Kaufmännische Rechtsgutachten des 18. Jahrhunderts: Die Pareres der Frankfurter Börsenvorsteher in vergleichender Perspektive [1 ed.] 9783412519162, 9783412519148

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Kaufmännische Rechtsgutachten des 18. Jahrhunderts: Die Pareres der Frankfurter Börsenvorsteher in vergleichender Perspektive [1 ed.]
 9783412519162, 9783412519148

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Sonja Breustedt

Kaufmännische Rechtsgutachten des 18. Jahrhunderts Die Pareres der Frankfurter Börsenvorsteher in vergleichender Perspektive

FORSCHUNGEN ZUR DEUTSCHEN RECHTSGESCHICHTE Herausgegeben von Peter Oestmann, Jan Schröder und Dietmar Willoweit 34. Band

SONJA BREUSTEDT

KAUFMÄNNISCHE RECHTSGUTACHTEN DES 18. JAHRHUNDERTS Die Pareres der Frankfurter Börsenvorsteher in vergleichender Perspektive

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort Zugl. Dissertation an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. 2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Johann Christoph Sysang, Wechselallegorie im Kurfürstentum Sachsen, abgedruckt in: Johann Gottlieb Siegel, Einleitung zum Wechselrecht überhaupt, Zweyter Theil, Leipzig 1742, hinter Titelblatt. Korrektorat: Constanze Lehmann, Berlin Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51916-2

Meinem Mann Ingo

Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Promotionsarbeit dar, die von Prof. Dr. Albrecht Cordes, M. A betreut und im Wintersemester 2018/2019 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main unter dem Titel „Die Pareres der Frankfurter Börsenvorsteher. Funktion und Bedeutung kaufmännischer Rechtsgutachten in vergleichender Perspektive“ angenommen wurde. Meine Begeisterung für die Rechtgeschichte weckte mein späterer Doktorvater bereits im zweiten Semester mit einem Seminar über das Leben und Werk Hermann Conrings. Seitdem bin ich der Rechtsgeschichte treu geblieben und möchte Prof. Dr. Albrecht Cordes, M. A. nicht nur für die wertvollen Gespräche und Anregungen, sondern auch für die Möglichkeit, an seinem Lehrstuhl arbeiten zu dürfen, herzlich danken. Die großen Freiräume, die er mir stets einräumte, ermöglichten eine großartige Arbeitsatmosphäre, in der sich Lehre und Forschung hervorragend miteinander verknüpfen ließen, und die dazu beitrug, dass ich bis heute leidenschaftlich Rechtsgeschichte betreibe. Ebenso gilt mein Dank Prof. Dr. David von Mayenburg, M. A., der das Zweitgutachten erstellte, für seine wertvollen Fragen und Anregungen. Frau Prof. Dr. Anette Baumann danke ich für ihre Hinweise zur Handhabung der Reichskammergerichtsakten. Meinen einstigen und aktuellen Lehrstuhlkollegen Dr. Anika Auer, Andreas Karg sowie Dr. Alexander Krey bin ich für den fruchtbaren fachlichen Austausch sehr dankbar. Vielfältige Unterstützung im organisatorischen Bereich erfuhr ich durch die Hilfskräfte des Lehrstuhls und die Sekretärinnen Maria Caterina Arnaldi-Klink und Betina Gaedke, denen ich dafür dankbar bin. Danken möchte ich auch den Mitarbeitern der von mir besuchten Archive, insbesondere den Mitarbeitern im Lesesaal des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt a. M., die immer in kürzester Zeit die benötigten Archivalien ausgehoben haben. Darüber hinaus bin ich den Herausgebern der Reihe „Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte“ für die freundliche Aufnahme und ihre wertvollen Anregungen dankbar. Auch dem Verlag, insbesondere Frau Dorothee Rheker-Wunsch, danke ich. Der von der Frankfurter Historischen Kommission verliehene und von Johann Philipp Freiherr von Bethmann gestiftete Bethmann-Studienpreis hat unter anderem die Finanzierung einer Archivreise ermöglicht und damit in wirtschaftlicher Hinsicht die Fertigstellung der Arbeit erleichtert. Abschließend gilt mein ganz besonders herzlicher Dank meiner Familie. Meinen Schwiegereltern Helga und Dieter Breustedt danke ich für die zahlreichen Stunden Kinderbetreuung. Ebenso haben meine Eltern Annelie und Gerhard Schneider viele Stunden mit ihren Enkeln verbracht und mir die Fertigstellung der Arbeit ermöglicht. Ihnen möchte ich darüber hinaus nicht nur für das Korrekturlesen großer Teile der Arbeit, sondern auch für die finanzielle und vor allem ideelle Unterstützung danken, die ich von Kindesbeinen an erfahren habe. Meinen Kindern Lukas und Moritz danke ich für die willkommenen Stunden der Abwechslung, aber auch für ihr Verständnis, wenn Mama mal wieder mehr gearbeitet hat.

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Vorwort

Mein größter Dank gilt meinem lieben Mann Ingo Breustedt. Er hat nicht nur die Arbeit in allen Phasen mehrfach Korrektur gelesen und durch kritische Rückfragen meinen Horizont erweitert. Er hat mich auch durch alle Tiefen und Höhen begleitet, war stets ein sehr geduldiger Zuhörer und hat große Teile unseres Familienlebens gemanagt. Ohne seine grenzenlose Unterstützung wäre ich nun nicht in der Lage, dieses Vorwort zu schreiben. Ihm sei diese Arbeit gewidmet.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Bedürfnis nach handelsgerichtlicher Konfliktlösung . . . . . . . . . . . 17 2. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Definition anhand zeitgenössischer Quellen und Literatur . . . . . . 20 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Normierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Auf Reichsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) In Wechsel- und Prozessordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Räumliche Eingrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Quellenbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Frankfurter Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 aa) Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 . . . . . . . 35 bb) Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 . . . . . . . 36 cc) Gedruckte Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Pareres anderer Länder und Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Andere Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Forschungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Quellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Aufbau der Arbeit und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Historischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Quellengruppe Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B Die Frankfurter Handlungsvorsteher und vergleichbare Einrichtungen . . 47 I. Entstehungsgeschichte der Frankfurter Handlungsvorsteher . . . . . . . . 47 1. Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Errichtung einer offiziellen Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Historischer Hintergrund: Der Frankfurter Verfassungsstreit (1705–1732) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Eingabe der Kaufleute 1706 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 aa) Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Analyse der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Die weitere Entwicklung bis zur Eingabe der Kaufleute 1707 . 61

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Inhalt

d) Beisassenordnung von 1708 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 e) Konstituierung des Gremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Bewertung des Konfliktes und seiner Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4. Name des Gremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Zusammensetzung des Gremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Politische Kriterien der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Konfession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Ämter innerhalb der Deputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Senior und Kassenführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Protokollführer und Rechtsbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Persönlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Herkunftsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Geschäftsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Familiäre Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 d) Ökonomischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Vorsteher der Kaufleute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Börsenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Gutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Handelsrechtliche Konfliktlösung vor Etablierung der Handlungsvorsteher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Gutachtenerstattung durch die Börsenvorsteher und in späterer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Stellenwert der Pareres für die Börsenvorsteher . . . . . . . . . . . . 82 IV. Kaufmannsvertretungen in anderen Städten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Entstehungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Theoretische Begründung und praktische Einflüsse . . . . . . . . 85 c) Interessenvertretung als Schutzbündnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Merkantilistische Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Selbstverwaltungskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Städte im Alten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Außerhalb des Alten Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Obrigkeitliche Deputationen mit Gerichtselementen und Handelsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Außerhalb des Alten Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Im Alten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Verhältnis zwischen Schiedsgerichten, Handelsgerichten und Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Inhalt

C Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Quantitative Gutachtenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufbau der Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachverhaltsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schlussformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufbau des Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einordnung der äußeren Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot des Blankoindossaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Exkulpationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Funktion des Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inhaltliche Auswertung der Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wechselarten und Rechtsnatur des Wechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notwendige Bestandteile einer Wechselurkunde . . . . . . . . . . . . . . 5. Wechselfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Akzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Indossament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlerhafte Indossamentenkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Blankoindossament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Erfüllung der Wechselverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfüllung durch Zahlung und Erfüllungssurrogate . . . . . . . . . b) Regress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bürgschaft und Ehreneintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Wechselprotest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erforderlichkeit des Wechselprotests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlender Wechselprotest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verspäteter Protest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Contra-Protest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fehlende Notifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 105 105 106 106 107 109 109 113 114 114 115 119 120 120 122 127 131 132 132 134 134 136 138 139 139 142 143 144 144 145 146 147 150 152 153 154 154 155 155 158 159 161

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Inhalt

11. Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arrestverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Materiellrechtliche Einreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exceptio compensationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exceptio non numeratae pecuniae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Zulässigkeit von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Wechselrechtliche Probleme im Konkurs- und Insolvenzfall . . . . . 15. Wechselrechtliche Probleme im Rahmen des Kommissionsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Berechnungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Ausgewählte Fälle ohne wechselrechtlichen Bezug . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 162 163 164 165 167 168 168 171 174 177 178 180

D Funktion der Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Ersatz der Sondergerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Gerichtslandschaft Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Bürgermeisteraudienzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Schöffengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Schöffenrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Schöffenreferier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Bedürfnis nach alternativen Konfliktlösungsmodellen . . . . . . . . . . 196 a) Fehlende erstinstanzliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Mangelnde Expertise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Die Situation in Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Vergleich mit anderen Städten und Regionen . . . . . . . . . 200 3. Verwendung von Pareres in Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Hinweis in den Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Pareres in Gerichtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Richterlich eingeholte Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Parteigutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Pareres: Konkurrenz zur Aktenversendung!? . . . . . . . . . . . . . . 223 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Rechtstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Formen des Rechtstransfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Kodifizierter Rechtstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Rechtstransfer in der praktischen Anwendung durch Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Rechtstransfer durch Pareres-Sammlungen . . . . . . . . . . . . . . . 234

Inhalt

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2. Rechtsvereinheitlichung durch Rechtstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele der Rechtsvereinheitlichung durch Pareres . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfortbildung durch Pareressammlungen und Pareres in der ökonomischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mitwirkung des Handelsstandes an Wechselordnungen . . . . . . . . a) Historischer Hintergrund zur Entstehung der Frankfurter Wechselordnung von 1739 . . . . . . . . . . . . . . b) Die einzelnen Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prozessvermeidung und weitere Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessvermeidung und schiedsgerichtliche Funktion . . . . . . . . . . 2. Beschleunigungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Andere Beweggründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 235 237 239 240 241

E Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition des Begriffs Parere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktion der Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die „Blütezeit“ der Pareres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257 258 260 262 265

F Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Literatur bis 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Literatur nach 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 267 270 274

242 244 245 247 250 251 251 253 254

G Namens-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

A Einleitung „Denn, weil das Wechsel=Negotium sich von hier weit und breit diffundiret, so ist nöthig, daß ein Kauffmann oder Cambist auch wisse, was an diesem oder jenem Orte, dahin er mit Wechseln negotiiret, Rechtens sey, und wie weit dieses mit unsern einheimischen Ordnungen und Gesetzen überein komme, oder davon abgehe.“1

Mit diesen Worten leitete der Leipziger Jurist Johann Christian Königk die 1717 von ihm veröffentlichte Leipziger Wechselordnung aus dem Jahr 1682, ergänzt um Bestimmungen anderer Wechselordnungen, eines Amsterdamer Wechselrechtslehrbuchs und zahlreicher Pareres, ein. Das Zitat beschreibt mit einem einzigen Satz die komplexe Handels-, insbesondere Handelsrechtswelt des beginnenden 18. Jahrhunderts. Mit Aufkommen des Wechsels im 12. Jahrhundert hatte der Bargeldverkehr kontinuierlich an Bedeutung abgenommen.2 Sowohl die anhaltende Münzverschlechterung in der Kipper- und Wipperzeit als auch die Tatsache, dass es noch kein Papiergeld gab, führten zum Bedeutungsaufschwung des Wechsels.3 Er war seit dem 15. Jahrhundert das wichtigste Zahlungsmittel und fand durch seine Normierung in Wechselordnungen ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in ganz West- und Nordeuropa weite Verbreitung.4 Die Kaufleute 1 Johann Christian Königk, Kauff=und Handels=Stadt Leipzig Wechsel=Ordnung: Mit nützlichen Anmerckungen […], Leipzig 1717, Vorwort. 2 John H. Munro, Wechsel, in: Michael North (Hrsg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 413 f. 3 Mehr zur Kipper- und Wipperkrise sowie zum Bedeutungsaufschwung des Wechsels bei: Michael North, Kleine Geschichte des Geldes. Vom Mittelalter bis heute, München 2009, S. 115 ff. 4 Giuseppe Felloni, Kredit und Banken in Italien, 15.–17. Jahrhundert, in: Michael North (Hrsg.), Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 37), Köln, Wien 1991, S. 19; Anja Amend-Traut, Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 54), Köln 2009, S. 110; mehr zur geographischen Verteilung des Wechsels, siehe: Jürgen Schneider, Messen, Banken und Börsen (15.–18. Jahrhundert), in: Società ligure di storia patria (Hrsg.), Banchi pubblici, banchi privati e monti di pietà nell’Europa preindustriale. Amministrazione, tecniche operative e ruoli economici. Atti del convegno Genova, 1–6 ottobre 1990, Teilband 1 (Atti della Società Ligure di Storia Patria 105, 1), Genua 1990, S. 169. Nicht zuletzt war der Geldbedarf ab der Mitte des 17. Jahrhunderts durch die Finanzierung stehender Heere und den Bau prestigeträchtiger Schlösser und Residenzen stetig gewachsen, siehe: Peter Claus Hartmann, Die Rolle europäischer Bankiers und Bankzentren bei der Überweisung von Subsidien im 18. Jahrhundert, in: Bernhard Kirchgässner / Hans-Peter Becht (Hrsg.), Stadt und Handel. 32. Arbeitstagung in Schwäbisch Hall (Stadt in der Geschichte 22), Sigmaringen 1995, S. 107.

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Einleitung

zogen ihre Wechsel häufig auf weit entfernt liegende Orte. Die Wechselgeschäfte führten zu einem europaweiten Handelsnetz, das sich von Italien5 über Frankreich nach England bis hin ins Alte Reich zog. Der ökonomische Raum war regelmäßig nicht deckungsgleich mit dem politischen Territorium. Diese Erkenntnis hatte bereits die kameralistische Literatur Ende des 18. Jahrhunderts gewonnen.6 Weite Handelswege stellten einen hohen Kostenfaktor dar, der durch ein raumumspannendes Netz von Speditions- und Kommissionsgeschäften aufgefangen wurde, damit der Kaufmann nicht selbst mitreisen musste. Das finanzielle Instrument zur Ausdehnung des Handels stellte der Wechsel dar.7 Regelmäßig galt jedoch am Erfüllungsort eine andere Wechselordnung als am Ausstellungsort. Mit Aufkommen des Wechsels überschritten Rechtsprobleme permanent politische Grenzen und damit auch Rechtsräume und Gerichtslandschaften.8 Ein „gemeinsame[s] europäische[s] Handelsrechtsinstitut“9 war geschaffen. Dies machte eine grenzüberschreitende Konfliktlösung erforderlich.

I. Erkenntnisinteresse Das Problem, ohne eine einheitliche Rechtsordnung handeln und Konflikte über Rechts- und Gerichtsgrenzen hinweg lösen zu müssen, beschäftigt auch heute noch die Wissenschaft. Unlängst ist im Kontext der Globalisierung die Debatte über die Existenz einer modernen lex mercatoria wieder entbrannt.10 Neben dem Mangel an einer einheitlichen Rechtsordnung stellt sich stets die Frage, vor welchem Gericht und 5 In Genua handelten die Kaufleute auf den Messen sogar ausschließlich mit Wechseln: Felloni 1991 (wie Anm. 4), S. 19. 6 Intensiv hat sich Garner mit dieser Thematik beschäftigt, der die ökonomischen Diskurse in Deutschland im 18. Jahrhundert unter dem Aspekt der obrigkeitlichen Handelsregulierung und der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit den Kaufleuten betrachtet hat: Guillaume Garner, Die räumliche Dimension der Regulierung des Handels im 18. Jahrhundert, in: Annales Mercaturae 1, 2015, S. 130 ff. 7 Markus A. Denzel  / ​​Oskar Schwarzer, Wechsel, in: Michael North (Hrsg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 416. 8 Zu den Begrifflichkeiten „Rechtsräume“ und „Gerichtslandschaften“, siehe: in: Anja Amend  / ​ Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Siegrid Westphal (Hrsg.), Gerichtslandschaft Altes Reich: höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 52), Köln 2007, S. 1 f.; Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich, Einleitung, in: Anja Amend  / ​ Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München 2008, S. 9 f. 9 Karl Otto Scherner, Europäisches und Kosmopolitisches in der Entwicklung des Handelsund Wirtschaftsrechts, in: Walther Hadding (Hrsg.), Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935, Berlin 1999, S. 536. 10 Gunther Teubner, Breaking Frames: Economic Globalisation and the Emergence of Lex Mercatoria, in: European Journal of Social Theory 5, 2002; Klaus Peter Berger, The Creeping

Erkenntnisinteresse

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nach welchem Recht handelsrechtliche Konflikte gelöst werden. Heutzutage können die Parteien bei Vertragsschluss bestimmen, dass sie etwaige Rechtsstreitigkeiten vor einem privaten Schiedsgericht, beispielsweise dem Internationalen Schiedsgerichtshof (International Court of Arbitration) der International Chamber of Commerce (ICC), beilegen. Durch die Wahrnehmung entstehe Chancengleichheit, da sich keine Partei fremden Rechts unterordnen müsse, und darüber hinaus sei die Vollstreckbarkeit der Entscheidung gewährleistet.11 So wirbt die 1923 gegründete Institution auf ihrer Homepage für ihre Inanspruchnahme. Dies mag heutzutage ein Konfliktlösungsmodell außerhalb staatlicher Gerichte sein. Doch wie legten Kaufleute lange vor Einrichtung des Internationalen Schiedsgerichtshofs der ICC Streitigkeiten bei? Wie fand handelsrechtliche Konfliktlösung im 18. Jahrhundert unter der Prämisse, dass es weder eine einheitliche Rechtsordnung noch – bis auf wenige Ausnahmen – eine Sondergerichtsbarkeit im Alten Reich gab, statt? 1. Bedürfnis nach handelsgerichtlicher Konfliktlösung Gab es unter den Kaufleuten überhaupt ein Bedürfnis nach fachgerichtlicher Klärung? Zunächst waren im Hochmittelalter die Stadtgerichte als Niedergerichte auch für kaufmännische Streitigkeiten zuständig gewesen.12 Anders als in Frankreich, das ab der Mitte des 16. Jahrhunderts dem südeuropäischen Vorbild, namentlich Italien, folgte,13 blieben im Alten Reich bis auf wenige Ausnahmen erstinstanzlich die städtischen Gerichte zuständig. Sie wandten jedoch die Grundsätze des kanonischen Rechts wie das summarische Verfahren und den Grundsatz der aequitas mercatoria an. Danach sollte in kaufmännischen Streitigkeiten nicht nur nach positivem Recht, sondern vor allem nach Billigkeit, ex aequo et bono, geurteilt werden.14 Eine Ausnahme bildeten die Städte Nürnberg und Leipzig.15 Beide waren wie auch Frankfurt am Main Handels- bzw. Messestädte und etablierten im 17. Jahrhundert

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Codification of the New Lex Mercatoria, 2. Auflage, Alphen aan den Rijn 2010; Orsolya Toth, The Lex Mercatoria in Theory and Practice, Oxford 2014. https://iccwbo.org/about-us/who-we-are/dispute-resolution/ (zuletzt abgerufen am 22.11.2019). Karl Otto Scherner, Handelsrecht, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werk­ müller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II: Geistliche Gerichtsbarkeit – Konfiskation, 2. Auflage, Berlin 2012, Sp. 717. Vgl. zu Italien und Frankreich: Wilhelm Silberschmidt, Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts. Nach archivalischen Quellen dargestellt, Leipzig 1894, S. 3–22. Scherner 1999 (wie Anm. 9), S. 538; Scherner 2012 (wie Anm. 12), Sp. 719 ff. Zu Nürnberg, siehe: Harald Rehm, Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit. Verfassung und Prozess insbesondere im 19. Jahrhundert (Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg 14), Würzburg 1974; zu Leipzig, siehe: Werner Schubert, Die deutsche Gerichtsverfassung (1869–1877). Entstehung und Quellen (IUS COMMUNE: Sonderhefte. Texte und Monographien 16), Frankfurt am Main 1981, S. 181.

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Einleitung

ein Handelsgericht. Dennoch verfügte die Mainmetropole als einer der bedeutendsten Messeplätze im Alten Reich über kein Handelsgericht. Wie legten die Parteien handelsrechtliche Streitigkeiten in Frankfurt ohne Fachgericht bei? An Konflikten und dem Bedürfnis einer sachgerechten Klärung fehlte es gerade in einer Messestadt, in der zahlreiche Kaufleute miteinander handelten, nicht. Kaufmännische Konflikte betrafen in der Frühen Neuzeit häufig wechselrechtliche Fragestellungen und haftungsrechtliche Probleme, sei es innerhalb einer durch die Kaufleute gebildeten Gesellschaft oder im Rahmen kaufrechtlicher Gewährleistungsfragen. Demnach handelte es sich bei den Streitgegenständen um spezielle Fragen, die zur Lösung ein gewisses Maß kaufmännischen Verständnisses erforderten.16 Fraglich ist, ob die Rechtsprechungstätigkeit vorhandener obrigkeitlicher Gerichte tatsächlich die kaufmännischen Bedürfnisse befriedigen konnte und damit eine speziellere Gerichtsbarkeit obsolet machte, oder ob sich nicht vielmehr alternative Regulierungsformen außergerichtlicher Natur entwickelten.17 In Frankfurt war der Gerichtszugang für Fremde, sowohl in Streitigkeiten mit Bürgern als auch mit anderen Fremden, gemäß der Stadtrechtsreformation von 1578 ebenfalls eröffnet.18 Zwar bestand damit grundsätzlich ein Rechtsweg für Handelsstreitigkeiten, der, zumindest in der Reichsstadt Frankfurt, auch jedem Kaufmann offenstand. Doch es gab auch Defizite. Zum einen verfügten die Schöffengerichte in aller Regel nicht über eine vertiefte wechselrechtliche Expertise. Zum anderen war das Wechselrecht häufig kaum normiert. Die ersten Wechselordnungen entstanden zwar im 17. Jahrhundert, regelten aber größtenteils nur wenige Grundsätze. Der praktische Wechselverkehr war der Normierung des Wechselrechts stets voraus. Deshalb spielte in den Handelsstreitigkeiten das geschriebene Recht oftmals nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidender waren die kaufmännischen Rechtsgewohnheiten 16 So auch Jeggle, der ebenfalls davon ausgeht, dass vor allem Rechtsprobleme im Bereich des Zahlungsverkehrs zur Entstehung der Handelsgerichte führten: Christof Jeggle, Gute Ordnung der Wechselmärkte? Marktexpansion und Handelsgerichtsbarkeit im 17. Jahrhundert, in: Sandra Richter / ​Guillaume Garner (Hrsg.), „Eigennutz“ und „gute Ordnung“. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 54), Wiesbaden 2016, S. 54. 17 Eine ähnliche Fragestellung formulierte: Karl Otto Scherner, Formen der Konfliktlösung im Handels- und Seerecht in Nürnberg, Hamburg und Leipzig zwischen 1500 und 1800, in: Albrecht Cordes / ​Serge Dauchy (Hrsg.), Eine Grenze in Bewegung: Private und öffentliche Konfliktlösung im Handels- und Seerecht. Une frontière mouvante: Justice privée et justice publique en matières commerciales et maritimes (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 81), München 2013, S. 117. 18 Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, Frankfurt a. M. 1578, Erster Teil, Titel 11, § II. Mehr zur Gerichtszuständigkeit für Fremde, insbesondere Messegäste, bei: Anja Amend-Traut, Kaufmännische Sonderinteressen und ihr Einfluss auf die Frankfurter Stadtrechtsreformationen von 1509 und 1578, in: Andreas Deutsch, Stadtrechte und Stadtrechtsreformationen, im Erscheinen. Ich danke Frau Prof. Dr. Amend-Traut ganz herzlich für die Möglichkeit, das Manuskript des Aufsatzes vorab lesen zu dürfen.

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Erkenntnisinteresse

(consuetudines), die stets dann angeführt wurden, wenn das geschriebene Recht eine Lücke aufwies.19 Dargelegt wurden diese Rechtsgewohnheiten häufig durch kaufmännische Rechtsgutachten, sogenannte Pareres, die den Hauptuntersuchungsgegenstand dieser Arbeit bilden. Sie sind bis heute nahezu unerforscht, stellen aber eine reichhaltige Quelle frühneuzeitlichen Handelsrechts dar, deren „bisherige Erschließung […] unzureichend“ ist.20 2. Fragestellung Das ursprüngliche Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit betraf die Frage, ob die Streitparteien in Frankfurt alternativ zu einer nicht vorhandenen Fachgerichtsbarkeit andere Regulierungsmechanismen in Anspruch nehmen konnten, wie diese ausgestaltet waren und welche Unterschiede sie im Vergleich zu einer ebenfalls vorhandenen Konfliktregulierung vor etablierten Gerichten aufwiesen.21 Erste Nachforschungen zeigten schnell, dass die Frankfurter Pareres, die hier den Gegenstand der Untersuchung bilden, für die Beantwortung des ursprünglich formulierten Erkenntnisinteresses von zentraler Bedeutung waren. Darüber hinaus offerierten die herangezogenen Quellen selbst zahlreiche weitere offene Forschungsfragen, sodass das Erkenntnisinteresse auf die Funktion der Pareres selbst ausgeweitet wurde. Des Weiteren stellte sich die Frage, inwiefern die Institutionalisierung der Handlungsvorsteher, ihr persönlicher, politischer, religiöser sowie wirtschaftlicher Hintergrund und ihre Beziehungen für die Konfliktregulierung bedeutsam waren. Möglicherweise wählten Kaufleute nicht nur aus Gründen der Kosten- und Zeitersparnis eine außergerichtliche Konfliktlösung durch andere Kaufleute. Unter Umständen spielten hier politische und vor allem auch religiöse Einflüsse eine entscheidende Rolle. Die Prämisse, dass Kaufleute vor allem aus ökonomischen Beweggründen agieren, ist möglicherweise durch unsere moderne Sicht sehr stark geprägt. Für Kaufleute in der Frühen Neuzeit könnten konfessionelle Faktoren eine viel größere Bedeutung gehabt haben, als es heutzutage vorstellbar ist.22

19 Scherner 2012 (wie Anm. 12), Sp. 721. 20 Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 129. 21 Vgl. hierzu: Amend-Traut, die in ihrer Studie nicht nur Reichskammergerichtsprozesse ana­ lysiert, sondern jeweils auch die untergerichtlichen Verfahren behandelt hat: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4). 22 Vergleiche zur Bedeutung konfessioneller Fragen: Anja Amend, Die Inanspruchnahme von Juristenfakultäten in der Frankfurter Rechtsprechung. Zur Rolle der Spruchkollegien auf territorialer Ebene und ihre Bedeutung für das Reich, in: Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München 2008, S. 91.

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Einleitung

II. Untersuchungsgegenstand Im Folgenden soll der Untersuchungsgegenstand anhand zeitgenössischer, aber auch jüngerer Literatur definiert und hinsichtlich seiner Funktionen untersucht werden. Die Überprüfung der so aufgestellten Thesen erfolgt in den sich anschließenden Kapiteln. 1. Definition anhand zeitgenössischer Quellen und Literatur Die etymologische Herkunft des Wortes Parere war in der handels- und wechselrecht­ lichen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, die sich noch standardmäßig mit diesem Begriff beschäftigte23, umstritten. Wenige leiteten den Begriff vom lateinischen parere (gehorchen / ​einwilligen) ab24, mehrheitlich wurde jedoch angenommen, dass das italienische mi pare (meinen, erachten) der Wortursprung sei.25 Letzteres erscheint überzeugender26, denn offenbar entstand das Instrument der Pareres ursprünglich in Italien.27 So berichtete die zeit23 Während der Begriff Parere in der heutigen Zeit nahezu unbekannt ist, enthält fast jede Darstellung zwischen 1700 und 1900, die sich mit dem Handels- oder speziell dem Wechselrecht befasst, zumindest kurze Ausführungen zu den Pareres. 24 So z. B. Martin Wagner, Idea mercaturae. Darinnen Was von der KaufLeute Commercien / Credit und Glauben / Fallimenten oder Banckrotten / Wexeln und dessen Rechte / Protesten / Parêre […] kürtz jedoch eigentlich beschrieben wird, Bremen 1661, S. 41. Siehe zur französischen Literatur, die den Begriff aus dem Lateinischen ableiten möchte: Edouard Richard, A l’orée du droit des marchands: les parères, in: Revue d’histoire des facultés de droit et de la culture juridique 33, 2013, S. 165, Fn. 39. Richard selbst geht ebenfalls von italienischen Wurzeln der Pareres aus. 25 Jacques Savary des Brulons / ​Louis-Philémon Savary des Brulons, Artikel Parere, Dic­ tionnaire universel de commerce […], Band 3: L–Z, 3. Auflage, Paris 1748, Sp. 709; Paul Jacob Marperger, Neu=eröffnetes Handels=Gericht / oder Wohlbestelltes Commercien-Collegium, Worinnen von Dessen Nothwendig= und Nutzbarkeit / denen dazu erforderten Personen / dahin gehörigen Sachen […] Welchem annoch mit beygefügt […] des Weyland berühmten Frantzösischen Commerzien-Raths Savary längst verlangte Parere  […], Hamburg 1709, III.  Cap., S. 68; Jacob Friederich Ludovici, Einleitung zum Wechsel=Prozeß, Darinnen Von denenjenigen Fällen / in welchen nach Wechsel=Recht geklaget werden kan […], Halle 1713, Cap. XII, S. 214; Carl Günther Ludovici / ​Johann Christian Schedel, Neu eröfnete Academie der Kaufleute, oder encyclopädisches Kaufmannslexicon alles Wissenswerthen und Gemeinnützigen, Vierter Theil, Leipzig 1799, Sp. 1912; Süpke, Parere, in: Ersch, Johann Samuel / ​Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.), Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste […], Dritte Section O–Z, Zwölfter Theil: Pardaillan – Pascalia, Leipzig 1839, S. 26. 26 Siehe hierzu bereits: Sonja Breustedt, Kaufmännische Pareres – Gutachten als Konsens und Beweismittel im 17. und 18. Jahrhundert, in: Albrecht Cordes (Hrsg.), Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.–19. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 2015, S. 261 f. 27 So auch der französische Rechtshistoriker Richard, der die Pareres Savarys neu ediert hat: Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 166. Er stützt sich hier wahrscheinlich auf Savarys eigene Ausführungen: „J’ai intitulé ce livre Parères, qui est un terme plus italien que français, c’est-à-dire

Untersuchungsgegenstand

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genössische französische Literatur Anfang des 18. Jahrhunderts von mittelalterlichen Messen in Italien, auf denen ausländische Kaufleute im Streitfall ihre Ansicht mittels eines Pareres darlegen konnten.28 Bereits Ende des 16. Jahrhunderts hatten italienische Kaufleute aus Florenz, Venedig, Bozen und Genua Pareres erteilt, die schließlich Eingang in einen Augsburger Prozess fanden. Die ebenfalls parallel herangezogenen Gutachten aus Köln, Antwerpen und Hamburg wiesen zwar vereinzelt auch deutsche und flämische Namen unter den Gutachtern auf. Mehrheitlich erstatteten jedoch auch in diesen drei Städten italienische Kaufleute die Pareres. Die vier italienischsprachigen Gutachten begannen regelmäßig mit den Formulierungen „sono di parere“ oder „dicco essere mio parere“.29 Die Ableitung aus dem italienischen Wort für meinen / ​ erachten ist evident. Mehrere mit Handelsrecht befasste Juristen des 17. Jahrhunderts führten nicht nur den italienischen Ursprung des Wortes an30, sondern betrachteten das Parere als genuesisches Rechtsinstitut. So sah der Lübecker Handelsrechtler ­Johann Marquard in seinem Traktat zum Handelsrecht, der ersten großen handelsrechtlichen Abhandlung der Frühen Neuzeit aus dem Jahr 1662, das Erteilen von Pareres als genuesischen Brauch an.31 Darüber hinaus berichtete Johann Schlüter in seiner Dissertation über Pareres von zwei Decisiones der Rota von Genua32, denen Pareres zugrunde lagen.33 Levin Goldschmidt, der wohl berühmteste Handelsrechtler des 19. Jahrhunderts, erwähnte ebenfalls ein Genueser Parere aus dem 17. Jahrhun-

un négociant qui répond ce qui lui semble à la demande qu’on lui fait (mi paré) parce que la pra­tique du négociant, particulièrement pour les lettres de change, nous est venue d’Italie.“: Jacques Savary, Parères, ou Avis et conseils sur les plus importantes matières du commerce, Paris 1688, Vorwort. 28 Jean Toubeau, Les institutes du droit consulaire, ou les elemens de la jurisprudence des marchands […], Band 1, 2. Auflage, Paris 1700, S. 107. 29 Mehr zum Augsburger Prozess bei: Christina Dalhede, Neue Augsburger Quellen zur Kenntnis europäischer Handelshäuser um 1600, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 76, 1989. Die Formulierung „sono di parere“ weist auch das bei Marperger abgedruckte venezianische Gutachten auf: Paul Jacob Marperger, Der allzeit=fertige Handels=Correspondent, Worinnen Die gantze Handels=Wissenschaft / mit deroselben Scripturen, Briefen / und Cautelen, Samt Allerhand Arten Rechnungs=Formularien und andern Nohtwendigkeiten enthalten […], Hamburg 1717, S. 597. 30 So z. B. Mathias Bode, Dissertatio juridica de cambiis […], Marburg 1646, Th. XI, S. 53. 31 Johannes Marquard, Tractatus politico-juridicus de Iure mercatorum et commerciorum singulari, in quo […], Frankfurt 1662, Lib. III, Cap. VI, n. 52–54. 32 Mehr zum 1530 eingerichteten Genuesischen Gericht, welches sich vor allem mit Handelsrecht befasste, bei: Vito Piergiovanni, The Rise of the Genoese Civil Rota in the XVIth Century: The „Decisiones de Mercatura“ Concerning Insurance, in: Vito Piergiovanni (Hrsg.), The Courts and the Development of Commercial Law (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History = Vergleichende Untersuchungen zur kontinentaleuropaischen und anglo-amerikanischen Rechtsgeschichte 2), Berlin 1987, S. 23 ff. 33 Johann Schlüter, Dissertatio juridica inauguralis de responsis mercatorum, vulgo parere dictis […], Hamburg 1706, § III, S. 20.

22

Einleitung

dert, welches er dem handels- und wechselrechtlichen Traktat des römischen Juristen Sigismundus Scaccia entnommen hatte.34 Die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts definierte das Parere mehrheitlich als ein kaufmännisches Gutachten, welches Auskunft über Handelsgewohnheiten, sogenannte Usancen, meist speziell für einen bestimmten Handelsplatz gab.35 Johann Michael Leuchs, einer der Begründer der modernen Handelswissenschaft, sah in der Erstattung der Pareres sogar schon „die Entscheidung eines Handelsstreites ohne gesetzliche Kraft“36, mithin eine bereits den Rechtsstreit abschließende Konfliktlösungsmöglichkeit. Er grenzte das Parere vom Kompromiss ab, bei welchem beide Parteien übereinstimmend den Schiedsrichter wählten und sich dessen Urteil unterwarfen. Bei einem Parere hingegen „ist es gewöhnlich nur ein Theil, welcher Kaufleute ersucht, ihre Meinung über den streitigen Fall schriftlich mitzutheilen, um etwa den Gegner zur gütlichen Beylegung zu vermögen“.37 Zum Abschluss eines Kompromisses und der Annahme desselben verpflichteten sich die Parteien schriftlich. Regelmäßig waren Rechtsmittel ausgeschlossen.38 Die Einholung eines Pareres hingegen war zunächst unverbindlich und diente häufig der Einschätzung der Rechtslage oder eben auch der gütlichen Einigung.39 Üblicherweise fertigte der Handlungs- bzw. Kaufmannsvorstand als Gremium die Gutachten an.40 Jedoch gab es auch Ausnahmen wie die Hansestadt Hamburg, in der 34 Sigismund Scaccia, Tractatus de commerciis et cambio […], Köln 1620, S. 414 f.; Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Erster Band, enthaltend: die geschichtlich=literarische Einleitung und Grundlehren, 2. Auflage, Stuttgart 1875, § 35, S. 352, Fn. 63. 35 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […], Band 26: P–Pd, Leipzig, Halle 1740, Sp. 847 f.; Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1913; Johann Heinrich Bender, Grundsätze des deutschen Handlungs=Rechts […], Erster Band: Grundsätze des engeren Handlungs=Rechts, ohne Rücksicht auf das Wechselrecht, Darmstadt 1824, § 190, S. 420; Leopold Carl Bleibtreu, Lehrbuch der Handelswissenschaft. Zum Gebrauche bei Vorlesungen und zum Selbststudium, Karlsruhe 1830, § 467, S. 506; Friedrich August Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen, Leipzig 1859, Abh. IV, § 9, S. 428; Goldschmidt 1875 (wie Anm. 34), § 35, S. 352. Siehe hierzu und vor allem zum neuralgischen Begriff Gutachten: Breustedt 2015 (wie Anm. 26), S. 261. 36 Johann Michael Leuchs, Vollständige Handelswissenschaft in drey Theilen. System des Handels, Erster Theil: Bürgerliche Handelswissenschaft, 3. Auflage, Nürnberg 1822, § 255, S. 275. 37 Johann Michael Leuchs, Der Contorwissenschaft Vierter Theil: Die Anleitung, alle Geschäfte einer Handlung schriftlich zu betreiben, enthaltend. Allgemeiner Handels=Briefsteller; oder Anleitung zur Abfassung kaufmännischer Briefe, und zu allen andern im Handel vorkommenden Aufsätzen und Ausfertigungen. Mit Formularen, den erforderlichen Erklärungen, und den ersten Gründen der Deutschen Sprache, 2. Auflage, Nürnberg 1828, S. 417. 38 Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 125. 39 Süpke 1839 (wie Anm. 25), S. 26; zum Kompromiss, siehe auch: August Schiebe / ​Carl Gustav Odermann, Lehrbuch der Contorwissenschaft, Erster Theil: Die Contorwissenschaft im engern Sinne, 7. Auflage, Leipzig 1871, Kap. XIV, S. 721. 40 Karl Gottlob Rössig, Erste Grundsätze des deutschen Privatrechts zu Vorlesungen und als Einleitung zur Erlernung des reinen deutschen Privatrechts […], Leipzig 1797, § 15, S. 184;

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die Gutachtenerstattung bis ca. 1770 nur durch einzelne Kaufleute erfolgte, da die Commerzdeputation als berufsständische Organisation dies ablehnte. Privat nahmen die einzelnen Mitglieder der Commerzdeputation hingegen Aufträge zur Abfassung von Pareres an.41 Schwerpunktmäßig beinhalteten die Gutachten wechselrechtliche Fragen42, was nicht nur die folgende Auswertung der hier untersuchten Pareres gezeigt hat, sondern bereits in der Definition des Beisitzers der Leipziger Juristenfakultät, Georg Carl Treitschke, deutlich wird. Er verstand unter einem Parere ein „Gutachten der Vorsteher eines Handlungsstandes über einen streitigen Handelsrechts- oder Wechselrechtsfall“.43 Die umstrittene Frage, ob Pareres auch Rechtsfragen beantworten können44, klärte Levin Goldschmidt überzeugend. Er hielt dem Einwand, die Kaufleute könnten sich nicht zu Rechtsfragen äußern, entgegen, dass damit wohl geschriebenes Recht gemeint gewesen sei. Seiner Ansicht nach gaben die Gutachten kein geschriebenes Recht im Sinne des ius commune, sondern eben Usancen, also Handelsbräuche bzw. Rechtsgewohnheiten, wieder.45 Fraglich ist, ob der Begriff Parere mit Gutachten gleichgesetzt werden kann, wenn die Kaufleute in ihm lediglich eine Usance mitgeteilt haben könnten. Da die Pareres Georg Carl Treitschke, Alphabetische Encyclopädie der Wechselrechte und Wechselgesetze, Zweiter Band: M–Z, Leipzig 1831, S. 53; so auch Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 431 f., der dem Gremium eine deutlich größere Autorität zusprach, da sonst keine Gewissheit bestehe, ob die Meinung in der gesamten Kaufmannschaft vertreten werde. Näher hierzu: Breustedt 2015 (wie Anm. 26), S. 262. 41 Ernst Baasch, Die Handelskammer zu Hamburg 1665–1915 […], Band I: 1665–1814, Hamburg 1915, S. 646 f.; laut Büsch wurden Gutachten in Hamburg nur erstattet, wenn die Parteien sich zuvor schriftlich verpflichtet hatten, kein Gericht anzurufen, sich einem gemeinschaftlichem Gutachten unterzogen oder einen Obmann zur Entscheidung berufen hatten: Johann Georg Büsch, Theoretisch-praktische Darstellung der Handlung in deren mannigfaltigen Geschäften, Zweiter Teil, Hamburg 1792, Kap. 9, § 11, S. 363 f. 42 Dies stellte Pommer auch für Nürnberg fest: Philipp Pommer, Die Rechtsgutachten der Nürnberger Marktvorsteher, Erlangen 1948, S. 18. 43 Treitschke 1831 (wie Anm. 40), S. 53. 44 Befürwortend Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 432, der allerdings Auskünfte der Kaufleute, die Rechtsfragen betrafen, als „Meinung von Geschäftsmännern“ herabstufte, die allerdings Aspekte heranzögen, die Juristen entgehen könnten. Scherer sprach hingegen den Kaufleuten die Fähigkeit ab, über Rechtsfragen Auskunft zu geben: Philipp Carl Scherer, Handbuch des Wechselrechts worinnen theils die Art und Weise, wie die Wechselgeschäfte zu behandeln und zu beurtheilen, gezeigt […] Zweyter Theil: J–S, Frankfurt a. M. 1800, S. 326. 45 Goldschmidt 1875 (wie Anm. 34), § 35, S. 353, Fn. 63. Bestätigend und sogar darüberhinausgehend die Untersuchung von Frentz für die Hamburger Pareres vor dem Admiralitätsgericht. Sie hat nicht nur von der Wiedergabe von Usancen berichtet, sondern auch von der Beantwortung von Rechtsfragen, die sich auf Gesetze bezogen: Eva-Christine Frentz, Kaufmännische Gutachten – Parere – im Hamburgischen Seeprozeß, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 10, 1988, S. 156.

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jedoch mehrheitlich nicht nur einen Rechtsbrauch darlegten, sondern regelmäßig eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Rechtsproblem und eine daran anschließende Stellungnahme aufwiesen, mithin eine Rechtsfrage beantworteten, werden die Begriffe Parere und Gutachten in dieser Arbeit synonym verwendet. Darüber hinaus spricht für eine Gleichsetzung die durchweg einheitliche Übersetzung des Wortes ­Parere mit Gutachten sowohl durch zeitgenössische Quellen und Literatur als auch durch das jüngste Schrifttum.46 Das im oben erwähnten Augsburger Verfahren befasste Stadtgericht verwandte die Begriffe ebenfalls synonym: „Dise Parerj oder Guett achten“. Auch die Frankfurter Kaufleute setzten den Begriff Pareres mit Gutachten gleich.47 2. Rechtsnatur Die Frage nach der Rechtsnatur der Pareres geht mit der Frage nach ihrem Beweiswert einher. In ihrem 1988 erschienenen Aufsatz über Pareres im Hamburgischen Seeprozess hat Eva-Christine Frentz die Frage aufgegriffen, ob die kaufmännischen Gutachten selbst Rechtsquellen oder aber Erkenntnisquellen respektive Beweismittel für den Handelsrichter seien.48 Sie hat schließlich die seerechtlichen Pareres, die in Prozessen vor dem Hamburger Admiralitätsgericht eingebracht worden waren, als Urkundenbeweismittel eingeordnet.49 Auch der mit den französischen Pareres von Jacques Savary befasste französische Rechtshistoriker Edouard Richard hat sie als Beweismittel eingestuft.50 46 So hieß es im Reichsschluss von 1670: „verständiger Kaufleute Gutachten circa factum mercantile“, siehe: Reichs-Abschieds-Anfang, So […] von Wiederherstellung und Aufhelffung der Commercien und Handelschafften […], Dictatum Ratisbonae 16. Junii, 26. Junii 1670 Moguntinum, in: Johann Jacob Schmauss, Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs=Tägen abgefasset worden […], Band 4, Frankfurt a. M. 1747, S. 68–80 (76). Darüber hinaus wurde der Begriff Parere in folgenden Werken als Gutachten übersetzt: Zedler 1740 (wie Anm. 35), Sp. 847 f.; Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1913; Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 420; Bleibtreu 1830 (wie Anm. 35), § 467, S. 506; Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 428; Goldschmidt 1875 (wie Anm. 34), § 35, S. 352. Im Übrigen verwenden auch die Wissenschaftler, die sich in den letzten dreißig Jahren mit dieser Thematik beschäftigt haben, die Begriffe synonym: Frentz 1988 (wie Anm. 45), Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), Scherner 2013 (wie Anm. 17); Richard 2013 (wie Anm. 24). 47 Das Parere vom 31. März 1736 wies über dem eigentlichen Gutachten nicht den Begriff Parere, sondern „Ohnvorgreiffliches Guttachten“ auf: ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 291, 31.3.1736; „unmaßgebliches Gutachten“ und „unvorgreiffliches Gutachten“ sind ebenfalls Synonyme für Parere: E. B. A., Des in allen Vorfällen vorsichtigen Banquiers Zweyter Theil, Darinnen Die mehreste Europäische Wechsel=Ordnungen / Wie auch verschieden Banco- und Handels=Gerichts=Ordnungen nebst einem Anhang zufinden seynd, Band 2, Nürnberg / ​Frankfurt a. M. 1733, P VI, S. 26 f.; P VIII, S. 30. 48 Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 154 ff. 49 Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 162. 50 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 168.

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Die handelsrechtliche Literatur des 19. Jahrhunderts charakterisierte sie als Beweismittel, mit dem Usancen bewiesen wurden.51 Das Parere konnte ausweislich des Schrifttums durch eine oder beide Parteien, aber auch durch das Gericht eingeholt werden52 und belegte vor Gericht die Ansicht des jeweiligen Handelsplatzes.53 Es diente entweder der gütlichen Streitbeilegung oder wurde zur Urteilsbegründung herangezogen.54 Das Parere wurde einerseits vom Sachverständigengutachten abgegrenzt, dessen Gegenstand Fakten seien, während im kaufmännischen Gutachten streitige Handelsbräuche dargelegt würden.55 Andererseits wurden die Pareres teilweise auf die Ebene des Sachverständigenbeweises gestellt: „Die kaufmännischen Gutachten […] kommen in Betrachtung, in so fern das Gericht sich veranlaßt sieht, entweder den Beweis durch Sachverständige zuzulassen, oder amtlich gutachtliche Berichte einzuholen.“56 Die Literatur des 18. Jahrhunderts hatte dem Beweiswert der Pareres noch große Bedeutung beigemessen und in ihnen eine Unterrichtung des Richters gesehen57 – ähnlich den Gutachten der Juristenfakultäten, mit denen sie häufig verglichen wurden.58 Diese wurden im Rahmen der Aktenversendung erstellt und regelmäßig als 51 Philipp Carl Scherer, Handbuch des Wechselrechts worinnen theils die Art und Weise, wie die Wechselgeschäfte zu behandeln und zu beurtheilen, gezeigt […] Dritter Theil: T–Z. Frankfurt a. M. 1801, S. 421; Carl August Gründler, Polemik des germanischen Rechts, Land- und Lehnrecht, nach den Systemen des Herrn Geheimen Rath Prof. Dr. Mittermaier und Geheimen Rath Dr. G. L. Böhmer, Merseburg 1832, § 34, S. 57 ff.; Ferdinand Walter, System des gemeinen deutschen Privatrechts, Bonn 1833, S. 30; Carl Joseph Anton Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Seerechts. Erster Band, 7. Auflage, Regensburg 1847, § 25, S. 98; Heinrich Thöl, Das Handelsrecht. Erster Band, Dritte Auflage, Göttingen 1854, § 7, S. 35. 52 Scherer 1800 (wie Anm. 44), S. 325; Leuchs 1828 (wie Anm. 37), S. 417; Treitschke 1831 (wie Anm. 40), S. 53; Süpke 1839 (wie Anm. 25), S. 26. 53 Ludovici 1713 (wie Anm. 25), Cap.  XII, S. 214; Meno Pöhls, Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts für Juristen und Kaufleute, Erster Band: Allgemeiner Theil, Hamburg 1828, § 153, S. 345; Mittermaier 1847 (wie Anm. 51), § 25, S. 98. 54 Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1916; Süpke 1839 (wie Anm. 25), S. 26; so auch Johann Georg Krünitz / ​Heinrich Gustav Floerke, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats=, Stadt=, Haus= und Land=Wirthschaft[…], Band 107: Papieradel – Pasternak, Berlin 1807, S. 485. Allerdings handelt es sich bei dem Artikel Parere im Krünitz um eine komplette wörtliche Übernahme des Artikels Parere von Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25). 55 Pöhls 1828 (wie Anm. 53), § 153, S. 346. 56 Mittermaier 1847 (wie Anm. 51), § 25, S. 98; so auch Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 420; Bleibtreu 1830 (wie Anm. 35), § 467, S. 506. 57 Marperger 1709 (wie Anm. 25), III. Cap., S. 68; Ludovici 1713 (wie Anm. 25), Cap. XII, S. 214. 58 Wagner 1661 (wie Anm. 24), S. 41; Marperger 1709 (wie Anm. 25), III. Cap., S. 68; Ludovici 1713 (wie Anm. 25), Cap. XII, S. 214; Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1916; Scherer 1800 (wie Anm. 44), S. 326; Hermann Krause, Die geschichtliche Entwicklung des Schiedsgerichtswesens in Deutschland, Berlin 1930, S. 72.

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eigene Entscheidung des anfragenden Gerichts verkündet. Die Aktenversendung wurde ebenfalls entweder auf Antrag der Parteien oder auf Beschluss des Gerichts durchgeführt.59 Im 19. Jahrhundert erhoben sich jedoch nicht selten Zweifel, in denen neben der Parteilichkeit der Gutachter insbesondere eine einseitige Sachverhaltsdarstellung sowie die Unbeschworenheit der Pareres beanstandet wurden.60 Einige Verfasser sahen die Pareres zwar als Beweismittel an, sprachen ihnen aber sowohl den vollen als auch den halben Beweis ab.61 Neben der Unbeschworenheit sollte auch die Schriftlichkeit zu einer geringeren Beweiskraft des Pareres führen. Der Frankfurter Jurist Johann Heinrich Bender stufte beispielsweise den mündlichen Zeugenbeweis als ein dem Parere vorzuziehendes Beweismittel ein: „Zur Ausstellung eines Parere’s ist geradezu Niemand verpflichtet, sondern nur in Nothfällen, wenn gar keine oder keine hinlänglich zutrauenswürdigen Männer ausserdem sich vorfinden.“62 Der Handelsrechtler Heinrich Thöl hingegen sah die „vollkommene Glaubwürdigkeit“ des Pareres nicht durch seine Schriftlichkeit und Unbeschworenheit berührt.63 Manche Handelsrechtler sprachen den Pareres ab, einen vollständigen Beweis erbringen zu können64, da sie „parteiisch und oftmals einseitig“ seien und „häufig ohne ausreichend Erfahrung erteilt“65 würden. Bender bezeichnete die Abfassung von Pareres sogar als „Freundschaftsdienst“.66 Daraus dürfte auch die Ansicht entstanden sein, Handelsusancen könnten nicht durch ein Parere, welches nur durch eine der beiden Parteien in Auftrag gegeben wurde, bewiesen werden67. Mehr Beachtung erzielten allerdings Gutachten,

59 Peter Oestmann, Aktenversendung, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band  I: Aachen  – Geistliche Bank, 2. Auflage, Berlin 2008, Sp. 130. 60 Georg Arnold Heise, Handelsrecht, herausgegeben von Gottlob Friedrich Walter Agathon Wunderlich, Frankfurt a. M. 1858, § 38, S. 92; Zum Problem der „Unbeschworenheit“ siehe auch: Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 421 und Karl Eduard Morstadt, Commentar über das Handelsrecht Deutschlands und Frankreichs. Kritisch=pragmatisch: auf der Basis des (mitabgedruckten Grundrisses von Martens), Erster Theil: das Ganze befassend, außer dem Wechselbrief= und dem Seefracht=Wesen, Heidelberg 1849, § 38, S. 140. 61 Georg Friedrich von Martens, Grundriß des Handelsrechts insbesondere des Wechsel= und Seerechts, Göttingen 1820, § 36, S. 51; Morstadt 1849 (wie Anm. 60), § 38, S. 138 f. 62 Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 420. 63 Thöl 1854 (wie Anm. 51), § 7, S. 36. 64 Gründler 1832 (wie Anm. 51), § 34, S. 57; Morstadt 1849 (wie Anm. 60), § 38, S. 140. 65 Schlüter 1706 (wie Anm. 33), § LI, S. 49. 66 Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 421; so auch Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 432; Büsch 1792 (wie Anm. 41), Kap. 9, § 11, S. 363. 67 Gründler 1832 (wie Anm. 51), § 34, S. 58. Ähnlich unterschied auch Savary, der zwischen avis und conseils differenzierte. Unter letzterem vestand er einseitig von einer Partei eingeholte Gutachten. Erstere stellte er hingegen notariellen Akten gleich und sprach ihnen gesetzesgleiche Wirkung zu: Savary 1688 (wie Anm. 27), Vorwort.

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die von mehreren Kaufleuten, in der Regel dem Handlungsvorstand der jeweiligen Stadt, ausgefertigt wurden.68 Auch die Praxis stand den Gutachten scheinbar nicht ganz so skeptisch gegenüber, wie sich aus Philipp Carl Scherers Handbuch zum Wechselrecht ergibt: „so pflegt sich doch eine jede Gerichtsstelle darnach gemeiniglich zu richten, wenn sie in solcher Absicht vom Richter eingefordert worden sind, um von ihnen den Wechselbrauch und Usance zu vernehmen“.69 Der Richter war ausweislich zeitgenössischer Berichte nicht an das Gutachten gebunden, musste aber die Motive der Verfasser berücksichtigen.70 Die Entscheidung, ob eine rechtliche Gewohnheit durch das Gutachten dargelegt wurde, und die Durchsetzung derselben oblagen dem Gericht, für welches das Parere erstellt wurde.71 Inwiefern das Gericht dem Parere folgte, hing von der Sachkunde der Gutachter und damit einhergehend ihrer Vertrauensstellung sowie der richtigen Sachverhaltsdarstellung ab.72 Versucht man, anhand der Literatur des 19. Jahrhunderts, aber auch der modernen Ausführungen Frentz und Richards die Rechtsnatur des Pareres zu definieren, so drängt sich die These auf, dass die Pareres zunächst keine originäre Rechtsquelle waren. Dies wäre demnach wohl eher das durch sie dargebrachte Gewohnheitsrecht selbst gewesen. Vielmehr stellten sie danach ein Instrument dar, mittels dessen Gewohnheitsrecht allegiert wurde.73 Die Einordnung des Pareres als Beweismittel setzt allerdings eine strikte Einteilung der Rechtsquellen, wie die gemeinrechtliche Rechtsanwendungslehre sie konstatierte, voraus: einerseits Statutar- und Gewohnheitsrecht und andererseits schriftlich fixiertes gemeines Recht, ius. Das Statutar- und Gewohnheitsrecht wurde als factum oder consuetudo qualifiziert und unterfiel danach dem Tatsachenbeweis, während dem Grundsatz iura novit curia zufolge der Richter ius 68 Büsch 1792 (wie Anm. 41), Kap. 9, § 11, S. 363. Büsch sprach den sogenannten „guten Männern“ (Kaufleute, die gemeinschaftlich das kaufmännische Gutachten erstatteten) mehr Seriosität in der Gutachtenabfassung zu. Allerdings ist zu beachten, dass Büsch selbst zu den „guten Männern“ gehörte, die in Hamburg Pareres erteilten. Ebenfalls die Qualität der Gutachter betonten: Scherer 1800 (wie Anm. 44), S. 326; Krünitz / ​Floerke 1807 (wie Anm. 54), S. 485; Schiebe / ​Odermann 1871 (wie Anm. 39), Kap. XIV, S. 725. 69 Scherer 1800 (wie Anm. 44), S. 326. 70 Ludovici 1713 (wie Anm. 25), Cap.  XII, S. 214; Scherer 1800 (wie Anm. 44), S. 326; Gründler 1832 (wie Anm. 51), § 34, S. 58. Ähnlich Marquard, der konstatierte, dass die mores & consuetudines mercatorum bei der Urteilsfindung zu beachten seien, Marquard 1662 (wie Anm. 31), Lib. III, Cap. VI, n. 51. 71 Rössig 1797 (wie Anm. 40), § 15, S. 184; Leuchs 1822 (wie Anm. 36), § 258, S. 277; Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 420 f. 72 Mittermaier 1847 (wie Anm. 51), § 25, S. 98; Thöl 1854 (wie Anm. 51), § 7, S. 35 ff. 73 In diesem Zusammenhang wurde bewusst darauf verzichtet, eine strikte terminologische Abgrenzung zwischen Beweis und Allegation vorzunehmen, da es diese, wie Oestmann gezeigt hat, nicht gab: Peter Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich (Rechtsprechung. Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 18), Frankfurt a. M. 2002, S. 10 ff.

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selbst hätte kennen müssen.74 Nur wenn man das durch Pareres allegierte Gewohnheitsrecht als beweisbedürftiges factum qualifiziert, kann das kaufmännische Gutachten als Beweismittel eingeordnet werden. In der Tat weisen den Begriff factum auch reichsrechtliche Quellen, die erstmals das Parere normierten, auf. So sprechen sowohl zwei Kommissionsdekrete aus den Jahren 1668 und 1669 als auch der Reichsschluss vom 15. Juni 1670 von „verständiger Kaufleute Gutachten circa factum mercantile.“75 Demnach wäre der zeitgenössischen Definition zufolge unter einem Parere ein Gutachten „verständiger Kaufleute“ zu verstehen, welches kaufmännisches Gewohnheitsrecht, factum mercantile, darlegt und damit als Beweismittel zu qualifizieren ist. Diese Definition ist der vorliegenden Untersuchung als Arbeitshypothese zugrunde gelegt worden und soll anhand der folgenden Kapitel überprüft werden. 3. Normierungen Die Erteilung kaufmännischer Gutachten war nicht nur üblich und von den Gerichten anerkannt. Sie wurde auch in einige Wechsel- und Prozessrechtsordnungen aufgenommen sowie auf Reichsebene normiert. a) Auf Reichsebene Bereits das kaiserliche Kommissionsdekret vom 10. Oktober 1668 bestätigte das zuvor seitens der Reichsstände in einem Gutachten beanspruchte Erfordernis, in Handels­ sachen kaufmännische Gutachten zu berücksichtigen: „in Kauff= und Handels=​ ­Sachen bey den höchsten Gerichten, vor Eröffnung der Urthel, verständiger Kauffleute Gutachten circa Factum mercantile gehört, und nicht beyseit gesetzt werde“.76 74 Wolfgang Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 27), Ebelsbach 1977, S. 12, S. 91 ff.; Joachim Rückert, Handelsrechtsbildung und Modernisierung des Handelsrechts durch Wissenschaft zwischen ca. 1800 und 1900, in: Karl Otto Scherner (Hrsg.), Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert, Heidelberg 1993, S. 36; sich von der gemeinrechtlichen Rechtsanwendungslehre distanzierend: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 8 ff. 75 Reichs-Abschieds-Anfang, So […] von Wiederherstellung und Aufhelffung der Commercien und Handelschafften […], Dictatum Ratisbonae 16. Junii, 26. Junii 1670 Moguntinum, in: Schmauss 1747 (wie Anm. 46), S. 68–80 (76). 76 Kayserliches Comissions=Decret, Wodurch die im Commercien=Wesen erstattete Reichs=Gutachten / biß auf etwelche wenige Puncta durchgehendes allergnädigst approbirt werden, Dictatum Ratisbonae 30. Septemb., 10. Octobr. 1668, in: Johann Joseph von Pachner Eggenstorff, Vollständige Sammlung Aller von Anfang des noch führwährenden Teutschen Reichs=Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs=Schlüsse, Erster Theil, Regensburg 1740, S. 334–335 (335). Die kaiserlichen Kommissionsdekrete entsprachen funktional den bis 1654 erfolgten Reichsabschieden. Da der Reichstag aber ab 1663 permanent tagte, nämlich „immerwährend“ war, konnten mangels Beendigung formal keine Abschiede mehr erlassen werden. Diese Funktion übernahmen nun die Reichsschlüsse. Dabei handelte es sich um von den Reichs-

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Dieses Erfordernis wurde im kaiserlichen Kommissionsdekret vom 15. Juli 1669 nochmals bekräftigt77 und fand ebenfalls Eingang in den Reichsschluss vom 15. Juni 1670. Dort wurde die Heranziehung kaufmännischer Gutachten sogar auf die Untergerichte ausgeweitet, während das erste kaiserliche Kommissionsdekret nur von „höchsten Gerichten“ sprach: „So solln auch von den Obrigkeiten und Unter=Richtern in Gewerb= Meß= und Handelssachen, ehe und bevor die Appellations= und Mandatprozesse erkennt werden, wie nicht weniger vor Eröffnung der Urtheil, verständiger Kaufleute Gutachten circa factum mercantile vernommen, und nachgehends der höchsten Tribunalien Arbitrio anheimgegeben werden“.78 Interessant ist hierbei nicht nur die Bedeutsamkeit kaufmännischer Sachkunde für handelsrechtliche Prozesse, welche den Gutachten in den reichsrechtlichen Regelungen unterstellt wurde. Zwar war die Hinzuziehung der Pareres schon im untergerichtlichen Verfahren gewünscht, die eigentliche Beurteilung sollte aber nochmals durch die Höchstgerichte erfolgen. b) In Wechsel- und Prozessordnungen Auf Territorialebene fanden die Pareres in mehreren Rechtsordnungen Eingang. Die Breslauer Wechselordnung aus dem Jahr 1672 sah für „Differenzen bey weggehend= oder herkommenden Wechseln“ für den Fall, dass die Parteien sich nicht gütlich einigen konnten, eine Schlichtung durch die „Kaufmanns=Aeltesten“ oder eine Entscheidung mehrerer unparteiischer Kaufleute als „Commissarien“ zur Vermeidung eines Prozesses vor.79 In der 1716 erneuerten Ordnung wurde die Passage gestrichen, dafür griff die Breslauische Meß- und Handels-Gerichts-Ordnung vom 22. Dezember 174280 nun explizit die Einholung von Pareres auf: „Falls aber in wichtigen und intricaten Sachen, worin es hauptsächlich auf kaufmännische Praxin, Gebrauch und Gewohnheit ankommt, dem Handelsgericht bedenklich fallen sollte, in der Sache selbst zu sprechen, oder aber solche an ein auswärtig Rechtscollegium zu senden; so mögen ständen ratifizierte Reichsgutachten des Kaisers, sogenannte kaiserliche Kommissionsdekrete, vgl. hierzu: Helmut Neuhaus, Das Reich in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 42), 2. Auflage, München 2003, S. 40. 77 Kayserliches Comissions=Decret. Allergnädigste Approbation des erstatten Reichs=Gutachtens im Commercien=Wesen, Dictatum Ratisbonae 5. Julii, 15. Julii 1669, in: Pachner von Eggens­torff 1740 (wie Anm. 76), S. 395–396 (396). 78 Reichs=Abschieds-Anfang, So […] von Wiederherstellung und Aufhelffung der Commercien und Handelschafften […], Dictatum Ratisbonae 16. Junii, 26. Junii 1670 Moguntinum, in: Schmauss 1747 (wie Anm. 46), S. 68–80 (76). Der Reichsschluss war zwar nicht mehr ratifiziert worden. Der Passus zeigt aber, wie wichtig die kaufmännische Expertise in Gerichtsverfahren war, so auch: Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 158. 79 § 25 Breslauer Wechselordnung von 1672, abgedruckt in: Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Ersten Bandes zweyte Abtheilung, Wien 1809, S. 188–194, S. 193. 80 Zu diesem Zeitpunkt gehörte Breslau dem preußischen Königreich an.

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Wir allergnädigst geschehen lassen, daß in solchen Sachen vor dem Spruch oder der Transmission der Acten ohne Zeitverlust einer auswärtigen Kauf= und Handelsstadt Parere eingeholt, und solches in decidendo zu Hülfe genommen werde“.81 Es ist erstaunlich, dass die Wechselordnung trotz Bestehen eines Handelsgerichtes die Einholung kaufmännischer Gutachten vorsah, obwohl die Expertise durch selbiges hätte gegeben sein sollen. Erklären lässt sich dies wohl vor allem durch die Tatsache, dass die Pareres einer auswärtigen Kauf- und Handelsstadt eingeholt werden sollten. Wahrscheinlich versprach man sich durch die Mitteilung der Rechtsgewohnheiten anderer Handelsplätze eine Rechtsvereinheitlichung und damit einhergehend eine größere Rechtssicherheit. Bemerkenswert ist der Umstand, dass den Pareres sogar der Vorzug gegenüber der Aktenversendung gegeben wurde. Diesbezüglich dürfte die fachliche Expertise der Kaufleute ausschlaggebend gewesen sein. Die Brandenburg-Onolzbachische Wechselordnung82 vom 10. September 1739 behandelte ebenfalls die Pareres, versuchte aber, sie auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Im vierten Kapitel, welches den „Proceß in Wechsel=Sachen und der Execution“ behandelte, normierte Art. 4 die Transmissio Actorum, die hier nicht nur die Aktenversendung an die Juristenfakultäten meinte, sondern auch die Erstellung von Pareres umfasste. Danach durften Pareres nur in Ausnahmefällen von Amts wegen eingeholt werden. Das Einholen durch die Partei war zur Vermeidung von Parteigutachten grundsätzlich nicht zulässig, es sei denn, beide Parteien stimmten der Einholung zu und verglichen sich anschließend: „Die Transmissio Actorum zur Einholung eines Informats oder Parere soll ex Officio nur bloß in den allerbedenklichsten und wichtigsten Fällen geschehen, auf der einen Parthey einseitiges Anbringen und Suchen aber gar nicht bewilligt werden, es wäre dann, daß beyde Theile damit zufrieden wären; auch darum behörig einkämen, und gleichsam darauf compromittirten“.83 Auch hier sah die Wechselordnung, ähnlich wie die Breslauische Meß- und Handels-Gerichts-Ordnung und die oben ausgeführten reichsrechtlichen Vorschriften, die Einholung kaufmännischer Gutachten und damit die Ermittlung von Gewohnheitsrecht durch das Gericht vor.84 In dem die Wechselordnung abschließenden Beschluss wurde zunächst der Vorrang der Wechselordnung normiert und dem Richter zur Ausfüllung von Rechtslücken die analoge Anwendung der Ordnung „per Analogiam & Argumentum juris“ zugestanden. In zweifelhaften Handelsrechtsfällen „soll zwar 81 § 25 Breslauer Wechselordnung von 1742, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 229– 242, S. 236. 82 Das Fürstentum Ansbach (auch Anspach oder Onolzbach), 1739 bereits Markgraftum Brandenburg-Ansbach, gehörte zur fränkischen Linie der Hohenzollern und stand damit ebenso wie Breslau unter preußischem Einfluss. 83 Cap. IV, Art. 4 der Ansbachschen Wechselordnung vom 10. September 1739, abgedruckt in: Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Ersten Bandes erste Abtheilung, Wien 1809, S. 107–128, S. 126. 84 Hier deutet sich bereits an, dass Gerichte auch ex officio Gewohnheitsrecht ermittelten. Vgl. hierzu die Ergebnisse von Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 661.

Untersuchungsgegenstand

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unverwehret seyn, von einem nahe gelegenen Wechselplatz ein Informat oder Parere über den casum und Vorgang einzuholen“. Dieses musste allerdings nicht beachtet und konnte auch seitens des Richters abgeändert werden.85 Die ebenfalls unter preußischem Einfluss am 27. Januar 1758 erlassene Wechselordnung der Stadt Elbing86 regelte im 21. Kapitel den Wechselprozess. Gemäß Art. 79 der Verordnung sollte der dem Wechselgericht vorsitzende Bürgermeister die Parteien zu einer gütlichen Einigung ersuchen. Scheiterte diese, hatte er die Sache zur „Untersuchung und gütlichen Beylegung an das hiesige Commercienkollegium“ zu verweisen. Ausgenommen von der Verweisung waren Fälle, die die Nichtzahlung eines Wechsels betrafen. Das Commerzienkollegium begutachtete im Rahmen eines mündlichen Termins den Wechsel sowie andere Dokumente und erteilte im Anschluss ihr „Parere cum rationibus decidendi“. Akzeptierten die Parteien das Gutachten nicht, sollte die Ladung vor das Wechselgericht erfolgen und „vor demselben dieses Parere ad data producirt werden“.87 Die Sachsen-Altenburgische88 Wechselordnung aus dem Jahr 1750 sah in Zweifelsfällen ebenfalls die Einholung von Pareres als statthaft an: „auch ist in zweifelhaften Fällen, wo es auf Handelssachen und consuetudines mercatorias ankömmt, denen Partheyen erlaubet, die disfalls eingeholten Parere denen Acten vor Abfassung des Urthels beyfügen zu lassen.“89 Neben Wechselordnungen, die unter preußischem Einfluss standen, normierte auch die Allgemeine Gerichtsordnung für die preussischen Staaten (AGO) aus dem Jahr 1793/95 die Pareres. So regelte der 30. Titel das Verfahren in „Mercantil= oder Mess= und Handlungs= desgleichen in Assekuranzsachen“ und schrieb in § 3 die Ernennung eines kaufmännischen Gehilfen bzw. Assistenten vor, wenn handelsrechtliche Kenntnisse erforderlich waren, aber am jeweiligen Handelsort kein Handelsgericht eingerichtet war. Der Kaufmann musste gemäß § 6 ein Gutachten betreffend Handelsbräuche und Gewohnheiten erteilen, welches vom Gericht zu beachten war. Im Appellationsverfahren musste gemäß § 7 ein anderer Kaufmann bestellt werden, dessen Gutachten mit dem erstinstanzlichen zu vergleichen war. Für den Fall, dass keine Übereinstimmung erzielt wurde, sah § 8 vor, Akten und Gutachten einem dritten 85 Beschluss der Ansbachschen Wechselordnung vom 10. September 1739, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 107–128, S. 128. 86 Elbing war 1657 vom polnischen König an Friedrich Wilhelm von Brandenburg verpfändet worden und fiel nach zahlreichen Besetzungen durch andere Mächte 1713 an die polnische Krone zurück, bis es 1772 wieder dem Königreich Preußen zugeordnet wurde. Zur fraglichen Zeit war Elbing somit nicht preußisch, dürfte aber natürlich aufgrund seiner Geschichte durch Preußen beeinflusst gewesen sein. 87 Cap. 21, Art. 79 der Wechselordnung der Stadt Elbing vom 27. Januar 1758, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 284–306, S. 302. 88 Altenburg liegt ca. 50 km südlich von Leipzig. Die Leipziger Kramermeister erteilten im 18. Jahrhundert Pareres. 89 § 12 der Sachsen-Altenburgischen Wechselordnung von 1750, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 7–24, S. 2 f.

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Einleitung

Kaufmann vorzulegen, der dann ebenfalls ein Gutachten zu erstatten hatte, welches bei der Urteilsfindung vorrangig berücksichtigt werden sollte. Den Parteien war die Einholung von Pareres gestattet, jedoch hatten sie einen geringeren Beweiswert als die Gutachten der vom Gericht bestellten Kaufleute: „Einseitig von den Parteyen eingeholte und beygebrachte Atteste, oder sogenannte Parere’s, können zwar der Erläuterung wegen zu den Akten verstattet werden; verdienen aber nicht die gleiche Rücksicht mit den, unter Direktion des Richters, aus den vorgelegten Akten abgestatteten Gutachten vereideter Sachverständigen“ (§ 8).90 Nicht nur in Deutschland war die Erteilung von Pareres üblich. Die St. Gallener Wechselordnung aus dem Jahr 1784 widmete den kaufmännischen Gutachten gleich ein ganzes Kapitel. In Kapitel XII Von kauffmännischen Gutachten, und Entscheidung kauffmännischer Streitigkeiten regelte § 1 die Erteilung der „Parere oder Gutachten von Einem Löbl. Direktorio“, welche „so schleunig als möglich“ zu erfolgen hatte. Die Wechselordnung bot zwei Möglichkeiten des Verfahrensganges an. Entweder begehrten beide Parteien „mündlich, oder auf Verlangen schriftlich“ ein Gutachten und konnten trotz allem den Prozess noch streitig fortsetzen (§ 2) oder sie vereinbarten gemäß § 3 schriftlich, sich einen „Compromiß=Spruch“ erteilen zu lassen, an welchen sie gebunden waren.91 Auch hier lag ähnlich wie in der Elbinger Wechselordnung das Gewicht auf der gütlichen Einigung. Die russische Wechselordnung aus dem Jahr 1729 sah für streitige Wechselfälle, die nicht mittels der Wechselordnung gelöst werden konnten, die Beauftragung eines Commerciencollegiums vor, welches innerhalb von acht Tagen ein Gutachten zu erstellen hatte. Das Gutachten sollte einen Vorschlag enthalten, wie die Rechtslücken in der Wechselordnung, die im konkreten Fall keine Lösung bot, zu schließen seien. Der Streit sollte bis zur Nachbesserung der Verordnung ausgesetzt und dann auf der neuen Gesetzesgrundlage vom Gericht entschieden werden.92

90 Auffällig ist hier die negative Konnotation, indem die Pareres mit Parteigutachten gleichgesetzt worden sind. Die Herabwürdigung des Pareres dürfte mit dem späten Entstehungszeitpunkt der AGO zusammenhängen. 1793/95 hatten die Pareres nicht mehr die Anerkennung, die sie noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatten. Mehr dazu unter D I 4. a). 91 St.  Gallener Wechselordnung vom 18. Juni 1784, abgedruckt in: Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Zweyten Bandes erste Abtheilung, Wien 1813, S. 8–22. Diese Verpflichtung erinnert an die Hamburger Vorgehensweise, wonach Pareres auch nur nach schriftlicher Verpflichtung, sich der Entscheidung unterzuordnen, erteilt wurden (siehe Fn. 40). 92 § XL Russische Wechselordnung vom 16. Mai 1729 (deutsche Übersetzung der Wechselordnung aus dem Jahr 1741), abgedruckt in: Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Dritter Band, Wien 1813, S. 15–43, S. 27 f.

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Methode

III. Methode 1. Räumliche Eingrenzung des Themas Die Entscheidung für den Frankfurter Bestand resultiert aus der Leitfrage, weshalb Frankfurt als eine der bedeutendsten Messestädte des Heiligen Römischen Reiches kein eigenes Handelsgericht besaß. Die Reichsstadt stellte einen sehr großen Warenumschlagplatz dar, an dem viele Kaufleute zusammenkamen und vielfach Rechts­ geschäfte, insbesondere Wechselgeschäfte, durchführten. Obwohl Frankfurt im 15. Jahrhundert mehrfach Gerichtsstandsprivilegien erworben hatte, entstand dort nie ein originäres Messegericht. Um aber die auf der Messe entstandenen Konflikte vor Ort lösen zu können, erhöhte der Rat stattdessen während der Messezeit die Sitzungstage des Schöffengerichtes und ließ nur noch messebezogene Verfahren verhandeln.93 Dem kaufmännischen Bedürfnis nach schneller Entscheidung trug der Rat somit durch die vermehrte Einsetzung des Schöffengerichtes und durch eine Verfahrensbeschleunigung Rechnung. Mit der Entstehung des Börsenhandels Ende des 16. Jahrhunderts sowie dem Niedergang der Messe und der verstärkten Zuwanderung niederländischer, französischer und italienischer Kaufleute entstand aber zum einen ein dauerhafter Konflikt zwischen den zugewanderten und den einheimischen Kaufleuten. Zum anderen konzentrierten sich die rechtlichen Auseinandersetzungen nicht mehr auf die nun auch weniger bedeutsamen Messezeiten, sondern wurden ganzjährig geführt. Die Weiterentwicklung der Börse verstärkte diesen Trend.94 Das Bedürfnis nach einem konstanten handelsrechtlichen Entscheidungssystem, welches über eine temporär verstärkte Sitzungs­ tätigkeit des Schöffengerichtes hinausging, wuchs. 93 Als besonderen Anreiz verdoppelte der Rat auch das Sitzungsgeld der Schöffen: Michael Rothmann, Schulden vor Gericht: Die Frankfurter Messegerichtsbarkeit und der Messeprozess in Mittelalter und beginnender Früher Neuzeit, in: Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München 2008, S. 286 f. Die Verdoppelung des Sitzungsgeldes zeigt, dass die Ausübung des Schöffenamtes nicht lukrativ war. Der zeitliche Umfang der Sitzungstätigkeit war problematisch. Es gibt mehrfach Hinweise in den Quellen, dass das Gericht unterbesetzt war: Alexander Krey, Die Praxis der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit. Gerichts- und Rechtslandschaften des Rhein-Main-Gebietes im 15. Jahrhundert im Vergleich (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 30), Köln 2015, S. 314. Aus diesen Gründen wurde das Schöffengericht während der Messezeiten schließlich zur Anwesenheit verpflichtet: Rothmann 2008 (wie Anm. 93), S. 293. 94 Handelskammer Frankfurt am Main, Geschichte der Handelskammer zu Frankfurt a. M.: (1707–1908). Beiträge zur Frankfurter Handelsgeschichte, Frankfurt a. M. 1908, S. 7; Albrecht Cordes, Messe, in: Albrecht Cordes / ​Hans-Peter Haferkamp / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band III: Konfliktbewältigung – Nowgorod, 2. Auflage, Berlin 2016, Sp. 1471.

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Einleitung

Aufgrund der beobachteten Entwicklungslinien drängt sich die Vermutung auf, dass es andere Instrumente gegeben haben muss, die funktional ein Handelsgericht ersetzten. Diese Vermutung lässt sich anhand der Frankfurter Pareres verifizieren, die noch in anderer Hinsicht charakteristisch sind. Die ausgewerteten Gutachten befassten sich mehrheitlich mit wechselrechtlichen Fragestellungen. Frankfurt als wichtigster Wechselplatz der Frühen Neuzeit ist demnach für eine Auswertung wechselrechtlicher Gutachten repräsentativ. Die Fokussierung auf die Frankfurter Gutachten soll jedoch nicht zu einer Lokalstudie führen. Um auch die Frage der Funktionalität der kaufmännischen Gutachten im Allgemeinen beantworten zu können, ist ein Vergleich mit anderen Städten und Regionen unabdingbar. 2. Quellenbestände In der vorliegenden Arbeit sind die kaufmännischen Gutachten der Frankfurter Kaufleute ausgewertet worden. Die Herstellung eines synthetisierenden Zusammenhangs der Frankfurter Pareres mit vergleichbaren Gutachten aus anderen Städten oder Regionen hat eine Reihe von Leitfragen ergeben. Handelte es sich bei den Pareres um ein spezielles Frankfurter Phänomen oder waren sie auch in anderen Gebieten des Reiches verbreitet? War eine zersplitterte Rechtslandschaft, wie man sie im Heiligen Römischen Reich vorfand, maßgeblich für die Erteilung der kaufmännischen Rechtsauskünfte oder existierten Pareres auch in einem zentral organisierten Land wie Frankreich? Wie verhielt es sich beispielsweise in den souveränen Städten der Schweizer Eidgenossenschaft? Zu Vergleichszwecken sind einschlägige deutschsprachige Pareres und – sozusagen zur Absicherung der Erkenntnisse aus einer Außenperspektive – französischsprachige Gutachten herangezogen worden. Aus dem deutschsprachigen Bereich sind Pareres der Leipziger Kaufmannschaft, der Nürnberger Marktvorsteher, von Hamburger Kaufleuten sowie Schweizer Gutachten untersucht worden. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Frankfurter Bestand, aus dem noch 243 vollständige Gutachten erhalten sind. Eine umfassende Auswertung weiterer Pareres-Bestände anderer Handelsstädte wie etwa Leipzig95 oder gar Nürnberg, zu denen jeweils noch zahlreiche Pareres erhalten sind, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Zwischen 1639 und 1813 wurden allein in Nürnberg 1126 Pareres erteilt.96 Die herangezogenen Vergleichsgutachten sind nach mehreren Kriterien ausgewählt worden. Es handelt sich ausschließlich um gedruckte Quellen, da die Auswertung der ungedruckten Frankfurter Pareres bereits sehr zeitintensiv war. Außerdem stammen

95 Für Leipzig sind immerhin 93 Pareres in Königks Werk abgedruckt worden, siehe: Königk 1717 (wie Anm. 1) und 134 Pareres bei Siegel erhalten: Johann Gottlieb Siegel, Corpus juris cambialis, Einleitung zum Wechselrecht überhaupt. Zweyter Theil, Leipzig 1742. 96 Pommer 1948 (wie Anm. 42), S. 16 ff.

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Methode

die Gutachten, sofern sie inhaltlich ausgewertet worden sind, aus dem bzw. kurz vor oder nach dem Untersuchungszeitraum, in dem auch die Frankfurter Pareres entstanden sind, und behandeln die gleichen inhaltlichen Problemstellungen, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. a) Frankfurter Pareres Pareres der Frankfurter Kaufleute ließen sich in unterschiedlichen Beständen finden. Zum einen verfügt das Institut für Stadtgeschichte (ISG) Frankfurt am Main noch über eine Sammlung einzelner Gutachten, Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 sowie ein Parere-Buch, Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054. Zum anderen hat ein unbekannter Autor namens E. B. A. 1733 in Frankfurt sein zweibändiges Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier um einen Anhang Frankfurter Pareres ergänzt.97 Darüber hinaus verfügt das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt noch über ein Protokollbuch der Börsenvorsteher aus den Jahren 1770 bis 1810.98 Da in diesem aber lediglich Sitzungsprotokolle und keine Gutachten festgehalten wurden, eignet es sich nicht zur Auswertung unter Berücksichtigung des hier aufgeworfenen Forschungsinteresses. Ebenso wenig gewähren die Kassenbücher der Börsenvorsteher, von denen je eines im Hessischen Wirtschaftsarchiv in Darmstadt und eines im ISG Frankfurt am Main noch vorhanden ist99, Einblicke in die inhaltliche Tätigkeit der Gutachter. Aufgrund der unterschiedlichen Qualität der noch erhaltenen Gutachten sowie des gewählten Forschungszeitraums stützt sich die Auswertung hauptsächlich auf den Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 und die im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier abgedruckten Pareres. aa) Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 Bei dem Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 handelt es sich um einzelne Gutachten, im Repertorium als „Parere-Konzepte“ bezeichnet100. Der Bestand umfasst Gutachten und Bruchstücke von Gutachten aus den Jahren 1694 bis 1698 und 1718 bis 1728 sowie zahlreiche undatierte Fragmente und Gutachten. Die ersten 13 Gutachten, die allerdings keiner chronologischen Ordnung unterliegen, sind nachträglich nummeriert worden, die sich daran anschließenden ca. 300 Gutachten und Gutachtenteile sind unsortiert und häufig leider auch undatiert. In nicht wenigen

97 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47). 98 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Abt. 3, Nr. 4227. 99 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Abt.  3, Nr. 4782; ISG Frankfurt am Main, W  2/​ 5 1.052. 100 ISG Frankfurt am Main, Rep. 368.

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Einleitung

Gutachten fehlt die Sachverhaltsdarstellung101, umgekehrt gibt es aber auch Sachverhaltsdarstellungen, zu denen keine rechtliche Würdigung vorliegt102. Auffällig ist die hohe Zahl der Gutachten zwischen 1726 und 1728, die über keine Sachverhaltsschilderung verfügen. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei tatsächlich um Konzepte handelt, die lediglich abstrakt eine Rechtsfrage klären sollten und deswegen nicht mehr konkret einem bestimmten Sachverhalt zugeordnet werden sollten bzw. mussten. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Sachverhaltsschilderungen schlichtweg nicht mehr vorhanden sind oder sich nicht zuordnen lassen. Für die Zeit zwischen 1694 und 1698 kann der angedeutete Konzeptcharakter allerdings nicht bestätigt werden. Die aus diesem Zeitraum vorliegenden Gutachten sind vollständig, datiert und unterzeichnet, wenngleich sie sich äußerlich noch stark von den späteren Gutachten unterscheiden.103 Neben meist wechselrechtlichen Gutachten der Frankfurter Kaufleute lassen sich auch vereinzelt andere interessante Fundstücke im Bestand verzeichnen. So findet sich auch eine Bilanz betreffend die Republik Venedig aus den Jahren 1696 bis 1702 sowie die Kopie eines Gutachtens der Kaufleute zu Amsterdam aus dem Jahr 1716, welches dort von 14 Kaufleuten unterzeichnet wurde.104 bb) Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 Bei dem Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 handelt es sich um ein gebundenes Buch, im Repertorium als Parere-Buch vermerkt, in dem 160 Pareres verzeichnet sind. Es ist das einzige noch erhaltene Parere-Buch im Frankfurter Bestand. Das Buch beginnt mit der laufenden Nummer 178 vom 16. Januar 1728 und endet auf der letzten Seite mit Nr. 337 vom 16. Februar 1740. Alle in diesem Buch verzeichneten Gutachten sind vollständig und datiert, allerdings wurden sie nicht mehr unterschrieben. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass es sich bei den Gutachten um eine Sammlung gehandelt hat, die der Dokumentation bestimmter rechtlicher Entscheidungen gedient haben dürfte. Die Kaufleute memorierten ihre Rechtsansichten in der Gutachtensammlung und konnten bei ähnlich gelagerten Fällen auf alte Entscheidungen, die möglicherweise noch ihre Vorgänger getroffen hatten, zurückgreifen. Die Sammlung produzierte damit einerseits Rechtswissen, andererseits garantierte sie in gewisser Hinsicht Rechtssicherheit, was die Entscheidungen dieses Gremiums betraf. cc) Gedruckte Pareres Neben den ungedruckten Gutachten im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main sind 105 Pareres aus den Jahren 1713 bis 1731 in dem Werk Der in allen 101 102 103 104

ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 11. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 2. Hierzu weitere Ausführungen unter C III. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, unsortiert.

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Methode

Vorfällen vorsichtige Banquier erschienen. Bei diesem Werk handelt es sich jedoch um eine Auswahl der in Frankfurt verfassten Gutachten. 21 dieser Gutachten entstammen dem Parere-Buch aus dem Bestand W 2/5 1.054. Der Bestand selbst weist in diesem Zeitraum allerdings 71 Gutachten auf. Offenkundig hat der Verfasser nur die aus seiner Sicht relevanten Pareres abgedruckt. Damit eignet sich die gedruckte Sammlung nicht, um Aussagen über die Anzahl der in diesem Zeitraum erteilten Pareres geben zu können. Die anderen 84  Gutachten des Vorsichtigen Banquiers sind in einem dem Parere-Buch vorangegangenen Zeitraum zwischen 1713 und 1728 entstanden. Die diesen Gutachten zugrunde liegenden Originalquellen sind größtenteils nicht mehr vorhanden. Für den Zeitraum zwischen 1718 und 1728, in welchem vereinzelte Gutachten möglicherweise im Bestand 1.053 zu finden sind, erweist sich die Zuordnung aufgrund der zahlreichen undatierten Pareres sowie nur bruchstückhaft vorhandener Gutachten als nicht durchführbar. b) Pareres anderer Länder und Städte Auch in Frankreich boten die Pareres seit dem 17. Jahrhundert ein gängiges Mittel, Meinungen der Kaufleute, die allgemein anerkannte Rechtsbräuche enthielten, darzulegen.105 Sie wurden entweder durch die Parteien selbst oder das in der Sache befasste Gericht eingeholt.106 Die herangezogenen französischen Gutachten entstammen alle der Sammlung Jacques Savarys Les Parères, ou Avis et Conseils sur les plus importantes Matières de Commerce, der seine von ihm als Schiedsrichter erteilten Pareres 1688 in einem gesonderten Werk namens Parères ou avis et conseiles herausgab. Bereits 1675 hatte er seine Handelsbetriebslehre unter dem Namen Le Parfait négociant europaweit verbreiten können. Eine deutsche Übersetzung erschien nach wenigen Jahren in Genf.107 Das 1688 noch als gesondertes Buch herausgegebene Werk über die Pareres wurde in späteren Auflagen als Annex des Parfait négociant veröffentlicht. Spätestens mit der deutschen Zusammenfassung der Gutachten Savarys in Paul Jacob Marpergers Werk Neu-Eröffnetes Handelsgericht aus dem Jahr 1709 dürften die französischen Gutachten auch Eingang in die deutsche Handelsrechtspraxis gefunden haben. Neben den französischen Gutachten sind vereinzelt italienische Pareres sowie Gutachten aus London, Hamburg, Danzig, Nürnberg und Augsburg herangezogen worden.108 Etwas tiefere Einblicke erlauben zwei Gutachtensammlungen für die 105 Artikel Parere, in: Savary des Brulons / ​Savary des Brulons 1748 (wie Anm. 24), Sp. 709. 106 Guillaume Calafat, Expertises et tribunaux de commerce. Procédures et réputation à Livourne au xviie siècle, in: Hypothèses, 2011, S. 147. 107 Savary 1688 (wie Anm. 27), Vorwort, S. 1. 108 Vgl. für Italien: Dalhede 1989 (wie Anm. 29); für London: Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 133.; für Hamburg: Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 135 ff. und S. 180 ff.; für Danzig: Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 168 ff.; für Nürnberg: Johann Adam Beck, Tractatus Novus Johannis Adami Beckii […], Vom Wechsel-Recht: In sich begreif-

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Einleitung

Messestadt Leipzig und eine Darstellung der Züricher Pareres.109 Das Kaufmännische Direktorium in Zürich erteilte zwischen 1672 und 1824 sowohl an einheimische als auch auswärtige Parteien, aber auch an anfragende Gerichte Pareres. 48 Gutachten, von denen 19 ausschließlich Wechselrecht aufweisen, sind in Protokollen und Akten des Züricher Staatsarchivs aufbewahrt und 1883 kursorisch vom Züricher Oberrichter Dr. J. Escher in der Zeitschrift für Schweizerisches Recht mitgeteilt worden.110 Diese für den langen Zeitraum äußerst geringe Zahl an Pareres hat Escher auf eine unsorgfältige Arbeitsweise des Direktoriums zurückgeführt.111 Möglicherweise lässt die Mitteilungsart der Gutachten aber andere Schlüsse zu. Vermutlich hat das Direktorium in seinen Protokollbüchern lediglich inhaltlich bemerkenswerte Pareres verzeichnet, nicht aber alle von ihnen erteilten Gutachten.112 Rückschlüsse auf die Anzahl der tatsächlich erteilten Pareres dürften sich auf Basis der im Protokollbuch verzeichneten Gutachten sehr wahrscheinlich nicht führen lassen. c) Andere Quellen Neben den ungedruckten und gedruckten Pareres sind für den ersten und den dritten Hauptteil weitere, sehr unterschiedliche Quellen herangezogen worden. Während im ersten Hauptteil der Fokus auf der Entstehungsgeschichte der Handlungsvorsteher und vergleichbarer Einrichtungen liegt, sind im dritten Hauptteil vor allem Reichskammergerichts- und diesen beiliegende Untergerichtsakten sowie normative Quellen ausgewertet worden. Die Gerichtsakten wurden für zwei Aspekte herangezogen. Zum einen geben sie Aufschluss, inwiefern sich die Gerichte in ihren Entscheidungen auf zuvor angeforderte oder von den Parteien beigebrachte Pareres gestützt haben.113 Zum anderen zeigen sie, welchen Stellenwert die Pareres in der Konfliktlösung einnahmen. Zwar konnte hinsichtlich der letzten Frage keine quantitative Aussage getroffen werden.

109 110 111

112 113

fend, so wohl die Persohnen, welche diesem Recht unterworffen sind, als auch die verschiedene Arten und Gattungen derer Wechsel und Wechsel=Brieffen […], Nürnberg 1729, S. 35 f., 290 f., 448 ff. und Johann Ludwig L’Estocq, Erläuterung des allgemeinen und Preußischen Wechselrechts, nach Heineccii Ordnung, Grundsätzen und Regeln […] Leipzig, Königsberg 1762, S. 167 ff.; für Augsburg: Johann Melchior Hoscher, Sammlung merkwürdiger am kaiserlichen Reichskammergerichte entschiedener Rechtsfälle mit ausführlicher Erörterung wichtiger Rechtsfragen, Erster Theil, Lemgo 1789, Sechster Rechtsfall, § 10, S. 171 f. Für Leipzig siehe die Sammlungen bei: Königk 1717 (wie Anm. 1) und Siegel 1742 (wie Anm. 95). Die anderen Fragen befassten sich unter anderem mit Handelsgesellschaften, Kaufrecht, Speditions- und Frachtvertrag, Kommissionsgeschäft und Konkursrecht. J. Escher, Handelsrechtliche Gutachten des kaufmännischen Directoriums in Zürich. Aus den Protocollen desselben mitgetheilt, in: Zeitschrift für schweizerisches Recht 24, 1883, S. 1–67, S. 2. Dies dürfte auch auf den Frankfurter Bestand zu treffen. Mehr hierzu siehe unter A III. 2. c) aa). Mehr hierzu in Teil D I 3.

Methode

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Dafür hätte es einer seriellen Auswertung aller Untergerichts- und Höchstgerichtsverfahren sowie der jeweiligen Pareres im Untersuchungszeitraum bedurft. Eine umfassende Bearbeitung untergerichtlicher Akten im Rahmen der vorliegenden Arbeit war nicht möglich, im Übrigen sind nicht mehr alle Quellen erhalten.114 Interessant wäre zwar eine Auswertung der vorinstanzlichen Akten in einem zehn- bis fünfzehnjährigen Untersuchungszeitraum im Vergleich zum Umfang der Pareres. Jedoch wäre auch hier hinsichtlich etwaiger Aussagen über die Bedeutung der Pareres Vorsicht angebracht. Zwar könnte man untersuchen, ob die Pareres je nach Inanspruchnahme der Vor­ instanzen häufiger oder seltener eingeholt wurden, indes besteht keine abschließende Sicherheit über die Anzahl der jährlich von den Börsenvorstehern erteilten Pareres. Die im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier abgedruckten Pareres stellen ohnehin nur eine Auswahl dar. Aber auch das einzige noch vorhandene Pareres-Buch der Frankfurter Deputierten garantiert, wie oben bereits dargelegt, keine Vollständigkeit. Aus diesen Gründen ist unklar, wie hoch die Dunkelziffer hinsichtlich der jährlich erteilten Pareres ist. Belastbare quantitative Aussagen können auf Basis dessen demnach nicht getroffen werden. Trotzdem wäre eine systematische Auswertung erstinstanz­ licher Prozesse und ihres möglichen Fortgangs am Reichskammergericht im Vergleich zu im gleichen Zeitraum erteilten Pareres wünschenswert und aufschlussreich.

114 Eine systematische Erfassung des Inhalts der Schöffengerichtsbücher sowie der Akten der Bürgermeisteraudienzen ist bislang nicht erfolgt. Regelmäßig umfassen die Schöffengerichtsbücher eines einzelnen Jahres bereits 10 bis 12 dicke Foliobände, sodass häufig eine vierstellige Seitenzahl schöffengerichtlicher Einträge pro Jahr vorliegt. Im Übrigen liegen für den Untersuchungszeitraum auch nur noch die Schöffengerichtsbücher, nicht die Akten vor, sodass der jeweilige Prozess sich nicht ohne Weiteres nachvollziehen lässt. Ein großer Teil der Zivilprozessakten wurde 1874 durch den Archivar Kriegk kassiert. Auf die Bedeutung der Bürgermeisteraudienzen für die Frankfurter Gerichtslandschaft hat Gabriela Schlick-Bamberger hingewiesen und diese als wertvolles Forschungsdesiderat aufgezeigt: Gabriela Schlick-Bamberger, Die Audienzen des Jüngeren Bürgermeisters in der Reichsstadt Frankfurt am Main. Ein Untergericht als Spiegel des reichsstädtischen Alltagslebens im 18. Jahrhundert, in: Anja Amend  / ​ Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München 2008. Da die Akten der Bürgermeisteraudienzen aber weiterhin unverzeichnet und unsortiert sind, konnte auch mit diesem Bestand nicht gearbeitet werden. Hier müsste vielmehr das Quellenmaterial noch erschlossen werden. Die Reichskammergerichtsprozesse lassen sich über den Inventarband von Inge Kaltwasser erschließen: Inge Kaltwasser, Inventar der Akten des Reichskammergerichts 1495–1806: Frankfurter Bestand (Inventar der Akten des Reichskammergerichts 27), Frankfurt a. M. 2000. Darüber hinaus erfolgte eine inhaltliche Auswertung der wechselrechtlichen Prozesse vor dem Reichskammergericht durch Anja Amend-Traut: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4). Somit ist die höchstrichterliche Rechtsprechung in Wechselsachen im Untersuchungszeitraum gut erforscht.

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Einleitung

3. Forschungszeitraum Der zugrunde gelegte Forschungszeitraum ist durch äußere Faktoren bedingt. Als Untersuchungsbeginn ist das offiziell geltende Gründungsjahr der Handlungsvorsteher als Vertretung der Kaufmannschaft 1713 angesetzt worden. Zwar wurden bereits in früheren Jahren Gutachten erstattet, und diese können auch ab 1694 vereinzelt im Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 verzeichnet werden. Jedoch handelt es sich hierbei um Gutachten einzelner Kaufleute und nicht um Pareres der Kaufmannschaft, vertreten durch die Deputierten. Diese Vorläufer sind allerdings zur Beurteilung der formalen Entwicklung, die die Abfassung der Pareres im Laufe der Jahrzehnte nahm, herangezogen worden.115 Die Untersuchung der Frankfurter Gutachten endet im Jahr 1740, da nach diesem Zeitraum keine Quellen mehr vorliegen. Die für den Vergleich herangezogenen Gutachten entstammen nicht nur dem Untersuchungszeitraum der Frankfurter Pareres. Sie beginnen vor allem hinsichtlich der Leipziger Gutachten einige Jahre vorher. Sofern sie Reichskammergerichtsakten beilagen, können sie aber auch aus dem Ende des 18. Jahrhunderts stammen. Größtenteils wurden die herangezogenen Gutachten jedoch zwischen Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts abgefasst. Die zur Beurteilung der Rechtsnatur der Pareres herangezogene Literatur stammt aus einem Zeitraum von ca. 1650 bis 1850, von der ersten wissenschaftlichen Bearbeitung des Wechselrechts bis zum Inkrafttreten der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung 1849. 4. Vorgehensweise a) Quellenauswahl Für die vorliegende Arbeit sind alle ungedruckten sowie gedruckten Frankfurter Pareres herangezogen worden. Aus dem Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 wurden die rechtlich interessantesten Gutachten bis 1733 bereits im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier aufgenommen. Neben den gedruckten Gutachten sind darüber hinaus weitere Pareres aus der Sammlung für diesen Zeitraum herangezogen worden. Die zwischen 1728 und 1733 sowohl gedruckt als auch ungedruckt im Bestand 1.054 vorhandenen Gutachten sind abgeglichen worden, um die Authentizität der gedruckten Pareres zu überprüfen. Der verbleibende Bestand von 1733 bis 1740 ist ausgewertet, relevante Gutachten sind aufgenommen worden. Mangels Vorarbeiten zu den Untergerichten sind schließlich die Inventarbände zum Reichskammergericht hinsichtlich der den Akten beiliegenden Pareres ausgewertet worden. Im Ergebnis lagen ausweislich der Inventarbände fast gar keine Pareres den Reichskammergerichtsakten bei. Die Höhe der Dunkelziffer ist allerdings nicht einschätzbar. Zwar ist anzunehmen, dass Pareres sich dort häuften, wo verstärkt ent115 Hierzu weitere Ausführungen unter C III.

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Methode

weder wechsel- oder handelsrechtliche Fragestellungen vorlagen.116 Insgesamt sind die Inventarbände aber leider keine zuverlässige Basis zum Auffinden der kaufmännischen Gutachten. Allein im Frankfurter Inventarband von Inge Kaltwasser sind nicht alle Gutachten verzeichnet. Einige wenige konnten hierdurch allerdings erschlossen werden.117 Mehrere andere Pareres lagen, wie man Amend-Trauts Untersuchung entnehmen konnte, Reichskammergerichtsprozessen bei. Neben den dort bereits erwähnten Pareres konnten andere Gutachten über den Inventarband erschlossen werden. Zumindest für den wechselrechtlichen Bereich, der das Gros der Gutachten einnimmt, hat sich ein inhaltlicher Vergleich mit der Rechtsprechung der Höchstgerichtsbarkeit anhand Amend-Trauts Monografie angeboten.118 Der Vergleich mit der Rechtsprechung zum Wechselrecht gibt Aufschluss, inwiefern sich das Reichskammergericht der Expertise kaufmännischer Gutachten bediente, um die nicht vorhandene Sondergerichtsbarkeit zu kompensieren. Des Weiteren ist die rechtliche Handhabung der Konfliktfälle durch die Deputierten sowohl mit dem damals in Frankfurt geltenden Recht als auch mit zeitgenössischer wissenschaftlicher Literatur abgeglichen worden. Ein Vergleich der ebenfalls herangezogenen Frankfurter Wechselordnungen von 1666/76 und 1739 unter Einbeziehung der zwischenzeitlich entstandenen Pareres lässt ferner Aussagen über die Rechtsfortbildungsfunktion der kaufmännischen Gutachten zu. b) Aufbau der Arbeit und Fragestellungen Untersuchungsgegenstand im ersten Hauptteil ist zunächst die Institution der Handlungsvorsteher unter Berücksichtigung ihrer Zusammensetzung, der persönlichen Herkunft und Ausbildung ihrer Mitglieder sowie der Entstehung des Gremiums. Hierbei wird nicht nur die Entstehungsgeschichte der Handlungs- bzw. Börsenvorsteher geschildert119, vielmehr wird die Konstituierung des Gremiums auch kontex­ tualisiert. Sowohl die Zuwanderungspolitik des Frankfurter Rates zu Beginn des 116 Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Reichskammergerichtsakten aus Appellationsprozessen dem Bundesstaat zugewiesen, in dessen Gebiet sich die letzte Vorinstanz befunden hatte. Zur Verteilung, siehe: Kaltwasser 2000 (wie Anm. 114). Demnach sind Verfahren, die in der Unterinstanz vor dem Frankfurter Schöffengericht oder Schöffenrat verhandelt worden sind, im Frankfurter Bestand aufzufinden. Damit dürften sich in Frankfurt die Wechselsachen und damit auch die Pareres gehäuft haben. Jedoch müssten auch in anderen wichtigen Wechselplätzen wie Leipzig oder Hamburg in den jeweiligen Reichskammergerichtsakten Pareres auffindbar sein. Die Inventarbände weisen hingegen nur vereinzelt Pareres nach. Die Dunkelziffer dürfte an dieser Stelle hoch sein. 117 Kaltwasser 2000 (wie Anm. 114). So lagen sowohl der Reichskammergerichtsakte Nr. 481 als auch Nr. 1018 Pareres bei, die im Inventarband nicht als solche verzeichnet worden sind. Vermutlich handelt es sich hier nicht um Einzelfälle. 118 Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4). 119 Dies ist von Trumpler bereits geleistet worden: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94).

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Einleitung

18. Jahrhunderts als auch die konfessionellen Hintergründe der beteiligten Kaufleute waren für das Gremium prägend. Die Gründungsgeschichte bietet damit interessante und neue Facetten der Frankfurter Stadtgeschichte des 18. Jahrhunderts. Insbesondere der parallel zum Frankfurter Verfassungsstreit verlaufende Bürger- und Beisassenkonflikt lässt ein neues Bild entstehen. Der Konflikt berührte hauptsächlich Nahrungsschutzinteressen, lässt aber darüber hinaus vertiefte Einblicke in die konfessionellen Auseinandersetzungen, vor allem zwischen verbürgerten Lutheranern und zugewanderten Reformierten, zu.120 Der erste Hauptteil schließt mit einem Ausblick auf vergleichbare Institutionen in anderen Städten und Ländern. Insgesamt stellt er den historischen Kontext dar, in dem die Frankfurter Pareres entstanden sind, und ermöglicht damit eine Bewertung, inwiefern die Pareres ein typisches Erscheinungsbild Ende des 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren. Erst die genaue Analyse der Frankfurter Einrichtung der Börsenvorsteher sowie ihre Einbettung in das Gesamt­gefüge handelsrechtlicher Institutionen, die alternativ zur Verfügung gestanden hätten, erlaubt eine aussagekräftige Bewertung der Pareres im Rahmen der kaufmännischen Konflikt­lösung. Aus diesem Grund wird den Börsenvorstehern und vergleichbaren Institutionen ein eigenes Hauptkapitel gewidmet. Das Hauptforschungsinteresse liegt auf den Pareres, die sowohl quantitativ als auch qualitativ im Hinblick auf die Entwicklung der in ihnen begründeten Rechtsprobleme untersucht werden. Die Gutachten sind nicht chronologisch, sondern nach Rechtsproblemen geordnet worden. Der Aufbau ist an die Arbeit von Anja AmendTraut121 angelehnt, da diese Gliederung Lesern, die wechselrechtliche Entscheidungen suchen, eine leichte Auffindbarkeit ermöglicht. Einer kursorischen Auswertung der Pareres geht eine Fallstudie voraus, die ein einziges Parere vollumfänglich beleuchtet. Neben einer intensiven Auseinandersetzung mit den in der Fallstudie angelegten wechselrechtlichen Problemen ist das Parere auch hinsichtlich seiner Funktionen analysiert worden. Die Fülle der Informationen, die allein aus der Fallstudie gezogen werden konnten, zeigt, wie wertvoll die Beschäftigung mit der noch so gut wie gar nicht erschlossenen Quellengruppe der Pareres sein kann. Die Pareres sind in ihrem zeitlichen Kontext unter Berücksichtigung des damals geltenden Statutarrechts sowie teilweise im Untersuchungszeitraum ergangener Rechtsprechung eingeordnet worden. Eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen wissenschaftlichen Bearbeitung des Wechselrechts ist nicht erfolgt, da die Gutachter, wie sich noch zeigen wird, keine studierten Juristen waren und selbst die zeitgenössische Theorie nicht zurate zogen. Grundsätzlich sind nur Gutachten wechselrechtlichen Inhalts ausgewertet worden, da sie sich für Vergleiche sowie die Funktionsanalyse am besten eignen und ohnehin 85 % der Gutachten ausmachen. Zum Abschluss sind einige Fälle skizziert worden, in denen kein wechselrechtlicher Bezug vorhanden war, 120 Mehr zu dem Konflikt bei: Sonja Breustedt, Bürger- und Beisassenrecht. Die rechtspolitische Steuerung der Immigration im frühneuzeitlichen Frankfurt am Main, in: Zeitschrift für historische Forschung 44, 2017. 121 Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4).

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Forschungsstand

die aber aufgrund anderer Problemstellungen von Interesse waren. Es sind nicht alle Gutachten dargestellt worden. Sofern sie sowohl materiellrechtlich als auch funktional keine Relevanz hatten, sind sie ausgelassen und nur in der quantitativen Auswertung berücksichtigt worden. Da die Pareres als Quellengattung bislang noch nicht intensiv erforscht worden sind, hat sich neben einer materiellrechtlichen Auswertung der in den Gutachten thematisierten Rechtsfragen auch eine Funktionsanalyse der Pareres als Quellengattung angeboten. Während auf die Normierung der Pareres im 17. und 18. Jahrhundert und ihre Bewertung durch die zeitgenössische Literatur bereits eingegangen worden ist, widmet sich Teil D den vielfältigen Funktionen, die die Gutachten erfüllt haben. Dabei stellte die materiellrechtliche Auswertung des zweiten Hauptteils die Basis der Analyse dar. Im Rahmen dieser Analyse und eines sich daran anschließenden Vergleichs sowohl mit Pareres weiterer Städte als auch mit anderen Quellen wird herausgearbeitet, welche Funktionen die Gutachten gehabt haben. Untersucht werden neben einer beratenden Funktion der rechtsfortbildende Charakter und die Funktion einer Rechtsvereinheitlichung bis hin zur außergerichtlichen Konfliktlösung. Ob die Pareres ein Stück weit die nicht vorhandene Sondergerichtsbarkeit ersetzten, kann nicht nur aus ihnen selbst heraus beantwortet werden. Vielmehr werden hierzu Reichskammergerichtsakten sowie die diesen Prozessen zugrunde liegenden untergerichtlichen Akten hinzugezogen. Die Funktion der Rechtsschöpfung und Rechtsfortbildung kann anhand der Entwicklung des Frankfurter Wechselrechts aufgezeigt werden. Ein Vergleich mit Pareres anderer Städte beantwortet Fragen zu Rechtsvereinheitlichungsbestrebungen. Darüber hinaus wird im Rahmen der Funktionsanalyse auf das Phänomen der außergerichtlichen Konfliktlösung eingegangen.

