bedeutung des "Ist-sagens"20 • Daß der Mensch durch das Gebrauchen der "Istfügung" die ontologische Differenz überbrücke21, bringt den Menschen ins Spiel und ist daher die prinzipiell richtige Deutung. Allerdings scheint es möglich zu sein, diese Erklärung zu vertiefen, wenn der kammunikationstheoretische Standpunkt berücksichtigt wird. Diese Überlegung sollte an einem Kommunikationssystem ansetzen, das diese Fügung nicht enthält. Mit Sicherheit kann das nur von einem künstlich geschaffenen behauptet werden. In ihm kann der Sprecher in imperativen Kommunikationssituationen Handlungen des Hörers auslösen. Der hierzu benutzte Sprachlaut muß kaum semantisch bearbeitet sein, da das Sprachverständnis zum Teil bereits auf den Schichten erreicht wird, die dem semantischen Niveau vorgelagert sind. Mit dieser Technik kann nur dann hinreichende Übereinstimmung zwischen Sprecher und Hörer erzielt werden, wenn sich die Partner in der gleichen Situation befinden 11 Wittgenstein (Tractatus) 2.15 ff. und 3.14 ff., vgl. auch Horn (Widerspiegelung) 13 ff. n Vgl. 3.3. 1s Vgl. Kern (Taubstumme) 25. 19 Malmberg (Communication) 169. 20 Lohmann (Sprachwissenschaft) 83. 21 Lohmann (Ontologische Differenz) 84.

6.4 Die Reproduktion identischer Handlungen

93

und die Handlung sofort nach dem Empfang vorzunehmen ist. Die Steuerung des Verhaltens in künftigen Situationen kann auf diese Weise hingegen nicht erfolgen. Fü:r diesen Zweck müssen neue Techniken erfunden und gelernt werden. Betrachtet man das Problem von unserem heutigen Standpunkt, so sieht man, daß zwei Wege beschritten werden können. Ihre Verschiedenheit ergibt sich aus der Art der Anknüpfung. Setzt die Technik mehr am Kommunikationspartner und dessen Verhalten an, so muß das Denkmodell für zukünftige Handlungen erfunden werden. Die andere Technik kann an die Situationsbestimmung anknüpfen; was voraussetzt, daß diese schon in einem gewissen Umfang ausgebildet ist. Dann kann durch die zusätzliche Bestimmung, daß der Partner in der Situation etwas finden werde, daß sich in ihr etwas ereignen werde, das geforderte Verhalten in die Zukunft verschoben werden. Die von der sprachgeschichtlichen Forschung beigebrachten Daten lassen vermuten, daß beide Entwicklungen stattgefunden haben. Da sich die beiden Techniken nicht ausschließen, dürften sie sich parallel entwickelt haben. Von größerer Bedeutung scheint die zweite Technik zu sein. Über ihre Anfänge ist selbstverständlich nichts bekannt. Da jedoch wohl alle Sprachforscher22 darin übereinstimmen, daß der heutige Ausdruck "ist" in frühen Zeiten konkrete Bedeutungen gehabt habe, scheint die Entwicklung in der angedeuteten Weise erfolgt zu sein. Auch der mit dem chinesischen Fügungswort anklingende Gedanke des Werdens läßt- obwohl bereits verblaßt- diesen Zusammenhang noch erkennen. In entwickelten Systemen, die diese Technik hinreichend eingeübt haben, kann diese konkrete Bedeutung verlorengehen. Damit wird es möglich den Ausdruck als reinen Existenzfunktor zu gebrauchen, wodurch die Leistungsfähigkeit der Technik vergrößert wird. So kann z. B. der Ausdruck zur Beschreibung sozialer Beziehungen verwendet werden. Die kunstvolle juristische Ontologie entwickelter Systeme wäre ohne diese Technik nicht denkbar.

6.4 Die Reproduktion identischer Handlungen Die herkömmliche Lehre kennt dieses Problem nicht. Es muß ihr wegen ihres andersartigen methodischen Ansatzes verborgen bleiben, da dieser die soziale Zweckhaftigkeit des Sprechens nicht berücksichtigt. Demzufolge bleibt die herkömmliche Lehre bei einer Vorfrage stehen. Diese betrifft die Übereinstimmung von Sender und Empfänger. Bloße Übereinstimmung ist vom kommunikationstheoretischen Standpunkt 22

Gipper (Bausteine) 156, mit weiteren Nachweisen und Holz (Sprache) 42.

94

6

Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

belanglos. Sinnvoll wird sie erst, wenn angegeben wird, zu welchem sozialen Zweck die Übereinstimmung erreicht werden soll. Es mag sein, daß die Vertreter der herkömmlichen Lehre bei der Erörterung von Beispielen an die sozialen Folgen denken, klar ausgesprochen wird das indes nicht. Daß in der Regel Übereinstimmung zwischen Sender und Empfänger bestehe, ist ein Axiom der traditionellen Auffassung. Bocheitski argumentiert: " ... , angenommen alle Zeichen wären mehrdeutig, dann ist es schwierig sich vorzustellen, wie eine Verständigung unter Menschen überhaupt noch möglich wäre- eine solche Verständigung ist aber Tatsache. Auch scheint es unmöglich, eine Theorie korrekt darzustellen, welche behauptet alle Zeichen seien mehrdeutig, ohne eindeutige Zeichen zu gebrauchen." Damit wird die Angelegenheit auf den Kopf gestellt. Da der Sender dem Empfänger mit dem Wort zugleich dessen eindeutige Bedeutung gibt, sind die Eigenschaften der Kommunikationspartner ohne Bedeutung. Wenn die Übereinstimmung allein durch das Zeichen verursacht wird, muß lediglich das Zeichen bearbeitet werden, wenn es einmal nicht eindeutig sein sollte. Überdies wird in dieser Theorie ein statisches System vorausgesetzt. Da Worte keine Bedeutung haben, hängt Übereinstimmung oder der Erfolg sprachlicher Verständigung allein von den Eigenschaften der Kommunikationsparter ab. Trivial ist die Voraussetzung der Zugehörigkeit zur gleichen Sprachgemeinschaft. Zwar ist erfolgreicher sprachlicher Kontakt auch zwischen Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften möglich, da die Produktion von Wörtern phylogenetisch früher ausgebildeten Funktionen aufgelagert ist, die allgemeiner Besitz sind. Für die Verständigung auf dem semantischen Niveau ist jedoch gleiche Sprache erforderlich, denn selbst eindeutige Wörter der fremden Sprache können nicht eidetisch erlebt werden. Da der Erfolg einer Kommunikationstechnik von der Bewältigung zahlreicher Lernprozesse abhängt, ist es erforderlich, daß unter hinreichend ähnlichen Bedingungen gelernt wird. Durch staatliche Regulierung der Ausbildung wird dieses Ziel angestrebt und wahrscheinlich auch in erheblichem Umfang erreicht. Weiterhin ist es erforderlich, daß die so erworbenen Fähigkeiten eine gewisse Dauerhaftigkeit besitzen. Während früher angenommen wurde, daß diese Eigenschaften erhebliche Stabilität besäßen, neigt man heute dazu, eine relative Instabilität zu betonen1 • Dafür ließe sich das Schwanken des Sprachgebrauchs im Laufe der Zeit2 und die Erfolge der Gehirnwäsche anführen. Daß sich die Bedeutung ändere, wird auch von einigen Autoren auf Grund be1 1

Ombredane (Perception) 94. Gipper (Wortinhalte) 279. .·

6.4 Die Reproduktion identischer Handlungen

95

stirnroter Experimente gefolgert. Man8 behauptet, daß die Verabfolgung eines elektrischen Schlages während der Präsentation des Wortes dem Ausdruck einen negativen Charakter verleihe. Da die Versuche von der objektiven Bedeutung ausgehen, hängen die gezogenen Folgerungen wesentlich von den Ansichten des Experimentators ab. Außerdem zeigt dieser Versuch nur, daß durch einen Lernprozeß eine Verbindung zu motorisch-affektiven Funktionen hergestellt werden kann, so daß das Wort nach der herkömmlichen Ausdrucksweise zusätzlich eine emotionelle Bedeutung erlangt. Im entwickelten System ist diese Verbindung für die Verständigung auf dem semantischen Niveau allenfalls von geringer Bedeutung. Welche Folgen die Instabilität für die sprachliche Kommunikation hat, kann derartigen Untersuchungen nicht entnommen werden. Eher ist zu erwarten, daß die Behandlung einzelner Kommunikationstechniken einige Aufschlüsse gibt. Die Tatsache, daß der Erfolg sprachlicher Verständigung allein von den menschlichen Fähigkeiten abhängt, zeigt, daß die Übereinstimmung der Partner nicht Voraussetzung sein kann, sondern das angestrebte Ziel darstellt. Am Beispiel der Farbwörter war gezeigt worden, daß in einem ständigen Prozeß die Verständigung verbessert wird. Es gehört zu den bedeutsamsten Leistungen entwickelter Sprachgemeinschaften, Kornmunikationstechniken geschaffen zu haben, die die beliebige Reproduktion identischer Handlungen ermöglichen. Die Beurteilung der Identität hängt selbstverständlich von den Benutzern der Kommunikationstechnik ab. Dabei stellt sich oft heraus, daß die alte Kommunikationstechnik den gestiegenen Ansprüchen an die Identität nicht mehr genügt, so daß die Erfindung einer neuen in Angriff genommen werden muß. Man denke z. B. an die Ersetzung des Urmeters durch das Vielfache der Wellenlänge des roten Lichtes eines strahlenden Kadmiumatoms, die nur deshalb erfolgte, um die Maßeinheit identischer reproduzieren zu können. Obwohl jede Generation an der Verbesserung der Kommunikationstechnik arbeitet, hat die herkömmliche Lehre von der Sprache das nicht erkannt. Deshalb fehlt eine zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Techniken; ebenso mangelt es an einer allgemeinen Theorie. Seinen Grund hat es darin, daß in entwickelten Sprachgemeinschaften derartige Techniken meist von Fachwissenschaftlern entwickelt werden, die ihr Vorgehen auf der Grundlage der herrschenden Theorie als Verbesserung der Deskription eines Sachverhaltes verstehen. Diese Haltung bewirkt, daß der kommunikationstheoretische Aspekt verborgen bleibt; nur selten wird deshalb ausdrücklich auf die Bedeutung der Technik für die Kommunikation hingewiesen4 • Somit bestand in diesem 3 4

Vastenhouw (Meaning) 21. Richter (Verständigung).

96

6 Kommunikation in entwickelten Sprachgemeinschaften

Bereich kein hinreichender Anlaß für die Entwicklung einer allgemeinen Theorie. Logik und Linguistik, die diesen Beitrag hätten leisten können, waren durch die Vorherrschaft der Ontologie daran gehindert; deshalb waren die Vorgänge in anderen Disziplinen der Aufmerksamkeit entrückt. Nach der ontologischen Auffassung haben die lautlich oder graphisch produzierten Wörter eine Bedeutung. Diese kann durch Bearbeitung verbessert werden; das Ergebnis wird durch eine Definition ausgedrückt. Das wichtigste Definitionsverfahren beruht auf der Namenstheorie. Danach kann der zu bestimmende Gegenstand durch die Definition präzis beschrieben werden. Kommunikationstechnisch ist dieses Verfahren nur dann von Bedeutung, wenn es sich um isolierte Objekte der dinglichen Umwelt handelt. Die Wissenschaftstheorie beschränkt jedoch die Technik der Definition nicht auf diese Fälle, sondern nimmt an, daß die Bedeutung aller Wörter auf diese Weise bestimmt werden kann. Diese Auffassung herrscht auch in der Rechtswissenschaft vor; deshalb weist Ross5 darauf hin, daß die Haltung, jeglichen Ausdruck als Namen zu begreifen, zu nutzlosen Erklärungen und Trugschlüssen führen müsse. Am Beispiel der Farbwörter kann leicht gezeigt werden, daß von diesem Standpunkt die Veränderung und Bearbeitung der Farbwörter nicht verstanden werden kann. Zwar ist die ontologische Feststellung, daß "rot" ein unbestimmter Begriff sei, auch kommunikationstheoretisch bedeutsam, die Lösungsversuche sind es indes nicht, denn diese bestehen in der Anwendung der Definitionstechnik. Allenfalls wird darauf hingewiesen, daß die Beschaffenheit von rot das klassische Definitionsverfahren ausschließt6 • Es zeigt sich also, daß die Theorie der Definition die tatsächliche Kommunikationstechnik in außerordentlicher Weise mißversteht.

5 Ross (Definition) 145. • Klaus (Logik) 178.

7 Juristische Kommunikationstechniken 7.1 Methodische Vorbemerkung Die von den Rechtserzeugungsapparaten moderner Staaten produzierten Sätze haben zum großen Teil folgenden Bautyp: Wenn es sich so und so verhält, ist so und so zu verfahren. Beiden Teilen derartiger Anweisungen kommt gleiche Bedeutung zu. Aus verschiedenen Gründen richtet sich das Interesse aber auf den ersten Teil, den Tatbestand der Vorschrift. Den rechtsgelehrten Juristen des Rechtsanwendungsapparates erwachsen größere Schwierigkeiten beim Vergleich des Tatbestandes mit dem konkreten Lebenssachverhalt als bei der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung der Entscheidung. Weiterhin ist mit der Entscheidung auch regelmäßig die Tätigkeit der rechtsgelehrten Juristen abgeschlossen, sofern noch weitere Handlungen erforderlich sind, werden diese anderen Personen des Rechtsanwendungsapparates aufgetragen. Anweisungen an Gerichtsvollzieher z. B. gelangen aber selten in den Aufmerksamkeitsbereich der Juristen. Aus diesen Gründen soll auch hier allein die Tatbestandstechnik der Gesetze behandelt werden. Der Tatbestand soll eine Situation beschreiben, die meist von komplexer Natur ist, da es sich fast immer darum handelt, Verhalten eines Menschen in der dinglichen Umwelt zu erfassen. Zur Beschreibung der Umwelt können und müssen die Verfasser der Rechtssätze sich der Alltagssprache bedienen, nur ausnahmsweise wird die Verwendung einer Fachsprache erforderlich. Eine Verordnung zum Schutze gegen Strahlungen radioaktiver Stoffe muß mangels geeigneter Ausdrücke der Umgangssprache die der Physik gebrauchen. Da im vorigen Abschnitt einige Ausführungen über die Beschreibung von Situationen der dinglichen Umwelt gemacht worden sind, sollen hier nur einige spezifische Probleme aufgegriffen werden, die sich bei der Beschreibung rechtlich relevanten menschlichen Verhaltens ergeben. Kommunikationstheoretisch wichtige Fragen folgen bereits daraus, daß Menschen üblicherweise nicht einfach als Menschen in einen Tatbestand eingeführt werden, sondern als Vater, Kind, Kaufmann usw. erscheinen. 7.2 Die Benennung von Menschen An dieser Stelle sollen einige Ausdrücke exemplarisch behandelt werden, die für diesen Zweck besonders geeignet sind, weil über die mit 7 Horn

7 Juristische Kommunikationstechniken

98

ihnen verknüpften Sachzusammenhänge von verschiedenen Fachwissenschaften ein relativ umfangreiches Material zusammengetragen worden ist. Dies sind die Verwandtschaftsbezeichnungen. Bereits der Ausdruck läßt eine bestimmte Theorie erkennbar werden. Nach der herkömmlichen und in der Rechtswissenschaft allein herrschenden Anschauung stellen diese Ausdrücke Namen dar, die das Verwandtschaftsverhältnis angeben. In der Ausdrucksweise der Logik würde man den Ausdruck deshalb einen Relationsbegriff nennen1 • Allerdings ist es auch möglich, im Anschluß an die alte Klassenlogik von einem Klassennamen zu sprechen. So sagt z. B. Nadel2 : "No society exists which does not in this sense classify its population - into fathers, priests, servants, ... " Wie diese Bemerkung zeigt, lassen sich aber die beiden Auffassungen sehr wohl miteinander vereinbaren. Der charakteristische Zug der herkömmlichen Auffassung besteht nun darin, daß der Ausdruck lediglich oder doch in erster Linie als Bezeichnung dieser Relation verstanden wird. Dies scheint mit hinreichender Deutlichkeit aus Äußerungen in verschiedenen Disziplinen hervorzugehen. Logiker erwähnen oft als Beispiel den Begriff "Vater", um die in ihm verborgene Existenz der Relation zum Kind nachzuweisen. Hilbert und Ackermann erklären: "Es ist gewiß eine logisch selbstverständliche Behauptung, ,wenn es einen Sohn gibt, so gibt es einen Vater' 3." Ähnlich heißt es bei Marty4 : "Wer denkt ,Vater', denkt notwendig, und zwar explizite ,Vater eines Kindes'." Daß es damit nicht sein Bewenden hat, vermerkt Quadri5 : "Seinem Wesen nach ist der Verwandtschaftsbegriff komplex. Zunächst bezeichnet er, rein physiologisch, ein bestimmtes genealogisches Verhältnis, womit wir ihn zu den allgemeingültigen Grundbegriffen zählen können. Andererseits ist er aber auch ein mit affektischen Werten geladener und deshalb je nach Ort, Zeit und Sprechsituation schwankender Begriff." Auch Anthropologen und Ethnologen, denen von Anfang an ein größeres Beobachtungsmaterial zur Verfügung stand, sind von dieser Anschauung ausgegangen. Eines ihrer Ziele war und ist6 die Aufdeckung sozialer Strukturen. Diese glaubten sie aus der Untersuchung der Ausdrücke gewinnen zu können, die nach dem Vorbild der europäischen Theorie als Benennungen verwandtschaftlicher Beziehungen aufgefaßt wurden7 • Jede Gesellschaft sei in einem bestimmten Zustand der kultuVgl. Klaus (Logik) 248 ff. Nadel (Social Structure) 20. a Hilbert-Ackermann (Logik) 55; ebenso Englis (Logik) 15. 4 Marty (Satz und Wort) 22. 5 Quadri (Onomasiologie) 48. 8 Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Nadel (Social Structure) 153 ff. 7 Piddington (Social Anthropology) 122 sagt: "The terms used by primitive peoples to denote kinship relationship differ from our own ..." 1

2

7.2 Die Benennung von Menschen

99

reUen Entwicklung gewissermaßen gezwungen, eine Theorie der Verwandtschaft aufzustellen8 • Auf dieser Annahme basiert die gebräuchliche Unterscheidung der klassifikatorischen und deskriptiven Systeme der Verwandtschaftsbezeichnung9 • Anthropologen haben aber auch als erste an dieser herkömmlichen Ansicht Kritik geübt. Zahlreiche Felduntersuchungen und die Kombination verschiedener wissenschaftlicher Methoden haben auf diesem am besten erforschten10 Gebiet der Anthropologie zu der Erkenntnis geführt, daß diese Anschauung zumindest einseitig sei. Thurnwald11 hat einmal in etwas anderem Zusammenhang ausgeführt, daß hier eine Voreingenommenheit bestehe, die sich daraus ergebe, daß man unbemerkt der Theorie des römischen Rechts gefolgt sei. Auf der Grundlage der Namenstheorie können zahlreiche Erscheinungen nicht gedeutet werden. Beispielsweise entdeckten Anthropologen in primitiven Gesellschaften naive Konzeptionstheorien, die besagen, daß das Kind nicht durch den Vater, sondern durch einen Geist verursacht werde12• Dennoch gibt es in den linguistischen Beziehungen zwischen Vater und Kind einen Ausdruck. Während Diamond13 kurzerhand erklärt: "The father is called a stranger, an outsider", fügt Malinowski'4 hinzu, daß er dennoch ein geliebter Freund sei und Autorität besitze, was aber nicht auf seine soziologische Stellung in ihrem Stammbaum zurückzuführen wäre. Dazu führt Murdock aus16 : "An earlier generation of anthropologists completly misunderstood rules of descent, assuming that they meant a recognition of certain genealogical ties to the exclusion of others, e. g., that a matrilineal people is either ignorant of, or chooses to ignore, the biological relationship of a child to its father. Science owes a debt to Rivers for pointing out that descent refers only to social allocation and has fundamentally nothing to do with genealogical relationships or the recognition thereof." Auch in der sprachlichen Entwicklung des Kindes verhält es sich ähnlich. Verschiedentlich ist darauf hingewiesen worden, daß das Kind anfangs nicht mit dem Wort die Kenntnis der biologischen Relation verbinde, so daß sich eine exakte Definition von Vater aufstellen lasse, die s Vgl. z. B. Malinowski (Verdrängung) 248. 8 Zu dieser Unterscheidung vgl. Lowie (Social Organization) 61 f. 10 Murdock (Social Structure) 91. 11 Thurnwald (Schriften) 73. n Malinowski (Verdrängung) 22; und (Custom) 101 u. 107 Anm. 1; Murdock (Social Structure) 15, 186 für australische Stämme. 13 Diamond (Evolution of Law) 45. u Malinowski (Verdrängung) 22; vgl. auch 109, 136; vgl. auch Malmberg (Communication) 154. 15 Murdock (Social Structure) 15, 185 f. 7*

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gerade das nicht zum Ausdruck bringe, was ein kleines Kind mit dem Wort "Vater" verbinde18. Weiterhin entdeckte man, daß einige primitive Gesellschaften für einen einzelnen Beziehungstyp zwei Ausdrücke haben, den einen, um die Beziehung zu bezeichnen, wenn man von ihr spricht, den anderen, um die betreffende Person anzureden17. Überträgt man diesen Gedanken auf unsere Bezeichnungen, so könnte man sagen, daß dem Wort "Mutter" zwei Funktionen zukommen. Die Beobachtung, daß Verwandtschaftsnamen überdies affektive Wirkungen haben, ist von Sprachwissenschaftlern18 und Juristen18 gemacht worden. Weitaus bedeutsamer ist aber in diesem Zusammenhang das Beobachtungsmaterial, das auf eine Beziehung zwischen Verwandtschaftsterminologie und Verhaltensmustern schließen läßt. Daß diese Beziehung oder gar Korrelation besteht, ist heute allgemeine Überzeugung der Anthropologen20. Uneinigkeit herrscht allerdings hinsichtlich der richtigen theoretischen Deutung21 . Einige Verwandtschaftsausdrücke bringen diesen Zusammenhang explizite zum Ausdruck. Greenberg22 erwähnt ein Makroseme, das bei den Apachen von den Männern benutzt wird, um die Verwandten der Frau zu bezeichnen; übersetzt besagt es: "those for whom I carry burdens". In anderen Fällen ergibt sich der Zusammenhang aus der Verwandtschaftsideologie der Gruppe. Felduntersuchungen haben gezeigt, daß in vielen primitiven Gesellschaften sprachlich fixierte Regeln das Verhalten gegenüber Verwandten festlegen. Instruktive Beispiele erwähnt Oliver23, der das Leben der Siuai erforscht hat. Dieser Stamm besitzt ein matrilineales System, und seine Angehörigen bezeichnen mit dem Wort "Mutter" auch andere weibliche Personen der Mutterlinie. Hinsichtlich der Verhaltensregeln gegenüber Müttern erklärte ein Nachbar des Forschers von der olympischen Höhe der Intelligenz eines Erwachsenen sprechend, wie Oliver hervorhebt: "We Siuai act the same toward all our mothers, but a child is not yet aware, and thinks of the woman who bore it as only mother." Tatsächlich sind aber die Verhaltensregeln für die Beziehung zwischen Mutter und Sohn stärker differenziert oder werden doch nicht immer in gleicher Weise befolgt. So berichtet24 ein Henzen (Wortbedeutung) 186. Vgl. z. B. Piddington (Social Anthropology) 126. 1s öhmann (Wortinhalt) 163. 19 Olivecrona (Legal Language) 170. 20 Vgl. z. B. Murdock (Social Structure) 106 ff.; Piddington (Social Anthropology) 124. 21 Murdock (Social Structure) 112, 118; Shlien (Kinship Terminology) 162 f., 16 17

169. 22

2s 24

Greenberg (Interferences) 10. Oliver (Kinship and Leadership) 248. Oliver (Kinship and Leadership) 250.

7.2 Die Benennung von Menschen

101

anderer Angehöriger desselben Stammes, daß er auf einer Reise in einem 15 Meilen vom Heimatdorf entfernten Ort rastete und einigen Männern erzählte, daß er hungrig sei. Diese fragten ihn nach seinem Totemtier und verwiesen ihn dann an eine alte Frau, die auch ein Hornvogel und deshalb seine Mutter wäre. Die Frau nahm ihn auch in ihr Haus und gab ihm etwas Sago. Aber, so schließt der Erzähler, der war sauer und es war auch nicht allzuviel; es war eben nur eine entfernte Mutter. Schließlich bestehen neben diesen offen liegenden verdeckte Beziehungen. Diese Tatsache scheint deshalb erwähnenswert zu sein, weil es sich im Bereich der europäischen Kulturen vielleicht ähnlich verhalten könnte. Es liegt auf der Hand, daß verdeckte Beziehungen nicht ohne weiteres erkannt werden können. Murdock25 berichtet von einer Felduntersuchung, die den Forscher zu der Überzeugung führte, daß bei dem betreffenden Stamm kein Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsnamen und Verhaltensmustern bestehe, erst bei einem zweiten Besuch stellte sich überraschenderweise das Gegenteil heraus. Daß also ein Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsausdrücken und Verhaltensmustern besteht, ist demnach eine Tatsache. Keine Klarheit besteht indes hinsichtlich der Art des Zusammenhanges, insbesondere kann man nicht recht erklären, wie es zu dieser Verbindung kommt. Umstritten ist bereits, welche Methode bei der Erforschung dieses Komplexes einzusetzen ist. Murdock26 hält eine semantische Untersuchung, die das Verhältnis zwischen den Wörtern und den dadurch bezeichneten Sachen klären will, für irrelevant, da sie nicht den Kern der Angelegenheit träfe. Das wirkliche wissenschaftliche Problem könne nicht darin bestehen, die Terminologie aus den Verhaltensmustern abzuleiten oder umgekehrt; vielmehr müsse man versuchen, die ursächlichen Faktoren für beide Erscheinungen außerhalb des Verwandtschaftsverhältnisses zu finden. Er vermutet27 , daß insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse die Ausbildung bestimmter sozialer Strukturen bewirken. Von diesen sozialen Strukturen hängt nach seiner Ansicht die Verwandtschaftsterminologie ab, denn Änderungen der sozialen Struktur führten nach einer gewissen Zeit auch zur Veränderung der Verwandtschaftsausdrücke28. Die von Murdock gemachten methodischen Vorschläge sind nicht so voraussetzungsfrei, wie sie vielleicht auf den ersten Blick scheinen mögen. Hinsichtlich der Bedeutung der Sprache beruhen sie nämlich auf Murdock (Social Structure) 111. Murdock (Social Structure) 112. 27 Murdock (Social Structure) 137. 28 Daß auch andere Faktoren wirksam werden können, wird von Murdock nicht übersehen. Shlien (Kinship Terminology) 162 ff. weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung psychischer Einflüsse hin. 25 26

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dem herkömmlichen SprachmodelL Zuerst ändern sich die tatsächlichen Verhältnisse, dann erkennt der Mensch die Veränderung und schließt den Vorgang mit der Namensgebung ab. Daß diese Auffassung die Schaffung eines Sprachlautes in einer Gemeinschaft nicht hinreichend erklären kann, ist an früherer Stelle dargelegt worden28 • Hingegen läßt sich der Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsausdrücken und Verhaltensmustern leicht verstehen, wenn man diese Frage vom kommunikationstheoretischen Standpunkt betrachtet. Die Verwandtschaftsausdrücke der primitiven Gesellschaften sind dann die Grundwörter bestimmter imperativer Kommunikationssituationen, die trotz der Differenzierung der sprachlichen Mittel immer noch in engem Zusammenhang mit Verhaltensregeln stehen. Diese Behauptung kann mit verschiedenen weiteren Gründen gestützt werden. Zunächst einmal läßt sie sich zwanglos mit der herkömmlichen Auffassung harmonisieren, wonach die Verwandtschaftsausdrücke bestimmte verwandtschaftliche Beziehungen benennen. Zu diesem Zweck ist das Denkmodell der verwandtschaftlichen Beziehung zu betrachten. In der deutschen Sprache wird regelmäßig zur Erklärung der Verwandtschaft das Wort "Blutsverwandtschaft" herangezogen30• Im Licht der heutigen Kenntnisse ist das eine recht naive Konzeptionstheorie31 , vergleicht man sie mit entwicklungsgeschichtlich früheren Auffassungen, so ist es hingegen eine sehr abstrakte Idee. Sie löst aus dem Komplex der konkreten und zeitlich andauernden Beziehungen zwischen zwei Menschen ein Element. Dieser Gedanke ist nur auf einer relativ hohen Entwicklungsstufe möglich. Der europäische Erwachsene kann ihn leicht denken; er vergißt aber, daß er erst durch einen langen Lernprozeß diese Fähigkeit erworben hat. Das Kind hat nämlich eine wesentlich andere Anschauung von dieser Beziehung. Werner32 hebt hervor, daß Kinder die Beziehungen in einer Familie nicht objektiv und unpersönlich verstehen, sondern sie von einem egozentrischen Standpunkt als konkrete Beziehung auffassen. Typisch sei die Ansicht eines Jungen, der zunächst richtig beantwortet habe, daß es zwei Brüder in der Familie gebe und daß er selbst einen Bruder Paul habe, der dann aber die Frage nach den Brüdern des Paul entschieden verneinte und auch durch logische Beweisführung nicht von der Unrichtigkeit seiner Antwort überzeugt werden konnte. Ob es sich in der Phylogenese ähnlich verhalten hat, kann nur vermutet werden. Einige Gründe machen es aber ziemlich wahrscheinlich. In primitiven Gesellschaften sind Beobachtungen gemacht worden, die 28 3o

31 32

Vgl. 6.2. Vgl. z. B. Staudinger-Lauterbach, § 1589 Anm. 1. Vgl. Smith (Kinship) 268. Werner (Psychology) 313.

