Die Rezeption der Werke Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive [1 ed.] 9783428559534, 9783428159536

Der herausragende Rang Ernst-Wolfgang Böckenfördes als Denker des Staates, als Rechtswissenschaftler und auch als Bundes

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Die Rezeption der Werke Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive [1 ed.]
 9783428559534, 9783428159536

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DER STAAT ZEITSCHRIFT FÜR STAATSLEHRE UND VERFASSUNGSGESCHICHTE, DEUTSCHES UND EUROPÄISCHES ÖFFENTLICHES RECHT

Herausgegeben von Mirjam Künkler Tine Stein

Beiheft 24

Die Rezeption der Werke Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive

Duncker & Humblot

Die Rezeption der Werke Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive

BEIHEFTE ZU „DER STAAT“ Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht Herausgegeben von Armin von Bogdandy, Rolf Grawert, Oliver Lepsius, Christoph Möllers, Fritz Ossenbühl, Walter Pauly, Barbara Stollberg-Rilinger, Uwe Volkmann, Andreas Voßkuhle, Rainer Wahl

Heft 24

Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930 – 2019) Foto: Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster, Dr. Holger Arning

Die Rezeption der Werke Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive

Herausgegeben von Mirjam Künkler und Tine Stein

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6828 ISBN 978-3-428-15953-6 (Print) ISBN 978-3-428-55953-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorbemerkung Als Ernst-Wolfgang Böckenförde 1962 mit Roman Schnur die Zeitschrift „Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte“ gründete, hatte er bereits eine gewisse Bekanntheit als Nachwuchswissenschaftler erreicht: Die juristische wie die historische Dissertation hatten jeweils neue Reihen bei Duncker & Humblot begründet („Schriften zum Öffentlichen Recht“ bzw. „Schriften zur Verfassungsgeschichte“) und einige Rezensionen erfahren. Mit seinen engagierten Aufsätzen zum Katholizismus – sowohl dem Plädoyer für eine Öffnung zur Demokratie als auch der historischen Aufarbeitung des Verhaltens der Kirchenfunktionäre im Jahr 1933 – war er auch außerhalb der Rechtswissenschaft bereits ein viel diskutierter junger Gelehrter, dessen erster Ruf auf eine Professur nach Heidelberg nach dem Abschluss der verfassungsdogmatischen Habilitation, bei Duncker & Humblot im Jahr 1964 erschienen, nicht lange auf sich warten ließ. Die Motivation für die Gründung des „Staats“ war, eine Lücke zu schließen: Es fehlte in den Augen der beiden Initiatoren eine Zeitschrift, die Untersuchungen versammeln sollte, welche den Staat als spezifische Form politischer Ordnung nicht nur aus rechtswissenschaftlicher, sondern auch aus politikwissenschaftlicher, historischer und philosophischer Perspektive in den Blick nehmen würden. Der „Staat“ etablierte sich rasch als neben dem „Archiv des Öffentlichen Rechts“ wichtigste staatsrechtliche Zeitschrift und Böckenförde prägte das Profil nicht nur mit seinen eigenen dort veröffentlichten Aufsätzen und Rezensionen, sondern insbesondere mit seiner Arbeit in der Redaktion (bis 1984) und später bis zu seinem Tod als einer der Herausgeber. Böckenfördes herausragender Rang als politischer Denker, als Rechtswissenschaftler und auch als Richter wird in Deutschland wenig bestritten. Weniger bekannt ist, dass er auch über Deutschland hinaus als einflussreicher Gelehrter gelten kann. Wie die Beiträge in diesem Beiheft zeigen, ist er in zahlreiche Sprachen übersetzt worden und seine begrifflichen Analysen haben in unterschiedlichsten Ländern Debatten initiiert. Allerdings gilt es, die jeweiligen Kontexte zu unterscheiden – wie intensiv, in welchen wissenschaftlichen Disziplinen und mit welchen Aspekten seines Werkes Böckenförde in anderen Sprachräumen rezipiert wird, ist sehr vielfältig. Die Spannbreite reicht von einer umfassenden und auch schon seit Jahrzehnten bestehenden Auseinandersetzung, wie in Italien und Polen, über eine eher punktuelle, wie in den spanisch- und portugiesischsprachigen Ländern, zu einer zwar inhaltlich intensiven, aber sehr auf die rechtwissenschaftliche Disziplin konzentrierten Rezeption in Korea und Japan. Der Erwartung und dem Erkenntnisinteresse des Rezeptionskreises entsprechend sind immer nur bestimmte Themen zu bestimmten Zeitpunkten anschlussfähig.

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Vorbemerkung

Die in diesem Beiheft versammelten Beiträge gehen auf die Vorträge und Kommentare einer an der Georg-August-Universität Göttingen im Februar 2019 veranstalteten Konferenz mit dem Titel „Die Rezeption der Arbeiten Ernst-Wolfgang Böckenfördes in vergleichender Perspektive (Polen, Italien, Lateinamerika, Frankreich, Korea, Japan)“ zurück. Diese bot auch für die Übersetzer und Interpreten Böckenfördes in unterschiedlichen Sprachen eine besondere Gelegenheit, einander kennenzulernen und sich auszutauschen. Die Herausgeberinnen danken den Autorinnen und Autoren für die gewissenhafte Verarbeitung der auf der Konferenz erhaltenen Anregungen für den jeweils eigenen Beitrag. Wir danken zudem Sven Altenburger, Verena Frick und Fiona Wißmann für inhaltliche, redaktionelle und operative Hilfe bei der Erstellung dieses Heftes. Den Beiträgen sind folgende Anhänge beigefügt: eine Liste der Übersetzungen der Texte Böckenfördes (1), eine Liste der diesen zugrundeliegenden deutschen Ersterscheinungen (2), sowie eine Liste der Veröffentlichungen Böckenfördes in „Der Staat“ (3). Ernst-Wolfgang Böckenförde hat von der Konferenz in Göttingen noch freudig Kenntnis genommen, die auch mehrere seiner ehemaligen Studenten und Assistenten, u. a. aus Italien, Korea, Polen, zusammenführte. Er verstarb am 24. Februar 2019. Die dem Anhang ebenfalls beigefügte Übersicht ausgewählter Nachrufe und Würdigungen (4) legt Zeugnis von dem hohen Respekt ab, der ihm und seinem Werk entgegengebracht wird. Im Herbst 2019

Mirjam Künkler und Tine Stein

Inhaltsverzeichnis Mirjam Künkler und Tine Stein Die Rezeption Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Elisa Bertò Die Bedeutung der Staatstheorie von Ernst-Wolfgang Böckenförde in Italien . .

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Michele Nicoletti „Aus Liebe zur Freiheit“: über die italienische Rezeption des Werkes von ErnstWolfgang Böckenförde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Joanna Mysona Byrska Die Rezeption des Politischen und Konstitutionellen Denkens von Ernst-Wolfgang Böckenförde in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Otto Kallscheuer Folgenlose Lektüre? Zur Böckenförde-Rezeption in Polen und Italien . . . . . . . .

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Sylvie Le Grand Die Rezeption von Ernst-Wolfgang Böckenfördes Werk in Frankreich . . . . . . . .

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Dieter Gosewinkel Böckenförde in Frankreich – Anmerkungen zu Bedingungen und Hemmnissen einer Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Tomonobu Hayashi Staat als Garant der individuellen Freiheit: die Rezeption Böckenfördes in Japan 125 Christian Starck Böckenförde in Korea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Hyo-Jeon Kim Würdigung des Werkes Ernst-Wolfgang Böckenfördes in Korea . . . . . . . . . . . . 153 Diego Pardo-Álvarez Die begrenzte Rezeption der Verfassungslehre Ernst-Wolfgang Böckenfördes in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion: Eine analytische Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Carlos Bernal Pulido und Nicolás Esguerra Miranda Der Einfluss von Ernst-Wolfgang Böckenförde auf die Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes . . . . . . . . . . . . . . . . 235

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Inhaltsverzeichnis

Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes . . . . . 249 Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“ . . . . . . . . . . . . . . 255 Nachrufe und Würdigungen für Ernst-Wolfgang Böckenförde (Auswahl) . . . . . . . . 263

Die Rezeption Ernst-Wolfgang Böckenfördes in international vergleichender Perspektive Von Mirjam Künkler, NIAS, und Tine Stein, Göttingen*

I. Einleitung Ernst-Wolfgang Böckenfördes Werke gelten als rechtswissenschaftliche Klassiker der deutschen Staatsrechtslehre, die auch im Ausland eine breite Rezeption erfahren haben. Eine Auseinandersetzung mit seinen verfassungsgeschichtlichen und verfassungstheoretischen, seinen staatsrechtlichen und staatsphilosophischen Beiträgen ist in verschiedensten Sprachräumen zu verzeichnen. Schon seit Jahrzehnten liegen viele Übersetzungen ins Italienische, Polnische, und Koreanische vor, und seit den neunziger Jahren wird er auch vermehrt ins Japanische, Französische, Spanische, Portugiesische und Englische übersetzt. Böckenförde ist vor allem bekannt durch seine zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen, mit denen er wiederholt Debatten pointiert anstieß und weiterführte. Diese seine bevorzugte Publikationsform spiegelt sich auch in den Übersetzungen wider: es wurden über 80 seiner Aufsätze übersetzt, nur zwei seiner Monographien. Der Einfluss seiner Arbeiten ist in den unterschiedlichen Sprachen vielgestaltig und je nach Fall sehr unterschiedlich. Um mit einem quantitativen Überblick zu beginnen: Spitzenreiter bildet das Italienische mit fünfundfünfzig Übersetzungen seiner Aufsätze und einer Monographie, gefolgt vom Koreanischen mit über dreißig übersetzten Artikeln. Quantitativ fast gleichauf liegen Polen und Japan mit jeweils dreiundzwanzig und einundzwanzig Aufsätzen. Das Französische kommt auf vierzehn übersetzte Aufsätze, gefolgt von zehn Übersetzungen ins Spanische. Ins Portugiesische sind zwar nur sieben Aufsätze übersetzt worden, jedoch auch die letzte von Böckenfördes Monographien, nämlich die „Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie“ (2012). Auch im Englischen als der internationalen Wissenschaftssprache liegt seit kurzem eine repräsentative Auswahl seiner Texte vor, nachdem eine ältere Zusammenstellung von zehn Aufsätzen seit langem vergriffen war. Und schließlich sind einzelne Übersetzungen ins Slowenische und Tschechische, Schwedische, Dänische, und Russische zu verzeichnen. * Wir danken David Abraham, Michael Hollerich und Oliver Lepsius sowie den Autorinnen und Autoren der anderen Beiträge in diesem Beiheft für wichtige Hinweise und Anregungen.

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Daneben gilt es, eine qualitative Dimension kenntlich zu machen, die die Intensität der Debatte über Böckenfördes Werk und auch eine etwaige Rezeption in der Rechtsprechung umfasst. Diese ist nicht zwingend auf das Vorhandensein von Übersetzungen angewiesen, insofern die Beteiligten u. U. in der Lage sind, Böckenfördes Texte auf Deutsch zu lesen. Naturgemäß profitiert aber die Rezeption eines Autors von vorhandenen Übersetzungen. In den fachwissenschaftlichen Debatten, vornehmlich der Rechtswissenschaft, aber auch der Politikwissenschaft, Geschichte, Philosophie und Theologie sind tatsächlich unterschiedlich ausgeprägte Bezugnahmen auf seine Theorien zu konstatieren, wobei mancherorts auch seine Doppelrolle als Gelehrter und Verfassungsrichter wahrgenommen wird. Dabei stellen der Umfang und die Spannbreite seines Oeuvres eine besondere Herausforderung dar. Denn das umfangreiche Werk, das in einer über fünf Jahrzehnte währenden Schaffenszeit erstanden ist und in dem Böckenförde auch in vielfältiger Weise öffentlich zu Problemen der Zeit Stellung genommen hat, ist nicht einfach auf einen Begriff zu bringen. Es lassen sich bei ihm liberale wie etatistische Grundpositionen finden, und sowohl sozialdemokratische als auch katholische Wertorientierungen. Schon für diejenigen, die mit den deutschen Traditionslinien und rechtswissenschaftlichen wie auch politischen Diskursverläufen zutiefst vertraut sind, bergen Böckenfördes Analysen und Beurteilungen – nicht zuletzt aufgrund seines Rückgriffs auf geistesgeschichtlich geprägte Begriffe wie Um-Willen, nomoeidisch, Seinsverhalten und Homogenität, aber auch wegen seiner persönlichen Nähe zu Carl Schmitt, die mitunter die Wahrnehmung Böckenfördes stark beeinflusst – zuweilen große Herausforderungen im Verständnis.1 Dieses Beiheft versammelt Aufsätze, die jeweils die Rezeption des Werkes Böckenfördes innerhalb eines Sprachraumes untersuchen. Wie wird dieser facettenreiche Autor jenseits innerdeutscher Debatten diskutiert, wie wird er verstanden und verständlich gemacht, wann, unter welchen Bedingungen und zu welchen Anlässen ist Böckenförde in den jeweiligen wissenschaftlichen und auch politischen, kulturellen oder religiösen Diskursen „ein Argument“? Die hier versammelten Aufsätze gehen diesen Fragen nach. Elisa Bertò und Michele Nicoletti erörtern die italienische Rezeption, Joanna Mysona Byrska die polnische, kommentiert von Otto Kallscheuer, und Sylvie Le Grand die französische, begleitet von einem Kommentar Dieter Gosewinkels. Bei allen drei Ländern ist eine besondere Bedeutung des katholisch geprägten religionspolitischen Hintergrunds von Bedeutung, wobei auffällt, dass Böckenförde jeweils ganz unterschiedlich wahrgenommen wird, was nicht zuletzt mit der Frage zu tun hat, welche Aufsätze zuerst übersetzt worden sind und die öffentliche Wahrnehmung dieses Denkers besonders geprägt haben. Tomonobu Hayashi beleuchtet die Rezeption in Japan und Hyo-Jeon Kim die in Südkorea, zusätzlich geht Christian Starck auf die Beson1 Vgl. Mirjam Künkler/Tine Stein: Staat, Recht und Verfassung. Ernst-Wolfgang Böckenfördes politisches und verfassungstheoretisches Denken im Kontext, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, NF Bd. 65, 2017, S. 573 – 610.

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derheiten der koreanischen Rechtsauffassung ein. Diego Pardo-Álvarez fragt nach den Gründen für die eher begrenzte Rezeption im spanischsprachigen Raum, und Carlos Libardo Bernal Pulido und Nicolás Esguerra Miranda untersuchen den Einfluss Böckenfördes auf die ausländische Rechtspraxis, hier die Rechtsprechung Kolumbiens. Die Herausgeberinnen dieses Beihefts steuern darüber hinaus in dieser Einleitung einen knappen Überblick zur englischsprachigen Rezeption bei. Die Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge stammen zwar aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, aus Rechts- und Politikwissenschaft, aus der Geschichtswissenschaft und aus der Philosophie, die Beiträge sind aber in methodischer Hinsicht durch ein gemeinsames Verständnis von „Rezeption“ verbunden. Unter Rezeption wird hier sowohl die Frage verstanden, welche Texte wann und an welchen Veröffentlichungsorten übersetzt worden sind, als auch die Frage nach der Bedeutung der Theorien und Positionen in den jeweiligen nationalen – fachlichen und gesellschaftlichen – Debatten. Welche zeitgeschichtlichen Kontexte spielen in den jeweiligen Diskussionen über Böckenfördes Werk eine Rolle? Warum werden bestimmte Schriften von ihm übersetzt und/oder diskutiert, andere nicht? Wie wird dabei auf den Prozess des Übersetzens als einer Übertragung eingegangen, angesichts der Tatsache, dass gerade juristische Fachbegriffe sehr von einem in der Regel nationalstaatlichen Kontext geprägt sind? Wird also kritisch reflektiert, wie die von der deutschen, mindestens der kontinental europäischen Rechtstradition geprägten Begriffe, die Böckenförde verwendet, im Prozess des Übersetzens akkulturiert, also an die jeweiligen politischen und rechtlichen Traditionen angeglichen werden? In diesem Zusammenhang ist auch von Belang, ob es sich überhaupt um ein genuin juristisches Erkenntnisinteresse handelt, das heißt, werden vornehmlich seine rechtswissenschaftlichen Beiträge gelesen und geschieht dies aus einem analytischen oder auch aus einem rechtspraktischen Interesse heraus, um sie für die eigene Rechtspraxis fruchtbar zu machen? Oder geht es aus einer anderen Perspektive darum, in gesellschaftspolitischer Hinsicht mit Böckenförde eine bestimmte normative Position in der öffentlichen Debatte stark zu machen? Und schließlich darf in kritischer Selbstdistanz zudem die eigene Rolle nicht vergessen werden, etwa als Interpretin seines Werks in anderen Sprachräumen, als Übersetzer, als Herausgeber von Schriften, so dass auch die eigenen Vorentscheidungen und Intentionen explizit zu machen sind. Nicht auf alle diese Fragen und Aspekte kann in den hier versammelten Beiträgen explizit eingegangen werden, sie können aber gleichwohl einen Reflexionshorizont bei der Lektüre bieten.

II. Katholisches Interesse? Zur Diskussion in Polen, Italien und Frankreich Italien, Polen und Frankreich sind die europäischen Länder, in Bezug auf die man aufgrund der katholischen Prägung ein ähnliches Rezeptionsinteresse an Böckenförde als katholischen Intellektuellen vermuten könnte. Tatsächlich sind die Ähnlichkei-

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ten angesichts der jeweils unterschiedlichen nationalstaatlichen Entwicklungslinien und der sehr kontingenten Rezeptionspfade jedoch begrenzt. Allerdings kann für Italien und Polen eine vergleichsweise schon länger andauernde und intensive Rezeption festgehalten werden (seit den 1980er Jahren), wohingegen Böckenförde in Frankreich erst seit Beginn der 2000er übersetzt und diskutiert wird. Die Rezeption in Italien setzte früh ein. Bereits im Jahr 1970 wurde Böckenfördes geschichtswissenschaftliche Dissertation übersetzt, gefolgt von einigen anderen historischen, demokratietheoretischen und rechtspolitischen Arbeiten und dem Aufsatz zur Säkularisierung des Staates. Die Rezeption ist wesentlich von der Mailänder Schule um Gianfranco Miglio und dem in Trient lehrenden Pierangelo Schiera initiiert gewesen, mit ihrem besonderen Interesse an der Übersetzung und historischen Situierung des deutschen Staats- und Verfassungsdenkens, die auch einige andere Klassiker– von Stein, Gierke über Weber, Hintze, Brunner, Schmitt bis hin zu Koselleck – übersetzten und kommentierten. Zum Kreis der frühen Übersetzer gehören neben Schiera auch Paolo Prodi, Gründer und langjähriger Direktor des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts, und Pasquale Pasquino, Professor für Rechtswissenschaft und -geschichte in Paris und New York. Wie Elisa Bertò herausarbeitet, die selbst kürzlich einen Aufsatz Böckenfördes ins Italienische übersetzt hat („Der Staat als sittlicher Staat“), ist es neben einem begriffsgeschichtlichen Fokus ab den 1980er Jahren auch sein Profil als katholischer Intellektueller gewesen, welches das Interesse an Böckenfördes Arbeiten schürte. In den Jahren 2006 und 2007 Jahren erschienen dann drei Sammelbände, die sehr umfangreich Aufsätze Böckenfördes ins Italienische übersetzten: der erste enthält Übersetzungen von siebzehn Aufsätzen, die im Suhrkamp-Band „Staat, Verfassung, Demokratie“ versammelt sind, umfasst also die zentralen verfassungstheoretischen und grundrechtstheoretischen Aufsätze; der zweite versammelt fünfzehn wichtige Aufsätze zu Religion und Politik; der dritte Band ist eine Zusammenstellung von neun Aufsätzen aus den Suhrkamp-Bänden „Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie“ (1991) und „Staat, Nation, Europa. Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie“ (1999). Seit 2007 wurden noch einzelne Beiträge (zur Bioethik, zu Kirche und Kapitalismus, und „Der Staat als sittlicher Staat“) übersetzt, und zwei Dissertationen und eine Monographie zu Böckenförde veröffentlicht. Dabei lässt sich kein „Zentrum“ der Böckenförde-Übersetzungen und Sekundärforschung ausmachen; vielmehr findet jene Forschung an unterschiedlichen renommierten Universitäten statt (Turin, Trient, Florenz, Salerno, Rom), und in unterschiedlichen Fachbereichen (Geschichte, Rechtsphilosophie und -geschichte, (politische) Philosophie, Rechtswissenschaft). Elisa Bertò zeigt den zeithistorischen Kontext auf, der eine Auseinandersetzung mit Böckenfördes Arbeiten in Italien als besonders attraktiv erscheinen ließ: die Verfassungsreform-Debatte der 1980er und 1990er Jahre, der Linksterrorismus der 1970er Jahre, und schließlich die Spannung zwischen säkularem Staat und katholischer Kirche und die Bedeutung der Religion in politischen Debatten: Jeweils leisten Böckenfördes Analysen im Angesicht dieser Herausforderungen einen hilfreichen

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Beitrag dazu, den Staat als politische Organisationsform, die die Freiheit des Einzelnen sichert, zu begreifen. Das zu zeigen, ist auch Michele Nicolettis zentrales Anliegen. Nicoletti, der bei Böckenförde in Freiburg studierte und 2006 am Italienisch-Deutschen Historischen Institut eine Studienwoche zu Böckenfördes Werk organisierte, an der Böckenförde selbst teilnahm, sieht im Zentrum der italienischen Rezeption Böckenfördes die Erkenntnis einer dialektischen Verbindung des modernen Staates und des individuellen Gewissens.2 In der von ihm vorgenommenen neuen Übersetzung des Aufsatzes zur Entstehung des säkularen Staates übersetzt Nicoletti die Passage, wonach der Staat seine eigenen Voraussetzungen nicht garantieren könne und das große Wagnis seiner eigenen Abschaffung „um der Freiheit willen“ eingegangen sei, letzteres mit „per amore della libertà“. Dieser Übersetzung und Deutung, wonach „um der Freiheit Willen“ zu „aus Liebe zur Freiheit“ wurde, stimmte Böckenförde explizit zu. Nicoletti sieht Böckenfördes ursprüngliche Intention, die Katholiken aufzufordern, den säkularen und freiheitlichen Staat als die auch theologisch angemessene politische Ordnung anzuerkennen, gerade für Italien als besonders bedeutsam an, wo der liberale Staat in den Augen der Kirche als Usurpation galt und mehr noch „die Säkularisation als Akt der Enteignung nicht nur kirchlicher Güter, sondern auch des Staates der Kirche“. Der liberalen Stoßrichtung des Diktums wird aber in der italienischen Rezeption wenig Beachtung geschenkt, wie Nicoletti anhand einer Auseinandersetzung mit den Schriften Gustavo Zagrebelskys, des ehemaligen Vorsitzenden des italienischen Verfassungsgerichts, zeigt.3 Der eher aus linksliberallaizistischer Tradition heraus argumentierende Zagrebelsky weist zwar auch die apologetische Diktion von Josef Ratzingers Deutung des Böckenfördeschen Diktums zurück (nach der der moderne Staat ohne die bindenden Kräfte des Christentums nicht überleben könne), sieht aber unter anderem doch die Gefahr einer Vorstellung gegeben, dass die Freiheit der Einzelnen in den Religionsgemeinschaften, denen sie zugehörig seien, eine Grenze erfahre. Dagegen löst sich für Nicoletti die Ambivalenz 2 Siehe bereits Michele Nicolettis Darstellung der italienischen Rezeption in einer französischen Publikation: ders., La réception de l’œuvre d’E.-W. Böckenförde en Italie, Teil des von Sylvie Le Grand herausgegebenen Dossiers: Les fondements normatifs de l’Etat constitutionnel moderne en Allemagne. Une approche pluridisciplinaire, Revue d’Allemagne 46:1 (2014), S. 95 – 109. 3 2007 veranstaltete die Gruppe RESET/Doc um Giancarlo Bosetti eine Konferenz mit anschließendem Online-Symposium, in dem sie internationale Stimmen aus der politischen Theorie, darunter Nadia Urbinati und Seyla Benhabib, einlud, zum Böckenförde-Diktum Stellung zu nehmen, allerdings ohne den vollständigen Aufsatz zur Verfügung zu stellen oder in Böckenfördes Werk und seine Person einzuführen. Vielmehr wurde der Satz des Diktums als Aufhänger verwendet, die Frage zu erörtern, ob der liberale Staat die Religion brauche (wie Ratzinger konstatierte): „Lo stato liberale ha bisogno di religioni? (Braucht der liberale Staat Religionen?)“. Teilnehmer wiesen diese Annahme als lächerlich zurück. Böckenfördes Diktum schien dabei stark angegriffen worden zu sein, allerdings ohne dass sich die Teilnehmer die Mühe gemacht hätten, sich mit Böckenfördes Arbeiten auseinanderzusetzen, geschweige denn den besagten Aufsatz vollständig zu lesen, und Ratzingers von Böckenfördes Position zu unterscheiden.

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der Böckenfördeschen Formulierung in der Gesamtschau seines Denkens, wonach der säkulare Staat keine Katastrophe darstellt, sondern vielmehr ein freiheitliches (und freiheitlich religiös gewähltes) Leben überhaupt erst ermöglicht. Zudem weist er daraufhin, dass Böckenförde sich keineswegs gegenüber der katholischen Kirche apologetisch verhält, sondern im Gegenteil diese scharf kritisiert hat und schließlich für ihn die Bindung an und durch Religion keine Heteronomie darstellt, sondern nur in Freiheit ergriffen werden kann. Dass diese Kritik in der italienischen Rezeption wenig wahrgenommen wird, liegt allerdings auch daran, dass Böckenfördes Aufsatz „Der deutsche Katholizismus im Jahr 1933“ nie ins Italienische übersetzt worden ist. Bei der Zusammenstellung des 2007er Sammelbandes „Cristianesimo, libertà, democrazia“ (Christentum, Freiheit, Demokratie) erbat Böckenförde die Aufnahme jenes Artikels und zeigte sich außerordentlich enttäuscht, als diesem Wunsch nicht stattgegeben werden konnte. Er selbst hielt jenen Aufsatz (aufgrund dessen sich die Katholische Kirche in Deutschland genötigt sah, eine historische Kommission einzuberufen, die seine Forschung in allen wichtigen Punkten letztendlich bestätigte) für seine wichtigste geschichtswissenschaftliche Arbeit. Wie bei allen anderen Sprachräumen ergeben sich auch bei den italienischen Übersetzungen sogenannte „punti ciechi“ (blinde Flecken). Gerade vor dem Hintergrund der parallelen Herausforderungen des Linksterrorismus in Italien und Deutschland lässt sich beispielsweise fragen, warum wohl keiner seiner vier Aufsätze zum Thema Ausnahmezustand, Umgang mit Extremismus in der Demokratie, und den Rechten von Systemgegnern im Rechtsstaat aus den 1980er Jahren übersetzt wurde. Dies mag damit zusammenhängen, dass diese Schriften nicht in die Suhrkamp-Sammelbände aufgenommen wurden, die in den Augen vieler Leser eine Art Kanon des Oeuvres Böckenfördes darstellen, und daher auch in Deutschland anfangs wenig Aufmerksamkeit erhielten. Schließlich ist vor dem Hintergrund der großen Zahl der Übersetzungen die Dominanz Zagrebelskys in der Interpretation des Diktums zumindest verwunderlich. Die Breite, in der Böckenfördes Oeuvre im Italienischen erhältlich ist, ließe eine breitgefächerte Diskussion mit einer Vielzahl von Positionen und Interpretationen zu, und somit eine größere öffentliche Präsenz von Gegenstimmen. Otto Kallscheuer bemerkt, dass Gianfranco Miglio, dessen Name mit den Böckenförde-Übersetzungen zunächst stark assoziiert wird, als der Verfassungsexperte der ,Lega Nord‘ galt, die damals wie heute das Modell eines Föderalismus mit starker Exekutive vertritt. Nach diesem Modell ,dezisionistischen Charakters‘ könne nur eine starke Exekutive die wuchernde Bürokratie auf allen Ebenen beschneiden, die Dominanz der ,römischen‘ Parteizentralen aufbrechen und die inter-regionalen Finanztransfers stoppen. Dies führt nach Kallscheuers Einschätzung dazu, dass Böckenförde u¨ ber Miglio „im Gegensatz zu seinen eigenen ethisch-politischen Auffassungen gelesen“ wird, was eine offene Rezeption unter linksliberalen italienischen Denkern weitgehend verhindert.

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In Polen, wo sich eine ebenfalls quantitativ und qualitativ intensive Rezeption entfaltet hat, ist auffällig, wie sehr sich die Thematik der Übersetzungen an den politischen Gegebenheiten spiegelte. Die Krakauer Philosophin Joanna Mysona Byrska – die zu Böckenförde promovierte4 und während eines Gastsemesters in Freiburg an seinen Lehrveranstaltungen teilnahm – zeigt, dass sich die Themen in den Übersetzungen von einem zum nächsten Jahrzehnt gemäß der zeitgeschichtlichen Herausforderungen stark verschoben: von 1985 bis 1994 wurden insgesamt vierzehn Artikel zum Verhältnis von Religion und Politik übersetzt, in denen der Staat als religiös und weltanschaulich neutrale politische Ordnung mit dem Eckpfeiler der Gewissensfreiheit begründet wird, sowie zur Rolle der katholischen Kirche in der säkularen Demokratie. Oft wurden diese Artikel von dem katholischen Verlag „Znak“ veröffentlicht und anschließend in den liberalen katholischen Diskussionszirkeln diskutiert, in denen die Kirche einen Zufluchtsort für freies Denken bot, und die eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Solidarnos´c´ und schließlich für den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes spielten. Ab Mitte der 1990er Jahre wurden dann sechs Artikel zum Thema Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Verfassungsstaat übersetzt, und drei zu den Themen Europäische Integration und Globalisierung. Insgesamt sind 23 Artikel ins Polnische übersetzt worden; darüber hinaus ist eine Dissertation (eben jene von der Autorin zu seiner Demokratietheorie aus dem Jahr 2005) und mehrere Aufsätze als Sekundärliteratur bekannt. Anders als in Italien ist die Übersetzung von Böckenfördes Texten in Polen ganz entscheidend von zwei Personen geprägt worden: einerseits dem Kaplan der Solidarnos´c´-Bewegung und Krakauer Philosophen Józef Tischner; andererseits von Krzysztof Michalski, dem spiritus rector des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien, dessen Doktorand Paweł Kaczorowski zum wichtigsten Übersetzer Böckenfördes in Polnische wurde. Michalski, als polnischer Philosoph im österreichischen Exil, brachte auch immer wieder polnische katholische Intellektuelle mit Böckenförde in Konferenzen zusammen. So wurde Böckenfördes Werk sowohl für Intellektuelle der „offenen Kirche“ wichtig, die die polnische Kirche zu einem pro-demokratischen Akteur zu entwickeln suchten, als auch für säkulare Demokraten, die Polen im geeinten demokratischen Europa zu verorten trachteten. Mit der ersten Phase der Übersetzungen wird Böckenfördes Hochschätzung der Gewissens- und Religionsfreiheit als rechtliche Basis eines gesellschaftlichen Pluralismus in den Vordergrund gestellt. Mysona Byrska legt dar, wie verstörend seine Platzanweisung für die Katholische Kirche im Raum der Gesellschaft, ohne einen spezifischen und im engeren Sinne politischen Auftrag, auf viele Angehörige der katholischen Mehrheitsgesellschaft nach 1989 gewirkt haben muss. Denn viele Katholiken erwarteten von der neu gewonnenen politischen Freiheit, dass sie sich in den 4 Joanna Mysona Byrska, Demokratyczne pan´stwo prawa i jego znaczenie dla człowieka w uje˛ ciu Ernsta-Wolfganga Böckenfördego (Demokratischer Rechtsstaat und seine Bedeutung für den Menschen im Denken Ernst-Wolfgang Böckenfördes), Päpstliche Universität Johannes Paul II, Kraków 2005.

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Dienst der Interessen der katholischen Kirche stellen würde; konkret, dass katholische Wertvorstellungen Leitlinien für staatliche Programme werden würden. Demgegenüber stellten die liberalen Intellektuellen Böckenfördes Grunderkenntnis in den Mittelpunkt, wonach der freiheitliche Staat auf die ethische Urteilsbildung seiner Bürgerschaft angewiesen ist, diese aber weder durch Zwang noch durch staatlicherseits in Geltung gesetzte Werte hervorbringen kann. Diese Bemühung ist für Mysona Byrska bis heute von Relevanz: „Die polnische Gesellschaft lernt immer noch, dass in einem säkularen Staat Verbundenheit mit dem Katholizismus nicht in politische Imperative umgesetzt werden kann.“ Die zweite Phase der Übersetzungen ab Mitte der 1990er Jahre, die vor allem die Themen Rechtstaatlichkeit und Verfassungswesen unter die Lupe nahmen, machte Böckenförde dann auch unter polnischen Verfassungsexperten und -richtern gut bekannt. Es entwickelte sich ein reger Austausch Böckenfördes mit Andrzej Zoll, dem Präsident des polnischen Verfassungsgerichts in den Jahren 1993 – 1997, und es kam zu wiederholten Treffen in Deutschland und in Polen. In einer dritten Phase der Übersetzungen gab Böckenförde persönlich der Rezeption Nachdruck durch eine Rede, die er als Ehrengast bei den 4. Józef-TischnerTagen 2004 in Kraków hielt und in der er über „Freiheit-Staat-Religion im sich vereinigenden Europa“ sprach. Diese Rede, in der er einen Brückenschlag zwischen den Herausforderungen der Europäischen Integration und der Neufindung der Rolle der Kirche in einer pluralen demokratischen Gesellschaft vornahm, wurde anschließend breit in den Tageszeitungen diskutiert und veranlasste weitere Veröffentlichungen seiner Schriften zu diesem Thema in Polen. Trotz des Umstands, dass mehr als doppelt so viele Artikel Böckenfördes ins Italienische übersetzt wurden als in Polnische (55 gegenüber 23), erscheint die Wirkung seines Oeuvres in Polen doch ungleich intensiver als in Italien. Otto Kallscheuer spricht von einer speziellen ,Marktlücke‘ für einen katholischen Demokratietheoretiker in den Jahren des Runden Tisches und der Übergangsphase danach. „Vertreter wie Kritiker der Kirche waren auf der Suche nach angemessenen theoretischen wie politischen Argumentationsmustern für einen demokratisch selbstbewussten (Laien-)Katholizismus – und auch die Frage einer neuen politischen Rolle der katholischen Kirche in einem demokratischen Polen war damals noch offen.“ Böckenfördes Schriften fielen also auf fruchtbaren Boden und es ist genau in jenen Jahren (1990er und frühe 2000er), dass Böckenförde den Höhepunkt seiner Popularität in Polen erreichte. Es fällt auf, dass sein Diktum (anders als in Italien) hier doch weitestgehend so gelesen geworden zu sein scheint, wie er es intendierte: als Aufruf an die Katholiken, zu einer demokratisch gesinnten gesellschaftlichen Kraft zu werden und die Demokratie von innen heraus zu stützen, ohne sie als Vehikel für katholische Inhalte zu instrumentalisieren. Hinzu kamen Böckenfördes persönliche Verbindungen zu den Kreisen der offenen Kirche. Böckenförde war Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des besagten Instituts für die Wissenschaft vom Menschen um Krzysztof Michalski, der vor

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und nach der Wende im IWM ein Netzwerk europäischer Intellektueller aufbaute. Unter diesen war auch der Priester und Philosophieprofessor Józef Tischner aus Krakau, eine wichtige Figur in der Solidarnos´c´ und Freund von Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II. Aufgrund dieser Verbindung lud der Papst den Kreis um das IWM über mehrere Jahre zu den „Castelgandolfo-Gesprächen“ in die päpstliche Sommerresidenz ein, an denen Böckenförde regelmäßig mit Diskussionsbeiträgen und Vorträgen teilnahm.5 Wie Kallscheuer aus eigenem Erleben berichten kann: „Ein Bundesverfassungsrichter der westdeutschen Demokratie hielt am päpstlichen Hof Grundsatzreferate zu Fragen der Ordnungspolitik des künftigen Europa: dem Menschenbild in der Rechtsordnung, dem Begriff der Nation, den Ordnungsideen der Französischen Revolution und dem staatsrechtlichen Ausnahmezustand.“ Für das intellektuelle Zusammenwachsen der Europäischen Union – vor und nach der Osterweiterung – ist dies ein intellektuell wichtiger Ort gewesen, zu dem Böckenförde seinen Teil beigetragen hat. Vor dem Hintergrund der innenpolitischen Entwicklungen in Polen seit 2005 fragt Kallscheuer, ob Böckenfördes Einfluss dort doch schlussendlich „folgenlos“ blieb. Die Kirche hat nicht darauf verzichtet, eine gewissermaßen direkte Richtlinienkompetenz für das staatliche Handeln in Polen einzufordern. Sie hat auch nicht versucht, der Erosion des Rechtsstaats Einhalt zu gebieten und sich nicht hervorgetan im Schutz von Minderheiten und Andersdenkenden, selbst nicht in ihren eigenen Reihen. So erklärt Kallscheuer auch das Verebben einer Böckenförde-Rezeption in Polen nach Mitte der 2000er Jahre. Im demokratischen Polen setzte sich das Projekt der ,offenen Kirche‘ nicht fort. Der offene Katholizismus des antitotalitären Widerstandes und der demokratischen Intellektuellen wurde vom theologisch wie politisch konservativen Nationalkatholizismus weiter Kreise der Kirchenhierarchie und vom antiliberalen politischen Klima der PiS-Regierung verdrängt: „Kein Wunder, dass eine militant konfessionalistisch agierende Kirche (und ihre Wortführer im parteipolitischen Katholizismus Polens) die Auseinandersetzung mit den Schriften eines sozial-liberalen Katholiken wie E.W. Böckenförde nicht nötig zu haben glaubte.“ In Frankreich, dem südwestlichen Nachbarn, verhält es sich mit der Rezeption noch einmal ganz anders. Es fällt auf, dass Böckenförde viel weniger übersetzt wurde, es aber gleichzeitig eine breitere Sekundärliteratur als zum Beispiel in Polen zu ihm gibt. Allerdings ist diese recht neu und hat sich vor allem seit Ende der 2000er Jahre herausgebildet. Die „späte Ankunft“ Böckenfördes in Frankreich ist mit Blick auf den Stellenwert, den französisch geprägte Begriffe und französische politische Erfahrungen in Böckenfördes Denken einnehmen, erstaunlich, wie sowohl Sylvie Le Grand als auch Dieter Gosewinkel bemerken. Gerade das Epochenereignis 5 Laut Ludger Hagedorn (IWM) nahm Böckenförde an folgenden Konferenzen teil: 1983 mit dem Vortrag „Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung“; 1985 mit dem Vortrag „Die Krise in der Rechtsordnung: Der Ausnahmezustand“; 1987 ohne Vortrag; 1991: mit dem Vortrag „Die sozialen und politischen Ordnungsideen der Französischen Revolution“; 1992 ohne Vortrag; 1994 mit dem Vortrag „Die Nation – Identität in Differenz“; 1996 ohne Vortrag.

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der Französischen Revolution, bei der die universale ,Wahrheit‘ der Menschenrechte mit der Ordnung des freiheitlichen Staates verbunden worden ist, bildet einen Drehund Angelpunkt im Denken Böckenfördes: „Es führt kein Weg über die Schwelle von 1789 zurück, ohne den Staat als die Ordnung der Freiheit zu zerstören“.6 Diese paradigmatische Aussage findet sich in seinem klassischen Aufsatz zur Säkularisation des Staates. Aber trotz dieser und weiterer möglicher Anknüpfungspunkte sind seine Texte bislang nur in einer eher schmalen Auswahl übersetzt worden. Auffällig, aber für den herrschenden Geist der republikanischen laïcité bezeichnend, ist, dass bisher kein Aufsatz zu Religion, Katholizismus und religionspolitischen Themen übersetzt worden ist. Sylvie Le Grand kontextualisiert in ihrem Beitrag die 14 bestehenden Übersetzungen. Es handelt sich zum einen um zwei kürzere Texte, die an einen größeren Rezipientenkreis gerichtet sind, nämlich der Aufsatz zum Judenmord als Bürgerverrat, der nahezu zeitgleich mit der deutschen Erstveröffentlichung im Merkur 1997 in gekürzter Fassung in „Le Monde“ erschien und der Aufsatz zur Frage der Aufnahme der Türkei in die EU, den Böckenförde aus Anlass der Verleihung des Arendt-Preises 2004 in Bremen schrieb und der ein Jahr darauf in der Monatszeitschrift „Le Débat“ erschien. An einen eher wissenschaftlichen Rezipientenkreis gerichtet ist demgegenüber die 2014 veröffentlichte Online-Publikation einer bereits bestehenden Übersetzung des Aufsatzes zum Prinzip der Repräsentation in der Demokratie im Rahmen eines deutsch-französischen Dossiers über politische Repräsentation. Das Kernstück der französischen Rezeption bildet der 2000 erschienene Band „Le droit, l’État et la constitution democratique. Essais de théorie juridique, politique et constitutionelle“, der mit einem Dutzend Aufsätze einen repräsentativen Querschnitt seines Werks zu den Themen Recht, Staat und Verfassung bietet. Dieser Band ist in 49 Universitätsbibliotheken und in der Nationalbibliothek verfügbar. Die Übersetzung und Zusammenstellung hat Olivier Jouanjan vorgenommen, (neben Sylvie Le Grand selbst) der Böckenförde-Spezialist in Frankreich. Jouanjan hat sich, wie Le Grand hervorhebt, nicht nur mit einer umfassenden und instruktiven Darstellung seines Denkens besonders verdient gemacht, die er den Übersetzungen als Einleitung vorangestellt hat. Er hat auch die Rezeption Hermann Hellers und weiterer sozialliberaler Vertreter der deutschen Staatsrechtslehre vorangetrieben, unter anderem in dem von ihm gemeinsam mit Johannes Masing gegründeten „DeutschFranzösischen Kreis für Öffentliches Recht“. Diese vornehmlich juristisch und politiktheoretisch interessierte Rezeption hat sich mit einem weiteren Rezeptionsmilieu überschnitten, nämlich mit einem an Fragen des Verhältnisses von Religion, Gesellschaft und Politik interessierten, freilich sehr überschaubaren Kreis, zu dem neben Juristen auch Theologen, Philosophen, Politikwissenschaftler und Germanisten gehören und die teilweise auf Böckenfördes Schriften in erster Linie im Original zurückgreifen. Zu diesem Kreis kann in besonderer Weise auch Sylvie Le Grand selbst 6 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: ders.: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt a. M. 1976, S. 42 – 61 (60).

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zählen, deren Habilitationsschrift sich dem politisch-theologischen Denken Böckenfördes widmet und die dort sowohl das liberalkatholische als auch das sozialdemokratische Engagement im Lichte seines theologisch-politischen Œuvres historisch betrachtet.7 Die überschaubare Zahl der Übersetzungen und die vergleichsweise schmale Debatte mit eher vereinzelten Bezugnahmen auf Böckenförde – der übrigens auch nur einmal in Frankreich einen öffentlichen Vortrag gehalten hat, dies bei einer Konferenz im Jahr 2011 am Deutschen Historischen Institut in Paris – hat mehrere Gründe. Neben den sprachlichen Barrieren liegt für Le Grand ein gewichtiger Grund in „den französischen Tabus und toten Winkeln (angles morts) des französischen Verhältnisses zur Religion“. Das unterstreicht auch Dieter Gosewinkel, der Generationen französischer Wissenschaftler von dem Grundverständnis einer strikten Trennung von Kirche und Staat geprägt sieht, die für „die Mehrheit unter ihnen ein revolutionär errungenes Bollwerk (ist), um jede Form des ,Klerikalismus‘ abzuwehren“. Ein Plädoyer für eine offene und übergreifende staatliche Neutralität gegenüber Religionen, mit Platz für religiöse Symbole auch im öffentlichen Raum, wie es Böckenförde vertritt, stoße laut Gosewinkel vor diesem Hintergrund auf Unverständnis, ja, setze sich sogar angesichts mancher reaktionärer Strömungen an den Rändern des Katholizismus des Verdachts einer Stützung republikfeindlicher Positionen aus. Einen weiteren Grund sieht Gosewinkel schließlich in der französischen Schmitt-Rezeption: Während für diejenigen, die sich auf Schmitts Antiliberalismus affirmativ beziehen, Böckenfördes Werk keinerlei Anknüpfungspunkte bietet, nehmen ihn womöglich diejenigen, die Schmitt kritisch gegenüberstehen, als Teil der „Schmitt-Schule“ wahr, und er erscheint ihnen folglich unattraktiv. So hält Gosewinkel als offene Frage fest, warum sich Autoren, bei denen es thematisch eigentlich naheliegen würde, wie Pierre Rosanvallon mit seinen repräsentationstheoretischen Studien oder auch Claude Lefort in seinem Bemühen, vor dem Hintergrund der Säkularisierung das Verhältnis von Religion und Demokratie zu bestimmen, nicht auf Böckenförde beziehen.

III. Jenseits des Westens: Rezeption in Japan und Südkorea Die Rezeption kontinentaleuropäischer Staatstheorie in Ländern, die hinsichtlich ihrer Ordnungsvorstellungen, der Konzeption von Gesellschaft und des Verhältnisses des Einzelnen zur Gemeinschaft, des Religionsverständnisses und der ganzen historischen Entwicklung sehr unterschiedlich zu denen Europas sind, sollte von einer grundlegenden Erkenntnis ausgehen: „Der Staat ist nicht ein ubiquitäres Gebilde, 7 Sylvie Le Grand, Ernst-Wolfgang Böckenförde, médiateur entre catholicisme et socialdémocratie, nouveau travail présenté dans le cadre de l’habilitation à diriger des recherches (HDR), Université de Toulouse-Jean Jaurès, décembre 2016. Die Veröffentlichung ist 2020 im Pariser Verlag Cerf vorgesehen.

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das man in jeder Epoche und überall in der Welt finden kann, sondern ein Produkt der europäischen Neuzeit, das von seinen Entstehungsbedingungen stark geprägt ist“, wie Tomonobu Hayashi seinen Beitrag einleitend und unter Verweis auf Carl Schmitt in Erinnerung ruft. Zugleich kann der Typus des demokratischen Verfassungsstaates als ein besonderes Legitimitätsgefüge politischer Ordnung verstanden werden, das sowohl demokratische Herrschaftslegitimation als auch individuelle Freiheit zu sichern verspricht. Damit ist ihm ein universalistischer Geltungsanspruch eigen, der ihn offensichtlich als attraktiv auch jenseits seiner Herkunftsregion erscheinen lässt. Alle Analysen, die darauf abzielen, diesen Ordnungstypus theoretisch zu durchdringen, wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde in vielen Schriften unternommen hat, sind daher besonders willkommen, wie Hayashi das grundsätzliche Interesse an Böckenfördes Arbeiten erklärt, wobei das wissenschaftliche Interesse in erster Linie Böckenförde dem Staatstheoretiker und Staatsrechtler, nicht dem Historiker des Staates oder dem ideenhistorisch vorgehenden Philosophen gilt. Ein besonderer Theoriebedarf erklärt sich aus dem Kontext, wie Hayashi weiter ausführt: in Japan ist die Verfassung eher nicht Grundlage, sondern Gegenstand des politischen Streits und obwohl in ihr die zentralen Elemente demokratischer Grundprinzipien und Freiheitsrechte enthalten sind, ist ihre Legitimität doch umstritten. Der Oberste Gerichtshof in Japan ist zudem eher zurückhaltend, wenn es um Normenkontrolle und den Schutz individueller Freiheit geht. Die Arbeiten Böckenfördes sind vergleichsweise spät ins Japanische übersetzt worden. Nach der Übersetzung von vier Aufsätzen in den 1980er und frühen 1990er Jahren („Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert“ 1982, „Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft“ 1988, „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“ 1990, und „Der Begriff des Politischen“ 1993), gab ein Besuch Böckenfördes in Japan im Oktober 1996 nach Ende seiner Amtszeit als Verfassungsrichter zu einer breiteren Veröffentlichung seiner Arbeiten Anlass. Seine Vorträge – acht an der Zahl gehalten in Tokyo, Kyoto, Nagoya, Hiroshima und Sapporo – erschienen 1999 zusammen mit neun anderen in einem Sammelband, der eine Art Querschnitt seiner Aufsätze zu Staat, Verfassung und Demokratie enthält. Im selben Jahr wurden auch zwei Aufsätze zur Religionsfreiheit veröffentlicht, später der Aufsatz zur Säkularisation und einige andere zu Themen des Verfassungsstaats. Über den Stellenwert und die Intensität der Rezeption sagt die spät einsetzende Übersetzungsaktivität jedoch wenig aus, da an deutscher Staatstheorie interessierte japanische Wissenschaftler auf Übersetzungen in der Regel nicht angewiesen sind.8 Dass deutsche Schriften von vielen Staatswissenschaftlern im Original gelesen werden, davon zeugt auch die seit langem bestehende deutsch-

8 Gleichwohl sind zahlreiche Klassikertexte der deutschen Staatsrechtslehre in Übersetzung vorhanden, siehe Hayashi, S. 132 f. Auch im Koreanischen sind vielfältige Übersetzungen rechtswissenschaftlicher Arbeiten vorhanden, siehe Kim, S. 180 – 184.

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sprachige Vereinigung japanischer Wissenschaftler des deutschen Staatsrechts.9 Auch wenn heute nicht mehr wie noch an der Wende zum 20. Jahrhundert das japanische Recht vornehmlich von der deutschen Rechtstradition bestimmt ist, sondern auch von der französischen und US-amerikanischen, ist die Rezeption des deutschen Rechts und der deutschen Rechtswissenschaft immer noch stark, und innerhalb dieser Rezeption gilt Böckenförde bereits seit den 1970er Jahren als Klassiker, wie Hayashi zeigt. Vor dem Hintergrund der Spannungspole, die sich mit den Namen Rudolf Smend und Carl Schmitt verbinden, wird Böckenförde als liberaler Etatist verstanden, und auch seine Überlegung zu den ethischen Grundlagen des Staates werden in Japan als gewinnbringend für die dortige Situation angesehen. Interessant ist, dass angesichts einer Verfassungsgerichtsbarkeit, die keine aktivistische Rolle einnimmt, Böckenförde in Japan nicht als Kritiker einer überbordenden Konstitutionalisierung der Politik gelesen wird, sondern eher umgekehrt als Autor, von dem Anregungen für eine Grundrechtsauslegung zugunsten des Schutzes individueller Freiheiten zu ziehen sind, die das japanische Gericht nicht leistet. Auch in Südkorea fällt die Rezeption Böckenfördes sehr intensiv aus, dies gilt insbesondere für die Zahl der Übersetzungen: es sind seit den 1970er Jahren mehr als 30 seiner Aufsätze übersetzt worden. Christian Starck, dessen eigene Schriften in Südkorea ebenfalls übersetzt worden sind, zeichnet in knappen Strichen den Kontext: die koreanische Rechtsentwicklung ist über den Umweg der Annexion durch Japan sowohl vom deutschen Bürgerlichen Recht als auch von der deutschen Verfassungsentwicklung stark beeinflusst. Nach einigen Änderungen der Verfassung enthält die postdiktatorische Verfassung von 1987 schließlich all jene Elemente, die für den Typus des demokratischen Verfassungsstaates wesentlich sind und darüber hinaus einige, die speziell auch für das deutsche Grundgesetz kennzeichnend sind, darunter etwa ein Parteiverbotsverfahren und die Idee, dass in den Wesensgehalt eines Freiheitsrechts nicht eingegriffen werden darf. Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist erkennbar. Die Grundrechtsgewährleistung geht den Möglichkeiten des Gesetzgebers, Grundrechte zum Wohl der Allgemeinheit einzuschränken, auch in Südkorea voraus. Wie Starck unterstreicht, sind vor diesem Hintergrund vor allem jene Texte Böckenfördes übersetzt worden, die helfen, das Gefüge einer solchen Verfassung, in der die Freiheitsrechte durch ein Verfassungsgericht geschützt werden, zu verstehen. Der Verfasser des Beitrags über die Böckenförde-Rezeption in Südkorea, HyoJeon Kim, ist auch der Übersetzer der meisten Schriften (teilweise gemeinsam mit Tae-Ho Chung): 1989 erschien als Einzelpublikation eine Übersetzung des Aufsatzes über die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft (1992 in 2. Aufl. und noch erweitert um einen Aufsatz zum selben Thema von Horst Ehmke). 1992 kam dann eine repräsentative Zusammenstellung von Aufsätzen heraus, wobei Kriterium der Aus9 Die Gesellschaft für deutsches Verfassungsrecht hat zwischen 1996 und 2008 vier Bände mit kommentierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in japanischer Sprache herausgebracht, mit einem Umfang von jeweils 500 – 600 Seiten.

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wahl war, „dass die Abhandlungen die grundlegenden Probleme der Verfassung und des modernen Rechtsstaates zum Gegenstand haben, und für die Auslegung und Anwendung der koreanischen Verfassung unterstützend sein sollten.“ Zehn Jahre später folgte eine weitere Sammlung von Aufsätzen zu diesen Themen und schließlich wiederum als Einzelpublikationen einige Aufsätze zur Religionsfreiheit. Kim hat die Zusammenstellung der ersten Aufsatzsammlung mit Böckenförde gemeinsam entschieden, den er im Rahmen eines Studienaufenthalts im Jahr 1983/84 als Alexander-vonHumboldt-Stipendiat kennenlernte. Böckenförde steuerte den Übersetzungen auch Vorworte bei. In diesen verweist er darauf, dass die Kenntnisnahme selbst sehr spezifischer Erscheinungen, wie der europäischen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in einer zusammenwachsenden Welt auch für Völker anderer politischer, religiöser und kultureller Traditionen aktuell sein kann, wenn man sich jeweils den über Europa hinausweisenden Gehalt klar macht – der Friedensleistung und Freiheitsgewährleistung des Staates durch eine von den Menschenrechten geprägte Rechtsordnung. Böckenförde zeigt in den Vorworten im Grunde das schon erwähnte Spannungsverhältnis von Partikularismus und Universalismus auf: Es gilt, zum einen der Spezifik einer staatlichen Ordnung Rechnung zu tragen, die in sich die historischen Erfahrungen einer bestimmten politischen Gemeinschaft trägt und zum anderen den demokratischen Verfassungsstaat als generellen Typus politischer Ordnung zu erkennen, den bestimmte Merkmale auszeichnen – eine Verfassung als höherrangiges Recht, ein unabhängiges Gericht als Kontrollorgan über die Bindung an die Verfassung, Grundrechte. Für die Interpretation einer solchen Verfassung bedarf es eines methodisch geleiteten Vorgehens. Von dieser Sicht ist auch Kim getragen – „Seoul ist weder Weimar noch Bonn“, wie er knapp anmahnt. Zugleich können aber die in anderen Kontexten entwickelten Verfassungstheorien hilfreich sein, auch die Probleme des eigenen Kontextes besser zu verstehen. Wie Kim zeigt, ist für Südkorea in diesem Zusammenhang eine Kontroverse der deutschen Staatsrechtslehre besonders wichtig, die auf den Weimarer Methoden- und Richtungsstreit zurückgeht und die in Südkorea unter dem Stichwort Monismus versus Dualismus geführt wird. Mit Monismus wird Smends Integrationslehre assoziiert, mit Dualismus die mit der Schmitt-Schule verbundene Sicht einer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft sowie der dem Gesetzgeber vorausliegenden Freiheit, die durch den Rechtsstaat zu schützen ist. Vor diesem Hintergrund gelten die Schriften Böckenfördes in Südkorea als zentral für die dualistische Position. Zudem ist sein Vorschlag zur Unterscheidung verschiedener Perspektiven auf die Grundrechte, welche leitend für deren Interpretation sind, vielfach rezipiert worden, wie Kim anhand der Präsentation von gut einem halben Dutzend Autoren aufzeigt.