IV. Forschungsstand 1. Historischer Kontext Lediglich zur Institution der Handlungsvorsteher der Kaufmannschaft existiert ein gut einhundertseitiger Beitrag von Hans Trumpler in der 1908 unter dem Titel Geschichte der Handelskammer zu Frankfurt a. M. (1708–1908) – Beiträge zur Frankfurter Handelsgeschichte erschienenen Festschrift der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main122. Trumpler hat in seinem Beitrag hauptsächlich auf Quellen zurückgegriffen, die sich im Institut für Stadtgeschichte der Stadt Frankfurt befanden, von denen viele im Zweiten Weltkrieg verbrannten, sodass Trumplers Werk Lücken innerhalb der Archivbestände schließen kann. Vor allem für die Entstehungsgeschichte der Handlungsvorsteher und zur Entstehung der Wechselordnung von 1739 gibt er wertvolle Hinweise. Die Quellen selbst sind nicht mehr erhalten. Der historische 122 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94).

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Einleitung

Kontext, in welchen die Gründung der Börsenvorsteher fällt, ist grundsätzlich gut erforscht, jedoch war das Erkenntnisinteresse der jeweiligen Verfasser ein anderes. So schilderte Paul Hohenemser insbesondere den Verlauf des Frankfurter Verfassungsstreites, während Gerald Lyman Soliday zwar auf die Beisassen einging, hier aber nur die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse beleuchtete.123 Die rechtliche Sonderstellung der Beisassen, die im Konflikt der verbürgerten Kaufleute mit den nichtverbürgerten Händlern eine große Rolle spielte und in der Beisassenordnung von 1708 kulminierte, behandelte Soliday hingegen nicht. Ebenso ging Rainer Koch in seinen zahlreichen Aufsätzen über die Beisassen vor allem auf die tatsächlichen Verhältnisse ein.124 Die 1706 von den verbürgerten Kaufleuten eingereichte Supplik an den Frankfurter Rat, die Ausgangspunkt der Verhandlungen der Beisassenordnung von 1708 war, wurde in der Literatur bislang nur marginal thematisiert. Zum Hintergrund des Bürger- und Beisassenkonflikts im 18. Jahrhundert hat die Verfasserin selbst publiziert.125 Der ebenfalls im Rahmen der Entstehungsgeschichte berührte Kontext der konfessionellen Auseinandersetzungen im frühneuzeitlichen Frankfurt ist zwar sowohl von der zeitgenössischen Literatur als auch in neuerer Zeit durch Monografien oder Beiträge in Sammelbänden aufgearbeitet worden126, wurde aber bislang nie im Hinblick auf die kaufmännischen Geschäfte und Rechtsstreitigkeiten untersucht. Für einen Vergleich zwischen Entscheidungen in den Pareres auf der einen und Rechtsprechung in Wechselsachen auf der anderen Seite ist das 2009 erschienene und 123 Paul Hohenemser, Der Frankfurter Verfassungsstreit 1705–1732 und die kaiserlichen Kommissionen (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission 8), Frankfurt a. M. 1920; Gerald Lyman Soliday, A Community in Conflict: Frankfurt Society in the Seven­ teenth and Early Eighteenth Centuries, Hanover 1974. 124 Rainer Koch, Lebens- und Rechtsgemeinschaften in der traditionalen bürgerlichen Gesellschaft: Die freie Reichsstadt Frankfurt am Main um 1800, in: Christoph Jamme / ​O tto Pöggeler (Hrsg.), Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde: das Schicksal einer Generation der Goethezeit, Stuttgart 1983; Rainer Koch, Herrschaftsordnung und Sozialverfassung im frühneuzeitlichen Frankfurt am Main, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt (Städteforschung. Reihe A, Darstellungen, Band 31), Köln 1991; Rainer Koch, Die Verfassung der Stadt Frankfurt am Main 1750–1850, in: Brigitte Meier / ​Helga Schultz (Hrsg.), Die Wiederkehr des Stadtbürgers. Städtereformen im europäischen Vergleich 1750 bis 1850, Berlin 1994. 125 Breustedt 2017 (wie Anm. 120). 126 Abraham Mangon, Kurze doch wahrhafftige Beschreibung der Geschichte der Reformierten in Frankfurt: 1554–1712, herausgegeben und kommentiert von Irene Dingel, Leipzig 2004; Friedrich C. Ebrard, Die französisch-reformierte Gemeinde in Frankfurt am Main: ­1554–1904, Frankfurt a. M. 1906; Hermann Meinert, Die Eingliederung der Niederländischen Glaubensflüchtlinge in die Frankfurter Bürgerschaft 1554–1596. Auszüge aus den Frankfurter Ratsprotokollen, Frankfurt a. M. 1981; Anton Schindling, Wachstum und Wandel vom Konfessionellen Zeitalter bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. Frankfurt am Main 1555–1685, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission 17), 2. Auflage, Sigmaringen 1994.

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Forschungsstand

oben bereits erwähnte Werk von Anja Amend-Traut Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht herangezogen worden. Zu den Untergerichten gibt es bislang keine Forschung. Das erste Kapitel des dritten Hauptteils „Ersatz der Sondergerichtsbarkeit“ widmet sich zunächst der Frankfurter Gerichtslandschaft. Zwar gibt es zu diesem Thema einen 2008 erschienenen Sammelband, jedoch befasst sich keiner der Beiträge in dem Band mit dem Verhältnis der Frankfurter Unter- und Obergerichte zueinander. Der 1980 von Erhard Zimmer publizierte Aufsatz zur Frankfurter Zivilgerichtsbarkeit beleuchtet zwar auch die Frühe Neuzeit. Jedoch hat Zimmer teilweise mit Rückprojektionen gearbeitet, sodass das von ihm skizzierte Modell der Frankfurter Gerichtsbarkeit nicht überzeugend erschien.127 2. Quellengruppe Pareres Eine Analyse und Auswertung der Frankfurter Pareres ist bislang nicht vorgenommen worden. Darüber hinaus gibt es auch für Pareres anderer Städte noch keine umfassenden Studien. Lediglich für die Hamburger Pareres ist ein Aufsatz von Eva-Christine Frentz erschienen, der allerdings nur die prozessrechtliche Funktion im Hamburger Seeprozess untersucht. Eine umfassende Bearbeitung der Pareres als Quellengruppe fehlt bislang völlig. Erst kürzlich ist dieses Forschungsdesiderat beispielsweise auch für Nürnberg entdeckt worden. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt zur Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Anja Amend-Traut in Würzburg widmet sich der Erforschung der Nürnberger Pareres.128

127 Erhard Zimmer, Die Zivilgerichtsbarkeit in Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert. Erster Teil: Die Zeit von 1800 bis 1806, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 57, 1980. 128 Siehe zu den Hamburger Pareres: Frentz 1988 (wie Anm. 45); zum Nürnberger Projekt: https://www.jura.uni-wuerzburg.de/lehrstuehle/amend-traut/forschung/die-nuernberger-handels​ gerichtsbarkeit/ (zuletzt abgerufen am 13. November 2019).

B Die Frankfurter Handlungsvorsteher und vergleichbare Einrichtungen I. Entstehungsgeschichte der Frankfurter Handlungsvorsteher Während im Messezentrum Frankfurt im Spätmittelalter vor allem fremde Kaufleute handelten, war die einheimische Kaufmannschaft zunächst sehr klein. Dies änderte sich mit Ankunft der französischen und niederländischen Glaubensflüchtlinge in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Später ließen auch italienische Wirtschaftsmigranten sowie Schweizer Kaufleute ihre Söhne in Frankfurt eine Dependenz errichten. Der permanente Handel verfestigte sich und löste den temporären Messehandel ab.129 Von da an wuchsen der Kaufmannsstand und damit auch die Konkurrenz unter den Handelsleuten stetig. Die Kontroversen zwischen alteingesessenen Händlern und Neuankömmlingen nahmen zu und kulminierten im Konflikt zwischen den verbürgerten Händlern und den sogenannten Beisassen zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Dieser Konflikt gab, wie sich noch zeigen wird, den Anstoß zur Etablierung einer ständigen Kaufmannsvertretung aller verbürgerten Frankfurter Kaufleute. 1. Vorläufer Wie in vielen anderen deutschen Handelsstädten konnten auch die Frankfurter Handelsleute nicht nahtlos an alte Organisationsstrukturen anknüpfen. Sowohl die bereits seit dem Spätmittelalter existierende Gesellschaft der Krämerstube oder auch Erbare Krämer-Gesellschaft als auch die 1613 mit sechs Deputierten neu gegründete neue Kaufmannsgesellschaft wurden durch ein kaiserliches Kommissionsdekret 1616 aufgehoben.130 Der im Mai 1612 ausgebrochene Konflikt zwischen den Frankfurter Bürgern und dem Magistrat, in seiner späten Phase auch als Fettmilch-Aufstand in die Geschichte eingegangen, endete vorerst mit dem Frankfurter Bürgervertrag von 1612/13. Dieser trat nach dem julianischen Kalender am 24. Dezember 1612, nach dem neuen gregorianischen Kalender am 3. Januar 1613 in Kraft.131 Punkt 3 des Vertrages verpflich129 Hans Mauersberg, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit: dargestellt an den Beispielen von Basel, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover und München, Göttingen 1960, S. 184. 130 Zur mittelalterlichen Kaufmannsgilde, siehe: Benedict Jacob Römer-Büchner, Die Entwickelung der Stadtverfassung und die Bürgervereine der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1855, S. 188 ff.; zur 1613 gegründeten neuen Kaufmannsgesellschaft, siehe: Alexan­der Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Band 2, 1921, unveränderter Nachdruck, Glashütten 1970, S. 83. 131 Schindling 1994 (wie Anm. 126), S. 234.

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Die Frankfurter Handlungsvorsteher und vergleichbare Einrichtungen

tete jeden Bürger zum Eintritt in eine Zunft oder Gesellschaft.132 Diese Bestimmung dürfte Anlass zum Zusammenschluss der neuen Kaufmannsgesellschaft am 11. März 1613 gegeben haben. Alexander Dietz berichtet in seiner Frankfurter Handelsgeschichte von ungefähr 50 verbürgerten Mitgliedern, die aus ihrem Kreis sechs Deputierte zu ihrer Vertretung wählten. Beisassen seien nicht aufgenommen worden. Die Gesellschaft habe vor allem die Tageskurse festgestellt, sodass sie in erster Linie eine börsenähnliche Vertretung dargestellt habe.133 Der Bürgervertrag von 1612/13 konnte den Konflikt jedoch nicht gänzlich beenden. Die Unstimmigkeiten zwischen Bürgern und patrizischer Obrigkeit hielten an. Im Mai 1614 gingen Vinzenz Fettmilch und seine Anhänger schließlich öffentlich zu gewaltsamem Widerstand über und zwangen den Rat zur Abdankung. Die schon zu Beginn des Konfliktes eingesetzten kaiserlichen Kommissare, der Erzbischof von Mainz und der Landgraf von Hessen-Darmstadt, konnten mithilfe des Kaisers den Aufstand beenden, der bekanntlich mit der Hinrichtung Fettmilchs und seiner Mitstreiter endete. Am Tag der Hinrichtung, am 28. Februar 1616, publizierten die kaiserlichen Kommissare einen Zusatz zum Bürgervertrag von 1612/13, das sogenannte Transfix.134 Hierin wurde nicht nur die Verpflichtung, einer Gesellschaft oder Zunft beizutreten, aufgehoben. Vielmehr waren ausweislich des Zusatzvertrages alle Gesellschaften außer den schon seit dem Mittelalter bestehenden Patriziergesellschaften der Alten-Limburger und Frauensteiner sowie der Frey-Gesellschaft, eine Vertretung der Juristen und Mediziner, verboten.135 Das Verbot konnte jedoch ein konzertiertes Vorgehen der Kaufmannschaft in der Folgezeit nicht völlig verhindern. In Börsenangelegenheiten wählten die Kaufleute aus ihren Reihen Vertreter, sogenannte Deputierte, auch als Prinzipalste der Börs bezeichnet, die mit dem Rat verhandelten.136 Darüber hinaus reichten 1639 mehrfach einheimische Handelsleute gemeinsam mit ausländischen Kaufleuten Supplikationen beim Rat ein. Sie betrafen allesamt das Wechselrecht.137 Am 30. März 1652 erreichte den Rat eine Eingabe von 16 einheimischen Wechselhändlern betreffend den Erlass einer Wechselordnung, deren Familiennamen teilweise identisch mit denen späterer Börsenvorsteher waren.138 Diese Eingabe wurde am 1. September 1664 durch 31 Kaufleute wiederholt. Es folgten Verhandlungen mit dem Rat zum Erlass einer Wechselordnung. Die zur Beratung eingesetzte Kommission bestand neben zwei Ratsmitgliedern und zwei Syndici auch aus drei, später vier Vertretern der Kaufmannschaft. Der erst im August 1666 hinzugekommene David de Neufville war der Vater des namens­gleichen 132 Christoph Sigismund Müller, Vollständige Sammlung der kaiserlichen in Sachen Frankfurt contra Frankfurt ergangenen Resolutionen […], Erste Abtheilung, Frankfurt a. M. 1776, S. 21. 133 Dietz 1921 (wie Anm. 130), S. 83. 134 Schindling 1994 (wie Anm. 126), S. 235 ff. 135 Müller 1776 (wie Anm. 132), S. 52; Schindling 1994 (wie Anm. 126), S. 238. 136 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 16. 137 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 17. 138 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 10.

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Börsenvorstehers, der von 1713 bis 1718 tätig war.139 Auch von den sechs im September 1666 an der Schlussredaktion der Wechselordnung beteiligten Kaufleuten stammten zwei aus Familien späterer Börsenvorsteher, Heinrich Barthels und Peter de Neufville.140 Dass die sechs Vertreter im Ausschuss zur Wechselordnung noch keine offizielle Kaufmannsvertretung darstellten, zeigt das Werk Johann Martin Vogts Tractatus analyticus de cambiis aus dem Jahr 1670. Dieses widmete er acht namentlich genannten Frankfurter Großkaufleuten, von denen nur zwei, nämlich Jacob de Famars der Ältere sowie David Malapert, Mitglied des Ausschusses gewesen waren. Alle anderen Namen waren nicht deckungsgleich.141 Im Falle des Bestehens einer offiziellen Deputation hätte Vogt sicherlich dieser sein Werk gewidmet. Die 1666 erschienene Ordnung in Wechsel- und Kaufmannsgeschäften ließ der Rat auf Deutsch, Holländisch, Französisch, Italienisch und Spanisch drucken und schließlich auch versenden.142 Bereits wenige Jahre später befanden die Kaufleute die Wechselordnung für überarbeitungsbedürftig und reichten 1674 eine Eingabe zur Erneuerung der Wechselordnung ein. Erstmals unterschrieb ein namentlich genannter Ausschuss offiziell die Supplikation: „wir die aus den allhiesigen Handelsleut ex officio ernannte Ausschuss“.143 Die Kaufleute reichten in den darauffolgenden beiden Jahren noch weitere Änderungsvorschläge zur Wechselordnung ein. Die Ratsreferenten benannten die Unterzeichner als „aus der Kaufmannschaft ihm adjungierte Deputierte“. Unter ähnlicher Bezeichnung trat 1685 ein weiterer Ausschuss auf, „der zur Handlung in gemein und Wechsel verordnete Ausschuss“. Er hatte Ambitionen, als gesetzliche Vertretung der Kaufmannschaft zu fungieren, und forderte den Rat auf, Eingriffe in ihre Geschäfte zu unterlassen oder nur einvernehmlich mit ihnen vorzunehmen. Die Kaufleute zählten im Folgenden auf, in welchen Städten es offizielle Vertreter der Kaufmannschaft gab. Sie nannten Einrichtungen in Nürnberg, Hamburg, Amsterdam, Lyon, Leipzig, Breslau und Posen und hoben die Funktion der Einrichtungen als Streitschlichtungsstellen zwischen Handelsleuten explizit hervor.144 Offenbar genügte die partielle Vertretung der Kaufmannschaft in Börsensachen oder mittels Eingaben zum Wechselrecht den Ansprüchen der Frankfurter Handelsleute nicht mehr. Nicht nur das Interesse an einer professionellen Konfliktlösung durch eine eigens eingerichtete Streitschlichtungsstelle war gewachsen, auch häuften 139 Zur Verwandtschaftsbeziehung, siehe: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 104. 140 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 17. 141 Johann Martin Vogt, Tractatus analyticus de cambiis, tam regularibus quam irregularibus […], Frankfurt 1670. 142 Karl Heinrich Kaufhold, Der Übergang zu Fonds- und Wechselbörsen vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Hans Pohl / ​Rainer Gömmel (Hrsg.), Deutsche Börsengeschichte, Frankfurt a. M. 1992, S. 107. 143 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 17. 144 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 18.

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Die Frankfurter Handlungsvorsteher und vergleichbare Einrichtungen

Abb. 1  Haus Braunfels auf dem Liebfrauenberg von Wenzel Hollar. Quelle: Amoenissime aliquot locorum in diversis provinciis iacentium effigies, hg. von ­ braham Hogenberg, Köln 1635. A

sich gerichtliche Anfragen für kaufmännische Gutachten.145 Die 1694 erfolgte Anmietung eines Saales für die Börse im einstigen Reichskammergerichtsgebäude, dem Haus Braunfels am Liebfrauenberg, und die dadurch entstandene Einrichtung einer ständigen Börsenverwaltungsbehörde dürfte den Grundstein für die zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstandene offizielle Vertretung der Kaufmannschaft, die Börsenvorsteher, gelegt haben.146 2. Errichtung einer offiziellen Vertretung Die Börsenvorsteher etablierten sich als offizielle Vertretung während des Frankfurter Verfassungsstreits von 1705 bis 1732. In diesem spitzte sich der Konflikt zwischen den Bürgern und Beisassen zu. Bedroht durch die wirtschaftliche Konkurrenz der ausländischen Kaufleute mit Beisassenstatus, versuchten die einheimischen Händler durch eine gemeinsame Vertretung ihre Interessen stärker zu wahren.

145 Alexander Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Band  4.1, 1925, unveränderter Nachdruck, Glashütten 1970, S. 155. 146 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 19; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 155.

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a) Historischer Hintergrund: Der Frankfurter Verfassungsstreit (1705–1732) Grundlage der Stadtverfassung zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren der Bürgervertrag von 1612/13 sowie die Visitationsordnung von 1616, in welcher erstmals die dritte Bank der Handwerker normiert wurde. Allerdings führte das wenig später erteilte Zunftverbot faktisch zur politischen Machtlosigkeit, welche durch die gefestigte Stellung der Juden, die ab 1711 ausdrücklich dem kaiserlichen Schutz unterfielen, noch verstärkt wurde.147 Die Handwerker waren politisch und rechtlich nach dem Zunftverbot völlig unselbstständig geworden und vom Bürgermeister abhängig.148 Die Stadt Frankfurt war hoch verschuldet. Die Patrizier hatten Steuern und Gebühren willkürlich erhöht. Die Kontrollinstrumente, die der Bürgerschaft nach dem Fettmilchaufstand zugestanden worden waren, wurden durch die Obrigkeit ausgehöhlt.149 Nach dem Ableben Kaiser Leopolds I. im Mai 1705 empfing am 26. Oktober 1705 der Vertreter Kaiser Josephs I., der Präsident des Reichskammergerichts Graf Friedrich Ernst von Solms und Tecklenburg, den Huldigungseid der Bürger. Zu diesem Anlass erbaten die Bürgerkapitäne150 als Vertreter der Bürgerschaft beim Grafen eine Audienz. Sie verfolgten das Ziel, den unter Kaiser Matthias 1612/13 geschlossenen Bürgervertrag sowie die für die Juden geltende Rechtsordnung, die sogenannte Judenstättigkeit, nochmals bestätigen zu lassen.151 Nachdem der kaiserliche Vertreter die Weiterleitung ihres Anliegens versprochen hatte, reichten die Bürgeroffiziere ihr Gesuch nochmals schriftlich am 12. November 1705 beim Reichshofrat ein. Damit beanspruchten sie, offizielle Vertreter der Bürger zu sein, obwohl diese bislang vor dem Reichshofrat oder ähnlichen Instanzen immer vom Rat vertreten worden waren. Den Schritt, sich als offizielle bürgerliche Vertreter vor dem Reichshofrat zu präsentieren, trugen allerdings nicht alle Offiziere mit. Hatte die erste Eingabe lediglich der Fähnrich Eysen, dessen Vater Ratsmitglied war, nicht unterschrieben, so fehlten auf diesem Gesuch bereits weitere sechs Namen; darunter die beiden Handelsmänner 147 Heinz Duchhardt, Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission 17), 2. Auflage, Sigmaringen 1994, S. 264 ff. 148 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 10; Robert Brandt, Frankfurt sei doch eine „Freye=​ Reichs=Statt, dahin jedermann zu arbeithen frey stünde“. Das Innungshandwerk in Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert – zwischen Nahrungssemantik und handwerklicher Marktwirtschaft, in: Robert Brandt / ​Thomas Buchner (Hrsg.), Nahrung, Markt oder Gemeinnutz. Werner Sombart und das vorindustrielle Handwerk, Bielefeld 2004, S. 176. 149 Rainer Koch, Grundlagen bürgerlicher Herrschaft. Verfassungs- und sozialgeschichtliche Studien zur bürgerlichen Gesellschaft in Frankfurt am Main (1612–1866) (Frankfurter historische Abhandlungen 27), Wiesbaden 1983, S. 18 f.; Duchhardt 1994 (wie Anm. 147), S. 264. 150 Mit Auflösung der Zünfte 1614 wurde die Bürgerschaft durch das Bürgermilitär organisiert, das in 14 Quartiere eingeteilt worden war, dem jeweils ein Bürgerkapitän vorstand, siehe: Schindling 1994 (wie Anm. 126), S. 238. 151 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 3 ff.

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Die Frankfurter Handlungsvorsteher und vergleichbare Einrichtungen

Seger von Uchelen, der ebenfalls mit zwei Ratsmitgliedern verwandt war, und Seger von der Berghe. Beide unterzeichneten die Eingabe der Kaufleute ein Jahr später, im Dezember 1706. Bereits einen Tag nach Einreichung des Gesuchs, am 13. November 1705, gab der Rat seinerseits ein Gesuch zur Bestätigung seiner Privilegien ein, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Bürgervertrag keiner Bestätigung bedürfe und die Bürgeroffiziere nicht berechtigt seien, die Bürger offiziell zu vertreten, sondern dies vielmehr dem Rat obliege. Die Bürgeroffiziere schickten schließlich zwei Vertreter nach Wien und brachten damit einen Prozess ins Rollen, bei dem sie nur gewinnen oder verlieren konnten.152 Der Konflikt „Frankfurt contra Frankfurt“ vor dem Reichshofrat spitzte sich zu. Vor allem der Rat versuchte, Einfluss auf die bedeutendsten Mitglieder des Reichshofrates zu nehmen.153 Am 9. Mai 1706 erging schließlich unter Umgehung des Reichshofrates die kaiserliche Entscheidung. Die Bürgeroffiziere wurden mit Hinweis auf ihre Gehorsamspflicht gegenüber dem Rat sowie der Feststellung, dass diesem die Bestätigung der Privilegien obliege, nach Hause geschickt.154 Die Bürgeroffiziere, die noch keine Kenntnis von der kaiserlichen Entscheidung hatten, ließen die Sache nicht auf sich beruhen. Die Abgesandten Stein und Weisel reichten ein neues Reskript beim Kaiser persönlich sowie eine Kopie beim Präsidenten des Reichshofrates ein. In diesem beschwerten sie sich über das finanzielle Gebaren des Frankfurter Rates. Nachdem sie am 5. Juli schließlich von dem im Mai erlassenen kaiserlichen Reskript erfahren hatten, verschärften sie ihre Beschwerden. Sie forderten die Einsetzung einer Kommission mit den bereits einhundert Jahre zuvor im Fettmilchaufstand eingesetzten Mitgliedern, dem Kurfürsten von Mainz und dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt.155 Am 22. Dezember 1706 stellte der Reichshofrat in einem Gutachten fest, dass Stein und Weisel als Vertreter der Bürgerschaft legitimiert seien. In der Sache empfahl er aber Abweisung. Es stehe zu befürchten, dass die Bürgerschaft sich ins Regiment einmische und es zu Unruhen komme. Frankfurt benötige nach dem Dreißigjährigen Krieg und seit den französischen Invasionskriegen mehr Geld, sodass kein Raum für die Bestätigung von früheren Privilegien sei, die schon damals keine Geltung gehabt hätten.156 Am 5. April 1707 erging schließlich das kaiserliche Reskript, welches inhaltlich dem des Reichshofrates entsprach, aber noch einen Ton schärfer war. Zwischenzeitlich hatte im März 1707 der Rat erstmalig versucht, den Posten des Kapitäns des 8. Quartiers nicht traditionell durch Nachrücker, sondern politisch motiviert mit einem Neubürger, der ihm wohlgesinnt war, zu besetzen. Der vom Rat

152 153 154 155 156

Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 14 ff. Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 30 ff. Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 63. Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 81 f. Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 89 f.

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favorisierte Bürger wurde vom Quartier allerdings nicht als Kapitän angenommen.157 Mit Befehl vom 31. August 1707 forderte der Kaiser, den Rat zu einer Stellungnahme betreffend den Konsens der Quartiere bei der Vorstellung der Offiziere auf. In seinem Antwortschreiben verwies der Rat auf seine alleinige Kompetenz, die Quartiersämter zu besetzen, und betonte, dass es „Untertanen“ nicht zustehe, die Obrigkeit zu Handlungen zu zwingen.158 Die Bezeichnung der Bürger als Untertanen zeigt, welches Selbstbild der patrizische Rat hatte. Die Bürgerkapitäne, über die Einmischung des Rates erbost, trieben den Konflikt weiter voran, sammelten Klagen aller Quartiere und reichten sie im April 1708 als Tractatio Gravaminum in Wien ein.159 Kaiser Joseph I. ergriff zunächst für den Rat Partei, den er als einzige ordnungsgemäße Vertretung der Stadt und Bürgerschaft anerkannte. Außerdem ergriff er projüdische Maßnahmen. Er befreite die Juden von der Einquartierungspflicht und stellte sie nach dem Brand der Judengasse 1711 schließlich unter kaiserlichen Schutz.160 Nach dem Thronwechsel von 1712 kam es unter Josephs Nachfolger Karl  VI. schließlich zu einer Veränderung der politischen Verhältnisse. Er setzte die beiden Kontrollkommissionen, bestehend aus dem Kurfürsten von Mainz und dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt, ein. Die für den Rat vernichtenden Ergebnisse der Kommission führten zu zahlreichen kaiserlichen Dekreten, die die Bürgerschaft stärkten. 1726 erließ der Rat die Verbesserte Visitationsordnung. Mit der den Verfassungsstreit 1732 beendenden kaiserlichen Resolution entstanden ein bürgerlicher Neunerausschuss und ein 51er-Kolleg zur Kontrolle des Finanzwesens, bürgerliche Gegenschreiber sowie ein Wahlausschuss für Schöffen-, Rats- und Ämterwahlen.161 Der Rat war am Ende des Konfliktes in seiner politischen Macht stark beschnitten, während das bürgerliche Lager gestärkt aus dem Konflikt hervorging. b) Eingabe der Kaufleute 1706 Gerade einmal ein Jahr nach Beginn des vor dem Reichshofrat anhängigen Prozesses „Frankfurt contra Frankfurt“ erreichte den Rat eine Supplikation sämtlicher verbürgerter Kaufleute. In ihrer Eingabe vom 21. Dezember 1706 beklagten 68 Kaufleute162, dass ihr Handel rückläufig sei, während der der Beisassen, vor allem der Franzosen und Schweizer, zunehme. Sie ersuchten den Rat, das Rechtsverhältnis der Beisassen, insbesondere die Handelsangelegenheiten betreffend, neu zu regeln. Die Forderung war nicht neu. Bereits Ende des 17. Jahrhunderts hatte es zahlreiche Klagen 157 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 94 f. 158 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 111 f. 159 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 113; Andreas Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert (Frühneuzeit-Forschungen 1), Tübingen 1995, S. 65. 160 Duchhardt 1994 (wie Anm. 147), S. 266. 161 Duchhardt 1994 (wie Anm. 147), S. 267. 162 Zur Frage der Anzahl der unterzeichnenden Kaufleute, siehe: Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 207.

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verbürgerter Kaufleute über die wirtschaftliche Konkurrenz der vor allem italienischen Beisassen gegeben.163 Um das Jahr 1700 kamen auf ca. 27.500 Einwohner ungefähr 7000 Beisassen sowie 3000 Juden.164 Wirtschaftlich gut gestellte Kaufleute aus anderen europäischen Handelsstädten hatten sich Ende des 17. Jahrhunderts in Frankfurt niedergelassen, um in der Messestadt eine ständige Vertretung zu haben. Ein nicht geringer Anteil dieser Handeltreibenden strebte aus konfessionellen und wirtschaftlichen Gründen den Beisassenstatus an und verzichtete auf das Bürgerrecht.165 Vornehmlich gegen diese Personengruppe wendete sich nun die Eingabe. Die Unterzeichner der Supplikation waren allesamt verbürgerte Handelsleute, von denen 22 reformierten, alle anderen lutherischen Glaubens waren.166 Weder jüdische noch katholische Kaufleute unterzeichneten die Eingabe. Allerdings hätten beide Personengruppen zu diesem Zeitpunkt auch das Bürgerrecht nicht erlangen können. Juden stand das Bürgerrecht seit 1349 nicht mehr zu, und Katholiken nahm der Rat nur in den Beisassenstatus auf. Die reformierten Handelsleute dürften allesamt aus Familien stammen, die bereits Ende des 16. bzw. zu Beginn des 17. Jahrhunderts das Bürgerrecht erhalten hatten und deren Söhne als Bürgersöhne ohne größere Hürden ebenfalls ins Bürgerrecht aufgenommen wurden. Denn im Jahr 1628 beschloss der Rat, keine Reformierten mehr ins Bürgerrecht aufzunehmen.167 aa) Forderungen Die verbürgerten Kaufleute beanstandeten den Rückgang ihrer eigenen Handels­ geschäfte gegenüber denen der Beisassen, die finanziell durch die Zahlung des Schutz163 Johannes Augel, Italienische Einwanderung und Wirtschaftstätigkeit in rheinischen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 78), Bonn 1971, S. 192; Christiane ­Reves, „Ich erzählte ihm von den sämtlichen italienischen Familien…. Die Präsenz von Händlern vom Comer See in Frankfurt im 17. und 18. Jahrhundert, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68, 2002, S. 315 ff. Mauersberg berichtet zudem von einer Eingabe aus dem März 1706. In diesem Memorial an das Inquisitionsamt seien 104 Beisassen aus Basel, Genf, Savoyen, Frankreich, Straßburg, Metz und Oberitalien namentlich genannt, die sich der Einbürgerung entzögen und den politisch unabhängigeren Beisassenstatus bevorzugten: Mauersberg 1960 (wie Anm. 129), S. 137. Leider sind die bibliographischen Angaben Mauersbergs an dieser Stelle ungenau. Auch nach Durchsicht des gesamten Bestandes Inquisitionsamt konnte keine Eingabe vom März 1706 gefunden werden. Plausibel erscheint eine solche Supplikation im bisherigen Kontext trotz allem. 164 Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 39. 165 Mauersberg 1960 (wie Anm. 129), S. 137. 166 Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 207. 167 Zum Bürgerrecht der Juden im Spätmittelalter, siehe: Sonja Breustedt, Inklusion und Exklusion. Die Rechtsstellung der Bürger und Beisassen, Einwohner und Auswärtigen im spätmittelalterlichen Frankfurt am Main, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 133, 2016, 115. Zu Bürgeraufnahmen im 17. Jahrhundert, siehe: Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 615 ff.

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oder Schreibgeldes nur wenig, teilweise nichts zum Gemeinwohl beitrügen. Des Weiteren wandten sie ein, dass die Beisassen „bey andern noch in Diensten stehen“ sowie „bey anderen Leuten logiren, und also kein eigen Hauswesen führen“. Letzteres gebe ihnen die Möglichkeit, mit geringerem Gewinn auszukommen. Sie befürchteten den „völligen Ruin“ der verbürgerten Handelsleute, der nicht nur durch die direkte Konkurrenz der Beisassen entstehe. Vielmehr verursache ein gezielter Handel mit anderen Städten, vorbei an der Stadt Frankfurt in die Schweiz, eine Schmälerung der Zolleinnahmen der Stadt sowie der Einnahmen der Wirts- und Handwerksleute. Die Kaufleute kritisierten insbesondere das Engagement der Beisassen im Speditions- und Kommissionsgeschäft, welches zunächst nur von Bürgern betrieben worden und umgekehrt ihren Nachkommen an anderen Orten, vor allem in der Schweiz, auch nicht gestattet sei.168 Sie warfen den Beisassen, hier vor allem Franzosen und Schweizern, vor, lediglich Gewinn in Frankfurt abzuschöpfen, um anschließend die Stadt zu verlassen, während die Bürger der Stadt „in guten als bösen Tagen Stand halten“. Die Supplikanten forderten den Rat auf, den Beisassen nur Handelsgeschäfte zu erlauben, für welche sie als Beisassen bereits vermerkt seien. Des Weiteren sollten sie außerhalb der Messe weder handeln noch in Privathäusern wohnen dürfen. Kleinhandel, Kommissions- und Speditionsgeschäfte sowie eine Gesellschaftsgründung zwischen Bürgern und Beisassen sollten verboten werden. Des Weiteren verlangten die Supplikanten, dass der Rat sogar den kürzlich erst aufgenommenen Beisassen den Schutz aufkündige.169 bb) Analyse der Forderungen Der erstgenannte Vorwurf, die Beisassen trügen anders als die Bürger nur wenig oder nichts zum Gemeinwohl bei, betrifft die Frage der Besteuerung. Im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit erhob der Rat von den Beisassen ebenfalls Steu168 Eine Benachteiligung auswärtiger Kaufleute in den Städten der Schweizer Eidgenossenschaft lässt sich in der Tat feststellen. So benachteiligte das Züricher Konkursrecht auswärtige Gläubiger bis in das Jahr 1715 hinein. Bis dahin wurden sie erst nach den einheimischen Gläubigern befriedigt, sodass sie de facto nichts mehr aus der Konkursmasse erhielten. Dieses Phänomen existierte im 17. Jahrhundert auch in Basel und St. Gallen, die ihr Konkursrecht kurz vor Zürich zugunsten der Auswärtigen abgeändert hatten: Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 64. 169 Unterthäniges Memorial Unser Der allhier verburgerten Kauff=und Handels=Leuten. Lectum in Senatu Martis d. 21. Dec. 1706 & Decret., abgedruckt in: Lucius, Johann Jacob (Hrsg.), Franckfurtische Religions=Handlungen, Welche zwischen Einem Hoch=Edlen und Hochweisen Magistrat und denen Reformirten Burgern und Einwohnern daselbst Wegen des innerhalb denen Ring=Mauren dieser Stadt gesuchten Exercitii Religionis Reformatae Publici, Bey dem Höchstpreißlichen Kayserlichen Reichs=Hof=Rath gepflogen worden. Worinnen hauptsächlich die wichtige Materie des Teutschen Staats=Rechts Von der Reichs=Ständen Jure Circa Sacra erläutert, […] auch von einigen zu der Franckfurter Reformations- und Kirchen=Historie gehörigen Sachen gründliche Nachricht ertheilet wird; Nebst denen darzu gehörigen […] authen­ tischen Beylagen, Frankfurt a. M. 1735, S. 44–47.

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ern. Bereits im Beisasseneid von 1398 verpflichtete er sie, „von allen den guden, die er ynnewendig oder uszwendig der stat Frankenfurd hette oder gewonne, zu geben […] als obe er burger were“.170 Die Besteuerung der Beisassen erhielt der Rat auch im weiteren Verlauf aufrecht. Nach Ankunft der ersten Glaubensflüchtlinge ließ der Rat 1556 seine Steuerordnung, die sogenannte Bedeordnung, sogar ins Englische und Französische übersetzen. Ein Steuerdekret aus dem Jahr 1576 bestätigte die Regelung im Beisasseneid von 1398. Des Weiteren zeigt der Vordruck eines Schatzungszettels aus dem Jahr 1671, der sich im Bestand Inquisitionsamt171 des Instituts für Stadtgeschichte befindet, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Beisassen ebenfalls Steuern leisten mussten.172 Eine Trennung zwischen Schatzung, die von den Bürgern zu zahlen war, und Schreibgeld, welches nur die Beisassen leisteten, erfolgte wenig später. Ein Beschluss aus dem Jahr 1677 verpflichtete die Beisassen, jährlich 5 % ihres Vermögens zu zahlen.173 Edikte aus den Jahren 1692, 1705 und 1723 differenzierten ebenfalls zwischen Schatzung und Beitrag bzw. Schutzgeld, welches jährlich von den Beisassen zu leisten war.174 Eine Reduktion des Schreibgeldes durch die Verbesserte Visitationsordnung aus dem Jahr 1726 war nicht von langer Dauer. Mit seiner den Verfassungskonflikt, abschließenden Resolution vom 14. März 1732 erhöhte der Kaiser das Schreibgeld wieder auf 5 % des Vermögens und stellte damit den Zustand aus dem Jahr 1677 wieder her.175 Damit zahlten die Beisassen von Anfang an entweder Schatzung oder Schutzbzw. Schreibgeld. Selbst nach der Reduktion durch die Verbesserte Visitationsordnung mussten die Beisassen im Vergleich zu den Bürgern das Doppelte zahlen.176 Zum Zeitpunkt der Eingabe 1706 dürfte die jährliche Schutzgeldzahlung sogar 5 % des Vermögens betragen haben. Der Vorwurf, sie trügen nur durch geringe Zahlungen zum Gemeinwohl bei, dürfte nicht haltbar sein. Anders hingegen ist die Beschwerde, es gebe Personen, die zum Gemeinwesen gar nichts beitrügen und teilweise noch bei anderen in Diensten stünden, zu bewerten. Offenbar beantragten vor allem die italienischen Beisassen pro Handelsgesellschaft nur für eine Person den Beisassenstatus.177 170 Beisasseneid vom 2. Oktober 1398, abgedruckt bei: Armin Wolf, Die Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt am Main 13), Frankfurt a. M. 1969, Gesetz Nr. 61; mehr zur Steuerpflicht der Beisassen, siehe: Breustedt 2016 (wie Anm. 167), S. 132. 171 Das 1593 geschaffene Inquisitionsamt verzeichnete die Beisassen und ging 1726 im Schatzungsamt auf, siehe hierzu: Anja Johann, Kontrolle mit Konsens. Sozialdisziplinierung in der Reichsstadt Frankfurt am Main im 16. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 46), Frankfurt a. M. 2001, S. 49, Fn. 195. 172 ISG Frankfurt am Main, Inquisitionsamt 21, fol. 11r. 173 Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 621, Fn. 143. 174 ISG Frankfurt am Main, Edikt vom 23. Juni 1692, Edikte V Nr. 49; Edikt vom 5. März 1705, Edikte VI Nr. 29; Edikt vom 19. August 1723, Edikte VII Nr. 62. 175 Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 625. 176 Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 627. 177 Reves 2002 (wie Anm. 163), S. 325 f.

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Alle anderen wohnten ohne besonderen Status in Frankfurt und beteiligten sich somit wirklich nicht am Gemeinwohl. Der zweite von den Kaufleuten geäußerte Kritikpunkt ist zwar grundsätzlich wirtschaftlicher Natur, hängt aber ebenfalls mit der Rechtsstellung der Frankfurter Bürger, in diesem Fall der Bürgersöhne, zusammen. So setzte die Frankfurter Reformation für die Emanzipation des Bürgersohnes nicht nur dessen Mündigkeit, sondern auch die „eygene Haushaltung“, das „eygen Hauß / Feuwer und Rauch / halten“ voraus. Die Reformation hielt damit an „unser Teutschen Nation / oberzehlte alte Recht / den Vätterlichen Gewalt besagend“ fest.178 Diese deutsche Form der emancipatio, vielfach auch emancipatio saxonica, emancipatio juris Germanici oder Abschichtung genannt, war im Mittelalter der primäre Erlöschungsgrund der väterlichen Gewalt und wurde von zahlreichen Stadtrechtsreformationen, so auch der Frankfurter, noch nach der Rezeption beibehalten. Die Abschichtung sah vor, dass die Söhne erst durch die Erlangung einer eigenständigen wirtschaftlichen Stellung aus der väterlichen Gewalt entlassen wurden.179 Für eine erfolgreiche Emanzipation mussten die bürgerlichen Frankfurter Kaufmannssöhne demnach recht früh einen eigenen Haushalt führen, der Mehrkosten verursachte. Die Emanzipation selbst war zwar nicht notwendig, jedoch von Vorteil, um vollumfänglich Handels- und Wechselgeschäfte zu führen. Minderjährige, die unter väterlicher Gewalt standen, konnten prinzipiell mit Erreichen des alten Frankfurter Mündigkeitstermins von 18 Jahren voll geschäftsfähig sein180, jedoch führten die handeltreibenden Söhne regelmäßig ihren eigenen Haushalt.181 Die fremden Kaufmannssöhne konnten hingegen zur Miete unterkommen. Inwiefern sich dies tatsächlich preiswerter gestaltete, wie die Supplikanten in ihrer Eingabe behaupten, bleibt allerdings fraglich. Alle anderen Vorwürfe zielten ausschließlich auf den wirtschaftlichen Erfolg der Beisassen ab. Mehrere Einwanderungswellen in der Frühen Neuzeit hatten die Frankfurter Bevölkerung vor wirtschaftliche Herausforderungen gestellt. Während die Ankunft niederländischer Glaubensflüchtlinge Mitte des 16. Jahrhunderts vor allem die Furcht vor Konkurrenz innerhalb der Zünfte schürte, brachte die zweite Einwanderungswelle Ende des 16. Jahrhunderts den Frankfurtern ein neues Wirtschaftssystem, dem die einheimischen Bürger nicht gewachsen waren. Stets waren die Beisassen ihnen 178 Der Statt Franckfurt am Mayn erneuerte Reformation Wie die in Anno 1578 außgangen und publicirt / Jetzt abermals von newen ersehen / an vielen underschiedtlichen Orten gegendert / verbessert und vermehrt, Frankfurt a. M. 1611, Zweiter Teil, Titel I, § 9. 179 Werner Ogris, Das Erlöschen der väterlichen Gewalt nach deutschen Rechten des Mittelalters und der Neuzeit, in: Thomas Olechowski (Hrsg.), Werner Ogris. Elemente europäischer Rechtskultur. Rechtshistorische Aufsätze aus den Jahren 1961–2003, Wien 2003, S. 548 ff. 180 Helmut Coing, Die Frankfurter Reformation von 1578 und das Gemeine Recht ihrer Zeit. Eine Studie zum Privatrecht der Rezeptionszeit, Weimar 1935, S. 7. 181 Justinian von Adlerflycht, Das Privatrecht der freien Stadt Frankfurt, Erster und zweiter Teil. Frankfurt a. M. 1824, S. 68.

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wirtschaftlich überlegen. Dieses Phänomen verstärkte sich mit der Einwanderung der italienischen Kaufleute im 17. Jahrhundert und hielt bis in die Zeit des Frankfurter Verfassungskonfliktes an.182 Die wirtschaftliche Unterlegenheit war kein Einzelphänomen der Kaufleute.183 Auch die Krämer befanden sich in einer ähnlichen Situation. Ihre Konkurrenten waren nicht die französischen, italienischen und Schweizer Beisassen, sondern die jüdischen Händler. Bereits kurz vor dem Verfassungskonflikt, seit Dezember 1700, war ein Rechtsstreit zwischen der christlichen Krämerschaft und den Juden vor dem Reichshofrat anhängig.184 Jüdische Tuchhändler hatten zuvor Geschäftsräume außerhalb der Judengasse erworben. Auf Drängen der bürgerlichen Oberoffiziere erließ der Rat ein Verbot, achtete allerdings erst auf Einhaltung desselben, als die Kaufmannschaft dem Rat mit einer Klage vor dem Reichshofrat drohte. Der bestand auf die Einhaltung der Stättigkeit, woraufhin nun die Juden vor dem Reichshofrat vorstellig wurden.185 Am 26. Mai 1704 erklärte das Gericht schließlich, dass die Juden zur Appellation berechtigt seien. Den Rat hielt es hingegen an, nicht zur Appellation berechtigte Bürger, mithin auch die Krämer, künftig von Eingaben vor dem Reichshofrat abzubringen. In der Sache selbst fiel keine Entscheidung, was faktisch zu einer Begünstigung der jüdischen Händler führte.186 Im Konflikt zwischen den jüdischen Händlern und Krämern war der Kleinhandel stets von entscheidender Bedeutung gewesen. Kurz nach Erlass der Judenstättigkeit von 1616 hatten die christlichen Handelsleute und Krämer beklagt, dass die jüdischen Händler nicht nur Großhandel betrieben, sondern auch „im kleinen ellen- und lotweise“ verkauften. In Dekreten aus den Jahren 1636 und 1649 hielt der Rat die Juden zwar an, sich an die Stättigkeit zu halten, allerdings erteilte er im weiteren Verlauf mehreren Juden die Genehmigung, „offene Läden“ zu halten. Der sich zuspitzende Konflikt mündete schließlich im oben erwähnten Prozess vor dem Reichshofrat.187 Vor diesem Hintergrund lässt sich umso besser nachvollziehen, dass die Kaufleute sich in ihrem Kleinhandel bedroht fühlten. Auf der einen Seite drangen die jüdischen Händler auf den Markt. Auf der anderen Seite weiteten die Beisassen, vor allem die Italiener, ihr Geschäft vom umherziehenden Kleinhändler, auch Höker genannt, auf den stationären Detailhandel aus. Damit stellten sie ebenfalls eine starke Konkurrenz dar. Der direkten Konkurrenz zahlreicher italienischer und Schweizer Kaufleute waren die einheimischen Handelsleute nicht gewachsen. Viele italienische Händler hatten sich Ende des 17. Jahrhunderts in Frankfurt niedergelassen, um die günstige Lage zwischen Genua und Amsterdam für ihren Spezereiwarenhandel zu nutzen. Die ursprünglich als kleine Südfrüchtehändler vom Comer See zu Beginn des 17. Jahr182 Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 628. 183 Ebenso war ein zentrales Thema der Handwerker im Verfassungskonflikt der Schutz der „bürgerlichen Nahrung“, siehe zu dieser Thematik: Brandt 2004 (wie Anm. 148), S. 175 ff. 184 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 53. 185 Koch 1991 (wie Anm. 124), S. 181; Duchhardt 1994 (wie Anm. 147), S. 264 f. 186 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 55. 187 Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 53 f.

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hunderts nach Frankfurt eingereisten Kaufleute weiteten im weiteren Verlauf ihr Geschäft sehr erfolgreich auf Spezereiwaren aus.188 Der von 1671 bis 1711 andauernde Konflikt zwischen einheimischen Spezerei- und Gewürzkrämern und den Italienern spiegelt die wirtschaftliche Unterlegenheit der Frankfurter Kaufleute gegenüber den italienischen Beisassen wider.189 Auch von der 1676 vom Heiligen Römischen Reich im Holländischen Krieg verhängten Handelssperre gegen Frankreich profitierten nicht die Frankfurter Kaufleute, sondern die neu niedergelassenen Schweizer.190 Der Theorie des deutschen Kameralisten Johann Joachim Becher zufolge sollte der einheimische Markt durch die Handelssperre gestärkt werden. Becher hatte das vom Reichstag verhängte Einfuhrverbot für nahezu alle französischen Erzeugnisse initiiert.191 Diese Taktik funktionierte grundsätzlich auch in Frankfurt. Nur wussten hier die kurz zuvor aus Genf, Basel oder St. Gallen zugewanderten Kaufleute den Markt für sich zu nutzen. Sie handelten so erfolgreich, dass schließlich viele von ihnen ihren dauerhaften Wohnsitz in die Mainmetropole verlegten.192 Erneut waren die einheimischen Händler den Zugezogenen unterlegen.193 Der von den Kaufleuten beanstandete gezielte Handel vorbei an der Mainmetropole und die damit verbundenen finanziellen Einbußen der Gastwirte und Handwerker, die dem Fuhrbetrieb zuarbeiteten, wie Hufschmiede, Wagner und Sattler, stellten Mitte des 17. Jahrhunderts ein Problem dar. Aufgrund der hohen Zölle der Rheinschifffahrt wichen viele Speditionen auf die Landstraße aus. Allerdings ging die Route von Italien und der Schweiz in den Norden, vor allem nach Belgien und Amsterdam, nicht zwingend über Frankfurt, sondern konnte auch linksrheinisch, unter Auslassung Frankfurts, verlaufen. Bereits 1652 verfasste der Frankfurter Rat ein Schreiben an die Stadt Zwolle mit der Bitte, an der Handelsroute über Frankfurt festzuhalten. Der Handel an der Mainmetropole vorbei hätte eine starke wirtschaftliche Schwächung bedeutet. Ab den 1670er-Jahren verbesserte sich die wirtschaftliche Situation für die Reichsstadt jedoch. Der Handel verlagerte sich von der Rheinschifffahrt auf die geringeren Zöllen und Stapelzwängen unterliegende Weserschifffahrt. Um zur Weser zu gelangen, nutzte man von Süden aus kommend die Landstraße über Frankfurt.194 Auch der Güterverkehr auf der Landstraße zwischen Frankfurt und Basel über die 188 Vergleiche zur Geschichte der Südfrüchtehändler: Thea Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler vom Comer See im Südwesten Deutschlands im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zu ihrem Handel und ihrer Handlungsorganisation (Rechtsgeschichtliche Studien 74), Hamburg 2017. 189 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 130; vgl. Augel 1971 (wie Anm. 163), S. 262 ff. 190 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 130 f. 191 Fritz Blaich, Die Wirtschaftspolitik des Reichstags im Heiligen Römischen Reich: ein Beitrag zur Problemgeschichte wirtschaftlichen Gestaltens (Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen 16), Stuttgart 1970, S. 69 ff. 192 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 130. 193 Mehr zur wirtschaftlichen Unterlegenheit der einheimischen Händler bei: Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 620 ff. 194 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 28 f.

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elsässische Route blühte und es wurden wechselseitig große Mengen Güter spediert.195 Somit dürfte es sich bei dem von den Unterzeichnenden angesprochenen Phänomen gezielter Auslassung Frankfurts um Einzelfälle gehandelt haben. Das von den Kaufleuten kritisierte Engagement der Beisassen im Speditions- und Kommissionsgeschäft erklärt sich mit Blick auf den Tätigkeitsschwerpunkt der Frankfurter Handelsleute. Sowohl der Warenhandel außerhalb der Messen als auch der Speditions- und Kommissionshandel wurden als Kerngeschäft, als „zur bürgerlichen Nahrung gehörende […] Handelsgeschäfte“, angesehen.196 Die Kaufleute selbst bezeichneten die „Condotta“, zu Deutsch Spedition, als die Seele der Handlung.197 Entstand das Speditionsgeschäft in der Frühen Neuzeit häufig als eine Folge des Stapel- und Niederlagezwanges198, so galt dies nicht für die Mainmetropole, welche als Messeplatz typischerweise kein Stapelplatz war.199 In der Tat hätte der fehlende 195 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 29 f. 196 Johann Heinrich Bender, Handbuch des Frankfurter Privatrechts, Frankfurt a. M. 1848, § 166, S. 681. 197 Alexander Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Band 3, 1921, unveränderter Nachdruck, Glashütten 1970, S. 358. 198 Hermann Kellenbenz, Spedition, in: Adalbert Erler / ​Ekkehard Kaufmann unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, IV.  Band: Protonotarius Apostolicus  – Strafprozeßordnung, Berlin 1990, Sp. 1740. 199 Friedrich-Wilhelm Henning, Niederlage (Stapel), in: Adalbert Erler / ​Ekkehard Kaufmann unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, III. Band: List – Protonotar, Berlin 1984, Sp. 991. Trumpler hat das Bestehen eines Stapelrechts für Frankfurt angenommen, welches zur Entstehung eines großen Warenumschlagsplatzes geführt und damit das Speditionsgeschäft begünstigt habe: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 67 f. Allerdings besaß Frankfurt am Main nie ein Stapelrecht: Johann Philipp Orth, Ausfürliche Abhandlung von den berümten zwoen Reichsmessen so in der Reichsstadt Frankfurt am Main järlich gehalten werden […], Frankfurt a. M. 1765, § CXXXIV und Otto Gönnenwein, Das Stapel- und Niederlagsrecht (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 11), Weimar 1939, S. 244. Trumpler dürfte hier der geschickten Argumentation der Börsenvorsteher zum Opfer gefallen sein. Zu Beginn der 1760er-Jahre handelte Mainz mit zahlreichen am Obermain gelegenen Städten unter Ausschluss Frankfurts. Der wirtschaftliche Nachteil weckte das Begehren der Deputierten, einen Stapelzwang für Frankfurt zu beanspruchen. So behaupteten sie in einer Eingabe, Frankfurt habe 1377 von Kaiser Karl IV. das Recht erhalten, alle über den Main an Frankfurt vorbeifahrenden Güter zu überschlagen: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 81 f. Tatsächlich hatte Kaiser Karl IV. 1377 die Frankfurter ermächtigt, einen erhöhten Zoll auf Wein und andere Kaufmannswaren zu nehmen, die in Frankfurt an Land bzw. auf das Schiff gehen. Dieses Geld sollte dem Brückenbau zugutekommen: Privilegia Et Pacta Des H. Römischen Reichs=Stadt Franckfurt am Mayn Sammt der Guldenen Bulla Caroli IV. […] Wie solche Von Römischen Kaysern und Koenigen von Zeiten zu Zeiten allergnädigst ertheilet, […] Hiebevor In Anno 1614 zum Theil gedruckt, nunmehro aber insgesamt mit denen Originalien collationirt und übersehen, Und Nach Ihro glorwürdigst=regierender Kays. Maj. Caroli VI. […] Verordnung mit denjenigen Privilegiis und Pactis, so von Anno 1614

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Niederlage- und Stapelzwang dazu führen können, dass die Güter an der Stadt vorbei gehandelt wurden. Allerdings wussten die Frankfurter Spediteure hier Abhilfe zu schaffen. Häufig waren Spediteure gleichzeitig als Faktor oder Kommissionär tätig, die die Waren an den Kunden verkauften und diesem Kredit gewährten. Die Frankfurter Spediteure verpflichteten regelmäßig ihre Geschäftspartner vertraglich, ihnen das Kommissionsgeschäft zu übertragen, und banden sie damit an Frankfurt. Im Gegenzug gewährten sie ihnen Vorschüsse.200 So entstand das Speditionsgeschäft in Frankfurt regelmäßig im Zusammenhang mit dem Kommissionsgeschäft und den Bankgeschäften. Viele Firmenbezeichnungen wiesen auch alle drei Geschäftszweige auf. Lauteten die Speditionsfirmen des 16. Jahrhunderts noch ausschließlich auf italienische Namen, so konnten die Frankfurter Familien Mitte des 17. Jahrhunderts den Geschäftszweig maßgeblich an sich ziehen. Unter den ersten großen Frankfurter Spediteuren finden sich unter anderem die Familien de Famars und von Ucheln, später dann auch Bein, de Hase, Heyden, Huybrecht, Jordis, de Neufville, Thielen und Würtz.201 So verwundert es auch nicht, dass mehrere Unterzeichner der Eingabe von 1706, unter anderem Remigius Bein, Benjamin Metzler, David und Jakob de Neufville, Johann Nicolaus Olenschlager und Seger von Uchelen, Speditionsfirmen innehatten. Hier zeichnet sich ganz klar ab, dass die Supplikanten mit allen Mitteln versuchten, ihre Konkurrenz auszuschalten. c) Die weitere Entwicklung bis zur Eingabe der Kaufleute 1707 Die Eingabe vom 21. Dezember 1706 veranlasste den Rat zur Einsetzung einer Kommission bestehend aus den beiden Bürgermeistern und den Deputierten des Inquisitionsamtes, Johann Philipp Orth, Georg Friedrich Faust von Aschaffenburg und Johann Jacob Umpffenbach.202 Die Ratsdeputation sollte mit der Kaufmannschaft über ihr Anliegen verhandeln. Zu diesem Zweck bestellten die Kaufleute am 29. Dezember 1706 zwei Reformierte (de Neufville und Balde)  sowie sechs Lutheraner (Münch, Firnhaber, Olenschlager, Schmitt, Schedel und von Hilden) zu ihren Vertretern.203 Die Verhandlung der Ratsdeputation mit den Kaufleuten führte im Verlauf des Jahres 1707 bereits zu verschärften Auflagen für die Beisassen. Viele mussten ihre Handelsgeschäfte aufgeben. Der Rat beschloss, den Handel der Beisassen auf Handels-

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biß 1726 weiter erhalten und errichtet worden, vermehret. Mit beygedruckten Kayserlichen und Koeniglichen nach denen Originalien abgezeichneten und gestochenen Sigillis. Beneben zweyen vollständigen Registern, Frankfurt a. M. 1728, S. 193 f.; Alexander Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Band 1, 1910, unveränderter Nachdruck, Glashütten 1970, S. 317; Gönnenwein 1939 (ebd.), S. 340. Ein Stapelrecht war damit aber nicht begründet worden. Dietz 1921 (wie Anm. 197), S. 358. Dietz 1921 (wie Anm. 197), S. 357 ff. Anmerkung unter der Eingabe vom 21. Dezember 1706, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 47. Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 19.

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geschäfte zu beschränken, die das Inquisitionsamt zuvor gestattet hatte, und verbot das Kommissions- und Speditionsgeschäft.204 Allerdings, so die Kaufleute in einer weiteren Eingabe vom 22. Dezember 1707, hätten sich diese Einschränkungen bislang nicht positiv ausgewirkt. Vielmehr hätten die Beisassen ihre Geschäfte noch mehr als zuvor ausgeweitet. In ihren weiteren Ausführungen wiederholten sie die Vorwürfe und Forderungen der ein Jahr zuvor erhobenen Eingabe. Erneut beklagten die verbürgerten Handelsleute, dass die Beisassen, insbesondere die Italiener, Franzosen und Schweizer, in ihren Kommissionsgeschäften von ihrem großen Verwandten- und Freundeskreis profitierten. Regelmäßig lasse sich nur ein alleinstehender Mann in Frankfurt nieder, der anders als die Bürger weder Frau noch Kinder ernähren und damit keinen eigenen Haushalt unterhalten müsse. Dies ermögliche ihnen schlussendlich, weniger Provision für ihre Geschäfte zu nehmen und wirtschaftlich erfolgreicher zu sein.205 Den seitens der Ratsdeputation in den Verhandlungen offenbar vorgebrachten Einwand, die Beisassen seien zur Zahlung des Schreibgeldes verpflichtet, versuchten die Kaufleute sogleich wieder zu entkräften. Anscheinend hatte sich die Ratsdeputation in ihren Verhandlungen nicht ganz der Meinung der verbürgerten Handelsleute, die Beisassen trügen nichts zum Gemeinwohl bei, anschließen können: „Es ist uns zwar nicht unbekannt, daß die Beysassen in den Gedanken stehen, als ob durch sie der Stadt Bestes noch befördert, und dem Aerario nicht wenig Nutzen zugezogen würde“.206 Die Supplikanten argumentierten dagegen, das Schreibgeld sei zum einen sehr gering. Zum anderen zahlten die wenigsten fremden Kaufleute das Schutzgeld, da die meisten Händler gar nicht dem Beisassenstatus angehörten, sondern vielmehr ohne Kenntnis des Inquisitionsamtes in Frankfurt handelten.207 Der Fokus der Eingabe lag, wie schon ein Jahr zuvor, auf dem Kommissions- und Speditionsgeschäft. Die Beisassen hatten zwischenzeitlich wohl argumentiert, man könne das Kommissionsgeschäft nur schwer vom restlichen Geschäft trennen. Daraufhin scheinen im Rat Überlegungen angestellt worden zu sein, den Beisassen zwar das Speditions-, nicht aber das Kommissionsgeschäft zu verwehren. Die Kaufleute warnten nun vor der Umgehungsmöglichkeit des Verbotes. Die Beisassen seien leicht imstande, das Speditionsgeschäft unter Vorwand eines erlaubten Kommissionsgeschäftes heimlich weiter zu betreiben. Des Weiteren versuchten sie noch ein anderes Argument der Beisassen zu entkräften. Die Handelsfreiheit sei in jeder Stadt verschieden und für Frankfurt müsse man bedenken, dass die Bürger der Stadt viel mehr verbunden seien als die Beisassen und Erstere deswegen bevorzugt werden müssten. Aus diesem

204 ISG Frankfurt am Main, Inquisitionsamt 44, fol. 9r. 205 Unterthänige Vorstellung und Bitte unser der hiesigen Burger und Handels=Leut intus benahmt, Dezember 1707, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 47 f. 206 Unterthänige Vorstellung und Bitte, Dezember 1707, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 49. 207 Unterthänige Vorstellung und Bitte, Dezember 1707, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 48 f.

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Grund dürften die Beisassen nicht an der bürgerlichen Nahrung partizipieren.208 Die abschließenden Postulate entsprachen den Kernforderungen der ersten Eingabe. Die bürgerlichen Kaufleute verlangten vom Rat, das bereits erlassene Dekret zu erneuern und zu erweitern, den Beisassen keine offenen Läden zu gestatten und den Kleinhandel sowie das Kommissions- und Speditionsgeschäft zu verbieten. Die eigentliche Eingabe unterzeichneten acht Kaufleute bzw. Firmen, namentlich Henrich und Remy Barthels, Remigius Bein, Peter von Hilden und Sohn, Johann Friedrich Mangolt, Johann Christoph und Hermann Jacob Firnhaber, Peter Münch, Seger von Uchelen und Heinrich Campoing. Mit Henrich Barthels und Peter Münch waren damit zwei spätere Börsenvorsteher vertreten. Unter der Unterschrift dieser acht Vertreter folgte ein Postskriptum, das den Druck auf den Frankfurter Rat erhöhen sollte. Der von 34 Kaufleuten und Firmen unterzeichnete Zusatz betonte die Notwendigkeit, die Beisassen zu beschränken, um die bürgerlichen Geschäfte nicht zu gefährden. Die von den Unterzeichnern angeführten Argumente müssen in den Ohren des Rates schon fast wie eine Drohung geklungen haben. So führten sie an, dass bei Kriegsgefahr die Beisassen der Stadt nicht beistünden, sondern vielmehr wegzögen und verarmte Bürger zur Hilfeleistung nicht imstande seien. Nochmals verwiesen sie auf das Kommissionsgeschäft und konstatierten, dass dieses vor mehr als 40 Jahren den Beisassen nicht gestattet gewesen sei. Dies könne der Rat auch selbst nachprüfen, „wann man auf der Schreib-Stuben im Römer beliebt nachzusehen“.209 Das Postskriptum musste den Rat beeindrucken. Immerhin war der Verweis auf die Kriegsgefahr nicht von ungefähr. Schließlich war der nicht weit von Frankfurt entfernt gelegene Rhein ein Kriegsschauplatz des zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Spanischen Erbfolgekriegs. Bezeichnend ist hier auch, dass erneut eine Vielzahl der verbürgerten Kaufleute das Postskriptum unterzeichnet hatte. Dies sollte wohl die von den Vertretern unterzeichnete Eingabe bekräftigen. d) Beisassenordnung von 1708 Der Rat blieb nicht untätig. Er griff die Ängste und Sorgen der Kaufleute auf und erließ schließlich am 5. Juni 1708 die Beisassenordnung.210 In der Einleitung erklärte er, dass neben den Beisassen auch Fremde und Ausländer sich in Frankfurt niedergelassen hätten und ohne Erlaubnis „bürgerliche Nahrung“ betrieben, was sich für die bürgerlichen Kaufleute schädigend auswirke. Artikel I der Beisassenordnung legte nun fest, dass kein Fremder oder Ausländer selbst Handel treiben oder sich an einer Gesellschaft mit Bürgern oder Beisassen be208 Unterthänige Vorstellung und Bitte, Dezember 1707, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 50. 209 Unterthänige Vorstellung und Bitte, Dezember 1707, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 51. 210 Beisassenordnung vom 5. Juni 1708, abgedruckt in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), Lit.  B, S. 13 ff.; Breustedt 2017 (wie Anm. 120), S. 622.

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teiligen durfte, auch dann nicht, wenn seine Eltern Beisassen gewesen waren. Gemäß Artikel II und III musste jeder, der sich niederlassen und handeln wollte, dies beim Rat beantragen, eine Gebühr leisten und sich anschließend beim Inquisitionsamt einschreiben. Mit den Artikeln IV bis VI entsprach der Rat weitestgehend den Forderungen der Kaufleute. Die Beisassen durften keine offenen Läden halten, nicht mit der Elle ausmessen, nicht ausschneiden und nicht ins Kleine auswiegen (Art. IV). Damit schloss der Rat die Beisassen gänzlich vom Verkauf an den Endverbraucher aus und behielt diesen Markt ausschließlich den Bürgern vor. Die Beisassen mussten sich auf den Großhandel beschränken. So durften sie gemäß Artikel V „mit geschlossenen Läden ins Große handeln“, schweres und grobes Gut unter einem Zentner sowie kostbare Spezereiwaren unter zehn Pfund nicht auswiegen und Gold- und Silberfäden sowie Stoffe nur stückweise verkaufen. Hinsichtlich des Kommissions- und Speditionsgeschäftes ging der Rat nicht vollumfänglich auf die Forderungen der Handelsleute ein, entsprach ihnen aber größtenteils. So durften Beisassen, die bereits seit zehn Jahren in Frankfurt ansässig waren, das Kommissionsgeschäft betreiben, nicht aber das Speditionsgeschäft. Alle anderen durften auch Letzteres nicht (Art. VI). Entsprechend den Forderungen schloss der Rat die Beisassen weitestgehend aus dem bürgerlichen Wirtschaftserwerb aus und verbot in Artikel VII den Beisassen, mit Bürgern Handelsgesellschaften zu bilden, die bürgerliche Nahrung betrieben. Er untersagte sogar im Falle der Einheiratung, den bürgerlichen Geschäftsbetrieb weiterzuführen (Art. VIII). Vorsichtshalber stellte er in Artikel IX klar, dass die Beisassen und Fremden nicht unter bürgerlichem Namen Waren-, Kommissions- oder Speditionshandlungen betreiben dürfen. Offenbar teilte der Rat die von den Kaufleuten vorgetragenen Befürchtungen, die Beisassen würden alles Erdenkliche tun, um das Verbot zu umgehen. Speziell den italienischen Beisassen, die in den letzten Jahrzehnten die Hauptkonkurrenz der bürgerlichen Handelsleute stellten, widmete der Rat Artikel X der Beisassenordnung. Sie durften nur in dem ihnen individuell zugestandenen Rahmen handeln. Die Ordnung sollte gemäß Artikel XI jedem Beisassen auf dem Inquisitionsamt bekannt gemacht werden. Jeder Beisasse, der dieser Ordnung zuwiderhandelte, sollte aus dem Schutz entlassen werden und eine Geldstrafe zahlen. Des Weiteren drohte ihm die Konfiskation seiner Güter (Art. XII). e) Konstituierung des Gremiums Der genaue Zeitpunkt der Konstituierung des Gremiums lässt sich mangels Archivmaterials nicht mehr rekonstruieren, steht aber unzweifelhaft im zeitlichen Kontext des Konflikts zwischen Bürgern und Beisassen. Ab 1674 reichten immer wieder offiziell bestellte Ausschüsse als Vertreter der Kaufmannschaft Eingaben beim Rat ein, jedoch etablierten sich zu diesem Zeitpunkt noch keine festgewählten Personen. Auch nach der von allen wichtigen verbürgerten Kaufleuten unterzeichneten Eingabe vom 21. Dezember 1706 bestellten die Handelsleute keine festen Vertreter. Der mit der Ratsdeputation verhandelnde Ausschuss, besetzt mit zwei Reformierten und sechs Lutheranern, stimmte nur zu einem geringen Teil

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mit den Kaufleuten überein, die die Eingabe von 1707 unterzeichneten. Einzig die drei lutherischen Kaufleute Firnhaber, von Hilden und Münch waren beide Male vertreten. Offenbar standen die reformierten Kaufleute nicht vollumfänglich hinter den für die Beisassen geforderten Verschärfungen. Immerhin unterschrieb 1707 nur ein einziger Reformierter die zweite Eingabe.211 Zumindest gehörten mit dem Reformierten de Neufville sowie den Lutheranern Münch und Ohlenschläger drei zwischen 1713 und 1718 amtierende Börsenvorsteher dem Verhandlungsausschuss an. Auch die Familie Firnhaber, die sowohl im Verhandlungsausschuss vertreten war als auch die Eingabe im Dezember 1707 unterzeichnete, war zwischen 1747 und 1759 unter den Deputierten der Kaufmannschaft vertreten. Neben dem sowohl 1706 als auch 1707 agierenden Börsenvorsteher Münch unterzeichnete der Reformierte Remy Heinrich Barthels, der von 1718 bis 1727 Börsenvorsteher war, die Supplik im Dezember 1707. Der ebenfalls unter der Eingabe von 1707 stehende Bürgerkapitän Seger von Uchelen war der Vater des späteren Börsenvorstehers Henrich von Uchelen, der das Amt von 1730 bis 1746 ausfüllte. Neben Seger von Uchelen fertigten auch die Unterzeichner Remigius Bein und Peter Münch sowie die dem Verhandlungsausschuss angehörende Firma David und Jacob de Neufville bereits zwischen 1707 und 1708 erste Gutachten an. Parallel zu ihnen waren noch weitere Einzelgutachter tätig, von denen zwei Kaufleute, namentlich Johann Martin de Rhon und Isaak Behagel, ebenfalls ab 1713 als Börsenvorsteher tätig waren.212 Seit der Gründung des Verhandlungsausschusses am 29. Dezember 1706 verfestigten sich langsam personelle Strukturen, die denen der Börsenvorsteher aus den Jahren nach 1713 entsprachen. Marperger widmete schließlich sein 1710 erschienenes Werk Beschreibung der Messen und Jahr=Märckte den „Vorstehern der Kauffmannschafft“ der beiden Handelsstädte Frankfurt und Leipzig.213 In seinem Neu=eröffneten Handels-Gericht aus dem Jahr 1709 bemerkte er bereits die innerhalb der Kaufmannschaft erfolgende Streitschlichtung „per modum Compromissi“ oder „per modum Deputationis vel Commissionis“ sowie die Erstellung von „Unparteiliche[n] Pareres oder Kauffmanns=Belehrungen“.214 Ein fest etabliertes Gremium erwähnte Marperger jedoch nicht, sodass angenommen werden kann, dass die Börsenvorsteher sich zwischen den Jahren 1709 und 1710 schließlich als offizielle Vertretung der Kaufmannschaft etablierten. Zwar waren 1705 und im März 1707 bereits Pareres von sieben bzw. acht Kaufleuten erteilt worden, die mit Ausnahme einer Person identisch waren, jedoch erstatteten im November 1707 gleich elf Kaufleute ein Parere. Nur fünf von ihnen stimmten mit den Erstattern aus den zwei vorherigen Gutachten überein. Die unterschiedliche Anzahl und die wechselnden Personen deuten darauf hin, dass sich zwar einige Kaufleute aus dem Kreis der Handelsleute hervorhoben und schließlich

211 212 213 214

Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 208. Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 104. Paul Jacob Marperger, Beschreibung der Messen und Jahr=Märckte […], Leipzig 1710. Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 39.

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auch in den späteren Jahren das Amt eines Börsenvorstehers bekleideten, zu diesem Zeitpunkt aber noch keine offizielle Vertretung der Kaufmannschaft bestand.215 Die Börsenvorsteher lassen sich gesichert im Jahr 1713 anlässlich eines internen Konfliktes zwischen den lutherischen und reformierten Vertretern aktenmäßig verzeichnen.216 3. Bewertung des Konfliktes und seiner Folgen Die Etablierung der offiziellen Kaufmannsvertretung während des Konfliktes wirft Fragen auf. Warum gründete sich eine offizielle Vertretung der Kaufleute nicht schon vorher, sondern erst zu Beginn des Frankfurter Verfassungsstreits, und welche Auswirkungen hatten die Forderungen der Kaufleute und der Erlass der Beisassenordnung für die Frankfurter Wirtschaft? Die Antwort auf die erste Frage zeichnet sich im oben geschilderten Konfliktverlauf bereits ab. Nach der Untersagung aller Gesellschaften 1616 bedurfte es einer politischen Situation, die es ermöglichte, sich über das Verbot hinwegzusetzen. Der Rat wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts von allen Seiten unter Druck gesetzt. Er war durch die Auseinandersetzung mit den Bürgeroffizieren kräftemäßig gebunden. Nebenbei beschäftigte ihn noch der Rechtsstreit zwischen den jüdischen Händlern und den christlichen Krämern. Mit den nun auftretenden Forderungen der Kaufleute, die Beisassen wirtschaftlich zu beschränken, eröffnete sich ein dritter Streitpunkt. Der Rat dürfte darauf bedacht gewesen sein, den Konflikt nicht unnötig auszuweiten, und sich dementsprechend offen gegenüber den Verhandlungen mit einer kaufmännischen Vertretung gezeigt haben, die sich schließlich in einem schleichenden Prozess offiziell etablierte. Auch das bereits 1685 angeführte Argument, andere große Handelsstädte verfügten über kaufmännische Vertretungen, ließ sich nicht von der Hand weisen. Der Rat hatte keine Ressourcen mehr, sich den kaufmännischen Interessen zu widersetzen, und konnte auch darauf vertrauen, damit die Kaufmannschaft zu beruhigen. Dass die Kaufleute doch etwas gemäßigter als der Rest der aufgebrachten Bürgerschaft auftraten, lässt sich gut am Rückzug der Handelsleute Seger von Uchelens und Seger von der Berghe, beides Unterzeichner der ersten Eingabe vom 21. Dezember 1706, sehen. Sie waren schließlich nicht bereit gewesen, mit den anderen Bürgerkapitänen den Weg vor den Reichshofrat zu beschreiten. Neben der Möglichkeit, die politisch angespannte Situation zu nutzen, bestand aus Sicht der Kaufleute auch die Notwendigkeit eines konzertierten Vorgehens der bürgerlichen Handelsleute. Sie fühlten sich in ihrer wirtschaftlichen Situation durch die

215 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 21. Der Verfasser hat hier die Existenz der Börsenvorsteher bereits für das Jahr 1707 angenommen, hat aber nicht schlüssig erklären können, weshalb in dem Jahr abweichend vom offiziellen Vertretungsorgan elf, nur teilweise personengleiche Handelsleute, ein Gutachten erstellten. 216 Mehr hierzu im Kapitel B II Zusammensetzung.

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Beisassen so bedroht, dass alle verbürgerten Kaufleute, sowohl Reformierte als auch Lutheraner, gemeinsam agieren wollten, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Die sich im Erlass der Beisassenordnung 1708 niederschlagenden Forderungen der Kaufleute stellen einen typischen Zug merkantilistischer Wirtschaftspolitik dar.217 Der Rat schützte die einheimischen Kaufleute durch massive rechtliche Einschränkungen der konkurrierenden Beisassen. Er stellte sich mit seinem protektionistischen Verhalten gegen den freien Wettbewerb und begünstigte seine Bürger. Außerdem konnte er sich in diesem Fall der Zustimmung seiner Bürger, die eigentlich im Rahmen des Verfassungsstreits gegen ihn kämpften, nun gewiss sein. 4. Name des Gremiums Das Gremium trat nach seiner Gründung unter zahlreichen Namen, wie Deputierte der Kaufmannschaft, Vorsteher der Kaufmannschaft, Deputierte und Vorsteher der Kaufmannschaft, Handlungs-Deputierte, Deputierte und Vorsteher der Beurs und Kaufmannschaft, Handlungs- und Börsevorsteher, Börsevorsteher und Handlungsdeputierte sowie Börsevorsteher und Deputierte des Handelsstandes auf. Ab 1734 verzeichnete der Ratskalender der Stadt Frankfurt die Vertreter der Kaufmannschaft regelmäßig als Börsenvorsteher.218 Dieser ab diesem Zeitpunkt gebräuchliche Begriff setzte sich bis zur Gründung der Handelskammer 1808 als offizielle Bezeichnung durch. Während die Bezeichnung Börsenvorsteher vor allem das Tätigkeitsfeld außerhalb der Gutachtenerstattung umfasste, stand die Bezeichnung Handlungsvorsteher für ihre Tätigkeit als Gutachter. So war ein Parere aus dem Jahr 1776, welches einem reichskammergerichtlichen Verfahren beilag, unter den Unterschriften der Gutachter mit einem Siegel der Deputierten versehen worden, das die Inschrift Handlungs Vorstehere der Stadt Franck­ furt trug.219 Von italienischen Pareres ist bekannt, dass sie oftmals am Ende mit einem notariellen Siegel versehen wurden.220 Möglicherweise sollte das Siegel der Handlungsvorsteher hier ähnlich wie die notariellen Siegel dem Parere einen offiziellen Anschein geben.

217 Siegbert Lammel, Frankfurter Wechselrecht im Wechsel der Zeiten, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 62, 1993, S. 111. Dies bestätigt auch Brandts These, dass das Prinzip der „Nahrung“ nicht allein den Handwerkern vorbehalten war, sondern auch Kaufleute versuchten, die Konkurrenz mittels dieses Instruments zu schwächen und damit keine Protagonisten eines liberalen Marktes waren; vgl. näher zu der Thematik: Robert Brandt, Autonomie und Schutz der „Nahrung“, Bürgerrecht und Judenfeindschaft. Das Frankfurter Innungshandwerk während des Verfassungskonflikts 1705–1732, in: Mark Häberlein / ​Christof Jeggle (Hrsg.), Vorindustrielles Gewerbe. Handwerkliche Produktion und Arbeitsbeziehungen in Mittelalter und früher Neuzeit, Konstanz 2004, S. 247 f. 218 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 104. 219 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 186, Q 13. 220 Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 152.

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Abb. 2  Siegel der Frankfurter Handlungsvorsteher. Quelle: ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 186, Q 13.

II. Zusammensetzung des Gremiums Ebenso wenig wie das Gründungsdatum sind interne Organisationsstrukturen der Frankfurter Börsenvorsteher überliefert. Bis zur Auflösung der Börsenvorsteher mit Gründung der Handelskammer 1808 gab es keine verfassungsmäßige Organisation der Börsenvorsteher.221 Lediglich einige wenige Parameter stehen unzweifelhaft fest. So bestand die Vereinigung der Börsenvorsteher immer aus acht verbürgerten männlichen Kaufleuten, stets paritätisch aus Lutheranern und Reformierten besetzt.222 Neben der konfessionellen Zugehörigkeit bedingten auch familiäre Verbindungen die Wahl zum Börsenvorsteher.

221 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 22. 222 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 19. Grundsätzlich waren die acht Positionen wohl durch natürliche Personen besetzt worden, jedoch gab es diesbezüglich auch Ausnahmen. So traten anstelle der einzelnen Kaufleute hin und wieder auch die jeweiligen Firmennamen auf. Im Parere vom 4. Dezember 1720 unterzeichneten beispielsweise nicht Jacob de Neufville und Johann Gerhard Münch, die zu diesem Zeitpunkt – zumindest offiziell – das Amt des Börsenvorstehers bekleideten. Vielmehr war das Parere mit David und Jacob de Neufville sowie mit Johann Gerhard und Johann Carl Münch unterschrieben worden, ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q].

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1. Politische Kriterien der Wahl a) Amtszeit Grundsätzlich erfolgte die Wahl im Kooptationsverfahren nach Ausscheiden eines Börsenvorstehers durch Tod.223 Von diesem Grundsatz wichen allerdings sowohl die erste Deputation als auch die Börsenvorsteher nach 1800 ab. So schieden drei Mitglieder der ersten Deputation, Johann Martin de Rhon, Isaak Behagel und Abraham Mangon, bereits einige Jahre vor ihrem Tod aus. Möglicherweise war die Amtsdauer in der ersten Deputation noch nicht fest etabliert. Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts verließen die Börsenvorsteher regelmäßig vor ihrem Ableben das Gremium. Die Gründe für den Wechsel der Gepflogenheiten lassen sich leider nicht mehr nachvollziehen. Eine weitere Ausnahme trat ein, wenn der Börsenvorsteher ein hochrangiges politisches Amt übernahm. So war Remy Heinrich Barthels ab 1721 Ratsmitglied und rückte 1727 in die Schöffenbank auf. Im selben Jahr legte er sein Amt als Börsenvorsteher nieder. Seger von der Berghe hatte mehrere Ämter gleichzeitig inne. Er bekleidete neben seiner Eigenschaft als Börsenvorsteher noch das Amt eines Bürgerkapitäns, war Mitglied der Bürgerlichen Neuner, dem bürgerlichen Kontrollgremium über die städtischen Finanzen224, und wurde 1727 schließlich Ratsmitglied. Allerdings starb er 1728, sodass offenbleibt, wie lange er parallel als Börsenvorsteher und Ratsherr agiert hätte. Johann Matthias Bansa bekleidete zwar erst 1753 das Amt des Jüngeren Bürgermeisters und war ab 1760 Schöffe, er legte allerdings seine Arbeit bei den Deputierten bereits 1742, ein Jahr nachdem er Ratsherr geworden war, nieder. Johann Christian Mühl beendete seine Tätigkeit als Börsenvorsteher hingegen sofort mit seiner Ratsmitgliedschaft im Jahr 1782. Als er 1790 und 1792 das Amt des Jüngeren Bürgermeisters bekleidete und 1799 schließlich als Schöffe tätig war, lag seine Wirkungszeit als Börsenvorsteher schon lange zurück. Während die frühen Börsenvorsteher Barthels und von der Berghe noch parallel als Vertreter der Kaufmannschaft und Ratsmitglieder tätig waren, legten die späteren Deputierten ihr Amt mit Eintritt in den Rat sofort nieder. Mögliche Gründe könnten zum einen in potenziellen Interessenkonflikten gelegen haben.225 Die Exklusivität der 223 Johann Anton Moritz, Versuch einer Einleitung in die Staatsverfassung der Oberrheinischen Reichsstädte. Zweyter Theil. Reichsstadt Frankfurt. Abschnitt 4, Frankfurt a. M. 1786, S. 318; Otto Bansa, Chronik der Familie Bansa, Frankfurt a. M. 1912, S. 19. 224 Das Neunerkolleg zur Kontrolle der städtischen Finanzen wurde durch den Bürgervertrag von 1612/13 geschaffen, nach dem Fettmilchaufstand vom Rat außer Kraft gesetzt und nahm auf Grundlage der kaiserlichen Resolution von 1717 seine Tätigkeit wieder auf, vgl. Schindling 1994 (wie Anm. 126), S. 235 und Christoph Sigismund Müller, Vollständige Sammlung der kaiserlichen in Sachen Frankfurt contra Frankfurt ergangenen Resolutionen […], Dritte Abtheilung, Frankfurt a. M. 1779, S. 4. 225 Dies hat auch Otto Bansa in seinem Bericht über Johann Matthias Bansa vermutet: Bansa 1912 (wie Anm. 223), S. 19.

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beiden Ämter war zudem kein alleiniges Frankfurter Phänomen. Auch in Basel legten die Mitglieder des Kaufmännischen Direktoriums regelmäßig ihr Amt nieder, wenn sie ein hohes politisches Amt in der Stadt versahen.226 Zum anderen könnte aber auch die Arbeitsbelastung ursächlich für den Austritt aus der Handlungsdeputation gewesen sein. Immerhin gingen alle Handlungsdeputierten neben ihrer Tätigkeit als Börsenvorsteher hauptberuflich noch ihren Handelsgeschäften nach. b) Konfession Waren die Reformierten in den ersten Kommissionen im 17. Jahrhundert noch häufig schlechter vertreten als die Lutheraner, so setzten sich die Börsenvorsteher spätestens ab dem Jahr 1713 paritätisch aus Lutheranern und Reformierten zusammen. Ab diesem Zeitpunkt dominierten die Reformierten. Sie stellten bis in das Jahr 1768 den ranghöchsten Börsenvorsteher, den Senior und Kassenführer. Erst mit Remy Bansa bekleidete erstmals ein Lutheraner dieses Amt.227 Katholiken und Juden hingegen konnten mangels Bürgerrechtsstatus nicht als Vertreter der Kaufmannschaft gewählt werden.228 So gleichberechtigt die Verteilung innerhalb der Deputation war und so einheitlich die Börsenvorsteher bei Erstellung ihrer Gutachten auftraten, so unterschiedlich waren weiterhin ihre konfessionellen Ansichten. Dies führte bereits am 9. Juni 1713 zu einer Eingabe der reformierten Vertreter Johann Martin de Rhon, Isaak Behagel, David de Neufville und Abraham Mangon an die im Frankfurter Verfassungsstreit eingesetzten Kommissionen Mainz und Hessen-Darmstadt. Neben einigen Änderungswünschen das Wechselrecht betreffend begehrten die Reformierten eine Änderung der Beisassenordnung für einen einfacheren Zugang zum Bürgerrecht. In seiner Chronik behauptete Mangon schließlich, die Reformierten seien nie für eine Verschärfung der Beisassenordnung gewesen, was man bereits daran sehe, dass 1707 Jakob von Campoing als einziger Reformierter die zweite Supplik unterzeichnet habe. Auch 1706 hätten sich die Reformierten von den Lutheranern nur überreden lassen.229 Gegen die Eingabe der Reformierten vom 9. Juni protestierten die vier Lutheraner Peter Münch, Johann Nicolaus Olenschlager, Nikolaus Claus und Johann Georg Henrici zwölf Tage später. Sie lehnten die Forderung ab und verwiesen auf die Überschreitung der Kompetenzen. Sie seien als Deputierte lediglich zur Vertretung der Kaufmannschaft berufen und das Begehren liege außerhalb kaufmännischer Interes226 Niklaus Röthlin, Die Basler Handelspolitik und deren Träger in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 152), Basel, Frankfurt 1986, S. 60. 227 Bansa 1912 (wie Anm. 223), S. 25. 228 Soliday hat im Archiv der französisch-reformierten Gemeinde einen Katholiken ausfindig gemacht, der 1713 Börsenvorsteher war. Er blieb allerdings die einzige Ausnahme: Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 211 f. 229 Mangon 2004 (wie Anm. 126), S. 185 f.

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sen.230 Mangon zufolge handelte es sich um eine zunächst einstimmige Eingabe der Deputierten, von welcher die Lutheraner plötzlich zurückgetreten seien. Olenschlager hatte offenbar während einer Börsenversammlung den Reformierten vorgeworfen, wer Beisassen das Einheiraten in bürgerliche Familien ermögliche, verzichte freiwillig auf Tausende von Gulden Bürgergeld.231 Die Äußerung Olenschlagers bezog sich auf die Praxis des Frankfurter Rates zu Beginn des 17. Jahrhunderts, von Neubürgern, die in eine Bürgersfamilie einheirateten, eine um 50 Prozent reduzierte Aufnahmegebühr zu nehmen. Edikte zu diesen Regelungen lassen sich nur zu Beginn des 17. Jahrhunderts finden, spätere Edikte greifen diese Regelung nicht mehr auf.232 Schenkt man der Äußerung Olenschlagers Glauben, war diese Praxis jedoch auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch in Übung. Die Supplik der Reformierten, so Olenschlager, könne nur dahingehend ausgelegt werden, dass die Reformierten schon immer darauf bedacht gewesen seien, die Lutheraner zu unterdrücken.233 Die konfessionellen Auseinandersetzungen hielten an. So reichten die lutherischen Deputierten Johann Gerhard Münch, Heinrich von Uchelen, Johann Matthias Bansa und Remy von den Berge am 3. September 1734 eine Supplikation beim Rat ein. Sie richtete sich gegen das Gesuch der Reformierten, eine eigene Kirche innerhalb der Stadtmauern bauen zu dürfen. Die Lutheraner gaben zu bedenken, dass die Erlaubnis einer reformierten Kirche noch weitere reformierte Kaufleute und Handwerker anlocken könnte, die den bürgerlichen Handelsleuten ihre Nahrung streitig machen würden.234 Die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen überwogen insgesamt jedoch die religiösen Differenzen.235 Im Rahmen der Gutachtenerstattung schien die Religion selbst jedenfalls keine Rolle zu spielen. Keines der Pareres gibt Hinweise auf die Konfession der beteiligten Parteien. 2. Ämter innerhalb der Deputation Ohne nähere Kenntnis der inneren Organisationsstruktur der Börsenvorsteher zu haben, lassen sich drei wichtige Positionen innerhalb und außerhalb der Deputation ausmachen.

230 231 232 233 234

Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 19 f. Mangon 2004 (wie Anm. 126), S. 187. Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 47. Mangon 2004 (wie Anm. 126), S. 186 f. Gehorsamste Befolgung Noth=dringlicher Vorstellung Unser Der Evangelisch=Lutherischen Deputirten dahiesiger Beurs und Kauffmannschafft Das Reformirte Kirchen=Gesuch betreffend, ad Protocollum Deputationis vom 3. September 1734, in: Lucius 1735 (wie Anm. 169), S. 59 f. 235 Soliday 1974 (wie Anm. 123), S. 211.

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a) Senior und Kassenführer Innerhalb ihres Ausschusses wählten die Kaufleute einen Vorsitzenden, den sogenann­ ten Senior, der zeitgleich auch Kassenführer war. Er verwaltete die Beiträge der Börsenbesucher, mit denen vor allem der Mietzins von jährlich 100 Reichstalern für das Börsenlokal, aber auch das Gehalt für den Börsendiener aufgebracht wurde.236 Die Börse war nach ihrer Einrichtung 1585 zunächst im Freien abgehalten worden, zog aber 1694 in das nunmehr den Frauensteinern gehörende Haus Braunfels am Liebfrauenberg ein. Dort nutzten die Börsenvorsteher neben dem Börsenlokal auch ein weiteres kleines Zimmer zu Beratungszwecken.237 b) Protokollführer und Rechtsbeistand Das Amt des Protokollführers, welches Remy Bansa 1770 als Erster bekleidete238, entstand erst mit der regelmäßigen Abfassung der Protokolle. Sie sollten ausweislich Bansas Vorwort im Protokollbuch der Börsenvorsteher der Information ihrer selbst sowie ihrer Nachfolger dienen.239 Bis 1770 erstellten die Börsenvorsteher zwar keine Protokolle, jedoch führten sie ein Pareres-Buch, in dem sie die von ihnen erteilten Gutachten eintrugen, sodass diese ebenfalls nachgeschlagen werden konnten. Spätestens ab den 1720er-Jahren stand den Deputierten bei ihren Beratungen stets ein Jurist bei, was auch die häufig juristisch sehr stringent und exakt verfassten Pareres zeigen. So verzeichnete eines der Kassenbücher als Rechtsberater Dr. Johann Sebastian Ochs von Ochsenstein240. Neben ihm waren die späteren Ratsherren und Schöffen Dr. Nicolaus Conrad Hupka und Dr. Wilhelm Klotz zumindest vorübergehend für die Deputierten tätig.241 Nach dem Tod Ochs von Ochsensteins bekleidete Dr. Christian 236 Moritz 1786 (wie Anm. 223), S. 318; Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 25. 237 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 23 ff. 238 Bansa 1912 (wie Anm. 223), S. 19. 239 Protokollbuch der Börsenvorsteher, fol. 1r, Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Abt. 3, Nr. 4227; ebenfalls abgedruckt bei: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 24. 240 Johann Sebastian Ochs lebte von 1700 bis 1756, studierte von 1716 bis 1720 in Jena und Halle Jura, promovierte 1720 bei Justus Henning Böhmer, war seit 1721 als Advokat in Frankfurt zugelassen und beriet ab 1727 die Börsenvorsteher als Konsulent: Barbara Dölemeyer, Frankfurter Juristen im 17. und 18. Jahrhundert (IUS COMMUNE, Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 60), Frankfurt am Main 1993, S. 142 und S. 280. 241 Nicolaus Conrad Hupka lebte von 1694 bis 1771, studierte von 1712 bis 1723 in Wittenberg, Halle und Utrecht Jura, promovierte 1723, war seit 1724 als Advokat in Frankfurt zugelassen, seit 1743 Ratsmitglied und bekleidete in den Jahren 1748, 1751, 1755 und 1757 das Amt des Jüngeren Bürgermeisters. Im Jahr 1761 war er schließlich Mitglied der ersten Ratsbank und damit als Schöffe tätig: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. 92 und S. 282. Wilhelm Klotz lebte von 1679 bis 1740, studierte von 1697 bis 1707 in Marburg, Tübingen und Gießen und promovierte 1703 in Tübingen und 1708 in Gießen mit einer Arbeit zu eherechtlichen Rege-

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Sigismund Hofmann242 das mittlerweile wohl fest etablierte Amt des Konsulenten. Dr. Daniel Friedrich Rost folgte ihm von 1763 bis 1770.243 Nach seinem Ableben bekleidete der Fürstlich Nassau-Weilburgsche und Gräflich Löwenstein-Wertheimische Hofrat Dr. Georg Adolph Huth das Amt. Der letzte Rechtsberater Dr. Johann Martin Starck244 brachte sich schließlich in besonderem Maße bei der Gründung der Handelskammer ein.245 Sowohl die Heranziehung eines studierten Juristen ab den 1720er-Jahren als auch das 50 Jahre später eingeführte Protokollführen zeigen eine zunehmende Professiona­ lisierung bei der Abfassung der Gutachten. Die professionelle Unterstützung studierter Juristen war ebenfalls keine Frankfurter Besonderheit. Auch in Hamburg beriet ein juristisch gebildeter Schreiber die Börsenältesten bei der Abfassung ihrer Gutachten.246 3. Persönlicher Hintergrund247 Die Börsenvorsteher wählten nach Ableben eines Mitglieds den neuen Deputierten aus der Gesamtheit aller verbürgerten Kaufleute aus. Die Liste der Börsenvorsteher weist durchweg renommierte Frankfurter Familien auf. Ihre Mitglieder dürften stets aufgrund ihrer persönlichen sowohl privaten als auch geschäftlichen Beziehungen gewählt worden sein. So entstammten die Familien nicht nur weit verbreiteten Herkunftsorten, sie verfügten regelmäßig auch über ein großes Netz geschäftlicher Verbindungen. Häufig nahmen die Börsenvorsteher Verwandte in ihre Deputation auf. Regelmäßig verfügten die Deputierten selbst über ein ansehnliches Vermögen, welches ihnen nicht nur erlaubte, dieser ehrenamtlichen Tätigkeit nachzugehen, sondern ihnen auch einen gewissen Einfluss auf die europäischen Handelsgeschäfte sicherte.

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lungen der Frankfurter Reformation. Er war ab 1709 in Frankfurt als Advokat zugelassen, 1728 Ratsmitglied, 1732 als Konsulent der Börsenvorsteher tätig und 1734 bekleidet er das Amt eines Schöffen: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. 102, S. 270 und S. 273. Christian Sigismund Hofmann stammte ursprünglich aus Wetzlar, studierte ab 1708 in Gießen Jura, wo er 1715 auch promovierte. 1728 wurde er als Advokat in Frankfurt zugelassen, 1730 zum Stadtschreiber ernannt: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. 82 f. und S. 276. Daniel Friedrich Rost lebte von 1710 bis 1770, stammte aus Naumburg, studierte in Gießen Jura, wo er 1752 auch promovierte. 1753 wurde er als Advokat in Frankfurt zugelassen und war darüber hinaus Amtmann des Bornheimer Bergs: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. 161. Johann Martin Starck lebte von 1776 bis 1854, studierte von 1793 bis 1796 Jura in Erlangen und Göttingen, wo er 1797 auch promovierte. Er war ab 1801 Mitglied des 51er-Ausschuss, seit 1802 Armenpfleger und beriet ab 1803 die Börsenvorsteher. Er war Mitglied der Niederländischen Gemeinde und ab 1828 deren Senior: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. 201. Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 111 f. Maria B. Lange, Sprachnormen im Spannungsfeld schriftsprachlicher Theorie und Praxis. Die Protokolle der Commerzdeputation Hamburg im 17. Jahrhundert (Studia linguistica Germanica 93), Berlin 2008, S. 70 f. Für die Börsenvorsteher, die bis 1740 tätig waren, sind persönlicher Hintergrund und geschäftliche Verbindungen detailliert recherchiert, im Folgenden aber nur grob skizziert worden.

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a) Herkunftsorte Fast alle reformierten Familien stammten aus Flandern, so die Familien de Rhon, Behagel und de Neufville, die schließlich über Zwischenstationen nach Frankfurt auswanderten.248 Den direkten Weg von Flandern in die Messestadt nahmen die Barthels aus Antwerpen, die de Bary aus Tournai sowie Mangon aus Valenciennes an der Grenze zu Flandern.249 Einzig die Reformierten Ziegler und Cramer stammten ursprünglich aus Speyer bzw. Köln.250 Ebenfalls aus Köln kam die lutherische Familie von der Berghe, die ursprünglich aus Weert, an der Grenze zu Nordbrabant, stammte.251 Ansonsten waren die lutherischen Kaufleute entweder, wie die Familie Olenschlager, gebürtige Frankfurter oder entstammten dem südlichen Raum.252 So zog die Familie Münch von Friedberg nach Frankfurt, während die Familie Claus aus Straßburg nach Frankfurt kam.253 Sowohl Köln als auch Straßburg wiesen häufig familiäre Verbindungen in die Frankfurter Kaufmannschaft auf.254 Zeigen bereits die Herkunftsorte starke Verbindungen in das heutige Belgien, Nordfrankreich und die Niederlande auf, so ist das Netz geschäftlicher Beziehungen um ein Vielfaches größer gewesen. b) Geschäftsbeziehungen Die Geschäftsbeziehungen der Börsenvorsteher waren teilweise identisch mit den familiären Beziehungen, da Brüder, Väter oder Vettern häufig in den ursprünglichen Herkunftsorten Firmendependenzen betrieben oder sogar der Stammsitz der Firma noch an diesem Ort lag. Neben diesen familiären Verbindungen verfügten nahezu 248 Die Familie de Rhon hielt sich zunächst in Niederwesel auf, bevor sie sich endgültig in Frankfurt niederließ: Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 187. Die aus der Gegend von Ypern in Westflandern stammende Familie Behagel gehörte zu den Gründungsfamilien in Frankenthal und Hanau. Ein Zweig der Familie etablierte schließlich den Tuchhandel in Frankfurt: Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 300. Die Begründer des Frankfurter Familienzweiges de Neufvilles stammten vom Antwerpener Tuchhändler Robert de Neufville ab: Dietz 1921 (wie Anm. 197), S. 265 f. 249 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 119; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 116; Mangon 2004 (wie Anm. 126), S. 22 ff. 250 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 312; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 307. 251 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 126. 252 Näher zur Familie Olenschlager, siehe: Sonja Breustedt, Olenschlager, Johann Daniel von (1711–1778), in: Cordes, Albrecht / ​Haferkamp, Hans-Peter / ​Lück, Heiner / ​Werkmüller, Dieter und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 25. Lieferung: Nüchternheit, nüchtern  – Osmanisches Reich, 2. Auflage, Berlin 2017. 253 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 365; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 228. 254 Alexander Dietz, Straßburg und Frankfurt a. M. Eine Städtefreundschaft, in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 1, 1922, S. 65 ff.

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alle Deputierten über europaweit verstreute Geschäftspartner, mit denen sie im regen Austausch standen. Neben vereinzelten Geschäftsbeziehungen im näheren Umkreis nach Bad Nauheim, Weyer, Darmstadt, Siegen und Thalitter, bei denen vor allem der Salzhandel und Bergwerksbeteiligungen im Vordergrund standen, gab es auch Verbindungen zu süddeutschen Handelsstädten. So hatte die Firma de Neufville eine Vertretung in Nürnberg.255 Einer der Söhne Peter Münchs war Teilhaber eines Augsburger Bankhauses und Peter Münch selbst war Teilhaber eines Geschäfts in Markgröningen.256 Die Börsenvorsteher verfügten nur über wenige Geschäftsverbindungen in den Osten Deutschlands. Dafür standen gleich drei Börsenvorsteher, Johann Martin de Rhon der Ältere, die Firma de Neufville und Peter Münch, in regem Geschäfts­ austausch mit Breslau.257 Johann Martin de Rhon der Ältere und Remy Heinrich Barthels unterhielten Handelsbeziehungen nach Wien.258 Umgekehrt fungierte die Firma de Neufville als Frankfurter Faktor im Eisenerzhandel der österreichischen Stadt Innerberg, heute Eisenerz.259 Verbindungen in die Schweiz wurden von Remy Heinrich Barthels nach Zürich und von Peter Münch nach Genf sowie von beiden nach Basel unterhalten.260 Handelsbeziehungen in den westdeutschen Raum waren verhältnismäßig gering ausgeprägt. Olenschlager handelte in Straßburg, wohin auch familiäre Verbindungen bestanden. Ziegler war in Mettlach beteiligt, die Firma de Rhon in Worms. De ­Neufville machte Geschäfte mit Kölner Kaufleuten.261 Auch zum französischen Nachbarn bestanden Handelsbeziehungen. Insbesondere Johann Matthias Bansa verfügte über zahlreiche Geschäftsverbindungen nach Frankreich. Er hatte Warenlager in Marseille, Bordeaux, Rouen und Nantes.262 Remy Heinrich Barthels handelte mit Lyon und Paris, wo die Firma de Neufville eine Vertretung hatte.263 Besonders zahlreich waren die Verbindungen der Frankfurter Börsenvorsteher nach Italien. Neben den de Neufvilles handelte vor allem Peter Münch mit italienischen Kaufleuten. Er hatte Verbindungen nach Genua, Venedig und Livorno.264 Am 255 Manfred Pohl, Neufville, de, in: Historische Kommission bei der bayrischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Neue deutsche Biographie, 19. Band: Nauwach – Pagel, Berlin 1998, S. 119 f. 256 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367 f. 257 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 187 ff.; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 15; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367. 258 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 187 ff.; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 125. 259 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 260. 260 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 125; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367. 261 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 371 ff.; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 300; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 187 ff.; Burkard Gotthelff Struve, Corpus actorum et gravaminum religionis. Des Heiligen Röm. Reichs […], Band 1, Frankfurt a. M., Leipzig 1724, S. 162. 262 Dietz 1921 (wie Anm. 130), S. 681. 263 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 125; Pohl 1998 (wie Anm. 251), S. 119 f. 264 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367; Pohl 1998 (wie Anm. 251), S. 119 f.

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letztgenannten Ort handelte auch Remy Heinrich Barthels, und Johann Matthias Bansa unterhielt dort ein Warenlager. Über ein solches verfügte Nikolaus Claus in Venedig.265 Die meisten Geschäftsverbindungen der Börsenvorsteher gingen allerdings in den Nordseeraum. Neben Bansa, der über ein Warenlager in Hamburg verfügte, unterhielt Barthels Beziehungen in die Hansestadt und hatte außerdem Geschäftspartner in Den Haag, Maastricht und Amsterdam.266 Dorthin handelten auch Isaak Behagel und Johann Martin de Rhon der Jüngere.267 Die Firma de Neufville und Peter Münch unterhielten in Amsterdam eine Niederlassung und Nikolaus Claus ein Warenlager.268 Isaak Behagel handelte außerdem noch nach Rotterdam.269 Neben Geschäftsbeziehungen nach Leiden war einer der de Neufville’schen Firmen­ sitze in London.270 Die englische Metropole war auch von den anderen Börsenvorstehern stark frequentiert. Sowohl Isaak Behagel als auch Peter Münch, Remy Heinrich Barthels und Johann Martin de Rhon der Jüngere hatten geschäftliche Verbindungen nach London.271 Vereinzelt verfügten die Deputierten über Handelsbeziehungen in den spanischen und den transatlantischen Raum. So handelte Peter Münch nach Cádiz und Curaçao, während die Firma de Neufville eine Vertretung in New York unterhielt.272 Die weit verstreuten, aber teilweise auch mehrfach vorkommenden Geschäftsbeziehungen der Börsenvorsteher zeigen, wie gut vernetzt sie waren und wie international ihr Handel aufgestellt war. Ihre geschäftlichen Beziehungen konfrontierten sie mit den unterschiedlichen Rechtsordnungen und Handelsbräuchen. Die handels- und wechselrechtlichen Probleme, mit denen sie sich in ihren Pareres auseinandersetzen mussten, dürften ihnen häufig aus der eigenen Geschäftspraxis bekannt gewesen sein. Die oftmals sehr genaue Kenntnis fremder Wechselbräuche und -ordnungen überrascht nicht, wenn man sich die Verbindungen der Kaufleute anschaut. c) Familiäre Verbindungen Nicht selten dürften auch familiäre Verbindungen für die Wahl zum Börsenvorsteher ausschlaggebend gewesen sein. Allein bei sieben der 58 Börsenvorsteher war auch der Vater schon Deputierter gewesen. In einem weiteren Fall hatte der Großvater einige 265 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 125; Dietz 1921 (wie Anm. 130), S. 681; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 228. 266 Dietz 1921 (wie Anm. 130), S. 681; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 125. 267 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 300 ff.; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 187 ff. 268 Pohl 1998 (wie Anm. 251), S. 119 f.; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 228. 269 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 300 ff. 270 Pohl 1998 (wie Anm. 251), S. 119 f. 271 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 300 ff.; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 125; Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 187 ff. 272 Dietz 1925 (wie Anm. 145), S. 367; Pohl 1998 (wie Anm. 251), S. 119 f.

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Generationen zuvor das Amt bekleidet, in einem anderen der Schwiegervater. Ebenso bestanden Verbindungen zum Frankfurter Rat. Neben eigenen, oben schon erwähnten Ratsmitgliedschaften waren einmal der Bruder, einmal der Vater eines Börsenvorstehers Ratsmitglied gewesen. d) Ökonomischer Hintergrund Der ökonomische Hintergrund der Börsenvorsteher war sehr homogen. Größtenteils betrieben die Kaufleute Bankgeschäfte oder bankähnliche Betriebe. Das K ­ ommis­sionsund Speditionsgeschäft ging regelmäßig mit dem Wechselgeschäft einher. Die Entwicklung des Bankwesens war somit untrennbar mit dem Fernhandel verbunden. Neben internationalem Kredit- und Wechselverkehr investierten die Kaufleute oftmals in den Silber- und Kupferbergbau.273 Dies spiegelt sich auch in den Bergwerksbeteiligungen der Börsenvorsteher und der Geschäftsverbindung des Hauses de Neufville als Faktor für den Eisenerzhandel wider. Insgesamt führten allein 22 der 58 Deputierten die Berufsbezeichnung Bankier. Neben diesen handelten acht Kaufleute ebenfalls mit Wechseln. Insgesamt kamen 30 von 58 Kaufleuten aus der Bankenbranche und waren somit täglich im beruflichen Umfeld mit Wechselrecht befasst. 17 Handelsleute betrieben das Kommissions- und Speditionsgeschäft, davon handelten zwölf auch mit Wechseln und vier von ihnen firmierten als Bankiers. Viele weitere Börsenvorsteher vertrieben teure Tuche und Wollwaren in ganz Europa. Neun Firmen waren im Spezereiwarengeschäft tätig. Außerdem handelten die Deputierten vereinzelt mit Tabak, Wein, Tee, Kaffee, Schokolade und Öl, was internationale Geschäftsbeziehungen erforderlich machte. Anders als die Eingabe 1706 glauben lassen möchte, verfügten die meisten Börsenvorsteher über nicht wenig Vermögen. Nikolaus Claus war mit 30.000 Gulden Vermögen bei seinem Ableben noch der ärmste Vertreter der ersten Deputation. Es folgten die Brüder de Neufville, von denen immerhin jeder über 97.000 Gulden bei seinem Tod hinterließ. Die anderen Vermögen beliefen sich am Lebensende auf 100.000 bis 200.000 Gulden. Isaak Behagel dürfte mit 262.500 Gulden und 175.000 Reichs­talern der vermögendste Börsenvorsteher in den ersten dreißig Jahren gewesen sein.274

273 Michael North, Von der atlantischen Handelsexpansion bis zu den Agrarreformen (1450– 1815), in: Michael North (Hrsg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, 2. Auflage, München 2005, S. 162 f. 274 Dietz 1921 (wie Anm. 130), S. 743.

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III. Funktion Die Deputierten stellten ihrem Selbstverständnis nach vordergründig eine Gesamtinteressenvertretung der Kaufmannschaft dar.275 Diese Wahrnehmung scheint jedoch nicht auf allen Seiten vorgeherrscht zu haben. So ließ sich 1759 ein Ratsmitglied bei einer streitigen Münzangelegenheit vernehmen, die Börsenvorsteher seien nur zur Erteilung der Pareres bestellt, repräsentierten aber nicht den gesamten Handelsstand.276 Trotzdem holte der Rat selbst im Verlaufe des 18. Jahrhunderts immer wieder den Ratschlag der Börsenvorsteher ein, um die Meinung der Kaufmannschaft zu erkunden.277 Die Äußerung mag ein politisches Kalkül des Ratsmitgliedes gewesen sein oder aber lediglich seine persönliche Ansicht dargestellt haben. Jedenfalls lässt sie erkennen, dass das Hauptbetätigungsfeld der Deputierten auf der Erstellung der handelsrechtlichen Gutachten lag. Zunächst verwalteten die Börsenvorsteher vor allem die Börsenangelegenheiten und verfassten die Pareres. Später dehnten sie ihre Tätigkeit noch auf weitere Felder wie Münz-, Zoll- und Verkehrsfragen aus.278 1. Vorsteher der Kaufleute In ihrer Funktion als Vorsteher der Kaufleute nahmen die Deputierten die Interessen der gesamten Kaufmannschaft wahr. Sie sorgten für die Handelsfreiheit der Kaufmannschaft und für die Einhaltung der den jeweiligen Kaufleuten zugeteilten Gewerbe. Wie auch schon bei den beiden Eingaben 1706 und 1707 fürchtete der Handelsstand im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts die Konkurrenz im Speditionsgewerbe. So zeigten 1775 die Deputierten dem Frankfurter Rat an, dass zahlreiche nicht dem Kaufmannsstand angehörende Personen, wie Wirtsleute, Güterschaffner, Fuhrleute und Hausknechte, Güter beförderten. Nach eingehender Untersuchung der Situation durch das für die städtischen Finanzen zuständige Rechneiamt wiederholte der Rat die Normierungen der Beisassenordnung, die das Speditionsgeschäft betrafen.279 Auch in anderen Bereichen nahmen die Börsenvorsteher die wirtschaftlichen Interessen des Handelsstands wahr. So befragte der Rat sie beispielsweise zur Erhöhung der Fuhrtaxen, die eine Verteuerung des Transportwesens mit sich brachte.280 Darüber hinaus vertraten die Deputierten die kaufmännischen Interessen im Post- und Schiff-

275 Handelskammer Frankfurt am Main, Jahresbericht für 1868. Einrichtungen für Handel und Gewerbe. Organisation der Handelskammer, Frankfurt a. M. 1869, S. 4. 276 ISG Ugb B 83 n 36 Tom. V, S. 174, zitiert nach: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 22. 277 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 70 f. und S. 75 f. 278 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 23. 279 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 68. 280 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 71.