7.2 Die Benennung von Menschen

103

dem von Werner mitgeteilten Befund der Kinderpsychologie entsprechen. Levy-Bruhl33 erwähnt eine Mitteilung Griersons, wonach im Nordosten Indiens die Idee eines abstrakten Vaters, der nicht Vater einer bestimmten Person ist, einen gewissen Aufwand an Nachdenken erfordert. In früheren Stadien der Entwicklung weisen demnach Verwandtschaftsausdrücke auf komplexe zeitlich andauernde Beziehungen zwischen zwei Personen hin. Das ist die Denkweise, die als diffus gekennzeichnet wurde. Alsdann ist es leicht verständlich, daß eine derartige Anschauung der Verwandtschaftssituation auch das Verhalten der Partner einschließt. In einem frühen Stadium der Entwicklung gehören der Gedanke der (konkreten) Beziehung und die Verhaltensregel eng zusammen. Im Laufe der Entwicklung führen Abstrahierung und Differenzierung zu einer immer stärkeren Trennung, die in der heutigen Theorie der Verwandtschaft vollendet ist. Daß zumindest einige Verwandtschaftsausdrücke Grundwörter wichtiger imperativer Kommunikationssituationen sind, ist durch Beobachtungen gesichert. Hinsichtlich des Ausdrucks "Mama" war bereits an früherer Stelle gesagt worden, daß das Kind damit nicht die Anwesenheit einer Person anzeigen will, sondern vielmehr damit eine vertraute Person auffordert, eine (bestimmte) Handlung vorzunehmen34 • Hierher gehören auch die von Oliver36 berichteten Beispiele. Wenn der erwachsene Siuai sagt, daß das Kind glaube, es habe nur eine einzige Mutter, so bedeutet das nicht nur, daß das Kind noch lernen müsse, andere weibliche Personen des Stammes richtig anzureden, sondern es geht in erster Linie um den Erwerb von Verhaltensmustern gegenüber diesen Personen. Die Bitte nach Nahrung führt sofort zur Suche nach der Mutter, denn diese hat die Pflicht, ohne daß das ausgesprochen werden müßte, bestimmte Stammesangehörige zu sättigen. Wenn Handlungen verlangt werden, wird die Verwendung des Verwandtschaftsausdruckes allein allerdings nur dann zu einer ausreichenden Verständigung führen, wenn die geforderte Handlung aus der Situation geschlossen werden kann. Eher kann diese Kommunikationstechnik bei einem Verbot eingesetzt werden. Einige primitive Stämme benutzen das Wort "Schwester", um auszudrücken, daß eine Angehörige des Stammes zu der verbotenen Klasse weiblicher Personen gehöre36 • Auch dem europäischen Erwachsenen wird einleuchten, daß es sich dabei nicht um eine theoretische Belehrung handelt. ss Levy-Bruhl (Denken der Naturvölker) 144. 34 Revesz (Vorgeschichte der Sprache) 219; vgl. dazu Spitz (Response) 59. 33 Oliver (Kinship and Leadership) 248 ff. ae Hallowen (Perception) 174.

104

7

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Da in den primitiven Gesellschaften und in der sprachlichen Entwicklung des Kindes ein mehr oder minder starker Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsterminologie und Verhaltensmustern beobachtet werden kann, der seine Erklärung in der Entstehung des Sprechens in imperativen Kommunikationssituationen findet, dürfte es sinnvoll sein, die Frage zu stellen, ob in höheren Kommunikationssystemen Reste dieses Zusammenhanges aufgefunden werden können, insbesondere aber, ob die Auslegungstechniken der Juristen dadurch beeinflußt werden. Olivecrona37 scheint dies zu vermuten, wenn er das auch nur in Form einer Frage kleidet. Die herkömmliche Ansicht zwingt tatsächlich auch zu vorsichtiger Zurückhaltung. Nur Sätzen legt man regelmäßig imperativische Wirkung zu. Wird ein Verb isoliert als Imperativ gebraucht, spricht man deshalb von einem Einwortsatz38• Wörter, dieNamen sind, haben hingegen eine Bedeutung oder bezeichnen einen Begriff. Eine imperativische Wirkung läßt sich mit dieser Auffassung nicht vereinbaren. Diese Eigenschaft ließe sich auf der Grundlage dieser Anschauung kaum nachweisen, weil die berücksichtigten Methoden sich auf eine Betrachtung isolierter sprachlicher Erscheinungen beschränken. Die Bemühungen der Anthropologen zeigen aber, daß es des Einsatzes kombinierter Methoden bedarf. Ob beim erwachsenen Menschen der europäischen Gesellschaften der Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsnamen und Verhaltensmustern besteht, ließe sich nur durch Untersuchungen aller einschlägigen Disziplinen mit größerer Sicherheit sagen. Beim beruflich handelnden Juristen vereinfacht sich dagegen die Angelegenheit. Seine Reaktionen auf Regeln, die Verwandtschaftsbezeichnungen enthalten, bestehen überwiegend in sprachlichen Äußerungen, wie es insbesondere beim erkennenden Richter der Fall ist. Griffe der Jurist bei der Interpretation einer Vorschrift auf die verwandtschaftliche Beziehung zurück, um das angestrebte Ergebnis zu rechtfertigen, spräche das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für den vermuteten Zusammenhang. Es ist nicht zu erwarten, daß derartige Entscheidungen häufig sein werden. Die heutige europäische Gesetzgebungstechnik mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen erlaubt in der Mehrzahl der Fälle die Ableitung der Entscheidung, ohne daß es grundlegender Überlegungen bedürfte. Nur wenn eine gesetzliche Regelung gänzlich fehlt, eine Regel unvollständig ist oder ihre Verbesserung für nötig erachtet wird, ist es üblich, auf die tragenden Grundlagen zurückzugehen. 37 Olivecrona (Legal Language) 170: "We have not to look far to find nouns loaded with emotional qualities besides denoting realities. This is the case with such words as father and mother. But don't these words also carry with them a tendency to infiuence behavior?" ae Porzig (Sprache) 109 ff.

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Die Bestrebungen zur Reform der Rechtsstellung der unehelichen Kinder waren für einige Autoren der Anlaß, sich in grundlegender Weise mit den Beziehungen dieser Kinder zu ihren Eltern zu beschäftigen. Ein häufig gewählter Ausgangspunkt ist die Bestimmung des § 1589 Abs. 2 BGB. Danach gelten ein uneheliches Kind und dessen Vater als nicht verwandt. Über den Inhalt der Vorschrift besteht seit jeher Streit. Wie an früherer Stelle ausgeführt wurde, besagt eine alte und verbreitete Annahme der europäischen Wissenschaftstheorie, daß bestimmte Sprachstrukturen der Wirklichkeitsstruktur entsprechen31 • Dies gilt insbesondere von dem Satz, der ein Subjekt mit einem Prädikat durch den Existenzfunktor "ist" verknüpft. Die Verwendung des Ausdrucks "gilt" bezweckt unter anderem, unrichtige Existenzaussagen zu vermeiden; dennoch wird über den sachlichen Inhalt derartiger Sätze gestritten. Hingegen ist die gesetzestechnische Funktion dieser Vorschrift relativ eindeutig; sie sagt dem ausgebildeten Juristen, daß gewisse Rechtssätze, die die Beziehungen zwischen Vater und Kind regeln, nicht anzuwenden sind40 • Soweit in diesen Sätzen die Rechte und Pflichten der beiden Personen bestimmt sind, handelt es sich um sprachlich fixierte Verhaltensmuster, die nach der Vorschrift des § 1589 Abs. 2 BGB nur für eine Teilklasse der Väter gelten. Will man diese Rechtssätze auch auf die Beziehungen des Vaters zu seinem unehelichen Kind anwenden, so muß man nur die Bestimmung des §1589 Abs. 2 BGB streichen oder ändern. Einen hinreichenden und ausreichenden Grund scheint die Regel des ersten Absatzes zu bieten; denn hiernach begründet die Abstammung die Verwandtschaft. Daß Abstammung den blutsmäßigen Zusammenhang meint, wie es unter Verwendung des Vokabulars älterer Konzeptionstheorien ausgedrückt wird, ist allgemein anerkannt . ls weiterer Grund ließe sich anführen, daß die Urheber der derzeit gelte • en gesetzlichen Regelung die Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters uf das durch die Zeugung geknüpfte natürliche Band gestützt haben, da die natürliche und sittliche Pflicht des Vaters begründe42 • Gegner einer Reform oder einer zu weit gehenden Reform erklären, daß der Begriff "Abstammung" sich nur auf eheliche Kinder bezöge43 oder daß die Beziehungen des Vaters zu seinen ehelichen Kindern von anderer Art seien. Eine rein biologische Betrachtungsweise ginge am Wesentlichsten vorbei, schreibt Dunz44 • Nicht der biologische Vorgang der Zeugung rechtfertige die Stellung der ehelichen Eltern, sondern die 30

Vgl. 6.4.

•u Vgl. dazu Engisch (Einführung) 12 ff. 41 Vgl. z. B. Staudinger-Lauterbach, § 1589 Anm. I 1.

n (Motive) 460. •a Vgl. Staudinger-Lauterbach, § 1589 Anm. 10. 44 Dunz (Reform) 1474/5.

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sittliche Natur des Eltern-Kind-Verhältnisses. Wollte man z. B. dem unehelichen Kind eine Unterhaltspflicht gegenüber seinem gealterten Erzeuger auferlegen, der dem Kind keinen Pfennig gezahlt habe, wäre dies ein reiner Chromosomenpositivismus, der das Ende einer familiengerechten Betrachtungsweise bedeute. Der Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsterminologie und Verhaltensmustern tritt in diesen Äußerungen klar hervor. Für die Geltung beziehungsweise die Nichtgeltung bestimmter Rechtssätze wird neben anderen Gründen vorgebracht, eine Person sei oder sei nicht der Vater. Diese Begründung entspricht in der Gedankenführung ziemlich genau der Erklärung des erwachsenen Siuai, der bemerkte, die Kinder des Stammes wüßten natürlich noch nicht, daß sie außer ihrer leiblichen Mutter noch andere Mütter hätten. Allerdings bestehen gewisse Unterschiede. Beim Stamme der Siuai sind die Verwandtschaftsausdrücke und die dazu gehörigen Verhaltensregeln relativ fest verbunden. Der erwachsene Siuai weiß auch um diesen Zusammenhang. So machte Olivers Informant bei der Darlegung seiner Muttertheorie sofort die Einschränkung, daß die sich daraus ergebende Folgerung, gegenüber allen Müttern ein gleichmäßiges Verhalten zu beachten, nicht im gleichen Maße für die Beziehungen zu den entfernten Müttern gelte. In den europäischen Sprachgemeinschaften ist diese Trennung viel stärker ausgebildet. Die meisten Erwachsenen würden gewiß den Zusammenhang verneinen. Auch für geschulte Wissenschaftler dürfte das zutreffen; die Aufmerksamkeit, die diese Erscheinung in den primitiven Gesellschaften gefunden hat, wird doch dadurch hervorgerufen, daß man glaubt, eine Besonderheit der eigenen Kultur gegenüber feststellen zu müssen. Die hier bedeutsame Gesetzgebungstechnik geht in der Trennung sogar noch einen Schritt weiter, zahlreiche wichtige Verhaltensregeln nicht dem einzelnen Verwa tschaftsausdruck zugeordnet werden, sondern mit dem Wort "Ver ndtschaft" verknüpft werden. Die Herleitung von Pflichten aus der I e der Verwandtschaft bewirkt, daß Differenzierungen45 der Verhaltensregeln verlorengehen. Dieser Verbindung entspräche es, daß auch für alle Abstammungsverhältnisse gleiche Pflichten gelten. Tatsächlich werden aber seit jeher verschiedene Verhaltensmuster bei gleichen Abstammungsverhältnissen angewendet", weil nämlich die Abstammung nur einer von vielen Fak43 Zur sozialen ·Bedeutung der Differenzierung vgl. Chang Tung-Sun (Theory of Knowledge) 222. n Daß schon früher das Bedürfnis bestand die verschiedenen Arten der Kinder zu unterscheiden, zeigen einige alte Ausdrücke. Echt aus ahd ehaft abgeleitet diente zur Kennzeichnung der gesetzlichen Kinder; so z. B. im Sachsenspiegel, Erstes Buch, Art. XVI. Für die Unterscheidungen in der griechischen Sprache vgl. SeheHer (Ehelich) 399; für die nordischen Sprachen Malmström (Children) 126.

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torenbei der Ausbildung von Verhaltensweisen ist47 • Die Anknüpfungstechnik des BGB erweckt hingegen den Eindruck, daß nur die Bande des Blutes ausschlaggebend seien. Diejenigen, die diese Auffassung annehmen, werden dadurch der Möglichkeit beraubt andere relevante Faktoren zu beachten, um zu einer zweckmäßigen und wünschenswerten Anpassung an die jeweiligen sozialen Verhältnisse zu gelangen. Allerdings ist hier noch auf einen möglichen Einwand einzugehen. Die Aufstellung einer aus der natürlichen Abstammung folgenden sittlichen Pflicht brauchte nämlich nicht der Differenzierung der Verhaltensweisen entgegenzustehen. Diese sittliche Pflicht könnte, wie Dei Vecchio es ausdrückt, einen allgemeinen und unwiderlegbaren Grundsatz des Rechtes oder der Sittlichkeit darstellen, der nur von denen geleugnet werden könne, die dem Skeptizismus oder dem Empirismus verfallen wären48 • Aus der Idee des Vaters oder der der guten Mutter müßten demnach wesentliche und allgemein geltende Verhaltensweisen abgeleitet werden können. Diesem Gedanken sind Edels49 in ihrer anthropologischen Untersuchung der Grundlagen der Ethik und ihrer Verschiedenheiten nachgegangen. Die Idee der guten Mutter bildet ihr Hauptbeispiel50, denn im Falle der Mutterschaft könne wegen der Gleichheit der Bedingungen am ehesten die Ausbildung allgemeiner und gleicher Verhaltensmuster erwartet werden. Die Sorge für das Kind sei einerseits erforderlich für das Überleben der Gemeinschaft, andererseits gewähre sie der Mutter aus tiefverwurzelten physischen und psychischen Gründen Befriedigung. Ein Kreuz-Kulturvergleich zeige aber, daß die erwartete Gleichförmigkeit des Verhaltens nicht bestehe. Das tatsächliche Verhalten einer guten Mutter in einer Kultur könne die Mutter einer anderen Kultur entsetzen und empören. Zum Beispiel würde das Verfahren eines Indianerstammes, den Kindern Wasser in die Nase zu flößen, um ihr Geschrei zu beenden, die meisten Amerikaner schaudern lassen, da es ihnen ein reiner Akt der Grausamkeit zu sein schiene. Indes wäre es falsch, einen derartigen Schluß aus dieser einzelnen Beobachtung zu ziehen, weil die allgemeine Haltung gegenüber den Kindern für das Gegenteil spräche. Dieser so grausam erscheinende Einzelzug könne nämlich nur dann richtig verstanden werden, wenn man den Kontext berücksichtige. Dann zeige sich aber, daß es in einer feindlichen Umwelt die Vernichtung des Stammes zur Folge haben könne, wenn es nicht gelinge, ein schreiendes Kind plötzlich zum Schweigen zu bringen. Dieser Umstand lasse das so wirksame Verfahren bei der Erziehung '7

Murdock (Social Structure) 109.

•a Del Vecchio (Naturrecht) 58.

Edel (Anthropology). Edel (Anthropology) 27 ff. u. 37 ff.; vgl. auch Muller (Familie) 11; David und Snyder (Behavior) 67; Post (Ethnologische Jurisprudenz) 19 f.; Malinowski (Kulturwandel) 93. 48

50

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kleiner Kinder in einem anderen Licht erscheinen; es möge sogar harmloser sein als manche unserer Methoden. Diese Untersuchung weist überzeugend nach, daß es nicht möglich ist, aus der Idee der guten Mutter grundlegende und deshalb allgemeingültige Verhaltensmuster bestimmten Inhaltes abzuleiten. Das gleiche gilt hinsichtlich der sittlichen Pflicht, die aus der natürlichen Abstammung folgen soll. Weder ist es möglich, diesem Satz eine grundlegende und deshalb allgemeingültige Minimalverpflichtung zu entnehmen, noch ist es möglich, aus ihm als Obersatz einzelne bestimmte Verhaltensmuster abzuleiten. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Gebrauch von Verwandtschaftsausdrücken in Gesetzen den Empfänger zur Verbindung mit Verhaltensmustern und den dazu gehörigen sprachlichen Regeln veranlaßt, die im Zusammenhang mit den Verwandtschaftsausdrücken gelernt worden sind. Diese Reaktionen werden auf die Entscheidung meist nur einen geringen oder gar keinen Einfluß haben, weil fast immer der Rückgriff auf Regeln möglich sein wird, die für ähnliche Fälle entwickelt worden sind. Fehlt es an derartigen Regeln oder sind sie nicht ausreichend bestimmt oder wünscht man die Veränderung bestehender oder die Schaffung neuer Regeln, kann die Reaktion auf die Verwandtschaftsausdrücke für den Inhalt der Entscheidung bedeutsam werden. Da in diesen Fällen bewußt oder unbewußt keine Anlehnung an bestimmte Regeln erfolgt, vermittelt hier der Verwandtschaftsausdruck nur eine allgemeine und unbestimmte Aufforderung; es handelt sich also um einen Fall diffuser Kommunikation. Dies wird dem Empfänger regelmäßig nicht bewußt sein. Die Technik des Gesetzes und die theoretischen Belehrungen mögen den Empfänger in den Glauben versetzen, daß er in derartigen Fällen in klarer Erkenntnis des Inhaltes des Gesetzes dessen Willen bewußt verwirkliche. Diese Haltung VE'rmag indes einer vorwiegend rationalen Anpassung hinderlich zu sein. Was hier hinsichtlich der Verwandtschaftsausdrücke gesagt worden ist, trifft in manchen Fällen auch für andere Personenbezeichnungen zu. Als Beleg mögen einige Stellen aus einer Untersuchung dienen, die die Bedeutung der sozialen Rolle am Beispiel des guten Kaufmanns erläutertst. Unter der Überschrüt "Das Sein der sozialen Rolle als Gegenstand rechtlicher Auslegung" heißt es unter anderem: "Im Worte ,guter Kaufmann' ist der Sachverhalt des Handeins als Kaufmann gefaßt, so daß der Kaufmann, ontologisch verstanden, auf Möglichkeiten seines Handeins als Kaufmann hin verstanden ist: darin müssen schon mögliche Situationen mitverstanden sein, in denen man ~~

Philipps (Soziale Rolle) 31 ff.

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als Kaufmann verantwortlich handeln soll. Anders gesagt: weil es ein bestimmtes Verhältnis von eigener Interessenverfolgung und fremder Verhaltenserwartung ist, was in der personalen Bedeutung der Attribution hypostasiert ist, so muß man, um den Ausdruck zu verstehen, schon einiges von den wesentlichen Situationen verstanden haben, in denen dies Ausgleichsverhältnis angesprochen und verwirklicht wird.... Durch ein jedes Auftreten von Umständen, die das Verhältnis von eigener Interessenverfolgung und fremder Verhaltenserwartung berühren, wird das allgemeine Vorverständnis des guten Kaufmanns, was es bedeutet, als Kaufmann zu handeln, herausgefordert, und eine eingehende Auslegung verlangt: was es gerade in dieser Situation bedeute." Dann wendet er sich der Frage zu, ob eine Willenserklärung wirksam wird, wenn der Kaufmann verreist ist, ohne einen Vertreter bestellt zu haben; hierzu wird gesagt: "Wir lassen hier die sachlichen Gründe der Entscheidung auf sich beruhen und verfolgen nur, wie im Vorgang der Auslegung die Forderung aus der Wurzel der ontologischen Attribution herauswächst: Ein (ordentlicher) Kaufmann, der verreist ... - die Sozialperson ist in eine Situation gestellt. Dadurch verengt sich die unbestimmte Vielzahl der im Vorverständnis des guten Kaufmanns entworfenen Möglichkeiten des Verhaltens dergestalt,. daß die noch in Frage kommenden in den Blick genommen werden können. Das Sein des Kaufmanns, dessen Sinn sich im Handeln als Kaufmann konstituiert, wird auf die Notwendigkeit des Handeins gerade in dieser Situation hin ausgelegt: Ein ordentlicher Kaufmann, der verreist, trüft Sorge dafür, daß Briefe ihn oder seinen Vertreter erreichen. Die Situation wird in der Attribution notwendig in der Weise erfaßt, daß sie zugleich auf die Zukunft hin überschritten wird. Wie die metaphorische, so begreift auch die ontologische Attribution die Wirklichkeit, indem sie zu ihr in ein Spannungsverhältnis tritt. Aber diese Spannung besteht nicht wie bei der Metapher darin, daß etwas im Vorhandenen gesehen nicht so ist, sondern darin, daß es- im Vorhandenen gesehen- noch nicht so ist, aber so sein soll62." Die in diesen Äußerungen erkennbaren wissenschaftstheoretischen Ansichten und die interessante Zerlegung des Denkvorganges rechtfertigen die ausführliche Wiedergabe. Philipps gibt sich nämlich als Anhänger der von Husserl begründeten phänomenologischen Methode zu erkennen, was bereits aus den angeführten Stellen hinreichend deutlich wird. Für diese bildet die Sprache ein Abbild der Wirklichkeit, so daß es möglich ist, aus der Sprache selbst Erkenntnisse über die Erscheinungen und Vorgänge in der Welt zu erlangen53• Diesen Gedanken überträgt Philipps auf die imperativische Wirkung der Wörter. Obwohl er 51

58

Philipps (Soziale Rolle) 33. Husserl (Logik) Bd. 2, Tl. 1, 9 ff.; Heidegger (Sein und Zeit) 27.

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an späterer Stelle von einer lückenfüllenden Auslegung spricht5', die mit der Idee der Schaffung einer neuen Regel verbunden ist, geht aus dem Zusammenhang der wiedergegebenen Ausführungen doch hervor, daß die verschiedenen konkreten und bestimmten Verhaltensregeln bereits in dem Ausdruck "guter Kaufmann" enthalten sind und demzufolge auch erkannt werden können. Tatsächlich verhält es sich doch aber so, daß das aus der Kenntnis wesentlicher Situationen herrührende Vorverständnis des Ausdrucks "guter Kaufmann" lediglich das Lernen bestimmter Verhaltensregeln für verschiedene Situationen bedeutet. Die Unkenntnis der Gehirnvorgänge bewirkt dann, daß diese Verhaltensregeln als Inhalt des Ausdrucks selbst erscheinen, obwohl nur ein durch Lernprozesse aufgebauter Zusammenhang besteht. Dieser Zusammenhang führt dann dazu, daß die Verwendung des Ausdrucks "guter Kaufmann" in neuen Situationen eine imperativische Wirkung entfaltet, die den Richter veranlaßt, eine neue Regel für das Wohlverhalten des Kaufmanns in dieser Situation zu geben. In dieser allgemeinen und deshalb unbestimmten Aufforderung zu einer Anpassung erschöpft sich die Bedeutung des Ausdrucks; die Annahme, daß ihm durch einen rationalen Erkenntnisprozeß die für die Situation erforderliche Regel entnommen werden könne, beruht auf einer Selbsttäuschung. 7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens 7.3.1 Methodische Vorbemerkung

Zwar dienen wegen der Priorität der imperativen Kommunikationssituation letztlich alle Kommunikationstechniken der Bestimmung menschlichen Verhaltens. Der Prozeß der Differenzierung hat aber bewirkt, daß in entwickelten Sprachgemeinschaften die einzelnen Kornmunikationstechniken diesen Zweck in sehr verschiedener Weise anstreben. Wie am Beispiel der Verwandtschaftsterminologie gezeigt wurde, kann der Zusammenhang so stark abgeschwächt sein, daß er auch dem Wissenschaftler verborgen bleiben kann. In anderen Fällen bedarf es hingegen keiner großen Anstrengung, um zu erkennen, daß die Kommunikationstechnik fremdes Verhalten steuern soll. Nur derartige offene Verhaltensbestimmungen sollen im folgenden Abschnitt berücksichtigt werden. Daß sie auf dem Gebiete des Rechts besonders zahlTeich sind, überrascht nicht, da es sich um den wichtigsten Anwendungsbereich dieser Kommunikationstechnik handelt. Wegen ihrer großen sozialen Bedeutung, die darin liegt, daß sich die Partner mit ihrer Hilfe über das Ver54

Philipps (Soziale Rolle) 33.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

111

halten in künftigen Situationen verständigen können, haben sie schon immer das Interesse der Rechtswissenschaftler erregt. Nicht wenige juristische Untersuchungen beschäftigen sich mit sprachlichen Problemen; häufig gelangen diese zu dem Ergebnis, daß die sprachlich fixierte Regel verändert werden müsse. Offensichtlich haben derartige Reformvorschläge vor allem für den Verständigungsprozeß Bedeutung. Das wird indes nicht immer hinreichend klar gesehen oder aber zumindest nicht hinreichend deutlich ausgesprochen. Seine Erklärung findet das in der Tatsache, daß das Instrument einschlägiger Untersuchungen das überkommene Sprachmodell ist. Da es erkenntnistheoretisch orientiert ist, hat die Verständigung in ihm keinen Platz. Die Untersuchungsmethode ist deshalb dem Problem nicht angemessen. Die Ergebnisse sind in kommunikationstechnischer Hinsicht belanglos; überdies überraschen sie sehr oft. Die konsequente Durchführung des ontologischen Gesichtspunktes führt regelmäßig zu der Einsicht, daß dem zu untersuchenden juristischen Ausdruck ein Gegenstück in der Welt fehle, so daß sich die Folgerung aufdrängt, der Ausdruck sei bedeutungslos. Daraus ergibt sich dann fast zwangsläufig der nächste Schritt, nämlich den Unnamen aus der Sprache des Rechts zu entfernen1 • Das aber ist weiter nichts als die erstaunte Reaktion des Wissenschaftlers, der erkennen muß, daß sich nicht alle Ausdrücke dem Sprachmodell niederer Ordnung fügen. Die oft erhobene Forderung, die Sprache des Rechts in eine Sprache der Tatsachen umzuwandeln, ist deshalb sinnlos und nicht durchführbar. Solche Irrtümer sind vermeidbar, wenn die Untersuchung vom kommunikationstheoretischen Standpunkt her entwickelt wird. Die Berücksichtigung des verfolgten Zwecks, die Beachtung der Kommunikationssituation und anderer Umstände ermöglichen eine sinnvolle Differenzierung. Am Beispiel der Straßenverkehrsvorschriften kann das leicht gezeigt werden. Mit ihnen will der Gesetzgeber das Verhalten in künftigen Verkehrssituationen steuern. Weil die heutigen Verkehrsverhältnisse von komplexer Beschaffenheit sind, müssen sich die Anweisungen auf die verschiedenartigen Verkehrssituationen beziehen und in einer Weise erteilt werden, die Mißverständnisse nach Möglichkeit ausschließt. Da sich der Gesetzgeber weiterhin mit diesen Vorschriften an die Mitglieder der Gemeinschaft wendet, muß er auf Kommunikationstechniken zurückgreifen, die bereits vor einer speziellen juristischen Ausbildung vermittelt werden. Alle diese Gesichtspunkte sind in der Bestimmung des § 19 Abs. 3 der StVO zu entdecken. Eine über die Fläche des Fahrzeuges nach hinten ragende Ladung ist nicht einfach zu kennzeichnen, sondern die Vorschrift bestimmt: "Ragt die Ladung nach hinten mehr als einen Meter über die Schlußleuchten hinaus, so ist ihr äußerstes Ende durch mindestens eine hell1

Vgl. die Zusammenstellung bei Cohen (Legal Conscience) 48.