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IV. Lateinamerika – explizite, implizite und ausgebliebene Rezeption Es wäre zu erwarten, dass in der spanischsprachigen Welt ein großes Interesse an Böckenförde als katholisch geprägtem, sozialdemokratisch orientiertem Autor besteht, der zudem Richter am Bundesverfassungsgericht gewesen ist. Gerade in den Ländern Lateinamerikas ließen sich Böckenfördes Analysen gewissermaßen als Argument nutzen, sind diese Länder doch tief vom Katholizismus geprägt, weisen zudem angesichts großer Reichtumsunterschiede einen Bedarf für sozialen Ausgleich auf und lassen angesichts einer instabilen postdiktatorischen Situation zudem eine Nachfrage nach Begründung einer unabhängigen und wirkmächtigen Verfassungsgerichtsbarkeit vermuten, die die individuelle Freiheit schützt. Aber wie Diego Pardo-Álvarez in seinem Beitrag zeigt, kann in Lateinamerika keine tiefgreifende Rezeption Böckenfördes konstatiert werden. Er wird dort zwar zitiert, aber nicht diskutiert, wie der Autor – der eine rechtswissenschaftliche Dissertation zu einem Thema der deutschen Verfassungstheorie an der Universität Göttingen verfasst hat und mit den hiesigen Debattenverläufen sehr vertraut ist – pointiert feststellt. Dabei ist die Übersetzungslage durchaus zufriedenstellend, es sind zwei Bände mit den wichtigsten Abhandlungen Böckenfördes auf Spanisch vorhanden. Der erste, im Jahr 1993 erschienen, versammelt die Aufsätze über Grundrechte, der zweite, im Jahr 2000 erschienene Band eine Auswahl der Aufsätze über Rechtsstaat, Verfassung und Demokratie. Doch Böckenfördes Verständnis der Verfassung als Rahmenordnung und seine Skepsis gegenüber einer ausgreifenden Grundrechtsinterpretation wurden nur vereinzelt aufgenommen. Pardo-Álvarez sieht mehrere Gründe für das schwache Echo: zum einen das Missverständnis, Böckenförde setze die Lehre Carl Schmitts fort, zum anderen, dass seine Schriften über Grundrechte genau zu dem Zeitpunkt übersetzt und veröffentlicht wurden, als es kaum lateinamerikanische Gerichte gab, die eine Verteidigung der Grundrechte hätten gewährleisten können. Die Schriften Robert Alexys hingegen kamen offensichtlich zu einem passenderen Zeitpunkt. Gegen die intensive Rezeption der Grundrechtstheorie Robert Alexys in der lateinamerikanischen Verfassungstheorie und Praxis der Verfassungsauslegung konnte die zurückhaltende Sicht Böckenfördes nicht ankommen, wie Pardo-Álvarez aufzeigt. Dabei wären die Probleme, die mit einem ausgreifenden Grundrechtsverständnis einhergehen und auf die Böckenförde aufmerksam macht, insbesondere hinsichtlich einer Gewaltenverschiebung in der Demokratie vom Parlament zugunsten der Gerichte, auch für viele der lateinamerikanischen Länder zentral. Letztlich können die Gerichte die Urteile ohne die Anerkennung durch die im engeren Sinne politischen Gewalten nicht durchsetzen. Ein besonderes Augenmerk richtet Pardo-Álvarez auf Böckenfördes Analysen zur Struktur der verfassunggebenden Gewalt, die er als ausgesprochen hilfreich zur Erhellung der lateinamerikanischen verfassunggebenden Prozesse ansieht und des gegenwärtig in Lateinamerika vorherrschenden Verständnisses von Konstitutionalismus. Böckenförde helfe „die Unvereinbarkeit zwischen der verfassunggebenden Gewalt des Volkes und

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der Instabilität der politischen Ordnung zu verstehen. Noch wichtiger: er hilft zu verstehen, dass die Bedingungen, unter denen eine demokratische Regierung ausgeübt wird, auch in Lateinamerika die Verantwortung des Volkes sind.“ Einen leicht anderen Akzent setzen Carlos Libardo Bernal Pulido, Richter am Verfassungsgericht Kolumbiens, und Nicolás Esguerra Miranda, Mitarbeiter ebendort, die durchaus einen Einfluss Böckenfördes konstatieren, jedenfalls für Kolumbien und die Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichts. Dieser Einfluss ist nicht so stark in expliziter Hinsicht, wiewohl vereinzelt durchaus vorhanden: das Verfassungsgericht hat, wie die beiden Autoren gleich zu Beginn ihres Beitrags aufführen, zustimmend in einigen seiner Entscheidungen den Text „Studien über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ zitiert, und darauf das Argument gestützt, dass die gleiche Freiheit aller an soziale Voraussetzungen gebunden ist und es erforderlich macht, soziale Ungleichheiten zu beseitigen. Auch in einem Minderheitenvotum zur Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit wird Böckenförde mit einem Text herangezogen. Vor allem aber ist ein impliziter Einfluss festzuhalten: Böckenfördes Sichtweise, dass man in den Auslegungsperspektiven auf Grundrechte mehrere Theorien unterscheiden kann – eine liberale, eine institutionelle, eine WertTheorie, eine demokratisch-funktionale und eine sozialstaatliche Grundrechtstheorie (die die Autoren hier noch einmal vorstellen und hinsichtlich der liberalen, der demokratischen und der sozialstaatlichen auch weiterführen) – findet sich in der kolumbianischen Rechtsprechung und auch in der Verfassungstheorie wieder: „Tatsächlich ist die Anerkennung der verschiedenen Grundrechtsauffassungen in der kolumbianischen Rechtsprechung ein Beweis dafür, dass es Böckenförde gelang, wesentliche Erkenntnisse bezüglich der Auslegung der Grundrechte zu theoretisieren, auch wenn er dort nicht explizit zitiert wird.“ Die Autoren schätzen seine Darlegung der verschiedenen Auslegungstheorien der Grundrechte insgesamt als sehr wertvoll ein, um die Institutionalisierung der Grundrechte in den sich entwickelnden demokratischen Verfassungsstaaten Lateinamerikas zu verstehen. Wie auch bei Böckenförde wird im Übrigen nicht davon ausgegangen, dass es eine Auslegungstheorie gebe, von der ein Gericht sich leiten lassen kann, sondern diese vielmehr fallbezogen ausgewählt werden muss. Die Autoren zeigen dann, dass sich in der Rechtsprechung sowohl eine liberale Interpretation, die die demokratischen Rechte der Bürgerschaft (vor allem Meinungsfreiheit) stützt, als auch eine sozialstaatliche, d. h. soziale Leistungsansprüche vermittelnde Sicht, findet.

V. Die Rezeption in der wissenschaftlichen lingua franca, im Englischen Angesichts der insgesamt gesehen doch recht breiten internationalen Rezeption ist es erstaunlich, dass die Werke Böckenfördes in englischer Sprache, der heutigen lingua franca in der Wissenschaft, bis vor kurzem nur in kleiner Anzahl von Übersetzungen vorgelegen haben und seine Theorien und Analysen auch nicht intensiv

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diskutiert wurden – weder in der Rechtswissenschaft, noch der Politikwissenschaft, der Theologie oder der Geschichtswissenschaft. Seine Schriften lagen nur in einer kleinen Auswahl von zehn Aufsätzen vor, die in einer Anfang der neunziger Jahre herausgegebenen Sammlung bei Berg Publishers erschienen war und die inzwischen vergriffen ist.10 Daneben sind einzelne Artikel übersetzt worden: der über den deutschen Katholizismus im Jahr 1933 erschien bereits im Jahr seiner deutschen Erstveröffentlichung in den USA, in der katholischen Zeitschrift „CrossCurrents“. Diese schloss dem Aufsatz auch gleich eine kurze Zusammenfassung der Kritik von Hans Buchheim an, die dann in ihrer Gänze im Folgeheft von „Hochland“ veröffentlicht wurde. Heiner Bielefeldt übersetzte 1997 (für ein von David Dyzenhaus herausgegebenes Sonderheft des Canadian Journal of Law and Jurisprudence) Böckenfördes Aufsatz über Carl Schmitts Begriff des Politischen.11 2005 erschien sein Aufsatz „Bedingungen europäischer Solidarität“ in englischer Übersetzung in einem Sammelband Krzysztof Michalskis zum Thema „Was hält Europa zusammen?“.12 Böckenförde selbst gab gemeinsam mit Edward Shils einen Sammelband 1991 auf Englisch über das Verhältnis von Juden und Christen in einer pluralistischen Welt heraus, der Resultat einer Tagung am IWM war, dessen wissenschaftlichem Beirat die beiden Herausgeber lange vorstanden.13 Es gab einige wenige Wissenschaftler, vor allem in der politischen Theorie, die Böckenförde auch auf Deutsch lasen und ihn gelegentlich in ihren englischsprachigen Veröffentlichungen zitierten. Habermas’ Auseinandersetzung mit der Werttheorie des Rechts in seinem Werk „Faktizität und Geltung“, das 1996 in englischer Sprache erschien, verhalf Böckenförde dabei zu einem gewissen Bekanntheitsgrad. Dazu trug auch die im Jahr 2010 erschienene englische Übersetzung des Gesprächs zwischen Habermas und Papst Benedikt bei, das seinen Ausgangspunkt im Böckenförde-Diktum nimmt.14 Insgesamt fällt auf, dass Böckenförde, wenn überhaupt, fast nur von Juristen und in der politischen Philosophie und Theorie wahrgenommen wurde, aber wenig von katholischen Intellektuellen und Historikern. Zu den Ausnahmen zählten der Historiker Gordon Zahn und der Theologe Michael Hollerich, die beide auf Böckenförde über seinen 1933er Aufsatz auf-

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Ernst-Wolfgang Böckenförde, State, Society, Liberty, 1991. Ernst-Wolfgang Böckenförde, German Catholicism in 1933, Cross Currents 11:3 (1961), S. 283 – 304; und ders., The Concept of the Political: A Key to Understanding Carl Schmitt’s Constitutional Theory, Canadian Journal of Law and Jurisprudence 10:1 (1997), S. 5 – 19. 12 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Conditions for European Solidarity, in: Krzysztof Michalski (Hrsg.), What Holds Europe Together?, Central European University Press 2005, S. 30 – 41. 13 Ernst-Wolfgang Böckenförde/Edward Shils (Hrsg.), Jews and Christians in a Pluralistic World, London 1991. 14 Joseph Ratzinger/Jürgen Habermas, The Dialectics of Secularization: On Reason and Religion, San Francisco, 2007. Interessanterweise hatte Princeton University Press Interesse bekundet, dieses Gespräch auf Englisch zu veröffentlichen, der Zuschlag ging dann aber an den wenig bekannten katholischen Verlag Ignatius. 11

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merksam geworden waren.15 Überdies wurde er vor allem als Schmittianer wahrgenommen, was ein wichtiger Grund für die Beeinträchtigung der Rezeption seiner Arbeiten gewesen sein mag. Wenn man sich die Breite seiner Schriften zu kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Themen vor Augen führt und die Schärfe seiner Analyse zur Erklärung „De Libertate Religiosa“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, ist die geringe Rezeption unter englischsprachigen katholischen Theologen und Rechtsexperten bemerkenswert. Die Situation einer sehr begrenzten Übersetzungslage und Sekundärliteratur hat sich seit 2017 geändert. Bei Oxford University Press in der Reihe Constitutional Theory erschien in zwei Bänden eine in Absprache mit dem Autor vorgenommene Auswahl seiner wichtigsten Schriften, größtenteils zum ersten Mal ins Englische übersetzt, in eingeleiteter und annotierter Form: Der erste Band führt unter dem Titel „Constitutional and Political Theory“ seine wichtigsten verfassungsrechtlichen und politiktheoretischen Aufsätze zusammen, während der Schwerpunkt des zweiten Bandes unter dem Titel „Religion, Law and Democracy“ bei den Aufsätzen zu Fragen der Religion, Ethik und Moral liegt.16 Beide Bände enthalten auch in Übersetzung Auszüge aus dem biographischen Interview, das Dieter Gosewinkel mit Ernst-Wolfgang Böckenförde 2009 und 2010 führte.17 Zudem sind im Jahr 2018 drei Sonderhefte erschienen, die sich (mit jeweils thematisch bedingten Schnittmengen) an disziplinär unterschiedliche wissenschaftliche Kreise richten: an Theologie, Politische Theorie, und Rechtswissenschaften.18 Ein Sonderheft des „Oxford Journal of Law and Religion“ widmet sich in sechs Beiträgen den Themen von Politik, Recht und Religion bei Böckenförde, darunter etwa seinem Verständnis von Naturrecht oder der angemessenen Interpretation des Diktums als 15

Gordon Zahn, German Catholics and Hitler’s Wars: A Study in Social Control, London 1962. Michael Hollerich, The Anti-Secular Front Revisited: Reflections on Catholics and Politics in Hitler’s Germany, Pro Ecclesia 16:2 2006, S. 141 – 164. Das Buch von Georg Zahn, 1965 auf Deutsch erschienen, ist von Böckenförde in einer Sammelbesprechung im STAAT rezensiert worden, siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde: Kirche und Politik. Zu einigen Neuerscheinungen über das Verhältnis der Katholischen Kirche zum „Dritten Reich“, Der Staat 5:2 (1966), S. 225 – 238. 16 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Constitutional and Political Theory. Selected Writings [Vol. I]; edited and annotated by Mirjam Künkler and Tine Stein (Oxford Constitutional Theory Series), Oxford 2017; ders., Religion, Law, and Democracy. Selected Writings [Vol. II], edited and annotated by Mirjam Künkler and Tine Stein (Oxford Constitutional Theory Series), Oxford, im Erscheinen. 17 Dieter Gosewinkel, Biographisches Interview mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/ders., Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2011, 307 – 486. 18 Die meisten der Beiträge wurden auf zwei Konferenzen vorgestellt, kommentiert und diskutiert, die sich dem Werk Böckenfördes widmeten: „Ernst-Wolfgang Böckenförde’s Contributions to Constitutional and Political Theory“, 29.6. – 1.7. in der Carl Siemens Stiftung in München; und „Law, Religion and Democracy in the Work of Ernst-Wolfgang Böckenförde“, 29.9. – 1.10. 2016 am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZiF) Bielefeld, beide organisiert von Mirjam Künkler und Tine Stein.

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liberaler Formel.19 In einem weiteren Heft, einem Schwerpunkt (special section) in der Zeitschrift „Constellations“ unter dem Titel „The Secular State, Constitution and Democracy: Engaging with Böckenförde“ mit vier Beiträgen, wird Böckenförde mit verschiedenen Aspekten der Säkularisierungsdebatte in der Politischen Theorie verbunden, zudem auch die Frage gestellt, wieviel Carl Schmitt nicht nur mit Blick auf Politische Theologie, sondern generell im Werk Böckenfördes enthalten ist.20 Ein drittes Heft, ein Themenheft des „German Law Journal“ mit dem Titel „Statism, Secularism, Liberalism. Ernst-Wolfgang Böckenförde beyond German Law“ versammelt ein knappes Dutzend Beiträge, in denen Konzepte Böckenfördes als Ausgangspunkt genommen und auf andere geographische Kontexte bezogen werden. So wird etwa die Idee eines zu konstitutionalisierenden Ausnahmezustands auf die indische Verfassung und Rechtsprechung bezogen, und die Frage nach den Elementen eines einigenden Bandes in der Gesellschaft (Stichwort Homogenität) Großbritanniens gestellt.21 Diese Beiträge zeigen insbesondere das analytische und kreative Potential der Böckenfördeschen Begriffswelt. Schließlich sind noch einige Monographien hervorzuheben, in denen Böckenfördes Wirken nicht nur als Rechtswissenschaftler, sondern auch als politischer Denker und Zeitgenosse im Kontext der Geschichte der jungen Bundesrepublik analysiert werden. Marc Ruff hat jüngst eine Monographie zum politischen Katholizismus in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik vorgelegt, in der die Kontroverse um Böckenfördes Forschung zum Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus ein eigenes Kapitel erhält.22 Aline Florence Manent, Ideenhistorikerin, geht in ihrer an der Harvard Universität eingereichten, noch unveröffentlichten, Dissertation den Diskussionen der Staatsrechtslehrer der frühen Bundesrepublik nach und widmet jeweils Böckenförde und der Joachim-Ritter-Schule ein eigenes Kapitel.23

VI. Fazit Die Durchsicht der Rezeptionswege in den verschiedenen Sprach- und politischen Räumen ergibt ein gemischtes Bild und bestätigt die Annahme, dass es auf den jeweiligen politischen, historischen und kulturellen Kontext ankommt, ob, wann 19 Hrsg. v. Mirjam Künkler und Tine Stein (6 Beiträge und Introduction), Oxford Journal of Law and Religion 7:1 (2018), S. 1 – 123. 20 Hrsg. v. Mirjam Künkler und Tine Stein (4 Beiträge und Introductory Remarks), Constellations 25:2 (2018), S. 181 – 241. 21 Hrsg. v. Mirjam Künkler und Tine Stein (11 Beiträge und Introduction), German Law Journal 19:2 (2018), S. 137 – 460. 22 Marc Ruff, The Battle for the Catholic Past in Germany. 1945 – 1980, Cambridge 2017. 23 Aline-Florence Manent, The Intellectual Origins of the German Model: Rethinking Democracy in the Bonn Republic. A dissertation presented to The Department of History in partial fulfillment of the requirements for the degree of Doctor of Philosophy in the subject of History, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, May 2016.

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und wie Böckenförde „zum Argument“ gemacht wird. Dabei drängt sich noch einmal die Frage auf, was Rezeption genau ausmacht und wie man diese vergleichend betrachten kann. Zum einen zeigt eine höhere Zahl an bestehenden Übersetzungen nicht unbedingt eine intensivere Rezeption an. Ins Italienische ist doppelt so viel wie ins Polnische oder Japanische übersetzt worden, die Sekundärliteratur scheint in den letzten beiden Sprachräumen aber mindestens ebenso stark, weil hier Böckenförde oft im Original auf Deutsch gelesen wird. Zum anderen kann ein Einfluss auf ganz anderen Ebenen zum Tragen kommen, wie zum Beispiel in Kolumbien, wo Böckenförde bereits fünf Mal vom Verfassungsgericht zitiert worden ist, obgleich die intellektuelle Wahrnehmung Böckenfördes in Lateinamerika insgesamt gering ausfällt. Aber auch die Zahl der Übersetzungen und die Intensität der Sekundärliteratur oder selbst das Zitiert-Werden durch ein oberstes Gericht erfassen nicht unbedingt die Breite oder Intensität der Auseinandersetzung mit dem Denker. Sehr wichtig erscheint zum Beispiel die Frage, was zuerst übersetzt wurde, von wem, und in welchem Rahmen dies publiziert wurde, denn aufgrund der ersten Übersetzungen scheinen sich oft gewisse Pfadabhängigkeiten zu entwickeln, die sich sowohl positiv als auch negativ auf die Größe einer potentiellen Leserschaft auswirken können. So wirkt sich in Italien weiterhin die Assoziation des Namens „Böckenförde“ mit einer Gruppe von Schmittianern, die die frühe Phase der Übersetzungsarbeiten dominierten, auf die Art und Weise seiner Wahrnehmung aus. In Japan und Polen dagegen scheint die Rezeption weitgehend unabhängig von seiner Beziehung zu Schmitt zu sein. Aus der möglichen Diskrepanz zwischen Übersetzungsarbeit und Sekundärliteratur ergeben sich mitunter auch überraschende Ungleichzeitigkeiten: in Japan beispielsweise werden seine Aufsätze erst seit den 1990er Jahren übersetzt, es gibt aber bereits seit den 1970er Jahren eine intensive Rezeption; dies wiederum, weil viele japanische Wissenschaftler ihn von Anfang an auf Deutsch lasen. Die Rezeption in Polen ist derweil aus ganz anderen Gründen herausragend: hier wurde Böckenförde in den ersten 15 Jahren der Übersetzungsarbeit vor allem als katholischer politischer Denker wahrgenommen, wohingegen seine rechtlichen Arbeiten zunächst nicht übersetzt und diskutiert wurden. Die theologische Rezeption Böckenfördes ging der juristischen fast vollends voran. Seine Werke zu Rechtsstaatlichkeit und Europäischer Einigung wurden erst übersetzt, als Böckenförde schon lange in Polen als katholischer Demokratietheoretiker bekannt war. Dies verdankte sich auch unzähliger Treffen zwischen ihm und Vertretern der Offenen Kirche, bei denen die Themen Religion und Demokratie, Religionsfreiheit und Bekenntnisfreiheit intensiv diskutiert wurden. Wenn alle hier analysierten Länder vergleichend betrachtet werden, lässt sich resümieren, dass das Diktum nur in Polen in dem Sinne verstanden und interpretiert worden ist, wie es sein Autor intendierte: als Aufruf an die Katholiken, die Demokratie aus substantiellen und nicht instrumentellen Gründen anzuerkennen. Diese Rezeption ist ihm in Italien versagt geblieben. Aber nicht nur das Diktum, auch andere Aufsätze sind in den jeweiligen Kontexten sehr unterschiedlich wahrgenommen worden. Zum Beispiel Böckenfördes Aufsatz zur Verfolgung der Juden als Bürgerverrat: Böckenförde schrieb diesen Aufsatz

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als letztes Glied in einer längeren Kette der Auseinandersetzung mit den Themen Nationalsozialismus und Holocaust. Diese Auseinandersetzung war geradezu konstitutiv für seine intellektuelle Entwicklung, war doch sein erster wichtiger historischer Aufsatz dem Thema „Katholische Kirche im Jahr 1933“ gewidmet, der ihn seine Karriere hätte kosten können. Später leitete Böckenförde ein juristisches Seminar zu dem Thema „Die Deutsche Staatsrechtslehre in der NS-Zeit“, aus dem ein Sammelband entstand, der die Kompromittierung der Disziplin ausführlich dokumentierte. Mit Edward Shils leitete er in den späten 1980er Jahren einen interreligiösen Dialog zwischen Juden und Christen in Wien, der sich auch mit der Schuldfrage befasste und zu einem weiteren Sammelband führte. Der Aufsatz zur Verfolgung der Juden als Bürgerverrat, in dem Böckenförde die Schuld eines jeden nicht-jüdischen Deutschen am Mord seiner Mitmenschen in Augenschein nimmt, bildete einen Schlusspunkt in dieser Kette. In Deutschland wurde dieser Aufsatz auch als klärende Stellungnahme und klare Abgrenzung von Schmitt verstanden. In Frankreich bildete überraschenderweise die Übersetzung genau dieses Aufsatzes 1997 den Anfangspunkt der Übersetzungsarbeiten. Anders als in Deutschland wurde er eher als weiteres Indiz dafür wahrgenommen, wie schwer deutsche Juristen und Staatseliten sich mit dem Vermächtnis des Holocausts taten. Natürlich ergeben sich auch blinde Flecken in Übersetzung und Rezeption. Böckenförde selbst sah seinen Aufsatz zu 1933 als seinen wichtigsten historiographischen Aufsatz an. Dieser ist allerdings bisher außer ins Englische in keine weitere Fremdsprache übersetzt worden. Sein Aufsatz „Ethos der Demokratie“, das Schlüsselwerk zur Interpretation seines Diktums als liberaler Formel, seines Demokratieverständnisses und seiner Sicht auf die Anforderungen an Religionsgemeinschaften in der Demokratie, ist bisher nur ins Italienische und Polnische übersetzt worden. Die Aufsätze, die also Böckenförde Selbstverständnis als „civis simul et christianus“ am meisten ausdrücken, sind zum großen Teil außerhalb Deutschlands nicht bekannt. Selten wird sein Werk in der ganzen Breite von Staatsrecht, Geschichtswissenschaft, Philosophie und katholischem politischen Denken gesehen. Der Erwartung des Rezeptionskreises entsprechend, sind immer nur bestimmte Themen zu bestimmten Zeitpunkten anschlussfähig. In Frankreich, den spanischsprachigen und portugiesisch-sprachigen Ländern wird er vornehmlich als Rechtsphilosoph und Rechtshistoriker wahrgenommen, und kaum oder gar nicht als katholischer Denker – in diese Sprachen sind (mit Ausnahme des Säkularisierungsaufsatzes ins Französische) soweit keine seiner religionsbezogenen Aufsätze übersetzt worden. In Japan und Korea wird er vor allem als Staatsrechtler und Rechtsphilosoph gesehen; seit 1999 wurden in diese Sprachen auch drei bis vier Aufsätze zur Religionsfreiheit übersetzt. Während in Korea insbesondere seine liberalen Grundunterscheidungen relevant sind, werden in Japan paradoxerweise seine grundrechtstheoretischen Arbeiten gerade in jener Diskussion herangezogen, die sich um eine Aktivierung des Obersten Gerichtshofes bemüht. Hier wie auch in den lateinamerikanischen Ländern kann ein besonderes Interesse an Grundlagenreflexion über den Charakter von Grundrechten, über Verfassungstheorie und auch die Stellung der Verfassungsge-

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richtsbarkeit verzeichnet werden. Sein Profil als Sozialdemokrat tritt in Kolumbien in den Vordergrund, wobei jedoch die Aspekte, die für die eigenen Bedürfnisse nicht relevant erscheinen, ausgespart werden: auf Böckenförde gestützt hat das Verfassungsgericht hier für eine starke sozialstaatliche Verantwortung plädiert. Dies sieht zwar auch Böckenförde durchaus als eine zentrale staatliche Aufgabe an, aber er weist diese dem Parlament zu, nicht der Judikative. Die Böckenförde eigene Differenzierung zwischen dem eher liberalen Grundrechtstheoretiker und dem eher sozialdemokratischen Sozialstaatsbefürworter wird unter dem Druck der sozialen Probleme nicht nachvollzogen. Auch mit Blick auf den Katholizismus zeigt sich, dass der Kontext entscheidend ist: während Böckenförde in Polen eine herausragende Rolle im Kreis liberaler Katholiken gespielt hat, steht dieser Charakterzug seines Werks im laizistischen Frankreich einer vertieften Rezeption eher im Wege. Und auch in Italien haben einige – jedenfalls außerhalb der auf Verfassungstheorie und -geschichte begrenzten akademischen Kreise – Böckenförde mit einer verkürzten Rezeption des Diktums schnell in eine restaurative Ecke gestellt. Und wenn für die einen Böckenfördes Verbundenheit mit Carl Schmitt ihn interessant macht, wie es in Nordamerika war und sich gerade in China anzudeuten scheint, wo eine Übersetzung in Planung ist, verhindert diese Verbundenheit bei anderen eine offene Rezeption. Mit seinem umfangreichen Werk kann Böckenförde gewiss als ein sperriger Autor angesehen werden, dessen Vielschichtigkeit sich erst in der Breite seiner Arbeit erschließt. Dies betrifft weniger den Stil der Sprache und die Gedankenführung (nicht zufällig erhielt Böckenförde 2012 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa), sondern vielmehr die ungewöhnliche Kombination seiner Wertorientierungen als politisch Liberaler und sozialstaatlich-orientierter Katholik. Nicht für alle Leser lassen sich die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Anknüpfungspunkten auflösen. Positiv ausgedrückt ließe sich sagen, dass er zumindest in Bezug auf den europäischen Raum gewissermaßen als ein ideeller Gesamtdemokrat gesehen werden kann und sich in seiner Rezeption eine Art „overlapping consensus“ der Demokraten diverser Couleur einstellt, da sich in seinem Denken liberale, wertkonservative, katholische und sozialstaatlichsozialdemokratische Bezüge finden. Für Michele Nicoletti ist es gerade das, was ihn für den Blick von außen so interessant macht: nämlich, dass „das Denken Böckenfördes … eine der erfolgreichsten Verknüpfungen zwischen der großartigen Tradition der deutschen Staatslehre und dem politischen Liberalismus dar[stellt].“

Die Bedeutung der Staatstheorie von Ernst-Wolfgang Böckenförde in Italien Von Elisa Bertò, Pisa

Zusammenfassung Der Artikel untersucht die italienische Rezeption des Werkes des deutschen Staatswissenschaftlers und Historikers Ernst-Wolfgang Böckenförde, insbesondere die seiner Staatstheorie. In diesem Sinne wird im ersten Teil die Veröffentlichung der italienischen Übersetzungen historisch zurückverfolgt, um die Relevanz seiner Analyse in lokalen italienischen Debatten nachzuvollziehen. Ziel des zweiten Teils ist es aufzuzeigen, dass eines der Kernthemen Böckenfördes – der Staat – auch heute noch die zentrale analytische Kategorie der Rechtstheorie ist, nicht zuletzt dank der Klarheit der Arbeiten Böckenfördes zu diesem Thema. In den letzten Jahren ist die Relevanz des Staates als politische Organisationsform für das freiheitliche Zusammenleben von Individuen in Frage gestellt worden. Daher ist eine Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Arbeiten Böckenfördes, die inzwischen zu einem Klassiker der Rechtswissenschaft in Europa geworden sind, heute aktueller (und notwendiger) denn je.

I. Einführung Böckenförde zählt zu den interessantesten deutschen Intellektuellen der Nachkriegszeit. Er studierte Jura, Philosophie und Geschichte. Nach zwei Doktortiteln in Rechtswissenschaften bzw. Geschichte habilitierte sich Böckenförde 1964 an der Universität Münster. Im gleichen Jahr nahm er einen Ruf an die Professur an der Universität Heidelberg für Öffentliches Recht, Verfassungsrecht, Verfassungsgeschichte, Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie an. 1969 folgte ein Ruf an die Universität Bielefeld1 und von 1977 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 hatte er eine Professur an der Universität Freiburg im Breisgau inne. Von 1983 bis 1996 war er Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht.

1 Mirjam Künkler/Tine Stein, State, Law and Constitution: Ernst-Wolfgang Böckenförde’s Political and Legal Thought in Context, in: dies. (Hrsg.), Ernst-Wolfgang Böckenförde. Constitutional and Political Theory: Selected Writings, Oxford 2017, S. 1 – 35.

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Die folgenden Ausführungen, die einen Zeitraum von fünfzig Jahren berücksichtigen, zielen darauf ab, einen umfassenden Überblick über die Rezeption des Autors im italienischen Sprachraum zu geben. Im ersten Teil werde ich kurz auf die verschiedenen Übersetzungen eingehen und mögliche Gründe für das italienische Interesse erläutern, indem ich die Profile der bedeutendsten Wissenschaftler, die Böckenförde übersetzt und die Rezeption seiner Arbeit in Italien gefördert haben, erläutere. Im zweiten Teil bette ich die Übersetzungen in den historischen und sozialpolitischen Kontext sowie die gesellschaftliche Debatte Italiens ein und verweise auf eine sinnvolle Verbindung zwischen ihnen. Hier soll dargelegt werden, dass eines der bedeutendsten Theoreme Böckenfördes in Bezug auf den Staat auch heute noch die zentrale Analysekategorie der Rechtstheorie ist, und zwar nicht zuletzt dank der Vielfalt von Böckenfördes Werkes. In den letzten Jahren wurde die Relevanz des Staates als Form der politischen Ordnung für das Zusammenleben freiheitlicher Individuen in Frage gestellt. Mit Böckenfördes Arbeiten, die im europäischen Raum inzwischen zu Klassikern geworden sind, kann diese Debatte geschärft werden. Abschließend gehe ich auf das neu erwachte Interesse an Böckenfördes Theorien ein, welches infolge der letzten italienischen Übersetzung seines Werkes „Der Staat als sittlicher Staat“ von 1978 entstand.2

II. Italienische Übersetzungen von Böckenfördes Werk 1. Welche Arbeiten wurden übersetzt? Wissenschaftliche Abhandlungen Böckenfördes wurden erstmalig 1970 ins Italienische übersetzt und rückten zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses – insbesondere in Disziplinen wie Konstitutionalismus, Philosophie, Politikwissenschaft und Philosophiegeschichte, gerade aufgrund der umfassenden Übersetzungen aus den Jahren 2006 und 2007. Zunächst sollen an dieser Stelle in chronologischer Reihenfolge die italienischen Übersetzungen vorgestellt werden. Die erste Übersetzung im Jahre 1970 war die Überarbeitung der Dissertation Böckenfördes in Geschichte, mit der er 1961 an der Universität München unter der Anleitung von Franz Schnabel promoviert wurde. Sie trug den Titel „La storiografia tradizionale tedesca nel secolo decimonono. Problematica e modelli dell’epoca“3 (Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert: Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder) und beschäftigte sich mit den wichtigsten Historikern deutscher Verfassungsgeschichte. Damit stieß der Übersetzer Pierangelo Schiera – nicht umsonst einer der 2

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, Berlin 1978. Ernst-Wolfgang Böckenförde, La storiografia constituzionale tedesca nel secolo decimonon: Problematica e modelli dell’epoca (Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder), übers. u. eingel. v. Pierangelo Schiera, 1970. 3

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führenden Experten für Otto Hintze, Carl Schmitt, Otto Brunner und Übersetzer von Werken der vorgenannten Autoren – eine verfassungsgeschichtliche Debatte in Italien an. Die weiteren Übersetzungen können in drei Kategorien unterteilt werden.4 Zur ersten Kategorie gehören einzelne Artikel, die zwischen 1978 und 1985 in italienischen Fachzeitschriften für Verfassungsrecht erschienen: „Commissioni parlamentari d’inchiesta“5 (Parlamentarische Untersuchungsausschüsse), „Democrazia e rappresentanza“6 (Demokratie und Repräsentation), „Teoria politica e teologia politica. Osservazioni sul loro rapporto reciproco“7 (Politische Theorie und politische Theologie: Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis). In die zweite Kategorie fällt eine kleine Publikation, die auf Böckenfördes wegweisenden Aufsatz von 1967 über die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung aufbaute: „La formazione dello stato come processo di secolarizzazione“8 4 Diese Unterteilung soll einen ersten Überblick über den italienischen Übersetzungsprozess von Böckenfördes Werken geben, auf den wir im Verlauf des Artikels noch eingehen werden. Das gewählte Kriterium ist das des Publikationsortes, an dem die Übersetzungen betrieben werden. Damit soll der Kontext der Übersetzungen verdeutlicht werden. In Italien wurde zwischen 1978 und 1985 eine Reihe von Artikeln von Rechtsexperten in Branchenzeitschriften (erste Kategorie) übersetzt – siehe dazu Fn. 5, 6, 7; dazu folgt 2006 die Bearbeitung und Übersetzung des vielleicht berühmtesten Aufsatzes des deutschen Autors in Form eines Buches (zweite Kategorie) eines politischen Philosophen – siehe dazu Fn. 8; schließlich wurden 1974 und 1996 zwei Aufsätze in Sammelbänden (dritte Kategorie) von historischer und juristischer Thematik veröffentlicht – siehe dazu Fn. 9, 10. 5 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Commissioni parlamentari d’inchiesta e autonomia comunale (Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Kommunale Selbstverwaltung), übers. v. Girolamo Sciullo, in: Problemi di amministrazione pubblica 2, 1979, S. 126 – 182. Hierbei handelte es sich um einen Aufsatz, den der Autor für die Bremer Bürgerschaft entwarf und in dem die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Untersuchungskommission thematisiert wurde: „Der Hafen von Bremen – eine Mülldeponie“. 6 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie. Bemerkungen zu Begriff und Verwirklichungsproblemen der Demokratie als Staats- und Regierungsform, in: Staatorganisation und Staatsfunktionen im Wandel. FS Kurt Eichenberger, 1982, S. 301 – 328; ders., Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, 4. Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung – Grundfrage der Demokratie, 1983. Der ersten italienischen Übersetzung von Pasquale Pasquino (Quaderni Constituzionali 2 [1985]) lagen beide deutsche Versionen zu Grunde. 7 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Teoria politica e teologia politica. Osservazioni sul loro rapporto reciproco (Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis), übers. v. Giulio Colombi, in: Hermeneutica 1998, S. 65 – 80. Wiederabgedruckt in: Cristianesimo, liberta`, democrazia (Christentum, Freiheit, Demokratie), hrsg. v. Michele Nicoletti, Brescia 2007. 8 Ernst-Wolfgang Böckenförde, La formazione dello stato come processo di secolarizzazione (Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Paolo Prodi/Luigi Sartori (Hrsg.), Cristianesimo e potere. Atti del seminario tenuto a Trento il 21 – 22 giugno 1985, EDB Edizioni dehoniane 1986, S. 101 – 122. Erneut übers. v. Michele Nicoletti, Morcelliana 2006. Erneut übers. v. Mario Carpitella, in: Diritto e secolarizzazione. Dallo Stato

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(Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation). Dieser wurde erstmalig 1986 und dann 2006 erneut übersetzt. Die letzte Kategorie umfasst zwei Artikel, einer erschien 1974 in einem Sammelband: „La pace di Westfalia e il dritto di alleanza dei ceti dell’imperio“9 (Der westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichsstände), der zweite: „Il potere costituente del popolo. Un concetto limite del diritto costituzionale“10 (Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts) wurde 1996 veröffentlicht. Nach diesen vereinzelten Publikationen zwischen 1970 und den 1990er Jahren wurden im 21. Jahrhundert drei umfassende Sammelbände veröffentlicht. Der erste von 2006 – „Stato, costituzione, democrazia. Studi di teoria della costituzione e di diritto costituzionale“11 (Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfasmoderno all’Europa unita (Recht und Säkularisierung. Vom modernen Staat zum vereinten Europa) hrsg. v. Geminello Preterossi, Roma 2007. 9 Ernst-Wolfgang Böckenförde, La pace di Westfalia e il diritto di alleanza dei ceti dell’impero (Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichsstände), übers. v. Ettore Rotelli u. Pierangelo Schiera, in: dies. (Hrsg.), Lo stato moderno, Bologna 1974, S. 25 – 34. 10 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Il potere costituente del popolo. Un concetto limite del diritto costituzionale (Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts), in: Gustavo Zagrebelsky/Pier Paolo Portinaro/Jörg Luther (Hrsg.), Il futuro della costituzionale, Turin 1996, S. 231 – 252. Erneut abgedruckt in: Michele Nicoletti/Omar Brino (Hrsg.), Stato, costituzione, democrazia (Staat, Verfassung, Demokratie), Milano 2006. 11 Ebd., diese erste in italienischer Sprache veröffentlichte Sammlung enthält folgende Aufsätze Böckenfördes: „Das Grundrecht der Gewissensfreiheit (1970)“ (Il diritto fondamentale della libertà di coscienza); „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation (1974)“ (Teoria e interpretazione die diritti fondamentali); „Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht (1975)“ (Salvaguardia della libertà di fronte al potere sociale. Prospetto di un problema); „Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie. Ein Beitrag zum Problem der ,Regierbarkeit‘ (1976)“ (La funzione politica delle associazioni economico-sociali e die portatori di interessi nella democrazia dello Stato sociale. Un contributo sul problema della ,governabilità‘); „Die Methoden der Verfassungsinterpretation. Bestandsaufnahme und Kritik (1976)“ (I metodi dell’interpretazione costituzionale. Ricognizione e critica); „Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue? Sicherung der freiheitlichen Demokratie in den Formen des Rechtsstaats (1978)“ (Garanzia di un comportamento o fedeltà per convincimento interiore? Salvaguardia della democrazia liberale nelle forme dello Stato di diritto); „Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie (1980)“ (Stato sociale federale e democrazia parlamentare. Sul rapporto tra parlamentarismo e federalismo nelle condizioni dello Stato sociale); „Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge (1981)“ (I diritti sociali fondamentali nella struttura della costituzione); „Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion (1983)“ (Democrazia e rappresentanza. Per una critica sull’attuale discussione sulla democrazia); „Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft (1983)“ (Il carattere specifico del diritto statuale e della scienza ad esso dedicata); „Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung (1984)“ (Sviluppo storico e mutamento di significato della costituzione); „Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts (1986)“ (Il potere costituente del popolo. Un concetto limite del diritto costituzionale); „Grundrechte als Grundsatznormen. Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik (1990)“ (Diritti fondamentali come norme di principio. Sulla situazione attuale della

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sungstheorie und zum Verfassungsrecht) – besteht aus siebzehn Aufsätzen zum Verfassungsrecht, die Böckenförde zwischen 1970 und 2003 veröffentlichte. Die zweite von 2007 – „Cristianesimo, libertà, democrazia“12 (Christentum, Freiheit, Demokratie) – thematisiert mit fünfzehn Aufsätzen die Religionsfreiheit und das Verhältnis von Kirche und Staat sowie von Kirche und Moderne. Diese Gesamtschau enthält wegweisende Artikel wie: „Politische Theorie und politische Theologie“ (1983), „Wahrheit und Freiheit“ (2004), „Religion im säkulären Staat“ (1996). Die dritte, ebenfalls von 2007 – „Diritto e secolarizzazione. Dallo Stato moderno all’Europa unita“13 (Recht und Säkularisierung. Vom modernen Staat zum vereinten Europa) – dogmatica die diritti fondamentali); „Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel (1993)“ (Note sul concetto di mutamento costituzionale); „Begriff und Probleme des Verfassungsstaates (1997)“ (Concetto e problemi dello Stato costituzionale); „Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation (1999)“ (La giurisdizione costituzionale. Questioni strutturali, organizzazione, legittimazione); „Demokratie als Verfassungsprinzip (2003)“ (La democrazia come principio costituzionale). 12 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Cristianesimo, liberta`, democrazia (Christentum, Freiheit, Demokratie), hrsg. v. Michele Nicoletti, übers. v. Alberto Anelli, Corrado Bertani u. Sara Bignotti, Brescia 2007. Diese zweite in italienischer Sprache veröffentlichte Sammlung enthält folgende Aufsätze Böckenfördes: „Das Ethos der modernen Demokratie und der Kirche (1957)“ (L’ethos della democrazia moderna e la Chiesa); „Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen (1965)“ (La libertà religiosa come compito die cristiani); „Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat (1967/1979)“ (La libertà religiosa e il contrasto tra Chiesa e Stato); „Politisches Mandat der Kirche? (1969)“ (Mandato politico della Chiesa?); „Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln“ (Diritto naturale ecclesiastico e agire politico) 1973; „Das Verhältnis von Kirche und moderner Welt. Aufriss eines Problems (1977)“ (Sul rapporto tra Chiesa e Mondo moderno. Delineazione di un problema); „Das neue politische Engagement der Kirche. Zur ,politischen Theologie‘ Johannes Pauls II (1980/1984)“ (Il nuovo impegno politico della Chiesa. Sulla „teologia politica“ di Giovanni Paolo II); „Ethische und politische Grundsatzfragen zur Zeit. Überlegungen aus Anlass von 90 Jahren ,Rerum Novarum‘ (1981)“ (Questioni di principio, etiche e politiche, per il nostro tempo. Riflessioni in occasione dei 90 anni della ,Rerum Novarum‘); „Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis (1983)“ (Teoria politica e teologia politica. Osservazioni sul loro rapporto reciproco); „Die Kirche und die Krise des modernen Bewusstseins (1986)“ (La Chiesa e la crisi della coscienza moderna); „Gerechtigkeit in Gesellschaft, Wirtschaft, und Politik (1992)“ (Il contributo dell’agire politico alla realizzazione della giustizia); „Autorität-Gewissen-Normfindung. Thesen zur weiteren Diskussion (1992)“ (Autorità – coscienza – individuazione della norma. Tesi per una discussione ulteriore); „Religion im säkularen Staat (1996)“ (La religione nello Stato secolare); „Wahrheit und Freiheit. Zur Weltverantwortung der Kirche heute (2004)“ (Verità e libertà. La responsabilità della Chiesa, oggi); „Über die Autorität päpstlicher Lehrenzyklen am Beispiel der Äußerungen zur Religionsfreiheit (2005)“ (L’autorità delle encicliche papali a partire dalle dichiarazioni sulla libertà religiosa). 13 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Diritto e secolarizzazione. Dallo Stato moderno all’Europa unita (Recht und Säkularisierung. Vom modernen Staat zum vereinten Europa), hrsg. v. Geminello Preterossi u. übers. v. Mario Carpitella, Roma 2007. Diese dritte in italienischer Sprache veröffentlichte Sammlung enthält folgende Aufsätze Böckenfördes: „Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts (1964)“ (La scuola storica e il problema della storicità del diritto); „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967)“ (La nascita dello Stato come processo di secolarizzazione); „Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart

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stellt der italienischen Öffentlichkeit neun Beiträge zur Verfügung, in denen sich Böckenförde insbesondere den Themen Europa und Globalisierung widmet. Sie entstammen den zwei Aufsatzsammlungen aus den 90er Jahren: „Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte“ (1991) und „Staat, Nation, Europa. Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie“ (1999). In dieser von Geminello Preterossi kenntnisreich eingeführten Sammlung wird der Ansatz Böckenfördes ersichtlich, welcher sich dem Ruf der Sirenen der Globalisierung widersetzt und auf die Bedeutung von Konzepten wie „politische Autonomie“ aufmerksam macht, um die historische Verbindung zwischen Demokratie und Staatlichkeit zu betonen. Dieser Band enthält darüber hinaus Aufsätze, die sich mit den Ursprüngen der Säkularisation und ihrem Verhältnis zur Moderne, dem Verhältnis von Politik und Religion bei Hegel, der Verbindung zwischen Verfassungslehre und dem Konzept des „Politischen“ bei Schmitt sowie mit der Identität der europäischen Rechtswissenschaft beschäftigen. Weitere Beiträge wurden in den 2000er Jahren veröffentlicht: „Dignità umana e bioetica“14 (2009) (Menschenwürde und Bioethik) und „Chiesa e capitalismo“15 (2010) (Kirche und Kapitalismus) und die erste italienische Übersetzung des Essays „Der Staat als sittlicher Staat“ (2017)16. Im letzteren steht das Ethos des Staates im Mittelpunkt der Reflexion darüber, was genau eine Demokratie zu einem politischen System der „Einheit in Vielfalt“ macht. Zu den Schriften über Böckenförde sind zwei aktuelle Dissertationen aus der Philosophie zu nennen17 sowie eine Monographie – die einzige, die auf Italienisch ver(1972)“ (L’importanza della separazione fra Stato e società nello Stato sociale democratico di oggi); „Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel (1982)“ (Osservazioni sul rapporto fra Stato e religione in Hegel); „Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts (1988)“ (Il concetto di ,politico‘ come chiave per intendere l’opera giuspubblicistica di Carl Schmitt); „Die Nation. Identität in Differenz (1995)“ (La nazione. Identità nella differenza); „Staatsbürgerschaft und Nationalitätskonzept (1995)“ (Cittadinanza e concetto di nazionalità); „Welchen Weg geht Europa? (1997)“ (Dove sta andando l’Europa?); „Die Zukunft politischer Autonomie. Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Europäisierung und Individualisierung (1998)“ (Il futuro dell’autonomia politica. Democrazia e statalità nel segno della globalizzazione, dell’europeizzazione e dell’individualizzazione). 14 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Dignità umana e bioetica (Menschenwürde und Bioethik), hrsg. u. übers. v. Sara Bignotti, Brescia 2009. 15 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Chiesa e capitalismo (Kirche und Kapitalismus), übers. v. Sara Bignotti u. Ilario Bertoletti, hrsg. v. Giovanni Bazoli, Brescia 2010. 16 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Lo Stato come Stato etico (Der Staat als sittlicher Staat), hrsg. u. übers. v. Elisa Bertò, Pisa 2017. 17 Valentina Risi, Lo Stato tra secolarizzazione e libertà. Sul pensiero giuridico-filosofico di E.-W. Böckenförde (Der Staat zwischen Säkularisierung und Freiheit. Zum rechtlich-philosophischen Denken von E.-W. Böckenförde), 2010, unveröffentlichte Dissertation, Padua University; Chiara Panetta, Religione e Stato democratico. Il contributo di Ernst-Wolfgang Böckenförde (Religion und demokratischer Staat. Der Beitrag von Ernst-Wolfgang Böckenförde), 2011, Roma Tre University.

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öffentlicht wurde – (namens) „Le ragioni della secolarizzazione. Böckenförde tra diritto e teologia politica“18 (Die Gründe für die Säkularisation. Böckenförde zwischen Recht und politische Theologie) eines jungen wissenschaftlichen Mitarbeiters des Instituts für Rechtswissenschaft der Universität Salerno. 2. Warum entstand gerade in Italien ein so großes Interesse an Böckenfördes Werk? Aus welchem Grunde wurde Böckenförde ins Italienische übersetzt? Dies lässt sich sowohl kulturell als auch methodologisch begründen. Drei Gründe sollen im Folgenden schematisch vorgestellt werden: Der erste Grund besteht in der Aufmerksamkeit, die der deutschen Staatslehre im Zuge der Debatte um das öffentliche Recht entgegengebracht wurde. Es geht insbesondere um die ursprüngliche Position Böckenfördes in der Debatte um das historische Wesen des „modernen Staates“ und demzufolge um Böckenfördes Konzeption der Verfassungsgeschichte, in welcher eine traditionelle Auffassung des Rechts überwunden wird und diesem durch die Unterscheidung zur Verfassung19 eine größere Bedeutung verliehen wird. Diese berührt einerseits soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte des Lebens und erfordert andererseits eine strenge historische Bestimmung jeglicher Form politischer Organisation. Bekanntermaßen wird das Staatsrechtsdenken in Italien seit langem von einigen grundlegenden Konzeptualisierungen beeinflusst, die ihren Ursprung in deutschen Debatten hatten.20 Dies gilt insbesondere für den Staat in Europa und die Europäisierungsprozesse der Nachkriegszeit. Als Schlagworte seien hier Staatsgründung, der Zustand der Demokratie und die Zukunft der Verfassung genannt, welche allesamt Gegenstand der intensiven Reflexion Böckenfördes waren. Zu dieser ersten Gruppe von Motiven/Motivationen könnte man beispielsweise den von Pasquale Pasquino übersetzten Artikel „Democrazia e rappresentanza“21 (Demokratie und Repräsentation), den 1979 für ein italienisches Verfassungsperiodikum übersetzten Artikel „Commissioni parlamentari d’inchiesta“22 (Parlamentarische Untersuchungskommission) oder den Aufsatz aus dem

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Anna Cavaliere, Le Ragioni della secolarizzazione. Böckenförde tra diritto e teologia politica (Die Gründe für die Säkularisierung. Böckenförde zwischen Recht und politischer Theologie), 2016. 19 Bei dieser italienischen Rezeption von E.-W. Böckenfördes Werk nach der ersten Übersetzung 1972 sollte insbesondere der Einfluss von Carl Schmitt erwähnt werden. Aber dieser komplexe Punkt verdient eine gesonderte Betrachtung, dazu siehe im Text im nächsten Abschnitt. 20 Siehe Pietro Costa/Aldo Schiavone (Hrsg.), Stato e cultura giuridica in Italia dall’Unità alla Repubblica (Staats- und Rechtskultur in Italien vorn der Einheit zur Republik), Roma 1990. 21 Siehe Fn. 3. 22 Siehe Fn. 2.

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Jahr 1996 veröffentlichten Sammelband „Il potere costituente del popolo“23 (Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts) zählen. Ein zweiter Grund mag darin bestehen, dass Böckenförde ein bekennender Katholik ist. So beschäftigen sich beispielsweise die Beiträge des bereits erwähnten Sammelbands „Christentum, Freiheit und Demokratie“24 mit unterschiedlichen Aspekten des Themenkomplexes „Religion und Politik“ und legen einen historischen Fokus auf Italien – man denke an dessen katholische Tradition, die starke Präsenz des Vatikans und die Einflusskraft der Kirche in Italien. Zudem tragen Böckenfördes Arbeiten auch zum Verständnis des Dialogs von 200425 zwischen Kardinal Joseph Ratzinger und dem Philosophen Jürgen Habermas bei, der das Böckenförde-Diktum als Ausgangspunkt hatte. Auch der „Morcelliana“-Verlag hat sich seit seiner Gründung für die Förderung einer katholisch inspirierten Kultur eingesetzt; in der Verlagsreihe „Il Pellicano rosso“ wurden vier Werke von Böckenförde veröffentlicht: „La formazione dello Stato come processo di secolarizzazione“ (Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation); „Cristianesimo, libertà, democrazia“ (Christentum, Freiheit, Demokratie); „Dignità umana e bioetica“ (Menschenwürde in der Bioethik); „Chiesa e capitalismo“ (Kirche und Kapitalismus).26 Als dritter Grund kann angeführt werden, dass Böckenförde nicht nur auf die deutsche, sondern auch auf die europäische Verfassungsgeschichte eingegangen ist. Die italienische Rezeption Böckenfördes begann mit seinen ersten Arbeiten zur Entstehung des modernen Staates sowie denen zur Entwicklung einer deutschen Sichtweise der Verfassungsgeschichtsschreibung, die die Verfassung als zeitgebunden versteht, und von der komplexen Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert geprägt ist. Die historisch-konzeptionelle Analyse, die Böckenförde in Bezug auf die Begriffe „politische Gemeinschaft“, „Verfassung“, „Repräsentation“ oder in Bezug auf Themen wie Gewissensfreiheit unternimmt, bleibt jedoch nicht auf die Interpretation des Grundgesetzes und die Besonderheiten der deutschen Geschichte beschränkt, sondern gewinnt derart an Bedeutung, dass sie auch in Ländern wie Italien Beachtung findet (siehe z. B. die Sammelbände von 200627 und 200728).

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Siehe Fn. 6. Siehe Fn. 9. 25 Die beiden Reden wurden jeweils auf Italienisch und Deutsch veröffentlicht, in Michele Nicoletti (Hrsg.), Jürgen Habermas – Joseph Ratzinger, Etica, religione e Stato liberale (Ethik, Religion und liberaler Staat), Brescia 2004, und Jürgen Habermas – Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung: über Vernunft und Religion, Herder Verlag, Freiburg 2005. Für eine vergleichende Analyse von Böckenförde und Habermas siehe Massimo Borghesi, Die nicht politischen Voraussetzungen für eine Demokratie: Böckenförde und Habermas, in: Marta Cartabia/Andrea Simoncini (Hrsg.), La sostenibilità della democrazia nel XXI secolo (Die Nachhaltigkeit der Demokratie im 21. Jahrhundert), Bologna 2009, S. 21 – 49. 26 Siehe Fn. 5, 10, 12, 13. 27 Siehe Fn. 7. 28 Siehe Fn. 9, 10. 24

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Für ein Gesamtbild der vielfältigen italienischen Böckenförde-Rezeption, wobei das Hauptaugenmerk hierbei durchaus auf den spezifischen politischen und kulturellen Auswirkungen liegt, darf die italienische Rezeption seines akademischen Lehrers und intellektuellen Weggefährten Carl Schmitt nicht fehlen. Obwohl die Rezeption von Schmitt in Italien erst relativ spät erfolgte und bald von einem offenen Nazismus geprägt war (oder der zumindest als solcher dargelegt und wahrgenommen wurde), können zwei Phasen der Rezeption unterschieden werden, und zwar sowohl in Bezug auf ihren Zeitrahmen (die erste Phase in den 1930er und 1940er Jahren und die zweite nach den 1970er Jahren) als auch die Art und Weise betreffend (eine ,kontroverse‘ und eine eher ,wissenschaftliche‘). Die italienische Kritik der Schmitt’schen Rechtslehre in den Vorkriegsjahren – der sogenannten „ersten Phase“ – bewegt sich zwischen den beiden Extremen der spezifischen Anwendung durch die Juristen und der völligen philosophischen Verurteilung. Die Beurteilung durch die Juristen war eher von dem politischen Kompromiss beeinflusst, den Carl Schmitt mit der nationalsozialistischen Rechtslehre einging; Carlo Curcio bezeichnete ihn sogar als Theoretiker des Faschismus. Nur wenige Jahre später allerdings wird das politische Gedankengut von Carl Schmitt in einen breiteren Rahmen eingebettet – so zum Beispiel im 1935 entstandenen Aufsatz von Karl Löwith. Die kritische Auseinandersetzung seitens der italienischen akademischen Kultur mit der faschistischen Periode des deutschen Rechtsgelehrten dominierte den Diskurs und wurde durch die offizielle Freundschaft der beiden Regime nicht unbedingt begünstigt: Bei der Verfolgung antidemokratischer Ziele verlässt sich das italienische Regime lieber auf die ideologische Unterstützung des von Gentile vertretenen Idealismus und der Idee eines ethischen Staates, der menschlicher und besonnener erscheint als das verwirrende und extreme Rechtsdenken von Schmitt. Der deutsche Jurist, der wegen seines staatsrechtlichen Einsatzes in der NS-Zeit unter den Vertretern der politischen Geschichte und Philosophen in Verruf geriet, erscheint viele Jahre lang als Gefangener einer rechtswissenschaftlichen Rezeptionsgeschichte, die von Vorurteilen und äußerster Zurückhaltung begleitet wurde. Erst 1972, als das Interesse in Italien wieder zugenommen hatte und eine Reihe von Neuauslegungen der Schmittschen Theorie erschienen waren, wurde „Der Begriff des Politischen“29 übersetzt. Für das wiederkehrende Interesse an diesem Werk war Gianfranco Miglio maßgeblich verantwortlich: Das Buch erwies sich erstmalig vollständig von den Vorurteilen einer Rezeption befreit, die nur auf die ideologischen Aspekte der Theorie abstellt und enthält eine wissenschaftliche Beurteilung. Miglio wird damit Schmitts Wunsch gerecht, dass seine Arbeit als rein wissenschaftlich und der Erkenntnis ver29 Carl Schmitt, Le categorie del ,politico‘, Gianfranco Miglio und Pierangelo Schiera (Hrsg.), Bologna 1972. Für den kulturellen Reiseweg von Gianfranco Miglio siehe die Sammlung mit dem Titel „Le regolarità della politica“ [Politische Gesetzmäßigkeiten], Milano 1988.