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Funktion

fahrtswesen.281 Sie bemühten sich, wie auch die Nürnberger und Hamburger Handelsleute, die Auswirkungen der Münzzerrüttung auf den Handel gering zu halten.282 Die meisten Eingaben betrafen jedoch Wünsche und Beschwerden hinsichtlich des Wechselrechts. Bereits vor Gründung der Deputierten hatten Vertreter des Kaufmannsstandes Supplikationen an den Rat gestellt. Die 1739 neu erlassene Wechsel­ ordnung war schließlich das Ergebnis zahlreicher das Wechselrecht betreffender Eingaben aus der Kaufmannschaft.283 2. Börsenverwaltung Die originäre Tätigkeit der Börsenvorsteher war, wie ihre Bezeichnung bereits vermuten lässt, die Verwaltung der Börse.284 Nach Anmietung des Hauses Braunfels als wetterfeste Unterkunft der Börse fanden die Versammlungen während der Messe von 10 bis 14 Uhr, außerhalb der Messezeiten jeden Werktag ab 12 Uhr statt.285 Neben den Börsenvorstehern war ein Börsendiener tätig. Er war in erster Linie Bote, öffnete und schloss den Börsensaal und trieb bei Versteigerungen Gebühren ein. Er verdiente jährlich 12 Reichstaler bzw. 18 Gulden, welche er halbjährlich vom Senior ausgezahlt bekam. Über seine Verwaltungstätigkeit hinaus musste er die von den Deputierten verfassten Pareres niederschreiben. Hierfür wurde er je nach Aufwand mit 30 bzw. 40 Kreuzern pro Gutachten zusätzlich vergütet.286 Sowohl die Botentätigkeit als auch die Abfassung der Pareres erforderten eine äußerste Verschwiegenheit des Börsendieners, zu der er auch unter Eidesleistung verpflichtet wurde.287 Die Börse finanzierte sich über Börsenverwaltungsbeiträge, die zunächst nur die Börsenbesucher leisteten. 1807 mussten schließlich alle Handelsleute und Fabrikanten unabhängig vom Börsenbesuch Beiträge zahlen.288 Die Börsenverwaltung umschloss nicht die Kursfeststellung selbst, diese war den Wechselmaklern vorbehalten.289 Jedoch ließen die Börsenvorsteher es sich nicht nehmen, zur Wahrung der Interessen des Handelsstandes mehrfach indirekt auf die 281 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 76 ff. 282 Gerda Wülker, Der Wandel der Aufgaben der Industrie- und Handelskammern in der Bundesrepublik, Hagen 1972, S. 13. 283 Siehe Teil D III 3. a). 284 H. Trumpler, Zur Geschichte der Frankfurter Börse, in: Bank-Archiv. Zeitschrift für Bankund Börsenwesen IX, 1909, S. 82. 285 Bernd Baehring, Börsen-Zeiten. Frankfurt in vier Jahrhunderten zwischen Antwerpen, Wien, New York und Berlin, Frankfurt a. M. 1985, S. 52. 286 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 25 f. Vermutlich war hier vor allem die Niederschrift in der Pareres-Sammlung gemeint. Die vereinzelt in Reichskammergerichtsakten gefundenen Pareres lassen sich dem Schriftbild zufolge häufig auch einem Deputierten selbst zuordnen, vgl. Teil D I. 3. b) bb). 287 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 26. 288 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 26 f. 289 Trumpler 1909 (wie Anm. 284), S. 83.

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Kursentwicklung Einfluss zu nehmen. 1739 ersuchten die Börsenvorsteher den Rat, die Zahl der in Umlauf befindlichen Wechsel- und Warenkurszettel zu beschränken und auf ausgewählte Makler festzulegen, um nicht zu große Abweichungen zu haben. Dieses Unterfangen blieb jedoch erfolglos.290 Ein weiteres Mal schritten sie 1748 ein, als der Buchhändler Varrentrapp Wechsel- und Geldsortenkurse in seiner Zeitung abdruckte, um durch die Publizierung der Kurse eine übermäßige Geldsteigerung zu verhindern. Die Börsenvorsteher fühlten sich und die gesamte Kaufmannschaft in ihren wirtschaftlichen Interessen bedroht und versuchten, wiederum erfolglos, die Veröffentlichung zu unterbinden.291 3. Gutachter Die wichtigste Aufgabe der Börsenvorsteher bestand jedoch in der Erstattung der kaufmännischen Gutachten, der Pareres.292 Immerhin ließ bereits oben erwähnter Ratsherr in der streitigen Münzangelegenheit 1757 sogar verlauten, die Deputierten seien „nur zur Erteilung der Parere bestellt“.293 a) Handelsrechtliche Konfliktlösung vor Etablierung der Handlungsvorsteher Bereits vor Etablierung der Handlungsvorsteher als offizielles Vertretungsorgan der Frankfurter Kaufmannschaft erstellten Frankfurter Kaufleute Pareres. In Frankfurt hatte es nie ein originäres Handelsgericht gegeben. 1465 erwarb die Messestadt von Kaiser Friedrich III. zwar ein Gerichtsstandsprivileg für ein Messegericht, richtete aber kein eigenes ein.294 Stattdessen war nun das Frankfurter Schöffengericht und nicht mehr das Heimatgericht der Messebesucher für Verfahren gegen dieselben zuständig. Es verhandelte im beschleunigten Verfahren und verschob oftmals Rechtsstreitigkeiten, die in keinem Zusammenhang zur Messe standen, auf die Zeit danach.295 Dem Schöffengericht fehlte aber die Expertise in speziellen handels- und ab dem 17. Jahrhundert immer wichtigeren wechselrechtlichen Fragestellungen. Anfänglich versuchten die Kaufleute Konflikte untereinander per modum compromissi zu lösen. In diesem Fall arbeitete ein kaufmännischer Schiedsrichter einen Schiedsvertrag, das 290 ISG Ugb B 83 n 36 Tom. III, S. 122, zitiert nach: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 38. 291 ISG Ugb B 83 n 36 Tom. VI, S. 33 ff., zitiert nach: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 39. 292 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 20. 293 ISG Ugb B 83 n 36 Tom. V, S. 174, zitiert nach: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 22. 294 Privilegia Et Pacta (wie Anm. 199), S. 317 ff.; Dietz 1921 (wie Anm. 197), S. 48. 295 Michael Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter (Frankfurter historische Abhandlungen 40), Stuttgart 1998, S. 67.

Funktion

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sogenannte compromissum, aus, dem sich die Parteien unterwarfen.296 So bestellten beispielsweise die Gesellschafter Daniel de Briers und Ruland von Cassel 1633 zur einvernehmlichen außergerichtlichen Liquidation ihrer Juwelengesellschaft die Kaufleute Sebastian de Neufville d. J., Arnold de Witte und Jakob Moors d. Ä., alle Geschäftspartner der Gesellschaft, als Compromissarien.297 Die Auflösung einer Gesellschaft mittels compromissum war kein Frankfurter Allein­stellungsmerkmal. Es ist im Alten Reich auch für Leipzig und Hamburg nachweisbar.298 Ende des 17. Jahrhunderts müssen in der Mainmetropole neben der Konfliktlösung durch Kompromissarien bereits erste kaufmännische Gutachten getreten sein. Vogt berichtet von der Einsetzung von Schiedskommissionen, die keine Kenntnis der Handelsgewohnheiten haben und durch kaufmännische Pareres aufgeklärt werden: „In der Kaeyserlichen freyen Reichs=Wahl=und Handels=Stadt Franckfurt am Mayn / haben die Herrn Handels=Leut zwar keinen absonderlichen Magistrat, der die zwischen ihnen fürfallende Strittigkeit suâ authoritate erörtern dörffte: Bemühen sich aber indessen nicht wenig untereinander selbsten / solchen in der Enge absque strepitu judicii, und ohne sonderbahre Bemühung Eines Wohl=Edlen / Hochweisen Raths / so viel möglich und an Ihnen / per modum compromissi, oder da solches nicht seyn könte / per modum deputationis, vel comissionnes, ihre abhelffliche Maaß zu geben. Und weilen die Herren Deputirten oder Commissarien vielmahls des Kauffmanns Styli nicht allerdings kuendig / so suchen sie dieselbe durch unpartheyische Parere (die bey den Kauffmanns=Händeln eben dasjenige effectuiren / was sonsten in rechtlichen Strittigkeiten / die Responsa Juris & Prudentum) de stylo & consuetudine zu certioriren / und durch solche information also die Sachen sein unter sich selbsten auffs möglichst zu befördern“.299 Die Gutachtenerstattung nahmen zunächst einzelne Kaufleute bzw. Gruppierungen von Kaufleuten vor.300 Das älteste bekannte Frankfurter Parere stammt aus dem Jahr 1621. Nach der Schilderung des Sachverhalts und einer sodann folgenden Fragestellung schlossen sich Einzelgutachten verschiedener Kaufleute an.301 So waren auch die Hamburger Gutachten anfänglich aufgebaut.302

296 Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 125. 297 Gabriele Marcussen-Gwiazda, Die Liquidation der Juwelenhandlung des Daniel de Briers in Frankfurt am Main. Ein Beitrag zu konsensualen Konfliktlösungsstrategien bei Handelsstreitigkeiten im nordwesteuropäischen Kontext, in: Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München 2008, S. 165. 298 Marcussen-Gwiazda 2008 (wie Anm. 297), S. 175. 299 Vogt 1670 (wie Anm. 141), S. 206 f. 300 Zu einzelnen Gutachten siehe hierzu C III. Ein Parere aus dem Jahr 1651, unterschrieben von zehn Frankfurter Kaufleuten, findet sich bei: Vogt 1670 (wie Anm. 141), S. 117. 301 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 60. 302 Zu Hamburg, vgl.: Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 646 f.

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b) Gutachtenerstattung durch die Börsenvorsteher und in späterer Zeit Die Erteilung der Pareres wurde im 19. Jahrhundert rückblickend als eine originäre Tätigkeit der Frankfurter Börsenvorsteher erachtet. In den Motiven zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Stadt Frankfurt am Main wurde die Erstattung als eine „harmlose Thätigkeit“ qualifiziert, die besonders für die „Bezeugung, Beurtheilung [und] Anwendung lokaler Börsen-Usancen“ in Frankfurt und Umgebung wichtig gewesen und zudem häufig auch außerhalb von Prozessen vonstattengegangen sei und damit zur Vermeidung von Prozessen bei­ getragen habe.303 Darüber hinaus dienten die Pareres zur Vorlage bei Gericht. Nicht nur Frankfurter, sondern auch auswärtigen Gerichten wurden dadurch „die in Frankfurt geltenden Handelsusancen, Börsen-Einrichtungen [sowie die] Behandlungsweise von Wechselgeschäften und Contocorrenten“ nahegebracht.304 Frankfurt als handelsrechtliches Zentrum war für weite Teile Mittel- und Süddeutschlands vor allem in wechselrechtlichen Fragestellungen maßgeblich.305 Die Funktion der Gutachtenerstattung blieb auch nach Ablösung der Börsenvorsteher durch die Handelskammer in der freistädtischen Zeit noch erhalten: „Die Handelskammer hat die Befugnis kaufmännische Gutachten oder Pareres über Handlungsgegenstände zu fertigen, es liegt derselben ob, dergleichen auf Erfordern an die Gerichte zu erstatten.“306 c) Stellenwert der Pareres für die Börsenvorsteher Die Pareres spiegelten stets die Meinung aller acht Börsenvorsteher wider. Bei Unstimmigkeiten, die offenbar nur selten auftraten, setzten nur diejenigen ihre Unterschrift unter das Gutachten, die einverstanden waren.307 Die Protokollierung der Sitzungen bzw. die Sammlung der Gutachten sollte Rückgriffe auf Entscheidungen ermöglichen und bot damit eine kontinuierliche Rechtsfindung der Handlungsvorsteher. Während die kostenpflichtige Aktenversendung eine wichtige Einnahmequelle der Professoren darstellte,308 dürften die Gebühreneinnahmen durch die Pareres für die Börsenvorsteher keine große Relevanz gehabt haben. Durchschnittlich nahmen 303 304 305 306

Handelskammer Frankfurt am Main 1869 (wie Anm. 275), S. 3. Handelskammer Frankfurt am Main 1869 (wie Anm. 275), S. 5. Kaufhold 1992 (wie Anm. 142), S. 107. Verordnung über die Organisation der Handelskammer der freien Stadt Frankfurt, in: Wenner, Johann Friedrich (Hrsg.), Gesetz- und Statutensammlung der freien Stadt Frankfurt, Erster Band, Frankfurt a. M. 1817, § 7. 307 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 61. Die untersuchten Gutachten wiesen indes keinerlei Abweichungen auf. Möglicherweise wurden aber nur übereinstimmende Gutachten in die Sammlung aufgenommen. 308 Oestmann 2008 (wie Anm. 59), Sp. 130.

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sie 2 Reichstaler und 60 Kreuzer für ein Parere ein.309 Davon mussten sie allerdings sowohl den Börsendiener als vermutlich auch ihren Rechtsbeistand bezahlen. Die Deputierten selbst verrichteten ihre Tätigkeit unentgeltlich und gingen regulär ihren Handelsgeschäften nach.310

IV. Kaufmannsvertretungen in anderen Städten Die Etablierung einer kaufmännischen Interessenvertretung kombiniert mit einer juris­diktionellen Funktion, sei es als Untergericht oder aber als außergerichtliche Schlichtungsstelle, war nicht nur ein Frankfurter Phänomen. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden in zahlreichen deutschen Reichsstädten und Fürstentümern Korporationen der Handelsleute, die auch Rechtsstreitigkeiten lösten bzw. Gutachten erstellten. Dabei lassen sich zwei verschiedene Formen unterscheiden. Während in den Reichsstädten Selbstverwaltungskörperschaften als kaufmännische Interessenvertretun­gen dominierten, waren in den Territorien regelmäßig von der Obrigkeit eingesetzte Kommerzialbehörden vertreten, die als Kommerzdeputationen311, Kommerzkollegien312, Kommerzienrat313 oder Kommerzkammern314 bezeichnet wurden.315 Kamen in den großen Handelsstädten wie Frankfurt, Leipzig oder Hamburg gleich ein paar Dutzend Kaufleute zusammen, die von sich aus eine Interessenvertretung etablieren konnten, so 309 Die Einnahmen lassen sich teilweise anhand der Kassenbücher nachvollziehen. Neben den Börsenbeiträgen verzeichnete das Kassenbuch von 1718 auch die Pareres als Einnahmequelle. Das im Jahr 1718 begonnene Kassenbuch ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt, sodass der Betrag der Literatur entnommen werden musste: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 23. Erhalten geblieben sind Kassenbücher aus den Jahren 1745–1793 (Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Abt. 3, Nr. 4782) und 1793–1829 (ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.052), die keine anderen Beträge aufweisen. Darüber hinaus geben zahlreiche Pareres Hinweise auf die gebührenpflichtige Erstattung. So erbaten die Auskunftssuchenden regelmäßig das Parere „gegen Gebühr“ oder „um die Gebühr schrifftlich beyzufügen“, so z. B.: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLVIII, S. 124 f.; P LXI, S. 152 f.; P LXIX, S. 170 ff. 310 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 22. 311 Kommerzdeputation für Böhmen in Prag 1710 und in Sachsen 1735, siehe: Friedrich Facius, Wirtschaft und Staat. Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945 (Schriften des Bundesarchivs  6), Boppard am Rhein 1959, S. 199 ff. 312 Kommerzkolleg in Wien 1674 und Kommerzienkollegium in Berlin 1684, siehe: Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 180 ff.; in München 1690, siehe: Rehm 1974 (wie Anm. 15), S. 193. 313 Commercien-Rath in Bayern 1626 und 1681 in Mannheim, siehe: Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 177 und S. 201. 314 Kommerzienkammer in Kassel 1710, siehe: Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 196. 315 Richard Zeyss, Die Entstehung der Handelskammern und die Industrie am Niederrhein während der französischen Herrschaft. Ein Beitrag zur Wirtschaftspolitik Napoleons I., Leipzig 1907, S. 1 f.; Wülker 1972 (wie Anm. 282), S. 9.

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fehlte es in einem weitläufigen Territorium an vergleichbaren Kommunikationsmöglichkeiten, um selbstständig einen Zusammenschluss zu organisieren. Es verwundert somit nicht, dass die Kaufleute in den Städten selbst die Initiative ergriffen, während im ländlichen Bereich die Obrigkeit tätig wurde. 1. Entstehungsgründe a) Wirtschaftliche Entwicklung Die mittelalterlichen Interessenvertretungen der Zünfte und Gilden bestanden in der Frühen Neuzeit entweder nicht mehr oder konnten in ihrer ursprünglichen Form als Schutzvereinigung den neuen Anforderungen des Wirtschaftslebens nicht mehr gerecht werden. Der Handel war internationaler und vielschichtiger geworden und machte damit neue Formen der Interessenvertretung erforderlich.316 Konkurrenzprobleme in Form von Nahrungsschutzfragen bestanden, wie an Frankfurt gut zu sehen ist, zwar immer noch. Aber eine Erweiterung des Warenangebots, der vermehrte Geldumlauf, eine stärkere Verkehrsentwicklung, neue Finanzmarktinstrumente wie der Wechsel und die Entstehung der Börse brachten Konfliktpunkte mit sich, die den mittelalterlichen Interessenvertretungen der Kaufmannsgilden noch fremd gewesen waren. Darüber hinaus war im Zeitalter des Merkantilismus auch das Erstarken der lokalen Wirtschaft wichtig, um eine aktive Handelsbilanz zu erzielen. So beschränkte sich der ökonomische Raum auf das territorial abgrenzbare Gebiet und die öko­ nomische Freiheit hatte ihre Grenzen an denen des jeweiligen Landes.317 Gerade die Kommerzialbehörden dienten vordergründig der lokalen Wirtschaftsförderung. Ihre rechtsprechende bzw. konfliktlösende Funktion sollte vor allem die wirtschaftliche Macht konsolidieren. Neben dieser Streitschlichtungsfunktion sahen sich die Kaufleute aufgrund der Veränderungen am Finanzmarkt auch neuen Rechtspro­ blemen ausgesetzt. Vor allem durch das Aufkommen des Wechsels kollidierten nun häufig verschiedene Rechtsgewohnheiten. Eine lokale Rechtsfindung, wie sie in den mittelalterlichen ­Gilden häufig durch Altermänner wahrgenommen worden war318, konnte den Konflikt nicht mehr lösen. Neue Formen der Interessenvertretung wurden erforderlich. Hinsichtlich ihrer Verfassung und ihrer judikativen Funktion lassen sich die Handlungsvorstände und Kommerzialbehörden klar voneinander abgrenzen. Ihre Entstehungsgründe sind jedoch häufig gleichgelagert. Stellten die frühen Kaufmannsvertretungen des 16. Jahrhunderts in ihrem Zusammenschluss meist noch ein Schutzbündnis dar, so waren sowohl die aus der Kaufmannschaft hervorgegangenen Inter316 Jeggle 2016 (wie Anm. 16), S. 57. 317 Mehr zu den landesherrschaftlichen Grenzen ökonomischen Handels im 18. Jahrhundert bei: Garner 2015 (wie Anm. 6), S. 134 f. 318 Fritz Heréus, Die deutschen Handelskammern als Glied der Verwaltung. Ihre Geschichte, ihr Wesen und ihre Zukunft, Mannheim, Berlin, Leipzig 1922, S. 3.

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essenvertretungen als auch die obrigkeitlich eingesetzten Behörden stets ein Produkt merkantilistischer Wirtschaftspolitik. b) Theoretische Begründung und praktische Einflüsse Das Konzept der obrigkeitlich eingerichteten Kommerzialbehörden geht auf den deutschen Merkantilisten Johann Joachim Becher zurück.319 Inspiriert vom Amster­ damer Kommerzkollegium entwarf er ein Konzept, das seinen praktischen Niederschlag im 1666 gegründeten Wiener Commercien-Collegium fand. Allerdings wurde der von Becher verfolgte Ansatz, mittels Selbstverwaltung die Expertise der Kaufleute für die Wirtschaft zu nutzen, so nicht umgesetzt. Das Wiener Commercien-Collegium konnte keine langfristigen Erfolge verzeichnen und bestand lediglich zehn Jahre. Jedoch hatten Bechers Schriften, vor allem der Politische Discurs, Vorbildwirkung für spätere Gründungen von Kommerzialbehörden in anderen deutschen Territorien.320 Neben dem Einfluss der Becher’schen Schriften dürften auch die Entwicklungen im romanischen Rechtskreis die deutschen Gründungen beeinflusst haben.321 Bereits lange vor Einführung der juridiction consulaire in Frankreich 1563322 bestanden seit dem Hochmittelalter auf der Iberischen Halbinsel zahlreiche obrigkeitlich eingerichtete Handelskammern, sogenannte Consulados. Ab 1283 schuf die spanische Krone die Consulados del Mar, Sondergerichte zur Schlichtung von Seestreitigkeiten.323 Nach der Vereinigung Kastiliens mit Aragon entstanden auch im Landesinneren Consulados, die stets als kaufmännische Schiedsgerichte fungierten.324 1592 gründete schließlich Philipp II. eine portugiesische Kaufmannsvertretung in Lissabon, das Tribunal e Mesa 319 Näheres zur Person Bechers bei: Blaich 1970 (wie Anm. 191), S. 60 ff. 320 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 20 ff.; Martin Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft. Recht und Geschichte der Selbstverwaltung in den Industrie- und Handelskammern, Handwerksinnungen, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern und Landwirtschaftskammern (Jus Publicum 199), Tübingen 2010, S. 249 f.; Harm-Hinrich Brandt, Die Industrie- und Handelskammer Kassel und ihre Vorläufer, 1763–1963 (zur Entwicklung der gewerblichen Selbstverwaltung), Kassel 1963, S. 12. 321 So auch Hermann Kellenbenz in seinem Geleitwort, in: Klara van Eyll, Die Geschichte einer Handelskammer dargestellt am Beispiel der Handelskammer Essen 1840 bis 1910 (Schriften zur rheinisch-westfälischen Wirtschaftsgeschichte 10), Köln 1964, S. 6. Eine lineare Entwicklung handelsgerichtlicher Elemente aus den spätmittelalterlichen „Vorgängern“ des Gastgerichtes, Exekutionsprozesses und etwaiger Schiedsgerichte lässt sich nicht konstatieren und ist in dieser Darstellung auch nicht angestrebt (vgl. zu diesen Elementen als „Vorläufer“ für die handelsrechtliche Konfliktlösung: Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 126). 322 Scherner 2012 (wie Anm. 12), Sp. 720. 323 1283 Valencia, 1343 Palma de Mallorca, 1347 Barcelona, 1363 Tortosa, 1385 Gerona, 1388 Perpignan, siehe näher hierzu: Robert Sidney Smith The Spanish Guild Merchant. A History of the Consulado, 1250–1700, New York 1972, S. 10 ff. 324 1494 Burgos, 1511 Bilbao und 1539 Sevilla; später 1632 Madrid und 1633 Malaga, siehe hierzu: van Eyll 1964 (wie Anm. 321), S. 24 f.

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do Consulado. Es fungierte ebenfalls als Gericht und Vorstand der Kaufmannschaft nach dem Vorbild der Kaufmannsgilden in Burgos und Sevilla. Wie auch schon die spanischen Consulados diente die Lissaboner Einrichtung ebenfalls der Sicherung der Seeschifffahrt vor Überfällen.325 Ob auch deutsche Kaufleute unter die portugiesische Schiedsgerichtsbarkeit des Tribunal e Mesa do Consulado fielen, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wird aber als eher unwahrscheinlich angesehen.326 Auch in den italienischen Stadtstaaten existierten mit Kaufleuten besetzte Handelsgerichte. So sah die 1593 erlassene Constitutio von Ancona die Einrichtung eines Handelsgerichts, besetzt mit drei Kaufleuten, einem aus Florenz, einem aus Übersee und einem aus einer frei wählbaren Nation, vor.327 Bereits 1550 normierten die Bologneser Statuten ein Handelsgericht, das neben einem gelehrten Richter mit Consules besetzt wurde. Sie stammten aus der Kaufmannschaft und der Gruppe der Bankiers sowie den Mitgliedern der Handwerksinnungen.328 1613 entstand schließlich in Nizza ein See- und Handelsgericht, dessen zwei Consoli di Mare die ausschließlich summarische Gerichtsbarkeit in Handelssachen wahrnahmen. Auch hier konnten die ausländischen Kaufleute an der Rechtsprechung partizipieren, indem erstinstanzlich ein Konsul aus ihrer eigenen Nation beteiligt wurde. Das 1676 auf Vorschlag der Kaufmannschaft gegründete Turiner Handelsgericht bestand aus einem Berufsrichter und fünf Kaufleuten. Es war neben der handels- und vor allem wechselrechtlichen Rechtsprechung auch für eine qualitative Überwachung der Manufakturen zuständig.329 Damit wies das Gericht ein typisch merkantilistisches Element auf und nahm eine Verwaltungsaufgabe wahr, für die im 18. Jahrhundert im Alten Reich schließlich die Kommerzialbehörden zuständig waren. c) Interessenvertretung als Schutzbündnis Nicht nur die Consulados auf der Iberischen Halbinsel, sondern auch die 1599 in Marseille errichtete Chambre de Commerce waren zum Schutz der Seeschiffahrt vor Piraten gegründet worden.330 Die gleichen Beweggründe lagen der Einrichtung des Amsterdamer Kommerzkollegiums von 1663 und der Gründung der Hamburger Kom-

325 Jorun Poettering, Handel, Nation und Religion. Kaufleute zwischen Hamburg und Portugal im 17. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 273. 326 Poettering 2013 (wie Anm. 325), S. 272. 327 Siegbert Lammel, Die Gesetzgebung des Handelsrechts, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Zweiter Band: Neuere Zeit (1500–1800), Das Zeitalter des Gemeinen Rechts, Zweiter Teilband: Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976, S. 973. 328 Rubr. 6 der Statuten, abgedruckt in: Giaccarello, Anselmo (Hrsg.), Statuti della Honoranda Universita de Mercanti della Inclita Città di Bologna, Riformati 1550. Per Anselmo Giaccarello, Bologna 1550, 1557. Siehe auch näher dazu: Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 974. 329 Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 974 f. 330 Zu Marseille: Will 2012 (wie Anm. 320), S. 257.

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merzdeputation 1665 zugrunde.331 Während die Amsterdamer Einrichtung nur zwei Jahre bestand, da eine kaufmännische Interessenvertretung seitens der Obrigkeit nicht gewünscht war, entwickelte sich in Hamburg 1665 in ähnlich gelagerten Auseinandersetzungen die Commerzdeputation als kaufmännische Interessenvertretung, die sich schließlich 1674 fest etablierte.332 Im Jahr 1669 war ein Streit über die Existenz­ berechtigung der Commerzdeputation ausgebrochen. Der Rat und die 1623 gegründete Admiralität, eine Behörde aus Ratsmitgliedern, Vertretern der Kaufmannschaft und Schiffern, die selbst auch schon zum Schutz vor Überfällen gegründet worden war333, wollten keine kaufmännische Gesamtvertretung. Sie verlangten, dass weiterhin einzelne Kaufleute die Interessen der gesamten Kaufmannschaft, des sogenannten Ehrbaren Kaufmanns, vertraten. Der Streit dauerte an. Der Rat beharrte darauf, Wünsche der Kaufleute durch die Admiralität oder schriftliche Eingaben, nicht aber durch eine Kommerzdeputation zu erhalten.334 Im weiteren Verlauf führte die Deputation die gleichen Argumente an, die auch die Frankfurter Kaufleute bereits ab der Mitte des 17. Jahrhunderts immer wieder angebracht hatten. Sie verwiesen auf Kaufmannskollegien in anderen Städten und unterstrichen die Notwendigkeit ihrer Einrichtung, da der Handel sonst leide.335 Insgesamt 81 Kaufleute unterzeichneten die Eingabe.336 d) Merkantilistische Wirtschaftspolitik Sowohl die 1665 eingerichtete Hamburger Commerzdeputation als auch die Marseiller Chambre de Commerce dienten nicht allein dem Schutz der Seeschifffahrt. Sie beide sollten, wie bereits die Hamburger Kaufmannsälterleute von 1517, die Wirtschaft, insbesondere den Handel fördern.337 Damit begann der Übergang vom mittelalterlich geprägten Schutzbündnis, welches ursprünglich die Kaufmannsgilden verkörpert hatten338, hin zu einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik, die klassischerweise den

331 Zu Amsterdam, siehe: van Eyll 1964 (wie Anm. 321), S. 32; zu Hamburg, siehe: Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 2. 332 Zu Amsterdam, siehe: Ernst Baasch, Holländische Wirtschaftsgeschichte, Jena 1927, S. 18; zu Hamburg, siehe: Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 13. 333 Näher zur Admiralität, siehe: Handelskammer Hamburg, Dokumente zur Geschichte der Handelskammer Hamburg, Hamburg 1965, S. 12; Poettering 2013 (wie Anm. 325), S. 272; Eva-Christine Frentz, Das hamburgische Admiralitätsgericht (1623–1811). Prozeß und Rechtsprechung (Rechtshistorische Reihe 43), Frankfurt a. M. 1985, S. 288 ff. 334 Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 6 ff. 335 Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 4. 336 Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 9. 337 Zu den Kaufmannsälterleuten in Hamburg 1517, siehe: Handelskammer Hamburg 1965 (wie Anm. 333), S. 10; zu Marseille, siehe: van Eyll 1964 (wie Anm. 321), S. 29; zur Kommerzdeputation Hamburg, siehe: van Eyll 1964 (wie Anm. 321), S. 34. 338 Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, Band 1: Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, München 1997, S. 28.

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obrigkeitlich gegründeten Kommerzdeputationen zugrunde lag, jedoch auch Beweggrund für die Etablierung der Handelsvorstände war. Vielfach wird die merkantilistische Handelspolitik allein den in den fürstlichen Territorien eingerichteten obrigkeitlichen Interessenvertretungen zugesprochen. Für die Reichsstädte wird häufig die Begründung angeführt, die Kaufleute hätten sich im Rat nicht mehr vertreten gefühlt, weil dieser von Juristen durchdrungen gewesen sei.339 Tatsächlich dürften sie sich nicht mehr im Rat vertreten gefühlt haben, weil sie ihm nicht mehr angehörten und damit ihre Einflussmöglichkeiten erheblich zurückgegangen waren. Allerdings waren sie nicht aktiv von den Juristen verdrängt worden. Vielmehr hatten zumindest die Frankfurter Kaufleute im Mittelalter noch größtenteils den Rat gestellt. Die nachfolgenden Generationen hatten sich allerdings als reiche Patrizier auf ihre umliegenden Ländereien zurückgezogen und ihre Handelsgeschäfte niedergelegt. Der nun entstandene Kaufmannsstand gehörte nicht mehr dem Patriziat und damit nicht mehr dem Rat an.340 Ähnlich gelagert war der Fall in Breslau. In der schlesischen Stadt entstand der Wunsch, die kaufmännische Interessenvertretung zu stärken, als der Einfluss der Kaufmannschaft im Rat abnahm und diesem immer weniger Handelsleute angehörten.341 Ein Gegenbeispiel stellt hingegen Lübeck dar. Hier musste die Mehrheit der Ratsmitglieder ab 1669 Kaufleute sein.342 Einer eigenen kaufmännischen Vertretung bedurfte es deshalb nicht.343 Der Anlass, der zur Etablierung der Frankfurter Kaufmannschaft geführt hatte, war indes ein typisches Merkmal merkantilistischer Wirtschaftspolitik. Die von den Kaufleuten erkämpfte Beisassenordnung diente einzig und allein dem Nahrungsschutz der einheimischen Handelsleute. Die gleiche protektionistische Politik betrieben 1625 die Dresdner Kaufleute. Auch sie versuchten, den Handel fremder Kaufleute einzuschränken. Die Handelsleute wollten Auswärtige in ihrem Handel beschränken, da sie den „einheimischen das Brod vor dem Munde“ wegnähmen. Die 1654 schließlich 339 Richard Ehrenberg, Das Königliche Commerz-Collegium in Altona, Altona 1892, S. 6. 340 Vgl. zu dieser Entwicklung: Andreas Hansert, Geburtsaristokratie in Frankfurt am Main. Geschichte des reichsstädtischen Patriziats, Wien 2014, S. 173 ff. 341 Heinrich Wendt, Die kaufmännische Standesvertretung in Breslau vor Begründung der Handelskammer, in: Handelskammer Breslau (Hrsg.), Die Handelskammer Breslau 1849–1924. Festschrift der Industrie- und Handelskammer Breslau, Breslau 1924, S. 337. 342 Uwe Kühl, Von der kaufmännischen Korporation zur kommerziellen Interessenvertretung. Kaufmannschaft und Handelskammer zu Lübeck im 19. Jahrhundert bis zur Reichsgründung (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, Reihe B Band 22), Lübeck 1993, S. 33. 343 Wenngleich eine kaufmännische Interessenvertretung politisch aufgrund der Partizipationsmöglichkeiten nicht notwendig war, bestand offenbar weiterhin der Wunsch, die Expertise der Kaufleute einzuholen. Ein schließlich vor dem Reichskammergericht verhandelter Fall aus Augsburg zeigt, wie bedeutsam Handelskenntnisse gewesen sein müssen. So hatte das zunächst mit der Sache befasste Augsburger Bürgermeisteramt im untergerichtlichen Verfahren eine Aktenversendung nach Lübeck angeordnet. Dort erteilten zwei Juristen ihre Rechtsansichten, die anschließend von den Ältesten der sechs Fahrergesellschaften nochmals bestätigt wurden, vgl. D I. 3. c).

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gegründete Dresdner Handelsinnung nahm, wie auch die Frankfurter Deputation, nur verbürgerte Handelsleute auf.344 Zu einer ähnlichen Entwicklung kam es 1625 in Meißen.345 1681 beschwerten sich schließlich die Leipziger Großkaufleute über nicht verbürgerte fremde Kaufleute, die in ihre bürgerliche Nahrung eingriffen. Die Beschwerde zielte vor allem auf Kommissionäre und Faktoren, die entgegen den Verordnungen aus den Jahren 1593 und 1597, ohne Bürger zu sein, in diesem Erwerbszweig tätig waren. Ein weiterer Beschwerdepunkt der Leipziger richtete sich ebenfalls gegen die italienischen Händler. Sie griffen, wie auch in Frankfurt, über ihre eigentliche Konzession, Südfrüchte zu verkaufen, hinaus in den Handel ein.346 Auch in Hamburg gab es Restriktionen. So beschränkte die Hamburger Commerzdeputation den Zugang auf die Bürger, öffnete aber auch Nichtbürgern zumindest die Teilnahme am Ehrbaren Kaufmann, sofern sie Christen waren. Anderen Religionen stand der Zugang zur Kaufmannschaft nicht offen.347 Ähnliche Einschränkungen lassen sich auch für andere Städte beobachten. So waren in die Mannheimer Handelsinnung von 1728 nur Christen und ehrliche Bürger wählbar.348 Die Würzburger Kaufmännische Corporation von 1699 bevorzugte die Söhne der ansässigen Kaufleute, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres im väterlichen Geschäft mitarbeiteten. Ansonsten waren hohe Hürden zu nehmen, um in den Kaufmannsstand aufgenommen zu werden.349 1709 erneuerten die Würzburger ihre Handelsordnung, um das Verbot des Hausierens zu stärken und die Bestimmungen gegen „ausländische“ Händler zu bekräftigen.350 Das 1662 in Zürich gegründete Kaufmännische Direktorium nahm hingegen eine andere Art der Begrenzung vor. Hier spielten Bürgerrecht und Konfession keine Rolle. Sie erklärten nur diejenigen Kaufleute, die mit Frankreich, Italien und Deutschland handelten, für wählbar.351 Nicht allein die Begrenzung bestimmter Personengruppen auf die Zugehörigkeit zur Kaufmannschaft oder zumindest zum Vertretungsorgan ist ein Zeichen merkantilistischer Handelspolitik. Vielmehr stand bei nahezu allen Einrichtungen die Förderung des lokalen Handels im Vordergrund. So liegen die Anfänge der Nürnberger 344 Paul Rachel, Die Dresdner Handelsinnung 1654–1904. Festschrift der Dresdner Kaufmannschaft zum 250jährigen Jubiläum der Dresdner Handelsinnung, Dresden 1904, S. 24 f. 345 Rachel 1904 (wie Anm. 344), S. 10. 346 Die große Denkschrift der Großkaufmannschaft vom 23. März 1681, abgedruckt in: Siegfried Moltke, Urkunden zur Entstehungsgeschichte der ersten Leipziger Grosshandelsvertretung. Der erste Leipziger Handlungsgehilfenverein, Leipzig 1904, Anlagen, S. 12 ff. (17). 347 Poettering 2013 (wie Anm. 325), S. 276. 348 Arthur Blaustein, Die Handelskammer Mannheim und ihre Vorläufer 1728–1928, Mannheim, Berlin, Leipzig 1928, S. 12. 349 Peter Johanek, Von der Kaufmannsgenossenschaft zur Handelskorporation, in: Industrieund Handelskammer Würzburg-Schweinfurt (Hrsg.), 125 Jahre Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt, Würzburg 1968, S. 46. 350 Johanek 1968 (wie Anm. 349), S. 45 f. 351 Marcel Grossmann, Das kaufmännische Direktorium in Zürich 1662–1834, Lachen 1927, S. 28.

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Die Frankfurter Handlungsvorsteher und vergleichbare Einrichtungen

Kaufmannsvertretung im Erlass einer Marktordnung im Jahr 1560. Sie sollte den Handel fördern, um der Stadt, die ihre Blütezeit bereits hinter sich hatte, zu neuer Prosperität zu verhelfen.352 Der 1621 in St. Gallen entstandene Vorläufer des Kaufmännischen Direktoriums ging aus Konflikten über das Nürnberger Botenwesen hervor und sollte den Handel in der Stadt stärken.353 Die französische Schutzzollpolitik gab 1662 Anlass zur Entstehung des Kaufmännischen Direktoriums Zürich als Interessenvertretung aller ortsansässigen Kaufleute.354 Frankreich, das merkantilistische Beispiel par excellence, rief 1664 zur Stärkung der Wirtschaftspolitik den Conseil du Commerce ins Leben.355 1681 richtete der Braunschweiger Herzog ein Handelsgericht ein, um die Messe wieder zu stärken.356 Im gleichen Jahr forderten die Leipziger Großkaufleute zur Wiederbelebung des Messehandels ebenfalls die Einrichtung eines Handelsgerichts.357 Sowohl die Würzburger Kaufmännische Corporation 1699 als auch der Württembergische Commerzienrath 1709 und die Mannheimer Handelsinnung von 1728 dienten der Verbesserung der lokalen Wirtschaftslage.358 In Mannheim wollten

352 Pius Dirr, Der Handelsvorstand Nürnberg 1560–1910, Nürnberg 1910, S. 7 ff. 353 Hermann Wartmann, Kaufmännisches Direktorium St.  Gallen, in: Naúm Reichesberg (Hrsg.), Handwörterbuch der Schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Zweiter Band: Forstwesen – Lieferungs- und Differenzgeschäfte, Bern 1905, S. 724. 354 Grossmann 1927 (wie Anm. 351), S. 27. Röthlin sieht die Schweizer Städte frei von jeg­ lichen merkantilistischen Zügen. Hier habe es keine merkantilistische Wirtschaftspolitik in Form von Schutzzöllen oder Privilegien gegeben. Die Schweizer seien auf den Export angewiesen gewesen, hätten es im Handel aber mit merkantilistisch protektionierten Marktteilnehmern aufnehmen müssen, weswegen sich obrigkeitlich anerkannte Selbstverwaltungseinrichtungen entwickelt hätten: Röthlin 1986 (wie Anm. 226), S. 66. Dagegen lässt sich feststellen, dass gerade die obrigkeitlich anerkannten Direktorien genau diese Funktion schließlich aufgefangen haben und – ähnlich wie in Frankfurt – ebenfalls versuchten, sich gegen die Konkurrenz zusammenzuschließen. 355 van Eyll 1964 (wie Anm. 321), S. 38; Will 2012 (wie Anm. 320), S. 258. 356 Bereits 1675 hatte die Stadt Braunschweig auf herzoglichen Befehl ein Kaufgericht eingerichtet, welches 1681 um eine Aufnahme fremder Kaufleute erweitert und 1686 durch die Marckt-Gerichts- und Wechsel-Ordnung endgültig etabliert wurde. Während Diestel das Jahr 1681 als Gründungsdatum angenommen hat, siehe: Heinz Diestel, Die Gerichte in der Stadt Braunschweig von 1671 bis 1808, in: Werner Spiess (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte des Gerichtswesens im Lande Braunschweig (Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Geschichte 14), Braunschweig 1954, S. 99 ff., hat Wiesner das Jahr 1686 zugrunde gelegt, siehe: Johannes Wiesner, Handelsgerichtsbarkeit in Braunschweig, in: Braunschweigisches Jahrbuch 73, 1992, S. 65 f. 357 Robert Beachy, Fernhandel und Krämergeist. Die Leipziger Handelsdeputierten und die Einführung der sächsischen Wechselordnung 1682, in: Hartmut Zwahr / ​Thomas Topfstedt / ​ Günter Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn, Teilband 1: 1497–1914 (Geschichte und Politik in Sachsen 9/1), Köln 1999, S. 138. 358 Zu Würzburg, siehe: Johanek 1968 (wie Anm. 349), S. 45 f.; zu Württemberg, siehe: L. ­Vischer, Die industrielle Entwicklung im Königreich Württemberg und das Wirken seiner Centralstelle für Gewerbe und Handel in ihren ersten 25 Jahren […], Stuttgart 1875, S. 2.

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sich die Kaufleute mit extrem detaillierten Vorschriften vor der wirtschaftlichen Konkurrenz schützen.359 Sie ähnelten in ihrer Ausprägung stark der Frankfurter Beisassenordnung. Mitte des 18. Jahrhunderts kam es sogar vermehrt zu Stellungnahmen der Kaufleutezunft, die Messen und Märkte abzuschaffen, da der einheimische Handel dadurch nicht gefördert werden könne.360 2. Erscheinungsformen Die ersten Selbstverwaltungskörperschaften in Form von Handelsvorständen entstanden im deutschsprachigen Raum bereits ab dem 16. Jahrhundert. Die obrigkeitlich eingesetzten Deputationen waren hingegen vor allem ein Phänomen des frühen 18. Jahrhunderts. Nicht selten ließen sich die Territorialherren hier auch von den selbstständigen Kaufmannskorporationen in den Reichsstädten inspirieren und versuchten, nach diesem Vorbild Kommerzialbehörden einzusetzen.361 a) Selbstverwaltungskörperschaften aa) Städte im Alten Reich Die erste Selbstverwaltungskörperschaft mit schiedsrichterlicher Funktion stellte die 1517 gegründete Fundation der Börsenalten in Hamburg dar.362 Der Gemeine Kaufmann, eine Vereinigung der Flandern-, England-, Schonen- und Islandfahrer, durfte gemeinsam mit den beiden Zollherren insgesamt sechs Älterleute, je zwei aus den Flandern-, England- und Schonenfahrern, in einen sogenannten Kaufmannsrat wählen.363 Sie stellten vornehmlich eine Interessenvertretung dar, die unter anderem auch interne Streitigkeiten lösen sollte: „Zu des Kaufmanns Nutzen zu fördern und Nachteile zu verhüten, Streitigkeiten und Gebrechen, die zwischen dem hantierenden Kaufmann, seinen Verlegern und Dienern allenthalben vorkommen, beizulegen, wie es dem Kaufmann zur Förderung seiner Wohlfahrt mag von Nöten sein, innerhalb oder außerhalb der Stadt“.364

359 Blaustein 1928 (wie Anm. 348), S. 12 ff. 360 Blaustein 1928 (wie Anm. 348), S. 22. 361 So dienten die Kaufmännischen Direktorien von Zürich und St. Gallen dem Bernischen Kommerzienrat ebenfalls als Vorbild: Ernst Lerch, Der Bernische Kommerzienrat im 18. Jahrhundert (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Ergänzungsheft 26), Tübingen 1908, S. 10. 362 Rainer Postel, Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns 1517–1992. Kaufmännische Selbstverwaltung in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1992, S. 21 f. 363 Handelskammer Hamburg 1965 (wie Anm. 333), S. 10; Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 282. 364 Gründungsprotokoll abgedruckt und ins Hochdeutsche übertragen in: Handelskammer Hamburg 1965 (wie Anm. 333), S. 10.

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Damit oblag die schiedsrichterliche Kompetenz in Handelssachen grundsätzlich dem Kaufmannsrat. In komplizierten Streitfällen urteilten allerdings die Zollherren des Rates.365 Das Gremium hatte jedoch keinen langen Bestand. Schon kurz nach der von ihm initiierten Börsengründung löste sich der Hamburger Kaufmannsvorstand aufgrund interner Unstimmigkeiten 1557 auf.366 Aufsicht und Überwachung der Seeschiffahrt nahm schließlich die 1623 gegründete Admiralität wahr.367 Damit bestand bis zur Gründung der Commerzdeputation am 19. Januar 1665 keine Interessenvertretung der Kaufleute mehr. Die einen Tag nach ihrer Gründung vom Rat bestätigte Deputation setzte sich aus sieben Kaufleuten, sechs aus der Hamburger Kaufmannschaft, dem sogenannten Ehrbaren Kaufmann, und einem Schifferalten zusammen. Neben ihrer Aufgabe, die kaufmännischen Interessen zu vertreten und den Handel zu fördern, erstattete die Commerzdeputation ab 1769 Pareres.368 Zuvor hatten bereits einzelne Kaufleute Gutachten verfasst, da die Deputation dies bis dahin abgelehnt hatte.369 Zur Abfassung der Pareres waren Versicherungs- und Großkaufleute sowie Makler berechtigt, Kleinhändler wie Krämer und Höker hingegen nicht.370 Die Admiralität in ihrer Doppelfunktion als Hafenbehörde und Seegerichtsbarkeit ließ im Prozessverfahren die Pareres als Urkundenbeweis zu.371 Sie dienten dem Nachweis, dass eine behauptete Handelsgewohnheit tatsächlich in Hamburg in Übung war. Inhaltlich beschäftigten sich die Pareres mit Fragen aus dem Wechsel-, Seeversicherungs- und Bodmereirecht, dem Recht der Havarie und auch der Frage, welche ausländischen Seegesetze in Hamburg Eingang in die Praxis gefunden hatten.372 Als verfahrensbeendender Kompromiss fungierten die Rechtsgutachten im Prozess vor dem Admiralitätsgericht nicht, da die Gutachter nur von einer der beiden Seiten beauftragt worden waren und es an der für den Kompromiss zwingenden Bindungswirkung fehlte. Dennoch versuchte die Commerzdeputation, als sie schlussendlich die Gutachtenerstattung übernahm, die Parteien zu verpflichten, sich an das Parere zu halten. Eine rechtliche Bindung des Admiralitätsgerichts folgte daraus nicht, es bewertete die Pareres weiterhin als Parteigutachten.373 Während die Hauptfunktion der Admiralität in der Seerechtsprechung lag, oblag dem Hamburger Rat, der zur Hälfte mit Kaufleuten besetzt war, die Rechtsprechung in Handelssachen.374 365 366 367 368 369

370 371 372 373 374

Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 283. Poettering 2013 (wie Anm. 325), S. 271. Handelskammer Hamburg 1965 (wie Anm. 333), S. 12. Handelskammer Hamburg 1965 (wie Anm. 333), S. 14; Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 645 ff. Andreas Ebert-Weidenfeller, Hamburgisches Kaufmannsrecht im 17. und 18. Jahrhundert. Die Rechtsprechung des Rates und des Reichskammergerichtes, Frankfurt a. M., Berlin, New York u. a. 1992, S. 274. Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 103. Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 161. Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 102 f. Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 648 ff.; Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 102 f. Ebert-Weidenfeller 1992 (wie Anm. 369), S. 11.

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In Nürnberg bildete sich ebenfalls im 16. Jahrhundert eine Interessenvertretung heraus.375 1560 hatten die Kaufleute auf den Erlass einer Marktordnung gedrungen. 1566 gingen aus dieser Gruppierung schließlich die Marktvorsteher hervor, deren Wurzeln bereits in der Herrentrinkstube, einer Stubengesellschaft der Nürnberger Großkaufleute, zu sehen sind.376 Sowohl die Marktvorsteher als auch ihre Vorgänger, die Herrentrinkstube, waren schiedsrichterlich tätig. Zunächst entschieden die Kaufmannsältesten an bestimmten Tagen, die Marktvorsteher später täglich, über kleinere handelsrechtliche Angelegenheiten.377 1624 erging schließlich ein Ratsbeschluss, dass alle streitigen Kaufmannssachen im summarischen Verfahren vor dem Bancoamt zu verhandeln seien.378 1621 hatte der Nürnberger Rat eine Bank, den sogenannten Banco, etabliert und einer besonderen Behörde, dem Bancoamt, unterstellt.379 Dieses setzte sich aus zwei Ratsdeputierten, vier Marktvorstehern und zwei Rechtsberatern zusammen. Die Hauptlast der Rechtsprechung oblag den Marktvorstehern.380 Sie waren parallel zur summarischen Gerichtsbarkeit des Bancoamtes weiterhin schiedsrichterlich tätig. Ihre Entscheidung erwuchs in Rechtskraft, wenn beide Parteien freiwillig den Kompromiss anerkannten. Ab 1628 erteilten die Marktvorsteher auch Pareres, die weit über die Grenzen Nürnbergs hinausreichten.381 Ab 1635 verfassten sie die Gutachten gemeinsam mit den Marktadjunkten, einem zwölfköpfigen Kontrollausschuss, dessen Mitglieder, anders als die Marktvorsteher, nicht am Bancoamt tätig waren.382 1697 wandelte sich das Bancoamt in ein eigenständiges Merkantilgericht, dessen Prozesse für die Kaufmannschaft jedoch zu langwierig waren. Sie wendeten sich lieber an die weiterhin auch schiedsrichterlich tätigen Marktvorsteher, die sich schließlich 1804 als Handelsgericht durchsetzten.383 Die Situation in Leipzig ähnelte der in Nürnberg. Womöglich diente die mittelfränkische Stadt als Vorbild.384 1680 hatte eine Pestepidemie zu einer fünfmonatigen Quarantäne der Stadt und einer Stilllegung der Handelsroute von Nürnberg über Leipzig nach Hamburg bis ins Jahr 1683 geführt. Die Leipziger Großhändler versprachen sich nun von der Einrichtung eines Handelsgerichts eine Wiederbelebung des Handels und reichten 1681 einen 41  Punkte umfassenden Entwurf für eine 375 In Augsburg scheint die Kaufleutestube ebenfalls Pareres erstattet zu haben. Zum einen erwähnte ein später vor dem Reichskammergericht anhängiges Verfahren ein Parere der Augsburger Kaufleutestube: Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 10, S. 171 f. Zum anderen zog das Züricher Direktorium vor Erstattung eines Pareres selbst eines aus Augsburg hinzu: Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 9. 376 Dirr 1910 (wie Anm. 352), S. 6 ff.; Rehm 1974 (wie Anm. 15), S. 3. 377 Dirr 1910 (wie Anm. 352), S. 6, S. 11. 378 Rehm 1974 (wie Anm. 15), S. 6. 379 Dirr 1910 (wie Anm. 352), S. 24 f. 380 Rehm 1974 (wie Anm. 15), S. 7. 381 Dirr 1910 (wie Anm. 352), S. 27 und S. 49. 382 Rehm 1974 (wie Anm. 15), S. 8. 383 Dirr 1910 (wie Anm. 352), S. 47 ff. 384 Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 136.

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Handelsgerichtsordnung ein.385 Nach langen Verhandlungen zwischen dem Leipziger Rat, einer vom Kurfürsten eingesetzten Kommission der Kramerinnung und den Großkaufleuten erließ der Kurfürst 1682 die Neue Handelsgerichtsordnung, nach welcher der Leipziger Rat berechtigt war, ein mit Gelehrten und Kaufleuten besetztes Handelsgericht einzurichten. Damit hatte Leipzig das erste Handelsgericht im Alten Reich, welches nicht nur während der Messe, sondern ganzjährig tagte.386 Trotz allem erteilte die Leipziger Kaufmannschaft ab 1688 Pareres.387 Im gleichen Jahr hatte sich die Kramerinnung mit den Deputierten der Kaufmannschaft, den Großhändlern, in einem Vergleich geeinigt, künftig gemeinsame Interessen zusammen zu vertreten.388 Ende des 17. Jahrhunderts traten in Breslau die Kaufmannsältesten als Schiedsgericht zwischen streitenden Kaufleuten und Handwerkern auf.389 Der größtenteils selbst aus Kaufleuten bestehende Rat wählte seit dem Mittelalter aus der Mitte der Kaufmannschaft zwei Vertreter, die sogenannten Ältesten. Als die Zahl der im Rat vertretenen Kaufleute zurückging, entstand in der Kaufmannschaft der Wunsch, die Ältesten selbst zu wählen.390 An dieser Entwicklung zeigt sich, dass nicht vordergründig die Obrigkeit die Vertreter der Kaufmannschaft in Breslau bestimmte, sondern vielmehr die Kaufleute aus ihrer Mitte heraus, eben lange Zeit als Ratsmitglieder, ihre Vertreter wählten. Neben ihrer schiedsrichterlichen Tätigkeit erteilten die Kaufmannsältesten Pareres in zweifelhaften Handels- und Wechselsachen.391 Alternativ zur Streitschlichtung vor den Kaufmannsältesten konnten die streitenden Parteien auch mehrere Handelsleute zu Kompromissarien bestimmen. Erfolgte auch hier keine Eini­gung, konnte als letzte Möglichkeit der Rat im summarischen Verfahren entscheiden.392 Die Einholung auswärtiger Pareres wurde schließlich 1742 in der Wechselordnung festgelegt.393 1728 folgte schließlich die Residenzstadt Mannheim. Hier erbaten die Kaufleute beim Kurfürsten das Privileg zur Schaffung einer Handelsinnung. Die Gründung der Zunft der Handelsleute und Krämer erfolgte am 8. Juni.394 Sie war als internes Schiedsgericht tätig, erstattete aber auch Gutachten an auswärtige Städte.395 Neben ihrer schiedsrichterlichen und gutachterlichen Funktion wählte die Zunft ab 1729

385 386 387 388

Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 138 ff. Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 124 ff.; Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 147. Siegel 1742 (wie Anm. 95), S. 1 ff. Karl Biedermann, Geschichte der Leipziger Kramer-Innung 1477–1880. Ein urkundlicher Beitrag zur Handelsgeschichte Leipzigs und Sachsens, Leipzig 1881, S. 50 f. 389 Wendt 1924 (wie Anm. 341), S. 338 f. 390 Wendt 1924 (wie Anm. 341), S. 336 f. 391 Wendt 1924 (wie Anm. 341), S. 339. 392 Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 118. 393 § 25 Breslauer Wechselordnung von 1742, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 229–242, S. 236. Näher hierzu in Kapitel A II. 3b). 394 Blaustein 1928 (wie Anm. 348), S. 11 f. 395 Blaustein 1928 (wie Anm. 348), S. 25.

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die handelskundigen Mitglieder für das 1726 gegründete Wechselgericht, das unter anderem mit vier bis fünf Vertretern der Kaufmannschaft besetzt war.396 bb) Außerhalb des Alten Reiches Neben Kaufmannsvertretungen in den Städten des Alten Reiches entstanden in den Handelszentren der Schweizer Eidgenossenschaft ebenfalls kaufmännische Interessenvertretungen. Die Handlungsvorstände in St. Gallen, Basel und Zürich waren allesamt aus der Kaufmannschaft hervorgegangene Selbstverwaltungskörperschaften. Einzig der Kommerzienrat in Bern war eine obrigkeitliche Schöpfung. Im 16. Jahrhundert hatten die St.  Gallener Kaufleute zwei Botendienste, einen nach Nürnberg und einen nach Lyon, organisiert. Sie unterhielten die beiden Botenanstalten und stellten Ende des 16. Jahrhunderts schließlich als Gesamtheit der Gemeinen Kaufleute auf dem Notenstein die Boten. Aus der Gesellschaft auf dem Notenstein entwickelte sich im weiteren Verlauf eine gemeinsame Interessenvertretung, die drei Marktherren. 1621 waren zunächst drei Marktherren für die Organisation des Botenwesens zuständig, 1637 erhöhte sich ihre Zahl auf fünf. Ab diesem Zeitpunkt oblag ihnen auch die Rechtsprechung in Wechsel- und Warenstreitigkeiten auf Antrag einer Partei. Eine Überprüfung der Entscheidung durch den Rat stand beiden Parteien offen.397 Neben ihrer schiedsrichterlichen Tätigkeit erteilten die Marktherren auch Pareres.398 Ab 1730 waren die Kaufleute schließlich unter dem Namen Kaufmännisches Direktorium tätig, welches sich aus neun Marktvorstehern, zwei Präsidenten, die ebenfalls Kaufleute waren, sowie zwei Assessoren und zwei „gewöhnlichen Mitgliedern“ zusammensetzte. Das Kaufmännische Direktorium fungierte auch als Kompromissarium, war also schiedsrichterlich tätig, und erstattete darüber hinaus Gutachten an das Stadtgericht.399 Die Erteilung der Pareres erfolgte nicht nur an das Stadtgericht oder einheimische und fremde Parteien, die vor Ort das Direktorium in Anspruch nahmen. Auch die Beantwortung auswärtiger Anfragen mittels Pareres war üblich, wie die Wechsel-Ordnung der Stadt St. Gallen von 1784 zeigt.400

396 Blaustein 1928 (wie Anm. 348), S. 25; Holger Radke / ​Günter Zöbeley, Die Gerichte im Landgerichtsbezirk Mannheim, in: Werner Münchbach (Hrsg.), Festschrift 200 Jahre Badisches Oberhofgericht. Oberlandesgericht Karlsruhe, Heidelberg 2003, S. 432. 397 § 2 der Marktordnung von 1637, abgedruckt bei: Hans Rudolf Leuenberger, 500 Jahre Kaufmännische Corporation St. Gallen, St. Gallen 1966, S. 33. 398 Albert Bodmer, Die Gesellschaft zum Notenstein und das Kaufmännische Directorium. Ein Beitrag zur Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte der alten Stadtrepublik St. Gallen (Neujahrsblatt / ​ Historischer Verein des Kantons St. Gallen, 102), St. Gallen 1962, S. 36; Wartmann 1905 (wie Anm. 353), S. 724 f. 399 Wartmann 1905 (wie Anm. 353), S. 726 f. 400 Tit. XII der Erneuerten und vermehrten Wechsel=Ordnung der Stadt St. Gallen, St. Gallen 1784.

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Bei dem 1662 in Zürich eingerichteten Kaufmännischen Direktorium handelte es sich um eine Interessenvertretung der Kaufleute „mit amtlichem Charakter“.401 Das Bedürfnis nach einer festen Organisation der Kaufleute entstand aus wirtschaftlichen Gründen. Die Initiative ging ebenfalls von der Kaufmannschaft aus. Bei seiner Gründung wurde das Direktorium aber trotz allem mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Den sieben aus der Mitte der Kaufmannschaft, des Gesamtbotts, gewählten Kaufleuten oblagen die Förderung und Beaufsichtigung des Handels sowie die Streitschlichtung.402 Das Direktorium musste in seiner Funktion als Schlichtungsstelle aber nicht von den Kaufleuten angerufen werden. Sie konnten sich auch an die ordentliche Gerichtsbarkeit wenden. Neben ihrer kompromissarischen Tätigkeit erteilten die Mitglieder des Direktoriums für anhängige Prozesse Pareres.403 Die zwischen 1672 und 1824 entstandenen Gutachten umfassten neben dem schwerpunktmäßig vorhandenen Wechselrecht auch Fragen zu Handelsgesellschaften, zum Kauf, zum Speditionsund Frachtvertrag, zum Kommissionsgeschäft und zum Konkursrecht.404 Auch in Basel existierte ab ca. 1650 eine Vertretung der Kaufleute, die die Interessen der Baseler Kaufmannschaft wahrnahm. Sie wurde 1680 nach dem Vorbild Zürichs in ein Direktorium umgewandelt, dem ab 1682 auch drei Ratsmitglieder angehörten.405 Die zunächst acht, später zwölf Direktoren wurden im Kooptationsverfahren ehrenamtlich gewählt und waren auf Lebenszeit tätig, es sei denn, es gab eine Interessenkollision mit einem politischen Amt.406 Nicht nur das Wahlverfahren für das Direktorium und dessen Zuständigkeiten glichen den Verhältnissen in Frankfurt. Auch die Baseler verfügten stets über juristischen Beistand. Einer der Baseler Notare war als Sekretär des Direktoriums beschäftigt.407 Das Direktorium beschäftigte sich mit Fragen der Münzzerrüttung, Problemen mit den Handelsrouten, führte das Handelsregister sowie die Aufsicht über Wechsel-Courretiers bzw. Wechselsensale und erstellte Gutachten über Handelsfragen. Es erteilte auf Anfragen des Rates, anderer Handelskammern oder Privatpersonen Pareres, nahm aber auch schiedsgerichtliche Funktionen wahr.408

401 402 403 404

405 406 407 408

Grossmann 1927 (wie Anm. 351), S. 27. Grossmann 1927 (wie Anm. 351), S. 27 f. Grossmann 1927 (wie Anm. 351), S. 29. 1883 hat der Züricher Oberrichter Dr. J. Escher in der Zeitschrift für Schweizerisches Recht die noch in Protokollbüchern erhaltenen 48 Pareres des Kaufmännischen Direktoriums Zürich kursorisch mitgeteilt: Escher 1883 (wie Anm. 111). Röthlin 1986 (wie Anm. 226), S. 57 ff. Röthlin 1986 (wie Anm. 226), S. 61. Röthlin 1986 (wie Anm. 226), S. 62. Röthlin 1986 (wie Anm. 226), S. 68.

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b) Obrigkeitliche Deputationen mit Gerichtselementen und Handelsgerichte Neben den aus der Kaufmannschaft selbst hervorgegangenen Interessenvertretungen gab es nicht wenige obrigkeitlich eingerichtete Handelsbehörden. Sie entstanden im Alten Reich mehrheitlich nach den unmittelbar aus der Kaufmannschaft hervorgegangenen Gründungen. Darüber hinaus gab es außerhalb der Reichsgrenzen zahlreiche Vorbilder hoheitlich eingerichteter kaufmännischer Interessenvertretungen. aa) Außerhalb des Alten Reiches Außer den bereits erwähnten spanischen Consulados und den zahlreichen Handelsgerichten in italienischen Stadtstaaten existierte in Dänemark im 17. Jahrhundert eine ähnliche Institution. 1619 setzte der dänische König sogenannte Oberkaufleute kompromissarisch ein.409 Sie fungierten als Schiedsgericht in Prozessen zwischen Kaufleuten über Kaufverträge, Wechselverbindlichkeiten, Versicherungs-, Frachtund Gesellschaftsverträge. Sie sollten vor dem Gerichtsverfahren in Handelssachen Güteverhandlungen führen und damit Prozesse vermeiden. Einigten sich die Parteien nicht gütlich, erteilten die Kaufleute einen Schiedsspruch, gegen den der ordentliche Rechtsweg offenstand.410 Außerdem schuf der König ein Seegericht in Kopenhagen, an dem mehrere Kaufleute partizipierten.411 In der auf der Route zwischen den Handelsmetropolen Venedig und Nürnberg liegenden Stadt Bozen erwirkten die Kaufleute 1635 von Erzherzogin Claudia das Privileg, ein Wechselgericht einzurichten. Der sogenannte Merkantilmagistrat war mit Kaufleuten als Richtern besetzt und bestand bis 1851. Maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung hatten die italienischen Kaufleute gehabt, die aus ihrer Heimat die Merkantilgerichtsbarkeit kannten.412 1609 hatten sie die Einsetzung eines Handelsgerichts mit wechselrechtlichen Kompetenzen gefordert. Ihre Forderung unterstützten die deutschen Kaufleute, die darüber hinaus auf die fehlende wechselrechtliche Expertise des bis dahin zuständigen Stadtgerichts hinwiesen – „wechselsachen, dern termini allain den handelsleuthen bekhand sein“ –, und diesbezüglich Abhilfe forderten.413 409 Axel Nielsen / ​Erik Arup / ​Georg Brodnitz, Dänische Wirtschaftsgeschichte (Handbuch der Wirtschaftsgeschichte 6), Jena 1933, S. 198. 410 Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 1020. 411 Nielsen / ​Arup / ​Brodnitz 1933 (wie Anm. 409), S. 198. 412 Niklaus Grass, Vom Messegericht zum Merkantilmagistrat im alten Tirol unter besonderer Berücksichtigung der Marktgerichtsbarkeit zu Hall am Inn, in: Karl Kroeschell (Hrsg.), Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen 1986, S. 217 f. 413 Franz Huter, Die Quellen des Meßgerichtsprivilegs der Erzherzogin Claudia für die Bozner Märkte (1635), in: Bozner Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst 1, 1927, S. 37 und Christof Jeggle, Privilegierte Rechtsprechung: Die Gründung des Merkantilmagistrats in Bozen im 17. Jahrhundert, in: Guillaume Garner (Hrsg.), Die Ökonomie des Privilegs, Westeuropa 16.–19. Jahrhundert / ​L’économie du privilège, Europe occidentale XVI–XIX siècles (Studien zu Policey, Kriminalitätsgeschichte und Konfliktregulierung), Frankfurt a. M. 2016, S. 201.

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Etliche Jahre später wurde der Justizkommissar David Wagner 1627 zunächst für nur ein Jahr eingesetzt. Er schlichtete zu Marktzeiten einfache Streitigkeiten in Markt­ sachen. Die komplizierten Rechtsstreitigkeiten mussten weiterhin vor dem Stadt- und Landgericht verhandelt werden.414 Mit der Schaffung des 1635 gegründeten Wechselgerichts hatten die Bozener nun mehr erreicht als eine reine Streitschlichtungsstelle. Sie hatten ein speziell für Wechselrecht kompetentes Sondergericht etabliert. Im gleichen Jahr entstand die erste wechselrechtliche Kodifikation auf deutschem Boden, die Bozener Markt- und Wechselordnung.415 Eine speziell für Rechtsstreitigkeiten, die auf Wechselmessen entstanden waren, zuständige Gerichtsbarkeit richteten die Genueser bereits 1606 ein. Die Richter wurden für einen Zeitraum von vier Messen gewählt, gegen ihr Urteil war keine Berufung möglich.416 Neben Genua verfügten auch andere italienische Hafenstädte wie Pisa und Livorno über Handelsgerichte. Anders als in anderen europäischen Handels- und Hafenstädten waren die Richter in den beiden italienischen Küstenstädten nicht aus den Reihen der Kaufleute gewählt, sondern durch die Obrigkeit eingesetzt worden und entstammten vornehmlich adeligen Familien. Die mangelnde Expertise wurde auch hier durch die Einholung von Pareres ausgeglichen.417 Der 1687 in Bern geschaffene Kommerzienrat entstand anders als die anderen Schweizer Vertretungen nicht aus der Mitte der Kaufmannschaft. Vielmehr setzte der Rat der Stadt Bern den Kommerzienrat als Behörde zur Regulierung und Beförderung des Handels ein.418 Von Anfang an stellte die Obrigkeit den Kaufleuten ein eigenes Handelsgericht in Aussicht. 1717 entstand schließlich als Unterkammer des 1687 gegründeten Kommerzienrates das Unterhandelsgericht. Es verhandelte Verfahren in Handelssachen und garantierte eine schnellere und preiswertere Abwicklung als vor ordentlichen Gerichten.419 Das Gericht wurde allerdings ein Jahr später mit dem Kaufmännischen Direktorium vereinigt, das aus verbürgerten Kaufleuten und Mitgliedern des Kommerzienrates bestand und gesetzgeberisch tätig war. Ab diesem Zeitpunkt war das Unterhandelsgericht und Direktorium bis zu seiner Auflösung 1732 zugleich Gericht und Aufsichtsbehörde.420 In Frankreich dominierten seit 1701 die in französischen Handelsstädten gegründeten Chambres particulières de Commerce. Sie dienten in der Hauptsache als Wahlorgan zum Conseil de Commerce, hatten aber ebenfalls die Festsetzung und Erklärung lokaler Handelsbräuche zur Aufgabe.421 Diese basierten auf den an Börsen- oder 414 Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 104 f.; Huter 1927 (wie Anm. 413), S. 40; Jeggle 2016 (wie Anm. 413), S. 206. 415 Grass 1986 (wie Anm. 412), S. 218. 416 Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 980. 417 Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 146 f. 418 Lerch 1908 (wie Anm. 361), S. 11 ff. 419 Lerch 1908 (wie Anm. 361), S. 12 und S. 22 ff. 420 Lerch 1908 (wie Anm. 361), S. 21 ff. 421 Will 2012 (wie Anm. 320), S. 260.

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Wechselplätzen erteilten Pareres, welche allerdings so lange keine autoritative Wirkung hatten, bis sie vor den entsprechenden Kammern präsentiert und von diesen bestätigt worden waren.422 bb) Im Alten Reich Die erste obrigkeitlich gegründete Handelsbehörde mit Gerichtsfunktion auf territorialem Gebiet entstand 1679 in Brandenburg-Preußen.423 Dort gründete der König ein Marinekollegium, das mit kaufmännischen Beisitzern besetzt war. Es war sowohl als Zentralbehörde für Schifffahrtssachen als auch als Seegericht tätig. Dem Marinekollegium war das Lizentgericht in Königsberg nachgeordnet.424 Fünf Jahre später richtete der König ein Kommerzienkollegium in Berlin ein, welches neben Beamten auch mit Kaufleuten besetzt war und zunächst als Handelsgericht fungierte. Im gleichen Jahr folgten Gründungen in Königsberg, aus dem Lizentgericht hervorgehend, und im darauffolgenden Jahr in Kolberg. Danach entstand in Berlin eine Oberbehörde, nun in der Funktion als Berufungsinstanz in Handelssachen, als Oberhandelsgericht. Diese Gerichte waren jedoch alle nicht von langer Dauer. 1687 musste das Berliner Oberkollegium seine Arbeit einstellen, 1688 folgte Kolberg, 1689 Königsberg. Dort fiel die Handelsgerichtsbarkeit an das Lizentgericht in Königsberg zurück.425 Nach den gescheiterten Versuchen kam es 1718 schließlich zur erneuten Einsetzung eines Kommerzienkollegiums mit handelsgerichtlichen Befugnissen in Königsberg.426 Für dieses Kolleg bestand die Besonderheit, dass eine ausländische Partei zur Neutralisierung einen englischen und einen holländischen Kaufmann als Beisitzer hinzuziehen durfte, der ein Anhörungsrecht hatte, wodurch eine Bevorzugung der einheimischen Partei verhindert werden sollte.427 Während der ersten handelsgerichtlichen Gründungsversuche in Brandenburg-​ Preußen blieb auch das benachbarte Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel nicht untätig. Hier richtete der Herzog 1681 ein mit fremden und einheimischen Kaufleuten besetztes Kaufgericht während der Messe ein. Das zweistufige Gericht bestand erstinstanzlich aus zwei Ratsherren, die entweder Juristen oder Kaufleute waren, und drei fremden Kaufleuten. Die zweite Instanz war mit dem Bürgermeister als Rechtsvertreter der Stadt, zwei Ratsherren und wiederum drei fremden Kaufleuten besetzt.428 Das Gericht war für alle Messestreitigkeiten, einschließlich Wechsel- und 422 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 177. 423 Siehe zur Einrichtung des preußischen Wechselgerichts in Elbing 1758 unter: A II. 3. b) und D I. 2. b) bb). 424 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 193. 425 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 184 f. 426 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 194. 427 Art. 4 der Commercien-Collegii Fundation vom 17. August 1718, abgedruckt in: Rudolf Reicke / ​Ernst Wichert, Altpreussische Monatsschrift. Der Neuen Preußischen Provinzial-Blätter vierte Folge (Preussische Provinzialblätter, Bd. 27), Königsberg 1890, S. 172 ff. (175). 428 Wiesner 1992 (wie Anm. 356), S. 68.

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Konkurssachen, zuständig.429 Das Kaufgericht wandte das beschleunigte Verfahren an. Schriftliches Vorbringen durch die Parteien war ausgeschlossen und die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes nur in den seltensten Fällen erlaubt. Gegen die Urteile des Kaufgerichts waren zwar die Rechtsmittel der Supplikation und Appellation zulässig, jedoch mussten diese innerhalb der nächsten 24 Stunden eingelegt werden. Die nun zuständige zweite Instanz des Kaufgerichts sollte vor ihrem endgültigen Urteil, gegen welches keine Rechtsmittel mehr möglich waren, erneut zunächst gütlich verhandeln.430 Insgesamt war das Verfahren auf eine äußerst schnelle Abwicklung angelegt. Ähnlich aufgebaut war das Leipziger Handelsgericht von 1682. Es war zuständig für alle handelsrechtlichen Streitigkeiten inner- und außerhalb der Messe, sofern der Beklagte Kaufmann war.431 Das mit mindestens vier Richtern besetzte Handelsgericht setzte sich paritätisch aus Rechtsgelehrten und Kaufleuten zusammen. Es sollte die Streitigkeiten im beschleunigten Verfahren gütlich beilegen und gegebenenfalls rechtliche Expertise beim Schöffengericht einholen.432 Die anfängliche Forderung der Großhandelsleute, zu Messezeiten Vertreter der Kaufleute aus Amsterdam, Frankfurt am Main, Nürnberg, Hamburg und Breslau als assoziierte Mitglieder aufzunehmen, wurde in der Reform schließlich nicht umgesetzt.433 Eine reine Messegerichtsbarkeit übte ab 1764 auch das Commerz-Kolleg in Kassel aus.434 Das auch als Commercien-Collegium und Handelsgericht bezeichnete Messegericht wurde, wie auch das Braunschweiger Kaufgericht, zur Förderung der Messe eingerichtet. Die Rechtsprechung des Commerz-Kollegs beruhte interessanterweise ausdrücklich auf dem Frankfurter Wechselrecht.435 Das Commerz-Kolleg war aus der 1721 gegründeten Polizei- und Kommerzienkommission in Kassel hervorgegangen. Sie war ursprünglich eine Behörde mit polizeilichen und handelsgerichtlichen Befugnissen, die schließlich geteilt wurde.436 Von 1773 bis 1782 bestand die einzige Aufgabe des Commerz-Kollegs in der Ausübung der Messegerichtsbarkeit. Danach war es bis zu seiner Auflösung 1809 auch wieder wirtschaftspolitisch tätig und wohl den Kommerzdeputationen in Marburg, Rinteln, Hersfeld und Schmalkalden übergeordnet.437 Schmalkalden selbst konnte offenbar auf eine eigene Tradition der Schiedsgerichts429 Diestel 1954 (wie Anm. 356), S. 99 ff.; Wiesner 1992 (wie Anm. 356), S. 70. 430 Wiesner 1992 (wie Anm. 356), S. 72 f. 431 Art.  II der Leipziger Handelsgerichtsordnung von 1682, abgedruckt bei: Johann Carl Meissner, Codex der europäischen Wechsel-Rechte oder Sammlung der heutzutage in Europa geltenden Wechsel-Gesetze: Die deutschen Wechsel-Gesetze, Band 1, Nürnberg 1836, S. 301–318 (303). 432 Art. I der Leipziger Handelsgerichtsordnung von 1682, abgedruckt bei: Meissner 1836 (wie Anm. 431), S. 301–318 (303). 433 Zur Forderung der Großkaufleute, siehe: Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 141. 434 Harm-Hinrich Brandt, Wirtschaftspolitik und gewerbliche Mitbeteiligung im nordhes­ sischen Raum. 1710–1960, Marburg 1960, S. 22. 435 Brandt 1963 (wie Anm. 320), S. 17. 436 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 196. 437 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 196.

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barkeit zurückblicken. So ist die Einrichtung eines Commerz-Kollegs im Jahr 1687 überliefert, das als Schlichtungsstelle von Interessengegensätzen zwischen Kaufleuten und Handwerkern diente.438 Das 1764 eingerichtete Commerz-Kolleg war nicht die erste obrigkeitlich eingerichtete Kommerzbehörde in Kassel. Bereits 1710 hatte der Landgraf, bedingt durch die Hugenotteneinwanderung, eine Commercien-Kammer zur Förderung von Handel und Gewerbe eingerichtet.439 Auch sie sollte erstinstanzlich in Handelssachen tätig sein. Eine Appellation war nur an den Landgrafen vorgesehen.440 Allerdings ist die Commerzien-Kammer in ihrer Funktion als Unterhandelsgericht wahrscheinlich nie tätig geworden.441 Auch im süddeutschen Bereich entstanden obrigkeitlich gegründete Kammern mit schiedsgerichtlichen oder handelsgerichtlichen Funktionen. Die 1699 in Würzburg eingerichtete Kaufmännische Corporation hatte zwar der Fürstbischof durch Erlass einer Handelsordnung gegründet. Jedoch war die Verbindung zur Obrigkeit nur lose und das aus 20 Vorstehern bestehende Vertretungsorgan der Korporation selbstverwaltend tätig. Die Vorsteher durften interne Rechtsstreitigkeiten schlichten, aber nicht in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte eingreifen.442 Offenbar waren sie als internes Schiedsgericht kompromissarisch tätig. Herzog Eberhard Ludwig richtete 1709 in Württemberg einen Commercien-Rath, bestehend aus Beamten und Vertretern der Stuttgarter Kaufmannschaft, ein. Der Commercien-Rath verhandelte wichtige Handelsstreitigkeiten im summarischen Verfahren. 1737 stellte der Nachfolger Herzogs Eberhard Ludwig die Tätigkeit des Commercien-Rathes aus finanziellen Gründen wieder ein.443 Am 10. September 1717 beschloss Karl VI. für die Stadt Wien die Einrichtung eines Wechselgerichts.444 Die sich aus drei Gruppierungen zusammensetzende Kaufmannschaft unterlag bis dahin der Gerichtsbarkeit dreier unterschiedlicher Gerichte.445 Das nun etablierte Wechselgericht war für alle Wechselstreitigkeiten sowie Handelsstreitigkeiten, bei denen beide Parteien aus der Kaufmannschaft stammten, zuständig. Ansonsten lag die Zuständigkeit weiterhin bei den ordentlichen Gerichten (§ 9). Das Gericht setzte sich aus einem Richter, der abwechselnd einer der drei Kaufmannsklassen entstammte, sowie sechs Beisitzern, je zwei aus jeder Klasse, zusammen (§ 1 f.). Sie tagten zwei Mal wöchentlich, montags und donnerstags, in dringenden 438 Brandt 1960 (wie Anm. 434), S. 19. 439 Brandt 1963 (wie Anm. 320), S. 13; Will 2012 (wie Anm. 320), S. 253. 440 Brandt 1960 (wie Anm. 434), S. 14. 441 Facius 1959 (wie Anm. 311), S. 196. 442 Johanek 1968 (wie Anm. 349), S. 45 f. 443 Vischer 1875 (wie Anm. 358), S. 2 ff. 444 Wiener Wechselgerichtsordnung, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 636 ff. Trotz allem erteilte auch die Wiener Kaufmannschaft Pareres. Sie wurden bei der Gutachtenerstattung sogar von einem Juristen beraten: Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 237 ff. 445 Alphons von Domin-Petrushevecz, Neuere österreichische Rechtsgeschichte, Wien 1869, S. 9.

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Fällen auch darüber hinaus (§ 4). Sollten Richter und Beisitzer rechtliche Auskünfte benötigen, so stand es ihnen frei, Rat bei einem „Rechts-Gelehrte[n]“ einzuholen. Die Parteien selbst sollten sich grundsätzlich vor Gericht selbst vertreten, die Hinzuziehung eines Advokaten war ihnen darüber hinaus gestattet (§ 5). Das Wechselgericht sollte zunächst eine gütliche Einigung der Parteien anstreben. Jedoch sah die Wechselgerichtsordnung auch die Möglichkeit der Appellation an das ebenfalls neu eingerichtete Appellations-Wechselgericht sowie eine beschränkte Revision an die Österreichische Hofkanzlei vor.446 Das Wiener Wechselgericht wurde 1749 zunächst mit der niederösterreichischen Regierung vereinigt, 1762 aber schließlich doch wieder selbstständig eingerichtet.447 Ihm folgten weitere Wechselgerichte in den österreichischen Erblanden, unter anderem in Böhmen, Brünn, Graz, Klagenfurt, Laibach, Linz, Prag, Triest, Troppau und Ungarn.448 Die Wechselgerichte in Wien und Triest bestanden über das Jahr 1782 hinaus. Alle anderen Wechselgerichte wurden mit den jeweiligen Magistraten zusammengelegt. Die Hinzuziehung von Handelsleuten sollte allerdings beibehalten werden.449 3. Verhältnis zwischen Schiedsgerichten, Handelsgerichten und Pareres Ein Vergleich der kaufmännischen Interessenvertretungen zeigt, dass drei verschiedene Konfliktlösungsmodelle für handelsrechtliche Streitigkeiten existierten, die sich teilweise ergänzten, teilweise aber auch gegenseitig ausschlossen. So richteten die Territorialherren in den von ihnen initiierten Kommerzdeputationen häufig ein Handelsuntergericht oder ein Kolleg mit handelsgerichtlichen Funktionen ein. Die aus der Kaufmannschaft hervorgegangenen Interessenvertretungen hatten mangels Hoheitsaktes keine judikative Funktion und erteilten regelmäßig handelsrechtliche Gutachten, die Pareres. Das Schiedsgericht war schließlich die Schnittstelle zwischen den hoheitlich eingerichteten und den von den Kaufleuten etablierten Interessenvertretungen. Die Schiedsgerichte bestanden entweder als Vorläufer eines späteren Handelsgerichts bzw. ersetzten dieses oder dienten der internen Streitschlichtung, während die gleichen Kaufleute extern Gutachten erstatten. So ersetzte das Bozener Wechselgericht, ausgestattet mit einer Marktgerichtsbarkeit, den acht Jahre zuvor eingesetzten Justizkommissar als schiedsrichterliche Streitschlichtungsstelle. In Würzburg richtete 446 Zweiter und Dritter Titel der Wechselgerichtsordnung, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 620 ff. 447 Domin-Petrushevecz 1869 (wie Anm. 445), S. 82. 448 Domin-Petrushevecz 1869 (wie Anm. 445), S. 378. Angelehnt an das Wiener Wechselgericht entstand 1776 als Nachfolgeinstitution des im 17. Jahrhundert durch Maximilian I. gegründeten Kommerzkollegiums das Münchener Wechselgericht: Wilhelm Silberschmidt, Die deutsche Sondergerichtsbarkeit in Handels- und Gewerbesachen: insbesondere seit der französischen Revolution; ein Beitrag zur Frage der Laiengerichte (Beilageheft zu Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 55), Stuttgart 1904, S. 32 ff. 449 Domin-Petrushevecz 1869 (wie Anm. 445), S. 137.

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der Fürstbischof hingegen die Kaufmännische Corporation als internes Schiedsgericht anstelle eines Handelsgerichts ein. Die Hamburger Commerzdeputation, die Nürnberger Marktvorsteher, die Kaufmännischen Direktorien in St. Gallen, Zürich und Basel sowie die Kaufmannsältesten in Breslau und die Mannheimer Handelsinnung waren in internen Streitigkeiten schiedsrichterlich tätig und erstatteten an andere Städte, in Hamburg zudem an das Admiralitätsgericht, Pareres.450 Während die Kaufleute das Schiedsgericht vor allem aufgrund der außergerichtlichen Vorteile – Schnelligkeit und Billigkeit – bevorzugten, kompensierten die Pareres in erster Linie das mangelnde Fachwissen. Wechselbräuche waren von Ort zu Ort unterschiedlich. Nur die lokal handelnden Kaufleute verfügten über eine entsprechende Expertise und konnten diese sowohl den Fachgerichten als auch den auswärtigen Institutionen zur Verfügung stellen. Mit der Einsetzung spezieller Handels- oder Wechselgerichte versuchten die Territorialherren, sowohl die langwierigen Prozesse vor den ordentlichen Gerichten zu vermeiden als auch das mangelnde Fachwissen zu kompensieren. Der Erfolg dieser Sondergerichtsbarkeit war häufig allerdings nur von kurzer Dauer und versprach umso aussichtsreicher zu sein, je größer der Einfluss der ortsansässigen Kaufleute war. Lange Bestand hatten die Hamburger Admiralität von 1623 in ihrer Funktion als Seegericht, das Bozener Wechselgericht von 1635 und das Braunschweiger Kaufgericht von 1681. Während die Hamburger Admiralität bis 1811 tätig war, sprachen die Gerichte in Braunschweig und Bozen bis 1850 bzw. 1851 Recht.451 Sie alle standen entweder unter mittel- oder unmittelbarem Einfluss der Kaufleute. So waren die Bozener Richter Kaufleute und auch das Braunschweiger Kaufgericht wurde als reines Messegericht paritätisch mit einheimischen und fremden Kaufleuten besetzt, denen die Rechtsprechung oblag. Die Hamburger Admiralität hingegen bezog ihre Expertise aus den im dortigen Prozess zugelassenen Pareres der Hamburger Kaufleute. Weniger erfolgreich, aber auch nicht ganz kurzlebig war die Einrichtung des Kasseler Commercien-Collegiums und Handelsgerichts, welches immerhin 45 Jahre tätig war. Anders als andere Kommerzkollegien sprach es nur zu Messezeiten Recht und stützte sich in seinem Verfahren auf das Frankfurter Wechselrecht. Die anderen Sondergerichte bzw. Kommerzkollegien mit Gerichtsfunktion waren meist nur wenige Jahre tätig. Die Kommerzkollegien in Brandenburg-Preußen bestanden lediglich drei bis fünf Jahre, das Berner Unter-Handelsgericht wurde bereits nach einem Jahr mit dem Kaufmännischen Direktorium vereinigt und nach 15 Jahren wieder aufgelöst. Der Württemberger Kommerzienrat bestand immerhin 18 Jahre, be450 Zu Hamburg, vgl.: Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 647. 451 Für Hamburg: Frentz 1985 (wie Anm. 333). Das Braunschweiger Kaufgericht wurde 1850 durch ein Handelsgericht ersetzt: § 45 des Gesetzes, die Errichtung eines Handelsgerichts betreffend, 28. Dezember 1850, abgedruckt in: Gesetz-und Verordnungs-Sammlung für die Herzoglich Braunschweigischen Lande (38), Braunschweig 1851. Für Bozen: Grass 1986 (wie Anm. 412), S. 217 f.

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vor er aus Kostengründen aufgelöst wurde. Selbst das Mannheimer Gericht, welches als Wechselgericht spezialisiert und darüber hinaus auch mit Kaufleuten besetzt war, konnte – vermutlich aufgrund der geringen Inanspruchnahme – nur acht Jahre bestehen.452 In der kurpfälzischen Residenzstadt konkurrierte das Wechselgericht, wie auch das Merkantilgericht in Nürnberg und das Leipziger Handelsgericht, stets mit den Pareres erstattenden Kaufleuten. Offenbar war die Gutachtenerstattung einem hoheitlich eingerichteten Handelsgericht gegenüber überlegen. Zumindest für die beiden Handelsstädte Nürnberg und Leipzig lässt sich das nachweisen. Immerhin beanspruchten die Nürnberger Kaufleute das Merkantilgericht im 18. Jahrhundert deutlich weniger als die Marktvorsteher, denen sie den Vorzug gaben und aus denen 1804 schließlich das Handelsgericht hervorging. Ebenso schien das Leipziger Handelsgericht nicht alle handelsrechtlichen Bedürfnisse zufriedenstellend aufgefangen zu haben. Anderenfalls lässt sich nicht erklären, weshalb die sich einander nicht wohlgesinnte Kramerinnung und die Großkaufleute nur sechs Jahre nach der Einrichtung eines Handelsgerichts gemeinsam Pareres erstatteten, die im ganzen Reich rezipiert wurden. Die gutachterlich tätigen Kaufleute hatten eine deutlich längere Wirkungszeit. Neben den Frankfurter Kaufleuten, die auch noch zur Zeit der Handelskammer im 19. Jahrhundert deutschlandweit Pareres erstatteten,453 erteilten auch die Hamburger Kaufleute und Nürnberger Marktvorsteher jeweils über einen Zeitraum von fast zweihundert Jahren Pareres. Neben der Dauerhaftigkeit der Einrichtung kennzeichnet den Erfolg der Pareres vor allem ihre überregionale Bedeutung. Sowohl die drei Schweizer Städte St. Gallen, Zürich und Basel als auch Mannheim, Nürnberg und Leipzig versandten die Pareres an Kaufleute und Gerichte im ganzen Reich. Insgesamt scheint der Erfolg der Pareres zum einen in ihrer flexiblen Handhabung, zum anderen und vor allem aber in ihrer hohen Expertise durch die Erstattung lokaler Handelsbräuche und Rechtsfragen gelegen zu haben.

452 Radke / ​Zöbeley 2003 (wie Anm. 396), S. 432. 453 Siehe hierzu: Konrad Malss (Hrsg.), Ausgewählte Gutachten der Handelskammer zu Frankfurt am Main. Eine Quelle des Handelsrechts, Frankfurt a. M. 1854.

C Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher I. Quantitative Gutachtenauswertung Alle Pareres des Bestandes ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 sowie alle Gutachten aus dem Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier sind quantitativ ausgewertet worden. Insgesamt wiesen 85 % aller Gutachten einen wechselrechtlichen Bezug auf. Lediglich die drei Kategorien „Berechnungsfragen“, „Gesellschafterhaftung“ sowie „Sonstiges“ enthielten Gutachten, in denen zumindest nicht vorrangig das Wechselrecht Gegenstand des Gutachtens war. Der umfangreichste Teil „Erfüllung der Wechselverbindlichkeit“ nahm fast 20 % aller Gutachten ein. Allerdings fielen in diese Kategorien neben Zahlungsansprüchen und Erfüllungssurrogaten auch Regress- und Haftungsansprüche sowie Bürgschaft, Ehreneintritt und Vergleichsschlüsse. Der inhaltliche Schwerpunkt lag nicht nur in Frankfurt auf dem Wechselrecht. Sowohl die Leipziger Pareres als auch die in Frankreich vorkommenden Gutachten wiesen diesen Schwerpunkt auf.454 Zuständigkeit des Gerichts

1%

Notwendige Bestandteile d. Wechselurkunde

1%

Zulässigkeit Beweismittel

2%

Sonstiges

2%

Wechselfähigkeit

2%

Fälligkeit

2%

Anwendbares Recht

2%

Wechselarten und Rechtsnatur d. Wechsels

3%

Sicherungsmaßnahmen

3%

Gesellschafterhaftung

5%

Materiellrechtliche Einreden

5%

Akzept

6%

Konkurs und Insolvenz

6%

Berechnungsfragen

8%

Indossament

8%

Kommissionsgeschäft

10%

Protest

15%

Erfüllung 0%

18% 2%

4%

6%

8%

10%

12%

14%

16%

18%

20%

Grafik 1  Quantitative Auswertung aller Gutachten des Bestandes ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 sowie aller Gutachten aus dem Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier. Eigene Darstellung der Autorin. 454 Für Leipzig, siehe: Königk 1717 (wie Anm. 1) und Siegel 1742 (wie Anm. 95); für Frankreich, siehe: Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 188.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

II. Aufbau der Gutachten Betrachtet man die äußere Form der ausgewerteten Pareres, so lässt sich eine Entwicklung aufzeigen, die eine Professionalisierung und zunehmende Stringenz in der Arbeitsweise der Handlungsvorsteher erkennen lässt. Während die Pareres des Bestandes ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 (die „Parere-Konzepte“) noch große Unterschiede in ihrem Aufbau aufwiesen, hatte sich die äußere Form der gedruckten Gutachten aus dem Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier bis zum Jahr 1719 gefestigt. Die zeitlich noch später liegenden Gutachten des „Parere-Buches“, Bestand ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, waren gleichbleibend aufgebaut. Hierbei muss natürlich berücksichtigt werden, dass die vor dem Jahr 1713 angefertigten Gutachten einer Zeit entstammten, in der noch keine offizielle Kaufmannsvertretung in Form der Deputierten gutachterlich tätig war, sondern die Pareres von einzelnen Kaufleuten erstattet wurden. Ein einheitlicher Aufbau der Gutachten dürfte erst unter der fest konstituierten Einrichtung der Börsenvorsteher als erstrebenswert angesehen worden sein. Sehr große Übereinstimmungen mit den Frankfurter Gutachten wiesen auch die Leipziger und – soweit aufgrund nur vereinzelter Abdrucke ersichtlich – die Nürnberger Pareres auf. Während die Pareres in Deutschland alle ähnlich aufgebaut waren und die Kaufleute sich hier offenbar dank der Drucke455 auch an einem einheitlichen Schema orientierten, wiesen die französischen Pareres regionale Unterschiede auf.456 1. Überschrift457 Nahezu alle gedruckten Pareres und ebenso die meisten im „Parere-Buch“ verzeichneten Gutachten waren mit Species Facti überschrieben. Dies war auch den damaligen Lehrbüchern zufolge die gängige Eingangsformel zu Beginn der Geschichtserzählung458 und fand sich bereits vereinzelt in den frühen Gutachten der Leipziger Kramerinnung aus den 1690er-Jahren.459 Die Frankfurter Gutachten aus dem späten 17. Jahrhundert begannen hingegen regelmäßig sofort mit der Sachverhaltsdarstellung, eine Überschrift jedweder Art fehlte. Vereinzelt waren allerdings auch die „Parere-Konzepte“ überschrieben. Neben der Überschrift Species Facti460 wurden in allen drei Frankfurter Quellenbeständen

455 Mehr zur Zirkulation der gedruckten Pareres in D II. 1. c). 456 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 185. 457 Über den im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier abgedruckten Pareres stehen Inhaltsangaben, die vom Verfasser selbst eingefügt worden sein dürften, da sie im „Parere-Buch“, aus welchem der Verfasser einige Gutachten entnommen hat (siehe A III. 2. a) bb)), nicht zu finden sind. 458 Süpke 1839 (wie Anm. 25), S. 27; Schiebe / ​Odermann 1871 (wie Anm. 39), § 230, S. 725. 459 U. a.: Siegel 1742 (wie Anm. 95), P V, S. 5; P VI, S. 7; P X, S. 11. 460 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 6, 5.6.1694.

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Aufbau der Gutachten

die Variante Facti Species461 sowie auf einem leider undatierten Gutachten aus den „Parere-Konzepten“ der Begriff Factum verwendet. Mit Factum, französisch le fait, waren auch einige Pareres von Savary überschrieben.462 Einige Gutachten des „­Parere-​ Buches“ wiesen darüber hinaus die Bezeichnung Casus463 oder Species facti über folgenden Casum464 auf. 2. Sachverhaltsdarstellung Nach der Überschrift folgte eine – in der Regel strenge465 – chronologische Darstellung des Sachverhalts. Ob diese, wie Johann Michael Leuchs in seiner Handlungswissenschaft behauptete, tatsächlich unstreitig war466, lässt sich nicht mehr nachweisen. Allerdings ist davon auszugehen, dass zumindest in Fällen, in denen Gerichte das Parere erbaten, diese tatsächlich den aus ihrer Sicht unstreitigen Sachverhalt mitteilten. So begann ein Parere vom 16. November 1719 mit einer unstreitigen Sachverhaltsdarstellung, der Repliken beider Parteien über noch streitige Punkte beigefügt waren. Der Rechtsstreit war in diesem Fall schon vor dem Schöffenrat anhängig gewesen und die Einholung des Pareres wurde hier vom Gericht erbeten, damit die „Herren Richtere informiret seyn mögen, was die Herrn Vorstehere allhiesiger Börse über unterstehende Frage nach dem Stylo und observantz derer Kauffleuthe vor Sentimenten högen“.467 Eine streitige Sachverhaltsdarstellung erfolgte im Parere vom 1. April 1730. Hier hatten sich A und B offenkundig nicht auf eine unstreitige Darstellung einigen können, sodass den Ausführungen des A jeweils die Replik des B folgte.468 Aus diesen Einzelfällen kann jedoch nicht der generelle Schluss, dass die Sachverhaltsschilderung in allen anderen Fällen tatsächlich unstreitig gewesen wäre, gezogen werden. In nahezu allen Pareres wurden die Personen nicht namentlich genannt, sondern durch Großbuchstaben oder Blankettnamen ersetzt.469 Besonders beliebt waren hier die Namen Titius, Sempronius und Mevius. Jüdische Beteiligte wurden regelmäßig zwar auch nicht namentlich genannt, bekamen jedoch meist auch kein Synonym,

461 U. a.: in folgenden Pareres: ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 10, 25.8.1696; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LIV, S. 133; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 183, 11.5.1728. 462 U. a.: Savary 1688 (wie Anm. 27), P I, S. 2; P IV, S. 19. 463 U. a.: ISG Frankfurt am Main, W  2/5  1.054, P  191, 30.3.1729; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 192, 28.4.1729; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 257, 16.10.1732. 464 U. a.: ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 219, 26.8.1730. 465 So auch: Leuchs 1822 (wie Anm. 36), § 254, S. 274. 466 Leuchs 1822 (wie Anm. 36), § 253, S. 272. 467 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 47. 468 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 211, 1.4.1730. 469 Hierüber berichten auch zahlreiche Lehrbücher und Nachschlagewerke. Ludovici schrieb sogar, dass die realen Namen nicht genannt werden dürften: Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1914; Leuchs 1822 (wie Anm. 36), § 254, S. 274; Süpke 1839 (wie Anm. 25), S. 27.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

sondern wurden im Parere als „Jude“ bezeichnet.470 In Paul Jacob Marpergers Neu-­ eröffnetem Handelsgericht wiesen die vereinzelt abgedruckten Pareres der Hamburger und Danziger Kaufleute sowie die Gutachten der Leipziger Kramerinnung ebenfalls keine Klarnamen, sondern Großbuchstaben oder Blankettnamen auf.471 In Ausnahmefällen wurden die tatsächlich Beteiligten jedoch nicht substituiert, sondern namentlich genannt. Eines der Gutachten aus den „Parere-Konzepten“ behandelte eine Rechtsstreitigkeit, in welche Mitglieder der berühmten Frankfurter ­Familie D’Orville verwickelt waren.472 Ein weiteres Gutachten dieses Bestandes, welches leider undatiert war, handelte von zwei Parteien namens Bertholson und Davidson. Auch das bereits erwähnte Parere vom 16. November 1719 nannte unter anderem die Gebrüder Metzler sowie Olenschlager & Compagnie namentlich. Die eigentlichen Streitparteien wurden jedoch auch hier durch A und B ersetzt.473 Die Anonymisierung der Parteien stellte allerdings den Normalfall dar. Höchstwahrscheinlich sollten die Kaufleute und ihr guter Ruf durch diese Maßnahme geschützt werden. Durch eine Nennung der tatsächlich beteiligten Parteien wären unter Umständen Geschäftsgeheimnisse publik geworden, was nicht absehbare Folgen für den Geschäftsbetrieb hätte haben können.474 Des Weiteren dürfte die Anonymisierung auch vor einer Befangenheit der Gutachter geschützt haben. Das betonten die Börsenvorsteher selbst in einer Anmerkung aus dem Jahr 1740. Hier sollten sie offenbar in Kenntnis der beteiligten Parteien ein Parere erteilen. Dies lehnten sie mit Hinweis auf die an allen „Kaufmansplätzen [übliche] Observantz“ ab. Überall sei es üblich, ein Parere nur „unter entlehnten nahmen oder Buchstaben“ zu erteilen, um sowohl Vorteile zu vermeiden als auch die Gunst „hoher Patronen“ nicht zu gefährden.475 Auch die französischen, bei Savary zusammengestellten Pareres wiesen regelmäßig Blankettnamen wie Jacques, Pierre oder Paul auf. Savary führte für die Anonymisierung „gewichtige Gründe“ der Parteien an. Welche diese hätten sein können, konkre470 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 227, 4.1.1731; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 240, 25.8.1731; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 248, 31.10.1731. 471 Vgl. für Hamburg: Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 135 ff.; für Danzig: Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 168 ff.; für Leipzig: Siegel 1742 (wie Anm. 95), S. 3 ff. Dies hat Frentz auch für die von ihr untersuchten Pareres im Hamburgischen Seeprozess von der Mitte des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt: Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 154. 472 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 6, 5.6.1694. 473 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 45 ff. 474 Vgl. zu dieser Problematik Amend-Traut, die Ursachen gegen eine Inanspruchnahme der Gerichte in kaufmännischen Streitigkeiten herausgearbeitet hat: Anja Amend-Traut, Konfliktlösung bei streitigen Wechseln im Alten Reich. Der Kaufmannsstand zwischen der Suche nach Alternativen zur gerichtlichen Geltendmachung von Forderungen und strategischer Justiznutzung, in: Rolf Lieberwirth / ​Heiner Lück (Hrsg.), Akten des 36. Deutschen Rechtshistorikertages Halle an der Saale, 10.–14. September 2006, Baden-Baden u. a. 2008, S. 162. Auch Richard hat angenommen, dass die Anonymisierung davor schützen sollte, die Gutachter zu beeinflussen: Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 183. 475 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, 17.3.1740.

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tisierte er allerdings nicht: „ceux qui consultent, ont des raisons tres fortes de cacher leurs veritables noms“. Darüber hinaus berichtete er, dass man sich anderenorts einbilde, unvoreingenommener entscheiden zu können, wenn man weder die Parteien noch ihre speziellen Umstände kenne.476 Neben der reinen Sachverhaltsschilderung wurden die Ausführungen nicht selten bereits mit Rechtsansichten unterlegt, indem Rechtsnormen, die häufig den unterschiedlichsten Wechselordnungen entnommen waren, hinzugezogen wurden.477 3. Frage Der Sachverhaltsdarstellung schloss sich die konkrete Rechtsfrage an, manchmal um die Bitte ergänzt, „unparteiisch ein Gutachten und Parere über die Species facti zu erstellen“.478 Diese Bitte trat, ähnlich formuliert, noch häufiger auf: „Hierüber nun wird ein unpartheyisches Handels-Parere und Gutachten ausgebeten“.479 Auffällig ist die explizite Forderung nach einem unparteiischen Gutachten. So wurde doch in der wechselrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts häufig die Parteilichkeit der Gutachter beanstandet.480 Gerieten die Sachverhaltsdarstellungen sehr lang, wurde der Sachverhalt häufig in den sich anschließenden Fragen zusammenfassend wiederholt.481 Auch die französischen Pareres waren so aufgebaut, dass der Sachverhaltsdarstellung die konkreten Fragen, eingeleitet mit der Formulierung, eine Meinung abzugeben, folgten: „L’on demande avis sur […] questions“.482 4. Gutachten In den Gutachten der „Parere-Konzepte“ sowie in einigen gedruckten Pareres483 folgte auf die zuvor gestellte Rechtsfrage unmittelbar eine Antwort. Eine Zwischenüberschrift war hier noch nicht eingefügt worden. Lediglich vereinzelt wurde das eigent476 Savary 1688 (wie Anm. 27), Vorwort, S. 3. 477 In E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 25 wurde beispielsweise die Wiener Wechselordnung herangezogen. 478 Vgl. ISG Frankfurt am Main, W  2/5  1.053, P  10, 25.8.1696; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 10a, 2.6.1696. 479 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VIII, S. 30; ähnlich auch P XXIV, S. 70; P XXVIII, S. 81. 480 Vgl. hierzu die Ausführungen unter C I. Auch der französische Schiedsrichter Jacques Savary sah sich dieser Kritik bereits 1688 ausgesetzt. So versicherte er im Vorwort seiner Pareres-Sammlung, niemals parteiisch gehandelt zu haben und sich jedweden Bestechungsversuchen einer Partei widersetzt zu haben: Savary 1688 (wie Anm. 27), Vorwort, S. 5. 481 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P  XX, S. 58; ISG Frankfurt am Main, W  2/5  1.054, P  182, 26.4.1728; dies empfahl auch Leuchs in seiner Handelswissenschaft: Leuchs 1822 (wie Anm. 36), § 254, S. 275. 482 Savary 1688 (wie Anm. 27), P I, S. 4. 483 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXV, S. 90 f.

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liche Gutachten mit Unvorgreifliches Gutachten oder auch Unvorgreifliches Sentiment, dann auch mit Parere und ein aus dem Jahr 1719 stammendes Gutachten mit Responsio484 tituliert. Es ist anzunehmen, dass die eben angeführten, leider undatierten Beispiele aus den späteren Jahren stammten, in denen schon die offizielle Vertretung der Kaufleute tätig war. So wiesen die in dem Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier abgedruckten Gutachten bis 1713 die Überschrift Responsio485, spätestens ab 1719 Unvorgreiffliches Sentiment486, Unvorschreibliches Sentiment487, Unpartheyisches Sentiment488, Unmaßgebliches Gutachten489 oder Unvorgreiffliches Gutachten490 auf. Um das Jahr 1719 war demnach ein Wechsel in der Überschrift vom lateinischen Begriff zu einer deutschen Umschreibung erfolgt. Die Motivation für diesen Wechsel lässt sich nicht mehr nachvollziehen und kann natürlich dem allgemeinen Vordringen der deutschen Sprache geschuldet sein. Allerdings erinnert die lateinische Überschrift Responsio auch an die Gutachten der Juristenfakultäten im Rahmen der Aktenversendung, die ebenfalls mit diesem Begriff tituliert sein konnten.491 Vielleicht wollte man sich hiervon bewusst abgrenzen und auf den Begriff Responsum verzichten, um den Eindruck der Parteilichkeit des Gutachtens zu vermeiden. Der Begriff Responsum wurde auch von den Spruchkollegien nur für Parteigutachten, nicht aber für Urteilsvorschläge, die unter der Überschrift Rationes decidendi abgefasst wurden, verwendet.492 Die nunmehr gewählten Varianten drückten durch die Begriffe unvorgreiflich, unvorschreiblich und unmaßgeblich eine sehr zurückhaltende, nicht zwingende und damit neutrale Lösung, wohl mehr als Vorschlag denn als einzig mögliche Entscheidung begriffen, aus. Ab dem Zeitpunkt des Überschriftenwechsels begann auch das Gutachten mit formelhaften Einleitungen wie „finden wir dem Handlungs-Stylo und der Billigkeit gemäß zu seyn“493, „nach der Billigkeit und dem Handlungs Stylo, unsere unmaßgebliche Meynung zu geben“494, „erachten wir unvorgreifflich dem Handlungs-Stylo und denen Wechsel-Rechten gemäß zu seyn“495, „so finden der Billigkeit so wohl, als auch dem täglichen Handlungs-Stylo allerdings gemäß zu seyn“496. Auch diese Formulierungen versuchten die Neutralität des Gutachtens hervorzuheben, welches den Verfassern zufolge eben zum einen abänderbar, nämlich unvorgreiflich oder unmaßgeb484 485 486 487 488 489 490 491 492 493 494 495 496

ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, 12.1.1719. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P I–P IV. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 22 ff., P VII, S. 27 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P IX, S. 32. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXVII, S. 95. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VI, S. 26 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VIII, S. 30. Oestmann 2008 (wie Anm. 59), Sp. 128. Amend 2008 (wie Anm. 22), S. 85. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 26. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VI, S. 27. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VII, S. 28. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VIII, S. 30.

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lich ist. Zum anderen stützten sie sich auf äußere Faktoren wie den Handlungs-Stil, das Wechselrecht im Allgemeinen oder die Billigkeit und versuchten damit die Subjektivität ihrer Gutachten zu neutralisieren.497 Exakt die gleichen Formulierungen verwandten bereits die Deputierten der Leipziger Kramerinnung in ihren Pareres Ende des 17. Jahrhunderts.498 Die Pareres des „Parere-Buches“ wiesen zunächst ebenfalls die Überschriften unvorgreifliches Sentiment499, unvorgreifliches Gutachten500 und unmaßgebliches Gutachten501 auf. In einigen Fällen fehlte auch hier die Überschrift, jedoch begann die formelhafte Einleitung mit den Worten „Auf obige Facti Speciem […] ist unser unvorgreifliches Sentiment“502 oder „Auf diesen Speciem facti und angefügten Umständen ist unsere unvorgreifliche Meinung“503. Ab 1729 wechselte die Überschrift in nahezu allen Gutachten zu dem Begriff Parere, bis ab 1734 wieder die Überschriften Unvorgreiffliches Sentiment und Unvorgreiffliches Gutachten dominierten.504

497 Der Begriff der „Billigkeit“ geht auf das mittelalterliche Rechtsdenken der Kommentatoren Bartolus und Baldus zurück, an deren Gedankengut auch die ersten profanen Gesamtdarstellungen des Handelsrechts anknüpften: Scherner 1999 (wie Anm. 9), S. 546, sodass zu vermuten ist, dass die Kaufleute sich hier an der zeitgenössischen handlungswissenschaftlichen Literatur orientierten. Von Baldus ist sogar überliefert, dass er einige seiner Konsilien für italienische Zünfte als „advocatus mercantiae civitatis Perusiae“ verfasste, siehe näher hierzu: Ulrich Falk, Consilia: Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (Rechtsprechung. Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 22), Frankfurt a. M. 2006, S. 254. 498 Siegel 1742 (wie Anm. 95), S. 4 ff. 499 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 181, 26.4.1728. 500 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 180, 16.2.1728; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 187, 7.7.1728; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 193, 13.5.1729. 501 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 186, 7.7.1728. 502 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 178, 16.1.1728; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 184, 5.6.1728. 503 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 183, 11.5.1728. 504 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 194, 8.4.1729 ist das erste Gutachten mit dieser Überschrift. Mit ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 278, 15.10.1734 fand der Wechsel zu den alten Überschriften statt. Während ab 1729 im „Parere-Buch“ die Zwischenüberschrift „Parere“ dominiert, weichen die Zwischenüberschriften der Gutachten, die sowohl im „Parere-Buch“ als auch im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier verzeichnet worden sind, voneinander ab. Im Vorsichtigen Banquier sind weiterhin die Überschriften „Unvorgreiffliches Sentiment“ und „Unvorgreifliches Gutachten“ verwendet worden. Da die Abweichung in der Zwischenüberschrift, neben marginalen Abweichungen bezüglich des im Werk angezeigten Seitenumbruchs, die einzigen Abweichungen vom Original sind, ist zu vermuten, dass dem Autor des Werkes ein anderes Original vorlag. Möglicherweise hat er die Gutachten nicht dem „Parere-Buch“ entnommen, sondern die Ausfertigung die an den Anfragenden erging, zugrunde gelegt. Dies zeigt allerdings, dass die Kaufleute den Begriff „Parere“ in der Zwischenüberschrift synonym zu den anderen neutralen Zwischenüberschriften verwandten.