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rote, nicht unter 200 X 200 Millimeter große, durch eine Querstange, auseinandergehaltene Fahne oder durch ein etwa gleichgroßes, hellrotes, quer zur Fahrtrichtung pendelnd aufgehängtes Schild, vom Hereinbrechen der Dunkelheit an, oder wenn die Witterung es erfordert, durch mindest eine rote Leuchte kenntlich zu machen." Hat der Verkehrsteilnehmer die Regel gelernt, was durch den Verkehrsunterricht erreicht werden soll, kann er diese Anweisung in der fraglichen Situation ziemlich genau befolgen, da die zum Verständnis erforderlichen Kommunikationstechniken bereits dem Heranwachsenden vermittelt worden sind. Die Bestimmung der Fahnengröße knüpft an die durch Konvention verbindlich gemachte und in der Schule gelehrte Technik des Messens und Schätzens an. Die Bestimmung der Farbe setzt voraus, daß die Farbdiskriminierung der zweiten und dritten Stufe gelernt worden ist. Im Gegensatz zur ersten ist diese Anweisung von geringerer Präzision, da die Technik der Farbbestimmung nicht durch Konvention normiert ist. Diese bereits an früherer Stelle2 behandelten Kommunikationstechniken werfen keine spezifisch juristischen Probleme auf, weil sie wie soeben gesagt wurde, bereits in der vorjuristischen Ausbildung vermittelt werden. Zwar finden sie bisweilen auch die Aufmerksamkeit des Juristen, so wenn der Richter in Zweifelsfällen die Vorschrift auslegt, dieser Umstand allein rechtfertigt es jedoch nicht, von juristischen Kommunikationstechniken zu sprechen. Ganz anders verhält es sich hingegen, wenn der Gesetzgeber sich in erster Linie an den Richter wendet, um ihn durch eine Vorschrift zu einer bestimmten Beurteilung menschlichen Verhaltens zu veranlassen. Hier sind die Kommunikationsbedürfnisse von anderer Art als in dem soeben erwähnten Fall. Bei der Regelung des Straßenverkehrs ist dem Gesetzgeber daran gelegen, für eine Vielzahl unterschiedlicher Situationen verschiedene und genau bestimmte Handlungsweisen vorzuschreiben. Demzufolge greüt er auf die Kornmunikationstechniken zurück, die zu einer möglichst großen Übereinstimmung von Sender und Empfänger führen. Schlüge man diesen Weg der Differenzierung bei den Regeln ein, die dem Richter die Beurteilung menschlichen Verhaltens abverlangen, so käme man zu einer ständigen und erheblichen Vermehrung der Vorschriften, ohne jedoch sicherzustellen, daß die im Einzelfall benötigte Vorschrüt vorhanden wäre. Selbst ein idealer mit außerordentlichen Kenntnissen und fruchtbarer · Phantasie begabter Gesetzgeber wäre nicht in der Lage, alle künftigen Situationen und die für diesen Fall erforderlichen Handlungen vorauszusehen. Da aber der Richter in jeglichem Fall gezwungen ist, eine Entscheidung zu treffen, stünde er beim Fehlen einer geeigneten Regel vor der Alternative, entweder die rechtliche Relevanz der zu beurteilenden 2

Vgl. 6.2.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

113

Handlung zu verneinen3 oder aber in der Vielzahl der vorgegebenen Regeln ein Muster zu entdecken, das die Schaffung einerneuen für diese Situation geeigneten Regel erlaubte. Den letzten Weg würde ein Richter aber nur mit Zögern beschreiten, sofern ihm seine Handlungsweise bewußt wird, weil die Theorie der Rollenverteilung diesen Weg verbietet. Ein Ausweg aus diesem Dilemma eröffnete sich aber, wenn Kommunikationstechniken eingesetzt werden könnten, die trotz fehlender Differenzierung hinlänglich genaue Verhaltensanweisungen ermöglichten. Nach den Lehren der herkommliehen Wissenschaftstheorie kann dieses Ziel durch die Verwendung abstrakter Begriffe bei der Beschreibung menschlichen Verhaltens erreicht werden. Zwei Eigenschaften vor allem sollen sie zu diesem Zweck tauglich machen. Ihre Geltung für künftige, bislang unbekannte Situationen folgt daraus, daß sie von vornherein darauf angelegt sind, eine Vielzahl von Tatsachen zusammenzufassen4 • Die Eignung hierzu erlangen sie durch die Bearbeitung. Deshalb ist der Abstraktionsprozeß in einer Sprachgemeinschaft der Weg des Fortschritts5 und abstrakte Ausdrücke gehören zu einer höheren Stufe der Entwicklung. Damit ist gleichzeitig gesagt, daß die Verwendung abstrakter Ausdrücke den Verständigungsprozeß nicht beeinträchtigt. Wissenschaftliche Bearbeitung schließlich verwandelt sie in Präzisionsinstrumente der Kommunikation8 • Zu diesen Ausdrücken darf man auch die in Gesetzen zur Beschreischreibung menschlichen Verhaltens verwendeten Wörter "rechtswidrig", "widerrechtlich" 7, "vertreten" 8, usw. zählen. Ob alle diese Ausdrücke den soeben aufgezählten Voraussetzungen genügen, darf bezweifelt werden. Auftretenden Schwierigkeiten kann aber begegnet werden, wenn auf die jeweiligen Besonderheiten bestimmter Wörter hingewiesen wird. Der Ausdruck "widerrechtlich" ist besonders häufig Gegenstand juristischer Erörterungen. Entsprechende Ausdrücke gibt es überdies in vielen europäischen Rechtssprachen. Deshalb sollen die durch diesen Ausdruck vermittelten Kommunikationstechniken behandelt werden. Daß dieser Ausdruck in der Bestimmung des § 823 BGB unentbehrlich sei, wird wohl selten ausdrücklich gesagt werden. Mit größter Sicherheit kann aber vermutet werden, daß dies die herrschende Ansicht ist. Allein die zahlreichen Untersuchungen dieses Wortes rechtfertigen die Vermutung. Allerdings gibt es auch Autoren, die die Nützlichkeit des a Vgl. dazu Kelsen (Rechtslehre) 251 ff. • Vgl. Klaus (Logik) 140, 160. a Albrecht (Sprache und Denken) 77. e Vgl. Neumann-Duesberg (Sprache) 123 und die kritischen Bemerkungen Weisgerbers (Muttersprache) 62 ff. 7 § 823 BGB, Art. 41, 66 OR, § 1294 ABGB. 8 § 276 BGB. 8 Horn

114

7 Juristische Kommunikationstechniken

Begriffes für die juristische Kommunikation bestreiten. Merz8 , der diesen Ausdruck unter dem Gesichtspunkt des Rechtsquellenproblems behandelt, behauptet, daß er überflüssig und entbehrlich sei. Einerseits vermittele er dem Richter nicht die erforderlichen Informationen, die er brauche, um widerrechtliche von den erlaubten Schädigungen zu unterscheiden, andererseits würde sich die Rechtspraxis nicht ändern, wenn die Vorschrift des Art. 41 ORden Ausdruck nicht enthielte, denn unvermeidlich sei die Überlegung, daß es rechtmäßige Handlungen gebe. Die Untersuchung der hier geübten Kommunikationstechniken muß außer den juristischen Theorien auch die juristische Praxis im Umgang mit diesen Ausdrücken beachten. Der in der Untersuchung verfolgte Zweck macht es allerdings nicht erforderlich, Einzelheiten der juristischen Theorien zu wiederholen, weil es an dieser Stelle ausreicht, einige der wichtigen Grundgedanken herauszuarbeiten. Dieses Verfahren empfiehlt sich auch deshalb, weil die Vielzahl der juristischen Auslassungen zu diesem Problem kaum noch zu übersehen ist. Ein erster in diesen vielfältigen Äußerungen auftauchender Grundgedanke entstammt dem klassenlogischen Denken. Der Ausdruck wird auf menschliche Handlungen bezogen, die durch diesen Ausdruck in zwei Klassen geschieden werden können. Dem rechtswidrigen Verhalten wird das rechtmäßige Verhalten gegenübergestellt. Diese Unterscheidung führt dann zu der Frage, wie ein bestimmtes menschliches Verhalten, das sich in der Vergangenheit abgespielt hat, zu beurteilen ist, damit es einer der beiden Klassen zugewiesen werden kann. Handelt es sich um Handlungen, die einem bereits klassifizierten Verhalten in verschiedenen Beziehungen ähnlich sind, kann die Zuordnung auf Grund dieses Vergleichs verhältnismäßig einfach bewerkstelligt werden. Ist aber ein Vergleich nicht möglich, weil vergleichbare frühere Handlungsbeschreibungen nicht zur Verfügung stehen, muß der Richter ein anderes Verfahren einschlagen. Es besteht darin, daß er nach der Bedeutung oder dem Bet{riff dieses Wortes fragt, um auf diese Weise den Maßstab zu erlangen, an dem bisher noch nicht beurteiltes Verhalten gemessen werden kann. Im Anschluß an die eingeführte Terminologie der Wissenschaftstheorie soll von inhaltslogischem Denken gesprochen werden. 7.3.Z Die Bedeutung des Ausdrudts "widerrechtlich" vom Standpunkt klassenlogischen Denkens

Von Dei Vecchio stammt eine klare Formulierung dieses Gedankens. Er lehrt!, daß die Scheidung des Erlaubten vom Unerlaubten eine logische Form des Rechts bilde, die in allen Veränderungen der historisch u

1

Merz (Widerrechtlichkeit) 306, 323. Del Vecchio (Rechtsvergleichung) 6.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

115

bedingten Rechtssysteme erhalten bliebe. Dieser Satz ist vom Standpunkt der in den europäischen Sprachen entwickelten Theorien eine Selbstverständlichkeit. Der in diesem Sprachbereich aufgewachsene Rechtswissenschaftler sieht in diesem Satz nichts weiter als eine vernünftige Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse. Aus diesem Grund darf vermutet werden, daß in allen Sprachgemeinschaften diese Realität erkannt und benannt worden ist. Will man aber diese Scheidung in Sprachgemeinschaften entdecken, die von anderer Art als die europäischen sind, ergeben sich Schwierigkeiten. Das ergibt sich jedenfalls aus der Darstellung einiger Autoren, die dieses Problem am Beispiel der Sprache der australischen Ureinwohner behandelt haben. Obwohl ihre Kultur auf einem relativ niedrigen Entwicklungsstand steht2 , darf nach unserer Anschauung angenommen werden, daß sie diesen für das soziale Leben so bedeutsamen Unterschied sprachlich ausgebildet haben3• Eine bei Harrasser4 erwähnte Mitteilung Currs besagt nun, daß das nicht der Fall sei. Zwar könnten die Australier Handlungen als recht oder unrecht unterscheiden, jedoch wären sie nicht imstande diesen Unterschied zu formulieren. Zu einer ähnlichen Feststellung gelangt Wurm5 • Er läßt es aber bei diesem Ergebnis nicht bewenden, da er die Frage klären will, wie dem australischen Eingeborenen dieser Begriff verständlich gemacht werden könnte, wenn er vor dem Gericht des weißen Mannes erscheinen muß. Nach seiner Ansicht ist das grundsätzlich möglich, denn das Unvermögen der Australier diesen Gedanken sprachlich zu formulieren stünde dem nicht entgegen. Die gegenteilige Ansicht werde lediglich durch die fehlerhafte Prämisse veranlaßt, die besage, nicht jede Sprache eigne sich in gleicher Weise etwas Gemeintes auszudrücken. Hinsichtlich des dem deutschen Ausdruck "widerrechtlich" entsprechenden Ausdruckes "unlawfully" muß er6 indes zunächst einräumen: "Such concepts may still present a very serious problern leading to a Iack of comprehension on the part of the aborigine. This problern is, however, not the difficulty the aborigine may experience in understanding the notions themselves which are more or less intelligible to him, i. e., may be said not to be alien to his system of concepts, and therefore open to some sort of reference by the application of his system of symbols serving this purpose, i. e., his language. The real problern rests with the fact that these concepts which are individually more or less comprehensible to the aborigine occupy positions in his system of concepts and are entwined with other concepts, in ways which are at variance with the positions these notions occupy in the white man's system of 1

Vgl. Werner (Psychology) 275.

a Boas (Language) 626, kritisiert diese Auffassung.

• Harrasser (Rechtsverletzung) 20. 5 Wurm (Aboriginal Languages) 2. e Wurm (Aboriginal Languages) 6.

s•

7 Juristische Kommunikationstechniken

116

concepts." Daraus folge, daß dem Eingeborenen die Anwendung dieses Ausdruckes auf sein Verhalten in einer gegebenen Situation unverständlich bleiben müsse, wenn das nicht mit seiner Auffassung von Recht im Einklang stehe. Sein Verhalten ähnele dann der Reaktion eines "nottoo-sophisticated" weißen Mannes, der wegen der Tötung einer Fliege verfolgt werde. Diese beiden Bemerkungen zeigen zunächst nur einmal, daß der Europäer in der Sprache der australischen Eingeborenen zu finden versucht, was ihm auf Grund seiner Sprecherziehung als notwendig erscheint. Die von Wurm vorgenommene Relativierung hebt die Bedeutung des Ausdrucks sogar auf, wenn man die Angelegenheit von dem überkommenen wissenschaftstheoretischen Standpunkt betrachtet. Weitere Sätze werden erlangt, sofern klassenlogisches Denken mit einem anderen eingeführten Grundsatz der Sprachtheorie verbunden wird. Dieser spricht das Prinzip der Eindeutigkeit sprachlicher Ausdrücke aus. Daß er mit klassenlogischem Denken verbunden wird, oder verbunden werden muß, ergibt sich aus der Herkunft des Sprachmodells. Sprachliche Probleme entstanden als der Mensch die Einsicht erlangte, daß das Wort nicht die Sache selbst sei. Diese ursprüngliche Anschauung wirkt aber nach, daß sowohl im Sprachmodell niederer als auch höherer Ordnung angenommen wird, der Ausdruck beziehe sich direkt oder mittelbar auf Sachen dieser Welt. Hieraus ergibt sich das Prinzip der Eindeutigkeit. Tritt bei fortgeschrittener Entwicklung die Einsicht hinzu, daß das Wort nicht nur Name einer Sache sei, ist der Weg frei für die Bildung der Theorie, die wir Klassenlogik nennen. Auch in diesem Stadium bleibt das Prinzip erhalten, wenngleich es auch gewisse Abwandlungen erfährt. Da Gesetze und Rechtswissenschaft bei der Beschreibung menschlichen Verhaltens auch andere Wörter einsetzen, wird es möglich, vom schuldhaften, sittenwidrigen, vertragswidrigen Verhalten, usw. zu sprechen. Wegen des Grundsatzes der Eindeutigkeit müßte jetzt angenommen werden, daß diese Ausdrücke auf Aspekte des Verhaltens hinweisen, die von dem der Rechtswidrigkeit verschieden sind. Tatsächlich wird diese Annahme oft, jedoch nicht immer gemacht7. Am häufigsten wird in der neueren Dogmatik das Verhältnis von Schuld und Rechtswidrigkeit behandelt. Die überkommene Lehre behauptet eine strenge und reinliche Scheidung der beiden Begriffe. Diese Auffassung hat auch Eingang in die für das Schadenersatzrecht wichtige Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB gefunden, denn es wird verlangt, daß die Verletzung eines der genannten (Rechts) Güter sowohl wider7

Vgl. z. B. die Vermengung oder Gleichsetzung bei Klang-Wolff Anm. 1 zu

§ 1297 ABGB.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

117

rechtlich als auch vorsätzlich oder fahrlässig geschehen sein müsse. Die Nebeneinanderstellung der beiden Ausdrücke bedeutet nach der herkömmlichen Auffassung, daß auf zwei verschiedene Aspekte des zu beurteilenden Verhaltens hingewiesen wird. Eine derartige Annahme setzt natürlich voraus, daß es möglich ist, die beiden Aspekte des Verhaltens zu unterscheiden. Gemäß der Lehre von der Erkennbarkeit der Begriffe ist das Problem lösbar, überdies ließe sich die Wesensverschiedenheit der beiden Bereiche durch entsprechend gewählte Beispiele leicht zeigen. Deshalb wird die Nützlichkeit der beiden Ausdrücke in der juristischen Beschreibungstechnik nur selten angezweifelt8 • Andererseits ist aber allgemein bekannt, daß die Handhabung der Ausdrücke in verschiedener Hinsicht Schwierigkeiten bereiten kann. Zum Teil treten sie auf, wenn das Wort des Gesetzes mit bestimmten zur Beschreibung eines Handlungsablaufes im vorgegebenen Sachverhalt verwendeten Ausdrücken in Verbindung gesetzt werden soll. Dieses Zuordnungsproblem führt fast immer zu dem Versuch, die beiden Begriffe gegeneinander abzugrenzen. Dadurch entstehen alsbald weitere Schwierigkeiten. Im ersten Fall taucht das Zuordnungsproblem nur dann auf, wenn die Zuordnung in der Vergangenheit noch nicht vorgenommen worden ist. Bei häufiger auftretenden Verhaltensweisen ist die Zuordnung oft bereits konventionell festgelegt, wobei es allerdings Abstufungen der Verbindlichkeit geben kann. So sind die Notwehr genannten Verhaltensweisen durch die Bestimmung des § 227 BGB dem Ausdruck widerrechtlich zugeordnet, hingegen fehlt es in dem Fall der irrtümlichen Annahme ihrer Voraussetzungen an einer gesetzlichen Bestimmung; die Verbindlichkeit wird hier durch eine von Praxis und Lehre ständig vertretene Lehre erreicht. Fehlen aber entsprechende Festsetzungen gänzlich, tauchen regelmäßig Zweifel auf, wenn eine Zuordnung nötig wird. Dieser Fall trat bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches ein, als der Notstand in allgemeiner Weise geordnet werden sollte. Endemann' nennt die in den §§ 228, 904 BGB getroffene Regelung eine schöpferische Tat. Zu Recht, denn insbesondere das durch § 904 BGB gewährte Recht zum Eingriff in eine fremde Sache, von der nicht die drohende Gefahr ausgeht, weicht weit von den früheren Anschauungen ab. Die Regelung des Notstandrechtes in§ 54 StGB, die als Muster hätte dienen können, nimmt diese Zuordnung nicht vor und begnügt sich mit dem Ausschluß der Strafbarkeit, so daß im Strafrecht die Art der Zuordnung seit jeher umstritten war10• Die überwiegende Anschauung zu jener Zeit ging aber dahin, daß die Notstandshandlung die Widerrechtlichkeit nicht ausschlösse11 • Vgl. Känzig (Widerrechtlichkeit) 127; Wussow (Sozialadäquanz) 893. Endemann (Lehrbuch) 371. Vgl. Kohlrausch-Lange Anm. 1 zu § 54 StGB. 11 Vgl. die Nachweise bei Endemann (Lehrbuch) 370 ff.

8 8

10

118

7 Juristische Kommunikationstechniken

In der jüngsten Zeit ist eine ähnliche Kontroverse durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Bedeutung des verkehrsgerechten Verhaltens ausgelöst worden. In der Begründung der Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof den Satz auf, daß eine Körperverletzung keine Schadenersatzpflicht begründe, wenn die Körperverletzung durch ein Verhalten herbeigeführt worden sei, das den Regeln des Straßenverkehrs genüge, weil in diesem Fall die Verkehrsmäßigkeit des Verhaltens die Widerrechtlichkeit ausschließe12• Unter den zahlreichen kritischen Anmerkungen zu diesem Urteil befinden sich auch Äußerungen, die die von dem Bundesgerichtshof vorgenommene Zuordnung beanstanden. Nach der Ansicht dieser Kritik~ dürfte das verkehrsgerechte Verhalten auf keinen Fall als Rechtfertigungsgrund angesehen werden, es sei vielmehr nur als Schuldausschließungsgrund zu berücksichtigen13• Zur Lösung dieses Zuordnungsproblems kann auf rechtspolitische Argumente zurückgegriffen werden, eine Klärung kann aber auch von begrüflichen Erwägungen erhofft werden. Wird dieser Weg eingeschlagen, entsteht trotz veränderter Fragestellung alsbald das gleiche Abgrenzungsproblem. Während im vorigen Fall eine bestimmte konkrete Verhaltensweise dem Ausdruck zugeordnet werden soll, wird hier der Versuch unternommen, den Begriff zu erkennen, um so den Bereich der Rechtswidrigkeit allgemein festzustellen. Es geht also nicht mehr um die Frage, wie ein vorgegebenes und erkanntes Verhalten richtig benannt werde, vielmehr soll die Entdeckung der Bedeutung (Begrüf} zugleich auch die Antwort auf diese Frage enthalten. Nach den Anschauungen der Wissenschaftstheorie handelt es sich um zwei gänzlich verschiedene Fragestellungen14, die in manchen Fällen Anlaß zur Schaffung zweier wissenschaftlicher Disziplinen gegeben haben15• Soll der Inhalt eines Begriffes festgestellt werden, wird es oft notwendig, ihn von Nachbarbegriffen abzugrenzen. Manche Wissenschaftler sind sogar der Ansicht, daß diese Abgrenzung immer erforderlich sei. Die Feldtheorie fußt bei der Feststellung der Bedeutung sogar ausschließlich auf diesem Denkmodell16 • Da das Verfahren der Begrüfsfeststellung im nächsten Punkt erörtert wird, ist hier nur auf die Abgrenzungsfrage einzugehen. Hinsichtlich der beiden Nachbarbegrüfe "rechtswidrig" und "Schuld" stellt die klassische Lehre zunächst eine Gemeinsamkeit fest, die sich einfach daraus ergibt, daß beide Ausdrücke sich auf menschliches Verhalten beziehen. Während aber der Ausdruck "rechtswidrig" die AufBGH in NJW 1957, 785 (786). Schmidt (Schuldtheorie) 488. u Quine (Existence) 77. 15 Semasiologie und Onomasiologie, vgl. Kronasser (Semasiologie) 23, 73; Quadri (Onomasiologie) 171 ff. 18 Trier (Wortschatz) 1; Osgood (Bedeutung) 40. 12 18

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

119

gabe habe, auf den äußeren Ablauf der Handlung hinzuweisen, verwiesen die Ausdrücke "Schuld", "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" auf psychische Ereignisse beim Handelnden. Diese klassische Lehre hat sich seit jeher Korrekturen gefallen lassen müssen. Die Kritiker gelangten allgemein zu dem Ergebnis, daß die von der klassischen Lehre vornommene Zuweisung nicht rein durchgeführt werden könne. Der Ausdruck "rechtswidrig" verweise nicht ausschließlich auf den Ablauf der Handlung in der dinglichen Umwelt, vielmehr müßten in manchen Fällen auch psychische Ereignisse berücksichtigt werden. Der Rechtsirrtum oder das Bewußtsein: der Rechtswidrigkeit z. B. sind aber .Fremdkörper in der Lehre einer objektiven Widerrechtlichkeit, weshalb man sie gewöhnlich zur Schuld zieht17• Zu einem entsprechenden Ergebnis gelangten und gelangen Untersuchungen des Schuldbegriffes. Einige Kritiker meinen, daß bei Fahrlässigkeitstaten der Schuldbegriff kein reales Gegenstück in der Psyche des Handelnden habe18• Da demnach der Ausdruck in diesen Fällen sich nicht auf einen Gegenstand der wirklichen Welt bezöge, handele es sich um einen Unnamen. Die notwendige Folgerung wäre, den Ausdruck aus der Rechtssprache zu entfernen. Derartige Forderungen werden aber nur von einigen Puristen gestellt19 • Die meisten Juristen ziehen es vor, den Ausdruck beizubehalten und nach einer Deutung zu suchen, die das Wort wieder mit diesem Sprachmodell in Einklang bringt. Diese andere Bedeutung wird in der Verweisung auf Verhaltensregeln gefunden, die zugleich die Aufforderung einschließt, das zu beurteilende Verhalten an diesen Regeln zu messen und im Fall der Abweichung ein Schuldurteil zu fällen. Nach dieser Auffassung besteht das Wesen der Schuld in einem Werturteil der Rechtsordnung über das Verhalten des Täters20 , der Ausdruck "Schuld" ist demgemäß ein normativer Begriff21 • Die Erkenntnis, daß bei der Behandlung der Fahrlässigkeit die beim zu beurteilenden Menschen feststellbaren psychischen Ereignisse bedeutungslos sind oder zumindest doch hinter die Regeln zurücktreten, die dem Menschen für bestimmte Situationen bestimmte Verhaltensweisen vorschreiben, veranlaßt einige Autoren22 von objektiver Sorgfalt zu sprechen. Daß die Wahl dieses Ausdrucks eine Reaktion auf die klassische Lehre darstellt, darf vermutet werden. Da der nächste Denkschritt zur Gleichsetzung der objektiven Fahrlässigkeit und Rechts17 Vgl. Staudinger-Werner, Anm. 69 ff. vor § 276 BGB; Nipperdey (Sozialadäquanz) 1780; daß aber die konsequente Berücksichtigung psychischer Daten den Begriff der Rechtswidrigkeit aufhebt, bemerkt Känzig (Widerrechtlichkeit) 73, 127. 18 Nipperdey (Sozialadäquanz) 1781 f. 18 Cohen (Legal conscience) 48. 20 Vgl. dazu Staudinger-Werner Anm. 62 vor§ 276 BGB. 21 Vgl. dazu Engisch (Einführung) 110. 2t Vgl. z. B. Deutsch (Sorgfalt) 190.