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pflichtet anerkannt werden sollen. Schmitt wird schließlich als politischer Wissenschaftler interpretiert. Er präsentiert sich als jemand, der den Grad des Bewusstseins für politische Organisation untersucht; dadurch wurde er bekannt (wobei dieses Bewusstsein nicht abstrakt ist, sondern Souveränität, Entscheidung, Krise impliziert). Neben dieser politikwissenschaftlichen Perspektive, deren Selbstverständnis mit der Thematik der Krise einer Ära zusammenhängt (und die sich damit gleichzeitig einer wissenschaftlichen, philosophischen und historischen Perspektive verschrieben hatte), betrachtet eine weitere Strömung Schmitt als überragenden Gelehrten der Verfassungsgeschichte, dem es gelingt, die historische und konkrete Verflechtung von Recht, Politik und Verwaltung interdisziplinär nachzuvollziehen. In diesem Sinne verweisen Brunner, Böckenförde, Koselleck – allesamt von Pierangelo Schiera ins Italienische übersetzt beziehungsweise rezipiert – auf die vielversprechende Möglichkeit einer Fruchtbarmachung des Schmittschen Denkens. Die Begriffe Struktur und Verfassungsgeschichte stehen allgemein für eine fundamentale Unterscheidung, die auch in der Verfassungslehre dargelegt wird, nämlich derjenigen zwischen Verfassung und Konstitution, und für die sich daraus ergebenden Anforderungen an eine Analyse, welche sich von anachronistischen Referenzen lösen und den Fokus auf die konkreten institutionellen und administrativen Strukturen sowie auf ihre tatsächliche politische Dynamik legen soll. Auch die Methode und Perspektive der in Italien betriebenen Ideengeschichte wurde von der deutschen Verfassungsgeschichte beeinflusst.30 Das Interesse an einer Forschungsmethode, welche Kultur-, Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte in einer vergleichenden Perspektive vereinte, um die komplexe und vielschichtige Logik der westlichen politischen Erfahrungen zu untersuchen, war in einer Phase, in der die Aufmerksamkeit des Historikers auf die materielle Verfassung und den modernen Staatskomplex gelenkt wurde, von herausragender Bedeutung. Zu den führenden Persönlichkeiten in Italien, die an dieser Methodenerneuerung beteiligt waren und einen „globalen“ Zugang zur Staatstheorie und zur Verfassungsgeschichte ermöglichten, gehörten Historiker und Rechtshistoriker wie Otto Brunner, Otto Hintze, Werner Conze, Ernst-Wolfgang Böckenförde und Reinhart Koselleck. Die deutsche Verfassungsgeschichte erfuhr zwischen den 1970er und frühen 1980er Jahren in Italien durch die Übersetzungen von Böckenförde, Brunner, Hintze und Koselleck und mit dem Beginn bedeutender wissenschaftlicher Forschung über 30

Die wichtigsten Zentren für Studien und Forschung über die Geschichte politischer Ideen in Italien sind heutzutage die Universität von Trient sowie das Institut für Italienischdeutsche Geschichte in Trient, das die Zeitschriften „Scienza & Politica“ und „Annali dell’Istituto storico italo-germanico“ in Trient herausgibt und die Universitäten von Padua und Bologna mit dem Journal „Filosofia politica“ – der erste Teil jeder Ausgabe enthält „Materiali per un lessico politico europeo“ (Materialien für ein Lexikon europäischer Politik) und Anthologien über die Forschung moderner politischer Konzepte. Auch an den Universitäten von Mailand und Bologna gibt es Publikationsprojekte, jedoch allgemeinerer Art. Sie haben zum Ziel, Sammelbände für Beratungszwecke und politische Wörterbücher herauszugeben, in denen die spezifische Geschichte politischer Begriffe berücksichtigt wird.

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den modernen Staat eine erhöhte Aufmerksamkeit.31 In diesem Sinne diente der Kontext der Ideengeschichte vor allem als Instrument für die „Historisierung“ der juristischen Kategorien mit Betonung darauf, wie die Verfassung auszulegen, und welches Paradigma anzunehmen seien, um die Forschung in Bezug auf die Sozialgeschichte jenseits der Grenzen des formalen Rechts voranzubringen. Sie hat ihren Ursprung im bürgerlichen Staat des 19. Jahrhunderts, d. h. hier wurde der erste Beitrag zur Ideengeschichte im eigentlichen Sinne geleistet. Konzepte wie „Rechte“, „Individuum“, „Gewaltenteilung“, „Unterscheidung zwischen öffentlich und privat“ oder „Gesellschaft“/„Staat“ wären auf hergebrachte institutionelle und politische Realitäten nicht anwendbar gewesen. Mit einer umfassenderen „materiellen“ Konzeption von Verfassung jedoch konnte das Problem der politischen Einheit im ideologischen und institutionellen Kontext untersucht werden, welches der Bildung des Koordinatensystems im Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts vorausgegangen war. Politik konnte unabhängig von der vermeintlichen Universalität und Allgegenwärtigkeit von Begriffen, die tatsächlich spezifisch für den Staat des 19. Jahrhunderts gewesen sind, untersucht und rund um ein System spezifischer Konzepte im „verfassungsmäßigen“ Kontext (im Sinne einer materiellen Verfassung) rekonstruiert werden. Die Ideengeschichte floss daher von Anfang in diese neue Rezeption der konstitutionellen Geschichtsschreibung ein. Sie wurde als Instrument eingesetzt, um die Kategorien der geschichtswissenschaftlichen Rekonstruktion zu überprüfen und um Missverständnisse zu vermeiden, die sich daraus ergaben, dass solche Konzepte, welche nicht zu den untersuchten semantischen Kontexten gehörten, nicht verwendet werden konnten. Diese konnten dann anhand eigener Konzepte analysiert werden. In dieser Phase spielte Pierangelo Schiera als Mitbegründer des „Italienisch-Deutschen Historischen Instituts“32 und Förderer von dessen Forschung eine entscheidende Rolle. 31

Ettore Rotelli/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Lo Stato moderno, 3 Bde., Bologna 1971 – 74. Dank des leidenschaftlichen Engagements von Paolo Prodi, dem Gründer des Italienisch-deutschen Historischen Instituts (ISIG) im Jahr 1973, kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit verschiedenen europäischen geschichtswissenschaftlichen Instituten, insbesondere im italienischen und deutschen Raum. Für ganze Generationen italienischer und deutscher Historiker stellt das Institut einen privilegierten Ort dar, um Zusammenhänge zwischen verschiedenen Studienhorizonten zu erforschen und Forschungslinien zu entwickeln, welche die europäische Geschichtswissenschaft maßgeblich beeinflusst haben. Das Institut konzentrierte seine Forschung auf zentrale Fragen der Religions-, Politik- und Sozialgeschichte wie Reformation, Konfessionalisierung, soziale Regulierung und die Entwicklung des modernen Staates. Dabei lag der Schwerpunkt lange Zeit auf der Analyse und der Förderung des Dialogs mit der Geschichtswissenschaft in Deutschland. In jüngerer Zeit waren die Aktivitäten des Instituts durch Untersuchungen zu Schlüsselfragen im Zeitalter des Übergangs und den wichtigsten Entwicklungen der Moderne gekennzeichnet. Unterstützt wurde es von Pierangelo Schiera. Paolo Prodi leitete das Institut von 1973 bis 1997. Ihm folgten Giorgio Cracco (1998 – 2005), Gian Enrico Rusconi (2005 – 2010), und Paolo Pombeni (2010 – 2016). Christoph Cornelißen ist nun Leiter seit Februar 2017. Um die Schriften Böckenfördes (und den Autor selbst) der italienischen Öffentlichkeit vorzustellen, luden Prof. Nicoletti und Prof. Rusconi – damals Direktor des Deutsch-Italienischen Historischen Instituts – ihn zu der üblichen Studienwoche des Instituts im Oktober 2006 32

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Die Übersetzung der Arbeiten jener Autoren und der daraus resultierende Einfluss ihrer Theorien haben in Italien den Weg für die auch vergleichende Erforschung der Geschichte des modernen Staates bereitet und zu einer tiefgreifenden Erneuerung des Studiums der politischen Geschichte in Italien geführt. Einerseits war es nun möglich, den Staat als Thema abseits der Rechtsgeschichte zu behandeln. Andererseits wurde die Geschichte der politischen Theorie nun in das weite Feld der Geschichte politischer Ideen eingebettet, und zwar losgelöst von einer idealistischen Rhetorik, die in der Ideengeschichte vorherrschte, um sie in der Komplexität politischer, administrativer und wirtschaftlicher Ereignisse und Wechselfälle der politischen Theorie des modernen Staates zu verankern. 3. Wer sind die Vermittler von Böckenfördes Theorien? Böckenfördes Arbeit umfasst viele Bereiche wissenschaftlicher Reflexion: Recht, Geschichte, Theologie, Philosophie, politische Theorie, teilweise auch Soziologie. Auch wenn sich der Autor überwiegend der Neubetrachtung rechtswissenschaftlicher Fragestellungen widmete33 und in der Regel die Rechtswissenschaften und das Verfassungs- und Verwaltungsrechts bevorzugte, so stammen seine analytischen Werkzeuge ebenso aus der Philosophie, Politikwissenschaft und Geschichte. Seine Beiträge haben somit einen inter- und transdisziplinären Raum gefüllt. Es ist also kein Zufall, dass diejenigen, welche den größten Teil der Aufsätze von Böckenförde übersetzt und seine Rezeption in Italien initiiert und gefördert haben, bedeutende italienische Wissenschaftler, Juristen und Philosophen sind. Wer Böckenfördes Werk übersetzt und sich damit auseinandersetzt, konnte sich nicht ausschließlich mit Recht oder Philosophie beschäftigen, da seine Überlegungen niemals eindimensional sind und stets eine Gesamtreflexion beinhalten. Zu den italienischen Experten für das Werk von Böckenförde gehören so renommierte Akademiker wie Pierangelo Schiera, ein bedeutender italienischer Professor für Geschichte des politischen Denkens (heute emeritiert) an der Universität Trient, der sich seit jeher mit Fragen und Problemen des modernen Staates aus der Perspektive des politischen Denkens und der Verfassungsgeschichte beschäftigt. Auch zu nennen ist Gustavo Zagrebelsky, ein italienischer Jurist und Verfassungsrichter von 1995 bis 2004 sowie Präsident des Verfassungsgerichtshofs im Jahr 2004. Derzeit ist er Professor für Verfassungsrecht und allgemeine Theorie des öffentlichen Rechts am Institut für Recht der Universität Turin und einer der Herausgeber des Buches „Il futuro della Costituzione“34. Unter den Juristen ist des Weiteren Maurizio ein; Böckenförde nahm an dem Einführungsbericht teil. Diese Veranstaltung und das Institut generell spielten eine wichtige Rolle bei der italienischen Rezeption Böckenfördes. 33 Maurizio Fioravanti, Sulla dottrina dello Stato. L’opera giuspubblicistica di E.-W. Böckenförde (Über die Lehre des Staates. Die öffentlich-rechtliche Arbeit von E.-W. Böckenförde), Filosofia Politica 22:2 (2008), S. 279 – 286. 34 Gustavo Zagrebelsky/Pier Paolo Portinaro/Jörg Luther (Hrsg.), Il futuro della costituzione (Die Zukunft der Verfassung), Torino 1996.

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Fioravanti zu nennen,35 Professor für Geschichte des mittelalterlichen und modernen Rechts und Geschichte der modernen Verfassungen an der Universität Florenz, der mehrere Artikel über die Verfassung und Staatsdoktrin von Böckenförde veröffentlicht hat. Neben bedeutenden Historikern und Juristen haben sich auch italienische Philosophen intensiv mit der Übersetzung und Analyse von Böckenfördes Werk beschäftigt. Zu ihnen zählen die Herausgeber der umfangreichsten Sammelbände, die 2006 und 2007 veröffentlicht wurden: zunächst Pier Paolo Portinaro – Student von Norberto Bobbio –, Professor für Geschichte der politischen Lehren an der Philosophischen Fakultät der Universität Turin, Autor verschiedener Publikationen über den politischen Realismus, den europäischen Liberalismus und das Verhältnis von Recht, Politik und Gerechtigkeit in der internationalen Strafjustiz, zudem Pasquale Pasquino, Senior Fellow am CNRS in Paris und Global Distinguished Professor an der New York University, der sich mit der historischen Herkunft der Verfassungsgerichte in Europa, den Mechanismen des Zugangs zu den Verfassungsgerichten und ihren Auswirkungen auf das politische System sowie mit einer Rechtfertigungstheorie der Verfassungsdemokratie beschäftigt hat, darüber hinaus Michele Nicoletti, Professor für politische Philosophie an der Universität Trient, Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (III) des italienischen Parlaments (2013 – 2017), Präsident der italienischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE/2014 – 2017) und Vorsitzender der Sozialisten, Grünen und Demokraten bei der gleichen Parlamentarischen Versammlung in Straßburg für die XVII. Legislative der Italienischen Republik. Letzterer hat sich mit Fragen der öffentlichen Ethik (insbesondere der politischen und sozialen Ethik) und der politischen Theorie befasst und widmete sich Themen wie dem Bösen in der politischen Theorie und dem Verhältnis zwischen Religion und Politik. Er studierte unter anderem an der Universität Freiburg unter der Leitung von Böckenförde am Institut für Öffentliches Recht. Schließlich ist Geminello Preterossi zu nennen, Professor für Rechtsphilosophie und Geschichte der politischen Lehre an der Universität Salerno, der auf die klassische deutsche Philosophie, die Staatsdoktrin und die Verfassung im 19. und 20. Jahrhundert (insbesondere Politik und Recht in der Weimarer Republik), Machttheorien und Zeitalter der Rechte spezialisiert ist. Die vielen Gründe für dieses Interesse an den Arbeiten Böckenfördes seitens Verfassungsrechtswissenschaftlern, Rechtsexperten und Philosophen lassen sich besser verstehen, wenn man den politischen Kontext genauer betrachtet. Tatsächlich könnte man argumentieren, dass Böckenfördes Interpretationskategorien leicht auf den damaligen gesellschaftspolitischen Zusammenhang in Italien übertragen werden können. Diese beruhen – wie anfangs dargelegt – auf der engen Verbindung von politischem System und unmittelbarem Einfluss kirchlicher Autorität.

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Siehe Fn. 33, 63.

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III. Der Kontext der Übersetzungen: Italienische Angelegenheiten An dieser Stelle soll auf die Kernthemen von Böckenfördes Arbeiten eingegangen werden, um die Gründe für das Interesse an seinem Werk nachzuvollziehen. Diese Argumentationslinie lenkt die Aufmerksamkeit auf den historischen Kontext der Übersetzungen in Italien. Im Folgenden wird also der Einfluss des italienischen kulturellen Kontextes auf die Übersetzungen untersucht; ein Kontext, der – nicht zufällig – fast alle diese Übersetzungen inspiriert hat. 1. Verfassungsreform – stato semper reformanda Ein solcher Einfluss kann insbesondere bei den Artikeln „Commissioni parlamentari d’inchiesta“ (Parlamentarische Untersuchungskommission) und „Democrazia e rappresentanza“ (Demokratie und Vertretung) festgestellt werden. Erst 1982,36 während der neunten Legislaturperiode (1983 – 1987), fanden Böckenfördes Reflexionen in der Diskussion um eine Verfassungsreform und einen Wandel des demokratischen Systems in Italien Berücksichtigung. Der erste Versuch, eine Reformkommission einzusetzen, geht auf das Jahr 1982 zurück, und die Debatten in diesem Kontext drehten sich um Aspekte wie Parlament, Regierung, normativen Quellen, Präsident, Parteien und Wahlsystem. Im April 1983 wurde der Reformversuch aufgrund vorgezogener Wahlen zwar unterbrochen, die Arbeit daran anschließend aber wieder aufgenommen. Zahlreiche Berichte einzelner Parlamentarier und andere Vorschläge zu einer Verfassungsreform wurden vorgelegt, es kam jedoch zu keiner Einigung. In den 1990er Jahren wurde allerdings ein weiterer Versuch unternommen, eine Verfassungsreform einzuleiten. Zu diesem Zweck wurde ein bereits 1992 eingesetzter Ausschuss beider Parlamentskammern beauftragt, Reformvorschläge für das Verfassungsrecht Nr. 1 vom 8. 6. 1993 auszuarbeiten. Im Januar 1994 wurde das Reformprojekt des gemeinsamen Ausschusses dann den Kammern vorgestellt. Da die Legislaturperiode – und damit die „Erste Republik“37 – vorzeitig endete, kam es jedoch zu keinem fruchtbaren Ergebnis. Die „Zweite Republik“ war geboren und Silvio Berlusconi trat auf die politische Bühne. Das Reformvorhaben des Zweikammersystems wurde für das Parlament wie36

Siehe Fn. 2. Der Begriff Erste Republik (Prima Repubblica) ist ein journalistischer Begriff, der sich auf das politische System der Italienischen Republik (1948 – 1992) im Gegensatz zur Zweiten Republik (Seconda Repubblica) (1992 – 1994) bezieht, in der sich ein radikaler Wandel der Parteien vollzog. Die wichtigste Reform erfolgte 1993 mit dem Übergang von einem Verhältnis- zum Mehrheitswahlrecht, durch das eigentlich die Herausbildung eines Zweiparteiensystems eingeleitet sowie die Stabilität der Regierungen und ein Wechsel von Koalitionen sichergestellt werden sollte. 37

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der aufgegriffen (Januar 1998), aber die Gegensätze zwischen den politischen Kräften erwiesen sich als zu groß. Am 9. 6. 1998 wurde mitgeteilt, dass die Bemühungen um die Fortsetzung der Diskussion gescheitert waren. Kurz gesagt, das Reformvorhaben sollte nicht umgesetzt werden. Diese Phase der italienischen Verfassungsgeschichte – die Phase der „Reformdebatten“38 – war von der Entwicklung des institutionellen politischen Systems in Richtung einer Mehrheitsdemokratie geprägt. Das zentrale Moment dieser Entwicklung zeichnete sich durch den Übergang von einem Verhältniswahlsystem zu einem weitgehend mehrheitlichen First-Past-thePost-Wahlsystem (relatives Mehrheitswahlsystem in Einpersonenwahlkreisen) aus. Ein entscheidender Impuls für diese Weiterentwicklung des Verfassungsrechts war das Wahlreferendum 1993. Danach wurde für die Verabschiedung neuer Gesetze für die Wahl der Abgeordnetenkammer und des Senats eine neue Mehrheitsregel eingeführt: drei Viertel der Sitze sollten von nun an auf Grundlage einer mehrheitlichen Formel vergeben werden und das verbleibende Viertel nach einer proportionalen Formel. Trotz bestehender Vorbehalte seitens einiger Theoretiker und trotz praktischer Schwierigkeiten bei der Einführung dieser Reform besteht kein Zweifel daran, dass die Gesetzesänderung zur Wahl des Parlaments einen Wendepunkt im politischen System Italiens markiert. Böckenfördes Position zum Verhältnis von unmittelbarer Demokratie und repräsentativer Demokratie scheint in diesem Zusammenhang von großem Interesse gewesen zu sein.39 Bemerkenswert ist beispielsweise seine Grundidee, dass anstelle eines Systems umfassender Normen die Verfassung selbst eine Rahmenordnung darstellt, in der (nur) die wesentlichen Rahmenbedingungen und die Verfahrensregeln politischer Handlungs- und Entscheidungsprozesse definiert und zudem Grundsätze in Hinblick auf die Beziehung zwischen Individuum, Unternehmen und Staat festgelegt sind, die aber nicht unmittelbar umgesetzt werden müssen. An dieser Stelle sei auch das von Böckenförde vorgeschlagene Konzept der inhaltlichen Repräsentation angeführt. In seinen Überlegungen darüber, wie Demokratie politisch machbar bleiben könnte, ohne sich in eine „schlechte Utopie“ zu verwandeln, ist er der Meinung, dass man nicht von einer „Vorrangstellung“ oder einem „demokratischen Mehrwert“40 der unmittelbaren Demokratie im Vergleich zur repräsentativ-indirekten Demokratie sprechen kann. Vielmehr sei letztendlich die repräsentative Demokratie die eigentliche Form der Demokratie.41 Diese Position rührt von der Überlegung, dass die „Demokratie als Staatsform nicht als direkte Demokratie verstanden werden kann,“42 weder aus pragmatischer, noch aus theoretischer Sicht. So betont Böckenförde, dass eine solche Sicht dazu führe, „ein Demokratiekonzept zu konstruieren, 38

Zagrebelsky/Portinaro/Luther (Fn. 34), S. IX. Böckenförde (Fn. 6), S. 516; 530. 40 Böckenförde (Fn. 6), S. 231. 41 Siehe auch Alessandro Gigliotti, L’ammissibilità dei referendum in materia elettorale (Die Zulässigkeit von Volksabstimmungen zu Wahlfragen), Milano 2009. 42 Böckenförde (Fn. 6), S. 227. 39

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dessen wesentlicher Inhalt (und dessen eigentümliches Telos) ohne die Anforderung der Umsetzbarkeit“ bestünde.43 Böckenförde verwies zudem darauf, dass diese Art der Reflexion nie auf der Ebene der Verfassungsgestaltung enden kann, sondern um die verfassungsrechtliche und demokratische Kultur jedes Landes erweitert werden sollte.44 2. Italienischer Terrorismus als Herausforderung für den liberalen Staat Die beiden oben genannten Artikel – „Commissioni parlamentari d’inchiesta“ (Parlamentarische Untersuchungskommission) und „Democrazia e rappresentanza“ (Demokratie und Vertretung) insbesondere der zweite Titel – thematisieren einige historische Aspekte, die das Land beschäftigte; schließlich wurde es von Turbulenzen und sozialer Gewalt erschüttert.45 Italien war geprägt durch ein politisches Leben, das sich anhand Carl Schmitts Freund-Feind-Schema charakterisieren lässt. Diese Vorstellung von Politik hatte ja auch zur Zerstörung Europas in den 1930er Jahren beigetragen. Italien erlebte damals – wie das restliche Europa auch – die Ausbreitung regionaler politischer Kräfte und sprach sich ausdrücklich gegen die Zulassung und Integration verschiedener politischer Gruppen aus. Die Aktivitäten der italienischen Regierung konzentrierten sich zu dieser Zeit auf vier Problembereiche: Wirtschaft (Lohnkosten, Steuererhöhungen), Moral (P2Fall)46, Gesellschaft (Sicherheit der Institutionen), Außenpolitik (Militärkontingent im Libanon).

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Böckenförde (Fn. 6), S. 245. Dies ist eine Debatte, die in Italien noch immer andauert. 2006 und 2016 wurden zwei Verfassungsreformprojekte abgelehnt. Jeweils das zweite (25. und 26. Juni 2006) und das dritte (4. Dezember 2016) Verfassungsreferendum in der Geschichte der italienischen Republik. 45 Um die italienische Geschichte dieser Jahre zu vertiefen, siehe Guido Crainz, Il paese mancato: Dal miracolo economico agli anni ottanta, 2005; Paul Ginsborg, Storia d’italia dal dopoguerra a oggi, 2006; Angelo Ventrone, Vogliamo tutto: Perché due generazioni hanno creduto nella rivoluzione 1960 – 1988, 2007; und die bedeutenden Sammelbände von Simona Colarizi, Agostino Giovagnoli und Paolo Pombeni, L’italia contemporanea dall’italia a oggi, 2014. 46 Die Propaganda Due (besser bekannt als P2) war eine Freimaurerloge der Grande Oriente d’Italia (GOI), die 1877 gegründet wurde. Sie wurde in Bezug auf die Statuten der Freimaurerei als Geheimorganisation missbraucht und verhielt sich gegenüber der italienischen Rechtsordnung subversiv. 1976 wurde die P2 von der GOI (dem Großlogentag) ausgeschlossen (26. 07. 1976): In ihrem Abschlussbericht prangerte der parlamentarische Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Anselmi die P2 als „kriminelle Organisation“ und „subversiv“ an. Schließlich wurde die P2 durch das Sondergesetz Nr. 17 vom 25. Januar 1982 aufgelöst. 44

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Die siebziger Jahre werden auch die Jahre des italienischen Terrorismus47 genannt, welcher in der Ermordung des Vorsitzenden der christlich-demokratischen Partei, Aldo Moro, im Mai 1978 gipfelte. Dieser Vorfall führte zu einem erneuten Aufflammen der Debatte über Bürgerbeteiligung. Moro ist ein Mann der „Zusammenarbeit der Parteien“ gewesen, in dem Sinne, dass die politischen Parteien Kompromisse eingehen sollten und die demokratische Mitwirkung der Bürger durch politische Parteien gesichert werden sollte. Dies entspricht der Idee der Mitwirkung als Garant der Demokratie, wie sie in „Democrazia e rappresentanza“ (Demokratie und Repräsentation) von Böckenförde anklingt. Dieser Aspekt kommt auch in der Rede zum Vorschein, die Giuliano Amato, ein bedeutender italienischer Politiker, Jurist und Wissenschaftler, zudem Präsident des Ministerrates (1992 – 1993/2000 – 2001) und Verfassungsrichter seit 2013, in einem Seminar anlässlich des 23. Todestages Aldo Moros hielt.48 In dieser Rede49 verwies Mato ausdrücklich auf den Artikel von Böckenförde. Welche Schlüsse können daraus gezogen werden? Es bestätigen sich zumindest zwei Annahmen: Erstens wird auf Böckenförde in einer Weise Bezug genommen, die für die italienische Öffentlichkeit keine weitere Erläuterung erfordert; zweitens erweisen sich seine Ansichten im heutigen Italien als ebenso aktuell wie im Italien von gestern. An dieser Stelle sei der Sammelband erwähnt,50 der Böckenfördes Text über die verfassunggebende Macht des Volkes enthält. Dieser analysiert nämlich die Bedingungen für Verfassungsreformen in einer Zeit offensichtlicher institutioneller Skepsis. Angesichts der umfangreichen Literatur,51 die in den Jahren der Verfassung47 Die Ausbreitung der organisierten Kriminalität (Mafia und Camorra) stellt die größte Bedrohung für den Staat und das gesellschaftliche Zusammenleben dar. Sie vollzieht sich in einer tückischen Unterwanderung von Staatsorganen, die über die Vergabe öffentlicher Bauvorhaben, über Schmuggel bis hin zum Drogenhandel reicht. Am 30. 4. 1982 wurde Pio La Torre, PCI-Regionalsekretär und Abgeordneter, im Zuge seiner Arbeit an einer Gesetzesvorlage zur Bekämpfung der „Cosa Nostra“ ermordet (dieser Entwurf trat wenige Monate später als Gesetz in Kraft und wertete erstmals die bloße Zugehörigkeit zur „Mafia als kriminelle Vereinigung“ als Straftatbestand und ermöglichte nun Untersuchungen über die Vermögen mutmaßlicher Mitglieder der Mafia). Die dramatischsten Verhältnisse spitzten sich im September 1982 mit der Ermordung von General Carlo Alberto dalla Chiesa zu, dem Protagonisten der Terrorismusbekämpfung, der als Präfekt nach Palermo entsandt wurde, um die Mafia zu bekämpfen. Es waren schwierige Zeiten für den Staat, den Süden zu kontrollieren, in dem die Unterwelt in Sizilien, Kalabrien, Kampanien und immer stärker auch in Apulien die Oberhand gewann. 48 Giuliana Amato, Aldo Moro: l’Italia del valore umano, Roma – Camera dei Deputati (Italien von menschlichem Wert, Rom – Abgeordnetenkammer), 11. 05. 2011. 49 Siehe http://www.memoria.san.beniculturali.it. 50 Siehe Fn. 23. 51 Siehe Pietro Guiuseppe Grasso, Potere costituente, XXXIV Enciclopedia del diritto, 1985, S. 642 – 670; Mario Dogliani, Potere costituente e potere costituito, Alternative 64:4 (1996); Antonio Negri, Il potere costituente, 1992; Paolo Pombeni, Potere costituente e riforme costituzionali, Note storiche sul caso italiano 1848 – 1948, in: Potere costituente e riforme costituzonali, Paolo Pombeni (Hrsg), Bologna, 1992, pp. 81 – 105; Massimo Luciani,

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gebung entstand, war die künftige Ausgestaltung der Verfassung in Italien52 ein höchst strittiges Thema. 3. Das Verhältnis zwischen Vatikan und Staat in Italien Das Verhältnis zwischen Vatikan und Staat in Italien bedarf einer gesonderten Betrachtung, auch wenn es die gleiche Phase der italienischen Geschichte betrifft (1980er Jahre), die vorstehend erörtert wurde. In diese Zeit fällt auch die erste Übersetzung des Aufsatzes „La formazione dello Stato como processo di secolarizzazione“ (Die Entstehung des Staates als Prozess der Säkularisierung). Neben der Fokussierung auf verfassungsrechtliche Fragen entbrannte in Italien gleichzeitig eine weitere bedeutende Debatte über den säkularen Staat. Daran anknüpfend beschäftigt sich dieser Abschnitt mit den folgenden Fragen: Welche Bedeutung hat die Religion in der Gesellschaft? Findet die christliche Religion paradoxerweise in der Säkularisierung ihre Umsetzung? Sollte die Art der politischen Bindung wirklich nur eine weltliche sein? Nach der Hegelschen Dialektik zwischen Autorität und Freiheit, zwischen Staat und Zivilgesellschaft – wie auch von Omar Brino in Erinnerung gerufen53 – bekräftigt Böckenförde nachdrücklich die Frage nach vorpolitischen Voraussetzungen des Staates. Er versteht die Entwicklung des modernen Staatswesens nicht nur als einen Prozess der Konzentration politischer Macht, sondern auch als einen korrelierenden Versuch, politische Institutionen von ihren religiösen Zwängen zu befreien.54 Er erkannte die Notwendigkeit, die Zivilgesellschaften Europas anhand eines ethos communis umzugestalten, um eine Form der politischen Ordnung zu erlangen, die das Zusammenleben freier Individuen ermöglicht – der liberale Staat. Der Staatsbegriff durchzieht seine Analysen wie ein roter Faden. Er untersucht den Staat in Bezug auf den Einzelnen und auf die Religion (und die Kirche als ihre institutionelle Dimension) und geht dabei immer wieder auf seine verfassungsgeschichtliche Entwicklung ein (den Prozess der Zentralisierung, also der Konzentration politischer Macht und die damit verbundene Differenzierung und Loslösung von der religiösen Autorität). Er betrachtet den Staat als das Hauptergebnis der Moderne, als jene Institution, die um der Freiheit willen55 entsteht. Quattordici argomenti contro l’invocazione del potere costituente, Democrazia e diritto 104:3 (1995). 52 Siehe Einleitung des Bandes „Il futuro della costituzione“, a. a. O., X – XI. 53 Siehe Omar Brino, L’interpretazione liberale di Hegel e il diritto statuale della ,Bundesrepublik‘. Da Joachim Ritter ad E.-W. Böckenförde, Filosofia politica 26:2 (2012), S. 267 – 289. 54 Siehe Nicoletti (Fn 8). 55 Mit dem Begriff Um-Willen bezieht sich Böckenförde auf den spezifischen „Zweck“ des liberalen Staates. Man könnte diesen Ausdruck auch mit Synonymen wie „in der Bemühung um“ oder „zum Zweck von“ umschreiben. Diesen Begriff verwendet er vor allem im sogenannten „Böckenförde-Dilemma“: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Vorausset-

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In den Jahren, in denen die ersten Übersetzungen von Böckenfördes Arbeiten veröffentlicht wurden, kämpfte der italienische Staat auf politischer und institutioneller Ebene mit genau diesen theoretischen Fragen, und zwar konkret mit dem Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche. Im Februar 1984, unter der Regierung Craxi (1983 – 1987), kam es zur Unterzeichnung eines neuen Konkordats mit dem Heiligen Stuhl, welches die Revision der Lateranverträge von 192956 bedeutete. Die wichtigste Neuerung war die Streichung der Klausel, die die katholische Religion zur Staatsreligion erklärte, und die damit verbundene Abschaffung des verpflichtenden Religionsunterrichts (der nun freiwillig erteilt wird). Diese tiefgreifende Reform führte auf Grundlage von Artikel 8 der Verfassung zu einer wirksameren Anerkennung der anderen im Staatsgebiet bekannten Religionen. Zudem wurde der Weg für eine Reihe von Protokollvereinbarungen mit den anderen Kirchen zu Themen geebnet, die am dringendsten einer Regulierung bedurften. Welche Auswirkungen hatte die Reform der Lateranverträge von 1984 auf die endlose Debatte über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Italien? Nach dieser Reform könnte man durchaus von dem Bekenntnis des italienischen Staates zur Säkularität in Überwindung des anachronistischen Prinzips der Staatsreligion spreche. Die katholische Kirche ihrerseits hatte das Prinzip des Säkularismus mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil offiziell anerkannt und mit den revidierten Verträgen von 1984 der vollständigen Umsetzung zugestimmt. In den 2000er Jahren wurde dieses komplexe Problemfeld, welches in so treffender Weise vom berühmte Böckenförde-Diktum beschrieben wird und auf nationaler Ebene nie gelöst wurde, in einer Konferenz aufgegriffen,57 die von der Zeitschrift zungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er um der Freiheit willen eingegangen ist“. Im „Staat als sittlicher Staat“ ging es jedoch darum, eine substantivierte Form zu übersetzen, welche der Doppelbedeutung des Begriffs Um-Willen Rechnung trägt, nämlich: 1) die grundlegenden Voraussetzungen, aus denen heraus ein Staat gegründet wird, sein eigener Grund; 2) das Ziel, der Zweck seiner eigenen Handlungen. Diese beiden Bedeutungen verschmelzen im Begriff der Freiheit: Freiheit ist in der Tat sowohl die Grundvoraussetzung für das Wesen des Staates, die Voraussetzung für seinen Bestand und seine Legitimierung, als auch der Rahmen, den der Staat für die Wirksamkeit seiner Legitimität anerkennen muss. Der Staat garantiert sein eigenes Wesen, indem er gleichzeitig die Freiheit aller gewährleistet. 56 Die Beziehungen zwischen dem italienischen Staat und der katholischen Kirche werden durch die Lateranpakte von 1929 oder die Lateranverträge geregelt, die 1929 zwischen dem Königreich Italien und der katholischen Kirche geschlossen wurden. Das italienische Parlament erkannte den Staat der Vatikanstadt als unabhängigen Staat an, wobei die italienische Regierung, damals unter der Leitung von Premierminister Benito Mussolini, sich bereit erklärte, der Kirche einen finanziellen Ausgleich für den Verlust der päpstlichen Gebiete zu gewähren. Im ersten Artikel des Vertrags bestätigte Italien den in der Verfassung des Königreichs Italien vom 04. 03. 1848 festgelegten Grundsatz, dass „die katholische, apostolische und römische Religion die einzige Staatsreligion ist“. 1947 wurden die Lateranverträge in die demokratische Verfassung aufgenommen. 57 Siehe Reset Doc Conference, Differenze. Filosofia e letteratura in teatro, Eliseo Theatre, Roma 9/10/2007.

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„Reset“ 2007 in Rom organisiert wurde. Philosophen, Schriftsteller, Juristen und Politiker thematisierten die Pluralität der Religionen und die neuen Herausforderungen für die Kultur der Freiheit. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Giuliano Amato (Innenminister), Rosi Bindi (Ministerin für Familienpolitik) und der Herausgeber der Zeitschrift, Giancarlo Bosetti, waren die Redner und Protagonisten einer bedeutenden Tagung mit dem Titel „Lo stato liberale ha bisogno di religioni?“ (Braucht der liberale Staat Religionen?). Im Oktober 2007 wurde auch der Band „Cristianesimo, libertà, democrazia“ (Christentum, Freiheit, Demokratie) veröffentlicht. Möglicherweise ist der Konflikt zwischen Laien und Klerikern heute beigelegt, aber die Unfähigkeit der Politik, diese beiden grundlegenden Aspekte der politischen Kultur in Italien miteinander in Einklang zu bringen, ist geblieben. Um nur einige Beispiele anzuführen, sei an dieser Stelle die Debatte in jenem Jahr über die Aufhängung des Kruzifixes in italienischen Klassenzimmern58 genannt, oder die Artikel des Strafgesetzbuches von 1930, die durch das Gesetz vom 24. 02. 2006, Nr. 85, geändert und auf alle Glaubensrichtungen erweitert wurde. Auch Artikel 1 des Zusatzprotokolls zum Konkordat von 1984 und die Umsetzung der spezifischen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung sei hier erwähnt (Urteile Nr. 508 von 2000, 327 von 2002 und 168 von 2005).59 4. Gemeinsamkeiten im deutschen und italienischen Kontext Vor einer abschließenden Betrachtung sollte noch ein weiterer Punkt angesprochen werden. Offenbar besteht eine tiefgreifende Kohärenz zwischen den Übersetzungen der Arbeiten Böckenfördes und dem italienischen Kontext, die sich in den Inhalten der Publikationen widerspiegelt. Ich möchte daher an dieser Stelle60 darauf hinweisen, dass es teilweise auch eine Entsprechung zwischen dem deutschen Kontext, in dem Böckenförde sich bewegte, und der politischen Situation in Italien gab. Dies gilt insbesondere für Böckenfördes Abhandlung „Der Staat als sittlicher Staat“, der im Kontext der Diskussion über Grundwerte im Rahmen der Debatten über Rechtsreformen hinsichtlich Scheidung und Abtreibung entstanden ist.61 Dies war eine Ära in Westdeutschland, die in vielerlei Hinsicht Gemeinsamkeiten mit Italien 58

Jörg Luther, Il crocifisso come simbolo religioso, culturale e politico alla luce delle costituzioni, in: Rusconi (Hrsg.), Lo stato secolarizato nell’agà post-secolare, S. 295 – 317. 59 Siehe Art. 403 (Verunglimpfung dessen, der einen religiösen Glauben bekennt); Artikel 404 (Beleidigung der Staatsreligion durch Verunglimpfung von Sachen); Art. 405 (Störung religiöser Handlungen des katholischen Bekenntnisses). 60 Siehe eine zentrale Arbeit dazu: Christoph Cornelißen/Brunello Mantelli/Petra Terhoeven (Hrsg.), Il decennio rosso: Contestazione sociale e conflitto politico in germania e in italia negli anni sessanta e sessanta, Bologna 2012. 61 Vgl. Mirjam Künkler/Tine Stein, Böckenförde’s Political Theory of the State, in: dies. (Hrsg.), Ernst-Wolfgang Böckenförde. Constitutional and political theory: selected writings, Oxford 2017, S. 38 – 53.

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erkennen lässt: In diesen Jahren wurden in Italien ähnliche Gesetze erlassen.62 Bereits in den 1970er Jahren gewannen außerparlamentarische Gruppen dort an politischem Einfluss, was zu öffentlichen Protesten, Unruhen, Entführungen und blutigem Terrorismus führte. Diese Jahre gelten als „Anni di piombo“ (bleierne Zeit) und wiesen einige bemerkenswerte Parallelen zur damaligen politischen Entwicklung Westdeutschlands auf. Auf diese Parallelen sei hingewiesen, um die Relevanz von Böckenfördes Reflexion über die Entwicklungen in Westdeutschland für eine Einordnung der italienischen Probleme jüngerer Zeit aufzuzeigen. Diese Tatsache verdeutlicht erneut das breite Einflussspektrum Böckenfördes Werk im gesamteuropäischen Kontext. Es gelang ihm stets, die Besonderheit eines historischen Ereignisses auf seine universelle Relevanz und auf seine eigentliche Bedeutung in der Tradition des philosophischen und politischen Denkens herunter zu brechen. Wie Maurizio Fioravanti so treffend beschreibt, stehen Böckenfördes Arbeiten, also seine Reflexionen mit den zentralen Themen der Verfassungsgeschichte, in einem ständigen Diskurs mit der Sozial- und Politikwissenschaft, dessen Ende nicht abzusehen ist.63

IV. Das Wiederaufleben des Interesses an Böckenfördes Gedankengut Betrachtet man den Zeitrahmen, in dem die italienischen Übersetzungen erschienen sind, zeigt sich deutlich, dass das Interesse an Böckenfördes Denken gerade im 21. Jahrhundert erheblich zugenommen hat. Auf die Gründe wurde zu Beginn dieses Artikels ausführlich eingegangen. Wie aus der Rezeption der frühen Übersetzungen deutlich wird, sind bestimmte Probleme in Italien bis heute ungelöst. Somit erweist sich das Denken eines „Klassikers“, wie Böckenförde heute schon beinahe bezeichnet werden kann, als nach wie vor aktuell. Wenn wir an das Italien der letzten Jahren denken, konzentriert sich die öffentliche Debatte auf die Wirtschaftskrise, die Flüchtlingsströme und das Problem der Integration. Angesichts der Einwanderungswellen ist die multiethnische Gesellschaft auf der Suche nach einem gesunden Zugehörigkeitsgefühl bzw. einer gelingenden Integration vor gewaltigen Herausforderungen; die wieder erstarkten populistischen Kräfte machen das „Andere“ für die Wirtschaftskrise verantwortlich und hinterfragen die europäischen Institutionen, welche die Sparpolitik in Italien vorantreiben wollen. Alle Reflexionen über den Staat, mit dem sich der deutsche Verfassungsrechtler intensiv auseinandergesetzt hat, sind folglich nach wie vor hochaktuell. Wie sich Böckenförde in einem Interview mit einer italienischen Zeitung anlässlich der Eröffnungsrede des Studienjahres 2009 an der 62

Scheidungsgesetz vom 1. Dezember 1970, Nr. 898; Abtreibungsgesetz vom 22. Mai 1978, Nr. 194. 63 Maurizio Fioravanti, La scienzia del diritto pubblico: Dottrine dello stato e della costitutione tra otto e novecento, 1995.

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Katholischen Universität Mailand äußerte, ist der liberale Staat „ein Projekt, das immer in Gefahr schwebt, da es ungewiss ist, dass wir in ihm jene inneren und moralischen Kräfte entwickeln und ständig erneuern können, die er braucht, oder dass sein soziales Gefüge nicht zu einem ungezügelten Individualismus degeneriert. Was man tun kann, solange sie verfügbar sind, ist, sie zu schützen und zu erhalten“64. Unter den vielen Analysen in seinen Abhandlungen halte ich im Zusammenhang mit dieser Debatte diejenige für besonders bedeutsam, die er in „Der Staat als sittlicher Staat“ entwickelte. In diesem Aufsatz von 1978 wird über die Struktur des demokratischen Staates reflektiert, der sich für eine Reihe von Grundprinzipien und werte öffnen muss – für Prinzipien, die ihm nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen. Das Gesetz muss nicht nur diejenigen Werte schützen, die zur Staatsbildung geführt haben, sondern alle Werte (ohne dass dies zu einem Fundamentalismus führt). Hierin liegt die Bedeutung der Verfassung, von der Böckenförde spricht: Sie beinhaltet keine Schranke für die Freiheit, sie schließt nicht aus. Sie bildet vielmehr einen gesetzlichen Rahmen für die Freiheit, und garantiert somit die einzige Ordnung, in der sie legitimerweise verwirklicht werden kann.65 Diese politischen Einheiten, die Frieden und Einheit gewährleisten, brauchen ein System von Normen, Gesetzen und Maßnahmen. Und die Verfassung erfüllt diese Funktion: Sie dient der Regelung der Beziehungen zwischen dem politischen System und dem Rechtssystem. „Ohne die verfassungsmäßige Form des Staates gäbe es keine moderne Politik, allerdings erschöpft sie sich nicht in dieser Form und findet nicht einmal in ihr den ultimativen Grund für ihr Wesen“.66 Während das Ziel einer der berühmtesten Schriften Böckenfördes – der von 196767 – darin bestand, zu definieren, wie die Natur des Staates den Stufen der Säkularisierung folgte, konzentrierte sich Böckenförde zehn Jahre später in „Der Staat als sittlicher Staat“68 auf die Funktionen des Staates. Anstatt die Säkularisierung aus metahistorischer Sicht zu betrachten, richtet Böckenförde nun seinen Blick auf den gegenwärtigen historischen Kontext. Er geht hier der Frage nach den politischen Voraussetzungen des Staates als jener Organisation, die um der Freiheit willen gerechtfertigt ist, nach. In diesem Sinne entwickelt (wohl eher „verwendet“) Böckenförde den entscheidenden Begriff der Sittlichkeit. Die Wahl für die Übersetzung des Adjektivs „sittlich“ verdient mehr als eine Begriffserläuterung, denn es kann sowohl 64 Interview mit E.-W. Böckenförde, Das Paradoxon des Säkularismus, Andrea Galli ed., Avvenire v. 3. 11. 2009. 65 Siehe Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1888), Roma 1982, § 57. 66 Pierangelo Schiera, Specchi della politica. Disciplina, melancolia, socialità nell’Occidente moderno, Bologna 1999, S. 32. 67 Siehe obenstehende Fn. 5. 68 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 14 wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 1978. Dieser Aufsatz basiert auf der Rede anlässlich der Verleihung des Reuchlinpreises der Stadt Pforzheim und wurde anschließend in einer geringfügig erweiterten Version veröffentlicht.

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im moralischen Sinne als auch im ethischen Sinne verstanden werden. Die wichtigste Referenz für Böckenfördes ist hier zweifellos Hegels Rechtsphilosophie.69 Nach der frühen Hegelschen Unterscheidung zwischen einer konkreten, lebendigen Moral (Sittlichkeit) und einer leeren, universellen Moral, die Benedetto Croce dazu veranlasste, „etico“ als angemessene Übersetzung von „sittlich“ zu bevorzugen, ist das Substantiv Sitte umso mehr mit „Brauch“ verbunden. Mit dieser Unterscheidung zwischen Ethos und Moral im Hintergrund, sollten wir uns jene Art von Ethos vor Augen halten, die in den vertrauten, sozialen und staatlichen Institutionen des Volksgeistes70 – seinen Gesetzen, Bräuchen – und nicht in der für ein subjektives Bewusstsein typischen Moral [Mos-Moral] liegt. Im Falle von Böckenfördes Text könnte die Übersetzung von sittlicher Staat als ethischer Staat, als „stato etico“ jedoch zu Missverständnissen führen, da in diesem Fall vorgebliche Verpflichtungen gegenüber einer Art autoritärem Staat bestehen. Glücklicherweise erlaubt der Text von Böckenförde eine solche Fehlinterpretation überhaupt nicht. Seine Auffassung spiegelt keinen von Ideologien geprägten Staat wider, sondern – ganz im Gegenteil – einen Staat, der die Freiheit jedes Bürgers garantiert. Seine Ethik stellt das Maß seiner Universalität dar. Dieser universelle Charakter ist kein allgemeiner: Das Subjekt ist der Mensch in einer Souveränitätssphäre, also der mit Rechten ausgestattete Bürger. Diese Ethik verdeutlicht das tiefe, notwendige Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Das Ethos, das in einer konstitutionellen Demokratie für die Aufrechterhaltung dieser Art von politischer Ordnung notwendig ist, muss zweifellos ein Ethos sein, das universelle Prinzipien (Menschenrechte und Menschenwürde) umfasst. Dies trifft den Kern aktueller gesellschaftlicher Debatten zum Thema Multikulturalismus. Es sei daran erinnert: in der Demokratie manifestiert sich nicht nur der Zustand der Gleichheit, sondern auch der Zustand der Ungleichheit. Die italienische Demokratie steht vor der erneuten Herausforderung, in ihren Institutionen die Gleichheit und Freiheit aller zu artikulieren und nicht nur Herrschaftsordnung, sondern auch Freiheitsordnung zu sein. Die italienische Politik kämpft jedoch immer noch darum, dies zu gewährleisten. Man denke nur an das Gesetz zur Staatsbürgerschaft, das vom Abgeordnetenhaus im Jahr 2015 verabschiedet und vom Senat im Dezember 2017 abgelehnt wurde. Das Gesetz hätte die Kriterien für den Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft erweitert und hätte vor allem die Situation der Kinder ausländischer Eltern verbessert, die in Italien geboren wurden oder als Kinder nach Italien kamen. Das letzte Staatsbürgerschaftsgesetz, das 1992 eingeführt wurde, sieht eine einzige Möglichkeit vor, die italienische Staatsbürgerschaft zu erlangen, das ius sanguinis (aus dem Lateinischen „Blutsrecht“): Ein Kind ist dann italienisch, wenn mindestens ein Elternteil italienisch ist. Ein Kind, das von ausländischen Eltern 69

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie des Rechts (1820), übers. v. Thomas Michael Knox, Oxford 1968. 70 Lorenzo Calabi (Hrsg.), Jean Hyppolite. Introduzione alla filosofia della storia di Hegel, Pisa 2016.

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geboren wird, auch wenn es in Italien zur Welt kommt, kann die Staatsbürgerschaft erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres beantragen, und zwar lediglich unter der Voraussetzung, dass es sich bis zu diesem Zeitpunkt „legal und kontinuierlich“ in Italien aufgehalten hat. Dieses Gesetz gilt aufgrund seiner Exklusivität seit langem als mangelhaft. Es macht keine Unterscheidung zwischen dem Aufenthaltsstatus der Kinder und dem der Eltern, deren Aufenthaltserlaubnis in der Zwischenzeit ablaufen und die Ausweisung der gesamten Familie zur Folge haben kann. Das neue Gesetz hätte zwei weitere Kriterien für den Erwerb der Staatsbürgerschaft vor dem 18. Lebensjahr eingeführt: das ius soli temperate („territorial gebundenes Recht“) und das ius culturae („Bildungsrecht“). „Ein Rückschlag für die Zivilgesellschaft in Italien“, kommentierte UNICEF dessen Scheitern. Die Debatte geht weiter, wobei eine Radikalisierung nicht ausgeschlossen werden kann. Der ius soli hat Fehlinterpretationen den Boden bereitet, die eine rationale Diskussion verhindern. Ein Gerücht kursiert, dass aufgrund des neuen Gesetzes jedem Immigranten, der an italienischen Ufern landet, die italienische Staatsbürgerschaft verliehen wird. Auf dem Höhepunkt dieser emotional aufgeladenen Debatte wird mit einer Zunahme terroristischer Bedrohungen und einer Islamisierung des Landes argumentiert. Hier wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit klassischen Gedanken zur Verfassung vor dem Hintergrund einer derartigen Debatte notwendig sind, und dass die gesellschaftspolitische Relevanz eines solchen Übersetzungsprojekts häufig erst im Kontext eines bestimmten historischen Moments gegeben sein kann.

V. Fazit In diesem Aufsatz wurden diejenigen Themen erörtert, welche die Rezeption der Übersetzungen von Böckenfördes Arbeiten gefördert haben. Sie erschienen in einem Zeitraum von fast fünfzig Jahren, und zwar von 1970 bis 2017. Es sollte aufgezeigt werden, wie sehr diese Übersetzungen – obwohl es sich nicht um ein einziges programmatisches Projekt handelte – immer konsequent im Dialog mit dem italienischen Kontext und der öffentlichen Debatte standen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Böckenfördes Bedeutung in Italien in Bezug auf die europäische Verfassungstradition (I), in den Hauptfragen seiner Reflexion (II), im interdisziplinären Ansatz (III) und in der Anerkennung der Wissenschaftler, die auch seine Werke übersetzen, widerspiegelt. Im Kapitel über die philosophische Einordnung wurde die Herangehensweise Böckenfördes untersucht; es soll hier noch einmal hervorgehoben werden, dass sich seine hochkomplexen Theorien an der Schnittstelle verschiedener kultureller Traditionen bewegen. Seine dialektische Neuinterpretation umfassen den Herrschaftsbegriff, die Reflexion über die Beziehung zwischen Zivilgesellschaft und Staat, welche von Klassikern wie Hegel und Marx angefangen und von Böckenförde um die Erkenntnis dessen, was das Original über die politische Geschichte und die Theorie des 20. Jahrhunderts her-

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vorgebracht hat, erweitert wurde, bis hin zum Thema der politischen Autonomie. Diese theoretisch-praktische Konstellation lässt sich in ein Kritiker-Krisen-Verhältnis einordnen und erfordert den Versuch, moderne politische Konzepte neu zu formulieren. Böckenförde – wie auch die italienischen Wissenschaftler betonten – verhalf der italienischen Debatte zu einer Reflexion über die heutige Gestaltung der Verfassung, die kohärent sein und verschiedene Werte ausgleichen muss und ebenso über Staatlichkeit, die ihre räumliche Dimension71 und ihre örtliche Referenz überdenken muss. In seinen Schriften urteilt er nicht, sondern gibt Denkanstöße. Er öffnet das Feld der wissenschaftlichen Forschung und betont immer wieder, dass der Staat nicht aufhören wird, „der Vermittler zwischen Mensch und Menschenfreiheit“72 zu sein. Böckenfördes Karriere stellt ein bemerkenswertes intellektuelles Beispiel dar, das, wie wir hoffen, neue Räume für die öffentliche Reflexion eröffnen kann, und zwar auch in der italienischen Debatte.

71 Jürgen Osterhammel/Nils Petersson, Storia della globalizzazione: Dimensioni, processi, epoche, Bologna 2005; Clifford Geertz, Mondo globale, mondi locali: Cultura e politica alla fine del ventesimo secolo, Bologna 1999; Marco Meriggi/Laura di Fiore, World History. Le nuove rotte della storia, Roma 2011; Sebastian Conrad, Storia globale: Un’introduzione, Roma 2015; Jerry Brotton, La storia del mondo in dodici mappe, Milano 2015; Luigi Blanco/ Chiara Tamanini (Hrsg.), La storia attraversa i confini. Esperienze e prospettive didattiche, Roma, 2015. 72 Siehe Karl Marx, La questione ebraica, Roma 1973, S. 56.

„Aus Liebe zur Freiheit“: über die italienische Rezeption des Werkes von Ernst-Wolfgang Böckenförde Von Michele Nicoletti, Trento Wie in den übrigen Ländern des Abendlandes erlebte die Debatte über den Raum, den Religionen in der Öffentlichkeit haben, innerhalb der Sozial-, Staats- und Verfassungsrechtslehre in den letzten fünfzehn Jahren auch in Italien eine Renaissance. In diesen Debatten hatten die Thesen Ernst-Wolfgang Böckenfördes – besonders sein „Diktum“ – Konjunktur: Dessen Texte haben sowohl in den akademischen Diskussionen als auch in der Öffentlichkeit im Allgemeinen ein immer größeres Interesse erfahren. Das Denken Böckenfördes ist allerdings schon länger in Italien präsent und an einen besonderen geistesgeschichtlichen Kontext gebunden.

I. Das Werk Ernst-Wolfgang Böckenfördes in Italien Das Denken des Kasseler Juristen wurde in der italienischen Kulturwelt erstmals 1970 durch die von Pierangelo Schiera herausgegebene Übersetzung der geschichtswissenschaftlichen Dissertationsschrift Böckenfördes „Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert“ bekannt. Schieras Übersetzungsarbeit fügte sich ein in die großartige Vermittlungsaktion der italienischen Forschung zur deutschen Verfassungsgeschichte, die Gianfranco Miglio und seine Schule in Mailand seit etwa 1950 durch wichtige Studien und Übersetzungen deutscher Denker (wie von Stein, Gierke, Hintze, Weber, Schmitt, Brunner, Koselleck) unternommen hatten. Als 1972 Miglio und Schiera einige Aufsätze Carl Schmitts mit dem Titel „Le categorie del politico“ (Die Kategorien des Politischen) veröffentlichten, wurde die theoretisch-politische Debatte in Italien links und rechts davon sehr erschüttert, zumal Norberto Bobbio schrieb, Miglio und Schiera hätten „die italienische Linke destabilisiert“. Politikwissenschaftlich gesehen ging es darum, theoretische und historische Forschung wieder zu verbinden, und zwar von der Verfassungs- und Begriffsgeschichte her. In diesem Zusammenhang wurde Böckenfördes Schrift als sehr hilfreich betrachtet, um einen Rekonstruktionsbeitrag der Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert zu skizzieren; jedoch blieb ihre Wirkung auf die Geschichtswissenschaft begrenzt.

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Erst in der ersten Hälfte der 80er Jahre beginnt in Italien eine tiefergehende theoretische Auseinandersetzung mit den wichtigsten Thesen Böckenfördes. Dies war die Zeit der Debatte über die italienische Verfassungsreform, in der die Gruppe von Miglio eine bedeutende Rolle spielte. 1983 veröffentlichte die Gruppe den Sammelband Verso una nuova Costituzione1. Ein Schüler Miglios, Professor Roberto Ruffilli, wurde im Zuge der Wahl von 1983 in den Senat (das Oberhaus des italienischen Parlaments) gewählt und stieg in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Protagonisten der parlamentarischen Debatte um die Verfassungsreform auf. Er wurde 1988 von den Terroristen der Brigate Rosse getötet. Nach seinem Tod gründeten seine Kollegen und Freunde einen „Verein der Freunde Roberto Ruffillis“, um sein Gedächtnis und sein wissenschaftliches und ziviles Engagement zu pflegen. Nicht nur italienische, sondern auch europäische Gelehrte wurden eingeladen, diesem Verein beizutreten, und Ernst-Wolfgang Böckenförde war einer derer, die diese Einladung annahmen. In der Zwischenzeit, in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, erschienen andere Schriften von ihm in italienischer Sprache. 1985 erschien zunächst die Übersetzung des Aufsatzes „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“, in dem das berühmte Diktum formuliert wird: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“; sodann die Übersetzung des Aufsatzes über Demokratie und Repräsentation, in dem die Kritik der unmittelbaren Demokratie zusammengefasst und das „Prinzip responsiveness“ als notwendige „ethische“ Ergänzung der repräsentativen Demokratie erarbeitet wird. In beiden Fällen handelte es sich um Aufsätze, in denen Böckenförde zeigt, dass der freiheitliche und demokratische Staat der Neuzeit einerseits auf einem institutionellen Modell beruht und andererseits eine Einheit von bürgerlich-ethischen Grundlagen und Sitten erfordert, ohne jene die Institutionen ihre Rolle nicht wirksam spielen können. Der erste Aufsatz wurde auf Anregung des Historikers Paolo Prodi (dem Bruder des ehemaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodis) übersetzt und in einen vom Institut für Religionswissenschaften in Trient herausgegebenen Band „Cristianesimo e potere“ veröffentlicht, in dem Philosophen, Historiker und Theologen für eine nicht theokratische und progressive Interpretation des Christentums im Gegensatz zu einer fundamentalistischen Interpretation Stellung nahmen. Zu dieser Zeit war Paolo Prodi zusammen mit Pierangelo Schiera Direktor des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, und es ist interessant festzustellen, wie die Schriften E.-W. Böckenfördes erneut mit diesem Wissenschaftskreis verbunden sind. Bemerkenswerterweise provozierte die Übersetzung des Diktums ins Italienische zu jener Zeit keine Diskussion. Eine dritte und intensive Phase der italienischen Rezeption ist schließlich ab 2006 zu datieren. Seit 2006 erschienen u. a. folgende fünf Editionen: Stato, Costituzione, 1

Giuffrè, Mailand 1983.