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Auch die Hamburger Kaufleute leiteten ihre Gutachten mit den Begriffen Sentiment, unvorgreifliche Meynung und wenige Meinung sowie unvorgreifliches Bedenken, aber auch Antwort ein.505 Ähnlich behutsam begann Savary seine Pareres. Er verzichtete auf eine Zwischen­ überschrift, leitete sein Gutachten aber mit der vorsichtigen Formulierung, er meine zu wissen, ein: „Le soussigné, qui a pris lecture du mémoire cy-deffus, estime sçavoir“.506 Die der Einleitungsformel folgenden Ausführungen waren bei komplexen Sachverhalten, denen sich häufig mehrere Fragen anschlossen, auch im Gutachten in mehrere Unterpunkte unterteilt.507 Zunächst folgten allgemeine rechtliche Ausführungen. Im Anschluss wurde der oben dargestellte Sachverhalt subsumiert, woraus die konkrete Entscheidung folgte. Nicht selten wurden die Rechtsausführungen auf hinzugezogene Gesetze508 oder Wechselordnungen anderer Städte509 gestützt. Im Bestand der „Parere-Konzepte“ fanden sich auch noch Pareres, in denen nach der Sachverhaltsdarstellung mehrere kurze Gutachten von unterschiedlichen Personen verfasst wurden.510 Auch diese leider undatierten Gutachten dürften vor Etablierung der offiziellen Kaufmannsvertretung abgefasst worden sein. Die späteren Gutachten verfasste alle das Gremium als solches, sodass zu jeder Rechtsfrage lediglich ein Parere erstattet wurde. Mehrere Kurzgutachten, die von unterschiedlichen Kaufleuten zu einem Sachverhalt gefertigt wurden, lassen sich auch für Hamburg sowie Danzig nachweisen.511 Die Gutachten wurden fast ausschließlich in deutscher Sprache abgefasst. Lediglich dem Bestand der „Parere-Konzepte“ lag ein frühes Gutachten des Kaufmanns Peter d’Orville, bestätigt durch Seger von Uchelen, aus dem Jahr 1694 in flämischer Sprache bei. Diese Besonderheit lässt sich wohl mit der Herkunft der beiden Gutachter erklären. Möglicherweise kam die anfragende Partei aus dem gleichen Sprachraum, sodass eine deutsche Abfassung nicht zielführend gewesen wäre.512 505 Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 135 ff.; Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 155. 506 Savary 1688 (wie Anm. 27), P I, S. 4. 507 So z. B. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P IX, S. 32, P XI, S. 37; ebenso ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 11, welches leider undatiert ist, zeitlich aber zu den späteren Gutachten gezählt werden dürfte, da es bereits von vier Personen unterschrieben worden ist; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 185, 9.6.1728. 508 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P I, S. 17, hier die Frankfurter Reformation. 509 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P  XL, S. 102 f.; P  XLII, S. 108; P  XLIII, S. 118; P  LXXV, S. 185; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 206, 18.1.1730; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 295, 10.8.1736. 510 So z. B. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 3. 511 Für Hamburg, siehe: Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 135 ff., S. 180 ff. und Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 155; für Danzig, siehe: Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 168 ff. 512 Zu ausländischen Pareres-Anfragen in Nürnberg und Abfassung der Pareres in Flämisch, siehe: Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 128 f. In Hamburg wurden vereinzelt Gutachten zweisprachig, deutsch und flämisch, verfasst, da sowohl die Streitparteien als auch die Gutachter vielfach aus den Niederlanden eingewandert waren: Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 155.

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Aufbau der Gutachten

5. Schlussformel Die Pareres endeten je nach Entstehungszeitraum sehr unterschiedlich. Die frühen Gutachten schlossen regelmäßig mit „in Ffurt“, Datum und der Unterschrift eines einzelnen Gutachters. Hinter dem Parere P 4 des Bestandes ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053 ist ein weiteres Kurzgutachten ohne Unterschrift des Verfassers angehängt, welches mit der hier erstmals genutzten Formulierung „Salvo meliori iudicio“ endete.513 Diese Schlussklausel wurde, auch in ihrer abgekürzten Form „S.m.i.“ oder „S.m.j.“514 oder ähnlichen Formulierungen wie „Salvo tamen melius sentientium judicio“515, ab 1719 regelmäßig unter die Gutachten gesetzt. Manchmal stand an ihrer Stelle die Formulierung „einer bessern Meynung unvor­ greiflich“516 oder „besseren Sentiments uns unterwerffend“517. Die von Carl ­Günther Ludovici in seinem Nachschlagewerk aufgegriffene Klausel „daß sie allezeit einer bessern Meinung statt geben wollen, so lange aber diese nicht bewiesen würde, wäre indessen dieses ihr unmaßgebliches Bedünken“518 konnte im Frankfurter Bestand nicht nachgewiesen werden. Allerdings dürften die kürzer gehaltenen K ­ lauseln der Frankfurter Gutachter dasselbe zum Ausdruck gebracht haben. Die kurze Variante „Salvo meliori“ wies auch eines der Hamburger Gutachten auf, des Weiteren nutzten andere Gutachter ähnliche Formulierungen wie die Frankfurter Kaufleute.519 In den späteren Gutachten des „Parere-Buches“ wurde nach der Schlussklausel nur noch der Ort Frankfurt mit entsprechendem Datum angegeben. Die einzelnen Gutachter wurden weder im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier noch im „­Parere-Buch“ namentlich genannt. Dieser Umstand kann darauf zurückgeführt werden, dass beide Zusammenstellungen als Parere-Sammlung, mithin als Nachschlagewerk, gedient haben dürften. Darüber hinaus bestand nach Etablierung der offiziellen Vertretung der Kaufleute durch die Deputierten keine Notwendigkeit mehr, zu verdeutlichen, wer das Gutachten erstattet hatte, da immer das offiziell gewählte Gremium das Parere abfasste. Hingegen unterschrieben die Gutachter die Ausfertigung, welche der Rechts­ suchende erhielt, noch eigenhändig. Dies zeigten mehrere den Reichskammergerichts-

513 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 4, 1696.; ebenso ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 7, 16.10.1695, dem eine weitere, anonyme Stellungnahme, mit „S.m.i“. vom 27.10.1696 beigefügt ist; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 193, 13.5.1729. 514 So z. B. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 178, 16.1.1728. 515 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XIV, S. 43. 516 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P IX, S. 32; erstmals wurde diese Formulierung in ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 4 beigefügt: „der Meynung ist unvorgreiflich in Ffurt am Mayn, A.1696 Peter D’Orville“. 517 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P L, S. 128. 518 Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1915. 519 Marperger 1709 (wie Anm. 25), S. 135 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

akten beiliegende Gutachten.520 Mehrfach erschien die Formulierung, der Anfragende erbitte von den Kaufleuten „dero unpartheyisches Sentiment und Parere um die Gebühr schrifftlich beyzufügen / und mit dero Hand Unterschrifften gewöhnlicher massen zu bestärcken“.521 Einigen Gutachten aus dem 17. Jahrhundert war nach der Unterschrift des eigentlichen Gutachters, hier Peter D’Orville, der Vermerk: „Seger von Uchelen ist gleicher Meinung“ beigefügt worden.522 Hierbei handelt es sich im Grunde wieder um oben erwähntes Zweitgutachten der frühen Parere-Erstatter, welches mit Inkrafttreten der offiziellen Kaufmannsvertretung obsolet wurde. 6. Anlagen Hin und wieder enthielten die Gutachten noch Anlagen, die von den Rechtssuchenden beigelegt wurden. Sehr häufig wurden die streitbefangenen Wechsel523 oder Proteste524, aber auch andere Beilagen, wie z. B. ein Auszug aus einem Vertrag525, einem Vergleich und einem Testament526 oder Rechnungen527 angehängt.

III. Fallstudie Das der Fallstudie zugrunde liegende Parere der Frankfurter Kaufleute vom 23. November 1729 thematisiert nicht nur ein klassisches wechselrechtliches Problem, sondern erfüllt auch eine Vielzahl der in der Einleitung angedeuteten Funktionen. Dadurch ist dieses Gutachten besonders geeignet, exemplarisch anhand einer Detailstudie die Besonderheit der Pareres aufzuzeigen. Das untersuchte Parere ist sowohl im Bestand W 2/5 1.054 des ISG Frankfurt unter Nummer 204 im „Parere-Buch“ als auch gedruckt in dem Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier unter Nummer XCIII enthalten. Der Fallstudie liegt das handschriftliche Gutachten aus dem Bestand W 2/5 1.054 zugrunde. Die nur marginalen

520 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 5, 18.3.1735; ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, Q 19; ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 24; ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Q 13; ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]; ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 186, Q 13. 521 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIX, S. 171; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 5, 18.3.1735. 522 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 5, 22.4.1695; ähnlich ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 10, 25.8.1696 und ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 10a, 2.6.1696. 523 So z. B. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 60 f.; P XXXVIII, S. 97; P LI, S. 130. 524 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 179, 20.1.1728. 525 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 224, 2.11.1730. 526 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.053, P 2. 527 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LIX, S. 149; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 197, 30.8.1729; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 263, 12.3.1733.

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Fallstudie

Abweichungen zwischen dem Gutachten aus dem „Parere-Buch“ und der gedruckten Fassung haben inhaltlich keine Relevanz. 1. Sachverhalt Philippus aus Eichelberg hatte einen Solawechsel528, zahlbar bei Ptolomeus in Wien, an die Order des Alexander529 in Eichelberg ausgestellt (1.  Schritt im Schaubild). Alexander stellte nun ein Blankoindossament530 an Antigonus in Eichelberg aus (2. Schritt), der den Wechsel an Seleucus in Frankfurt ebenfalls blanko indossierte (3. Schritt). Seleucus vervollständigte das Indossament des Antigonus (4. Schritt), als er eine Weiterverhandlungsmöglichkeit (5. Schritt) gefunden hatte, beließ das erste Indossament aber blanko. Inzwischen musste Alexander Insolvenz531 anmelden. Daraufhin wies Philippus in Kenntnis dessen Ptolomeus an, bei Vorlage des Wechsels (6. Schritt) nicht an den Präsentanten zu zahlen (7. Schritt). Vielmehr verwies er nach dem seitens des Präsentanten erhobenen Protest (8. Schritt) auf die Eichelberger Wechselordnung. Nach dieser sei ein Blankoindossament nicht zulässig. Der Inhaber des Wechsels müsse sich an den ersten Giranten, in diesem Falle den insolventen Alexander, halten, mit welchem er als Ausgeber richtig abrechnen werde. Des Weiteren beharrte Philippus darauf, dass er von den Giranten, die Alexander in der Kette folgten, nicht in Anspruch genommen werden könne, sondern diese sich an Alexander halten müssten. Denn nach der Eichelberger Ordnung werde der Inhaber eines Blankoindossaments, der das Indossament nicht ausfüllt, sondern blanko belässt, nur als Kommissionär desjenigen angesehen, an dessen Order der Wechsel ausgestellt worden war. Insofern könnten sie lediglich als Kommissionäre des Alexander betrachtet werden. Der Sachverhaltsschilderung folgte die Bitte, dass die „Franckfurther Herren Wechsel- und Handlungs-Verständigen [ein] Parere über folgende Fragstücke geziemend“ erteilen mögen.532

528 Eigenwechsel: Der Aussteller ist auch der Bezogene. Beim Solawechsel steht die Kreditfunktion des Wechsels im Vordergrund, die es dem Aussteller ermöglicht, seine Zahlungsfrist durch den Wechsel zu verlängern. 529 Durch den Orderwechsel wurde Alexander mit der Übertragung des Wechsels beauftragt. 530 Beim Blankoindossament handelt es sich um ein Indossament, bei welchem der Indossatar (Empfänger des Wechsels) nicht genannt wird. Es besteht lediglich aus der Unterschrift des Indossanten (Übertragender). Dadurch kann der Wechsel wie ein Inhaberpapier übertragen werden. 531 Die in der Arbeit verwendeten Begriffe „Konkurs“ und „Insolvenz“ fußen auf der Definition von Christian O.  Schmitt, der in seiner Dissertation über frühneuzeitliche Konkursverfahren „Konkurs“ als Oberbegriff bei Liquiditätsproblemen, „Insolvenz“ ausschließlich für die Zahlungsunfähigkeit definiert hat: Christian O. Schmitt, Säuberlich banquerott gemachet. Konkursverfahren aus Frankfurt am Main vor dem Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 66), Köln 2016, S. 12 f. 532 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 54.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Solawechsel

Philippus (Eichelberg)

Alexander (Eichelberg)

1. an die Order

Aussteller u. Bezogener

(Remittent/Wechselnehmer)

2. Blankoindossament

8. t ro

lp

se

h ec W

Antigonus (Eichelberg)

t

es

Ptolomeus (Wien) Zahlstelle

4. Vervollständigung

6. V orl

age

7. Z weg ahlungs en B v lank erweige oind r ossa ung men ts

des

3. Blankoindossament

Seleucus (Frankfurt)

We ch

sels 5. Indossament

Präsentant

Grafik 2  Schaubild zum Sachverhalt des Pareres vom 23. November 1729, ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, 23.11.1729. Eigene Darstellung der Autorin.

1. Warum Blankoindossamente in den meisten Wechselordnungen verboten seien? 2. Ob dieses Verbot auch für Giranten gelte, die in Handlungsplätzen wohnten, in denen das Blankoindossament nicht verboten sei? 3. Wie weit der Blankoeffekt gehe? Ob sich der Aussteller eines Solawechsels oder der Akzeptant durch den Blankoeffekt von ihrer Verpflichtung gegenüber den anderen Indossanten befreien und diese an den ersten, der blanko indossiert habe, verweisen könnten? 4. Ob Philippus sich darauf berufen und zu Recht die Indossanten an den insolventen Alexander verweisen könne oder ob er nicht trotz seiner Einwendungen selbst zur Zahlung an Antigonus verpflichtet sei?

Den Fragen folgte ein Auszug aus der Obrigkeitlichen Verordnung von Eichelberg (Eichelberger Wechselordnung) vom 8. Juni 1728, in welcher das Blankoindossament ausdrücklich untersagt wurde.533 Für den Fall der Zuwiderhandlung sollte, 533 „Daß hinkünfftig, wann ein Wechselbrief durch Endossement an einen andern übertragen werden wollte, jedesmahl des Name desjenigen, an welchen die Ubertragung beschiehet, gemeldet, und zugleich unter welchem Tag und Dato solche beschehen, auch daß dagegen die Valuta und

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wie bereits im Sachverhalt vorgetragen, der Inhaber lediglich als Bevollmächtigter desjenigen angesehen werden, an dessen Order der Wechselbrief ausgestellt worden war. In dem sich nun anschließenden Gutachten erörterten die Frankfurter Kaufleute die aufgeworfenen Fragen und zogen für ihre begründete Stellungnahme sowohl Vorschriften aus der Wiener Wechselordnung als auch das klassische Nachschlagewerk zum Wechselrecht, Johann Christian Königks Der Stadt Leipzig Wechselordnung mit nöthigen und nützlichen Anmerckungen versehen, sowie ein Parere der Leipziger Kramermeister heran. Der Einleitungsformel „Auf vorstehendes Factum und demselben angehenckte Fragen, sind wir der ohnmaßgeblichen Meinung“ folgte das eigentliche Gutachten, welches allgemeinen Rechtsausführungen die Subsumtion des konkreten Sachverhalts folgen ließ. Die erste Frage betraf das Verbot von Blankoindossamenten in den meisten Wechselordnungen. Dieses führten die Frankfurter Kaufleute auf die massiven Missbrauchsmöglichkeiten, die ein nicht vollständig ausgefüllter Wechsel bot, zurück. Sie argumentierten, blanko girierte Wechsel könnten, wenn sie verloren gingen oder entwendet würden, nachträglich ausgefüllt und gegen Bargeld an einen unschuldigen Dritten verkauft werden. Damit werde der Blankogirant um den richtigen Verlauf gebracht, was die Gefahr vieler Prozesse und Unannehmlichkeiten berge. Gerade im Insolvenzfall könnten mit Blankoindossamenten „gottlose Streiche“ gespielt werden, zumal der Missbrauch der blanko indossierten Wechsel „in puncto usurariae pravitatis“534 nur schwer aufgedeckt werden könne. Hinsichtlich der zweiten Frage, ob die Verbote auch Giranten treffen, an deren Wohnort das Blankoindossament nicht verboten sei, argumentierten die Kaufleute mit dem Geltungsbereich des partikularen Rechts. Sie definierten die Wechselrechte eines Handlungsortes als statuta loci, die nur insofern auf auswärtige und fremde Handlungsplätze ausgedehnt würden, als der Landesherr oder Magistrat hierüber auch seine Jurisdiktion erstrecken könne. Auf den vorliegenden Fall bezogen und bereits die Antwort auf die dritte Frage vorwegnehmend, stellten sie fest, dass Alexander durch das Blankoindossament gegen die Eichelberger Wechselordnung verstoßen habe. Antigonus habe sich ungeachtet der Tatsache, dass er ebenfalls Eichelberger sei und damit die Statuten hätte kennen müssen, durch die Annahme des blanko indossierten Wechsels einer schweren Nachlässigkeit schuldig gemacht. Indem er das Indossament unausgefüllt belassen und der Werth praestirt und geliefert worden, beygesetzt, fort darunter der Name des Indossenten eigenhändig gesetzet und geschrieben werde, widrigenfalls und da solches gemeldter massen nicht beschiehet, mithin das Indossement bloß allein in Bianco gestellt, und also nicht ausgefüllt wäre / der Inhaber eines solchen Wechselbriefs nicht anders als ein Commiss oder Bevollmächtigter desjenigen, an wessen Ordre der Wechselbrief ausgestellet, angesehen, gehalten, und darnach bescheidet werden solle.“: Auszug aus der Eichelberger Wechselordnung nach ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 55. 534 Zinswucher.

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damit den von Alexander begangenen Fehler schweigend hingenommen habe, habe er zugelassen, selbst nur als Gehilfe des Alexander angesehen zu werden. Andererseits, führten die Handlungsvorsteher an, müsse der Aussteller eines anderenorts zahlbar gestellten Solawechsels qualitativ nicht allein einem Aussteller, sondern vielmehr einem Bezogenen, der den Wechselbrief wirklich zur Zahlung akzeptiere, gleichgestellt werden. Dann träfen ihn die Rechtsfolgen, die den Wechselgewohnheiten und -rechten zufolge den Aussteller und den Bezogenen sonst träfen. Schließlich müsse sich der Aussteller für den Fall, dass er seinen Wechsel nicht richtig einlöse, auch den Wechselstatuten des Zahlungsortes unterwerfen. Somit habe sich in diesem Fall Philippus, indem er seinen Wechsel in Wien zahlbar gestellt habe, allein aber schon dadurch, dass er diesen in Wien mangels Zahlung habe in Protest gehen lassen, sich der Wiener Wechselordnung als Akzeptant unterworfen. Im Übrigen seien sich alle Wechselordnungen darin einig, dass der Girant eines protestierten Wechsels vom Aussteller oder Akzeptanten – in diesem Fall beides Philippus – Zahlung begehren könne, sodass dieser sich erst recht an die Regelung der Wiener Wechselordnung halten müsse. Im Grunde sei es auch richtig, dass nach Art. XXXIII der Wiener Wechselordnung das Blankoindossament ebenfalls gänzlich verboten sei und dieses Verbot somit auch für Philippus gelte. Allerdings müsse nach Art. V und VI der Wiener Wechselordnung ohnehin der Aussteller oder Akzeptant eines Wechsels ausnahmslos zahlen, sodass das Verbot des Blankoindossaments in Wien nicht den Sinn haben könne, den Aussteller eines Solawechsels oder einen Akzeptanten dadurch von der Zahlung zu befreien, dass ein Girant sein Indossament zufällig oder auch erlaubterweise absichtlich blanko indossiere. Die Gutachter bekundeten deswegen der „ohmaßgeblichen doch auf das Wechsel-​ Recht, und die Billigkeit gegründeten Meynung“ zu sein, dass ein Blankogirant die aus dem Blankoindossament resultierenden Schäden tragen müsse. Dadurch dürften jedoch weder Aussteller noch Akzeptant noch ein vorangehender Indossant von ihrer Zahlungspflicht befreit werden und dadurch die empfangene Valuta als Gewinn einstreichen. Im Übrigen sei es unter Handlungs- und Wechselverständigen eine ausgemachte Sache, dass ein solch „offener Giro“ nicht nur vor, sondern auch nach dem Protest noch ausgefüllt werden könne. In diesem Punkt verwiesen die Frankfurter Kaufleute auf § IX535, No. 6 von Königks Anmerkungen über die Leipziger Wechselordnung und griffen zudem auf ein Parere der Leipziger Kaufleute zurück. In diesem hätten die Leipziger Herren, deren Ordnung in Art. IX536 ebenfalls ein solches Verbot enthalte, die Auswirkungen und Konsequenzen eines Blankoindossaments genauso erläutert.

535 Hier dürfte § XI gemeint gewesen sein, da dieser sich mit dem Blankoindossament befasste. Auch die gemeinten Kommentierungen in Königks Werk lassen sich zu § XI und nicht zu § IX finden. 536 Auch hier handelt es sich nicht um Art. IX, sondern § XI der Leipziger Wechselordnung.

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Darüber hinaus komme in diesem Fall noch die Besonderheit hinzu, dass der Wechsel von Philippus an die Order des Alexander ausgestellt und diesem der Wechsel ausgehändigt worden sei. Alexander habe ihn sodann blanko an Antigonus indossiert, ohne dass der Wechsel nochmals zu Philippus gegangen sei, sodass dieser vom Blankoindossament eigentlich nichts habe wissen können. Die Frankfurter Kaufleute schürten nun den Verdacht, dass entweder Philippus und Alexander das Blankoindossament Alexanders vereinbart hätten, um gegen den nächsten Indossanten eine Exzeption zu haben, oder dass Alexander während oder nach seiner Insolvenz dem Philippus das Blankoindossament gestanden habe, damit dieser es dem auf Alexander folgenden Indossanten statt einer Zahlung entgegenhalten könne. Da in Wechselsachen der Grundsatz des guten Glaubens gelte, so die Frankfurter Kaufleute, ergehe in so einem Fall eine scharfe richterliche Ahndung, sodass dieser Fall nicht nach der Wiener Wechselordnung, sondern den Eichelberger Statuten zu beurteilen sei. Diese ermöglichten Antigonus, anhand seiner Bücher oder anders zu beweisen, dass er die Valuta für den Wechsel tatsächlich bezahlt hatte und damit nicht nur der Kommissionär des Alexander war. Die Frankfurter Kaufleute resümierten zum Schluss ihres Gutachtens, dass es sehr schlecht für das Wechselgeschäft sei, wenn sich Philippus mit seinem Vorbringen von seiner Zahlungspflicht befreien könne, erst recht, wenn bewiesen werden könne, dass die Wechselsumme gezahlt worden sei. Philippus solle vielmehr dazu angehalten werden, ohne Widerrede den Wechsel mit Kapital, Zinsen, Retourkosten und anderen Spesen zu zahlen. Die Gutachter schlossen das Parere mit der üblichen Formel Salvo meliori judicio und datierten es auf den 23. November 1729. 2. Aufbau des Pareres Der Sachverhalt des Pareres wurde mit Species Facti überschrieben. Einer knappen Sachverhaltsdarstellung folgte die Bitte an die Kaufleute, ein Parere zu erstellen, gefolgt von vier mit arabischen Ziffern nummerierten Fragen. Den Fragen schloss sich ein Auszug aus der Eichelberger Wechselordnung vom 8. Juni 1728 an. Die darauffolgenden mit „Parere“ betitelten Ausführungen der Frankfurter Kaufleute wirken in ihrem Aufbau zunächst weder stringent, noch scheinen sie einer zwingenden Logik zu folgen. Untersucht man den Aufbau allerdings näher, stellt sich dieser als geschickte Argumentation heraus. Zunächst beantworteten die Gutachter der Reihenfolge der Fragen entsprechend die ersten beiden Fragen und bezifferten ihre Ausführungen auch entsprechend. Anschließend scheint diese Reihenfolge jedoch willkürlich aufgebrochen worden zu sein, da die Erörterung der Artikel 5 und 6 der Wiener Wechselordnung nicht unmit­ telbar die Frage beantwortete, ob der Aussteller eines Solawechsels oder der Akzeptant sich durch Verweis auf den Blankogiranten von seiner Zahlungspflicht befreien könnte.

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Dieser Einschub, bei dem im Grunde eine Risikoverteilung aufgezeigt wird, sowie die weiteren Erörterungen, wann das Indossament noch eingefügt werden könne, und der sich daran anschließende Betrugsvorwurf gegenüber Philippus und Alexander dienten jedoch den Frankfurter Kaufleuten als Argumentationshilfe, um eine Anwendung der offenbar für Antigonus günstigeren Regeln der Eichelberger Wechselordnung zu rechtfertigen. Sodann schlossen die Kaufleute das Parere mit ihrer Entscheidung und der üblichen Schlussformel Salvo meliori judicio. 3. Auslegung a) Einordnung der äußeren Umstände Im vorliegenden Parere wählten die Gutachter zur Wahrung der Anonymität Blankett­ namen, statt die Klarnamen der beteiligten Personen zu offenbaren537, sodass eine Zuordnung zu den historisch beteiligten Personen leider unmöglich ist, da sich aus dem Text keine Anhaltspunkte ergeben, die Rückschlüsse auf die Identität der Beteiligten zulassen. Ebenso kann die dritte neben Wien und Frankfurt im Parere erwähnte Stadt, Eichelberg, nicht mehr eindeutig identifiziert werden.538 537 Zu dieser Thematik mehr unter C II. 2. 538 Vgl. auch: Breustedt 2015 (wie Anm. 26), S. 267. Es könnte sich um das heutzutage zu Östringen (Landkreis Sinsheim) gehörende Eichelberg, das ca. 13 km südwestlich von Sinsheim und 12 km nordwestlich von Eppingen in Baden-Württemberg liegt, handeln. Eichelberg geht auf eine römische Siedlung zurück, lag an einer alten römischen Handelsstraße, betrieb hauptsächlich Weinanbau – ein mögliches Exportgut – und gehörte im 17. Jahrhundert zeitweise der Kurpfalz an, vgl.: Heinrich Böhm, Unbekannter Kraichgau. Weinort Eichelberg und Stift Odenheim, Heidelberg 1946, S. 20 ff. Eichelberg fiel 1615 an das Hochstift Speyer zurück: Böhm 1946 (ebd.), S. 35, welches, nahezu ganz vom pfälzischen Gebiet umschlossen, als pfälzischer Satellitenstaat galt: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Das Land Baden-Württemberg: amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, Band I: Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Stuttgart 1977, S. 216. Die im Parere angeführte Obrigkeitliche Eichelberger Ordnung wurde den Frankfurter Kaufleuten zufolge am 8. Juni 1728 erlassen. An diesem Tag wurde in der Tat die kurpfälzische Wechselordnung erneuert: Johann Heinrich Bender, Grundsätze des deutschen Handlungs=Rechts […], Zweiter Band: Grundsätze des deutschen Wechselrechts […], Darmstadt 1828, § 369, S. 615, Fn.f. Ob sie über den gleichen Regelungsgehalt verfügte, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen, da die erneuerte Ordnung von 1728 nicht mehr erhalten ist. Trotz allem ist insbesondere aufgrund der geographischen Nähe wahrscheinlich, dass es sich inhaltlich um besagte kurpfälzische Wechselordnung handelte. Auch die Nähe zur französischen Grenze und der französische Einfluss auf das im Pfälzischen Erbfolgekrieg teilweise französisch besetzte Bistum Speyer sprechen für besagtes Eichelberg, da die Regelungen in der Ordnung stark an die französischen Bestimmungen der Ordonnance sur le Commerce von 1673 angelehnt sind. Offen bleibt lediglich die Frage, warum ein verhältnismäßig kleines Dorf wechselrechtliche Regelungen hätte benötigen sollen. Hier liegt die Vermu-

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Der Sachverhalt gibt keine Auskunft über den Auftraggeber des Gutachtens, ebenso wenig über den Verwendungszweck desselben. Allerdings können anhand der Fragestellung sowie der Interessenlage der beteiligten Personen Rückschlüsse auf den Auftraggeber gezogen werden. Zunächst bleibt festzuhalten, dass Philippus und Alexander kein Interesse an einer rechtlichen Klärung des Falles gehabt haben dürften, da es für sie am günstigsten gewesen wäre, wenn das Ergebnis, dass der ohnehin zahlungsunfähige Alexander aus dem Wechsel verpflichtet ist, Bestand gehabt hätte. Der Präsentant des Wechsels wurde nicht namentlich genannt, sodass nicht davon auszugehen ist, dass dieser der Auftraggeber des Gutachtens war. Ptolomeus erlangte in diesem Konflikt keine eigene Bedeutung; er dürfte vielmehr ein Kommissionär des Philippus gewesen, zumindest diesem rechtlich zuzuordnen sein. Demnach kommen nur Seleucus und Antigonus als Auftraggeber in Betracht. Nachdem der Präsentant den Wechsel in Wien bei Ptolomeus nicht einlösen konnte, wird er sich wohl an den letzten Indossanten in der Kette, nämlich Seleucus gewandt haben. Für Seleucus als Auftraggeber spricht, dass er als Einziger der Beteiligten aus Frankfurt kam und der Sachverhalt schließlich den Frankfurter Kaufleuten zur Entscheidung vorgelegt wurde. Darüber hinaus betraf die zweite Frage, ob das Verbot auch für Giranten gelte, die in Handlungsplätzen wohnten, in denen das Blankoindossament nicht verboten sei, nur Seleucus, der als Einziger an einem solchen Handelsplatz wohnte. Wie aus dem vorgetragenen Sachverhalt und der auszugsweise erwähnten Eichelberger Wechselordnung entnommen werden kann, war das Blankoindossament in Eichelberg verboten. In Frankfurt hingegen hatte im Jahr 1729 noch die Wechselordnung von 1666/76 Gültigkeit. Diese erwähnte in § 11 lediglich das Indossament als solches und ließ dieses erstmals zu. Das Blankoindossament wurde in dieser Wechselordnung noch gar nicht aufgegriffen, war aber demnach auch nicht verboten. Für Antigonus als Auftraggeber sprechen aber wesentlich mehr Aspekte. So ist die vierte Frage nicht auf eine allgemeine Zahlungspflicht des Philippus gerichtet, sondern es wird explizit die Verpflichtung gegenüber Antigonus erfragt. Darüber hinaus entschieden sich die Frankfurter Kaufleute für die Anwendung der Eichelberger Ordnung, da diese Antigonus ermöglichte, anhand seiner Bücher den Zahlungsnachweis zu erbringen. Dieser Aspekt wäre für Seleucus nicht von Interesse gewesen und da auch nicht Eichelberg, sondern Wien der Zahlungsort war, hätte man gegenüber Seleucus, der nicht aus Eichelberg, sondern aus Frankfurt kam, wohl kaum die Eichelberger Ordnung anwenden können. Im Übrigen war Antigonus als Einziger noch Inhaber eines Blankoindossaments. Seleucus hatte das zweite Blankoindossament des Antigotung nahe, dass Eichelberg ein Synonym für eine größere, an einer alten Handelsroute gelegenen Stadt im Erzbistum Speyer war, in deren Gebiet entweder die kurpfälzische Wechselordnung galt oder eine Ordnung gleichen Inhalts erlassen wurde. Die Verwendung eines Synonyms hätte auch hier der Anonymisierung des ganzen Verfahrens dienen können, da anderenfalls durch die Angabe des Ortes möglicherweise schon Rückschlüsse auf die beteiligten Parteien hätten gezogen werden können, was nicht erwünscht war.

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nus an ihn selbst nachträglich ausgefüllt, sodass an dieser Stelle die Indossantenkette lückenlos nachweisbar war, womit bereits das nächste Argument offenkundig wird. Seleucus konnte sich aufgrund dieser Tatsache noch an Antigonus halten und war nicht darauf angewiesen, dass Philippus zur Zahlung verpflichtet wird. Lediglich Antigonus hatte nur noch die Möglichkeit, sich entweder an den insolventen Alexander zu halten, was kaum ertragreich gewesen wäre, oder als letzte Möglichkeit, Philippus in Anspruch zu nehmen. Die beiden oben dargestellten Gesichtspunkte, die für Seleucus als Auftraggeber sprechen, können auch hinsichtlich der Position des Antigonus erklärt werden. Zum einen dürfte es in Eichelberg keine fachkundigen Kaufleute gegeben haben, die ein Gutachten hätten anfertigen können, sodass womöglich Seleucus, der sicherlich versucht hatte, Antigonus in Anspruch zu nehmen, diesem geraten hatte, sich an die Frankfurter Kaufleute zu wenden. Zum anderen könnte die auf den ersten Blick hinsichtlich Antigonus unpassende zweite Frage diesem dann zum Vorteil gereicht haben, wenn er im Falle einer positiven Antwort – nämlich der Irrelevanz des Blankoverbots für Giranten, die an einem Ort wohnen, an dem das Blankoindossament zugelassen war – Seleucus hätte überzeugen können, sich an Philippus zu halten, da dieser ihm den Einwand des Verbots des Blankoindossaments nicht hätte entgegenhalten können. Aus diesen Erwägungen kann zwar nicht der sichere, aber immerhin der wahrscheinliche Schluss gezogen werden, dass Antigonus das Parere in Auftrag gegeben hatte. Ob er das Gutachten nun in einem streitigen Verfahren vor Gericht als Beweis vorlegen oder aber außergerichtlich als Argumentationshilfe für seine Rechtsposition einsetzen wollte, kann aufgrund der Quellenlage nicht mehr geklärt werden. b) Verbot des Blankoindossaments Zentraler Untersuchungsgegenstand des Gutachtens war das Blankoindossament. Das bereits in der ersten Frage unterstellte weitläufige Verbot des Blankoindossaments wurde seitens der Kaufleute nicht nur bestätigt, sondern unter Hinweis auf die massiven Missbrauchsmöglichkeiten auch bekräftigt. Tatsächlich war das Blankoindossament in zahlreichen bedeutenden deutschsprachigen Wechselordnungen verboten.539 So untersagten unter anderem § XI der Leipziger Wechselordnung vom 2. Oktober 1682, Art. XXVII der Danziger Wechselordnung vom 3. März 1701, Art. XXVI der Magdeburger Wechselordnung vom 25. April 1703, Nr. 11 der Augsburger Wechselordnung vom 27. Oktober 1707 und Kap. 9, § 2 der Wechselordnung aus dem Jahr 1716 das Blankoindossament. Des Weiteren wurde es in Art. 14 der Bremer Wechselordnung vom 22. März 1712, in Art. XLIII der Braunschweiger Wechselordnung vom 1. August 1715, in § XVIII der Breslauer Wechselordnung aus dem Jahr 1716, in Art. XXXIII der Wechselordnung für die Stadt Wien und das Erzherzog539 Im Folgenden wurden nur die Wechselordnungen herangezogen, die bereits vor dem Jahr 1729, in dem das Parere erstellt wurde, in Kraft waren.

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tum Österreich unter der Enns vom 10. September 1717, in § 4 der Altenburgischen Wechselordnung aus dem Jahr 1720, Art. XXXII der Preußischen Wechselordnung aus dem Jahr 1724 und Art. VIII der Weimarer Wechselordnung vom 18. Juli 1726 untersagt. Somit wurde das Blankoindossament an den zu dieser Zeit bedeutendsten Wechselplätzen Leipzig, Danzig, Augsburg, Breslau und Wien untersagt, lediglich am zentralen Umschlagplatz Frankfurt durfte ein Blankoindossament 1729 ausgestellt werden. Dies lässt sich auf oben bereits erwähnten Umstand, dass die im Jahr 1729 geltende Frankfurter Wechselordnung von 1666/76 sich dieser Problematik noch gar nicht widmete, zurückführen. Allein die Zulassung des Indossaments als solches war 1666 bereits revolutionär gewesen. Das komplexere Konstrukt des Blankoindossaments hatte man noch gar nicht gekannt.540 Die Frankfurter Kaufleute führten das Verbot darauf zurück, dass missbräuchlich in die Indossamentenkette eingegriffen werden könne, was im Einzelfall jedoch schwer nachweisbar sei. Sie stellten den Insolvenzfall als besonders hohes Risiko heraus. Die meisten Wechselordnungen begründeten das Verbot des Blankoindossaments nicht. Lediglich die Weimarer Wechselordnung vom 18. Juli 1726, die nicht nur das Blankoindossament, sondern gleich das mehrfache Indossieren, sprich Girieren, verbot, lieferte eine Begründung. Danach führe das Girieren grundsätzlich zu „Unterschleif und Unrichtigkeit“.541 Hier wurde bereits durch den Umlauf des Wechsels eine erhöhte Missbrauchsmöglichkeit befürchtet. Dieser Sorge wurde auch in der Altenburger Wechselordnung Ausdruck verliehen, die das Verbot des Blankoindossaments zwar nicht begründete, jedoch dem Indossieren an sich schon kritisch gegenüberstand: „jedoch die Indossemente in bianco gäntzlich abgeschaffet seyn, und der Geber solcher Wechsel-Briefe den Giro […] compliren, weilen auch durch das vielfältige indossiren oder trassiren öffters Falsa begangen werden […] ein jeder Richter aber nach Pflichten gehalten seyn, wo bey dergleichen Wechsel-Briefen der geringste Verdacht eines Falsi vorwaltet, solches genau zu untersuchen, und denjenigen, der dessen überführet wird, nachdrücklich zu bestrafen“.542 In der deutschsprachigen wechselrechtlichen Literatur, die bis zum Jahr des untersuchten Pareres, 1729, erschienen war, wurde das Verbot des Blankoindossaments nur selten begründet. 540 Vgl. zum starken Widerstand gegen die Einführung des Indossaments: Anja Amend-Traut, Indossament, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II: Geistliche Gerichtsbarkeit – Konfiskation, 2. Auflage, Berlin 2012, Sp. 1210. Das Indossament war selbst in Italien im 17. Jahrhundert vielfach noch verboten, so z. B. in Florenz, Venedig und im Königreich Neapel. Bis zur Einführung des Indossaments waren die Wechsel vielfach mit Hilfe notarieller Urkunden übertragen worden, siehe: Felloni 1991 (wie Anm. 4), S. 17. 541 Art. VIII der Weimarer Wechselordnung vom 18.7.1726, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 92), S. 2–6, S. 3. 542 § 4 der Altenburger Wechselordnung von 1720, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 2–6, S. 3 f.

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Eine der wenigen Stellungnahmen stammt von Jacob Friederich Ludovici. Er führte ebenfalls die Gefahr des Missbrauchs bei einem möglichen Verlust oder Diebstahl an.543 Diesem Argument schloss sich auch Johann Christian Königk in seinen Anmerkungen zur Leipziger Wechselordnung an. Darüber hinaus betonte er die Betrugsmöglichkeiten im Insolvenzfall und sah eine Gefahr in der völlig freien Wahl des nächsten Inhabers. Diese führe zu einem Kontrahierungszwang mit einer beliebigen Person, ohne dass es noch möglich sei, sich darauf zu berufen, dass man an diesem Ort und zu dieser Zeit nicht mit der Person kontrahiert habe: „Geschieht es nun / daß der Wechsel=Brieff auff einen solchen indossiret wird / mit dem er nicht gerne zu thun hat / so muß er es nun haben / und kann hernachmahls damit / daß er mit demjenigen / auf welchen das Indossament eingerichtet / kein Wechsel=Nego­ tium geschlossen / oder daß einige Umstände wegen der Zeit / und des Orts nicht einträffen / sich nicht behelffen“.544 Königks Begründung zeigt, welch große Bedeutung die persönliche Geschäftsverbindung zwischen den einzelnen Kaufleuten, die durch die Anonymität des Indossierens automatisch relativiert wurde, zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch hatte. Eine ausführliche Begründung zum Verbot des Blankoindossaments bot Jacques Savary in seinem Parere XXXVII. Neben einigen anderen Gründen, die speziell den Besonderheiten des französischen Rechts geschuldet waren, sah auch er eine große Missbrauchsgefahr bei verlorenen Wechselbriefen.545 Darüber hinaus befürchtete er Vertuschungsmöglichkeiten im Erbfalle546 und das Ausnutzen des Blankoindossaments im Insolvenzfall. Hier gab er zu bedenken, dass sowohl ein insolventer Inhaber eines Blankoindossaments dieses durch einen Freund einziehen lassen könne, um dadurch berechtigte Ansprüche seiner Kreditoren zu umgehen, als auch ein insolventer Schuldner den blanko indossierten Wechsel an einen Gläubiger seiner Wahl geben und damit die Rangfolge der Gläubiger unterlaufen könne.547 Savary benannte als ersten seiner neun Verbotsgründe, wie auch später die Frankfurter Kaufleute in ihrem Gutachten, die Gefahr, durch Blankoindossamente wucherische Geschäfte zu ermöglichen. Als Beispiel führte er an, dass ein in Geldsorgen befindlicher Kaufmann oder ein spielwütiger Jüngling dringend Geld benötige. Dieser stelle beispielsweise einen Wechsel über 20.000 liv. aus und erhalte im Gegenzug 15.000 liv. in bar und 5000 liv. in Form eines blanko indossierten Wechsels. Diesen könne er mangels Solvenz des Bezogenen nicht liquidieren und den Blankoindossanten aufgrund seiner Anonymität nicht in Regress nehmen.548 Zuletzt wies auch Savary, ähnlich wie später die Frankfurter Kaufleute, auf die daraus resultierenden zahlreichen Prozesse und Verwirrungen,

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Ludovici 1713 (wie Anm. 25), § XXV, S. 76. Königk 1717 (wie Anm. 1), S. 30. Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere XXXVII, S. 403. Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere XXXVII, S. 402. Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere XXXVII, S. 401. Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere XXXVII, S. 400 f.

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die dadurch im Handelswesen entstünden und zur ökonomischen Verschlechterung der beteiligten Parteien und des Handels führten, hin: „lesquels differends renversent & bourleversent toute l’oeconomie du commerce, & ruinent & cosomment les parties en frais“.549 Praktisch führten die zahlreichen Verbotsgründe trotz allem nicht zur Durchsetzung des Verbots, da die Vorteile des Blankoindossaments überwogen. Dass es sich bei Blankoindossamenten um ein alltägliches Phänomen handelte, zeigen nicht nur die Verbote in zahlreichen Wechselordnungen, sondern wurde auch von Königk in seinen Anmerkungen bestätigt: „denn dergleichen Indossaments [Blankoindossamente] geschehen hier und anderswo noch täglich“550. Auch die Leipziger Kramermeister berichteten vom alltäglichen Gebrauch desselben: „So halten wir davor, daß […] das Indossement in bianco, weil solches gleichwohl, auf denen Handels=Plätzen beständig in Usu, allerdings annoch zu statten kommen“.551 Der Einschätzung, dass die Blankoindossierung von Wechseln üblich war, schloss sich auch Johann Adam Beck in seinem wechselrechtlichen Traktat an.552 Der Vorteil des Blankoindossaments manifestierte sich in seiner Wirkung gleich einem Inhaberpapier. Mit diesem Argument befürwortete Heinrich Zipffel in seiner 1683 erschienenen Abhandlung über Wechselbriefe das Blankoindossament: „Circa indossament in bianco vel blanco, in weiß oder offen / notandum, quod ille qui per tale documentum in blanco à Debitoris assignantis factore pecunia acceperet, non pro se retinere, sed ut ad massam restituat, cogi queat. Ratio quia Endossement in blanco non habetur pro cessione & assignatione, sed tantum ad apocham & quietantiam data“.553 Funktional konnte das Blankoindossament die Anonymität der beteiligten Parteien wahren und ermöglichte dem Inhaber somit die bloße Weitergabe des Papiers, ohne selbst aus der Indossamentenkette verpflichtet werden zu können.554 Die bloße Weitergabe ohne Festlegung auf einen Indossatar wurde vor allem zu Spekulationszwecken und im Kommissionsgeschäft genutzt, damit der Kommittent anonym bleiben konnte.555 Die mit dem Blankoindossament verknüpften Vorteile führten so weit, dass das Verbot in einigen zeitgenössischen Schriften zum Wechselrecht relativiert wurde. So legte Johann Christian Königk in seinen Anmerkungen zur Leipziger Wechsel549 Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere XXXVII, S. 404. 550 Königk 1717 (wie Anm. 1), S. 29. 551 Parere der Leipziger Kramermeister vom 26. Oktober 1691, abgedruckt in: Siegel 1742 (wie Anm. 95), P V, S. 5–7, S. 6. 552 Beck 1729 (wie Anm. 108), Cap. III, § 15, Rn. 6, S. 112. 553 Heinrich Zipffel, De tesseris collybisticis vulgo von Wechsel=Brieffen […], Leipzig 1683, Sect. VI, § 29, S. 64. 554 Vgl. zum Verhältnis zwischen Blankoindossament und Vollindossament: Peter Opitz, Der Funktionswandel des Wechselindossaments, Berlin 1968, S. 65. 555 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), Cap. VI, § 47, S. 226 f.

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ordnung das Verbot des Blankoindossaments nach § XI der Leipziger Wechselordnung von 1682 nicht als strikte Untersagung aus. Vielmehr sah er darin lediglich das Erfordernis eines anderen Legitimationsnachweises, der den Inhaber des Wechselbriefes zur Einforderung der Valuta berechtigte. Seine Ausführungen stützte er auf ein Parere der Leipziger Kramermeister vom 2. März 1695, in dem die Gutachter das Blankoindossament bei Nachweis einer anderen Legitimation billigten: „wenn aber der­jenige / der die Zahlung praetendiret / auff andere Art durch absonderliche Cession, der verhandenen Missiven zum Wechsel=Brieffe / daß ihm solcher rechtmäßiger Weise zukomme / sich legitimiren kan / mag ihm der Umstand / daß der Giro in bianco blieben / nicht schaden.“556 Auch die Frankfurter Kaufleute relativierten das Verbot, indem sie einen anderen Legitimationsnachweis zuließen und darüber hinaus in ihrer Entscheidung auf die Möglichkeit hinwiesen, das Indossament nachträglich noch ergänzen zu können. So bekundeten sie in ihrem Gutachten, es sei „unter Handlungs=und Wechsel Verständigen […] eine ausgemachte Sache, daß man einen solchen offenen Giro […] nicht allein einige Zeit vor, sondern auch so gar nach dem Protest annoch behörend auszufüllen befugt ist.“557 Ihre Ausführungen stützten sie auf Königks Anmerkungen sowie das von diesem herangezogene, oben bereits erwähnte Parere der Leipziger Kramermeister vom 2. März 1695. Tatsächlich sprach sich Königk unter Verweis auf das – leider nur auszugsweise bei Königk abgedruckte – Gutachten der Kramermeister dafür aus, das Indossament auch nach Protesterhebung noch ausfüllen zu dürfen.558 Allerdings bezog Königk diese Befugnis explizit nur auf den Indossanten. Im Frankfurter Fall wäre aber die Frage, ob jeder, also auch der Indossatar, nachträglich ausfüllen darf, entscheidend gewesen. Die Möglichkeit, noch sehr spät das Indossament ergänzen zu dürfen, bestätigten die Leipziger Kramermeister in einem weiteren Parere aus dem Jahr 1707. Dort erweiterten sie dann tatsächlich die Befugnisse und gestanden sogar dem Indossatar zu, „bey Anstellung der Wechsel=Klage, und vor Einhebung derer Gelder, gehöriger massen zu compliren wohlbefugt“ zu sein.559 Auch diese Entscheidung führte, wenngleich sie etwas anders gelagert war, da es hier nicht um das Ausfüllen nach Protesterhebung, sondern vor Erhebung der Wechselklage ging, zu einer Aufweichung des Verbots und relativierte durch die Ausweitung der Ausfüllungsbefugnis auf den Indossatar das Verbot noch mehr.

556 Zitiert nach: Königk 1717 (wie Anm. 1), S. 30. 557 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 58. 558 „Es fraget sich aber hierbey / wenn ein Giro nicht gleich zu Anfange compliret worden / zu welcher Zeit solches noch geschehen könne? Antw. Zu ieder Zeit / auch nach geschehener Protestirung derer Wechsel=Briefe“, Königk 1717 (wie Anm. 1), S. 31. 559 Parere der Leipziger Kramermeister vom 11. August 1707, abgedruckt in: Siegel 1742 (wie Anm. 95), P LXV, S. 72–73, S. 73.

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Ferner gestanden sowohl die Juristenfakultät Halle in einem im Jahr 1707 nach Nürnberg mitgeteilten Responsum als auch Samuel Stryk und Johann Adam Beck in ihren wechselrechtlichen Abhandlungen dem Indossatar zu, das Blankoindossament selbst ausfüllen zu dürfen.560 Als Selbstverständlichkeit begriff das nachträgliche Ausfüllen durch den Indossatar auch Jacques Savary, der dies als wechselrechtlichen Brauch bezeichnete.561 Das Zugeständnis an jeden Inhaber eines blanko indossierten Wechsels, das Indossament ergänzen zu dürfen und dies nicht ausschließlich als Befugnis des Indossanten zu erachten, war allerdings nicht unumstritten und in einigen Wechselordnungen explizit verboten.562 Mit der zwar umstrittenen, aber in der Praxis doch stark verbreiteten und durch die zeitgenössische Literatur weitgehend anerkannten Möglichkeit, dass der Indossatar – auch noch nach Protesterhebung – das Indossament ergänzen durfte, wurde das Verbot des Blankoindossaments relativiert, sodass ein striktes Festhalten an ihm nicht nur der Wechselpraxis hinderlich, sondern als Entscheidung auch unbillig gewesen wäre. Somit wurde die zunächst so scheinbar strikte Zurückweisung des Blankoindossaments durch die Frankfurter Kaufleute durch ihr Zugeständnis, den „offenen Giro“ auch nach Protesterhebung noch ausfüllen zu dürfen, relativiert und entsprach damit einer breiten Meinung der zeitgenössischen wechselrechtlichen Natur. c) Rechtsfolge Die dadurch ohnehin vorhandene Umgehungsmöglichkeit führte in der Entscheidung der Frankfurter Kaufleute schlussendlich zu einer pragmatischen Lösung. Sie verurteilten zwar das Blankoindossament aufgrund seiner Gefährlichkeit und bürdeten die aus der Anwendung desselben resultierenden Schäden dem Blankogiranten auf. Allerdings begrenzten sie dessen Haftung insoweit, als der Aussteller nicht aufgrund des Blankoindossaments bessergestellt werden konnte. 560 Responsum abgedruckt bei: Ludovici 1713 (wie Anm. 25), Cap. IV, § 88, S. 120. Ludovici selbst war der Ansicht, nur der Blankoindossant sei zum Ausfüllen des Indossaments befugt, vgl. Cap. IV, § 26, S. 77; Samuel Stryk, Disputatio juridica de jure assignationis inter mercatores […], Hamburg 1708, § XLIX, S. 48; Beck 1729 (wie Anm. 108), Cap. VI, § 18, Rn. 2, S. 258. 561 Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere VIII, S. 87. 562 Vgl. hierzu Opitz 1968 (wie Anm. 554), S. 61. Opitz behauptet dies auch für die Regelung der Wiener Wechselordnung von 1717. Diese besagt in Art. XXXIII allerdings nur, dass der „Geber oder Girant eines solchen [Anm. d. Verf.: blanko indossierten] Wechselbriefes schuldig seyn, den Giro, wie sichs gebühret, völlig, auch mit Beysetzung des Datums und empfangener Valuta zu stellen.“ Daraus kann lediglich die Verpflichtung des Ausstellers bzw. Indossanten, das Indossament sowie Datum und Valutaempfang auf dem Wechsel zu vermerken, herausgelesen werden. Zur Frage des späteren Ausfüllens durch einen der Beteiligten, seien es nun Aussteller, Indossant oder Indossatar, wird an dieser Stelle der Ordnung entgegen Opitz Behauptung nichts gesagt.

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Dies führte in der vorliegenden Entscheidung zur Anwendung der Eichelberger Ordnung anstatt der Wiener Wechselordnung. Die Frankfurter Kaufleute empfanden diese als sachgerechter und waren der Meinung, dass im Fall einer gerichtlichen Entscheidung aus Gründen des guten Glaubens die Eichelberger Statuten angewendet werden würden: „da in Wechsel=Sachen alles bona fide gehen, und im Befindungs=Fall scharffe Richterliche Ahndung meritiren würde, solte auch dieser […] Casus nicht nach dem Wiener, sondern nach den Eichelbergischen Wechsel=Statuten decidirt werden“.563 Die Eichelberger Ordnung sah eine Rechtsfolge vor, die sich erheblich von den anderen deutschsprachigen Wechselordnungen unterschied. Nur wenige Wechselordnungen normierten Rechtsfolgen eines Blankoindossaments. Die Bremer Wechselordnung von 1712 ermöglichte nach Art. XV dem Präsentanten, „in einer gewissen Zeit das Indossement richtig zu liefern […] und zu des Acceptanten Versicherung genugsame und annehmliche Bürgschaft“ zu bestellen. Ähnlich regelte dies Art. XXXII der Preußischen Wechselordnung von 1724, der den Inhaber zur Bereitstellung einer ausreichenden Kaution verpflichtete. Nach der Breslauer Wechselordnung von 1716 war der Aussteller gemäß § XVIII erst dann zur Zahlung verpflichtet, wenn das Indossament vollständig ausgefüllt war, damit die Indossamentenkette lückenlos nachvollzogen werden konnte. Die Bereitstellung einer Sicherheit entfiel durch diese Regelung natürlich, da der Aussteller kein Risiko eingehen musste. Nach der in Rede stehenden Eichelberger Ordnung wurde das Blankoindossament als Prokuraindossament behandelt; eine Handhabung, die vor allem in Frankreich üblich war.564 Die Ordonnance sur le Commerce regelte, dass derjenige als Eigentümer eines blanko indossierten Wechsels galt, an dessen Order der Wechsel ausgestellt worden war: „Les lettres de change endossées dans les formes prescrites par l’article pré­ cédent appartiendront à celui au nom duquel l’ordre sera rempli, sans qu’il ait besoin de transport ni de signification.“565 Der Inhaber des blanko indossierten Wechsels konnte danach lediglich als Vertreter desjenigen, an dessen Order der Wechsel ausgestellt worden war, betrachtet werden. So wurde der Inhaber des Blankoindossaments auch nach der Eichelberger Ordnung nicht als Eigentümer betrachtet. Der Wechsel legitimierte ihn lediglich, diesen als Kommissionär bzw. Bevollmächtigter des Remittenten, an dessen Order der Wechsel ursprünglich ausgefüllt war, im vorliegenden Fall Alexander, einzuziehen: „mithin das Indossement bloß allein in Bianco gestellt, und also nicht ausgefüllt wäre / der Inhaber eines solchen Wechselbriefs nicht anders als ein Commiss oder Bevollmächtigter desjenigen, an wessen Ordre der Wechselbrief ausgestellet, angesehen, gehalten, und darnach bescheidet werden solle.“566

563 564 565 566

ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 59. Vgl. hierzu Opitz 1968 (wie Anm. 554), S. 60, Fn. 21. Ordonnance de Louis XIV, sur le commerce […], Paris 1673, titre V, art. 24. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 55.

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Demnach wurde sowohl nach der französischen Ordonnance sur le Commerce als auch nach der Eichelberger Ordnung der Remittent, an dessen Order der Wechsel ursprünglich ausgestellt worden war, als Eigentümer betrachtet. Der Inhaber des blanko indossierten Wechsels konnte nur noch als Bevollmächtigter gelten.567 Savary entschied in seinen Pareres, die Blankoindossamente zum Gegenstand hatten, auf Grundlage der Ordonannce du Commerce. Dementsprechend sei der Ausgeber nicht zur Zahlung verpflichtet, da lediglich ein schlechtes Indossament vorliege568. Vielmehr könne man darin nur eine Quittung über die Valutazahlung sehen.569 Indes gingen die Eichelberger Regelungen wohl über die Rechtsfolge der Ordonannce du Commerce hinaus. Den Frankfurter Kaufleuten zufolge570 gestattete die Eichelberger Ordnung dem Inhaber des Blankoindossaments, den Zahlungsnachweis anhand seiner Bücher zu erbringen. Damit sollte er nicht mehr nur als Bevollmächtigter gelten, sondern selbst berechtigt sein, die Forderung einzuziehen: „so würde Antigonus seines Orths, jedoch dadurch alle ihme im Weg stehende Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, wann er durch seine Bücher oder sonsten erweise, daß er für den quaestionirten Wechselbrief die Valuta würcklich zahlt, und also dabey nicht mehr als des Alexandri Commiss. regadirt werden könnte.“571 Den Zahlungsnachweis anhand der Bücher zu erbringen, gestatteten auch die Leipziger Kramermeister in einem Parere vom 26.10.1691: „Wenn nun aber der Inhaber des Briefes anderweit durch seine Bücher oder sonst bescheinigen könnte, daß er den Wechsel=Brief bona fide erlanget, und die Valuta davor gegeben […]; So erhalten Wir davor, daß ihm das Indossement in bianco, weil solches gleichwohl auf denen Handels=Plätzen beständig in Usu, allerdings annoch zu statten kommen, und der Ausgeber des Briefes Interim, biß die Bescheinigung ihre Richtigkeit erlanget, nach Anleitung der Churfürstl. Sächß. Wechsel=Ordnung §. XI. das Geld gerichtlich zu deponiren, gehalten werden müsse.“572 Anders als in der vorliegenden Frankfurter Entscheidung zog der erfolgreiche Legi­timationsnachweis nicht die Zahlungsverpflichtung des Ausstellers nach sich, 567 Heydiger vertrat in seiner Anleitung zum Wechselrecht die These, dass der Inhaber des Blankoindossaments als Vertreter in eigener Sache anzusehen sei. Er behandelte das Indossament als Zession: „Jedoch führet dergleichen indossement nicht jederzeit eine schlechte procuram oder ordre nach sich; sondern es geschiehet jeweil vermittelst derselben eine cession, und wird alsdann der adjectus procurator in rem suam.“: Johann Jakob Heydiger, Kurze Anleitung zu gründlichem Verstand des Wechsel=Rechts, Köln 1715, Cap. V, S. 36. 568 Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere I, S. 5. 569 Savary 1688 (wie Anm. 27), Parere XXXIII, S. 340 f.; Parere XXXVII, S. 397. 570 Leider wurde diese Passage der Eichelberger Ordnung nicht in der Frankfurter Entscheidung abgedruckt. Vielmehr paraphrasierten die Gutachter an dieser Stelle den Wortlaut der Ordnung, sodass eine Überprüfung desselben nicht mehr möglich ist. 571 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 59. 572 Parere der Leipziger Kramermeister vom 26. Oktober 1691, abgedruckt in: Siegel 1742 (wie Anm. 95), P V, S. 5–7, S. 6. Mehr zur Beweiskraft kaufmännischer Bücher in Handelsstreitigkeiten, siehe: Kapitel IV. 13.).

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sondern sah vor, dass dieser die Valuta bis zum Ausfüllen des Indossaments bei Gericht deponierte.573 Die gerichtliche Deposition der Wechselsumme war in § XI der Leipziger Wechselordnung, auf welchen die Kramermeister verwiesen, für das Blankoindossament nicht explizit vorgesehen. Der Wortlaut der Ordnung bezog sich lediglich auf Prima-, Sekunda- und Tertia-Wechsel, die kein vollständig ausgefülltes Indossament hatten, nicht aber auf das Blankoindossament. Die vom Wortlaut nicht gedeckte Rechtsfolge im Leipziger Parere scheint ähnlich dem Frankfurter Gutachten vor allem praktischen Prämissen geschuldet gewesen zu sein. Die Wechselsumme zu deponieren oder die Valuta an den Inhaber des Wechsels gegen Kaution zu zahlen, bis die Legitimation nachgewiesen war, schlug auch Beck vor, der sich neben der Leipziger Wechselordnung und Königks Ausführungen auf die Danziger und die Braunschweiger Wechselordnung bezog.574 Letztere bezog sich aber dem Wortlaut zufolge, gleichsam der Leipziger Wechselordnung, nur auf die Prima-, Sekunda- und Tertia-Wechsel. Die Danziger Wechselordnung von 1701 sah in Art. XXVII hingegen beide Möglichkeiten in der Tat auch für das Blankoindossament vor. Trotz des vermeintlich strikten Verbots fällten die Frankfurter Kaufleute, indem sie sich auf die Eichelberger Verordnung stützten, somit eine Billigkeitsentscheidung, die den Bedürfnissen des Handelsverkehrs Rechnung trug. Bereits Marquard betonte in seinem Traktat zum Handelsrecht, dass in kaufmännischen Streitigkeiten die Billigkeit, die aequitas, im Vordergrund stehe und es nicht auf juristische Spitzfindigkeiten ankomme, sondern vielmehr die veritas negocii zwischen ihnen gelte.575 Die Entscheidung der Frankfurter Kaufleute unterschied sich indes insofern von den anderen Meinungen, die ein Blankoindossament als zulässig erachteten, als sie keine Risikobegrenzung für den Aussteller vorsah. Die Kaufleute betrachteten zum einen das nachträgliche Ausfüllen als legitim. Zum anderen entschieden sie für den Fall eines positiven Zahlungsnachweises anhand der Bücher des Antigonus, dass Philippus als Aussteller zur Zahlung verpflichtet sei, ohne ihm hierfür eine Sicherheit in Form einer Kaution oder gerichtlichen Gelddeponierung zu bieten. Die auf den ersten Blick den Blankogiranten stark bevorzugende Lösung erscheint dennoch sachgerecht. Der Aussteller war nach der Frankfurter Entscheidung erst dann zur Zahlung verpflichtet, wenn der Nachweis des Blankogiranten erbracht worden war, dass er die Wechselsumme gezahlt hatte und er somit ein ordentlicher Indossant war. Wurde der Nachweis erbracht, ergab sich aus diesem schlussendlich eine lückenlose Indossamentenkette, die den Aussteller auch zur Einlösung des Wechsels verpflichtet hätte, wenn von Anfang an kein Blankoindossament vorgelegen hätte. 573 So auch ein weiteres Parere der Leipziger Kramermeister vom 18.7.1694, abgedruckt in: Siegel 1742 (wie Anm. 95), P XIII, S. 14. 574 Beck 1729 (wie Anm. 108), § 17, S. 257. 575 Marquard 1662 (wie Anm. 31), Lib. III, Cap. VII, n. 4; Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 119 f.

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Mit der Erbringung des Zahlungsnachweises entfiel auch die Unsicherheit über die einzelnen Indossanten, da diese nicht mehr anonym bleiben konnten. d) Anwendbares Recht Die Frankfurter Kaufleute wandten im vorliegenden Parere die Eichelberger Wechselordnung, mithin das Recht des Ausstellungsortes, und nicht die Wiener Wechsel­ ordnung, das Recht des Erfüllungsortes, an. Welches Recht der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollte, war häufig streitig und wurde in der zeitgenössischen wechselrechtlichen Literatur kontrovers diskutiert, jedoch nicht begründet.576 Die Anwendung der Eichelberger Ordnung, also das Recht des Ausstellungsortes, führte, wie oben aufgezeigt, zur Zahlungsverpflichtung des Philippus. Zunächst jedoch konstruierten die Frankfurter Kaufleute die Anwendbarkeit der Wiener Wechselordnung, die keine Rechtsfolge für den Gebrauch eines Blankoindossaments vorsah. Sie stellten hinsichtlich der anzuwendenden Wechselordnung auf den Zahlungsort, hilfsweise den Ort, in dem der Wechsel in Protest gegangen war – mithin in beiden Fällen Wien –, ab. Das Recht des Erfüllungsortes anzuwenden, weil dort der Protest zu erfolgen hatte, entschied auch der Frankfurter Schöffenrat in einer Streitsache Ende des 18. Jahrhunderts.577 Die Frankfurter Kaufleute stellten im vorliegenden Fall sodann heraus, dass alle Wechselordnungen dem Akzeptanten die Zahlungsverpflichtung aufbürdeten, so auch die Wiener Wechselordnung in ihren Artikeln fünf und sechs. In der Tat normierte die Wiener Wechselordnung in Art. V die Zahlungsverpflichtung des Akzeptanten mit dem einfachen Satz „chi accetta paghi“ und stellte klar, dass dieser zahlen muss, gleichgültig, ob er zuvor die Valuta erhalten hatte oder nicht. Art. VI verpflichtete darüber hinaus auch Nichtkaufleute zur Zahlung, wenn sie einen Wechsel akzeptiert hatten. Die aus den Artikeln fünf und sechs folgende Zahlungsverpflichtung des Akzeptanten stand allerdings in keinem Zusammenhang mit dem Blankoindossament, welches nach Art. XXXIII der Wiener Wechselordnung untersagt war. An diesem Punkt zogen die Frankfurter Kaufleute nun den gewagten Schluss, dass Art. V und VI die ausnahmslose Zahlungsverpflichtung des Akzeptanten normiere, die nicht dadurch beseitigt werden könne, dass nun zufällig ein Blankoindossament vorliege. Diese recht konstruierte Argumentation diente den Frankfurter Kaufleuten nun als erster Rechtfertigungsgrund in ihrer Billigkeitsentscheidung, die zur Anwendung der Eichelberger Wechselordnung führte, weil nur diese dezidiert eine Zahlungsverpflichtung des Philippus begründete. Als nächstes Argument in der Kette führten die Gutachter ein unterstelltes kollu­ sives Verhalten Philippus’ und Alexanders an, was sie aus der Kenntnis Philippus’ über das Vorliegen eines Blankoindossaments indizierten. Mit der sodann folgenden Begründung, dass in Wechselsachen der Grundsatz des guten Glaubens gelte, und dem 576 Vgl. hierzu die Ausführungen bei: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 226 ff. 577 Streitsache dargestellt bei Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 226 ff.

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ultima-ratio-Argument schlechthin, dass jede andere Entscheidung schlecht für das Wechselgeschäft sei, vollzogen die Frankfurter Kaufleute schließlich eine Kehrtwende und erklärten, dass allein mit der Anwendung der Eichelberger Wechselordnung ein sachgerechtes Ergebnis erzielt werden könne. e) Exkulpationsmöglichkeit Die zweite an die Gutachter gestellte Frage zielte auf eine etwaige Exkulpationsmöglichkeit für einen Giranten, an dessen Wohnort das Blankoindossament nicht verboten war, ab. Die Frage wurde von den Frankfurter Kaufleuten nicht explizit beantwortet. Vielmehr erklärten sie, dass die Wechselrechte als statuta loci regelmäßig nicht auf auswärtige Handlungsplätze ausgedehnt werden könnten. Sie gingen damit nicht auf die Frage ein, ob sich das Recht auf einen fremden Giranten erstrecken könne, sondern konstatierten, dass das Wechselrecht als lokales Recht nicht auf einen anderen Handlungsplatz ausgedehnt werden könne. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass Seleucus, der in Frankfurt den Wechsel blanko indossierte, in dem Moment nicht unter die Eichelberger Ordnung und damit das Verbot fallen konnte, womit die Kaufleute stillschweigend die angefragte Exkulpationsmöglichkeit befürworteten. Für den Fall, dass Antigonus den Zahlungsnachweis nicht erfolgreich anhand seiner Bücher durchführen konnte, boten die Frankfurter Kaufleute ihm hiermit eine weitere Lösung. Antigonus hätte, wie oben bereits ausgeführt, Seleucus überzeugen können, sich nicht an ihn, sondern an Philippus zu wenden. Dieser hätte sich aufgrund der genannten Exkulpationsmöglichkeit für Seleucus nicht mehr auf das Verbot des Blankoindossaments berufen können, da es für Seleucus als Frankfurter Kaufmann keine Geltung gehabt hätte. 4. Funktion des Pareres Die vorliegende Fallstudie zeigt exemplarisch, welche Funktion die Pareres erfüllten bzw. welche Informationen aus allein einem einzelnen Gutachten herausgezogen werden können. Das Gutachten bietet nicht nur vertiefte Einblicke in historische Ereignisse und die Praxis des Wechselrechts. Es beweist vielmehr, dass Integrität für die Kaufleute das höchste Gut war und das Publikwerden handelsrechtlicher Konflikte um jeden Preis vermieden werden sollte. Dies zeigt vor allem die Anonymisierung der beteiligten Parteien und die Verschleierung ihrer Herkunftsorte. Mit der Konfliktvermeidung gingen Vertrauen als Basis der Handelsbeziehung und Pragmatismus, den Handelsverkehr funktional zu halten, einher. Wie wichtig Vertrauen war, manifestiert sich vor allem in der Entscheidung, aus Gründen des guten Glaubens die Eichelberger Statuten der Wiener Wechselordnung vorzuziehen. Die Funktionalität des Handelsverkehrs dürfte neben der Integrität der wichtigste Grund der Konfliktvermeidung gewesen sein. Nur ein ungestörter Ablauf, bei dem

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nicht zwingend die Einhaltung der Rechtsordnung im Vordergrund stand, konnte, wie die Billigkeitsentscheidung der Frankfurter Kaufleute zeigt, den Bedürfnissen des Handelsverkehrs ausreichend Rechnung tragen. Neben diesen wichtigen Einblicken in die Praxis des Handelsverkehrs bietet die Analyse des Falles darüber hinaus Aufschluss über die Funktion der Pareres. Fast alle bereits angedeuteten Funktionen578 können anhand der Fallstudie nachgewiesen werden. Zum einen dürfte sich das Gutachten angeboten haben, den Konflikt außergerichtlich beizulegen. Ob dies konkret wirklich so gehandhabt wurde, lässt sich allerdings nicht nachvollziehen. Zum anderen zeigt das Gutachten das Bedürfnis nach einer Sondergerichtsbarkeit. Neben einem möglichen Interesse an außergerichtlicher Klärung aus Gründen der Konfliktvermeidung kommt vor allem in Betracht, dass Antigonus wechselrechtliche Kenntnisse begehrte. Obwohl er selbst Eichelberger war, wandte er sich an die doch recht weit von ihm entfernt sitzenden, aber des Wechselrechts kundigen Frankfurter Kaufleute, um deren Expertise einzuholen. Diese hätte sein heimatliches Gericht sicherlich nicht gehabt. Die vertiefte wechselrechtliche Kenntnis der Frankfurter Kaufleute zeigt sich in ihrem Wissen um das weitverbreitete Verbot des Blankoindossaments in den deutschsprachigen Wechselordnungen. Aber auch ihre wissenschaftliche Herangehensweise zeugt von einer hohen Professionalität. Die Handlungsvorsteher zogen zum Vergleich sowohl Königks Erläuterungen als auch wechselrechtliche Spezialliteratur sowie ein Parere der Leipziger Kramermeister und die Wiener sowie die Eichelberger Wechselordnung heran. Kenntnis und Vorgehensweise beweisen, wie rechtsvergleichend die Frankfurter Kaufleute arbeiteten, und zeigen damit, dass die Pareres rechtsvereinheitlichend wirken konnten. Die Rechtsvereinheitlichung manifestiert sich allerdings nicht nur in der Arbeit der Frankfurter Kaufleute, sondern zeigt sich bereits in den einzelnen Wechselordnungen. So ist auffällig, dass das Verbot des Blankoindossaments an allen wichtigen Handelsorten – aus oben bereits erörterten Gründen mit Ausnahme Frankfurts – galt und in den einzelnen Wechselordnungen auch sehr ähnlich ausformuliert worden war. Dass diese Rechtsvereinheitlichung ihre Grenze nicht im deutschsprachigen Raum fand, sondern sogar das Ausland miteinbezog, zeigt sowohl die der französischen Ordonnance sur le Commerce sehr ähnliche Rechtsfolge der Eichelberger Ordnung als auch die Begründungen der Frankfurter Kaufleute zum Verbot des Blankoindossaments, die stark an die lange zuvor niedergeschriebenen Argumente des Franzosen Savary anknüpften. Ziemlich sicher kannten die Deputierten die Schrift Savarys. Zum einen war sie 1729 im Reich bereits weit verbreitet. Zum anderen besaß Johann Matthias Bansa als einer der 1729 begutachtenden Handlungsvorsteher zahlreiche Warenlager in Frankreich und dürfte des französischen Wechselrechts und somit auch der Schriften Savarys kundig gewesen sein. 578 Siehe hierzu die Ausführungen in Teil A III. 4. b).

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Schlussendlich kann auch die rechtsfortbildende Funktion der Pareres an dieser Fallstudie exemplarisch aufgezeigt werden. Während die Frankfurter Wechselordnung von 1666/76, wie oben bereits erläutert, das Blankoindossament noch nicht regelte, sah die Wechselordnung von 1739 eine Rechtsfolge für das Blankoindossament vor. Gemäß Art. XL der Verordnung war das Blankoindossament nicht verboten: „Und obschon auch sonsten ein Wechselbrief, so ohne Endossement oder erhaltene Cession präsentiret wird, acceptiret werden muß“. Jedoch musste der Inhaber bei Verfallzeit, wenn er die Forderung aus dem Wechsel stellte, seine Legitimation nachweisen können, anderenfalls musste der Akzeptant oder der Bezogene die Valuta bis zum endgültigen Beweis deponieren oder gegen Kaution freigeben. Inhaltlich entsprach die in der Wechselordnung von 1739 neu eingeführte Regelung somit dem Gutachten der Frankfurter Kaufleute. Der Aussteller bzw. Bezogene wurde von der Zahlungsverpflichtung nicht frei, jedoch musste sich der Inhaber des Blankoindossaments legitimieren können.

IV. Inhaltliche Auswertung der Gutachten Die Pareres enthielten unterschiedliche Fragestellungen, die, wie die quantitative Auswertung gezeigt hat, zu 85 % wechselrechtlicher Natur waren. Im Folgenden sollen insbesondere die wechselrechtlichen Probleme skizziert werden, mit denen sich die Frankfurter Kaufleute befassten. Betrachtet wird die Lösung der jeweiligen Problemstellung unter Einbeziehung der Rechtsgrundlagen, welche die Kaufleute in ihrer Begründung herangezogen haben. Darüber hinaus wird auch überprüft, ob die Entscheidung der Börsenvorsteher mit der Frankfurter Wechselordnung von 1666/76 konform war oder ob sie sich über geltendes Recht hinwegsetzten. 1. Anwendbares Recht In einigen Fällen beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute mit der Anwendbarkeit des Wechselrechts. Ein Parere vom 31. August 1731 grenzte den Wechsel vom Darlehen ab. Der Anfragende erbat von den Kaufleuten die Auskunft, ob Wechselgeschäfte mit „leyhenden Capitalien / und Reichs=Constitutionsmäßigen Interressen, gemeinschafft haben“. Die Gutachter betrachteten den Wechsel nicht als geliehenes Kapital, sodass eine Verzinsung nicht in Betracht kam. Sie stellten vielmehr klar, dass etwaige Erhöhungen nicht auf Zinsen, sondern steigende Wechselkurse zurückzuführen seien.579 Die Kaufleute erachteten ihre Antwort wohl als so selbstverständlich, dass sie diese weder auf eine konkrete Rechtsgrundlage – was auch schwierig geworden wäre – noch auf 579 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 242, 31.8.1731. Hier wurde im Grunde eine Abgrenzung zum Darlehen erbeten, welches dem kanonischen Zinsverbot unterfiel. Implizit wollte der anfragende Richter wohl bestätigt bekommen, dass hier kein unerlaubtes Rechtsgeschäft vorlag.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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den Handels- und Wechselstil, eine sonst sehr häufig herangezogene Begründung, stützten. In einem am 14. Juni 1723 erstatteten Parere wurde die Frage aufgeworfen, ob ein deutscher Aussteller auch in Frankreich belangt werden könne, wenn man ihn dort anträfe.580 Hier war anders als im erstgenannten Parere nicht fraglich, ob überhaupt Wechselrecht anzuwenden sei, sondern vielmehr, welches Recht Anwendung fände. Neben den unterschiedlichen Partikularrechten, die mangels eines reichseinheitlichen Wechselrechts häufig miteinander konkurrierten581, kollidierte hier deutsches Partikularrecht mit französischem Wechselrecht. Der Konflikt nahm also internationale Züge an und verlangte im Prinzip eine kollisionsrechtliche Lösung. Schlussendlich entschieden die Kaufleute, dass der nach deutschem Recht ausgestellte Wechsel ohne Weiteres in Frankreich eingeklagt werden könne. Auch hier fehlte die Benennung einer Rechtsgrundlage. Entscheidend war offenkundig der pragmatische Aspekt. Neben kollisionsrechtlichen Konflikten wurde auch die Frage, ob das Recht des Ausstellungsortes oder das des Erfüllungsortes Anwendung finde, viel diskutiert und im Parere aus dem Jahr 1729, welches dem Fallbeispiel zugrunde liegt, erörtert.582 Die zu dieser Problematik recht unterschiedlich ausfallenden Argumentationen sind von Anja Amend-Traut zusammengetragen worden. Sie hat unter anderem auch eine Entscheidung des Frankfurter Schöffenrates aus dem Jahr 1794 vorgestellt, der zufolge der Erfüllungsort maßgeblich sei, da an diesem auch die Nichterfüllung zu protestieren sei.583 Die 1806 vom Reichskammergericht bestätigte Entscheidung des Frankfurter Schöffenrates wies die gleiche Argumentation auf wie das im Fallbeispiel verwendete Parere, in dem die Frankfurter Kaufleute nur aus Gründen der Billigkeit schließlich doch nicht das Recht des Erfüllungsortes, sondern das des Ausstellungsortes anwandten. Bereits in einem früheren Parere hatten sich die Frankfurter Kaufleute für die Anwendung des Rechts des Erfüllungsortes entschieden. Im Fall vom 19. Dezember 1719 hatte Petrus aus Augsburg während der Frankfurter Ostermesse dem in Frankfurt ansässigen Paulus Geld für auf Wien ausgestellte Wechselbriefe überbringen lassen. Die Wechsel wurden zunächst an Petrus nach Augsburg gesandt, der sie an Andreas nach Wien girierte. Zur Verfallzeit am 31. Mai ging der Wechsel mangels Zahlung in Protest und Andreas trat nun selbst ehrenhalber für Petrus ein. Andreas nahm anschließend Rückgriff auf Petrus als ersten Indossanten, welcher auch zahlte und seinerseits Regress an Paulus in Frankfurt nehmen wollte. Paulus zahlte unter „Protestirung und Reservirung seiner Rechte“.584 Er verlangte die Anwendung Frankfurter Rechts, da die Wechsel in Frankfurt verhandelt worden seien. Petrus erhob den Einwand, dass 580 581 582 583

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVII, S. 145 ff. Vgl. hierzu: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 226. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, 23.11.1729. Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 228. Zu den unterschiedlichen Meinungen siehe: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 226 ff. 584 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 22 f.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Frankfurt auf dem Wechselbrief nicht erwähnt worden sei und das Frankfurter Wechselrecht darüber hinaus auf „Ritorni“585 nicht anwendbar sei. Für auf fremde Plätze gezogene Wechsel gebe es kein Gesetz, dieses gelte nur für die Einwohner und Giranten in Frankfurt. Des Weiteren habe Paulus die Valuta zwar in Frankfurt beglichen, jedoch sei der Wechsel auf Wien zahlbar gestellt gewesen. Er sei somit Schuldner in Wien und nicht in Frankfurt, sodass das Wiener Recht anzuwenden sei.586 Petrus tauschte mit Paulus noch weitere, nicht einschlägige Argumente aus und holte schließlich ein Parere ein. Dieses übersandte er Paulus mit der Bitte, das Parere den Frankfurter Kaufleuten zur Stellungnahme vorzulegen. Paulus versprach dies zunächst mehrfach schriftlich, nahm dann allerdings davon Abstand und lenkte insofern ein, als er sich auf Art. XXII der Wiener Wechselordnung von 1717 stützte. Dieser im Übrigen auch der Anfrage beigefügte Artikel handelte allerdings von in Wien auf fremde Plätze gezogenen Wechseln und war, wie Petrus zu Recht feststellte, nicht einschlägig. Petrus rekurrierte vielmehr auf Art. XXV der Wiener Wechselordnung und argumentierte, dass Paulus in dem Moment, in dem er Art. XXII der Wiener Wechselordnung für anwendbar hielt, zugegeben habe, dem Wiener Recht zu unterfallen. Mit diesen umfangreichen Ausführungen wandte sich Petrus nun selbst an die Frankfurter Kaufleute und bat sie, „ihr Parere hierunter schrifftlich zu geben“.587 Das Gutachten der Deputierten fiel sehr knapp aus. Sie befanden „dem Handlungs=Stylo und der Billigkeit gemäß“ die Wiener Wechselordnung für anwendbar, da der fragliche Wechselbrief in Wien ausgestellt worden sei.588 Dass Frankfurt der Schilderung nach sehr wohl Ausstellungsort, Wien hingegen nur der Erfüllungsort gewesen war, ignorierten die Frankfurter Kaufleute. Vermutlich unterschlugen sie diese Feinheit, da der Wechsel dem Sachverhalt zufolge zwar in Frankfurt ausgestellt worden war, Frankfurt jedoch nie, Wien hingegen als einziger Ort auf dem streitbefangenen Wechsel genannt worden war. Eine andere Auslegung wäre nicht beweisbar gewesen. Dieses sehr knappe Gutachten in einem so komplexen Fall zeigt das häufig pragmatische Vorgehen der Frankfurter Kaufleute. 2. Zuständigkeit des Gerichts Die Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts wurde in zwei der betrachteten Frankfurter Gutachten thematisiert. Im Parere vom 13. Dezember 1720 ging es vordergründig um die Anwendbarkeit der Einrede der exceptio compensationis.589 Die Frage nach der Zuständigkeit war lediglich ein weiterer Versuch des Beklagten, sich gegen die Klage zu behaupten und diese bereits als unzulässig abwehren zu können. Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte 585 Messwechsel, die während der Messe auf andere Plätze oder andere Messen gezogen werden. 586 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 23. 587 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 26. 588 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 22 ff. 589 Gegenforderungseinrede.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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angeführt, dass sich der Kläger des Wechselrechts verlustig gemacht habe, weil er selbst nicht am Erfüllungsort, sondern bei seiner ordentlichen Obrigkeit belangt worden sei, obwohl es sich bei diesem Ort um keinen ordentlichen Wechsel- oder Handelsplatz handele. Die Frankfurter Kaufleute betrachteten diesen Umstand als unschädlich. Sie rekurrierten nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, auf den Umstand, dass der Beklagte an seinem Wohnort verklagt worden war, wie es dem allgemeinen zivilprozessualen Grundsatz ohnehin entsprochen hätte590, sondern konstatierten vielmehr, dass jeder seinen Schuldner dort belangen könne, wo er ihn finde.591 Dieser recht pragmatische Lösungsansatz dürfte weniger den zeitgenössischen Lehrmeinungen entsprochen haben, sondern vielmehr den Interessen des Handelsverkehrs geschuldet gewesen sein, möglichst schnell Konflikte zu klären. Die Kaufleute stützten ihr Gutachten auch auf keine konkrete Rechtsordnung, sondern antworteten „dem Handels= und Wechsel=Stylo gemäß“.592 Dieser praktikablen Lösung bedienten sich die Frankfurter Kaufleute auch im Parere vom 28. Mai 1723, das sich mit Zuständigkeitsfragen beschäftigte. Sie entschieden „dem Wechsel=Stylo gemäß“, dass das Vermögen eines Schuldners vom Gläubiger dort mit Arrest593 belegt werden könne, wo er es finde.594 Im vorliegenden Fall hatte der Gläubiger Wechselklage gegen die Erbschaft des Schuldners erhoben und Arrest auf dessen in Darmstadt deponiertes Kapital begehrt, den die Darmstädter Obrigkeit ihm gewährte. Die Erben des Schuldners sollten erst dann das Vermögen ausgezahlt bekommen, wenn der Gläubiger befriedigt worden war. Die Witwe des Schuldners hatte allerdings einen Teil des Erbes auf sich als Gläubigerin umschreiben lassen und ihren festen Wohnsitz in Guntersblum595 gegen einen nicht näher genannten in der Pfalz eingetauscht. Sie wehrte sich gegen die Zahlung unter anderem mit dem Argument, dass die Erbschaft nicht in Darmstadt mit einem Arrest belegt werden könne, da sie ihren Wohnsitz in der Pfalz habe. Der Gläubiger müsse sie dort verklagen, da kein pfälzischer Untertan außer Landes arrestiert werden könne.596 Auch hier setzten sich die Kaufleute nicht näher mit der Argumentation der Witwe auseinander, sondern ermöglichten dem Gläubiger die pragmatische Lösung, am Ort des Vermögens Arrest beanspruchen zu können.597 Die Anfrage kam in diesem Fall von einem Richter. Er hatte „Einer Wohl=löbliche[n] Kauffmanschafft allhier […] aus tragender Zuversicht zu dero gerühmten Prudence“ zunächst den Sachverhalt, ergänzt durch zahlreiche Belege, sehr umfangreich dargestellt und im Anschluss daran seine eigenen Rationes 590 591 592 593 594 595

Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 210 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 58 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 61. Maßnahme zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 136 ff. Guntersblum ist eine in Rheinhessen gelegene Stadt zwischen Mainz und Worms und gehörte im 18. Jahrhundert einer Nebenlinie des Hauses Leiningen an. 596 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 136 ff. 597 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 144.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

decidendi beigefügt, die er offenbar von den Handlungsvorstehern bestätigt bekommen wollte: „So gelanget solchem allem nach an meine Hoch= und Großwehrteste Herren mein dienst=schuldigstes bitten […] diesen in plano fürgestellten deutlichen Wechsel=Casum mit allen Umständen und begründeten nach dessen Verletzung und Inhalt in reiffliche Betrachtung zu ziehen, und nach dero ihnen aus täglicher Erfahrung und Usance beywohnenden Wissenschaft und Verstand mir hierüber / was disfalls dem Wechsel=Stylo und Ordnung gemäß seye, dero vernünfftige Gedancken und weißliches Gutachten schrifftlich hierunter zu eröffnen, und in beglaubter Form freundwilliglich widerfahren zu lassen“.598 Die Kaufleute bestätigten mit ihrer pragmatischen Lösung schlussendlich die langatmigen Ausführungen des Richters in seinen Rationes decidendi. Er selbst hatte allerlei Argumente herangezogen, weshalb die Witwe sich nicht exkulpieren könne, die juristisch weitaus überzeugender waren. Er argumentierte, dass es mit der Witwe des B nie geschäftliche Handlungen gegeben habe, B selbst immer in Guntersblum gewohnt habe und nie pfälzischer Untertan gewesen sei und weder der Wechsel noch das Indossament in der Pfalz geschlossen worden seien. Darüber hinaus konstatierte er, selbst wenn ein Privileg bestehen sollte, das einen pfälzischen Untertanen befreie, könne sich das Privileg nicht auf Kontrakte, die außerhalb der Pfalz geschlossen wurden, erstrecken.599 Mit diesen inhaltlich überzeugenden Argumenten hatten sich die Frankfurter Kaufleute nicht auseinandergesetzt. Offenbar stand in diesem Fall nicht die Expertise der Gutachter im Vordergrund, sondern vielmehr ihr guter Ruf, welcher der richterlichen Entscheidung mehr Gewicht verleihen sollte. 3. Wechselarten und Rechtsnatur des Wechsels Neben der Bedeutung von Prima- und Sekundawechseln600 sowie der Frage, wann Wechsel prolongiert werden dürfen601, beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute auch mit der Rechtsnatur des Wechsels. Im Parere vom 15. Mai 1722 war der in Anspruch genommene Indossant Sempronius der Meinung, der ihm vorgelegte Solawechsel sei kein Wechsel, sondern vielmehr ein cambium siccum.602 Der zu diesem Zeitpunkt bereits stark veralteten Ansicht603

598 599 600 601

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 144. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 142 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P IV, S. 20 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVIII, S. 146 f. Unter Prolongieren versteht man das Verlängern der Zahlungsfrist. 602 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIX, S. 125 ff. 603 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde der eigene oder auch trockene (cambium siccum) Wechsel nicht als Wechsel anerkannt. Diese Einordnung geht auf die spätscholastische Moraltheologie, unter anderem vertreten von Leonhardus Lessius zurück, welche im Eigenwechsel eine Umgehung des Wucherverbots sah. Durch die Praxis wurde diese Einordnung aber zunehmend aufgehoben; näher dazu: Christoph Bergfeld, Die Papiergeldtheorie Karl Einerts und ihre

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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traten die Kaufleute mit ihrer Entscheidung, dass ein Solawechsel sehr wohl ein Wechselbrief sei, entgegen. Ihre Entscheidung stützten sie auf den Wechselstil und dessen Recht.604 4. Notwendige Bestandteile einer Wechselurkunde In einigen Pareres setzten sich die Frankfurter Kaufleute mit den notwendigen Bestandteilen einer Wechselurkunde auseinander. Ein Wechsel musste zwingend die Namen des Schuldners und des Gläubigers, Valuta und Verfallzeit aufweisen sowie als Wechsel beziehungsweise Wechselbrief tituliert sein.605 Das Reichskammergericht verlangte nicht nur die Nennung der Geldsumme, sondern darüber hinaus auch der Geldsorte sowie das Ausstellungsdatum.606 Im Parere vom 22. Juli 1721 setzten sich die Kaufleute mit der Frage auseinander, ob neben dem Ausstellungsdatum auch noch das Datum der Akzeptation beigefügt werden müsse. Da der vorliegende Wechsel auf eine Messe lautete, hielten die Gutachter das Datum der Akzeptation für entbehrlich und sowohl den Akzeptanten als auch den Aussteller zur Zahlung verpflichtet. Ihre Entscheidung stützten die Kaufleute auf den „allhiesigen Wechselbrauch“.607 Allerdings stand der hier angeführte „allhiesige Wechselbrauch“ nicht im Einklang mit § 7 der Frankfurter Wechselordnung von 1666, der anordnete, dass dem Akzept sowohl bei Mess- als auch bei anderen Wechseln Name und Datum beizufügen sei. Beides hielten die Frankfurter Kaufleute entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Wechselordnung für entbehrlich. Offensichtlich überwog hier die Handelspraxis, die nicht den Vorschriften der Wechselordnung entsprach. Dass die Deputierten nicht nur das Datum der Akzeptation für entbehrlich hielten, sondern unter bestimmten Umständen auch dem Ausstellungsdatum keine große Bedeutung beimaßen, zeigt ein Parere vom 2. Dezember 1729. Demnach war es sogar möglich, mit Einverständnis beider Parteien den Wechsel vor- oder zurückzudatieren, wenngleich die Kaufleute einem „vorsichtigen Handelsmann“ von dergleichen abrieten.608 5. Wechselfähigkeit Die Wechselfähigkeit war in den zahlreichen Wechselordnungen unterschiedlich ausgestaltet und wurde in Frankfurt erst mit § 8 der Wechselordnung von 1739 geregelt. Danach war grundsätzlich jeder, der sich wirksam verpflichten konnte, auch

604 605 606 607 608

Bedeutung für das Wechselrecht, in: Christoph Bergfeld (Hrsg.), Aspekte europäischer Rechtsgeschichte. Festgabe für Helmut Coing zum 70. Geburtstag (IUS COMMUNE. Sonderhefte 17), Frankfurt a. M. 1982, S. 5 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIX, S. 126 f. Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 229. Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 232. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXV, S. 90 f. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 205, 2.12.1729.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

wechselfähig. Handwerkern, die weniger als 2000 Gulden jährlich versteuerten, sowie Frauen, die keine Handlung betrieben, wurde das Ausstellen von Wechselbriefen verboten.609 Die Deputierten hatten bereits viele Jahre zuvor, im Jahr 1713, über die Wechselfähigkeit Minderjähriger zu entscheiden gehabt und hatten ihr Gutachten auf die Frankfurter Reformation gestützt. Im vorliegenden Fall vom 5. Juli 1713 hatte ein unverheirateter 16-Jähriger einem Juden einen Wechsel ausgestellt. Der Wechsel wurde in der Anfrage von den Kaufleuten gemäß p. II tit. 1 § 2 und p. II tit. 12 § 2 der Frankfurter Reformation von 1611 als unwirksam erachtet.610 In der Tat durfte ein unverheirateter Minderjähriger gemäß p. II  tit.  1  § 2 der Frankfurter Reformation ohne Einverständnis seiner Eltern bzw. Vormünder nicht kontrahieren. Die Minderjährigkeit bei Vertragsschlüssen endete nach dieser Vorschrift anders als in der allgemeinen Regelung zur Minderjährigkeit nach p. VII tit. 8 § 1 nicht mit 14 Jahren bei Jungen, sondern erst mit 25 Jahren. Als zweite Begründung führten die Handlungsvorsteher die Normen über den Geldverleih durch jüdische Händler an. Gemäß p. II tit. 12 § 2 der Reformation durften Juden unverheirateten Minderjährigen ohne Wissen des Vormunds kein Geld leihen. Neben der Minderjährigkeit hatten die Kaufleute im Parere vom 7. Februar 1721 über die Wechselfähigkeit einer Witwe zu entscheiden, die von ihr eigenhändig ausgestellte Wechsel über ihren Schwiegersohn verhandeln und zum Zeitpunkt der Fälligkeit mit dem Argument in Protest gehen ließ, dass sie eine „unverständige Weibsperson“ und von ihrem Schwiegersohn gezwungen worden sei.611 Anders als manches Gerichtsurteil612 erkannten die Deputierten, die ihr Gutachten auf die Billigkeit und den „exakten Wechsel-Stylo“ stützten, auf eine Zahlungspflicht der Witwe. Sie hoben in ihrer Begründung hervor, dass Rechte zum Schutz der Frauen nicht missbräuchlich genutzt werden sollten. Auffällig ist, dass die Handlungsvorsteher explizit um ihre „unpartheyische[n] und hochvernünfftige[n] Sentiments“ gebeten wurden, die man zur „Handhabung der lieben Justiz und mercklichen Aufnehmen der bishero sehr verfallenen Handlung gereichende Gefälligkeit“613 nutzen wollte. Offenbar war die Witwe mit ihrer Strategie bislang erfolgreich gewesen.

609 Frankfurter Wechselordnung vom 26.5.1739, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 92), S. 8–22. 610 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P I, S. 17. 611 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXVI, S. 73 ff. 612 Anja Amend, Frauen in der handelsrechtlichen Jurisdiktion des Reichskammergerichts. Über die Frage, ob „Weibs=Persohnen mit Wechsel contrahiren können“, in: Siegrid Westphal (Hrsg.), In eigener Sache. Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches, Köln 2005, S. 133. Ebenso auch der erste Fall „Kühner gegen Mehl“ bei: Inge Kaltwasser, Handelsfrauen in Frankfurt – Rechtsfälle aus dem Reichskammergericht, in: Gisela Engel / ​Ursula Kern / ​ Heide Wunder (Hrsg.), Frauen in der Stadt  – Frankfurt im 18. Jahrhundert, Königstein 2002, S. 108 ff. 613 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXVI, S. 76.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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Die Integrität der Handelsgeschäfte stellten die Deputierten auch im Parere vom 20. Juni 1729 in den Vordergrund. Sie betonten, dass eine Ehefrau, die gemeinsam mit ihrem Ehemann die Geschäfte führe und Wechsel ausstelle, genauso verpflichtet werden könne wie ihr Ehemann, „da im wiedrigen, entweder dem Commercio dadurch ohnleidliche praejudicia zugezogen und Treu und Glauben zu Grund gerichtet werden würden“.614 Im vorliegenden Fall sahen sie die in Anspruch genommene Ehefrau allerdings nicht als verpflichtet an. Jedoch war Seja hier nachweislich nicht in die Geschäfte ihres Ehemannes Cajus eingebunden worden und hatte weder für ihn noch für sich selbst jemals Handelsgeschäfte abgewickelt, sodass die Börsenvorsteher Seja nicht als wechselfähig ansahen.615 Seja hatte im Verfahren argumentiert, dass sie zwar nicht mehr der väterlichen Gewalt unterstehe, aber mit ihren 20 Jahren noch minderjährig sei. Darüber hinaus sei sie von ihrem Mann nicht über die Schärfe des Wechselrechts informiert worden. Stattdessen sei sie unter Missachtung ihrer „weiblichen Rechts=Wohlthaten, insonderheit des Scti.  Vellejani  &  c.“ zur Unterschrift verleitet worden.616 Die von Seja angesprochenen Rechtswohltaten in Form des römischrechtlichen Instituts des Senatus Consultum Vellaeanum begründeten ein Interzessionsverbot für Frauen, wonach sie keine Verbindlichkeiten für Dritte eingehen durften. Diese auch in Frankfurt anerkannte Regelung war durch die Frankfurter Reformation von 1578 dahingehend modifiziert worden, dass Frauen sich nicht auf das Interzessionsverbot berufen konnten, sofern sie betrügerisch handelten oder nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren.617 Die Deputierten griffen in ihrer Begründung das römischrechtliche Institut auf. Sie wollten ihre Entscheidung zwar nicht ausschließlich auf die „weiblichen Beneficien“ stützen, erachteten aber einen Hinweis auf das Senatus Consultum Vellaeanum für erforderlich. Da dieser nicht gegeben worden war und eine anderweitige wirksame Verpflichtung aus oben genannten Gründen nicht nachgewiesen werden konnte, sprachen sich die Kaufleute schließlich gegen eine Zahlungsverpflichtung Sejas aus.618 In einem weiteren Parere vom 8. Oktober 1722 sollten die Börsenvorsteher Stellung beziehen, ob auch bei Handwerkern nach strengem Wechselrecht zu verfahren sei.619 Das Gutachten wurde hier ebenfalls von einem Gericht erbeten: „damit ein hoch=erleuchteter Herr Richter diese Wechsel=Sache nach ihrer wahren Beschaffenheit recht begreiffen könne / werden die respec. Herren Vorstehere, und Herren Handels= und Wechsels=Verständige sehr dienstlich ersuchet und gebeten, dero ohn-

614 615 616 617

ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 195, 20.6.1729. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 195, 20.6.1729. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 195, 20.6.1729. Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Zweiter Teil, Titel 16, § XI. Mehr zur Verwirklichung kaufmännischer Sonderinteressen in den Frankfurter Reformationen bei: Amend-Traut im Erscheinen (wie Anm. 18). 618 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 195, 20.6.1729. 619 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLI, S. 103 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

partheyisch Sentiment hierunter schrifftlich zu setzen“.620 Die Frankfurter Kaufleute entschieden „der Billigkeit gemäß“ und setzten den Handwerker nicht mit Kaufleuten gleich, sondern urteilten milder.621 Wie ein am 19. November 1725 verfasstes Parere zeigt, war die Kaufmannseigenschaft trotz allem nicht Voraussetzung für die Wechselfähigkeit. Hier argumentierte der in Regress genommene Cajus, dass er kein Kaufmann und deswegen nicht zur Zahlung aus dem Wechsel verpflichtet sei. Dem folgten die Deputierten nicht und erachteten ihn „dem Wechsel= Stylo gemäß“ als zur Zahlung samt Interesse und Kosten verpflichtet.622 Insgesamt lässt sich anhand der oben dargestellten, zeitlich vor der Wechselordnung von 1739 liegenden Pareres feststellen, dass die Kaufleute die Wechselfähigkeit an die Volljährigkeit, nicht aber an die Kaufmannseigenschaft knüpften. Sie erkannten zwar Ausnahmen vom strengen Wechselrecht bei Frauen und Nichtkaufleuten, wie Handwerkern, an. Die Deputierten befanden aber, wie im letztgeschilderten Fall, auch einen Nichtkaufmann als wechselfähig. 6. Akzept Das Akzept, die schriftliche Annahmeerklärung des Wechselschuldners, war ebenfalls Gegenstand mehrerer Gutachten. In einem Gutachten aus dem Jahr 1720 stellten die Kaufleute klar, dass Orderwechsel, die auf sich selbst lauten, also sogenannte Solawechsel, keines Akzepts bedurften, da dieses ein Zahlungsversprechen beinhalte, das einem auf sich selbst gezogenen Wechsel immanent sei.623 Gleich mehrfach mussten sich die Gutachter mit der dem Akzept beigefügten Klausel „S.  P.  (salvo praejudicio624)“ befassen, mit welcher sich die Trassaten gerne ihrer Zahlungsverpflichtung entledigen wollten. Allerdings bekräftigten die Kaufleute in beiden Fällen, dass der Zusatz der Buchstaben S. P. „nach dem heutigen Wechsel=Recht / keines wegs von dem Belang“625 sei und sie „nach allen Wechselordnungen […] die Wirksamkeit des Akzepts nicht beeinträchtigen“626 könnten. Auch in der Literatur wurde der Zusatz „S. P.“ bei einem indossierten Wechselbrief als unzulässig erachtet und allenfalls als Absprache zwischen Aussteller und Remittenten eines noch nicht in Umlauf gebrachten Wechsels betrachtet.627 620 621 622 623 624 625 626 627

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLI, S. 105. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLI, S. 106. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXVII, S. 188 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 58 ff. ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXI, S. 64. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVIII, S. 56. ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXI, S. 64. E. B. A., Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier, Oder: Gründlich= und Deutliche Anweisung / Was Ein Banquier in seinem Negotio, auch allen und jeden darin vorkommenden Fällen, zu beobachten, und welcher gestalt er dabey allen Praejuditz vermeyden, mithin seine Handlung

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Inhaltliche Auswertung der Gutachten

Neben Fragen nach der Notwendigkeit und der wirksamen Erteilung eines Akzepts beschäftigten sich die Gutachter im Parere vom 13. Februar 1721 mit der Akzeptationsfrist.628 Im Mittelpunkt stand die Streitfrage, wann ein Sichtwechsel629 zur Akzeptation auf die Post gegeben werden müsse. Der aus Frankfurt kommende Aussteller argumentierte, dass „an allen Orthen, und insonderheit auch allhier zu Franckfurth am Mayn“ der Wechsel in die nächste Post gegeben werden müsse.630 Damit wollte er sich seiner Zahlungspflicht entledigen. Die Gutachter bestätigten zwar, dass die Leipziger, Danziger und andere Wechselordnungen solche Regelungen vorsahen, betonten aber, dass weder nach der „hiesigen Gewonheit, als Wechsel=Ordnung“ eine derart schleunige Akzeptation vorgesehen sei.631 Entscheidend sei vielmehr „nicht so wohl was in andern Handlungs=Plätzen Styli, sondern schlechterdings dieser [Anm. d. Verf.: gemeint ist Frankfurt] ist“.632 In der Tat traf die Frankfurter Wechselordnung von 1666 diesbezüglich keine Regelung. § 8 normierte lediglich die Akzeptationsfrist während der Frankfurter Messe. Per Post versandte Wechsel zur Akzeptation waren von dieser Regelung nicht erfasst. Aus diesem Grund sahen die Handlungsvorsteher den Aussteller zur Zahlung verpflichtet. Ein Gefälligkeitsgutachten für einen Frankfurter Kaufmann war hier nicht erteilt worden. 7. Indossament Das Indossament, welches die Umlauffähigkeit des Wechsels erst ermöglichte und ihm seine Wertigkeit und seinen Nutzen gab, war bis in das 17. Jahrhundert in zahlreichen Wechselordnungen verboten.633 Die bis dahin für kaufmännische Geschäfte wichtigen direkten Geschäftsbeziehungen zwischen einander gut bekannten Handelspartnern traten durch das Girieren des Wechsels zunehmend in den Hintergrund.634 Die auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch vorherrschende Skepsis spiegelt sich in der am 16. August 1719 ergehenden Anfrage wider. Im vorliegenden Fall hatte Natolius einen Wechsel „an die Ordre des Titius“ zahlbar gestellt, der wiederum den Wechsel ohne Wissen des Natolius giriert hatte. Als Natolius nun von einem Dritten

628 629 630 631 632 633

634

vorsichtig führen könne. Alles, so wohl durch die neueste Europäische Wechsel=Ordnungen / ​ Vernünftig= und unpartheyische, hinten angehängte Parere der Franckfurter Kauffmannschafft, als überall angeführte und in Praxi bewährte Rationes erläutert und bestärckt […], Band 1, Frankfurt a. M. / ​Leipzig 1733, Kap. VI, § 58, S. 237. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIX, S. 81 ff. Wechsel, der bei Vorlage einzulösen ist. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIX, S. 82. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIX, S. 83. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIX, S. 82. U. a. in Bozen, Nürnberg, Braunschweig und Breslau. Mehr zum Verbot, siehe: Paul Jacob Marperger, Beschreibung der Banquen. Was und wie vielerley derselben seyn […] Von dem Recht der Banquen und Banquiers gehandelt […], Leipzig 1723, S. 376. Näher zum Indossament und seines anfänglichen Verbots, siehe: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 266 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

in Anspruch genommen wurde, verweigerte er die Zahlung der Valuta mit Hinweis auf seine fehlende Zustimmung zur Indossierung. Die Frankfurter Kaufleute erkannten „dem Wechsel=Stylo und dessen Recht gemäß“ auf eine Zahlungspflicht des Natolius und konstatierten, dass eine Indossierung nur hätte vermieden werden können, indem Natolius den Wechsel nicht an die Order des Titius, sondern nur an Titius selbst zahlbar gestellt hätte.635 Umgekehrt die Notwendigkeit, die Klausel „an Order“ auf dem Wechsel zu vermerken, um diesen umlauffähig zu machen, erörterten die Gutachter im Parere vom 30. November 1725.636 Die Börsenvorsteher standen – anders als manche anfragende Partei – dem Indossament recht offen gegenüber. Allerdings war das lange vorherrschende Indossierungsverbot in Frankfurt bereits mit § 11 der Wechselordnung von 1666 ausdrücklich abgeschafft worden: „Die girirte und transportirte oder indossirte Wechselbriefe, wiewohl sie gemeinglich späth in die Messen allhie ankommen, sollen, aus gewissen Ursachen, nicht ferner verbothen, sondern angenommen werden.“637 a) Fehlerhafte Indossamentenkette Gleich mehrere Pareres hatten das Problem der fehlerhaften Indossamentenkette zum Gegenstand. Während das Indossament eines wechselunkundigen Soldaten auf der Rückseite eines von Cajus und Sempronius an die Order des Mevius ausgestellten Wechsels im Parere vom 8. Mai 1722 als unwirksam erachtet wurde638, sprachen die Kaufleute im Parere vom 3. Juni 1719 dem letzten Indossanten einer fehlerhaften Indossamentenkette Heilungsmöglichkeiten zu. Danach hätte dieser eine Vollmacht oder einen Konsens beibringen können, aufgrund derer er zum Empfang der Wechsel­ summe berechtigt gewesen wäre.639 In beiden Fällen stützten die Gutachter ihre Entscheidung auf den Wechsel- und Handlungsstil. b) Blankoindossament Nachdem das Blankoindossament bereits in der Fallstudie ausführlich dargestellt wurde, sollen hier nur kursorisch die weiteren Probleme im Bereich des Blankoindossa­ ments skizziert werden. Neben der grundsätzlichen Zulässigkeit des Blankoindossaments, die die Kaufleute in den Pareres vom 15. Mai 1722 und vom 13. Mai 1729 beschäftigte640, entschieden 635 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XIII, S. 40. 636 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXVIII, S. 190 ff. 637 Frankfurter Wechselordnung von 1666, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. ­229–235, S. 233. 638 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLVIII, S. 124 f. 639 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XII, S. 37 ff. 640 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIX, S. 125 ff. und ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 193, 13.5.1729.