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7 Juristische Kommunikationstechniken

widrigkeit führt23, wird diese Ausdrucksweise mit klassenlogischen Argumenten bekämpft24 • Akzeptiert man die Ergebnisse der modernen Untersuchungen, ist die Folgerung unabweislich, daß die begriffliche Scheidung auf der Grundlage der klassischen Lehre nicht möglich ist, da diese die Ausdrücke als Namen gewisser Eigenschaften von Vorgängen dieser Welt ansieht, was aber zumindest in einigen Fällen unzutreffend ist, so daß die Auffassung als allgemeines Prinzip unbrauchbar wird. Übrigens darf man vermuten, daß die Abgrenzung auf der Grundlage der neuen Lehre ebenfalls Schwierigkeiten bereitete. Folgte man z. B. hinsichtlich des Ausdrucks "Schuld" der normativen Schuldauffassung, ist es kaum möglich, beim Ausdruck "widerrechtlich" eine andere Haltung einzunehmen. Beide Ausdrücke stellten alsdann die Aufgabe, das zu beurteilende Verhalten an Regeln zu messen, die aber verschiedenen Inhalt haben müßten, denn die eine führte zum Unwerturteil, die andere veranlaßte den Schuldvorwurf. Enthielten die den Maßstab abgebenden Regeln die fraglichen Ausdrücke nicht, wüßte der Urteilende nicht, ob er ein Schuld- oder Unwerturteil fällt. Dieser Umstand erzwänge die Schaffung eines neuen Prinzips, das in zweifelhaften Fällen die Zuordnung erlaubte, usw. Denkbar wäre allerdings auch, daß sich in diesem Stadium die Folgerung einstellt, die Unterscheidung sei nicht oder nicht immer möglich, weil sie ein durch klassenlogisches Denken hervorgerufenes Scheinproblem darstelle. Seltner wird das Verhältnis der Ausdrücke "rechtswidrig" und "vertragswidrig" behandelt. Eine Ansicht besagt, daß vertragswidriges Verhalten auch rechtswidrig sei25 • Rechtswidrig wird demnach als allgemeines Prinzip genommen, das immer heranzuziehen sei, wenn mensch.., liches Verhalten mit Sanktionen, insbesondere mit der Schadensersatzpflicht belegt werden soll. Nach dieser Auffassung ist es denkbar, daß die Vertragswidrigkeit als eine bestimmte Art der Rechtswidrigkeit Besonderheiten aufweisen kann. Das ist z. B. die Lehre Ehrenzweigs28 , der am Beispiel der Vertragsverletzung die Relativität des BegrUfs der Rechtswidrigkeit erläutert. Es ist leicht, diese Anschauung anzuzweifeln. Zu diesem Zweck müssen nur die Abweichungen betont werden. Hebt man sie unter Vernachlässigung der Gemeinsamkeiten hervor, gelangt man zur Verschiedenheit der Begriffe. So verfährt Merz%7. Zunächst weist er auf die Gemeinsamkeit hin, die sich daraus ergebe, daß in beiNipperdey (Sozialadäquanz) 1780. Känzig (Widerrechtlichkeit) 127, halte man sich an die in Art. 41 OR vorgenommene Scheidung, müsse man sich hüten, Schuldprobleme als solche der Widerrechtlichkeit auszugeben. zs Vgl. Lebmann (Rechtswidrigkeit) 177. u Ehrenzweig (Privatrecht) 48 f. 27 Merz (Widerrechtlichkeit) 307. 23

~'

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

121

den Fällen gegen eine Verhaltensnorm verstoßen werde. Unterschiedlich sei jedoch die Herkunft der Verhaltensnormen. Innerhalb vertraglicher Beziehungen seien sie durch Privatwillkür geschaffenes Verhaltensrecht. Dieser Ursprung mache es zweifelhaft, ob rechtsgeschäftliches Verhaltensrecht als Maßstab für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit herangezogen werden könne. Indes wird es nicht erforderlich, die Zweifel zu überwinden und die Frage zu beantworten. Wie Merz sagt, erübrigt sich das, weil die Schadenersatzpflicht vom Gesetz auch an die Verletzung der Vertragspflicht geknüpft wird. Dieser Umstand erklärt es schließlich, daß diese Frage nur selten angeschnitten wird. Entsprechende Überlegungen werden hinsichtlich der Kombination "rechtswidrig" und "sittenwidrig" angestellt. Beiläufig bemerkt Hefermehl28 anläßlich der Erläuterung des Ausdrucks in § 1 UWG, daß sittenwidrig auch rechtswidrig sei, weil die Rechtsordnung ein sittenwidriges Verhalten nie billigen könne. Diese Auffassung kann auf verschiedene Weise begründet werden. Wiederum ist es möglich, in dem Begriff "rechtswidrig" ein allgemeines Prinzip zu sehen, das in allen Fällen regelwidrigen Verhaltens gilt. Es ist aber auch denkbar, die Sittenordnung zu einem Teil der Rechtsordnung zu machen und so eine ursprüngliche Verschiedenheit zu übersehen, da die Einordnung das Prinzip in diesem Teilbereich anwendbar machte. Die Gegenmeinung kann ihre Argumente klassenlogischem Denken entnehmen. Danach sind Rechts- und Sittenordnung wesensverschiedene Bereiche. Trotz der allgemein bekannten Abgrenzungsschwierigkeiten, die bei der Behandlung des Problems auftreten, wird die Annahme der Wesensverschiedenheit kaum angezweifelt. Aus der Verschiedenheit der beiden Bereiche folgt dann notwendig die Verschiedenheit der Begriffe "rechtswidrig" und "sittenwidrig"29 • Einige weitere Folgerungen des klassenlogischen Denkens sind in den letzten Bemerkungen bereits angedeutet worden. Es ist die Feststellung, daß eine Klasse in Teilklassen gegliedert werden kann. Dieser Gedanke bietet sich an, wenn man auf die Grundannahmen des klassenlogischen Denkens zurückgeht. Zunächst sind Wörter nicht Namen lediglich eines Gegenstandes, sie benennen vielmehr viele Gegenstände oder eine Mehrheit von Gegenständen. Alsdann ist es eine Selbstverständlichkeit, daß Namen gefunden werden können, die lediglich für einen Teil der Gegenstände stehen. Überträgt man diesen Gedanken auf die Beschreibung menschlichen Verhaltens, wird es möglich zu einer logischen Aufgliederung des rechtlich bedeutsamen Verhaltens zu gelangen. Handlungen eines Menschen, die einem anderen Menschen einen Schaden zufügen zs Baumbach-Hefermehl (Wettbewerbsrecht) 34. 28 Vgl. Oser-Schönenberger Anm. 42 zu Art. 41 OR; Ehrenzweig (Privatrecht) 50 f.; Carnelutti (Morale) 401.

122

7 Juristische Kommunikationstechniken

können dann zunächst in rechtmäßige und unrechtmäßige Schädigungen geschieden werden. Weiterhin kann die Klasse der unrechtmäßigen Schädigungen in schuldhafte und schuldlose Handlungen geteilt werden. Obwohl die Aufgliederung auch in anderer Weise erfolgen könnte, da das klassenlogische Denken nur ein formales Ordnungsprinzip abgibt, ist nur die hier gegebene Begriffspyramide bedeutsam. Sie allein entspricht der klassischen Lehre. Diese wiederum ist das Ergebnis des Prozesses der Differenzierung der hinsichtlich des deliktsmäßigen Verhaltens in den europäischen Sprachen stattgefunden hat30• Zeitlich später auftauchende Gesichtspunkte, die neue Unterscheidungen veranlaßten, entsprechen den Teilklassen. Obwohl in den Darstellungen der Handlungslehre selten auf die aus der Aufgliederung folgende Begriffspyramide hingewiesen wird81 , kann fast immer das hier geschilderte klassenlogische Denken entdeckt werden. Im Strafrecht ergibt es sich aus der Reihenfolge der Begriffe "Tatbestandsmäßigkeit", Rechtswidrigkeit" und "Schuld" und den daran geknüpften arbeitstechnischen Hinweisen3!. Im Zivilrecht tritt der erste Gesichtspunkt zurück33• Wohl immer wird betont, daß vor Fällung des Schuldurteils die Rechtswidrigkeit festgestellt worden sein müsse3'. Die Anweisung ist nur vom Standpunkt des klassenlogischen Denkens zu begreifen, die eine Klasse in Teilklassen gliedert. Die klassenlogische Aufgliederung des Verhaltens gibt dem urteilenden Juristen zunächst eine Arbeitstechnik. Sie bestimmt die Reihenfolge der Gesichtspunkte, die bei der Bearbeitung des Falles zu berücksichtigen sind. Obwohl diese Regel sehr einleuchtend klingt, führt sie in der Anwendung zu mancherlei Abgrenzungsschwierigkeiten. In manchen Fällen ist es überaus zweifelhaft, unter welchen Gesichtspunkten bestimmte Umstände des konkreten Falles zu ziehen sind. Ein Fall der in Berlin in der 1. Juristischen Staatsprüfung gegeben wurde, hatte folgenden Inhalt: Bei einem plötzlichen Ruck der Straßenbahn stürzten zwei Fahrgäste, wobei der eine, ein Pianist, mit der Hand in den Mund des anderen geriet, so daß der ihm stürzend einen Finger abbiß. Betrifft dieser Vorgang die Tatbestandsmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit oder das Verschulden35? Da die hier getroffene Entscheidung für das Endergebnis Bedeutung erlangen kann, handelt es sich nicht immer um eine nur Boas (Reason) 29; Hoebel (Law) 288. Radbruch (Handlungsbegriff) 53. 32 Mezger (Tatbestandslehre) 2 f.; Horn (Rechtswidrigkeit) 17. aa In besonders gelagerten Fällen wird bisweilen die Vernachlässigung dieses Punktes beklagt; Känzig (Widerrechtlichkeit) 137. 34 Staudinger-Werner Anm. 61 vor§ 276 BGB. 85 Man vgl. dazu BGH in NJW 1959, 479; hier spricht das Urteil zunächst von einem rechtswidrigen Eingriff in den Gewerbebetrieb, so daß nicht deutlich wird, ob das Erfordernis der Unmittelbarkeit des Eingriffs dem Tatbestand oder dem Erfordernis der Widerrechtlichkeit zuzuordnen ist. 30

11

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

123

theoretisch wichtige Frage. Diese Konsequenzen ergaben sich bei der bekannten und bereits erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Die unterschiedlichen Ergebnisse bilden auch ein wichtiges Argument im Streit um die finale Handlungslehre.· Schließlich entsprechen auch nicht alle Vorschriften, die eine Schadenersatzpflicht anordnen der klassenlogischen Aufgliederung. Endemann31 weist in diesem Zusammenhang auf § 228 BGB hin. Es läßt sich also nicht übersehen, daß klassenlogisches Denken erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Aber das ist eine alte und ziemlich bekannte Tatsache. Nicht zuletzt hat die Logik mit diesem Problem zu ringen. Einige Logiker lehnen deshalb dieses Denkmodell gänzlich ab. Nach ihrer Ansicht können die Schwierigkeiten vermieden oder sogar aufgelöst werden, wenn eine andere Annäherung gewählt wird. Um eine eindeutige Zuordnung zu ermöglichen, habe man von dem vorgegebenen Ausdruck auszugehen und seine Bedeutung oder den Inhalt des von ihm bezeichneten Begrüfes festzustellen. Hierfür ist der Ausdruck Inhaltslogik eingebürgert37• 7.3.3 Die Bedeutung des Ausdrucks ,.widerrechtlich" vom Standpunkt inhaltslogischen Denkens

Inhaltslogik und Klassenlogik sind zwei verschiedene Aspekte des gleichen Sprachmodells. Selbst konsequente Vertreter der Inhaltslogik müssen deshalb zugestehen, daß ihre Logik auch als Klassenlogik gedeutet werden kann1 • Der Zusammenhang ergibt sich daraus, daß in beiden Logiken ein lautlich oder graphisch fixierter Ausdruck direkt oder mittelbar auf Gegenstände der Welt bezogen wird. Während aber die Inhaltslogik diese Relation vom Wort her behandeln will, setzt die Klassenlogik an den Sachen an. Dieser Gegensatz bleibt auch in den Lehren der modernen L-Semantik bestehen. Hier verbirgt er sich hinter den Begrüfen "Bedeutung" und "Bezeichnung" 2 • Noch deutlicher wird die gegensätzliche Auffassung von den Vertretern der Semasiologie einerseits und von den Anhängern der Onomasiologie andererseits herausgearbeitet8. Klassenlogisches Denken wird immer dann vorgezogen, wenn man es mit Sachen zu tun hat, die aus ontischen Gründen zweüelsfrei zu einer einzigen Klasse gehören. Der Ausdruck "Stadt" wird daher in erster Linie, wenn nicht sogar ausschließlich, als Benennung der einzelnen existierenden Städte aufgefaßt4 • Ist die Zugehörigkeit zu einer se Endemann (Lehrbuch) 365. n Freytag-Löringhoff (Logik) 44. 1 Freytag-Löringhoff (Logik) 42. 1 Quine (Existence) 77. s Quadri (Onomasiologie) 171 ff. 4 Ajdukiewicz (Logik) 19 f.

124

7 Juristische Kommunikationstechniken

Klasse nicht zweüelsfrei oder ist der durch den Ausdruck benannte Gegenstand schwerer faßbar, weil er nicht zu den durch Sinneserfahrung wahrgenommenen gehört, wendet man sich der Inhaltslogik zu. Untersuchungen des Gegenstandes "Gerechtigkeit" oder "gut" bemühen sich in erster Linie um eine Analyse der Bedeutung5 , und zwar auch dann, wenn die Untersuchung dem Guten oder der Gerechtigkeit selbst nachspüren soll6 • Hat die Untersuchung den Inhalt des Begriffes hervorgebracht, so ist es im einzelnen Fall wieder möglich, die eindeutige Zuordnung vorzunehmen, die in der Klassenlogik als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Dies kann deshalb geschehen, weil die den Begriffsinhalt festsetzende Definition die wichtigsten Merkmale klassenzugehöriger Gegenstände angibt. Das gilt auch für den Begriff "widerrechtlich". Damit überträgt man das Verfahren der Merkmalsfeststellung auf Ausdrücke, denen eine Beziehung zu Objekten der Welt fehlt, denn ursprünglich ist es für Ausdrücke entwickelt worden, die als Namen von isolierten Objekten der Umwelt aufgefaßt werden. Die hier bei der Merkmalsfeststellung auftretenden Schwierigkeiten werden vernachlässigt, allenfalls weist man auf gewisse Besonderheiten hin. Wenn der Richter zugleich mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit ein Unwerturteil fällt, von dem Deutsch sagt, es spreche die Emotion an7 , wird der deskriptive Begriff mit gewissen zusätzlichen Eigenschaften versehen. Klar wird diese Auffassung in der einflußreichen Schrift Erdmanns8 ausgesprochen; er stellt neben die Bedeutung den Nebensinn des Wortes und seinen Gefühlswert. Diese Besonderheiten berühren aber nicht die Bedeutung des Wortes'. Anders verhielte es sich indes, wenn der Ausdruck als normativer Begrüf aufgefaßt würde, weil erkannt worden ist, daß er sich dem gewöhnlichen Sprachmodell nicht fügt. Diese Feststellung besagte vor allem, daß er nicht zu den deskriptiven Begriffen gehöre. Damit wäre zugleich festgestellt, daß die für deskriptive Begrüfe entwickelte Bedeutungsfeststellung nicht angewendet werden dürfte. Die Vielzahl der gebräuchlichen Definitionsverfahren zur Bedeutungsfeststellung ließe erwarten, daß auch der Ausdruck "widerrechtlich" in verschiedener Weise definiert wird. Die besondere Art dieser Sprachfügung bewirkt aber, daß nur ein Verfahren eingeschlagen wird. Es besteht in der Entfaltung des Ausdrucks zu einem Satz. Daraus ergeben sich zwei Grundauffassungen, da wider das Recht sowohl das objektive Stevens.:m (Language) 81 ff. e Ajdukiewicz (Definition) 126.

5

Deutsch (Sorgfalt) 237. Erdmann (Bedeutung) 105. So bleibt "good" dennoch ein deskriptiver Begriff und ihm kann Information entnommen werden; Stevenson (Ethics) 85, 90; dagegen Albert (Ethik) 35, denn gut könne nicht wie rot gesehen werden. 7

8 0

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

125

als auch das subjektive Recht meinen kann10• Beide Grundauffassungen erfahren zahlreiche Variationen, weil die reine Durchführung auf Schwierigkeiten stößt11 • Die Dogmengeschichte der jüngeren Vergangenheit zeigt, daß einer der beiden Gesichtspunkte stets im Vordergrund stehtl2 • Aus klassenlogischen Gründen würde zunächst die Unvereinbarkeit der beiden Theorien folgen. Wollte man alsdann die Widerrechtlichkeit als einen Verstoß gegen Verhaltensvorschriften deuten, so hätte das zwei wichtige Folgen. Das Denkinstrument des subjektiven Rechts verlöre in diesem Bereich seine Bedeutung, da man es nicht zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit benötigte und es nach dieser Ansicht nicht einmal verwenden dürfte13• Weiterhin wäre nach dieser Lehre der Erfolg des Verhaltens immer belanglos, da es nur auf die Einhaltung der Verhaltensvorschrift ankäme. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß in manchen Situationen der Erfolg besondere Aufmerksamkeit verdient. Ungleich größeren Schwierigkeiten sieht sich die andere Auffassung ausgesetzt. Diese sind zunächst sprachlicher Art. Da das subjektive Recht eine geistige Schöpfung ist, was auch einige juristische Theoretiker hervorheben14, tritt es nach der üblichen Ausdrucksweise erst dann ins Sein, wenn ihm ein Name verliehen worden istl5 • In neuartigen Situationen wie dem eingangs geschilderten Fall der zu Reklamezwecken erfolgten Abbildung eines Gesichtes auf einer Mehltüte, die ohne Billigung der Betroffenen erfolgte, wird es kaum möglich sein, auf Anhieb einen treffenden Namen zu erfinden. Die Beteiligten müssen daher ihre Zuflucht zu Sätzen nehmen, die Verhaltensvorschriften für diesen Fall angeben. Daraus ergibt sich in dieser Situation ein Vorrang der Verhaltensvorschrift. Der reinen Durchführung dieser Lehre steht aber insbesondere jene Anschauung entgegen, die zur Ausbildung der Lehre vom sozialadäquaten Verhalten geführt hat, die aber schon vorher berücksichtigt worden istl 6 • Danach sind Handlungen eines Menschen, die einen anderen berühren, nur dann Verletzungen und Schädigungen des anderen, wenn die betreffende Gemeinschaft sie so bewertet. Handlungen des Menschen erlangen also nur durch die Bewertung der Gemeinschaft Bedeutung. 10 Ehrenzweig (Privatrecht) 47. u Vgl. Enneccerus-Nipperdey (Lehrbuch) 1280; Zippelius (Erfolgsunrecht) 1707; Lehmann (Rechtswidrigkeit) 189; Känzig (Widerrechtlichkeit) 63 ff.; Klang§ 1294, Anm. I 2 a; Miccio (Contratti) 643 ff.; Roth-Stielow (Auflehnung)

115.

n Sina (Rechtsgut) 5, 9 ff. 11 Vgl. z. B. Larenz (Methodenlehre) 152; Pound (Control) 94. 14 Vonlanthen (Subjektives Recht) 95. 1s Vgl. Weisgerber (Gestaltung) 127. 18 Welzel (Strafrecht) 68 ff.; Nipperdey (Sozialadäquanz) 1777.

126

7 Juristische Kommunikationstechniken

Nach dieser Auffassung kann es die Körperverletzung an sich nicht geben; körperliche Kontakte sind nur dann Körperverletzungen, wenn sie die Gemeinschaft mit Sanktionen belegt. Als Beispiel ließe sich anführen, daß noch nie ein Händedruck bei der Begrüßung als Körperverletzung gegolten hat, daß dies aber sehr wohl von einer mit weitaus geringerem Kraftaufwand gegebenen Ohrfeige gesagt wird. Aus den dargestellten Gründen kommt es meist zu einer Verbindung oder Vermengung der beiden Ansichten. Daß indes tatsächlich ein Zusammenhang besteht, ergibt sich aus den Gegebenheiten der imperativen Kommunikationssituation; denn in dieser bilden Situation, Menschen, Handlung und Erfolg eine grundsätzlich untrennbare Einheit. Wegen dieses Zusammenhanges tritt die durch klassenlogisches Denken verursachte Gegensätzlichkeit nur selten klar ins Bewußtsein. Sie wird nur dann bemerkt, wenn ungewöhnliche Geschehensabläufe zu beurteilen sind. Mit einem derartigen Sachverhalt hatte sich der bekannte Beschluß des großen Zivilsenats auseinanderzusetzen17 • In der dadurch hervorgerufenen Diskussion entnimmt man oft die Argumente der einen oder anderen Auffassung und zwar letztlich auch dann, wenn scheinbar andere Argumente ins Feld geführt werden. Wird z. B. eine Relativität der Rechtswidrigkeit behauptet18, die besagt, öffentlichem Recht entsprechendes verkehrsrichtiges Verhalten könne nicht bei der Beurteilung einer Körperverletzung nach bürgerlichem Recht berücksichtigt werden, so läßt sichtrotz der entwickelten Kommunikationssystemen ent,;. sprechenden Differenzierung nicht übersehen, daß diese Argumentation zugleich auch die Tatsache der geschehenen Körperverletzung in den Vordergrund stellt19• Daß aber die Körperverletzung allein nicht genügt, eine Schadenersatzpflicht auszusprechen, zeigt der umgekehrte Fall, den das schweizerische Bundesgericht zu entscheiden hatte. Entgegen einer forstpolizeilichen Vorschrift, das Holz selbst zu schlagen, hatte eine Gemeinde dem Käufer das Schlagen überlassen, der dabei verunglückte. Oftinger20 bemerkt dazu, daß die Übertretung der forstpolizeilichen Vorschrift nicht relevant sei; das aus der Verletzung der Vorschrift folgende Verschulden sei nicht kausal für die eingetretene Körperverletzung; die Widerrechtlichkeit einer Körperverletzung müsse den Normen des bürgerlichen Rechts entnommen werden, die den Schutz der Rechtsgüter unmittelbar bezweckten. Diese Äußerung ist deshalb besonders instruktiv, weil er wenig später erklärt, daß bei der Verletzung eines absoluten Rechts die Widerrechtlichkeit von selbst gegeben wäre. Die angeführte Mitteilung läßt aber erkennen, daß es im BGH NJW 1957, 785. So bereits Endemann (Lehrbuch) 362 ff. Z. B. Bettermann (Besprechung) NJW 1957, 986; die Häufigkeit des Ausdrucks "Körperverletzung" legt diesen Schluß nahe. 20 Oftinger (Haftpftichtrecht) 113, Anm. 18. 17

1B 19

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

127

einzelnen Fall auf die besondere Kombination der Verhaltensregel und der Körperverletzung ankommt. Weitere Variationen erfahren die hier wiedergegebenen Ansichten dadurch, daß neben das subjektive Recht auch andere geschützte Güter und Positionen gestellt werden und daß die Verhaltensvorschriften des objektiven Rechts durch solche der Sittlichkeit, des Brauchtums, usw. ergänzt werden. Dadurch wird aber nicht die Grundauffassung, die zwischen Handlung und Erfolg schwankt, betroffen. 7.3.4 Die Verwendung des Ausdrucks "widerrechtlich" in der juristischen Kommunikation

Eine kommunikationstheoretische Untersuchung des Ausdrucks "widerrechtlich" kann sich nicht nur auf die theoretischen Auslassungen einiger Rechtswissenschaftler stützen, sie muß auch das tatsächliche Verhalten der Juristen im Umgang mit diesem Ausdruck beachten. Von ihm kann man nämlich kaum behaupten, daß es sich mit der Theorie in völligem Einklang befindet. Da nach den herkömmlichen Denkgewohnheiten von der Existenz eines sprachlichen Ausdrucks auf die Existenz eines dahinter stehenden Begriffes geschlossen werden muß, wird damit zugleich die Notwendigkeit oder Nützlichkeit des Ausdrucks suggeriert. Daraus würde folgen, daß sich die Rechtswissenschaft immer dieses Ausdruckes bedienen muß, wenn es gilt, menschliches Verhalten zu beschreiben. Das aber scheint nicht der Fall zu sein. Zwecks Verfremdung des Problems soll zunächst eine außereuropäische Sprachgemeinschaft betrachtet werden. Als der japanische Gesetzgeber ausgangs des 19. Jahrhunderts ein neues Zivilrecht schuf, stützte er sich in starkem Maße auf ausländische Vorbilder, besonders diente ihm aber das deutsche Recht als Vorbild. Wie Vogt sagt, ist das Gesetz auf den Grundmauern des deutschen bürgerlichen Rechts und der deutschen Rechtswissenschaft errichtet1 • Deshalb wäre zu erwarten, daß die dem § 823 Abs. 1 BGB entsprechende Regelung des japanischen Gesetzes die Terminologie des deutschen Rechts übernimmt. Nach der sachverständigen Übersetzung Vogts schließt sich der § 709 des Gesetzes vom 27. 4. 1896 eng an das auserwählte Vorbild an, denn es heißt: "Wer vorsätzlich oder fahrlässig Rechte eines anderen verletzt hat, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." Daß diese Vorschrift den fraglichen Ausdruck nicht enthält, könnte auf Übersetzungsschwierigkeiten zurückgeführt werden. Dem steht aber entgegen, daß die dem § 709 vorangehende Abschnittsüberschrift einen Ausdruck enthält, den Vogt mit unerlaubter Handlung überträgt, aber 1

Vogt (Vorwort) VII f.