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Democrazia (Staat, Verfassung, Demokratie – Giuffrè: Mailand 20062); La formazione dello Stato come processo di secolarizzazione (Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation – neue Ausgabe Morcelliana mit Einleitung versehen: Brescia 2006); Diritto e secolarizzazione (Recht und Säkularisation – Laterza: Roma-Bari 2007; es handelt sich um eine Zusammenstellung von neun Artikeln aus den Suhrkamp-Bänden Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie (1991) und Staat, Nation, Europa. Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie (1999); Cristianesimo, Libertà, Democrazia (Christentum, Freiheit, Demokratie – Morcelliana: 2007); Dignità umana e bioetica und Chiesa e capitalismo (Menschenwürde und Bioethik; Kirche und Kapitalismus – Morcelliana: Brescia 2009/2010). Einige Jahre später erschien die letzte italienische Übersetzung Lo Stato come Stato etico (Der Staat als sittlicher Staat – ETS: Pisa 2017).3 Will man nun das Zentrum der italienischen Rezeption ausmachen, so ist es in zwei Punkten zusammenzufassen: Der moderne Staat und das individuelle Gewissen. Die beiden sind in den Augen Böckenfördes keine sich widersprechenden Größen; ganz im Gegenteil bilden sie sich zusammen heraus, wenn auch in fortwährender Dialektik. Zum einen gewährleistet die Entstehung des aus der kirchlichen Hoheitsgewalt losgelösten modernen Staates, dass die religiöse Freiheit anerkannt und geschützt wird; zum anderen verhindert die zunehmende rechtliche Anerkennung religiöser Freiheit, dass der moderne Staat in einen Absolutismus mündet, denn das Maß der Verwirklichung der religiösen Freiheit bestimmt das Maß der Weltlichkeit des Staates. Die Bedeutung dieser Aussage leuchtet ein, wenn man den geschichtlichen Entstehungsprozeß des freiheitlichen Staates genau betrachtet: nämlich den Vorgang der Säkularisation, die die politischen Wirkungen religiöser Ansprüche neutralisiert hat. Der moderne Staat hat sich als Friedeninstrument behaupten können, indem er seinen Bürgern das Recht zuerkannt hat, das Gewissen frei zu bilden. Dies soll heißen: Der Staat hat darauf verzichtet, Gewalt im Bereich der Ideen und der Werte auszuüben; dementsprechend darf niemand dazu gezwungen werden, einen bestimmten Standpunkt bzw. eine bestimmte Weltanschauung anzunehmen. Das gilt selbst in Bezug auf die Vorstellungen und Werte, die dem modernen freiheitlichen Staat zugrunde liegen und die seine ideellen und moralischen Voraussetzungen (Freiheit, Gleichheit aller Bürger, Toleranz usw.) bilden. Ideen, Werte, Religion, Wissenschaft, Kunst gehören zur Sphäre der Freiheit; just von dieser Anerkennung aus entsteht der moderne

2 Die italienische Ausgabe enthält auch die vier Ergänzungen zum Band Staat, Verfassung, Demokratie, die sich im Band Staat, Nation, Europa (Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2000) finden. Die Übersetzung des Aufsatzes „Demokratie als Verfassungsprinzip“ folgt der Ausgabe im: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von J. Isensee und P. Kirchhof, C. F. Mueller Verlag, Heidelberg 2004. 3 Hrsg. von Elisa Bertò. Zur italienischen Rezeption der Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes siehe jetzt auch den Beitrag von Elisa Bertò in diesem Beiheft.

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Staat. Damit wird angenommen, dass der Staat seine geistige Grundlage der Freiheit anvertraut; „aus Liebe zur Freiheit“ akzeptiert er die hiermit verbundene Gefahr. Der ursprüngliche Ausdruck von Böckenförde lautet „um der Freiheit Willen“, aber im italienischen Text der neuen Übersetzung des Aufsatzes über den Säkularisierungsprozess ist ein stärkerer Ausdruck verwendet worden, und zwar „per amore della libertà“ („aus Liebe zur Freiheit“), um die Tatsache zu betonen, dass im modernen Staat die menschliche Freiheit über seine Zwangskraft gestellt wird.4 In seiner Rede bei der Tagung von Trient von 20065 akzeptierte Böckenförde diese Übersetzung und beendete seine Rede mit genau dieser Formulierung.6 Dahinter liest man die Krisenerfahrung der Weimarer Republik und der Selbstbehauptung des totalitären Staates, die die Generation Böckenfördes so tief geprägt hat. Bekanntermaßen ist die Reflexion mit dieser Krise im Werk Böckenfördes sehr präsent.7 Mit Blick auf diese Erfahrung hat Böckenförde eine tief verwurzelte Überzeugung der Grenzen des freiheitlichen Staates eben im Bereich des staatsprägenden bürgerlichen Ethos gewonnen und verstanden, dass diese Grenzen nicht überschritten werden dürfen, indem das Zusammenleben mit ideologischen Ersatzmitteln aufgefüllt wird. 4

Der Verfasser dieses Beitrags ist der Herausgeber dieser Schrift. 2006 wurde Böckenförde von Gian Enrico Rusconi, dem ehemaligen Direktor des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trento, und von mir eingeladen, mit einem Beitrag zu der Tagung „Der säkularisierte Staat im postsäkularen Zeitalter“ mitzuwirken. Dies war sein erstes Mal als Referent an einer italienischen akademischen Veranstaltung. Bei jener Tagung hielt er das Referat „Der säkularisierte Staat, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert“, dessen Text im Italienischen und im Deutschen veröffentlicht wurde: siehe E.-W. Böckenförde, Lo Stato secolarizzato, la sua legittimazione e i suoi problemi nel 21. secolo, in: G. E. Rusconi (Hrsg.), Lo Stato secolarizzato nell’età post-secolare, Quaderni dell’Istituto storico italo-germanico in Trento, Il Mulino, Bologna 2008, S. 31 – 54; ders., Der säkularisierte Staat, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, in: G. E. Rusconi (Hrsg.), Der säkularisierte Staat im postsäkularen Zeitalter, Schriften des ItalienischDeutschen Historischen Instituts in Trient, Duncker & Humblot, Berlin 2010, S. 27 – 45. Bei derselben Tagung fand auch eine Gesprächsrunde statt, mit der Paolo Prodi, Diego Quaglioni und Gian Enrico Rusconi die italienische Auflage der zwei Sammelbände von E.-W. Böckenförde (Stato, Democrazia e Costituzione und Cristianesimo, Stato e Democrazia) vorstellten und diskutierten. 6 „Warum also, sucht man alles in einem Satz zusammenzufassen, der säkularisierte Staat? Aus Liebe zur Freiheit – ,per amore della libertà‘, wie es Michele Nicoletti jüngst formuliert hat.“ (E.-W. Böckenförde, Der säkularisierte Staat, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, in: G. E. Rusconi (Hrsg.), Der säkularisierte Staat im postsäkularen Zeitalter, Duncker & Humblot, Berlin 2010, S. 45). 7 Dazu hat Böckenförde einen grundlegenden Aufsatz über den „deutsche[n] Katholizismus im Jahre 1933“ geschrieben. Der Aufsatz erschien erstmals 1961 in Hochland und ist in einer neueren Auflage (mit einer historischen Bemerkung von Karl-Egon Lönne versehen: Freiburg i. Br. 1988) erhältlich. Die von diesem Aufsatz eröffnete Debatte in Deutschland ist sehr lebendig gewesen; zahlreich sind die von ihm hervorgerufene Studien und Untersuchungen. 5

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Wenn im säkularisierten Staat versucht wird, diesem eigene, durch politische Aktion proklamierte und auf Geltung dringende Werte zu verleihen, so wurde die Freiheit der Bürger immer dadurch bedroht. Dies ist bei der Idee der Nation im 19. und 20. Jahrhundert der Fall gewesen, die eine Politik der Diskriminierung erzeugt hat. Und dies kann immer dann der Fall sein, wenn der Staat seine Handlungen durch „Werte“ bestimmen will, selbst wenn diese Werte auf die Glückseligkeit bzw. die Wohlfahrt der Staatsbürger bezogen sein mögen. Eine „politische“ Berufung auf Werte würde die Politik der Willkür subjektiver und zufälliger Werturteile preisgeben.8 Angenommen, dass der freiheitliche Staat dem eigenen Wesen nach sein Ethos im Ausgang von einer „anderen“ Quelle her vollziehen kann, so fragt sich Böckenförde, ob selbst der weltliche und säkularisierte Staat nicht von den Anregungen und Kräften leben sollte, die der religiöse Glaube den Staatsbürgern anbiete. Gewiß: Dies solle nicht heißen, den Staat wieder „christlich“ herzustellen, sondern diesen Staat als Ordnung der immer zu verteidigenden und zu verwirklichenden Freiheit in seiner Weltlichkeit – und nicht mehr in seiner Glaubensfremdheit bzw. Glaubenswidrigkeit – zu verstehen. Man erkennt: Böckenförde beschreibt nicht nur die prekäre und paradoxe Lage des freiheitlichen modernen Staates, sondern er hat – ausgehend von einer genauen historischen Skizze – auch eine Perspektive formuliert, laut derer sich das Verhältnis zwischen Religion und Politik weniger als eine Trennung, sondern vielmehr als eine Kooperation im Freiheitsfeld gestaltet. Warum eine solche These wieder in den Mittelpunkt der heutigen Debatte über das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit gerückt ist, ist leicht zu verstehen. Einerseits wurde sie als Beweis der Schwäche der liberalen Demokratien begrüßt: Diese stützten sich eben nicht auf sich selbst, sondern auf etwas Unverzichtbares, dessen Ort jenseits des Politischen liege9. Andererseits wurde Böckenfördes These bestritten: es geziehme sich für den Staat (ja: er solle und könne es tun), zu seinen geistigen und stiftenden Voraussetzungen beizutragen.10 Richtig gesehen – wie Böckenförde selbst präzisiert hat11 – bedeutet aber die These, der freiheitliche Staat kann seine Voraussetzungen nicht „gewährleisten“ und „schöpfen“, jedoch muss er durchaus 8 Hier weist Böckenförde auf Carl Schmitts Kritik an den politischen Anwendungen der Wertphilosophie hin, die eine „Tyrannei der Werte“ erzeugten. 9 So etwa die Meinung Joseph Ratzingers im Aufsatz „Christliche Orientierung in der pluralistischen Demokratie? Über die Unverzichtbarkeit des Christentums in der modernen Welt“ in: Pro Fide et Justitia. Festschrift für Agostino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag, hrsg. von Herbert Schambeck, Duncker & Humblot, Berlin 1984, S. 747 – 761. 10 So meinen etwa Peter Häberle und Jürgen Habermas. 11 Vgl. E.-W. Böckenfördes Duplik in „Das Wagnis der Freiheit. Diskussionsbeiträge von Ulrich K. Preuß, Zdzislaw Krasnodebski, Paul Nolte und Ernst-Wolfgang Böckenförde“ in: Festschrift zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken 2004 an ErnstWolfgang Böckenförde, Berlin-Bremen 2005. Hier findet sich auch die wichtige Vorlesung „Europa und die Türkei. Die europäische Union am Scheideweg?“.

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dafür sorgen, sie zu stützen und zu verteidigen. Denn die Neutralität des freiheitlichen Staates darf nicht als Inhaltslosigkeit bzw. als Reduktion auf Prozeduren verstanden werden. Eben durch den die Regierungsgewalt bestimmenden Wettkampf zwischen den politischen Fraktionen erfordert das pluralistische System der liberalen Demokratien Einigkeit über den politisch fundierenden Kern der Entscheidungen, die zum Wesen selbst der bürgerlichen Gesellschaft dazugehört und nicht dem Spiel der wechselnden Mehrheiten überlassen werden darf.12 Die individuellen Grundrechte, die im Mittelpunkt der Rechtsüberlegungen Böckenfördes auch in Bezug auf heute viel diskutierte Themen wie die Abtreibung und den Schutz des Embryos stehen, seien keine, in Bezug auf die sich der Staat als neutral erklären könne. Zwar dürfe der freiheitliche Staat keinen Zwang im Bereich der Ideen ausüben, er müsse jedoch durch Erziehung und Bildung die Grundlagen unterstützen, die seiner Existenz zugrunde liegen. Nach wie vor bezieht sich Böckenfördes These nicht nur auf den Staat, sondern auch auf die religiösen Gemeinschaften. Als er die These formulierte, war Böckenfördes Absicht, die Ablehnung der römisch-katholischen Kirche gegen den freiheitlichen Staat zu überwinden. Dazu ermunterte er die Katholiken, in den Voraussetzungen der Zivilisation tiefe theologische Werte wie etwa Freiheit, Liebe und Toleranz anzuerkennen und im „neutralen“ Staat nicht nur den Urheber, sondern auch das Ergebnis der Säkularisation zu sehen: Der Staat sei nämlich die – ja immer unvollkommene – historische Verwirklichung von Keimen aus der christlichen Überlieferung. Böckenförde lud ein, den Staat nicht als „Feind“ bzw. etwas „fremdes“, sondern als Realität zu betrachten, die allen Menschen die Möglichkeit der Freiheit anbieten könne. Diese Interpretation schien in einem Kontext wie dem italienischen umso wichtiger, in dem der Staat oft als Feind angesehen wurde, nicht nur von den vorher existierenden feudalen oder partikularistischen Mächten, sondern auch von einer katholischen Kirche, die die Geburt des liberalen Staates als eine Usurpation ansah und die Säkularisation als Akt der Enteignung nicht nur kirchlicher Güter, sondern auch des Staates der Kirche. Hinzuzufügen ist heute, dass der freiheitliche und demokratische Staat immer noch für das kostbare Wohl der Freiheit aller Menschen (und nicht nur einiger) und für das Wohl eines befriedeten und geordneten Zusammenlebens sorgt. Böckenfördes Aufsätze rufen uns das in Erinnerung, was der Staat der Neuzeit neutralisieren konnte: die schrecklichen Bürgerkriege. Die größte Leistung des Staates war es nämlich, den Frieden innerhalb der Grenzen des zerrissenen Europas zu bringen. Der so geschaffene Friede ist zwar relativ und innerweltlich: Er ist nur die Form des Bürgerlebens, die sich dem Wesen der Gerechtigkeit und der für den Menschen notwendigen Güter erschließen soll. Freilich handelt es sich um einen Frieden, der auf Kosten von Kolonisierungen und ebenso blutdürstiger Kriege nach außen gewonnen war. Er ist 12 Dazu vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und Verfassungsrecht, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1991.

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kaum zu idealisieren! Jedoch ist ein solcher Friede äußerlich auszudehnen und keineswegs innerlich in Frage zu stellen. Denn ohne ihn sind die anderen Güter kaum zu genießen. Darin liegt selbst der theologische Wert des innerweltlichen befriedigten Zusammenlebens, das den Kampf und die innere Gewalt neutralisiert hat. Dies haben die Meister der christlichen Überlegung über das „Politische“ im Ausgang von Augustin und Thomas von Aquin klar und tiefgehend gesehen: Das geordnete und befriedete Zusammenleben sei das echte Gemeinwohl, für das alle sorgen sollten. Böckenfördes „Paradox“ weist uns letztlich darauf hin, dass der Staat, der die Freiheit der Person verteidigt, immer ein zerbrechlicher, sowohl zarter als auch kostbarer, menschlicher Bau ist.

II. Grundlinien einer Wirkungsgeschichte: Zagrebelskys Interpretation und Kritik Neben einigen Dissertationen und wissenschaftlichen Rezensionen zu den Rechts- und Verfassungsschriften hat sich ab 2006 die italienische Wirkungsgeschichte Böckenfördes besonders auf Interpretation und Kritik seines „Paradoxes“ pointiert. Der prominenteste Vertreter einer solchen Interpretation und Kritik ist sicherlich Gustavo Zagrebelsky. Ehemaliger Vorsitzender des italienischen Verfassungsgerichts ist Zagrebelsky Emeritus für Verfassungsrecht an der Universität Turin. Die wichtigsten Diskussionsbeiträge Zagrebelskys zur These Böckenfördes sind im Buch Contro l’etica della verità (Gegen die Wahrheitsethik) gesammelt. Zunächst einmal wirft Zagrebelsky Böckenförde vor, dessen Diktum sei „eine verzweifelte Antwort auf eine Reihe rhetorischer Fragen“. Es handelt sich um die Fragen, die Böckenförde im berühmten Aufsatz über die Grundlage des freiheitlichen säkularisierten Staates stellt, wo er – nur scheinbar rhetorisch – danach fragt, auf welcher Basis der Staat nach der Freilassung aus der zwingenden Macht der Religion zu gründen sei. Zagrebelsky wirft Böckenförde vor, die Moderne als Prozeß der Selbstzerstörung darzustellen, wonach die den Bürgern zugestandene Freiheit die sozialen Bindungen schließlich destruiere; somit verliere der Staat jegliche Beziehung zum Ethischen bzw. zum Religiösen und werde auf einen bloßen Produzenten von Wohlfahrt reduziert. Zagrebelsky zögert nicht, die These Böckenfördes mit einer berühmten Stelle aus den „Brüdern Kasamarow“ von Dostojewkij zu parallelisieren. Es handelt sich um die Episode aus Dostojewkijs Roman, in der der Staretz Zosima die selbstzerstörende Spirale der modernen Freiheit verurteilt: Sie kreiere immer neue Bedürfnisse, die kaum zu befriedigen seien. Kurzum: Eine solche Dynamik beschreibe weniger die Entstehung des modernen Staates als vielmehr seine Auflösung. Böckenfördes Position erscheine als alarmistisch und gleichsam „apokalyptisch“. Böckenförde hebe die Ohnmacht des freiheitlichen Staates hervor, denn er behaupte nicht, der Staat „möchte“ seine Voraussetzungen nicht garantieren, sondern behaupte, der Staat „könne“ es nicht.

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Die zweite Kritik Zagrebelskys ist mit der ersten eng verbunden. Böckenfördes Katastrophismus sei eine apologetische Strategie, durch die er versuche, einen „Verfassungsraum“ für die religiösen Gemeinschaften und besonders für die römisch-katholischen Kirche zu schaffen. In den Augen Zagrebelskys müsse man zwar zugeben, dass der freiheitliche Staat – wie es übrigens auch bei jeder anderen Form der politischen Herrschaft der Fall ist – zerbrechlich sei und dass er durch die Verabsolutierung und Radikalisierung seines Leitprinzips, nämlich der individuellen Freiheit, Gefahr laufe, destabilisiert zu werden. Das Bewusstsein einer solchen Gefahr sollte jedoch durch Strategien der Freiheitsverstärkung das Eintreten der Krise so weit wie möglich „aufhalten“. Böckenförde scheine aber – so Zagrebelsky –, sich auf die Krise des freiheitlichen Staates zu freuen und außerhalb des Staates in eine „der Freiheit vorausliegenden Grundbindung“ zu flüchten. Die „Therapie“ zur Krise des freiheitlichen Staates liege also darin, die Kirchen eine Rolle in den Demokratien spielen zu lassen, damit die nicht vom Staat garantierbaren, ethischen Ressourcen und die sozialen Zusammenhänge wiederhergestellt würden, die die Zerstörung der Gesellschaft verhindern können. Gewiß: Zagrebelsky gibt zu, Böckenfördes Absicht sei nicht die Wiederbelebung des „christlichen Staates“, sondern die der demokratischen Gesellschaft im Rahmen einer tief verwurzelten Akzeptanz der Prinzipien der Freiheit, der Weltlichkeit und des Pluralismus. Böckenförde richte sich vor allem an die Gläubigen und lade sie ein, an den Lebenswelten des freiheitlichen Staates teilzunehmen und ihn als eine Chance und nicht einen Feind zu betrachten. Die Warnung Zagrebelskys vor der apologetischen Potentialität des Diktums Böckenfördes erklärt sich aus der von Joseph Ratzinger vertretenen Deutung. In seiner Schrift „Christliche Orientierung“ von 1984 deutete Ratzinger jenes Diktum als die Anerkennung des Mangels des freiheitlichen Staates: Dieser – so Ratzinger – brauche äußere Kräfte, um überleben zu können. Diese äußeren Kräfte seien die des Christentums: mit ihm sollte der Staat einen neuen Bund schließen. Daraus ergebe sich die Vorrangstellung, die der Staat der Kirche bewilligen sollte, und zwar vermöge der öffentlichen Funktion, die die Kirche ausübe. Diese Vorrangstellung – setzte Ratzinger fort – müsse sich in Garantien dafür äußern, dass den kirchlichen Symbolen, Tätigkeiten und Einrichtungen Raum und Sichtbarkeit gegeben werde. Ratzinger weiß zwar sehr wohl, dass ein solcher Anspruch ein doppeltes Risiko läuft: aus der Perspektive der Kirche gesehen kann er eine theokratische Versuchung bedeuten; aus der Perspektive des Staates gesehen kann er dessen weltliches und pluralistisches Wesen schädigen. Jedoch ist Ratzinger überzeugt, dass die Gefahr einer Theokratie in der heutigen Gesellschaft am geringsten sei; dagegen seien die Gefahren der öffentlichen Irrelevanz der Kirche und die daraus erfolgenden Ausfaserung des menschlichen Zusammenlebens am höchsten. Zagrebelsky gesteht Böckenfördes Intention zu, von einer so stark apologetischen Deutung seines Diktums weit entfernt zu sein; für Böckenförde seien alle Glaubenskonfessionen juridisch gleich gerechtfertigt. Zagrebelsky sieht aber in Böckenfördes Position eine verbleibende Zweideutigkeit: prinzipiell erkläre er die Gleichheit aller Glaubenkonfessionen; praktisch warne er vor einem „Gleichschaltungsanspruch“. Zwar – so Zagrebelsky – sei

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eine Gleichschaltungsaktion nicht gestattet, denn sie setze eine gewaltsame staatliche Intervention im religiösen Bereich voraus, die dem freiheitlichen Wesen des Staates widerspreche. „Wenn wir aber statt ,Gleichschaltung‘ durch den Staat ,Gleichheit‘ vor dem Staat sagen, so haben wir gerade das vor Augen, was der ordre public braucht, um sich für den Pluralismus zu öffnen. Im auf der Freiheit fundierten säkularen Staat haben alle Glaubenskonfessionen, alle Religionen, alle religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungen das gleiche Recht. Dies gibt diesem staatlichen Typus eine besondere Prägung. Mit Bezug auf diese Prägung scheint es mir widersprüchlich und riskant zu behaupten, dass die religiösen Minderheiten in der Diaspora leben sollten. Dies zu behaupten heißt nämlich negieren, dass es ein einziges und gemeinsames Band der Bürgerschaft gibt, und erlauben, dass die Angehörigen der Majoritätsreligion einen spezifischen gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Status besitzen können – was freilich an unglückselige Erfahrungen der Vergangenheit erinnert“. Schließlich: Es gebe einen unaufhebbaren Widerspruch zwischen der Erklärung der schlechthinnigen Neutralität des Staates einerseits und den Anspruch auf eine besondere Anerkennung für bestimmte religiöse Gemeinschaften kraft deren ethischer und sozialer Funktion andererseits. Eine dritte Kritik Zagrebelskys betrifft die Aussage, die Grundbindung, die die Religion dem freiheitlichen Staat versichere, liege der Freiheit voraus. Wenn es so ist, betont Zagrebelsky, dann gebe sich diese Bindung nicht „in“ der Freiheit, sie sei heteronom und werde durch Behörden veranlasst oder sogar aufgedrängt. Der individuelle Glaube stellt laut Zagrebelsky für den freiheitlichen und demokratischen Staat gar kein Problem dar; er sei ja ein wesentliches Element, damit die Menschen sich für die Beförderung der bürgerlichen Gesellschaft bewegen und engagieren. Ein Problem stellen für ihn die religiösen Gemeinschaften dar, die zuerst den sozialen Zusammenhang außerhalb der Dynamik der Freiheit bilden und dann in Anspruch nehmen, in ihrer sozialen Rolle durch den Staat offiziell anerkannt zu werden. Eine solche Anerkennung würde aber bedeuten, dass der Freiheit des Individuums eine Grenze in den religiösen Gemeinschaften gesetzt ist: In diesem Falle würde aber die Demokratie mit „begrenzter Souveränität“ erscheinen und die Selbstbestimmung des Einzelnen wäre durch andere Institutionen als den Staat in vielen Sphären des persönlichen und familiären Lebens erheblich eingeschränkt. Zagrebelsky bezieht sich hier auf die Kontroversen im Bereich der Bioethik, in der die kirchlichen Behörden in das Leben der Einzelnen und der Institutionen ständig interferieren. Das Ethos der freiheitlichen Gesellschaft – setzt Zagrebelsky fort – habe sich auf eigene geistige Kräfte zu stützen; die Aufgabe, dieses Ethos zu bilden, dürfe nicht an andere delegiert werden. Zumal es zu beweisen sei, wie auch viele Kritiker bemerkt haben, dass die religiösen Gemeinschaften ein bürgerliches Ethos erzeugen, das die soziale Bindung verstärken könne. Denn nicht nur zu den Zeiten der konfessionellen Bürgerkriege, sondern auch in der gegenwärtigen Gesellschaft sei die religiöse Erfahrung ganz „vielgestaltig“: Sie erzeuge nämlich ganz verschiedenartige und oft konflikthafte Lebensanschauungen und Handlungen.

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Die letzte Kritik Zagrebelskys weist auf den weltlichen Staat als „säkularisierten Staat“ hin. Historisch gesehen sei der Staat tatsächlich säkularisiert, denn seine Neutralität sei Ergebnis seiner Trennung nach den Glaubenskriegen aus dem religiösen Hoheitsanspruch. Nehme man aber an, der weltliche Staat sei ohnmächtig und darauf angewiesen, das Verhältnis zum Religiösen wieder in Anspruch zu nehmen, dann laufe man Gefahr, sich den post-säkularen Staat als Negierung des säkularisierten Staates vorzustellen, d. h. als Negierung des auf der Toleranz und Gewissenfreiheit basierten Staates. Hier tritt wieder die erste Kritik in den Vordergrund: wird der Säkularisierungsvorgang als eine Katastrophe interpretiert, so ist der freiheitliche Staat nicht verstärkt, sondern umstellt.

III. Fazit Dass der Grund vieler Einwände Zagrebelskys und anderer Kritiker in einer gewissen Ambivalenz einiger Formulierungen Böckenfördes (und in erster Linie des berühmten Diktums) liegt, versteht sich von selbst. Das gilt aber nur für einzelne Aussagen. Betrachtet man das Ganze seines Denkens und besonders die Zusammenhänge zwischen den gleichsam theologischpolitischen und den verfassungsrechtlichen Schriften, so sieht man, dass seine Perspektive – so fraglich es auch in seinem Ausgangs- und Zielpunkt sein kann, wie es übrigens bei jedem Denken immer der Fall ist! – sehr konsequent ist. Von dieser Betrachtungsweise an möchte ich abschließend die oben erwähnten Kritiken kurz diskutieren. a) Der Vorwurf des Katastrophismus. Die Entstehung des modernen freiheitlichen Staates interpretiert Böckenförde keineswegs als Zeichen eines Degenerationsvorganges, ganz im Gegenteil. Sie wird als Fortschritt im Verhältnis zum früheren Modell der Beziehungen zwischen Politik und Religion begrüßt. Die christliche Kirchengeschichte deutet er als fortschreitende und positive Versöhnung mit der Freiheit, die als Recht jedes Menschen anerkannt wird. Ausdrücklich spricht Böckenförde über eine (positive) Revolution innerhalb der römisch-katholischen Kirche mit Blick auf die Erklärung über religiöse Freiheit des II. Vatikanums. In Böckenfördes Schriften finden sich zwar Besorgnisse vor der möglichen Ausfaserung des menschlichen Zusammenlebens in den gegenwärtigen Demokratien (mit Bezug etwa auf Erscheinungen wie Anomie, individualistischem Egoismus usw.). Neuerdings hat er in einem Aufsatz über die finanzielle Krise des Kapitalismus den Eigentumsindividualismus zugunsten einer Wiederaufnahme des Solidaritätsprinzips kritisiert; er stellt aber institutionell-politisch nie in Frage, dass die säkulare, freiheitliche und demokratische Ordnung ein positives Ergebnis der Neuzeit ist. Man darf in diesem Sinne behaupten, das Denken Böckenförde stelle eine der erfolgsreichsten Verknüpfungen zwischen der großartigen Tradition der deutschen Staatslehre und dem politischen Liberalismus dar. Es ist aber klar, dass Böckenförde – besonders vor dem Hintergrund der Erfahrung der Weimarer Republik – den liberaldemokratischen Staat als einen Staat sieht, der den Risiken seiner eigenen Verfassung ausgesetzt ist: die Ri-

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siken, die von der Respektierung des individuellen Gewissens und der freiwilligen Zustimmung aller Bürger ausgehen. Die Betonung Böckenfördes ist also nicht auf die Ohnmacht, sondern auf die Zerbrechlichkeit des Staates gerichtet; eine Zerbrechlichkeit, die sozusagen „der Freiheit zuliebe“ gewollt ist. b) Der Vorwurf der Apologetik. In mehreren Aufsätzen stellt sich Böckenförde der historischen Rolle der Religionen und der christlichen Kirche (und der römisch-katholischen Kirche in besonderer Weise) sehr kritisch. Der freiheitliche Staat der Neuzeit und die modernen Demokratien bildeten sich in der Regel gegen die christlichen Kirchen. Groß war die Verantwortung der Kirchen etwa mit Bezug auf den Aufstieg des Nationalsozialismus. Einer der wichtigsten historischen Aufsätzen Böckenförde betrifft den deutschen Katholizismus im Jahre 1933 und ist in keiner Weise als apologetisch, im Gegenteil! Man darf auch nicht sagen, die Anerkennung einer sozialen Rolle der religiösen Gemeinschaften bedeute in Böckenfördes Perspektive eine Abschwächung des Prinzips des gleichen Respekts vor allen Glaubenskonfessionen (und selbst vor dem Unglauben). Der Aufsatz über die Gewissenfreiheit als Grundrecht ist hier sonnenklar, besonders da, wo er ausführt, es komme darauf an, die Rechte von Minderheiten zu verteidigen. Ebenso ist es falsch anzunehmen, dass Böckenförde mit seinem berühmten Diktum die positive Funktion des Staates in der Bildung eines bürgerlichen und demokratischen Ethos verleugnet. Dies geschieht durch das Erziehungs- und Bildungssystem und wird keiner anderen Institution als dem Staat selbst übergetragen. Das Problem ist nur, dass jede Verfassungsordnung für Böckenförde auf vorrechtlichen Voraussetzungen basiert; im Falle der liberalen Ordnung habe die Verfassung einen offenen Charakter, sie sei gleichsam der Rahmen, in welchem sich der politische Wille der Bürger unter der Beachtung der Grundrechte und durch das Spiel der Mehrheiten frei äußern könne. Die Verfassungsordnung des freiheitlichen Staates dürfe nicht als ein Wertsystem interpretiert werden; sie sei eine offene Ordnung, ein historisches Produkt ethischer und politischer Entscheidungen, die – einige Grundprinzipien beachtend – fixiert haben, dass die Bürger die Freiheit und die Macht haben, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Dass die grundlegenden Freiheiten des Individuums den Vorrang vor der sozialen Dimension haben, ist der Betrachtung der Sozialrechte deutlich zu entnehmen: ihre Forderung darf nicht einen Verzicht des Staates auf seiner Garantenrolle implizieren. Böckenfördes Position ist hier der von Rawls ähnlich: es gebe zwischen den beiden Gerechtigkeitsprinzipien eine Hierarchie. Dies soll heißen: selbst im Falle der religiösen Angelegenheiten darf die Anerkennung der sozialen Funktion der Religionen – in einer Dynamik, die immer von der historisch gebildeten Mehrheiten abhängt – die Garantien der individuellen Religionsfreiheit für alle nie abschwächen. c) Der Vorwurf der Heteronomie. Was bedeutet eigentlich, dass die zwingende Bindung der Religion der Freiheit „vorausliegt“? Damit geht es um die Bürgerfreiheit, nicht um die Freiheit im Allgemeinen. Anthropologisch betrachtet entsteht die religiöse Ur-Bindung, die zwischen Menschen und Gott, in der Freiheit und nur durch sie. Denn es gibt ohne Freiheit keine echte Religion. Dies ist der Sinn der Anerkennung der religiösen Freiheit auch von der Seite der Theologie. Historisch haben die

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religiösen Dissidenten zur bürgerlichen Anerkennung der Gewissensfreiheit grundlegend beigetragen. Und dies ist nochmals die Pointe der oben zitierten vorrechtlichen Voraussetzungen. Böckenförde will nicht sagen, der ganze Entstehungsvorgang des liberalen und demokratischen Ethos geschehe vor bzw. außerhalb der Stiftung einer Verfassungsordnung. Ganz im Gegenteil: Der Vorgang geschah innerhalb der Institutionen und der Demokratie. Böckenförde weist darauf hin, dass der freiheitliche und demokratische Staat das Ergebnis ethischer und religiöser Prämissen war. Diese Prämissen seien primär im Gewissen zu regenerieren, damit die Ordnung stabil wird. Der Staat will über das Gewissen keineswegs urteilen. Das Gewissen bildet sich in der politischen Debatte, aber auch in den primären Verhältnissen, nicht nur des religiösen Lebens, sondern auch des familiären und gesellschaftlichen Lebens. Darum darf die liberal-demokratische Ordnung nicht als selbsthervorgebrachtes, nur auf eigenen Werten basierendes und geschlossenes System gedacht werden. d) Der Vorwurf der Abhängigkeit des Staates von der Religion. Somit scheint es mir jetzt möglich, auch den letzten Vorwurf zu diskutieren, und zwar den, der die Gefahr bei Ernst-Wolfgang Böckenförde betrifft, den weltlichen Staat nur als säkularisierten Staat zu verstehen. Ich meine, die Formulierung von Ernst-Wolfgang Böckenförde ruft nur die historische und vorgängige Dimension unseres Themas erheblich hervor. Sie bedeutet nicht, dass ein weltlicher Staat nur als die Frucht eines Säkularisierungsvorgangs entstehen kann oder darf. Sie bedeutet, der europäische, neuzeitliche Staat ist Ergebnis eines Säkularisierungsprozesses genauso wie seine Neutralität weniger eine abstrakte Lage von Gleichdistanzierung vor allen Weltreligionen als vielmehr ein historischer Vorgang ist, durch den die Ansprüche der verschiedenen Religionen eben neutral gemacht worden sind, und zwar auf dem Feld gemeinsamer, von der Religion geprägter Bürgerwerte. Es scheint mir, dass diese historische Dimension noch heute für den freiheitlichen und demokratischen Staat wesentlich ist. Die Säkularisierung der politischen Institutionen ist wesentlich nicht nur angesichts jeglicher verbleibenden theokratischen Versuchung, sondern auch der Versuche neuer Sakralisierungen des Politischen, die immer noch und immer wieder neue Heidentümer erzeugen. Auch die Säkularisierung der Religionen ist wichtig, wenn es um die Anstrengung geht, das religiöse Potential der Deutung und Verteidigung des Menschlichen im „saeculum“ zu übersetzen (so etwa Habermas’ These). Die beiden Säkularisierungsprozesse sind selbst in ihren Konfliktsmomenten offen zu lassen, denn auch durch ihren Kampf ist der Schutz der Freiheit aller Menschen entstanden, auf den wir nicht verzichten wollen.

Die Rezeption des Politischen und Konstitutionellen Denkens von Ernst-Wolfgang Böckenförde in Polen Von Joanna Mysona Byrska1, Krakau

I. Einführung Seit der Wende des politischen Systems 1989 lernt das Volk der Republik Polen demokratische Praktiken. Die Realität der demokratischen Politik erwies sich als schwierig und anspruchsvoll, da sie sich nicht nur auf die Annahme demokratischer Verfahren zurückführen lässt, sondern vielmehr die Förderung des Geistes der Demokratie als solchen erfordert. Deswegen ist im Prinzip das Verständnis dessen unumgänglich, was ein demokratisches Ethos bedeutet, um erst dann der gesamten Gesellschaft die Verinnerlichung dieses Ethos ermöglichen zu können. Anders ausgedrückt: Die formalen Strukturen, die eine politisch-demokratische Ordnung bilden, sollen mit einem Inhalt gefüllt werden, der mit den Grundsätzen der Demokratie und mit unveräußerlichen Menschenrechten kompatibel ist. Die polnische Gesellschaft hat seit Ewigkeiten um Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft – seit der Zeit der Zergliederung Polens im 18. Jahrhundert bis zum 20. Jahrhundert. Erst eine kurze Zeit der Unabhängigkeit zwischen den beiden Weltkriegen machte es möglich, einen kohärenten Staat zu bauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Polen unter den Einfluss des Ostblocks, und in Übereinstimmung mit den Plänen der UdSSR wurde dort der Kommunismus eingeführt. Erst im Jahr 1989 wurde die lang ersehnte Freiheit erreicht: ihre fundamentale Form, von der sowohl die demokratische politische Ordnung als auch der freie Marktkapitalismus abhängen. Nach dem Fall des Kommunismus ist die Frage, welche Form die demokratische Ordnung und die Zivilgesellschaft annehmen sollte, zu einem der dringlichsten Probleme des neuen Polens geworden. Sollte es eine liberale Demokratie im angloamerikanischen Sinne sein? Oder sollte man vielmehr auf deutsche Traditionen und Muster zurückgreifen? Sollte man sich bemühen, eine Zivilgesellschaft oder eher eine offene Gesellschaft aufzubauen, wie sie bekanntlich von Karl Popper vorgeschlagen wurde? Nach dem Verständnis der Polen zu Anfang der neunziger Jahre basiert eine 1 Universitätsprofessorin, Vorsitzende des Lehrstuhls für soziale und politische Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Universität Johannes Paul II., Krakau, Polen.

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Zivilgesellschaft auf der Tätigkeit der Bürger: Bürger sind aktiv und selbstorganisiert, sie arbeiten für die gesamte Gemeinschaft, und sie bitten den Staat um Hilfe, wenn es nötig ist. Im Gegensatz dazu ist die offene Gesellschaft von Popper eine Gesellschaft der Freiheit: Das Individuum ist in seinen Handlungen und seiner Lebensweise frei, bei gleichen Chancen für den sozialen Aufstieg, der jedoch von jeder Art des Kollektivismus weit entfernt bleibt. Die Aufgabe des Staates besteht darin, ein bestimmtes Übel aus dem Leben der Gesellschaft zu beseitigen; der Staat selbst verfolgt kein besonderes Gut2. Welche Position innerhalb einer demokratischen Staatsverfassung ist für die Kirche angemessen? Dies war eine weitere entscheidende Frage, die damals diskutiert wurde. Die polnische katholische Kirche spielte und spielt hier immer wieder eine wichtige Rolle. Seit Jahrhunderten diente sie als Wächter nicht nur des christlichen Glaubens, sondern auch der Nation und der polnischen Kultur. Während der kommunistischen Periode schuf sie einen Raum für die Freiheit, in dem man denken, debattieren und sich sogar bilden konnte (Päpstliche Theologische Fakultäten, Päpstliche Akademie der Theologie in Kraków), unabhängig von der staatlich auferlegten kommunistischen Ideologie. Alle diese Fragen und Probleme erforderten 1989 Antworten und Lösungen. Die Werke von Ernst-Wolfgang Böckenförde über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Rolle der katholischen Kirche und ethische Neutralität waren in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Wie Józef Tischner – Priester, Philosophie-Professor und Kaplan der „Solidarnos´c´“3 – einmal bemerkte (der Böckenförde oft bei den Kolloquien von Castelgandolfo, initiiert vom polnischen Philosophen Krzysztof Michalski und unter der Gastgeberschaft von Papst Johannes Paul II, getroffen hat): „Die Texte von Böckenförde treffen genau auf unsere Bedürfnisse zu. Nach einer langen Zeit der Versklavung und mangelnder Souveränität haben wir begonnen, ein souveränes Land aufzubauen. Vieles beweist jedoch, dass wir jetzt vor ähnlichen Problemen stehen wie damals die deutschen Katholiken, als die Demokratie ihnen ihre Nachteile gezeigt hatte, bevor sie Zeit hatte, ihre Vorteile zu zeigen. Welche Rolle soll die Kirche in dieser Situation spielen? Was sind die Aufgaben der Katholiken?“4

Den Katholiken in Polen, wahrscheinlich ähnlich wie vor vielen Jahren den Katholiken in Deutschland, fiel es schwer, die Autonomie des liberal-demokratischen Staates zu verstehen. Wenn ein Staat autonom ist, dann ist sein Ethos unabhängig von der Kirche und von ihrem eigenen entsprechenden Ethos.5 Welches Ethos ist jedoch wichtiger, wenn Ethoi-Konflikte auftreten, wem sollte man zuhören? Kann es sein, dass mit Hilfe demokratischer Prinzipien Fragen des Ethos und der Moral durch Gesetze und Verordnungen behandelt werden, gemäß dem Willen der Mehrheit? Bis zu 2

Andrzej Szahaj/Marek N. Jakubowski, Filozofia polityki, Warszawa 2005, S. 111 – 112. Jósef Tischner, W krainie schorowanej wyobraz´ni (Im Land der erkrankten Vorstellungskraft), Kraków 2002, S. 34. 4 Tischner (Fn. 3), S. 34. 5 Tischner (Fn. 3), S. 23. 3

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einem gewissen Grad werden diese Fragen auch heute noch in Polen diskutiert. Zum Beispiel sind die Teilnehmer der Diskussion über das Anti-Abtreibungsgesetz in zwei entgegengesetzte Lager gespalten, die mit unterschiedlichen Ethoi verbunden sind. Es scheint sogar, in dieser Angelegenheit könne kein dauerhafter Kompromiss erzielt werden, da beide Seiten systematisch versuchen, ihre Positionen unabhängig von demokratischen Verfahren durchzusetzen.

II. Was wurde übersetzt, wann, von wem und warum? Bis heute wurden mehr als 22 Artikel von Böckenförde ins Polnische übersetzt. Der erste von ihnen war „Das neue politische Engagement der Kirche. Zur ,politischen Theologie‘ Johannes Pauls II“, der 1985 in der katholischen Zeitschrift „Znak“ gedruckt wurde.6 Kurze Zeit später wurde sein Aufsatz „Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung“ veröffentlicht.7 Die wichtigste Ausgabe von Übersetzungen von Böckenförde ist eine Anthologie von elf Artikeln, die 1994 unter dem Titel „Wolnos´c´-pan´stwo-Kos´ciół“ (Freiheit, Staat, Kirche) veröffentlicht wurden.8 Diese Sammlung wurde von dem erwähnten Józef Tischner eingeleitet und übersetzt von Paweł Kaczorowski, einem Politikprofessor. Sie umfasst die Artikel „Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche“, „Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat“, „Stellung und Bedeutung der Religion in einer Civil Society“, „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“, „Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts“, „Freiheit und Recht, Freiheit und Staat“, „Der Staat als sittlicher Staat“, „Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt“; „Kirche und modernes Bewusstsein“; „Der Beitrag politischen Handelns zur Verwirklichung von Gerechtigkeit“ und „Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln“. Im selben Jahr wurde der Artikel „Die sozialen und politischen Ideen der Französischen Revolution“ veröffentlicht.9 Im Jahr 1999 wurde ein Artikel übersetzt: „Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung“10. 6 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das neue politische Engagement der Kirche. Zur ,politischen Theologie‘ Johannes Pauls II, StdZ 198 (1980), S. 219 – 234; ders., Nowy sposób politycznego zaangaz˙ owania Kos´cioła – o „teologii politycznej“ Jana Pawła II, Znak 3 (1985), S. 3 – 24. 7 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung, in: Michalski (Hrsg.), Der Mensch in den modernen Wissenschaften, Castelgandolfo-Gespräche, Stuttgart 1985, S. 91 – 99; ders., Wizerunek człowieka w s´wietle dzisiejszego porza˛dku prawnego, in: Krzysztof Michalski (Hrsg.), Człowiek w nauce współczesnej. Rozmowy w Castel Gandolfo, Kraków 1988, 2006, S. 102. 8 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Wolnos´c´-pan´stwo-kos´ciół (Freiheit – Staat – Kirche), Kraków 1994. 9 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen und politischen Ordnungsideen der Französischen Revolution, in: ders., Staat, Nation, Europa: Studien zur Staatslehre, Verfassungs-

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Sein Artikel „Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche“ wurde 1999 ein zweites Mal gedruckt, und diesmal wurden auch Kritiken seines Textes und Böckenfördes Repliken in polnischer Übersetzung veröffentlicht.11 Auf diese Reihe von Artikeln über die katholische Kirche und über die Beziehungen zwischen Religion und Demokratie folgten mehrere Übersetzungen seiner Aufsätze über den Konstitutionalismus und die europäische Einigung. Im Jahr 2000 wurden fünf Artikel zu den späteren Themen unter dem Titel „Pan´stwo prawa w jednocza˛cej sie˛ Europie“ (Rechtsstaat in dem sich vereinigenden Europa) veröffentlicht, die auch diesmal von Paweł Kaczorowski übersetzt wurden. Die Sammlung beinhaltete die Aufsätze: „Welchen Weg geht Europa?“, „Recht setzt Grenzen“, „Recht als Bedingung der Freiheit“, „Begriff und Probleme des Verfassungsstaates“, und „Verfassungsgerichtsbarkeit: Strukturfragen, Organisation und Legitimation“. Diese fünf Texte wurden von Professor Zbigniew Stawrowski bearbeitet, einem politischen Philosophen, der sich mit den Fragen von Staat und Recht beschäftigt.12 2006 erschien Böckenfördes Artikel „Bedingungen der europäischen Solidarität“.13 Seine Artikel erschienen in der Tagespresse und im „Tygodnik Powszechny“, einer wöchentlichen Zeitschrift, die hauptsächlich von Anhängern der offenen Kirche gelesen wird (9. Platz unter den Wochenzeitungen im Jahr 2016).14 Abgesehen von diesen Übersetzungen gibt es einige Arbeiten der Sekundärliteratur über Böckenfördes Werk. In den 1990er Jahren beschäftigten sich Theologen mit dem Denken Böckenfördes, die nach der Verankerung der Demokratie in ethischen

theorie und Rechtsphilosophie, 1999, S. 11 – 24, Böckenförde, Idee ładu społecznego i politycznego w Rewolucji Francuskiej, in: Krzysztof Michalski (Hrsg.), EUROPA i społeczen´stwo obywatelskie. Rozmowy w Castel Gandolfo, Kraków 1994. 10 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: FS Rudolf Gmür, 1983, S. 7 – 19; ders., Historyczny rozwój i róz˙ ne znaczenia poje˛ cia konstytucji, Civitas 1 (1997), S. 11 – 35. 11 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Etos nowoczesnej demokracji a Kos´ciół, Civitas 3 (1999), S. 23 – 45; ders., Raz jeszcze: etos nowoczesnej demokracji a Kos´ciół. Polemika mie˛ dzy Hermannem-Josefem Spitalem i Ernstem-Wolfgangiem Böckenförde, Civitas 3 (1999), S. 47 – 77. 12 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Pan´stwo prawa w jednocza˛cej sie˛ Europie (Der Rechtsstaat in der Vereinigung Europas), Warszawa 2000. 13 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Warunki europejskiej solidarnos´ci, Europa PL, Sonderausgabe vom 03. 02. 2006, S. 30. 14 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zmysł przynalez˙ nos´ci (Gefühl der Zugehörigkeit), Tygodnik Powszechny, 16. 05. 2004, online: https://www.tygodnikpowszechny.pl/zmysl-przynal eznosci-125405 (am 26. 11. 2019 abgerufen); ders., Nie dajmy sie˛ przestraszyc´, Tygodnik Powszechny 46 (2009), online: https://www.tygodnikpowszechny.pl/nie-dajmy-sie-prze straszyc-136326 (am 26. 11. 2019 abgerufen); ders., Nadał papiestwu ludzka˛ twarz (Er gab dem Papsttum ein menschliches Gesicht), Gazeta Wyborcza v. 2008.11.29, online: http:// www.santosubito.org.pl/informacje,nadal_papiestwu_ludzka_twarz_pro,195,1.html (am 26. 11. 2019 abgerufen).

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Gründen suchten.15 In diesem Zusammenhang sollte Pater Maciej Zie˛ ba OP erwähnt werden, der sich in seinen Büchern vielfach auf Böckenfördes Denken und das Böckenförde-Diktum bezog.16 Auch der bekannte Kirchenjurist Professor Remigiusz Soban´ski aus Katowitz zitierte wiederholt die Texte Böckenfördes in seinen Analysen von Demokratie, Recht im demokratischen Rechtsstaat und Freiheit. Jüngst schrieb Frau Professor Aniela Dylus von der Kardinal Stefan Wyszyn´ski Universität (Warschau) über die unpolitische Politik der Kirche und erinnerte in diesem Zusammenhang auch an Böckenförde Texte.17 Die Bedeutung und Popularität in Polen von Böckenfördes Analysen und Kommentaren wird auch durch die Tatsache belegt, dass im Jahr 2005 eine Dissertation über seine Auffassung von Demokratie entstanden ist.18

III. Welche Milieus waren an Böckenfördes Werk interessiert? Nicht nur Tischner, der Krakauer Philosoph und Kaplan der „Solidarnos´c´“, der sensibel auf die Menschen und die Probleme der Kirche reagierte, las und analysierte Böckenfördes Texte. Viele polnische Intellektuelle, Politikwissenschaftler, Anwälte und Philosophen interessierten sich auch für seine Werke und versuchten in seinen Texten Antworten auf die vorherrschenden polnischen Probleme zu finden. In den 1990er Jahren konzentrierten sie sich zumeist auf den Ort und die Rolle der katholischen Kirche in einem demokratischen Staat. Die erwähnte Anthologie, die 1994 veröffentlicht wurde, beinhaltet wegweisende Artikel zum Ethos der Kirche, zum Aufstieg des modernen Staates als Säkularisierungsprozess, zur Religionsfreiheit im Zusammenhang mit den Beziehungen zwischen Kirche und Staat, zum Staat als ethischem Staat und zu Böckenfördes Kritik an der Begründung des Rechts in Werten. Der Übersetzer Paweł Kaczorowski traf Böckenförde 1990 am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien. Böckenförde war Mitglied seines Wissenschaftlichen Beirats, und Kaczorowski war Doktorand bei Professor Krzysztof Michalski, dem Gründer und Rektor des IWM. 15 Szymon Drzyz˙dz˙yk, Etyczne podstawy demokracji (Ethische Grundlagen der Demokratie), Kraków 2003. 16 Siehe Maciej Zie˛ ba, Demokracja i antyewangelizacja (Demokratie und Anti-Evangelisierung), Poznan´ 1997, S. 62 – 65; ders., Kos´ciół wobec liberalnej demokracji (Kirche gegenüber liberaler Demokratie), in: Michael Nowak/Anton Rauscher/ders. (Hrsg.), Chrzes´cijan´stwo, demokracja, kapitalizm (Christentum, Demokratie, Kapitalismus), Poznan´ 2003, S. 111 – 153 (118 ff.). 17 Remigiusz Soban´ski, Wolnos´c´ a prawo demokratycznego pan´stwa, Wie˛ z´ 1 (1993), S. 58; Aniela Dylus, Kos´ciół i wspólnota polityczna. Refleksje posoborowe, Chrzes´cijan´stwo – S´wiat – Polityka 13:2 (2012), S. 21 – 25 (24). 18 Joanna Mysona Byrska, Demokratyczne pan´stwo prawa i jego znaczenie dla człowieka w uje˛ ciu Ernsta-Wolfganga Böckenfördego (Demokratischer Rechtsstaat und seine Bedeutung für den Menschen im Denken von Ernst-Wolfgang Böckenförde), Kraków 2005.

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Interessanterweise wurde der Text zur katholischen Kirche, für den Böckenförde in Deutschland am meisten bekannt war, „Der deutsche Katholizismus im Jahr 1933“, mit dem die deutsche katholische Kirche einmal gezwungen wurde, in die Nazi-Vergangenheit einzudringen, nie ins Polnische übersetzt. Ein weiterer Schlüsselartikel von Böckenförde, der bisher nicht ins Polnische übersetzt wurde, ist „Das Grundrecht der Gewissensfreiheit“. In diesem Artikel über das Fundament aller Freiheiten – wie uns der Autor glauben lässt – erklärt Böckenförde, warum der demokratische Staat das beste politische Umfeld für ein katholisches Leben sei, denn nur die Demokratie erlaube die Wahlfreiheit des Glaubens. Die Aufnahme von Böckenfördes Gedanken war besonders intensiv im Kreis von Intellektuellen (Anwälte, Philosophen und Theologen), die mit der sogenannten „offenen Kirche“19 verbunden waren, d. h. im Milieu von der katholischen Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“ (Krakau), Monatszeitschrift „Znak“ (Krakau) und Vierteljahresschrift „Wie˛ z´“ (Warschau) und der Päpstlichen Akademie der Theologie (derzeit Päpstlicher Universität Johannes Paul II.) in Kraków. Aber seine Werke lasen und besprachen auch Wissenschaftler und Studenten an der philosophischen Fakultät der Päpstlichen Akademie für Theologie, insbesondere diejenigen über die ethischen Gründe des Staates und des Gesetzes, über das Ethos der Demokratie und über den Platz der katholischen Kirche in modernen Demokratien.20 Heutzutage ist es relativ schwierig, die Debatten und Diskussionen, die in den 90er Jahren in Polen in Krakau, Warschau, Posen und in den anderen Städten geführt wurden, akkurat nachzuzeichnen, denn es wurde viel diskutiert, die Autoren haben aber relativ wenig von diesen Debatten publiziert.21

19 Der Begriff der „offenen Kirche“ erscheint im öffentlichen Diskurs in Polen nach dem Bruch von 1989. Ihre Offenheit sollte zum Ausdruck gebracht werden mit der Bereitschaft, sich neuen Ideen angemessen anzupassen, vom Westen zu lernen, welche Rolle die Kirche in einem demokratischen Staat spielen kann, und die Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in die Praxis umzusetzen. Die offene Kirche wurde jedoch wegen übermäßiger Toleranz, Liberalismus und Progressivismus angeklagt. Das Milieu von Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“, Monatszeitschrift „Znak“ und vierteljährliche Zeitschrift „Wie˛ z´“ repräsentiert die offene Kirche. Die Opposition gegen die offene Kirche wird vor allem durch das Milieu des Radiosenders Maryja gebildet, das von Widerwillen gegenüber neuen Ideen und von einer negativen Einstellung zum Liberalismus in jeder Form gekennzeichnet ist. Vgl. Jarosław Gowin, Kos´ciół po komunizmie (Kirche nach dem Kommunismus), Kraków 1995, S. 239 – 270; vgl. Tomasz We˛ cławski, Kos´ciół otwarty kos´ciół zamknie˛ ty (Offene Kirche, geschlossene Kirche), Znak 8 (1993), S. 16 – 26; Jan Andrzej Kłoczowski, Kos´ciół „otwarty“ i jego wrogowie (Die „offene“ Kirche und seine Feinde), Znak 8 (1993), S. 4 – 15. 20 Vgl. z. B. die Vorträge von Pater Dr. Jarosław Jagiełło aus den Jahren 1997 – 1998. 21 Im Jahre 1993 fand eine Konferenz „Christentum und Demokratie“ in Warschau statt. Diese Konferenz wurde von „Res Publica Nova“ und der Batory Stiftung organisiert und hat großes Interesse erweckt. Nach der Konferenz wurden nur ein relativ kurzer Bericht und zwei Referate – das erste von Leszek Kołakowski und das zweite von Georg Weigel in „Tygodnik Powszechny“ publiziert. An dieser Konferenz nahm auch Ernst-Wolfgang Böckenförde teil. Siehe Zbigniew Nossowski, Czy demokracja potrzebuje chrzes´cijan´stwa (Braucht Demokratie Christentum?), Wie˛ z´ 10 (1993), S. 77 – 94 (86 f.).