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Inhaltliche Auswertung der Gutachten

die Kaufleute bereits im Gutachten vom 25. August 1719, dass ein Blankoindossament den Indossanten zur Zahlung verpflichte.641 Das nachträgliche Ausfüllen eines Blankoindossaments beschäftigte die Frankfurter Kaufleute nicht nur im als Fallstudie vorgestellten Parere vom 23. November 1729, sondern bereits ein Jahr zuvor im Gutachten vom 19. Oktober 1728. Anders als im Beispiel der Fallstudie standen die Handlungsvorsteher in der Beurteilung des zugrunde liegenden Falles, der bereits Gegenstand eines summarischen Verfahrens war, dem Blankoindossament nicht so kritisch gegenüber. Sie unterstrichen vielmehr, dass „nach unserer hiesigen Wechsel=Ordnung die Giri in Bianco nicht verbotten“ seien.642 Im vorliegenden Fall ging es allerdings um das nachträgliche Ausfüllen eines Blankoindossaments, was der Ansicht der Deputierten zufolge nach allen Wechselrechten erlaubt war. Diese Meinung vertraten sie auch in dem der Fallstudie zugrunde liegenden Parere, sodass die beiden Entscheidungen nicht im Widerspruch zueinander stehen. Einzig bemerkenswert und auch der entscheidende Unterschied ist im vorliegenden Parere der Verweis auf die „hiesige“ Wechselordnung. Die Frankfurter Wechselordnung verbot tatsächlich nicht die Blankoindossamente, was allerdings der Tatsache geschuldet gewesen sein dürfte, dass die Blankoindossamente im Jahr 1666 noch kein so zentrales Problem darstellten, dass es einer Regelung bedurft hätte. Vielmehr hatte unlängst erst das Indossament überhaupt Einzug gehalten und war in § 11 der Wechselordnung zugelassen worden. An Blankoindossamente war noch gar nicht zu denken. Die beiden Entscheidungen zeigen, dass die Frankfurter Kaufleute ihre Urteile nicht willkürlich, sondern vielmehr auf Grundlage des jeweils anwendbaren Rechts trafen. Während die Frankfurter Wechselordnung in der Fallstudie nicht einschlägig war, konnten die Börsenvorsteher im vorliegenden Parere einer Anwendung des Blankoindossaments dank der einschlägigen Frankfurter Wechselordnung, die kein Verbot normierte, viel großzügiger gegenüberstehen. 8. Fälligkeit In mehreren Fällen bestanden Fragen betreffend die Fälligkeit der vorgelegten Wechsel. Neben einer richterlichen Anfrage, wie die Formulierung „auff Belieben“ nach der Frankfurter Wechselordnung auszulegen sei, was die Deputierten als Sichtwechsel einordneten643, gab es zwei Auseinandersetzungen über die Respekttage, also die noch zulässige Zahlungsfrist nach dem Verfalltag. In einem Parere vom 5. September 1713 fehlte das Indossament auf dem akzeptierten Wechsel. Der Akzeptant ließ diesen zum Zwecke des Nachtrags zurück an den Aussteller gehen. Der Wechsel kam aufgrund von Transportschwierigkeiten erst einige

641 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XIV, S. 41 ff. 642 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 189, 19.10.1728. 643 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLVI, S. 122 f.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Tage nach Ablauf der Respekttage an, woraufhin der Akzeptant die Zahlung verweigerte. Die Frankfurter Kaufleute erkannten auf eine Zahlungspflicht des Akzeptanten, da es „universal in allen Handels=Städten, wohlbekantes und ausgemachtes, auch in Wechsel recht, besonders mithin nach hiesiger Ordnung, fest gegründetes und ohndisputirliches Gesetz [sei], daß derjenige, welcher einen Wechselbr. acceptirt, ohne einige exception solchen auch zu zahlen schuldig seye“.644 Die Tatsache, dass bereits die Respekttage bei erneuter Präsentation abgelaufen waren, stand ihrer Entscheidung nicht entgegen. Ob für die Kaufleute ausschlaggebend war, dass der Wechsel ursprünglich rechtzeitig präsentiert worden war oder dass die Verspätung auf wechselunverständige Fuhrleute sowie Frauen, „denen Wechsel=Brauch nicht bekannt gewesen“, zurückzuführen war645, lässt sich aus der Entscheidung leider nicht ersehen. Die von den Kaufleuten erwähnte Frankfurter Wechselordnung von 1666 sah gemäß § 12 vier Diskretionstage vor. Da diese im vorliegenden Fall abgelaufen waren, konnten sich die Deputierten nicht auf die Berechnung nach § 12 stützen. Einschlägig war diese Vorschrift hingegen im Parere vom 4. Januar 1731. Im vorliegenden Fall hatte der Aussteller zur Verfallzeit sieben anstatt der vom Inhaber zugestandenen fünf Respekttage mit der Begründung verlangt, dass die beiden Weihnachtstage dazwischenlagen. Der Inhaber widersetzte sich diesem Ansinnen mit Verweis auf die jüdische Herkunft des Ausstellers, welcher von den „heiligen Ferien“ nicht profitieren könne. Die Frankfurter Kaufleute übergingen den heiklen Punkt der Religionszugehörigkeit und begründeten ihre Entscheidung juristisch. Sie stützten sich auf § 12 der Frankfurter Wechselordnung und argumentierten, dass diese Vorschrift dem Präsentanten, nicht aber dem Aussteller zum Vorteil gereichen solle. Somit sei der Inhaber zwar berechtigt, gleich am ersten Respekttag die Valuta zu fordern, und der Aussteller auch zur Zahlung verpflichtet. Der Präsentierende hätte hingegen, eingerechnet der Sonn- und Feiertage, sieben Tage warten können.646 Die sieben Tage ergaben sich dadurch, dass § 12 der Wechselordnung Sonn- und Feiertage zwar in die Verfallzeit, nicht aber in die „Discretions=Tage“, also die Respekttage, einrechnete. Da die Verfallzeit des Wechsels auf Freitag, den 22. Dezember 1730 fiel, lagen in den darauffolgenden vier Respekttagen ein Sonntag, 24. Dezember 1730, sowie die beiden Weihnachtstage, sodass diese drei Tage zu addieren waren. 9. Erfüllung der Wechselverbindlichkeit In einigen Fällen setzten sich die Kaufleute mit originären Problemen der Erfüllung einer Wechselverbindlichkeit auseinander.

644 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P III, S. 19. 645 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P III, S. 19. 646 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 227, 4.1.1731.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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a) Erfüllung durch Zahlung und Erfüllungssurrogate Im Parere vom 2. Oktober 1722 gab der Aussteller B einen Solawechsel an Order des C an A und leistete auch erste Zahlungen aus dem Wechsel an A. Als B bezüglich der Restsumme seine Zahlungen einstellte, ließ C den Wechsel in Protest gehen und B verweigerte die Zahlung an C mit dem Hinweis, er tätige nur mit A Geschäfte. Die Frankfurter Kaufleute sahen den Aussteller „nach dem stricten Wechselrecht“ zur Zahlung an C verpflichtet, da der Wechsel an dessen Order ausgestellt worden war.647 Anteilige Zahlungen waren auch Gegenstand des Pareres vom 6. April 1724. A hatte einen Wechsel an seinen Vater B ausgestellt, der ihn an C indossiert hatte. Zur Verfallzeit wurde der Wechsel nicht bezahlt, C ließ ihn protestieren. Anschließend verklagte er A und B vor der Frankfurter Bürgermeisteraudienz. B erschien und bot die sofortige Zahlung von 100 Rthlr. sowie die restliche nach vier Wochen an. Der Bürgermeister drängte C, sich darauf einzulassen. Dieser stimmte zu und gab den Wechsel seinem Gläubiger D, der auch die 100 Rthlr. erhielt. B ließ A auf dem Wechsel vermerken, dass 100 Rthlr. bezahlt seien. Nach vier Wochen verklagte D als Inhaber des Wechsels A und B vor der Bürgermeisteraudienz nunmehr hinsichtlich der über die 100 Rthlr. hinausgehenden Summe aus dem Wechsel. B verweigerte die Zahlung mit der Begründung, D habe mit A eine Sonderlösung gefunden und er, B, sei von der Zahlungsverpflichtung befreit. B versuchte nun offenbar, den Vermerk über die Zahlung der 100 Rthlr. als Erfüllungssurrogat für die eigentliche Wechselsumme darzustellen. Die Bürgermeisteraudienz fragte daraufhin die Kaufleute, ob B von seiner Zahlungspflicht wirklich befreit sein könnte, obwohl der Inhaber nicht wusste, dass nicht B, sondern A auf den Wechsel geschrieben habe, oder ob B nicht vielmehr, da er von der nicht erfolgten Zahlung durch die Klage Nachricht erhalten habe und der Inhaber vom Bürgermeister überredet worden war, belangt werden könne.648 Die Börsenvorsteher stützten ihre Antwort auf den Wechselstil und erachteten sowohl A als auch B nach strengem Wechselrecht zur Zahlung der restlichen Summe verpflichtet. C und D seien nach strengem Wechselbrauch verfahren. Der Einwand des B, er habe nicht selbst geschrieben, sei unbeachtlich, da C mit B vereinbart habe, 100 Rthlr. sofort zu erhalten, den Rest vier Wochen später.649 Die Erfüllung eines Orderwechsels war Gegenstand des Pareres vom 7. Juli 1728. Im vorliegenden Fall verweigerten die jüdischen Wechselaussteller B und C die Auszahlung, da sie den Wechsel für einen Hauskauf gegeben hätten und das Haus angeblich noch mit einer Hypothek belastet sei. Der Wechsel war an die Order des A ausgestellt worden, der selbst von der angeblichen Hypothek keine Kenntnis hatte.650 Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestand in der Zugehörigkeit der Wechselaussteller B und C zum jüdischen Glauben. Der Wechsel war vor einem Rabbiner 647 648 649 650

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXIX, S. 98 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVII, S. 167. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVII, S. 167 f. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 186, 7.7.1728.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

ausgestellt worden und die beiden jüdischen Händler B und C hatten sich zudem durch einen „Mantelgriff“ verpflichtet, ein Vorgang, bei dem die Verpflichtung durch Berührung des Rabbinermantels verstärkt wird.651 Für die Entscheidung der Frankfurter Kaufleute war diese religiöse Handlung nicht von Belang. Sie sahen dem „stricten Wechsel=Recht gemäß“ B und C zur Zahlung ihres ausgestellten Wechsels nebst Kosten und Zinsen verpflichtet. Widrigenfalls sollten diese nach dem strengen Wechselrecht zur Zahlung angehalten werden.652 Damit wahrten die Handlungs­ vorsteher die Abstraktheit des Wechsels. In einem Parere vom 23. Mai 1723 behauptete der Akzeptant, die Verfallzeit des Wechsels sei falsch. Dieser sei bereits zuvor fällig gewesen, weswegen er an einen anderen geleistet habe. Die Kaufleute betrachteten unter Hinweis auf den „Wechsel= und Handels=Stylo auch der Billigkeit gemäß“ den Einwand als unbeachtlich, da die Zahlung, sofern sie an eine andere Person tatsächlich erfolgte, nicht rechtmäßig gewesen sei.653 Neben der Erfüllung durch Zahlung kam auch das Ausstellen einer Rimesse654 in Betracht. Die Kaufleute erkannten im Parere vom 30. Oktober 1719 auf eine Zahlungspflicht des Ausstellers einer Rimesse, welcher versuchte, sich durch anderweitige Erfüllung der Zahlung zu entledigen. Er wollte eine zu spät eingetroffene Lieferung qualitativ schlechten Burgunders, den einer seiner Geschäftspartner an den Inhaber der Rimesse geliefert hatte, als Ersatz für seine Rimesse anrechnen lassen. Jedoch beharrten die Frankfurter Kaufleute „der Billigkeit, als dem Handlungs=Stylo allerdings gemäß“ auf der verbrieften Zahlungspflicht des Ausstellers der Rimesse.655 Ein ganz spezielles Problem der Erfüllung beschäftigte die Börsenvorsteher im Parere vom 21. Mai 1730, bei dem ein Schreibfehler zu einer sehr komplexen Fallkonstellation geführt hatte. Mevius in Weil hatte einen Solawechsel über 1000 Kurrent­ gulden, zahlbar in sechs Monaten, an die Order des Peter Tiebmann ausgestellt. Dieser hatte ihn durch Vermittlung von Laurentius gegen Barzahlung an Cajus in Fritzlar indossiert. Cajus hatte ihn an Sempronius giriert, dieser an Titius, der Mevius in Anspruch hatte nehmen wollen. Mevius hatte protestiert, Peter Tiebmann habe den 651 W. Hoffmann, Allgemeine Encyclopädie für Kaufleute, Fabrikanten, Geschäftsleute, Handels=, Industrie=, Gewerbe= und Realschulen, Erster Band: A–G, 10. Auflage, Leipzig 1853, S. 404. Bei dem hier beschriebenen Mantelgriff dürfte es sich tatsächlich um einen Rechtsakt im jüdischen Recht gehandelt haben und nicht um eine Anwendung des Frankfurter Rechts bei Grundstücksübertragungen. In dem Fall hätte nämlich der Mantel des Älteren Bürgermeisters berührt werden müssen, vgl.: Dietlinde Munzel-Everling, Mantelgriff, in: ­Albrecht Cordes / ​Hans-Peter Haferkamp / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band III: Konfliktbewältigung – Nowgorod, 2. Auflage, Berlin 2016, Sp. 1248. 652 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 186, 7.7.1728. 653 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXVII, S. 94 ff. 654 Gezogener, noch nicht akzeptierter Wechsel, den der Aussteller seinem Warenlieferanten in Zahlung gibt. 655 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XV, S. 43 ff.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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Wechsel nie erhalten, seine Unterschrift müsse falsch sein. Cajus hatte einen Bevollmächtigten nach Weil gesandt, der mit Laurentius und zwei Notaren Peter Tiebmann den Protest des Mevius mitteilte. Jener hatte mittels „Handels=Gelöbnüs“ an Eides statt erklärt, dass er mit Mevius häufig korrespondiere und drei Mal mehr Forderungen gegen ihn habe, als der Wechsel decke. Er selbst habe den Wechsel mit Brief und Siegel per Post von Mevius empfangen und das Indossament selbst geschrieben. Cajus hatte, nachdem er über die Aussage des Tiebmann von seinem Bevollmächtigten informiert worden war, einen Korrespondenten zu Mevius geschickt, der ihn aufgrund der letzten Aussage erneut zur Zahlung aufgefordert hatte. Mevius hatte entgegnet, der wahre Eigentümer des Wechsels sei ein Peter Tiebmann aus Halle. Dieser habe auch das Geld bekommen. Einen Peter Tiebmann in Weil kenne er nicht. Daraufhin hatte sich aus Halle eine Person, deren Firma Peter Tiefmann / Ambsterdammer hieß, gemeldet und mitgeteilt, dass der Wechsel für ihn gewesen sei.656 Die Kaufleute wurden um ihr „unpartheyisches Gutachten“ gebeten und gefragt, ob Cajus den Fehler hätte bemerken müssen. Des Weiteren wurden sie gefragt, ob Mevius sowohl wegen des Schreibfehlers als auch wegen seiner Nachlässigkeit die Wechselsumme nebst Zinsen und Kosten zahlen müsse. Schließlich hätte er üblicherweise die erfolglose Versendung des Wechsels innerhalb von sechs Monaten in den Zeitungen bekannt machen und darin vor dem Weiterverkauf warnen müssen. Darüber hinaus wollte der Anfragende wissen, ob Mevius auch deswegen verpflichtet sei, weil Cajus den Wechsel in gutem Glauben gegen Bargeld verhandelt hatte. Nun könne er sich nur noch an Mevius halten, weswegen er Auskunft begehrte, ob Mevius sodann seinen Regress an Peter Tiebmann in Weil nehmen könne.657 Die Frankfurter Kaufleute präsentierten ihre „in der Billigkeit / und den stricten Wechsel=Rechten unstrittig gegründete Meynung“ und entschieden, dass Mevius die Wechselsumme nebst Zinsen und Kosten zu zahlen habe. Denn selbst wenn das Vorbringen des Mevius der Wahrheit entspräche, so die Frankfurter Kaufleute, müsse er dennoch zahlen. Der Girant Peter Tiebmann sei schließlich die im Wechsel genannte Person gewesen und Cajus habe den Wechsel in gutem Glauben gegen Barzahlung von einem aus seiner Sicht ohne Zweifel legitimen Besitzer und Eigentümer erhandelt. Darüber hinaus stehe es Cajus nach allen Wechselrechten frei, ob er sich an seinen Giranten oder den Aussteller wende. Cajus habe nicht für den von Mevius oder seinen Leuten begangenen Fehler einzustehen. Der Fehler könne nur demjenigen zur Last fallen, der ihn begangen habe, und Mevius müsse sich unter diesen Umständen an Peter Tiebmann halten. Cajus sei aber nicht verpflichtet, von den Umständen Notiz zu nehmen. Außerdem ermögliche ein solcher Fehler sonst dem Aussteller, mit dem ersten Inhaber gegen einen unschuldigen Dritten kollusiv zusammenzuwirken, was aber „bonam fidem [sei, Anm. d.  Verf.] und damit das gantze Wechsel=Negotium totaliter ruiniren würde“.658 656 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 215, 21.5.1730. 657 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 215, 21.5.1730. 658 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 215, 21.5.1730.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

b) Regress In den weiteren Pareres betreffend die Erfüllung der Wechselverbindlichkeit stand die Frage einer anderweitigen Haftung, sei es durch Regress oder „Ersatzschuldner“, im Vordergrund. Im Parere vom 5. Oktober 1723 hatte der Indossatar versucht, ohne Wissen seines Indossanten den insolventen Aussteller in Breslau aus in Leipzig ausgestellten Wechseln in Anspruch zu nehmen. Eine spätere Geltendmachung bei seinem Giranten, den er nicht über den erfolgten Protest informiert hatte, erachteten die Frankfurter Kaufleute als unwirksam, da er unter anderem „mit Ubergehung seines Indossanten B. auch ohne Ihme einige Nachricht davon zugeben, […] gegen Wechsel=Gebrauch sich zu dem Ausgeber A. in Breslau gewendet […] [und deswegen, Anm. d. Verf.] bey A. wohin er sich mit Ubergehung B. gewendet, seine Zahlung ferner zu suchen habe“.659 Neben der hier angesprochenen fehlenden förmlichen Benachrichtigung, der sogenannten Notifikation, die ebenfalls zum Scheitern des geltend gemachten Anspruchs hätte führen können660, deutet die Formulierung „mit Ubergehung seines Indossanten B. auch ohne Ihme einige Nachricht davon zugeben“ noch einen weiteren Mangel an [Hervorhebung d. Verf.]. Hier könnte allein die Übergehung des vorherigen Indossanten zum Verlust des Regressrechts geführt haben. Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts normierten einige Wechselordnungen den „Sprungregress“, sodass der Indossatar zwischen Akzeptanten, Aussteller und Indossanten frei wählen konnte.661 Andere Wechselordnungen sahen einen strengen „Reihenregress“ vor, nachdem die Reihenfolge der Vormänner, vom letzten Indossanten bis zum Aussteller, zwingend einzuhalten war.662 Daneben gab es noch den „Reihenregress mit 659 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LX, S. 150 f. 660 Siehe hierzu C IV. 10. e). 661 Art. 32 der Preußischen Wechselordnung von 1684, abgedruckt in: Johann Kaspar Herbach, Verbesserte und Viel-vermehrte Wechsel-Handlung: Worinnen, Nicht allein vom Ursprung derselben, Erfindung der Wechsel-Briefe / Art der Wechsel […], Nürnberg 1726, S. 463–468, S. 467; Art. 8 der Augsburger Wechselordnung von 1707, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 136–142, S. 139 und Cap. VI § 1 der Augsburger Wechselordnung von 1716, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 142–152, S. 148; Art. 16 der St. Gallener Wechselordnung von 1717, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 497–506, S. 500. 662 § 19 der Leipziger Wechselordnung vom 2.10.1682, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 152–168, S. 161; Art. 28 der Danziger Wechselordnung vom 3.3.1701, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 269–279, S. 275; Art. 20 der Magdeburger Wechselordnung vom 25.4.1703, abgedruckt in: Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Zweyten Bandes zweyte Abtheilung, Wien 1813, S. 2–11, S. 6; Art. 52 der Bremer Wechselordnung vom 22.3.1712, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 177–188, S. 186 f.; § XXIV der Breslauer Wechselordnung von 1716, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 194–207, S. 202; Art. 25 der Wiener Wechselordnung von 1717, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 101–122, S. 109; § 8 der Altenburger Wechsel­ordnung von 1720, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 2–6, S. 5.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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gleichzeitiger Ausstellerhaftung“.663 Die Frankfurter Wechselordnung von 1666/76 normierte den Regress noch nicht. Im oben erwähnten Parere waren die Wechsel in Leipzig ausgestellt und der Aussteller in Breslau in Anspruch genommen worden. Sowohl die Leipziger als auch die Breslauer Ordnung sahen aber einen strengen „Reihenregress“ vor, sodass naheliegend ist, dass die Frankfurter Kaufleute in dieser besonderen Konstellation den Regress nicht nur an der fehlenden Notifikation, sondern auch am unzulässigen Sprungregress scheitern ließen.664 Wie ein Parere vom 9. Oktober 1724 zeigt, lehnten die Frankfurter Kaufleute den Sprungregress nicht grundsätzlich ab. Streitgegenstand im besagten Parere waren Kölner Bankbriefe, die der Indossatar Cajus aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der Kölner Bank nicht einlösen konnte. Daraufhin versuchte er, sich an den ersten Indossanten Titius zu halten, da ihm der zweite Indossant Sempronius ebenfalls nicht zahlungskräftig erschien. Dies erachteten die Kaufleute als zulässig und bekräftigten, dass ein Indossant zur Zahlung der Wechselsumme verpflichtet sei, wenn der Aussteller oder Akzeptant nicht zahle. Darüber hinaus stehe es dem Indossatar frei, „aus denen seinem Giro vorhergehenden Indossenten denjenigen zu seinem Debitore, und Wiederzahler eigenen Gefallens zu erwehlen, welchen er für den Sufficientesten zu seyn glaubet“.665 Allerdings begrenzten die Kaufleute den Regress auf den einmaligen Versuch, den ausgewählten Indossanten in Anspruch zu nehmen. Sie gestatteten Cajus nicht, sich nach erfolgloser Inanspruchnahme des Titius nunmehr an den Sempronius zu wenden. Diese Möglichkeit war mit der Inanspruchnahme des Titius verloren gegangen.666 Im bereits erwähnten Parere betreffend die in die Pfalz verzogene Witwe vom 28. Mai 1723 war ebenfalls ein weiterer Streitpunkt, welcher Indossant in Anspruch zu nehmen sei. Hier entschieden die Kaufleute wie im Parere zuvor, dass der In­ haber des Wechselbriefs sich nicht nur an den letzten Indossanten, sondern auch an einen vorherigen halten könne. Ihre Entscheidung stützten sie dieses Mal auf den Wechselstil.667 Auch im Parere vom 7. Februar 1721 betonten die Frankfurter Kaufleute, dass der Inhaber eines Wechsels grundsätzlich berechtigt sei, zwischen Aussteller und Indossant zu wählen.668

663 Art. 36 der Braunschweiger Wechselordnung vom 1.8.1715, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 117–132, S. 125; Cap. V, § 4 der Nürnberger Wechselordnung vom 16.2.1722, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 72–82, S. 80. 664 In einem ähnlich gelagerten Leipziger Parere sahen die Leipziger Kramermeister den strengen Reihenregress auch als zwingend an, vgl. Parere der Leipziger Kramermeister vom 30. Dezember 1704, abgedruckt bei: Königk 1717 (wie Anm. 1), Parere LI, S. 741 ff. 665 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIX, S. 172. 666 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIX, S. 170 ff. 667 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 136 ff. 668 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXVII, S. 78 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

c) Bürgschaft und Ehreneintritt Neben der Möglichkeit, direkt aus dem Wechsel verpflichtete Personen in Anspruch zu nehmen, konnte der Haftungsverband auch um einen Bürgen oder durch Ehreneintritt erweitert werden. In zwei Pareres beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute mit Ansprüchen gegen (vermeintliche)  Bürgen. Im Parere vom 14. Januar 1724 war die Bürgschaft selbst bereits streitig. Im vorliegenden Fall hatte Titius den Aussteller Cajus gegenüber dem Akzeptanten Sempronius als vertrauenswürdig bezeichnet. Da es sich aber lediglich um eine Mitteilung des Titius handelte und nicht um eine Bürgschaftserklärung, sahen die Kaufleute „dem Wechsel= und Handels=Stylo gemäß“ darin keine Zahlungsverpflichtung des Titius.669 Im Parere vom 29. März 1721 hatte Caspar einen „Credit-Brief“ über die Ver­ trauenswürdigkeit Dietrichs, datiert auf den 27. März 1699, an Matthias übergeben. Matthias hatte daraufhin Dietrich am 6. Mai 1699 Waren im Wert von 500 Rthlr. und im Jahr 1711 Waren im Wert von 800 Rthlr. anvertraut. Anschließend verstarb Dietrich, der mittlerweile insolvent war. Im Jahr 1715 hielt sich Matthias sodann an Caspar, der die Zahlung verweigerte, da er keine Kenntnis des Vorgangs gehabt habe und sich somit nicht zuvor an Dietrich habe halten können. Im Übrigen habe der „Credit-​ Brief“ nur für die eine Frankfurter Messe gegolten und nicht darüber hinaus. Matthias hingegen hielt den „Credit-Brief“ für unbegrenzt und generell gültig.670 Die Deputierten sahen zwar Caspars Kredit nicht auf die eine Frankfurter Messe beschränkt, ließen Matthias’ Anspruch aber dennoch scheitern, da dieser den Bürgen Caspar nicht über den Kredit informiert hatte. Sie konstatierten, dass Caspar mit der Ausstellung des „Credit-Briefes“ Dietrich und Matthias nicht den Abschluss einer unbegrenzten Zahl von Geschäften zu seinen Lasten habe ermöglichen wollen. Ihre Entscheidung, die sie auf den Handelsstil stützten, bestand aus der eben dargelegten konkreten Antwort sowie einem zweiten Teil. In diesem wurde die konkrete Frage nochmals abstrahiert und führte zur allgemeingültigen Feststellung, dass ein Mandant seinen Anspruch gegen den Mandatarius verliere, wenn er ihn nicht in Kenntnis setze, in welcher Höhe er haften müsse.671 Die sehr ausführliche, um eine abstrakte Regelung ergänzte Antwort der Deputierten lässt sich wahrscheinlich auf den Rechtsauskunftsersuchenden zurückführen. Im konkreten Fall war die Anfrage vom „Hoch=Edlen Magistrat“ ergangen. Die Kaufleute titulierten ihre Antwort auch anders als sonst als „Responsio“.672 Der Ehreneintritt war Gegenstand zweier Gutachten. Im Parere vom 5. August 1713 war der Ehreneintretende ohne Wissen des Akzeptanten eingetreten, welcher

669 670 671 672

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIII, S. 158 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXI, S. 84 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXI, S. 85 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXI, S. 84.

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Inhaltliche Auswertung der Gutachten

sich anschließend weigerte, die entsprechende Zahlung an den Eingetretenen zu leisten. Die Kaufleute erkannten unbenommen seiner Unwissenheit auf eine Zahlungspflicht des Akzeptanten. Dieser sei bei ordnungsgemäßer Protesterhebung gemäß dem Kaufmanns- und Wechselstil verpflichtet, auf die unverzügliche Zusendung des Protests Zahlung zu leisten.673 Diese Rechtsansicht stand im Einklang mit § 8 der Frankfurter Wechselordnung von 1666. Das am 8. Oktober 1722 erteilte Parere war Bestandteil eines am Reichskammergericht anhängigen Prozesses, den Anja Amend-Traut in ihrer Habilitationsschrift bereits ausführlich dargestellt hat.674 Die Frankfurter Kaufmannschaft nahm unter anderem zu der Frage Stellung, ob ein Wechsel notleidend sein müsse, also eine Zahlung nicht mehr zu erwarten sei, bevor der Ehreneintritt erfolgen könne. Diese Annahme bekräftigten die Kaufleute und setzten einen ordnungsgemäßen Protest voraus, da anderenfalls „die Wechsel=Handlung in die äußerste confusion“ versetzt werde.675 d) Haftung Neben der Erweiterung des Haftungsverbandes setzten sich die Frankfurter Kaufleute auch mit dem umgekehrten Fall des Haftungsausschlusses auseinander. Im Parere vom 17. Mai 1719 hatte der Aussteller seine Haftung für die Zahlung der Wechselsumme ausgeschlossen. Nach heutigem Wechselrecht ist dieser Ausschluss undenkbar. Zwar kann der Aussteller durch die sog. Angstklausel, den Vermerk „ohne obligo“ oder „ohne Gewähr“, seine Haftung für die Annahme durch den Bezogenen ausschließen. Die Haftung für die Zahlung des Wechsels kann jedoch nicht ausgeschlossen werden (Art. 9 Abs. 2 WG). Im damaligen Fall war dieser Punkt zwischen keiner der Parteien streitig; die eigentlichen Probleme des Falles lagen in der Verjährung.676 Im Parere vom 3. April 1724 ging es nicht um einen Haftungsausschluss, sondern um die Frage, welcher Aussteller hafte. A und B hatten einen Solawechsel an die Order des C ausgestellt. Im Wechsel wurde weder festgelegt, dass die beiden solidarisch haften (insolidum), noch dass einer für den anderen zahlt oder beide gemeinsam. Darüber hinaus hatte C den Wechsel zur Verfallzeit nicht protestieren lassen. C verlangte nun von A volle Zahlung, der lediglich hälftige anbot.677 Die Deputierten stellten zunächst fest, dass ein Solawechsel, der nicht indossiert wurde, zur Verfallzeit keiner Protestation bedürfe und es sich um einen Wechsel, nicht, wie vom Rechtssuchenden erfragt, um eine Obligation handele. Des Weiteren hätten sich sowohl A als auch B, auch wenn das Wort „in Solidum“ nicht auf dem Wechsel stehe, durch ihre Unterschrift zur vollständigen Zahlung verpflichtet. Sie müssten einander im Innenverhält-

673 674 675 676 677

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P II, S. 17 f. Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 290 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XL, S. 100 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XI, S. 34 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVI, S. 165.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

nis Regress nehmen. Wenn sie allerdings keine Kaufleute seien und durch Rechnung oder anders belegen könnten, dass jeder nur die Hälfte zu zahlen verpflichtet gewesen sei und sie arglistig zur Unterzeichnung des Wechsels verleitet worden seien, komme auch die hälftige Zahlung in Betracht.678 e) Vergleich Neben geltend gemachten Erfüllungs- und Regressansprüchen bestand auch die Möglichkeit, mit den Forderungsinhabern einen Vergleich zu schließen. In zwei Pareres aus den Jahren 1721 und 1727 beanspruchten am Vergleich nicht beteiligte Gläubiger die vollständige Erfüllung ihrer Forderungen. Im ersten Fall vom 22. November 1721 hatte der Zahlungsverpflichtete seine Zahlungen gänzlich eingestellt und die Kaufleute entschieden der „Billigkeit gemäß“, dass die am Vergleich nicht beteiligten Gläubiger „nach hiesiger Usance“ mit ihren Forderungen zurückstehen müssten, bis die anderen Gläubiger dem Vergleich entsprechend befriedigt seien. Umgekehrt stünden den Gläubigern auch nicht mehr als 50 Prozent zu, was auch die am Vergleich Beteiligten erhielten, selbst wenn mehr übrigbleibe.679 Im Parere vom 22. November 1727 gestanden die Kaufleute den Gläubigern hingegen die Erfüllung ihres gesamten Interesses zu, sobald die am Vergleich beteiligten Gläubiger befriedigt seien. Anders als im ersten Parere hatte der Zahlungsverpflichtete mittlerweile seine Handlung wieder aufgenommen und verfügte über neue Einnahmen aus seinen Geschäften. Ihre Entscheidung stützten sie auf die Billigkeit und den Handelsstil.680 10. Wechselprotest Legte der Wechselinhaber zur Verfallzeit, also zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Wechsels, diesen erfolglos zur Annahme oder Zahlung am Zahlungsort vor, wurde dies öffentlich beurkundet, sog. Wechselprotest.681 Im Rahmen des Wechselprotests standen neben der Frage seiner Erforderlichkeit insbesondere das Fehlen des Protests sowie der verspätete Protest im Fokus der Betrachtung. Ein weiterer Streitpunkt war die fehlende Notifikation. Darunter ist die schriftliche Anzeige der Protesterhebung gegenüber dem Vormann zu verstehen. Nicht selten wurde die erfolglose Inanspruchnahme aus dem Wechsel nicht ordnungsgemäß angezeigt.

678 679 680 681

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVI, S. 165 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIV, S. 118 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLV, S. 121 f. Josias Ludwig Ernst Püttmann / ​Georg Freiherr von Martens, Grundsätze des Wechsel-Rechts, 3. Auflage, Leipzig 1805, § 111, S. 114 f.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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a) Erforderlichkeit des Wechselprotests Sowohl im Parere vom 10. April 1722 als auch im Gutachten vom 3. April 1724 und im Parere vom 6. Februar 1731 stellten die Kaufleute fest, dass ein noch nicht indossierter Solawechsel zur Verfallzeit keiner Protestation bedürfe und es sich trotzdem um einen Wechsel handele. Der Anspruchsinhaber könne somit gegen den Aussteller nach Wechselrecht vorgehen.682 b) Fehlender Wechselprotest Das Parere vom 20. November 1724 hatte einen fehlenden Wechselprotest zum Gegenstand. A stellte B am 10. März 1724 unter anderem einen auf D gezogenen Orderwechsel über 10.000 Gulden einen Monat nach Sicht aus, den D am 16. März 1724 akzeptierte. A schickte diesen Wechsel allerdings nicht innerhalb von vier Wochen zu B, sodass der Wechsel ohne Protest verfiel. Der Auskunftbegehrende fragte die Frankfurter Kaufleute nun, ob der Wechsel nach dem 16. April 1724 und nunmehr weiteren vergangenen Monaten noch Wirkung habe oder verfallen sei. Des Weiteren wollte er wissen, ob B sich darauf verlassen könne, dass D den Wechsel begleiche, oder ob B nicht besser von A einen neuen Wechsel verlange, den D akzeptiere.683 Die Kaufleute stützten ihr Gutachten auf die „bekannten Wechsel=Rechte“ und entschieden, dass ein an die Order und auf einen Dritten ausgestellter Wechsel, der von demselben akzeptiert wurde, vier Wochen nach Verfall als bezahlt gelte, wenn er zur Verfallzeit nicht ordentlich protestiert werde. Sie empfahlen B, sich besser einen neuen Wechsel mit neuem Datum von A ausstellen und von D akzeptieren zu lassen.684 Ähnlich entschieden die Handlungsvorsteher im Fall vom 18. März 1735. Vorliegend wollten die Erben eines Indossanten viele Jahre später den Aussteller mehrerer Wechsel in Anspruch nehmen, obgleich der Indossant die unbezahlten Wechsel nie protestiert hatte. Zwei der sechs Wechsel waren sogar nicht akzeptiert worden. Hier stützten sich die Frankfurter Kaufleute auf den „allgemeinen Wechselstil“ und lehnten die Zahlungsverpflichtung mangels rechtzeitig erhobenen Protests ab.685 Interessant an dem Fall ist, dass das anfragende Gericht seine eigenen Rechtsausführungen auf § 13 der Leipziger Wechselordnung gestützt hatte, die Börsenvorsteher ihr Gutachten aber nicht auf die herangezogene Norm, sondern lieber auf den „allgemeinen Wechselstil“ stützten.686 Da die Leipziger Wechselordnung in § 13 nur das grundsätzliche 682 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLVII, S. 123 f.; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVI, S. 165 f.; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 229, 6.2.1731. 683 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXI, S. 176 f. 684 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXI, S. 176 ff. 685 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 283, 18.3.1735. 686 Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei dem anfragenden Gericht um das Leipziger Schöffengericht handelte. Zum einen zog es die Leipziger Wechselordnung heran, zum anderen sprach es in seiner Sachverhaltsdarstellung stets von „Indossierer“, ein Ausdruck der in der Leipziger Wechselordnung für den Indossatar benutzt wurde.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Erfordernis, Protest zu erheben, normierte, war sie für die Frage des Zeitpunkts der Protesterhebung nicht hilfreich.687 Auch die Frankfurter Ordnung konnte im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Sie normierte in § 12 nur die Protestationszeit von Messwechseln.688 Indem die Handlungsvorsteher den allgemeinen Wechselbrauch heranzogen, trugen sie aber der Ratio beider Normen, durch den Protest die fehlende Zahlung anzuzeigen und damit Rechtssicherheit zu erwirken, Rechnung. Im Parere vom 31. Oktober 1731 hatte Titius an den Juden Simon Solawechsel zu 203  Rthlr. und zu 462  Rthlr. zahlbar in Frankfurt, nebst exakter Bezeichnung des Erfüllungsortes ausgestellt. Simon hatte sich jedoch weder am Zahlungsort gemeldet noch Protest erhoben. Titius wurde nun von einem „gewissen Dom=Herrn“ in Anspruch genommen, der von dem Juden Simon die Wechsel erlangt hatte. Titius zahlte den ersten fälligen Wechsel, den zweiten allerdings nicht, da dieser noch nicht fällig war. Simon sowie andere jüdische Wechselnehmer des Titius verklagten diesen erfolglos und verkündeten deshalb überall, Titius sei insolvent, obgleich dies nicht der wirtschaftlichen Lage Titius’ entsprach. Diese Verleumdung führte nun aber dazu, dass Titius auch von Christen keine Vorschüsse mehr bekam.689 Die Frankfurter Kaufleute befanden Simon zur Präsentation des Wechsels am Wohnort des Titius sowie mangels Zahlung zur rechtzeitigen Protestation verpflichtet. Das Verhalten des Juden Simon beurteilten sie als „boßhafft, auch dem Kaufmann=Stylo schnur stracks entgegen lauffend“, wenn er den Titius verklage und dadurch die Kreditoren des Titius negativ beeinflusse. Dadurch sei die Kreditwürdigkeit des Titius geschwächt worden und Titius könne deshalb Schadenersatz von Simon verlangen.690 Die Deputierten ordneten die Wechselschuld des Christen Titius als Holschuld ein. Dies entsprach auch den Vorschriften zahlreicher Wechselordnungen691 sowie der zeitgenössischen Lehrmeinung.692 Ludovici zufolge durfte ein christlicher 687 § 13 der Leipziger Wechselordnung vom 2.10.1682, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 152–168, S. 157. 688 § 12 Frankfurter Wechselordnung von 1666, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 229–235, S. 233. 689 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 248, 31.10.1731. 690 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 248, 31.10.1731. 691 Die meisten Wechselordnungen setzten dies voraus, normierten es aber nicht explizit. Allerdings zeigt der synonym für den letzten Inhaber verwendete Begriff „Präsentant“ bereits, dass der Inhaber den Wechsel beim Schuldner zu „präsentieren“ hat, mithin die Initiative von ihm ausgehen muss. § 6 der Altenburger Wechselordnung von 1720 traf hierfür sogar eine explizite Regelung: „Wer einen acceptirten Wechsel=Brief in Händen hat, ist schuldig, das Geld von dem Debitore bey der Verfall=Zeit selbsten oder durch andere abholen zu lassen“, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 2–6, S. 4. Des Weiteren Art. XIV der Hamburger Wechselordnung von 1711, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 103–110, S. 107; Art. XI der Preußischen Wechselordnung von 1724, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 202–209, S. 204 und Art. VIII der Weimarer Wechselordnung vom 18.7.1726, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 92), S. 135–139, S. 137. 692 Ludovici 1713 (wie Anm. 25), IV. Cap., § LXXXV.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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Akzeptant das Geld dem Präsentanten nicht an seinen Wohnort bringen, sondern der Präsentant musste es beim Akzeptanten abholen. Anders im Falle eines jüdischen Akzeptanten. Dieser sei hingegen, ohne an den Fälligkeitstermin erinnert zu werden, verpflichtet, das Geld dem Christen in sein Haus oder Gewölbe zu bringen. Für den Fall, dass der Akzeptant Christ sei – wie im vorliegenden Parere – und der Präsentant zur Verfallzeit nicht den Wechsel präsentiere, „stehet dem Akzeptanten frey / das Geld auch ohne vorhergehende Citation des Praesentanten gerichtlich zu deponiren“.693 Die Kaufleute sahen der Ansicht Ludovicis entsprechend nicht den Christen Titius zur Handlung verpflichtet, sondern den Juden Simon, der rechtzeitig den Wechsel als Holschuld beim Christen Titius hätte präsentieren müssen. Der zeitgenössischen Meinung zufolge hätte Titius das Geld Simon gar nicht bringen dürfen. Er hätte allenfalls das Geld vor Gericht deponieren können, um einer etwaigen Münzverschlechterung zuvorzukommen, da der Akzeptant „die Zahlung in keiner andern Müntze thun durfte / als welche zur Verfall=Zeit gültig gewesen“.694 Durch die Möglichkeit der gerichtlichen Deponierung konnte der christliche Akzeptant das wirtschaftliche Risiko auf den jüdischen Gläubiger verschieben. Nicht nur Ludovici nahm an, dass für jüdische Wechselschuldner eine Bringschuld bestehe. Diese Regelung traf auch die 1676 erneuerte Frankfurter Wechselordnung von 1666 in ihrem fünften Absatz.695 Die explizite Normierung der Bringschuld ließ für die Kaufleute den auch von Ludovici gezogenen Umkehrschluss, dass anderenfalls eine Holschuld bestehen müsse, zu. Das bereits im Rahmen des Ehreneintritts erwähnte Parere vom 8. Oktober 1722, welches Bestandteil eines bei Anja Amend-Traut dargestellten Prozesses war, hatte neben der Frage zum Ehreneintritt hauptsächlich das Problem eines nicht erhobenen Protests und einer damit einhergehenden Beweisproblematik zum Gegenstand.696 Im vorliegenden Fall hatte eine in Bern ansässige Handelsgesellschaft des Johann Ludwig Harscher, im Parere als A bezeichnet, Wechsel über mehrere Tausend Reichstaler, zahlbar an der nächsten Frankfurter Ostermesse an ihren Bediensteten Bouquet, im Parere B genannt, trassiert. Der Appellant Conrad Lutz, im Parere als C bezeichnet, sollte die Wechsel ehrenhalber annehmen. Ihm wurde seitens der Handelsgesellschaft zugesagt, dass er selbst nicht in Anspruch genommen werden solle, B persönlich auf

693 Ludovici 1713 (wie Anm. 25), IV. Cap., § LXXXVI. 694 Ludovici 1713 (wie Anm. 25), IV. Cap., § LXXXVI. 695 Frankfurter Wechselordnung von 1676, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 236– 238, S. 238. Eine inhaltsgleiche Regelung trafen Art. XXX der Magdeburger Wechselordnung vom 25.04.1703, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 2–11, S. 7 und Art. XXXIV der Preußischen Wechselordnung von 1724, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 202–209, S. 208. 696 Die im Folgenden verwendeten Klarnamen entstammen dem Reichskammergerichtsprozess: ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018. Der Akte lag das Parere bei. Darüber hinaus hat sich Anja Amend-Traut intensiv mit dem Prozess beschäftigt: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 290 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

die Messe komme und ihm das für die Auszahlung erforderliche Geld übergebe.697 C akzeptierte die Wechsel und zahlte die Wechselsumme einige Tage vor Verfallzeit an B, der wiederum nur anteilig zahlte, aber dennoch C bat, ihm sofort alle Wechselbriefe im Original auszuhändigen. B erklärte, „daß er wegen eines unvermuthen, ausgefallenen Falliments sothane Wechselbriefe mit der ersten Post“ an seinen Dienstherrn senden müsse. C ließ sich auf diesen Handel ein und versuchte, sein ausstehendes Geld nach Ablauf der Messe von A zu erhalten. Dieser verweigerte die Zahlung der Restsumme mit der Begründung, zwei Wechsel, die der ausstehenden Summe entsprächen und nun B vorlägen, seien auf einen D und einen N gezogen worden, sodass C diese nun nicht präsentieren könne.698 Der geschilderte Sachverhalt wurde den Deputierten vom Schöffenrat zur Stellungnahme vorgelegt: „weilen nun diese Sache zu rechtlicher Disceptation kommen dörffte, so werden die Herrn Vorsteher einer hochlöblichen Kauffmanschafft alhier dienstlich ersucht und gebetten, über nachfolgende Frage dero Sentiment zu ertheilen.“699 Die Frankfurter Kaufleute stützten ihre Einschätzung allgemein auf das Wechselrecht und zogen mehrere Wechselordnungen heran. Wenn über einen akzeptierten Messwechsel kein Protest erhoben werde, gelte er vier Wochen nach der Messe als bezahlt und das Gegenteil müsse bewiesen werden, da der bezahlte Messwechsel in vielen Fällen in den Händen des Präsentanten verbleibe. Ihre Rechtsansicht belegten die Deputierten mit § 32 der Leipziger Wechselordnung, § 45 der Braunschweiger Wechselordnung, § 36 der Danziger Wechselordnung sowie den Ansichten Königks und Ludovicis.700 Somit sahen die Frankfurter Kaufleute den Akzeptanten C, Conrad Lutz, als beweispflichtig an. Diese Einschätzung entsprach auch dem bereits zuvor eingeholten Gutachten der Juristenfakultät Leipzig.701 c) Verspäteter Protest In mehreren Fällen hatten die Wechselinhaber zwar Protest erhoben, aber verspätet.702 Im Parere vom 9. April 1720 ersuchte offenbar das Wiener Handelsgericht die Frankfurter Kaufleute in einem Falle verspäteten Protests um Rat. Zum Zeitpunkt der Anfrage war der Indossant Sempronius, einer von insgesamt sieben in dem Fall beteiligten Personen, vor das Wiener Handelsgericht gezogen. Zuvor war er selbst bereits von einem Breslauer Indossanten vor dem Breslauer Magistrat verklagt worden, welcher den seinerzeit erhobenen Protest als rechtmäßig anerkannt und Sempronius 697 Durch diese Dreiecksbeziehung, in der jemand das Geld für die Einlösung der Wechsel selbst mitbrachte, erlangten die Aussteller umlauffähige Wechsel, die sie als Zahlungsmittel nutzen konnten, siehe näher hierzu: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 290. 698 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XL, S. 101. 699 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XL, S. 101. 700 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XL, S. 102 f. 701 Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 291. 702 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LI vom 12.2.1723, S. 129 ff. und E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXVI vom 16.11.1725, S. 186 ff.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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zur Zahlung verpflichtet hatte. Die Parteien stritten um die Rechtzeitigkeit der Protesterhebung und führten unter anderem die Art. XIII bzw. XIV der Wiener Wechselordnung an, um ihre Rechtsansicht zu stützen. Noch vor Klageerhebung in Breslau war eine Kopie des Protests den ersten zwei Indossanten zugegangen, das Original lag jedoch lange Zeit in den Händen des Klägers Sempronius.703 Das Wiener Handelsgericht befragte die Frankfurter Kaufleute nun nicht über die Rechtzeitigkeit des Protests – für die Interpretation ihrer eigenen Wechselordnung zu diesem Punkt bedurfte es sicherlich keiner Hilfe –, sondern erbat eine Stellungnahme der Deputierten, ob Sempronius befugt gewesen sei, Brief und Protest im Original so lange vorzuenthalten, und ob er trotzdem die Giranten in Regress nehmen dürfe. Da Sempronius zumindest eine beglaubigte Kopie an den vor ihm in der Indossantenreihe stehenden Mevius geschickt habe, so die Handlungsvorsteher, hätten sowohl der zweite Indossant als auch andere Interessenten ihre Sicherheiten besorgen können. Sempronius dürfe deshalb seine Giranten in Anspruch nehmen.704 Die Deputierten stellten in ihrer Entscheidung, die sie auf das Wechselrecht stützten, auf den Schutzzweck der kurzen Protestversendungszeit ab. Warum die Frankfurter Kaufmannschaft vom Wiener Handelsgericht ersucht wurde, lässt sich nur mutmaßen. Sowohl der letzte Indossant als auch der Akzeptant kamen aus Wien, der erste Kläger kam aus Breslau. Über die Herkunft der anderen Beteiligten ist nichts bekannt. Entweder kam der Kläger Sempronius aus Frankfurt oder die Frankfurter Kaufleute wurden allein wegen ihrer Expertise befragt. Im Parere vom 10. Dezember 1727 beschäftigte die Frankfurter Kaufleute in der Hauptsache ein verspätet erhobener Protest, der zudem noch zu spät in die Post gegeben worden war.705 Die Besonderheit des Falles lag nicht in der materiellrechtlichen Beurteilung, die sich auf die Wechselordnung der Stadt Larisa, auf deren Messe die Wechsel gezogen worden waren, stützte, sondern in der Anfrage. Der Rechtsauskunftsuchende wollte das Parere im Prozess als förmlichen Beweis einbringen. Er erbat ein „Parere in forma probante“.706 Offensichtlich gab es Gerichte, die kaufmännische Pareres als förmliches Beweismittel anerkannten. d) Contra-Protest707 Das Parere vom 25. Mai 1725 enthielt erneut eine gerichtliche Anfrage.708 Da alle Parteien dem Gericht zufolge am gleichen Ort wohnten und ihre Argumentation vor allem auf die Österreichische Wechselordnung stützten, kann vermutet werden, dass hier erneut das Wiener Gericht die Kaufleute ersuchte. 703 704 705 706 707 708

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXV, S. 71 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXV, S. 71 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXIV, S. 205 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXIV, S. 206. Protest wegen verweigerter Regressleistung. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXV, S. 184 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Vorliegend hatte Steffano einen Solawechsel, zahlbar in drei Monaten, an Angelo oder dessen Order ausgestellt, der ihn an Francisco indossiert hatte. Vor Fälligkeit des Wechsels war Angelo insolvent geworden, sodass Francisco zur Verfallzeit die Zahlung nicht von Angelo, sondern von Steffano begehrte. Doch auch dieser zahlte nicht. Daraufhin erhob Francisco sowohl gegen den Aussteller Steffano als auch gegen den Indossanten Angelo Protest. Da er den Aussteller für zahlungsfähiger hielt, verklagte er Steffano. Der vier Jahre währende Prozess verlief erfolglos. Auch Angelo hatte in der Zwischenzeit nicht gezahlt. In der Folgezeit erging zwischen der Masse des Angelo und Steffano ein Vergleich, bei dem auch der Wechsel miteinbezogen wurde. Steffano war darüber hinaus Schuldner des Pietro und wollte diesen Francisco vorziehen. Pietro erhielt dafür den Masseanteil des Steffano an der Masse des Angelo, den Francisco nun anteilsmäßig für den Wechsel von Pietro begehrte. Pietro wiederum stützte sich auf Art. 25 der Österreichischen Wechselordnung und war der Ansicht, indem Francisco den Ausgeber Steffano gerichtlich belangt habe, habe er den Indossanten Angelo übergangen und seinen Regress an dessen Masse verloren. Francisco hingegen meinte, beide in Regress nehmen zu können. Er führte neben Art. 25 der Österreichischen Wechselordnung noch Art. 31 der Preußischen Wechselordnung von 1684, Art. 21 und 22 der Brandenburgischen Wechselordnung, Art. 26 der Braunschweiger Wechselordnung von 1686 und Art. 36 der erneuerten Wechselordnung von 1715, Cap. 6 § 1 der Augsburger Wechselordnung von 1716, Art. 23 der Breslauer Wechselordnung von 1716, Art. 19 und 20 der Magdeburger Wechselordnung von 1703, Art. 19 und 20 der Leipziger Wechselordnung von 1682, Art. 32 und 34 der Hamburger Wechselordnung von 1711 sowie Art. 29 bis 31 der Danziger Wechselordnung von 1701 an. Er war der Ansicht, dass er die aus dem Vergleich folgende Rate von Angelo, die Zinsen und Kosten hingegen von Steffano bekommen müsse.709 Die Frankfurter Kaufleute stützten ihr Gutachten nicht speziell auf eine der von Francisco angeführten Wechselordnungen. Sie betonten aber, „der unvorgreifflichen jedoch im Wechsel=Recht gegründete[n] Meynung“ zu sein, dass Francisco den Wechsel ordentlich protestiert habe. Da er sich mit Protest und Wechsel beim Indossanten gemeldet und Zahlung beansprucht habe, habe er sich trotz gerichtlicher Inanspruchnahme des Steffano durch einen Contra-Protest seinen Regress vorbehalten und könne seinen Anteil aus der Masse des Angelo beanspruchen.710 Art. 25 der Wechselordnung „für die Residenzstadt Wien und das Erzherzogthum Österreich unter der Ens“ von 1717 gab dem Inhaber des Wechselbriefs nur die Möglichkeit des Reihenprotests, wenn der Akzeptant nicht zahlte und den Wechsel in Protest gehen ließ. Danach wären tatsächlich zunächst der vorherige Indossant, hier Angelo, und erst dann der Aussteller Steffano in Anspruch zu nehmen gewesen. Da im vorliegenden Fall von Steffano allerdings ein Solawechsel ausgestellt worden war und Steffano somit nicht nur Aussteller, sondern auch Akzeptant gewesen war, durfte Francisco tatsächlich zunächst Steffano in Anspruch nehmen, ohne den der Wechsel709 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXV, S. 184 f. 710 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXV, S. 186.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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ordnung zugrunde liegenden Reihenregress zu verletzen. Die gleiche Regelung trafen auch die Braunschweiger, Breslauer und Leipziger Wechselordnungen. Danach hatte der Inhaber die freie Wahl, ob er zunächst den Akzeptanten oder lieber den letzten Indossanten in Anspruch nehmen wollte. Nur innerhalb der Indossanten sahen diese drei Wechselordnungen den Reihenregress als zwingend an. Die Magdeburger Wechselordnung wies die gleiche Regelung auf, sah jedoch darüber hinaus vor, dass ein öffentlich Konkurs gegangener Indossant innerhalb der Reihe übersprungen werden durfte. Die Augsburger, die Hamburger und die Danziger Wechselordnung gestanden dem Inhaber sogar eine völlig freie Wahl zwischen den aus dem Wechsel verpflichteten Personen zu, während die Preußische Wechselordnung ein „Variationsrecht“ zumindest im Konkursfall vorsah.711 Insgesamt entsprach die Entscheidung der Frankfurter Kaufleute also allen angeführten Wechselordnungen. Auch wenn sie keine Ordnung explizit heranzogen, ist anzunehmen, dass sie ihre Entscheidung auf die konkreten Ordnungen stützen wollten. Denn entgegen ihrer sonstigen Praxis stützen sie ihr Gutachten nicht nur auf den Handels- und Wechselstil, sondern auch noch auf das „Wechsel=Recht“, womit in diesem Fall die herangezogenen Ordnungen gemeint waren. e) Fehlende Notifikation Im Parere vom 12. März 1720 wollte der Indossant den Aussteller des Wechselbriefs in Anspruch nehmen, nachdem der Akzeptant Jahre zuvor die Zahlung verweigert hatte. Über den zum damaligen Zeitpunkt erhobenen Protest hatte der Indossant den Aussteller nicht in Kenntnis gesetzt. Die Frankfurter Kaufleute entschieden dem Handlungsstil und den Wechselrechten gemäß, dass es „nach allen Wechsel=Rechten, eine gäntzliche ausgemachte Sache“ sei, dass der Präsentant den erhobenen Protest sowie den Wechselbrief am ersten Posttag nach dem Protest an den Aussteller oder Indossanten sende. Da er sich nicht Jahre später erst an den Aussteller wenden könne, habe er keinen Anspruch gegen diesen.712 In einer Entscheidung vom 1. Juli 1724, bei welcher der Regress des Indossatars bereits am unwirksamen Indossament scheiterte, betonten die Deputierten erneut, dass es gegen den Wechselbrauch verstoße, die vorangegangenen Indossanten nicht über den erfolgten Protest zu informieren.713 In einem Fall vom 5. Mai 1723 war der Protest, anders als bisher, verschickt worden, allerdings verspätet. Die Kaufleute betonten, dass der Protest „so gleich oder doch mit nächst abgegangner Post“ an den Indossanten hätte geschickt werden müssen.714 711 Sowohl die Magdeburger als auch die Preußische Wechselordnung weisen das Wort „Konkurs“ auf. Gemeint ist damit aber trotzdem die vollständige Zahlungsunfähigkeit, mithin die „Insolvenz“ im hier verwendeten Sinn. 712 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VII, S. 27 f. 713 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXI, S. 152 f. 714 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LIV, S. 133 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Auch im Parere vom 20. November 1719 entschieden die Frankfurter Kaufleute, dass „sowohl nach täglicher Praxi als auch den meisten und vornehmsten Wechsel=Ordnungen“ der Protest am ersten Posttag an den Giranten oder Aussteller gesendet werden müsse, um den Schaden möglichst gering zu halten.715 Sowohl im Parere vom 12. März 1720 als auch in den eben dargestellten Entscheidungen wählten die Kaufleute als Benachrichtigungsfrist die „nächstmögliche Post“. Dies entsprach einem Großteil der geltenden Wechselordnungen.716 Die Frankfurter Wechselordnung war bezüglich der Frist etwas großzügiger und verlangte in § 10 die Absendung mit der „folgenden ersten oder andern Post zum längsten“. Damit war der Zeitraum aber auch nur unmerklich länger als in anderen Wechselordnungen, sodass die Entscheidung der Deputierten nicht nur mit der Frankfurter, sondern auch mit zahlreichen anderen Wechselordnungen konform war. Die fehlende Benachrichtigung über den erhobenen Protest führte anders als im geltenden Recht nicht zu einer Schadenersatzpflicht des Indossatars (Art. 45 Abs. 6 Wechselgesetz)717, sondern ließ vielmehr seinen Anspruch gegenüber den nicht durch ihn Informierten erlöschen. Die Kaufleute ließen in allen skizzierten Fällen der versäumten Notifikation die Ansprüche eben daran scheitern. Sie stützten ihre Entscheidungen stets auf den Wechselstil und standen damit im Einklang mit zahlreichen Wechselordnungen.718 11. Sicherungsmaßnahmen In mehreren Verfahren beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute mit Sicherungsmaßnahmen für eine Wechselschuld. Neben der Möglichkeit, Kaution zu leisten, kam die Auferlegung eines Arrests in Betracht. a) Sicherheitsleistung Im Parere vom 18. Januar 1730 stand unter anderem die Frage im Raum, ob ein Wechsel, bei welchem der Inhaber sich nicht ausreichend legitimieren kann, nur gegen Kaution zu zahlen ist. Im vorliegenden Fall war ein Wechsel, zahlbar in Wien, an einen Dritten, Dionysios, ohne Indossament oder Zession weitergegeben worden. Obgleich die Erben des Ausstellers den letzten Indossanten ausgezahlt hatten, verweigerte der nunmehrige Inhaber Dionysios die Herausgabe des Wechsels an die Erben. Er verlangte von ihnen die vollständige Auszahlung der Wechselsumme. Die Erben boten 715 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVII, S. 51 ff. 716 Vgl. hierzu: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 387. 717 Die Möglichkeit, den Regressanspruch mangels rechtzeitiger Notifikation untergehen zu lassen, war dem Gesetzgeber so präsent, dass er diesen Fall im Gesetz explizit ausschloss: Wer die rechtzeitige Benachrichtigung versäumt, verliert nicht den Rückgriff (Art.  45 Abs. 6, 1. HS Wechselgesetz). 718 Beck 1729 (wie Anm. 108), Cap. VIII, § 25, S. 327.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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ihm 1200 Gulden unter der Bedingung, dass er sie gegenüber dem letzten Indossanten schadlos halte, da sie nichts Schriftliches von diesem über ihre Zahlung hatten. Dionysios entgegnete, wenn sie sich nicht mit einem bloßen Empfangsschein über die 1200 Gulden begnügten, werde er sein Recht gerichtlich suchen. Der anfragende Richter wendete nun im Prozess unter anderem ein, dass Dionysios nach Art. 35 der Wiener, § 11 der Leipziger, § 20 der Braunschweiger, § 3 der Breslauer und § 27 der Danziger und anderen Wechselordnungen gehalten sei, mangels Indossament eine Kaution zu stellen, zumal Dionysios an keinem Wechselplatz wohne. Das zuständige, wahrscheinlich Wiener Gericht erbat nun von den Deputierten Auskunft.719 Die Kaufleute stellten fest, dass Dionysios sich nicht legitimieren könne. Ihm stünden weder die Wechselsumme noch Zinsen zu, es sei denn, er habe eine vom Magistrat des Ortes, in dem die Erben wohnten, anerkannte Kaution gestellt, um sich gegen alle künftigen Ansprüche abzusichern. Der bloße Empfangsschein des Dionysios genüge nicht, zumal die Wechselordnungen von einem anderen Fall ausgingen. Dort gehe es um den Fall, dass ein Präsentierender nur einen Primawechsel ohne Giro habe und diesen präsentieren wolle, da der ordentlich girierte Sekunda- oder Tertiawechsel nicht rechtzeitig eingetroffen sei. Deswegen sei den Erben erst recht zu raten, auf ihre völlige Sicherheit zu bestehen.720 b) Arrestverfahren Im Parere vom 23. Oktober 1722 hatten die Kaufleute über die Rangfolge der Gläubiger in einem Arrestverfahren zu entscheiden. A aus N hatte ein Gewölbe in O, wo er jährlich auf der Messe Waren verkaufte. A erbat von B einen Vorschuss und gab ihm im Gegenzug sein Kommissionsgeschäft sowie die Schlüssel zum Gewölbe. B gewährte den Vorschuss und nahm die Waren im Gewölbekeller, über dessen Schlüssel er nun verfügte, als Sicherheit sowie einen Wechsel über die Geldsumme. Bei Verfall zahlte A aber nicht, woraufhin ein gewisser C einen Arrest auf das Gewölbe legte und vorgab, Forderungen gegen A zu haben. B protestierte gerichtlich gegen den Arrest und brachte vor, den Vorschuss nur gegen die Sicherheit der Waren im Gewölbe gegeben zu haben. Er wolle sein Kapital bezahlt bekommen und sei dann bereit, einen etwaigen Überschuss gerichtlich zu deponieren. Das Gericht fragte nun an, wer berechtigt sei, die Waren als Sicherheit zu nehmen.721 Die Frankfurter Kaufleute entschieden, dass B berechtigt sei, als Erster von allen Gläubigern sein Kapital nebst Zinsen und Unkosten aus den im Gewölbekeller befindlichen Waren zu ziehen. Er habe die Waren zur Sicherheit in seine Verwahrung und Kommission bekommen, da er sonst keinen Vorschuss an A geleistet hätte. Sie stützten ihre Entscheidung auf § 34 der Leipziger Wechselordnung, § 35 der erneuerten Bres-

719 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 206, 18.1.1730. 720 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 206, 18.1.1730. 721 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLII, S. 107.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

lauer Wechselordnung, § 32 der Braunschweiger Wechselordnung von 1686 bzw. § 53 der neueren Braunschweiger Wechselordnung von 1715, § 34 der Danziger Wechselordnung von 1701, § 46 der Hamburger Wechselordnung von 1711, ein Augsburger Ratsdekret vom 28. Februar 1682, das „Compensations- und Retentions-Recht in Falliments-Fällen betreffend“, sowie § 20 der Frankfurter Wechselordnung von 1666.722 Neben dem bereits erwähnten Parere der in die Pfalz verzogenen Witwe vom 28. Mai 1723, in welchem es unter anderem auch um einen Sacharrest ging, beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute auch im Parere vom 28. Januar 1730 um einen mit Arrest belegten Wechsel. A stellte am 21. November 1729 einen Solawechsel, zahlbar in zwei Monaten, an die Order des B aus. Er bekannte darin, die Wechselsumme von C erhalten zu haben. B girierte einen Tag später an D. 14 Tage später war B insolvent, woraufhin C bei Verfall einen Arrest bei der Obrigkeit erwirkte, die diesem stattgab. Gefragt wurden die Kaufleute nun, ob C das Recht gehabt habe, diesen Arrest zu erwirken, oder ob nicht vielmehr der Inhaber des Wechsels, D, den Betrag hätte bekommen müssen. Die „Herren Vorsteher löblicher Kauffmannschafft“ wurden „gegen gewöhnliche Gebühr“ gebeten, ihr „ohnpartheyisches Sentiment“ zu geben.723 Die Börsenvorsteher entschieden, dass C nicht berechtigt gewesen sei, einen ­Arrest auf die Sache zu erwirken, da B sich nicht an C habe halten können. C sei nur als Zahlender, nicht als Gläubiger erwähnt gewesen und D habe zudem den Wechsel rechtmäßig erhandelt, da B zu diesem Zeitpunkt noch nicht insolvent gewesen sei. Somit sei D rechtmäßiger Eigentümer und der Arrest könne nicht C, sondern nur D zugesprochen werden. Ihre Entscheidung stützten die Deputierten in diesem Fall weder auf eine Norm noch auf den „Wechsel- und Handelsstil“. Sie konstatierten vielmehr, dass ein „gerechter Richter Salva Justitia den von C. unrechtmäßiger Weise arrestirten Betrag dieses Wechselbriefs, dem D. ohne anders Abfolgen zu lassen refusiren könne“.724 12. Materiellrechtliche Einreden Nicht selten versuchten aus dem Wechsel Verpflichtete ihre Zahlungspflicht mittels materiellrechtlicher Einreden zurückzuweisen. Neben der Einrede der Verjährung setzten sich die Frankfurter Kaufleute besonders häufig mit der Gegenforderungseinrede, der exceptio compensationis, auseinander. Hier war insbesondere streitig, ob diese überhaupt zulässig sei. Indes spitzte sich der Streit in Fällen zu, in denen die Einrede der nicht gezahlten Valuta, die exceptio non numeratae pecuniae, erhoben wurde.

722 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLII, S. 108. 723 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 207, 28.1.1730. 724 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 207, 28.1.1730.

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Inhaltliche Auswertung der Gutachten

a) Verjährung Im Parere vom 15. April 1721 hatte A zwei Solawechsel an die Order des B, zahlbar in vier bzw. sechs Monaten, in Frankfurt ausgestellt. Bei Verfallzeit protestierte B mangels Zahlung. Anschließend verstarb er. Nach sechs Jahren forderte seine Frau die Zahlung ein. A wendete nun ein, dass das Wechselrecht nach sechs Jahren erloschen sei. Vielmehr hätte die Witwe nach Ableben des B den Protest erneuern müssen. Das angerufene Gericht erbat von den Deputierten Auskunft, wie es nach „dasiger Wechsel=Ordnung gebräuchlich ist“.725 Die Kaufleute erkannten auf die Zahlungspflicht des A und entschieden, dass der Protest in Todesfällen nicht erneuert werden müsse. Im Übrigen sei der Protest im zugrunde liegenden Fall ohnehin nicht erforderlich gewesen, da der Wechsel nicht indossiert worden sei.726 Sie stützten sich bei ihren Ausführungen auf den „Wechsel- und Handelsstil“, da es keine einschlägige Verjährungsnorm in der Frankfurter Wechselordnung gab. Am Protest, wie von A eingewendet, wäre es wohl kaum gescheitert, da dieser einerseits obsolet und andererseits ordnungsgemäß erhoben worden war. Auch im Parere vom 17. Mai 1719 sahen die Frankfurter Kaufleute die in Rede stehende Forderung nicht als verjährt an. Mevius hatte 1703 mehrere auf Fabius in Wien gezogene Wechsel an Sempronius indossiert. Dabei hatte er sich ausbedungen, dass ein Rückgriff auf ihn ausgeschlossen sei. Fabius verstarb, sein Sohn Titius, der auch einige Wechsel akzeptiert hatte, verweigerte die Zahlung unter fadenscheinigen Gründen. Einige Jahre später gab er vor, mit Mevius abgerechnet zu haben, da er diesem bereits vor der Akzeptanz der Wechselbriefe einige Tausend Reichstaler ge­ geben und damit auch die Forderung aus den Wechseln getilgt habe. Sempronius hielt sich an Mevius, der sich auf seinen Haftungsausschluss berief. Sempronius wendete ein, dass der Haftungsausschluss nicht einer Abrechnung zwischen Mevius und Titius dienen könne und warf den beiden Betrug vor. Nach einigen Prozessen und der Einholung einiger Gutachten unterschiedlicher Juristenfakultäten wurde entschieden, dass Sempronius sich an Titius halten müsse. Dieser berief sich sodann auf die Verjährung der Wechselbriefe. Das Auskunft begehrende Gericht stellte den Deputierten die Frage, ob Titius sich auf die Verjährung berufen könne, oder „ob nicht, wann man solche Verjährung zustehen wollte, aller Chicaneurs und böser Zahler Intriques und gottlose Streiche approbiret, sie darin gestärckt, mithin dem äußersten Ruin des Negotii und dessen guten Credit Thür und Thor geöffnet werden“. Des Weiteren fragte das Gericht, ob Titius nicht als Erbe bzw. Akzeptant zur Zahlung verpflichtet sei, er ohne Wissen des rechtmäßigen Inhabers an einen Giranten habe zahlen dürfen, oder ob Titius nicht an Sempronius leisten und sich selbst an Mevius schadlos halten müsse.727

725 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXII, S. 86 f. 726 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXII, S. 87. 727 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XI, S. 35 f.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Die Börsenvorsteher antworteten, dass Sempronius nicht zur sofortigen Durch­ führung verpflichtet gewesen sei und sich seine Rechte gesichert habe, da er sich rechtzeitig an den Erben des Fabius gewandt und dieser vorgegeben habe, die Zahlung leisten zu wollen. Deswegen könne sich Titius nicht auf Verjährung berufen, anderenfalls werde dieses Verhalten „gleichsam einen Grund zum Ruin der Handlung“ legen. Titius sei als Akzeptant und Erbe zur Zahlung verpflichtet und habe nicht ohne Wissen des Inhabers Sempronius an Mevius leisten dürfen. Dies sei als Kollusion anzusehen. Titius müsse an Sempronius leisten und sich an Mevius halten.728 Eine Verjährung der Ansprüche aus dem Wechsel stellten die Gutachter hingegen in den folgenden zwei Fällen fest. Im Parere vom 12. September 1721 begehrte ein Indossant vierzehn Jahre nach Ausstellung noch Zahlung aus dem Wechsel. A aus London hatte am 12. Mai 1698 an B in Amsterdam oder dessen Order drei Wechsel, gezogen auf C in Frankfurt, zahlbar zur Frankfurter Herbstmesse 1698, ausgestellt. B konnte zunächst kein Geld für die Wechsel aufbringen und sollte dieses zur Verfallzeit in Frankfurt zahlen. Die Wechsel wurden sodann von B an D in Leipzig, von D an E in Halberstadt und von E an H ohne Order indossiert. Da D von E kein Geld bekommen hatte, stoppte er ohne Kenntnis des A die Akzeptation durch C und ließ sich von B in gleicher Höhe einen neuen Schuldschein ausstellen. B behauptete nun, an D gezahlt, sich aber die Wechsel nicht ausgehändigt haben zu lassen. Anfang 1699 forderte A die Wechsel von B ein, der ihm stattdessen versicherte, A könne von niemandem mehr in Anspruch genommen werden. A starb Anfang Mai 1712. Im Juli begehrte D Zahlung aus den Wechseln und behauptete, nicht vorher den Anspruch geltend gemacht haben zu können, da die Wechsel zuvor in anderen Händen gewesen seien.729 Das in der Sache tätige Gericht schilderte den Sachverhalt sehr umfangreich und legte gleich sieben Schriftstücke zu Beweiszwecken bei. Sodann konfrontierte es die Handlungsvorsteher mit sieben ausführlich formulierten Fragen. Die Antwort der Gutachter fiel wie gewöhnlich im Verhältnis zu der seitens des Gerichts sehr ausführlich geschilderten Sachverhaltsdarstellung knapp aus.730 Die Kaufleute gestanden D keinen Anspruch zu und entschieden, dass er den Schaden selbst tragen müsse. Sie beurteilten die Wechsel durch die Ausstellung des neuen Schuldscheins als „gleichsam annullirt“. Des Weiteren seien die Indossamente ohne Order ausgestellt worden und dürften damit, anders als D behauptete, nicht in anderen Händen gewesen sein. Darüber hinaus hätte D rechtzeitig A informieren müssen, da sich A dann noch an B hätte halten können. Im Übrigen könne D nach 14 Jahren keine Ansprüche mehr geltend machen. Vielmehr würden Wechsel grundsätzlich nach einem gewissen Zeitablauf nach der Verfallzeit erlöschen. Sie führten an, dass die Leipziger Wechselordnung gemäß § 32 hierfür eine Jahresfrist, die Kurbrandenburgische Wechselordnung in § 28 zehn Jahre, die Magdeburger Wechselordnung nach § 36 für fremde Wechsel

728 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XI, S. 36 f. 729 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIII, S. 108 ff. 730 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIII, S. 117 f.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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vier Wochen, für eigene ebenfalls eine Jahresfrist731 und die französische Wechselordnung in § 21 fünf Jahre vorsah.732 Im Parere vom 7. August 1726 erachteten die Kaufleute die Forderungen aus dem Wechsel ebenfalls als verjährt, da der Wechsel sechs Jahre nach Verfallzeit überhaupt erst der Witwe des Ausstellers präsentiert worden war. Überdies bedurfte es noch weiterer sieben Jahre bis zur Klageerhebung. Auch in diesem Verfahren war bereits eine Klage anhängig. Wer hier allerdings die Anfrage stellte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.733 b) Exceptio compensationis In vier Pareres beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute mit der Aufrechnung von Forderungen, die dem Wechsel gegenüberstanden. In der Entscheidung vom 15. Mai 1720 sowie im Parere vom 7. Dezember 1724 standen den Wechselforderungen Forderungen aus Geschäften gegenüber, die nicht selbst in einem Wechsel verbrieft waren. In beiden Fällen erachteten die Kaufleute dem „Wechsel- bzw. Handelsstil“ gemäß die einander gegenüberstehenden Forderungen als kompensierbar.734 Im Parere vom 30. November 1725 entschieden die Deputierten, dass bei einem noch nicht indossierten Solawechsel die exceptio compensationis zulässig sei. Wichtig war in diesem Zusammenhang, dass der Wechsel sich noch in erster Hand befand.735 Dementsprechend sahen die Kaufleute im Parere vom 13. Dezember 1720 die exceptio compensationis bei einem indossierten Wechsel als unzulässig an.736 Das zuständige Gericht erfragte im vorliegenden Fall die Zulässigkeit der Gegenforderungseinrede unter Verweis auf Ludovici, der in Cap. XI, §§ 31–33 behaupte, dass die exceptio compensationis bei einem indossierten Wechsel außerhalb Sachsens zulässig sei.737 Die Kaufleute widersprachen Ludovicis Ansicht, da sie eine Gefahr für den Handel vermuteten: „obschon der angezogene Ludovici in loco citato vermuthet […] so ist doch dieses Sentiment nicht allein der Natur eines Giro und täglichen Usance, sondern auch denen vornehmbsten niedergeschriebenen Wechsel=Ordnungen, und zwar umb desto mehr zuwieder, weilen im wiedrigen ohnmöglich bona fides, und damit der Wechsel=Handel selbst bestehen und getrieben werden könnte“.738

731 Die Jahresfrist für eigene Wechsel ist in der Magdeburger Wechselordnung von 1703 in Art. XXIV und nicht, wie von den Kaufleuten behauptet, in § 36 normiert worden. Jedoch beinhaltete die Wechselordnung von 1703 keine Vier-Wochen-Regelung für andere Wechsel. Eine weitere Magdeburger Wechselordnung neben der von 1703 ist indes nicht bekannt. 732 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIII, S. 118. 733 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LIX, S. 147 ff. 734 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIV, S. 68 ff. und P LXXIII, S. 180 ff. 735 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXVIII, S. 190 ff. 736 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 58 ff. 737 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 59. 738 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 62.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

c) Exceptio non numeratae pecuniae Die exceptio non numeratae pecuniae, die Einrede des nicht gezahlten Geldes, wurde sowohl in zahlreichen Wechselordnungen739 sowie in der zeitgenössischen Rechtsliteratur als auch vom Reichskammergericht grundsätzlich als im Wechselprozess unzulässige Einrede angesehen.740 In den drei untersuchten Frankfurter Pareres, welche die Einrede zum Gegenstand hatten, sprachen sich die Frankfurter Kaufleute ebenfalls für diese Rechtsansicht aus. In allen drei Fällen waren die dem Rechtsgeschäft zugrunde liegenden Wechsel indossiert worden, sodass die exceptio als unzulässig betrachtet wurde.741 In der Praxis wurde offenbar häufig versucht, die Einrede geltend zu machen. Dies zeigt sich bereits in einer 1652 an den Rat der Stadt Frankfurt gerichteten Eingabe von 16 Kaufleuten bzw. Handelsgesellschaften, in welcher das Verbot der exceptio non numeratae pecuniae verlangt wurde, „da der jenige / so einen Wechsel=Brief also simpliciter acceptirt gemelte Exception keines wegs vorschützen könne / sondern Krafft wohlhergebrachten Sprichworts Chi accetta pagha, zu zahlen schuldig sey“.742 Die Frankfurter Wechselordnung von 1666 ordnete in § 15 schließlich ein Verbot der exceptio non numeratae pecuniae in Wechselsachen an. 13. Zulässigkeit von Beweismitteln Im Parere vom 16. November 1719 wurden die Börsenvorsteher bereits zum zweiten Mal in der gleichen Sache in Anspruch genommen. Zugrunde lag dem Parere ein Streit über die Zulässigkeit von Eidesleistungen und den Wert der Beweisführung mittels Handelsbüchern. A hatte an B in Paris am 12. Mai 1718 Wechselbriefe über 6000 Pfund versendet. Anfang Juni kam es zur Inflation der französischen Währung, sodass B mehr zahlen musste. B begehrte nun die Differenz von A und stellte ihm zu diesem Zweck eine Rechnung. A nahm diese an und bat B, sich zu gedulden, bis er andere Geschäfte geregelt habe. Dies versprach A vor dem ältesten Bürgermeister Herrn von Kellers, der den Aufschub gewährte und B darüber informierte. Nachdem aber nun in gleicher 739 Cap. 4, § 1 der Nürnberger Wechselordnung vom 16.2.1722, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 72–82, S. 77; § 3 der Leipziger Wechselordnung vom 2.10.1682, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 152–168, S. 153; Art. V der Wiener Wechselordnung von 1717, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 101–122, S. 104; Art. 1 der Braunschweiger Wechselordnung vom 1.8.1715, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 117–132, S. 118; Art. XVI der Danziger Wechselordnung vom 8.3.1701, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 269–279, S. 272; Art. 4 der Kölner Wechselordnung vom 14.3.1691, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 245–247, S. 246 sowie § 15 der Frankfurter Wechselordnung von 1666, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. ­229–235, S. 234. 740 Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 332 ff. 741 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLVIII, S. 124 f.; P XLIX, S. 125 ff.; P LV, S. 135 f. 742 Vogt 1670 (wie Anm. 141), S. 179; näher dazu: Lammel 1993 (wie Anm. 217), S. 110.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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Sache ein Herr Gogel die Gläubiger Olenschlager  & Compagnie sowie Gebrüder Metzler befriedigt hatte, verurteilte der älteste Bürgermeister A ebenfalls zur Zahlung. A appellierte an den Schöffenrat, der den B an den Geschäftspartner in Frankreich verwies, was allerdings nicht von Erfolg gekrönt war. B wandte sich nun erstmalig in der Sache an die Frankfurter Kaufleute, die A zur Begleichung des durch die Inflation eingetretenen Schadens aufforderten. Dieser weigerte sich und behauptete vor dem Schöffenrat, B habe bereits bei Abschluss des Handels Kenntnis von der Inflation gehabt. Deshalb habe er ihm mitgeteilt, auf den Handel 1,5 Prozent aufschlagen zu müssen. Dies wollte A mit einem körperlichen Eid und dem Juramento malitiae743 sowie seinem Handelsbuch beweisen.744 B hatte sich auf den Beweis per Handelsbuch eingelassen. Allerdings konnte A diesen ausweislich des bürgermeisterlichen Dekrets nicht erbringen und wurde von B deswegen zum körperlichen Eid nicht zugelassen.745 Nun sollte ein „unpartheyisches Urteil von einer auswärtigen Universitaet“ eingeholt werden und zudem die Börsenvorsteher „nach dem Stylo und observantz derer Kauffleuthe“ befragt werden, „damit aber die künfftige Resp. Herren Richtere informiret seyn mögen“.746 Das anfragende Gericht legte Aktenauszüge über die Aussagen des A sowie die Repliken des B bei und stellte den Kaufleuten fünf Fragen, mit der Bitte, „aus Liebe zur Gerechtigkeit, sonderlich aber damit der theureste Nahme Gottes nicht entheiliget werde“ ihr unparteiisches Parere zu erteilen.747 Das Gericht fragte, ob anzunehmen sei, dass B die Briefe auf eigene Gefahr gehandelt habe und, ob eine mögliche Vereinbarung zwischen A und B nicht gemäß dem Kaufmannsstil in den Handelsbüchern des A hätte gefunden werden müssen. Außerdem fragte das Gericht, ob A und B am 12. Mai bereits von der am 1. Mai 1718 743 Das iuramentum malitiae entstammt eigentlich dem kanonischen Prozess und entspricht dem iuramentum calumniae. Bei diesem handelt es sich um einen Eid, mit dem der Prozessbeteiligte versichert, das Gerichtsverfahren nicht mutwillig zu torpedieren, näher hierzu siehe: Wolfgang Sellert, Kalumnieneid, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II: Geistliche Gerichtsbarkeit – Konfiskation, 2. Auflage, Berlin 2012, Sp. 1538. 744 Die Möglichkeit, durch die Eidesleistung anstelle eines halben Beweises, den ein Handelsbuch eigentlich erbrachte, einen vollen Beweis zu erlangen, sah die Frankfurter Reformation von 1578 für kaufmännische Bücher in Ref. I 31 § 12 vor. Mehr zur Beweiskraft kaufmännischer Bücher nach den Regelungen der Frankfurter Reformation von 1578 bei: Amend-Traut im Erscheinen (wie Anm. 18). 745 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 45 ff. Bei dem von B zu erbringenden körperlichen Eid handelte es sich wohl um einen Parteieid, der einen unvollständigen Beweis – hier den Beweis mittels Handelsbuch – hätte komplettieren können, vgl.: Dietlinde Munzel-Everling, Eid, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Auflage, Berlin 2008, Sp. 1260. 746 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 47. 747 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 49.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

in Frankreich erfolgten Währungsabwertung hätten wissen können und B, falls er tatsächlich beiläufig erwähnt haben sollte, dass er 1,5 Prozent Risikoaufschlag nehme, selbst den Schaden tragen müsste. Des Weiteren gab das Gericht zu bedenken, dass der Handel zugrunde gerichtet werden könne, wenn jeder Schuldner sich von seiner Schuld durch bloßes Eidschwören, ohne einen Beweis durch Handelsbücher zu erbringen, freisprechen könne. Außerdem sei anzumerken, dass A bereits vor 15 Monaten Akten verschickt und anstatt dem Universitätsgutachten zu folgen, nach welchem er die Vereinbarung hätte beweisen, aber nicht beschwören müssen, die Fakultäts­ herren beleidigt habe.748 Die Frankfurter Kaufleute entschieden, dass A nicht den Beweis geführt und B die Briefe auf seine Gefahr gehandelt habe. Zudem müssten ordentliche und verständige Handelsleute außerordentliche Bedingungen eines Geschäfts schriftlich festhalten, insbesondere wenn der Vertrag durch keinen Makler geschlossen werde. A hätte somit die Vereinbarung in seinen Handelsbüchern notieren müssen. In Frankfurt habe darüber hinaus vor dem 1. Juli 1718 keine Kenntnis über die in Frankreich erfolgte Inflation bestanden, sodass es kaum möglich gewesen wäre, bereits am 12. Mai davon Kenntnis zu haben. Des Weiteren waren die Börsenvorsteher der Ansicht, dass die 1,5 Prozent, sofern sie vereinbart worden wären, nur auf den Abschlag des Wechsels auszudehnen seien. Im Übrigen schade es der Handlung, wenn eine Behauptung ohne den geringsten Beweis und gegen jede Wahrscheinlichkeit durch einen Eid beschworen werde. Zudem sei dies weder allgemein noch speziell nach den „Mercantil-­ Rechten“ erlaubt. Handelsbücher erbrächten nach allen Rechten einen halben Beweis und könnten durch das juramentum suppletorium (Erfüllungseid) zu einem vollen Beweis bestärkt werden, sodass die fehlende Eintragung im Buch des A der Erbringung des Eides entgegenstehe und auch gegen ihn zeuge.749 Gegenstand des Pareres vom 9. Juli 1728 war die Zulässigkeit des Zeugenbeweises in Wechselsachen. Der Handelsmann Cajus hatte von einem Juden Waren von sehr hohem Wert angenommen, worüber er einen Wechsel ausstellte. Den Wechsel zahlte er sodann anteilig und stellte über die Restsumme einen neuen Wechsel aus. Allerdings hatte der Jude den ersten Wechsel unbemerkt an sich genommen und versuchte einige Zeit später, Cajus aus beiden Wechseln in Anspruch zu nehmen. Cajus berief sich auf die exceptio solutionis und bot über die bereits erfolgte Zahlung einen Zeugenbeweis sowie „des Juden Hand“ an. Der Jude lehnte dies ab, da der Zeugenbeweis in Wechsel­ 748 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 49 f. 749 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 50 f. Mehr zur Beweiskraft der kaufmännischen Handelsbücher bei: Carsten Dunkmann, Die Beweiskraft der Handelsbücher. Von den Anfängen bis zur Verabschiedung des ADHGB von 1861, Saarbrücken 2007, S. 244 ff.; außerdem mehr zu einem reichskammergerichtlichen Prozess, in dem die Beweiskraft der Handelsbücher eine zentrale Rolle spielte, demnächst: Sonja Breustedt, Kaufmännische Expertise vor Gericht. Die Auswirkung der „Affäre Oppenheimer“ auf die jüdische und die christliche Finanzwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Anja Amend-Traut / ​Walter Bauernfeind / ​Hans-Jo­ achim Hecker / ​Hans-Georg Hermann, Handel, Recht und Gericht in Mittelalter und Früher Neuzeit. Die Reichsstadt Nürnberg im überregionalen Kontext, im Erscheinen.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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sachen unzulässig sei und durch „des Juden Hand“ nur der Empfang einer dem Wechsel vergleichbaren Summe, nicht aber die Zahlung aus dem Wechsel bewiesen werden könne. Cajus wurde mangels anderer Beweise unter dem Vorbehalt, seine Exzeptionen separat anbringen zu dürfen, zur Zahlung verurteilt. Die anfragende Partei wendete sich an die Frankfurter Kaufleute, da „man nun in Wechsel=Sachen nach dem Stylo des nächsten Wechselbriefs=Platzes sich zu richten pfleget, so möchte man von einem löblichen Wechsel=Gericht zu Franckfurth deshalben gerne benachrichtigt, und über die nachgesetzte Fragen, durch ein beglaubtes Parere gegen die Gebühr fordersamst belehret seyn“.750 Die Börsenvorsteher wurden gefragt, ob in Wechselsachen Zeugen zur Erbringung der bereits geleisteten Zahlung (ad probandam exceptionem solutionis) zulässig seien oder das generelle Bekenntnis, Geld in Höhe der Wechselsumme empfangen zu haben, ausreichend sei, vor allem, wenn der Empfänger keinen anderen Grund benennen könne. Des Weiteren wollte der Auskunftersuchende wissen, ob der Beklagte sich gerichtlich wehren könne und von dem Kläger, der im Bezirk des angerufenen Gerichts noch nicht einmal Immobilien habe, Kaution begehren könne.751 Die Deputierten entschieden, dass die Zahlung eines Wechselbriefes durch Zeugen bewiesen und als exceptio factae solutionis dem Wechselbrief entgegen gehalten werden könne, solange der Wechselbrief sich noch in erster Hand befinde, also nicht indossiert wurde. Durch eine Generalquittung könne zwar die Zahlung des Wechsels nicht bewiesen werden, jedoch sollte es die Mühe eines gerechten Richters wert sein, zu überprüfen, ob die Summen übereinstimmten und wie sich der Fall tatsächlich zugetragen habe. Der Beklagte könne sich der Billigkeit gemäß gerichtlich wehren und der Kläger müsse dafür eine Kaution stellen.752 Die Frankfurter Kaufleute umgingen ein Stück weit die Problematik der Zulässigkeit des Zeugenbeweises in Wechselsachen. Sie ließen ihn zwar zu, allerdings nur für den Fall, dass der Wechsel noch nicht indossiert, mithin nicht in Umlauf gebracht worden war, und somit der Zeugenbeweis nicht zu Lasten einer dritten unbeteiligten Person gehen konnte. Schlussendlich sollte durch den Zeugen lediglich die Zahlung bewiesen werden, sodass der Schwerpunkt nicht im Wechselrecht lag.753 14. Wechselrechtliche Probleme im Konkurs- und Insolvenzfall Wechselrechtliche Probleme im Konkurs- und Insolvenzfall begegneten den Frankfurter Kaufleuten in unterschiedlichen Konstellationen, je nachdem, welche der beteiligten Parteien zahlungsunfähig war.

750 751 752 753

ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 185, 9.7.1728. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 185, 9.7.1728. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 185, 9.7.1728. Siehe hierzu auch die bei Anja Amend-Traut geschilderten Fälle, in denen dem Wechselprozess an sich fremde Beweismittel zugelassen wurden, wenn der Schwerpunkt der Auseinandersetzung nicht im Wechselrecht lag: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 317 f.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

In zwei Pareres hatten bereits insolvente Handelsleute noch Rimessen bzw. Wechselbriefe indossiert. In beiden Fällen erachteten die Börsenvorsteher das Indossament als unzulässig.754 Im Parere vom 20. Mai 1721 beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute mit der Frage, ob der Inhaber eines Wechsels berechtigt sei, denselben an einen Schuldner des zahlungsunfähigen Ausstellers zum Zweck der Aufrechnung zu zedieren.755 Die Deputierten stellten fest, dass grundsätzlich zwar ein Inhaber an einen Dritten zedieren könne. Wenn allerdings ein Insolvenzfall eintrete, würden die Forderungen nicht mehr dem „Falliten“ gehören, sondern seinen Gläubigern. Dann könne weder der „Fallit“ noch ein Dritter über Waren oder Effekte verfügen. Im vorliegenden Fall könne der Dritte „dem Wechsel= und Handels=Stylo auch [der] Billigkeit gemäß“ nicht aufrechnen, die Effekte gingen vielmehr in die Insolvenzmasse ein. Eine zulässige Aufrechnung, die allerdings nicht der Ausgangslage des Falles entspreche, sei in § 20 der Frankfurter Wechselordnung geregelt.756 § 20 betraf die Aufrechnung innerhalb eines Kommissionsgeschäftes und war damit in der Tat auf besagten Fall nicht anwendbar. Um das Parere vom 26. Juni 1722 wurden die Frankfurter Kaufleute erneut „gegen die Gebühr“ gebeten.757 Im zugrunde liegenden Fall hatte Mevia mit ihrem ersten Ehemann Sempronius ein gemeinsames Geschäft geführt. Sie handelte mit Waren, führte die Bücher und stellte Wechsel aus. Nach dem Tod des Sempronius betrieb sie das Geschäft allein, bis sie nach der Eheschließung mit Mevius gemeinsam mit diesem arbeitete und sich an nahezu allen Geschäftsvorgängen, unter anderem auch der Ausstellung von Wechseln, beteiligte. Am 30. September 1720 stellte Mevius einen Wechsel über 1575 Rthlr. an Cajus, zahlbar am 30. September 1721, aus. Mevius verließ indes vorübergehend seine Frau und verschuldete sich auswärtig. Im Juli 1721 versöhnten sich die Eheleute und unterschrieben gemeinsam einen Vergleich mit den auswärtigen Gläubigern. Cajus hatte den Vergleich nicht mitunterschrieben, da sein Wechsel erst später verfiel und Mevius ihm die Zahlung zugesagt hatte, zumal Mevius auch andere Auswärtige vor dem Vergleich bezahlt hatte. Als Cajus aber zur Verfallzeit Zahlung begehrte, empfahlen Mevius und Mevia Cajus, auch in den Vergleich einzutreten, da sie zahlungsunfähig seien. Cajus willigte aber nicht ein und ließ den Wechsel am 1. Oktober 1721 protestieren. 1722 verstarb Mevius und Mevia führte die Geschäfte weiter. Nun begehrte die anfragende Partei Auskunft, ob Mevia, die vor und nach dem Tod die Handlung geführt hatte, dem Cajus zum Ersatz des Kapitals sowie der Zinsen und Kosten etc. verpflichtet sei oder vielmehr Cajus verpflichtet sei, sich aus der Konkursmasse befriedigen zu lassen.758

754 755 756 757 758

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P VI, S. 26 f. und P LXXX, S. 196 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXIII, S. 88. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXIII, S. 89. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXVIII, S. 97. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXVIII, S. 96 ff.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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Die Deputierten stellten in ihrem „auff das Wechsel=Recht gegründete[n] Gutachten“ fest, dass Mevia verpflichtet sei, den von ihrem „Socius“ Mevius ausgestellten Wechsel nebst Nebenkosten umgehend zu zahlen. Cajus müsse nicht abwarten, bis die „Accords=Jahre“ zu Ende gehen. Im Übrigen könne niemand durch einen Akkord (Vergleich) gezwungen werden, seine Schuldforderung aufzugeben und der Konkursmasse beizutreten. Diese Einschätzung entsprach auch der Frankfurter Fallitenordnung von 1708, der ersten Frankfurter Konkursordnung.759 Allerdings, so die Handlungsvorsteher, müsse Cajus seine Forderung zurückstellen, bis die von den meisten Gläubigern dem Schuldner zugestandenen Zahlungstermine abgelaufen seien.760 Diese Regelung lässt sich weder in der Fallitenordnung von 1708 noch in der ebenfalls einschlägigen Verordnung über die Cessione bonorum von 1631 noch in der Frankfurter Reformation von 1611 finden. Diese Billigkeitsentscheidung hatten die Handlungsvorsteher offenbar selbst getroffen. Gegenstand des Pareres vom 8. Oktober 1727 war ein im Rahmen eines Kommissionsgeschäftes eingelöster Wechsel. Die Kommissionäre A und B sollten für C & Compagnie einige blanko indossierte Wechsel in G einlösen. A und B akzeptierten die Wechsel nun selbst. Vor Verfallzeit waren A und B insolvent. Als C & Compagnie diese Nachricht vernahmen, schickten sie noch vor Fälligkeit einen Notar, der ihre Eigentumsansprüche auf die Wechselbriefe anmeldete.761 Die Handlungsvorsteher wurden nun gefragt, ob die Wechsel noch im Eigentum des C & Compagnie stünden oder nicht vielmehr zur Verfallzeit in die Insolvenzmasse fielen und das Ius compensationis & retentionis der Augsburger Wechselordnung Anwendung finde.762 Die Frankfurter Kaufleute entschieden, wenn C & Compagnie beweisen könnten, dass die Wechsel von A und B für C & Compagnie, also als Kommissionsgeschäft, hätten eingelöst werden sollen, könnten die Wechsel nicht zur Masse gezogen werden, da C & Compagnie Eigentümer der Wechsel seien. Das Ius compensationis & retentionis der Augsburger Wechselordnung finde hingegen keine Anwendung.763 Völlig zu Recht befanden die Frankfurter Kaufleute das Augsburger Ius compensationis & retentionis für nicht anwendbar. Dieses sah die primäre Befriedigung des Kommissionärs aus der ihm anvertrauten Ware vor, wenn dieser dem Kommittenten einen finanziellen Vorschuss erteilt und die Waren als Sicherheitsleistung für sich genommen hatte. Die Frankfurter Kaufleute hatten im Parere vom 23. Oktober 1722 das entsprechende Augsburger Ratsdekret vom 28.2.1682 auf den dort zugrunde liegenden Fall für anwendbar befunden.764

759 Art. XIIf. Frankfurter Fallitenordnung von 1708, abgedruckt bei: Schmitt 2016 (wie Anm. 531), S. 340 ff. Mehr zur Verordnung selbst, siehe: Schmitt 2016 (wie Anm. 531), S. 63 f. 760 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXVIII, S. 98. 761 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXII, S. 201 ff. 762 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXII, S. 202. 763 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXII, S. 203. 764 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLII, S. 107.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

15. Wechselrechtliche Probleme im Rahmen des Kommissionsgeschäfts Im Rahmen des Kommissionsgeschäfts betrafen die Streitigkeiten hauptsächlich die Reichweite der Verpflichtung des Kommissionärs, also desjenigen, der im eigenen Namen auf fremde Rechnung Waren verkauft. Insbesondere die Risikoverteilung im Kommissionsgeschäft war häufig streitig. In drei Fällen hatte der Kommissionär für seinen Kommittenten Wechsel giriert und wollte später nicht aus diesen in Anspruch genommen werden. In allen Fällen erkannten die Kaufleute auf eine Zahlungspflicht des Kommissionärs, da jeder, der seine Unterschrift unter einen Wechsel setze, aus diesem auch verpflichtet werden könne.765 Auf die im ersten Fall vom anfragenden Kommittenten herangezogene Leipziger Wechselordnung gingen die Deputierten nicht ein, sondern begründeten vielmehr, dass es in Wechselgeschäften eine „ausgemachte Sache“ sei, aus einem unterschriebenen Wechsel in Anspruch genommen zu werden.766 Im Parere vom 20. Dezember 1720 entschieden die Frankfurter Kaufleute, dass ein Kommissionär dem Kommittenten für den Geldeingang verantwortlich sei. Im zugrunde liegenden Fall hatte der Kommissionär den Wechsel für seinen Auftraggeber weiterverkauft, allerdings nicht gleich die Summe vom Käufer erhalten, welcher anschließend zahlungsunfähig war. Den Zahlungsausfall musste nun der Kommissionär tragen.767 Im Parere vom 10. Oktober 1720 ging es um eine Schadenersatzleistung des Kommissionärs. A aus Frankfurt hatte am 22. Juni den Frankfurter B, der sich zu diesem Zeitpunkt in Lyon befand, beauftragt, einen Wechsel über 3000 Pfund auf Amsterdam zu ziehen und diese 3000 Pfund an C nach Grenoble zu senden. B antwortete am 6. Juli, dass er den Wechsel für eine Provision von 25 ¼ Prozent auf Amsterdam gezogen habe und am 7. Juli die 3000 Pfund nach Grenoble senden wolle. C teilte am 11. August dem A mit, dass er die 3000 Pfund nicht erhalten habe und deswegen die verlangten Waren nicht senden werde. Auf Nachfrage bei dem mittlerweile nach Frankfurt zurückgekehrten B gab dieser zu, das Geld 14 Tage behalten zu haben. Er habe der Post eine solch hohe Summe nicht anvertrauen wollen und habe bei seiner Abreise die 3000 Pfund bei seinem Korrespondenten in Lyon gelassen, der wohl vergessen habe, das Geld C zukommen zu lassen. A hatte nicht nur keine Waren von C erhalten, darüber hinaus fiel am 15. August der Wechsel von Lyon auf Amsterdam inflationsbedingt, wodurch A einen weiteren Schaden erlitt. A argumentierte nun, dass auch viel größere Summen mit der Post versendet würden, und begehrte, dass B entweder die 3000 Pfund für seine Rechnung behalte oder ihm sowohl den Schaden ersetze, der durch die Abwertung des Wechsels entstanden sei, als auch denjenigen, der durch die entgangene Warenlieferung entstanden sei.768 765 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXVIII vom 7.2.1721, S. 80 f.; P XXXIV vom 1.7.1721, S. 89 f. und P LXV vom 10.3.1724, S. 162 ff. 766 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXIV, S. 81. 767 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XIX, S. 57 f. 768 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXII, S. 65.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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Die Deputierten entschieden, dass B, da er das Kommissionsgeschäft übernommen habe, dem A zum vollständigen Ersatz des Schadens verpflichtet sei. Er müsse wenigstens die 3000 Pfund auf seine Rechnung behalten und die Schuld in Amsterdam begleichen oder alle Wechsel und Rückwechsel vergüten, da er sein Versprechen vom 6. Juli nicht gehalten habe, obwohl „dergleichen allezeit und sonderlich jetzo in den gefährlichen Zeiten in Franckreich erfordert wird, da es öffters in einer Stunde anders werden kann“.769 Hintergrund waren hier erneut die bereits im Parere vom 16. November 1719 angesprochenen Währungsschwankungen. Gegenstand des Pareres vom 9. Februar 1724 war wiederum die Risikoverteilung zwischen Kommissionär und Kommittent. Kommittent A hatte 1702 einen von C ausgestellten Solawechsel an Kommissionär B übergeben. Dieser sollte ihn zur Verfallzeit liquidieren und nach Abzug eines halben Prozentes Provision sowie Erhalt eines „Portugaleser Extra-Recompens“ die Summe auszahlen. B musste den Wechsel mehrfach prolongieren. Nach langer Zeit kam ihm der Wechsel abhanden, worüber er A und C informierte. B begehrte weiterhin Zahlung von C und bot ihm im Gegenzug einen Mortifikationsschein770 sowie die Stellung einer Kaution an. C, der nicht auf dieses Angebot einging, wurde sodann von B gerichtlich belangt. A wollte C behilflich sein und zog deswegen seinerseits gegen B vor Gericht und verlangte von diesem die Zahlung des Wechsels aufgrund des Kommissionsgeschäftes. B konnte indes anhand der Bücher des C nachweisen, dass der Wechsel von C nicht bezahlt worden war. Das anfragende Gericht ersuchte die Frankfurter Kaufleute „dienstlich“ um die Mitteilung ihrer „ohnpartheyische[n] Meynung“ und fragte, ob derjenige, der einen Wechsel verliere, zur Zahlung des Kapitals sowie der Zinsen und Unkosten verpflichtet sei und es ausreiche, wenn dem Schuldner ein Mortifikationsschein sowie eine Kaution gestellt würden. Darüber hinaus fragte das Gericht, ob die Provision den Kommissionär verpflichte, wenn der Aussteller nicht zahle, den Wechsel aufgrund des Kommissionsgeschäfts aus eigenen Mitteln zu zahlen.771 Die Frankfurter Kaufleute entschieden „dem Wechsel=Stylo gemäß“, dass B das Kapital und die Zinsen des A nicht zahlen müsse, aber dessen Unkosten zu tragen habe. Des Weiteren genüge es nach Wechselbrauch, im Falle eines verloren gegangenen Wechsels einen Mortifikationsschein zu geben und für künftige Ansprüche eine Kaution zu stellen. Ein Kommissionär sei allerdings nicht verpflichtet, aufgrund der Provision den Wechsel aus eigenen Mitteln zu zahlen.772 Dem Parere vom 20. September 1727 lag kein Kommissionsgeschäft zugrunde, vielmehr ging es hier um die Handlungszurechnung eines Bediensteten.773 Johannes Berthold hatte dem Sohn Jacob Davids die Anweisung gegeben, einen Wechsel des 769 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXII, S. 65 f. 770 Erklärung, dass die Wechselschuld getilgt ist. 771 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIV, S. 160 f. 772 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIV, S. 161 f. 773 Das Parere wird wegen des engen thematischen Zusammenhangs trotz allem im Abschnitt Kommissionsgeschäft dargestellt.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Andreas Löw für ihn zu akzeptieren und darüber Bericht zu erstatten. Nachdem der Sohn Jacob Davids berichtete, Andreas Löw habe die vereinbarten 1200 Pfund von ihm bekommen, versprach Berthold die Zahlung der ausstehenden Summe. Wenig später informierte ihn der Sohn Jacob Davids schriftlich, er habe bei Abgang der Post gehört, Andreas Löw sei Konkurs gegangen, weswegen er den Wechsel annullieren lassen werde. Johannes Berthold zeigte sich erstaunt über den vermeintlichen Konkurs des Andreas Löw und erfreut über die rasche Annullierung des Wechsels. Der Sohn Jacob Davids antwortete darauf, er habe nur gehört, Andreas Löw sei zahlungsunfähig und habe lediglich seinen Bediensteten gebeten, Berthold diese Information zukommen zu lassen, besagten Brief selbst aber weder geschrieben noch gesehen. Der Wechsel sei nicht annulliert worden und er werde ihn zahlen müssen. Sein Bediensteter habe geglaubt, es handele sich um einen anderen Wechsel. Der Sohn Jacob Davids begehrte von Berthold die Erstattung der Wechselsumme und bot an, alles anhand seiner Handelsbücher nachzuweisen. Die Handlungsvorsteher wurden gefragt, ob das vom Bediensteten Geschriebene den Sohn Jacob Davids verpflichte und dieser den entstandenen Schaden tragen müsse.774 Die Frankfurter Kaufleute entschieden, dass der Sohn Jacob Davids nicht nur den Wechsel akzeptiert, sondern Berthold ihm auch noch Zahlung versprochen habe. Die vom Bediensteten angefügte Annullierung der Akzeptation und nicht der Tratte stehe deswegen der Zahlungspflicht des Berthold nicht entgegen. Dem Sohn Jacob Davids könne der Schaden nicht aufgebürdet werden. Es könne außerdem nicht festgestellt werden, dass der Sohn Jacob Davids seinen Bediensteten zu dieser Anmerkung beauftragt habe. Das vom Bediensteten gesetzte Post Scriptum könne keine Bindungswirkung für den Herrn haben, sondern müsse durch eine weitere Unterschrift des Herrn ratifiziert werden. Anderenfalls sei das Geschäft der Willkür der Bediensteten ausgeliefert. Demnach seien sie der Meinung, dass das vom Bediensteten Notierte den Sohn Jacob Davids nicht binde, die derart vorgenommene Annullierung ungültig sei und der Sohn Jacob Davids den durch den Konkurs des Andreas Löw eingetretenen Schaden nicht zu tragen habe.775 Anders als in den Fällen zuvor ging es im Parere vom 27. März 1719 nicht um die Risikoverteilung, sondern um die Sorgfalt des Kommissionärs. A in Köln beauftragte B in Hamburg, Geldsorten einzuwechseln, ihm diese bar zu übersenden und dafür C in Amsterdam in Anspruch zu nehmen. B schrieb am 17. Oktober an A, dass er auftragsgemäß gehandelt und einen Wechsel in Amsterdam eingelöst habe, ohne anzugeben, welchen Wechsel er in Anspruch genommen hatte. B hatte die Münzen vor Inanspruchnahme des ersten Wechsels abgesandt und nahm C in Amsterdam nun ein zweites Mal in Anspruch. Davon hatte A keine Kenntnis und erfuhr dies erst durch Schreiben des B vom 29. Oktober. Dieser teilte ihm zwei Tage später mit, dass er den ersten Wechsel an jemanden in Hamburg trassiert habe, ohne von diesem das Geld erhalten zu haben. Derjenige sei nun zahlungsunfähig, weswegen er sich erneut 774 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXI, S. 198 ff. 775 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXI, S. 200 f.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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an C hätte wenden müssen. A führte an, dass ein Kommissionär, der einen Wechsel indossiere, verpflichtet sei, gleich am nächsten Tag die Wechselsumme einzufordern. A stützte seine Ausführungen darauf, dass diese Handhabung an „alle[n] Wechsel=​ Orte[n] bräuchlich“ sei. Er führte darüber hinaus die entsprechende Vorschrift der Amsterdamer Wechselordnung an. Angefragt wurde nun, ob A sich den Konkurs entgegenhalten lassen müsse, da B ihn erst am 31. Oktober informiert und ohne Wissen des A nochmals C in Anspruch genommen habe. Darüber hinaus sei das Versäumnis, den A in der Zeit zwischen dem 17. und dem 31. Oktober nicht zu informieren, ohnehin viel zu lang. A begehrte nun die Rückzahlung der Summe aus dem zweiten Wechsel und forderte, dass B den Zahlungsausfall aufgrund des Konkurses wegen seiner Säumnis selbst tragen müsse.776 Die Frankfurter Kaufleute entschieden, dass B den Konkurs selbst tragen müsse, da der Wechselbrief „nach der Billigkeit, als auch täglichen Praxis und den meisten Wechsel-Ordnungen“ nicht vor Erhalt der Wechselsumme von ihm hätte herausgegeben werden müssen. Die zeitliche Verzögerung wurde von den Börsenvorstehern zwar missbilligend erwähnt, trug aber nicht zur Entscheidung bei. Außerdem wurde die Verpflichtung des B betont, „weit fürsichtiger“ mit dem Kommissionsgeschäft als mit eigenen Geschäften umzugehen.777 16. Berechnungsfragen Die Börsenvorsteher wurden in einigen Fällen mit Fragen zur Kursberechnung von Wechselkursen778 sowie Fragen zur Kurshöhe an einem bestimmten Datum779, aber auch Zinsberechnungen konfrontiert.780 Im Parere vom 6. Juni 1724 war die Höhe der für den Wechsel zu zahlenden Wechselsumme streitig. Am 8. April 1724 hatten zwei Kaufleute in Stuttgart einen Wechsel über 3000 Liv., einzulösen in Frankreich, mit der Formulierung „au cours de ces jours“ ausgestellt. Der Preis war zu 63 Prozent geschlossen worden. Beide Parteien hatten von der Verringerung des Louis d’Or von 24 auf 20 Liv. keine Kenntnis und hatten deswegen den Wechsel nur für 63 Prozent und nicht für 75 Prozent gefordert. Des Weiteren war die Formulierung „au cours de ces jours“ zur Streitvermeidung bei Wertänderungen aufgenommen worden. Fraglich war nun, ob die Louis d’Or zu 24 Liv. oder 20 Liv. bezahlt werden müssen. Die Kaufleute teilten in ihrem „in der Billigkeit gegründete[n] Sentiment“ mit, sowohl in Holland als auch in Frankfurt sei bisher entschieden worden, dass bei Währungsabwertungen die Inhaber der Wechselbriefe diesen Schaden nicht zu tragen hätten. Vielmehr müssten diejenigen bezahlen, von denen sie die Wechsel bekommen hätten. In Holland sei es üblich, dass französische 776 777 778 779 780

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P X, S. 33. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P X, S. 34. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVIII, S. 168 ff. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXX, S. 83 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIII, S. 66 ff.