128

7 Juristische Kommunikationstechniken

dazu bemerkt, es müsse wörtlich eigentlich ungesetzliche Handlung heißen. Dem entspricht auch eine englische Übersetzung, die den Ausdruck als "Unlawful Act" wiedergibt2 • Obwohl also die japanische Rechtswissenschaft über einen hinlänglich gleichartigen Ausdruck zu gebieten schien, verzichtete man auf ihn. Mehr läßt sich aber auch nicht sagen, da die Gründe der Enthaltsamkeit unbekannt sind. Auch in den europäischen Sprachen kann man ähnliche Erscheinungen feststellen. Die französische Sprache kann dem Ausdruck "rechtswidrig" entsprechende Fügungen bilden3 • Die französische Rechtssprache indes scheint diesen Ausdruck gänzlich entbehren zu können. Der in Art. 1382 des C. c. zur Beschreibung schadenersatzpflichtigen Verhaltens verwendete Ausdruck "faute" entspricht weder dem Ausdruck "widerrechtlich" noch dem Ausdruck "Schuld"'· Die Verwandtschaft der Kulturen und Sprachen führt aber zu gleichartigen Situationen, die oft auch in gleicher Weise beschrieben werden. Daraus entstehen dann Rechtsfragen, die denen des deutschen Rechts entsprechen. Da aber in Art. 1382 C. c. ein anderes Leitwort verwendet wird, erfolgt die Annäherung auf eine andere Weise. Nach den Anschauungen des herkömmlichen Sprachmodells darf und muß angenommen werden, daß der Ausdruck eine hinreichende Beschreibung des relevanten Verhaltens gibt. Demzufolge müssen alle sachlichen Probleme als Inhalt des Ausdrucks begriffen werden. Die klassische Lehre5 definiert daher "faute" als Fehlverhalten, als eine Abweichung oder Irrtum der Führung. Die Feststellung einer Abweichung verlangt natürlich nach einem Maßstab. Dieser kann dem Gesetz, der Sitte, den Bräuchen entnommen werden8 • Findet der urteilende Jurist in diesem Bereich keine Regel, so hat er selbst eine aufzustellen. Dies besagt der Hinweis, daß die Abweichung an dem Verhalten gemessen werden soll, das ein umsichtiger Mensch in dieser Situation beachtet hätte7. Da also alle im europäischen Bereich denkbaren Fragen auf den Ausdruck "faute" bezogen werden müssen, ist die im deutschsprachigen Bereich versuchte Differenzierung der Verhaltensbeschreibung aufgehoben. In der herkömmlichen Ausdrucksweise entspricht der Begriff "faute" sowohl dem der "Widerrechtlichkeit" als auch dem der "Schuld" 8 • Civil Code of Japan. Vgl. z. B. Ripert-Boulanger (Traite) 348. 4 Schlegelberger (Handwörterbuch) 687. & Amselek (Droit) 119, "la faute n'est pas une certaine categorie de faits, elle est la non-conformite d'un fait a une norme". Vgl. Mazeaud (Droit civil) 378. • Vgl. Deliyannis (Faute) 102 f . 7 Mazeaud (Droit civil) 378. s Schlegelberger (Handwörterbuch 687; Perrig (Widerrechtlichkeit) 325; Oftinger (Haftpftichtrecht) S. 116, Anm. 29. t

3

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

129

Komplizierter liegen die Verhältnisse im englischen Sprachberei.ch. Da es keine allgemeine gesetzliche Vorschrift zur Regelung schadenersatzpflichtigen Verhaltens gibt, fehlt damit auch eine allgemein akzeptierte Art der Beschreibung des bedeutsamen Verhaltens. Auf der Suche nach Beschreibungen, denen man eine wenn nicht allgemeine so doch größere Bedeutung zusprechen kann, wird man auf die Lehrbücher über Torts zurückgreifen. Einmal werden auch im deutschen Recht Erörterungen des Ausdrucks "widerrechtlich" hauptsächlich im Gebiet der unerlaubten Handlungen angestellt, zum anderen haben aber Lehrbücher auch einen besonders starken Einfluß auf die Bildung juristischer Ansichten. Betrachtet man die Ausführungen der Lehrbücher, die den entsprechenden englischen Ausdrücken gewidmet sind, stellen sich erhebliche Verschiedenheiten heraus. Diese beginnen beim Ausdruck. Anders als im deutschsprachigen Bereich, in dem nur die Kombination der Ausdrücke "recht" und "wider" im Gebrauch ist, gibt es hier verschiedenartige Fügungen; wichtig sind vor allem "unlawful" und "unjustifiable"9. Ein weiterer Unterschied liegt darin, daß der größere Teil der Lehrbücher diese Ausdrücke nicht zur Beschreibung der unerlaubten Handlung einsetzt; sie werden oft nicht einmal im Index der Begriffe angeführt1°. Probleme, die im deutschsprachigen Bereich unter dem Leitwort "widerrechtlich" gesucht würden, werden dort unter den Ausdrücken "self-protection", "self-defence", "necessity", usw. abgehandelt11. Diese Fragen werden zudem sehr oft nicht in einem allgemeinen Teil zusammengefaßt, sondern bei bestimmten torts dargestellt. Das ist nun keineswegs dem Zufall zuzuschreiben, sondern das Ergebnis einer ganz bestimmten Haltung. So beklagt Streetl2 , daß die Studenten in den Lehrbüchern von Salmond und Winfield erst 1/4 oder gar 1/s des Buches lesen müßten, ehe sie zu den speziellen unerlaubten Handlungen vordrängen. Er beschränkt daher seine allgemeinen Darlegungen auf zehn Seiten. Der tiefere Grund für dieses Vorgehen wird von Prosser ausgesprochen. Er sagt13, daß der Begriff "tort" zwar in allgemeinen Ausdrücken definiert werden könne, daß diese Definition aber ohne Nutzen sei, weil diese Ausdrücke in Wirklichkeit nichts sagten. Aus dieser Ansicht ergibt sich, daß man des Ausdruckes "unlawful" nicht bedarf. Allerdings gibt es auch Verfechter der gegenteiligen Ansicht. Der praktische Verstand der Engländer hat jedoch die wissenschaftstheoretische Frage nach dem Inhalt des Begriffes umgewandelt. Wird nämlich in Winfteld (Tort) 17. Salmond (Torts); Winfield (Tort); Street (Torts); Underhill (Torts); ClerkLindsen (Torts). 11 Vgl. die unter 10) angeführten Werke. 12 Street (Torts) Vorwort. 1a Prosser (Torts) 1. 9

10

9 Horn

130

7 Juristische Kommunikationstechniken

einprägsamer Formulierung die Frage gestellt, ob es ein "law of tort or of torts" gebe14, so ist damit der Streit gemeint, in dem die Vertreter der einen Ansicht behaupten, der Kreis der unerlaubten Handlungen sei geschlossen, ihre Gegner hingegen die Überzeugung verfechten, daß es ein allgemeines Prinzip gebe, das dem Richter erlaube, neue, bisher noch nicht als unerlaubt qualifizierte Handlungen als solche zu erkennen15• Da nun dieser Grundsatz besagt, "that all unjustifiable harm is tortious" 16, wird der Zusammenhang mit der logisch orientierten Fragestellung der deutschen Rechtswissenschaft erkennbar, denn auch bei dem zitierten Prinzip kommt es auf die Bedeutung des Ausdrucks an. Williams17, der die beiden Theorien analysiert, bemerkt hinsichtlich dieses Ausdrucks: "The trouble is that ,unjustifiable' is one of those words that so easily turn mendicant, and beg questions. If it means ,contrary to law', Professor Winfields statement is unassailable; more, it is self-evident. In effect, he is then asserting what logicans call an "identical proposition". Diese dürften aber nie zur Grundlage eines Schlusses gemacht werden. Es ist selbstverständlich, daß ihn dieser Standpunkt zwingt, die Existenz einer allgemeinen Regel zu verneinen18• Ob diese Bemerkung einer allgemeinen Auffassung Ausdruck verleiht, ist aus verschiedenen Gründen zweifelhaft. Man kann sie indes als vorzügliche Deutung des gewöhnlichen Verhaltens im Umgang mit diesem Ausdruck ansehen. Sofern es sich um eine alte, bekannte unerlaubte Handlung handelt, ist der Einsatz des Ausdrucks nicht erforderlich, da es selbstverständlich ist, daß diese Handlungen unrecht sind. Der Ausdruck fügt dieser Tatsache nichts Neues hinzu, man kann ihn also weglassen; man muß ihn weglassen, wenn man die Abneigung gegen redundante Fügungen teilt. Bei diesem Verfahren wird es nur notwendig, Leitwörter für jene Situationen zu geben, die die gewöhnlichen Folgen eines torts nicht nach sich ziehen sollen. Dabei wird es aber nicht nötig, die verschiedenen Leitwörter unter einem Begriff zusammenzufassen; da der Ausdruck "unlawful" nicht zur Beschreibung des relevanten Verhaltens verwendet wird, muß die Ausnahme nicht als Ausschluß der Rechtswidrigkeit erklärt werden. Nur selten taucht daher das Wort "justification" als allgemeines Leitwort für verschiedene Ausnahmesituationen auf19• Insofern unterscheidet sich die englische Theorie von der deutschen. Hier ist der urteilende Jurist wegen der Tatbestandstechnik des § 823 Abs. 1 BGB in vielen Fällen gezwungen, die Ausnahmen einem der Merkmale der Vorschrift zuzuordnen. Die Ausnahme u Winfield (Tort) 14. Salmond (Torts) 17; vgl. auch Prosser (Torts) 4 f. 1e Winfield (Tort) 17. 11 Williams (Foundation of tortious Liability) 115. 1s Williams (Foundation of tortious Liability) 131. 10 V gl. z. B. Underhill (Torts) 64 ff.; Pollock (Torts) 284 ff. 1s

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

131

wird dann von vornherein zu einem Rechtfertigungsgrund, zu einem Schuldausschließungsgrund, usw. Sich über die Verwendung des Ausdrucks in der eigenen Sprache Rechenschaft abzulegen und sogar Eigentümlichkeiten feststellen zu wollen, ist natürlich schwieriger, da die Vertrautheit oder Gewohnheit im Umgang mit diesem Ausdruck hinderlich ist. Wahrscheinlich wird diese Analyse erleichtert, wenn man sich daran erinnert, daß nach der gewöhnlichen Anschauung der Ausdruck ein allgemeines Prinzip benennt. Deshalb sollte man vor allem annehmen dürfen, daß jegliche Vorschrift, die Unrecht mit Sanktionen belegt, den Ausdruck aufnimmt. Das ist aber nicht der Fall. Manchmal wird das auf Terminologieschwierigkeiten zurückgehen, die im klassenlogischen Denken wurzeln. Im Falle einer Vertragsverletzung führte das nämlich zu der Frage, ob dadurch auch das Recht verletzt sei, denn nur bei der Bejahung der Frage ist es zulässig und notwendig, den Ausdruck zu gebrauchen20 • Der Ausdruck fehlt aber auch in Vorschriften, bei denen diese Probleme nicht auftauchen. Weder heißt es, daß der rechtswidrig Besitzende die Sache dem Eigentümer herauszugeben habe, noch, daß der Eigentümer nur auf die Unterlassung oder Beseitigung einer rechtswidrigen Störung dringen könne, obwohl das juristische Bewußtsein auf Grund des § 823 Abs. 1 BGB nach einer näheren Kennzeichnung der Eigentumsverletzung durch das Wort "rechtswidrig" verlangt, wie denn auch im Falle des § 1004 BGB die Erläuterungen des Gesetzes immer feststellen, daß die Verletzung rechtswidrig gewesen sein müsse21 . Daß bei den Vorschriften§§ 985 ff. BGB diese Qualifizierung unterbleibt, zeigt übrigens, daß der Ausdruck ursprünglich mit Verhaltensanweisungen und nicht mit eingetretenen tatsächlichen Erfolgen in Verbindung steht. Der vorgefundenen gesetzlichen Regelung entsprechend behandeln Rechtswissenschaft und Praxis die Probleme der Rechtswidrigkeit nur dann, wenn die zu berücksichtigende Vorschrift den Ausdruck enthält. Verschiedentlich ist darauf hingewiesen worden, daß die Erörterung dieser Fragen hauptsächlich im Bereiche des § 823 BGB erfolgt. Auch hier gibt es noch Abstufungen. Die Ansicht, daß der Ausdruck mittels des so namhaft gemachten Begriffes eine notwendige Information vermittelt, müßte den Richter in jedem Fall zu einer Prüfung und Feststellung der Rechtswidrigkeit zwingen, und zwar vor der Behandlung möglicher Rechtfertigungsgründe22. Herrschende Lehre und selbstverständlich die Praxis sehen davon ab, da zumindest die Verletzung bestimmter Rechte immer die Rechtswidrigkeit begründe23 oder doch wenigstens indiziere24. zo Vgl. Endemann (Lehrbuch) 362 Anm. 1; Lehrnano (Rechtswidrigkeit) 12. Vgl. Staudinger-Berg, Anm. 13 zu§ 1004 BGB. Vgl. Horn (Rechtswidrigkeit) 17; Münzberg (Rechtswidrigkeit) 440. zs Richter (Schuld) 1171. 24 Vgl. Horn (Rechtswidrigkeit) 54; May (Rechtfertigungsgrund) 1263; Nipperdey (Sozialadäquanz) 1782 Anm. 31. 11 11

g•

132

7 Juristische Kommunikationstechniken

Demzufolge begnügt sich die Praxis in diesen Fällen mit einer Erörterung der Rechtfertigungsgründe25 • Der Ausdruck "rechtswidrig" erschöpft seine Bedeutung dann in dem Hinweis auf eben diese Regeln26• Danach scheint die Bedeutung des Ausdrucks für die juristische Kommunikation geringer zu sein, als es nach den theoretischen Darlegungen zu erwarten wäre. 7.3.5 Die Verwendung des Ausdrucks "widerremtlich" in kom.munikationstheoretismer Sicht

Den wichtigeren Bestandteil der Fügung bildet das Wort "recht". Deshalb sei zunächst an die früheren Ausführungen über die Verwendung des Ausdruckes in primitiven Systemen erinnert!. Dort war gesagt worden, daß zwischen dem juristisch bedeutsamen Ausdruck "recht" und dem gleichen zur Kennzeichnung des Orts und der Bewegung verwendeten Ausdruck ein Zusammenhang bestehe. Hinsichtlich des Ausdrucks, der in Kontexten der letzteren Art verwendet wird, war gezeigt worden, daß seine Funktion mit den Mitteln des herkömmlichen Sprachmodells nicht sinnvoll erklärt werden kann. Nähme man ihn als Namen einer Gegend im Raum, setzte man einen in jeglicher Beziehung unerklärlichen Erkenntnisvorgang voraus. An die Stelle dieser unhaltbaren Auffassung war die These gesetzt worden, daß die Bedeutung des Ausdrucks sich allein aus der imperativen Kommunikationssituation erschlösse. Durch den Erwerb dieser Sprachfähigkeit würden die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft wechselseitig in die Lage versetzt, Bewegungsabläufe zu steuern. Wird die soziale Zweckhaftigkeit der Kommunikation klar erkannt, so ist auch leicht zu verstehen, daß in primitiven Kommunikationssystemen der Ausdruck eine Aufforderung zum Wohlverhalten schlechthin werden konnte. Eine Übertragung von Ausdrücken auf neuartige Situationen ist selbst in entwickelten Sprachgemeinschaften häufig2 • Wegen der Komplexität der imperativen Kommunikationssituation und der Diffusheit des Denkens ist sie sogar zu erwarten. Da primitives Denken ungleich diffuser ist, die Gliederung der komplexen Situation in den ersten Anfängen steht und die Düferenzierung sprachlicher Kommunikationstechniken noch nicht ausgebildet ist, kann es leicht zu dieser Veränderung kommen, die aber dennoch als bewußt gestaltete Kommunikationstechnik gelten darf, weil die sinnlichen Wurzeln der wichtigsten rechtlichen und ethischen Ausdrücke zeigen, daß dieser Schritt in allen Sprachgemeinschaften gemacht worden ist, was Zufall wohl ausschließt. 25 Dieses Verfahren wird von Känzig kritisiert (Widerrechtlichkeit) 148; Pollock (Torts) 18. 26 Vgl. Oftinger (Haftpftichtrecht) 115. 1 Vgl. 5.4. 2 Vgl. das instruktive bei Erdmann (Bedeutung) 23, angegebene Beispiel.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

133

Selbstverständlich genügen diese Tatsachen nicht, um die mit dem Ausdruck "rechtswidrig" verbundenen Kommunikationstechniken zu verstehen. Dennoch erweist sich der Rückgriff auf den entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang als nützlich. Zunächst einmal kann dadurch die im vorigen Abschnitt herausgestellte Tatsache erklärt werden. Dort war festgestellt worden, daß nicht alle Vorschriften den Ausdruck enthalten, die ihn eigentlich enthalten müßten, wenn man das Wort als Benennung eines allgemeinen Prinzips ansieht. Berücksichtigt man den Umstand, daß der Ausdruck "recht" ursprünglich zu einem Verhalten in gelernten Situationen aufforderte, darf man erwarten, daß die auf diesen Ausdruck zurückgehenden Fügungen in Rechtsregeln auftauchen werden, die in erster Linie menschliche Handlungen betreffen. Dies trifft für die Bestimmung des § 823 Abs. 1 BGB, nicht aber für den § 985 BGB zu. Der Unterschied liegt darin, daß die erstere eine menschliche Handlung bewertet, die auch den Erfolg der Handlung in einer komplexen Situation einschließt, die andere hingegen ausschließlich an einen Zustand anknüpft, der überhaupt nicht durch menschliche Handlungen herbeigeführt worden sein muß. Der Gedanke des rechtswidrigen Erfolges oder gar des rechtswidrigen Zustandes3 erweist sich somit als recht späte Schöpfung der juristischen Literatur4 • Die Berücksichtigung des entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhanges ermöglicht es schließlich auch, eine sinnvolle Deutung für die Beibehaltung des Ausdrucks zu geben. Die Ersetzung allgemeiner Aufforderungen durch Techniken, die fremdes menschliches Verhalten in genauer Weise zu steuern vermögen, ließe nämlich erwarten, daß die alten zur Handlungsauslösung verwendeten Ausdrücke aufgegeben werden, weil sie nunmehr entbehrlich oder gar nutzlos geworden sind. Tatsächlich sind sie in Verhaltensregeln, die die Sachwelt betreffen, nur noch selten zu finden. Daß sie in diesem und dem Bereich der eigentlichen Rechtssprache nicht gänzlich verschwunden sind, läßt sich verstehen, wenn berücksichtigt wird, daß die Entwicklung genauerer Verhaltensanweisungen in langsamen Schritten vor sich gegangen ist. Wenn am Anfang allein durch einen Sprachlaut zu einem Verhalten aufgefordert wurde, so ist das nach der heutigen Auffassung ein Einwortsatz. Von diesem Standpunkt ist es einsichtig, daß seine Verständlichkeit gering ist, daß sie jedoch wesentlich verbessert werden kann, wenn weitere bedeutungstragende Sprachlaute hinzugefügt werden. Natürlich setzt das die Bewältigung der früher beschriebenen Lernprozesse voraus. Der ursprüngliche Ausdruck bildet dann gewissermaßen den Kern des Ausdruckskomplexes. Diese Entwicklung läßt verstehen, warum der AusVgl. die Nachweise bei Sina (Rechtsgut) 9 ff. Für Aristoteles (Metaphysik) 1078 a ist es selbstverständlich, daß sich das Gute immer in der Verbindung mit einer Handlung finde. 3

4

134

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druck auch dann noch beibehalten wurde, als durch Differenzierung bereits zahlreiche verschiedene Verhaltensanweisungen ausgebildet worden waren. Allerdings ging durch diese Entwicklung der früher geschilderte Zusammenhang verloren. Die Kommunikationstauglichkeit des Ausdrucks beruhte anfangs darauf, daß die durch den Ausdruck vermittelte Aufforderung zum Wohlverhalten auf früher ·ausgebildete Primärfunktionen aufgelagert worden war. Auf diesen Zusammenhang kommt es aber in dem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium nicht mehr an, ja er wird sogar sinnlos, wenn eine große Zahl von Verhaltensanweisungen für verschiedene Situationen zur Verfügung steht. Man mag den Ausdruck vielleicht als Handlungsauslöser betrachten, so daß ihm immer noch eine Funktion zukäme; jedoch ist diesem Gesichtspunkt gegenüber bedeutsamer, daß der Handlungsablauf durch die vorgegebene differenzierte Verhaltensanweisung bestimmt wird. Die Funktion des Ausdrucks scheint demnach vor allem in dem Verweis auf die vorgegebene Verhaltensanweisung zu bestehen. Dieser Gedanke ist übrigens keineswegs neu. Mc Gee5 präsentiert ihn in logischer Einkleidung bei der Behandlung ethischer Ausdrücke. Von den ethischen Regeln sagt er, daß sie den expliziten Definitionen glichen. Wie diese sich auf die sprachlichen Gebräuche bezögen, wären jene den Sitten der Gemeinschaft zugeordnet. Das ist auch der Standpunkt jener juristischen Theorie, die den Begriff "rechtswidrig" als Verstoß gegen das objektive Recht deutet, denn dieses enthält auch die vom Gesetzgeber schriftlich fixierten Verhaltensregeln. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß diese logisch beeinflußten Lehren in einem wichtigen Punkt von der hier vertretenen Ansicht abweichen. Während hier der Ausdruck im Anschluß an die herkömmliche Ausdrucksweise als eine Verweisung auf eine existierende Verhaltensanweisung genommen wird, glaubt die überkommene Lehre dem Ausdruck selbst Information entnehmen zu können, was dann wichtig wird, wenn Verhaltensregeln fehlen. Die Leistungsfähigkeit dieser Kommunikationstechnik hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zunächst kommt es darauf an, daß die Verweisungstechnik allgemein bekannt ist und anerkannt wird. Bereits das ist nicht der Fall. In der juristischen Literatur ist die richtige Bedeutung des Ausdrucks seit jeher umstritten. Hinsichtlich des deutschen Schrüttums kann man behaupten, daß zur Zeit nicht die Auffassung vorherrscht, die den Ausdruck als Hinweis auf Verhaltensregeln versteht. Des weiteren ist es wichtig, daß die Verweisung im Einzelfall immer zu einer für den zu beurteilenden Fall brauchbaren Verhaltensanweisung führt. Das ist eine recht komplexe Frage. Zwei leicht zu erkennende Teilfragen sollen an erster Stelle behandelt werden. Die erste betrifft 5

McGee (Ethical Rules) 201.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

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die Zahl, Art und Beschaffenheit der Verhaltensanweisung; die zweite die Verweisungs-oder Zuordnungstechnik, die das Auffinden der Regel ermöglicht. Verhaltensanweisungen genügen nur dann der in entwickelten Systemen aufgestellten Forderung nach möglichst großer Übereinstimmung von Sender und Empfänger, wenn sie unter Ausnutzung der jeweiligen Kommunikationstechniken Situation und Handlung genau bestimmen. Dieses Ideal streben die Verfasser von Vorschriften des Strafrechts an. Deshalb enthält die Masse der Vorschriften den Ausdruck "rechtswidrig" nicht mehr6 • Die Ansicht, daß dennoch dieser Ausdruck begrifflich in jeder Vorschrift enthalten sei, ist sinnlos7 , wenn der Ausdruck als Verweisung auf eine Verhaltensregel verstanden wird. Trotzdem kommt dieser Wendung eine bestimmte Bedeutung zu, ihr Sinn ergibt sich aus der Technik des Gesetzgebers, gewisse Umstände, die die Folgen einer tatbestandsmäßigen Handlung ausschließen, allgemein und nicht bei jeder Verhaltensanweisung zu regeln. Da ein Teil dieser Regeln als Ausschluß der Rechtswidrigkeit erscheint, hat somit jene Ansicht lediglich die Aufgabe, den Zusammenhang mit den Rechtfertigungsgründen herzustellen, der für den logisch denkenden Juristen nicht bestünde, wenn die Vorschrift den Ausdruck nicht enthält. Ganz anders liegen die Verhältnisse im Zivilrecht. In ihm ist der Widerstreit zwischen der Forderung, das Gesetz möge möglichst genaue Regeln geben, um dem Richter nicht zu große Freiheiten zu lassen, und der Einsicht, daß das Gesetz notwendigerweise allgemeine Ausdrücke enthalten müsse, um der Vielzahl möglicher Situationen gerecht zu werden8 , seit langem im letzteren Sinne entschieden. Allerdings lehrt eine verbreitete Ansicht, daß allgemeine oder abstrakte Ausdrücke die Präzision der sprachlichen Mitteilung wesentlich steigerten. Wie an früherer Stelle aber dargelegt worden war, beruhen die Fortschritte der Kommunikationstechnik nicht auf diesem Prinzip, sondern auf dem der Differenzierung9 • Vom Bürgerlichen Gesetzbuch kann man sagen, daß es kaum Regeln der erforderlichen Beschaffenheit aufweist. Meist gibt es nur allgemein gehaltene Vorschriften. Für weite Bereiche gilt allein die Regel des § 276 BGB, die zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auffordert. Überdies verstand die Theorie der Vergangenheit den Ausdruck "rechtswidrig" nicht als Hinweis auf diese Regel, da nach klassen8 Vgl. z. B. die Trennung des ontologischen Sachverhaltes vom Unrechtstatbestand bei Mezger (Tatbestandslehre) 3. 7 Einzelne Entscheidungen, die die Rechtswidrigkeit selbst behandeln, widerlegen diese Behauptung nicht; sie ergeben sich meist aus den Besonderheiten der Entscheidungssituation, vgl. BGH in NJW 1960, 1966. 8 Vgl. Aristoteles (Rhetorik) 1354 a 1 b und 74 a. 8 Vgl. 6.1.

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logischem Denken der Begriff der "Schuld" von dem der "Rechtswidrigkeit" verschieden sein mußte. Mag auch in der Vergangenheit schon manchmal ein Zusammenhang angedeutet worden sein10, so ist er doch erst in der Gegenwart deutlicher herausgearbeitet worden11 • Für viele Bereiche gibt es überhaupt keine Verhaltensregeln12 • So fehlt es an einer Regel, die hinsichtlich der Beziehungen eines Vaters zu seinem Kind anordnet, unter welchen Voraussetzungen der Vater das Kind durch körperliche Gewalt manipulieren dürfe. In der Mehrzahl der Fälle wird man also vergeblich im Gesetz suchen. Das wird auch durch die gebräuchlichen Verfahren bestätigt. Da das Gesetz ihm die nötigen Regeln nicht gibt, greift der urteilende Richter auf sprachlich fixierte Verhaltensregeln zurück, die in als gleichartig oder hinreichend ähnlich bewerteten Entscheidungen aufgestellt worden sind. Bereits in der Ausbildung der künftigen Richter werden derartige Techniken eingeübt. Durch die Verbindung mit verschiedenartigen Situationen wird die Bedeutung des Ausdrucks erläutert. Dieses Verfahren ist vom kommunikationstheoretischen Standpunkt notwendigerweise unvollkommen. Einige der wichtigsten Gesichtspunkte sollen hier kurz angedeutet werden. Zunächst hält die herrschende Theorie den Richter an, seine Entscheidung dem Gesetz zu entnehmen, da dieses ihm durch das Wort einen Begriff vermittele, der durch einen rationalen Erkenntnisprozeß verstanden werden könne. Dieses Gebot enthält zugleich die Anweisung, aus anderen Quellen herrührende Informationen nicht zu beachten. Daraus folgt, daß der Richter als gleichartig oder ähnlich erfaßte Vorentscheidungen nicht beachten muß. Durch diese Lehre wird ein Unsicherheitsfaktor hineingetragen, der allerdings nicht der wichtigste sein dürfte. Obwohl allen Richtern die Theorie von der (ausschließlichen) Bindung an das Gesetz geläufig ist, versuchen sie doch in der Regel auf früher fixierte Verhaltensvorschriften zurückzugreifen. Dieser Versuch wirft zwei weitere Probleme auf. Will der Richter einer früheren Entscheidung eine Verhaltensregel entnehmen, so muß er den dieser Regel zugrundeliegenden Sachverhalt mit dem von ihm zu beurteilenden vergleichen. Dieser Vergleich kann sich nur auf die mittels der Sprache gegebene Beschreibung stützen. Obwohl in höheren Systemen nach Maßgabe der jeweiligen Kommunikationstechniken relativ genaue Beschreibungen möglich sind, machen doch die Herausgeber der Entscheidungen nur geringen Gebrauch davon. Wenn die Schilderung des Sachverhaltes nicht gänzlich fehlt, ist sie doch 10 Endemann (Lehrbuch) 484, wo Fahrlässigkeit als Verstoß gegen eine Verkehrsnorm bestimmt wird. 11 Känzig (Widerrechtlichkeit) 123 sagt, die übertretung einer Sorgfaltsregel stelle eine widerrechtliche Handlung dar. 12 Deshalb untersucht Münzberg (Rechtswidrigkeit) 141, ob auch in schwierigen Fällen eine konkrete Rechtspflicht aufgefunden werden könne.

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meist äußerst dürftig, so daß erst durch die Kombination mit den Urteilsgründen eine ungefähre Rekonstruktion ermöglicht wird. Dadurch wird die Identifizierung der Sachverhalte oder die Anpassung des gegebenen an einen früheren in erheblichem Maße erschwert. Ein zweites Hindernis ergibt sich für den nach früheren Verhaltensvorschriften suchenden Richter daraus, daß die Technik des Wiederfindens zur Zeit nur unvollkommen entwickelt ist13• Gewiß stellen die in der Gegenwart üblichen Techniken, die ergangene Entscheidungen einem oder mehreren Stichwörtern oder der Kennzahl eines Gesetzes zuordnen und dieses Material in Fundstellenverzeichnissen anordnen einen Fortschritt gegenüber den Verhältnissen dar, die das Wiederfinden einer Entscheidung dem gut funktionierenden Gedächtnis des Richters überließen. Daß diese Verzeichnisse unvollständig sind, weil die Masse des Materials zu einer Beschränkung zwingt, ist selbstverständlich und muß hingenommen werden, obwohl die Auswahl zu einer Vernachlässigung bedeutsamer Entscheidungen führen kann. Ein Mangel dieser Verzeichnisse ist es indes, wenn sie den Benutzer nicht zu den gewünschten Entscheidungen leiten oder eine so große Zahl von Fundstellen nachweisen, daß der erforderliche Arbeitsaufwand in der täglichen Praxis nicht geleistet werden kann. Beide Beobachtungen könnte wohl jeder Jurist auf Grund seiner eigenen Erfahrung bestätigen. Allerdings werden nicht alle Benutzer diese Eigenschaft der Verzeichnisse in gleicher Weise als Mangel erkennen oder empfinden. Unterschiedliche Präinformationen der Benutzer oder verschiedenartige Zielsetzungen bei der Benutzung der Verzeichnisse werden im Einzelfall die Bewertung beeinflussen. Nicht allzu selten wird der Benutzer lediglich versuchen, seine bereits getroffene Entscheidung durch eine Vorentscheidung zu rechtfertigen, so daß die Suche abgebrochen werden kann, wenn die ersten dienlichen Vorentscheidungen gefunden worden sind. Zwar ist diese Einstellung bislang nur in außerjuristischen Bereichen durch empirische Untersuchungen nachgewiesen worden14, jedoch ist es recht wahrscheinlich, daß auch bei juristischen Tätigkeiten diese Verhaltensweisen zumindest in einigen Fällen festgestellt werden könnten. Selbstbeobachtungen einiger Richter scheinen ebenfalls auf die Existenz eines nachträglichen Rechtfertigungsprozesses hinzudeuten15• Immer aber, wenn der Benutzer die eigene Entscheidung auf möglichst zahlreiche Informationen stützen will, wird dieser Mangel der Verzeichnisse bemerkt werden. Damit soll nicht gesagt werden, daß die Ursachen der Mängel bei den Herausgebern der Verzeichnisse zu suchen 18 Wegen der damit verbundenen Probleme vgl. Grolier (Documentation); Weinberg (Bericht) 59 ff. 14 Festinger (Kognitive Dissonanz) 27 ff. 13 Isay (Rechtsnorm) 62 ff., mit weiteren Nachweisen.