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Böckenfördes Ideen, sein Ansatz zur demokratischen Theorie, und vor allem seine Auffassung des Ortes, den er der Kirche und der Religion in einem demokratischen liberalen Staat zuweist, schienen Antworten auf die Fragen zu geben, die Anfang der neunziger Jahre in Polen gestellt wurden – zumindest nach Meinung der Befürworter der „offenen Kirche“. Böckenförde argumentiert, die Kirche solle keine politische Macht sein. Sie solle vielmehr in der Position eines unparteiischen Schiedsrichters bleiben, der alle Gesellschaftsschichten zum öffentlichen Wohl unterrichtet und formt. Böckenförde meint, eine politisierte Kirche verliere ihre Kraft und werde im Wesentlichen zu einer politischen Partei. Anfang der 1990er Jahre war es für das polnische Volk jedoch sehr schwierig, zu verstehen, dass die Kirche nicht direkt in der Politik tätig sein kann und soll. Jarosław Gowin, damals Chefredakteur des Verlags „Znak“, schrieb: „Das postkommunistische Polen sollte – so glaubten viele Katholiken – ein Staat sein, der sich auf eine objektive Ordnung des Naturgesetzes beziehen sollte, die für alle Bürger, unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen oder Ansichten, einen gemeinsamen Bezugspunkt bildet“22.

Die besondere Situation in Polen war darauf zurückzuführen, dass während des Kommunismus die katholische Kirche zu einer wichtigen politischen Macht wurde. Vor den Wahlen im Juni 1991 (den ersten freien Wahlen nach dem Fall des Kommunismus 1989) konnte die politische Macht der Kirche nicht vernachlässigt werden. Sie spielte die Rolle eines Vermittlers, eines informellen Oppositionszentrums, und schließlich des Patrons der Verhandlungen am „Runden Tisch“. Die Politik der kommunistischen Mächte gegenüber der Kirche machte sie zu einem Symbol für Freiheit und moralische Autorität, das Menschen versammelte, die noch nie an der Kirche gehangen hatten.23 Deswegen war es schwer vorstellbar, welchen Platz die Kirche in einem demokratisierten Polen haben sollte. Ein konstitutives Merkmal von liberaler Demokratie ist die Säkularität der politischen Ordnung, „die ihre Legitimität nicht aus der Religion, sondern aus den souveränen Entscheidungen ihrer Bürger zieht. Die Kirche und der Staat sind getrennt. Das soziale Leben wird nicht mehr durch traditionelle, hierarchische bürgerliche Beziehungen geregelt; ihre Rolle wird vom Gesetz mit seinem Grundsatz der Gleichheit aller Individuen übernommen“24, schrieb Gowin. Ein solcher Ansatz muss gelernt und verinnerlicht werden. Genau das wurde von Böckenförde vorgeschlagen, und sein Vorschlag wurde vom Milieu der „offenen Kirche“ verstanden und akzeptiert. 22

Gowin (Fn. 19), S. 132. Artur Łuszczyn´ski, Kos´ciół katolicki jako siła polityczna w okresie transformacji ustrojowej 1989 – 1997 (rozwaz˙ ania na przykładzie województwa lubelskiego), Polityka i Społeczen´stwo 4 (2007), S. 85 – 93 (88). 24 Jarosław Gowin, Kos´ciół w czasach wolnos´ci 1989 – 1999, Kraków 1999, S. 27. 23

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Ein moderner demokratischer Staat ist ein Staat der Freiheit. Zbigniew Stawrowski schrieb: „Warum es der Kirche so schwer gefallen ist und immer so schwer fällt, diesen Wert zu verstehen? Diese Fragen sind ein konstantes Motiv in Böckenfördes Schreiben.“25 Die Antwort auf die erwähnten Fragen wurde in Polen nach 1989 gesucht. Es scheint, dass es in diesem Bereich keine gründlicheren Analysen gab als die von Böckenförde. Ein demokratischer Staat ist allen Ansichten und Überzeugungen gegenüber unparteiisch, seine Aufgabe begrenzt sich auf die Ermöglichung friedlichen Zusammenlebens für alle seine Bürger im Rahmen einer politischen Ordnung, die für alle annehmbar ist. Eine solche Einschränkung der Aufgabe des Staates war für die polnische Kirche offensichtlich nicht akzeptabel. Es hat sich jedoch im Laufe der Zeit gezeigt, dass dies der einzig richtige Ansatz zur Rolle und Aufgabe des Staates ist, wie es Böckenförde beschreibt.26 Es kann nicht vergessen werden, dass die Beziehungen zwischen Staat und Kirche mehrdimensional sind. Stawrowski schrieb in Anlehnung an Böckenförde: „Die Freiheit, die der liberale Staat für seine Bürger garantiert, sollte von innen durch eine für alle Personen gemeinsame ethische Substanz reguliert werden, welche dem Christentum seine Identität und seinen Inhalt verdankt.“27 Die Bedeutung der Kirche für den modernen Staat sollte nicht vernachlässigt werden, man soll dabei jedoch nicht vergessen, dass ein demokratischer Staat auf dem Prinzip der Freiheit und Gleichheit aller Bürger basiert. Das Denken von Ernst-Wolfgang Böckenförde ist auch den polnischen Verfassungsrichtern gut bekannt. Professor Andrzej Zoll, Präsident des polnischen Verfassungsgerichts in den Jahren 1993 – 1997, traf Böckenförde einige Male in Deutschland und in Polen: sie besprachen die angemessene Rechtsstaatlichkeitsform, welche die Republik Polen annehmen sollte.28 2004 war Böckenförde Ehrengast bei den 4. Józef-Tischner-Tagen in Kraków, einer internationalen Konferenz, die dem Denken des 2000 gestorbenen Józef Tischner gewidmet war. Viel mehr Teilnehmer als erwartet waren zu seinem Vortrag gekommen, und die Amphitheater-Halle des Krakauer Collegium Witkowskiego platzte aus allen Nähten wegen der großen Anzahl von Zuhörern. Böckenförde hat an diesem Abend auch an der Debatte in der „Höhle der Philosophen“ teilgenommen.29 Sein Vortrag über „Freiheit-Staat-Religion im sich vereinigenden Europa“ berührte die aktuellen politischen Probleme Polens,

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Zbigniew Stawrowski, Wokół idei wspólnoty, Kraków 2012, S. 211. Siehe Stawrowski (Fn. 25). S. 212 – 217. 27 Stawrowski (Fn. 25). S. 217. 28 Vgl. eine persönliche Mitteilung von Andrzej Zoll. 29 Die Höhle der Philosophen ist die Bezeichnung für philosophische Auseinandersetzungen mit dem Weintrinken, offen für Alle ohne festes Zeitlimit. Es kann mit den amerikanischen Nächten der Philosophen verglichen werden – einer Tradition von Treffen, die dem Gedankenaustausch gewidmet sind. http://www.ekumenizm.pl/religia/inne/dni-tischnerowskiepo-raz-czwarty/ (am 10. 03. 2018 abgerufen). 26

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das gerade Mitglied der Europäischen Union geworden ist.30 Böckenförde legte seine Ansicht über das Verhältnis von Staat und Religion in einem demokratischen Staat dar. Er zeigte, dass ein demokratischer Rechtsstaat die Gewissens- und Glaubensfreiheit garantiert. Deswegen kann der Staat nicht auf eine gewählte Religion fundiert werden. Böckenförde betonte auch in seiner Darstellung, dass ein demokratischer Staat keine eigenen ethischen Grundlagen schaffen kann. Er ist vielmehr darauf gegründet, was in einer Gesellschaft ausschlaggebend ist – nämlich auf das Ethos seiner Bürger. Ein Teil der polnischen Bürgerschaft würde befürworten, dass Polen als katholisches Land sein Grundgesetz auf die katholische Ethik stützt. Böckenförde wies darauf hin, dass dies einen Ausschluss derjenigen mit sich bringen würde, die keine katholischen Gläubigen sind. Zugleich bemerkte er, dass Religion innerhalb einer Gesellschaft für einen demokratischen Staat sehr wichtig sei, weil sie Werte vermittele. Der Staat sollte deshalb eine Ordnung für jeden bleiben. Der Vortrag fasste viele Punkte in den Artikeln von Böckenförde zusammen, die sich auf die Themen von „dem Ethos der modernen Demokratie“ und „der Gewissensfreiheit“ beziehen. Diese Veranstaltung fand eine vergleichsweise breite Medienberichterstattung.31 Dazu gehörte auch die größte meinungsbildende Zeitung in Polen, „Gazeta Wyborcza“.32 Die Zeitung äußerte zur Rede von Böckenförde kein Urteil, sondern präsentierte nur ihre wichtigsten Elemente, mit besonderer Berücksichtigung einer Frage, die zu dieser Zeit stark diskutiert wurde: Worauf sollte das System des positiven Rechts gründen? Die Zeitung hat dieses Thema nicht weiter ausgeführt; es kann jedoch aus dem Inhalt der Pressemitteilung abgeleitet werden, dass sie Böckenfördes Position bezüglich der imperativen Neutralität des Staates gegenüber der Religion unterstützte. Dies ist insofern wenig überraschend, als „Gazeta Wyborcza“ eine liberale Zeitung ist. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Tatsache, dass Böckenförde einer der ständigen Mitglieder der Castelgandolfo-Gespräche war, wo er regelmäßig polnische Intellektuelle traf. Das gleiche kann über das Institut für die Wissenschaften vom Menschen gesagt werden, mit dem er mehrere Jahrzehnte verbunden war. Böckenförde wurde auch von der polnischen Stiftung „Werk des neuen Jahrtausends“ (Dzieło Nowego Tysia˛clecia) für den prestigeträchtigen Preis TOTUS 2004 nominiert, in der Kategorie „Förderung der Lehre von Johannes Paul II“.33

30 Dem Beitritt Polens zur EU gingen lebhafte Diskussionen voraus. Im Referendum von 2003 befürworteten über 77 % der Wähler den Beitritt; die Wahlbeteiligung lag bei über 55 %. https://pl.wikipedia.org/wiki/Referendum_w_Polsce_w_2003_roku (am 10. 03. 2018 abgerufen). 31 http://krakow.wyborcza.pl/krakow/1,35796,2060249.html (am 10. 03. 2018 abgerufen). 32 Ibidem. 33 Byrska (Fn. 18), S. 7 f.; vgl. 20 nominacji do nagrody TOTUS 2004, KAI v. 22. 09. 2004. https://ekai.pl/nominacji-do-nagrody-totus/ (am 26. 11. 2019 abgerufen).

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IV. Welche Themen sprechen insbesondere das polnische Publikum an? Im Folgenden möchten wir einen kurzen Überblick über vier Themen vorstellen, welche in den 1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre – als das Denken von Böckenförde den Höhepunkt seiner Popularität in Polen erreichte – am meisten diskutiert wurden und welche offenbar die Probleme der polnischen Gesellschaft widerspiegeln. 1. Ethische Fragen des Landes und die ethischen Grundlagen des Rechts 2. Das Mehrheitsprinzip als Werkzeug, um Entscheidungen für alle verbindlich zu machen – oder, anders gesagt, sind demokratische Entscheidungen immer verbindlich? 3. Der Ethos der Demokratie gegenüber dem Ethos der Kirche 4. Das Böckenförde-Diktum und welche Folgerungen daraus für die Gesellschaft zu ziehen sind

1. Ethische Fragen des Landes und die ethischen Grundlagen des Rechts Die Mehrheit der Polen ist stark mit der katholischen Religion verbunden. Einige von ihnen halten es für ein „Problem“, dass nicht nur den EU-Mitgliedern, sondern auch vielen polnischen Bürgern die Bereitschaft fehlt, Regeln und Vorschriften auf die Prinzipien der katholischen Religion zu stützen. Im Gegensatz dazu erinnert Böckenförde seine Leser daran, dass ein demokratischer Staat das Prinzip der Religion nicht als seine Grundlage nehmen darf und soll. Ein demokratischer Rechtsstaat garantiert die Freiheit des Gewissens und des Glaubens als Grundrecht; daher kann er keine Präferenzen bezüglich eines partikulären Glaubens setzen. Die Ansicht, das Christentum sei eine ideale Staatsgrundlage, war in der polnischen Gesellschaft weit verbreitet; in Polen konnte man in den 1990er Jahren Diskussionen beobachten, die an Westdeutschland in den 1930er und 1950er Jahren erinnerten, mit Gesichtspunkten wie: „Ein Katholik kann Regelungen nicht zustimmen, die in offenem Gegensatz zur katholischen Ethik stehen“ oder „Ein Katholik darf sich solchen Regelungen nicht unterwerfen und will es nicht tun“. Die Demokratie erfordert jedoch die Unterwerfung unter die Meinung der Mehrheit, und ihre Entscheidungen sind verbindlich. Die polnische Gesellschaft lernt immer noch, dass in einem säkularen Staat Verbundenheit mit dem Katholizismus nicht in politische Imperative umgesetzt werden kann. Böckenförde sagt klar und deutlich, die Universalität des Staates erfordere die Neutralität des Staates auf der axiologischen Ebene (bezüglich den konkreten Wertesystemen), was bedeutet, dass der Staat keine bestimmte Ethik vorgibt. Dieses Problem betrifft jedoch die Ethik des Staates auf einer sehr grundlegenden und

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formalen Ebene.34 Wenn der Staat auf ausgewählten ethischen Grundsätzen beruht, welche in den Inhalt des Staates integriert werden, entsteht daraus eine Bedrohung der individuellen Freiheit wegen der „Unterordnung unter die öffentlichen Ziele und Wünsche“.35 In einer solchen Situation kann Demokratie von einer Ordnung der Freiheit zu einer „Lebenstotalität“36 entarten, und die Bürger verlieren die Möglichkeiten der Handlungsfreiheit, während die Gewissensfreiheit verletzt wird. Eine wichtige Aufgabe des Staates ist die Regelung der zwischenmenschlichen Beziehungen, damit allen Bürgern Sicherheit und ein definierter Freiraum garantiert werden können, nach den demokratischen Grundsätzen der Gleichheit und Fairness. In der Folge kann, laut Otfried Höffe, ein „Paradox des politischen Liberalismus“37 vorkommen, das darin besteht, dass Grenzen der Freiheit im Namen von Freiheit, Gleichheit und Fairness gesetzt werden. Böckenförde geht auch davon aus, dass die wirkliche Freiheit die Begrenzung der Freiheit voraussetzt, insofern als demokratische Rechtsstaatlichkeit die Freiheit aller gewährleisten solle.38 Bürger sollen je nach ihren Ansichten nicht unterschiedlich behandelt werden. Obwohl dies ein grundlegender Aspekt der demokratischen Theorie ist, brachte im Polen der neunziger Jahre dieser Ansatz Bedenken und Diskussionen hervor. Das Problem bestand darin, dass im katholischen Mainstream-Denken ein Irrtum (eine Sünde) der Verletzung der Wahrheit glich. Der Mensch ist jedoch frei, und frei zu sein beinhaltet die Freiheit, Fehler zu machen, Sünden zu begehen und diejenige Wahrheit abzulehnen, die die Kirche verwirklicht sehen will. Dies war und ist schwer zu verstehen für die Kirche, die glaubt, dass die Menschen vor Fehlern und Sünden geschützt werden müssen. Besonders die Katholiken, die an den Ansichten der „geschlossenen Kirche“ festhalten, haben damit Probleme, was sich bei ihnen in mangelnder Zustimmung für die auf eine substantielle (ontische) Ethik begrenzte Staatsethik ausspricht. Sie meinen damit, der Staat solle alle Menschen vor dem Fehler schützen, ihre Freiheit in unangemessener Weise zu nutzen. Die Verpflichtungen des Staates sind in den Augen dieser Katholiken nicht auf die Gewährleistung der Freiheit beschränkt, sondern erweitern sich auf die Durchsetzung des Sittengesetzes, das den Menschen helfen soll, im Sinne der katholischen Ethik „gut“ zu sein. Böckenförde betont, der Staat handele nur so lange ethisch, wie er seine Funktionen ausübt, ohne die Grenzen seiner Autorität zu überschreiten. Die Legitimität der staatlichen Autorität beruht auf zwei Prinzipien: Fairness und Gesetzmäßigkeit.39 Die Aufgabe des Staates kann laut Böckenförde nicht darin bestehen, einige spezifische ethische Forderungen zu erfüllen. Der Staat ist eine formale Struktur: Er bildet

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In der Philosophie würde man hier von der ontologischen Ebene sprechen. Böckenförde (Fn. 8), S. 167 – 168. 36 Böckenförde (Fn. 8), S. 168. 37 Otfried Höffe, Etyka pan´stwa i prawa (Ethik von Staat und Recht), Kraków 1992, S. 7. 38 Böckenförde (Fn. 9), S. 13. 39 Böckenförde (Fn. 8), S. 170. 35

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den Rahmen, der mit von den Bürgern frei gewähltem ethischen Inhalt gefüllt werden sollte. 2. Das Mehrheitsprinzip als Werkzeug, um Entscheidungen für alle verbindlich zu machen – oder, anders gesagt, sind demokratische Entscheidungen immer verbindlich? Böckenfördes Texte zeigen klar und deutlich, dass für einen demokratischen Staat nur ein solcher Ansatz zur Rolle und Aufgabe des Staates angemessen ist, und dass nur ein solcher Ansatz die demokratische Stabilität ermöglicht.40 Dies war eine schwierige Lektion, denn es schien, dass nach der Wiederherstellung der politischen Unabhängigkeit die Republik Polen ein Staat sein würde, in welcher alle Standards von der katholischen Kirche festgelegt werden. Der grundlegende Streit betraf die Frage der Freiheit, die mit dem demokratischen Mehrheitsprinzip verbunden war. Nach der Analyse von Böckenfördes Argument, Freiheit solle von den Individuen als Handlungsprinzip gewählt werden, betonte Józef Tischner, dass die Menschen ihre Freiheit anerkennen sollen. Laut Tischner werde „der Mensch erst dann zum Gegenstand der Ethik, wenn er sich seiner Freiheit bewusst wird und diese Freiheit als Handlungsprinzip wählt“.41 Tischner weist darauf hin, dass der Mensch nicht zur Freiheit gezwungen werden kann; er muss frei werden aus eigenem Willen. Nur dann könne die menschliche Person ein Subjekt der Ethik sein und nur dann könne sie sich richtig an demokratischen Verfahren beteiligen.42 Besonders anspruchsvoll war für Katholiken in Polen die Akzeptanz des Mehrheitsprinzips. In einem demokratischen Staat müssen sich alle Bürger dem Willen der Mehrheit unterordnen und sollen die politische Ordnung unterstützen, die durch Mehrheitsentscheidungen festgelegt wird. Dies ist besonders mühselig für diejenigen, die sich in einer Minderheitsposition befinden und deren ethische Werte nicht vom Willen der Mehrheit gestützt werden. Demokratische Lösungen sind verbindlich für alle, unabhängig davon, ob man für sie gestimmt hat oder nicht. Das Individuum ist Teil einer politischen Gemeinschaft, und seine Freiheit drückt sich in der Möglichkeit aus, am politischen Leben teilzunehmen. Böckenförde beschreibt klar und präzise das Funktionieren der Prinzipien von Freiheit, Mehrheit der Stimmen und der ganzen politischen Ordnung. Eine demokratische Ordnung ist eine Ordnung der Freiheit, und diese Freiheit kann, wie Józef Tischner schreibt, für das Individuum schwierig sein und kann sogar ein unglückliches Geschenk werden,

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Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 1978; vgl. Byrska (Fn. 18), S. 116 – 120. 41 Jósef Tischner, Etyka solidarnos´ci i homo sovieticus (Ethik der Solidarität und Homo Sovieticus), Kraków 1992, S. 143. 42 Drzyz˙dz˙yk (Fn. 15), S. 107.

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denn sie erlaubt Fehler, die im Namen der Freiheit erkannt werden müssen.43 Folglich kann Demokratie „unmoralisch“44 werden in den Augen derjenigen, die mit einer politischen Entscheidung nicht einverstanden sind. Demokratie als formale Ordnung beruht jedoch auf eigenen Prinzipien: Werte sind in ihr eingemeißelt, aber nicht als Übermittler einer bestimmten Ethik, sondern vielmehr als universelle Prinzipien, wie die Menschenwürde und Menschenrechte, während demokratische Verfahren durch positive staatliche Gesetze geschützt werden. 3. Der Ethos der Demokratie gegenüber dem Ethos der Kirche Demokratie erweist sich als schwieriges System, weil sie von ihren Bürgern eine bewusste und wiederholte Entscheidung verlangt, in dieser politischen Ordnung zu leben. Demokratien stützen sich auf die Aktivität und auf das Engagement ihrer Bürger. Anders gesagt, „Demokratie muss gewollt sein“. Böckenförde betont diesen besonderen Charakter von Demokratie45: Eine demokratische Ordnung setzt die Gleichheit und Freiheit aller voraus, unabhängig von Hintergrund, Hautfarbe, Geschlecht oder Glauben. Darüber hinaus gewährt die Demokratie, während sie die Rechte aller schützt, keinen Schutz der „Wahrheit“. Wenn eine bestimmte Ansicht für die garantierte Freiheit anderer keine rechtliche Bedrohung darstellt, dann kann sie wie irgendeine andere Meinung zugelassen werden. Um dies zu ermöglichen, nimmt Demokratie, wie Böckenförde schreibt, die Form eines Rechtsstaats an und verzichtet auf jeden Versuch, ausgewählte Wahrheiten zu schützen. Nur als Rechtsstaatlichkeit kann Demokratie Produkt einer reifen politischen Kultur werden.46 Für die Kirche in Polen, besonders für solche Bischöfe und Laien, die eher traditionell oder konservativ sind, könnte ein solcher Ansatz als eine Form der Billigung von Relativismus erscheinen, dem die Kirche nicht zustimmen kann und will. Böckenförde identifiziert das Problem der Beziehung zwischen dem demokratischen Staat und der katholischen Kirche sehr präzise: Die Kirche ist eine gegebene Realität, mit der der demokratische Staat rechnen muss. Die meinungsbildende Rolle der Kirche und die Bedeutung der Religion im menschlichen Leben sind nicht zu vernachlässigen. Sie können jedoch auch nicht absolutisiert werden. Ein demokratischer Staat ist eine religiös gleichgültige Institution.47 Natürlich kann die Kirche die poli43 Jósef Tischner, Nieszcze˛ sny dar wolnos´ci (Das unglückliche Geschenk der Freiheit), Kraków 1997; vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche, Staat – Gesellschaft – Kirche, 1982, S. 29. 44 Vgl. Zbigniew Stawrowski, Niemoralna demokracja (Unmorale Demokratie), Kraków 2008. 45 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Noch einmal: das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche. Erwiderung, Hochland 50:5 (1958), 409 – 421. 46 Böckenförde (Fn. 9), S. 8; vgl. Byrska (Fn. 18), S. 22. 47 Böckenförde (Fn. 45).

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tische Realität des demokratischen Staates durch ihre Gläubigen und deren Einstellungen als Bürger beeinflussen. Die Kirche kann und soll jedoch nicht selbst politisiert werden mit dem Ziel, eine der politischen Mächte zu werden. Böckenförde ist ein klassischer Befürworter eines solchen Denkens über den demokratischen Staat und die Rolle der katholischen Kirche. Die Analysen von Józef Tischner, Szymon Drzyz˙ dz˙ yk und auch Remigiusz Soban´ski – alle drei sind katholische Priester – beziehen sich auf Böckenfördes Texte. Die drei Autoren zeigen, wie wichtig es für die Kirche ist, ihren Platz im demokratischen Staat zu finden, ohne am politischen Prozess beteiligt zu sein.48 Das Ethos der Demokratie und das Ethos der Kirche sind auffallend verschieden. Böckenförde zeigt, wie sie nebeneinander zusammenwirken können, in bester Weise für das Wohl der Gesellschaft und des demokratischen Staates – der Ordnung der Freiheit und Gleichheit. Das Ethos von Demokratie ist formell, das Ethos der Kirche basiert auf der Vision vom guten Leben und von Werten, die verwirklicht werden sollen. Im Polen der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts erforderten diese Fragen eine Übersetzung in die tägliche Praxis des Lebens in einem demokratischen Staat. In den Monaten vor den Wahlen von 1993 wurden von Geistlichen während der Sonntagsgottesdienste Empfehlungen ausgesprochen, für wen die Katholiken stimmen sollten. 4. Das Böckenförde-Diktum und welche Folgerungen daraus für die Gesellschaft zu ziehen sind Die Demokratie in Böckenfördes Theorie wird von Kultur, Geschichte und Gesellschaft bestimmt. Dies heißt, es ist nicht möglich, der Gesellschaft einfach Demokratie durch gesetzliche Regelungen aufzuerlegen, in der Erwartung, dass alles von selbst zusammenpassen wird. Eine demokratische Ordnung sollte vielmehr von breiten Gesellschaftskreisen gewünscht und akzeptiert werden. Demokratie in Böckenfördes Auffassung erscheint als brüchig und sensibel – sie sei stark abhängig von etwas, das sie sich selbst nicht gewähren kann, obwohl gerade darauf ihre Existenz und Funktionsfähigkeit gründet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. […] Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und –

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Drzyz˙dz˙yk (Fn. 15), S. 125 – 130, Soban´ski (Fn. 17), S. 63 – 74.

Die Rezeption des Politischen und Konstitutionellen Denkens in Polen

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auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat“.49

Interessanterweise wurde dieses berühmte Diktum in Polen relativ wenig schriftlich kommentiert im Vergleich zu den Analysen der Rolle, welche die katholische Kirche in einem demokratischen Staat spielen soll.50 Es ist relativ schwierig, die Verweise auf dieses Diktum in polnischen Analysen von Böckenfördes Schriften zu finden. Es wurde über das Christentum und Demokratie diskutiert; es fanden wissenschaftliche Debatten darüber.51 Der Sinn dieses Paradoxes muss trotzdem sorgfältig analysiert werden, weil es die Argumente für die Legitimität der aktiven Präsenz der Kirche im gesellschaftspolitischen Leben (wenn auch nicht in den staatlichen Institutionen) liefert, als eine der Kräfte, die die Demokratie mit ihren Existenzgrundlagen versorgt. Die Rolle der Religion im menschlichen Leben soll jedoch nicht überschätzt werden. Ebenso wichtig ist, dass die Kirche nicht politisiert werden soll, denn dies würde sie auf eine der regulären politischen Parteien oder Vereinigungen reduzieren. Ein solcher Ansatz mag für diejenigen schwer zu verstehen sein, die ihre eigenen Überzeugungen als verbindliches Gesetz sehen möchten. Aber nur ein solcher Ansatz kann eine Garantie dafür sein, dass die demokratische Ordnung einen Freiraum für alle konstituiert. Die Frage ist, wie genau die Voraussetzungen, welche für das Funktionieren der Demokratie unerlässlich sind, ihre Existenzgrundlage bilden. Wiederum ist zu betonen, dass laut Böckenförde das Funktionieren einer Demokratie von den Menschen abhängt, von ihren Meinungen und davon, wie sie die formale Struktur anhand des richtigen Inhalts lebendig machen.52

V. Schlussfolgerungen Die Aufnahme des politischen und konstitutionellen Denkens von Böckenförde in Polen konzentrierte sich auf seine vielen detaillierten Analysen zu den ethischen Grundlagen des Staates, der Demokratie, und vor allem zur Rolle der Kirche. Böckenfördes Schriften waren in den 1990er und 2000er Jahren besonders populär, weil polnische Intellektuelle, Priester und Gelehrte in seiner Arbeit Antworten finden konnten zu ernsthaften Problemen, vor welchen die junge Demokratie damals in einem Land stand, in dem eine zentrale Stellung eingenommen wurde und immer wieder wird von der katholischen Kirche, der es schwer fällt, den richtigen Platz in der neuen Demokratie zu finden. Ein demokratischer Staat, der unter anderem auf dem Freiheitsprinzip basiert, kann keine bestimmten Werte und Ethik auferlegen. Verstehen und Üben der Demokratie ist eine schwierige Aufgabe, die ständig von neuen Herausforderungen begleitet wird. Böckenfördes Analysen geben hilfreiche 49

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. Byrska (Fn. 18), S. 10, 23. 51 Siehe Fn. 20. 52 Byrska (Fn. 18), S. 52 – 64.

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Antworten auf die Fragen, wie die Praxis der Demokratie durchgeführt werden kann und wie die Demokratie angemessen verstanden werden soll. Böckenförde ist ein klassischer Denker der Demokratie als einer formalen Ordnung, in welcher die Kirche eine wichtige unterstützende Rolle spielt. Die Kirche kann zwar dem Staat zum richtigen Funktionieren verhelfen, aber unter einer Bedingung: dass sie keine politische Macht ist und dass sie nicht bestrebt ist, eine politische Macht zu werden. Stattdessen übt sie Einfluss durch ihre Gläubigen aus, welche, die demokratischen Verfahren respektierend, die sozialpolitische Ordnung in ihrem Land zu verbessern versuchen in dem Bewusstsein, dass sie eine Ordnung für alle sein sollte, unabhängig von individuellen Werten und Überzeugungen. Damit machte es sich die polnische Gesellschaft sehr schwer. Noch eine Bemerkung könnte man hinzuschreiben. Polen in der Vergangenheit, schon im Mittelalter und vor allem in der Renaissancezeit, war ein Land, in dem viele verschiedene Nationen nebeneinander lebten. Multikulturalität war sogar in dem Namen des Landes zu sehen: Das polnisch-litauische Commonwealth. Zu den Zeiten von Jagiellonen (und auch später) herrschte auch die religiöse Toleranz. Bis zu dem zweiten Weltkrieg war Polen ein Land, wo Multikulturalität zum täglichen Leben gehörte. Verschiedene Kulturen, Sprachen und Religionen waren in Polen zuhause. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es gar keine Konflikte gab. Alles hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg geändert, Polen wurde zu einem Land, in dem nur eine Nation lebt und diese Nation ist katholisch, obwohl es religiöse und andere Minderheiten immer noch gab; sie waren klein und hatten nur geringe Bedeutung. In der kommunistischen Zeit spielte die Kirche in Polen eine sehr bedeutende Rolle als Zufluchtsort und Raum für freies Denken. Nach der Wende im Jahre 1989 musste die polnische Gesellschaft lernen, wie die Kirche in dem demokratischen freien Staat funktionieren soll. In den Schriften Böckenfördes kann man wichtige Hinweise finden, wie zugunsten des Staates, der Gesellschaft und der Kirche, das Leben im demokratischen freiheitlichen Staat organisiert sein soll. Wie Böckenförde schrieb, hängt alles von dem Menschen und seinen Einstellungen ab.

Folgenlose Lektüre? Zur Böckenförde-Rezeption in Polen und Italien Von Otto Kallscheuer, Sassari/Berlin

I. Einführung Meine Randbemerkungen zur polnischen Rezeption der Arbeiten Ernst-Wolfgang Böckenfördes sind nicht die eines Juristen, sondern die eines Zeitzeugen. Ich habe in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts an einigen der ,politisch-theologischen‘ Debatten teilgenommen, in denen Böckenförde seine Kompetenz und Identität (et civis et christianus) prominent eingebracht hat. Die Konferenzen fanden in Wien statt, in Warschau, und auch in Rom (genauer gesagt in der Sommerresidenz des Papstes, in Castelgandolfo in den Albaner Bergen). Organisiert wurden sie vom Wiener „Institut für die Wissenschaften von Menschen“ (IWM). Das war ein unabhängiges, in der Endphase des Kalten Krieges auf neutralem Boden von einem Polen im Exil gegründetes philosophisch-politisches Institut aus europäischem Geiste. Es verkörperte somit auch jene Tradition eines ,offenen Katholizismus‘, von der Joanna Byrska berichtet;1 und es knüpfte ebenso an eine damals (noch) prominente europäische Dimension innerhalb des polnischen Nationalismus, dessen politische und kulturelle Exponenten ja in den letzten Jahrhunderten häufig im westeuropäischen Exil gelebt hatten.2 Beide Akzentsetzungen fanden im Werk und Wirken des deutschen Juristen, Katholiken und Sozialdemokraten Böckenfördes wichtige Ansatzpunkte oder ,natürliche‘ Wahlverwandtschaften, die dann auch auf die akademische Rezeption seiner Arbeiten in Polen ausstrahlen sollten – übrigens gehörte Böckenförde auch zum wissenschaftlichen Beirat des IWM und war auch dessen Vize-Vorsitzender. Später allerdings, im neuen Jahrtausend, sollten sich in der offiziellen polnischen Politik ebenso sehr wie in der polnischen katholischen Kirche andere, eher illiberale Einflüsse in den Vordergrund drängen. – Jedenfalls: das ,Momentum‘, für das die intensive Böckenförde-Rezeption im nachkommunistischen Polen stand, scheint heute vergangen.

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Siehe oben, S. 70, 73. Man denke nur an Frédéric Chopin oder Adam Mickiewicz.

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II. Ernst-Wolfgang Böckenförde und der „offene Katholizismus“ in Polen Doch treten wir einen Schritt zurück. In den achtziger Jahren waren die europäischen und transatlantischen Verbindungen aus dem intellektuellen Milieu eines ,offenen Katholizismus‘ ein wichtiges kulturelles Kapital für das IWM bzw. für seinen Gründer Krzysztof Michalski – einen jungen polnischen Philosophen, der gerade beim Husserl-Archiv in Köln geforscht hatte, als in Polen General Jaruzelski 1981 das Kriegsrecht einführte, und der sich daraufhin entschloss, im Ausland ein intellektuelles Diskussionsforum zu initiieren. In erstaunlich kurzer Zeit gelang es ihm, im sozialdemokratischen Wien das IWM als Ost-West-Institut, als einen Knotenpunkt politischer und sozialwissenschaftlicher Debatten für die Jahrzehnte der Wende in Osteuropa zu etablieren.3 Neben amerikanischen Verbindungen zu Universitäten und Stiftungen4 war in diesem Netzwerk der Krakauer Priester und Philosophieprofessor Józef Tischner (1931–2000) eine wichtige Gestalt. Er war zugleich Prediger und Seelsorger der freien Gewerkschaft und antikommunistischen Nationalbewegung Solidarnosc. Vor allem war Tischner ein persönlicher Freund des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyla, der 1978 zum Papst gewählt worden war. Und diese direkte Verbindung zu Johannes Paul II. eröffnete nun dem IWM die Möglichkeit, in der Sommerresidenz des römischen Pontifex alle Jahre „Castelgandolfo-Gespräche“ zu politischen und kulturellen Zeitfragen zu veranstalten. In Anwesenheit des polnischen Papstes wurden hier in den achtziger Jahren auf hohem intellektuellen Niveau ,Stichworte zur geistigen Situation der Zeit‘ ausbuchstabiert: Wissenschaftsfortschritt und Menschenbild – Krise und Moderne – liberale Gesellschaft und Civil Society – Europa und die Folgen – Aufklärung und Soziale Ordnung – Identität im Wandel.5 An fast allen dieser Konferenzen nahm auch Böckenförde teil. Schließlich konnte er hier auf höchster Ebene jene ethischen Motive zur Sprache bringen, die bereits sein gesamtes öffentliches Leben als politisch aktiver Katholik in der Demokratie bestimmt hatten.6 Ein Bundesverfassungsrichter der westdeutschen Demokratie hielt am päpstlichen Hof Grundsatzreferate zu Fragen der Ordnungspolitik des künftigen Europa: dem Menschenbild in der Rechtsordnung, dem Begriff der Nation, den Ord3 Vgl. Krystof Michalski, Nach dem Umbruch im Osten Europas: Was tun? (1993), Transit 50 (Sommer 2017), S. 112 – 121. Diese letzte Ausgabe der am IWM herausgegebenen Zeitschrift „Transit“ präsentiert einen mehrstimmigen sozial- und kulturwissenschaftlichen Rückblick auf die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen nach 1989 in Mittel-OstEuropa und ehrt damit auch das Vermächtnis Michalskis (gest. 2013). – Hinweis: Auch ich (O. K.) gehörte für einige Jahre zur Redaktion von „Transit“. 4 Die Konferenz in Warschau z. B. wurde auch von der Open Society Foundation (i. e. George Soros) unterstützt. 5 Siehe meinen Konferenzbericht: Otto Kallscheuer, Wenn jeder zum Schiedsrichter wird, Die Zeit 36 (1994), 2. 9. 1994. 6 Vgl. die Aufsatzsammlung mit Beiträgen Böckenfördes aus einem halben Jahrhundert: Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit, 2004.

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nungsideen der Französischen Revolution und dem staatsrechtlichen Ausnahmezustand. Nota bene: die Teilnehmer an diesen Debatten waren keineswegs überwiegend katholische Denker!7 Es ging auch nicht um Kirchenpolitik. Doch die Diskussionen fanden unter den Augen eines Pontifex statt, der zu recht weltweit als erster Menschenrechtsaktivist auf dem Stuhle Petri galt und der zudem in seiner Heimat als Schutzpatron der freien Bürgergesellschaft angesehen wurde. Und zu den Themen gehörten einige der wichtigsten (meta-)politischen Streitfragen, zu denen der Untergang des osteuropäischen Kommunismus und der Sieg des Westens im Kalten Krieg Anlass gab: das Verhältnis von liberalen Freiheiten und Bürgergesellschaft, die Beziehungen zwischen europäischer und nationaler Identität, die Rolle der (kirchlich) organisierten Religion im Verfassungsstaat. Alle diese Themen waren ja zugleich Anfragen an die nachkommunistische politische und Verfassungsordnung, die sowohl von der bürgerrechtlichen Opposition in Polen aufgeworfen als auch vom (meta-)politischen Magisterium des polnischen Pontifex artikuliert worden waren.8 Kurz: Die Hoffnung auf einen „neuen Anfang für Europa“ gehörte in Castelgandolfo zum Erwartungshorizont der Beteiligten.9 Auch intellektuelle Vertreter der polnischen Opposition aus der Heimat und aus dem Exil nahmen an der Debatte teil. Ich nenne nur einen von ihnen: den Mittelalterhistoriker, Solidarnosc-Vertreter und späteren polnischen Außenminister Bronislaw Geremek. Er plädierte in einer der Castelgandolfo-Debatten energisch dafür, die historischen Wurzeln jener Europäischen Gemeinschaft, deren Mitglied ja das nachkommunistische Polen unbedingt werden wollte, nicht nur auf das ,karolingische‘ Abendland der katholischen EG-Gründungsväter Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi und Robert Schuman zu beschränken, sondern auch das kulturelle Gedächtnis der ,ottonischen‘ Osterweiterung des Heiligen Römischen Reichs stärker mit einzubeziehen: also die Zeit der ersten ,Westintegration‘ des späteren Gebiets von Polen durch eine von Kaiser und Papst forcierte Christianisierung. Alle anderen Diskutanten (auch Böckenförde) waren leicht irritiert angesichts dieses eigenartigen Plädoyers. Man mochte es aber auch als bloße Metapher verstehen, als historistisch missglückte rhetorische Formel für: „Wir liberale und demokratische Polen wollen auf jeden Fall in die EG!!“ – Übrigens: In seinem Nachwort (2006) zur Neuauflage der klassischen Studie Hans Maiers über die Vorgeschichte der christlichen Demo7

Ich nenne nur einige der Teilnehmer: Ralf Dahrendorf, Hans-Georg Gadamer, Ernest Gellner, Leszek Kolakowski, Reinhart Kosellek, Emmanuel Roy Ladurie, Emmanuel Lévinas, Paul Ricoeur, Charles Taylor, René Thom, Robert Spaemann, Carl Friedrich von Weizsäcker. 8 Insbesondere in der Sozialenzyklika Johannes Pauls II., Centesimus annus (1991). Böckenförde gab später auch eine Textauswahl von Schriften und Predigten des polnischen Papstes heraus: Johannes Paul II., Gewissen der Welt, mit einer Einführung von E.-W. Böckenförde, 2002. 9 Vgl. Bruce A. Ackerman, Ein neuer Anfang für Europa, 1993. Auch dieses Buch des amerikanischen Rechtsphilosophen, der für die Staaten Mittel- und Osteuropas eine ,konstituierende‘ Neugründungsphase fordert, ging u. a. aus Vorlesungen am IWM in Wien hervor.

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kratie sollte Bronislaw Geremek dann später gerade keine nationalpolnische Christdemokratie fordern, sondern für das aufgeklärte Erbe des europäischen Föderalismus eintreten.10

III. Böckenförde-Rezeption im Kontext politischer Opposition Die recht schnelle Übersetzung vieler rechts- und staatsphilosophischen Arbeiten Böckenfördes ins Polnische erklärt sich vor diesem Hintergrund nicht nur aus ihrer fraglosen analytischen Schärfe und hohen argumentativen Qualität. Es gab in Polen vielmehr in den Jahren des Runden Tisches und der Übergangsphase danach auch eine spezielle ,Marktlücke‘ für einen katholischen Rechtstheoretiker von der Substanz Böckenfördes, eine ganz spezifische intellektuelle Nachfrage nach seinen Schriften. Dieses Interesse erklärt sich natürlich aus der besonderen Rolle, die in Polen die katholische Kirche insbesondere in den achtziger Jahren bei der Unterstützung der antikommunistischen Opposition gespielt hatte und die sie nun zur Garantin eines die politischen Lager übergreifenden Vertrauens im Übergangsprozess zur Demokratie zu prädestinieren schien.11 Vertreter wie Kritiker der Kirche waren auf der Suche nach angemessenen theoretischen wie politischen Argumentationsmustern für einen demokratisch selbstbewussten (Laien-)Katholizismus – und auch die Frage einer neuen politischen Rolle der katholischen Kirche in einem demokratischen Polen war damals noch offen. Denn diese ergab sich eben nicht automatisch aus ihren vergangenen Verdiensten bei der Verteidigung von Bürgerrechtsaktivisten wider die kommunistische Staatsmacht. Spezielle Erfahrungen des (west)deutschen Katholizismus waren dabei in Polen freilich irrelevant. Gewiss hatten in Deutschland die Kirchen nach Krieg und Niederlage bei der ,Bewältigung‘ des Sündenfalls der Nation unter der totalitären Diktatur eine wichtige Rolle gespielt12 – und gewiss haben sie darüber hinaus auch den kulturellen Grundton der frühen Bundesrepublik geprägt. Aber das Verhältnis des deutschen Katholizismus zum deutschen Nationalstaat war gelinde gesagt, ein historischpolitisch völlig anderes, weitaus konfliktreicher und gebrochener. Der Hinweis auf den ,Kulturkampf‘ mag hier ausreichen. Und auch in der speziellen Nachkriegssituation nach dem Untergang des ,Dritten Reiches‘ trat bei führenden katholischen Politikern – in primis: bei Konrad Adenauer – der Bezug zur deutschen Nation gegen10 Siehe Bronislaw Geremeks Nachwort zu: Hans Maier, Gesammelte Schriften, Bd. 1: Revolution und Kirche: zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie, 2006. 11 Vgl. José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago, Ill./London, UK 1994, Kap. 4; Anna Grzymala-Busse, Nations Under God: How Churches use Moral Authority to Influence Policy, Princeton, NJ/Oxford UK 2015, Kap. 4. 12 Eine besondere Betrachtung verdiente der Briefwechsel mit dem polnischen Episkopat nach dessen offenem Brief an die deutschen Bischöfe „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ (von 1965).

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über der Bindung an den Westen (und kulturell: an das christliche Abendland) deutlich in den Hintergrund.13 Welches aber war nach dem Kalten Krieg in der polnischen Demokratie die Aufgabe einer Rom-getreuen Volkskirche? Nach Jahrzehnten sowjetischer bzw. ,russischer‘ Fremdherrschaft, in denen (wie es hieß) alleine die katholische Kirche die unverfälschte Einheit der polnischen Nation verkörpert hatte! (Ähnlich wie sie dies bereits zuvor in den Jahrhunderten der polnischen Teilungen getan hatte?) Wenn nun das neue alte Polen auch eine neue Verfassungsgestalt als Nation zu finden hatte – welche Rolle sollte in diesem Prozess die für den Erfolg der antitotalitären Bewegung in Polen so entscheidende katholische Kirche spielen?14 Reichte zur Ortsbestimmung der Kirche in der neuen polnischen Demokratie etwa das Vertrauen in die sakrale Einheit des Volkes unter seiner ,Königin‘, der Gottesmutter Maria aus?15 Oder brauchte die polnische Kirche nun auch ein aggiornamento ihres Selbstverständnisses, das auch den Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils Rechnung trug? Im Abschied von der Leitidee eines katholisch-konfessionellen Staats durch die Konzilserklärung zur Religionsfreiheit Dignitatis humanae, für deren Durchsetzung auf dem Zweiten Vaticanum ja der Krakauer Erzbischof Wojtyla eine entscheidende Rolle gespielt hatte (neben den Dossiers des amerikanischen Theologen John Courtney Murray SJ), lag ja auch der wohl direkteste politisch-theologische Berührungspunkt zwischen den Schriften Böckenfördes und dem Wirken Wojtylas.16

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Vgl. meine Bemerkungen: Otto Kallscheuer, Abendland – Deutschland – Europa, in: Winfried Brömmel/Helmut König/Manfred Sicking (Hrsg.), Populismus und Extremismus in Europa, 2017, S. 167 ff. 14 Im Polen der neunziger Jahre war die Frage der neuen Verfassung ja auch mit dem neuen Staatskonkordat verknüpft, siehe Grzymala-Busse (Fn. 11), S. 165 f. Später trat dann auch die Diskussion um die Evokation der christlichen Tradition in einer (möglichen) Verfassung der Europäischen Union hinzu, für die sich der polnische Papst zum wortmächtigen (aber nicht erhörten) Advokaten gemacht hatte. Man vgl. dazu das – deutlich zurückhaltendere – Vorwort Böckenfördes zum Büchlein des U.S.-amerikanischen Verfassungsjuristen J. H. H. Weiler, der als orthodoxer Jude für die konstitutionelle Bedeutung des Christentums im Telos der europäischen Einigung plädierte, in: Joseph H. H. Weiler, Ein christliches Europa, Salzburg/ München 2004, S. 8 – 14). 15 Bekanntlich ist „Radio Maria“ das populäre Sprachrohr eines reaktionär-nationalistischen Katholizismus, der auch zu den Unterstützern der aktuellen PiS-Regierung gehört. 16 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenfördes „Gedanken eines Juristen“ zum Zweiten Vatikanischen Konzil: Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, Stimmen der Zeit 176 (1965), S. 199 – 213; seine Einführung in die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ (lateinisch und deutsch), 1968, S. 5 – 21; sowie ein Aufsatz dess., Die Bedeutung der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit, Stimmen der Zeit 204 (1986), S. 303 – 312.

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IV. Katholizismus und Nationalismus Doch die umstandslose Identifikation von ,polnisch‘ und ,katholisch‘ ist kein widerspruchsfreier Traditionsstrang in der polnischen Nationalgeschichte – und dies nicht allein wegen der polnischen Teilungen.17 Noch bis zum Zweiten Weltkrieg war Polen ein zwar mehrheitlich katholischer, doch zugleich multi-konfessioneller Staat: nur ca. zwei Drittel der Bevölkerung waren ethnische Polen und Katholiken, gut ein Fünftel Orthodoxe (Ukrainer, Belorussen, auch Griechisch-Katholische), ein gutes Zehntel Juden und noch ein paar Prozentpunkte deutsche Protestanten. Erst die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs machten Polen in seiner konfessionellen Zusammensetzung zu einem 90-%-ig katholischen Land: die Verfolgung und Ermordung eines Großteils der polnischen Juden, die Flucht- und Vertreibungswellen bei und nach Kriegsende, die geopolitische Verschiebung des polnischen Staatsgebiets auf der Yalta-Konferenz der Drei Großen, Bevölkerungsverschiebungen, Umsiedlungen und Vertreibungen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Zur immer stärkeren symbolischen ,Fusion‘ zwischen kirchlicher und nationaler Identität aber kam es erst später: zunächst durch eine erfolgreiche Symbolpolitik des polnischen Episkopats unter dem Kommunismus und sodann durch die Rolle der katholischen Kirche bei der Verteidigung der Zivilgesellschaft gegen den kommunistischen Staat. Und diese starke Rolle der Kirche in der letzten Phase der kommunistischen Herrschaft, in der sie sowohl einen Schutzraum für die antikommunistische Opposition geboten hatte als auch ihre eigene institutionelle Macht in kontinuierlichen Verhandlungen mit der Staatsführung verstetigen und ausbauen konnte, wurde dann noch – wie von Gottes Gnaden – verstärkt und bestätigt durch den symbolischen Mehrwert eines charismatischen polnischen Patrioten auf dem Heiligen Stuhl. Jetzt erst war die symbolische ,Fusion‘ von nationaler und religiöser Identität Polens – ich wiederhole: die keineswegs das ,natürliche‘ Ergebnis von zwei Jahrhunderten polnischer Teilungen war – auch zu einer politischen Machtressource geworden. Es war eine offene Frage, wie die Kirche damit verantwortlich umgehen sollte. Die polnische Kirche hätte sich – im Aufbau der neuen Demokratie – durchaus darauf beschränken können, ihre institutionelle Autonomie definitiv (legal, finanziell, in ihrem Einfluss auf die religiöse Erziehung) abzusichern. Damit hätte sie ihren Einfluss auf den politischen Prozess keineswegs verloren, im Gegenteil. Sie hätte aber darauf verzichten können, direkte Richtlinienkompetenz für das staatliche Handeln in Polen einzufordern. Im Übrigen hätte eine solche Haltung auch den Ratschlägen eines demokratischen Katholiken wie Böckenförde entsprochen. Doch statt der Politik eines zwar institutionell garantierten Zugangs zum öffentlichen Leben, aber einer nur indirekten, moralischen Einflussnahme auf die Grundentscheidungen in Staat und Gesellschaft, wollte die polnische Kirche in den neunziger Jahren direkt in das politische Leben der Nation eingreifen: bei der Verfassungsdebatte, in der Er17 Geht man noch weiter zurück, so war das polnisch-litauische Commonwealth eine multikonfessionelle Adelsrepublik und einer der tolerantesten Staaten im Europa des konfessionellen Zeitalters: sogar die Sozinianer genossen hier Religionsfreiheit!

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ziehungspolitik, bei der Frage der Legalität der Abtreibung und der neueren Reproduktionstechnologien. Kein Wunder, dass eine solche, militant konfessionalistisch agierende Kirche (und ihre Wortführer im parteipolitischen Katholizismus Polens18) die Auseinandersetzung mit den Schriften eines sozial-liberalen Katholiken wie E.W. Böckenförde nicht nötig zu haben glaubte.19

V. Die Prägekraft der katholischen Volkskirche Man mag abschließend die Frage stellen, ob eigentlich der Krakauer und dann römische Bischof Karol Wojtyla eher zur offenen oder eher zur geschlossenen Kirche gehörte. In zentralen Dimensionen seines Wirkens ,nach außen‘ (in der Welt, im saeculum, gegenüber anderen Religionen) gehörte Johannes Paul II. gewiss zur ,offenen Kirche‘ aus dem Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils: in seinem Einsatz für die Menschenrechte, für die Religionsfreiheit, für die Lebensrechte behinderter und schwacher Menschen weltweit. In der politischen Sphäre der Demokratie mochte der charismatische Papst Wojtyla also einen ,reasonable pluralism‘ (John Rawls) der Religionen und Weltanschauungen durchaus akzeptieren – innerhalb der Kirche als Corpus Christi war er jedem artikulierten Dissens abhold. Dieser Papst war also kein Befürworter eines katholisch-konfessionellen Staatswesens – aber er war das Produkt und der Protagonist einer katholischen Volkskirche mit einer weitgehend homogenen theologischen wie politischen Kultur. Und eine solche ethisch homogene ecclesia militans würde sich mit ihren unverhandelbaren Grundentscheidungen auch in der Demokratie durchsetzen – davon war Johannes Paul II. überzeugt, und die erste Hälfte seines Pontifikats, der Untergang des Kommunismus in Osteuropa und die Erfolge der Weltreisen des charismatischen Evangelisten Wojtyla, schienen ihm dabei recht zu geben. Was aber, wenn in der demokratischen Politik der Dissens zur katholischen Moral Überhand nimmt, wenn die Entscheidungen demokratischer Institutionen den Grundauffassungen der römischen Kirche (etwa der katholischen Sexual- und Reproduktionsmoral) widersprechen? Damit es zu dieser Situation gar nicht erst kommen kann, haben sich nicht Johannes Paul II. selbst, wohl aber die führenden Bischöfe der polnischen Kirche (und die Vertreter eines katholischen Nationalismus – übrigens nicht nur in Polen)20 dafür entschieden, die theologisch vorausgesetzte Homogenität des kirchlichen corpus nun auch für die katholische Nation einzufordern.

18 Mitunter ergriff die katholische Kirche sogar direkt parteipolitische Position: in den Wahlen 1991 etwa unterstützte die Kirche eine rechtskonservative Katholische Wähler Aktion (WAK). Heute ist ihre generelle Sympathie mit der regierenden PiS unverkennbar. 19 Zur Charakterisierung Böckenfördes als ,Sozial-Liberaler‘ vgl. Johanna Falk, Freiheit als politisches Ziel. Grundmodelle liberalen Denkens bei Kant, Hayek und Böckenförde, Frankfurt/New York 2012, Kap. 4. 20 Vgl. En Hongrie, Orban soigne le catholicisme identitaire, Le Monde, 13. 02. 2019.

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VI. Die polnische und italienische Böckenförde-Rezeption im Vergleich Italienisches Postscriptum: Auch in der italienischen Böckenförde-Rezeption gibt es ein politisches Paradoxon – oder, wenn man will, eine Unzeit. Bereits die akademische Rezeption, im Bereich der Historiographie der Verfassungslehre, also die Arbeiten des ,Gruppo di Milano‘ um Gianfranco Miglio hatte deutliche politische Obertöne, die durchaus in der Tradition Carl Schmitts gesehen werden können. Gianfranco Miglio galt nämlich als der Verfassungsexperte der ,Lega Nord‘, die damals noch als regionalistische ,weg-von-Rom‘-Partei auftrat – während sie heute eine nationalpopulistische Agenda hat. Gemeinsam ist beiden Phasen der Lega-Politik ihr ,dezisionistischer‘ Charakter, der von Miglio und seiner Gruppe durchaus föderalistisch begründet wurde: Gerade ein stärkerer Föderalismus der in ihrer Autonomie zu bestärkenden Regionen Italiens brauche an seiner Spitze eine starke Exekutive, am besten ein Präsidialsystem: Die Exekutive als Instanz, welche die auf allen Ebenen des Staates wuchernde (und den Staatshaushalt aufblähende) Bürokratie beschneiden sollte, indem sie die Dominanz der ,römischen‘ Parteizentralen im politischen Prozess beseitigt (und damit den Abfluss der Steuergelder in den ,unproduktiven italienischen Süden‘ sperrt). Der Hüter der Verfassung ist zugleich der Hüter des Staatshaushalts. Diese dezisionistische Wendung der norditalienischen Steuer-Revolte drückte bereits damals die Krise des repräsentativen Parteiensystems in Italien aus.21 Und dieses zerfiel dann ja auch als Ergebnis der Anti-Korruptions-Prozesse um die (wenig) ,sauberen Hände‘ der Staatsdiener, was dann zur ,Zweiten Republik‘ Italiens führte: die Christdemokraten und Sozialisten zerfielen v. a. aufgrund der Enthüllungen von mani-pulite, die Kommunisten auch als Konsequenz des Zusammenbruchs des sowjetischen Ostblocks; und es folgten die Jahre der Berlusconi-Regierungen. Heutiger Sieger dieser Entwicklung ist abermals die Lega, welche in der ersten Regierung Conte (bis September 2019) bekanntlich den Innenminister Matteo Salvini stellte, den neuen starken Mann Italiens, der inzwischen unter nationalpopulistischen oder nationalistischem Vorzeichen agiert und agitiert (und damit die ehemaligen Neofaschisten so gut wie überflüssig gemacht hat). Während also Böckenförde bei den italienischen Schmittianern gewissermaßen ,gegen den Strich‘ gelesen, also wider seine eigene ethisch-politische Auffassung rezipiert wurde, stand eine zweite, spätere Phase oder Variante der Böckenförde-Lektüre, die Rezeption seitens linker oder liberal-demokratischer Katholiken unter dem Unstern, dass sie nun keinen echten politischen Adressaten mehr hatte. In Italien wäre ja die ideale Rezeptionsagentur der Ideen und Schriften Böckenfördes eine linksliberale christdemokratische Partei gewesen, die an durch die politischen Kon21 Es gab diverse Versuche, das ,überrepräsentative‘ proportionale Wahlsystem durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Insgesamt scheiterten sie alle bzw. hinterließen ein Wahlsystem, das die Nachteile beider Methoden zu kombinieren scheint. Aber dies wäre ein anderes Thema.

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zeptionen Jacques Maritains inspirierten Traditionen der italienischen Democrazia Cristiana angeknüpft hätte. Aber just diese christdemokratische Tradition, die in Italien mit den Namen Don Luigi Sturzo, Giovanni Battista Montini (dem späteren Papst Paul VI.), Alcide De Gasperi und Aldo Moro verbunden ist, hatte sich in dem Moment, in dem die neuen Diskussionen um Religionspluralismus und demokratischen Staat auf der linken Seite des politisch-ideologischen Spektrums einsetzten, bereits aufgelöst – sei es als Ergebnis von mani pulite, sei es zerrieben in den internen Konflikten der neuen Demokratischen Partei. Das italienische ,Böckenförde-Paradoxon‘ besteht also darin, dass er dort, wo man ihn akademisch rezipiert hat – also bei Miglio und der ,Mailänder Gruppe‘ der Verfassungshistoriker – im Gegensatz zu seinem eigenen ethisch-politischen Auffassungen gelesen wurde, während später eine Böckenfördes eigener politischer Grundhaltung weit näher kommende linksliberale Rezeption (etwa der Intellektuellen um die Zeitschrift Reset) kein parteipolitisches Subjekt mehr hatte, das seine religionspluralistisch argumentierenden Impulse hätte aufnehmen können.