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Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Wechselbriefe durch Bezogene in Frankreich mit Geld in Höhe des ursprünglich in Holland vereinbarten Wertes bezahlt werden müssten. Da die Parteien sich auf 24 Liv. geeinigt und 63 Prozent für ihre Kalkulation zugrunde gelegt und im Übrigen noch die unübliche Formulierung „au cours de ces jours“ eingefügt hätten, wie sie seit einigen Jahren in Frankreich wegen der Wertveränderungen beigefügt werde, müsse die Zahlung, wie ursprünglich vereinbart, zu 24 Liv. erfolgen.781 Der Rekurs auf Holland verwundert nicht. Immerhin hatten mit Nikolaus Claus, Jacob de Neufville, Remy Heinrich Barthels, Johann Gerhard Münch und Johann Martin de Rhon fünf der acht Handlungsvorsteher Geschäftsbeziehungen nach Amsterdam. Teilweise verfügten sie sogar über Warenlager in der Stadt. Um eine Zinsberechnung zwischen Christen und Juden ging es im Parere vom 25. August 1731. Der christliche Handelsmann Titius hatte drei Juden Wechsel über mehrere tausend Reichstaler ausgestellt. Die Gläubiger berechneten ihm nun 24 Prozent Zinsen, weswegen das zuständige Gericht bei der Frankfurter Kaufmannschaft erfragte, wie hoch der jährliche Zinssatz sein dürfe.782 Die Deputierten entschieden, dass Juden gemäß der kaiserlichen Judenstättigkeit im Voraus geliehene Gelder gegen Unterpfand von höchstens acht Prozent jährlich und bei einfachen Wechseln gegen zehn Prozent jährlich nehmen dürften. Sonst seien sie nicht nur ihres Kapitals verlustig, sondern müssten auch noch Strafe zahlen. Die gegen Titius agierenden drei Juden müssten demnach bestraft werden.783 17. Ausgewählte Fälle ohne wechselrechtlichen Bezug Im Parere vom 7. Dezember 1724 war ein Arrestverfahren anhängig, gegen welches sich der Arrestbeklagte mit einer Appellation wehrte. Der Referent des anfragenden Gerichts schilderte den Sachverhalt und stellte den Deputierten vier Fragen, die er teilweise durch seine eigenen Ansichten untermauerte, die offenbar nicht immer im Einklang mit den anderen Richtern standen.784 Im vorliegenden Fall stand Sempronius mit Titius in Geschäftsbeziehungen und kaufte kommissarisch auf Rechnung des Titius verschiedene Waren und Effekten. Darüber hinaus legte er Bargeld für ihn aus. Wie aus Sempronius’ Büchern ersichtlich war, hatte Titius hohe Schulden bei Sempronius. Titius verkaufte nun selbst Waren an Sempronius, die er allerdings unterwegs arretieren ließ, da Sempronius ihm für die Waren kein Bargeld gab, sondern mit seinen Forderungen aufrechnete. Sempronius wandte ein, er könne nicht nur anhand seiner Bücher, sondern auch mittels eigenhändiger Briefe des Titius nachweisen, dass dieser ihm über die Waren hinaus noch eine größere Summe Geld schulde. Der zuständige Referent war nun der Meinung, die Waren sollten zwar gegen Kautionsleistung vom Arrest befreit werden, jedoch genügten 781 782 783 784

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXII, S. 178 ff. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 240, 25.8.1731. ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 240, 25.8.1731. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXIII, S. 181.

Inhaltliche Auswertung der Gutachten

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die von Sempronius erbrachten Beweise nicht. Im Übrigen sei Sempronius wegen seiner Forderungen an den jetzigen Aufenthaltsort des Titius zu verweisen. Titius hatte zwischenzeitlich sein Domizil wechseln müssen.785 Das Gericht begehrte von den Deputierten Auskunft, ob die von Sempronius dem Titius entgegengesetzte Kompensation statthaft sei und die eigenhändigen Briefe des Titius nebst den Büchern des Sempronius einen vollkommenen Beweis erbrächten. Darüber hinaus fragte es, ob Titius durch den erteilten Arrest diesen Ort nicht gänzlich für zuständig erachtet habe und sogar selbst Kaution leisten müsse. Des Weiteren nahm es an, dass die Kompensation das Kernstück der Handlung sei, die ohne Kompensation gar nicht funktioniere, sodass Sempronius die von ihm empfangenen Waren in Kredit setzen und von seinen Forderungen abziehen könne.786 Die Frankfurter Kaufleute erachteten „dem Handels=Stylo gemäß“, dass die Kompensation statthaft und – entsprechend ihrer Entscheidung im Parere vom 16. November 1719 – es ausgemachtes Handlungsrecht sei, dass ein Handelsmann einen völligen Beweis erlangen könne, indem er seine Bücher mit dem „Juramento suppletorio“ bestärke. Darüber hinaus habe Sempronius noch die eigenhändigen Briefe des Titius beilegen können. Im Übrigen seien die in einer Rechnung in „Credit und Debit“ stehenden Posten unzertrennlich, sodass einer ohne den anderen unmöglich liquidiert werden könne. Titius habe durch die Arretierung diesen Ort wenigstens für die Waren als zuständig anerkannt, müsse sich damit für die ganze Rechnung dort belangen lassen und schlussendlich selbst auch eine Kaution stellen. Ohne eine Kaution des Titius müsse eine Klage des Sempronius gegen Titius als vergeblich angesehen werden. Abschließend betonten die Kaufleute, dass durch Handelsgeschäfte, in denen Soll und Haben nicht mehr einander entgegengesetzt würden, der Handel in „äusserste Confusion und Ruin“ gerate und unmöglich weiter bestehen könne. Die Kompensation sei als das Hauptfundament des Handels zu betrachten.787 Ein weiterer interessanter Fall ohne wechselrechtlichen Bezug lag dem Parere vom 16. September 1724 zugrunde. Ein französischer Bankier aus Metz hatte im Jahr 1714 in Deutschland mit einem Deutschen, der weder Bankier noch Handelsmann war, einen Vertrag geschlossen, wonach der Deutsche mehrere tausend Gulden bekam, die er bis Ende 1714 mit 1 % Zinsen pro Monat zurückzahlen wollte. Im Falle nicht erfolgter Zahlung verpflichtete sich der Deutsche, einen etwaigen Schaden zu tragen. Er hielt die Zahlungstermine nicht ein und der französische Bankier gab vor, deswegen selbst einige Wechsel nicht bezahlt haben zu können. Außerdem habe sich der Wechselkurs zu seinen Lasten verändert. Er verlangte Schadensersatz.788 Von den Frankfurter Kaufleuten wurde über folgende vier Fragen ein „impartiales und schrifftliches Parere […] um die Gebühr“ erbeten. Gefragt wurde, ob der Schuldner den aus der Kursänderung resultierenden Schaden ersetzen müsse und der mangels 785 786 787 788

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXIII, S. 180 f. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXIII, S. 181. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXIII, S. 182. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVIII, S. 168.

180

Pareres der Frankfurter Handlungsvorsteher

Zahlung verursachte Zahlungsausfall des Gläubigers zu ersetzen sei. Des Weiteren wurde gefragt, ob die über die Jahre nicht gezahlten Zinsen auf das Kapital aufgeschlagen werden dürften und in welchem Verhältnis die Münze in Frankreich zum Frankfurter oder Reichswert stand.789 Die Deputierten antworteten, dass ein jeder Schuldner verpflichtet sei, dem Gläubiger den aus der säumigen Zahlung erwachsenen Schaden zu ersetzen. Da aber das Parlement von Metz in einem vergleichbaren Fall, mit einem deutschen Gläubiger und einem französischen Schuldner, die Kursänderung als Problem des deutschen Gläubigers gesehen habe, sei nicht klar, warum dies andersherum nun nicht für den Gläubiger aus Metz gelten solle. Weder nach gemeinem Recht noch „nach der Gewonheit hiesigen Handels=Platzes“ sei es erlaubt, Zinseszinsen zu berechnen. Über den Kurs könne nichts gesagt werden, da dieser 1715 sehr geschwankt habe.790

V. Zusammenfassung Die kursorische Auswertung der erteilten Pareres hat gezeigt, dass die Handlungsvorsteher regelmäßig ihre Entscheidungen auf die Usance, den „Handels- und Wechselstil“ sowie den „Wechselbrauch“ stützten. Diese Formulierungen standen stets für ungeschriebenes Wechselrecht, wobei Usance vor allem einen lokalen Wechselbrauch meinte, alle anderen Umschreibungen auch überörtliche Geltung haben konnten. Entschieden sie gemäß der „Billigkeit“, dürfte es sich um eine aus ihrer Sicht der Situation angemessene Einzelfallentscheidung gehandelt haben. Führten sie den Begriff „Wechselrecht“ an, meinten die Börsenvorsteher hingegen schriftlich fixiertes Wechselrecht. Häufig zogen sie unterschiedlichste Wechselordnungen heran und konstatierten dann, ihre Entscheidung „im Wechselrecht“ getroffen zu haben. Wenn einschlägige Regelungen in der Frankfurter oder auch anderen Wechselordnungen vorhanden waren, zogen sie die Normen regelmäßig, aber nicht immer heran.791 Vereinzelt übergingen sie vorhandene Wechselordnungen oder auch andere einschlägige partikularrechtliche Normen und gründeten ihre Meinung „im Wechselstil“ oder der „Billigkeit“. Ihre Entscheidung schien sich vor allem an den praktischen Bedürfnissen der Kaufleute zu orientieren. Regelmäßig wurde das am besten passende Recht herangezogen. Sofern die Handlungsvorsteher ihre Ausführungen jedoch auf schriftlich fixiertes Wechselrecht stützten, wandten sie dieses auch überzeugend an. Sie waren mit allen deutschsprachigen, teilweise sogar mit fremdsprachigen Wechselordnungen vertraut. 789 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVIII, S. 169. 790 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVIII, S. 169 f. 791 Auch die Züricher zogen im Laufe der Zeit immer mehr Gesetze heran. Je mehr kodifiziert wurde, desto häufiger wurden in den Begründungen normative Quellen herangezogen: Escher 1883 (wie Anm. 111).

Zusammenfassung

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Sie setzten sich ebenfalls souverän mit einschlägiger das praktische Wechselrecht betreffender Literatur auseinander, von der sie sich bisweilen bewusst abgrenzten – meist dann, wenn der Handelsverkehr eine pragmatischere Rechtsanwendung benötigte. Die vertiefte Kenntnis auswärtiger Wechselordnungen und Wechselbräuche dürfte in der Persönlichkeit der Börsenvorsteher begründet gewesen sein, die über vielfältige Geschäftsbeziehungen in die unterschiedlichsten Regionen Europas, bisweilen sogar darüber hinaus, verfügten.

D Funktion der Pareres Während die materiellrechtliche Auswertung der Pareres in Teil C eine ganze Bandbreite wechselrechtlicher Probleme und Fragestellungen sowie unterschiedliche Lösungsansätze der Deputierten hervorgebracht hat, steht nun die Funktion der Gutachten im Vordergrund.

I. Ersatz der Sondergerichtsbarkeit Die offensichtlichste Funktion der Pareres, die sich bereits in der materiellrechtlichen Auswertung gezeigt hat, lag in ihrer die Gerichte beratenden Funktion. Fraglich ist, welchen Stellenwert die Pareres im Gerichtsprozess hatten, von wem sie eingeholt wurden und ob sie in der Entscheidung Berücksichtigung fanden. 1. Gerichtslandschaft Frankfurt Bevor jedoch vertieft auf die gerichtliche Nutzung der Pareres eingegangen werden kann, gilt es zu klären, welche Gerichtsstrukturen alternativ zur Einholung der Pareres vorhanden waren. Ein Blick auf die Frankfurter Gerichtslandschaft zeigt einen vielfältigen Instanzenzug auf dem Weg zum reichskammergerichtlichen Prozess. a) Bürgermeisteraudienzen Eine der ältesten Einrichtungen der Frankfurter Gerichtslandschaft waren die Bürgermeisteraudienzen. Sie entstanden im Spätmittelalter und etablierten sich im 16. Jahrhundert zunächst als Schlichtungsstelle, bis sie zunehmend gerichtliche Funktionen übernahmen und 1726 schließlich erstmals auch als „Erste Instanz“ bezeichnet wurden.792 1311 entstand das Bürgermeisteramt, in welches zwei Personen gewählt wurden, der Ältere und der Jüngere Bürgermeister.793 Der Ältere Bürgermeister wurde aus den sieben ältesten Mitgliedern der ersten Ratsbank, der Schöffenbank, gewählt, der Jüngere Bürgermeister aus den sieben ältesten Mitgliedern der zweiten Ratsbank.794 Ihre 792 ISG Frankfurt am Main, Eid- und Instruktionsbücher Nr. 14, § 14 der Instruction vor die Herren Bürger=Meistere vom 22. April 1726. 793 Michael Matthäus, „Wir, die Bürgermeister, Schöffen, unnd Rath zu Franckfurt […]“. Das Frankfurter Bürgermeisteramt in reichsstädtischer Zeit 1311–1806, in: Evelyn Brockhoff  / ​ Lutz Becht (Hrsg.), Frankfurter Stadtoberhäupter. Vom 14. Jahrhundert bis 1946 (Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 73), Frankfurt a. M. 2012, S. 10. 794 Johann Georg Rössing, Versuch einer kurzen historischen Darstellung der allmähligen Entwickelung und Ausbildung der heutigen Gerichts-Verfassung der Stadt Frankfurt am Mayn und ihres Gebietes, Frankfurt a. M. 1806, § 85, S. 122.

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Funktion der Pareres

Amtszeit war auf ein Jahr begrenzt, eine Wiederwahl nach einer Unterbrechung möglich.795 Die beiden Bürgermeister waren nach dem Schultheißen die zwei höchsten städtischen Verwaltungsbeamten, die neben der Übernahme von Verwaltungstätigkeiten in den Bürgermeisteraudienzen rechtsprechend tätig waren.796 Erste richterliche Funktionen legte eine Verordnung aus dem Jahr 1484 fest.797 Demnach sollten die Entscheidungen der Bürgermeister in rechtlichen Angelegenheiten so behandelt werden, als ob es sich um ein Gericht handele.798 Eine Gleichsetzung mit einem Gericht erfolgte hier noch nicht. Weitergehende Regelungen erfuhren die Bürgermeisteraudienzen in der Frankfurter Reformation von 1578.799 Teil 1, Titel 11, § 2 der Reformation normierte zunächst ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren vor den Bürgermeisteraudienzen. Danach durften sowohl Bürger als auch Fremde die Bürgermeisteraudienz in Anspruch nehmen. Nach der Anhörung beider Parteien sollte der Bürgermeister „nach billigkeyt in der Güte“ entscheiden. Nahmen die Parteien die Schlichtung nicht einvernehmlich an und begehrten stattdessen „Recht“800, so sollte der Bürgermeister die Parteien an das Schöffengericht verweisen.801 Darüber hinaus konnten die Bürgermeister gemäß Teil 1, Titel 11, § 3 sofern Tatsachen unstreitig bzw. durch Urkunden beweisbar waren, den Beklagten von Amts wegen verpflichten, an den Kläger zu zahlen bzw. Sicherheiten zu stellen.802 Teil 1, Titel 51, § 2 wies den Bürgermeisteraudienzen schließlich auch gerichtliche Funktionen zu. Zur Entlastung der Schöffen sollten alle Rechtsstreitigkeiten, die den Streitwert von fünf Gulden nicht überschritten, nicht vor Gericht, sondern vor den Bürgermeister gebracht werden. Die Entscheidung erfolgte nach Anhörung der Parteien, ohne umfängliche Beweisaufnahme, nach „dem 795 796 797 798 799

Matthäus 2012 (wie Anm. 793), S. 16. Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 132. Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 17. Wolf 1969 (wie Anm. 170), Nr. 294, S. 379. Scherner hat für Nürnberg eine ähnliche Entwicklung beschrieben und auf die im 15. Jahrhundert entstandene Justizbehörde des älteren Bürgermeisters hingewiesen, die für Bagatellsachen und Vollstreckungshandlungen zuständig war, siehe: Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 123. 800 Auffällig ist hier das Gegensatzpaar „nach billigkeyt in der Güte“ entscheiden und „Recht begehren“ vor dem Schöffengericht; mehr zum Gegensatz zu „Billigkeit und Recht“, siehe: Christoph Becker, Billigkeit, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter ­Werkmüller unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Auflage, Berlin 2008, Sp. 588 f. Damit fungierten die Bürgermeisteraudienzen hier nicht als Untergericht, denn sie entschieden nicht nach „Recht“. Vielmehr trafen sie eine „billige“ Entscheidung und wurden mithin außergerichtlich tätig. 801 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 11, § II. Der erste Teil der Reformation regelt die Gerichtsorganisation in Frankfurt. Titel 11 umfasst die örtliche Zuständigkeit. 802 Sie sorgten hier nur im Rahmen eines Urkundenprozesses schnell für einen vollstreckbaren Titel und führten kein streitiges Verfahren durch.

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Rechten un der Billigkeyt gemäß“. Rechtsmittel gegen diese Entscheidungen waren nicht möglich.803 Anfänglich schienen die beiden Bürgermeister in ihren Audienzen völlig auf sich allein gestellt gewesen zu sein. Art. XI des Bürgervertrags von 1613 berichtete jedoch von Beschwerden über die Amtsführung der Bürgermeister und stellte deshalb künftig zwei „alte, erfahrene“ Ratsherren den Bürgermeistern beratend zur Seite. Außerdem sollte gemäß Art. XV ein eigener Schreiber bestellt werden.804 Ob tatsächlich ein Schreiber eingestellt wurde, ist indes zweifelhaft.805 Die in Art. XI erwähnten 803 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 51, § II. In der Forschung sind die Bürgermeisteraudienzen aufgrund dieser Regelung ab 1578 als „Untergericht“ eingeordnet worden: Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 96; Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 15 ff.; Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 132 ff. Schmitt hat die Bezeichnung „Untergericht“ nicht verwendet, aber auch sehr früh eine eigenständige Gerichtsbarkeit angenommen: Schmitt 2016 (wie Anm. 531), S. 83. Die Bezeichnung „Untergericht“ sollte indes kritisch hinterfragt werden. Der Begriff erscheint irreführend, wenn man davon ausgeht, dass ein „Untergericht“ in einen Instanzenzug eingebunden ist und die Parteien nach Anrufung der „ersten“ Instanz, des „Untergerichts“, den weiteren Rechtsweg beschreiten können. Die Bürgermeisteraudienz stellte nach der Reformation von 1578 keine Instanz dar. Zwar bestand im Falle des Scheiterns der Streitschlichtung nach p. 1, t. 11, § 2 die Möglichkeit, vor das Schöffengericht zu ziehen, jedoch wurde damit eine außergerichtliche Güteverhandlung in ein streitiges Verfahren überführt. Auch p. 1, t. 51, § 2 normierte die Bürgermeisteraudienz nicht als „Untergericht“. Die Regelung schloss zunächst den ordentlichen Rechtsweg vor das Schöffengericht für Streitigkeiten unter 5  Gulden aus. Die Bürgermeister durften zwar, anders als in ihrer Funktion als Gütestelle (Titel 11, § 2), auch dann entscheiden, wenn keine einvernehmliche Lösung zwischen den Parteien erzielt werden konnte, jedoch gab es gegen diese Entscheidung keinen Rechtsweg. Darüber hinaus weist der Wortlaut der Norm erneut ein Gegensatzpaar auf. Danach sollten Streitigkeiten unter fünf Gulden „für Gericht nicht gebracht / noch daselbst angenommen / sonder für unsere Bürgermeyster gewiesen“. Hier traf die Reformation eine ganz klare Abgrenzung zwischen dem (Schöffen)Gericht und den Bürgermeistern, die gerichtliche Funktionen in Streitigkeiten wahrnahmen, für die der ordentliche Rechtsweg zum Schöffengericht nicht offenstand. Eine Jurisdiktionsgewalt, wie sie Schlick-Bamberger den Bürgermeisteraudienzen zuspricht: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 17, geben weder der Wortlaut der 1484 erlassenen Verordnung noch die Reformation her. 804 §§ 11 und 15 des Bürgervertrags von 1613, abgedruckt bei: Müller 1776 (wie Anm. 132), S. 18–29 (21 f.). 805 Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 17. Auch Orth bemerkte, dass wohl niemals ein Schreiber eingesetzt wurde. Dies berichtet auch Matthäus, der zwar eine Berufung eines Protokollanten für das Jahr 1613 feststellen konnte: Matthäus 2012 (wie Anm. 793), S. 37. Praktische Auswirkungen scheint diese indes nicht gehabt zu haben: Matthäus 2012 (wie Anm. 793), S. 40. Die Protokollierung durch einen Schreiber wurde in den kaiserlichen Resolutionen 1725 bestätigt: Erste Kaiserliche Resolution vom 22. November 1725, abgedruckt bei: Müller 1776 (wie Anm. 132), S. 8–15 (13) und in § 5 der Bürgermeisterinstruktionen von 1726 erneut bekräftigt, abgedruckt bei: Johann Philipp Orth, Nöthig und nützlich erachteter Anmerkungen über die so genante erneuerte Reformation der Stadt Frankfurt am Main, vierte und letzte Fortsetzung, in welcher der erste von gerichten und gerichtlichen processe handelnde Teil vorerwenten stadtrechtes […], Frankfurt a. M. 1757, S. 416. Danach nahmen

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Beschwerden gegen die Amtsführung kamen nicht von ungefähr. So hatten die Bürgermeister Art. XII zufolge ihre Kompetenzen über die Regelungen der Frankfurter Reformation von 1578 ausgeweitet und offenbar Amtsbescheide von mehr als fünf Gulden erteilt. Dagegen konnten die Parteien nun vor dem Rat oder Schöffenstuhl vorgehen.806 Die im 17. Jahrhundert sich entwickelnde Gerichtslandschaft mit zahlreichen Gerichten wie dem Schöffengericht, dem Schöffenrat, der Schöffenreferier und schließlich noch den gerichtliche Funktionen wahrnehmenden Bürgermeisteraudienzen führte offenbar bei den Parteien zu Konfusionen. In einer 1641 erlassenen Verordnung über Gerichtszuständigkeiten beklagte der Rat, dass diese in letzter Zeit „zum theil mit fleiß / zum theil auß Unverstandt der Partheyen“ nicht eingehalten worden und die Zuständigkeiten des Schöffengerichts, des Schöffenrates und der Schöffenreferier immer wieder vertauscht worden seien. Bei dieser Gelegenheit erwähnte der Rat nochmals die Zuständigkeit der Bürgermeisteraudienz als außergerichtliche Streitschlichtungsstelle. Er legte erneut fest, dass nach der Frankfurter Reformation alle Forderungen, die nicht ohne förmlichen Prozess (de simplici et plano) vor der Bürgermeisteraudienz verhandelt werden könnten807, vor das Schöffengericht gingen, während summarisch verhandelbare Sachen, wie in der Reformation festgelegt, vor dem Schöffenrat zu verhandeln seien.808 Die ausführlichsten Regelungen und eine endgültige Etablierung als erstinstanz­ liches Gericht erfuhren die Bürgermeisteraudienzen in den Bürgermeisterinstruktionen aus dem Jahr 1726.809 Die Einleitung der Instruktion gibt bereits einen ersten Eindruck, wie die Bedeutung der Bürgermeisteraudienzen im Laufe der Zeit gestiegen

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die Bürgermeister die Protokollierungspflicht wohl ernst, denn ab dem Jahr 1726 sind sowohl Akten als auch Protokollbücher der Bürgermeisteraudienzen erhalten. Hinweise auf zuvor erfolgte Aufzeichnungen gibt es nicht, vgl.: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 18. § 12 des Bürgervertrags von 1613, abgedruckt bei: Müller 1776 (wie Anm. 132), S. 18–29 (21). Damit war die Funktion als Streitschlichtungsstelle gemäß p. 1, t. 11, § 2 der Reformation gemeint, wenn keine Einigung erzielt werden konnte und die Streitschlichtung damit gescheitert war. Verordnung vom 23. März 1641, abgedruckt bei: Johann Conradin Beyerbach, Sammlung der Verordnungen der Reichsstadt Frankfurt, Achter Theil: Rechtspflege, Frankfurt a. M. 1799, S. 1557–1559 (1557 f.). Die Bürgermeisteraudienzen waren nochmals Gegenstand einer weiteren Verordnung 9. November 1676, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (ebd.), S. 1477–1496. Hier wurden hinsichtlich der Audienzen aber auch nur die Regelungen der Reformation bestätigt. Für die vorhandenen Gerichte wurden in dieser Verordnung Gerichtsgebühren festgelegt, indes für die Bürgermeisteraudienzen nicht. Ein weiteres Indiz, dass die Zeitgenossen die Bürgermeisteraudienzen nicht als ordentliches Gericht wahrnahmen. Das 94 Paragraphen umfassende Werk ist nie vollständig gedruckt worden, liegt aber im Original im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main vor: ISG Frankfurt am Main, Eid- und Instruktionsbücher Nr. 14, Instruction vor die Herren Bürger=Meistere vom 22. April 1726. Siehe hierzu ausführlicher: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 18. Die Einleitung sowie die ersten 20 Paragraphen, die sich mit den Bürgermeisteraudienzen beschäftigen, sind aber von Orth abgedruckt worden: Orth 1757 (wie Anm. 805), S. 416 ff.

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war. So tagten sie aufgrund der hohen Nachfrage810 mittlerweile wochentags sowohl vor- als auch nachmittags im Römer, einzig die Samstage, Sonn- und Feiertage waren sitzungsfrei.811 Die nun folgenden 20 Paragraphen legten dezidiert die Organisation der Bürgermeisteraudienzen fest. Gemäß § 2 sollten sich die Bürgermeister den Vortrag der Parteien umfassend anhören, ihn abwägen und mit den ihnen zugeordneten zwei Ratspersonen, die ausweislich § 3 „seit einiger zeit, wirklich zugeordnet worden“812, gemäß § 4 beratschlagen. § 5 normierte erneut die Protokollierungspflicht durch einen Schreiber in Parteistreitigkeiten. Über ihre anderen Aufgaben813 mussten sie selbst Protokoll führen und waren dazu gemäß § 9 auch verpflichtet. Nach § 10 konnten die Parteien wählen, vor welchen Bürgermeister sie ihre Klage bringen und ob sie sich durch einen Notar814 810 Die hohe Nachfrage bezeugen auch die ca. 2000 Protokoll- und Beilagenbücher, von denen Schlick-Bamberger berichtet: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 16. 811 Die häufigen Sitzungen und sonstigen Verwaltungstätigkeiten erforderten eine hauptamtliche Beschäftigung der beiden Bürgermeister: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 19. Die hohe Arbeitsbelastung schlug sich in einer im Vergleich zu den anderen, auch hauptamtlich tätigen Ratsherren, deutlich höheren Besoldung nieder. So verdiente im 18. Jahrhundert der Ältere Bürgermeister zusätzlich zu den jährlich 525 Gulden, die er als Schöffe erhielt, noch weitere 800 Gulden für seine Tätigkeit als Bürgermeister. Der Jüngere Bürgermeister bekam für seine Ratsherrentätigkeit 300 Gulden, weitere 600 Gulden für das Bürgermeisteramt: Siebte Kaiserliche Resolution vom 22. November 1725, abgedruckt bei: Müller 1776 (wie Anm. 132), S. 104–113 (104). In der Kaiserlichen Resolution vom 14. März 1732 wurden die Gehälter schließlich auf 1700 Gulden für den Älteren und 1300 Gulden für den Jüngeren Bürgermeister erhöht: Kaiserliche Resolution vom 14. März 1732, abgedruckt bei: Müller 1779 (wie Anm. 224), S. 8–33 (14). 812 Zumindest nach dem Erlass der Instruktion wählten die Ratsherren tatsächlich zwei Beisitzer für jeden Bürgermeister und bestellten zwei Schreiber. Einer der Beisitzer des Älteren Bürgermeisters war der Schöffe Archilles August von Lersner: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 18. 813 Gemäß § 8 enthielten die Aufgaben des Älteren Bürgermeisters, bei dessen Abwesenheit des Jüngeren Bürgermeisters, u. a. die Abnahme von Bürger- und anderen Eiden, die (Nicht) Zulassung von Handwerkern, den Erlass von Arresten und Verboten, den Aktenverkehr mit kurfürstlichen und gräflichen Gesandten sowie die Berichterstattung an den Rat. Der Jüngere Bürgermeister war hingegen gemäß § 66 für Verbal- und Realinjurien zuständig. Diese konnten vor dem Älteren Bürgermeister nur verhandelt werden, wenn keine weitere Untersuchung erfolgen musste, § 66 abgedruckt bei: Johann Philipp Orth, Nöthig und nützlich erachteter Anmerkungen über die sogenante erneuerte Reformation der Stadt Frankfurt am Main, dritte Fortsetzung […], Frankfurt a. M. 1751, S. 794. In einem reichskammergerichtlichen Prozess 1730 setzte das Reichskammergericht den Jüngeren Bürgermeister als Kommissar für das Reichskammergericht ein: ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1241, Rationes decidendi, fol. 6r. 814 Notare waren in der Frühen Neuzeit, gerade in den Reichsstädten, in denen sich das kaiser­ liche Institut des Notars noch erhalten konnte, häufig als Anwälte tätig, vgl. hierzu: Christian Neschwara, Notar, Notariat, in: Albrecht Cordes / ​Hans-Peter Haferkamp / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band III: Konfliktbewältigung – Nowgorod, 2. Auflage, Berlin 2016, Sp. 1971.

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vertreten lassen wollten.815 Die einmal erhobene Klage musste gemäß § 11 vor dem Bürgermeister bleiben, vor dem sie anhängig gemacht worden war. § 14 bezeichnete die Bürgermeisteraudienz schließlich erstmals als „Instanz“ und gestand den Bürgermeistern die Jurisdiktionsgewalt zu.816 Die Audienz musste aber ausweislich dieser Regelung nicht angerufen werden. Die Parteien konnten auch gleich das Schöffengericht konsultieren, es sei denn, der Streitwert lag unter fünf Gulden. Dann lag gemäß § 16 die ausschließliche Zuständigkeit, wie auch schon in der Reformation von 1578, bei den Bürgermeistern. Wurde diese Summe überschritten und erteilten die Bürgermeister trotzdem einen Bescheid, so konnten die Parteien, wie bereits im Bürgervertrag von 1613 normiert, gegen den Bescheid vor dem Schöffengericht vorgehen. Neu war der in § 18 geregelte Suspensiveffekt, der sowohl für die bürgermeisterlichen Sprüche als auch Bescheide galt.817 § 19 gewährte den Bürgermeistern schließlich auch die Zuständigkeit für die Vollstreckung der schöffengerichtlichen Entscheidungen. Durch die Instruktionen erfuhr die gerichtliche Funktion der Bürgermeisteraudienzen eine Aufwertung, indem das Gericht erstmals als echte Instanz in einen Instanzenzug eingebunden wurde. Seine Funktion als Gütestelle scheint hingegen bedeutungslos geworden zu sein. Zwar erwähnte § 18 noch den bürgermeisterlichen Spruch, ansonsten blieb diese Funktion jedoch unerwähnt. Vermutlich war die ursprüngliche Streitschlichtungsstelle zugunsten einer weiteren ersten Instanz gewichen.818 Die Bürgermeisterinstruktion regelte im Wesentlichen die Organisation und den Ablauf der Audienzen. Nach 1726 kamen nur noch wenige Änderungen hinzu, die sich vor allem auf die sachliche Zuständigkeit auswirkten. Dadurch waren sie für die Bedeutung der Bürgermeisteraudienzen in der Frankfurter Gerichtslandschaft wichtig. So erhöhte die kaiserliche Resolution vom 14. März 1732 die ausschließliche Zuständigkeit der Bürgermeisteraudienzen von den besagten fünf auf nunmehr 25 Gulden.819

815 Hier wurde erstmals die Möglichkeit eines Parteivertreters normiert. Ein weiteres Indiz, dass die Bürgermeisteraudienz erst seit 1726 als Gericht fungierte. 816 Eine Neuerung gegenüber der noch in der Reformation von 1578 klar abgegrenzten Unterscheidung von „Gericht“ und Bürgermeisteraudienz. 817 Mit Spruch dürfte hier der Schlichtungsspruch gemeint sein, der, sofern er nicht von beiden Parteien angenommen wurde, bereits nach der Reformation von 1578 zur Eröffnung des ordentlichen Verfahrens vor dem Schöffengericht geführt hatte. 818 Schlick-Bamberger vermutet, dass es den Parteien aufgrund ihrer Eigenart als Gütestelle möglich gewesen sei, die Bürgermeisteraudienz zu umgehen und sich direkt an das Schöffengericht oder die Schöffenreferier zu wenden: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 23. Doch der von ihr herangezogene § 14 gesteht nun gerade den Bürgermeisteraudienzen erstmals die Instanzenfähigkeit zu. In diesem Fall war die Bürgermeisteraudienz nicht als Streitschlichtungsstelle gemeint – wenn sie überhaupt noch von Belang war –, sondern als Untergericht mit Jurisdiktionsgewalt. 819 Kaiserliche Resolution vom 14. März 1732, abgedruckt bei: Müller 1779 (wie Anm. 224), S. 8–33 (11).

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Die Wechselordnung vom 26. Mai 1739 sah in § 35 neben dem Schöffengericht auch eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Bürgermeisteraudienzen „in klaren Wechsel=Sachen“ vor. Die Vorschrift definierte den Begriff „klare Wechsel=Sachen“ als Fälle, in denen der Schuldner den Wechsel als den seinigen anerkannte und keine Exzeption vorweisen konnte: „wann die Briefe von dem Schuldner recognosciret, und von ihm keine in Wechsel=Sachen zuläßige Exceptio in continenti erwiesen worden“.820 Für beide Gerichte galt aufgrund des jüngsten Reichsabschieds von 1654821, dass in „klaren Wechsel=Sachen“ der Rechtsstreit im summarischen Verfahren ohne Suspensiveffekt vor dem erstinstanzlichen Richter verhandelt werden sollte.822 Eine 1740 erlassene Provokationsordnung regelte die Rechtsbehelfe gegen Bescheide der Bürgermeisteraudienzen. Danach konnte jede Partei gemäß § 1 die Entscheidung der Bürgermeisteraudienz im Rahmen der Provokation durch Schultheißen und Schöffen823 überprüfen lassen, sofern der Streitwert 25 Gulden oder mehr betrug. § 8 der Verordnung weitete den Anwendungsbereich der Provokationssachen auch auf Wechselsachen aus, gestand aber Provokationen auf Verfahren, die im summarischen Verfahren vor den Bürgermeisteraudienzen verhandelt worden waren, entsprechend 820 Wechselordnung vom 26. Mai 1739, abgedruckt bei: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 8–28 (17). Dabei handelte es sich aber nicht um eine ausschließliche Zuständigkeit der Bürgermeisteraudienzen. Auch das Schöffengericht konnte in Wechselsachen angerufen werden. Vermutlich lag hier die Streitwertgrenze ebenfalls bei 25 Gulden, wenngleich sich die Wechselordnung dazu nicht äußerte. 821 § 107 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 galt als „Des Heiligen Römischen Reichs Wechselordnung“ und lange Zeit als einziges reichsrechtliches „Wechselgesetz“: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 11 und 105. Die Vorschrift ordnete ein beschleunigtes Verfahren an, das dem erstinstanzlich tätigen Richter, ungeachtet möglicher Appellationen oder Protestationen, eine sofortige Vollstreckung erlaubte: § 107 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654, abgedruckt in: Regenspurgischer Jüngster Reichs-Abschied vom Jahr 1654. Nebst demselben einverleibten Westphälischen=zu Osnabrück und Münster auffgerichteten Friedens=Instrumentis vom Jahr 1648, Wetzlar 1717; mehr dazu, siehe: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 115. 822 Schon die Wechselordnung von 1666 und ihre Ergänzung von 1676 hatte die parata executio, also eine Verhandlung im beschleunigten Verfahren  – wohl als Reaktion auf den Jüngsten Reichsabschied von 1654 – angeordnet: § 15 der Frankfurter Wechselordnung von 1666, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 229–235 (234); § 2 der Frankfurter Wechselordnung von 1676, abgedruckt in: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), S. 236–238 (237); Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 115. Bereits vor Erlass der reichsrechtlichen Regelung hatten die Nürnberger Kaufleute 1508 beim Kaiser ein Privileg erwirkt, nach welchem die Appellation in Kaufmannssachen völlig ausgeschlossen wurde und kaufmännische Prozesse vor Nürnberger Gerichten nur noch summarisch verhandelt werden durften. Das Risiko der Prozessverzögerung war mit Einführung des Reichskammergerichts 1495 zu groß geworden: Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 124. 823 Ausweislich § 2 der Verordnung war die Provokation beim Schöffengericht einzureichen, welches gemäß § 6 die Statthaftigkeit der Beschwerde zu prüfen hatte, und diese auch gleich als unstatthaft verwerfen durfte. Sollte der Beschwerte diese Hürde genommen haben, war mit der eigentlichen Entscheidung offenbar die Schöffenreferier beschäftigt. Provokationen durften ausweislich § 5 nur an Sitzungstagen der Referier abgegeben werden.

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§ 35 der Wechselordnung von 1739 keinen Suspensiveffekt zu.824 Dieser Einschub diente zum einen der Wahrung der reichsrechtlichen Bestimmungen aus dem 1654 erlassenen Reichsabschied, zum anderen wurde dadurch ein Rechtsbehelf in Wechselsachen normiert. Die Zuständigkeitsbegründung der Frankfurter Wechselordnung von 1739 für Bürgermeisteraudienzen und Schöffengericht blieb davon unberührt. Johann Ludwig Span berichtete allerdings in seinem Kommentar zur 1739 erschienenen Frankfurter Wechselordnung, dass es zwar „nach hiesiger Verfassung dem Kläger in regula frei steht“, entweder vor einer der beiden Bürgermeisteraudienzen oder vor dem Schöffengericht zu klagen, in der Praxis aber vor dem Schöffengericht anhängig gemachte Wechselsachen an eine der beiden Audienzen verwiesen würden. Diese Praxis begründe sich schon in der „Natur dieses Processes“, bei dem es hauptsächlich auf die „Recognition“ ankomme, also ob der Beklagte den Wechsel als seinen anerkenne.825 Die von Span beschriebenen Verfahren, in denen allein durch Vorlage der Wechsel- oder Protesturkunde ein Zahlungsanspruch des Klägers bewiesen werden konnte, eigneten sich in der Tat sehr gut für das summarische Verfahren vor den Bürgermeisteraudienzen. Komplizierte Sachverhalte konnten hier allerdings nicht geklärt werden, diese konnten nur Gegenstand eines ordentlichen Nachverfahrens sein.826 b) Schöffengericht Ein weiteres und wohl das wichtigste erstinstanzliche Gericht war das Schöffengericht. Als ältestes Frankfurter Gericht827 hatte das Schöffengericht im Spätmittelalter eine nahezu allumfassende Zuständigkeit.828 Es entsprach personell der ersten Ratsbank, die aus 14 Mitgliedern bestand.829 Sie wurde, wie auch die zweite Ratsbank, fast aus824 Eine ausschließliche Zuständigkeit in Wechselsachen wurde für die Bürgermeisteraudienzen damit nicht begründet, denn ausweislich § 35 WO waren sowohl die Bürgermeisteraudienzen als auch das Schöffengericht erstinstanzlich zuständig. 825 Johann Ludwig Span, Der freien Stadt Frankfurt am Main Wechsel=Recht aus dasigen Statutis, sonderlich der jüngsten Wechsel=Ordnung de 1739, methodice verfasset […], 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1830, § 109, S. 72. 826 Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 120. Amend-Traut berichtet zwar von der wechselrechtlichen Expertise der Bürgermeisteraudienzen und führt hier beispielhaft eine Reichskammer­ gerichtssache aus dem Jahr 1793 an, die erstinstanzlich vor der Bürgermeisteraudienz verhandelt worden war. Einer der Prozessvertreter hatte diese offenbar als „Frankfurter Wechselbehörde“ bezeichnet: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 133 f. Jedoch schloss sich das Reichskammergericht in dieser Sache gerade nicht der Beurteilung der Bürgermeisteraudienz an, sondern vielmehr des zweitinstanzlich befassten Schöffenrates, der selbst wiederum ein Gutachten des Leipziger Schöffenstuhls eingeholt hatte: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 227 f. Dies relativiert ein wenig die angesprochene wechselrechtliche Expertise der Bürgermeis­teraudienz. Immerhin war die Einholung eines Gutachtens in Leipzig notwendig geworden. 827 Erstmalig lässt sich das Gericht 1219 nachweisen: Matthäus 2012 (wie Anm. 793), S. 10. 828 Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 89; Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 306. 829 Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 307 ff.

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schließlich mit Mitgliedern der seit Ende des 15. Jahrhunderts einzig verbleibenden zwei Stubengesellschaften Alten-Limburg und Frauenstein besetzt.830 Der dem Schöffengericht vorsitzende Schultheiß als Vertreter des Kaisers831 war nicht Mitglied der Schöffenbank, stand aber dem Gericht vor.832 Die Schöffen übten ihr Amt auf Lebenszeit aus und wurden mittels Kooptationsprinzip nachgewählt.833 In der Regel rückten Mitglieder der zweiten Ratsbank in die erste auf, sodass die Schöffen üblicherweise vor ihrer Schöffentätigkeit bereits Ratsmitglieder gewesen waren.834 Die Rechtspflege oblag damit im Spätmittelalter wenigen Frankfurter Patrizierfamilien, die die Mitglieder der ersten Bank stellten. Handwerker waren bis auf wenige Ausnahmen an der Rechtsprechung nicht beteiligt.835 Das Frankfurter Schöffengericht war schon sehr früh nicht nur für Prozesse Frankfurter Bürger zuständig. Eine ausschließliche Zuständigkeit bei Schuldforderungen und Güterstreitigkeiten von Frankfurter Bürgern hatte der Frankfurter Rat bereits 1294 durch ein Privileg König Adolfs von Nassau erwirkt.836 1372 konnte der Frankfurter Rat die Pfandschaft über das Reichsschultheißenamt übernehmen, womit das ursprüngliche Reichsgericht in einem städtischen Gericht aufging, auf das der Rat vollen Einfluss hatte.837 Das Schöffengericht blieb bis ins 16. Jahrhundert das einzige zivilrechtliche Kollegialgericht.838 Obwohl Frankfurt ab dem Hochmittelalter einer der wichtigsten Messeplätze im Alten Reich war839, kam es nie zur Einrichtung eines eigenständigen Messegerichts. 1465 erwarb die Reichsstadt aber ein Privileg Friedrichs III. für die ausschließliche Zuständigkeit in Messeangelegenheiten.840 Damit war es während der Messe auch für 830 Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 310. 831 Hansert 2014 (wie Anm. 340), S. 596. Im 12. Jahrhundert war das Schöffengericht ein Gericht des Königs gewesen, der auch den Schultheißen als Gerichtsvorsitzenden und damit seinen Stellvertreter ernannte: Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 90. 832 Bereits der im 15. Jahrhundert niedergeschriebene baculus iudicii secularis erwähnt in seinem ersten Artikel 14 Schöffen und einen Schultheißen: ISG Frankfurt am Main, Gesetze 12, abgedruckt bei: Johann Christian Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt am Main und das fränkische Recht in Bezug auf denselben. Ein Nachlaß, Frankfurt a. M. 1841, S. 222–254, hier S. 222; Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 90; Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 309. 833 Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 309. 834 Hansert 2014 (wie Anm. 340), S. 596. 835 Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 312 f. 836 Johann-Friedrich Böhmer / ​Friedrich Lau, Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus. Urkundenbuch der Reichsstadt Frankfurt, Band 1: 794–1314, Nachdruck der Ausgabe Frankfurt a. M. 1901, Frankfurt a. M. 1970, Urk.-Nr. 564, S. 324; Rothmann 2008 (wie Anm. 93), S. 288. 837 Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 92; Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 114. 838 Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 94. 839 Rothmann 1998 (wie Anm. 295), S. 56. 840 Privileg vom 16. Dezember 1465, abgedruckt in: Privilegia Et Pacta (wie Anm. 199), S. 320 ff.

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Verfahren Fremder zuständig, selbst wenn deren Städte Gerichtsprivilegien hatten.841 Zu Messezeiten versuchte der Rat, die Verfahrensdauer zu verkürzen, indem er die Sitzungszeiten des Schöffengerichts verlängerte und nur noch messebezogene Verfahren verhandelte. Als besonderer Anreiz wurde das Sitzungsgeld der Schöffen verdoppelt. Personell blieb es aber beim herkömmlichen Schöffengericht, eine darüber hinausgehende Expertise wurde nicht eingeholt.842 Während im Spätmittelalter die alleinige Zuständigkeit für zivilrechtliche Streitigkeiten beim Schöffengericht lag, entwickelte sich zu Beginn der Frühen Neuzeit, spätestens durch die Reformation von 1578, eine differenzierte Gerichtslandschaft mit nur schwer abgrenzbaren Zuständigkeiten.843 Die Reformation von 1578 normierte die Zuständigkeit des Schöffengerichts für alle Forderungen aus Verträgen, Testamenten, Erbschaften, Verbrechen und andere Sachen, die einer streitigen Verhandlung bedurften.844 Eine Abgrenzung erfolgte durch die ausschließlichen Zuständigkeiten der Bürgermeisteraudienzen und des Schöffenrates. Das Schöffengericht tagte montags, mittwochs und freitags, außer an Feiertagen und in den Gerichtsferien.845 Neben Schultheißen und Schöffen sollte mindestens einer der beiden Advokaten846 an den Sitzungen teilnehmen.847 In Messezeiten mussten die Schöffen anstatt von neun bis elf Uhr vormittags848 mindestens bis acht Uhr abends Sitzungen abhalten und konnten an allen Tagen verhandeln.849 Eine Änderung seiner Zuständigkeit erfuhr das Schöffengericht bis ins 18. Jahrhundert normativ nur durch Begrenzungen aufgrund der erweiterten Zuständigkeiten der Bürgermeisteraudienzen. Faktisch ging die Inanspruchnahme des Schöffengerichts durch die vermehrte Nutzung der Bürgermeisteraudienzen und die Versuche der Parteien, die Schöffenreferier unmittelbar in Anspruch zu nehmen, stark zurück.850 Die

841 Rothmann 2008 (wie Anm. 93), S. 293. 842 Rothmann 2008 (wie Anm. 93), S. 286 f. 843 Mehr zur frühneuzeitlichen Gerichtslandschaft Frankfurt, siehe der Sammelband: Amend, Anja / ​Baumann, Anette / ​Wendehorst, Stephan / ​Wunderlich, Steffen (Hrsg.) 2008 (wie Anm. 8). 844 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § III. 845 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XXIIII. Die drei Wochentage erwähnt schon der baculus iudicii secularis in seinem sechsten Artikel: Thomas 1841 (wie Anm. 832), S. 223 f. 846 Später auch Syndici genannt. 847 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § II. 848 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XXV. 849 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § III. Die Erweiterung auf alle Tage sieht bereits der baculus iudicii secularis vor: Art. 6, abgedruckt bei: Thomas 1841 (wie Anm. 832), S. 224. 850 Zur Umgehung des Schöffengerichts durch die verstärkte direkte Ansprache der Schöffen­ referier siehe unten.

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Gerichtsordnungen von 1631, 1641 und 1676 erwähnten zwar das Schöffengericht, es erfuhr hier aber keine neuen Regelungen.851 Die Wechselordnung vom 26. Mai 1739 normierte schließlich in § 35 neben den Bürgermeisteraudienzen auch eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Schöffengerichts „in klaren Wechsel=Sachen“.852 Hinsichtlich des Schöffengerichts hatte die Norm nur klarstellende Funktion. Denn ausweislich der Frankfurter Reformation von 1578 war das Schöffengericht in allen Fällen erstinstanzlich zuständig, in denen nicht eine ausschließliche Zuständigkeit des Schöffenrates oder der Bürgermeisteraudienzen gegeben war. c) Schöffenrat Die Unterscheidung zwischen Schöffengericht und Schöffenrat kam zwischen 1509 und 1578 auf, da die Reformation von 1509 diese Einrichtung noch nicht kannte.853 Sie muss allerdings 1578 schon eine Weile bestanden haben, denn immerhin sprach die Reformation in Bezug auf die Sitzungstage des Schöffenrates von „altem her­komen nach“.854 Zwischen Schöffengericht und Schöffenrat bestand personelle Identität.855 Der Schöffenrat war grundsätzlich für Sachen zuständig, die ohne streitiges Verfahren verhandelt werden konnten.856 Eine Konkretisierung dieser Verfahrensarten erfolgte in den Paragraphen  5 bis 23. Danach war der Schöffenrat unter anderem in Vormundschafts-, Schenkungs- und Erbschaftsangelegenheiten sowie Zinsstreitigkeiten zuständig. Explizit genannt wurden außerdem Appellationssachen857, eilbedürftige Verfahren858 und eben solche, die keinen ordentlichen Prozess benötigten.859 Der Schöffenrat tagte samstags, bei Bedarf auch an Wochentagen, an denen das Schöffengericht keine Sitzung hatte.860 Wie auch das Schöffengericht erfuhr der Schöffenrat in den nachfolgenden Gerichtsordnungen keine neuen Regelungen.

851 Verordnung vom 24.2.1631, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. 1466–1477; Verordnung vom 23. März 1641, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. 1557– 1559; Verordnung vom 9. November 1676, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. 1477–1496. 852 Wechselordnung vom 26. Mai 1739, abgedruckt bei: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 8–28 (17). 853 Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 33, S. 57. 854 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XXVI. 855 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § I. 856 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § IIII. 857 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XX. 858 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XXI. 859 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XXII. 860 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 1, § XXVI.

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Funktion der Pareres

d) Schöffenreferier Neben den beiden aus der ersten Ratsbank und dem Schultheißen bestehenden Gerichten, dem Schöffengericht und dem Schöffenrat, kannte bereits die Frankfurter Reformation von 1578 die sogenannte Referier.861 Bislang ist die Schöffenreferier von der Forschung als Obergericht eingeordnet worden.862 Diese Einordnung sollte jedoch differenziert betrachtet werden. So war die Referier zunächst eine Beratungsstelle für die Schöffen, in welcher der mit der Sache befasste Advokat863 seine Rechtsansichten864 den Schöffen in Form einer Relation vortrug.865 Zunächst sah die Reformation Relationen nur für Straftaten vor: „item Relationes der Frevelsachen“.866 Die Advokaten hatten jede in den Akten ersichtliche Übertretung im Rahmen der Referier den Schöffen anzuzeigen. Diese konnten sich mit dem Täter auf eine Strafe vergleichen und, nachdem der Gerichtsschreiber die Strafe protokolliert hatte, durch den Obersten Richter innerhalb von acht Tagen voll­ strecken lassen.867 Grundsätzlich fand die Unterrichtung in Form der Relationen vor der Sitzung zwischen halb neun und neun statt.868 Da jedoch im Schöffenrat zu viel Arbeit angefallen war, sollte die Referier samstags eingeschränkt werden. Stattdessen sollte der Mittwoch bei Bedarf, welchen die Advokaten dem Ältesten Bürgermeister anzuzeigen hatten, als Referiertag genutzt werden. An diesem Tag sollten dann keine Parteien geladen werden.869 861 Der Begriff „Referier“ geht wahrscheinlich auf die Tätigkeit des Advokaten, seine Rechtsansichten gegenüber den Schöffen zu „referieren“ zurück. So erklärt auch Schmitt den Begriff: Schmitt 2016 (wie Anm. 531), S. 82. 862 Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 59, S. 85; Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 94; AmendTraut 2009 (wie Anm. 4), S. 136. 863 Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Advokaten, von denen immer einer bei Gericht anwesend sein sollte, Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § II. Anfang des 16. Jahrhunderts stellten vor allem die Mainzer Professoren die Advokaten. Ende des 15. Jahrhunderts, in den Jahren, in denen das Reichskammergericht seinen Sitz in Frankfurt hatte, lassen sich auch Prokuratoren des Reichskammergerichts unter den Advokaten ausmachen: Helmut Coing, Die Rezeption des römischen Rechts in Frankfurt am Main. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte (Frankfurter wissenschaftliche Beiträge. Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Reihe, Band 1), Frankfurt a. M. 1939, S. 167 ff. Aufgrund der lückenhaften Überlieferung lassen sich für den Zeitraum zwischen 1520 und 1640 keine Angaben über die personelle Zusammensetzung der Advokaten machen, vgl. hierzu: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. XLIV. 864 Wie wichtig diese Rechtsunterweisung der Schöffen gewesen zu sein schien, zeigt die Verpflichtung der Schöffen, an der Referier auch wirklich teilzunehmen: Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § V. 865 So auch Zimmer 1980 (wie Anm. 127), S. 95, der aus dem Parteiverhalten in den späteren Jahrhunderten Rückschlüsse auf die Eigenschaft der Referier als Schöffengericht zieht. 866 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § I. 867 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § IX. 868 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § I. 869 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § IIII. Ausweislich der Frankfurter Reformation von 1578, Erster Teil, Titel 1, § XXV schlug die Kirchenglocke des Nikolai­

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Im Laufe der Zeit reichten jedoch Parteien ihre Prozessschriften während der Referiersitzung direkt bei der Schöffenreferier ein und umgingen damit das Schöffen­ gericht.870 Sie sparten damit Gerichtskosten, die sogenannten „Sporteln“, wie beispielsweise das „Bretgeld“871 und Kosten für einen Prokurator.872 Durch das Verhalten der Parteien und auch der Schöffen, die immer wieder im Rahmen der Referier Schriftsätze annahmen873, etablierte sich faktisch Konkurrenz zum eigentlich zuständigen Schöffengericht. Normativ kam es allerdings nicht zur Einrichtung der Schöffenreferier als Gericht im Instanzenzug. Die unerwünschte Entwicklung griff schließlich die Gerichtsordnung von 1631 auf.874 § 1 verbot ausdrücklich die Umgehung des Schöffengerichts durch das direkte Einreichen der Druckschriften bei der Referier.875 § 2 berichtete von einer Zunahme der Relationen, weswegen die Beratschlagung derselben verlängert werden müsse. Bislang hatten alle Schöffen und die Advokaten von halb neun bis neun Uhr Urteile, Relationen in Frevelsachen, über welche an dem Tag ein Urteil oder Bescheid ergehen sollte, sowie Supplikationen beratschlagt. Dann saßen sie von neun bis elf Uhr zu Gericht.876 Nun sollten der Schultheiß, in seiner Abwesenheit der Älteste, und noch zwei Schöffen von neun bis elf Uhr Gericht halten, die übrigen mussten sich die Relationen anhören.877 Gemäß § 3 sollten nicht vollzogene Strafen nach Teil 1, Titel 3, § 9 der Frankfurter Reformation von 1578 auf Wiedervorlage gelegt werden. § 9 ordnete an, nicht vollzogene Arreste auf der Referier zu verzeichnen, damit eine angemessene Strafe erfolgen könne. Der in der 1631 erlassenen Gerichtsordnung beschriebene Missstand, dass Schriftsätze vor der Referier eingereicht wurden, hielt weiter an und wurde auch in der Verordnung aus dem Jahr 1641 erneut aufgegriffen.878 Die Gerichtsordnung von 1676 reagierte schließlich auf die faktische Nutzung der Schöffenreferier als Gericht und weitete ihre Kompetenzen aus. Sie wies in § 1 der turms an Sitzungstagen von acht bis halb neun Uhr morgens, um die Sitzungen den Parteien anzukündigen. 870 Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 60, S. 88. 871 Eine Gerichtsgebühr, die gleich nach der Verhandlung, dem Prokurator auf den Tisch – das Brett – gelegt werden musste: Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 61, S. 90. 872 Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 61, S. 89 f. 873 Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 61, S. 90. 874 Verordnung vom 24.2.1631, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. 1466–1477. 875 Ein gänzliches Verbot der Referier, welches Rössing hierin erblickt: Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 59, S. 87, ist hieraus nicht ersichtlich. Lediglich das direkte Einreichen von Schriftsätzen seitens der Parteien sollte hier untersagt werden. Dies zeigen auch die nachfolgenden Bestimmungen der Verordnung, die sich mit den bei der Referier verlesenen Relationen auseinandersetzten. 876 Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Erster Teil, Titel 3, § I. 877 § 2 Verordnung vom 24.2.1631, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. ­1466–1477 (1467). 878 Verordnung vom 23. März 1641, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. ­1557–1559 (1558).

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Referier eilbedürftige Sachen zu, die im summarischen Verfahren verhandelbar waren, sofern vor Ort über sie entschieden werden konnte: „Wo aber periculum in mora bey einer Sach, so nicht contradictorii Judicii zu seyn scheinet, oder sonsten Repentina vorfielen, mag so gleich auff der Referier darüber resolvieret und decretiret werden.“879 Gemäß § 2 sollte in nicht eilbedürftigen Verfahren, die summarisch verhandelt werden konnten und weder vor die Bürgermeisteraudienzen noch den Schöffenrat gehörten, zunächst die Gegenpartei geladen werden. Dann waren beide Schriftsätze zu lesen und daraufhin sollte entschieden werden, wohin die Sache verwiesen werden musste.880 In der Praxis wurden wohl aber weiterhin Schriftsätze vor der Schöffenreferier eingereicht und verhandelt.881 Eine Normierung der Schöffenreferier als Instanzengericht erfolgte demnach weder in der Frankfurter Reformation von 1578 noch in den Gerichtsordnungen von 1631, 1641 oder 1676. In der zuletzt genannten Ordnung wurde der Referier allerdings eine gerichtliche Funktion für eilbedürftige, summarisch verhandelbare Sachen zugesprochen. In der Praxis hingegen erfuhr die Schöffenreferier offenbar eine Inanspruchnahme als erstinstanzliches Gericht. 2. Bedürfnis nach alternativen Konfliktlösungsmodellen Die Frankfurter Gerichtslandschaft bot mit ihren zahlreichen Gerichten und gerichtsähnlichen Einrichtungen viele Anlaufstellen. Die trotz allem hauptsächlich in wechselrechtlichen Streitigkeiten eingeholten Pareres zeigen, dass ein Bedürfnis nach alternativer Konfliktlösung bestand. Fraglich ist, worin der Vorteil der Pareres im Vergleich zur Inanspruchnahme der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestand. a) Fehlende erstinstanzliche Zuständigkeit Typischerweise nehmen die Faktoren Schnelligkeit und Kostenersparnis in der außergerichtlichen Konfliktlösung einen hohen Stellenwert ein. Diesen trugen die als Gütestelle eingerichteten Bürgermeisteraudienzen und die zahlreich geschaffenen summarischen Verfahrensmöglichkeiten eigentlich Rechnung. Betrachtet man jedoch die Zuständigkeit der Bürgermeisteraudienzen und des Schöffengerichts in der Wechselordnung von 1739, wird schnell klar, dass viele der Wechselverfahren, in denen Unterstützung durch die Pareres erbeten wurde, vor Gericht nicht abschließend geklärt werden konnten.882 So waren die beiden Gerichte „in klaren Wechsel=Sachen“ 879 Verordnung vom 9. November 1676, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. 1477–1496 (1479). 880 Verordnung vom 9. November 1676, abgedruckt bei: Beyerbach 1799 (wie Anm. 808), S. 1477–1496 (1479). 881 Rössing 1806 (wie Anm. 794), § 69, S. 100. 882 Vor 1739 dürften mangels spezieller Regelungen ebenfalls die Bürgermeisteraudienzen sowie das Schöffengericht – entsprechend ihren allgemeinen Zuständigkeiten nach der Frankfurter

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zuständig. Alles, was über die Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs aus dem Wechsel hinausging, sollte hier eigentlich nicht verhandelt werden. Damit konnten keine speziellen wechselrechtlichen Fragen geklärt werden. Sie hätten zwar im ordentlichen Nachverfahren verhandelt werden können, aber das hätte sowohl Zeit als auch Geld gekostet.883 Die Zulässigkeit einer Appellation in Wechselsachen und damit ein ordentliches Nachverfahren war zudem unter den Zeitgenossen umstritten gewesen. Viele Gerichte und Streitparteien deuteten § 107 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654 nicht als Aufhebung des Suspensiveffekts für Wechselsachen, sondern als generelles Appellationsverbot.884 Geht man davon aus, dass diese Vorschrift, wie Amend-Traut berichtet, nicht selten auch von möglichen Prozessparteien falsch gedeutet wurde, so fehlte aus Sicht der Rechtssuchenden grundsätzlich eine gerichtliche Zuständigkeit für wechselrechtliche Streitigkeiten, die über die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen hinausging. Denn gemäß § 35 der Frankfurter Wechselordnung von 1739 waren nur eindeutige Sachen verhandelbar. Bei richtiger Auslegung wäre in allen anderen Fällen ein ordentliches Nachverfahren möglich gewesen. Bei falscher Auslegung bot sich aus Sicht der Parteien nun aber vielmehr an, über die streitige Angelegenheit ein Parere einzuholen. Legte man § 107 richtig aus, erkannte man zwar die Möglichkeit des ordentlichen Nachverfahrens, welches dann aber häufig bereits in der zweiten Instanz vor dem Reichskammergericht hätte ausgetragen werden müssen. Diesen langwierigen und auch kostenintensiven Weg konnten die Parteien ebenfalls gut durch die Inanspruchnahme der kaufmännischen Gutachten umgehen.885 Eine originäre erstinstanzliche Zuständigkeit für materiellrechtliche Wechselrechtsprobleme gab es demnach nicht, vielmehr mussten diese Fragen später in der zweiten oder dritten Instanz vor dem Reichskammergericht geklärt werden. Damit stellten die Pareres eine echte außergerichtliche Alternative dar. Zieht man zum Vergleich andere Städte heran, so zeigt sich, dass die Pareres eine noch größere lückenfüllende Funktion haben konnten. So bestand in Nürnberg zwar das mit Kaufleuten besetzte Bancoamt, aber auch dieses verhandelte nur im summarischen Verfahren, sodass materiellrechtliche Probleme nicht vertieft behandelt werden konnten. Anders als in Frankfurt war aber in Nürnberg aufgrund eines 1508 erteilten Privilegs die Appellation in Kaufmannssachen ausgeschlossen.886 Im Ergebnis konnten die Parteien wechselrechtliche Probleme nur noch durch die Einholung von Pareres lösen.

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Reformation von 1578 und den dann folgenden erweiterten Kompetenzen der Bürgermeisteraudienzen – auch für wechselrechtliche Probleme zuständig gewesen sein. Mehr zu den kaufmännischen Bedürfnissen, schnell und kostensparend Probleme zu lösen, siehe: Amend-Traut 2008 (wie Anm. 474), S. 162. Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 198. So lag die durchschnittliche Prozessdauer eines reichskammergerichtlichen Verfahrens immerhin bei knapp über sieben Jahren: Amend-Traut 2008 (wie Anm. 474), S. 161. Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 58 ff.; Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 124.

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Funktion der Pareres

b) Mangelnde Expertise Nicht nur die Zuständigkeit für Wechselsachen bereitete Schwierigkeiten. Vor allem die mangelnde Expertise dürfte in den wechselrechtlichen Angelegenheiten ein großes Problem dargestellt haben. aa) Die Situation in Frankfurt In der Anfangszeit des Schöffengerichts als Stadtgericht, zur Blütezeit der Frankfurter Messe in der Mitte des 14. Jahrhunderts, konnten handelsrechtliche Streitigkeiten noch gut vor dem Schöffengericht verhandelt werden. Zu diesem Zeitpunkt stellten zum einen noch viele Kaufleute die erste Ratsbank, während im 18. Jahrhundert die Kaufmannschaft nur noch ausnahmsweise im Rat vertreten war.887 Zum anderen kam der Wechsel zwar bereits im Mittelalter auf, setzte sich aber erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts als wichtigstes Zahlungsmittel durch.888 Mit den dadurch aufkommenden komplexen wechselrechtlichen Problemen und dem gleichzeitig einhergehenden Rückzug der Kaufleute aus dem Rat und damit auch aus den vorhandenen Gerichten entstand Ende des 17. Jahrhunderts ein Vakuum. Eine Expertise hinsichtlich komplexer materiellrechtlicher Wechselrechtsfragen war in den erstinstanzlichen Gerichten nicht gegeben. Betrachtet man die Besetzung der Bürgermeisteraudienzen, so stellt man zwar fest, dass im Untersuchungszeitraum von 28 Jahren889 das Amt des Älteren Bürgermeisters in 15 Jahren, also rund der Hälfte der Zeit, mit einem Rechtsgelehrten, das Amt des Jüngeren Bürgermeisters gerade mal in acht Jahren mit einem studierten Juristen besetzt war.890 Damit war zwar in einigen Jahren tatsächlich eine professionelle juristische Bearbeitung der Klagen möglich, diese war dennoch nicht 887 Mehr dazu unter B IV. 1. d). Anders stellte sich die Situation in Hamburg dar. Die in der Hansestadt ebenfalls diskutierte Option, ein Handelsgericht einzusetzen, wurde erst nach 1815 in Anlehnung an das französische Vorbild umgesetzt. Bis dahin waren die Kaufleute stets im Rat vertreten, sodass die Fachkunde bereits dem Rat als ordentliches Gericht immanent war: Ebert-Weidenfeller 1992 (wie Anm. 369), S. 10. Dies könnte auch erklären, weshalb die Commerzdeputation erst ab den 1770er-Jahren als Gremium Pareres erstattete. 888 Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 136; Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 105 ff. Sehr anschaulich ist die Karte zur Verbreitung des Indossaments bei: Schneider 1990 (wie Anm. 4), S. 169. 889 Hier wurde der Zeitraum der Pareres zugrunde gelegt: 1713 bis 1740. 890 Die Berechnung beruht auf den bei Dölemeyer abgedruckten Tabellen: Dölemeyer 1993 (wie Anm. 240), S. 418 ff. Schlick-Bamberger zufolge musste einer der Beisitzer im 18. Jahrhundert Rechtsgelehrter sein: Schlick-Bamberger 2008 (wie Anm. 114), S. 19 f. Sie zitiert hier Orth, der sich allerdings nur dahingehend äußert, dass es wünschenswert sei, wenn einer der Beisitzer Rechtsgelehrter wäre: „so scheint es doch, wenigstens in ansehung der ihnen zugeordneten beisitzer eher nötig zu sein, daß wo nicht beide, doch einer von ihnen, die in den rechten nötige wißenschaft und erfarung besizen, weil […] ihre hauptverrichtung darin bestehet, daß sie zur entscheidung der parteien rechtshändel ihren beirat geben sollen“, Orth 1757 (wie Anm. 805), S. 415. Eine Verpflichtung lässt sich hieraus nicht entnehmen.

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mit einer Expertise in wechselrechtlichen Fragestellungen gleichzusetzen. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts war das Wechselrecht nicht Gegenstand universitärer Juristenausbildung, sodass studierte Advokaten, die teilweise Ämter im Schöffen­ gericht und den Bürgermeisteraudienzen bekleideten, nicht im Wechselrecht geschult waren.891 Wechselrechtliche Kenntnisse wurden vielmehr als Gegenstand kaufmännischer Ausbildung betrachtet. So war das Wechselrecht im 17. und 18. Jahrhundert regelmäßig Inhalt kaufmännischer Ausbildungsliteratur, sogenannter Handlungs­ anweisungen, und nationalökonomischer Schriften.892 Eine wissenschaftliche juristische Bearbeitung fand erst Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts statt.893 891 Eine wissenschaftliche Bearbeitung des Wechselrechts seitens studierter Juristen erfolgte erst mit Heineccius Werk der Elementa juris cambialis 1742, vgl. auch: Klaus Luig, Die Anfänge der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht, in: IUS COMMUNE 1, 1967, S. 214 ff. Gegenstand juristischer Vorlesungen war das Wechselrecht frühestens ab der Mitte des 18. Jahrhunderts: Gerhard Köbler, Zur Geschichte der juristischen Ausbildung in Deutschland, in: Juristenzeitung 26, 1971, S. 770. Scherner ist von einer universitären Bearbeitung des Wechselrechts bereits ab den 30er-Jahren des 18. Jahrhunderts ausgegangen: Karl Otto Scherner, Die Wissenschaft des Handelsrechts, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Zweiter Band: Neuere Zeit (1500–1800). Das Zeitalter des Gemeinen Rechts, Erster Teilband: Wissenschaft, München 1977, S. 929. Bis dahin, mithin bis zum Druck des Werkes Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier, erfolgte offenbar keine universitäre Beschäftigung mit dem Wechselrecht. Eine Parallele zeigt sich hier bei der Dichotomie zwischen der Anwendung subsidiären gemeinen Rechts und eigentlich vorrangigem Statutarrechts. Auch hier hat Oestmann das Problem geschildert, dass die Richter das subsidiär geltende römische Recht studiert hatten, sich aber im lokalen Recht, gerade wenn sie ortsfremd waren, nicht auskannten: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 9. 892 In Frankreich war die Schrift Le parfait négotiant des französischen Kaufmanns Jacques Savary maßgeblich, die 1675 erstmals in Frankreich publiziert wurde und ein Jahr später in Genf in einer deutschen Fassung erschien: Savary 1688 (wie Anm. 27), Vorwort. Dieses europaweit verwendete Buch stellte eine Mischung aus kaufmännischen Leitfaden und Gesetzeskommentar zur zwei Jahre zuvor erlassenen Ordonnance sur le Commerce dar, siehe: Emily Kadens, Kaufmännisches Gewohnheitsrecht und das Französische Handelsgesetzbuch von 1673, in: Rolf Lieberwirth / ​Heiner Lück (Hrsg.), Akten des 36. Deutschen Rechtshistorikertages Halle an der Saale, 10.– 14. September 2006, Baden-Baden u. a. 2008, S. 262 f. Siehe für Deutschland z. B. die intensive Auseinandersetzung des Ökonomen Paul Jacob Marperger in seinen zahlreichen Schriften. Der als Begründer der modernen Betriebswirtschaft geltende Marperger setzte sich in seinen Werken häufig mit handelsrechtlichen Fragestellungen auseinander – eine für diese Zeit typische Entwicklung der ökonomischen Literatur: Scherner 1977 (wie Anm. 891), S. 955. Auch Cordes hat betont, dass die mit Handelsrecht befassten Bücher in erster Linie für die Kaufleute selbst geschrieben worden sind: Albrecht Cordes, Lex mercatoria, in: Albrecht Cordes / ​Hans-Peter Haferkamp / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band III: Konfliktbewältigung – Nowgorod, 2. Auflage, Berlin 2016, Sp. 898. 893 Zwar verfassten auch studierte Juristen wie Johann Theodor Sprenger, Johann Martin Vogt und Johann Jacob Heydiger die ersten wechselrechtlichen Abhandlungen. Ihr Adressatenkreis war aber die Kaufmannschaft. Die Schriften waren auf Deutsch verfasst und praxis-

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bb) Vergleich mit anderen Städten und Regionen Mangelnde Expertise war nicht nur ein Frankfurter Problem.894 Die Änderungen im Zahlungsverkehr, namentlich die Verbreitung des Indossaments, ließen im Alten Reich ab der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Bedürfnis nach spezialisierter Konfliktlösung entstehen. Eine effiziente Lösung handelsrechtlicher, insbesondere wechselrechtlicher Konflikte war erforderlich geworden.895 Diese konnte nur mittels spezieller Handelsgerichte oder durch die Inanspruchnahme kaufmännischer Expertise in Form der Pareres erfolgen. Gebiete, in denen der Wechselhandel bereits zuvor stark verbreitet war, wie Italien, das Mutterland des Wechsels, verfügten bereits lange vor dem Alten Reich über spezielle handelsrechtliche Konfliktlösungsmechanismen. So war die 1530 eingerichtete Rota von Genua ein ausschließlich mit gelehrten Richtern besetztes Zivilgericht, welches mehrheitlich handelsrechtliche Verfahren verhandelte. Es hatte funktional das zuvor bestehende, ausschließlich mit Kaufleuten besetzte Officium Mercantiae, Gazariae, Banchorum abgelöst.896 Die nun fehlende kaufmännische Expertise machte sich jedoch bald bemerkbar. Ein 1540 seitens der Genueser Regierung eingeholtes Gutachten befasste sich mit verbesserungswürdigen Regelungen in den Konstitutionen der Rota. Unter anderem schlugen die befragten Juristen vor, in kaufmännischen Angelegenheiten die Kammer mit zwei gelehrten Juristen und einem Kaufmann zu besetzen.897 Umgesetzt wurde dieser Vorschlag durch eine Reform im Jahr 1557. In einer weiteren Reform im Jahr 1572 etablierte die Genueser Regierung schließlich für Bankrottfälle das Ufficio dei Rotti, welches nicht aus Anwälten, sondern aus Handelsexperten bestand. Es sollte die Aktivitäten des Gerichtshofes in sichere Bahnen lenken.898 In Bozen forderten die italienischen Kaufleute 1609 ein aus Kaufleuten zusammengesetztes Handelsgericht, welches aus einem Richter und mehreren kaufmännischen Beisitzern bestehen sollte.899 Die von der Regierung ebenfalls befragten deutschen Kaufleute schlossen sich den italienischen Forderungen an und empfahlen die Einsetzung eines Richters sowie die Hinzuziehung kaufmännischer Beisitzer aus beiden Nationen. Sie erhofften sich dadurch einerseits eine schnelle und kostengünstige Entorientiert ausgerichtet, vgl.: Scherner 1977 (wie Anm. 891), S. 929, 936, 946. Es handelte sich bei den Werken nicht um juristische Ausbildungsliteratur, sodass sich der am ius commune ausgebildete Richter regelmäßig nicht mit der wissenschaftlichen Behandlung des Wechselrechts auseinandersetzte. Eine wissenschaftlich juristische Ausbildung fand vor allem unter Georg Friedrich von Martens 1797 in seinem Grundriß des Handelsrechts (wie Anm. 61) statt, vgl.: Scherner 1977 (wie Anm. 891), S. 945. 894 Auch Calafat konstatiert, dass die Pareres erst die kaufmännische Expertise in das Gerichtsverfahren einbrachten: Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 152. 895 Jeggle 2016 (wie Anm. 16), S. 54. 896 Piergiovanni 1987 (wie Anm. 32), S. 28. 897 Piergiovanni 1987 (wie Anm. 32), S. 31 f. 898 Piergiovanni 1987 (wie Anm. 32), S. 32. 899 Mehr zur Entwicklung in Bozen, siehe: Jeggle 2016 (wie Anm. 413).

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scheidung, andererseits aber auch eine kompetente Behandlung wechselrechtlicher Konflikte. Die alleinige Expertise in Wechselsachen sprachen sie den Kaufleuten zu: „und der gemaine handelsgebrauch wie der auf allen handelsplätzen in ganz Europa observiert wird, bevorab in wechselsachen, dern termini allain den handelsleuthen bekhand sein, auch allhie erhalten würde“.900 Neben der Möglichkeit, spezielle Handelsgerichte mit Kaufleuten als Beisitzern zu besetzen, wurden die Wissenslücken der agierenden Richter zunehmend durch die Einholung kaufmännischer Pareres geschlossen. Bereits 1599 wurden Pareres, die zuvor von Kaufleuten aus Augsburg, Antwerpen und Hamburg eingeholt worden waren, in einen Gerichtsprozess in Köln eingebracht. Das im Jahr 1600 in der Sache ergangene Urteil beruhte offenbar auf den eingeholten kaufmännischen Gutachten.901 Die fehlende wechselrechtliche Expertise war kein Einzelfall, wie die 1668 und 1669 auf Reichsebene erlassenen Kommissionsdekrete und der Reichsschluss von 1670 zeigen.902 Normierte das Kommissionsdekret von 1668 lediglich die Pflicht der höchsten Gerichte, kaufmännische Gutachten einzuholen und bei der Rechtsfindung zu beachten, war die Verpflichtung im Reichsschluss auch auf die Untergerichte ausgeweitet worden. Man erhoffte sich, durch die Einholung der Pareres Appellationsund Mandatsprozesse vermeiden zu können: „ehe und bevor die Appellations- und Mandat-Prozesse erkennt werden, […] verständiger Kaufleute Gutachten circa factum mercantile vernommen“.903 Die Vorschrift zeigt nicht nur die obrigkeitlich anerkannte Expertise der Pareres, sondern auch, dass ohne die Einholung kaufmännischer Pareres wechselrechtliche Probleme offenbar regelmäßig nicht vor dem Untergericht, sondern erst in nächster Instanz vor dem Reichskammergericht geklärt wurden. Der Mangel an adäquaten Vorinstanzen zur Lösung wechselrechtlicher Probleme scheint damit ein reichsweites Problem gewesen zu sein. Der Blick auf einige andere deutsche Handelsstädte zeigt, dass die vorhandenen Gerichtsstrukturen und die Expertise der städtischen Untergerichte nicht nur in Wechselsachen, sondern allgemein in Handelsrechtsstreitigkeiten regelmäßig nicht ausreichend erschienen. Auch in Nürnberg war ein ausschließlich summarisches Verfahren vor dem Untergericht, dem Bancoamt, vorgesehen, sodass die Hauptlast der Prozesse bei den schiedsrichterlich tätigen Marktvorstehern904 lag, die ab 1628 Pareres erteilten.905 900 901 902 903

Zitiert nach: Huter 1927 (wie Anm. 413), S. 37. Dalhede 1989 (wie Anm. 29), S. 520. Wortlaut unter A II. 3. a) abgedruckt. Reichs-Abschieds-Anfang, So […] von Wiederherstellung und Aufhelffung der Commercien und Handelschafften […], Dictatum Ratisbonae 16. Junii, 26. Junii 1670 Moguntinum, in: Schmauss 1747 (wie Anm. 46), S. 68–80 (76). 904 Diese saßen z. T. sogar im Bancoamt, sodass hier nicht die Expertise, sondern das summarische Verfahren das Problem gewesen sein dürfte. 905 Mehr hierzu in B IV. 2. a) aa). Nürnberg pflegte mit Venedig einen intensiven wirtschafts- und rechtspolitischen Austausch, vgl.: Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 72 ff. und Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 121; womöglich hatten die Italiener das Instrument der Pareres in

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Die Sachkunde, wechselrechtliche Streitigkeiten zu lösen, wurde auch in Leipzig dem Stadtgericht abgesprochen.906 Zwar war der dort praktizierte sächsische Prozess für kaufrechtliche Streitigkeiten vorteilhafter als der römisch-rechtliche. Zum einen behielt er das Prinzip der Mündlichkeit bei und ermöglichte mit dem Contumacialprinzip ein Säumnisurteil gegen einen nicht erschienenen Beklagten. Zum anderen ließ er nur eine Tatsacheninstanz zu.907 Dennoch erachteten die Kaufleute die bisherigen Gerichtsstrukturen als unzulänglich.908 Hier dürfte vor allem, wie auch in Frankfurt, die mangelnde wechselrechtliche Expertise problematisch gewesen sein. Denn trotz der Einrichtung des ersten deutschen Handelsgerichts 1682 erteilten die Kramermeister ab 1688 parallel zur Existenz des Gerichts ihre Pareres. Die Gründe sind ähnlich wie in Frankfurt. Das Verfahren vor dem neu eingerichteten Handelsgericht war summarisch und konnte keine schwierigen Rechtsfragen klären. Sie sollten weiterhin vor den Schöffenstuhl gebracht werden.909 Dieser wiederum setzte sich, wie auch in anderen Städten, aus Ratsherren zusammen, die, selbst wenn sie Jura studiert hatten, Ende des 17. Jahrhunderts nicht im Wechselrecht ausgebildet waren. Die mangelnde wechselrechtliche Kenntnis, die eine Einholung der Pareres erforderlich machte, zeigt sich auch in den folgenden Beispielen. Im Dezember 1696 lag dem Leipziger Schöffengericht eine Wechselrechtssache vor, in welcher schließlich ein Informaturteil910 erging. Im Laufe des Prozesses wandten sich nun die Leipziger Schöffen zwecks Beurteilung der wechselrechtlichen Probleme an die Kramermeister. Im vorliegenden Fall hatte A in Hamburg am 18. August zwei Wechsel und am 21. August zwei weitere, alle auf B in Frankfurt, allerdings zahlbar durch dessen Faktor C in Breslau, gezogen. Der erste Wechsel ging über 900 Rthlr. an den Kommissionär des T, der zweite über 700 Rthlr. an den Kommissionär des K. Ausweislich eines Schreibens vom 5. September kündigte C dem A an, beide Wechsel zu zahlen. Gleichermaßen erklärte er sich am 8. September bereit, die zwei weiteren Wechsel, einen zu 500 Rthlr. an die Order des L, einen zu 300 Rthlr. an die Order

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Nürnberg eingeführt. Es fanden häufiger handelsrechtliche Konstruktionen aus Italien Eingang in die Rechtsordnung nördlich der Alpen, vgl. hierzu Cordes, der vom Transfer einer Rechtsidee im Gesellschaftsrecht berichtet: Albrecht Cordes, Transfer einer Rechtsidee: Gesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkungen in Florenz und Nürnberg im 15. Jahrhundert, in: Marcel Senn / ​Claudio Soliva (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Interdisziplinarität. Festschrift für Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag, Bern 2001. Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 140 f. Wolfgang Sellert, Prozeß, sächsischer, in: Adalbert Erler / ​Ekkehard Kaufmann unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur ­deutschen Rechtsgeschichte, IV. Band: Protonotarius Apostolicus – Strafprozeßordnung, Berlin 1990, Sp. 37 f. Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 139. Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 139 f. Urteil, das der Richter zu seiner eigenen Belehrung einholte, vgl.: Heiner Lück, Die Spruch­ tätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Organisation  – Verfahren  – Ausstrahlung, Köln 1998, S. 101.

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des M, ebenfalls für B zu begleichen. In einem ebenfalls am 5. September erstellten Schreiben an B hatte C diesem zugesagt, für insgesamt 10.000 Rthlr. einzustehen. Im weiteren Verlauf bezahlte C nun K und L, T und M hingegen erhielten ihre Wechsel ohne Akzept zurück. Zwischenzeitlich war nämlich B in Frankfurt zahlungsunfähig geworden, sodass C nicht mehr gewillt war, die Wechsel für B zu akzeptieren. Die Schöffen erbaten nun bei den Kramermeistern ein Parere über zwei Fragen. Zum einen wollten sie wissen, ob M und T, der seinen Wechsel am Verfalltag in Breslau präsentiert hatte, den Aussteller A in Regress nehmen könnten oder wegen ihrer eigenen Nachlässigkeit ihren Schaden selbst tragen müssten. Des Weiteren erfragten sie, ob C nicht durch sein an B abgegebenes Zahlungsversprechen in Höhe von 10.000 Rthlr. gebunden sei. Die Kramermeister verfassten, wie auch die Frankfurter Börsenvorsteher, stets sehr knappe Pareres und antworteten in der ihnen üblichen Kürze. Im Fall ordnungsgemäßer Protesterhebung sahen sie eine Regresspflicht des A gegeben, da T und M rechtzeitig ihre Wechsel präsentiert hatten und diese zwischenzeitlich durch den Order- bzw. Kommissionsvermerk auch hätten weiterverkaufen können. C sahen sie nicht durch sein an B getätigtes Zahlungsversprechen gegenüber den Begünstigten verpflichtet. Diese Verpflichtung hätte nach Ansicht der Kramermeister nur durch das Akzeptieren der Wechselbriefe entstehen können. Darüber hinaus hätte C gegenüber A die Zahlung der Wechsel nur unter der Prämisse, einen entsprechenden Gegenwert von B zu bekommen, zugesagt. Da er nun aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des B nicht akzeptiert habe und hierin keine Arglist erkannt werden könne, sei C auch nicht zur Zahlung verpflichtet. Im Falle einer arglistigen Handlung wäre er hingegen zahlungspflichtig gewesen. Im anschließend ergangenen Informaturteil schlossen sich die Schöffen weitestgehend dem Parere an. Sie konstatierten ebenfalls keine Zahlungspflicht des C, wiesen aber darüber hinaus auf die Möglichkeit des A hin, den C selbst zu belangen. Die zweite Frage zur Zahlungsverpflichtung des C in Höhe von 10.000 Rthlr. behandelten sie weit ausführlicher als die Kramermeister. Inhaltlich kamen sie zum gleichen Ergebnis, erörterten aber noch die Frage, ob aus dem Schuldversprechen geklagt werden könne, ob also die Klage ex pacto nudo zulässig sei. Sie beriefen sich auf „bewährter Rechts=Lehrer Meinung“, stellten aber darauf ab, dass die Klage ex pacto nudo nur dann zulässig sei, wenn C sich selbst hätte verpflichten wollen. Insgesamt lehnten die Schöffen die Zahlungsverpflichtung des C mit weitschweifigen Begründungen ab. Sie stellten unter anderem auf den fehlenden Willen des C, eine eigene Rechtsverbindlichkeit begründen zu wollen, sowie auf den Vermerk auf den Wechseln, dass diese auf das Konto des B bezogen seien, ab.911 Interessant ist hier die unterschiedliche Behandlung der beiden beantworteten Fragen seitens der Schöffen. Während sie die Antwort auf die erste, rein wechselrechtliche Fragestellung unverändert übernahmen, ergänzten sie die Antwort auf die zweite Frage hinsichtlich des abstrakten Zahlungsversprechens noch um weitergehende Ausführungen. Hierbei stand kein wechselrechtliches Problem im Vordergrund. Sie stützten 911 Königk 1717 (wie Anm. 1), S. 673 ff.

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sich in ihrer Antwort vielmehr auch auf gemeinrechtliche Fragen, die – anders als das Wechselrecht – Gegenstand der juristischen Ausbildung waren. Die Expertise der Leipziger Kramermeister war ebenfalls in einem 1739 anhängig gemachten Urkundenprozess gefragt. In diesem war den ersten Indossanten zweier in Leipzig ausgestellter Wechsel vom vierten und letzten Indossanten, dem Kläger im Urkundenprozess, der Streit verkündet worden. Der Rechtsvertreter der Streitverkündeten hatte sodann unter ausführlicher Schilderung seiner eigenen juristischen Ansichten zunächst ein Parere in Hamburg erbeten. Die dortigen zwei Licentiaten, Petrus Bentzen und Johann Christoph Hörmann, hatten gemeinsam mit zwei Vertretern der Börse, Philipp Boetefeuer und Joseph Rezzani, ein Parere über die ihnen vorgelegte Streitsache erstattet und dieses vom Notar Nicolaus Krohn beglaubigen lassen. In der Sache stützten sie ihr Parere sowohl auf Vorschriften, die bereits der Advokat angeführt hatte, als auch auf allgemeine wechselrechtliche Literatur. Dem Vertreter der Streitverkündeten fehlte nun offenbar eine spezifische Würdigung des Leipziger Wechselrechts, weshalb er eine Stellungnahme der Leipziger Kramermeister zum Hamburger Parere erbat. Sie schlossen sich grundsätzlich dem Gutachten der Hamburger Kollegen an, würdigten nun aber die Besonderheit des Leipziger Rechts und widersprachen in einigen Punkten dem Hamburger Gutachten.912 Ob das Parere schließlich als Parteigutachten in den Prozess eingebracht wurde, ist leider nicht bekannt. Das Beispiel zeigt aber, dass die Parteivertreter zum einen grundsätzlich die wechselrechtliche Expertise des Gerichts vermissten, zum anderen aber auch die Kenntnis der Ortsstatuten noch so immens wichtig war, dass neben dem bereits eingeholten Parere aus Hamburg ein weiteres aus Leipzig erforderlich schien. Wenngleich natürlich zu bedenken ist, dass der nun bei den Kramermeistern anfragende Advokat möglicherweise nur ein abweichendes Parere begehrte, da das Hamburger nicht im Sinne seiner Mandanten ausgefallen war.913 Wie bereits das Leipziger Beispiel zeigt, erstatteten auch in Hamburg Kaufleute Pareres. Hamburg verfügte ebenfalls über kein Handelsgericht. Dem mehrfach von den Kaufleuten geäußerten Wunsch nach einer Sondergerichtsbarkeit kam der Rat mit der Bemerkung, die schiedsrichterlich tätigen Kaufleute genügten, im Übrigen gebe

912 Siegel 1742 (wie Anm. 95), P CXXXII, S. 170 ff. 913 Die Heranziehung auswärtiger Pareres zusätzlich zum lokalen Gutachten scheint häufiger erfolgt zu sein. Neben den in Teil C dargestellten Frankfurter Fällen, in denen vor allem Leipziger Gutachten herangezogen wurden, holten die Parteien in einem Augsburger Fall ebenfalls auswärtige Pareres, nämlich aus Wien, Frankfurt und Leipzig ein, vgl.: Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 233 ff. Auch einem Züricher Parere aus dem Jahr 1793 zum Wechselregress lag ein Parere der Augsburger Kaufleutestube bei: Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 9. Einem weiteren Züricher Parere aus dem Jahr 1796 zur Haftung eines Spediteurs für verlorenes Gut lagen sogar Gutachten aus Augsburg, Nürnberg, Frankfurt und Bozen bei: Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 48. Ein Züricher Parere aus dem Jahr 1803 das Kommissionsgeschäft betreffend wurde durch zwei Gutachten der kaufmännischen Kommission in Basel und des kaufmännischen Direktoriums in St. Gallen komplettiert: Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 57.

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es ohnehin zu viele Gerichte, nicht nach.914 Die Expertise der Hamburger Commerzdeputation wusste auch der Hamburger Rat zu schätzen. Immerhin war das erste von ihnen erstattete Parere den Kaufleuten vom Rat zugetragen worden. Die Wechselsache war 1678 aus Hannover an den Hamburger Rat mit der Bitte gesandt worden, „vermittelst Zuziehung einiger Herren Kaufleute ihnen dero sentiment, jedoch in allerwege nach dem Amsterdamer Wechselrecht“ mitzuteilen.915 Nur wenige Tage später erbaten einige Hamburger Kaufleute in einem bereits anhängigen Prozess ein Parere, in der Hoffnung, eine Aktenversendung an eine juristische Fakultät vermeiden zu können. Die Kommerzdeputierten erteilten in diesem Fall jedoch mit Hinweis auf die Rechtshängigkeit kein Parere. In der weiteren Zeit erteilten die Hamburger jedoch nicht mehr als Gremium, sondern nur noch als Einzelgutachter Pareres. So verwiesen sie im Jahr 1759 auch eine Anfrage aus der Schweiz an einen einzelnen Kaufmann namens His, der bereit sei, ein Parere zu erteilen. Sie selbst seien mit ihren eigenen Kommerzangelegenheiten zu beschäftigt, um sich noch in ausländische Fälle einzuarbeiten. Ab den 1770er-Jahren gab die Commerzdeputation ihre Haltung jedoch auf und erteilte häufiger auf Bitten des Rates Pareres für auswärtige Kaufleute, unter anderem nach Breslau. Die Überprüfung anderer Pareres, wie der Leipziger Fall aus dem Jahr 1739 zeigt, wurde auch seitens der Hamburger Kaufleute vorgenommen. So setzten sie sich 1772 mit einer komplexen Rechtsstreitigkeit auseinander, die zuvor bereits von Wiener und Frankfurter Kaufleuten begutachtet worden war.916 Interessant ist auch die Situation im preußisch beeinflussten, nunmehr polnischen Elbing. Das 1758 durch ein Privileg König Augusts III. eingerichtete Wechsel­ gericht, dem der vierte Bürgermeister vorsaß, sollte zunächst eine gütliche Einigung er­wirken.917 In nicht summarisch verhandelbaren Sachen sollte der Bürgermeister „die Sache zur Untersuchung und gütlichen Beylegung an das hiesige Commercienkollegium“ verweisen, welches ihr Parere erteilen sollte.918 Auch hier war in materiell­ rechtlichen Fragen das nun eigens eingerichtete Wechselgericht offenbar nicht ausreichend kompetent, sodass die wechselrechtliche Expertise auch in Elbing bei den Kaufleuten lag. 914 Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 203; Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 135 f. Im Übrigen war der Hamburger Rat zur Hälfte mit Kaufleuten und Rechtsgelehrten besetzt: Ebert-Weidenfeller 1992 (wie Anm. 369), S. 11, sodass stets die Interessen der Kaufleute im Rat vertreten waren. 915 Zitiert nach: Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 645. 916 Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 647. 917 Mehr zum Wechselgericht, siehe: Michael Gottlieb Fuchs, Beschreibung der Stadt Elbing und ihres Gebietes in topographischer, geschichtlicher und statistischer Hinsicht, Erster Band, Elbing 1818, S. 289 f.; Wilhelm von Brünneck, Zur Geschichte der Gerichtsverfassung Elbings (Alt- und Neustadt), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 36, 1915, S. 110. 918 Cap. 21, Art. 79 Wechselordnung der Stadt Elbing vom 27. Januar 1758, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 284–306, S. 302.

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Die Pareres wurden nicht nur im Alten Reich von Richtern unterstützend herangezogen. Auch in Frankreich war es üblich, dass Richter kaufmännische Expertise in Form von Gutachten einholten: „Les parères sont ordinairement demandés par les juges qui ont besoin de s’éclairer sur un fait“.919 Sie dienten sowohl der Darlegung ausländischen Rechts als auch handelsrechtlicher Bräuche: „soit sur un point de droit étranger, soit sur un usage commercial constatant les règles coutumières sur les points en litige“.920 Sie wurden entweder durch die Parteien selbst oder das mit der Sache befasste Gericht eingeholt.921 Die Wertschätzung, die auch Juristen den Pareres entgegenbrachten, zeigt sich sehr gut an der Äußerung des Pariser Advokaten Severt, der Savarys Werke lobte. Er konstatierte, während der Parfait négociant Grundsätze und Regeln des kaufmännischen Geschäfts etabliert habe, lehrten die Parères ou avis et conseils den Kaufmann, wie er praktisch damit umgehe. Die im Werk angeführten Beispiele dienten dem Kaufmann zur Orientierung und dem Richter bei Entscheidungen in schwierigen Fragen: „si le premier a établi des maximes & des régles à un Négociant pour se conduire dans son Commerce, l’autre lui enseignera de la manière de les mettres en pratique; & les exemples qu’il y trouvera, seront égalment profitables aux Marchands pour se diriger, & aux Juges-Consuls pour se déterminer dans les questions différentes qui se présentent.“922 3. Verwendung von Pareres in Prozessen Tatsächlich fanden die Pareres Eingang in Prozesse. Sie konnten entweder von den Parteien beigebracht werden923 oder der zuständige Richter forderte selbst ein kaufmännisches Gutachten an.924 So findet sich häufiger in den Gutachten das Begehren einer Streitpartei, ein unparteiisches Parere zu erhalten. Im Mai 1724 erbat beispielsweise ein Kaufmann, der im Parere ebenfalls nur unter dem Pseudonym „Sempronio B.“ 919 M. Bioche, Dictionnaire de procédure civile et commerciale […] Tome cinquième L–R, Paris 1867, S. 423. 920 Artikel Parere, in: Savary des Brulons / ​Savary des Brulons 1748 (wie Anm. 24), Sp. 709. 921 Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 147. 922 Approbation des am Pariser Parlement tätigen Advokaten Severt vom 6. September 1687, abgedruckt in: Jacques Savary, Le parfait négociant, ou instruction générale pour ce qui regarde le commerce des marchandises de France et des Pays Etrangers, Tome second, contenant Les Parères, ou avis et conseils […], Genf 1752, hinter dem Vorwort. 923 Nicht nur im deutschsprachigen Raum holten Parteien Pareres ein, die sie im Prozess dem Gericht vorlegten. So berichtet Calafat von einem Prozess vor dem ordentlichen Gericht in Livorno, in welchem der Beklagte sieben verschiedene Pareres, die von insgesamt 66 Kaufleuten verfasst worden waren, präsentierte. Er hatte zwei Pareres aus Livorno, zwei aus Genua, eines aus Pisa, eines aus Venedig und eines aus Neapel eingeholt: Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 150. 924 Hier findet sich eine Parallele zur Aktenversendung, die auch entweder auf Antrag der Parteien oder auf Gerichtsbeschluss hin stattfand, vgl.: Oestmann 2008 (wie Anm. 59), Sp. 130. Mehr zu den Ähnlichkeiten zwischen der Parereserstattung und der Aktenversendung, siehe unter: D I. 4. b).

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genannt wurde, „für die Gebühr ein unpartheyisches Kauffmanns=Parere“.925 Nicht immer konsultierten die Streitbeteiligten für die Erstattung eines kaufmännischen Gutachtens die offiziellen Vertreter. In einer schließlich vor dem Reichskammergericht anhängig gemachten Sache hatten beide Parteien im untergerichtlichen Verfahren Pareres aus unterschiedlichen Städten eingeholt. Dabei hatte der Beklagte nicht die Deputierten der Kaufmannschaft, sondern andere Frankfurter Kaufleute um die Erstattung eines Pareres gebeten. Die Firma Benjamin Metzler seel. Sohn und Cons. erstattete schließlich das Gutachten, dem sich weitere 19 Kaufleute anschlossen. Sie alle waren keine offiziellen Börsenvertreter, dennoch aber angesehene Banker und Kaufleute.926 Viele Hinweise auf eine intensive gerichtliche Nutzung der Pareres geben die Gutachten selbst.927 a) Hinweis in den Pareres In einem 1719 anhängigen Prozess holte der Frankfurter Schöffenrat ein Parere der Frankfurter Kaufleute ein, um über die Frankfurter Gepflogenheiten des örtlichen Rechts informiert zu werden: „nach dem Stylo und observantz derer Kauffleuthe“.928 Parallel wollte der Schöffenrat eine Aktenversendung vornehmen, um ein unparteiisches Universitätsgutachten zu erhalten. An diesem Beispiel zeigt sich, welche Lücke die kaufmännischen Gutachten ausfüllen konnten. Gegenstand des anhängigen Prozesses waren Wechsel gewesen, die inflationsbedingt an Wert abgenommen hatten. Die Parteien stritten nun vor allem über Beweisfragen. Der Beklagte behauptete, der Kläger habe bei Abschluss des Vertrages das Inflationsrisiko bereits eingepreist, und bot mehrere Beweismittel an. Über die Frage, ob ein Handelsbuch einen vollen Beweis erbringen könne und wann der Beklagte zum körperlichen Eid zuzulassen sei, konnte selbstverständlich auch im Rahmen der Aktenversendung Rat eingeholt werden. Die Kaufleute sollten aber nun den Schöffenrat über die örtlichen Gepflogenheiten aufklären. Neben der Frage, ob zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Frankfurt bereits Kenntnis über die in Frankreich eingetretene Geldentwertung bestanden habe, interessierte sich der Schöffenrat vor allem für kaufmännische Rechtsgewohnheiten.929 So 925 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXI, S. 153. Die Formulierung findet sich auch in anderen Pareres, siehe z. B.: ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 215, 21. Mai 1730. 926 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 233 ff. 927 So z. B.: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XI, S. 36; P XX, S. 60; P XXV, S. 71; P LIX, S. 149; P LXXIII, S. 180; P LXXV, S. 185; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 219, 26. August 1730; ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 240, 25. August 1731; P 283, 18. März 1735. 928 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 47. 929 Mehrfach sollten die Deputierten auch Auskunft über prozessrelevante Fakten geben. Die Börsenvorsteher waren nicht nur befragt worden, inwiefern die Frankfurter Kenntnisse über die französische Inflation gehabt hatten. Im Parere vom 29. September 1729 war Auskunft über die Höhe des ortsüblichen Zinssatzes begehrt worden: ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 200, 29. September 1729.

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sollten die Deputierten Stellung nehmen, ob Nebenabreden eines Wechselgeschäfts üblicherweise in kaufmännische Handelsbücher eingetragen würden und wie nun die angeblich getätigte Nebenabrede zu beurteilen sei.930 Im Vordergrund der Anfrage standen also kaufmännische Handelsgewohnheiten, über welche eine Juristenfakultät keine Kenntnis gehabt haben dürfte. Regelmäßig erfragten die Gerichte kaufmännische Gewohnheiten und örtliche Wechselbräuche. Nicht selten begehrten sie aber auch vertiefte wechselrechtliche Auskünfte. So fragte im Parere vom 23. Oktober 1722 das zuständige Gericht „eine ansehnliche Kauffmanns=Börse […] nach dem Wechsel=Recht und Stylo mercan­ tili“.931 Im Parere vom 13. Dezember 1720 begehrte ein Gericht Auskunft über sieben wechselrechtliche Fragen und erbat ein „parere & informatione desuper perofficio se petendo“. Hauptsächlich bezogen sich die Fragen im vorliegenden Fall auf die Zulässigkeit der exceptio compensationis bei indossierten Wechseln.932 Über die Statthaftigkeit der Einrede hinaus wollte das Gericht wissen, ob zur Vorlage Kopien der Wechsel genügten. Des Weiteren stellte es Fragen zum Beweiswert notarieller Zeugnisse in Wechselsachen sowie zur Zulässigkeit der Indossierung nach bereits eingetretenem Bankrott. Seine letzte Frage bezog sich interessanterweise auf seine eigene Zuständigkeit. Das Gericht war wohl an keinem bekannten Wechselplatz ansässig und wollte die Einlassung des Beklagten zur Zuständigkeit des anfragenden Gerichts überprüfen lassen. Der Beklagte hatte im Prozess angeführt, der Kläger könne keine wechselrechtlichen Ansprüche gegen den Beklagten erheben, da er ihn nicht am Erfüllungsort, sondern am Gericht seines Wohnortes, der aber kein bekannter Wechselplatz sei, verklagt habe.933 Die Kaufleute erachteten das anfragende Gericht als zuständig und beantworteten die weiteren wechselrechtlichen Fragen außerordentlich ausführlich.934 Im Parere vom 28. Mai 1723 erbat der zuständige Richter ein schriftliches und in beglaubigter Form erteiltes Gutachten.935 Die richterliche Anfrage unterschied sich von den Auskunftsbegehren anderer Richter, die oftmals sehr detaillierte Fragen stellten. In diesem Fall legte der zuständige Richter bereits seine eigenen Urteilsgründe bei und bat die Kaufleute, zu überprüfen, „was disfalls dem Wechsel=Stylo und Ordnung gemäß seye“. Zuvor lobte er überschwänglich die Deputierten: „Wohl=löbliche Kauffmanschafft allhier […] aus tragender Zuversicht zu dero gerühmten Prudence“. Interessant ist im vorliegenden Gutachten vor allem, dass die rechtlichen Ausführungen des Richters nicht nur deutlich umfangreicher waren, sondern auch fundiertere juristische Argumente aufwiesen. Mehrere Gründe könnte es hier für das Einholen des 930 Mehr zum vorliegenden Fall unter C IV. 13). 931 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLII, S. 107. 932 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 60. Mehr zur exceptio compensationis im vorliegenden Fall unter C IV. 12). 933 Mehr zur Zuständigkeit im vorliegenden Fall unter C IV. 2). 934 Häufig begnügten sich die Deputierten bei ihren Antworten mit wenigen Zeilen. In diesem Fall war das Gutachten der Kaufleute allerdings mehr als zwei Seiten lang: E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XX, S. 61 ff. 935 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LVI, S. 136 ff.; ausführliche Darstellung des Falles unter C IV. 2.).

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Pareres gegeben haben. Zum einen konnte der Richter, wie er selbst behauptete, ein Interesse an der Überprüfung seiner Ausführungen durch wechselrechtlich versierte Kaufleute gehabt haben. Zum anderen könnte er das Gutachten lediglich eingeholt haben, um die offenbar vorhandene Autorität der Frankfurter Kaufleute zu nutzen und sein Urteil unangreifbar zu machen.936 Ein Gutachten vom 6. April 1724 zeigt, dass nicht nur der Frankfurter Schöffenrat, sondern auch Frankfurter Untergerichte die kaufmännische Expertise der Deputierten in anhängigen Prozessen einholten.937 So waren gegen die Beklagten A und B gleich mehrere Prozesse vor einer der beiden Bürgermeisteraudienzen anhängig gewesen, bis der zuständige Bürgermeister schließlich um ein unparteiisches Parere bat.938 Zunächst waren der Aussteller des Wechsels, Sohn A, und der erste Indossant, Vater B, vom zweiten Indossanten C vor der Bürgermeisteraudienz verklagt worden. B hatte sich vor dem Bürgermeister im Folgenden zu einer Teilzahlung verpflichtet, sodass C den Wechsel an D indossierte, der auch die angekündigte Teilzahlung erhielt. Allerdings ließ Vater B nunmehr Sohn A die erfolgte Teilzahlung auf dem Wechsel notieren, um sie später als Erfüllungssurrogat aussehen zu lassen. Den Einwand des B, er müsse aufgrund der Sondervereinbarung zwischen dem Kläger und seinem Sohn nun nicht mehr zahlen, ließ der Bürgermeister nun von den Kaufleuten überprüfen. Interessanterweise führte der den Sachverhalt schildernde Bürgermeister an, der Kläger des zweiten Verfahrens habe vor der Bürgermeisteraudienz „keine Hülffe bekommen“ können, da B den Einwand, er sei nicht mehr zur Zahlung verpflichtet, erhoben habe.939 Offenbar nahm der Bürgermeister die vorhandenen Zuständigkeitsregelungen sehr ernst. Da im wechselrechtlichen Prozess Einreden erhoben worden waren, konnte die Entscheidung vor der Bürgermeisteraudienz, die einzig für summarische Wechselsachen zuständig war, nicht getroffen werden. Die Einholung der Pareres seitens des Gerichts war indes keine Frankfurter Besonderheit. So weisen auch einige der Züricher Pareres darauf hin, dass die in der Angelegenheit befassten Richter ein Parere erbaten. In einem am 29. Juni 1768 erteilten Gutachten nahm das Kaufmännische Direktorium Stellung zur Frage, ob es dem kaufmännischen Brauch entspreche, dass der Spediteur für Speditionsschäden dem Empfänger gegenüber regresspflichtig sei.940 Die Gerichte stellten regelmäßig aber auch rechtliche Fragen. So forderte das Stadtbezirksgericht Zürich am 28. Januar 1806 das Kaufmännische Direktorium auf, die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 30 der Züri936 Die häufige Erteilung der Pareres dürfte zu einer ähnlichen Autoritätsfunktion wie die der Fakultätsgutachten geführt haben. Näheres zur Autorität der Gutachten der Juristenfakultäten, siehe: Falk 2006 (wie Anm. 497), S. 399. 937 Hierzu siehe bereits die Ausführungen unter C IV. 9. a). 938 Eine Überprüfung des im Parere geschilderten Sachverhalts anhand der Akten oder Protokollbücher der Bürgermeisteraudienzen war leider nicht möglich, da das Parere im Jahr 1724 eingeholt wurde, die Aufzeichnungen für die Bürgermeisteraudienzen aber erst 1726 bzw. 1727 beginnen. 939 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVII, S. 167. 940 Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 43.

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cher Wechselordnung erfolgten Protests zu beurteilen.941 Am 25. Juli 1815 begehrte das Bezirksgericht Uster vom Direktorium Auskunft über die Wechselfähigkeit von Bauern.942 In beiden Fällen stand die Auslegung des Gesetzes im Vordergrund. Am 30. Juli 1815 begehrte ein Gericht Auskunft, ob Handelsbücher Beweiskraft hätten. Eine pauschale Beantwortung der Frage lehnte das Direktorium jedoch ab.943 b) Pareres in Gerichtsakten Während die eben untersuchten Pareres Gutachtensammlungen entstammen, ließen sich auch in Gerichtsakten Pareres finden, die entweder vom Gericht selbst oder durch eine Streitpartei eingeholt worden waren. aa) Richterlich eingeholte Gutachten Das zeitlich früheste Dokument stammt aus einem schöffengerichtlichen Verfahren, das 1718 schließlich vor dem Reichskammergericht fortgesetzt wurde. Der ursprünglich aus Basel stammende Frankfurter Bankier Jacob Schaub versuchte den ebenfalls aus Basel stammenden, nun in Frankfurt handelnden Kaufmann und Bankier Johann Ludwig Harscher944 in Höhe von 420 Rthlr. aus einem Wechsel in Anspruch zu nehmen. Harscher hatte im Gegenzug eine Zahlungsanweisung des mittlerweile Konkurs gegangenen Kaufmanns du Fay angeboten. Das im vorliegenden Fall angerufene Schöffengericht begehrte nun am 17. März 1717 „bey der dahiesigen löbl Kauffmannschafft“ Auskunft, ob es der örtlichen Usance entspreche, eine Assignation, also eine Zahlungsanweisung, auszustellen. In der Frankfurter Reformation sei kein entsprechender Passus zu finden.945 Die daraufhin erteilte Stellungnahme der Frankfurter Kaufleute stellt streng genommen kein Parere dar. So fehlt in der am 2. April 1717 verfassten Auskunft die Darstellung des Sachverhalts (species facti) sowie die Überschrift Parere oder Gutachten. Die Kaufleute bezeichneten ihre Auskunft selbst als Attestat. Der typische dreigliedrige Aufbau ist ebenfalls nicht gegeben. Darüber hinaus ist die Stellungnahme nicht allein von den Börsenvorstehern verfasst worden. Vielmehr hatten David und Jakob de Neufville die Auskunft abgefasst, die weiteren Unterzeichner946, unter ihnen lediglich ein weiterer Börsenvorsteher, schlossen sich der dargelegten Ansicht an. Im Ergebnis erkannten die Kaufleute die Assignation als Zahlungssurrogat an, obgleich der Aussteller Konkurs gegangen war. Sie beriefen sich auf die Zahlungspflicht des Ausstellers einer Anweisung und waren der Meinung, 941 942 943 944 945 946

Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 12. Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 27. Escher 1883 (wie Anm. 111), S. 62. Mehr zur Person Harschers, siehe: Hartmann 1995 (wie Anm. 4), S. 112 ff. ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1295, Acta prioria, fol. 120r. Abraham von der Lahr, Jacob Philippe d’Orville, Jacob Friedrich Campoing, Peter le Blon und Sohn, Johann Nicolaus von Olenschlager, Gerard Despoulles le Jeune, Isaac de Pündere, Jacob von den Velden, Benjamin Metzler seel. Söhne.