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7 Juristische Kommunikationstechniken

seien. Obwohl auch auf dieser Ebene manches zur Verbesserung beigetragen werden könnte, scheint die Unvollkommenheit der Verzeichnisse doch letztlich auf den juristischen Beschreibungs- und Kommunikationstechniken selbst zu beruhen, auf die der Verfasser eines derartigen Verzeichnisses keinen Einfluß hat und auch kaum nehmen kann. In der Mehrzahl der Fälle wird der Suchende zwischen zwei verschiedenen Techniken wählen können. Er kann sein Augenmerk entweder auf die Situation oder auf die Verhaltensregel richten. Im ersten Fall wird er Ausschau nach ähnlichen Situationen halten, in der Erwartung, daß sie schon einmal Anlaß für die Aufstellung einer vielleicht auch in diesem Fall brauchbaren Verhaltensanweisung gewesen sein könnten. Zu diesem Zweck sucht er in den Verzeichnissen unter dem Namen der Situation oder unter dem Namen der in ihr handelnden Personen. So wird er wohl in jedem Verzeichnis unter den Stichwörtern "Arzt" und "Operation" Verweisungen finden, die ihn zu ähnlichen Situationen und oft auch zu den gewünschten Verhaltensregeln leiten. Auf diese Weise wird der Suchende unter Umständen Situationen finden, die dem eigenen Fall nicht nur ähnlich sind, sondern ihm haargenau zu entsprechen scheinen. Selbst bei vollkommener Übereinstimmung kann er aber nicht mit letzter Sicherheit auf die Relevanz der gefundenen Regel bauen. Zumindest muß er damit rechnen, daß die Kritik die Anwendung der Regel beanstandet. Der Grund hierfür soll im Anschluß an die Behandlung der zweiten Suchtechnik erörtert werden. Diese andere Suchtechnik besteht darin, daß er im Vertrauen auf die Gleichförmigkeit juristischer Verhaltensweisen in den Verzeichnissen unter dem Stichwort "rechtswidrig" nach Verhaltensregeln sucht, die auch im zu beurteilenden Fall Bedeutung haben könnten. Diese Hoffnung wird indes enttäuscht: beispielsweise wird er in dem Gesamtregister der Neuen Juristischen Wochenschrüt für den Zeitraum 1947 bis 1960 unter dem Stichwort "Rechtswidrigkeit" nicht alle relevanten Entscheidungen finden, da sie zum großen Teil unter anderen Stichwörtern wie "Aufsichtspflicht", "Verkehrssicherungspflicht", "Amtshaftung", usw. angeführt sind. Unter welchen weiteren Stichwörtern der Benutzer aber nachforscht, hängt von seinen Präinformationen und juristischen Ansichten ab. Anhänger der klassischen Lehre, die den Begriff "Rechtswidrigkeit" von dem der "Schuld" reinlich geschieden wissen wollen, würden wohl kaum auf den Gedanken kommen, Verhaltensregeln unter dem Stichwort "Fahrlässigkeit" zu suchen, wenn sie die Rechtswidrigkeitdes Verhaltens in einer bestimmten Situation zu klären wünschen16• Auf jeden Fall bewirkt dieser Umstand, daß die Relevanz der gefundenen Regel von der Kritik bestritten werden wird. Zur Erläuterung dieser 16

Vgl. Koebel (Besprechung) 1865.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

139

Behauptung sei an den Beschluß des großen Zivilsenats des Bundesgerichtshofes erinnert. Obwohl diese Entscheidung die Verhaltensregel einer gesetzlichen Vorschrift entnimmt, handelt es sich um das gleiche Problem, nämlich die Feststellung der Relevanz einer Verhaltensregel für einen bestimmten Fall. Der entscheidende Gedanke des Beschlusses besagt, daß verkehrsrichtiges Verhalten die Widerrechtlichkeit einer Körperverletzung ausschließt. Die Kritik an dieser Entscheidung ist unter anderem darauf gestützt worden, daß zu unrecht die Verkehrsmäßigkeit der Rechtmäßigkeit gleichgesetzt worden sei. Der erste Begriff besage nämlich nur, daß das Verhalten nicht gegen das öffentliche Verkehrsrecht verstoßen habe, damit sei aber nichts über die Rechtmäßigkeit des zur Körperverletzung führenden Verhaltens gesagt, denn dieses könne nur nach den Regeln des bürgerlichen Rechts beurteilt werden. Dieses bestimme aber, daß eine Körperverletzung stets rechtswidrig sei, sofern nicht ein besonderer Rechtfertigungsgrund sie ausschlösse17. Manchmal wird dieser Gedanke auch in die Formulierung gekleidet, daß der Begriff "Rechtswidrigkeit" nicht einheitlich für die gesamte Rechtsordnung gelte18. Nach beiden Feststellungen ist nicht jede Verhaltensregel für das Rechtswidrigkeitsurteil relevant oder anders ausgedrückt: Der Sprachlaut "rechtswidrig" verweist nicht auf alle Verhaltensregeln. Daß diese Feststellung im Prinzip völlig richtig oder notwendig ist, kann hinsichtlich der für den Straßenverkehr geltenden Vorschriften leicht gezeigt werden, wenn geeignete Verhaltensregeln ausgesucht werden. Wussowtu bringt folgendes Beispiel: "Der ordnungsmäßig den Verkehrsregeln nach auf der Straße fahrende Kraftfahrer müßte mithin berechtigt sein, ganz bewußt den leichtsinnig vor ihm auf dem Fahrdamm laufenden Fußgänger zu überfahren." An derartigen Beispielen läßt sich auch erkennen, warum nicht jede Verhaltensregel für das Rechtswidrigkeitsurteil relevant ist. Diese Verhaltensregeln erfassen immer nur Ausschnitte von möglichen Situationen und sind deshalb unvollständig, so daß sie nicht für alle Situationen gelten können. Zeigt die Verkehrsampel dem Kraftfahrer grün, bedeutet das, er möge fahren, da die Straße frei sei. Keineswegs hat dieses Zeichen diese Bedeutung für alle möglichen Situationen; es gilt eben nur dann, wenn die Straße tatsächlich frei ist, nicht aber, wenn irgendein Hindernis die Fahrbahn des aufgeforderten Fahrers sperrt. Diese Beispiele machen evident, daß der Anwendungsbereich von Verhaltensregeln regelmäßig beschränkt sein muß. Das gleiche gilt nun auch für die Verhaltensregeln, die unter Anlehnung an die oben erwähnten Leitwörter aufgestellt worden sind. Versucht man menschliches Verhalten dadurch zu beschreiben, daß allgemeine Grundwörter wie Rechtswidrigkeit und Verschulden als 17 18 1D

Vgl. z. B. Wussow (Sozialadäquanz) 892. Känzig (Widerrechtlichkeit) 117 f. Wussow (Sozialadäquanz) 892.

140

7 Juristische Kommunikationstechniken

Bausteine für viele Tatbestände verwendet werden, so führt das dazu, daß die für die beiden Wörter entwickelten Verhaltensregeln jeweils nur bestimmte Aspekte einer einheitlichen und damit unteilbaren Situation erfassen. Das eine Wort lenkt die Aufmerksamkeit mehr auf die durch Lernen beobachtbar und beschreibbar gemachte Handlung, das andere hingegen auf den handelnden oder untätig gebliebenen Menschen. Dieses Verfahren will gewisse Merkmale einer Situation isolieren; die Folge ist, daß die für eines der beiden Grundwörter entwickelten Verhaltensregeln nicht die ganze Situation umgreifen wollen, so daß wiederum die Verhaltensvorschriften unvollständig sind, allerdings in einer anderen Weise als die oben dargestellten Vorschriften für den Straßenverkehr. Da das Wort "rechtswidrig" aus dem Sprachlaut "recht" abgeleitet ist, der ursprünglich allein und später in Verbindung mit anderen Sprachlauten als Anweisung für künftiges Verhalten in einer Situation diente, bedeutet die Verweisung durch das Wort "rechtswidrig" zunächst nur, daß in der Vergangenheit liegendes menschliches Handeln an derartigen eingeführten Verhaltensregeln zu messen sei. Die Verweisung ist dann sinnlos, wenn der Mensch untätig geblieben ist. In juristischer Ausdrucksweise handelt es sich um das Problem der Rechtswidrigkeit einer Unterlassung. Da aber auch das Untätigbleiben verantwortlich machen kann, wird es erforderlich, auch in diesen Fällen das Rechtswidrigkeitsurteil auszusprechen. Eine naheliegende und häufig benutzte Denkfigur begründet den Ausspruch der Hechtswidrigkeit mit dem Vorwurf, der Mensch sei untätig geblieben, obwohl er verpflichtet gewesen sei zu handeln. Da diese Denkweise die Verhaltensvorschrift oder besser das Verhaltensgebot auf den Menschen bezieht, ist es verständlich, daß die entsprechenden Regeln meist dem in gleicher Richtung zielenden Leitwort "Schuld" zugeordnet werden. Der Suchende muß also in diesen Fällen Verhaltensregeln unter diesem Leitwort erforschen. Die Theorie rechtfertigt das Verfahren, da sie die Existenz objektiver Schuldelemente annimmt. Dennoch kann der nach diesem Verfahren vorgehende Richter nicht sicher sein, ob die unter dem Leitwort "Schuld" gefundene Regel auch für den von ihm zu beurteilenden Sachverhalt relevant ist. Das würde nämlich nach der herkömmlichen Ausdrucksweise voraussetzen, daß der Begriff der Schuld dem der Rechtswidrigkeit gleichzusetzen wäre. Wie Wussow20 sagt, wäre das Ziel erreichbar durch eine denkgesetzlich mögliche Umgestaltung des Rechtssystems; das würde aber eine so starke Vereinfachung und Vergröberung unseres Systems sein, daß er sie nicht begrüßen könne. Hier liegt der entscheidende Punkt. Versteht man die Leitwörter als Verweisungen auf Verhaltensregeln, so würde die Behauptung, daß eine Verhaltensregel sowohl für die Frage der Rechtswidrigkeit als auch der Schuld 20

Wussow (Sozialadäquanz) 893.

7.3 Die Beschreibung menschlichen Verhaltens

141

relevant sei, bewirken, daß die durch Verknüpfung der Leitwörter mit verschiedenartigen rechtlichen Folgen erreichte Differenzierung verloren ginge. Da diese Gleichsetzung einen kommunikationstechnischen Rückschritt ergäbe, ist nicht zu erwarten, daß dieser Weg eingeschlagen wird. Eher ist anzunehmen, daß es auch in diesem Bereich zu einer weiteren Differenzierung kommt; gewisse Tendenzen sind bereits erkennbar, allerdings steht noch die den Vorgang abschließende Namensgebung aus. Auch wenn die Differenzierung sich durchsetzte, wäre die Ungewißheit nicht von dem Suchenden genommen. Will die Kommunikationstechnik bestimmte Aspekte des Verhaltens in einer Situation isoliert behandeln, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß dieser Ausschnitt Bestandteil einer einheitlichen Situation ist, so daß letztlich der scheinbar fixierte Ausschnitt nur verstanden werden kann, wenn man den gesamten Kontext berücksichtigt. Eine Verhaltensregel, die bestimmte, ein Kraftfahrer habe sich so und so zu verhalten, bliebe sinnlos, wenn man nicht ergänzte in der und der Situation. Eine Verhaltensregel, die unter Anlehnung an diese Beschreibungstechnik geschaffen worden ist, kann aber auf verschiedene Aspekte dieser Situation bezogen werden. Zusammenfassend muß also gesagt werden, daß das Verfahren, Verhaltensregeln in Vorentscheidungen zu suchen, mit vielen Unsicherheitsfaktoren belastet ist. Nur wenige Vorentscheidungen werden so bekannt gemacht, daß sie allgemein zugänglich sind. Dennoch ist deren Zahl noch so groß, daß erhebliche Schwierigkeiten entstehen, alle in Betracht kommenden aufzufinden. Von einer schließlich gefundenen und geeignet erscheinenden läßt sich nie mit Sicherheit sagen, ob sie für die Frage der Rechtswidrigkeit relevant ist. Diese Ungewißheit kann auch nicht beseitigt werden. Selbst eine gesetzliche Zuordnung vermöchte das nicht. Erst recht kann das nicht durch die sogenannte herrschende Meinung erreicht werden. Sie ist von geringer Verbindlichkeit und berücksichtigt immer nur einen kleinen Teil der Vorentscheidungen. Vor allem stellt sich aber nicht selten heraus, daß die herrschende Meinung gar nicht existiert. Der durch die bekannte Entscheidung des Bundesgerichtshofes ausgelöste Streit konnte nur deshalb entstehen, weil sich für derartige Fälle noch keine herrschende Meinung gebildet hatte, obwohl das Problem selbst seit langer Zeit bekannt war. Schließlich stellt sich auch manchmal heraus, daß die herrschende Meinung blind ist. So hat sie bislang den Zusammenhang zwischen Rechtswidrigkeit und den zu § 276 BGB geschaffenen Regeln nicht erkannt. Deshalb bemängelt Koebel in der Besprechung der 22. Auflage des Palandt2 t, daß die erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht auch bei § 831 BGB im Zusammenhang mit der Rechtswidrigkeit behandelt wor21

Koebel (Besprechung) 1865.

142

7 Juristische Kommunikationstechniken

den ist; denn kaum ein Leser würde darauf kommen, daß die fehlenden Zitate in den Ausführungen über die Fahrlässigkeit bei § 276 Anm. 4 BGB zu finden seien. Der größte Mangel der geschilderten Kommunikationstechnik ist aber darin zu finden, daß in bestimmten Bereichen die Entwicklung der Kommunikation und damit die Leistungen des Kommunikationssystems selbst beeinträchtigt werden können. Durch diese Technik kann nämlich eine bestimmte Einstellung des urteilenden Juristen erzeugt oder begünstigt werden, die sachdienlichen Veränderungen entgegensteht. Wird der Ausdruck "rechtswidrig" als Verweisung auf die Regeln des objektiven Rechts verstanden, gerät man in das Fahrwasser jener logischen Lehren, die das Recht als statisches System begreüen22• Verbunden damit ist der Gedanke der Vollständigkeit oder Lückenlosigkeit; der Kreis der vorgefundenen Regeln ist demnach geschlossen23 • Auf der Grundlage dieser theoretischen Anschauung ist es leicht möglich, daß bei der Beurteilung einer neuartigen Situation das Verhalten eines Menschen nicht als Unrecht verurteilt wird, weil es an den entsprechenden Regeln fehlt. Manchen Juristen wird es wegen des Fehlens einer Regel gar nicht in den Sinn kommen, die Handlung als rechtswidrig zu bezeichnen; einige, die diesen Gedanken fassen, werden vor diesem Urteil zurückschrecken, weil die Theorie der Rollenverteilung ihnen diese Eigenmächtigkeit verbietet24• Daß diese Auffassung der Fortbildung des Rechts hinderlich sei, wird auch von einigen englischen Juristen mit Nachdruck verfochten. Es ist eines der wichtigsten Argumente im Kampf gegen die Auffassung, die von einem geschlossenen Kreis der torts ausgeht25• Da andererseits der Gesetzgeber von den meisten seiner Schöpfungen die Überzeugung hegt, sie seien so vollkommen, daß sie den Richter für jeglichen Fall hinlänglich Anleitung gäben, ist er nicht genötigt, die Rechtsprechung im einzelnen zu verfolgen. Die Folge ist, daß ihm sowohl das Aufkommen neuartiger Situationen als auch ihre Beurteilung durch die Gerichte verborgen bleiben kann. Es liegt auf der Hand, daß die Untätigkeit der beiden Teile zu Entwicklungen führen kann, die der Gemeinschaft schaden. Schreiber (Logik) 1; vgl. auch Engisch (Logik) 86. Winfield (Tort) 17. u Vgl. z. B . Staudinger-Seufert Anm. 49 zu § 906 BGB, es verstieße gegen den juristisch "guten Geschmack", die Existenz einer die wesentliche Grundlage unserer Volkswirtschaft bildenden Industrie in ihrer durch die moderne Technik unabänderlich bedingten Erscheinungsform als rechtswidrig zu bezeichnen. 25 Winfield (Tort) 17 ff. und die dort angeführten Nachweise. 22

2s

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen

143

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen Zu den Rechtsverhältnissen werden zwar auch Beziehungen eines Menschen zu Gütern gerechnet. Wie am Beispiel des Eigentums erkennbar wird, erlangen diese Rechtsverhältnisse aber erst im sozialen Kontakt Bedeutung. Deshalb ist es gerechtfertigt, auch diese Rechtsverhältnisse unter dem genannten Gesichtspunkt zu erfassen. Die durch die Benennung der Rechtsverhältnisse geübte Kommunikationstechnik entspricht in gewissem Umfang den in in den beiden vorigen Punkten behandelten. Auch durch den Namen des Rechtsverhältnisses wird der suchende Richter zu bestimmten Verhaltensvorschriften geleitet. Indes bestehen einige Unterschiede. Die Benennung der Rechtsverhältnisse stellt eine explizite Verweisungstechnik dar, was für die zuvor erörterten Fälle nicht zutrifft. Zwischen Verwandtschaftsnamen und Verhaltensregeln besteht in höheren Kommunikationssystemen nur ein schwacher Zusammenhang, der überdies von der theoretischen Deutung der Verwandtschaftsbezeichnungen übersehen wird und deshalb außerhalb des Bewußtseins bleibt. Bei dem Ausdruck "rechtswidrig" ist hingegen der Zusammenhang mit den Verhaltensregeln allgemein bekannt, obwohl die eine theoretische Deutung des Ausdruckes das bestreitet. Jedoch wird der Ausdruck nicht als eine explizite Verweisung auf eine vorgegebene Liste von Verhaltensregeln verstanden, da die übliche Auffassung in ihm einen Begriff sieht, der für jeden Fall die erforderliche Information vermittelt, so daß die Verweisung auf eine Liste mit einer endlichen Anzahl von Regeln weder erforderlich ist noch als ausreichend angesehen werden könnte. Ein weiterer Unterschied liegt darin, daß der Name des Rechtsverhältnisses nicht nur zu Verhaltensregeln, sondern auch zu andersartigen Sätzen führt. Diese Technik hat vielfältige Bedeutung; Leonhard1 hebt hervor, daß durch sie Zeit und Denkkraft gespart werde. Gäbe es nämlich nicht die Gliederung der Rechtssätze in Rechtsverhältnisse, müßte der Richter den zu beurteilenden Sachverhalt an allen Sätzen seiner Rechtsordnung messen. Der Studierende wird deshalb angewiesen, zu Beginn der sachlichen Erörterung eines Rechtsfalles die Art des Rechtsverhältnisses zu bestimmen. Offensichtlich handelt es sich um eine äußerst zweckmäßige Zuordnungstechnik, die den Suchenden mit geringer Mühe zu den maßgebenden Verhaltensvorschriften leitet, sofern die Art des Rechtsverhältnisses festgestellt werden kann. Von dieser Bestimmungsfrage scheint die Leistungsfähigkeit der Technik wesentlich abzuhängen. Man sollte deshalb annehmen dürfen, daß die Methode der Bestimmung eingehend vom juristischen Schrifttum behandelt wird. Das ist indes nicht der Fall. Auf diese Frage gehen Lehrbücher regelmäßig überhaupt nicht 1

Leonhard (Anleitung) 12.

144

7 Juristische Kommunikationstechniken

ein; sie scheinen diese Fähigkeit vorauszusetzen. Eine Ausnahme bildet die spezielle Ausbildungsliteratur, die zur richtigen Behandlung eines Rechtsfalles anleiten will. Allgemein üblich dürfte die Anweisung sein, daß der Richter sich nicht auf die die Kennzeichnung des Rechtsverhältnisses betreffenden Angaben der Parteien verlassen dürfe, da die Rechtsansichten der Beteiligten für ihn unverbindlich wären, daß er sich vielmehr allein an die tatsächlichen Angaben zu halten habe, die ihm erlaubten, den entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt zu entdecken2 • Präzision kann man dieser Anweisung kaum nachrühmen. Sie setzt nämlich einen Zusammenhang zwischen Tatsachen und Rechtsverhältnissen voraus, erläutert ihn jedoch nicht3 • Schließlich verlangt die Scheidung der Tatsachen von den Rechtsansichten die Angabe eines Kriteriums, das diese Unterscheidung ermöglicht. Hinsichtlich des letzten Punktes kann an die Ausführungen zur Theorie der Beobachtungssätze erinnert werden. Dort ergab sich unter anderem, daß die beobachteten Tatsachen immer nur festgestellte Tatsachen sein können, da nur die Verknüpfung der Sprechmotorik mit anderen spezifischen Gehirnfähigkeiten die "beobachtete" (gelernte) Tatsache mitteilbar macht. Diese Tatsachen werden also ebenfalls durch sprachliche Ausdrücke (Namen) in den Streit eingeführt. Zwischen den Namen der Tatsachen und denen der Rechtsverhältnisse besteht aber kein erkennbarer Unterschied. Erst die Kenntnis der Namen der Rechtsverhältnisse erlaubt dem Richter die Unterscheidung. Alsdann bedeutet diese Anweisung, daß der Richter gewisse Ausdrucksweisen der Beteiligten übernehmen kann, andere hingegen zumindest vorläufig nicht beachten darf. Das von einem Richter bei der Abfassung eines Gutachtens eingeschlagene Verfahren bestätigt die hier dargelegte Auffassung. Bei der Darstellung des Sachverhalts, dem zeitlich ersten Arbeitsvorgang, vermeidet er die von den Beteiligten gewählten Bezeichnungen des Rechtsverhältnisses. Darin erschöpft sich aber auch die Bedeutung des ersten Teils dieser Anweisung. Ungleich wichtiger ist das Gebot, aus juristischen Tatsachen auf bestimmte Rechtsverhältnisse zu schließen. Da das Gebot sehr nachdrücklich ausgesprochen wird, sollte man erwarten, daß genauere Anweisungen für die Feststellung der juristischen Tatsachen gegeben werden. Das ist aber nicht der Fall. Sucht der Lernende nach den juristischen Tatsachen, so findet er zunächst in den Darstellungen der allgemeinen Lehren des Zivilrechtes einige Bemerkungen. Dort wird ihm mitgeteilt, daß die juristischen Tatsachen die Entstehung, die Veränderung und den Untergang der subjektiven Rechte (und damit wohl auch der RechtsLeonhard (Anleitung) 14. Schneider (Relationstechnik) 1310; Schwierigkeiten bereitet oft die Abgrenzung der Rechtsbegriffe von den Tatsachen, weil beide ineinander übergehen können. 2 3

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen

145

verhältnisse) bewirken4 • Geburt und Tod des Menschen, sein Alter, der Zeitablauf, die Veränderung eines Flußbettes werden als Beispiele für juristische Tatsachen angeführt. Diese Beispiele ermöglichen es aber dem Lernenden nicht, auch in anderen Fällen festzustellen, ob es sich um eine juristische Tatsache handelt; überdies verhelfen ihm die Beispiele nicht zu der Fähigkeit, die Bestimmung eines bestimmten Rechtsverhältnisses in Angriff zu nehmen, da das nicht der Zweck der allgemeinen Lehren ist. Der Lernende wird also auf die Mitteilungen verwiesen, die bei den einzelnen Rechtsverhältnissen gemacht werden. Hier werden zwei verschiedene Wege der Belehrung eingeschlagen. Die eine Methode geht von den Worten des Gesetzes aus, sie kann die theoretische genannt werden. Das andere Verfahren besteht darin, genauer beschriebene Situationen einem Rechtsverhältnis zuzuordnen. Die theoretische Annäherung fußt auf den eingangs behandelten Sprachtheorien, nach denen die Sprache die Eigenschaft hat, Tatsachen der Welt abzubilden. Besonders häufig ist die logisch beeinflußte Ausdrucksweise. Demzufolge spricht man von dem Begriff des Rechtsverhältnisses und bestimmt seinen Inhalt durch eine Definition. Diese hat auf jeden Fall die wichtigsten Merkmale anzugeben; durch sie werden zugleich die juristischen Tatsachen benannt, so daß auf diesem Weg das Rechtsverhältnis leicht festgestellt werden kann. Das klingt so einleuchtend, daß die unbestreitbaren Erfolge der juristischen Ausbildung vor allem dieser durch begriffliche Klarheit ausgezeichneten Methode zugeschrieben werden dürften. Ob aber tatsächlich diese Lehrmethode dem Lernenden zu der notwendigen Fertigkeit bei der Bestimmung der Rechtsverhältnisse verhilft, scheint aus mehr als einem Grund zweifelhaft zu sein. Man versetze sich in die Lage des Lernenden, der ohne besondere juristische Vorkenntnisse die Bestimmung eines Rechtsverhältnisses in Angriff nehmen will. Ihm stehen nach der gemachten Annahme noch nicht einmal die Namen aller Rechtsverhältnisse zur Verfügung. Ihr Besitz ist aber notwendige Voraussetzung des Verfahrens, da man ohne diese Leitwörter nicht auf geradem Weg zu den Bestimmungen gelangt, die das jeweilige Rechtsverhältnis regeln. In dieser Situation kann der Lernende einen Erfahrenen um Rat angehen, er kann aber auch darauf vertrauen, daß die im Gesetz gewählte Anordnungstechnik es ermöglicht, aus eigener Kraft das Rechtsverhältnis zu bestimmen. Zu diesem Zweck müßte der Suchende zuerst aus der Masse der Gesetze einige auswählen, die für den vorgegebenen Fall in Betracht kommen könnten. Es ist selbstverständlich, daß diese Aufgabe nicht ohne bestimmte Vor4 Endemann (Lehrbuch) 245 ff.; Engisch (Einführung) 51 mit weiteren Nachweisen.