Die Rezeption von Ernst-Wolfgang Böckenfördes Werk in Frankreich Von Sylvie Le Grand, Paris Nanterre Die Forscher, die sich in Frankreich mit dem Werk von Ernst-Wolfgang Böckenförde beschäftigen, scheinen sich darüber einig zu sein, dass sie es mit einem großen Denker, bzw. – wie es Jan-Werner Müller einst scharfsinnig andeutete1 – mit einem Klassiker des politischen Denkens zu tun haben. Im Kontext einer Untersuchung über die französische Rezeption von Böckenförde wird zu fragen sein, worauf eine solche Übereinstimmung beruht und welche Schwerpunkte des facettenreichen Oeuvres des katholischen Juristen und ehemaligen Verfassungsrichters dabei wahrgenommen und diskutiert werden und von welchem Gesichtspunkt aus. Doch hat es den Anschein, als gehe es bei diesen Forschern um wenige happy fews, die sich kaum mit beiden Händen aufzählen lassen. Eine solche Feststellung mag einen auf den ersten Blick erstaunen, zumal die öffentlichen Bibliotheken in Frankreich mit Böckenfördes Werken ziemlich gut ausgestattet sind.2 Folglich wird sich dieser Beitrag mit der Untersuchung eines Paradoxons – des Paradoxons einer späten, vor allem wissenschaftlichen Rezeption in relativ überschaubaren Kreisen – als Arbeitshypothese befassen. Der Begriff Rezeption wird hier in erster Linie wortwörtlich aufgefasst im Sinne von „Kenntnisnahme“, mit allen Varianten, die damit zusammenhängen und von einer mehr oder weniger tiefen, ausführlichen Auseinandersetzung mit dem gemeinten Gegenstand – also dem Werk Böckenfördes – zeugen. Andere Gesichtspunkte 1

Jan-Werner Müller, Carl Schmitt, un esprit dangereux, Texte traduit de l’anglais par Sylvie Taussig, Paris 2007, S. 18, 106, 261. An diesen Stellen erwähnt er jeweils das Böckenfördsche Paradoxon als den meist zitierten Satz im politischen Denken der Nachkriegszeit und die Eigenschaft Böckenfördes als kreativsten Leser Carl Schmitts. 2 Eine Suche im Online-Katalog ccfr.bnf.fr weist im Zusammenhang mit dem Stichwort „Ernst-Wolfgang Böckenförde“ auf 82 Einträge hin, von denen man nur einige wenige irrelevante Hinweise tilgen kann. Im Grunde genommen kann man sagen, dass alle Werke Böckenfördes in ihren verschiedenen Ausgaben in Frankreich erhältlich sind, vor allem und auf jeden Fall im Großraum Paris – sei es in der Nationalbibliothek oder an juristischen Bibliotheken – oder auch in Straßburg. Auffällig ist auch das Vorhandensein von Übersetzungen ins Spanische, Englische und vor allem ins Italienische. Die erste italienische Übersetzung von 1970 ist in Frankreich zugänglich. Der von Olivier Jouanjan ins Französische übersetzte Sammelband von 2000 ist an 49 Universitätsbibliotheken und in der Nationalbibliothek zu finden.

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über Rezeptionsprozesse, etwa im Zusammenhang mit der Rezeptionsästhetik (Hans Robert Jauss) und dem damit verbundenen Begriff des Erwartungshorizontes, oder im Zusammenhang mit den Kulturtransferstudien (Michel Espagne) werden nur begrenzt und punktuell herangezogen, wenn sie fruchtbar gemacht werden können. Auf der Grundlage einer kontextualisierten Bestandsaufnahme sowohl der Übersetzungen von Böckenfördes Aufsätzen als auch der Sekundärliteratur über ihn aus dem französischsprachigen Raum möchte ich hier in einem ersten Schritt versuchen, einen Überblick über die französischsprachige Rezeption von Böckenfördes Werk zu geben. Mir liegt aber daran, über das rein Deskriptive dieses Überblicks hinaus verschiedene (etwa chronologische, thematische, fachwissenschaftliche oder generationenbedingte usw.) Aspekte dieser Bestandsaufnahme zu beleuchten. In der Sekundärliteratur werden wir zudem eine Art Abstufung berücksichtigen, die vom bloßen Zitieren bis zur Fokussierung auf bestimmte Aspekte des Werkes des deutschen Juristen reicht. Die Untersuchung letzterer Schwerpunkte wird uns dann in einem zweiten Schritt zur Frage nach den günstigen oder nachteiligen Faktoren führen, die den Zugang zum Werk Böckenfördes in Frankreich erleichtern oder erschweren. Durch welche Kanäle, Multiplikatoren und in welchem sowohl wissenschaftlichen als auch tagespolitischen Zusammenhang wird dieses Werk zur Kenntnis genommen oder eben nicht rezipiert? Was führt einen dazu, den Weg eines mit Böckenförde Mit-Denkenden zu gehen? Welche Hinter- und Beweggründe kann man in den verschiedenen Herangehensweisen an Böckenfördes Werk erkennen? Welche Adressaten werden dabei angesprochen? Welche Denkblockaden oder verpasste Chancen kann man aber auch umgekehrt erkennen, die womöglich erklären, warum das Denken Böckenfördes in Frankreich noch keinen angemessenen Stellenwert erreicht hat? Dies sind einige der Fragen, auf die wir nun eingehen möchten. Vorerst möchte ich aber auf zwei besondere Schwierigkeiten hinweisen, die mit dieser kleinen Recherche verbunden sind. @ Auf eine deontologische Schwierigkeit: ich bin selbst an der Rezeption Böckenfördes in Frankreich beteiligt, bin gleichsam Richterin und Partei, wie man es im Französischen sagt (juge et partie). @ Durch die minutiöse Spurensuche ergibt sich die Gefahr einer Überschätzung mancher Spuren zugunsten anderer wichtiger Spuren der Rezeption.

I. Eine erste Bestandsaufnahme: die Übersetzungen Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie etwa Italien oder Polen scheint das Kennenlernen mit Böckenfördes Werk in Frankreich recht spät angefangen zu haben. Die erste Übersetzung eines Aufsatzes Böckenfördes, die man bis jetzt bele-

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gen kann, erschien am 8. November 1997 in der linksliberalen Tageszeitung „Le Monde“ unter dem Titel „Les juifs et la trahison allemande“.3 Auffällig ist die ideelle Verkürzung, die mit dieser französischen Übersetzung des deutschen Titels einhergeht, in der einerseits der Verrat als „deutsch“ quasi essentialisiert wird und die im Aufsatz selbst so lichtklare, eigentliche Dimension des Verrats als Verrats am Staatsbürgerschaftsdenken nicht mehr vorkommt. Der Leser kann sich dann aber durch die Lektüre des Aufsatzes selbst ein ganz anderes Bild des Problemkomplexes verschaffen, das Böckenfördes eigentlichem Anliegen und begrifflicher Präzision entspricht. Der Aufsatz wurde in der Rubrik „Horizont-Débat“ ohne jedwede besondere Rechtfertigung und ohne Hinweis auf einen Übersetzer veröffentlicht. Festgestellt wurde dabei nur, dass der Text eine gekürzte und veränderte Fassung eines im Februar 1997 in der Zeitschrift „Merkur“ publizierten Beitrags sei.4 Zeitlich fiel die Veröffentlichung dieses Aufsatzes quasi mit dem Gedenken an die Reichspogromnacht zusammen. Auffällig war auch, dass diese Veröffentlichung mitten im Prozess gegen Papon, der für seine Mitwirkung an den Verbrechen gegen die Juden angeklagt wurde, erfolgte. In den Schlagzeilen der Zeitung wurde auf „einen neuen Ton“ in jenem Prozess hingewiesen und festgestellt, dass der Angeklagte nun über seine Aufgaben als Préfet im Departement Gironde während des 2. Weltkriegs befragt wurde. Eine andere thematisch relevante Schlagzeile sei hier auch erwähnt, nach der „Frankreich der im ehemaligen Jugoslawien mit der Aufklärung der Verbrechen beauftragten Justiz im Wege“ stehe. Bemerkenswert ist bei dieser ersten Übersetzung, dass sie beinahe zeitgleich mit der Erstveröffentlichung des deutschen Originaltextes erschien. Der einzige Sammelband mit ins Französische übersetzten Texten von Böckenförde erschien dann drei Jahre später, im Jahre 2000, im juristischen Verlag LGDJ. Dieser doppelten Leistung einer umfangreichen Übersetzung und Präsentation von Böckenfördes Werk in französischer Sprache ist Olivier Jouanjan zu verdanken, der damals an der Universität Straßburg und am Institut Universitaire de France Professor für öffentliches Recht und Rechtsgeschichte war. Dieser Band mit dem Titel „Das Recht, der Staat und die demokratische Verfassung“5 bietet eine durchdachte Auswahl von Aufsätzen zur Rechts- Politik- und Ver3 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat, Merkur 51 (1997), S. 165 – 170. In den Anmerkungen ergänzte Fassung in: ders., Staat, Nation, Europa. Studien zur Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, Frankfurt/Main 1999, S. 276 – 286. 4 „Professeur émérite de droit public et de philosophie du droit, ancien juge au Tribunal constitutionnel allemand“, so die Vorstellung von Böckenförde im Vortext. Hinzugefügt wurde: „Ce texte est la version abrégée et modifiée d’une contribution à la revue Merkur parue en février 1997.“ Le Monde v. 8. 11. 1997, S. 15. 5 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Le droit, l’État et la constitution démocratique. Essais de théorie juridique, politique et constitutionnelle (réunis et présentés par Olivier Jouanjan. Traduction par Olivier Jouanjan avec la collaboration de Willy Zimmer et Olivier Beaud), Paris/Bruxelles 2000, Einführung (présentation) von Olivier Jouanjan, S. 5 – 47.

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fassungstheorie, wie es der Untertitel andeutet. Die zwölf Aufsätze sind den wichtigen Suhrkamp-Sammelbänden, „Recht, Staat, Freiheit“ (1991) und „Staat, Verfassung, Demokratie“ (1991) entnommen, bis auf einen noch nicht veröffentlichten und undatierten Beitrag: „Prinzipien der Demokratie als Staats- und Regierungsform“. Durchdacht war nicht nur die Auswahl, sondern auch die Gliederung und Reihenfolge der Aufsätze, die der Reihenfolge in den genannten Sammelbänden nicht unbedingt folgt. Die drei Teile des Bandes wurden aussagekräftig betitelt: „der Geist des Rechts“ (zwei Aufsätze), „das Abenteuer des Staates“ (fünf Aufsätze), – alle sieben jeweils aus „Recht, Staat, Freiheit“, – und „die Verfassung der Demokratie“ (vier Aufsätze aus „Staat, Verfassung und Demokratie“ plus den unveröffentlichten Beitrag).6 Kurz, der Band gibt einen vorzüglichen Einblick in grundlegende Aufsätze von Böckenförde, die thematisch, aber nicht chronologisch geordnet sind, und er umfasst zeitlich eine Veröffentlichungsspanne von 1963 bis 1990. Der Leser, der sich für einen solchen chronologischen Ansatz interessiert, kann durch den Nachweis der Erstveröffentlichung jedes Textes die zeitliche Reihenfolge und Entwicklung von Böckenfördes Gedankengang selbst rekonstruieren (so gibt es Texte von 1963, 1965, 1967, 1969, 1972, 1974, 1976, 1978, 1983, 1986, und 1988 – 19907). Begleitet sind diese Aufsätze von einer meisterhaften und substanziellen, nach wie vor unumgänglichen Einführung in das Denken des westdeutschen Juristen.8 Die etwa 40-seitige dichte Einführung untersucht die wesentlichen philosophischen Problemkomplexe und interpretatorischen Knotenpunkte im juristischen Denken Böckenfördes, und zwar unter anderem vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Rechts- und Staatslehre in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. Die besondere Beziehung wichtiger Schlüsselbegriffe zueinander wird dabei speziell beleuchtet: die Bedeutung der Geschichte, in der der Staat und das Recht verankert seien; die Betonung gleichzeitig des Rechts als Ergebnis einer konkreten Vermittlung 6 Hier die Struktur des Sammelbandes (mit deutschen Titeln der Aufsätze und Hinweis auf das Datum der Erstveröffentlichung der Aufsätze in Deutschland): L’esprit du droit (der Geist des Rechts), Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts (1965), Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts (Vortrag 1988, Erstveröffentlichung 1990), L’aventure de l’Etat (das Abenteuer des Staates), Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), Der Staat als Organismus. Zur staatstheoretisch-verfassungspolitischen Diskussion im frühen Konstitutionalismus (1978), Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs (1969), Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat (1963), Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart (1972), La constitution de la démocratie (Die Verfassung der Demokratie), Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts (1986), Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandaufnahme und Kritik (1976), Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation (1974), Prinzipien der Demokratie als Staats- und Regierungsform: noch unveröffentlicht, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion (1983) 7 Hiermit möchte ich auf zwei Daten, das Datum des Vortrags (1988) und das Datum der Erstveröffentlichung des Aufsatzes „zur Kritik der Wertbegründung des Rechts“ (1990) aufmerksam machen. 8 Böckenförde (Fn. 5).

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zwischen dem Bereich der Ethik und dem der Politik und auch als Grundlage der konkreten Freiheit; ferner die höchst dynamische Dimension des von Böckenförde konstruierten Begriffs der Repräsentation und schließlich die entscheidende und weittragende Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im Werk Böckenfördes. Der Band wurde in der akademischen Debatte wohl positiv aufgenommen.9 Auf die durchaus zentrale Rolle von Oliver Jouanjan bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Böckenfördes Werk und auf seine Multiplikatorenfunktion bei der Verbreitung desselben gilt es später noch einmal einzugehen. Nur noch zwei Übersetzungen von Böckenfördes Aufsätzen sind außerdem bis jetzt im Französischen zu verzeichnen: zum einen die Übersetzung von Böckenfördes Beitrag über Europa und die Türkei, die im Jahre 2005 in der alle zwei Monate erscheinenden, intellektuellen Zeitschrift „Le Débat“10 publiziert wurde. Wie 1997 in „Le Monde“ erschien dieser Text fast zeitgleich mit seiner deutschen Originalfassung mit dem Untertitel „Europa am Scheideweg“. Ihr liegt der Vortrag Böckenfördes anlässlich der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken im Jahre 2004 zugrunde. Die französische Übersetzung ist Jochen Hoock11 zu verdanken, einem ehemaligen Schüler Reinhart Kosellecks, studiertem Juristen und Historiker, der Böckenförde in Heidelberg persönlich kennengelernt hatte und mit dem er in Bielefeld weiterhin Kontakt pflegte. Auffällig bei dieser Publikation in „Le Débat“ war, dass der Text ohne jedwede Rechtfertigung und isoliert, aber in einem sinnträchtigen editorialen und tagespolitischen Zusammenhang erschien. Die Ausgabe der Zeitschrift setzte nämlich eine Rubrik fort, die sich unter dem Titel „Frankreich und der Schock des 29. Mai“ mit dem negativen Ergebnis des Referendums zum europäischen Verfassungsvertrags in Frankreich auseinandersetzte. Obwohl Böckenfördes Aufsatz nicht zu dieser Rubrik gehörte, konnte man einen indirekten Bezug dazu feststellen. Zum anderen sei auf eine letzte, im Jahre 2014 online veröffentlichte Übersetzung von Böckenfördes wichtigem Beitrag zur politischen Repräsentation hingewiesen.12 Es handelt sich hierbei um die leicht modifizierte, von Olivier Jouanjan und seinem 9 Siehe die lobende Rezension von Étienne Picard, Revue internationale de droit comparé 53:1 (2001), S. 227 – 229. 10 Die Zeitschrift „Le Débat“ wurde 1980 vom Historiker Pierre Nora gegründet, der ihr langjähriger Direktor geblieben ist. Marcel Gauchet ist deren Chefredakteur. Siehe die Selbstdarstellung der Zeitschrift auf der Webseite des herausgebenden Verlags Gallimard. http://www.gallimard.fr/Catalogue/GALLIMARD/Revue-Le-Debat (am 5. 6. 2019 abgerufen). 11 Ernst-Wolfgang Böckenförde, L’Europe et la Turquie (dans une traduction de Jochen Hoock), Le Débat 137:5 (2005), S. 60 – 72. Jochen Hoock (1939 – 2019) hatte eine deutschfranzösische akademische Laufbahn, die seine Vermittlungsrolle zwischen den beiden wissenschaftlichen Kulturen widerspiegelt. Siehe die Hommagen auf den am 21. 5. 2019 Verstorbenen: http://www.fmsh.fr/fr/30241; https://ict.univ-paris-diderot.fr/actualites/hommage-jo chen-hoock (am 31. 5. 2019 abgerufen). 12 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Démocratie et représentation: pour une critique du débat contemporain, Trivium, Revue franco-allemande de sciences humaines et sociales 16 (2014), Dossier zum Thema „politische Repräsentation“.

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Verleger autorisierte Fassung der Übersetzung des genannten Aufsatzes „Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion“.13 Dieser Text wurde in einem zweisprachigen Dossier zum Thema „politische Repräsentation“ veröffentlicht, das von französischen und deutschen Politikwissenschaftlern in der ebenfalls deutsch-französischen Online-Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften, Trivium, koordiniert wurde. Diese Zeitschrift erscheint meist zweibis dreimal im Jahr im Internet seit 200814 und wurde ausdrücklich als „Medium des Austausches und der Vermittlung zwischen den französisch- und deutschsprachigen Wissenschaftskulturen“ konzipiert, in „konsequente[r] Anwendung des Konzepts der ,regards croisés‘“. Mitfinanziert wird sie von einer Reihe hochkarätiger deutsch-französischer Institutionen und stützt sich auf die Zusammenarbeit von ebenfalls prominenten deutsch-französischen Partnern.15 Dieter Gosewinkel wird als Mitglied des Redaktionsteams angeführt.16 Die Herausgeber des genannten Dossiers, Paula Diehl, Yves Sintomer und Samuel Hayat, waren keine Anfänger in Sachen Repräsentation, sondern einschlägige Experten und entwickeln in ihrer Einleitung weitsichtige Perspektiven über die Vielschichtigkeit des Begriffs. Neben Böckenfördes Aufsatz stehen Texte Adalbert Podlechs, Ronald Hitzlers und Gerhard Göhlers zum Thema, sowie umgekehrt Texte von Catherine Achin, Pierre Rosanvallon, Bruno Latour und Roger Chartier.

II. Überblick über das Rezipieren von Böckenfördes Werk in unterschiedlichen Fachwissenschaften Nach diesem Überblick über die Übersetzungen von Böckenfördes Texten ins Französische betreten wir das weniger klar umrissene Terrain der Sekundärliteratur 13

Erstveröffentlichung: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, Schriftenreihe der juristischen Studiengesellschaft Hannover 11 (1983). Wiederaufgenommen in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie: Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt/Main 1991, S. 379 – 405. 14 2017 und 2016 erschienen sogar jeweils drei bis vier Ausgaben in einem Jahr. 15 Editorial vom 20. 9. 2008 von Hinnerk Bruhns und Gudrun Gersmann: „Wir möchten an dieser Stelle ganz herzlich den deutschen und französischen Institutionen danken, ohne deren Unterstützung Trivium nicht hätte ins Leben gerufen werden können: der Délégation à la langue française et aux langues de France (Ministère de la culture, Paris), der DVA-Stiftung (Stuttgart), der Robert Bosch GmbH (Stuttgart), der Agence Nationale de la Recherche (Paris), der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie dem Centre National de la Recherche Scientifique, dessen Centre pour l’édition électronique ouverte: CLEO Revues.org (Marseille) Trivium beherbergt und technisch unterstützt. „Trivium“ stützt sich ferner auf eine enge Zusammenarbeit zwischen der Fondation Maison des sciences de l’homme (Paris), dem Deutschen Historischen Institut (Paris), dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte (Paris), dem Centre Marc Bloch (Berlin) und dem Institut français d’histoire en Allemagne (Frankfurt a. M.), vormals Mission historique française en Allemagne.“ https://journals.openedition.org/trivium/4661 (abgerufen am 2. 2. 2019). 16 Redaktion: https://journals.openedition.org/trivium/4886 (abgerufen am 2. 2. 2019).

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über Böckenförde. Dieses Feld ist insofern undurchsichtiger als wir es sozusagen mit verschiedenen konzentrischen Kreisen zu tun haben, die von einer mehr oder weniger intensiven Beschäftigung mit Böckenfördes Denken zeugen. Egal ob es sich dabei um eine bloße Erwähnung handelt, oder um eine punktuelle Behandlung zwecks einer zielgerichteten Demonstration oder ob Böckenförde ins Zentrum der Analyse rückt, so zeugen diese verschiedenen Spuren in jedem Fall von einer – allerdings ziemlich späten – Präsenz in gewissen fachwissenschaftlichen Kreisen. Darüber wollen wir hier kurz Rechenschaft geben. In der Sekundärliteratur bewegt sich die Rezeption von Böckenfördes Werk zwischen zwei extremen Polen, der soliden, fachwissenschaftlich strengen Rezeption durch die Juristen einerseits und einem impressionistischen Zitieren andererseits, von dem ganz unerwartet einige Texte von der Psychoanalytikerin und Sprachund Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva gleichsam paradigmatisch zeugen. In den frühen 1990er Jahren sind Jurisprudenznotizen bzw. Chroniken des Rechtskomparatisten und Doktorvaters Olivier Jouanjans, Michel Fromont (geb. 1933) nachzuweisen, in denen die Verfahren des Bundesverfassungsgerichtes scharf beobachtet und erläutert und die Sondervoten des Bundesverfassungsrichters Böckenförde kommentiert werden.17 Michel Fromont, dem Olivier Jouanjan seine eigene Übersetzung und Darstellung von Böckenfördes Werk widmet,18 hatte selbst 1969 eine Übersetzung von Ernst Forsthoffs „Lehrbuch des Verwaltungsrechts“ (Bd. 1 München: Beck, 1961) publiziert.19 Eine Reihe von französischen Rechtskomparatisten und Professoren für öffentliches Recht oder Verfassungsrecht sind hier zu nennen,20 für die der Name Böckenförde wenigstens nicht unbekannt ist, oder die sich aufgrund ihrer Recherchen mit verschiedenen Aspekten von Böckenfördes juristischem Denken auseinandergesetzt 17

Hier seien exemplarisch nur zwei Beispiele genannt: Michel Fromont, Annuaire international de justice constitutionnelle, 6 – 1990 (1992), S. 451 – 459 (in einer thematischen Ausgabe über die Hierarchie der Verfassungsnormen und deren Funktion im Schutz der Grundrechte); ders./Olivier Jouanjan, Annuaire international de justice constitutionnelle, 9 – 1993 (1995), S. 631 – 655 (in einer thematischen Ausgabe über Verfassungen und politische Parteien). Diese Texte sind auf dem Online-Portal persee.fr zu finden. Siehe auch: Michel Fromont, Cahiers du Conseil constitutionnel 20 (Juni 2006), Dossier „Les revirements de jurisprudence du juge constitutionnel“. 18 In dieser Widmung (S. 5 des Böckenförde-Sammelbandes) erwähnt Jouanjan außer der „vorbildhaften“ Leistung Fromonts als Übersetzer von Forsthoff dessen „unermüdliche“ Bemühung im Sinne von inhaltsreichen Beziehungen zwischen deutschen und französischen Juristen. 19 Ernst Forsthoff, Traité de droit administratif allemand (traduit de l’allemand par Michel Fromont [Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil]), Bruxelles 1969. Siehe die Rezension (mit den Anfangsbuchstaben M.-H. B. signiert), Revue internationale de droit comparé, 22:3 (1970), S. 599. 20 So unter anderem Michel Troper, Olivier Beaud, David Capitant. Von Thierry Rambaud wird gesondert die Rede sein.

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haben. Im Mittelpunkt jenes vergleichenden oder gar deutsch-französischen Forschungsmilieus21 ist wiederum die treibende Rolle von Olivier Jouanjan zu nennen, der im Jahre 2002 zusammen mit dem ehemaligen Böckenförde-Schüler und späteren (seit 2008) Bundesverfassungsrichter, Johannes Masing, den „Deutsch-Französischen Kreis für Öffentliches Recht“ mit gegründet hat. Jouanjans umfassende Kenntnis von Böckenfördes juristischem Denken, das sich in dem schon erwähnten, vorzüglichen Einführungstext zum französischen Böckenförde-Sammelband (2000) niedergeschlagen hat, ist vor dem Hintergrund weiterer Forschungsschwerpunkte des französischen Juristen zu betrachten, die seiner Erläuterung von Böckenfördes Werk eine besondere Bedeutung und Tiefe verleihen. Da sind unter anderem seine Forschungen zur Rechtsgeschichte in Deutschland im 19. Jahrhundert und zur historischen Rechtsschule zu nennen, sowie diejenigen zum Rechtsstaat oder zu Hermann Heller22. Seine neueren Aufsätze über Böckenförde beziehen sich auf den säkularisierten Staat und auch die Demokratie-Theorie23. Ferner muss auf die Lehrtätigkeit als höchst wichtigen Transmissionsmodus im Rezeptionsprozess hingewiesen werden. Diesbezüglich ist das Seminar von Olivier Jouanjan im Master für Rechtsphilosophie und politisches Recht zu nennen, das er in den Studienjahren 2017/18 und 2018/19 an der Pariser Universität Panthéon-Assas dem Thema „Mit Carl Schmitt, gegen Carl Schmitt: Ernst-Wolfgang Böckenförde“ gewidmet hat.24 Olivier 21 Siehe z. B. Luc Heuschling, De l’intérêt de la théorie, de la théorie générale de l’État, de la théorie constitutionnelle. À propos d’un livre récent de Matthias Jestaedt, Jus Politicum 5 (2010), S. 1. 22 Olivier Jouanjan, Une histoire de la pensée juridique en Allemagne (1800 – 1918), Paris 2005; ders. (Hrsg.), Figures de l’État de droit. Le Rechtsstaat dans l’histoire intellectuelle et constitutionnelle de l’Allemagne moderne, Strasbourg 2001; ders. (Hrsg.), L’esprit de l’école historique du droit, Strasbourg 2004; Hermann Heller/ders., La crise de la théorie de l’État: Hermann Heller: Crise de l’État, crise de la théorie, Paris 2012; Jouanjan, Hermann Heller: penser l’Etat de droit démocratique et social en situation de crise, Civitas Europa 37:2 (2006), S. 11 – 26. 23 Olivier Jouanjan, Vortrag vom 20. Juni 2014, der im Rahmen der von Stéphane Rials und Jean-Claude Monod organisierten Tagungsreihe zur Säkularisierung (6/7) gehalten wurde und unter folgendem Titel publiziert wurde: ders., Ernst-Wolfgang Böckenförde et la légitimité de l’Etat sécularisé, Droits 60:2 (2014), S. 117 – 136; ders., Between Carl Schmitt, the Catholic Church, and Hermann Heller: On the foundations of democratic theory in the work of Ernst-Wolfgang Böckenförde, Constellations 25:2 (2018), S. 184 – 195. In dieser Ausgabe der Zeitschrift „Constellations“ ist ein Sonderteil, herausgegeben von Mirjam Künkler und Tine Stein, mit fünf Beiträgen dem Thema „The Secular State, Constitution, and Democracy: Engaging with Böckenförde“ gewidmet. Der Beitrag von Jouanjan geht auf den Vortrag „Zwischen Carl Schmitt, katholischer Kirche und Hermann Heller: Zur Grundlegung der Demokratietheorie Ernst-Wolfgang Böckenfördes“ zurück, den Olivier Jouanjan auf der Tagung vom Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) in Bielefeld (29.–30. September 2016) gehalten hat. 24 Die Homepage Olivier Jouanjans, die für seine Studenten bestimmt ist, gibt einen aufschlussreichen Einblick in den umfassenden Inhalt des Seminars: https://sites.google.com/site/ olivierjouanjan/master-2-pantheon-assas-theorie-generale-du-droit/droit-politique-1 (am 17. 1. 2019 abgerufen). Ich habe auch selbst mit Master-2-Germanistikstudenten der Universität Paris Nanterre im Wintersemester 2018/19 Böckenfördes Text „Der säkularisierte Staat. Sein

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Jouanjan ist auch der in der Tageszeitung „Le Monde“ erschienene Nachruf auf Ernst-Wolfgang Böckenförde zu verdanken, der ein paar Tage nach dessen Tod am 24. 2. 2019 veröffentlicht wurde.25 Ein anderer Jurist wäre auch hier zu nennen, der ebenfalls, wenn auch in viel geringerem Maße, als Multiplikator bei der Rezeption von Böckenförde gewirkt hat: Thierry Rambaud, dessen Dissertation über das Staat-Kirche-Trennungsprinzip im deutschen und französischen öffentlichen Recht 2004 veröffentlicht wurde.26 Er war 2005 – 2006 Mitglied einer Kommission, die sich einem Auftrag des damaligen französischen Innenministers folgend, mit den Beziehungen zwischen Religionsgesellschaften und öffentlicher Hand vom rechtlichen Standpunkt aus befasst hat, der sogenannten „Commission de réflexion juridique sur les relations des cultes avec les pouvoirs publics“, die unter der Leitung vom Rechtsprofessor Jean-Pierre Machelon im September 2006 ein vielbeachtetes, etwa 80seitiges Gutachten zum Thema vorgelegt hat.27 Thierry Rambaud leitet eine jährlich erscheinende Zeitschrift „Société, droit et religion“ (CNRS-Verlag), die er im Jahre 2011 mitbegründet hat. Diese Zeitschrift beschäftigt sich mit den Entwicklungen des staatlichen Religionsrechts im Ausland und in Frankreich, gibt aber auch manchmal geisteswissenschaftlich weiter angelegten Projekten Raum. So erschien in dieser Zeitschrift 2015 eine französische Übersetzung von Carl Schmitts „Tyrannei der Werte“ und 2016 die Beiträge einer Tagung zur politischen Theologie, die Rambaud zusammen mit Theologen und Kanonisten des Katholischen Instituts in Paris organisiert hatte. Diese Tagung wurde im Januar 2015 mit einem Runden Tisch über Ernst-Wolfgang Böckenförde eröffnet.28 Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert“ im Rahmen eines Seminars zum Thema Religion in Deutschland zur Lektüre gegeben und kommentiert. 25 Olivier Jouanjan, Mort du constitutionnaliste allemand Ernst-Wolfgang Böckenförde, Le Monde v. 5. 3. 2019 (Online-Ausgabe). Siehe auch ders., L’État de droit démocratique, Jus Politicum 22 (o. J.) (http://juspoliticum.com/article/L-Etat-de-droit-democratique-1284.html; abgerufen am 17. 8. 2019) und ders., Demokratietheorie als Verfassungslehre, Der Staat 58:2 (2019), S. 223 – 241. 26 Thierry Rambaud, Le principe de séparation des cultes et de l’État en droit public comparé, Analyse des régimes français et allemand, Paris 2004; Siehe auch ders., Constitution, religions et espace public. Quelques réflexions issues de la littérature constitutionnelle allemande au XXème siècle, Aufsatz, der in einem Sammelband über Säkularisierung in dem amerikanischen Universitätsverlag Notre-Dame University Press (Indiana) veröffentlicht werden soll. Siehe: http://recherche.parisdescartes.fr/cmh_eng/Equipe/Professeurs/ThierryRAMBAUD (am 17. 1. 2019 abgerufen). 27 Jean-Pierre Machelon, La relation des cultes avec les pouvoirs publics, Paris 2006. 28 Ich wurde aus dem Stegreif gebeten, an diesem Runden Tisch teilzunehmen und die Ansätze meiner Arbeit über Böckenförde darzustellen. Die verschiedenen Wortmeldungen auf dem Runden Tisch und dessen Veranstaltung selbst werden in der Publikation nicht dokumentiert. Siehe Bernard Bourdin, Introduction, Société, droit et religion 6:1, 2016, S. I-II, Dossier „Démocratie, théologie politique, théologie du politique depuis Vatican II en France, en Allemagne et en Italie“. Siehe in diesem Dossier die zwei Beiträge über Ernst-Wolfgang Böckenförde: Michele Nicoletti, Sur la théologie politique d’Ernst-Wolfgang Böckenförde,

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Interessant bei dieser Veranstaltung und Publikation ist die Überschneidung zweier Rezeptionsmilieus, nämlich des Juristenmilieus und des Theologenmilieus, die hier zum Thema Religion kooperieren. Für das Zustandekommen dieses Kolloquiums dürfte das Interesse des Theologie-Professors und Dominikaners Bernard Bourdin am Begriff der Politischen Theologie bei Carl Schmitt und bei Böckenförde eine entscheidende Rolle gespielt haben.29 Am entgegengesetzten Pol der Rezeption von Böckenfördes Denken könnte man eine andere Art eher „impressionistische“ Rezeption verorten, die sich in relativer Ferne und höchst vermittelt mit Böckenfördes Werk beschäftigt und sich auf ein bloßes Zitieren beschränkt, wenngleich dieses Zitieren als das Symptom für ein geistiges Aufhorchen erscheint. Paradigmatisch für diesen Fall seien zwei Texte von Julia Kristeva genannt, die Böckenförde im Zusammenhang mit der Habermas-RatzingerKontroverse zu den vorpolitischen Grundlagen des säkularisierten Staates namentlich erwähnen. Der Autorin geht es hierbei um die Suche nach bzw. um den Mangel an einem „einigenden Band“ im säkularisierten Staat oder für die politische, säkularisierte Vernunft. Den Namen Böckenförde nennt sie in Verbindung mit dem Bezug auf dieses „einigende Band“. Dieses Stichwort steht für ein Thema, das von Julia Kristeva offensichtlich sehr ernst genommen wird,30 wenngleich sie sich Société, droit et religion 6:1 (2016), S. 1 – 8; Sylvie Le Grand, Ernst- Wolfgang Böckenförde et les enjeux d’une ,théologie politique‘, Société, droit et religion 6:1 (2016), S. 105 – 119. 29 Siehe seine Einführung zum Dossier. Um die theologisch-politische Frage in ihren vielfältigen Formen kreisen die Forschungen von Bernard Bourdin. Dieser Frage hat er mehrere Monographien gewidmet: Bourdin, La Genèse théologico-politique de l’Etat moderne. La controverse de Jacques Ier d’Angleterre avec le cardinal Bellarmin, Paris 2004; ders., La Médiation chrétienne en question. Les jeux de Léviathan, Paris 2009; ders., Le christianisme et la question du théologico-politique, Paris 2015. In diesem Zusammenhang hat er auch Vorworte oder Einleitungen von ins Französische übersetzten Texten Erik Petersons oder Carl Schmitts geschrieben: so z. B. Carl Schmitt, La Tyrannie des valeurs (traduction de Jean-Louis Schlegel, introduction de Bernard Bourdin), Société, droit et religion, Nr. 5 (2015), S. 1 – 32. Siehe https://cvrecherche.icp.fr/cvrecherche/cv/pdf/cv_bourdin_bernard_fr.pdf (am 6. 6. 2019 abgerufen). 30 Siehe http://www.kristeva.fr/justice.html (am 5. 2. 2019 abgerufen). Auf dieser Webseite kann man einen Text lesen, den Julia Kristeva am 29. 10. 2015 anlässlich der „zweiten Nacht der Justiz“ in Bordeaux vorgetragen hat. Das Thema dieser Veranstaltung lautete „Gerade vor der Vergebung. Vladimir Jankélévitch. Heißt richten vergeben?“ (2è nuit de la justice: A l’aube du pardon. Vladimir Jankélévitch. Est-ce que juger, c’est pardonner?) In diesem Text kann man über die Symptome des Unbehagens in der Kultur lesen: „à propos des ,malaises de la civilisation‘. Vous en connaissez les symptômes: – Impuissance du discours politique, improbable refondation de l’humanisme, irrépressible montée des intégrismes, populismes, cultes identitaires de toute sorte, effondrement de l’autorité, rejet des fédéralismes, explosion de la pulsion de mort … Et vous voulez JUGER tout ça? Peut-ON encore juger ,ça‘? Qui, ,on‘? Les démocraties constitutionnelles ont besoin d’un ,présupposé normatif‘(Dieu) pour fonder le droit rationnel, et que l’Etat sécularisé ne dispose plus de ,lien unifiant‘ (Böckenförde) qui serait indispensable selon le juriste afin de constituer une ,conscience conservatrice‘, qu’elle se nourrisse de la foi (Habermas) ou qu’elle soit une ,corrélation entre la raison et la foi‘ (Ratzinger). Cf. [Jürgen Habermas/Joseph Ratzinger,] Les fondements pré-politiques de l’Etat démocratique, Esprit Juillet 2004, S. 5 – 28.“

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ausdrücklich im Vergleich zu dem, was sie das „Unisono [diapason] Böckenförde/ Habermas/Ratzinger“ nennt, für eine Alternative ausspricht, die aus der [womöglich existentiellen] Erfahrung mit der Literatur und aus der Freudschen Auseinandersetzung mit dem Unbewussten geschöpft wird.31 Seltsamer Zufall: Böckenförde wurde 2004 von der Heinrich-Böll-Stiftung der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken verliehen, den Julia Kristeva selbst 2006 empfing. Sehr wahrscheinlich hat diese Tatsache dazu beigetragen, dass sie den Namen des Juristen zur Kenntnis nahm. Diese Art Rezeption ist insofern interessant, als sie auf die eminente Bedeutung eines gleichsam verschachtelten Rezeptionsprozesses hinweist, der bei unserem Thema eine wichtige Rolle spielt. In diesem konkreten Fall hat zum einen die Habermas-Ratzinger-Kontroverse zu einem Kennenlernen mit dem Namen Böckenförde beigetragen und zum anderen hat in dieser Angelegenheit die vom Personalisten32 Emmanuel Mounier 1932 gegründete Zeitschrift „Esprit“ eine bedeutende Multiplikatorenrolle gespielt, indem sie die französische Übersetzung der vielbeachteten Debatte zwischen dem katholischen Präfekten der Glaubenskongregation und dem deutschen Philosophen in der katholischen Akademie München im Januar 2004 schon im Juli desselben Jahres zur Verfügung stellte.33 Diese Übersetzung war einem der langjährigen Redaktionsdirektoren von „Esprit“, dem ehemaligen Jesuiten Jean-Louis Schlegel34 zu verdanken. Sie wurde sogar sechs Jahre später als Buch noch einmal publiziert.35 Noch einmal zum Stichwort „verschachtelte Prozesse“: Das Kennenlernen mit Böckenfördes Denken oder Werk in Frankreich ist also für nicht wenige Forscher vor dem Hintergrund der Rezeption anderer Autoren zu verorten, auf die Böckenförde sich bezieht oder die sich umgekehrt auf ihn beziehen. In 31

Julia Kristeva, Cet incroyable besoin de croire, Paris 2007. Mit dem mehrdeutigen Begriff Personalismus wird in Frankreich vor allem der Versuch des Philosophen Emmanuel Mounier (1905 – 1950) in den 1930er und 1940er Jahren verbunden, eine Art dritten Weg jenseits von Faschismus und Kommunismus zu entwerfen, der auf Pluralismus und Brüderlichkeitsvorstellungen beruht. Mounier war von Henri Bergson und Charles Péguy beeinflusst. 33 Jürgen Habermas/Joseph Ratzinger, Les fondements pré-politiques de l’État démocratique (traduction: Jean-Louis Schlegel), Esprit 306:7 (2004), S. 5 – 28. Siehe dazu ohne Hinweis auf Böckenförde Daniel Vernet, Benoît XVI, la foi, la raison et la modernité, Le Monde v. 27. 4. 2005. 34 Jean-Louis Schlegel ist auch der Übersetzer von Carl Schmitts „Tyrannei der Werte“ in der Zeitschrift „Société, droit et religion“ im Jahre 2015 gewesen, sowie von verschiedenen Büchern aus der Feder so wichtiger Autoren wie Franz Rosenzweig oder Hans Blumenberg. Zu seiner Biographie und beruflichen Laufbahn siehe das interessante Interview, das im Magazin „Journal des grandes écoles“ im Mai 2017 erschienen ist. Hugues Simard, Rencontre avec Jean-Louis Schlegel, directeur de la revue Esprit, Journal des grandes écoles 82 (2017). Online zugänglich: http://www.mondedesgrandesecoles.fr/rencontre-jean-louis-schlegel-direc teur-de-revue-esprit/ (abgerufen am 5. 2. 2019). 35 Jürgen Habermas/Joseph Ratzinger, Raison et religion, la dialectique de la sécularisation, Paris 2010. Siehe die Rezension von Paul Corset, Revue Projet, 319:6 (2010), S. 101. 32

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erster Linie sind hier die bereits erwähnten Carl Schmitt und Jürgen Habermas zu nennen, aber auch in geringerem Maße Lorenz von Stein. Hierbei sei auf das Werk zweier französischer Philosophen, Jean-François Kervégan und Jean-Claude Monod, hingewiesen. Während ersterer, bekannter Hegel- und Carl Schmitt-Spezialist, erst relativ spät und zunächst flüchtig Böckenförde erwähnte,36 ist letzterem Böckenförde im Zusammenhang mit seinen Recherchen zu seiner vielbeachteten Dissertation „der Streit um die Säkularisation/Säkularisierung – von Hegel zu Blumenberg“ (2002) wohl zum ersten Mal begegnet.37 Sowohl in Kervégans „Was tun mit Carl Schmitt?“ als auch in Monods weiterem Buch zur Aktualität Carl Schmitts steht Böckenförde – einem bekannten Bild des bundesdeutschen Juristen entsprechend – als liberaler Rezipient (und Fortsetzer?) von Carl Schmitt. Bei Monod werden Forsthoff und Böckenförde38 als wichtige Figuren des staatlichen und juristischen Wiederaufbaus in Deutschland nach 1945 dargestellt, die gerade für die Kombination von sozialem und liberalem Rechtsstaat stehen. Sowohl Kervégan als auch Monod hatten Gelegenheit, sich mit einzelnen Aspekten von Böckenfördes Werks zu befassen: so untersuchte Monod in einem Vortrag 2010 vergleichend die schöpferische und kritische Wiederaufnahme schmittscher Begriffe (Homogenität, Verfassungsrevision, Verfassung als Text und Form) beim französischen Juristen René Capitant (1901 – 1970) und bei Böckenförde.39 Kervégan hat seinerseits 2018 einen Aufsatz über die kritische Übernahme des Böckenförde-Theorems bei Habermas und Honneth veröffentlicht,40 den er auf Französisch als Kapitel in einem bilanzierenden Buch über seine Erschließung der deutschen Philosophie zu publizieren beabsichtigt.41 Im genannten Aufsatz nimmt er aber Böckenförde eigentlich nur als Aufhänger und setzt sich nicht mit dem Diktum oder dessen Autor auseinander.

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Jean-François Kervégan, Que faire de Carl Schmitt?, Paris 2011. Jean-Claude Monod selbst vermutet, dieses Kennenlernen mit dem Denken von Böckenförde sei mit der Lektüre von „Der Fürst dieser Welt“ verbunden gewesen. 38 Jean-Claude Monod, Penser l’ennemi, affronter l’exception: réflexions critiques sur l’actualité de Carl Schmitt, Paris 2006. Monod plädiert in diesem Buch fast provokativ für einen barmherzigen Umgang mit Carl Schmitt. 39 Jean-Claude Monod, Homogénéité, révision constitutionnelle et décision fondamentale: reprise et critique de concepts schmittiens chez Böckenförde et Capitant, Revue d’Allemagne 46:1 (2014), S. 111 – 124, Teil des von Le Grand herausgegebenen Dossiers „Les fondements normatifs de l’Etat constitutionnel moderne en Allemagne. Une approche pluridisciplinaire“. 40 Jean-François Kervégan, Unsittliche Sittlichkeit? Überlegungen über ,Böckenfördes Theorem‘ und seine kritische Übernahme bei Habermas und Honneth, in: Pirmin StekelerWeithofer/Benno Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, Tübingen 2018, S. 367 – 381. Im Aufsatz geht es darum, ob Säkularität ein Zustand oder ein Prozess ist, und wie sich dies auf die Frage nach der Beziehung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auswirkt. Ich danke Mirjam Künkler sehr für diese Information über den Inhalt dieses Aufsatzes. 41 Siehe dazu online die „Synopsis“ des Inhaltsverzeichnisses des geplanten Buches. http:// www.academia.edu/33673960/Explorations_allemandes_2019_Synopsis (am 5. 2. 2019 abgerufen). 37

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Solche verschachtelte Rezeptionsprozesse kann man auch in der Rezeption Böckenfördes durch manche französischen Autoren wie den Politikwissenschaftler Philippe Portier beobachten, der offensichtlich über Jürgen Habermas und Carl Schmitt einen fernen und durch die Vermittlung der Übersetzung bedingten Bezug zu Böckenförde hat, aber sich potentiell über weitere Stränge wie das Naturrechtsdenken oder die Theologie Joseph Ratzingers für das Denken des katholischen Juristen näher interessieren könnte.42 Er hat seit 2007 den Lehrstuhl für „Geschichte und Soziologie der Laïcité“ an der EPHE (École Pratique des Hautes Études) inne und leitete auch zwischen 2008 und 2018 die beim CNRS angesiedelte Forschungsgruppe GSRL Groupe Sociétés, religions et laïcités.43 Ihm ist 2016 eine umfassende Studie über den Staat und die Religionen in Frankreich zu verdanken, ein Thema, das er im Spiegel einer subtilen und höchst detailliert dokumentierten, historischen Soziologie der Laïcité beleuchtet.44 Im Bereich der Religionssoziologie ist der Vorgänger von Philippe Portier an der Spitze der Forschungsgruppe GSRL (2002 – 2008), Jean-Paul Willaime, zu nennen, der lange Zeit an der EPHE den Lehrstuhl für die Geschichte und die Soziologie der Protestantismen (1992 – 2015) innehatte. Als guter Kenner der deutschen Religionsverhältnisse gehört er in Frankreich zu den wenigen Wissenschaftlern, zumal in der Religionssoziologie, die Böckenförde im Originaltext lesen, den er in der Bibliographie seines Buches über Europa und die Religionen 2004 anführt.45 Über das Interesse an Lorenz von Stein kann in Frankreich auch der Zugang zum Werk von Böckenförde erfolgen und in diesem Fall verschaffen die Forschungen von Norbert Waszek46 zu Lorenz von Stein eine wichtige Vermittlungsleistung. Er hat unter anderem einen umfangreichen Beitrag zu den Quellen des deutschen Sozialstaats bei Lorenz von Stein und Hegel sowie die Einleitung zu einer Übersetzung von Steins „Der Begriff der Gesellschaft“ ins Französische geschrieben.47 Zur Kennt42 Philippe Portier, Démocratie et religion. La contribution de Jürgen Habermas, Revue d’éthique et de théologie morale, 277:4 (2013), S. 25 – 47 (38); ders., Philosophie, politique et religion. Une exploration des paradigmes contemporains, Archives de sciences sociales des religions, 169:1 (2015), S. 263 – 283 (270). 43 https://prosopo.ephe.fr/philippe-portier (am 5. 2. 2019 abgerufen). 44 Philippe Portier, L’Etat et les religions en France. Une sociologie historique de la laïcité, Rennes 2016. 45 Jean-Paul Willaime, Europe et Religions. Les enjeux du XXIe siècle, Paris 2004. Zur Biographie von Jean-Paul Willaime siehe https://prosopo.ephe.fr/jean-paul-willaime (am 5. 2. 2019 abgerufen). 46 Nach einer Karriere in Deutschland und den USA ist er seit 1993 in Frankreich verbeamtet und lehrt am Germanistischen Institut der Universität Paris 8 Vincennes-St Denis. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Ideengeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, die Aufklärung, den deutschen Idealismus von Kant bis Hegel, die Hegelschule und den Vormärz. 47 Norbert Waszek, Aux sources de l’Etat social à l’allemande. Lorenz von Stein et Hegel, Revue Germanique Internationale 15 (2001), in einem von Waszek herausgegebenen Dossier über „Hegel. Droit, histoire, société“, S. 211 – 238; Lorenz von Stein, Le concept de société, Traduction de Marc Béghin, Présentation de Norbert Waszek, Grenoble 2002. Hiermit wird

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nis von Lorenz von Stein in Frankreich hat auch Olivier Jouanjan selbst beigetragen und dabei auf verschiedene Schriften Böckenfördes hingewiesen.48 Über diese verschiedenen Fälle hinaus, die von einem eher punktuellen, meist indirekten Umgang mit dem Werk Böckenfördes zeugen, da dieser Umgang oft durch die Vermittlung der Übersetzung oder komplexer verschachtelter Rezeptionsprozesse gebrochen ist, kann man noch auf vier Beispiele einer mehr oder weniger ausführlichen, wissenschaftlichen Behandlung von Böckenfördes Denken aus dem französischsprachigen Raum eingehen. Wir befinden uns hier gleichsam im Mittelfeld zwischen den beiden vorhin gekennzeichneten Polen einer fachwissenschaftlichen, juristischen Böckenförde-Rezeption einerseits und eines extensiveren, sozusagen mehrstufigen Umgangs mit seinem Werk andererseits. Da ist zum einen kurz auf eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit zum Thema „Katholische Kirche und Verteidigungspolitik. Vergleich pastoraler Dokumente von verschiedenen Bischöfen aus Frankreich, Deutschland und den USA zu Krieg und Frieden“ hinzuweisen, die von Catherine Guicherd an der École des Hautes Études Internationales in Genf verteidigt und im Jahre 1988 publiziert wurde.49 Diese Dissertation ist insofern interessant, als sie sich als eine der ersten wissenschaftlichen Arbeiten im französischsprachigen Raum erweist, die sich schon relativ früh, in den 1980er Jahren also, verschiedentlich auf Böckenfördes Aufsätze bezieht. Das heißt, noch bevor der bis jetzt nachgezeichnete, unter anderem durch Übersetzung bedingte Rezeptionsvorgang in Frankreich einsetzte. Im Rahmen ihrer Recherchen führte die Autorin im Juli 1985 sogar ein Gespräch mit Böckenförde. Der seit September 2014 mögliche Online-Zugang zu dieser Dissertation erlaubt außerdem die stichwortartige Erschließung des Buches und ergibt diesbezüglich einen fünffachen Hinweis auf den katholischen Juristen: im Zusammenhang mit dem historischen Vorgang der Säkularisation des Staates, mit dem Aufsatz „Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln“ (1973), sowie mit anderen bibliographischen Titeln (Böckenförde/Böckle, „Naturrecht in der Kritik“, 1982; Böckenförde/Spaemann Aufsätze 1960 – 1961).50 Zum anderen ist auch die im Mai 2018 in Brüssel verteidigte Dissertation des belgischen Politikwissenschaftlers Christophe Majastre zu nennen, der sich mit den möglichen Auswirkungen eines intellektuellen Etatismus auf einen juristischen Etader erste Teil von der „Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage“ übersetzt. Siehe die Rezension von Olivier Jouanjan, L. Stein, Le Concept de Société, Grenoble, ELLUG, 2002, Droits 39 (2004), S. 227 – 228. 48 Olivier Jouanjan, Lorenz von Stein et les contradictions du mouvement constitutionnel révolutionnaire (1789 – 1793), Annales historiques de la Révolution française 2002, S. 171 – 191. 49 Catherine Guicherd, L’Eglise catholique et la politique de défense au début des années 1980. Etude comparative des documents pastoraux des évêques français, allemands et américains sur la guerre et la paix, Paris 1988. Siehe die Rezension von Jean Klein, Politique étrangère, 54:4 (1989), S. 806 – 807. 50 https://books.openedition.org/iheid/1832 (am 7. 2. 2019 abgerufen).

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tismus beschäftigt und sie am Beispiel der Europa-Urteile des Bundesverfassungsgerichts und im Lichte der sozialen und intellektuellen Laufbahn mancher Professorenrichter untersucht.51 Seine Forschungen beziehen sich allgemein auf die Geschichte des zeitgenössischen deutschen juristischen Denkens, die vom Standpunkt einer historischen Soziologie aus betrachtet wird. In einem neueren Aufsatz untersucht er die Entstehung des ökologischen Paradigmas im bundesdeutschen Verfassungsdenken im Spiegel von dessen Verhältnis zum Wachstumsmodell. Beispiele aus dem Denken Ernst Forsthoffs und Ernst-Wolfgang Böckenfördes werden bevorzugt herangezogen.52 Auch in der Politikwissenschaft, allerdings in dezidierter Kombination mit der Philosophie und der Ideengeschichte, sind die jüngsten, vielversprechenden Recherchen von der französischen Wissenschaftlerin Aline-Florence Manent angesiedelt, die an der amerikanischen Universität Harvard im Mai 2016 ihren PhD zum Thema „Rethinking Democracy in Postwar Germany“53 verteidigte. Aline-Florence Manents Schriften stellen in der vorliegenden Rezeptionsuntersuchung insofern einen Grenzfall dar, als die Autorin ihre erste wissenschaftliche Sozialisation zwar in Frankreich erlebte, wo sie am Institut für Politikwissenschaft (also an Sciences Po Paris) und an der Universität Paris I jeweils Politikwissenschaft und Philosophie bis zum Master studierte, aber dann in die USA zog und später in London tätig war, wo sie an der Queen Mary University Geschichte des politischen Denkens unterrichtete. Sie publiziert vor allem auf Englisch und hat damit eine viel breitere Leserschaft im Blick, als die bloß französischsprachige. Ernst-Wolfgang Böckenförde ist einer der verschiedenen Autoren, mit denen sie sich in ihrer Dissertation beschäftigt. Ihm hat sie zwei schöne Aufsätze gewidmet, in denen sie sich zum einen mit dem intellektuellen Erbe von Joachim Ritter in der frühen Bundesrepublik auseinander-

51 Christophe Majastre, Des oppositions savantes à l’Europe? Rapport au politique et pratiques d’intervention des juristes dans le débat allemand sur l’Union européenne de Maastricht à Lisbonne (1992 – 2011), Thèse de doctorat en sciences politiques, Université Saint Louis Bruxelles, 2018. Im folgenden Aufsatz gibt er einen Einblick in einen Teil seiner Dissertation: ders., Penser l’État contre l’Europe: la genèse d’une orthodoxie juridique dans la République fédérale d’Allemagne de 1949 à l’arrêt Maastricht, Revue française de science politique 69:1 (2019), S. 117 – 136. 52 Christophe Majastre, Vers une histoire de l’émergence du paradigme écologique dans la pensée constitutionnelle? Un commentaire sur le texte de Giacomo Delledonne, Revue interdisciplinaire d’études juridiques 81:2 (2018), S. 355 – 369. Dieser Aufsatz ist als Antwort auf folgenden Beitrag konzipiert: Giacomo Delledonne, La croissance économique dans l’ordre juridique: retour sur un débat des Trente Glorieuses, Revue interdisciplinaire d’études juridiques 81:2 (2018), S. 341 – 353. 53 So der Name der vorgesehenen Veröffentlichung dieser Dissertation. Siehe dazu die Homepage der Autorin: „I am currently working on my first book, Rethinking Democracy in Postwar Germany (with Harvard University Press). The book examines how German intellectuals, policy-makers, and state-builders have theorised the challenges of liberal democracy after 1945 and how their ideas shaped the political culture and institutions of the Federal Republic of Germany.“ https://www.alineflorencemanent.com/ (am 25. 1. 2019 abgerufen).