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Schaub müsse sich dann eben an die Konkursmasse des du Fay halten.947 Jener befand, die Auskunft der Kaufleute stehe im Gegensatz zur Frankfurter Reformation.948 Über den Ausgang des Verfahrens ist leider nichts bekannt.949 Interessant ist an diesem Verfahren, dass sich das Schöffengericht zwar offiziell an die „dahiesige löbl. Kauffmannschafft“ gewandt hatte, hier allerdings nicht die Börsenvorsteher tätig geworden waren. Möglicherweise hielten die Deputierten es für vorteilhaft, bei Aussagen über Frankfurter Gewohnheiten und Usancen nicht als Börsenvorsteher alleine Auskunft zu geben, sondern die Usance darüber hinaus durch andere bedeutende Frankfurter Handelsleute und Bankiers bestätigen zu lassen. Als weiterer Befund lässt sich festhalten, dass weder der Begriff Gutachten noch Parere verwendet worden ist. Offenbar war die Erteilung der Pareres den offiziellen Vertretern, den Börsenvorstehern, vorbehalten. Ein klassisches Parere erteilten die Deputierten im Prozess Fay / ​Emmel. Die in erster Ehe mit Matheus Mannberger verheiratete Anna Maria Fay betrieb mit ihrem ersten, nach dessen Tod mit ihrem zweiten Ehemann, Johann Daniel Fay, das Gasthaus Zur Rose.950 Gegen die hochverschuldete Witwe Mannbergers war 1723 ein Konkursverfahren eröffnet worden. Im gerichtlichen Verfahren schlossen mehrere Gläubiger am 29. April 1723 mit der Witwe Mannbergers einen Vergleich zu einer Quote von 20 %.951 Ein am 24. Mai 1723 ergangenes Dekret des Frankfurter Schöffengerichts stellte explizit fest, dass die Gläubiger, die den Vergleich auch unterschrieben hatten, zur Forderung ihr oder der Hinterlassenschaft ihres verstorbenen Mannes gegenüber berechtigt seien.952 Der Bäcker Johann Philipp Emmel war ebenfalls Gläubiger der Eheleute Mannberger gewesen. Er hatte zwei Wechsel zu je 200 Gulden am 17. November 1721 und am 17. März 1722 von den Eheleuten Mannberger erhalten.953 Den 1723 geschlossenen Vergleich hatte er nicht unterschrieben. Stattdessen verlangte er nun Zahlung der 400 Gulden von der Witwe. Seine Position stärkte das am 22. November 1727 auf Verlangen des Frankfurter Schöffengerichts erstellte Parere der Frankfurter Kaufleute.954 Sie waren der Ansicht, dass Gläubiger nicht verpflichtet seien, einen entsprechenden Vergleich mit ihrem Schuldner zu tätigen. Hingegen seien sie sehr wohl berechtigt, die Schuld in voller Höhe nebst Zinsen zu fordern, müssten allerdings 947 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1295, Acta prioria, Nr. 6. 948 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1295, Acta prioria, fol. 122r. 949 Die im Bundesarchiv bestehende Datenbank für die Urteilsbücher des Reichskammergerichts weist kein Urteil im Prozess Schaub / ​Harscher auf. Da die Akte aber weder über ein Protokoll, noch die eingereichten Schriftstücke über Quadrangeln verfügen, ist der Prozess über das Stadium des Extrajudizialverfahrens nicht hinausgekommen. Für diesen Hinweis danke ich Frau Prof. Dr. Anette Baumann ganz herzlich. 950 Vergleiche zu dem Fall auch die Ausführungen bei: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 241 ff. und Schmitt 2016 (wie Anm. 531), S. 184. 951 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, Q 16. 952 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, Q 20. 953 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, Q 18. 954 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, Q 19 und Acta prioria, fol. 43 f (44 v).

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Funktion der Pareres

gegenüber den am Vergleich beteiligten Gläubigern nachrangig behandelt werden. Die Deputierten sprachen in ihrem Gutachten den beiden in der Sachverhaltsschilderung des Schöffengerichts erwähnten Gläubigern D und E, von denen einer Bäcker Emmel war, die Berechtigung zu, die volle Summe nebst Zinsen zu fordern. Am 22. Dezember 1728 verurteilte das Frankfurter Schöffengericht die Witwe schließlich zur Zahlung der 400 Gulden nebst „Reichsüblichem Interesse“ in Höhe von 37 Gulden und 27 Kreuzern.955 In seinen rationes decidendi bezog sich das Schöffengericht zwar nicht explizit auf das Parere der Frankfurter Kaufleute, in der Sache griff es aber die Argumentation der Deputierten auf. Wie auch die Frankfurter Kaufleute stellte das Schöffengericht darauf ab, dass Emmel schließlich die im Vergleich vereinbarten Zahlungstermine abgewartet habe. Danach sei er berechtigt gewesen, seine ganze Forderung geltend zu machen.956 Im Ergebnis stützten sich sowohl das Schöffengericht als auch das Reichskammergericht, das sich mit einem mandatum de exequendo dem schöffengerichtlichen Urteil angeschlossen hatte, auf das Parere der Frankfurter Kaufleute.957 Das bereits im vorherigen Kapitel958 besprochene Frankfurter Parere vom 8. Oktober 1722 war ebenfalls Bestandteil eines am Reichskammergericht anhängigen Prozesses.959 Bevor das Verfahren vor das Höchstgericht gebracht worden war, war der Rechtsstreit als Arrestsache am Frankfurter Schöffenrat anhängig gewesen. Dieser hatte in der Sache insgesamt vier Gutachten eingeholt. Neben zwei Buchhaltern, die die Bücher der Streitparteien durchgesehen hatten, hatte das erstinstanzlich befasste Gericht die Akten an die Juristenfakultät Leipzig versandt und schließlich ein Parere der Frankfurter Kaufmannschaft eingeholt. Vorliegend hatte der Appellant, der zuvor für die Appellaten ehrenhalber Wechselbriefe angenommen hatte, Waren der Streitgegner einbehalten, um seine gegen sie ausstehenden Forderungen zu kompensieren. Die Beklagten hatten ihre Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Appellanten bestritten und versucht, im Rahmen eines Arrestverfahrens die vom Appellanten einbehaltenen sieben Ballen Florett-Seide zu erlangen.960 Die beiden Gutachten der Buchhalter waren für den Appellanten günstig gewesen und sahen den Bediensteten der Appellaten in der Beweispflicht.961 Der Schöffenrat war diesen Gutachten zunächst mit einem entsprechenden Beweisbeschluss gefolgt.962 Jedoch reichte daraufhin der Anwalt der Gegenseite einen Schriftsatz zu den Akten, dem eine gegenteilige Darstellung der Beweispflicht zugrunde lag. 955 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, Acta prioria, fol. 51 f (52 r). 956 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 351, ohne Q. 957 BundANr. 14015, 1735, UBuchNr. AR 1-III/45, foll. 208r, 272r. Damit erklärte das Reichskammergericht das schöffengerichtliche Urteil für vollstreckbar. 958 Siehe hierzu die Ausführungen unter C IV. 9. c) und C IV. 10. b). 959 Dieses Verfahren hat Anja Amend-Traut unter anderen Aspekten intensiv untersucht: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 290 ff. 960 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 25. 961 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 8. 962 Beschluss vom 1. März 1721, ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 9.

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Der Frankfurter Schöffenrat sandte nun die Akte nach Leipzig und übernahm die Entscheidungsgründe der Juristenfakultät, die eine für den Appellanten Lutz ungünstige Entscheidung mit sich brachten.963 Lutz wendete sich schließlich an das Reichskammergericht. Das noch in der Vorinstanz eingeholte Parere zielte nur auf die Beantwortung spezieller wechselrechtlicher Fragen ab.964 Zur Diskussion stand, ob ein nicht protestierter Messwechsel nach Ablauf einer gewissen Zeit als bezahlt gelte und ein Ehreneintritt schon erfolgen könne, bevor der Wechsel notleidend sei. Aber auch das Parere der Frankfurter Kaufleute fiel für den Appellanten ungünstig aus. Sie sahen Lutz als beweispflichtig an und konstatierten, dass der Ehreneintritt erst bei einem notleidenden Wechsel möglich gewesen wäre und Lutz nun selbst für den Schaden aufkommen müsse.965 Sieben Jahre nach Abfassung des Pareres und damit drei Jahre nach Eingang desselben in Wetzlar erging in der Sache ein reichskammergerichtliches Urteil. Das Reichskammergericht wich sowohl von der Entscheidung der Juristenfakultät als auch vom Parere ab und gestand Lutz die Möglichkeit zu, zu beeiden, dass er die 800 Gulden bezahlt und Bouquet das Original ausgehändigt habe.966 Wenig später hob es auch den Arrest auf den Verkaufserlös auf und gestand Lutz die Auszahlung des Geldes zu.967 Der Prozess zeigt dennoch die Bedeutung der Pareres im Hinblick auf die wechselrechtliche Expertise der Gutachter. Neben zwei mit den Fragen beschäftigten Gerichten und einer in der Sache befassten Juristenfakultät bestand offenbar trotz allem noch ein Bedürfnis an inhaltlicher Klärung durch die Frankfurter Kaufleute. Die von den Deputierten im Parere herangezogenen Wechselordnungen, auf welche sie ihre Entscheidung gestützt hatten, beweisen die universelle wechselrechtliche Expertise der Frankfurter Kaufleute, die dem Untergericht offenbar fehlte. Warum das Reichskammergericht schlussendlich gegen das Parere entschied, lässt sich mangels Entscheidungsgründen nicht mehr nachvollziehen. Damit stellte es sich aber nicht nur gegen das Gutachten der Frankfurter Kaufleute, sondern auch gegen die Entscheidung der Leipziger Juristenfakultät.

963 Rationes decidendi der Leipziger Juristenfakultät vom 28. Juli 1722, ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, ohne [Q]. 964 Die Kaufleute hatten das Gutachten zwar am 22. Oktober 1722 verfasst, es war aber erst am 2. Dezember 1726, also mehr als vier Jahre später, in Wetzlar eingegangen: ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 24. Was in der Zwischenzeit mit dem Gutachten passierte, ist aus der Akte leider nicht ersichtlich. Da der Schöffenrat die Appellation erst am 16. November 1722 zugelassen hatte (ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 19), war das Gutachten wohl schon vor Eröffnung des Kameralverfahrens seitens des Untergerichts eingeholt worden. 965 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1018, [Q] 25. 966 BundANr. 31113, 1729, UBuchNr. AR 1-III/39, fol. 170r. 967 BundANr. 31113, 1729, UBuchNr. AR 1-III/39, fol. 187v.

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Funktion der Pareres

bb) Parteigutachten Während in den ersten beiden Fällen das Untergericht die Auskünfte eingeholt hatte, lag dem Prozess Vigy / ​Teuffer ein Parteigutachten bei, welches offenbar nachträglich als ordentliches Beweismittel in den reichskammergerichtlichen Prozess eingebracht worden war. Im vorliegenden Fall hatte ein gewisser J.  B.  Fester mit dem Beklagten Johann Michael Teuffer eine Handelsgesellschaft betrieben.968 Fester hatte im Namen der Gesellschaft Schuldverschreibungen ausgestellt und im Gegenzug von Vigy Wechsel erhalten. Die offenen Forderungen Vigys wurden schlussendlich nicht beglichen. Fester ging bankrott und Teuffer weigerte sich, Vigys Forderungen zu begleichen. Er gab vor, die Wechselbriefe nicht zu kennen, und behauptete, diese seien nicht für die Gesellschaft, sondern allenfalls für Fester persönlich ausgestellt worden. Vigy entgegnete, Teuffer müsse für Gesellschaftsverbindlichkeiten einstehen, zumal Fester häufiger im Namen der Gesellschaft unterschrieben habe. Vigy erbat nun am 3. September 1731 ein „unpartheyisch Sentiment von allhiesigen Löblichen Vorsteheren der Kauffmannschafft gegen die Gebühr“. Die Börsenvorsteher sahen Teuffer als zahlungspflichtig an und wiesen in ihrem Parere vom 11. September 1731 auf die Haftung eines jeden Gesellschafters für Gesellschaftsschulden hin: „Jeder Socius, vor alle, unter der Societät Nahmen, durch einen oder den andern Socium geschlossene Negotia in solidum verbunden und zu zahlen schuldig ist.“969 Die Besonderheit des Beispiels liegt im weiteren Verlauf des Prozesses. So hatte im September 1731 ursprünglich Vigy das Parere als Parteigutachten in den Prozess eingeführt.970 Nachdem Teuffer am 24. März 1732 zur Zahlung verurteilt, aber dieser Aufforderung wohl nicht nachgekommen war971, begann am 4. Juli 1732 das Appellationsverfahren.972 Kurz zuvor ließ offenbar Teuffer das Parere von der Gerichtskanzlei drucken, ergänzt um den handschriftlichen Zusatz „Concordat facta collatione cum Originali. Sign. Francofurti ad moen. den 9 Maji 1732 Gerichts=Cantzley daselbst“ und versehen mit dem Siegel der Gerichtskanzlei. Das Parere wurde schließlich am 27. August 1732 zu den Akten gereicht.973 Durch die offizielle Ausfertigung seitens der Gerichtskanzlei war ein ursprünglich als Parteigutachten erstelltes Parere im höchstgerichtlichen Prozess offenbar zu einem objektiven Beweismittel umfunktioniert worden. Im Ergebnis erging schließlich in der Sache ein Säumnisurteil. Das

968 Im vorliegenden Fall hatte Fester das Synonym Paulus bekommen, Vigy firmierte unter dem Namen Cajus und Teuffer unter dem Namen Anthonius. 969 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Q 13. Ausweislich der Acta Prioria bat Vigy am 31. August 1731 vor dem Schöffengericht um Erlaubnis, eine Kaufmannsparere einzuholen. Dies wurde ihm auch gestattet: Acta Prioria, fol. 15v. 970 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Acta Prioria, fol. 22. 971 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Acta Prioria, fol. 56v–57r. 972 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Spezialprotokoll, fol. 1v; Acta Prioria, fol. 70v–71r. 973 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Q 13.

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Abb. 3  Siegel der Gerichtskanzlei. Quelle: ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1522, Q 13.

Reichskammergericht erkannte auf das „gebettene Rufen“.974 Offenbar war der Beklagte Teuffer zur Verhandlung nicht mehr erschienen. Ein weiteres Beispiel eingeholter Parteigutachten findet sich rund 40 Jahre später in Augsburg. Dort hatten in einem sehr langwierigen Prozess schließlich beide Parteien Pareres aus unterschiedlichen Städten eingeholt. Liebert war 1759 mit einer „Wechselhandlung“ im „Raggion-Buch“975 der Stadt Augsburg eingetragen worden. 1769 schloss er sich mit den beiden Augsburgischen Handelshäusern Carli & comp. und Georg J. Höpf zu einer auf Silberhandel spezia974 BundANr. 50773, 1732, UBuchNr. AR 1-III/42, fol. 156v. Zum Säumnisurteil als Folge nach dem erfolglosen „Rufen“, siehe: Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln, Wien 1981, S. 190 ff. 975 Das Augsburger Raggion-Buch war ein dem heutigen Handelsregister vergleichbares Verzeichnis, in dem die Augsburger Handelsgesellschaften seit 1685 verzeichnet wurden. Neben den Namen der Gesellschafter wurde die Gesellschaftsform der Handelsgesellschaft aufgenommen, vgl.: Scherer 1801 (wie Anm. 51), S. 761; Max Rintelen, Untersuchungen über die Entwicklung des Handelsregisters (Beilageheft zur Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht 75), Stuttgart 1914, S. 115 ff. und Cap. XI der Augsburger Wechselordnung von 1778, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 155–174 (169).

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Funktion der Pareres

lisierten Gesellschaft zusammen. Im Gesellschaftsvertrag vom 2. Januar 1769 hielten die Parteien ihre gegenseitigen Verbindlichkeiten fest.976 Dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages zufolge sollten 10  Millionen Gulden Augsburger Währung eingebracht und auf zehn Aktien verteilt werden. Die drei Gesellschaften sollten sechs der zehn Aktien zu gleichen Teilen halten, die vier verbleibenden an Freunde ausgeben. Für die Gesellschaft war ausweislich eines ihr erteilten Privilegs eine Laufzeit von acht Jahren, bis zum 31. Dezember 1776, normiert worden. Innerhalb der Laufzeit durfte kein Gesellschafter austreten, die Einlage sollte zu Haftungszwecken erhalten bleiben und galt nicht nur für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sondern auch für Einzelgeschäfte der Gesellschafter. Bis zum Gesellschaftsende wollten die Gesellschafter für private Verbindlichkeiten einander bürgen. Der Gewinn sollte Ende des Jahres jedem frei verfügbar zugeschrieben werden. Verstarb ein Gesellschafter, mussten die Erben das Kapital in der Gesellschaft belassen. Darüber hinaus sollte in Augsburg ein Handelskontor der Gesellschaft errichtet werden, welches einem Vizedirektor unterstehen sollte.977 Am 1. Februar 1770 wurde der Gesellschaft das Privileg erteilt.978 1771 schuldete Liebert dem Augsburger Kaufmann Ebertz 3743  Gulden und 43 Kreuzer. Um den Zeitpunkt herum erwarb die Gesellschaft auf Hamburg gezogene Wechsel in Höhe von 3518 Gulden und fünf Kreuzern von Ebertz. Vor Fälligkeit des Wechsels, im November 1771, meldeten Ebertz ebenso wie der in Hamburg ansässige Trassat Insolvenz an. Die Wechsel wurden aus diesem Grund nicht beglichen. Die Gesellschaft war nun einer der Insolvenzgläubiger.979 Nach Ebertz’ Insolvenz bestellte das für Konkursverfahren zuständige Augsburger Stadtgericht zwei Insolvenzverwalter. Diese forderten Liebert zur Zahlung seiner Schulden auf. Am 2. Dezember 1771 teilte Liebert mit, zur Begleichung der Schulden bereit zu sein, sofern „das mit Ebertz & compagn. laufende zur Richtigkeit gekommen seyn werde“. Wenig später nahm er davon Abstand und versuchte, mit der Forderung der Gesellschaft aufzurechnen.980 Am 3. Dezember 1771 verklagten die Insolvenzverwalter Liebert vor dem Augsburger Stadtgericht. Sie argumentierten, wegen der unterschiedlichen Forderungen – zum einen Liebert persönlich, zum anderen die Gesellschaft – könne dieser nicht aufrechnen. Ihre Forderung gegen Liebert sei vielmehr als „Scontro-Posten“ nach Wechselrecht zu fordern.981 Sie verlangten eine Barzahlung Lieberts für den nächsten Tag, um nicht das Bürgermeisteramt in der Sache belästigen zu müssen. Das Stadtgericht forderte am 4. Dezember ohne Parteivernehmung den Beklagten zur sofortigen Zahlung auf. Ansonsten müsse nach Wechselrecht verfahren werden. Liebert erklärte sich jedoch lediglich bereit, das Geld bei der Gerichtskanzlei oder beim Bürgermeisteramt unter Wahrung seiner Rechte zu hinterlegen.982 Nach weiteren Zwischenfällen kassierte der 976 977 978 979 980 981 982

Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, §§ 1 f., S. 164. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 2, S. 165 f. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 3, S. 166. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 4, S. 167. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 5, S. 167 f. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 6, S. 168. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 6, S. 168 f.

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von Liebert schließlich angerufene Magistrat am 31. Dezember 1771 die Entscheidung des Stadtgerichts und erklärte sie für unwirksam. Die Insolvenzgläubiger verwies der Magistrat unter Hinweis auf die Geltendmachung der Schuld als Masseforderung vor das zuständige Bürgermeisteramt. Liebert erhielt sein deponiertes Geld zurück.983 Infolgedessen verklagten die Insolvenzverwalter Liebert am 13. Januar 1772 vor dem Bürgermeisteramt. Der Beklagtenvertreter bestritt den wechselrechtlichen Bezug der Forderung und erklärte erneut die Aufrechnung. Die Kläger beriefen sich auf die Augsburgische Wechselordnung von 1716, wendeten ein, die Kompensation sei nicht möglich, da Liebert Masseschuldner sei, und zogen darüber hinaus in Zweifel, dass Liebert überhaupt Gesellschafter der Silberhandlung sei.984 Der Beklagtenvertreter bewies die Gesellschaftereigenschaft Lieberts anhand eines Auszugs aus dem Raggion-Buch und berief sich erneut auf die Kompensation. Die Kläger wendeten Nachteile für den Handelsplatz ein und bestanden auf Lieberts Zahlung. Die Silberhandlung müsse hingegen auf die Konkursmasse verwiesen werden. Die Verhandlung wurde für den folgenden Tag ausgesetzt und die Kläger holten ein Parere der Augsburger Kaufleutestube zur Frage, ob „Scontro-Posten“ wie Wechsel zu behandeln seien, ein. Es fiel mit neun zu zwei Stimmen für die Kläger günstig aus, die das Parere am 18. Januar mit der Bitte um Berücksichtigung beim Bürgermeisteramt einreichten. Die beiden Nein-Stimmen gaben die Gebrüder Carli ab, deren Firma einer der Gesellschafter der Silberhandlung war.985 Das Bürgermeisteramt wollte in der Sache nicht selbst entscheiden, sondern dem Magistrat die Entscheidung überlassen, ob in der Angelegenheit noch ein Parere eines auswärtigen Handelsplatzes einzuholen sei. Am 22. Januar 1772 entschied der Magistrat, das Bürgermeisteramt möge selbst befinden, ob es in der Angelegenheit noch auswärtige Pareres einholen wolle.986 Die Kläger wiederholten am 23. Januar erneut ihre bereits vorgetragenen Argumente vor dem Magistrat und führten nun an, sie könnten dann mit ihrer Masse auch gegen den Gesellschafter Georg Jakob Höpf aufrechnen, gegen den sie noch eine ausstehende Forderung in Höhe von 7667 Gulden und 37 Kreuzer hätten. Unterdessen trafen sich die Augsburger Kaufleute, ohne Liebert oder die Gebrüder Carli zu informieren. Im Ergebnis verwiesen die verbleibenden Kaufleute auf die Wechselkraft des „Scontro-Postens“ und lehnten die Einholung auswärtiger Pareres ab, da diese sich mit der „Augsburger Usance“ nicht auskennen würden.987 Am 28. Januar 1772 erfolgte ein Beschluss des Magistrats, nach welchem das Bürgermeisteramt hinsichtlich der Frage des „Scontro-Postens“ unverzüglich selbst entscheiden, für die Frage der Aufrechnung aber Gebrauch von der Aktenversendung machen solle.988 Weitere Eingaben der Parteien, in welchen sie ihre bereits vorgetragenen Ansichten wiederholten, gingen 983 984 985 986 987 988

Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 8, S. 170. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 9, S. 171. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 10, S. 171 f. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 10, S. 172 f. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 12, S. 174 f. Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 13, S. 175.

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Funktion der Pareres

beim Bürgermeisteramt ein.989 Liebert brachte schließlich selbst vier Pareres auswärtiger Handelsplätze bei, eines aus Wien, eines aus Frankfurt und zwei aus Leipzig.990 Einzig das Parere der Wiener Kaufmannschaft vom 17.2.1772 fiel für Liebert günstig aus und war aus diesem Grund von den Klägern, die es eingeholt hatten, nicht eingereicht worden, sondern war nunmehr von Liebert zu den Akten gegeben worden.991 Die Wiener bekundeten eine grundsätzliche Möglichkeit, dass Liebert in Höhe seines Gesellschaftsanteils aufrechnen könne. Vorliegend sahen sie sogar die Aufrechnung in voller Höhe als zulässig an, da im Falle des Konkurses beider Mitgesellschafter Liebert nach dem Gesellschaftsvertrag für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen müsste.992 Sowohl in der nach Wien gehenden als auch in der nahezu identischen Sachverhaltsschilderung an die Leipziger Kramermeister und Handelsleute in und außer der Kramerinnung war der zugrunde liegende Streitgegenstand nur wenig verfremdet worden. Zwar wies der Sachverhalt keine Klarnamen auf, allerdings hatte man als Großbuchstaben den Anfangsbuchstaben der jeweiligen Partei genommen und sogar offengelegt, dass es sich um eine Augsburger Silberhandlung handelte.993 Ein Rückschluss auf die am Rechtsstreit Beteiligten dürfte für die Gutachter nicht schwierig gewesen sein. Liebert war bei seiner Schilderung hingegen weitaus vorsichtiger gewesen. Er hatte in seinen Sachverhaltsdarstellungen für die Frankfurter Kaufleute und die Leipziger Kramermeister die Silberhandlung durch eine Fruchthandlung ausgetauscht, Augsburg nicht erwähnt und die Parteinamen durch A, B und C ersetzt.994 Im Ergebnis gestanden alle anderen drei Pareres Liebert die Aufrechnung nicht zu. Das in dieser Angelegenheit tätig gewordene Bankhaus Metzler sowie weitere 19 Frankfurter Banken und Kaufleute, die sich dem Metzler’schen Gutachten angeschlossen hatten, erachteten die Aufrechnung grundsätzlich als unzulässig. Erstens bestehe kein Zusammenhang zwischen den Forderungen, zweitens sei das Konkursverfahren bereits eröffnet und damit Aufrechnungen eines Gläubigers vor ergangenem „Locationsurteil“ unzulässig, drittens seien Aufrechnungen nach ausgebrochener Insolvenz grundsätz989 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 14 ff., S. 175 ff. 990 Die Wiener Kaufmannschaft erstattete ihr Parere am 17. Februar 1772. Das Frankfurter Parere vom 29. Februar 1772 verfassten 20 Frankfurter Banken und Kaufleute. Sie alle waren ausschließlich Kaufleute, die nicht den Börsenvorstehern angehörten. Die Leipziger Gutachten datierten beide auf den 4. März 1772. Das eine Parere erstatteten die Kramermeister, das andere die Leipziger Kramermeister und Handelsleute in und außer der Kramerinnung. 991 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 17, S. 179. Das ist zumindest die Schilderung Hoschers. Da die vier Gutachten zwei verschiedene, in sich aber jeweils identische Sachverhaltsschilderungen aufweisen, ist anzunehmen, dass die Insolvenzverwalter nicht nur das Wiener Gutachten, sondern auch das Gutachten der Leipziger Kramermeister und Handelsleute in und außer der Kramerinnung eingeholt haben. Dies erklärt darüber hinaus, weshalb zwei unterschiedliche Gruppierungen in Leipzig im gleichen Fall zur Erstattung eines Pareres aufgefordert worden waren. 992 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 238. 993 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 237 und S. 246. 994 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 233 und S. 241.

Ersatz der Sondergerichtsbarkeit

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lich unzulässig, da sie für andere Gläubiger nachteilhaft seien.995 Beide am 4. März 1772 erteilten Leipziger Gutachten gestatteten Liebert die Aufrechnung, jedoch nur in Höhe seines Gesellschaftsanteils.996 Nach Vorlage der vier Pareres beschloss das Bürgermeisteramt die Aktenversendung nach Lübeck. Dort erstattete am 12. Dezember 1772 Dr. Dr. Gerhard Heinrich Lamprecht & c. ein ausführliches Gutachten, in dem er die Zulässigkeit der Aufrechnung ablehnte. Am 2. Januar 1773 schloss sich ein Dr. J. V. Sievers den rechtlichen Ausführungen Dr. Lamprechts an. Am 5. Januar bestätigten sechs Kaufleute die „rechtlichen Meinungen“. Es unterschrieben „Dackwert (Schonenfahrer Aeltern)“, „Cohtt (Aeltermann der Bergenfahrer)“, „Brandt (Aeltester der Stockholmfahrer)“, „Benser (Aeltermann der Kaufleute Comp.)“, „Babst (Aeltermann Novgorodfahrer)“ und „Gundlach (Aeltermann der Rigafahrer)“.997 Hier empfand man die Einholung zusätzlicher kaufmännischer Expertise offenbar als unerlässlich. Nachdem die kaufmännischen und juristischen Gutachten alle vorlagen, erging am 19. Januar 1773 ein Urteil des Bürgermeisteramtes, nach welchem die Aufrechnung unzulässig sei, der Beklagte somit zahlen müsse und die Silberhandlung nur die Stellung einer Massegläubigerin erlange.998 Acht Tage später appellierte Liebert an den Magistrat.999 Die Insolvenzverwalter wehrten sich mit den bereits bekannten Argumenten, ergänzten darüber hinaus aber noch, dass sie auch eine etwaige Teilaufrechnung für den Fall, dass Liebert in Höhe seiner Gesellschaftsanteile gegen die Forderung aufzurechnen versuchte, als unzulässig erachteten.1000 Die Appellaten forderten eine erneute Aktenversendung, welche das Gericht am 13. November 1773 beschloss. Die Akten wurden nach Erlangen versendet. Die dortige Juristenfakultät erachtete die Aufrechnung für zulässig, das Gericht urteilte entsprechend.1001 Nach einigen Umwegen – die Insolvenzverwalter appellierten an das Reichskammergericht, Liebert an den Reichshofrat – entschied schließlich am 3. Oktober 1783 das Reichskammergericht. Es erachtete die Aufrechnung für unzulässig und verurteilte Liebert zur sofortigen Zahlung der gesamten Schuld von 3742 Gulden und 43 Kreuzern.1002 Damit entsprach das reichskammergerichtliche Urteil dem von Liebert eingeholten Frankfurter Parere. Interessant ist auch das Verfahren Guaita / ​Fockelmann. Es gibt in mehrerlei Hinsicht Aufschluss über die Erstellung und Verwendung der Pareres. Zum einen war es wohl möglich, nicht nur im untergerichtlichen Verfahren Parteigutachten in Form von 995 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 235 f. 996 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 243 ff. und S. 248 ff. 997 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 268 f. Mehr zum großen Einfluss der ratsfähigen Fahrergesellschaften und der Kaufleutekompanie in Lübeck, siehe: Jürgen Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck 1598–1669. Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert und ihre sozialen Hintergründe, Lübeck 1961, S. 26 ff. 998 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 18, S. 179. 999 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 18, S. 180. 1000 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 20, S. 181. 1001 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 23, S. 182. 1002 Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, § 29, S. 186 f.

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Funktion der Pareres

Pareres einzuholen und als Beweismittel in den Prozess einzuführen. So begann der Kameralprozess Guaita / ​Fockelmann am 10. November 1719, das vom Beklagten eingeholte Parere erstellten die Frankfurter Kaufleute aber erst am 4. Dezember 1720.1003 Zum anderen gibt das Parere Aufschluss über die Entstehung der Gutachten. So ist das den Akten beiliegende Parere von unterschiedlichen Schreibern verfasst worden. Die Handschrift, in der die Species Facti verfasst wurden, lässt sich, anders als das eigentliche Gutachten, keiner der acht Unterschriften der Gutachter zuordnen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beklagtenvertreter die Species Facti selbst mitgeteilt hatte und nur das eigentliche Gutachten von einem der Deputierten verfasst wurde.1004 Offenbar hatte er auch nur einen Teil des Streitgegenstandes mitgeteilt. So fehlen in der Sachverhaltsdarstellung zum Parere vom 4. Dezember 1720 weitergehende Informationen über einen dritten Beteiligten. Im Parere firmierte der in der Akte verzeichnete Christian Schröder aus Hamburg unter dem Pseudonym Sempronius. Er war wohl während des Verfahrens Konkurs gegangen.1005 Da diese Tatsache für die vom Beklagten geäußerten Fragen nicht von Belang war, fehlten diese Informationen in der Sachverhaltsdarstellung des Pareres und auch Sempronius, der im tatsächlichen Fall wohl eine größere Rolle einnahm, spielte im Gutachten nur eine untergeordnete Rolle. Sowohl die anonymisierten Parteinamen als auch die komprimierte Sachverhaltsdarstellung weisen darauf hin, dass die anfragende Partei in der Sache nur die wechselrechtlichen Fragen hinsichtlich der Einwendungen der Appellantin geklärt haben und ansonsten anonym bleiben wollte. Immerhin wäre es nicht sehr unwahrscheinlich, im vorliegenden Parere sogar sicher gewesen, dass die Gutachter eine der Streitparteien kannten. Im zugrunde liegenden Reichskammergerichtsprozess war Anna Elisabetha Guaita, die Witwe des Frankfurter Handelsmanns Mattheo Guaita, die Appellantin gewesen. Da es sich bei den Guaitas um eine berühmte Frankfurter Kaufmannsfamilie handelte, bestand Gewissheit, dass alle Gutachter die Streitpartei gekannt hätten. Die Akte endet mit dem im März 1721 eingegangenen Parere und der Duplik des Beklagten.1006 Ein Urteil ist indes nicht ergangen.1007 Die Appellantin Guaita, im 1003 Da das Spezialprotokoll nicht mehr erhalten ist, lässt sich nicht nachvollziehen, ob es zur Einholung des Pareres einen Beweisbeschluss gegeben hat. 1004 Die Handschrift, in der das eigentliche Gutachten verfasst wurde, lässt sich hingegen stets einem der Unterzeichner zuordnen. Der gutachtliche Teil des Pareres vom 4. Dezember 1720 lässt sich beispielsweise eindeutig Johann Martin de Rhon zuordnen, ISG Frankfurt  a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]. Interessanterweise waren die Unterschriften nicht alle mit der gleichen Tinte unter das Gutachten gesetzt worden. Möglicherweise verfasste nur einer der Deputierten das Gutachten und ließ es anschließend zum Unterschreiben kursieren. Dies würde auch den Zeitablauf zwischen Erstellung des Gutachtens und verzeichnetem Eingang in Wetzlar erklären. Das am 4. Dezember 1720 erteilte Gutachten wurde in Wetzlar erst am 7. März 1721 zu den Akten gereicht. 1005 In den schöffengerichtlichen rationes decidendi wird das „Falliment“ Christian Schröders erwähnt, ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]. 1006 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q], Parere (Lit. BB) und Duplik (Lit. AA). 1007 Die im Bundesarchiv bestehende Datenbank für die Urteilsbücher des Reichskammergerichts weist kein Urteil im Prozess Guaita / ​Fockelmann auf.

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Ersatz der Sondergerichtsbarkeit

Parere als Mevius bezeichnet, hatte ein für sie ungünstiges Gutachten erhalten, nach welchem sie ihre im Prozess erhobenen Einwendungen nicht vorbringen durfte. Vermutlich betrieb sie den Prozess nicht weiter, sodass es nicht mehr zum Urteil kam. Ausweislich des Gutachtens hatte Schröder aus Hamburg (Sempronius) der Witwe Guaita (Mevius) einen auf sie ausgestellten Wechsel zur Akzeptation vorgelegt, der anschließend blanko an Ambrosius Fockelmann (Cajus) indossiert worden war. Dieser verlangte nun Zahlung aus dem Wechsel. Die Witwe wendete ein, sie habe den Wechsel nur salvo praejudicio akzeptiert, habe außerdem den Gegenwert von Schröder zu spät und in Form von verdorbener Ware erhalten. Fockelmann hingegen sei lediglich ein Bevollmächtigter Schröders und müsse sich ungeachtet des vorhandenen Blankoindossaments legitimieren.1008 In erster Instanz hatte die angerufene Bürgermeisteraudienz auf eine Zahlungsverpflichtung der Witwe erkannt. Das zweitinstanzlich befasste Schöffengericht hatte sich schon mit der Frage der exceptio non numeratae pecuniae befasst und festgestellt, dass diese Einrede nach einem Ratsbeschluss vom 9. April 1635 und gemäß § 15 der Wechselordnung von 1666 verboten sei. Auch hatte es sich mit der Bedeutung der Buchstaben S. P. (salvo praejudicio) auseinandergesetzt und ihnen keine Rechtswirkung zuerkannt.1009 Lediglich zum Blankoindossament hatte sich das Schöffengericht noch nicht geäußert. In der rechtlichen Beurteilung schlossen sich die Deputierten, ohne explizit Bezug auf das schöffengerichtliche Urteil zu nehmen, der Auffassung des Schöffengerichts an. Hinsichtlich des Blankoindossaments stellten sie fest, dass Cajus dieses zu seinen Gunsten ausfüllen könne.1010 4. Funktion Anhand der gerichtlichen Nutzung der Pareres kann nun die in der Einleitung mittels der zeitgenössischen Literatur erfolgte Begriffsbestimmung und Rechtsnatur der Pareres überprüft werden. Die dort aufgestellte Arbeitshypothese hat sich grundsätzlich bestätigt. Danach ist ein Parere ein kaufmännisches Gutachten, das Gewohnheitsrecht darlegt und im gerichtlichen Prozess als Beweismittel eingebracht werden kann. a) Beweismittel Die herangezogenen untergerichtlichen und höchstgerichtlichen Prozesse haben gezeigt, dass die Pareres entweder in Form von Parteigutachten in den Prozess eingebracht oder aber seitens des entscheidenden Gerichts angefordert wurden. Neben den oben dargestellten Prozessakten zeigen dies auch Formulierungen wie die im Parere vom 10. Dezember 1727. Dort wurden die Frankfurter Kaufleute aufgefordert, ein 1008 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q], Lit. BB; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXI, S. 64. 1009 Rationes decidendi, ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]. 1010 ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q], Lit. BB; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXI, S. 64.

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Funktion der Pareres

„Parere in forma probante“ zu erteilen.1011 Eine identische Formulierung weist das nur einen Monat später von den Leipziger Kramermeistern erbetene Parere auf. Dort hatte der mit der Wechselsache befasste Jurist Dr. Gottfried Rudolph Pommer die Kramermeister „dienstlich ersuchet, dero Parere in forma probante zu ertheilen“.1012 Zwar ließen sich sowohl in den untergerichtlichen Verfahren, in denen richterlicherseits, aber auch seitens der Parteien Gutachten eingeholt worden waren, als auch im reichskammergerichtlichen Verfahren keine förmlichen Beweisbeschlüsse zur Ein­ holung der Pareres finden. Jedoch hat die Forschung eine formlose Beweisführung nicht ausgeschlossen1013, sodass die Rechtsnatur des Pareres als Beweismittel insofern nicht widerlegt worden ist. Im Übrigen bezeichnete zumindest der Parteivertreter im Prozess Goldschmidt / ​Rhost das Parere als Beweismittel.1014 Waren die Pareres zunächst vollkommen anerkannt, entstand mit zunehmender Auseinandersetzung durch studierte Juristen die Diskussion, ob die Pareres einen vollen oder nur einen halben Beweis erbrächten.1015 Insgesamt lässt sich feststellen, dass mit zunehmender Professionalisierung der Prozesse die Bedeutung der Pareres als kaufmännische „Laiengutachten“ abnahm. Zum einen beschäftigten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur noch die Kaufleute selbst, sondern die immer noch größtenteils am ius commune ausgebildeten Juristen mit den handelsrechtlichen Gutachten. Die damit einhergehende Abwertung des Pareres von einem vollen auf einen halben Beweis dürfte in diesem Fall auch ideologische Hintergründe gehabt haben. Zum anderen nahm die Positivierung des Wechselrechts und auch anderer handelsrechtlicher Rechtsgewohnheiten durch die im 18. Jahrhundert verstärkt erlassenen Wechselordnungen die lückenfüllende Funktion der Pareres auf. Die Wertschätzung der Pareres, die sich auch in der Frage um ihren Beweiswert niederschlug, ging mit der Frage nach ihrer Parteilichkeit einher. Kritisierten nun vor allem die studierten Juristen des 19. Jahrhunderts die mangelnde Unabhängigkeit der Gutachten1016, so lässt sich die Parteilichkeit im Hinblick auf die herangezogenen Prozesse nicht bestätigen. Zum einen fielen häufiger die Pareres für die klagende Partei nicht günstig aus, sodass die Partei den Prozess nicht weiterverfolgte. Zum anderen achtete das Gericht bei der Einholung offenbar darauf, dass die offiziell zuständige Stelle angerufen wurde. Sowohl das Reichskammergericht als auch die untersuchten Frankfurter Untergerichte wendeten sich stets nur an die Börsenvertreter, die Deputierten der Frankfurter Kaufmannschaft. Ähnlich agierte das Hamburger Admiralitäts1011 1012 1013 1014 1015

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXIV, S. 206. Siegel 1742 (wie Anm. 95), P CXIX, S. 150. Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 30. ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 1241, Q 9 Libellus Gravaminum, fol. 9v. Zur vollständigen Anerkennung, siehe: Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 120. Zum halben Beweis siehe: Gründler 1832 (wie Anm. 51), § 34, S. 57; Morstadt 1849 (wie Anm. 60), § 38, S. 140. 1016 Schlüter 1706 (wie Anm. 33), § LI, S. 49; Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 421; so auch Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 432; Büsch 1792 (wie Anm. 41), Kap. 9, § 11, S. 363.

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gericht, welches ausdrücklich betonte, in Prozessen „die Parere bekannter rechtschaffener Kaufleute und in guter Renommé stehender Mäkler“ einzuholen.1017 Forderte hingegen, wie im oben dargestellten Augsburger Prozess, eine der Streitparteien das Gutachten an, erstatteten auch Kaufleute, die nicht der offiziellen Vertretung angehörten, Pareres. Diese wurden im Prozess allerdings auch als Parteigutachten angesehen und die ihnen vorgeworfene Parteilichkeit konnte durch die Einholung anderer Pareres neutralisiert werden. Darüber hinaus oblag die Entscheidung, sich auf das Gutachten zu stützen oder es zu ignorieren, immer noch dem urteilenden Gericht. b) Pareres: Konkurrenz zur Aktenversendung!? Die Frage, ob die Pareres im Hinblick auf handelsrechtliche, insbesondere wechselrechtliche Problemstellungen eine Konkurrenz für die Aktenversendung darstellten, drängt sich auf und muss ein Stück weit bejaht werden. Nicht nur das Beispiel des 1719 vor dem Frankfurter Schöffenrat anhängigen Prozesses zeigt dies. In diesem waren parallel zur Aktenversendung die Frankfurter Kaufleute um Erstattung eines Pareres über Fragen, die die Juristenfakultät nicht beantworten konnte, gebeten worden. Die mangelnde Expertise hinsichtlich wechselrechtlicher Probleme zeigte sich auch im Parere vom 17. Mai 1719. Der nun vom Gericht ausgehenden Anfrage waren einige Prozesse sowie mehrere Gutachten von Juristenfakultäten vorausgegangen. Trotz allem erbat das anfragende Gericht hier keine Auskünfte über lokalrechtliche Besonderheiten, sondern wollte Rechtsfragen hinsichtlich wechselrechtlicher Verjährungs- und Erfüllungsvorschriften sowie eine erbrechtliche Frage beantwortet haben. Hier war explizit eine rechtliche Beurteilung durch die Kaufleute gefordert worden.1018 Die Expertise der kaufmännischen Gutachten wird auch in der Breslauer Wechselordnung von 1742 hervorgehoben: „Falls aber in wichtigen und intricaten Sachen, worin es hauptsächlich auf kaufmännische Praxin, Gebrauch und Gewohnheit ankommt, dem Handelsgericht bedenklich fallen sollte, in der Sache selbst zu sprechen, oder aber solche an ein auswärtig Rechtscollegium zu senden; so mögen Wir allergnädigst geschehen lassen, daß in solchen Sachen vor dem Spruch oder der Transmission der Acten ohne Zeitverlust einer auswärtigen Kauf- und Handelsstadt Parere eingeholt, und solches in decidendo zu Hülfe genommen werde“.1019 Die Einholung kaufmännischer Gutachten wurde hier offenbar der Aktenversendung vorgezogen – eine Sichtweise, die auch im Hamburgischen Seeprozess vertreten wurde. Dort war in erster Instanz vor dem Admiralitätsgericht die Aktenversendung verboten, um eine etwaige Prozessverzögerung zu vermeiden.1020 1017 Zitiert nach: Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 155. 1018 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XI, S. 35 f. 1019 § 25 Breslauer Wechselordnung von 1742, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 229–242, S. 236. 1020 Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 104. Eine Prozessverzögerung durch die Aktenversendung konstatierten auch Lück 1998 (wie Anm. 910), S. 44 und Falk 2006 (wie Anm. 497), S. 133.

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Funktion der Pareres

Darüber hinaus dürfte auch die fehlende örtliche Kenntnis ein Problem gewesen sein.1021 So betonte der im Gutachten vom 9. Juli 1728 Anfragende die lokale Expertise: „indem man nun in Wechsel=Sachen nach dem Stylo des nächsten Wechselbriefs=Platzes sich zu richten pfleget, so möchte man von einem Wechsel=Gericht zu Franckfurth deshalben gerne benachrichtigt, und über die nachgesetzte Fragen, durch ein beglaubtes Parere gegen die Gebühr fordersamst belehret seyn“.1022 Während die Aktenversendung wegen der zeitlichen Verzögerung des Prozesses in Verruf stand, schien trotz fehlender handels- und wechselrechtlicher Expertise den Juristenfakultäten seitens der Kaufleute doch eine gewisse Kompetenz zugesprochen worden zu sein. Immerhin versuchten die Deputierten, eine den Fakultätsgutachten gleichwertige Expertise aufzuzeigen, indem sie mehrfach bei offiziellen Anfragen ihre Antwort als „Responsio“ titulierten.1023 So erstatteten sie auch am 29. März 1721 eine sehr ausführliche, um eine abstrakte Regelung ergänzte Antwort, die sich wahrscheinlich auf den Rechtsauskunftsersuchenden zurückführen lässt. Im konkreten Fall war die Anfrage vom „Hoch=Edlen Magistrat“ ergangen.1024 5. Zusammenfassung Die Hauptfunktion der Pareres bestand in der Beantwortung spezieller handelsrechtlicher Fragen. Sie kompensierten die in Deutschland fehlende Handelsgerichtsbarkeit, weswegen sie teilweise sogar als „Wechselgericht“ angeschrieben wurden. Die kaufmännischen Gutachten gaben Spezialwissen wieder, welches einem mit Kaufleuten besetzten Handelsgericht, das schließlich aufgrund des französischen Einflusses im 19. Jahrhundert in Deutschland entstand1025, immanent war. Einen Beleg bieten die reichsrechtlichen Regelungen, die beiden Kommissionsdekrete und der Reichsschluss, die alle von „verständiger Kauffleute Gutachten circa Factum mercantile“ sprechen. Das Attribut „verständig“ weist den Kaufleuten eine Expertise zu, die den Gerichten, welche die Gutachten einholen sollten, offenkundig fehlte. Dies ergibt sich auch aus der Brandenburg-Onolzbachischen und der Sachsen-Altenburgischen Wechselordnung, die in Zweifelsfällen dem Gericht gestatteten, von einem nahe gelegenen Handelsplatz ein Parere einzuholen, bzw. den Parteien erlaubten, dieses vor Abfassung des Urteils einzureichen. Indirekt bestätigte auch der Jurist ­Friedrich August Biener den Ausgleich fehlender Sondergerichtsbarkeit durch die Sachkunde kaufmännischer Gutachten. Er konstatierte zwar, dass Pareres „neben wirk1021 Auch Oestmann hat im Rahmen der Aktenversendung das zeitgenössisch diskutierte Problem erwähnt, inwiefern eine auswärtige Juristenfakultät überhaupt lokales Partikularrecht ermitteln und auslegen konnte: Oestmann 2008 (wie Anm. 59), Sp. 130. 1022 ISG Frankfurt am Main, W  2/5  1.054, P  185, 9.7.1728; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXVI, S. 209. 1023 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIII, S. 117. Das hier anfragende Gericht hatte selbst eine lange rechtliche Würdigung des Sachverhalts bereits mitgeschickt. 1024 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXXI, S. 84. 1025 Schubert 1981 (wie Anm. 15), S. 181 ff.

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lich kaufmännischen Handelsgerichten, wie sie Frankreich hat, weniger wichtig sind“1026, gestand ihnen dennoch mit dieser Äußerung zumindest ein gewisses Maß an Expertise zu. Die Fachqualität der kaufmännischen Gutachten erkannte indes die Juristenfakultät Halle an. Carl Gottlieb Knorre berichtete in seinen Rechtlichen Abhandlungen und Gutachten im Anschluss an ein dort abgedrucktes Leipziger Parere, dass „die hiesige Juristen-Facultät vor etlichen Monaten in einem zur Entscheidung übersandten Streithandel dieser Meinung [Anm. d. Verf.: der im Parere geäußerten Meinung] beygepflichtet“ habe.1027 Pareres, die direkt durch das Gericht eingeholt wurden, dienten demnach in erster Linie der Unterrichtung. Durch sie sollte das Gericht einerseits mit ortsüblichen Handelsgewohnheiten bekannt gemacht werden1028, andererseits beantworteten sie häufig auch tiefgehende wechselrechtliche Fragestellungen. Einige Formulierungen in den Pareres selbst weisen auf diese Unterrichtungsfunktion hin. Im Parere vom 8. Oktober 1722 erbat ein Richter das Parere, „damit ein […] Richter die Wechsel-Sache nach ihrer wahren Beschaffenheit recht begreifen könne“.1029 Ähnlich lautete die Formulierung im Auskunftsbegehren vom 16. November 1719: „damit aber die künfftige Resp. Herren Richtere informiret seyn mögen“.1030 Welche Wertschätzung die Richter selbst den Pareres erstattenden Kaufleuten entgegenbrachten, zeigt sich in der Äußerung des Frankfurter Appellationsgerichtsrats Johannes Büchner in seinem 1809 verfassten Gutachten über die Einführung des Code de Commerce in Frankfurt: „Die Gerichte und Gerichtspersonen würden meines Erachtens in ihrem Vertrauen auf eigene Einsichten zu weit gehen, wenn sie sich überreden wollten, daß ohne vorgängige Mitteilung der Ansichten und des Gutachtens der Börsenvorsteher und des Handelsstandes ihr eigenes Gutachten anders als einseitig und unzuverlässig ausfallen könnte“.1031 Die seitens der Parteien eingebrachten Gutachten dienten ebenfalls der Klärung der Rechtslage1032 und dürften zum einen der Gefahr, dass die richterliche 1026 Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 429. 1027 Carl Gottlieb Knorre, Rechtliche Abhandlungen und Gutachten, Halle 1757, S. 42 f., Anm. 24. 1028 Heydiger 1715 (wie Anm. 567), Cap.  XII, S. 116; Bender 1824 (wie Anm. 35), § 190, S. 422. 1029 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLI, S. 105. 1030 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVI, S. 47. 1031 Zitiert nach: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 63. Der in Jena studierte Jurist Dr. Johannes Büchner war in Frankfurt zunächst als Advokat und Syndikus tätig gewesen, bevor er unter Dalberg Appellationsgerichtsrat wurde. 1815 fungierte er auch als Präsident der Kommission für die Constitutionsergänzungsakte und war später noch als Schöffe, Älterer Bürgermeister und Appellationsgerichtspräsident tätig, vgl.: Wolfgang Klötzer, Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Erster Band: A–L (Veröffent­ lichungen der Frankfurter Historischen Kommission 19 Nr. 1), Frankfurt a. M. 1994, S. 120. 1032 Hier drängt sich ebenfalls eine Parallele, dieses Mal zur Praxis der frühneuzeitlichen Consilia, auf, die von den Parteien privat eingeholt und in den Prozess eingebracht wurden. Falk hat in seiner Studie über die Consilia ebenfalls die Informationsfunktion der Parteigutachten betont: Falk 2006 (wie Anm. 497), S. 399.

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Funktion der Pareres

Rechtsanwendung häufig nicht vorhersehbar war1033, vorgebeugt haben. Zum anderen konnten sie die Ausweglosigkeit des begehrten Anspruchs darlegen und der unterliegenden Partei Veranlassung geben, den Prozess nicht weiter zu betreiben; ein nicht seltenes Phänomen in Kameralverfahren.1034 Neben der Erfragung lokaler Handelsbräuche1035, Rechtsgewohnheiten und Fakten stand die wechselrechtliche Expertise, die den am ius commune ausgebildeten Juristen fehlte, im Vordergrund. Ein mit Wechselrecht befasstes Schöffengericht ohne kaufmännische Expertise ist vergleichbar mit der Situation studierter Juristen in der spätmittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit.1036 So mag zwar die rechtliche Expertise des spätmittelalterlichen studierten Juristen ebenso wie die des frühneuzeitlichen Schöffengerichts höher als die der mittelalterlichen Laienrichter bzw. der wechselrechtlich versierten Kaufleute gewesen sein. Dennoch war eine juristische Expertise dann nicht hilfreich, wenn das praktische Erfordernis in der Kenntnis der lokalen Gewohnheiten oder ortsüblicher Handelsgewohnheiten bzw. wechselrechtlicher Spezialkenntnisse lag. Auch die Parallele der Oberhöfe als Rechtsauskunfts- und Rechtsbelehrungsstellen für Anfragen fremder Gerichte und Privatpersonen außerhalb eines Prozesses drängt sich hier auf.1037 Im Übrigen arbeiteten die Kaufleute in ihren Gutachten nicht „laienhaft“. So zogen sie zum einen studierte Juristen bei der Abfassung ihrer Gutachten unterstützend heran1038, zum anderen zeigt die zu beobachtende Herangehensweise der Börsenvorsteher eine stark professionalisierte Rechtsfindung. Häufig untersuchten die Deputierten zur Beurteilung der Rechtslage unterschiedliche Wechselordnungen. Auch im Parere vom 19. Oktober 1728 stützten sie sich zunächst auf die Frankfurter Wechselordnung, 1033 Vgl. hierzu: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 681. 1034 Peter Oestmann, Die Rekonstruktion der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung des 16. und 17. Jahrhunderts als methodisches Problem, in: Baumann, Anette / ​Westphal, Siegrid / ​Wendehorst, Stephan / ​Ehrenpreis, Stefan (Hrsg.), Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln 2001, S. 16. 1035 Die Wichtigkeit der Handelsbräuche hat auch Calafat in seinem Aufsatz über die Verwendung mehrerer Pareres vor dem ordentlichen Gericht in Livorno angesprochen. Seiner Meinung nach hätten die Richter sich für das dort gestellte Problem auch auf die Meinung Rechtsgelehrter stützen können, allerdings garantierte die Hinzuziehung der Pareres die Verwendung von Handelsbräuchen und damit eine verstärkte Akzeptanz seitens der Kaufmannschaft: Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 151. 1036 Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 14. 1037 Mehr zur Funktion der Oberhöfe, siehe: Krey 2015 (wie Anm. 93), S. 15. 1038 Für Frankfurt, siehe: B II. 2. b); für Hamburg, siehe: Lange 2008 (wie Anm. 246), S. 70 f. Das in der Sache Ebertz / ​Liebert herangezogene Parere der Wiener Kaufleute weist ebenfalls auf die Hinzuziehung eines Advokaten hin: „Darüber wird der löbliche Handelsstand in Wien, mit Zuziehung des demselben adjungirten Herrn juris Consulti, um ein rechtlich – und kaufmännisches Parere geziemend gebeten.“, Hoscher 1789 (wie Anm. 108), Sechster Rechtsfall, S. 239.

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Rechtstransfer

in der das angesprochene Problem nicht geregelt worden war, und zogen darüber hinaus weitere Wechselordnungen heran.1039 Der Fall zeigt erneut, dass die Entscheidung der Gutachter stark davon abhing, welche Rechtsordnung sie für einschlägig hielten. Ihre Rechtsfindung war demnach nicht willkürlicher Natur, sondern wies Ansätze einer juristischen Arbeitsweise auf. Ein weiteres Indiz, dass die wichtigste Funktion der Pareres in der Ersetzung der Sondergerichtsbarkeit bestand, liefert die preußische Entwicklung. Die Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten (AGO) von 1793/95 verpflichtete das Gericht zur Hinzuziehung eines Kaufmannes, der ein Gutachten zu erstatten hatte, und etablierte damit im Grunde ein Handelsgericht.1040 Somit wurde die in den Kommissionsdekreten und im Reichsabschied normierte Verpflichtung der Gerichte, Pareres einzuholen, in der AGO fortgesetzt. Insgesamt zeigt sich, dass vielfältige Gerichtsstrukturen vorhanden waren, aber nicht effektiv zur Konfliktlösung genutzt werden konnten. So waren Zuständigkeiten der Untergerichte häufig nur für summarische Verfahren gegeben, sodass materiellrechtliche Streitigkeiten entweder in langwierigen Prozessen vor dem Reichskammer­ gericht zu klären gewesen wären oder in Städten wie Nürnberg, in denen das Appellationsverfahren in Kaufmannssachen ausgeschlossen war, gar nicht vor Gericht verhandelbar gewesen wären. Damit boten die Pareres eine schnellere, kostengünstigere und fachlich bessere Alternative zur etablierten Gerichtsstruktur.

II. Rechtstransfer Darüber hinaus waren Pareres Instrumente des Rechtstransfers. Rechtstransfer im hier verwendeten Sinne meint die Übernahme fremden Rechts zur Lösung eines Rechtsproblems, für das die eigene Rechtsordnung keine vorsieht. Die Verwendung des Begriffs dient lediglich der Beschreibung des Phänomens, ist aber keine Stellungnahme zur vielfach geführten Diskussion der Begrifflichkeiten Rechtstransfer, Rezeption oder Rechtstransplantation.1041 Auf diese Diskussion soll hier nicht näher eingegangen werden, da sie für die Beschreibung des Phänomens nicht hilfreich ist.

1039 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 189, 19. Oktober 1728. 1040 Dreyßigster Titel: Vom Verfahren in Mercantil- oder Mess- und Handlungs- desgleichen in Assekuranzsachen, § 3 der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten vom 6. Juli 1793, abgedruckt in: Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, Erster Theil: Prozeß-Ordnung, Berlin 1795, S. 674–691 (675). 1041 Marie Theres Fögen / ​Gunther Teubner, Rechtstransfer. Eine Erinnerung an Georg von Belows „Die Ursachen der Rezeption“, in: Rechtsgeschichte 7, 2005; Duss, Vanessa / ​Linder, Nikolaus (Hrsg.), Rechtstransfer in der Geschichte. Beiträge des Forums junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker, das vom 25. bis 29. Mai 2005 an der Universität Luzern stattfand = Legal Transfer in History (Jahrbuch junge Rechtsgeschichte 1), München 2006. Zum Begriff der Rezeption siehe Coing, der Rezeption folgendermaßen beschrieben hat:

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Funktion der Pareres

Der Rechtstransfer konnte bereits in der lokalen Rechtsordnung vorgesehen sein, sodass hier von einem „kodifizierten Rechtstransfer“ gesprochen werden kann. Außerdem gab es zahlreiche Fälle, in denen die Kaufleute zur Lösung des Problems fremde Wechselordnungen oder andere Pareres heranzogen, also ein „praktischer Rechtstransfer“ erfolgte. In seinem Encyclopädischen Kaufmannslexicon berichtete Ludovici von diesem Rechtstransfer: „Und zwar werden die Pareres nicht allemahl von den Kaufleuten des Platzes, wo die Streitsache anhängig ist, sondern auch von ausländischen Handelsplätzen gesucht und gefordert; ja oft werden in einer Sache von verschiedenen Handelsplätzen zugleich Pareres eingeholt.“1042 Biener, der in seinen Wechselrechtlichen Abhandlungen über die Rechtsprechung der Rota von Genua berichtete, wies auf eine Entscheidung der Rota hin, die auf Grundlage kaufmännischer Pareres aus Flandern, Spanien, Rom und Genua gefällt worden war.1043 Auch die untersuchten Frankfurter Pareres weisen häufig Bezug zu Rechtsordnungen anderer Städte und Regionen auf. 1. Formen des Rechtstransfers a) Kodifizierter Rechtstransfer Einige in der Mitte des 18. Jahrhunderts erlassene Wechselordnungen kodifizierten schließlich sogar den Rechtstransfer durch Pareres. Wie anhand der Breslauer Handelsgerichtsordnung von 1742 bereits aufgezeigt, war es in Breslau üblich, von auswärtigen Handelsstädten Pareres einzuholen.1044 Diese Form des „kodifizierten Rechtstransfers“, in der ein Gesetz bereits die Einholung auswärtiger Pareres, mithin also fremden Rechts, durch das Handelsgericht vorschrieb, gab es nicht nur in der Breslauer Handelsgerichtsordnung. Die Sachsen-Altenbur­ gische Wechselordnung aus dem Jahr 1750 gestattete sogar den jeweiligen Parteien mittels Pareres „in zweifelhaften Fällen, wo es auf Handels-Sachen und ­Consuetudines mercatorias ankommt“, fremdes Recht darzulegen.1045 Wenngleich die Brandenburg-​ Onolzbachische Wechselordnung vom 10. September 1739 die Einholung der Pareres

1042

1043 1044 1045

„wenn ein Rechtsgebiet die gesamten Normen oder die Normen für ein bestimmtes Lebensgebiet aus einem anderen Rechtskreise übernimmt“, Helmut Coing, Die europäische Privatrechtsgeschichte der neueren Zeit als einheitliches Forschungsgebiet. Probleme und Aufbau, in: IUS COMMUNE I, 1967, S. 4. Ludovici / ​Schedel 1799 (wie Anm. 25), Sp. 1913. Über die Hinzuziehung von Gutachten unterschiedlicher Handelsorte berichteten auch Marperger 1709 (wie Anm. 25), III. Cap., S. 68 und Heydiger 1715 (wie Anm. 567), Cap. XII, S. 116. Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 428, Fn. 22. § 25 Breslauer Wechselordnung von 1742, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 229–242, S. 236. § 12 Sachsen-Altenburgische Wechselordnung von 1750, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 7–24, S. 22 f.

Rechtstransfer

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nur in Zweifelsfällen erlaubte1046, sah sie die Einholung eines Gutachtens von einem „nahe gelegenen Wechsel=Platz“ vor, um Rechtslücken zu schließen. Das transferierte fremde Recht durfte sodann allerdings auch verändert werden.1047 Die untersuchten Wechsel- und Handelsgerichtsordnungen zeigen, dass zumindest in den preußisch beeinflussten Gebieten ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Pareres systematisch zur Schließung von Rechtslücken genutzt wurden. Der Rechtstransfer war vom Normgeber intendiert und vorgeschrieben und ersetzte damit ein Stück weit auch die Gesetzgebung.1048 b) Rechtstransfer in der praktischen Anwendung durch Einzelfälle Ein großer Teil des Rechtstransfers erfolgte durch praktische Übernahme mittels einzelner Pareres. Hierbei übernahmen die Gutachter zum einen Regelungen fremder Wechselordnungen in ihre Ausführungen, zum anderen zogen sie andere Pareres heran oder ließen sich Gutachten für den ihnen vorliegenden Fall erstatten. So berichtet Wilhelm Silberschmidt in seiner Monografie über das deutsche Handelsgericht beispielsweise vom Nürnberger Bancoamt, das Anfragen aus Frankfurt, Hamburg, Amsterdam und anderen Städten erhielt und auch Pareres in italienischer Sprache für streitige Fälle zwischen Genuesern und Venezianern sowie Veronesern, Venezianern und Regensburgern erstattete.1049 Diese Beobachtung lässt sich ebenso für andere Städte machen. Baasch erwähnt in seinen Ausführungen zur Hamburger Handelskammer, dass der Hamburger Rat im Oktober 1678 der Hamburger Commerz­ deputation eine Akte mit wechselrechtlichen Problemen überreicht hatte, die ihm selbst aus Hannover zugegangen war. Die Hannoveraner erbaten die Stellungnahme einiger Hamburger Kaufleute, vor allem unter der Berücksichtigung und Darlegung des Amsterdamer Wechselrechts.1050 Auch Frentz berichtet über die Pareres im Hamburger Seeprozess, dass in ihnen oftmals ausländische Seegesetze herangezogen worden waren.1051 Die Frankfurter Kaufleute sollten im Dezember 1719 in einer streitigen Wechselsache zwischen einem Frankfurter und einem Augsburger Kaufmann zu einem anderen bereits erteilten Parere Stellung nehmen und ihre Übereinstimmung oder ihren Widerspruch unter das vorherige Gutachten setzen. Streitig war, ob der in Frankfurt ausgegebene und auf Wien zahlbar gestellte Wechsel nach Frankfurter oder Wiener Wechselrecht zu beurteilen war. In beiden Pareres sprachen sich die Gutachter schließ1046 Cap. IV, Art. 4 Ansbachsche Wechselordnung vom 10. September 1739, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 107–128, S. 126. 1047 Beschluß, Ansbachsche Wechselordnung vom 10. September 1739, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 107–128, S. 128. 1048 Mehr zur rechtsfortbildenden Funktion der Pareres unter D III. 1049 Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 97. 1050 Baasch 1915 (wie Anm. 41), S. 645. Siehe auch: Scherner 2013 (wie Anm. 17), S. 136. 1051 Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 156 f., S. 164.

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lich für die Anwendung der Wiener Wechselordnung aus.1052 Die Parteien versuchten hier nicht, ein Frankfurter oder Wiener Gericht in Anspruch zu nehmen und diesem die kollisionsrechtliche Lösung des Problems zu überlassen, sondern erzielten durch die Ausfertigung und den Abgleich zweier Gutachten eine rechtsvereinheitlichende Lösung. Neben der Einholung speziell auf den Fall zugeschnittener Gutachten führten Parteien auch Pareres aus vergleichbaren Fällen in Gerichtsprozesse ein und Kaufleute zogen Gutachten aus anderen Städten zur Abfassung eigener Pareres heran. So bezogen sich die Nürnberger Kaufleute auf Pareres aus Köln, Augsburg, Hamburg, Wien und Antwerpen.1053 In einer Augsburger Appellationssache, die zwischen 1614 und 1642 mehrfach am Augsburger Stadtgericht anhängig war, legte eine Partei Pareres aus zwei vergangenen Prozessen bei, die inhaltlich der nun anhängigen Streitsache ähnelten. Sowohl in den vorherigen Fällen als auch in der anhängigen Streitsache hatte sich ein Kaufmann geweigert, freiwillig von ihm akzeptierte Wechsel rechtzeitig zu bezahlen. Alle Wechsel waren in Venedig ausgestellt und auf einen anderen Ort gezogen worden. In dem nun in Augsburg anhängigen Verfahren versuchte eine Partei, sich die in den vorgelegten Gutachten dargelegte Rechtsauskunft für ihren Fall nutzbar zu machen. Der erste herangezogene Fall war eine 1599 an einem Kölner Gericht anhängige Streitsache, in welcher Pareres aus Köln, Antwerpen und Hamburg eingeholt worden waren. Bei dem zweiten herangezogenen Fall war der Wechsel auf Nürnberg gezogen worden. Ihm lagen Gutachten aus Florenz, Venedig, Genua und Bozen bei.1054 Die Übernahme von Regelungen aus fremden Wechselordnungen war der häufigste Fall des Rechtstransfers. In zahlreichen Pareres stützten die Deputierten ihre Entscheidung auf fremde Wechselordnungen oder bekräftigten die Regelung in der Frankfurter Wechselordnung durch Verweis auf die gleiche Normierung in anderen Wechselordnungen. So waren beispielsweise die Frankfurter Kaufleute 1722 von einem Gericht im Verfahren um eine Sicherheitsleistung angesprochen worden. Die Frankfurter Wechselordnung hätte für die Lösung des Rechtsproblems völlig genügt. Die Kaufleute belegten ihre Rechtsansicht jedoch nicht nur durch die Frankfurter, sondern auch noch durch die Leipziger, Breslauer, Braunschweiger, Danziger und Hamburger Wechselordnung sowie durch ein Augsburger Rats-Dekret.1055 Offenbar hatten sie den Eindruck, das Gericht besser überzeugen zu können, wenn sie sich nicht nur auf die Frankfurter Wechselordnung beriefen. Im Parere vom 8. Oktober 1722 beschäftigten sich die Deputierten mit einem nicht protestierten, aber akzeptierten Messwechsel. Sie entschieden „dem Wechsel=​ 1052 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 25. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 1. 1053 Rudolf Liebstädter, Die Gerichtsbarkeit der Marktvorsteher der Stadt Nürnberg. Ein Beitrag zur Frage des Laienrichtertums auf dem Gebiete der Handelsgerichtsbarkeit, Würzburg 1922, S. 19. 1054 Dalhede 1989 (wie Anm. 29). 1055 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P  XLII, S. 108. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 11. b).

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Recht gemäß“, dass dieser vier Wochen nach der Messe als bezahlt gelte, anderenfalls das Gegenteil bewiesen werden müsse, da in vielen Fällen der bezahlte Messwechsel in den Händen des Präsentanten verbleibe. Sie belegten diese Handelspraxis anhand der Leipziger, Braunschweiger und Danziger Wechselordnung und beriefen sich darüber hinaus auf Jacob Friederich Ludovicis Einleitung zum Wechsel-Prozeß und Johann Christian Königks Anmerkungen zur Leipziger Wechselordnung.1056 Im Parere vom 25. Mai 1725 um einen erhobenen Contra-Protest hatte der Kläger des bereits vor einem Gericht anhängigen Wechselprozesses zur Unterstützung seiner Rechtsposition neben der Wiener Wechselordnung, die im vorliegenden Fall offenbar einschlägig gewesen wäre, noch die Preußische Wechselordnung von 1684, die Brandenburgische Wechselordnung, die Braunschweiger Wechselordnung von 1686 und die erneuerte von 1715, die Augsburger Wechselordnung von 1716, die Breslauer Wechselordnung von 1716, die Magdeburger Wechselordnung von 1703, die Leipziger Wechselordnung von 1682, die Hamburger Wechselordnung von 1711 sowie die Danziger Wechselordnung von 1701 herangezogen.1057 Die Deputierten gingen nicht explizit auf die dargelegten Wechselordnungen ein, sprachen sich aber für die Rechtsansicht des Klägers aus und erklärten gegenüber dem anfragenden Richter „der unvorgreifflichen jedoch im Wechsel=Recht gegründete[n] Meynung“ zu sein.1058 Im Parere vom 12. September 1721 beschäftigten sich die Frankfurter Kaufleute unter anderem mit der Verjährung eines Wechsels. Im vorliegenden Fall hatte ein Indossant 14 Jahre nach der Ausstellung noch Zahlung aus dem Wechsel begehrt. Da die Frankfurter Wechselordnung von 1666 keine Verjährungsregelung aufwies, stützten sich die Deputierten wiederum auf fremde Wechselordnungen. In diesem Fall zogen sie sogar eine ausländische, nämlich die französische Wechselordnung heran. Sie stützten sich in ihrem Responsum hinsichtlich einer weiteren gestellten Frage, für die es in keiner der Wechselordnungen eine Lösung gab, auf die im „Wechsel=Stylo gegründete Meynung“. Für den speziellen Punkt der Verjährung zogen sie aber die Leipziger Wechselordnung, die Kurbrandenburgische Wechselordnung, die Magdeburger Wechselordnung und eben die französische Wechselordnung heran.1059 Die Deputierten wählten die Wechselordnungen, die sie für ihre Argumentation benötigten, stets sorgfältig aus und bewiesen im Parere vom 18. Januar 1730 ihre Fachkompetenz, indem sie den Anwendungsbereich der herangezogenen Wechselordnungen darstellten und vom vorliegenden Fall abgrenzten. Der anfragende Richter hatte seine Argumentation auf die Wiener, die Leipziger, die Braunschweiger, die Breslauer und die Danziger Wechselordnung gestützt. Die Frankfurter Kaufleute sahen 1056 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XL, S. 100 ff. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 10. b). 1057 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXV, S. 184 ff. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 10. d). 1058 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXV, S. 186. 1059 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XLIII, S. 108 ff. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 12.

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die Wechselordnungen indes zu Recht nicht als einschlägig an und entschieden nach Billigkeit sowie den „Handlungs=Rechten und Gewohnheiten“.1060 Die Kaufleute stützten sich auch dann nicht auf andere Wechselordnungen, wenn diesen eine Frankfurter Handelsgewohnheit entgegenstand. So hatte im Parere vom 13. Februar 1721 eine Partei behauptet, auch in Frankfurt müssten Sichtwechsel zur Akzeptation in die nächste Post gegeben werden. Die Deputierten gestanden der Partei zu, dass zwar die Leipziger, Danziger und andere Wechselordnungen solche Regelungen vorsahen, diese Akzeptationsfrist allerdings weder nach der Frankfurter Wechselordnung, die in der Tat für per Post verschickte Sichtwechsel überhaupt keine Regelung traf, noch nach der „hiesigen Gewonheit“ so gehandhabt werde.1061 Insofern ging die Frankfurter Rechtsgewohnheit als speziellere Regelung gegenüber den auswärtigen Wechselordnungen vor. Eine andere Motivation für den Rechtstransfer lag dem Parere vom 16. September 1724 zugrunde. Im vorliegenden Fall hatte ein französischer Bankier durch den Zahlungsausfall seines deutschen Gläubigers aufgrund von Kursschwankungen erhebliche finanzielle Einbußen erlitten. Die Frankfurter Kaufleute gaben zwar zu, dass grundsätzlich ein Schuldner für den von ihm verursachten Schaden aufzukommen habe, jedoch das Metzener Parlement in einem vergleichbaren Fall den französischen Schuldner von seiner Pflicht befreit und die Kursänderung dem deutschen Gläubiger zur Last gelegt habe. Man werde nun ebenso wie das Metzener Parlement verfahren.1062 Analysiert man die herangezogenen Pareres, so stellt man fest, dass die Frankfurter Kaufleute Rechtslücken zwar häufig durch die Heranziehung fremder Wechselordnungen füllten und Normierungen in der Frankfurter Wechselordnung anhand fremder Ordnungen bekräftigten, ihre Entscheidung aber regelmäßig nicht auf diese konkreten Normen stützten. Vielmehr entschieden sie dann „dem Wechsel=Recht gemäß“ oder auch nach den „Handlungs=Rechten“. Die Deputierten sahen in der Fülle der Wechselordnungen schlichtweg ein universelles Wechselrecht. Sie setzten sich zwar dezidiert mit der Anwendbarkeit der Wechselordnungen hinsichtlich materiellrechtlicher Fragen auseinander und subsumierten auch überzeugend ihren jeweiligen Fall. Ob jedoch der Anwendungsbereich der von ihnen herangezogenen Wechselordnungen eröffnet war und sie somit auf einen Fall ohne Leipziger Bezug die Leipziger Wechselordnung tatsächlich anwenden konnten, erörterten sie nie. Sie betrachteten die Summe aller ihnen bekannten Wechselordnungen – nicht nur im deutschsprachigen Raum, auch die französische Wechselordnung nutzten sie – als ein Füllhorn des Wechselrechts, was entsprechend den praktischen Bedürfnissen anzuwenden war. Dies zeigen vor allem die beiden Pareres, in denen sich die Kaufleute mit der gerne 1060 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 206, 18.1.1730. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 11. a). 1061 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXIX, S. 81 ff. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 6. 1062 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXVIII, S. 168 ff. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 17.

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dem Akzept beigefügten Klausel S. P. (salvo praejudicio) auseinandersetzen mussten. Sie konstatierten, dass die Klausel S. P. nach allen Wechselordnungen wirkungslos sei. Im Parere vom 28. November 1719 fügten sie sogar hinzu, dass die Klausel „nach dem heutigen Wechsel=Recht / keineswegs von dem Belang“ sei.1063 Ihre Einschätzung entsprach übrigens dem Parere der Leipziger Kramermeister vom 31. August 1718, in welchem diese feststellten, dass die „Cambisten“ sich überhaupt nicht einig seien, was S. P. denn nun genau bedeuten solle, und die Klausel somit auch nichts bewirke.1064 Insgesamt betrachteten die Frankfurter Kaufleute demnach die Summe aller Wechselordnungen sowie die ihnen bekannten Rechtsgewohnheiten als Wechselrecht. Sofern es einschlägige örtliche Bestimmungen gab – seien sie schriftlich fixiert oder aber gewohnheitsrechtlich ausgeübt –, gingen sie als speziellere Regelungen auswärtigen Wechselordnungen vor. Diese galten aber kraft der Tatsache, dass sie aus Sicht der Kaufleute in Summe das „heutige Wechselrecht“ darstellten, subsidiär. Die Methode erinnert an die klassische Arbeitsweise der durch den Usus modernus geprägten Juristen. Die Handlungsvorsteher wendeten nun die Statutentheorie auf das spezielle Gebiet des Wechselrechts an. Diese Herangehensweise war indes kein Alleinstellungsmerkmal der Frankfurter Kaufmannschaft. Auch die Hamburger Kaufleute beriefen sich bei der Gutachtenerstattung auf andere Pareres und fremde Wechselordnungen. Dem bei Marperger im Neu-Eröffneten Handelsgericht abgedruckten Zweyte[n] Hamburgische[n] Parere lag ein Sichtwechsel zugrunde, der nicht korrekt indossiert worden war. Der Sachverhaltsschilderung schlossen sich die Stellungnahmen von sieben Kaufleuten an, da die Hamburger zu diesem Zeitpunkt Einzelpareres erstatteten und die Gutachtenerteilung noch nicht als berufsständische Vereinigung vornahmen.1065 Vor allem der letzte Kaufmann, Andreas Leser, zog in seinem umfangreichen Gutachten sowohl Entscheidungen der Rota von Genua als auch wechselrechtliche Literatur wie Heydiger, Vogt und Stryk sowie ein venezianisches Parere heran. Ein anderer Hamburger Gutachter, der Kaufmann Johannes Tomloo, stützte seine Argumentation auf „alle Wechsel=​ Ordinancen“. Hinrich von Som Dircks, ein weiterer Gutachter, sprach sogar ganz allgemein von dem „Wechsel=Recht“.1066 Eine den Frankfurter Kaufleuten identische Arbeitsweise wiesen die Leipziger Kramermeister in ihrem Parere vom 11. November 1727 auf.1067 Zugrunde lag eine Wechselsache, die offenbar schon am Reichskammergericht anhängig war. Zumindest hatte der Wechselgläubiger den Wechselschuldner in Wetzlar am Reichskammergericht am 15. August 1727 arretieren lassen. Die streitbefangenen Wechsel waren zuvor in Frankfurt ausgestellt worden. Der einzige Bezug zu Leipzig bestand über den nun anfragenden Advokaten. Der Leipziger Jurist Dr. Gottfried Rudolph 1063 1064 1065 1066 1067

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXI, S. 64 und E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVIII, S. 56. Siegel 1742 (wie Anm. 95), P CI, S. 121. Siehe näher dazu in Teil A II. 1. Abgedruckt bei: Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 183 ff. Siegel 1742 (wie Anm. 95), P CXIX, S. 149 f.

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Funktion der Pareres

Pommer schien im vorliegenden Fall den Wechselschuldner zu vertreten und erbat bei den Kramermeistern ein Parere „in forma probante“. Unter anderem fragte er an, ob der Wechselinhaber vor Geltendmachung seines Anspruchs aus dem Wechsel drei bis vier Respekttage abzuwarten habe und wie die Formulierung auszulegen sei, dass der Wechsel auf „med. Aug.“ zahlbar gestellt worden sei. Er war der Ansicht, dass im August die Mitte des Monats der 16. sein müsse, da der Monat 31 Tage hat. Die Kramermeister stützten sich für die Berechnung der Respekttage auf § 12 der Frankfurter Wechselordnung, da die Wechsel seinerzeit in Frankfurt ausgestellt worden waren. Wie auch die Frankfurter Deputierten in einer späteren Entscheidung1068 erachteten die Leipziger Kaufleute die Normierung der Respekttage als eine Vorschrift zugunsten des Wechselinhabers, der berechtigt sei, die Zahlung sofort am Verfalltag einzufordern, höchstenfalls aber die vier in der Wechselordnung vorgesehenen Respekttage abwarten dürfe. Hinsichtlich der Berechnung der Monatsmitte zogen sie schließlich § 23 der Hamburger Wechselordnung heran, da die Frankfurter Wechselordnung an entscheidender Stelle schwieg: „Weil in der Franckfurther Wechsel=Ordnung […] nicht zu finden: So halten Wir dafür, daß nach Anleitung der Hamburger Wechsel=Ordnung und deren 23. § jedesmahl der 15. Tag, es habe der Monat mehr oder weniger Tage, vor den Verfall=Tag zu rechnen.“1069 Die Herangehensweise entsprach der der Frankfurter Kaufleute. Sofern die Wechselordnung des Ausstellungs- oder Erfüllungsortes eine passende Regelung aufwies, erörterten sie den Anwendungsbereich derselben und zogen sie heran.1070 Darüber hinaus legten sie aber ohne jeglichen Bezug die Hamburger Wechselordnung für die Berechnung der Monatsmitte zugrunde, da diese nun zufällig eine passende Norm bereithielt. Auch hier erfolgte im Falle einer Rechtslücke ganz selbstverständlich ein Transfer fremden Rechts. c) Rechtstransfer durch Pareres-Sammlungen Der praktische Rechtstransfer erfolgte nicht nur durch Einzelfälle, sondern auch durch Verbreitung der Pareres in Form von Sammlungen.1071 Neben der Sammlung der Frankfurter Pareres im Werk Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier gaben J­ ohann Christian Königk 1717 und Johann Gottlieb Siegel 1742 Pareres der Leipziger Kaufmannschaft heraus. Über diese weit verbreiteten Werke hinaus konnten Pareresverfasser auch auf französische Pareres zurückgreifen; zunächst in der Originalfassung von Jacques Savary in seinem 1688 veröffentlichten Werk Parères, ou Avis et conseils sur les plus importantes matières du commerce, dann aber auch vereinzelt in deutscher 1068 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 227, 4.1.1731. Nähere Ausführungen zum Parere bereits in Teil C IV. 8. 1069 Siegel 1742 (wie Anm. 95), P CXIX, S. 150. 1070 So auch die Erörterung der Frankfurter Kaufleute im Fallbeispiel, siehe Teil C III. 1071 Auch Silberschmidt berichtete von einer Zirkulation der Pareres in den Handelsstädten untereinander: Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 97.

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Übersetzung in Marpergers Neu-Eröffneten Handelsgericht, der neben den Pareres von Savary noch vereinzelte Gutachten aus London1072, Hamburg1073 und Danzig1074 abgedruckt hatte. Darüber hinaus wurden Pareres ebenfalls in Lehrbüchern zum Wechselrecht abgedruckt, wie z. B. einige Gutachten der Nürnberger Kaufmannschaft in Johann Adam Becks Tractatus Novus und der Hamburger Kaufleute in Johann Ludwig L’Estocq Erläuterung des allgemeinen und Preußischen Wechselrechts.1075 Eine Zirkulation der Pareres, die es in Einzelfällen nachweislich gegeben hat1076, lässt sich demnach auch anhand der gedruckten Sammlungen vermuten.1077 2. Rechtsvereinheitlichung durch Rechtstransfer Die vielfältigen Formen des Rechtstransfers ermöglichten nicht nur, Rechtslücken zu schließen, sondern auch Recht zu vereinheitlichen. Gerade auf dem Gebiet des Wechselrechts, das nur wenige normative Grundlagen aufzuweisen hatte, bot sich eine Rechtsvereinheitlichung mittels Pareres, wie sie auch durch die Aktenversendung erzielt wurde,1078 an. Das Bestreben, die Pareres nicht nur auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden, sondern eine langfristige Rechtsanwendung zu gewährleisten und ein einheitliches Wechselrecht zu konsolidieren, zeigt sich auch im Gutachten vom 25. August 1719. Hier bat die anfragende Partei ausdrücklich, das Parere „dem Commercio zu lieb schrifftlich mitzutheilen“.1079 Die Verschriftlichung war Grundlage für die Zirkulation der Pareres, die ein Mittel darstellte, eine Rechtsangleichung zu bewirken. a) Notwendigkeit der Rechtsvereinheitlichung Das Bedürfnis, Recht zu vereinheitlichen, zeigte sich vor allem in Messezeiten, wenn viele Kaufleute aus unterschiedlichen Regionen und Städten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Reiches zusammenkamen. Nicht wenige Rechtsfragen, die das Wechselrecht betrafen, konnten ohnehin nur einheitlich, ortsübergreifend geregelt werden. So stellte beispielsweise im Jahr 1620 der Frankfurter Rat eine Anfrage an mehrere Handelsstädte, darunter Straßburg, 1072 1073 1074 1075

Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 133. Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 135 ff. und S. 180 ff. Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 168 ff. Beck 1729 (wie Anm. 108), S. 35 f., 290 f., 448 ff. und L’Estocq 1762 (wie Anm. 108), S. 167 ff. 1076 Pommer 1948 (wie Anm. 42), S. 10. 1077 Auch Liebstädter vermutete, dass die gesammelten Pareres als Entscheidungssammlung dienen sollten: Liebstädter 1922 (wie Anm. 1053), S. 23 f. 1078 Auf den rechtsvereinheitlichenden Charakter der transimissio actorum für das Wechselrecht hat Anja Amend in ihrem Aufsatz über die Inanspruchnahme der Juristenfakultäten hingewiesen, siehe: Amend 2008 (wie Anm. 22), S. 96. 1079 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XIV, S. 42.

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Funktion der Pareres

Köln, Augsburg, Nürnberg, Hamburg und Amsterdam. Die jeweiligen Ratsbehörden sollten ihre Kaufleute zur nächsten Messe verpflichten, keine Wechsel zu girieren, um der Wechselhandlung keinen Schaden zuzufügen. Ein Indossationsverbot konnte sinnvollerweise nur einheitlich verhängt werden, um es nicht wirkungslos werden zu lassen. In der Praxis funktionierte die Rechtsvereinheitlichung jedoch nicht vollumfänglich. Die Amsterdamer Kaufleute und Bürgermeister verweigerten ihre Zustimmung und wiesen vielmehr auf die Vorteile des Indossierens hin.1080 Auch an anderen Orten entstand das Bedürfnis, rechtsvereinheitlichend zusammenzuwirken. So bat der Leipziger Handelsstand 1669 die kursächsische Regierung, auf dem Reichstag auf eine Vereinheitlichung des Wechselrechts hinzuwirken, was die Regierung jedoch als nicht praktikabel zurückwies: „daß die von der Kaufmannschaft angegebenen Specialitäten sich bei allen Handelsstädten im Heiligen Römischen Reich schwerlich practiciren noch als eine Generalregel in den Reichsschluss bringen lassen“.1081 1681 forderten die Leipziger Großkaufleute die Regierung auf, zur Messe ein Kaufmannsgericht mit Beisitzern aus Holland, Augsburg, Frankfurt am Main, Nürnberg, Hamburg und Breslau zu besetzen. Außerhalb der Messe sollten hingegen nur vier Kaufleute mit zwei Ratsdeputierten tätig sein.1082 Die Beispiele zeigen, dass vor allem in Messezeiten, in denen so viele verschiedene Rechtsordnungen wie zu keinem anderen Zeitpunkt aufeinandertrafen, gerade im Bereich des Wechselrechts, welches von Natur aus auf raumübergreifenden Handel ausgelegt ist, das Bedürfnis nach Rechtsvereinheitlichung groß war. Ob neben den vornehmlich praktischen Bedürfnissen des Handels die geistige Strömung des Naturrechts zu einer rechtsvereinheitlichenden Entwicklung des Handels-, hier insbesondere des Wechselrechts geführt hat1083, kann mit den untersuchten Quellen nicht beantwortet werden. Die Rechtsvereinheitlichung durch Pareres erscheint weniger als kulturelles Phänomen, das europäische, im Sinne von römisch-lateinisch-europäischen Gemeinsamkeiten betonen sollte.1084 Es waren schlichtweg pragmatische Ansätze, „transnationale“ Rechtsprobleme auch „transnational“ zu lösen. Ein vergleichbares Vorgehen konstatiert Karl Otto Scherner bereits hinsichtlich Lord Mansfields Wirkungsweise: „auch ihm [Lord Mansfield] geht es […] um die

1080 Mauersberg 1960 (wie Anm. 129), S. 270 f. 1081 Decisivbefehl wegen der Wechselbriefe und Kommissionwaaren v. 4. Septembr 1669, abgedruckt in: Josias Ludwig Ernst Püttmann, Die Leipziger Wechselordnung mit Anmerkungen und Beilagen versehen, Leipzig 1787, S. 92. 1082 Die große Denkschrift der Großkaufmannschaft vom 23. März 1681, abgedruckt in: Moltke 1904 (wie Anm. 346), Anlagen, S. 12 ff. (23). 1083 So in Ansätzen Scherner, der allerdings selbst zu Recht daraufhin gewiesen hat, dass die naturrechtliche Literatur sich nicht vorrangig mit Handelsrecht beschäftigte: Karl Otto Scherner, Lex mercatoria – Realität, Geschichtsbild oder Vision?, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 118, 2001, S. 163 ff. 1084 So beschrieb Coing das Phänomen der Rezeption, vgl.: Coing 1967 (wie Anm. 1041), S. 2 ff.

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bei der Anwendung vordringliche Rücksicht auf tatsächlich praktizierte Regeln anstatt sachfremder juristischer Konstruktionen“.1085 Mansfield, der in seinen Entscheidungen sowohl mittelalterliche kontinentaleuropäische Seerechtskodifikationen als auch gerade erst erlassene französische Handelsgesetze verwendete, arbeitete genauso rechtsvergleichend, in ein „Einheitsrecht münde[nd]“1086 wie die Pareres erstattenden Kaufleute. Damit standen sie ganz im Einklang mit der zur gleichen Zeit beginnenden rechtsvereinheitlichenden wissenschaftlichen Bearbeitung des Handels-, insbesondere Wechselrechts in der europäischen handelsrechtlichen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts.1087 Die zeitgenössischen Schriftsteller empfanden vor allem die Probleme des See- und Wechselrechts als national nicht lösbar. So sah Dupuy de la Serra die Natur des Wechselvertrages und dessen genaue Ausgestaltung nur unter Heranziehung auch nichtfranzösischer Quellen als definierbar.1088 Johannes Julius Surland veröffentlichte 1750 sein Werk über die Grundsätze des Europäischen Seerechts, der Frankfurter Kaufmann Johann Maximilian Raumburger hatte bereits 1723 eine europäische Sammlung des Wechselrechts herausgegeben.1089 Dass sowohl Siegbert Lammel als auch Karl Otto Scherner eine zunehmende Nationalisierung der Rechtssysteme Ende des 17. Jahrhunderts konstatieren1090, steht nicht im Widerspruch zur hier festgestellten rechtsvereinheitlichenden Praxis der Pareres. Vielmehr ist anzunehmen, dass gerade in einer Zeit rechtlicher Nationalisierungsbestrebungen das praktische Bedürfnis der Kaufleute nach einer transnationalen rechtsvereinheitlichenden Lösung zunahm. Seerechtliche Probleme auf nationalstaatlicher Ebene zu lösen, war genauso wenig praktikabel und undurchführbar wie eine national unterschiedliche Behandlung des Wechselrechts. Der Wechselhandel kannte schließlich keine Landesgrenzen. b) Beispiele der Rechtsvereinheitlichung durch Pareres Die durch Pareres angestrebte Rechtsvereinheitlichung zeigt sich in einzelnen Gutachten. Zunächst wiesen die Pareres häufig in ihren Begründungen Formulierungen wie „universal in allen Handels=Städten […] auch in Wechsel=Recht […] fest gegründetes

1085 Scherner 2001 (wie Anm. 1083), S. 163. 1086 Scherner 2001 (wie Anm. 1083), S. 164. 1087 Karl Otto Scherner, Allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsvergleichung im europäischen Handelsrecht des 17. und 18. Jahrhunderts, in: IUS COMMUNE VII, 1978, S. 125 ff. 1088 Scherner 1977 (wie Anm. 891), S. 920. 1089 Johannes Julius Surland, Grund=Sätze des Europäischen See=Rechts, Hannover 1750; Johann Maximilian Raumburger, Iustitia selecta gentium Europaearum in cambiis ­aliisque causis mercantilibus tam terrestribus quam navalibus novissima & harmonica. Oder: GrundFeste des Heil. Römischen Reichs und anderer Europaeischen Königreichen und Staaten Rechten und Gewohnheiten in Wechsel= und Commercien=Sachen […] wie auch einem Appendice von Assecurantz und See=Affaires, Frankfurt a. M. 1723. 1090 Lammel 1993 (wie Anm. 217), S. 112; Scherner 2001 (wie Anm. 1083), S. 16.

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Funktion der Pareres

und ohndisputirliches Gesetz“1091, „den meisten Wechsel=Ordnungen“1092 und „sowohl nach täglicher Praxi als auch den meisten und vornehmsten Wechsel=Ordnungen“1093 auf oder enthielten den Verweis auf alle bekannten oder „stricten“ Wechselrechte.1094 Darüber hinaus gab es aber auch konkrete Bestrebungen, das Wechselrecht zu vereinheitlichen. Eines der heikelsten wechselrechtlichen Probleme des 18. Jahrhunderts, das Blankoindossament, war Gegenstand mehrerer Pareres, auch der in Teil C erörterten Fallstudie, gewesen. In dem dort vorgestellten Parere vom 23. November 1729 hatten die Frankfurter Kaufleute das Verbot des Blankoindossaments relativiert und einen anderen Legitimationsnachweis zugelassen, um dem Inhaber den Anspruch auf Zahlung aus dem Wechsel zugestehen zu können. Dabei hatten sie sich in ihrer Begründung nicht nur maßgeblich auf Königks Erläuterungen zum Leipziger Wechselrecht gestützt, sondern bezogen sich ganz explizit auf das dort abgedruckte Parere der Leipziger Kramermeister vom 2. März 1695, dem ein vergleichbarer Fall zugrunde gelegen hatte.1095 Hier erfolgte mittels Königks Lehrbuch der Rechtstransfer des Leipziger Pareres nach Frankfurt und führte zu einer rechtsvereinheitlichenden Lösung der Behandlung nachträglich ausgefüllter Blankoindossamente. Es handelte sich hierbei wiederum nicht um einen Frankfurter Einzelfall. Im Hamburger Parere vom 2. Mai 1701 äußerte der Gutachter Andreas Leser nachdrück­lich den Wunsch der Übernahme fremden Rechts. Für das zugrunde liegende Problem sahen die Hamburger Statuten keine eindeutige Regelung vor. Er führte das Preußische Wechselrecht und die Danziger Wechselordnung an und stützte seine Argumentation auf die beiden Rechtsordnungen. Abschließend bemerkte er, es sei wünschenswert, dass „dergleichen Weitläufftigkeiten und Verbitterungen durch heilsame / ​ deut­liche / und vernünftig abgefaßte Verordnungen / einmal ein starcker Riegel vorgeschoben würde“.1096 Hier arbeitete der Gutachter demnach notgedrungen mit fremdem Recht, empfahl aber die Übernahme desselben und damit nicht zuletzt auch die Rechtsvereinheit­ lichung zugunsten der Rechtssicherheit. Die beiden Beispiele zeigen, dass neben einer „legislative[n] Rechtsvergleichung“, wie sie Scherner bereits vor langer Zeit konstatiert hat1097, auch eine rechtsvergleichende Konfliktlösung durch Pareres betrieben, mithin eine praktische Rechtsvergleichung vorgenommen wurde. Die Pareres transferierten fremdes Recht und waren Grundlage für eine Angleichung wechselrechtlicher Regelungen über Landesgrenzen hinweg. 1091 1092 1093 1094

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P III, S. 19. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P X, S. 34. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVII, S. 53. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXI, S. 178 und ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 215, 21.5.1730. 1095 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 54. 1096 Marperger 1709 (wie Anm. 25), Anhang, S. 135. 1097 Scherner 1999 (wie Anm. 9), S. 541.

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Rechtstransfer

3. Zusammenfassung Der Rechtstransfer mittels Pareres erfolgte auf verschiedenen Ebenen durch die Übernahme schriftlich fixierten fremden Rechts in Einzelfällen über die kursierenden Sammlungen hinaus bis hin zu einer in der lokalen Ordnung bereits angeordneten Heranziehung fremder Rechte. Insgesamt lässt sich eine Tendenz zur Verschriftlichung feststellen. Immer häufiger wählten die Deputierten Formulierungen wie „sowohl nach täglicher Praxi als auch den […] Wechselordnungen“ oder „nicht allein der Natur eines Giro und täglichen Usance, sondern auch denen vornehmbsten niedergeschriebenen Wechsel=Ordnungen“. Mehrfach stützten sich die Kaufleute auf den „Wechselstil“ oder die „Billigkeit“, sofern es kein einschlägiges, schriftlich fixiertes Recht gab. Im gleichen Gutachten zogen sie hinsichtlich eines anderen Rechtsproblems Wechselordnungen heran. Im Vordergrund standen stets die Praktikabilität und der reibungslose Ablauf des Handelsverkehrs. Inhaltlich befassten sich die Pareres mit den praktischen Fragen des Handelsverkehrs, die lokal unterschiedlich geregelt sein konnten; sei es mit den Fragen der Verjährung, der Länge der Respekttage, der Frage, wann ein Protest auf den Postweg zu bringen war, oder der Zulässigkeit des Blankoindossaments. Theoretische Diskurse über die Rechtsnatur des Wechsels, mögliche Abgrenzungen zum Darlehen und damit zum kanonischen Zinsverbot enthielten die Pareres hingegen nicht. Die naheliegende Frage, ob überhaupt ein Rechtstransfer vorgelegen haben kann oder ob nicht vielmehr gemeinrechtliches Wechselrecht vorhanden war, muss vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsmaterien beantwortet werden. Während die Kaufleute sich mit den praktischen Rechtsfragen auseinandersetzten, führte die gemeinrechtliche Literatur hauptsächlich Diskurse über die theoretische Begründung der Rechtsnatur des Wechsels.1098 Die anfragenden Richter schienen das von ihnen durch die Pareres erfragte Recht jedenfalls nicht als gerichtsbekannt und damit wohl nicht als überpartikulares gemeines Recht empfunden zu haben. Denn anderenfalls hätten sie das Parere nicht eingeholt. Selbst wenn sie das im Parere dargelegte Recht in Einzelfällen als ius commune in loco1099 angesehen haben sollten, wozu die Quellen allerdings keine expliziten Hinweise enthalten, widerspricht das nicht der Beobachtung des Rechtstransfers. Denn der Rechtstransfer konnte erfolgt sein, bevor das Recht partikulares Recht geworden war. Die Kaufleute selbst sahen zwar eine schriftlich fixierte Wechselordnung grundsätzlich als nicht übertragbar an, da es sich um lokales Recht, statuta loci, handele. Eine Ausnahme machten sie jedoch, sofern sich die Gerichtsbar1098 Siehe Näheres zur gemeinrechtlichen Literatur, die sich mit Wechselrecht beschäftigte: Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Band  I: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800), München 1985, S. 537 ff.; Raymond de Roover, L’évolution de la lettre de change. 14e–18e siècles, Paris 1953. 1099 Die neuere Forschung hat gezeigt, dass der ex officio-Grundsatz, vor allem in handelsrechtlichen Fragen, häufig auch auf das Partikularrecht ausgedehnt wurde: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 626 ff.; zur handelsrechtlichen Anwendung, siehe vor allem: Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 425 f.

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keit darauf erstreckte.1100 In tatsächlicher Hinsicht stützten sie ihre Entscheidungen allerdings ganz häufig auf zahlreiche Wechselordnungen und bezeichneten diese dann als alle „Wechselrechte“ oder sprachen sogar von Wechselrecht im Singular. Mehrfach zogen die Handlungsvorsteher die einschlägige Ordnung heran, bekräftigten deren Regelungen aber noch durch hinzugezogene auswärtige Wechselordnungen. Hier fand durch die Heranziehung verschiedener Wechselordnungen tatsächlich ein Rechtstransfer statt, den die Kaufleute selbst nicht als Transfer auffassten. Das geschriebene Recht nahmen sie vielmehr in seiner Gesamtheit als Wechselrecht wahr, auf das man sich stützen konnte. Gab es jedoch spezielle einschlägige Vorschriften, wurde hier fein säuberlich getrennt. Dann galten die fremden Wechselordnungen als „Wechselrecht“ nur subsidiär, lokales Recht hatte Vorrang. Die Deputierten hielten das Potpourri an Wechselordnungen und Wechselbräuchen für ein Füllhorn des Wechselrechts, für ein überörtlich geltendes, aber nachrangiges Recht. Es drängt sich die Frage auf, ob die Kaufleute das von ihnen überörtlich angewandte Wechselrecht als eine Art lex mercatoria des Wechselrechts betrachteten. Immerhin waren die Verfechter eines universell geltenden Handelsrechts, einer lex mercatoria, im 18. Jahrhundert stark vertreten.1101 Den Begriff selbst verwandten die Börsenvorsteher niemals. Dennoch zogen sie sowohl schriftlich fixiertes Wechselrecht als auch ungeschriebene Wechselbräuche völlig selbstverständlich heran und betrachten das Wechselrecht, ähnlich Lord Mansfield, der das Seerecht als „General Law of Nations“ ansah1102, als überörtliches und überzeitliches Recht. In tatsächlicher Hinsicht fand hier jedoch ein Rechtstransfer auf verschiedenen Ebenen statt. Der von den Kaufleuten empfundenen Wahrnehmung, die unterschiedlichen Wechselordnungen stellten ein Füllhorn des Wechselrechts dar, lag in Wahrheit ein sukzessiver Rechtstransfer zugrunde. Dabei bemühten sich die Kaufleute kontinuierlich zugunsten der Rechtssicherheit um eine Rechtsvereinheitlichung, die sie vor allem durch ihre Gutachtensammlungen erzielten.

III. Rechtsfortbildung Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Pareres normative Kraft hatten. Zeitlich fällt das verstärkte Aufkommen der Pareres in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Ein über Deutschland hinausgehendes Bestreben, Handels1100 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204. 1101 Siehe zur Instrumentalisierung des Begriffs lex mercatoria ab dem 17. Jahrhundert und den Entscheidungen Lord Mansfields im 18. Jahrhundert: Albrecht Cordes, Auf der Suche nach der Rechtswirklichkeit der mittelalterlichen Lex mercatoria, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 118, 2001, S. 176; Cordes 2016 (wie Anm. 892), Sp. 891. 1102 James Burrow, Reports of Cases Adjudged in the Court of King’s Bench. Since the Time of Lord Mansfield’s Coming to Preside in It, 2. Band, London 1766, S. 887; Cordes 2001 (wie Anm. 1101), S. 170.

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Rechtsfortbildung

freiheit vereint mit Rechtssicherheit zu erzeugen, lässt sich feststellen. So intendierte Marquard mit seinem berühmten Tractatus politico-juridicus de Iure mercatorum et commerciorum singulari auch den Aufschwung des Handels nach dem Krieg durch das Wiederaufleben handelsrechtlicher Privilegien.1103 Aber auch Savary leitete die Erstauflage seines später europaweit verbreiteten Parfait Négociant mit einer negativen Beschreibung der Wirtschaftslage ein. Darauf folgte die Feststellung, der König fordere ein Handelsgesetzbuch, um die im Handel bestehenden Missbräuche zu unterbinden.1104 Ob sich hierbei wirklich das Handelsrecht vom Handel löste und verrechtlicht wurde, wie Lammel konstatiert1105, erscheint fraglich. Sowohl die Äußerung Marquards 1662 als auch die Savarys 1675 lassen eher vermuten, dass der Handel tatsächlich ein Bedürfnis nach mehr Regulierung hatte. So waren nicht nur die Handelswege raumumspannender geworden, auch die Rechtsprobleme nahmen durch die Weiterentwicklung des Wechsels an Komplexität zu. Diese Zusammenhänge lassen vermuten, dass die unstreitig deutlich umfangreichere Frankfurter Wechselordnung von 1739 kein „Paradoxon“ ist1106, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung des Wechselrechts darstellt. So fußen die Änderungen und Erweiterungen der Frankfurter Wechselordnung von 1666/1676 an einigen Stellen auf den von den Deputierten erteilten Pareres. Anhaltspunkte für den rechtsfortbildenden Charakter der kaufmännischen Gutachten ergeben sich sowohl aus den Pareres selbst als auch aus Wechselordnungen und zeitgenössischer wechselrechtlicher Literatur. 1. Begriff Unter Rechtsfortbildung wird die Fortbildung, Weiterentwicklung oder Ausdifferenzierung bestehenden Rechts verstanden. Mit dieser Begrifflichkeit soll lediglich der normbildende Charakter der Pareres erfasst werden. Eine Stellungnahme zur uneinheitlichen Terminologie des Begriffs „Rechtsfortbildung“ im Sinne der juristischen Methodenlehre erfolgt indes nicht.1107 Zahlreiche Indizien weisen darauf hin, dass Pareres rechtsfortbildend gewirkt haben. Nicht nur der direkte Vergleich einzelner wechselrechtlicher Vorschriften vor und nach Abfassung der Pareres intendiert das. Auch die äußeren Umstände lassen darauf schließen. 1103 Heinz Mohnhaupt, „Jura mercatorum“ durch Privilegien. Zur Entwicklung des Handelsrechts bei Johann Marquard (1610–1668), in: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht. Gesammelte Aufsätze (IUS COMMUNE, Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 134). Frankfurt a. M. 2000, S. 364. 1104 Kadens 2008 (wie Anm. 892), S. 268 f. 1105 Lammel 1993 (wie Anm. 217), S. 111. 1106 So zumindest die Einschätzung von Lammel 1993 (wie Anm. 217), S. 111. 1107 Siehe zur vielfältigen Terminologie und dem Problem, „Rechtsfortbildung“ zu definieren: Christian Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, Tübingen 2007, S. 34 ff.

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Funktion der Pareres

2. Rechtsfortbildung durch Pareressammlungen und Pareres in der ökonomischen Literatur Die bereits im Kapitel zum Rechtstransfer angesprochenen Pareressammlungen sind vergleichbar mit den Gutachtensammlungen der Juristenfakultäten, die als Entscheidungsliteratur gedruckt wurden.1108 Genau wie diese dürften auch die Pareressammlungen rechtsfortbildend gewirkt haben, da in ihnen regelmäßig die Entscheidungsgründe bekannt gegeben wurden. Damit übernahmen sie in dieser Hinsicht die Funktion eines Höchstgerichtes. Anders als die heutigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes veröffentlichte das Reichskammergericht seine Urteilsbegründungen nicht.1109 Diese Lücke dürfte zumindest für das Wechselrecht und weitere Bereiche des Handelsrechts durch die Publikation der Pareres geschlossen worden sein. Dass diese Sammlungen auch in der Praxis verwendet wurden, lässt sich aus zahlreichen Frankfurter Pareres schließen, in denen ein Rückgriff auf die Sammlungen Siegels oder Königs erfolgte. Aber auch Gerichte zogen, wie anhand einiger im Kapitel zum Rechtstransfer erläuterter Beispiele gezeigt wurde, Pareres unterschiedlichster Städte heran. Hinzu kommt, dass auch der in Frankfurt noch vorhandene Bestand der Pareres als Sammlung angelegt ist.1110 Hier sollte offenbar die Möglichkeit bestehen, auf ein Nachschlagewerk zurückgreifen zu können. Pareres wirkten vor allem dann rechtsfortbildend, wenn das geschriebene Recht, insbesondere die Wechselordnungen, keine Lösung aufzeigte.1111 Biener zufolge lag hierin sogar die Hauptfunktion der Pareres: „Ihr Hauptwert [Anm. d. Verf.: gemeint sind die Pareres] beruht auf dem Satze, quod stylus mercatorum jus facit, der in den Genueser Decisionen oft vorkommt“.1112 Den Begriff des stylus mercatorum verwendete auch Johann Marquard in seinem Traktat zum Handelsrecht.1113 Er betrachtete den stylus mercatorum als Möglichkeit, zur Entscheidungsfindung kaufmännische Gewohnheiten hinzuziehen, die die gleiche Wirkung wie geschriebenes Recht hätten. Ihm zufolge konnten diese allegiert werden: „Et stylum mercatorum posse allegari ad decisiones causarum“. Als Tatsache waren sie beweisbedürftig: „Stylus autem & haec consuetudo mercatorum cum sit facti, pro-

1108 Oestmann 2008 (wie Anm. 59), Sp. 130 f. 1109 Heinrich Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands. Charakteristik und Bibliographie der Rechtsprechungs- und Konsiliensammlung vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (IUS COMMUNE: Sonderhefte. Texte und Monographien 3), Frankfurt a. M. 1974, S. 25. 1110 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054 . 1111 Vgl. hierzu Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 47. 1112 Biener 1859 (wie Anm. 35), Abh. IV, § 9, S. 428. 1113 Zu Marquard und seinem Werk, vgl.: Karl Otto Scherner, Zum Sonderrecht der Kaufleute bei Johann Marquard, in: Hans-Peter Haferkamp / ​Tilman Repgen (Hrsg.), Usus modernus pandectarum. Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der Frühen Neuzeit. Klaus Luig zum 70. Geburtstag, Köln 2007.

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batione indiget“.1114 Die Formulierungen „posse allegari“ und „consuetudo sit facti, probatione indiget“ sind übrigens eine weitere Bestätigung, dass die Pareres als Beweismittel dienten, um Gewohnheitsrecht zu allegieren. Eine rechtsfortbildende Kraft handelsrechtlichen Gewohnheitsrechts konstatierte Marquard in seinem Kapitel über die Judiciis & Curiis Mercatorum. Er ging zwar nicht explizit auf Pareres ein1115, erörterte aber die judizielle Behandlung kaufmännischen Gewohnheitsrechts durch kaufmännische Kollegien, die hoheitlich, z. B. durch einen Fürsten oder Magistrat, bestätigt waren. Diesen sprach er nicht nur die Möglichkeit der Entscheidungsfindung, sondern sogar eine Rechtsetzungsbefugnis auf dem Gebiet des ius mercatorum zu: „Collegia Mercatorum approbata, singulares leges, consuetudines, ordinationes & statuta specialia & singularia […] condere“.1116 Die Kollegien hätten entsprechend den zwischen Kaufleuten herrschenden Gewohnheiten zu judizieren und in heiklen Fällen dem Gewohnheitsrecht des Ortes den Vorrang gegenüber dem ius commune oder der Natur des Vertrages einzuräumen: „multas spinosas mercaturae Cambiorum […] non tam ex regulis juris communis, aut natura contractus, aut etiam alterius cujusque curiae stylo & consuetudine, quam observantia istius loci, in quo lis movetur“.1117 Wenn diese Entscheidung des Kollegiums nun im nächsten Schritt mittels des stylus mercatorum in kaufmännischen Streitigkeiten herangezogen werden konnte, ist zumindest für Pareres, die durch ein anerkanntes Gremium von Kaufleuten erbracht wurden, eine rechtsfortbildende Wirkung indiziert. Die rechtsfortbildende Funktion der Pareres hängt eng mit der wissenschaftlichen Bearbeitung des Wechselrechts zusammen. In dem Maße, in dem gesetzliche Normierungen fehlten, stieg die Bedeutung der wissenschaftlichen Bearbeitung des Wechselrechts, die in ihren Darstellungen auch auf Pareres zurückgriffen. Neben Siegel und König, die sich in ihren wechselrechtlichen Arbeiten permanent auf Pareres bezogen und diese jeweils als Appendix ihrer Werke abdruckten, sei an Savary erinnert. So regelte die Ordonnance de Commerce nur wenig Wechselrecht. Die ökonomische Literatur, allen voran Savary, fing dies auf und stützte sich hierfür auf Pareres.1118 Die vorhandenen Regelungslücken der Ordonnance de Commerce begründeten aus 1114 1115 1116 1117 1118

Marquard 1662 (wie Anm. 31), Lib. III, Cap. II, n. 7 f. Er erwähnte sie allerdings später: Marquard 1662 (wie Anm. 31), Lib. III, Cap. VI, n. ­52–54. Marquard 1662 (wie Anm. 31), Lib. III, Cap. II, n. 1. Marquard 1662 (wie Anm. 31), Lib. III, Cap. II, n. 4. Scherner 1977 (wie Anm. 891), S. 919. Savary selbst berichtete von einem Fall zur Festlegung der Protestzeit. Offenbar war es wiederholt ein Problem vor französischen Gerichten gewesen, dass Wechsel auch noch Jahre nach der Verfallzeit protestiert wurden. Um Rechtssicherheit zu schaffen, beriefen Richter und Konsule des Pariser Handelsgerichts angesehene Kaufleute und Bankiers, um mit ihnen eine praktikable Lösung zu finden. Dieses Gremium entwickelte Regelungen zur Protesterhebung und legte diese dem Parlement de Paris vor, welches auf Basis dessen ein Gesetz entwarf, das 1664 schließlich vom König ratifiziert wurde und in Kraft trat: Jacques Savary, Le parfait négociant, ou instruction générale pour ce qui regarde le commerce de toute forte des marchandises, tant de France, que des Pays Etrangers, Paris 1675, S. 160 f.; Kadens 2008 (wie Anm. 892), S. 274.