10 Horn

146

7

Juristische Kommunikationstechniken

kenntnissebewältigt werden kann. Diese müssen die Rechtsverhältnisse selbst und ihre Anordnung in den Gesetzen betreffen. Das läßt sich allerdings nicht mit den Anschauungen vereinbaren, die dieser Methode zu Grunde liegen. Überdies muß bei diesem Vorgehen in Kauf genommen werden, daß nicht berücksichtigte Gesetze für den vorgegebenen Fall Bedeutung haben können. Hat sich der Suchende für ein bestimmtes Gesetz entschieden, so wird er bei Gesetzen von größerer praktischer Bedeutung ein dem Gesetz vorangestelltes Inhaltsverzeichnis vorfinden, dem er die Anordnung des Gesetzes entnehmen kann. In ihm wird er auch die Namen der Rechtsverhältnisse finden, allerdings nicht alle, denn zahlreiche Rechtsverhältnisse bleiben unbenannt. Obwohl es sich dabei um relativ unwichtige handeln wird, die, wegen ihrer Seltenheit, unbenannt bleiben können, wird dennoch die Methode mit einem erheblichen Unsicherheitsfaktor belastet. Die gleiche Wirkung hat die Existenz sprachlicher Ausdrücke in den Verzeichnissen, die wegen ihrer Form als Namen anzusprechen sind, jedoch nicht Namen von Rechtsverhältnissen darstellen. Ohne Kenntnisse kann der Suchende hier nichts ausrichten. Auch die vom Gesetzgeber eingeschlagene TeChnik trägt manchmal zusätzlich zur Verwirrung bei. So tritt der Ausdruck "Rücktritt" als Benennung einer zu bestimmten Zwecken abgegebenen Willenserklärung auf, gleichzeitig dient aber das Wort als Hinweis auf das dadurch entstandene Rechtsverhältnis. Den meisten Lernenden wird die zweite Funktion wohl erst nach einer Belehrung aufgehen. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Grundlage der Methode recht unsicher ist. Daß die Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung nicht so groß sein werden, weil jeder Lernende bereits Vorkenntnisse mitbringt und in einem ständigen Lernprozeß neue hinzu erwirbt, berührt diese Feststellung nicht. Diese betrüft nämlich nur die theoretische Anschauung, daß über den Namen der Begriff des Rechtsverhältnisses entdeckt werden könne. Auch die weitere Durchführung stößt alsbald auf Schwierigkeiten. Wird nämlich angenommen, daß über den Namen die Regel gefunden worden ist, die das Rechtsverhältnis beschreibt, gilt es beim zweiten Schritt, die wesentlichen Merkmale jener Beschreibung zu entdecken. Nur eine unkritische Betrachtungsweise kann diese Aufgabe als problemlos abtun. Bereits die Besinnung auf die Komplexität des Rechtsverhältnisses zeigt, daß das so einfach nicht sein kann. Bei dem Bemühen, aus der Vielzahl der sprachlichen Ausdrücke in einer Vorschrift diese auszuscheiden, die das Rechtsverhältnis beschreiben sollen, muß sich der Suchende die Frage vorlegen, was überhaupt beschrieben werden soll. Nachdenken mag ihn zu der Überlegung führen, daß die Antwort von dem Begriffe des Rechtsverhältnisses selbst abhängt. Daß dieser Begriff in verschiedener Weise bestimmt wird, zeigt der schwan-

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen

147

kende Sprachgebrauch. Engisch5 weist daraufhin, daß der Ausdruck manchmal als Quelle künftiger Rechte und Pflichten verstanden werde, in anderen Fällen hingegen der Komplex eben dieser Rechte und Pflichten selbst gemeint sei. Daß dieses Schwanken verständlich ist, ja sogar erwartet werden muß, wird einsichtig, wenn die Angelegenheit von einem kommunikationstheoretischen Standpunkt betrachtet wird. Danach ist das Rechtsverhältnis das Denkmodell einer in entwickelten Kommunikationssystemen in differenzierter Weise bestimmten imperativen Kommunikationssituation. Wie an früherer Stelle ausführlich dargelegt wurde, bilden Situation und Verhaltensweise eine komplexe Einheit. Daran kann auch die in höheren Systemen eingeführte Trennung von Situationsbeschreibung und Verhaltensanweisung nichts ändern; denn diese Unterscheidung kann selbstverständlich die funktional bedingte Zusammengehörigkeit der beiden Teile nicht aufheben. Demnach wird der Begriff des Rechtsverhältnisses durch die Situationsbeschreibung und durch die für sie geltende Verhaltensweise {Rechtspflicht) bestimmt. Das ist auch die Auffassung Neuners8 , der in seiner monographischen Behandlung des Rechtsverhältnisses den Begriff aus einer faktischen und juristischen Komponente zusammensetzt. Bei der Bestimmung eines Rechtsverhältnisses führt die unterschiedliche Weise des Beziehens allerdings nur dann zu verschiedenartigen Ergebnissen, wenn die Rechte und Pflichten zum Begriff des Rechtsverhältnisses gerechnet werden und zugleich das Bestehen einer Pflicht verneint wird. Das gewöhnliche Verfahren ist das indes nicht. Regelmäßig wird vielmehr allein die Situationsbeschreibung berücksichtigt, was vollkommen der in höheren Systemen ausgebildeten Technik entspricht, denn nur durch dieses Verfahren kann eine bessere Übereinstimmung von Sprecher und Hörer erreicht werden. Die juristische Theorie nimmt es nun als selbstverständlich an, daß diese Trennung in den Rechtssätzen besteht, denn sie unterscheidet Tatbestand und Rechtsfolge. Die Unterscheidung gilt insbesondere auch für jene Sätze, die ein Rechtsverhältnis bestimmen sollen. Hinsichtlich ihrer sprachlichen Gestaltung genügen indes nur wenige Sätze dieser theoretischen Forderung. Selten sind nämlich die sprachlichen Ausdrücke, die der Situationsbeschreibung dienen von denen der Verhaltensanweisung abgesetzt; vielmehr sind fast immer die beiden Teile verflochten. Wer die Regel anwenden will, ist also gezwungen, selbst die Trennung zu versuchen. Man darf vermuten, daß die meisten Juristen das als eine leicht lösbare Aufgabe betrachten, was nicht verwundert, da die Theorie die Trennbarkeit voraussetzt. Verschiedentlich aber ist in tiefer dringenden Untersuchungen festgestellt worden, daß 6 8

10*

Engisch (Einführung) 19. Neuner (Rechtsverhältnisse) 9.

148

7 Juristische Kommunikationstechniken

diese Aufgabe nicht so einfach zu bewältigen ist. Mezger7 erläutert die hier auftretenden Probleme in einem Aufsatz zur Tatbestandslehre. Im Einklang mit der herrschenden Auffassung geht er davon aus, daß ein Teil des Rechtssatzes einen Tatbestand beschreibe und ein anderer Teil des Satzes den Richter zur Bewertung eben der Handlung auffordere. Da der vorgegebene Sachverhalt Gegenstand der Erkenntnis und der deskriptiven Beschreibung sei, bildeten die zur Beschreibung verwendeten Ausdrücke den ontologischen Bestandteil des Satzes. Diese Erkenntnis wäre insbesondere deshalb wichtig, weil die betreffenden Ausdrücke dadurch der Verfügung des Gesetzgebers entzogen wären. Eingeflochten sei, daß diese Auffassung für die Auslegungslehre erhebliche Bedeutung hat. Es leuchtet ein, daß jede Theorie, die ihre Feststellungen als Tatsachenerkenntnisse darbietet, allein aus diesem Umstand einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Auffassungen erlangt. Mezger fährt dann fort, dieser erkenntnistheoretische Unterschied zwischen ontologischen und normativen Bestandteilen wäre auch dann zu beachten, wenn äußerlich gesehen "Beschreibung" und "Bewertung" in den gleichen Worten in Erscheinung treten. Dies sei der Fall bei dem Ausdruck "Vorsatz", der im geltenden Recht eine Doppelbedeutung habe; was allerdings noch immer übersehen werde. Aus diesen Bemerkungen ergibt sich, daß die Abtrennung der Ausdrücke, die die Situationsbeschreibung geben sollen, Schwierigkeiten begegnet oder sogar unmöglich ist. Stellt man sich auf den Standpunkt, daß der Ausdruck "Vorsatz" eine Doppelbedeutung habe, so kann man ihn keiner der beiden Klassen von Ausdrücken zuweisen. Die Abtrennung ist nicht möglich. Dieses Beispiel läßt deutlich die soeben behauptete Verschränkung der Situationsbeschreibung und Verhaltensanweisung erkennen. Bedenkt man nämlich, daß die Aufforderung zu einer Wertung gewiß nicht zur Situationsbeschreibung gehören kann, daß schließlich die Bewertung in einem Vergleich der zu beurteilenden Handlung mit bereits eingeführten Verhaltensweisen besteht, was besonders bei Fahrlässigkeitstaten hervortritt, da das Gesetz selbst auf die im Verkehr geltenden Verhaltensregeln verweist8 , so wird ersichtlich, daß die Doppelbedeutung des Ausdrucks nichts anderes ist als die Vermengung von Situationsbeschreibung und Verhaltensanweisung. Diese Vermengung ist aber nicht die Folge nachlässiger Gesetzgebungstechnik, sie ergibt sich vielmehr zwangsläufig aus der komplexen Beschaffenheit der imperativen Kommunikationssituation. Hingegen befinden sich die neuerdings zu diesen Ausdrücken entwickelten Theorien in einem fortgeschrittenen Stadium der Kommunikationstechnik. Der Erkenntnis der Vermengung folgt der Versuch der Trennung. Auf der Grundlage der 7

s

Mezger (Tatbestandslehre) 3. Vgl. § 276 BGB.

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen

149

gewöhnlichen Ontologie glaubt man also einen der Deskription dienenden Bestandteil herauslösen zu können und weist ihn dem Tatbestand zu. Allein die den Vorgang abschließende Namensgebung steht noch aus. Die Notwendigkeit ergibt sich bereits aus den logischen Lehren. Einem Wort mit zwei Bedeutungen ist die eine zu nehmen und dafür ein neuer Ausdruck zu prägen9 • Daß dieses Verfahren vor allem aus kommunikationstechnischen· Gründen angebracht ist, ergibt sich bereits daraus, daß der Streit über die wahre oder richtige Bedeutung des Ausdrucks "Vorsatz" noch keineswegs beendet ist10• Noch deutlicher wird die Verschränkung der beiden Teile an Ausdrücken erkennbar, die von Rechtsprechung und Lehre neu gebildet werden. Am Anfang verfügt man meist nur über einige wenige Ausdrücke, die auf komplexe Situationen verweisen, die auch ein bestimmtes Verhalten einschließen. Kaum über dieses Frühstadium ist die Lehre vom Schutz des Gewerbebetriebes hinausgelangt. Der Kern des Rechtssatzes besteht aus der Wendung, daß der Eingrüf in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb abgewehrt werden kann und zum Schadenersatz verpflichtet. Die einzelnen zur genaueren Bestimmung des Eingrüfs hinzugefügten Ausdrücke "Bestand" und "Ausstrahlungen" haben nicht das gehalten, was sich die Schöpfer vielleicht davon erhofft haben11 • Der Grund liegt darin, daß insbesondere der Ausdruck "Ausstrahlungen" von sehr hohem Abstraktionsgrad ist. Deshalb ist es nicht möglich, diese spirituelle oder korpuskulare Emanation mit bestimmten menschlichen Handlungen in Verbindung zu bringen; woraus umgekehrt allerdings folgt, daß sie mit allen menschlichen Verhaltensweisen in Beziehung gesetzt werden kann. Somit vermittelt allein der Kern "Eingriff in den Gewerbebetrieb" die Deskription. Juristische Bedeutung erlangt dieser Satz aber nur durch die mit ihm implizite verknüpften Folgen. Denn dieser Satz ist nicht zum Zweck der Beschreibung menschlicher Handlungen aufgestellt worden, sondern er entstammt direkt der imperativen Kommunikationssituation, in der der Ausdruck verwendet wird, um fremdes Verhalten abwehren oder angreifen zu können. Diese Beispiele zeigen, daß die herkömmliche Auffassung in verschiedener Beziehung revidiert werden muß. Die Annahme, daß etliche Ausdrücke eines Rechtssatzes allein der Beschreibung des Tatbestandes dienten, ist nicht aufrecht zu erhalten. Eine umfassendere Untersuchung würde wahrscheinlich ergeben, daß in der Mehrzahl der Vorschriften ein Ausdruck für beide Teile des Satzes Bedeutung hat. Dieser Umstand 8

10 11

452.

Carnap (Necessity) 98. Vgl. z. B. Staudinger-Werner zu§ 276 Anm. 62 ff. Vgl. z. B . Schultz (Gewerbebetrieb) 1802; Lingenberg (Gewerbebetrieb)

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7 Juristische Kommunikationstechniken

erklärt auch, warum die. von der Theorie stillschweigend vorausgesetzte Fähigkeit, Ausdrücke des Tatbestandes als solche zu erkennen, zumindest in einigen Fällen versagt. Handelte es sich bei diesen Ausdrücken tatsächlich nur um Wörter, die in allgemeiner Weise auf Dinge der Welt12 hinweisen, wie jene ontologisch orientierte Theorie der Sprache voraussetzt, so wäre es nicht möglich, daß so viele Juristen gleicher Ausbildung verschiedenartige Erkenntnisse erlebten. Auch von dem zweiten Verfahrensabschnitt muß also gesagt werden, daß die tatsächlichen Verhältnisse nicht den theoretischen Anschauungen entsprechen. Die letzten Bemerkungen lassen aber auch schon vermuten, daß der dritte Verfahrensabschnitt ebenfalls davon betroffen ist. Wird angenommen, daß die Isolierung der der Deskription dienenden Ausdrücke gelungen sei, so hätte der Suchende die Kenntnis der für das Rechtsverhältnis bedeutsamen Tatsachen erlangt. Dennoch genügte dieses durch die einzelnen Ausdrücke vermittelte Wissen noch nicht. Nach allgemeiner Auffassung kann nämlich eine Situation durch eine Häufung von Ausdrücken nicht beschrieben werden, wenn diese isoliert nebeneinander stehen. Demzufolge muß der Suchende die Ausdrücke zu einem Satz verbinden, der dem Bauplan für Beschreibungssätze genügt, sofern er es nicht vorzieht, ihn einem Lehrbuch zu entnehmen. So erführe er, daß die in § 433 BGB verwendeten und von ihm herausgesuchten Ausdrücke "Sache" und "Geld" durch das Wort "Umsatz" zu verbinden seien. Die dadurch erlangte Wendung, der Kauf sei ein auf den Umsatz einer Sache gegen Geld gerichteter Vertrag13, mag den Eindruck hervorrufen, es handele sich um einen beobachtbaren Vorgang, der durch die gegebene Beschreibung immer richtig erkannt und benannt werden kann, da die Beschreibung die für die Bestimmung des Rechtsverhältnisses entscheidenden Tatsachen angibt. Diese Annahme gilt aber nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Der Vorgang muß sich in einer endlichen Zeit abspielen, damit der Beobachter die Handlungen der Beteiligten als einen einheitlichen Vorgang erkennen kann. Weiterhin müßte die Beobachtung von dem zum Urteilen berufenen Juristen selbst gemacht werden. Von dieser Voraussetzung kann abgesehen werden, wenn angenommen wird, daß die Kommunikationstechnik die Beobachtung mitteilbar macht. Der Eindruck, daß die Beschreibung den Vorgang beobachtbar macht, wird vornehmlich durch den Ausdruck "Sache" hervorgerufen werden. Er kann als Musterbeispiel eines deskriptiven Begrüfes allgemeiner Art dienen, der dennoch präzis ist. Die etymologischen Daten zeigen deutlich, wie sich diese Auffassung entwickelt hat. Die früheste bekannte 12 13

Vgl. Engisch (Einführung) 51, raum-zeitlich bestimmte Ereignisse. Endemann (Lehrbuch) 696.

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen

151

Verwendung findet der Ausdruck in der Rechtssprache14• In allen germanischen Sprachen meint "Sache" einen Rechtsstreit vor Gericht haben. Einige der heutigen Verwendungsweisen gehen direkt auf diese Bedeutung zurück. "In Sachen" hat die gleiche Funktion; "Sachwalter" läßt den Zusammenhang erkennen. In der Zeit der althochdeutschen Spracheu kam es dann zu einer Verallgemeinerung. Das Wort fand Eingang in die Umgangssprache. Damit verlor sich die relativ bestimmte Verwendungsweise, denn nunmehr nahm man es auch als Hinweis auf andere als rechtlich relevante Situationen. Eine erhebliche Veränderung trat ein, als die Philosophen den Ausdruck ihrem technischen Wortschatz einverleibten, und zwar kam es zu einer Differenzierung. Einmal wurde das Wort zum Hinweis auf relativ isolierte Objekte in einer Situation. Diese Objekte können einfach durch die Wahrnehmung erfahren werden18, sie sind Körper und haben mithin eine Ausdehnung17• Die zweite Verwendungsweise ergab sich daraus, daß der Ausdruck nach wie vor auch als Hinweis auf nicht in dieser Weise wahrnehmbare Bestandteile der Situation genommen wurde. Um klarzustellen, daß auch jene Bestandteile der Situation real (wirklich, existent) wären, erfand der Berliner Prediger Spalding1s das Wort "Tatsache" als sinnvolle Übersetzung des englischen Ausdrucks "matter of fact". In die deutsche Rechtssprache fand, wie § 90 BGB zeigt, die erste Verwendungsweise Eingang. Da das körperliche Objekt wegen seiner Ausdehnung leicht wahrgenommen werden kann19, was jedenfalls die herkömmlichen Perzeptionstheorien lehren, erscheint demnach das Bestimmungsverfahren als reiner Beobachtungsvorgang. Das ist aber unrichtig. Nicht alle ausgedehnten Objekte werden als Sache bezeichnet20 • Weitaus die meisten körperlichen Dinge sind nicht Sachen im Rechtssinn, behauptet Sohm21 • Entweder seien sie aus tatsächlichen Gründen oder durch die guten Sitten vom rechtsgeschäftliehen Verkehr ausgeschlossen. Als Beispiel für die erste Gruppe nennt er Sterne aber auch die Biene in einem Bienenschwarm, für die zweite Gruppe den Menschen und den Leichnam. Andererseits gibt es Objekte, denen die Ausdehnung zu fehlen scheint, die aber dennoch als Gegenstand genommen werden sollen. Elektrizität ist nach vulgärer Theorie ein Objekt, das nicht in der gewöhnlichen Weise beobachtet werden kann. Wer es auf dieses Kriterium abstellt, muß deshalb die Existenz eines Kaufes verneinen. Dennoch wird auch von denjenigen, die Zweifel äußern, letztlich die Situation als Kauf 14

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Schade (Wörterbuch). Trübner (Wörterbuch). Kant (Kritik) 292, 45; Hoffmeister (Wörterbuch). Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Leibniz (Substanz) 19 ff. Nachgewiesen bei Trübner (Wörterbuch). So bereits Aristoteles (Metaphysik) 982 a. Vgl. z. B. die Bemerkung in Grimm (Wörterbuch) S. 1598, r. Spalte. Sohm (Gegenstand) 17.

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beurteilt. Zwei verschiedene Begründungen werden zu diesem Zweck herangezogen. Die erste bestimmt den Kaufvertrag von vornherein anders. Man sagt, daß das Gesetz zwar nur Sachen und Rechte erwähne, behauptet aber, daß daneben auch alle anderen gegen Geld umtauschbaren Werte Gegenstand des Kaufvertrages sein könnten22• Zur Rechtfertigung ruft man Wissenschaft und Praxis an, die diese Anschauung anerkennten23 • Diese Begründung widerspricht der Annahme, daß ein vorgegebenes Rechtsverhältnis allein durch die Beschreibung des Gesetzes erkannt werden könnte. Vielmehr werden Kenntnisse aus anderen Bereichen verlangt, die nach jener Ansicht gerade nicht erforderlich sein sollten. Die zweite Begründung beläßt es bei der Verneinung des Kaufes, nimmt aber an, daß Kaufrecht herangezogen werden könne oder müsse. Die Rechtfertigung liefert meist die Logik. Mit der Berufung auf den Analogieschluß wird der Eindruck erweckt, das richtige Denken erzwinge das Vorgehen. Da weiterhin angenommen wird, daß der wissenschaftlich hinreichend Vorgebildete die Kunst des richtigen Denkens erworben hat, erscheint also die Feststellung als Beobachtungsvorgang, der durch das richtige Denken unterstützt wird. Das Hinzufügen einer zweiten menschlichen Fähigkeit ist aber nur ein Kunstgriff, der nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß wiederum Kenntnisse aus anderen Bereichen verlangt werden. Die Anwendung des Ausdruckes "Sache" wird also nicht durch einen Beobachtungsvorgang ausgelöst, vielmehr wird sie in erheblichem Umfang durch Theorien des außerjuristischen Bereichs reguliert. Was Sohm hinsichtlich der römischen Juristen feststellt24, hat also auch für die heutigen Verhältnisse Gültigkeit. Da die außerjuristischen Theorien regelmäßig nicht schriftlich fixiert sind, beruht die Feststellung eines Kaufes in vielen Fällen auf recht unsicheren Grundlagen. So bemerkt Gysin25 hinsichtlich der Kaufehe, daß sie eine verhältnismäßig späte Einrichtung sein müsse, denn sie setze schon extreme Herrschafts- und Klassenverhältnisse und das Absinken der sozialen Stellung der Frau voraus. Andererseits erklärt er, daß man mitunter einfach das Darbringen von Hochzeitsgeschenken, die die Hochzeit perfekt machen sollten, mit einem Kauf verwechselt habe. Er sagt aber nicht, welches Kriterium im Einzelfall die Unterscheidung ermöglicht. Bei dem Ausdruck "Geld" ist es offensichtlich, daß die Verhältnisse komplizierter liegen. Eine unbefangene Betrachtungsweise könnte aber auch in diesem Fall annehmen, der Ausdruck wiese auf wahrnehmbare 22

Staudinger-Ostler Anm. 5 zu § 433 BGB; vgl. auch Sohm (Gegenstand)

16117.

n Staudinger-Ostler Anm. 28 zu § 433 BGB. Sohm (Institutionen) 368 Anm. 2, "Die Lehre der Römer von den Sachen ist wesentlich durch philosophische, also durch unjuristische Gesichtspunkte bestimmt worden." 25 Gysin (Vertrag) 44; vgl. auch Planitz (Privatrecht) 184. 24

7.4 Die Beschreibung und Benennung menschlicher Beziehungen

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Sachen hin. So schreibt Maas28 in seiner exemplarischen Etymologie: "Die Entwicklung des Begrüfes Geld ist in den indogermanischen Sprachen völlig getrennt verlaufen, da der Tauschhandel noch lange nach der Abwanderung vorherrscht. J?er Begrüf "Geld" kann nach einer Münze benannt werden ... " Offensichtlich wird in diesen Bemerkungen der Ausdruck "Geld" auf eine ganz bestimmte Form des sozialen Kontakts beschränkt, und zwar auf jene, die sich vom Tauschhandel durch den Gebrauch des "Geldes" unterscheidet. Diese Auffassung läßt erkennen, daß der Ausdruck als Bezeichnung eines Objektes verstanden wird. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es aber noch keinem Wissenschaftler gelungen dieses Objekt zu entdecken. Die heutige Volkswirtschaftslehre hat deshalb das Fragen nach dem Sein des Objektes Geld eingestellt. An die Stelle dieser Frage ist die Untersuchung der Geldfunktionen getreten27. Zwar wird dadurch das Objekt "Geld" noch nicht völlig beseitigt, jedoch bleibt es im Verborgenen; nur die von ihm ausgehenden Wirkungen sollen registriert werden. Hinsichtlich dieses Bestandteiles der Situation "Umsatz einer Sache gegen Geld" kann also nicht von einem beobachtbaren Vorgang gesprochen werden. Ein Irrtum wäre es, wenn bei einem Handkauf die Übergabe eines (Geld) Scheines als beobachtbarer Vorgang angesehen würde, denn dieser Schein ist nach der herkömmlichen Theorie nur ein Zeichen des Geldes oder Träger des Geldwertes, so daß Olivecrona sagen kann, das Pfund verflüchtige sich28. Es existiere deshalb nur in der Sprache und die entscheidende Sache sei, daß wir darüber in einer ganz bestimmten Weise redeten. Die von Olivecrona herausgestellte soziale Bedeutung wird ganz klar, wenn die etymologischen Daten herangezogen werden. Trübner29 kennzeichnet den Ausdruck "Geld" als Verbalsubstantiv zu "gelten". Der Ausdruck ist also zunächst nicht der Name eines Objektes, insbesondere dient er nicht als Hinweis auf die in der Situation gegebenen Münzen. Dieser Gebrauch ist relativ neuen Datums. Das Verb "gelten" entstammt dem religiösen und rechtlichen Bereich. Man darf vermuten, daß diese Verwendungsweisen anfänglich zusammengehören30. Der ursprüngliche Gebrauch meint also jegliche Leistung, die zu erbringen ist. Angebrachter ist aber eine mehr verbale Formulierung: "Verpflichtet zu einem bestimmten Handeln". Die dem rechtlichen Bereich angehörenden Ausdrücke "werigelt" und "widriggelt" stellen demnach bereits Differenzierungen dar. Der Zusammenhang mit der imperativen Kommunikationssituation ist klar erkennbar. Der letzte ze Maas (Etymologie).

Faulsen (Wirtschaftslehre) 159 ff.; Schilcher (Geldtheorie) 12 ff.; Morgan (Money) 177 f. 28 Olivecrona (Legal Language) 171. 29 Trübner (Wörterbuch). ao Grimm (Wörterbuch). 17

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Ausdruck könnte in der heutigen Rechtssprache durch den Satz "wer einen anderen in der und der Weise schädigt, ist verpflichtet, sich in der und der Weise zu verhalten" wiedergegeben werden. In dieser Formulierung tritt die Art der Ersatzleistung zu:r:ück. In diesen frühen Zeiten ist nämlich allein der Gedanke entscheidend, daß der Schädiger verpflichtet ist. Die übliche Darstellung, daß das Wergeld der bei der Tötung zu zahlende Geldbetrag seis1, wird daher den tatsächlichen Verhältnissen jener frühen Zeit nicht gerecht. Erst viel später mit dem Aufkommen der sogenannten Geldwirtschaft ändern sich die Sprech- und Verhaltensweisen. Die Aufmerksamkeit richtet sich vornehmlich auf einen bestimmten Aspekt der Situation; das Wort wird jetzt mehr als Hinweis auf das in dieser Situation oft auftretende Objekt genommen32• Diese Zusammenhänge bestehen auch heute noch, nur sind sie nicht allgemein bekannt. Auch unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist die wesentliche durch den Kaufvertrag für den Käufer begründete Wirkung dessen Verpflichtetsein. Daß diese Verpflichtung durch die Zahlung von Geld erfüllt werden muß, wird zwar von der juristischen Theorie gelehrt, tatsächlich ist aber diese Abwicklung vielleicht bereits nicht mehr die Regel. Die §§ 362 ff. BGB eröffnen für jedes Schuldverhältnis die Möglichkeit, die Pflicht in verschiedener Weise zu erfüllen. So ist es möglich, die vielfältigen in außerjuristischen Bereichen ausgebildeten Techniken aufzunehmen und sie durch Auslegung mit den erwähnten Vorschriften zu verbinden und so zu akzeptieren. Sind die Schuldverhältnisse von sozialer Bedeutung, können unerwünschte Techniken durch zusätzliche Regeln verboten werden. Hierher gehören im deutschen Recht die §§ 115 ff. GewO. Daß die Erfüllung des Kaufvertrages durch den Käufer von geringerer Bedeutung ist, ergibt sich auch aus den Bestimmungen, die das Kaufrecht auf kaufähnliche Verträge erstrecken, denn die Analogie stützt sich gerade nicht auf die Art der Käuferpflicht33• Mit dem Wort "Umsatz" wiederholt man nur den Hinweis auf die Kauf- oder Umtauschsituation. Nachzutragen ist noch, daß nicht jede auf den Erwerb von Sachen angelegte Situation als Kauf anzusehen ist, weil auch andere Vertragstypen in Betracht kommen. Erhebliche Bedeutung hat auch das aus frühesten Zeiten stammende und immer noch wirksame Prinzip der Gegenseitigkeit. Obwohl betont wird, daß die derzeitige liberale Wirtschaftsauffassung die Preisgestaltung völlig der freien Vereinbarung der Beteiligten überließe, gilt doch die Einschränkung, daß weder wuche31 31 33

Heilfron (Rechtsgeschichte) 8. Grimm (Wörterbuch), der Begriff ist in den eines Stoffes übergetreten. §§ 445, 493 BGB.

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risch noch betrügerisch gehandelt werden dürfe. Die Unverhältnismäßigkeit der Leistungen kann deshalb zur Verneinung eines Kaufes führen. Je nach der Art des Motivs handelt es sich dann um einen Betrug, einen Nichtkauf34 oder eine gemischte Schenkungs5 • Diese Ausführungen zeigen deutlich, daß die von der juristischen Ausbildungsliteratur in den Vordergrund gestellte Technik nicht die sichere Bestimmung eines Rechtsverhältnisses erlaubt. Einerseits verweisen die zur Beschreibung verwendeten Ausdrücke nicht auf die einfachen und erkennbaren Tatsachen, andererseits wird die Anwendung dieser Ausdrücke in bestimmten Situationen in zahlreichen Fällen durch außerjuristische Theorien reguliert. Diese letztlich maßgebenden Theorien sind nicht Bestandteil des Gesetzes; Lehrbücher und Erläuterungswerke verzeichnen sie nicht vollständig. Unkenntnis oder die Zurückweisung einer als falsch angesehenen Theorie führen deshalb notwendig bei verschiedenen Juristen zu unterschiedlichen Antworten. Schließlich ist es auch möglich, daß diese Theorien selbst Änderungen erleiden oder in Vergessenheit geraten. Nicht zuletzt die soeben dargestellten Mängel der theoretischen Annäherung mögen der Anlaß gewesen sein, ein weiteres Verfahren für die Bestimmung der Rechtsverhältnisse auszubilden. Es besteht darin, daß in Lehrbüchern und Erläuterungen des Gesetzes dem Namen des Rechtsverhältnisses genauere Beschreibungen verschiedener Situationen zugeordnet werden. Da auch dieses Verfahren von der Bindung des Richters an das Gesetz ausgeht, wird regelmäßig erörtert, ob die das Rechtsverhältnis kennzeichnenden Tatsachen auch in dem beschriebenen Fall zutreffen. Diese Verbindung mit der zuerst behandelten Bestimmungsmethode darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um ein eigenständiges Verfahren handelt. Der Unterschied liegt vor allem in der abweichenden Beschreibungstechnik. Weiterhin herrscht bei diesem Verfahren die Einsicht vor, daß die Bestimmung nicht einfach aus dem Gesetz abgeleitet werden kann, daß sie vielmehr auf einer freien Entscheidung beruht, die durch andere Gründe geboten sein kann. Erst durch diese Kommunikationstechnik wird der Lernende befähigt, in Zweüelsfällen, die in der vorjuristischen Ausbildung noch nicht entschieden worden sind, das maßgebende Rechtsverhältnis zu bestimmen. Dieses Verfahren entspricht im wesentlichen jener mit dem Ausdruck "widerrechtlich" gegebenen Verweisungstechnik. Dort werden dem Ausdruck bestimmte Verhaltensweisen zugeordnet, hier geschieht das gleiche mit einer Situationsbeschreibung. Wegen der Leistungen kann deshalb auf die dort gemachten Ausführungen verwiesen werden. 34 35

Staudinger-Ostler Anm. 35 zu § 433 BGB. Staudinger-Ostler Anm. 21 zu § 516 BGB.