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setzt54 und zum anderen das Demokratie-Verständnis von Böckenförde und dessen Bezug zur Religion im Zusammenhang mit seinen intellektuellen Schulden an Joachim Ritter, Adolf Arndt und Hermann Heller55 herausarbeitet. In diesem Mittelfeld sind, denke ich, auch meine eigenen Forschungen zu Böckenförde zu verorten. Sie sind offiziell im Fach Germanistik angesiedelt, d. h. konkret in einem in Frankreich „études germaniques“ genannten, entschieden pluri- und interdisziplinär aufgefassten Fach im Sinne der German Studies, in dem bei der Schwerpunktsetzung der Forschung ein großer Freiraum herrscht. Meine Habilitationsschrift zu Böckenförde mit dem Titel „Ernst-Wolfgang Böckenförde, als Vermittler zwischen Katholizismus und Sozialdemokratie“ (médiateur entre catholicisme et social-démocratie), die an der Universität Toulouse Jean Jaurès im Dezember 2016 verteidigt wurde, ist das noch unveröffentlichte56 Hauptergebnis meiner mehrjährigen Auseinandersetzung und intellektuellen Weggenossenschaft mit Böckenfördes Werk und Denken. Angefangen hat diese Auseinandersetzung in den frühen 2000er Jahren, als mir die Instrumentalisierung des Böckenförde-Paradoxons im Zusammenhang mit den Debatten um Religionsunterricht und das neue Brandenburgische Unterrichtsfach LER57 im Vereinigungsdeutschland begegnete. Im Rahmen einer großen Tagung, die ich Ende 2004 zum Thema „Religion, Staat und Gesellschaft in Deutschland und Frankreich“ organisierte, trug ich darüber vor und interpretierte diese Instrumentalisierung als besonders paradigmatisch für eine als implizit betrachtete, religiöse Dimension der westdeutschen, politischen Kultur. Der Band dieser Tagung erschien 2008.58 In der Zwischenzeit hatte ich einmal 2006 vergeblich versucht, Böckenförde selbst für eine Einladung nach Frankreich zu gewinnen. Ein zweiter Anlauf wurde erfolgreicher, in Form eines langen Interviews am 13. August 2007 in Freiburg. Erst die Organisation einer pluridisziplinären und ursprünglich vergleichend angelegten Tagung zu den normativen Grundlagen des konstitutionellen Staates in Deutschland und Frankreich, an der nicht zuletzt Jean-Claude Monod, Olivier Jouanjan59 und Michele Nicoletti teilnahmen, gab im März 2010 den Startschuss zu den genannten Habilitationsrecherchen. 54 Aline-Florence Manent, „In der Bundesrepublik zu Hause sein“. Joachim Ritter und die politische Philosophie der Stabilität, in: Mark Schweda/Ulrich von Bülow (Hrsg.), Entzweite Moderne. Zur Aktualität Joachim Ritters und seiner Schüler, Göttingen 2017, S. 310 – 327. 55 Aline-Florence Manent, Democracy and Religion in the Political and Legal Thought of Ernst-Wolfgang Böckenförde, Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), S. 74 – 96. 56 Die Veröffentlichung in französischer Sprache ist 2020 im Pariser Verlag Cerf (Reihe Patrimoines) vorgesehen. 57 LER steht für „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“. 58 Sylvie Le Grand, L’implicite religieux et les valeurs en Allemagne: les cas de l’enseignement religieux à l’école et de la référence à Dieu dans la Loi fondamentale, in: dies. (Hrsg.), La laïcité en question. Religion, Etat et société en France et en Allemagne du XVIIIe siècle à nos jours, Villeneuve d’Ascq 2008, S. 295 – 305. 59 Olivier Jouanjan selbst trug auf diesem Kolloquium nicht über Böckenförde, sondern über Georg Jellinek vor.

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Während sich Michele Nicoletti auf dieser Tagung mit der Rezeption von Böckenfördes Werk in Italien befasste60 und Jean-Claude Monod wie schon erwähnt die Übernahme schmittscher Begriffe bei René Capitant und Böckenförde vergleichend untersuchte,61 ging ich selbst auf einige Aspekte der Entstehung, Entwicklung und Rezeption von Böckenfördes Paradoxon in Deutschland ein.62 In der pluridisziplinären, in Straßburg ansässigen Zeitschrift „Revue d’Allemagne“, wo die Beiträge der gerade genannten Tagung erschienen sind, wurde Anfang 2016 eine Doppelrezension der 2014 von Große-Kracht und Mehring publizierten Sammelbände63 veröffentlicht, mit denen die Stunde einer entschlossenen Historisierung von Böckenfördes Denken in Deutschland nun regelrecht geschlagen hatte. In meiner Habilitationsschrift schließlich habe ich in enger Verbindung miteinander das theologisch-politische Werk von Böckenförde und die Etappen seiner Weggenossenschaft mit der SPD jeweils textanalytisch und anhand von Archivquellen untersucht. Es stellte sich heraus, dass diese beiden Aspekte des Wirkens von Böckenförde sowohl ideell als auch historisch eng miteinander verknüpft sind und dass die Kategorie der Vermittlung sich hierbei in verschiedener Hinsicht – und bei aller ausgehaltenen Spannung im Denken und Wirken – als fruchtbar erwies. Vor der Verteidigung im Dezember 2016 wurden zwei Aufsätze publiziert, die nur zum Teil in die Habilitationsschrift Eingang gefunden haben: der eine bezieht sich zwar auf den Begriff der politischen Theologie, ein Kernthema der Habilitationsschrift, ohne aber die allerletzten Ergebnisse dieser Recherche zu enthüllen,64 die für die Habilitationsschrift selbst sozusagen ausersehen waren. Der zweite zeugt womöglich von der Fruchtbarkeit des philologischen Ansatzes bei der Untersuchung von Archivquellen und beleuchtet anhand eines historischen Einzelfalls, nämlich des halböffentlichen Protestes von Böckenförde und anderen katholischen Kollegen gegen den Wahlhirtenbrief 1980, wiederkehrende Motive des kritischen 60 Michele Nicoletti, La réception de l’œuvre d’E.-W. Böckenförde en Italie, Revue d’Allemagne 46:1 (2014), S. 95 – 109, Teil des von Le Grand herausgegebenen Dossiers „Les fondements normatifs de l’Etat constitutionnel moderne en Allemagne. Une approche pluridisciplinaire“. 61 Monod (Fn. 39), S. 111 – 124. 62 Sylvie Le Grand, Le ,paradoxe‘ de Böckenförde: fortune d’une formule: „L’Etat libéral, sécularisé vit de présupposés qu’il n’est pas lui-même en mesure de garantir.“, Revue d’Allemagne, 46:1 (2014), S. 125 – 136. Trotz verschiedener Versuche in diesem Sinne ist mir bei dieser Konferenz nicht gelungen, eine wirkliche deutsch-französische vergleichende Tagung zu organisieren und dabei französische Rechtspraktiker, etwa Mitglieder des Conseil d’Etat oder Mitarbeiter des Conseil constitutionnel, einzuladen. 63 Sylvie Le Grand, Doppelrezension von „Hermann-Josef Große Kracht/Klaus Große Kracht (Hrsg.), Religion – Recht – Republik. Studien zu Ernst-Wolfgang Böckenförde, Paderborn 2014; Reinhard Mehring/Martin Otto (Hrsg.), Voraussetzungen und Garantien des Staates. Ernst-Wolfgang Böckenfördes Staatsverständnis, Baden-Baden 2014, Revue d’Allemagne, 48 (2016), S. 234 – 240. 64 Sylvie Le Grand, Ernst-Wolfgang Böckenförde et les enjeux d’une ,théologie politique‘, Société, droit et religion 6 (2016), S. 105 – 119.

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publizistischen Wirkens65 des engagierten Katholiken. Die Ergebnisse dieser Studie wurden nur zum Teil in die Habilitationsschrift übernommen, da die detaillierte Herausarbeitung der gattungsspezifischen Briefformen (Variationen zum Thema Offener Brief) über die Problematik der genannten Arbeit hinausging. Abschließend zu diesem Abschnitt über die Rezeption Böckenfördes in der Sekundärliteratur aus dem französischsprachigen Raum sind verschiedene gemeinsame Nenner zwischen den Ansätzen oder manchen betonten Aspekten in den Arbeiten von Jouanjan, Manent und Le Grand festzustellen: so ein besonderer Fokus auf das Frühwerk von Böckenförde und auf die Religionsthematik in ihrem Konnex zu Demokratie bei Manent, Le Grand (und bei Mark Ruff im angelsächsischen Rezeptionsraum66), so auch eine besondere Aufmerksamkeit auf die geistige Haltung Böckenfördes (Bescheidenheit, „sobriété de caractère“, „humility“), sowie auf seine faszinierende, begriffliche Präzision und geistige Stringenz in der Gedankenführung. Festzuhalten ist also, dass die wissenschaftliche Rezeption von Böckenfördes Werk in Frankreich einem ziemlich vertraulichen und überschaubaren, kleinen Kreis von vor allem Deutschland-Kennern verschiedener fachwissenschaftlicher Herkunft vorbehalten wurde, – a small world also – dem kein Durchbruch in etwas breiter angelegten gesellschaftlichen bzw. publizistischen oder gar institutionellen Milieus gelungen ist. Woran mag das liegen? Nun betreten wir das noch unsicherere – aber auch höchst spannende – Terrain der möglichen Interpretationen.

III. Überlegungen über die Gründe für die spärliche Rezeption von Böckenfördes Denken in Frankreich Eine Reihe von Argumenten können diesbezüglich angeführt werden, die jeweils allgemeiner Art oder sozusagen deutsch-französisch interkulturell bedingt oder auch Böckenförde-spezifisch sein mögen. Hier seien sie zusammenfassend und vor allem stichwortartig zur Diskussion gestellt. Womöglich spielen hier die Sprachbarrieren oder die nach wie vor in der französischen Gesellschaft stark verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem deutschen Nachbarn eine nicht unbedeutende Rolle, die aber etwas subtiler in Bezug auf präzise Themen untersucht werden müsste. Zudem muss auch die Tatsache bedacht werden, dass manchen französischen, in Frankreichs Medien sehr präsenten, politischen Denkern 65 Sylvie Le Grand, Polémiques et enjeux d’une campagne électorale aux accents cléricaux,Wahlkampf von der Kanzel (1980)?, Cahiers d’Etudes Germaniques 71 (2016), S. 221 – 238; Françoise Knopper/Wolfgang Fink (Hrsg.), L’art épistolaire entre civilité et civisme de Jean Paul à Günter Grass, 2016, S. 221 – 238. 66 Mark Edward Ruff, Ernst-Wolfgang Böckenförde und seine kirchenpolitischen Schriften, in: Hans-Rüdiger Schwab (Hrsg.), Eigensinn und Bindung. Katholische deutsche Intellektuelle im 20. Jahrhundert. 39 Porträts, Kevelaer 2009, S. 599 – 613.

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wie Pierre Bourdieu, Pierre Rosanvallon oder Marcel Gauchet offensichtlich jedwede Empfänglichkeit für die deutsche Denktradition fehlt. Ihre Rolle in der politischen Meinungsbildung scheint aber ausschlaggebend zu sein. Im konkreten Fall von Böckenförde mag die wenn auch kritische Carl Schmitt-Nähe als ein massives Hindernis wirken, da der bloße Name Carl Schmitts von vielen in Frankreich als Schreckgespenst empfunden wird.67 Gibt es keinen Platz in Frankreich für mehrere zeitgenössische, politische Stars aus dem deutschsprachigen Kulturraum? Wirkt z. B. die Habermas-Beliebtheit in Frankreich letztendlich als Hindernis für den Durchbruch von Böckenfördes Werk? Dem Böckenförde-Bewunderer mutet es auf jeden Fall seltsam an, dass die mitunter opake Schreibart Habermas’ dem lichtklaren Stil und der begrifflichen Präzision des daher nicht zufällig im Jahre 2012 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichneten Autors vorgezogen wird. Andere nachteilige Faktoren mögen berücksichtigt werden, die mit den französischen Tabus und „toten Winkeln“ (angles morts), bzw. blinden Flecken des französischen Verhältnisses zur Religion zu tun haben. Diese Hürden ließen sich vielleicht im Fall von Böckenfördes theologisch-politischem Denken insofern überwinden, als Böckenförde als kritischer unbequemer Katholik dargestellt werden könnte. Die Sprengkraft seines diesbezüglichen Denkens gälte es in diesem Zusammenhang zu beleuchten. Ich denke dabei z. B. an seine radikale Kritik an einem unhistorisch aufgefassten, naturrechtlichen Ansatz. Außerdem könnte z. B. gezeigt werden, wie Böckenfördes theologisch-politisches Denken zwar in der deutschen Tradition einer offenen, übergreifenden Neutralität verwurzelt ist, aber doch von jedwedem political correctness bundesrepublikanischer Art entfernt oder jedenfalls mit etlichen bundesdeutschen religionsverfassungsrechtlichen Reflexen nicht konform ist. Zwei grundverschiedene Beispiele für ein gewisses Frankreich-affines Denken von Böckenförde seien hier – sozusagen als Spitze des Eisbergs – genannt: so der wiederkehrende Hinweis auf das Buch von J. Lecler über die Geschichte der Toleranz im Zeitalter der Reformation,68 der vom eminent hohen Stellenwert der Auseinandersetzung mit dem Thema der europäischen Religionskriege und deren staatlicher Beilegung im Denken Böckenfördes zeugt; so auch – hier als etwas schwerwiegenderes Argument – das Festhalten am Einschnitt der Französischen Revolution als zentraler Zäsur der modernen Geschichte. 67 Ich konnte es höchstpersönlich erfahren, als es darum ging, den Tagungsband zum Thema „Religion, Staat und Gesellschaft in Deutschland und Frankreich“ zu publizieren. Ein anonymer Gutachter des Manuskripts hatte den Verdacht, es könne sich quasi um eine, wenn nicht krypto-nazistische Publikation handeln, so doch um eine seines Erachtens allzu Deutschland-freundliche Veröffentlichung, die das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Religion in Deutschland in zu hohem Masse positiv beleuchte. Die Tatsache, dass Standardwerke von Ernst-Rudolf Huber als Quellen in Fußnoten zweier Aufsätze angeführt wurden, galt als höchst verdächtig. 68 Joseph Lecler, Histoire de la tolérance au siècle de Réforme, Paris 1955, 2 Bände, zitiert wird von Böckenförde vor allem Band 2.

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Das hohe begriffsgeschichtliche Potential von Böckenfördes Denken könnte auch in Frankreich auf eine besondere Aufmerksamkeit stoßen. Und es ist angesichts Kosellecks Beliebtheit und hohen Bekanntheitsgrads in Frankreich erstaunlich, dass es noch nicht der Fall war. Viele mögliche, fruchtbare Rezeptionspotentiale liegen darüber hinaus in Böckenfördes Sozialstaats- und Geschichtsdenken, sowie auch in seinem Repräsentationsbegriff, auf den noch zurückzukommen ist. Im Vergleich zu Deutschland, wo einige Autoren manchmal die spannungsreiche intellektuelle Identität Böckenfördes als problematisch darstellen, dürfte eine solche widersprüchliche Verortung in Frankreich im Gegenteil auf eine gewisse Sympathie stoßen. Was also das Verhältnis von Böckenförde zu Frankreich und umgekehrt angeht, kann man sich des Eindrucks versäumter Chancen kaum erwehren. Erst spät, am 16. Juni 2011 ist eine öffentliche Konferenz von Böckenförde in Frankreich nachzuweisen. Sie wurde auf die Initiative von Jochen Hoock im Deutschen Historischen Institut in Paris organisiert und hatte „den Beruf des Juristen zwischen rechtlicher Norm und Geschichtserfahrung“ zum Thema. Von Böckenförde selbst, der wie schon erwähnt, seit seiner Heidelberger Zeit mit Jochen Hoock bekannt war, wurde die Einladung angeregt.69 Auf den Vortrag von Böckenförde folgte eine Diskussion mit dem Historiker Wolfgang Kaiser und dem Juristen David Capitant sowie mit dem Publikum. Jochen Hoock hatte einige Wochen zuvor schon einen Beitrag zum selben Thema in der „Revue de synthèse“ veröffentlicht, in dem er auf manche philosophischen Debatten der frühen sechziger Jahre als Zeitzeuge eingeht und damit sowohl die Entstehung von Böckenfördes Paradoxon als auch Habermas’ damalige Position beleuchtet.70 Liegt es an Böckenförde selbst, dass er in Frankreich wenig rezipiert wurde? Bemühte er sich nicht darum, in Frankreich wahrgenommen zu werden? Erstaunlich ist hierbei auf jeden Fall, dass über das Kennenlernen mit Emmanuel Leroy Ladurie, Paul Ricoeur oder Emmanuel Lévinas hinaus, das sich wenigstens formell aufgrund mancher Treffen im Rahmen des 1982 gegründeten Instituts für die Wissenschaften vom Menschen nachweisen lässt, überhaupt keine richtige Brücke geschlagen wurde.71 Oder hatte es damit zu tun, dass Böckenförde in der Zeit, wo er Bundesverfassungsrichter (1983 – 1996) war, von diesem Amt ganz in Anspruch genommen war?

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Mündliche Mitteilung von Jochen Hoock an die Autorin 2011. Im Bundesarchiv lässt sich diese Frage im Briefwechsel zwischen Hoock und Böckenförde schon in den späten 1990er Jahren oder in der Mitte der 2000er Jahre nachweisen. Siehe z. B. den Brief von Jochen Hoock an Ernst-Wolfgang Böckenförde vom 14. 9. 2007, Bundesarchiv Koblenz Nachlass Böckenförde N 1538/826 „Sachthematische Korrespondenz, Monografie ,Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert‘- Reaktionen 2007 – 2008“. 70 Jochen Hoock, Le métier de juriste entre règle de droit et expérience de l’histoire, Revue de Synthèse, 132: 2 (2011), S. 277 – 291. 71 Siehe Bundesarchiv Koblenz Nachlass Böckenförde N 1538/173 – 178.

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Am Beispiel des Repräsentationsbegriffs, der sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Diskussion in Frankreich auf einen besonderen Widerhall hätte stoßen können und spätestens seit dem Herbst 2018 im Zusammenhang mit der Gelbwesten-Bewegung besonders stoßen könnte, seien hier schließlich anhand des erwähnten Dossiers über den Repräsentationsbegriff in der Zeitschrift „Trivium“ von 2014 auf einige komplexe Aspekte hingewiesen, die mit den Rezeptionsprozessen zusammenhängen. In der hervorragenden Einleitung zu diesem Dossier bieten die Herausgeber eine profunde Reflexion an, sowohl zur Vielschichtigkeit des Begriffs und zu den Schwierigkeiten und Erkenntnissen, die mit dem Gebrauch und Vergleich verschiedener Sprachen zusammenhängen, als auch mit verschiedenen Aspekten der Rezeption politischer Traditionen, Ideen und Selbstverständlichkeiten beiderseits des Rheins oder darüber hinaus. In Bezug auf das Nachdenken über die verschiedenen Sinnebenen der Repräsentation sowie auf die diesbezüglichen intellektuellen Wechselwirkungen zwischen Frankreich und Deutschland notieren die Herausgeber Folgendes, was im Zusammenhang mit unserem Rezeptionsthema weitreichende Folgen hat und wichtige Erkenntnisse ergibt. Es gebe manchmal eine Nähe zwischen den entsprechenden französischen und deutschen Autoren, obwohl dies in totaler Verkennung der anderen Tradition geschehe und sie unabhängig voneinander schrieben. Dies sei z. B. bei Bourdieu der Fall, dessen Ausführungen mit den Reflexionen eines Böckenförde oder eines Gerhard Göhler zur Komplementarität zwischen Repräsentation als Mandat/Vertretung und Repräsentation als Inkarnation/Verkörperung relativ verwandt seien, aber ohne jedweden Bezug zur diesbezüglichen deutschen Denktradition und deren demokratischen Varianten.72 Umgekehrt seien zwar manche französischen „klassischen“ Theorien des Republikanismus in Deutschland rezipiert worden, wohl aber kaum die jüngeren kritischen Ansätze von Lefort oder Rosanvallon, so die Autoren der Einleitung in „Trivium“. Die Herausgeber betonen ferner eine gewisse Distanz zwischen französischer und deutscher Denktraditionen in Bezug auf Repräsentation. Ganz konkrete Aspekte: z. B., dass das Standardwerk von Hasso Hofmann weder ins Französische noch ins Englische übersetzt wurde, oder dass manche Unterscheidungen wie die der beiden US- und französischen Republikanismen wohl in Deutschland, aber nicht in Frankreich geläufig sei. Letztes, tieferes Argument: die Distanz könne auch Ausdruck einer grundverschiedenen Denkart sein, deren Verständnis erfordern würde, 72

Einleitung zum Dossier „La représentation politique/Die politische Repräsentation“, Trivium 16 (2014): „Dieser neue Ansatz geht über die Dichotomie von Vertretung und Repräsentation hinaus und begründet ein Ergänzungsverhältnis zwischen Vertretungsrepräsentation und symbolischer Repräsentation, das ihm eine neue Perspektive auf zeitgenössische Demokratien eröffnet. Die beiden Beiträge von Ernst-Wolfgang Böckenförde und Gerhard Göhler [in „Trivium“] sind herausragende Zeugnisse dieser Denkrichtung. Zweifellos war es Pierre Bourdieu, der solchen Fragestellungen in Frankreich am nächsten kam [Pierre Bourdieu, Langage et pouvoir symbolique, Paris 2001], ohne dass er dabei allerdings auf die skizzierte deutsche Tradition Bezug genommen hätte; ihre demokratischen Ausprägungen sind in Frankreich nahezu unbekannt.“

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ganz neue epistemologische Wege zu gehen. „Wie Böckenförde und Göhler zeigen, steht sie [= die symbolische Repräsentation] quer zu dem Gegensatz zwischen direkter (oder Basis-) und repräsentativer Demokratie. Dieses [neue] Verständnis von Repräsentation geht mit einer Neuinterpretation der theologisch-politischen Problematik einher, wie sie Schmitt im Namen der konservativen Revolution und Gauchet unter republikanischem Vorzeichen entfaltet haben. Für die französischen Leser dürfte dies echten Neuigkeitswert besitzen.“73 Mit dieser Bemerkung entwerfen die Autoren dieser Einleitung eine spannende Perspektive, der es nachzuspüren gälte. Deren Untersuchung würde aber die Grenzen des vorliegenden Beitrags weit überschreiten. Aus diesem Paradebeispiel kann man verschiedene Lehren ziehen, aber vor allem, dass die Rezeptionsprozesse im vielschichtigen Sinne des Wortes sehr komplexe Aneignungsprozesse voraussetzen mögen, die die Erarbeitung verschiedener Vermittlungswege und die Überwindung mancher epistemologischer Barrieren benötigen.

IV. Schlusswort – Ein weites Feld Am Ende dieses Überblicks über die Rezeptionsvorgänge, die das Kennenlernen mit Böckenfördes Werk in Frankreich begleiten, gilt es den Organisatorinnen der Tagung und Herausgerinnen dieses Bandes noch einmal dafür zu danken, dass sie einen solchen Ansatz veranlassten. Dieses Thema ist ein viel weiteres Feld, als es eigentlich den Anschein hat. Die breite Fokussierung des Überblicks war hier eine von vielen anderen möglichen Herangehensweisen an dieses Thema. Bei einer engeren Fokussierung auf einzelne Themen oder Ansätze könnten z. B. mikroskopische Aspekte der begrifflichen Verständigung oder Übersetzung näher berücksichtigt werden. Hier ist auch in den Überblick eine implizite Einordnung der Rezeptionsvorgänge eingegangen, nach der diejenigen Arbeiten, die dem Denken Böckenfördes am gerechtesten werden, irgendwie mehr gelten, als diejenigen, die ich etwa als „impressionistisch“ gekennzeichnet habe. Vom Standpunkt der Kulturtransfers aus würde ein solches, unterschwellig normatives Urteil nichts taugen, da jedes Rezipieren egal ob richtig oder nicht der Untersuchung wert ist. Ein weiteres Ergebnis der vorliegenden Beschäftigung mit den Rezeptionsvorgängen im Zusammenhang mit Böckenfördes Werk in Frankreich ist die vielleicht naheliegende Bewusstwerdung, dass diesen Rezeptionsprozessen ja eine voluntaristische Haltung auch zugrunde liegen mag. Es schadet nicht, diese Prozesse zu beglei73 Hier die französische Entsprechung des Textes, die auf der Webseite von „Trivium“ zu finden ist: „Cette manière de penser la représentation [symbolique en liant figuration et incarnation, mais sans confusion avec la représentation-mandat] implique une réinterprétation démocratique de la problématique théologico-politique développée par Schmitt dans une optique de révolution conservatrice, ou par Gauchet dans une optique républicaine. Elle est très neuve pour les lecteurs français.“

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ten oder zu fördern. Somit könnte der dialogischen Dimension des komplexen Werkes Böckenfördes, das in Frankreich eine nähere Betrachtung verdient, vielleicht besser Rechnung getragen werden. Allerdings wäre dabei die ständig lauernde Gefahr der Ikonisierung zu berücksichtigen.

Böckenförde in Frankreich – Anmerkungen zu Bedingungen und Hemmnissen einer Rezeption Von Dieter Gosewinkel, Berlin/Paris Überblickt man das Werk Ernst-Wolfgang Böckenfördes in seiner thematischen Fülle, disziplinären Vielschichtigkeit und methodischen Anlage, bieten sich – grundsätzlich – zahlreiche Anknüpfungspunkte für seine Rezeption in Frankreich. Es umfasst die Rechts- und Geschichtswissenschaft, greift in die Philosophie und Theologie aus, ist in seinem Zugriff dezidiert historisch und eminent politisch. Dafür, so lautet eine plausible Annahme, müssten gerade Frankreich und die französische Geisteswelt aufgeschlossen sein: ein Land, das wie kein anderes auf dem Kontinent die Geschichte Europas seit dem Mittelalter politisch-kulturell bestimmt und geistig reflektiert hat. Frankreich und sein „roi très chrétien“ standen für die enge Verbindung von Katholizismus und politischer Herrschaft. Es prägte (neben Spanien) den Absolutismus als politische Form aus und setzte ihn politisch-kulturell in Eroberungszügen von Ludwig XIV. bis zu Napoleon Bonaparte in weiten Teilen Europas durch. Es waren die französische Aufklärung und das aufstrebende Bürgertum Frankreichs, die mit der „Grande Révolution“ von 1789 eine weltweit wirksame Geschichtszäsur setzten. Diese bis heute fortlebende und sehr präsente revolutionäre Tradition mit dem intellectuel engagé als Emblem – all dies könnte der Rezeption Böckenfördes in Frankreich einen fruchtbaren Boden bereiten. – Denn Böckenförde war ein intellectuel engagé, auch wenn er sich nicht als solcher präsentierte. Er griff mit dem Impetus aufklärerischer Kritik in historische und tagespolitische Debatten ein und entfachte sie. Vor allem aber kreiste sein wissenschaftliches Werk um zentrale Begriffe und Momente, die konstituierend für das französische Geschichtsverständnis sind. Der Staat als primäre politische Form und Handlungseinheit hatte für Böckenförde in Frankreich seine idealtypische Ausprägung gefunden.1 Nicht zufällig galten ihm die Zentralisierung politischer Gewalt, die Ausbildung des stehenden Heeres und der zentralen (Steuer-)Verwaltung im französischen Absolutismus als Modell schlechthin für die Staatsbildung auf dem europäischen Kontinent. Das Modell ging in die vergleichenden, strukturanalytischen Forschungen der von Böckenförde hochgeschätzten – und teilweise ins Französische übersetzten – Staatswissenschaftler und Historiker Lorenz von Stein und Otto Hintze 1 Nicht zufällig setzte Böckenfördes erster Aufsatzband bei Suhrkamp den „Staat“ an den Anfang der Begriffstrias im Titel: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, 1976.

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ein.2 Es war nur konsequent, dass der „Staat“, die von Böckenförde mit Roman Schnur gemeinsam begründete, genuin interdisziplinäre Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte, viel Interesse an französischen Themen und Autoren zeigte. Dies galt für die Carl-Schmitt-Schule insgesamt, wie beispielsweise Schnurs starke Ausrichtung auf die französische Verfassungsgeschichte belegt.3 Auch die zentrale Bedeutung, die Revolutionen, politische Umbrüche des politischen Systems und die dahinterstehenden politisch-sozialen Bewegungen in der Staatstheorie und Verfassungslehre der Schmitt-Schule besitzen – man kann bei Schmitt von einer Faszination durch Revolutionen reden –, teilt sich dem Werk Böckenfördes mit. So hat er sich immer wieder mit der Revolution von 1918 und auch der nationalsozialistischen Revolution von 1933 gegen die demokratisch-liberale Ordnung von Staat und Gesellschaft befasst. Vor allem sein starkes Interesse an Lorenz von Stein und dessen Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich seit der Revolution von 17894 verdankt sich dem Bewusstsein des genuin historisch denkenden Böckenförde, wie wirkmächtig der Bruch der Französischen Revolution nicht nur für die staatliche, sondern auch für die gesellschaftliche Ordnung des modernen Europa im Ganzen war.5 All diese Gründe, und hier sind nur einige wichtige genannt, sprechen dafür, dass Böckenförde in der französischen Wissenschaft Aufmerksamkeit und, in der Folge, gegebenenfalls auch eine Rezeption erfahren könnte. Dies scheint mir bisher aber nur in sehr begrenztem Umfang der Fall zu sein. Hier wechsle ich in das subjektive „ich“, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen bedürfte die Feststellung, inwieweit Böckenförde in Frankreich rezipiert wurde und wird, einer genaueren Ermittlung für mehrere in Betracht kommende Fächer wie die Rechts- und Geschichtswissenschaft, die politische Theorie und Theologie, gegebenenfalls auch Sozialwissenschaft. Zum zweiten sind die Gründe für eine fehlende oder ,defizitäre‘ Rezeption immer schwerer zu ermitteln und deutlich spekulativer als die Analyse einer vorhandenen Rezep2

S. z. B. Lorenz von Stein, Französische Staats- und Rechtsgeschichte, 3 Bde. Basel 1846 – 48; ders., Le concept de société (traduit par Marc Béghin, présenté par Norbert Waszek), Grenoble 2002; Otto Hintze, Féodalité, capitalisme et État moderne: essais d’histoire sociale comparée (Choisis et présentés par Hinnerk Bruhns. Trad. de l’allemand par Françoise Laroche), Paris 1991. 3 Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration, 1949 – 1970, München 2004, S. 128; z. B. Roman Schnur, Die französischen Juristen im Konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des modernen Staates, Berlin 1961. 4 Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bde. Leipzig 1850, Neuausgabe Gottfried Salomon, München (Drei Masken Verlag) 1921 (Neudruck Darmstadt 1959); Ernst-Wolfgang Böckenförde, Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 170 – 208. 5 S. z. B. Böckenförde (Fn. 4), S. 170; ders., Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 92 – 114 (107).

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tion. Hinzu kommt, drittens, ein beträchtlich normatives Element. Denn unterstellt nicht die Annahme, eine Rezeption sei ,defizitär‘ oder ,gering‘ das fehlende Bewusstsein der Aufnahmegesellschaft von der ,wahren‘ Bedeutung eines Autors? Auf eine solche Annahme werde ich mich nicht einlassen. Sie ist nicht interessant, denn sie reflektiert nurmehr die eigenen Vorlieben des Betrachters. Unter diesen Maßgaben will ich als Wissenschaftler, der zwar über Frankreich arbeitet, aber nicht aus der französischen Wissenschaft kommt, einige knappe, von Spekulation nicht freie Betrachtungen darüber anstellen, worin mögliche Hindernisse für eine Rezeption Böckenfördes in der französischen Wissenschaft liegen. Zunächst zeichnet sich in Umrissen ab, dass die Rezeption Böckenfördes sich bisher auf fachlich eher begrenzte Kreise von Rechtswissenschaftlern, zumeist Staatsrechtlern, sowie an Religionsfragen interessierten Soziologen, Politikwissenschaftlern, Philosophen und Germanisten bezieht. Olivier Jouanjan und Sylvie Le GrandTicchi stehen repräsentativ für diese Kreise. Sie sind maßgebliche Interpreten und Vermittler der Werke Böckenfördes in der französischen Wissenschaft. Wo aber könnten Hemmschwellen für eine weitergehende Rezeption liegen? Ein erster, äußerer Grund von eher untergeordneter Bedeutung liegt in der sprachlichen Vermittlung. Insgesamt nimmt im französischen Publikum die Lesefähigkeit des Deutschen als Wissenschaftssprache eher ab. Hinzu kommt, dass zwar Böckenfördes gedanklicher Duktus argumentativ klar ist, seine Sprache aber dort, wo sie Anleihen in den Quellen macht, insbesondere bei Hegel, voraussetzungsvoll ist und sich einem mit der deutschen philosophischen Sprache nicht vertrauten Publikum nicht unmittelbar erschließt. Ein zweiter, gewichtiger aber schwerer zu fassender Grund liegt möglicherweise in der Bedeutung der Religion, die in Böckenfördes Werk eine zentrale Stellung hat. Böckenförde ist zwar gewiss kein „katholischer Jurist“, als der er manchmal eingestuft wird. Vielmehr ist er zum einen ein bekennender Katholik, zum anderen ein Jurist, der die Bedeutung der Religion im Staat und für das Recht ernst nimmt und als hoch einschätzt. Beides aber, und das zeichnet sein Denken aus, hält er voneinander getrennt. Er denkt dezidiert vom freiheitlich säkularisierten Staat und dessen Verpflichtung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität her. Zugleich aber tritt er dafür ein, staatstheoretisch gesehen, die Religion als eine förderliche, ja, notwendige Bedingung für den gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenhalt zu begreifen. Er plädiert daher für ein pluralistisches, gegenüber der Religion in ihren verschiedenen Ausprägungen offenes Staatswesen, bringt die Einführung eines muslimischen Feiertags in die Diskussion, hält ein gezieltes Verbot des Kopftuchs in öffentlichen Schulen für verfassungswidrig sowie ein generelles Verbot religiöser Symbole für politisch unklug und fragwürdig. Böckenförde sieht darin den Schritt in die laïcité und fragt: „Kann das gewollt sein?“6 6 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ver(w)irrung im Kopftuchstreit, Süddeutsche Zeitung 12 v. 16. 1. 2004, S. 2.

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Eben hier scheint mir eine erhebliche Rezeptionsschwelle zu liegen. Die laïcité ist im französischen Verständnis des Verhältnisses von Staat und Religion nicht nur Gesetz seit 1905. Sie gilt auch als ein Fundament der Republik und des republikanischen Selbstverständnisses schlechthin. Seit mehr als einem Jahrhundert sind Generationen französischer Wissenschaftler in diesem Grundverständnis aufgewachsen und von ihm tief geprägt. Die strikte Trennung von Kirche und Staat ist für die Mehrheit unter ihnen ein revolutionär errungenes Bollwerk, um jede Form des ,Klerikalismus‘ wirksam abzuwehren. Deshalb erfahren in Frankreich politische Initiativen zur Verbannung jeglicher religiösen Symbole aus dem staatlich-öffentlichen Raum mehrheitliche Zustimmung von der äußersten Linken bis zur extremen Rechten. Wer sich mit grundsätzlichen Gründen gegen diese Auffassung stellt, setzt sich dem Verdacht aus, in einem Land, in dem z. B. der Katholizismus, die Mehrheitsreligion, an ihren Rändern durchaus republikfeindlich ist, fundamentalistische Strömungen zu stützen. Die Fragestellung eines von der Demokratie überzeugten Katholiken wie Böckenförde, der in den 1950er und 60er Jahren seine eigene Kirche mit großem Nachdruck dazu drängte, sich der Demokratie zu öffnen, erzeugt bei einer laizistischen Denkhaltung, die von einer scharfen Trennung zwischen Kirche und Staat ausgeht, wenig Aufmerksamkeit, wenn nicht gar Abwehr. Ein dritter Grund, der Böckenfördes Rezeption in Frankreich erschweren mag, liegt in der Rezeption seines Lehrers Carl Schmitt als antiliberalem Denker.7 Neben scharfer Gegnerschaft zu Schmitt gibt es in der französischen Intelligentsia eine positive Schmitt-Rezeption, die auch bekannte linke Intellektuelle umfasst. Der marxistische Philosoph Étienne Balibar begründet in einem Vorwort zur französischen Übersetzung den Nutzen von Schmitts Werk über den „Leviathan im Werk von Thomas Hobbes“8 und führt unter anderem als Rechtfertigung an, dass die Extreme politischen Denkens sich berührten. Jacques Derrida, der Begründer der Dekonstruktion, empfiehlt bereits 1994 die Wiederlektüre Schmitts (ebenso wie Heideggers).9 Der linke Antiliberalismus, Antiimperialismus und Antiparlamentarismus sowie die Kritik an der Globalisierung finden bei Carl Schmitt argumentativen Rückhalt und Bestätigung. Eben diese dezidiert antiliberale Aufnahme Schmitts verstellt die Rezeption seines Schülers Böckenförde, der in seiner Verfassungslehre und Staatstheorie Schmitt ,liberal‘ interpretiert und ein nachdrücklicher Befürworter des liberalen und demokratischen Verfassungsstaats sowie des Parlamentarismus ist. 7

Schmitts Hauptwerke liegen fast durchweg in französischer Übersetzung vor, davon allein zehn Übersetzungen in den Jahren zwischen 2000 und 2011. Man kann also von einem starken und steigenden Interesse an Schmitt sprechen, vgl. https://fr.wikipedia.org/wiki/Carl_ Schmitt. 8 Étienne Balibar, Le Hobbes de Schmitt, le Schmitt de Hobbes, préface de Carl Schmitt, Le Léviathan dans la doctrine de l’État de Thomas Hobbes (traduit par Denis Trierweiler), Paris 2002, S. 7 – 65 (10 ff.); Jean-Claude Monod, La radicalité constituante (Negri, Balibar, Agamben) ou peut-on lire Schmitt de droite à gauche? Décision, exception, constitution: autour de Carl Schmitt, Mouvements 35:1 (2005), S. 72 – 92. 9 Jacques Derrida, Politique de l’amitié, Paris 1994, S. 102, Fn. 1.

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Diese radikal getönte, affirmativ-antiliberale Lesart Schmitts könnte dazu beitragen, Böckenförde als liberalen Schüler Schmitts auch für französische Denker zu verdecken, die dem liberalen linken, teils sozialdemokratisch beeinflussten Spektrum angehören. Der gegenwärtig einflussreichste politische Theoretiker und Ideenhistoriker Frankreichs, Pierre Rosanvallon, der auch ins Deutsche übersetzt ist, rezipiert Böckenförde nicht.10 Das Gleiche gilt, soweit ich sehe, für den bedeutenden französischen Denker des Totalitarismus, Claude Lefort, der 1998 vor Böckenförde (2004) den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken erhielt.11 Im Übrigen kann man von Böckenförde lernen, wie sehr das wissenschaftliche Denken – und damit auch die Rezeption anderer Wissenschaftskulturen – von zeitgebundenen Fragestellungen und Leitvorstellungen abhängt.12 Tiefe Historizität, die Böckenförde wie auch der an geschichtlichem Denken reichen Wissenschaftskultur Frankreichs eigen ist, könnte hier eine Brücke bilden. Böckenfördes zentrales Thema, die Interpretation und Stärkung des freiheitlichen säkularisierten Staates gegenüber politisch-religiösem Fundamentalismus und geistiger Abkapselung, ist gewiss auch ein französisches, ja, europäisches Anliegen. Vielleicht kommt der historische „Moment“ noch, der das französische Denken weiter öffnet für diesen besonderen deutschen Staatstheoretiker, Juristen und Historiker. Für diesen Moment sollte man Vorsorge tragen – und Böckenförde ins Französische übersetzen.

10 Seit 2001 Professor am Collège de France, Inhaber des Lehrstuhls für die neuere und neueste Geschichte des Politischen. Von 1992 bis 2005 leitete er das centre de recherches politiques Raymond Aron an der École des Hautes Études en Sciences Sociales. 11 Lefort war, wie Rosanvallon, Mitglied des Centre de Recherches Politiques Raymond Aron. 12 So die klassische Formulierung des Titels der geschichtswissenschaftlichen Dissertation: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, 1961 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte, Band 1).

Staat als Garant der individuellen Freiheit: die Rezeption Böckenfördes in Japan Von Tomonobu Hayashi, Tokio*

I. Einführung Wie werden das Denken und die Werke Ernst-Wolfgang Böckenfördes in Japan rezipiert? Diese Frage mag besonders für die Europäer interessant sein. Böckenförde hat immer wieder die Entstehung und die Strukturprinzipien des modernen Staates im Kontext der europäischen Geschichte dargestellt und analysiert.1 Der Staat ist nicht ein ubiquitäres Gebilde, das man in jeder Epoche und überall in der Welt finden kann, sondern ein Produkt der europäischen Neuzeit, das von seinen Entstehungsbedingungen stark geprägt ist.2 Aber was kann man von ihm in einem Land in Ostasien lernen, wo die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe anders sind? Was bedeutet es, hier vom Urbild des modernen Staates zu sprechen? Vor allem ist der politische und intellektuelle Kontext Japans in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht identisch mit dem der Bundesrepublik Deutschland, von dem die Werke Böckenfördes beeinflusst wurden. In diesem Aufsatz möchte ich versuchen, anhand der Darstellung und Analyse der BöckenfördeRezeption in Japan auch zugleich einen kleinen Einblick ins japanische Staatsund Verfassungsdenken zu geben. Zuerst möchte ich der Leserschaft die Rezeption Böckenfördes (II.) und die Übersetzungen seiner Werke (III.) in Japan vorstellen, dann einige Berührungspunkte der Werke Böckenfördes mit den staatstheoretischen und verfassungsrechtlichen Diskussionen in Japan zeigen (IV.), um abschließend einige Bemerkungen über die Eigentümlichkeiten der Böckenförde-Rezeption in Japan zu machen (V.).

* Ich danke Thomas Osterkamp für seine Hilfe bei der Verbesserung des Textes sowie Oliver Lepsius und Christoph Schönberger für die freundlichen Kommentare. 1 Vgl. z. B. die Aufsätze im II. Teil seines Sammelbandes Recht, Staat, Freiheit, erweiterte Ausgabe, 2013. 2 Vgl. Carl Schmitt, Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff (1941), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 – 1954, 1958, S. 375 – 385. Siehe auch Otto Brunner, Land und Herrschaft, 5. Aufl. 1965.

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Tomonobu Hayashi

II. Hintergründe der Böckenförde-Rezeption in Japan 1. Staatsphilosoph, Verfassungshistoriker oder Staatsrechtler? Böckenfördes wissenschaftliche Arbeit umfasst verschiedene Bereiche. Als wichtigste kann man Verfassungsgeschichte, Staatsrecht und Staatsphilosophie nennen. Die erste Frage dieses Aufsatzes ist darum: in welchem Bereich wird Böckenförde in Japan am stärksten rezipiert? Und die Antwort heißt: im Staatsrecht. Im Vergleich dazu ist die Rezeption im Bereich der Philosophie oder der Geschichtswissenschaft eher schwach. Die Übersetzung seiner Werke wurde auch abgesehen von einigen Ausnahmen zum großen Teil von Staatsrechtlern durchgeführt. Böckenförde wird in Japan im Großen und Ganzen als Staatsrechtler wahrgenommen. Als Grund hierfür kann man einige Hintergründe nennen. In der japanischen gegenwärtigen Philosophie ist der Einfluss der angelsächsischen und der französischen Philosophie ausgeprägt, während das Interesse an der deutschen im Vergleich dazu schwächer ist und sich bisher tendenziell auf die Frankfurter Schule oder die Systemtheorie konzentriert.3 Der Kreis der Historiker, die Böckenförde lesen, beschränkt sich fast auf die Spezialisten zur deutschen Geschichte. In den 70er und 80er Jahren gab es in diesem Kreis einen Versuch, die Verfassungsgeschichte Otto Brunnerscher Art und die begriffsgeschichtliche Forschung in Deutschland zu rezipieren, und in diesem Zusammenhang wurde ein Sammelband über die Bildung des modernen Staates herausgegeben, für den auch ein Aufsatz von Böckenförde über die konstitutionelle Monarchie ins Japanische übersetzt wurde.4 Aber diese wissenschaftliche Bewegung findet heutzutage nicht viele Nachfolger. Im Gegensatz dazu wird Böckenförde im Kreis der Rechtswissenschaftler als einer der wichtigsten Staatsrechtler und Verfassungstheoretiker in der Bundesrepublik anerkannt und viel gelesen sowie zitiert. Böckenförde hat sich in Japan bereits seit langem als Klassiker des deutschen Staatsrechts und des grundsätzlichen Verständnisses der Verfassung etabliert, so dass ich mich im Folgenden auf die Böckenförde-Rezeption im Bereich der Rechtswissenschaft konzentrieren will. Um die Eigenart dieser Rezeption zu verstehen, muss man sich zunächst über den Charakter der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft klar werden. In Japan wird die Verfassung von 1946 nicht so sehr als die gemeinsame Grundlage der Politik, sondern

3 In den philosophiegeschichtlichen Forschungen ist das Interesse an konservativem, antidemokratischem Denken in der Weimarer Republik, allen voran Carl Schmitt, nicht gering. Aber die Wissenschaftler dieser Richtung thematisieren selten die liberale Schmitt-Rezeption in der Bundesrepublik. 4 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Osamu Naruse (Hrsg.), Dento Shakai to Kindai Kokka (Die traditionelle Gesellschaft und der moderne Staat), 1982, S. 487 – 522.

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eher als Gegenstand des politischen Streits angesehen, und diese Situation gibt der Verfassungsrechtswissenschaft ihre besondere Prägung. 2. Die japanische Verfassungsrechtswissenschaft als Disziplin Die Eigenart der Verfassungsrechtswissenschaft eines Landes steht im engen Zusammenhang mit der Eigenart der Verfassung des Landes selbst – nicht nur des Verfassungstextes, sondern der „gelebten“ Verfassung. Die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik lässt sich ohne Verständnis des Funktionierens des GG, vor allem seiner Handhabung durch das Bundesverfassungsgericht, nicht verstehen. In dieser Hinsicht zeigt die japanische Verfassung von 1946 bedeutende Unterschiede zum Grundgesetz. Während das Grundgesetz von 1949 und die japanische Verfassung von 1946 beide nach der Kriegsniederlage im 2. Weltkrieg unter dem Einfluss der westlichen Mächte verabschiedet wurden und in diesem Sinne gewisse Gemeinsamkeiten zeigen, wie z. B. die Betonung der Menschenrechtsidee, die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit, das parlamentarische Regierungssystem usw., sind ihre Funktion im Staatsleben sehr unterschiedlich. Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Akzeptanz der Verfassung durch die politische Klasse. Die japanische Verfassung von 1946 wurde als Totalrevision der Verfassung von 1889 eingeführt. Während die letztere (die sog. Meiji-Verfassung) nach dem Vorbild der deutschen konstitutionellen Monarchie entworfen wurde und auf dem monarchischen Prinzip gegründet hat, hat die erstere die Volkssouveränität proklamiert und den Kaiser aller politischen Befugnisse beraubt, und außerdem dem Staat die Innehabung der Streitkräfte verboten (Artikel 9, die sogenannte Pazifismusklausel). Das konservative Lager hat diesen Wechsel als Verneinung der bisherigen Staatlichkeit empfunden, und nach dem Ende der Besatzung und der Wiedergewinnung der Selbständigkeit (1951) den Versuch unternommen, die Verfassung wieder in die restaurative Richtung zu revidieren. Die Liberaldemokratische Partei (LDP), die seit ihrer Gründung 1955 mit Ausnahme von zwei kurzen Unterbrechungen (1993 – 1994, 2009 – 2012) kontinuierlich die Regierung stellt,5 proklamiert in ihrer Satzung als Ziel der Partei die Verabschiedung einer neuen Verfassung. Nachdem der Versuch der Verfassungsänderung vor allem unter der Regierung Ichiro Hatoyama (1954 – 56) und Nobusuke Kishi (1957 – 60) gescheitert war, ist eine Art Waffenstillstand entstanden, der jahrzehntelang angedauert hat. Die oppositionellen Kräfte, die gegen die Verfassungsänderung sind, haben zumindest bis 2013 immer über ein Drittel einer Kammer des Parlaments

5 Der Premierminister ist normalerweise der Parteivorsitzende der LDP, während sie ausnahmsweise von 1994 – 1996 als stärkster Partner der Drei-Parteien-Koalition den Premierminister der Juniorpartner, der Sozialdemokratischen Partei Japans, Tomiichi Murayama unterstützt hat.

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verfügt, das die Verfassungsänderung verhindern kann.6 Die Verfassung hat dabei bei der Bevölkerung auch aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung eine weitgehende Akzeptanz gefunden, worin man vielleicht den „Verfassungspatriotismus“ japanischer Art sehen könnte. Aber der ideologische Gegensatz ist nicht ganz verschwunden, und wird manchmal wiederbelebt, wie unter der Regierung Shinzo Abe (2006 – 07, seit 2012). Diese Lage, in der die Legitimität der Verfassung lange umstritten geblieben ist, hat der Verfassungsrechtswissenschaft eine besondere Aufgabe gegeben. Sie soll nicht nur den positivrechtlichen Gehalt der geltenden Verfassung explizieren, sondern auch die grundsätzlicheren Fragen diskutieren, z. B. was der Zweck der Verfassung ist, warum die Verfassung die Staatsgewalt binden soll, warum die wichtigen Grundsätze wie die Volkssouveränität, der Grundrechtsschutz, Unterscheidung zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre usw. gelten sollen. Mit anderen Worten: Es besteht eine große Nähe zwischen der Verfassungsrechtswissenschaft und der politischen Theorie, wie es vielleicht auch in Deutschland früher, etwa in der Zeit der Weimarer Republik, üblich war, wo die Grundsatzfragen der politischen Ordnung gestellt wurden. Oder man kann sagen, dass die japanische Verfassungsrechtslehre zum gewissen Grad die Rolle der politischen Theorie übernommen hat. Entsprechend hoch ist der Theoriebedarf für sie. Ein anderer Unterschied zwischen Japan und der Bundesrepublik liegt darin, dass die Verfassungsrechtsprechung in Japan unterentwickelt bleibt. Obwohl die Verfassung von 1946 das System der judicial review amerikanischer Art eingeführt hat, hat der Oberste Gerichtshof (OGH) seine Befugnisse verfassungsrechtlicher Kontrolle extrem zurückhaltend ausgeübt. Seit seiner Gründung 1947 hat der OGH bis heute Gesetze nur zehnmal als verfassungswidrig erklärt. Ein Grund dieser Zurückhaltung dürfte darin liegen, dass der OGH der lange dauernden konservativen Regierung nicht entgegenstehen wollte. In seiner Argumentation bevorzugt er, die Fälle möglichst auf der Ebene der Gesetzesinterpretation und -anwendung zu lösen, ohne zu verfassungsrechtlichen Argumenten zu greifen. Die Verfassungsrechtswissenschaft steht dieser Position des Gerichts kritisch gegenüber. Von den 1950er bis 70er Jahren hat sie die sprunghaften Entwicklungen der Grundrechtsjudikatur in den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik und auch Frankreich beobachtet, und vom japanischen Gericht eine vergleichbare Entwicklung erwartet. Ihre Vorschläge zur neuen Verfassungsinterpretation haben sich jedoch in der Praxis nur zum kleinen Teil durchgesetzt. In dieser Situation gibt es für sie im Hinblick auf die wissenschaftliche Orientierung zwei Optionen. Eine liegt darin, von dieser Distanz zur Praxis zu profitieren, um eine andere wissenschaftliche Möglichkeit als Rechtsdogmatik zu verfolgen. Sie kann z. B. eine politikwis6 Nach Artikel 96 der Verfassung von 1946 sind für die Verfassungsänderung (1) die Beschlüsse der beiden Kammer des Parlaments mit der Zweidrittelmehrheit ihrer Mitglieder und (2) die Bewilligung durch die Volksabstimmung mit der einfachen Mehrheit benötigt. Bisher wurde die erste Hürde nie genommen.

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senschaftliche Methode wählen, oder sich in die rechtsphilosophischen oder staatstheoretischen Überlegungen vertiefen. Eine andere Option liegt darin, die rechtsdogmatische Richtung weiter zu verfolgen und sich noch darum zu bemühen, auch die Praxis von der Richtigkeit ihrer Verfassungsinterpretation zu überzeugen. In der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft bestehen diese zwei Tendenzen nebeneinander. Und wenn sie diese zweite Möglichkeit verfolgt, braucht sie manchmal eine Verfassungstheorie, die imstande ist, der Verfassungsinterpretation der Wissenschaft die Leitlinie zu geben und sie gegenüber der Praxis zu begründen. Insgesamt ist der Theoriebedarf in der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft relativ groß, und zwar der Bedarf an solcher Theorie, die einerseits erklärt, was der moderne Verfassungsstaat eigentlich ist, und die andererseits der konkreten Verfassungsinterpretation die theoretische Grundlage gibt. Diese Situation bietet einen wichtigen Hintergrund für die Böckenförde-Rezeption in Japan. 3. Verfassungsvergleichung als Methode Aber wie kann die Rechtswissenschaft diesen Theoriebedarf erfüllen? Hier spielt eine Forschungsmethode die wichtige Rolle: die Verfassungsvergleichung. Die Verfassungsvergleichung, oder richtiger: die Betrachtung und Analyse des ausländischen Verfassungsrechts, hat sich in Japan als wichtigste Forschungsmethode lange etabliert. Ein großer Teil der Verfassungsrechtler wählt als methodischen Ansatz in ihren Dissertationen die Verfassungsvergleichung oder das ausländische Verfassungsrecht. Ein Grund liegt ohne Zweifel darin, dass die japanische Verfassungsrechtswissenschaft seit ihrer Gründung am Ende des 19. Jahrhunderts unter dem starken Einfluss der westlichen (vor allem kontinentaleuropäischen) Länder steht und deswegen die verfassungsrechtliche Entwicklung dieser Länder weiter verfolgt. Für die Verfassungsrechtswissenschaft unter der Verfassungsgerichtsbarkeit ist noch ein anderer Grund von besonderer Bedeutung. Da der Wortlaut der verfassungsrechtlichen Bestimmungen normalerweise, vor allem im Bereich der Grundrechte, kurz und abstrakt ist, ist der Spielraum der Argumentation hier im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten größer. Nach Bernhard Schlink „gibt es kein Argument aus dem klassischen naturrechtlichen Argumentationsarsenal, das heute von seiner Struktur und seinem Inhalt her nicht als verfassungsrechtliches Argument akzeptabel ist“. Aber diese Offenheit impliziert gleichzeitig eine Gefahr der Willkürlichkeit. Schlink weist darauf hin, dass „der weite Argumentationsspielraum, soll er nicht zur völligen Beliebigkeit führen, Begrenzungen fordert“, und sieht darin den Grund des Bundesverfassungsgerichtspositivismus in der Bundesrepublik.7 Dieselbe Problematik kann man auch in Japan finden. Ein Grund, warum das japanische Ge7 Bernhard Schlink, Die Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, Der Staat 28:2 (1989), S. 161 – 172 (168 f.).

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richt die Fälle lieber auf der Ebene des Gesetzesrechts zu lösen versucht, dürfte in der Sorge liegen, dass die Argumentation auf der Ebene des Verfassungsrechts nach dem Kriterium der traditionellen Rechtsdogmatik als beliebig angesehen werden könnte. Wenn die Wissenschaft dagegen z. B. den Grundrechtsschutz stärken will, muss sie den Verdacht der Beliebigkeit vermeiden, und hierbei spielt die Verfassungsvergleichung eine entscheidende Rolle. Die Argumente oder Doktrinen, die in einem anderen fortgeschrittenen Land schon in die Praxis umgesetzt wurden und sich bewährt haben, können zumindest nicht im gleichen Maß beliebig sein, wie eine freie Erfindung irgendeines Wissenschaftlers des eigenen Landes. Vermutlich nach diesem Gedankengang hat die japanische Verfassungsrechtswissenschaft detaillierte Forschungen zum ausländischen Verfassungsrecht betrieben. Dabei beschränkt sich ihr Forschungsinteresse nicht auf die Rechtsprechungen der Verfassungsgerichte, sondern erstreckt sich auf die weite wissenschaftliche Diskussion. Und je tiefer sie in die intellektuelle Welt eines Landes dringt, desto mehr interessiert sie sich nicht nur für die praktischen Fragen der Verfassungsinterpretation, sondern auch für die verfassungstheoretischen Grundfragen, die dahinterstehen. Die Verfassungsinterpretation und die Verfassungstheorie sind oft eng verbunden, und hier ist ein Punkt, an dem die japanische Verfassungsrechtswissenschaft der verfassungstheoretischen Diskussion in der Bundesrepublik begegnet, dessen Hauptfigur aus japanischer Sicht eindeutig Böckenförde ist. 4. Multikulturalismus oder Rechtskulturkampf im japanischen Verfassungsrecht Die Forschung des deutschen Staatsrechts hat in Japan seit langem eine besondere Bedeutung. Unter der Verfassung von 1889 ist die japanische Staatsrechtslehre unter dem überwältigenden Einfluss der deutschen Staatsrechtslehre entstanden. Damalige japanische Verfassungsrechtler lasen Deutsch, befreundeten sich mit den Lehrbüchern wie denen von Gerber, Laband, Jellinek, Meyer/Anschütz, und verfolgten auch die neuere Entwicklung in der Weimarer Republik und unter dem Nazi-Regime. Diese Vorherrschaft des deutschen Einflusses hat zumindest bis zum 2. Weltkrieg gedauert. Diese Situation hat sich allerdings nach dem Kriegsende stark geändert. Obwohl die neue Verfassung von 1946 nicht so viele Ähnlichkeiten mit der US-amerikanischen Verfassung hat, hat jene einen Punkt mit dieser gemeinsam: das System des judicial review (oder des richterlichen Prüfungsrechts). Vor allem im Bereich der Grundrechtslehre und des Verfassungsprozessrechts hat die japanische Verfassungsrechtswissenschaft seit den 1950er Jahren versucht, die amerikanischen Doktrinen zu rezipieren.8 Auf der anderen Seite hat auch der Einfluss von Frankreich stark zu8 Als führende Wissenschaftler dieser Richtung lassen sich nennen: Masami Ito (1919 – 2010), Nobuyoshi Ashibe (1923 – 1999), Yasuhiro Okudaira (1929 – 2015), Koji Sato (1937 –)

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genommen. Frankreich bietet eine andere Verfassungstradition als die deutsche innerhalb Kontinentaleuropas, und die Volkssouveränität sowie die Repräsentation wurden beliebte Themen für diese Forschungsrichtung.9 Als Folge dieser Entwicklungen wurde die Landschaft der Verfassungsrechtswissenschaft in Japan vielfältiger. In Hinblick auf den Gegenstand der verfassungsvergleichenden Forschung gibt es in Japan seitdem ungefähr drei Richtungen: die amerikanische Schule, die französische Schule und die deutsche Schule. Zwischen diesen Schulen gibt es einen Austausch, aus dem manchmal eine Synthese entstehen kann, der aber auch gelegentlich eine Konkurrenz oder eine Art juristischen Kulturkampf erzeugt. Im Bereich der Grundrechte z. B. versucht die amerikanische Schule mit Hilfe der amerikanischen scrutiny zu argumentieren, während die deutsche Schule die Grundrechtsdogmatik nach dem Schema Schutzbereich-Eingriff-Rechtfertigung systematisiert. In dieser wissenschaftlichen Landschaft zählt die deutsche Schule grob geschätzt ein gutes Drittel der japanischen Verfassungsrechtler. Für sie gelten die Werke Böckenfördes als Standardwerke dieses Bereichs. Diese Verfassungsrechtler deutscher Schule können deswegen als seine Stammleserschaft angesehen werden. Außerdem wurde seine Arbeit durch die Übersetzung, vor allem durch die Publikation eines Sammelbands von 1999, auch den Wissenschaftlern anderer Schule, Studenten und anderen Interessierten zugänglich.