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Sicht Edouard Richards sogar das „goldene Zeitalter“ der Pareres: „L’insuffisance ­criante du texte de Colbert devait inaugurer ce que l’on pourrait appeler l’âge d’or des parères.“1119 Ein weiterer Nachweis für eine rechtsfortbildende Funktion ergibt sich aus der russischen Wechselordnung aus dem Jahr 1729. Sie sah für streitige Wechselfälle, die nicht mittels der Wechselordnung gelöst werden konnten, die Beauftragung eines Commerciencollegiums vor, welches innerhalb von acht Tagen ein Gutachten zu erstellen hatte. Das Gutachten sollte einen Vorschlag enthalten, wie die Rechtslücken in der Wechselordnung, die im konkreten Fall keine Lösung bot, zu schließen seien. Der Streit sollte bis zur Nachbesserung der Verordnung ausgesetzt und dann auf der neuen Gesetzesgrundlage vom Gericht entschieden werden.1120 Ein ähnliches Phänomen lässt sich für die Lösung handelsrechtlicher Konflikte auf Malta feststellen. Sofern keine materiellrechtlichen Vorschriften vorhanden waren, sollten Gutachten bei Kapitänen und Kaufleuten eingeholt werden.1121 3. Mitwirkung des Handelsstandes an Wechselordnungen Des Weiteren sei an die Wechselordnungen erinnert, an deren Entstehung die Kaufleute maßgeblich Anteil hatten.1122 So hatten die Leipziger Großhändler 1681 das Fehlen einer Wechselordnung beanstandet und einen 41 Punkte umfassenden Entwurf für eine Handelsgerichtsordnung zusammen mit ihrer Forderung auf Einrichtung eines Handelsgerichts eingereicht.1123 Die Breslauer Wechselordnung von 1712 entwarfen die Kaufmannsältesten, die auch Pareres erteilten. Sie erlangte 1738 für ganz Schlesien Geltung.1124 Die „neu revidirte Banco-Ordnung“ der Stadt Nürnberg vom 26. August 1721 war laut anhängendem Dekret auf Grundlage kaufmännischer Einschätzung angepasst worden: „nach der Handels-Leute erstatteten Gutachten eingerichtete Wechsel-Ordnung“.1125 Ebenso flossen in die 1778 überarbeitete Augsburger Wechselordnung aus dem Jahr 1716

1119 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 176. 1120 § XL Russische Wechselordnung vom 16. Mai 1729 (deutsche Übersetzung der Wechselordnung aus dem Jahr 1741), abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 92), S. 15–43, S. 27 f. 1121 Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 981. 1122 Vgl. auch zur Mitwirkung der Kaufleute im 19. Jahrhundert den Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Stadt Frankfurt am Main durch die Handelskammer Frankfurt am Main im Jahr 1811, eingehend untersucht von: Melanie Döge, Der Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Stadt Frankfurt am Main von 1811, Band I: Entstehen, Inhalt und Wirkung, Heidelberg 2016. 1123 Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 138 ff. 1124 Wendt 1924 (wie Anm. 341), S. 339. 1125 Nürnberger Wechselordnung vom 26. August 1721, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 64–72, S. 72. Von der rechtsbildenden Funktion der Nürnberger Pareres be­ richtete auch: Liebstädter 1922 (wie Anm. 1053), S. 18.

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Rechtsausführungen der Kaufleute ein: „die im Jahre 1716 bekannt gemachte hiesige Wechselordnung, aufs neue zur Einsicht und Revision zu nehmen, und mit Zuziehung und nach erstattetem Gutachten der in Handel und Wechselsachen wohlerfahrnen Personen und Negocianten, deutlicher zu bestimmen, auszuführen“.1126 In Frankreich beeinflussten die Pareres stark die Rechtsprechung der französischen Handelskammern, bis sie nach der Kodifikation von 1807 an Bedeutung abnahmen.1127 Aber für die Entwicklung der Rechtswissenschaft und der Gesetzgebung konstatiert Richard bis dahin ebenfalls einen rechtsfortbildenden Charakter der ­Pareres: „En amont de ces lois, et donc fatalement et  a fortiori dans le silence de ­celles-ci, se trouvaient donc nos usages et, par extension nos parères“.1128 Auch in Frankfurt waren die Kaufleute maßgeblich an der Entstehung der Wechselordnung von 1739 beteiligt. a) Historischer Hintergrund zur Entstehung der Frankfurter Wechselordnung von 17391129 Die Zeit zwischen der revidierten Wechselordnung von 1676 und der umfangreichen Verordnung von 1739 ist geprägt von den Beschwerden der Kaufmannschaft und dem Versuch des Rates, eine für die Kaufleute konforme Wechselordnung zu schaffen. Die vom Rat in der Einleitung zur Erneuerten und vermehrten Ordnung in Wechsel= und andern Handlungsgeschäften der freyen Reichsstadt Frankfurt am Mayn angeführten „Mißbräuche und Unordnungen“ sollten durch die Ordnung unterbunden werden. Vielmehr diente die neue Wechselordnung „zur Beförderung, und zum Flor und Aufnahm der gemeinen, insonderheit auch der Wechselhandlung“.1130 Erste Monita hatten „Sämmtliche Kaufleute“ bereits 1712 eingereicht und mit Magistratsdeputierten beraten. Die protokollierten Beratungen übergab der Rat zur nochmaligen Aussprache an die Kaufleute.1131 Am 3. Oktober 1715 folgten erneut Beschwerdepunkte der Kaufmannschaft, in denen sie vielfach Werke Marpergers 1126 Einleitung der Augsburger Wechselordnung vom 1.12.1778, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 155–174, S. 155. 1127 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 190 ff. 1128 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 200. 1129 Der Verlauf der zur Entstehung der Wechselordnung führte, kann hier nur grob skizziert werden. Tiefergehende Untersuchungen existieren bislang nicht, wenngleich die Entstehungsgeschichte der Wechselordnung von 1739 ein interessantes Forschungsdesiderat darstellen dürfte. Aus diesem Grund sind auch die einzelnen Monita, die in den Verhandlungen so zahlreich seitens der Kaufmannschaft vorgebracht wurden, nicht analysiert worden. Dies muss der weiteren Forschung vorbehalten bleiben. 1130 Frankfurter Wechselordnung vom 26.5.1739, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 8–22 (8). 1131 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 64. Diese Information entstammt einer Archivalie, die offenbar nicht mehr existiert. Die im Folgenden herangezogene Archivalie weist als erstes Dokument die Monita der Kaufleute vom 3. Oktober 1715 auf.

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zitierten.1132 Am 19. Oktober 1715 beschäftigte sich eine Deputation aus Schöffen und Kaufleuten mit den Monita.1133 Es folgten zahlreiche „Remarques“ des Rates und „Monita“ der Kaufleute, bei denen nicht klar ist, wer sie im Einzelnen verfasst hat. Vermutlich aber vertrat die eingesetzte Deputation die Kaufmannschaft im Ganzen.1134 Zwischenzeitlich erfolgte wohl am 20. November 1716 ein Beschluss des Schöffenrates, noch die Warenhändler und Krämer zu befragen.1135 Die Verhandlungen zogen sich in die Länge.1136 Es folgte ein undatierter 42 Seiten starker Entwurf Des Heil=Reichs-Statt Franckfurt am Mayn Erneuerte und vermehrte Ordnung in Wechsel= und Handlungsgeschäfften sowie 1723 eine weitere Fassung unter dem Namen Des Heil=Reichs-Statt Franckfurt am Mayn Erneuerte und vermehrte Ordnung in Wechsel= und Kaufmannsgeschäfften.1137 An diese nicht publizierte Ordnung von 1723 schlossen sich undatiert und ohne Hinweis auf den Verfasser „ohntertänigste Gedanken über das Project der vermehrten Wechselordnung“ an. Erst am 17. Januar 1739 erfolgte eine erneute Stellungnahme der „Deputirten und Vorsteher der allhiesigen Kauffmannschafft“. Es unterschrieben im Namen der Deputierten und Kaufmannschaft Abraham von der Lahr, Johann Gerhard und ­Johann Carl Münch1138 sowie Johann Matthias Bansa. Alle Unterzeichner waren zu diesem Zeitpunkt Börsenvorsteher. Am 23. Januar 1739 folgte eine umfangreiche Stellungnahme der Börsenvorsteher, die von allen acht Deputierten unterzeichnet wurde.1139 Die einleitenden Worte der Stellungnahme zeichnen sehr gut die Einwirkung des Kaufmannsstandes auf die Wechselordnung nach: „So viel werden Ew. Hochedlen gestrengen und Herrl. bei Verlesung dieses Projects leicht wahrnehmen, daß, da dasselbe aus verschiedenen monitis unserer Vorfahren zusammengeschrieben worden“.1140 Tatsächlich übernahm die Ratsdeputation die meisten Wünsche der 1132 ISG Frankfurt am Main, Gesetze 35 III, ohne fol. 1133 Die Kaufleute waren vertreten durch Johann du Fay, David de Neufville, Gerhard Münch, Jacob von der Bergen, von Uchelen jun., Remi Barthels, de Boulle jun. und Adami. 1134 ISG Frankfurt am Main, Gesetze 35 III, ohne fol. 1135 Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 64 f. Dieser Beschluss lässt sich in Gesetze 35 III nicht finden. 1136 Die im Frankfurter Verfassungsstreit eingesetzte Kommission forderte in ihrer Relation ebenfalls vehement den Erlass der von der Kaufmannschaft bereits vielfach angeforderten erneuerten Wechselordnung, siehe: Hohenemser 1920 (wie Anm. 123), S. 208. 1137 ISG Frankfurt am Main, Gesetze 35 III, ohne fol. Die Ordnung wurde versehen mit den Worten: „publicirt de 1723“. 1138 Dabei dürfte es sich um den Firmennamen gehandelt haben. Nur einer der Gebrüder war zu diesem Zeitpunkt Börsenvorsteher. Üblicherweise unterschrieb dieser aber regelmäßig mit dem Firmennamen. Dieses Phänomen lässt sich auch bei den Gebrüdern de Neufville beobachten. 1139 Abraham von der Lahr, Johann Gerhard und Johann Carl Münch, Johann de Bary, Henrich von Uchelen, Johann Matthias Bansa, Remy von den Bergen, David und Jacob de Neufville, Johann Peter Cramer. 1140 ISG Frankfurt am Main, Gesetze 35 III, ohne fol. Siehe hierzu auch weitere Ausführungen in: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 63.

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Rechtsfortbildung

Kaufleute mit dem Vermerk „placet monitum“, sodass der Einfluss der Kaufmannschaft hier eklatant war.1141 Eine knappe Stellungnahme der Deputierten zu den Gebühren der „Wechsel-Notarien“ ging noch am 8. April 1739 beim Rat ein.1142 Dies war die letzte Eingabe der Kaufmannschaft, bevor am 26. Mai 1739 der Magistratsbeschluss erging und am 18. Juni 1739 endlich die Erneuerte und vermehrte Ordnung in Wechsel= und andern Handlungsgeschäften der freyen Reichsstadt Frankfurt am Mayn veröffentlicht wurde. b) Die einzelnen Rechtsinstitute Die Frankfurter Kaufleute bildeten in zahlreichen Gutachten das in der Wechselordnung von 1666/76 verankerte Wechselrecht fort oder gaben Anstoß zur erstmaligen Normierung. Die durch die Pareres intendierte Normbildung bzw. Rechtsfortbildung fand ihren Niederschlag schließlich in der 1739 erlassenen neuen Wechselordnung, was anhand einzelner Rechtsinstitute exemplarisch aufgezeigt werden soll. Die Wechselfähigkeit war in der Wechselordnung von 1666/76 noch nicht normiert und nun in § 8 neu eingeführt worden.1143 Danach war jeder, der Verträge schließen konnte, grundsätzlich wechselfähig, nicht aber derjenige, der als Handwerker weniger als 2000 Gulden jährlich versteuerte, sowie Frauen, die keine Handlung betrieben. Stellten diese Personengruppen Wechsel aus, sollten diese lediglich als Schuldscheine bewertet werden. Die Kaufleute hatten zwar Frauen und Handwerker in einigen Fällen milder beurteilt, sich aber mehrfach mit dem Problem auseinandersetzen müssen, dass die Frauen die Situation ausnutzten und sich auf ihre „Rechtswohltaten“ beriefen. In gleich zwei Fällen ließen die Deputierten anklingen, dass dieses Instrument nicht missbraucht werden dürfe, und betonten darüber hinaus, dass Frauen, die ein Handelsgeschäft führten, auch vollumfänglich in Wechselgeschäften verpflichtet werden konnten.1144 Die nun erfolgte Differenzierung nach Handel treibenden Frauen bzw. in großem Umfang wirtschaftenden Handwerkern war die logische Konsequenz der bislang in den Pareres getroffenen Entscheidungen. Die neu eingeführte Wechselfähigkeit Handel treibender Frauen lässt sich direkt auf die Pareres zurückführen. 1141 Siehe hierzu auch die Ausführungen bei: Rintelen 1914 (wie Anm. 978), S. 58; Siegbert Lammel, Zur Entstehung von Handelsrecht. Die Beteiligung des Handelsstandes an der Handelsgesetzgebung in der Freien Stadt Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 22), Frankfurt a. M. 1987, S. 14. 1142 ISG Frankfurt am Main, Gesetze 35 III, ohne fol. 1143 Alle folgenden nicht näher benannten Paragraphen entstammen der Frankfurter Wechsel­ ordnung vom 26.5.1739, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 8–22. 1144 Siehe hierzu C IV. 5. Damit setzten sie die Logik der Regelung der Frankfurter Reformation 1578 (wie Anm. 18), Zweiter Teil, Titel 16, § XII fort. Danach durften sich Handelsfrauen nicht auf das Interzessionsverbot des römischrechtlichen Instituts der Authentica sic qua m ­ ulier berufen (siehe hierzu auch Amend-Traut im Erscheinen (wie Anm. 18)). Nun erfolgte die Klarstellung, dass dieses Instrument auch in Wechselgeschäften von Frauen nicht genutzt werden konnte.

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Funktion der Pareres

Ebenfalls im Zusammenhang mit der Wechselfähigkeit stand die Frage, ob ein Minderjähriger aus einem Wechsel verpflichtet werden könne. Bis zur nunmehr in § 9 der Wechselordnung erfolgten Regelung musste in Fragen der Geschäftsfähigkeit Minderjähriger auf die Frankfurter Reformation zurückgegriffen werden. Diese knüpfte die Geschäftsfähigkeit an das Alter von 25 Jahren, wonach die Minderjährigkeit endete, oder an die Eheschließung, wodurch die Geschäftsfähigkeit auch vor Erreichung der Volljährigkeit erlangt werden konnte. Der neu geschaffene § 9 normierte nun, dass grundsätzlich niemand unter 25 geschäftsfähig sei, es sei denn, er ersuchte den Frankfurter Rat um die „venia aetatis“, die zur Volljährigkeit führte. Betrieb er aber selbst ein Handelsgeschäft und gab damit vor, volljährig zu sein, so musste er sich diesen von ihm gesetzten Anschein auch zurechnen lassen und konnte aus von ihm ausgestellten Wechseln verpflichtet werden. Während die Kaufleute im Parere vom 5. Juli 1713 noch auf die Reformation zurückgreifen mussten und dadurch den seitens des Minderjährigen ausgestellten Wechsel als unwirksam erachtet hatten, war nun eine für den Handels- und Wechselverkehr praktikable Lösung gefunden worden. Obwohl die Frankfurter Wechselordnung von 1666/76 den Regress noch nicht normierte, mussten sich die Kaufleute mehrfach damit auseinandersetzen. Grundsätzlich bevorzugten die Deputierten den Reihenregress, den sie im Parere vom 5. Oktober 1723 als einschlägig erachteten.1145 Sie schlossen zwar die Anwendung des Sprungregresses nicht grundsätzlich aus, beschränkten aber in beiden Pareres, in denen sie ihn anerkannten, die Inanspruchnahme auf einen einmaligen Versuch.1146 § 38 normierte nun grundsätzlich den Reihenregress. Allerdings bot § 39 die Möglichkeit, die vorgegebene Reihenfolge außer Acht zu lassen und den mutmaßlich Solventesten, ob er nun Girant, Akzeptant oder Aussteller war, in Anspruch zu nehmen. Durch dieses Vorgehen wurde allerdings die Regressmöglichkeit auf einen einzigen Versuch begrenzt. Damit floss die bislang von den Deputierten praktizierte Handhabung des Regresses direkt in die Wechselordnung von 1739 ein. Ebenso verhielt es sich mit den Regelungen zum Konkurs eines Kommissionärs. Im Parere vom 8. Oktober 1727 hatten zwei Kommissionäre für C & Compagnie einige blanko indossierte Wechsel eingelöst. Nach dem vor Fälligkeit der Wechsel eingetretenen Konkurs der Kommissionäre meldete C & Compagnie Eigentumsansprüche auf die Wechselbriefe an. Die Börsenvorsteher entschieden, die Wechsel könnten nicht zur Konkursmasse gezogen werden, sofern C & Compagnie ihre Eigentümerstellung beweisen könnten.1147 Das Verhältnis zwischen dem Eigentum des Kommittenten und der Konkursmasse des Kommissionärs regelte nun erstmals § 52, der klarstellte, dass die Kommissionsware im Insolvenzfalle an den Kommittenten als Eigentümer zurückfalle und nicht zur Konkursmasse gehöre. Im Parere vom 20. November 1724 entschieden die Frankfurter Kaufleute, dass ein nicht protestierter Wechsel vier Wochen nach Verfallzeit den „bekannten Wechsel=​ 1145 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LX, S. 150 f. 1146 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXIX, S. 170 ff.; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXVII, S.78 ff. 1147 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXII, S. 201 ff.

Rechtsfortbildung

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Rechten“ zufolge als bezahlt gelte.1148 Diese Erfüllungsfiktion fand schließlich in § 46 Eingang: „Alle trassirte und nicht protestirte Wechselbriefe […] sollen nach Verfliessung vier Wochen, nach der Verfallzeit vor bezahlt gehalten werden“. Bereits die Fallstudie1149 hat gezeigt, dass der in die Wechselordnung von 1739 neu eingeführte § 40 inhaltlich auf das Gutachten der Frankfurter Kaufleute vom 23. November 1729 zurückging. Während die Ordnung von 1666/76 das Blankoindossament nicht normierte, mussten sich die Deputierten häufiger diesem Problem stellen.1150 Die oftmals geäußerte Meinung der Kaufleute, das Blankoindossament sei erlaubt, weil es nicht verboten sei, fand nun seinen normativen Niederschlag. Gemäß § 40 war das Blankoindossament nun grundsätzlich zulässig. Allerdings verlangte die Ordnung in diesem Fall den Nachweis einer anderweitigen Legitimation, die zur Geltendmachung der Wechselsumme berechtigte. Im Ergebnis floss damit die Entscheidung im Parere vom 23. November 1729 unmittelbar in die neue Wechselordnung von 1739 ein. Neben gänzlich neu geschaffenen Rechtsvorschriften erfolgte auch eine Rechtsfortbildung der bestehenden Wechselordnung von 1666/76 anhand der Pareres, die ihren normativen Niederschlag in der Neufassung erfuhren. Mehrfach hatten die Kaufleute Anfragen erhalten, inwiefern die Buchstaben „S. P.“ (salvo praejudicio), also die Möglichkeit, sich der Zahlungspflicht zu entziehen, Geltung hätten.1151 Stets hatten sie die Geltung der Klausel abgelehnt, da diese „nach dem heutigen Wechsel=Recht / keines wegs von dem Belang“1152 sei und sie „nach allen Wechselordnungen […] die Wirksamkeit des Akzepts nicht beeinträchtigen“1153. Mit der Neufassung des ehemaligen § 7 der Wechselordnung von 1666/76, nunmehr § 12 der aktualisierten Fassung, wurde die Unwirksamkeit in die neue Ordnung aufgenommen: „dahero auch die Buchstaben S. P. nichts gelten“. Die gleiche Norm sah eine Trennung des Wechsels vom Grundgeschäft vor: „und alle von dem Acceptanten wider des Präsentanten Willen beygefügte Conditiones pro non adjectis gehalten werden“. Nicht selten hatten Parteien versucht, sich auf die exceptio non numeratae pecuniae, aber auch auf andere Einreden zu berufen.1154 Die Kaufleute hatten dies stets für unzulässig gehalten. Die bedingungslose Zahlungsverpflichtung im Sinne des § 12 war nunmehr die logische Konsequenz. Nachdem in zwei Pareres der Aussteller nicht für den Wechsel einstehen wollte1155, bestand offenbar das Bedürfnis, die Haftung des Ausstellers zu normieren. Die Zahlungsverpflichtung des Ausstellers fand in den §§ 28 und 29 ihren Niederschlag. 1148 1149 1150 1151 1152 1153 1154 1155

E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXI, S. 176 ff. Siehe hierzu Teil C III. 4. Siehe hierzu Teil C IV. 7. b). Siehe Teil C IV. 6. E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XVIII, S. 56. ISG Frankfurt a. M. RKG Nr. 481, ohne [Q]; E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P XXI, S. 64. Siehe Teil C IV. 12. C IV. 9. d).

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Funktion der Pareres

4. Zusammenfassung Die Ende des 17. Jahrhunderts zunehmend komplexer werdende Rechtslage führte nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Leipzig1156 und Breslau zu einer seitens der Kaufleute eingeforderten Normbildung im handels- und wechselrechtlichen Bereich. Sie muss sowohl in ihrer Intention als auch in ihrer praktischen Umsetzung als Wirtschaftsfaktor im merkantilistischen System betrachtet werden. Die Beteiligung des Handelsstandes am gesetzgeberischen Akt1157, wie sie in Nürnberg, Frankfurt und Augsburg erfolgte, diente dabei der Verwirklichung der Handelsinteressen und führte zu der Besonderheit, dass mehr Regulierung für die Wirtschaft auch förderlich sein konnte. Der Vergleich der einzelnen Rechtsinstitute hat gezeigt, dass die Weiterentwicklung des Handelsrechts nicht auf einer theoretischen Ebene erfolgte, sondern in der Praxis durch verallgemeinerungsfähige Einzelfallentscheidungen.1158 Die normbildende Kraft der Pareres hat sich nicht nur anhand der einzelnen Gutachten gezeigt, sondern auch ihren unmittelbaren Niederschlag in der russischen Wechselordnung gefunden. Auch das zeitgenössische Schrifttum erkannte diese Funktion der kaufmännischen Gutachten an. Ihre rechtsfortbildende Kraft erfuhren die Pareres darüber hinaus im Rahmen des Rechtstransfers, der neben einer eigenen Normbildung der Frankfurter Kaufleute ebenfalls zur Neufassung der Frankfurter Wechselordnung 1739 beitrug. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Pareres Recht fortbildeten und unmittelbar in die merkantilistische Normgebung einflossen.1159

1156 Auf den rechtsfortbildenden Charakter der Leipziger Pareres in Zusammenhang mit der exceptio compensationis hat Schaps hingewiesen, der von einer gesetzlichen Normierung der Einrede nach Erteilung zweier Gutachten berichtet hat: Georg Schaps, Zur Geschichte des Wechselindossaments, Stuttgart 1892, S. 170 f. 1157 Die Beteiligung des Handelsstandes an der Gesetzgebung ist indes kein neues Phänomen. Immer wieder nahmen im frühneuzeitlichen Europa die Kaufleute starken Einfluss auf die Gesetzgebung. Bisweilen schrieben sie die Gesetze sogar gänzlich selbst, die einzige obrigkeitliche Beteiligung bestand noch im Erlass des Gesetzesentwurfes, vgl. hierzu Lammel, der hier vor allem Italien, Spanien und Frankreich, aber auch Dänemark und das Heilige Römische Reich deutscher Nation heranzieht: Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 583 ff. 1158 Dies hat auch Frentz für den hamburgischen Seeprozess festgestellt. Dort wurden mittels Pareres gebildete Rechtsansichten in späteren Verfahren wieder aufgegriffen: Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 163. 1159 Auch Lammel hat festgestellt, dass das kaufmännische Gewohnheitsrecht regelmäßig sukzessive geschriebenes Recht wurde: Lammel 1976 (wie Anm. 327), S. 573. Den normbildenden Charakter der Pareres hat auch Calafat konstatiert: Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 148.

Prozessvermeidung und weitere Funktionen

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IV. Prozessvermeidung und weitere Funktionen Eine weitere wichtige Funktion der Pareres war die Prozessvermeidung oder -verkürzung und schnellere Klärung der Rechtsstreitigkeit.1160 1. Prozessvermeidung und schiedsgerichtliche Funktion Die in der Brandenburg-Onolzbachischen Wechselordnung von 1739, in der Wechselordnung der Stadt Elbing aus dem Jahr 1758 sowie in der St. Gallener Wechselordnung von 1784 normierte gütliche Einigung verdeutlicht die Prozessvermeidungsfunktion. So sah Art. 4 der Brandenburg-Onolzbachischen Wechselordnung die Einholung eines Pareres vor, wenn beide Parteien sich zuvor verpflichteten, das Parere als Kompromiss anzunehmen.1161 Sowohl das Elbinger Commercienkollegium als auch das Direktorium in St. Gallen fungierten als vorprozessuale Einigungsstelle. Art. 79 der Elbinger Wechselordnung schrieb für Verfahren, in denen nicht lediglich der Zahlungsanspruch aus dem Wechsel begehrt wurde, sondern komplexere Rechtsprobleme zu lösen waren, die Erteilung eines Pareres durch das Commercienkollegium vor. Für den Fall, dass nicht beide Parteien mit dem Gutachten einverstanden waren, konnte das Verfahren schließlich vor dem Wechselgericht ausgetragen werden.1162 Nicht nur in Elbing schlug die Möglichkeit einer gütlichen Einigung mittels Pareres sogar in eine dem Prozess vorangehende Verpflichtung um. So berichtet Treitschke von mehreren Handelsplätzen, in denen zunächst Pareres eingeholt werden mussten: „Sie dienen oft als schiedsrichterliche Urtheile, insofern die Parteien darauf compromittiren, oder, wie an einigen Handlungsplätzen der Fall ist, in erster Instanz daran gewiesen sind“.1163 Ähnlich wie in Elbing verlief der Prozess in St. Gallen. Sofern sich die Parteien einig waren, ihren Konflikt vor dem Löblichen Direktorium auszutragen, erstattete dieses ein Gutachten in der Angelegenheit, das gerichtlich überprüft werden konnte.1164 Die Parteien konnten sich aber auch gemeinsam verpflichten, anstelle eines Gutachtens die Entscheidung des Direktoriums in Form eines Kompromisses anzunehmen, dem sie sich, unabhängig vom Ausgang desselben, beugen mussten.1165 Der Zugang zum Direktorium stand in kaufmännischen, insbesondere wechselrechtlichen Streitig-

1160 Wagner 1661 (wie Anm. 24), S. 42; Heydiger 1715 (wie Anm. 567), Cap.  XII, S. 116; Krünitz / ​Floerke 1807 (wie Anm. 54), S. 485; Süpke 1839 (wie Anm. 25), S. 26. 1161 Cap. IV, Art. 4 Ansbachsche Wechselordnung vom 10. September 1739, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 83), S. 107–128, S. 126. 1162 Cap. 21, Art. 79 Wechselordnung der Stadt Elbing vom 27. Januar 1758, abgedruckt in: Zimmerl 1809 (wie Anm. 79), S. 284–306, S. 302. 1163 Treitschke 1831 (wie Anm. 40), S. 53. 1164 Titel 12, § 2 der St. Gallener Wechselordnung vom 18. Juni 1784, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 73–88, S. 84. 1165 Titel 12, § 3 der St. Gallener Wechselordnung vom 18. Juni 1784, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 73–88, S. 84.

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Funktion der Pareres

keiten nicht nur Bürgern, sondern auch Fremden offen.1166 Erneut drängt sich hier die Parallele zu den Consilia auf, die ebenfalls zur Vergleichszwecken, aber auch zur Beschleunigung eines Prozesses eingesetzt wurden.1167 Neben dem schriftlich fixierten Kompromisscharakter der Pareres lassen sich auch in der Literatur des 19. Jahrhunderts Hinweise auf gütliche Einigungen mittels kaufmännischer Gutachten beobachten. Von einem Nürnberger Fall ist überliefert, dass die Parteien sich auf die Beilegung des Konfliktes mittels eines Pareres verständigt hätten: „sich unparteiischer, verständiger Kaufleute judici zu submittieren“.1168 Auf die Funktion der Prozessvermeidung wies auch Scherer in seinem Handbuch zum Wechselrecht hin: „Sie [die Pareres] vertreten unter der Kaufmannschaft gleichsam die Stelle richterlicher Aussprüche, und werden von den Kaufleuten lieber von unpartheyischen Banquiers als vom Richter erfordert, weil sie damit dem gericht­lichen Prozeß ausweichen“.1169 Auch Hermann Krause charakterisierte die Pareres in seiner Abhandlung über die geschichtliche Entwicklung des Schiedsgerichts­wesens in Deutschland als Gutachten, die oftmals die Funktion von Schiedssprüchen übernahmen.1170 Den Höhepunkt ihrer schiedsgerichtlichen Funktion erreichten die Pareres Anfang des 20. Jahrhunderts. So forderte der belgische Jurist und Professor für Völkerrecht an der Universität Löwen Edouard-Eugène François Descamps1171 auf einem internationalen Weltwirtschaftskongress des Institut de droit international im Jahre 1905 die Schaffung eines internationalen Pareres-Gerichtshofes, der klassische schiedsgerichtliche Aufgaben im supranationalen Bereich wahrnehmen könne. Als Beispiel führte er einen Konflikt im Schifffahrtsbereich an, bei dem entweder keine nationale Zuständigkeit bestehe oder der Konflikt eine gerichtliche Lösung aufgrund seines Volumens überfordern würde. In diesem Fall biete sich aus seiner Sicht ein internationaler Pareres-Gerichtshof an, der mit allgemein anerkannten Juristen besetzt sei und wie ein privates Schiedsgericht funktioniere. Dieses könne für den Streitfall bereits vorher zwischen den Parteien vertraglich verabredet werden: „Considérant que l’institution d’une Cour internationale des parères, composée de jurisconsultes d’une notoriété universelle, pourrait rendre d’éminents services […] une grande juridiction arbitrale, organisée d’une manière permanente, toujours ouverte au libre recours des parties et pouvent faire l’objet d’une clause de compétence préférentielle en vue de

1166 Titel 12, § 2 der St. Gallener Wechselordnung vom 18. Juni 1784, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 91), S. 73–88, S. 84. 1167 Falk 2006 (wie Anm. 497), S. 133 ff. 1168 Silberschmidt 1894 (wie Anm. 13), S. 97. 1169 Scherer 1800 (wie Anm. 44), S. 326. 1170 Krause 1930 (wie Anm. 58), S. 72. Frentz hingegen hat die Einstufung des Pareres als compromissum für den Seeprozess abgelehnt, da es regelmäßig nur von einer Partei angefordert worden sei, keine vollstreckungsfähige Unterwerfungsklausel gehabt habe und ihm damit die Bindungswirkung gefehlt habe: Frentz 1988 (wie Anm. 45), S. 159. 1171 Mehr zu Descamps siehe: Manfred Lachs, The Teacher in International Law. Teachings and Teaching, Den Haag 1982, S. 102 f.

Prozessvermeidung und weitere Funktionen

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litiges éventuels ou d’un choix particulier en cas de litige survenu“.1172 Im Ergebnis setzt er sich mit seiner Forderung zwar nicht durch1173, allerdings zeigt sich an dieser Äußerung, dass die Pareres klassischerweise im grenzüberschreitenden Konflikt sehr hilfreich sein konnten. Das Frankfurter Parere vom 19. Dezember 1719 lässt ebenfalls vermuten, dass im konkreten Fall die Hauptaufgabe in der Prozessvermeidung bestanden hat. So sollten die Frankfurter Kaufleute in einer streitigen Wechselsache zwischen einem Frankfurter und einem Augsburger Kaufmann zu einem anderen bereits erteilten Parere Stellung nehmen und ihre Übereinstimmung oder ihren Widerspruch unter das zuvor erteilte Gutachten setzen. Streitig war, ob der in Frankfurt ausgegebene und auf Wien zahlbar gestellte Wechsel nach Frankfurter oder Wiener Wechselrecht zu beurteilen war. In beiden Pareres sprachen sich die Gutachter schließlich für die Anwendung der Wiener Wechselordnung aus.1174 Aufgrund der Quellenlage ist der Ausgang des Rechtsstreits leider unbekannt. Dennoch lässt sich vermuten, dass zwei übereinstimmende Pareres die unterlegene Partei davon abgehalten haben sollten, ihre Ansprüche weiter zu verfolgen. Des Weiteren dienten die Gutachten der Abschätzung der Erfolgsaussichten einer Klage und konnten somit eine Kostenersparnis bedeuten.1175 Die Funktion der Prozessvermeidung spricht auch Edouard Richard den Pareres zu. Er geht davon aus, dass eine potenziell unterliegende Partei in dem Moment, in dem sie ein für ihre Ansprüche ungünstiges Parere seitens der Handelskammer mitgeteilt bekam, jegliches Interesse verloren haben dürfte, den Rechtsstreit fortzusetzen.1176 2. Beschleunigungsfunktion Die Einholung eines kaufmännischen Gutachtens konnte den Prozess auch verkürzen bzw. beschleunigen. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der russischen Wechselordnung. Gem. § XL musste das Commerciencollegium sein Gutachten innerhalb von acht Tagen erstellen.1177 Dies dürfte eine erhebliche Prozessverkürzung gewesen sein.

1172 Descamps hielt den Vortrag in der Sektion V (Expansion civilsatrice vers les pays neufs) auf dem Congrès international d’expansion économique mondial vom 24. bis 28. September 1905 in Mons; publiziert in: Edouard Eugène François Descamps, De l’instiution d’une cour des parères. Appropriée au mouvement mondial des affaires, in: Bulletin de la Chambre de Commerce de Paris Jg. 13, Nr. 15–18, 05. Mai 1906, S. 409. 1173 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 180. 1174 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P V, S. 25. 1175 Krünitz / ​Floerke 1807 (wie Anm. 54), S. 485; Ebert-Weidenfeller 1992 (wie Anm. 369), S. 277. 1176 Richard 2013 (wie Anm. 24), S. 178. 1177 § XL Russische Wechselordnung vom 16. Mai 1729 (deutsche Übersetzung der Wechselordnung aus dem Jahr 1741), abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 92), S. 15–43, S. 27 f.

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Funktion der Pareres

Der Aspekt überlanger Verfahrensdauer wird auch an anderen Beispielen deutlich. Bereits die Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankfurt eingesetzten Kompromissarien dienten einer Beschleunigung, indem sie die Anrufung des Schöffengerichts und damit weitläufige Prozesse vermieden.1178 1681 beanstandeten die Leipziger Großhändler das Fehlen handelsrechtlicher Regelungen und eines Handelsgerichts, welches handelsrechtliche Ansprüche effektiv umsetzen konnte. So führten beispielsweise Konkursverfahren vor dem Leipziger Stadtgericht zu langwierigen Prozessen, die für alle beteiligten Kaufleute existenzbedrohend sein konnten.1179 Auch Art. 35 der Magdeburger Wechselordnung aus dem Jahr 1703 trug dem Aspekt der Verfahrensbeschleunigung Rechnung. Dort sollten in Wechsel- und Handelssachen die Streitparteien den Konflikt entweder umgehend durch einen Kompromiss beilegen oder „zu Verhütung aller Weitläufigkeit, unpartheyische Kaufleute zu Kommissarien“ wählen.1180 Im hamburgischen Admiralitätsprozess wurde 1711 schließlich die Aktenversendung verboten, da sie zu lange dauerte, die Pareres wurden hingegen als Urkundenbeweis vor dem Admiralitätsgericht zugelassen.1181 3. Andere Beweggründe Neben primär wirtschaftlichen Aspekten könnten auch andere Beweggründe, die mittelbar ebenfalls wirtschaftliche Auswirkungen hatten, für die Heranziehung kaufmännischer Gutachten ausschlaggebend gewesen sein. War es sicherlich häufig allein wegen des „guten Rufs“ des Kaufmannes nicht opportun, ein Gericht in Anspruch zu nehmen1182, könnten auch konfessionelle Ressentiments die Kaufleute von der Inanspruchnahme der örtlichen Gerichtsstruktur abgehalten haben. Immerhin entwickelte sich die Institution der Börsenvorsteher gerade in dem Moment, in welchem der Frankfurter Rat ausschließlich mit Lutheranern besetzt war. Sowohl Katholiken als auch Reformierte waren somit vor dem Schöffengericht nicht vertreten. Die Deputierten selbst waren zwar auch lutherischen Glaubens, jedoch immer paritätisch besetzt; wahrscheinlich ein Kompromiss, um sowohl bei der Kaufmannschaft als auch im Rat Anerkennung zu erzielen. Sobald Entscheidungen

1178 Vergleiche den Bericht Vogts: „In der Kays. Freyen Reichs Wahl- und Handel Statt Franckfurt am Mayn / haben die Herrn Handelsleute zwar keinen absonderlichen Magistrat […] bemühen sich aber indessen nicht wenig untereinander selbsten / solchen in der Enge absque strepitu judicii, und ohne sonderbaare Bemühung eines Wohl-Edlen: Hoch-Weisen Raths / […] ihre abhelfliche Maaß zu geben“, Vogt 1670 (wie Anm. 141), S. 206 f. 1179 Beachy 1999 (wie Anm. 357), S. 139. 1180 Art. 35 der Magdeburger Wechselordnung vom 25.4.1703, abgedruckt in: Zimmerl 1813 (wie Anm. 662), S. 2–11, S. 8. Allgemein zum Bedürfnis nach Prozessbeschleunigung im 18. Jahrhundert, siehe: Sellert 1990 (wie Anm. 907), Sp. 38. 1181 Frentz 1985 (wie Anm. 333), S. 104. 1182 So auch im Fall ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 215, 21.5.1730. Mehr dazu, siehe: Breustedt 2015 (wie Anm. 26), S. 266 f.

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religiöser Natur im Raum standen, äußerten sich die Deputierten häufig auch getrennt voneinander. Diese Konstellation lässt die Vermutung zu, dass konfessionelle Aspekte auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen nicht nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.1183

1183 Siehe für die engen Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Konfession auch: Breustedt 2017 (wie Anm. 120).

E Ergebnis Das in der Einleitung geschilderte Erkenntnisinteresse lässt sich im Kern auf drei Leitfragen reduzieren. Was waren Pareres, welche Funktion hatten sie und warum kamen sie auf? Mit Aufkommen des Wechsels überschritten Rechtsprobleme politische Grenzen sowie Rechts- und Gerichtslandschaften. Für Frankfurt lässt sich zeitgleich zum Aufkommen des Wechsels ein Rückzug der Kaufleute aus dem Rat konstatieren. Demnach war die kaufmännische Expertise im Rat und damit auch im Schöffengericht in dem Moment am geringsten, als sie am wichtigsten war. Die zu diesem Zeitpunkt nun in größerer Zahl im Rat vertretenen studierten Juristen waren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht im Wechselrecht geschult. Auch in anderen Rechtsräumen stieg parallel zur Etablierung des Wechsels das Bedürfnis nach kaufmännischer Expertise im Umgang mit Rechtsstreitigkeiten. Während die Landesherren auf dieses Phänomen verstärkt mit der Einrichtung von Kommerzienkammern oder ähnlichen Institutionen reagierten, etablierten sich sowohl in den Reichsstädten als auch in den Städten der Schweizer Eidgenossenschaft Kaufmannsvertretungen, die Pareres erstatteten. Nicht zu vernachlässigen ist der wirtschaftliche Faktor, der einer Einholung kaufmännischer Rechtsgutachten zugrunde liegen konnte. Häufig war das Untergericht in Form des Schöffengerichts personell deckungsgleich mit den politisch Verantwortlichen, den Ratsherren. Die Möglichkeit, Pareres vor Gericht zu verwenden und damit die vorhandene Gerichtsstruktur zu optimieren, konnte zu einer Stärkung des Handelsplatzes führen. Eine Konfliktlösung vor Ort war im Interesse der politisch Verantwortlichen und damit des Untergerichts. Institutionelle Schwierigkeiten sollten nicht zu einer Verlagerung des Handels führen.1184 Dieses Phänomen lässt sich als typisch merkantilistisch bewerten. Die gleiche Vorgehensweise ist bei der Etablierung von Messegerichten, wie sie beispielsweise in Braunschweig und Kassel errichtet wurden, zu erkennen. Auch in Genua gab es einen Magistrat, der sowohl die Messeregeln überwachte als auch in erster Instanz Recht sprach.1185 Damit war insgesamt auch eine bessere Kontrolle, eine weitere Ausprägung merkantilistischer Wirtschaftspolitik, möglich.1186

1184 Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 153. 1185 Felloni 1991 (wie Anm. 4), S. 20. 1186 Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 153.

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Ergebnis

I. Definition des Begriffs Parere Der Untersuchung ist die zeitgenössische Definition des Begriffs Parere als Arbeitshypothese zugrunde gelegt worden. Danach war ein Parere ein Gutachten „verständiger Kaufleute“, welches kaufmännisches Gewohnheitsrecht, factum mercantile, darlegte. Insofern war es als Beweismittel zu qualifizieren. Die Auswertung sowohl der Frankfurter als auch auswärtiger Gutachten hat gezeigt, dass die Pareres tatsächlich sehr häufig, allerdings nicht ausschließlich Gewohnheitsrecht darlegten. Mit zunehmender Verschriftlichung des Wechselrechts häuften sich auch Gutachten, in denen sich die Kaufleute auf unterschiedliche Wechselordnungen, also geschriebenes Recht stützten. Sofern wechselrechtliche Normen vorhanden waren, zogen die Frankfurter Kaufleute sie heran und legten sie auch aus, es sei denn, eine ungeschriebene, lokale Rechtsgewohnheit stand der geschriebenen Norm entgegen. Den größeren Teil ihrer Entscheidungen stützten die Kaufleute jedoch auf Gewohnheiten (consuetudines) und Bräuche (Usancen), welche sie als „Wechselstil“ oder „Wechselbrauch“ bezeichneten. Das kaufmännische Gewohnheitsrecht war aus Sicht der Handlungsvorsteher die Grundlage des geschriebenen Rechts. Damit standen sie im Einklang mit der Rota von Genua, die in ihren Decisiones Formulierungen wie „mercatorum observantia facit ius“ und „consuetudo inter mercatores facit ius“ verwendete.1187 Für die vor Gericht verhandelten Fälle stellt sich die Frage, ob durch die Erstattung der Gutachten eine ungeschriebene Rechtsgewohnheit angewandt wurde und ob diese dann allegiert und / ​oder bewiesen werden musste. Nach Wiegand mussten andere Rechtsquellen als schriftliches Recht von den Parteien allegiert werden, da sie als ungeschriebenes Recht nicht vom Gericht gekannt wurden – iura novit curia – und somit dem Tatsachenbeweis unterfielen.1188 Die Beweispflicht entfiel nur bei notorischen, also gerichtsbekannten consuetudines. Hier war allerdings Wiegand zufolge streitig, ob diese allegiert werden mussten.1189 Die in zahlreichen Fällen erfolgte Einholung der Pareres seitens der Untergerichte hat jedoch gezeigt, dass die Gerichte lokale Rechtsgewohnheiten nicht nur beachteten, wenn sie von den Parteien vorgebracht wurden, sondern diese offenbar auch von Amts wegen ermittelten.1190 Das Parere floss zwar fast immer im untergerichtlichen Verfahren in den Prozess ein. Dennoch stützte sich

1187 Vito Piergiovanni, Genoese Civil Rota and mercantile customary law, in: Vito Piergiovanni (Hrsg.), From Lex Mercatoria to Commercial Law (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History = Vergleichende Untersuchungen zur kontinentaleuropäischen und anglo-amerikanischen Rechtsgeschichte 24), Berlin 2005, S. 195. 1188 Wiegand 1977 (wie Anm. 74), S. 93 ff. 1189 Wiegand 1977 (wie Anm. 74), S. 103 ff., S. 148 ff. 1190 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der bereits aufgekommenen Kritik an Wiegands These, Statutarrecht sei nie ex officio ermittelt worden, vgl. näher zu dieser Thematik: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 10 f.; Amend-Traut 2009 (wie Anm. 4), S. 425.

Definition des Begriffs Parere

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auch das Reichskammergericht auf die vorinstanzlich eingeholten Gutachten.1191 Die seitens der Gerichte eingeholten Gutachten zeigen, dass Wechselbräuche nicht zwingend von den Parteien allegiert werden mussten. Über die Beweisbedürftigkeit ist indes damit noch nichts gesagt. Savary stufte die Pareres als actes de notoriétés ein.1192 Damit wollte er möglicherweise die Beweisproblematik umgehen. Pareres wurden aber weder von der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur noch aus sich selbst heraus als notorische Quellen eingestuft, sodass die Frage der Beweisbedürftigkeit bestehen bleibt. Die der Arbeit zugrunde liegende Hypothese nahm an, dass die Pareres selbst ein Beweismittel darstellten, mittels dessen Gewohnheitsrecht dargelegt wurde. Die Auswertung der Gerichtsprozesse, in denen Pareres verwendet wurden, hat ergeben, dass das Gericht für die Einholung der Pareres keine förmlichen Beweisbeschlüsse erließ. Allerdings hat die prozessrechtsgeschichtliche Forschung gezeigt, dass neben dem strengen Beweisverfahren auch eine formlose Beweisführung möglich gewesen ist.1193 Weitere Indizien sprechen für eine Einordnung der Pareres als Beweismittel. Mehrfach wurde in den Gutachten seitens der Auftraggeber der Wunsch geäußert, ein Parere „in forma probante“ zu erhalten.1194 Auch die Formulierung „ein schriftliches und in beglaubigter Form erteiltes Gutachten“1195 spricht für eine Charakterisierung der Pareres als Beweismittel, wie auch Frentz und Richard sie in ihren Forschungen vorgenommen haben. Wenngleich die kaufmännischen Gutachten vorliegend nun als Beweismittel eingeordnet worden sind, waren sie mehr als ein solches. Die Kaufleute griffen in ihren Gutachten regelmäßig auf andere Pareres und auswärtige Wechselordnungen zurück, sofern sie Rechtslücken im örtlichen Wechselrecht ausmachten. Indem sie fremdes normatives Recht, aber auch allgemein unter Kaufleuten anerkannte Gewohnheiten heranzogen, schufen sie ihr eigenes Recht. Dietmar Willoweit hat dieses Phänomen für das Mittelalter beschrieben und es in Abgrenzung zu herrschaftlicher Rechtsbildung als „innergesellschaftliche Rechtsbildung“ bezeichnet.1196 Zwar bedienten sich die Kaufleute auch obrigkeitlich gesetzter Normen, wenn sie auswärtige Wechselordnungen heranzogen, jedoch machten sie diese in dem Moment zu ihrem eigenen Recht, zu beispielsweise Frankfurter Recht. Die Vorgehensweise der Börsenvorsteher, mittels Rechtstransfer lokale Rechtslücken zu schließen, sei es durch die Heranziehung auswärtiger Gewohnheiten, aber auch fremder Ordnungen, kann im weiteren Sinne als „innergesellschaftliche Rechtsbildung“ bezeichnet werden. In dem Maße, in dem 1191 Ähnliches hat Oestmann für den Beweis von erstinstanzlich seitens der Parteien vorgebrachten Partikularrechtsnormen festgestellt: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 499. 1192 Savary 1688 (wie Anm. 27), Vorwort. 1193 Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 30. 1194 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P LXXXIV, S. 206; Siegel 1742 (wie Anm. 95), P CXIX, S. 150. 1195 E. B. A. 1733 (wie Anm. 47), P  LVI, S. 136 ff.; ausführliche Darstellung des Falles unter C IV. 2.). 1196 Dietmar Willoweit, Innergesellschaftlich und hierarchisch begründete Rechtsbildung im Mittelalter: ein Kommentar, in: Gerhard Dilcher / ​Eva-Maria Distler (Hrsg.), Leges – Gentes – Regna, Berlin 2006, S. 563 ff.

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Ergebnis

Gerichte die Pareres wie einschlägige wechselrechtliche Literatur hinzuzogen, benutzten sie diese als Ersatz für fehlendes schriftlich fixiertes Recht. Die Richter holten die Pareres regelmäßig in dem Verfahrensstadium ein, in dem sie auch die Aktenversendung vornahmen, und schlossen sich in ihrer Entscheidung häufig der in den Gutachten dargelegten Rechtsansicht an. Dadurch entstand teilweise eine Konkurrenz zur Aktenversendung, vor allem dann, wenn die kaufmännischen Gutachten Rechtsfragen beantworteten. Mit Rückgriffen auf die Pareressammlungen, wie nicht nur die Frankfurter Kaufleute sie vornahmen – auch Königk bezog sich bisweilen auf die Leipziger Pareres in seiner Kommentierung der Leipziger Wechselordnung –, perpetuierten sich die in den Pareres getroffenen Entscheidungen als quasi schriftlich fixiertes Recht. Das der Fallstudie zugrunde liegende Beispiel verdeutlicht dies gut. So verlangten die Leipziger Kramermeister in ihrem Parere vom 2. März 1695 für die Zulässigkeit des Blankoindossaments einen anderen Legitimationsnachweis. Die Frankfurter Kaufleute referierten in ihrem Parere vom 23. November 1729 das Leipziger und übernahmen diese Regelung nunmehr für sich als „Frankfurter Recht“. Das Erfordernis eines Legitimationsnachweises für Blankoindossamente floss schließlich entsprechend dem Leipziger und dem Frankfurter Parere in § 40 der Frankfurter Wechselordnung von 1739 ein. Hier fand eine „innergesellschaftliche Rechtsbildung“ statt, die langfristig in einer obrigkeitlichen Normierung mündete.

II. Funktion der Gutachten Die Pareres füllten in materieller Hinsicht, aber auch prozessual ein Vakuum. Materiell kompensierten sie das fehlende bzw. nur in geringem Maße verschriftlichte Wechselrecht. Prozessual hatten sie eine außergerichtliche Funktion in Form der Prozessbeschleunigung wie auch der Prozessvermeidung. Darüber hinaus konnten Prozesse durch eingeholte Pareres schneller und damit kostengünstiger abgeschlossen werden. Sie dienten ebenso einer besseren Beurteilung der Erfolgsaussichten. Innergerichtlich ging ihre prozessuale Funktion mit ihrer materiellrechtlichen einher. Die Pareres boten eine hohe wechselrechtliche Expertise, die nicht nur die Parteien, sondern auch die Gerichte nutzten. Die Hauptfunktion der Pareres bestand in der Beantwortung handels- und vor allem wechselrechtlicher Fragen. Sie gaben Spezialwissen wieder, indem sie kaufmännische Gewohnheiten und örtliche Wechselbräuche darlegten. Nicht selten legten sie auch vertiefte wechselrechtliche Auskünfte dar. Überwiegend schilderten die Pareres aber lokales Gewohnheitsrecht, wofür ein großes Bedürfnis vorhanden war. So gab es in manchen Städten Gerichte, die mit auswärtigen Beisitzern besetzt wurden, um lokale Rechtsbräuche stärker in den Prozess einfließen zu lassen.1197 In anderen Städten 1197 Dies hatten in Bozen die einheimischen Kaufleute ursprünglich gefordert. In Braunschweig wurde eine paritätische Besetzung des Gerichts mit einheimischen und fremden Kaufleuten schließlich verwirklicht.

Funktion der Gutachten

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wurden Pareres über lokale Handelsbräuche an Auswärtige erteilt, intern hingegen Gericht gehalten.1198 Damit verkörperten die Pareres vor allem in den Reichsstädten ein alternatives Konfliktlösungsmodell zu den im ländlichen Bereich von den Territorialherren initiierten Kommerzdeputationen, die häufig über ein Handelsuntergericht oder ein Kolleg mit handelsgerichtlichen Funktionen verfügten. Eine weitere Funktion der Pareres lag im Rechtstransfer. Durch die Einholung unterschiedlicher Pareres und das Kursieren der Pareres-Sammlungen kam es zum Rechtstransfer, der teilweise sogar explizit normiert war. Dieser bot die Möglichkeit zur Rechtsvereinheitlichung, die ganz im Einklang mit der gleichzeitig beginnenden rechtsvereinheitlichenden wissenschaftlichen Bearbeitung des Handels-, insbesondere Wechselrechts in der europäischen handelsrechtlichen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts stand. Der Rechtstransfer führte schließlich zu einer praktischen Rechtsvergleichung. Die Kaufleute empfanden sowohl das Gewohnheitsrecht als auch die einzelnen Wechselordnungen als universelles Wechselrecht. Sie lösten das Überschreiten der Grenzprobleme, indem sie diese nivellierten. Für sie gab es im Wechselrecht keine Landesgrenzen. Die Pareres hatten darüber hinaus eine normbildende Funktion. In dem Maße, in dem gesetzliche Normierungen fehlten, füllten die Pareres Lücken aus. Sie entwickelten neue Lösungen oder veränderten vorhandene Rechtsinstitute und waren damit rechtsfortbildend. Durch ihren Niederschlag in den Wechselordnungen trugen sie dazu bei, dass ungeschriebenes kaufmännisches Gewohnheitsrecht sukzessive verschriftlicht wurde. Die im Laufe der Zeit entstandenen Pareres-Sammlungen dürften durch ihr Kursieren, ähnlich der kameralen Entscheidungsliteratur, den Rang von Rechtsquellen eingenommen und einen fachlichen Diskurs ermöglicht haben.1199 Je häufiger einschlägige Gutachten herangezogen wurden, desto schneller etablierte sich eine bestimmte Rechtsübung, die durch ihre wiederholte Anwendung Bindungswirkung entfalten und damit rechtsfortbildend wirken konnte.1200 Die Frankfurter Kaufleute griffen jedenfalls auf ihre eigenen, bereits erteilten Gutachten zurück, wie die Eintragung aus dem Protokollbuch der Börsenvorsteher gezeigt hat, derzufolge die Protokolle als Entscheidungshilfe dienen sollten.1201 1198 So waren Kaufleute in Hamburg, Nürnberg, St. Gallen, Zürich, Basel, Breslau und Mannheim in internen Streitigkeiten schiedsrichterlich tätig und erstatteten an andere Städte, in Hamburg zudem an das Admiralitätsgericht, Pareres. 1199 Zur kameralen Entscheidungsliteratur und dem sich anschließenden Diskurs, siehe: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 682; Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Köln 2015, S. 177. 1200 Zur Bindungswirkung und rechtssetzenden Kraft der Urteilssammlungen und rechtsgelehrter Literatur bei materiellrechtlichen Lücken, siehe: Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 545. Damit bestätigt sich Coings These, dass eine einheitliche Rechtsbildung nicht notwendig eine einheitliche Gesetzgebung voraussetzt: Coing 1967 (wie Anm. 1041), S. 4. 1201 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Abt.  3, Nr. 4227, Protokollbuch der Börsenvorsteher, fol. 1r; ebenfalls abgedruckt bei: Handelskammer Frankfurt am Main 1908 (wie Anm. 94), S. 24.

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Ergebnis

Die Pareres hatten nicht nur eine Unterrichtungsfunktion für die Richter, sie konnten auf erstinstanzlicher Ebene auch eine Konkurrenz für die Untergerichte darstellen. So konnten sie funktional ein kostenintensives und zeitaufwendiges Nachverfahren ersetzen, da sie materiellrechtlich tiefergehend waren als ein summarisches Verfahren, das reichsweit erstinstanzlich vorgesehen war. Dadurch konnten die Gutachten zu einer Prozessvermeidung führen. Teilweise war der Übergang von einer Prozessvermeidung durch eine Einigung zwischen den Parteien zur Etablierung einer Schiedsgerichtsbarkeit fließend. So diskutierte schließlich der internationale Weltwirtschaftskongress des Institut de Droit international im Jahre 1905 über die Einrichtung eines internationalen Pareres-Gerichtshofes. Wurden die Gutachten hingegen erst im gerichtlichen Prozess eingeholt, konnten sie immerhin zu einer Prozessbeschleunigung führen. Deutlich schneller als die Aktenversendung und im Bereich des Wechselrechts dieser auch überlegen, konnten mithilfe der Pareres die Erfolgsaussichten besser bewertet werden. Damit hatten die Pareres vielfältige Funktionen. Ihre wichtigste war sicherlich die Unterrichtungsfunktion für Parteien und Gericht. Allerdings sind auch die Funktionen des Rechtstransfers, der Rechtsschöpfung bzw. -fortbildung sowie der Prozessbeschleunigung und -vermeidung nicht zu unterschätzen.

III. Die „Blütezeit“ der Pareres Weshalb kamen die Pareres überhaupt auf? Die Blütezeit der Pareres begann Mitte des 17. Jahrhunderts. Einerseits nahmen erst zu diesem Zeitpunkt mit Verbreitung des Indossaments die wechselrechtlichen Problemstellungen an Komplexität zu, andererseits dürfte der Usus modernus pandectarum zu einer verstärkten Zuwendung zum lokalen Recht geführt haben. Wenngleich die Statutentheorie bereits im 13. Jahrhundert den kaufmännischen Rechtsquellen Priorität eingeräumt hatte1202, dürften dennoch erst Marquards subjektiver Ansatz, Kaufmannsrecht als Privileg einzustufen und damit vom ius commune abzuweichen1203, und das Fehlen römischen Handelsrechts zu einer verstärkten Anwendung heimischer Rechtsquellen geführt haben. Wo keine lokalen oder regionalen Gesetze vorhanden waren, galt die Rechtsgewohnheit (consuetudo)1204, häufig dargelegt durch die Pareres. Neben einer fehlenden erstinstanzlichen Zuständigkeit der Gerichte für materiellrechtliche Wechselfragen – regelmäßig war in der ersten Instanz nur das summarische Verfahren vorgesehen  – und Appellationsverboten spielte die mangelnde Expertise eine Rolle. Unter den Richtern macht sich bemerkbar, dass das Wechselrecht bis zum

1202 Scherner 2001 (wie Anm. 1083), S. 158. 1203 Mohnhaupt 2000 (wie Anm. 1103), S. 355 ff. 1204 Scherner 2012 (wie Anm. 12), Sp. 721.

Die „Blütezeit“ der Pareres

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Ende des 18. Jahrhunderts kein universitärer Ausbildungsgegenstand war. Die wissenschaftliche Bearbeitung hatte zunächst durch moraltheologische, später dann profane, vor allem durch Kaufleute erzeugte Schriften stattgefunden. Erst im 19. Jahrhundert übernahmen die Juristen, vielmehr die Legisten, das Thema.1205 Im Zuge des Kodifikationsstreites war eine Beschäftigung mit der vermeintlich deutschen Materie des Wechselrechts seitens der Germanisten plötzlich willkommen. Zuvor hatten sich die Juristen nicht für die praktische Seite des Wechselrechts interessiert, sondern diese Fragen lieber den Kaufleuten selbst überlassen. Ebenfalls geringes Interesse und mangelnde Kenntnis bezüglich der speziellen Rechtsmaterie quittierte Louis Pahlow den Juristen für die Entwicklung des Versicherungsvertrages zu Beginn des 19. Jahrhunderts.1206 Auch hier erfolgte die einzige wissenschaftliche Bearbeitung durch die Kaufleute: „Die Handlungswissenschaft entwickelte auf diese Weise die Dogmatik des Versicherungsvertrages in den ersten Jahrzehnten nach 1800 weiter […]. Maßgebend waren vielmehr die eigenen betrieblichen und kaufmännischen Gepflogenheiten und Notwendigkeiten.“1207 Wie sich gezeigt hat, gehörten wechselrechtliche Kenntnisse vor allem zum Berufsbild des Kaufmanns, der sich aber – zumindest in Frankfurt – auf dem Rückzug aus dem Rat befand. Das Bedürfnis nach einer professionellen wechselrechtlichen Auskunft nahm ab dem Ende des 17. Jahrhunderts stetig zu. Sowie das richterliche Suppletionsrecht in Partikularrechtsfragen Ende des 17. Jahrhunderts am Reichskammergericht ein gängiges Mittel wurde1208, scheinen die Gerichte auch völlig selbstverständlich Pareres eingeholt zu haben. Damit standen sie in der deutschen Tradition der Oberhofzüge und Aktenversendung. Die eingangs gestellte Frage, weshalb es in Frankfurt und – bis auf wenige Ausnahmen – in ganz Deutschland bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine Sondergerichtsbarkeit für Handelsgerichte gab, lässt sich nun beantworten. Die Abgabe der gerichtlichen Kompetenz seitens des Schöffengerichts an ein Sondergericht war der deutschen Rechtstradition nicht immanent. Bedurften die zuständigen Gerichte spezialrechtlicher Auskünfte, boten die spätmittelalterlichen Oberhofzüge, die frühneuzeitliche Aktenversendung und die seitens der Parteien eingebrachten Consilia sowie auf dem Gebiet des Wechselrechts die kaufmännischen Pareres die nötige Ex-

1205 Den engen Zusammenhang zwischen Moraltheologie und Wirtschaftsrecht zeigt auch der Fall spanischer Kaufleute, die sich 1532 in Antwerpen von Moraltheologen in Paris über die Zulässigkeit von Wechselgeschäften beraten ließen: Marjorie Grice-Hutchinson, Early Economic Thought in Spain, 1177–1740, 2015, http://oll.libertyfund.org/titles/earlyeconomic-thought-in-spain-1177-1740, S. 98 (zuletzt abgerufen am 3.2.2020). 1206 Louis Pahlow, Ein „Geschöpf der ganzen civilisirten handeltreibenden Welt“. Der Versicherungsvertrag im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 29, 2007, S. 24 f. 1207 Pahlow 2007 (wie Anm. 1206), S. 23. 1208 Oestmann 2002 (wie Anm. 73), S. 661.

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Ergebnis

pertise.1209 Ebenso wie die Aktenversendung1210 nahmen die Pareres nicht nur auf die Rechtsprechung, sondern auch auf Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Einfluss. Insofern ist es nicht überraschend, dass auch die Blütezeit der Aktenversendung parallel zur Hochzeit der Pareres verlief.1211 Für die Entwicklung der Pareres lässt sich festhalten, dass sie von einem Mittel zur Darlegung des Gewohnheitsrechts als Rechtsquelle selbst zu einer Art Rechtsquelle aufstiegen. Dies spiegelt sich nicht nur in den Gerichtsprozessen wider, in denen die Untergerichte völlig selbstverständlich das im Parere dargelegte Recht übernahmen. Selbst die juristische wechselrechtliche Literatur des 19. Jahrhunderts bediente sich in materiellrechtlichen Fragen der Pareres und behandelte sie wie geschriebenes Recht.1212 Es gab im Alten Reich zwar vielfältige Gerichtsstrukturen, jedoch konnten diese nicht immer effektiv genutzt werden, sei es, weil sie keine Zuständigkeit hatten, sei es, weil ihnen die wechselrechtliche Expertise fehlte. Die Pareres waren somit nicht nur Bestandteil der Rechts- und Gerichtslandschaft des Alten Reiches, sondern verkörperten diese par excellence und waren in ihrer Rechtspluralität quasi Sinnbild derselben. Hier bestand gewissermaßen eine Dichotomie. Die Pareres funktionierten vor allem in einer pluralistischen Rechtslandschaft, die nicht aus strikt abgrenzbaren vertikalen und horizontalen Gerichtszuständigkeiten bestand. Andererseits funktionierte diese Gerichtslandschaft auch nicht ohne die Pareres. Die Pareres führten zu einer Europäisierung des Handelsrechts im Zeitalter nationaler Bestrebungen.1213 Sie entstanden nicht zufällig in der Zeit des Merkantilismus und des Entstehens der Nationalstaaten. Die Kaufleute fühlten sich durch Nationalisierungstendenzen in ihrem Handel beschränkt. Ihre Wechselgeschäfte waren international, damit musste auch ihre Konfliktlösung international sein. Mit rechtsraumübergreifenden Pareres wirkten sie Nationalisierungstendenzen, für die im Handel kein Raum war, entgegen. Mit Aufkommen der nach französischem Vorbild eingerichteten Handelskammer im linksrheinischen Gebiet zu Beginn des 19. Jahrhunderts, einer verstärkten Verschriftlichung des Wechselrechts und schließlich der Vereinheitlichung des deutschen Wechselrechts durch die Allgemeine Deutsche Wechselordnung (ADWO) 1849 versanken die Pareres im deutschen Rechtsgebiet, anders als in Frankreich und Belgien, wo heute noch Pareres erstattet werden, in der Bedeutungslosigkeit.1214 1209 Zur Unterrichtungsfunktion durch Oberhofzüge und die Aktenversendung, siehe: Oestmann 2015 (wie Anm. 1199), S. 191. 1210 Zur Einflussnahme der Aktenversendung auf Rechtsprechung, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, siehe: Lück 1998 (wie Anm. 910), S. 44 f. 1211 Zur Blütezeit der Aktenversendung, siehe: Lück 1998 (wie Anm. 910), S. 51. 1212 So zog Bender wiederholt die Pareres selbst wie eine Rechtsquelle heran: Bender 1828 (wie Anm. 538), S. 96, 164, 578, 606 und 626. 1213 Siehe allgemein zu Europäisierungstendenzen des Handelsrechts im Zeitalter der Nationalisierung: Scherner 1999 (wie Anm. 9), S. 551; Scherner 2001 (wie Anm. 1083), S. 161 f. 1214 Auch Calafat hat konstatiert, dass mit Aufkommen der Kodifikation der Stellenwert der Pareres gesunken ist: Calafat 2011 (wie Anm. 106), S. 153 f.

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Ausblick

IV. Ausblick Wenngleich die Blütezeit der Pareres nun schon seit mehr als 150 Jahren vergangen ist, lohnt ein tieferer Blick in diese kaum erschlossene Quellengattung, um die beschriebenen Entwicklungslinien für die verschiedenen Rechtslandschaften und deren Rechtsprechung nachzuvollziehen. Die vorliegende Arbeit hat sich vor allem der Erschließung der Frankfurter Pareres gewidmet. Schon jetzt ist gewiss, dass es für Leipzig einen ähnlich umfangreichen Bestand, für Nürnberg einen um ein Vielfaches größeren gibt. Sowohl die Auswertung dieser beiden Bestände als auch die Suche nach neuen Beständen, wie etwa in Hamburg, Köln, Berlin, Augsburg oder auch einigen Schweizer Städten, könnten neue Erkenntnisse zutage fördern. Veränderten sich die Pareres selbst? Lässt sich die normative Kraft der Gutachten, einhergehend mit dem Phänomen der „innergesellschaftlichen Rechtsbildung“ in anderen, jüngeren Pareressammlungen verstärkt beobachten? Immerhin gab es ab 1733 auch die gedruckte Sammlung Frankfurter Pareres, die ab diesem Zeitpunkt herangezogen werden konnte. Hier könnten Bestände, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts reichen, mehr Erkenntnisse hervorbringen. Welche Wechselwirkung ergab sich aus der wissenschaftlichen Bearbeitung des Wechselrechts ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in Bezug auf die kaufmännischen Gutachten? Wie entwickelte sich der gerichtliche Umgang mit ihnen ab diesem Zeitpunkt weiter? Möglicherweise führten eine verstärkte Normierung und die universitäre Bearbeitung des Wechselrechts zu einer Veränderung in der Gutachtenpraxis. Sowohl die im Kodifikationsstreit das Wechselrecht als deutsches Recht für sich beanspruchenden Germanisten als auch die Schließung bisheriger Rechtslücken durch die zunächst partikular erlassenen und die schließlich 1849 verabschiedete Allgemeine Deutsche Wechselordnung könnten zum Niedergang der Pareres geführt haben. Die Fragen lassen sich anhand des begrenzten Frankfurter Quellenmaterials, das 1740 endet, leider nicht beantworten. Dieses Forschungsdesiderat kann aber möglicherweise durch Pareres anderer Städte geschlossen werden.

F Quellen- und Literaturverzeichnis I. Ungedruckte Quellen Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main Bestand: W 2/5 1.052 Bestand: W 2/5 1.053 Bestand: W 2/5 1.054 Bestand: Reichskammergericht Prozessakten [abgekürzt: RKG] Bestand: Edikte Bestand: Inquisitionsamt Bestand: Eid- und Instruktionsbücher Bestand: Gesetze

Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Abteilung 3 [Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main] Nr. 4227 Abteilung 3 [Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main] Nr. 4782

Bundarchiv Berlin Bestand: Reichskammergericht – Urteilsbücher

II. Gedruckte Quellen Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, Erster Theil: Prozeß-Ordnung, Berlin 1793/95. Johann Conradin Beyerbach (Hrsg.), Sammlung der Verordnungen der Reichsstadt Frankfurt, Achter Theil: Rechtspflege, Frankfurt a. M. 1799. Johann Friedrich Böhmer / ​Friedrich Lau, Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus. Urkundenbuch der Reichsstadt Frankfurt, Band  1, S. 794–1314, Nachdruck der Ausgabe Frankfurt a. M. 1901, Frankfurt a. M. 1970. James Burrow, Reports of Cases Adjudged in the Court of King’s Bench. Since the Time of Lord Mansfield’s Coming to Preside in It, 2. Band, London 1766. Edouard Eugène François Descamps, De l’instiution d’une cour des parères. Appropriée au mouvement mondial des affaires, in: Bulletin de la Chambre de Commerce de Paris Jg. 13, Nr. 15–18, 05. Mai 1906, S. 408–410.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

E. B. A., Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier, Oder: Gründlich= und Deutliche Anweisung / ​ Was Ein Banquier in seinem Negotio, auch allen und jeden darin vorkommenden Fällen, zu beobachten, und welcher gestalt er dabey allen Praejuditz vermeyden, mithin seine Handlung vorsichtig führen könne. Alles, so wohl durch die neueste Europäische Wechsel=Ordnungen / Vernünftig= und unpartheyische, hinten angehängte Parere der Franckfurter Kauffmannschafft, als überall angeführte und in Praxi bewährte Rationes erläutert und bestärckt […], Band 1, Frankfurt a. M. / ​Leipzig 1733. E. B. A., Des in allen Vorfällen vorsichtigen Banquiers Zweyter Theil, Darinnen Die mehreste Europäische Wechsel=Ordnungen / Wie auch verschieden Banco- und Handels=Gerichts=Ordnungen nebst einem Anhang zufinden seynd, Band 2, Nürnberg / ​Frankfurt a. M. 1733. Gesetz-und Verordnungs-Sammlung für die Herzoglich Braunschweigischen Lande (38), Braunschweig 1851. Handelskammer Frankfurt am Main (Hrsg.), Jahresbericht für 1868. Einrichtungen für Handel und Gewerbe. Organisation der Handelskammer, Frankfurt a. M. 1869. Johann Melchior Hoscher, Sammlung merkwürdiger am kaiserlichen Reichskammergerichte entschiedener Rechtsfälle mit ausführlicher Erörterung wichtiger Rechtsfragen, Erster Theil, Lemgo 1789. Konrad Malss (Hrsg.), Ausgewählte Gutachten der Handelskammer zu Frankfurt am Main. Eine Quelle des Handelsrechts, Frankfurt a. M. 1854. Abraham Mangon, Kurze doch wahrhafftige Beschreibung der Geschichte der Reformierten in Frankfurt: 1554–1712, herausgegeben und kommentiert von Irene Dingel, Leipzig 2004. Johann Carl Meissner, Codex der europäischen Wechsel-Rechte oder Sammlung der heutzutage in Europa geltenden Wechsel-Gesetze: Die deutschen Wechsel-Gesetze, Band 1, Nürnberg 1836. Siegfried Moltke, Urkunden zur Entstehungsgeschichte der ersten Leipziger Grosshandelsvertretung. Der erste Leipziger Handlungsgehilfenverein, Leipzig 1904. Christoph Sigismund Müller (Hrsg.), Vollständige Sammlung der kaiserlichen in Sachen Frankfurt contra Frankfurt ergangenen Resolutionen […], Erste Abtheilung, Frankfurt a. M. 1776. Christoph Sigismund Müller (Hrsg.), Vollständige Sammlung der kaiserlichen in Sachen Frankfurt contra Frankfurt ergangenen Resolutionen […], Dritte Abtheilung, Frankfurt a. M. 1779. Ordonnance de Louis XIV, sur le commerce […], Paris 1673. Johann Joseph Pachner von Eggenstorff, Vollständige Sammlung Aller von Anfang des noch führwährenden Teutschen Reichs=Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs=Schlüsse, Erster Theil, Regensburg 1740. Privilegia Et Pacta Des H. Römischen Reichs=Stadt Franckfurt am Mayn Sammt der Guldenen Bulla Caroli IV. […] Wie solche Von Römischen Kaysern und Koenigen von Zeiten zu Zeiten allergnädigst ertheilet, […] Hiebevor In Anno 1614 zum Theil gedruckt, nunmehro aber insgesamt

Gedruckte Quellen

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mit denen Originalien collationirt und übersehen, Und Nach Ihro glorwürdigst=regierender Kays. Maj. Caroli VI. […] Verordnung mit denjenigen Privilegiis und Pactis, so von Anno 1614 biß 1726 weiter erhalten und errichtet worden, vermehret. Mit beygedruckten Kayserlichen und Koeniglichen nach denen Originalien abgezeichneten und gestochenen Sigillis. Beneben zweyen vollständigen Registern, Frankfurt a. M. 1728. Regenspurgischer Jüngster Reichs=Abschied vom Jahr 1654. Nebst demselben einverleibten Westphälischen = zu Osnabrück und Münster auffgerichteten Friedens = Instrumentis vom Jahr 1648, Wetzlar 1717. Rudolf Reicke / ​Ernst Wichert (Hrsg.), Altpreussische Monatsschrift. Der Neuen Preußischen Provinzial-Blätter vierte Folge (Preussische Provinzialblätter, Bd. 27), Königsberg 1890. Jacques Savary, Parères, ou Avis et conseils sur les plus importantes matières du commerce, Paris 1688. Johann Jacob Schmauss, Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs=Tägen abgefasset worden […], Band 4, Frankfurt a. M. 1747. Johann Gottlieb Siegel, Corpus juris cambialis, Einleitung zum Wechselrecht überhaupt. Zweyter Theil, Leipzig 1742. Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, Frankfurt a. M. 1578. Der Statt Franckfurt am Mayn erneuerte Reformation Wie die in Anno 1578 außgangen und publicirt / Jetzt abermals von newen ersehen / an vielen underschiedtlichen Orten gegendert / verbessert und vermehrt, Frankfurt a. M. 1611. Università dei Mercanti (Hrsg.), Statuti della Honoranda Universita de Mercanti della Inclita Città di Bologna, Riformati 1550. Per Anselmo Giaccarello, Bologna 1550. Johann Friedrich Wenner (Hrsg.), Gesetz- und Statutensammlung der freien Stadt Frankfurt, Erster Band, Frankfurt a. M. 1817. Armin Wolf, Die Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt am Main 13), Frankfurt a. M. 1969. Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Ersten Bandes erste Abtheilung, Wien 1809. Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Ersten Bandes zweyte Abtheilung, Wien 1809. Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Zweyten Bandes erste Abtheilung, Wien 1813.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Zweyten Bandes zweyte Abtheilung, Wien 1813. Johann Michael Edlen von Zimmerl, Vollständige Sammlung der Wechselgesetze aller Länder und Handelsplätze in Europa. Nach alphabetischer Ordnung, Dritter Band, Wien 1813.

III. Literatur bis 1849 Justinian von Adlerflycht, Das Privatrecht der freien Stadt Frankfurt, Erster und zweiter Teil. Frankfurt a. M. 1824. Johann Adam Beck, Tractatus Novus Johannis Adami Beckii, Vom Wechsel-Recht: In sich begreiffend, so wohl die Persohnen, welche diesem Recht unterworffen sind, als auch die verschiedene Arten und Gattungen derer Wechsel und Wechsel-Brieffen […] Nürnberg 1729. Johann Heinrich Bender, Grundsätze des deutschen Handlungs=Rechts […], Erster Band: Grundsätze des engeren Handlungs=Rechts, ohne Rücksicht auf das Wechselrecht, Darmstadt 1824. Johann Heinrich Bender, Grundsätze des deutschen Handlungs=Rechts […], Zweiter Band: Grundsätze des deutschen Wechselrechts […], Darmstadt 1828. Johann Heinrich Bender, Handbuch des Frankfurter Privatrechts, Frankfurt a. M. 1848. Leopold Carl Bleibtreu, Lehrbuch der Handelswissenschaft. Zum Gebrauche bei Vorlesungen und zum Selbststudium, Karlsruhe 1830. Mathias Bode, Dissertatio juridica de cambiis […], Marburg 1646. Johann Georg Büsch, Theoretisch-praktische Darstellung der Handlung in deren mannigfaltigen Geschäften, Erster Teil, Hamburg 1792. Johann Georg Büsch, Theoretisch-praktische Darstellung der Handlung in deren mannigfaltigen Geschäften, Zweiter Teil, Hamburg 1792. Michael Gottlieb Fuchs, Beschreibung der Stadt Elbing und ihres Gebietes in topographischer, geschichtlicher und statistischer Hinsicht, Erster Band, Elbing 1818. Carl August Gründler, Polemik des germanischen Rechts, Land- und Lehnrecht, nach den Systemen des Herrn Geheimen Rath Prof. Dr. Mittermaier und Geheimen Rath Dr. G. L. Böhmer, Merseburg 1832. Johann Kaspar Herbach, Verbesserte und Viel-vermehrte Wechsel-Handlung: Worinnen, Nicht allein vom Ursprung derselben, Erfindung der Wechsel-Briefe / Art der Wechsel […], Nürnberg 1726. Johann Jakob Heydiger, Kurze Anleitung zu gründlichem Verstand des Wechsel=Rechts, Köln 1715.

Literatur bis 1849

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Carl Gottlieb Knorre, Rechtliche Abhandlungen und Gutachten, Halle 1757. Johann Christian Königk, Kauff=und Handels=Stadt Leipzig Wechsel=Ordnung: Mit nützlichen Anmerckungen […], Leipzig 1717. Johann Georg Krünitz / ​Heinrich Gustav Floerke, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats=, Stadt=, Haus= und Land=Wirthschaft[…], Band 107: Papieradel – Pasternak, Berlin 1807. Johann Ludwig L’Estocq, Erläuterung des allgemeinen und Preußischen Wechselrechts, nach Heineccii Ordnung, Grundsätzen und Regeln […], Leipzig, Königsberg 1762. Johann Michael Leuchs, Vollständige Handelswissenschaft in drey Theilen. System des Handels, Erster Theil: Bürgerliche Handelswissenschaft, 3. Auflage, Nürnberg 1822. Johann Michael Leuchs, Der Contorwissenschaft Vierter Theil: Die Anleitung, alle Geschäfte einer Handlung schriftlich zu betreiben, enthaltend. Allgemeiner Handels=Briefsteller; oder Anleitung zur Abfassung kaufmännischer Briefe, und zu allen andern im Handel vorkommenden Aufsätzen und Ausfertigungen. Mit Formularen, den erforderlichen Erklärungen, und den ersten Gründen der Deutschen Sprache, 2. Auflage, Nürnberg 1828. Johann Jacob Lucius (Hrsg.), Franckfurtische Religions=Handlungen, Welche zwischen Einem Hoch=Edlen und Hochweisen Magistrat und denen Reformirten Burgern und Einwohnern daselbst Wegen des innerhalb denen Ring=Mauren dieser Stadt gesuchten Exercitii Religionis Reformatae Publici, Bey dem Höchstpreißlichen Kayserlichen Reichs=Hof=Rath gepflogen worden. Worinnen hauptsächlich die wichtige Materie des Teutschen Staats=Rechts Von der Reichs=Ständen Jure Circa Sacra erläutert, […] auch von einigen zu der Franckfurter Reforma­ tions- und Kirchen=Historie gehörigen Sachen gründliche Nachricht ertheilet wird; Nebst denen darzu gehörigen […] authentischen Beylagen, Frankfurt a. M. 1735. Carl Günther Ludovici / ​Johann Christian Schedel, Neu eröfnete Academie der Kaufleute, oder encyclopädisches Kaufmannslexicon alles Wissenswerthen und Gemeinnützigen, Vierter Theil, Leipzig 1799. Jacob Friederich Ludovici, Einleitung zum Wechsel=Prozeß, Darinnen Von denenjenigen Fällen / in welchen nach Wechsel=Recht geklaget werden kan […] Halle 1713. Paul Jacob Marperger, Neu=eröffnetes Handels=Gericht / oder Wohlbestelltes Commercien-Collegium, Worinnen von Dessen Nothwendig= und Nutzbarkeit / denen dazu erforderten Personen / dahin gehörigen Sachen […] Welchem annoch mit beygefügt […] des Weyland berühmten Frantzösischen Commerzien-Raths Savary längst verlangte Parere […], Hamburg 1709. Paul Jacob Marperger, Beschreibung der Messen und Jahr=Märckte […], Leipzig 1710. Paul Jacob Marperger, Der allzeit=fertige Handels=Correspondent, Worinnen Die gantze Handels=Wissenschaft / mit deroselben Scripturen, Briefen / und Cautelen, Samt Allerhand Arten Rechnungs=Formularien und andern Nohtwendigkeiten enthalten  […], Hamburg 1717.

272

Quellen- und Literaturverzeichnis

Paul Jacob Marperger, Beschreibung der Banquen. Was und wie vielerley derselben seyn […], Von dem Recht der Banquen und Banquiers gehandelt […], Leipzig 1723. Johannes Marquard, Tractatus politico-juridicus de Iure mercatorum et commerciorum singulari, in quo […], Frankfurt 1662. Georg Friedrich von Martens, Grundriß des Handelsrechts insbesondere des Wechsel= und Seerechts, Göttingen 1820. Carl Joseph Anton Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit Einschluß des Handels-, Wechsel- und Seerechts. Erster Band, 7. Auflage, Regensburg 1847. Johann Anton Moritz, Versuch einer Einleitung in die Staatsverfassung der Oberrheinischen Reichsstädte. Zweyter Theil. Reichsstadt Frankfurt. Abschnitt 4, Frankfurt a. M. 1786. Karl Eduard Morstadt, Commentar über das Handelsrecht Deutschlands und Frankreichs. Kritisch=pragmatisch: auf der Basis des (mitabgedruckten Grundrisses von Martens), Erster Theil: das Ganze befassend, außer dem Wechselbrief= und dem Seefracht=Wesen, Heidelberg 1849. Johann Philipp Orth, Nöthig und nützlich erachteter Anmerkungen über die sogenante erneuerte Reformation der Stadt Frankfurt am Main, dritte Fortsetzung […], Frankfurt a. M. 1751. Johann Philipp Orth, Nöthig und nützlich erachteter Anmerkungen über die so genante erneuerte Reformation der Stadt Frankfurt am Main, vierte und lezte Fortsetzung, in welcher der erste von gerichten und gerichtlichen processe handelnde Teil vorerwenten stadtrechtes  […], Frankfurt a. M. 1757. Johann Philipp Orth, Ausfürliche Abhandlung von den berümten zwoen Reichsmessen so in der Reichsstadt Frankfurt am Main järlich gehalten werden […], Frankfurt a. M. 1765. Meno Pöhls, Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts für Juristen und Kaufleute, Erster Band: Allgemeiner Theil, Hamburg 1828. Josias Ludwig Ernst Püttmann / ​Georg Freiherr von Martens, Grundsätze des Wechsel-​ Rechts, 3. Auflage, Leipzig 1805. Josias Ludwig Ernst Püttmann, Die Leipziger Wechselordnung mit Anmerkungen und Beilagen versehen, Leipzig 1787. Johann Maximilian Raumburger, Iustitia selecta gentium Europaearum in cambiis aliisque causis mercantilibus tam terrestribus quam navalibus novissima & harmonica. Oder: Grund-Feste des Heil. Römischen Reichs und anderer Europaeischen Königreichen und Staaten Rechten und Gewohnheiten in Wechsel= und Commercien=Sachen […] wie auch einem Appendice von Assecurantz und See=Affaires, Frankfurt a. M. 1723. Karl Gottlob Rössig, Erste Grundsätze des deutschen Privatrechts zu Vorlesungen und als Einleitung zur Erlernung des reinen deutschen Privatrechts […], Leipzig 1797.

Literatur bis 1849

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Johann Georg Rössing, Versuch einer kurzen historischen Darstellung der allmähligen Entwickelung und Ausbildung der heutigen Gerichts-Verfassung der Stadt Frankfurt am Mayn und ihres Gebietes, Frankfurt a. M. 1806. Jacques Savary, Le parfait négociant, ou instruction générale pour ce qui regarde le commerce de toute forte des marchandises, tant de France, que des Pays Etrangers, Paris 1675. Jacques Savary, Le parfait négociant, ou instruction générale pour ce qui regarde le commerce des marchandises de France et des Pays Etrangers, Tome second, contenant Les Parères, ou avis et conseils […], Genf 1752. Jacques Savary des Brulons / ​Louis-Philémon Savary des Brulons, Dictionnaire universel de commerce […], Band 3: L–Z, 3. Auflage, Paris 1748. Sigismund Scaccia, Tractatus de commerciis et cambio […], Köln 1620. Philipp Carl Scherer, Handbuch des Wechselrechts worinnen theils die Art und Weise, wie die Wechselgeschäfte zu behandeln und zu beurtheilen, gezeigt […] Zweyter Theil: J–S, Frankfurt a. M. 1800. Philipp Carl Scherer, Handbuch des Wechselrechts worinnen theils die Art und Weise, wie die Wechselgeschäfte zu behandeln und zu beurtheilen, gezeigt  […] Dritter Theil: T–Z. Frankfurt a. M. 1801. Johann Schlüter, Dissertatio juridica inauguralis de responsis mercatorum, vulgo parere dictis […], Hamburg 1706. Johann Ludwig Span, Der freien Stadt Frankfurt am Main Wechsel=Recht aus dasigen Statutis, sonderlich der jüngsten Wechsel=Ordnung de 1739, methodice verfasset […], 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1830. Burkard Gotthelff Struve, Corpus actorum et gravaminum religionis. Des Heiligen Röm. Reichs […], Band 1, Frankfurt a. M., Leipzig 1724. Samuel Stryk, Disputatio juridica de jure assignationis inter mercatores […], Hamburg 1708. Friedrich Süpke, Parere, in: Ersch, Johann Samuel / ​Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.), Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste […], Dritte Section O–Z, Zwölfter Theil: Pardaillan–Pascalia, Leipzig 1839, S. 26–27. Johann Julius Surland, Grund=Sätze des Europäischen See=Rechts, Hannover 1750. Johann Christian Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt am Main und das fränkische Recht in Bezug auf denselben. Ein Nachlaß, Frankfurt a. M. 1841. Jean Toubeau, Les institutes du droit consulaire, ou les elemens de la jurisprudence des marchands […], Band 1, 2. Auflage, Paris 1700.

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IV. Literatur nach 1849 Anja Amend, Frauen in der handelsrechtlichen Jurisdiktion des Reichskammergerichts. Über die Frage, ob „Weibs=Persohnen mit Wechsel contrahiren können“, in: Siegrid Westphal (Hrsg.), In eigener Sache. Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches, Köln 2005, S. 119–151. Anja Amend, Die Inanspruchnahme von Juristenfakultäten in der Frankfurter Rechtsprechung. Zur Rolle der Spruchkollegien auf territorialer Ebene und ihre Bedeutung für das Reich, in: Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich, München 2008, S. 77–96. Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Siegrid Westphal, Einleitung, in: Anja Amend / ​Anette Baumann / ​Stephan Wendehorst / ​Siegrid Westphal (Hrsg.), Gerichtslandschaft Altes Reich: höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 52), Köln 2007, S. 1–6. Anja Amend-Traut, Konfliktlösung bei streitigen Wechseln im Alten Reich. Der Kaufmannsstand zwischen der Suche nach Alternativen zur gerichtlichen Geltendmachung von Forderungen und strategischer Justiznutzung, in: Rolf Lieberwirth / ​Heiner Lück (Hrsg.), Akten des 36. Deutschen Rechtshistorikertages Halle an der Saale, 10.–14. September 2006, Baden-Baden u. a. 2008, S. 153–175. Anja Amend-Traut, Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 54), Köln 2009. Anja Amend-Traut, Indossament, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller und Christa Bertelsmeier-Kierst als philologischer Beraterin (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II: Geistliche Gerichtsbarkeit – Konfiskation, 2. Auflage, Berlin 2012, Sp. 1209–1211.

Literatur nach 1849

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Anja Amend-Traut, Kaufmännische Sonderinteressen und ihr Einfluss auf die Frankfurter Stadtrechtsreformationen von 1509 und 1578, in: Andreas Deutsch, Stadtrechte und Stadtrechtsreformationen, im Erscheinen. Jürgen Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck 1598–1669. Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert und ihre sozialen Hintergründe, Lübeck 1961. Johannes Augel, Italienische Einwanderung und Wirtschaftstätigkeit in rheinischen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv, 78), Bonn 1971. Ernst Baasch, Die Handelskammer zu Hamburg 1665–1915 […], Band I: 1665–1814, Hamburg 1915. Ernst Baasch, Holländische Wirtschaftsgeschichte, Jena 1927. Bernd Baehring, Börsen-Zeiten. Frankfurt in vier Jahrhunderten zwischen Antwerpen, Wien, New York und Berlin, Frankfurt a. M. 1985. Otto Bansa, Chronik der Familie Bansa, Frankfurt a. M. 1912. Robert Beachy, Fernhandel und Krämergeist. Die Leipziger Handelsdeputierten und die Einführung der sächsischen Wechselordnung 1682, in: Hartmut Zwahr / ​Thomas Topfstedt / ​ Günter Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn, Teilband 1: 1497–1914 (Geschichte und Politik in Sachsen, 9/1), Köln 1999, S. 135–147. Christoph Becker, Billigkeit, in: Albrecht Cordes / ​Heiner Lück / ​Dieter Werkmüller unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Auflage, Berlin 2008, Sp. 587–592. Klaus Peter Berger, The Creeping Codification of the New Lex Mercatoria, 2. Auflage, Alphen aan den Rijn 2010. Christoph Bergfeld, Die Papiergeldtheorie Karl Einerts und ihre Bedeutung für das Wechselrecht, in: Christoph Bergfeld (Hrsg.), Aspekte europäischer Rechtsgeschichte. Festgabe für Helmut Coing zum 70. Geburtstag (Ius commune. Sonderhefte 17), Frankfurt a. M. 1982, S. 1–28. Karl Biedermann, Geschichte der Leipziger Kramer-Innung 1477–1880. Ein urkundlicher Beitrag zur Handelsgeschichte Leipzigs und Sachsens, Leipzig 1881. Friedrich August Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen, Leipzig 1859. M. Bioche, Dictionnaire de procédure civile et commerciale […], Tome cinquième L–R, Paris 1867. Fritz Blaich, Die Wirtschaftspolitik des Reichstags im Heiligen Römischen Reich: ein Beitrag zur Problemgeschichte wirtschaftlichen Gestaltens (Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen 16), Stuttgart 1970. Arthur Blaustein, Die Handelskammer Mannheim und ihre Vorläufer 1728–1928, Mannheim, Berlin, Leipzig 1928.

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G Namens-, Orts- und Sachregister Alle Fachtermini sind kursiv gedruckt, Autorennamen in Kapitälchen. Admiralität Hamburg  23, 87, 92, 103, 223, 254, 261 Aktenversendung  25, 26, 30, 82, 88, 110, 205, 206, 207, 217, 219, 223, 224, 235, 254, 260, 262, 263, 264 Amsterdam  15, 36, 49, 58, 59, 76, 86, 87, 100, 166, 174, 175, 176, 177, 178, 205, 229, 236 Antwerpen  21, 74, 201, 230, 263 Appellation  31, 58, 100, 101, 102, 178, 189, 197, 213, 214, 227 Augsburg  21, 24, 37, 38, 75, 88, 93, 122, 123, 135, 160, 161, 164, 173, 201, 204, 215, 216, 217, 218, 223, 229, 230, 231, 236, 244, 250, 253 Ausstellungsort  16, 136 Bancoamt Nürnberg  93, 201, 229, 244 Bansa, Johann Matthias  69, 71, 75, 76, 133, 246 Bansa, Remy  70, 72 Barthels, Heinrich  49, 63 Barthels, Remy Heinrich  63, 65, 69, 74, 75, 76, 178, 246 Basel  54, 55, 59, 70, 75, 95, 96, 103, 104, 204, 210, 261 Becher, Johann Joachim  59, 85 Behagel, Isaak  65, 69, 70, 74, 76, 77 Bein, Remigius  61, 63, 65 Beisassen  42, 44, 47, 48, 50, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 70, 71, 78, 88, 91 Beisasseneid  56 Belgien  59, 74, 264 Bender, Johann Heinrich  26 Berghe, Seger von der  52, 66, 69, 74 Berlin  83, 99, 125, 265 Beweis  24, 25, 26, 27, 28, 32, 122, 134, 159, 169, 170, 171, 179, 207, 208, 214, 220, 221, 222, 243, 258, 259 Biener, Friedrich August  23, 224, 228, 242

Billigkeit  17, 103, 110, 111, 118, 130, 135, 136, 140, 142, 148, 149, 154, 171, 172, 177, 180, 184, 232, 239 Bologna  86 Bozen  21, 97, 98, 102, 103, 143, 200, 204, 230, 260 Brandenburg-Onolzbach  30, 224, 228, 251 Braunschweig  90, 99, 100, 103, 122, 130, 143, 158, 160, 161, 163, 164, 230, 231, 257, 260 Bremen  122, 128 Breslau  29, 30, 49, 75, 88, 94, 100, 103, 122, 123, 128, 143, 150, 151, 158, 159, 160, 161, 163, 164, 202, 203, 205, 223, 228, 230, 231, 236, 244, 250, 261 Bürger  18, 42, 44, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 62, 63, 64, 67, 68, 73, 89, 98, 184, 187, 191, 252 Bürgerkapitäne  51, 53 Bürgermeister  31, 51, 61, 69, 72, 99, 147, 148, 168, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 194, 198, 205, 209, 225, 236 Bürgermeisteraudienz  39, 147, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 192, 193, 196, 197, 198, 199, 209, 221 Bürgeroffiziere  51, 52, 66 Bürgerrecht  54, 70, 89 Bürgschaft  128, 152, 216 Campoing, Heinrich  63 Chambre de Commerce  86, 87, 253 Christen  89, 156, 157, 178 Claus, Nikolaus  70, 76, 77, 178 Conseil du Commerce  90 Danzig  37, 108, 112, 122, 123, 130, 143, 158, 160, 161, 163, 164, 230, 231, 232, 235, 238 Dietz, Alexander  48 Dresden  88, 89 Ehreneintritt  152, 153, 157, 213

290 Eichelberg  115, 116, 117, 119, 120, 121, 122, 128, 129, 130, 131, 132, 133 Elbing  31, 32, 205, 251 England  16, 91 Erfüllungsort  16, 135, 136, 137, 208 exceptio  136, 164, 167, 168, 170, 171, 189, 208, 221, 249, 250 Fettmilch, Vinzenz  47, 48, 51, 52, 69 Firnhaber, Johann Christoph und Hermann Jacob  61, 63, 65 Florenz  21, 86, 123, 230 Frankfurter Bürgervertrag von 1612/13  47, 48, 51, 52, 69, 185, 188 Frankfurter Reformation von 1578  18, 141, 169, 184, 186, 193, 194, 195, 196, 197 Frankfurter Reformation von 1611  57, 112, 140, 173, 210, 211, 248 Frankfurter Verfassungsstreit (1705–1732) ​ 42, 44, 50, 51, 53, 56, 58, 66, 67, 70, 246 Frankreich  16, 17, 20, 24, 34, 37, 47, 52, 53, 54, 55, 58, 59, 62, 74, 75, 85, 89, 90, 98, 105, 106, 108, 109, 120, 124, 128, 129, 133, 135, 168, 169, 170, 177, 178, 180, 199, 206, 207, 224, 225, 232, 243, 245, 250, 264 Frey-Gesellschaft 48 Gemeinwohl  55, 56, 57, 62 Genf  37, 54, 59, 75, 199 Genua  16, 21, 58, 75, 98, 200, 206, 228, 229, 230, 233, 242, 257 Gerichtslandschaft  16, 39, 45, 183, 186, 188, 192, 196, 257, 264 Gesellschaft Alten-Limburg  48, 191 Gesellschaft Frauenstein  48, 72, 191 Gewohnheitsrecht  27, 28, 30, 221, 233, 243, 250, 258, 259, 260, 261, 264 Gilden  84, 86, 87 Goldschmidt, Levin  21, 23 Halle  72, 127, 149, 225 Hamburg  21, 22, 23, 24, 25, 27, 32, 34, 37, 41, 45, 49, 73, 76, 79, 81, 83, 86, 87, 89, 91, 92, 93, 100, 103, 104, 108, 112, 113, 160, 161, 164, 176, 198, 201, 202, 204, 205, 216, 220, 221, 222, 223, 226, 229, 230, 231, 233, 234, 235, 236, 238, 261, 265

Namens-, Orts- und Sachregister Handelsbücher  170, 176, 208, 210 Handelsgericht  18, 29, 31, 33, 34, 80, 86, 94, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 108, 198, 200, 204, 223, 224, 227, 228, 229, 243 –– Bern  98, 103 –– Bologna  86 –– Braunschweig  90, 103 –– Leipzig  90, 93, 94, 100, 104, 202, 244, 254 –– Nizza  86 –– Nürnberg  93 –– Turin  86 –– Wien  158, 159 Handelsinnung –– Dresden  89 –– Mannheim  89, 90, 94, 103 Handelswissenschaft  22, 107, 111, 237, 261, 263 Handwerker  51, 58, 59, 67, 71, 94, 101, 140, 141, 142, 187, 191, 247 Haus Braunfels  50, 72, 79 Henrici, Johann Georg  70 Hilden, Peter von  61, 63, 65 Höker  58, 92 Indossament  115, 117, 118, 120, 121, 124, 126, 127, 128, 129, 130, 138, 143, 144, 145, 149, 161, 162, 172 –– Blankoindossament  115, 116, 117, 118, 119, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 144, 145, 221, 238, 239, 249, 260 Indossamentenkette  123, 125, 128, 130, 144 Inquisitionsamt  54, 56, 61, 62, 64 Insolvenz  115, 116, 117, 119, 122, 123, 124, 150, 171, 172, 173, 216, 218 Italien  16, 17, 20, 21, 33, 37, 47, 54, 56, 58, 59, 61, 62, 64, 67, 75, 86, 89, 97, 98, 111, 123, 200, 201, 202, 229, 250 iura novit curia  27, 258 ius commune  200, 222, 226, 239, 243, 262 Juden  51, 53, 54, 58, 66, 70, 107, 140, 146, 147, 148, 156, 157, 170, 171, 178 Juristenfakultäten  25, 30, 110, 165, 209, 223, 224, 235, 242

Namens-, Orts- und Sachregister Kaiser Friedrich III.  80, 191 Kaiser Joseph I.  51, 52, 53 Kaiser Karl IV.  60 Kaiser Karl VI.  53, 56, 101 Kaiser Leopold I.  51 Kaiser Matthias  51 Katholiken  54, 70, 254 Kaufgericht Braunschweig  90, 99, 100, 103 Kaufmännische Korporation Würzburg  89, 90, 101, 103 Kaufmännisches Direktorium –– Basel  70, 96 –– Bern  98, 103 –– St. Gallen  90, 95, 204, 251 –– Zürich  38, 89, 90, 93, 96, 209, 210 Kolberg  99 Köln  21, 74, 75, 151, 176, 201, 230, 236, 265 Kommerzdeputation  83, 88, 100, 102, 261 –– Hamburg  23, 87, 89, 92, 198, 205, 229 –– Hersfeld  100 –– Marburg  100 –– Rinteln  100 –– Schmalkalden  100 Kommerzialbehörden  83, 84, 85, 86, 91 Kommerzienrat  83 –– Bern  91, 95, 98 –– Württemberg  90, 101, 103 Kommerzkollegium –– Amsterdam  85, 86 –– Berlin  99 –– Elbing  31, 251 –– Kassel  100, 101 –– Königsberg  99 –– Wien  85, 102 Kommissionsdekret  28, 29, 47, 201, 224, 227 Kommissionsgeschäft  16, 38, 55, 60, 61, 62, 63, 64, 77, 89, 96, 115, 119, 121, 125, 128, 163, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 202, 204, 248 Kompromiss  22, 80, 81, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 101, 251, 252, 254 Königk, Johann Christian  15, 34, 38, 117, 118, 124, 125, 126, 130, 133, 158, 231, 234, 238, 260 Königsberg  99 Konsulargerichtsbarkeit  85, 86, 97 Krämer  47, 58, 59, 66, 92, 94, 246

291 Kramerinnung Leipzig  94, 104, 106, 108, 111, 218 Kurfürst von Mainz  48, 52, 53, 70 Kurfürst von Sachsen  94 Landgraf von Hessen-Darmstadt  48, 52, 53, 70 Leipzig  15, 17, 23, 31, 34, 38, 40, 41, 49, 65, 81, 83, 89, 90, 93, 94, 100, 104, 105, 106, 108, 111, 117, 118, 122, 123, 124, 125, 126, 129, 130, 133, 143, 150, 151, 155, 158, 160, 161, 163, 166, 174, 190, 202, 204, 205, 212, 213, 218, 219, 222, 225, 230, 231, 232, 233, 234, 236, 238, 244, 250, 254, 260, 265 Leipziger Juristenfakultät  23, 213 Leipziger Kramermeister  31, 117, 125, 126, 129, 130, 133, 151, 202, 203, 204, 218, 222, 233, 234, 238, 260 Leipziger Wechselordnung  15, 118, 122, 124, 126, 130, 155, 158, 160, 163, 166, 174, 231, 232, 260 Leuchs, Johann Michael  22, 107 Lex mercatoria  16, 240 Lissabon  85, 86 Livorno  75, 98, 206, 226 London  37, 76, 166, 235 Lord Mansfield  236, 237, 240 Lübeck  21, 88, 219 Ludovici, Carl Günther  113, 228 Ludovici, Jakob Friedrich  124, 156, 157, 158, 167, 231 Lutheraner  42, 54, 61, 64, 65, 66, 67, 68, 70, 71, 74, 254 Lyon  49, 75, 95, 174 Magdeburg  122, 160, 161, 166, 167, 231, 254 Mangolt, Johann Friedrich  63 Mangon, Abraham  69, 70, 71, 74 Mannheim  83, 90, 94, 104, 261 Marktvorsteher Nürnberg  34, 93, 104, 201 Marperger, Paul Jacob  37, 65, 108, 199, 228, 233, 235, 245 Marquard, Johann  21, 27, 130, 241, 242, 243, 262 Meißen  89 Merkantilgericht Nürnberg  104 Merkantilmagistrat Bozen  97

292 Metz  54, 179, 180, 232 Metzler, Benjamin  61, 108, 169, 207, 210 Münch, Johann Carl  68, 246 Münch, Johann Gerhard  68, 71, 178, 246 Münch, Peter  61, 63, 65, 70, 74, 75, 76 Neapel  123, 206 Neufville, David und Jacob de  61, 65, 68, 70, 74, 75, 76, 77, 178, 210, 246 Niederlande  33, 47, 57, 73, 74, 112 Nizza  86 Nürnberg  17, 23, 34, 37, 45, 49, 75, 79, 89, 90, 93, 95, 97, 100, 103, 104, 106, 112, 127, 143, 184, 189, 197, 201, 204, 227, 229, 230, 235, 236, 244, 250, 252, 261, 265 Olenschlager, Johann Nicolaus  61, 70, 71, 74, 75, 108, 169, 210 Orderwechsel  115, 117, 119, 128, 129, 142, 144, 147, 148, 153, 155, 160, 164, 165, 166, 202, 203 Orville, Peter de  108, 112, 113, 114 Pisa  98, 206 Preußen  29, 30, 31, 99, 103, 123, 128, 160, 161, 205, 227, 229, 231, 235, 238 Provokation  189 Rechtsfortbildung  41, 43, 240, 241, 242, 247, 249 Rechtsgewohnheit  18, 19, 23, 30, 84, 207, 222, 226, 232, 233, 258, 262 Rechtsquellen  24, 27, 258, 261, 262 Rechtstransfer  227, 228, 229, 232, 234, 235, 238, 239, 240, 242, 259, 261 Reformierte  42, 54, 61, 64, 65, 66, 67, 68, 70, 71, 74, 254 Regress  124, 135, 142, 149, 150, 151, 154, 159, 160, 161, 203, 248 Reihenregress  150, 151, 161, 248 Reichshofrat  51, 52, 53, 58, 66, 219 Reichskammergericht  39, 40, 41, 43, 45, 79, 88, 93, 114, 135, 139, 153, 168, 187, 190, 194, 197, 201, 207, 210, 212, 213, 215, 219, 222, 227, 233, 242, 259, 263 Respekttage  145, 146, 234, 239 responsio  110, 152, 224

Namens-, Orts- und Sachregister Rhon, Johann Martin de  65, 69, 70, 74, 75, 76, 178, 220 Rom  228 Russland  32, 244, 253 Sachsen-Altenburg  31, 224, 228 Säumnisurteil  202, 214, 215 Savary, Jacques  20, 24, 26, 37, 107, 108, 109, 112, 124, 127, 129, 133, 199, 206, 234, 235, 241, 243, 259 Scaccia, Sigismundus  22 Scherer, Philipp Carl  23, 27, 252 Schlüter, Johann  21 Schöffen  33, 53, 69, 72, 73, 183, 184, 185, 187, 189, 191, 192, 194, 195, 202, 203, 225, 246 Schöffengericht  33, 41, 80, 100, 155, 184, 185, 186, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 198, 199, 202, 210, 211, 212, 214, 221, 226, 254, 257, 263 Schöffenrat  41, 107, 131, 135, 158, 169, 186, 190, 192, 193, 194, 196, 207, 209, 212, 213, 223, 246 Schöffenreferier  186, 188, 189, 192, 194, 195, 196 Schweiz  34, 47, 53, 55, 58, 59, 62, 75, 90, 95, 98, 104, 205, 257, 265 Siegel  67, 214, 215 Siegel, Johann Gottlieb  34, 38, 234, 242, 243 Solawechsel  115, 116, 118, 119, 138, 139, 142, 147, 148, 153, 155, 156, 160, 164, 165, 167, 175 Spanien  228, 250 Span, Johann Ludwig  190 Speditionsgeschäft  16, 38, 55, 60, 61, 62, 63, 64, 77, 78, 96 St. Gallen  32, 55, 59, 90, 91, 95, 103, 104, 251, 261 Straßburg  54, 74, 75, 235 Supplikation  48, 49, 53, 54, 55, 57, 61, 62, 71, 79, 100, 195 Thöl, Heinrich  26 Treitschke, Georg Carl  23, 251 Turin  86 Uchelen, Heinrich von  65, 71, 246 Uchelen, Seger von  52, 61, 63, 65, 66, 112, 114

Namens-, Orts- und Sachregister Usance (Handelsbrauch)  23, 25, 26, 27, 31, 82, 98, 104, 138, 154, 167, 180, 210, 211, 217, 226, 258, 261 Venedig  21, 36, 75, 76, 97, 123, 201, 206, 229, 230 Verbesserte Visitationsordnung von 1726  56 Visitationsordnung von 1616  51 Vogt, Johann Martin  49, 81, 199, 233 Wechselgericht –– Bozen  97, 98, 102, 103 –– Elbing  31, 99, 205, 251 –– Mannheim  95, 104 –– München  102 –– Wien  101, 102

293 Wechselmakler  79, 80, 92, 170 Wechselprotest  115, 118, 126, 127, 131, 135, 140, 147, 149, 150, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 165, 203, 210, 231, 239, 243 Weimar  123 Wien  52, 53, 75, 83, 85, 101, 102, 109, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 128, 131, 132, 133, 135, 136, 158, 159, 160, 162, 163, 165, 204, 205, 218, 226, 229, 230, 231, 253 Würzburg  89, 90, 101, 102 Zunft  48, 51, 57, 84, 91, 94, 111 Zürich  38, 55, 75, 89, 90, 91, 95, 96, 103, 104, 180, 204, 209, 210, 261