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Die hier gegebene exemplarische Darstellung betrifft natürlich nur einen sehr kleinen Bereich der Beschreibung menschlicher Beziehungen, dennoch läßt sie aber erkennen, wie die in diesem Bereich tatsächlich geübten Kommunikationstechniken funktionieren und warum sie notwendigerweise unvollkommen sind, sie zeigt aber auch, daß die im juristischen Bereich herrschende Sprachtheorie diese Techniken nicht begreiflich machen kann und im Einzelfall einer notwendigen Veränderung entgegensteht.

8 Zusammenfassung und Schlußbemerkungen Die Komplexität des Gegenstandes, die eine ausführliche Behandlung verschiedener der Rechtswissenschaft zum Teil fern liegender Probleme bedingte, läßt es angebracht erscheinen, am Ende der Untersuchung eine Zusammenfassung zu geben, um einen ersten oder abschließenden Überblick über den verfolgten Gedankengang zu geben. f'l..n den Anfang dieser kommunikationstheoretischen und zugleich rechtswissenschaftliehen Untersuchung ist die juristische Theorie der Rollenverteilung gestellt worden. Diese geht in entwickelten Systemen immer von vorgegebenen und fixierten politischen Theorien aus, so daß ein hinreichender Anlaß für eine kritische wissenschaftliche Überprüfung besteht. Das Ergebnis einschlägiger Untersuchungen ist meist die Feststellung, daß auch der Richter in gewissem Umfang Recht schöpfe und ändere. Ganz offensichtlich ist das immer dann der Fall, wenn der Richter neuartige Situationen beurteilen muß, die noch keine gesetzliche Regelung erfahren haben. Sobald aber eine allgemeine Behandlung statt einer nur bloß beispielhaften angestrebt wird, treten Schwierigkeiten auf. Der reflektierende Verstand erkennt, daß die Frage nur dann beantwortet werden kann, wenn ein Maßstab zur Verfügung steht. Nach allgemeiner Auffassung ist es evident, daß dieser mit dem Gesetz selbst gegeben ist. Es ist der Inhalt des Gesetzes, der von dem graphisch produzierten Satz verschieden ist und von dem Empfänger in einem einfachen Erkenntnisprozeß erkannt werden kann. Obwohl allgemein bekannt ist, daß hinsichtlich des richtigen Inhaltes einer Vorschrift oft verschiedene Meinungen bestehen, wird die Erkenntnisfähigkeit selbst nicht angezweifelt. Dafür besteht auch kein hinreichender Grund, denn die Annahme dieser besonderen Fähigkeit ist fester Bestandteil der allgemeinen Wissenschaftstheorie. Auf die dort entwickelten Lehren greift die Rechtswissenschaft zurück, wenn sie das Problem behandelt. Die juristische Theorie (3.1) zerlegt diesen Lehren folgend den Vorgang der sprachlichen Kommunikation in zwei Abschnitte. Der Gesetzgeber produziert Gesetze, der Richter bemächtigt sich ihres Inhaltes. Der erste Abschnitt erfährt relativ wenig Beachtung. Der Gesetzgeber wird vor allem aufgefordert, klare und eindeutige Wörter zu gebrauchen. Die demgegenüber hoch entwickelten Auslegungslehren stellen dem Richter so viele Auslegungsregeln zur Verfügung, daß immer die Mög-

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lichkeit besteht, zwischen zwei Regeln zu wählen, die zu entgegengesetzten Ergebnissen führen, so daß eine wechselseitige Abhängigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Beachtenswert ist insbesondere die Feststellung, daß auch der klare und eindeutige Wortlaut ausgelegt werden müsse. Das widerspricht zunächst der an den Gesetzgeber gerichteten Aufforderung, eindeutige Wörter zu gebrauchen. Weiterhin ließe sich daraus auch die Folgerung ableiten, das Prinzip der Eindeutigkeit müsse beseitigt werden. Tatsächlich entfernen es einige neue sprachwissenschaftliche Untersuchungen aus der Theorie der sprachlichen Verständigung. Für die derzeitig herrschende Ansicht ist das Prinzip indes unentbehrlich. Ohne Eindeutigkeit könne sprachliche Verständigung nicht funktionieren, ist seit Aristoteles das schlagende Argument. Diese Begründung ist rein spekulativer Art, auf wissenschaftliche Untersuchungen kann sie sich nicht stützen, da die Sprachwissenschaft in der Vergangenheit dieses Problem nicht behandelt hat. Seinen Grund hat das in ihrer Methode; sie löst die Sprache aus dem Kommunikationsprozeß und behandelt das Verhältnis der Sprache zu den Dingen und Vorgängen der Welt. In ihr herrscht der ontologische Standpunkt, der kommunikationstheoretische tritt ganz zurück. Die Eindeutigkeit ist für die ontologisch orientierte Theorie leicht zu erzeugen. Sie ergibt sich aus der engen Verbindung zwischen Wort und Sache oder der eindeutigen und damit einwertigen Zuordnung, die auch dann erhalten bleibt, wenn sich zwischen Wort und Sache das Zwischenglied Bedeutung (Begriff) schiebt. Diese und andere Überlegungen zeigen, daß die derzeitige Auffassung nur ein Durchgangsstadium sein kann. Einerseits führt man das Prinzip als Axiom ein, andererseits sucht man nach Beweisen. Diese Einstellung wird notwendigerweise zur Folge haben, daß das Prinzip aufgegeben werden wird, wenn sich herausstellt, daß der Beweis nicht gelingt. Bei Sätzen, die zu den Grundlagen der Wissenschaft gehören, kann das allerdings ein langer Prozeß sein. So wurde über 2000 Jahre hinweg immer wieder der Versuch unternommen, das von Euklid aufgestellte Parallelenaxiom zu beweisen. Trotz der Ergebnislosigkeit dieser Bemühungen bezweifelte man nicht seine Existenz und Beweisbarkeit. Erst als in der Neuzeit einige Mathematiker eine Nichteuklidische Geometrie zu erdenken vermochten, gelang der Unmöglichkeitsbeweis. Das gleiche Stadium hat die Sprachtheorie der Gegenwart erreicht. Nachdem die beharrlichen Bemühungen der modernen Logik das Ergebnis gezeitigt haben, daß die natürlichen Sprachen dem Prinzip der Eindeutigkeit nicht genügen, weshalb die moderne Logik künstliche Sprachen aufbaut, um durch Zuordnung das Prinzip zu erhalten, ist die Zeit reif geworden, das Prinzip der Eindeutigkeit aufzugeben.

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Zusammenfassung und Schlußbemerkungen

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Beim Wechsel vom ontologischen zum kommunikationstheoretischen Standpunkt stellt sich sogar heraus, daß das Prinzip in der Theorie der sprachlichen Verständigung zu Schwierigkeiten führt. Die Eindeutigkeit der besonderen dem lautlich oder graphisch produzierten Wort zukommenden Eigenschaft bewirkt nämlich, daß Sender und Empfänger die gleiche Bedeutung haben. Das damit herangezogene Denkmodell der Identität kann das Erkennen eines Sprachlautes jedoch nicht erklären. Deshalb war der Vorschlag gemacht worden, das Prinzip der Eindeutigkeit und damit zugleich die im Sprachmodell höherer Ordnung ausgebildete Theorie der Wortbedeutung aufzugeben. Da die Annahme einer eindeutigen Wortbedeutung einen extrasensorischen Vorgang voraussetzt, der sich einer wissenschaftlichen Behandlung entzieht, ist der Vorschlag auch aus diesem Grund angebracht. Nach einer kurzen Darstellung der relevanten Teile der Informationstheorie (4) war die schlichte aber sichere Feststellung, daß die Sprache ein Mittel der Kommunikation ist, zum Ausgangspunkt gemacht worden. Da sich die europäischen Sprachen wegen ihres hohen Entwicklungsstandes der Analyse entziehen, war der Beginn mit einzelnen Ausdrücken gemacht worden, die offensichtlich auch in Alleinstellung zur Kommunikation geeignet sind. Diese primitiven Sprachen entstammenden Wörter werden wegen dieser Verwendung präskriptive Ausdrücke genannt_. Damit gibt man die Anriahme auf, daß sich Wörter auf Dinge der Welt beziehen müssen, beibehalten wird aber die Annahme einer zusätzlichen Qualität des Wortes. Die Lösung dieser Schwierigkeit bringt das Modell der imperativen Kommunikationssituation (5.3). In dieser Kommunikationssituation, die sowohl in der Phylogenese als auch der Ontogenese am frühesten auftritt, benutzt der Sprecher den bedeutungslosen Sprachlaut, um den Empfänger zu einem Verhalten zu veranlassen. Dies setzt die Bewältigung zahlreicher Lernprozesse voraus, wodurch der Vorgang der sprachlichen Kommunikation früher ausgebildeten Funktionen aufgelagert wird. Daß es sich nicht um einfache Kontaktlaute handelt, die auch bei gesellig lebenden Tieren beobachtet werden, war am Beispiel einiger Urwörter gezeigt worden. Diese Erklärung der sprachlichen Kommunikation in einfachen Systemen kann nicht auf entwickelte Systeme übertragen werden. Offensichtlich tritt in ihnen die Deskription in den Vordergrund. Das Modell kann aber nutzbar gemacht werden, wenn die Entwicklungsprinzipien der sprachlichen Kommunikation hinzugenommen werden. Da in der Gegenwart das Streben nach Verbesserung der Kommunikation eine wirksame Kraft ist, darf vermutet werden, daß es sich in den Anfängen ebenso verhielt. Weiterhin lassen sich die Veränderungen im Sprachprozeß als Differenzierung begreifen. Verbesserungen der Verständigung in der imperativen Kommunikationssituation lassen sich demnach

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8 Zusammenfassung und Schlußbemerkungen

durch Verbesserungen bei der Beschreibung der Situation wie auch der des geforderten Verhaltens erreichen. Dieser Gesichtspunkt ermöglicht es, den Prozeß der Namensgebung besser zu verstehen (6.2). Nach der gewöhnlichen Auffassung schließt die Namensgebung den Vorgang des Erkennens ab. Zwar ist Sprechen als aufgelagerte Funktion nur dann erfolgreich, wenn es an frühere Funktionen anknüpft. Die herkömmliche ontologische Deutung geht aber fehl, wenn sie die Namensgebung allein als Produkt der Wahrnehmung erklärt. Das wäre nur eine Verdopplung der bereits vorhandenen Fähigkeit; die Ausbildung dieser Funktion hätte keinen Sinn. Vielmehr ist die Namensgebung ein Produkt sozial zweckhafter Tätigkeit, die durch die Verbesserung der Situationsbeschreibung erreichen will, daß auch in zukünftigen Situationen das Verhalten des Empfängers genauer bestimmt werden kann. Die Ausgestaltung dieser Technik hängt demnach wesentlich von den Bedürfnissen innerhalb eines Kommunikationssystemes ab. Diese Feststellungen waren am Beispiel der Farbwörter erläutert worden. Nach der in der Wissenschaftstheorie vorherrschenden Ansicht sind sie die Namen der Farben. Wird dieser ontologische Standpunkt eingenommen, darf erwartet werden, daß jede Farbe ihren richtigen Namen hat. Die Entdeckung von Farl,lbenennungen in fremden Sprachgemeinschaften, die wesentlich von den unseren abweichen, veranlaßte daher einige Wissenschaftler zu der Folgerung, die Mitglieder jener Gemeinschaften nähmen die Farben in anderer Weise wahr; von den alten Griechen behauptete man sogar, sie seien farbenblind gewesen. Da aber gezeigt werden kann, daß die Angehörigen dieser Gemeinschaften trotz fehlender Benennung die Farben unterscheiden können, ergibt sich die Unrichtigkeit der ontologischen Deutung. Die bekannten Daten zeigen hier besonders deutlich den Verlauf der Entwicklung. Am Anfang stehen Wörter, die auf farbige Objekte verweisen, die überraschenderweise nicht einmal eine einzige Farbe besitzen müssen. Erst auf hoher Entwicklungsstufe gelingt es dem Denken, die Farbe von dem Objekt zu lösen. Damit ist ein zweckmäßiger Weg zur Kommunikationsverbesserung eröffnet, da durch die Erfindung neuer Farbwörter relativ feine Differenzierungen möglich werden. Allerdings sind diesem Verfahren Grenzen gesetzt, da die Farbunterscheidung zweiter Stufe besser ausgebildet ist als das Farberinnnerungsvermögen. Neue Kommunikationstechniken können indes auch diese Schranke überwinden. Nachdem an einigen Beispielen gezeigt worden war, daß auch Sprachstrukturen von diesem Blickwinkel her besser verstanden werden können (6.3), waren einige zum Bereich des Rechts gehörende Beschreibungstechniken aufgegriffen worden. An den Verwandtschaftsnamen ließ sich

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zeigen (7.2), daß auch in entwickelten Sprachgemeinschaften der Zusammenhang mit der imperativen Kommunikationssituation nicht gänzlich aufgelöst ist. Allerdings ist in höheren Systemen der Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsnamen und Verhaltensmustern meist unbekannt, wohingegen er in niederen Systemen den Mitgliedern der Gruppe bewußt ist. Danach war am Beispiel des Ausdrucks "rechtswidrig" die Beschreibung menschlichen Verhaltens erörtert worden (7.3). Dieser Ausdruck, der in primitiven Systemen als Aufforderung zu einem Verhalten genommen wird (5.4), könnte in höheren Systemen entbehrt werden, da in ihnen Situation und Verhalten genauer bestimmt werden können. Tatsächlich enthalten nur wenige Vorschrüten den Ausdruck. Die mit ihm verbundenen Kommunikationstechniken sind von geringer Leistungsfähigkeit. Da der Ausdruck in entwickelten Systemen nur als Hinweis auf fixierte Verhaltensregeln genommen wird, müßten diese existieren und auch auffindbar sein. Beide Voraussetzungen sind jedoch nicht hinreichend erfüllt. Das Zivilrecht selbst enthält nur wenige Regeln der erforderlichen Beschaffenheit; die Berücksichtigung von in Vorentscheidungen aufgestellten Regeln ist aus verschiedenen Gründen erschwert. Insbesondere ergibt sich das aus der Tatsache, daß zahlreiche Regeln nicht dem Leitwort "rechtswidrig" zugeordnet sind. Obwohl durch verschiedene Maßnahmen die Leistungsfähigkeit dieser Technik erhöht werden könnte, läßt sich keinesfalls Vollkommenheit erreichen. Diese ist statischen Systemen vorbehalten. Abschließend war die Deskription sozialer Beziehungen behandelt worden. Die derzeitige Theorie nimmt an, daß soziale Beziehungen in der gleichen Weise und mit der gleichen Präzision wie Situationen der dinglichen Umwelt beschrieben werden können. Auf dieser Annahme basiert die Lehre vom Tatbestand. Nach der herrschenden Auffassung ist es unschwer möglich, den Tatbestand eines Rechtssatzes festzustellen. Genauere Analysen bestätigen diese Auffassung nicht. In einigen Fällen stellt sich schließlich sogar heraus, daß sich die juristischen Tatsachen völlig verflüchtigen. So muß man erkennen, daß der zur Deskription des Kaufes verwendete Ausdruck "Geld" nur bei vordergründiger Betrachtungsweise zu einem beobachtbaren Objekt führt. Der ontologische Standpunkt erweist sich somit als ungeeignet. Ein besseres Verständnis kann nur erreicht werden, wenn der Ausdruck als Bestandteil komplexer im ständigen Wandel befindlicher Kommunikationstechniken begriffen wird. Nach diesem Überblick soll noch einmal jene Feststellung aufgegriffen werden, die vor allem Bedenken und Widerspruch auslösen muß. Es ist die auf Grund der Analyse aufgestellte Behauptung, daß Wörtern keine Bedeutung und Sätzen kein Sinn eignet. Danach wäre die menschliche 11 Horn

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8 Zusammenfassung und Schlußbemerkungen

Rede sinnlos. Sinnhaftigkeit ist aber nach der allgemeinen Anschauung gerade jenes Merkmal, das die menschliche Sprache von den lautlichen Äußerungen anderer Lebewesen unterscheidet. Die aufgestellte These scheint demnach die Grundlagen des Menschseins selbst zu berühren. Eine derartige Argumentation übersähe, daß die getroffenen Feststellungen die menschlichen Fähigkeiten nicht leugnen. Im Gegenteil, der hier vertretene kommunikationstheoretische Standpunkt ermöglicht es, den Anteil der Kommunikationspartner in der sprachlichen Verständigung richtig zu erfassen. Er ist wesentlich größer, als die herkömmliche Auffassung vermuten läßt; denn nach dieser ist das Verstehen ein rein passiver Vorgang, der im Empfang der Bedeutung besteht; wohingegen er nach der hier gegebenen Deutung als aktive Leistung des Empfängers verstanden werden muß. Für die Theorie der Rollenverteilung hat diese Feststellung ebenfalls Bedeutung. Wird diese besondere Qualität des graphisch produzierten Wortes aus dem Modell entfernt, verschwindet auch der Inhalt des Gesetzes. Fehlt diese unveränderliche Größe, so ist es nicht mehr sinnvoll, von einer einfachen Anwendung des Gesetzes zu sprechen, die logischen Regeln folgend zu bestimmten Ergebnissen führen müsse. Der Anteil des Richters an der getroffenen Entscheidung hängt von der verwendeten Kommunikationstechnik ab. Wie gezeigt wurde, kann in entwickelten Systemen immer zwischen unbestimmten und damit etwas diffusen und differenzierten Verhaltensanweisungen gewählt werden. In jedem Fall beruht aber das Verhalten des Empfängers auch auf einer eigenen Entscheidung. Diese Wahlfreiheit kann von der herkömmlichen Lehre nicht erkannt werden. Da sie das Urteil als Produkt der Kommunikationstechnik auffaßt, ergeben sich daraus verschiedene zum Teil nicht unwichtige Folgen. Die theoretische Behandlung der Rechtsanwendung erkennt nicht oder nicht hinreichend klar, daß auch andere Faktoren für den Urteilsakt relevant sind. Nur zögernd setzt sich die Erkenntnis durch, daß weitere Faktoren berücksichtigt werden müssen. Wichtiger sind aber die Folgen, die sich aus der daraus resultierenden Haltung der Kommunikationspartner ergeben. Die meisten Richter dürften sich wegen der politischen Vorentscheidungen als reine Vollstrecker des Gesetzes verstehen. Da sie ihren eigenen Anteil nicht kennen oder anerkennen, kann die Rationalität des Vorganges betroffen sein. Das gilt insbesonders für die Fälle, die die Beurteilung neuartiger sozialer Verhältnisse verlangen. Unter Berufung auf die Maßgeblichkeit der Gesetzesregel kann der Richter eine Anpassung ablehnen, obwohl ihm die Kommunikationstechnik die Wahl läßt. Damit wird er seiner Funktion im Rechtsprozeß nicht gerecht. Die beliebige Reproduktion fast identischer Handlungen gehört zwar zu den großen Leistungen entwickelter Kommunikationssysteme, im sozialen Bereich ist aber oft etwas weniger Identität angebracht.

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Sachverzeichnis Abbildtheorie 78, 82, 91 Abstraktheit 113 affektiv s. Emotion Alphabet 50 Analogie 46, 73 angeborene Eigenschaften 43 Anpassung 46, 73, 108, 142, 162 Aphasie 85 aufgelagerte Funktionen 86, 94 Ausdrücke der Ethik 62,_ 75 f., 134 Auslegung 16 f. Auslegungslehren - fremde Einflüsse 23 - widerspruchsvolle 27 Auslegungsverbot 12 Aussage 24 Axiomatik 25 bahadzid 56 Bedeutung - Begriff 24, 33, 158 - Erkennen der - 23, 42 ff. - überschießende 19 - Bedeutungskern 41 - Bedeutungswandel 37 - Messen der - 53 Begriff 24 f. Benennung 32 s. Onomasiologie Beobachtungssätze 81 Bienen - Farbunterscheidung 83 -Sprache 70 Bilder 73, 82 bonus 75 Buchstaben 45 f. chinesische Sprache 90 Deckung 44; s. Kongruenz Definition, Theorie der - 95 f;; s. Reproduktion identischer Handlungen Designatum 31 ff. Deskription . - menschlichen Verhaltens 110 ff.

- sozialer Beziehungen 143 ff. deskriptive Leistung der Sprache 30, 78, 91 Differenzierung 78 Diffusheit 67 ff. Ding an sich 83 diskrete Zeichenfolgen 91 Dreieckigkeit, Lernen von - 45 Deduktion 25 Eigentum, Bedeutung 62 Eindeutigkeit 22 f., 38 ff., 158 f. Einwertigkeit der Wörter s. Eindeutigkeit Emotion 95, 104, 124 Erfolg, Begriff 126 Erfolgsunrecht 131, 133 Erkennen, der Bedeutung 42 ff. eßbar 44, 74 f. Existenz, der Rechtsregel 18 f. Existenzfunktor 92 f. extrasensorische Perzeption 45, 92 Fahrlässigkeit 118 ff., 135 f., 138; 141 Farbblindheit .80 Farbdiskriminierung 83 ff. Farbenkarte 87 Farbigkeit, Abtrennung vom Objekt 86f. Farbwörter 80 ff. faute 128 Feldtheorie 39, 53 Fiktionen 73 Fundhefte s. Wiederfinden Gehirn, Verknüpfung von Fähigkeiten 65 f., 73 f., 86; s. aufgelagerte Funktionen Gehirnwäsche 94 Geld 152 ff. Gerichte, Besetzung 15 Gesellschaftsvertrag über die Sprache 40 Gewerbebetrieb 149 gut 76

182

Sachverzeichnis

gute Mutter 107 f. guter Kaufmann 108 ff. Gesetzgebungstechnik 22 Handlungsgemeinschaft 61 Hören 21 Ideenlehre 43 ff. Identität, Denkmodell der - 33, 46 identische Handlungen 93 ff. ifer 56 Information 49 f., 52 Informationstheorie 48 ff. imperative Kommunikationssituation 63 ff., 76, 103, 106, 149 Inhaltslogik 123 f.; s. Klassenlogik Interpretation s. Auslegung Islam 11 Isomorphie s. Abbildtheorie ist s. Existenzfunktor Istsagen 92 jüdisches Recht 11 Kauf 150 ff. kipua 56 Klartextlesemaschine 44 Klassenlogik 114 f.; s. Inhaltslogik Kodierung 49 Kommunikation - in einfachen Systemen 55 ff. - in höheren Systemen 77 ff. - juristische Theorie 21 ff. - differenzierende - 78, 81 f. - diffuse - 67 ff. - Zwecke der - 61, 90 Kommunikationsforschung 48 ff. Kommunikationssituation, imperative 63 ff. Kongruenz 45 ff. Kontext 24 Kontexttheorie 39 Konzeptionstheorien 99, 102 Kopula s. Existenzfunktor Körperbewegungen 72 f. Kratylos, These des - 32 f. kwaghbo 56 Kybernetik 51 ff. Lernen als Anpassungsleistung 46; s. Gehirn; aufgelagerte Funktion L-Semantik 30, 34, 123 Lückenausfüllung 16

Methapher 73, 82 Methode - der Informationstheorie 48 -der Rechtswissenschaft 9 - der Sprachtheorie 29 ff., 38 Methodenreinheit 30 f. Modelle s. Abbildtheorie Morgenstern 36 Mutter 107 ff. Namensgebung 79 ff. Namensrelation 34 f. Namenstheorie 31 ff. normative Begriffe 124 Null 88 Nullklasse 35 Nominalismus 35 Objekt s. Ding an sich Onomasiologie 34 Ontogenese, Entwicklung der sprachlichen Kommunikation in der 55,69 Ontologie 30; Abhängigkeit von der Sprache 90 Orientierung im Raum 72 f. Perzeption 79, 86 - Einfluß der Sprache 80 f. - extrasensorische 45 f. Präinformation 49 präskriptive Ausdrücke 57 ff. Psychologismus, Bekämpfung des 31 qual-li 56, 74 Rationalität 12, 23 Recht - Entstehung 18 - Fortbildung 16 f., 142, 156, 162 - göttliches 11 Rechtfertigungsgründe 131 rechts 71 ff. Rechtsverhältnis - Begriff 143, 146 f. - Bestimmung 143 ff. - s. Deskription rechtswidrig - Begriff 114 ff., 123 ff. - Abgrenzung gegen Schuldhaftes Verhalten 116 ff. - Abgrenzung gegen sittenwidriges Verhalten 121

Sachverzeichnis -

Abgrenzung gegen vertragswidriges Verhalten 120 f. - Gebrauch des Ausdruckes -in der juristischen Kommunikation 115 ff., 127 - Relativität der Rechtswidrigkeit 116, 126 Reflex, bedingter 65 reines Erkennen s. Bedeutung und Perzeption Relativitätsprinzip, sprachliches 80 ff. Rezeption 10 richterliches Verhalten 13 ff. right of privacy 18 Rollenverteilung, Theorie der 9 ff., 142 Sache 150 ff. Satz 24, 89 Satzsinn 24 Schichten des Sprachverständnisses 90 sein 90 f.; s. Existenzfunktor Semantik, diachronische 37 semantisches Dreieck 36 Sonne 82 Sozialadäquanz 115 f., 125 f. Spieltheorie 13 Sprache - geschriebene 50 - gesprochene 50 - künstliche 35 - sozialer Zweck 67, 73 - Veränderungen 37, 42, 77, 102 - und Gehirnvorgänge 65 Sprachgemeinschaft 61 Sprachlosigkeit 43 Sprachmodell - niederer Ordnung 31 - höherer Ordnung 33 Sprachstörungen 65, 85 Stabilität erworbener Eigenschaften 94 Straßenverkehrsvorschriften 111 Struktur s. Abbildtheorie subjektives Recht 125 Syntax 89 ff. System 24; abgeschlossenes 83

183

tabu 56 Tatbestand 97, 145 ff. Tatsachen, juristische 144 ff. Taubstumme 92 Tiersprache 70 tort 130 ff. tü-tü 56, 59 tJbereinstimmung der Kommunikationspartner 93 ff. übersetzung, Theorie der - 57 uneheliche Kinder 105 ff. unjustiflable 129 ff. unlawful 129 ff. Unnamen, Beseitigung von- 60 Unterlassung 140 Urwörter 56 ff. Vater-Sohn 98 f. Verhaltensmuster 100 Verhaltensunrecht 131, 133 f. Verwandtschaftsterminologie 97 ff. Vorentscheidungen - Wiedergabe 136 - Wiederfinden 137 ff. Vorhersagen richterlicher Entscheidungen 13 ff. Vorsatz 148 Wahlfreiheit 162 Wahrheit 81 f. Wahrnehmen s. Perzeption Widerspiegelung s. Abbildtheorie Wiederfinden 137 ff. Wort 24 -und Satz 24 - und Kontext 25 - und Sache 31 ff. Wortlaut 26, Auslegung des - 27 Zahlwörter 88 Zeichenerkennung 44 f. Zuordnung 87, 95 Zwischenglied 36 ff.; s. semantisches Dreieck