III. Die Übersetzung Böckenfördes in Japan 1. Übersetzung der deutschen Staatsrechtslehre Die Tatsache, dass relativ viele japanische Verfassungsrechtler Deutsch lesen, hat auf die Übersetzungsarbeit einen Einfluss. Einerseits haben sie sich bemüht, japanischen Lesern die Klassiker des deutschen Staatsrechts durch Übersetzungen vorzustellen. Andererseits ist die Notwendigkeit nicht so groß, die Monographien und die Aufsätze zu übersetzen, die normalerweise nur Wissenschaftler interessieren. In Folge dessen gibt es eine Tendenz, die Übersetzung der Lehrbücher und der systematischen Werke zu bevorzugen.10 usw. Diese Richtung hat vor allem durch ihre erfolgreichen Lehrbücher auf die Bildung der herrschenden Meinung in der Wissenschaft einen großen Einfluss ausgeübt. 9 Die Rezeption des französischen Verfassungsrechts hat schon in den 1930er Jahren begonnen. Toshiyoshi Miyazawa (1899 – 1976) war ein Pionier auch dieses Bereichs. Nach dem 2. Weltkrieg wurde diese Richtung fortgeführt und erweitert durch jüngere Wissenschaftler wie: Keizo Nomura (1921 – 1994), Tadakazu Fukase (1927 – 2015), Yasuo Sugihara (1930 –), Yoichi Higuchi (1934 –), Kazuyuki Takahashi (1943–) usw. 10 Als Beispiel der wichtigsten Übersetzungen seit dem Ende des 2. Weltkrieges lassen sich die folgenden Titel nennen: Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, übers. v. Nobuyoshi Ashibe et al., 1974; Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, übers. v. Shiro Kiyomiya, 1971 (revidierte Neuauflage der Übersetzung von 1936); Carl Schmitt, Verfas-

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Außer solcher systematischen Werke werden manchmal auch Sammelbände in Japan herausgegeben11, und in diese Gruppe lassen sich die ausgewählten Aufsätze und Reden von Ernst-Wolfgang Böckenförde einordnen, „Gendai Kokka to Kempo, Jiyu, Minshusei“ (Der moderne Staat, Verfassung, Freiheit und Demokratie), herausgegeben von Masanori Shiyake, 1999. Der Band ist bisher die einzige Übersetzung Böckenfördes in Buchform, und sammelt wichtigste Aufsätze aus zwei Sammelbänden „Recht, Staat, Freiheit“ und „Staat, Verfassung, Demokratie“ sowie Reden, die Böckenförde auf der Reise nach Japan 1996 gehalten hat. Er gibt einen guten Überblick über sein staatstheoretisches und verfassungsrechtliches Denken. Im Vergleich mit anderen deutschen Staatsrechtlern ist die Übersetzung Böckenfördes zahlenmäßig nicht gering, aber auch nicht außerordentlich hoch. Ein Grund liegt darin, dass der japanische Verfassungsrechtler Böckenförde direkt auf Deutsch liest. Um über die Eigenart der Böckenförde-Rezeption in Japan nachzudenken, muss man daher statt Quantität der Übersetzung die Qualität der Beschäftigung mit ihm in den wissenschaftlichen Arbeiten beachten. 2. Kelsen oder Schmitt?: Der größte Gegensatz bis in die 70er Jahre Hierfür ist es wichtig, Böckenförde in eine Traditionslinie mit den wichtigsten Staatsrechtlern aus der Zeit der Weimarer Republik zu stellen, die in Japan zuvor rezipiert wurden. Die am meisten übersetzten und auch auf Deutsch rezipierten Autoren sind dabei Hans Kelsen und Carl Schmitt. Außer den oben (Anm. 10) genannten Hauptwerken wurden auch ein großer Teil ihrer weiteren Arbeiten übersetzt.12/13 sungslehre, 1928, übers. v. Yoshito Obuki, 1972; Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, übers. v. Teruya Abe und Yoshihiro Murakami [zweite Übersetzung], 1974; Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, übers. v. Takeharu Nagai, 2017; Hermann Heller, Staatslehre, 1934, übers. v. Seishu Yasu, 1971; Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 1959, übers. v. Teruya Abe und Katsumi Yamakawa, 1967; Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, 1975, übers. v. Masanori Shiyake et al., 1989; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 13. Aufl. 1982, übers. v. Teruya Abe et al., 1983; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1999, übers. v. Masanori Shiyake und Koichi Akasaka [zweite Übersetzung], 2006; Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 15. Aufl., 1999, übers. v. Hideki Nagata et al., 2001; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 5 Bde., 1977 – 2011, übers. v. Masahiro Akasaka et al., 2 Bde. [Auszug], 2009. 11 Z. B. Josef Isensee, Das Grundrecht als staatliche Schutzpflicht, herausgegeben von Hisao Kuriki et al, 2003; Rainer Wahl, Der Vorrang der Verfassung, herausgegeben von Go Koyama, 2012. 12 Die wichtigsten Übersetzungen von Kelsen seit 1945 sind außer der oben genannten „Allgemeinen Staatslehre“: Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929, übers. v. Yoshiji Nishijima, 1948; Gesammelte Aufsätze, 10 Bde., übers. v. Ryuichi Nagao et al., 1973 – 79; General theory of law and state, 1945, übers. v. Yoshito Obuki, 1991; Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. Aufl. 1928, übers. v. Masatsugu Oku et al., 2001; Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, übers. v. Ryuichi Nagao, 2014.

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Diese Lage kann als Widerspiegelung des bisherigen Interesses der japanischen Rechtswissenschaft interpretiert werden. (1) Die Kelsen-Rezeption in Japan beginnt schon in den 1920er Jahren. Damalige junge Wissenschaftler, die um die Jahrhundertwende geboren sind und sich in der Atmosphäre der Zwischenkriegszeit wissenschaftlich ausgebildet haben, haben sich schnell von der Gerber-Laband Schule verabschiedet, die die Generation ihrer japanischen Lehrer, wie Tatsukichi Minobe (1873 – 1948) und Soichi Sasaki (1878 – 1965), geprägt hat, und eine neue wissenschaftliche Richtung gesucht. Die Beschäftigung mit der Reinen Rechtslehre war für diese Generation unvermeidlich, auch wenn manche sich schließlich von ihr abwandten. Die Verfassungsrechtler Shiro Kiyomiya (1898 – 1989), Toshiyoshi Miyazawa (1899 – 1976), Satoru Kuroda (1900 – 1990), der Völkerrechtler Kisaburo Yokota (1896 – 1993), der Rechtsphilosoph Tomoo Otaka (1899 – 1956)14 sind Hauptfiguren dieser Generation.15 Sie haben abgesehen von einigen Ausnahme nach dem Ende des 2. Weltkrieges am Wiederaufbaus der Rechtswissenschaft maßgeblich mitgewirkt. Die Schüler dieser Generation in der Nachkriegszeit haben diese Kelsen-Rezeption fortgeführt. Der Einfluss von Kelsen ist bis in die 1970er oder auch 80er Jahren spürbar. Die reichliche Übersetzung der Werke Kelsens ist ein Ergebnis dieser Bemühung. (2) Carl Schmitt wird ebenfalls bereits in der Zwischenkriegszeit viel gelesen. Während Wissenschaftler liberaler Gesinnung wie Miyazawa die Entwicklung der deutschen Staatsrechtswissenschaft in den 1930er Jahren einschließlich Schmitt oder Otto Koellreuter eher aus der Distanz beobachtet haben, haben manche konservativer Gesinnung wie Kuroda sich die Verfassungslehre Carl Schmitts zu eigen zu machen versucht.16 Nach dem Krieg wurde es schwieriger, ausgesprochene Anhänger Schmitts zu finden,17 aber bei der Erörterung der theoretischen Fragen, z. B. der 13

Ebenfalls lassen sich als wichtigste Übersetzungen von Schmitt nach 1945 außer „Verfassungslehre“ folgende Titel nennen: Politische Romantik, 2. Aufl. 1928, übers. v. Kazuo Okubo, 1970; Der Begriff des Politischen, 1931, übers. v. Hiroshi Tanaka, Takeo Harada, 1970; Land und Meer, 1954, übers. v. Keizo Ikimatsu und Mitsuhiro Maeno, 1971; Politische Theologie, 1922, übers. v. Hiroshi Tanaka, Takeo Harada, 1971; Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926, übers. v. Heiji Hattori, Moritaro Miyamoto, 1972; Theorie des Partisanen, 1963, übers. v. Kunio Nitta, 1972; Politische Theorie in der Zeit der Krise [Gesammelte Schriften], übers. v. Ryuichi Nagao et al., 1973; Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 1950, übers. v. Kunio Nitta, 1976; Legalität und Legitimität, 1932, übers. v. Hiroshi Tanaka/Takeo Harada, 1983; Die Diktatur, 1921, übers. v. Hiroshi Tanaka/Takeo Harada, 1991. 14 Dessen Hauptwerk in deutscher Sprache: Tomoo Otaka, Grundlegung der Lehre vom sozialen Verband, 1932. 15 Für die Festschrift für Hans Kelsen zum 50. Geburtstag (herausgegeben von Alfred Verdross, 1931 Wien) haben Otaka und Yokota Beiträge geschrieben, was die Verbindung der damaligen japanischen Rechtswissenschaft mit der Reinen Rechtslehre gut beweist. 16 Satoru Kuroda, Nihon Kempo Ron (Die Lehre der japanischen Verfassung), 1937. 17 Kuroda wurde in der Nachkriegszeit von 1946 bis 1953 auf Grund seiner Mitwirkung am Kriegsregime von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, und hat seitdem, auch nach seiner Rückkehr zur Universität, den wissenschaftlichen Einfluss stark verloren.

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verfassunggebenden Gewalt, der Grenzen der Verfassungsänderung usw., hatten die Verfassungsrechtler oft Schmitt im Kopf, auch wenn sie Schmitt kritisierten oder nicht ausdrücklich erwähnten. In den 1960er und 70er Jahren wurde das Interesse an Schmitt in der unruhigen Atmosphäre der Zeit vor allem in der Politikwissenschaft wiederbelebt. Viele seiner Werke wurden in dieser Periode von Staatsrechtlern, Rechtsphilosophen und Politikwissenschaftlern übersetzt. (3) Bis in die 1970er Jahre war der wichtigste Gegensatz für die japanische Verfassungsrechtswissenschaft daher „Kelsen oder Schmitt“ (und nicht „Schmitt oder Smend“). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Schmitt in Japan manchmal als gefährlicher Denker angesehen und kritisiert, aber niemals als Tabu verbannt wurde. Mit anderen Worten musste Schmitt, um in Japan rezipiert zu werden, nicht auf die Rehabilitierung durch einen liberalen Schüler wie Böckenförde warten. Das bedeutet nicht notwendig, dass der Japaner gegenüber dem Fehlverhalten während des NS-Regimes nachsichtig ist, sondern dass die geographische Distanz und der Unterschied der politischen und gesellschaftlichen Situation die Rezeption der wissenschaftlichen Werke unabhängig von der Person des Autors erleichtert haben. Und in den Fragen, über die Schmitt selbst schon Grundsätzliches geschrieben hatte und Böckenförde es modifizierend weiterentwickelt hat, wie z. B. die verfassunggebende Gewalt des Volkes,18 ist die Böckenförde-Rezeption nicht so prägend im Vergleich zum Einfluss von Schmitt selbst. Mit anderen Worten beginnt die eigentliche Böckenförde-Rezeption bei den Fragen, für die Schmitt nicht viel geschrieben oder keine direkte Lösung gezeigt hat. Das ist vor allem die Frage, wie der nach dem Krieg entstandene neue Verfassungsstaat konkret ausgestaltet und weiterentwickelt werden soll. In seiner konstruktiven Haltung gegenüber der neuen Bundesrepublik unterschied sich Böckenförde dabei klar von Schmitt. Die Kelsen- und die Schmitt-Rezeption wurde oft auf einer grundsätzlicheren, rechtsphilosophischen Ebene geführt. Der Gegensatz beider betrifft die globale Sichtweise des Rechts und der Verfassung, und kulminiert in der Frage, was eigentlich der letzte Grund der Rechtsordnung ist, Norm oder Entscheidung. Diese Grundfragen waren vor allem in der Nachkriegszeit wichtig, wo die Wissenschaft mit Fragen konfrontiert wurde, z. B. wie der Wechsel der Souveränität und des Verfassungsregimes theoretisch erklärt und gerechtfertigt werden kann, worin die Grenzen liegen, die selbst die verfassunggebende Gewalt nicht überschreiten darf, welches die Oberhand in der kritischen Situation hat, das Politische oder das Normative usw. Aber im Laufe der Zeit verschob sich das Interesse der Verfassungsrechtswissenschaft allmählich. Mit der Konsolidierung des Nachkriegsregimes wurde die praktischere Frage immer wichtiger, wie dieser Staat durch die Verfassungsinterpretation und -handhabung weiter ausgestaltet werden soll. Der Gegensatz KelsenSchmitt ist allmählich verblasst, und die Notwendigkeit einer anderen Verfassungs18 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, 1986, jetzt in: ders., Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2011, S. 97 ff.

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theorie wurde schrittweise spürbar, die für diese Aufgabe besser geeignet ist.19 In dieser langsamen Übergangsphase hat die Böckenförde-Rezeption in der zweiten Hälfte der 70er Jahren begonnen, die ich nun konkreter betrachten will.

IV. Der Staat als Garant der Freiheit: Schwerpunkte der Böckenförde-Rezeption in Japan 1. Generationen der japanischen Verfassungsrechtler Zunächst muss die Entwicklung der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft bis zum Beginn der Böckenförde-Rezeption kurz überblickt werden, um sich der Bedeutung der Begegnung mit Böckenförde klar zu werden. Wie schon oben erwähnt, gehörten die Wissenschaftler, die nach dem Kriegsende den Wiederaufbau der Verfassungsrechtswissenschaft getragen haben, der Generation an, die um die Jahrhundertwende geboren ist, sich in der Zwischenkriegszeit wissenschaftlich ausgebildet hat, und in ihren besten Jahren unter dem Kriegsregime die Beschränkung ihrer Wissenschaftsfreiheit erleiden musste. Sie haben sich nach der Verfassungsgebung zu den Grundwerten der Verfassung bekannt, Lehrbücher und Kommentare geschrieben, und auch manchmal gegenüber dem Versuch der Totalrevision der Verfassung durch das konservative Lager die geltende Verfassung öffentlich verteidigt. Miyazawa und Kiyomiya waren Hauptfiguren dieser Zeit. Diese Gründergeneration wurde in den 60er Jahren nach und nach emeritiert. An ihre Stelle ist die neue Generation auf die Bühne getreten, die in den 1920er und 30er Jahren geboren ist und sich erst nach dem Kriegsende wissenschaftlich ausgebildet hat. Die 60er Jahre sind die Zeit der Erneuerung und der Verjüngung, sowie auch der Diversifizierung der wissenschaftlichen Herangehensweise. In damaligen Arbeiten lassen sich ungefähr zwei große Richtungen unterscheiden. Die eine Richtung liegt in der Befreiung vom Wissenschaftskonzept der Rechtsdogmatik. Die jüngere Generation hat die Einführung anderer wissenschaftlicher Methoden versucht. Damals war der Marxismus einflussreich. Es gab auch den ersten Versuch der politikwissenschaftlichen Richtung, der sich zum einen auf die political science amerikanischer Art, zum anderen auf die französische Verfassungsrechtslehre politikwissenschaftlicher Tendenz bezog. „Die Verfassungsrechtswissenschaft als Sozialwissenschaft“ wurde manchmal als Stichwort der Zeit behandelt. Das Interesse an den rechtsphilosophischen Fragen war auch groß. Die andere Richtung liegt in der Fortsetzung der rechtsdogmatischen Tradition. Aber innerhalb dieser Richtung gab es auch Erneuerungsversuche. Eine wichtige Erscheinung war die Rezeption des amerikanischen Rechts im Bereich der Grund19 Das ist meines Erachtens ein Grund dafür, dass die amerikanische Verfassungstheorie seit den 1980er Jahren stärker als früher rezipiert und der amerikanische Einfluss auch im Bereich der Verfassungstheorie darum viel bedeutender wurde.

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rechtsinterpretation und des Verfassungsprozessrechts. Der Vertreter dieses Neuansatzes war Nobuyoshi Ashibe (1923 – 1999), der auf die nachfolgenden Generationen einen großen Einfluss ausgeübt hat, und dessen Lehrbuch heute noch, lange nach seinem Tod, als Standardwerk gilt. Diese Entwicklung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: nach der Phase des Wiederaufbaus kam es zu einem Erneuerungsversuch durch die Nachkriegsgeneration, die, befreit vom bisherigen wissenschaftlichen Vorbild, zur methodischen Diversifizierung beigetragen hat, aber auch zu einem gewissen Durcheinander führte. Nach dieser Phase des Experiments musste wieder eine Phase der Konvergenz und der Konsolidierung eintreten. Die Wichtigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Verfassungsstruktur wurde dabei immer mehr anerkannt, und das Gewicht der Verfassungsinterpretation in der Verfassungsrechtswissenschaft wurde immer größer, während manche Neuansätze nicht-rechtsdogmatischer Art, wie die marxistische Richtung z. B., im Vergleich dazu im Laufe der Zeit allmählich nachgelassen haben. Gerade in dieser Phase der langsamen Konvergenz hat die Böckenförde-Rezeption begonnen. Die Fragestellung der Zeit könnte folgendermaßen rekonstruiert werden: Was soll die Verfassungstheorie sein, die die Verfassungsauslegung richtig und effektiv leiten und dadurch der besseren Weiterentwicklung des Verfassungsstaates dienen kann? 2. Wiederbelebung des Staatsdenkens Die ersten Arbeiten, die sich detailliert mit Böckenförde auseinandersetzten, waren der Vortrag des Verfassungsrechtlers Hisao Kuriki (1932 –) über das Thema „Der Wandel des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik“ auf der Tagung der japanischen Staatsrechtslehrer im Jahr 197520 und der Aufsatz vom Verwaltungsrechtler Tokiyasu Fujita (1940 –) über das Thema „Der Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft bei E.-W. Böckenförde“ im Jahr 1976/7721. Der gemeinsame Ausgangspunkt beider Arbeiten war der Gegensatz zwischen der Smend-Schule und der Schmitt-Schule. Kuriki konstatierte zuerst die Tatsache, dass es in der Staatsrechtslehre der Bundesrepublik seit dem Ende der 50er Jahre Erneuerungstendenzen gab, wie sie im Bereich des Demokratieverständnisses, des Begriffs der Öffentlichkeit, der Grundrechte, des Verfahrensdenkens usw. sichtbar waren. Hinter dieser Entwicklung sah Kuriki Neuansätze jüngerer Wissenschaftler wie Ehmke, Hesse und Häberle. Dieser neuen Richtung stellte er die Richtung entgegen, die am eher traditionellen Staatsbild festhält, und Böckenförde wurde als ein Repräsentant dieser Richtung behandelt. Fujita seinerseits analysiert die Aufsätze Böckenfördes über die Unterschei20 Hisao Kuriki, Nishi-doitsu koho-riron no hensen (Der Wandel des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik), Koho-kenkyu 38 (1976), S. 76 ff. 21 Tokiyasu Fujita, E.-W. Böckenförde no kokka to shakai no nigenteki tairitsuron (Der Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft bei E.-W. Böckenförde), Hogaku (Universität Tohoku), 40:3 (1976), S. 250 ff.; 41:2 (1977), S. 137 ff.

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dung von Staat und Gesellschaft,22 und behandelte dabei Böckenförde auch als Widerpart von Ehmke. Ein Zweck seines Aufsatzes lag darin, die Tragfähigkeit und die Reichweite sowohl der Neuansätze Ehmkes als auch der Kritik Böckenfördes zu messen. Hinter dieser ersten Böckenförde-Rezeption kann der Sachverhalt vermutet werden, dass man sich immer bewusster wurde, dass die Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik auch mit der Erneuerung der verfassungstheoretischen Denkart zusammenhing. Die Böckenförde-Rezeption in Japan wurde mit anderen Worten von Anfang an vom Bewusstsein begleitet, dass die Verfassungstheorie und die Verfassungsinterpretation miteinander stark verbunden sind.23 Wenn diese Einsicht stimmt, musste man sich, um die Verfassungsinterpretation zu erneuern, auch in Japan mehr mit den verfassungstheoretischen Themen beschäftigen. In der Tat ist die Böckenförde-Rezeption ungefähr gleichzeitig mit der Wiederbelebung des Staatsdenkens in Japan geschehen. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs gab es im Bereich der Staatstheorie keine bemerkenswerte Entwicklung. Nach der Unterdrückung der Freiheit unter dem Kriegsregime ging es für die Verfassungsrechtslehre zunächst um die rechtliche Begrenzung der Staatsgewalt oder die Kritik der politischen Macht, während der Begriff oder das Verständnis des Staats selbst kein großes Thema mehr war. Außerhalb der Rechtswissenschaft war die Situation nicht anders. Man sprach weniger vom Staat als von der bürgerlichen Gesellschaft, die als Ort der Freiheit und der demokratischen Öffentlichkeit angesehen wurde.24 Die Lage hat sich seit 70er Jahren in der Rechtswissenschaft geändert. Einerseits hat der Rechtshistoriker und Germanist Junichi Murakami (1933 – 2017), der von Otto Brunner beeinflusst wurde und die Ergebnisse der deutschen begriffsgeschichtlichen Forschung rezipiert hat, vor allem in seinem erfolgreichen Buch „Entstehung des modernen Rechts“ (1979) den Prozess der strukturellen Entwicklung der moder22 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973; ders., Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, 1972, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, erweiterte Ausgabe, 2013, S. 209 ff. 23 Yasuyuki Watanabe (1958 –) hat später in den 1990er Jahren in seiner Dissertation „Kenpo to Kenpo-riron no taiwa (Die Interaktion zwischen Verfassung und Verfassungstheorie)“ auf dieses Verhältnis zwischen der Verfassungstheorie und der Verfassungsinterpretation in den deutschen Diskussionen erneut aufmerksam gemacht. 24 Die Niederlage im 2. Weltkrieg wurde von den Intellektuellen als Bankrott des Modernisierungsversuchs seit der Meiji-Restauration von 1868 empfunden, und daraus ist in der Nachkriegszeit eine einflussreiche intellektuelle Strömung entstanden, die oft Modernisten genannt wurde und sich mit den Grundprinzipien der europäischen Moderne wieder zu beschäftigen und sie nachzuholen versuchten. Als ihre Repräsentanten werden oft der Politikwissenschaftler Masao Maruyama (1914 – 96), der Wirtschaftswissenschaftler Hisao Otsuka (1907 – 96), der Zivilrechtler und Rechtssoziologe Takeyoshi Kawashima (1909 – 92) genannt. Sie sprachen von der bürgerlichen Gesellschaft, dem Individualismus, dem rationalistischen Denken usw., aber von ihnen wurde der Begriff oder das Konzept des Staates nach meinem Eindruck nicht in ausgeprägter Form thematisiert.

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nen Rechtsordnung, vor allem der Entstehung der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft bis Hegels Rechtsphilosophie verfolgt.25 Seine Arbeit wurde von den Rechtswissenschaftlern als Mahnung akzeptiert, dass die Grundstruktur des Rechts eine bestimmte Staats- und Gesellschaftskonzeption seiner Entstehungszeit voraussetzt, und dass der Rechtswissenschaftler vor allem in der Zeit des Wandels nicht ohne Grundsatzdiskussion über solche Konzeptionen auskommen kann. Murakami selbst hat sich nach dieser Arbeit allmählich vom Einfluss Brunners distanziert und sich auf der Suche nach einer Gesellschaftstheorie, die besser geeignet ist, die gegenwärtige Gesellschaft zu beschreiben, der Systemtheorie Luhmanns zugewandt. Andererseits hat der Verfassungsrechtler und Frankophile Yoichi Higuchi (1934 –) seit den 80er Jahren immer mehr die Bedeutung des Staates als Garant der individuellen Freiheit betont. Nach ihm zeigt das Beispiel der Französischen Revolution deutlich, dass der Staat durch die Auflösung der feudalen Gesellschaftsstruktur und der corps intermédiaires erst die Freiheit des Individuums ermöglicht hat, und Higuchi weist darauf hin, dass diese freiheitsfördernde Seite des Staates in der gegenwärtigen Gesellschaft, in der die individuelle Freiheit von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mächten immer mehr bedroht wird, seine Aktualität nicht verloren hat.26 Während Murakami manche Berührungspunkte mit Böckenförde hat und auch in einem anderen Kontext ihn zitiert,27 hat Higuchi allem Anschein nach sein Denken unabhängig von deutschen Einflüssen gebildet. Aber sein liberaler Etatismus zeigt dennoch gewisse Ähnlichkeiten mit Böckenförde.28 Die Konzeption des Staates wurde damit wieder rechtswissenschaftlich thematisiert. Die Böckenförde-Rezeption hat diese Entwicklung in der japanischen Rechtswissenschaft möglicherweise befördert, oder stand zumindest mit diesem Zeitgeist im Einklang. 3. Individualismus gegen Kollektivismus Wie kann man nun solche Staatskonzeption in die praktische Verfassungsauslegung umsetzen? Über diese Problematik wurde seit den 1980er Jahren vor allem 25

Junichi Murakami, Kindai-ho no Keisei (Entstehung des modernen Rechts), 1979. Vgl. Yoichi Higuchi, Kenryoku, Kojin, Kenpogaku (Staatsgewalt, Individuum, Verfassungsrechtswissenschaft), 1989; ders., Jiyu to kokka (Freiheit und Staat), 1989; ders., Kindai kokuminkokka no kenpou-kouzou (Die Verfassungsstruktur des modernen Nationalstaates), 1994. 27 Vgl. Junichi Murakami, German-ho-shi ni okeru jiyu to seijitsu (Freiheit und Treue in der Geschichte des Deutschen Rechts), 1980. Dieses Buch behandelt die Wandlung des Bildes der mittelalterlichen Gesellschaft in Deutschland, und in Fußnoten wird die Dissertation Böckenfördes „Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert“ (1961), zitiert. 28 Vgl. z. B. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. Aufriß eines Problems (1975), in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 264 ff. 26

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im Bereich der Grundrechte und der Verfassungsgerichtsbarkeit vieles geschrieben. Da keine Verfassungsrechtler, die sich für die Grundrechte in Deutschland interessieren, Böckenförde unberücksichtigt lassen können, ist es schwierig, bestimmte Namen als Repräsentanten der Böckenförde-Rezeption zu nennen. Am Anfang waren die Fragen auf der Ebene der Grundrechtstheorie oft das Thema, wie z. B. der Gegensatz zwischen dem institutionellen Grundrechtsverständnis Häberles und dem liberalen Böckenfördes. Der Aufsatz „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“29 wurde sowohl von den Anhängern als auch den Kritikern des Neuansatzes Häberles viel gelesen. Später war mehr vom Gegensatz zwischen der Stellung des Bundesverfassungsgerichts und der Grundsatzkritik Böckenfördes die Rede, vor allem in Hinblick auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte.30 Gleichgültig ob man ihm zustimmt oder nicht, steht Böckenförde immer im Zentrum des Interesses. Seine kritische Stellungnahme macht oft den Kern des Problems sichtbar. Obwohl es auch in Japan Meinungsverschiedenheiten über diese Fragen gibt,31 genießt Böckenförde anscheinend eine hohe Sympathie. Ein Grund kann darin liegen, dass seine Position zu den japanischen Verhältnissen relativ gut passt. Wie oben angemerkt, übt der OGH seine Befugnisse der verfassungsrechtlichen Kontrolle im allgemeinen extrem zurückhaltend aus. Vor allem wird es oft als problematisch angesehen, dass der Schutz der Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit schwach ist.32 Die Stärkung ihres Schutzes wird von der Wissenschaft als dringende Aufgabe betrachtet,33 und das liberale Grundrechtsverständnis Böckenfördes liefert ein mögliches theoretisches Fundament für diese Bemühungen.34 Auf der anderen Seite ist 29 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation (1974), in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 115 ff. 30 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen – Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik (1990), in: ders., Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2011, S. 189 ff. 31 Hier nenne ich nur als Vertreter des Schutzpflichtskonzept in Japan Go Koyama (1960-), als dessen Kritiker Hiroshi Nishihara (1958 – 2018). 32 Der OGH hat bisher niemals ein Gesetz wegen der Verletzung der geistigen Freiheitsrechte (Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, Wissenschaftsfreiheit) als verfassungswidrig beurteilt, während er in 6 Fällen den Verstoß gegen den Gleichheitssatz, je in einem Fall die Verletzung der Gewerbefreiheit, die Verletzung des Eigentums, die Beschränkung des Wahlrechts der Auslandsjapaner, die Beschränkung der Schadensersatzanspruch als verfassungswidrig erklärt hat. 33 Dieses Interesse ist auffallend vor allem im Versuch der amerikanischen Schule, die amerikanische Doktrin der preferred position of the freedom of expression zu rezipieren. 34 Was die Einflüsse der anderen Richtungen wie der demokratischen Grundrechtstheorie nicht ausschließt. Da der Schutz der Grundrechte in der Rechtsprechung schwach ist, können verschiedene Grundrechtskonzepte an seiner Verstärkung bis zum gewissen Punkt mitwirken. Hier bleibt die Frage, ob allein dieses liberale Grundrechtsverständnis für das ausreichende Niveau des Grundrechtsschutzes genügt, oder ob auch zusätzliche Schutzgehalte notwendig sind. Dabei muss man den Unterschied des Grundrechtskatalogs zwischen Deutschland und Japan beachten. In der japanischen Verfassung werden auch die sozialen Grundrechte aus-

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das Verhältnis zwischen Politik und Recht in Japan ganz anders als in Deutschland. Es ist nicht so leicht, sich vorzustellen, dass der OGH die japanische Politik anhand der Verfassung so intensiv wie das Bundesverfassungsgericht kontrollieren würde. Die Grundrechtsauslegung des Bundesverfassungsgerichts geht in diesem Sinne im japanischen Kontext etwas zu weit,35 und der Standpunkt Böckenfördes scheint den Japanern das Gleichgewicht zwischen dem Freiheitsschutz und der Entscheidungsfreiheit der Politik besser zu halten. Aber es gibt anscheinend noch einen tieferen Grund für die Sympathie für Böckenförde. Nachdem die kollektivistische Staatsauffassung im Kriegsregime missbraucht wurde, wurde die Etablierung des Individualismus in der japanischen Gesellschaft von den Liberalen als allerwichtigste Aufgabe angesehen, und die Verfassungsrechtswissenschaft war ein Teil dieser intellektuellen Strömung. In den grundrechtlichen Diskussionen seit den 70er Jahren lassen sich viele Zeichen dieses Interesses finden. Wenn z. B. der Zweifel gegenüber dem institutionellen Grundrechtsverständnis Häberles erhoben wurde, dass die Selbständigkeit des Individuums dadurch gefährdet werden könne, drückt diese Sorge die Herzensangelegenheit der japanischen Intellektuellen aus. Das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft war nicht nur ein staatsrechtliches Thema, sondern auch ein Grundproblem der japanischen Gesellschaft. Das Grundrechtsverständnis Böckenfördes dient der liberal gesinnten Hauptströmung der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft als Hilfe sowohl für die verfassungsdogmatische Konkretisierung des individualistischen Freiheitskonzepts als auch für die Kritik der wirklichen Gesellschaft Japans, die manchmal den kollektivistischen Zug zeigt. 4. Die ethische Grundlage des demokratischen Staates Aber inwieweit kann der Individualismus in reiner Form durchgesetzt werden? Braucht die demokratische Gesellschaft nicht eine gemeinsame ethische Grundlage? Auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung und der Urbanisierung hat sich die japanische Gesellschaft allmählich geändert, und auch in der intellektuellen Welt wurden die amerikanischen Diskussionen über den Kommunitarismus oder die civil religion auch in Japan seit den 1980er Jahren vorgestellt. Jetzt stellt sich die Frage, was die Voraussetzungen der guten demokratischen Gesellschaft sind, und in diesem Zu-

drücklich garantiert, so dass die Notwendigkeit im Vergleich zur Bundesrepublik nicht sehr groß zu sein scheint, jeden Grundrechtsgehalt durch die Verfassungsinterpretation aus der Menschenwürde und den Freiheitsrechtsbestimmungen zu entnehmen. Allerdings ist der OGH auch im Bereich der sozialen Grundrechte sehr zurückhaltend. 35 Charakteristisch hierfür ist die sehr zurückhaltende Stellungnahme Ashibes gegenüber dem Vorschlag der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit deutscher Art. Vgl. Nobuyoshi Ashibe, Über die Lehre der Verfassungsgerichtsbarkeit (1996), in: ders., Shukyo, Jinken, Kempogaku (Religion, Grundrechte, Verfassungsrechtswissenschaft), 1999, S. 267 – 294.

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sammenhang tritt wieder Böckenförde auf. Das sogenannte Böckenförde-Diktum36 wurde in Japan nicht so sehr im religiösen Kontext, sondern eher als allgemeingültige Einsicht in die Dilemma des modernen Staates akzeptiert. In diesem Bereich hat der Verfassungsrechtler Tsutomu Hibino (1953–) in den 1980er und 90er Jahren die Pionierarbeit geleistet. Er hat die staatstheoretischen und philosophischen Diskussionen in der Bundesrepublik über die Neutralität des Staates, die Grundwerte, die Zivilreligion usw. analysiert. Böckenförde war hier eine Hauptfigur neben Schmitt, Krüger, Isensee und Hermann Lübbe.37 Hibino beschäftigte sich hier eingehend mit den Aufsätzen „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“, „Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel“38 und „Der Staat als sittlicher Staat“39. 5. Der verfassungsrechtliche Aufbau der Demokratie Wie soll nun die demokratische Willensbildung rechtlich strukturiert werden? In diesem Bereich hat Böckenförde zur Bildung der herrschenden Meinung in Deutschland viel beigetragen. Seine Lehre der demokratischen Legitimation, die er in seinem Aufsatz „Demokratie als Verfassungsprinzip“ systematisch dargelegt hat,40 wurde vom Bundesverfassungsgericht zuerst in zwei Entscheidungen über das Ausländerwahlrecht rezipiert (BVerfGE 83, 37; 83, 60), im Bereich des Staatsorganisationsrechts weiterentwickelt (BVerfGE 93, 37; 107, 59) und hat auch in anderen Bereichen wie der Europäischen Union das Denken des Bundesverfassungsgerichts beeinflusst (BVerfGE 89, 155; 123, 267). Gerade diese wichtige Seite der Böckenfördeschen Staats- und Verfassungstheorie bereitet allerdings den Japanern eine gewisse Schwierigkeit. Demokratie ist für Böckenförde eine Staats- und Regierungsform, die an bestimmte rechtliche Formen und Institutionen geknüpft ist, und das Erfordernis der demokratischen Legitimation ist ein Formprinzip der Demokratie. Das Niveau der demokratischen Legitimation wird durch rechtliche Regelungen und Verfahren abgesichert, und in diesem Sinne stellt diese Lehre auf die rechtlich strukturierbare Seite der Demokratie ab. Hier liegt ein großer Unterschied Böckenfördes zu Carl 36 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: ders., Recht, Staat, Freiheit, erweiterte Ausgabe, 2013, S. 92 ff. (112). 37 Über Böckenförde, vgl. vor allem Tsutomu Hibino, Kokka no „churitsuka“ to jiyu na kokka („Neutralisierungen“ und der freiheitliche Staat), in: Hogaku-kyoukai 100 nen kinen ronbunshu (Festschrift 100 Jahre Verein der Rechtswissenschaft), Bd. 1, 1983, S. 137 ff. 38 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel (1982), in: ders., Recht, Staat, Freiheit, erw. Aufl. 2013, S. 115 ff. 39 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 1978. 40 Zuerst Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 1987, S. 887 ff.

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Schmitt, der eher die ideologische Struktur der Demokratie analysiert, die hinter der Entwicklung des wirklichen politischen Lebens steht und es bewegt. Böckenfördes nüchterne Analyse der rechtlichen Struktur der Demokratie ist dagegen gerichtlich auf konkrete praktische Fragen anwendbar und operationalisierbar, und darin kann man eine große Rationalisierungsleistung sehen. Aber wie kann man sich diese Lehre in einem Land zu eigen machen, wo es im Verfassungsprozessrecht weder Organstreitverfahren noch abstrakte Normenkontrolle gibt und die verfassungsrechtlichen Fragen der Staatsorganisation nur ausnahmsweise gerichtlich behandelt werden? Das Interesse an der Demokratie ist auch in der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft ohne Zweifel groß, aber dabei richtet sich ihr Anliegen nicht so sehr auf die Weiterentwicklung des Formprinzips, als vielmehr darauf, das Funktionieren der Staatsorganisation im wirklichen Staatsleben direkt zu begreifen. Die politikwissenschaftliche Richtung der Verfassungsrechtslehre hat seit den 90er Jahren viel darüber diskutiert, wie die Demokratie in Japan reformiert werden kann, wie der Parteienwettbewerb aktiviert und die Kontrollfunktion des Parlaments verstärkt werden soll usw. Im Gegensatz dazu wird jene Lehre der demokratischen Legitimation in der japanischen Verwaltungsrechtswissenschaft mehr rezipiert, in der der Einfluss des deutschen Rechts vorherrschend ist, und dabei liegt ein Grund ihres Interesses darin, dass diese Lehre einen wichtigen normativen Gesichtspunkt für die Analyse der Verwaltungsorganisation bietet.41 Allerdings ist sie in Japan weder von der Rechtsprechung noch von der herrschenden Meinung der Verfassungsrechtswissenschaft als Teil des geltenden Rechts anerkannt, und in diesem Sinne bleibt sie nach dem heutigen Stand ein werdendes Rechtsprinzip ohne feste Verankerung im Verfassungsrecht. Hier liegt eine gewisse Diskrepanz zwischen der Verfassungs- und der Verwaltungsrechtswissenschaft. Die Demokratie ist ein interessantes Beispiel, das den Unterschied der Funktion des Verfassungsrechts zwischen Deutschland und Japan gut illustriert. Zusammenfassend kann man sagen, dass Böckenförde in inhaltlicher Hinsicht in Japan in erster Linie als Denker des spannungsvollen Verhältnisses zwischen dem Staat, dem Individuum und der Gesellschaft (oder der Gemeinschaft) wahrgenommen wird. Im Prozess der Wiederbelebung des Staatsdenkens seit den 1970er Jahren wurde die freiheitsschützende oder -ermöglichende Funktion des Staates wiederentdeckt, und Böckenförde wurde als Vertreter eines liberalen Etatismus in Deutschland angesehen. Seine Arbeit wird zitiert und analysiert, um die bessere Umsetzung des liberalen Staatsverständnisses zu finden oder auch um das Dilemma des liberales Staates zu erklären. Allerdings ist sein Einfluss in Japan noch breiter und tiefer, als es von den Übersetzungen, den Zitierungen oder den Erwähnungen abgelesen werden kann. Ich muss 41 Vgl. z. B. Ryuji Yamamoto, Die demokratische Legitimation der Verwaltung in Japan, Jahrbuch des öffentlichen Rechts 65 (2017), S. 849 – 876.

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am Ende hinzufügen, dass sowohl seine theoretische Tiefe als auch sein Scharfsinn gegenüber aktuellen Problemen von Staat und Gesellschaft ihn auch für japanische Leser zu einem Klassiker des Staatsrechts machen, den man unbedingt lesen muss, um über den Staat tief nachzudenken.

V. Eigentümlichkeiten und Lücken der Böckenförde-Rezeption in Japan Carl Schmitt hat 1963 im Vorwort zur Neuauflage von „Der Begriff des Politischen“ vom Ende des Zeitalters des Staates gesprochen.42 Ernst Forsthoff hat dem ersten Kapitel von „Der Staat der Industriegesellschaft“ 1971 den Titel „Erinnerung an den Staat“ gegeben.43 Für den Denkstil, der den absolutistischen Staat der frühen Neuzeit als Ausgangspunkt des staatstheoretischen Denkens nimmt, erschien die Verfassungsentwicklung in der Bonner Republik als etwas neu- oder fremdartiges. Hingegen hat Böckenförde die geschichtlichen und philosophischen Überlegungen über den modernen Staat für die Bundesrepublik fruchtbar zu machen versucht.44 Er hat einerseits konstruktiv an dieser Entwicklung teilgenommen, wie seine Tätigkeit als Richter des Bundesverfassungsgerichts zeigt.45 Andererseits hat er manchmal auch dem Zeitgeist, den einflussreichen wissenschaftlichen Strömungen oder dem Bundesverfassungsgericht scharfsinnige Kritik entgegengestellt. Vor allem in diesem letzteren Aspekt erscheint Böckenförde als kritischer Begleiter der bundesrepublikanischen Verfassungsentwicklung. Gerade dieser Kontext und Bezugspunkt, den seine Denktätigkeit vorausgesetzt hat, d. h. die Erweiterung der Rolle der Verfassung und der Verfassungsgerichtsbarkeit sowie die damit zusammenhängende Änderung des Verfassungsverständnisses46 42 „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren.“ Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 6. Aufl. 1996, S. 9 ff. (10). 43 Ernst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971. 44 Über den Generationswechsel und die Veränderung der Haltung gegenüber dem GG in der Staatsrechtswissenschaft der Bundesrepublik vgl. Frieder Günther, Denken vom Staat her: die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration, 1949 – 1970, 2004. 45 Vgl. Christoph Schönberger, Der Indian Summer eines liberalen Etatismus. ErnstWolfgang Böckenförde als Verfassungsrichter, in: Hermann-Josef Große Kracht/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Religion, Recht, Republik, 2014, S. 121 ff. In Japan ist das Interesse an der Tätigkeit Böckenfördes als Verfassungsrichter auch groß. 46 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 29 ff. Böckenförde warnt auch im Zusammenhang mit der Grundrechtsinterpretation vor der Tendenz, die Idee aus den Augen zu verlieren, dass „diese konkrete, geltende Verfassung selbst von einer bestimmten Idee des grundlegen Beziehungsverhältnisses einzelner – staatliche Gemeinschaft ausgeht und ihr normativ Ausdruck verleiht.“ Dann würde die Verfassung „sich auf ein formales Gehäuse [reduzieren], das durch die Tür seiner Interpretation nach- und nebeneinander sehr verschiedenen, auch heterogenen Ordnungsvorstellungen Einlaß gewährt, ohne selbst von einer sol-

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usw., besteht in Japan nicht. Im japanischen Staatsleben spielt die Verfassung und die Verfassungsgerichtsbarkeit rechtlich gesehen eine eher geringe Rolle, während die erstere als Politikum, d. h. Gegenstand des politischen Streits um die Verfassungsänderung, bis heute ein heißes Thema bleibt. Im japanischen Kontext funktionieren die Konzepte Böckenfördes nicht als ein kritischer Gegenentwurf gegenüber der übermäßigen Konstitutionalisierung wie in Deutschland, sondern als ein positiver Entwurf des Verfassungsstaates, der das richtige Maß der Konstitutionalisierung und der Verrechtlichung der Politik (die Verfassung als Rahmenordnung) vorschlägt und in diesem Sinne der japanischen Verfassungspraxis ein Ziel steckt. Da die Verfassungsrechtsprechung hier unterentwickelt bleibt, hat die Wissenschaft relativ große Spielräume, eigene Konzeptionen der Verfassungsinterpretation zu entwerfen. Aber dafür braucht sie die verfassungstheoretisch klare und überzeugende Leitlinie, die der Interpretation den Rahmen gibt. Böckenförde ist einer der wichtigsten Autoren, die diesen Theoriebedarf in Japan erfüllen. Es kann interessant sein, statt danach zu fragen, welcher Teil von Böckenförde wie rezipiert wird, auch zu fragen, welcher Teil nicht rezipiert wird. Einige Teile der Werke Böckenfördes haben wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse in Japan bisher keinen großen Widerhall gefunden, wie z. B. die Europäische Union47 oder das Christentum und die kirchlichen Fragen48. Aber es gibt auch mindestens einen Bereich, der trotz der gewissen Gemeinsamkeit der Problemlage nicht in Japan rezipiert wird: der Begriff des Politischen. Böckenförde hat die Bedeutung des Politischen als Schlüsselbegriff der Werke Carl Schmitts betont,49 und die Einführung der neuen Regelungen über den Ausnahmezustand ins GG befürwortet50. Diese Problematik bereitet der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft Schwierigkeiten, die in der Konstellation der japanischen Gesellschaft es lange als vorrangige Aufgabe angesehen hat, die Normativität der Verfassung zu stärken und die individuelle Freiheit zu verteidigen. Jedoch hat auch der freiheitliche Staat eine gefährliche Seite, die durch die Normativität der Verfassung nicht vollständig gefesselt werden kann, und es ist immer eine schwierige Frage, wie man mit ihr umgehen soll. Diese Lücke der Böckenförde-Rezeption in Japan dürfte in diesem Sinne vielleicht eine Schwachstelle der japanischen Verfassungsrechtswissenschaft andeuten. Im Zeitalter des internationalen Terrorismus müsste sie sich allerdings in Zukunft auch mehr mit solchen chen getragen zu sein.“ Ders., Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation (1974), in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 115 ff. (141 f.). 47 Vgl. die Aufsätze im I. Teil des Sammelbandes Staat, Nation, Europa, 1999 und im III. Teil des Sammelbandes Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2011. 48 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit, 2. Aufl. 2007. 49 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts (1988), in: ders., Recht, Staat, Freiheit, erweiterte Ausgabe, 2013, S. 344 ff. 50 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand, in: NJW 1978, S.1881; ders., Ausnahmerecht und demokratischer Rechtsstaat, in: FS Martin Hirsch, 1981, S. 259 – 272.

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Problemen beschäftigen,51 und dann würde sie Böckenförde vielleicht aus einem anderen Gesichtspunkt wiederlesen – gerade im Spannungsfeld von Staatlichkeit und Freiheitsschutz. Die Möglichkeiten des Denkens Böckenfördes sind daher noch nicht erschöpft.

51 Vgl. z. B. die Aufsätze im II. Teil von German Law Journal 19:2 (2018). http://www.ger manlawjournal.com/volume-19-no-02.

Böckenförde in Korea Von Christian Starck, Göttingen

I. Einführung Die Darstellung der Wirkung der Werke Böckenfördes in Korea, soweit diese ins Koreanische übersetzt worden sind, verlangt einige Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte in Korea. Korea hatte ursprünglich eine stark von China beeinflusste Rechtsordnung. Am Ende der seit 1392 herrschenden Joseon-Dynastie wurde mit der Rechtsmodernisierung begonnen: Gewaltenteilung (1894/95), Verfassung (1899), Strafgesetzbuch (1905). 1910 wurde Korea von Japan annektiert. Eine Unabhängigkeitsbewegung wurde 1919 niedergeschlagen. Seit 1912 fanden das dem deutschen Recht entliehene japanische BGB und andere japanische Gesetze unmittelbare Anwendung. Das ist 1945 durch die amerikanische Militärregierung befestigt worden. Nach der Spaltung des Landes in den Norden und Süden wurde in Südkorea die erste Koreanische Nachkriegsverfassung von 1948 erlassen, die in vielfacher Hinsicht durch die Weimarer Reichsverfassung beeinflusst ist, vor allem die Stellung des Präsidenten und sozialreformerische Tendenzen. Die neun Änderungen der Verfassung1 hängen mit der politischen Entwicklung Südkoreas zusammen, die bis 1986 häufig durch Diktaturen gekennzeichnet war. Die jetzt gültige Verfassung von 1987 entspricht im Wesentlichen kontinentaleuropäischen Verfassungen, vor allem dem deutschen Grundgesetz: nationale Souveränität, Demokratie, Respekt vor internationalem Recht, Grundrechte, Rechtsstaat, Einrichtung eines Verfassungsgerichts mit den notwendigen Kompetenzen zur Sicherung des Vorrangs der Verfassung: Normenkontrolle, Verfassungsbeschwerde, Organstreit zur Sicherung der Kompetenzordnung, Parteiverbotsverfahren.

II. Böckenfördes Einfluss auf das koreanische Verfassungsdenken Das ist in wenigen Strichen gezeichnet der Boden, auf den im Rahmen der Rezeption deutschen Verfassungsrechts die Lehren Böckenfördes fielen. In den ins Koreanische übersetzten Schriften Böckenfördes geht es vor allem um den Begriff der Ver1

1952, 1954, 1960 (Juni), 1960 (Nov.), 1962, 1969, 1972, 1980, 1987.

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fassung als höheres Recht, geschützt durch ein besonderes verfassungsrechtlich und gesetzlich geregeltes Verfassungsgericht, sowie um das Verfassungsprinzip der Demokratie, das sich im Rahmen der Verfassung entfaltet. Im Rahmen des für Korea neuen Großthemas „Staat und Gesellschaft“2 behandelt Böckenförde die Grundrechte, die Freiheit gewährleisten und damit den Staat beschränken. Böckenförde wird sehr deutlich:3 Die Substanz der nicht staatlich gewährten, sondern gewährleisteten grundrechtlichen Freiheit läge gegenüber verfassungsrechtlich zugelassenen Beschränkungen oder Eingriffsmöglichkeiten (Rechte anderer, Gemeinwohl usf.) voraus. Das sei eine Folge aus dem grundrechtstheoretischen Ausgangspunkt, dass die Freiheit des Einzelnen, rechtlich gesehen, prinzipiell unbegrenzt sei, die Befugnisse des Staates zu Eingriffen hingegen prinzipiell begrenzt seien: Nicht das einschränkende Gesetz gebe dem Grundrecht Maß und Inhalt, sondern umgekehrt müsse ein solches Gesetz Maß und Inhalt von der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistung empfangen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist ein Mittel, das Verhältnis von prinzipieller Freiheit und erlaubter Beschränkung argumentativ im einzelnen Fall zu verwirklichen. Das bloße Ziel, Rechtsgüter durch Grundrechtseinschränkung zu schützen, genügt nicht. Die Maßnahmen müssen dazu geeignet und erforderlich sein. Darüber hinaus soll der Grundsatz der Proportionalität sicherstellen, dass geeignete und erforderliche Einschränkungen des Grundrechts in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen. Die koreanische Verfassung hat in Art. 37 Abs. 2 diesen Gedankengang übernommen. Ich zitiere in deutscher Übersetzung: „Alle Freiheiten und Rechte der Staatsbürger können durch Gesetz nur dann eingeschränkt werden, wenn es für die Staatssicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung oder das Gemeinwohl erforderlich ist.“ In der Erforderlichkeit steckt die Eignung. Es heißt dann in Art. 37 weiter: „Selbst wenn eine solche Einschränkung vorgenommen wird, darf der Wesensgehalt der Freiheit oder des Rechts nicht angetastet werden.“ Die Wesensgehaltsklausel stammt aus dem Grundgesetz (Art. 19 Abs. 2) und ist weniger streng als die Forderung der Proportionalität. Diese ist Garant des Vorrangs der Verfassung. Nach BVerfGE 19, 342, 348 f.4 folgt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruches des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist. In Deutschland ist es die Bindungsklausel des Art. 1 Abs. 3 GG (Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung 2

Siehe besonders die Arbeiten von Young Huh in koreanischer Sprache. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, Neue Juristische Wochenschrift 1974, S. 1529 – 1538 (1531). 4 Vgl. auch BVerfGE 35, 382, 401; 61, 126, 134; 76, 1, 50. 3

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als unmittelbar geltendes Recht), die das Wesen der Grundrechte entscheidend neu prägt. Das Wesen der Grundrechte ist ein anderes, wenn sie über Gesetzesvorbehalte allein dem Gesetzgeber anheimgegeben werden (Weimarer Verfassung). Die Vermittlung zwischen Regelungskompetenz des Gesetzgebers im Grundrechtsbereich und Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte ist logisch nur möglich, wenn der im Grundrechtsbereich regelnde Gesetzgeber um der Freiheit der Bürger willen sowohl in der Auswahl der Schutzgüter als auch der zu ihrem Schutz eingesetzten Mittel verfassungsrechtlich gebunden ist. Die Bindung lässt sich nur mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzips und (verfassungs-)gerichtlicher Gesetzeskontrolle realisieren. Das scheint mir auch in Korea im Hinblick auf Art. 37 Abs. 2 und 111 Abs. 1 Nr. 5 Verfassung und Art. 68 ff. Verfassungsgerichtsgesetz und nach den Ausführungen von Herrn Kim, Hyo-Jeon der Fall zu sein. In diesem wichtigen Punkt ist die Grundrechtsgewährleistung in der koreanischen Verfassung und im Verfassungsgerichtsgesetz die gleiche wie in Deutschland.5

III. Böckenfördes Grundrechtstheorie und die koreanische Verfassung Herr Kim, Hyo-Jeon geht zutreffend auf die Einteilung der Grundrechte ein, wozu ich einiges sagen möchte. Böckenförde unterscheidet unabhängig vom Verfassungstext die liberale, die integrierende und die sozialstaatliche Grundrechtstheorie, die er zur Interpretation des Grundgesetzes benützt. Das Grundgesetz gehe indes über die liberale Grundrechtstheorie nicht hinaus. Er erkennt aber auch die Aufteilung von Konrad Hesse an, wonach die Grundrechte über subjektive Rechte im liberalen Sinne hinaus eine „objektive Ordnung“ konstituierten. Damit haben wir die Grundrechte in der klassischen Form als Abwehrrechte des Bürgers oder Menschen gegen den Staat bei strenger gerichtlicher Kontrolle und die Grundrechte, die Werte zum Ausdruck bringen, die die Gesetzgebung weniger streng beeinflussen. Herr Kim betont zu Recht, dass das subjektive Recht das eigentliche Grundrecht sei und über das objektive Recht das subjektive Recht nicht relativiert werden darf. In der zusammenfassenden These heißt es: „Die liberale Grundrechtstheorie des bürgerlichen Rechtsstaats ist … vorherrschend in Korea und sie scheint eine gültige Theorie für Koreas Wirklichkeit zu sein“ (S. 186). Was die Sozialrechte anbelangt, haben Formulierungen von Böckenförde in einem Zeitungsartikel, der eine Rede auf einem rechtspolitischen Kongress der SPD wiedergibt, bei mir Irritationen ausgelöst, die ich Böckenförde mitgeteilt habe. Sein Antwortbrief vom 5. März 1980 ist an Deutlichkeit nicht zu übertreffen. Ich möchte daraus zitieren: „Wenn man soziale Grundrechte, die ihrer Form nach nichts anderes als Verfassungsaufträge an den Gesetzgeber und die Verwaltung 5 Vgl. das vom koreanischen Verfassungsgericht herausgegebene Buch „Thirty Years of the Constitutional Court of Korea“, 2018, S. 64 ff., 141 – 634 zu den einzelnen Grundrechten.

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sein können, befürwortet, wäre eine ausdrückliche Aufnahme ins Grundgesetz erforderlich, und zwar getrennt und nach Formulierungen unterschieden von den herkömmlichen Grundrechten.“ Festzuhalten bleibt, dass weder das Grundgesetz noch die Koreanische Verfassung einen Katalog sozialer Grundrechte enthält. Vereinzelt erscheint das Recht auf Bildung (Art. 31 Kor. Verf.), Recht auf Arbeit verbunden mit der Pflicht zu arbeiten (Art. 32) und Bemühung des Staates um soziale Sicherheit und Wohlfahrt (Art. 34). Das dürfte unserem Staatsziel „Sozialstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG) entsprechen. Auch gesetzlich gewährte soziale Leistungen erwachsen nach Böckenförde nicht in Verfassungskraft, wie er mir in seinem Brief ausdrücklich mitteilte. D. h., der Gesetzgeber kann unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsrechts also einmal gewährte Sozialleistungen vermindern, solange die Verfassung nicht ausdrücklich anderes sagt. Ein Wort noch zur integrierenden Funktion der Grundrechte. Rudolf Smend widmet in seinem Werk „Verfassung und Verfassungsrecht“ (1928) einen Abschnitt dem „integrierenden Sachgehalt der Verfassungen“, den er vor allem in den Grundrechten sieht: Selbst wenn diese, wie das in der Weimarer Verfassung der Fall war, nicht unmittelbar galten, beanspruchten sie doch wenigstens als Auslegungsregel für das spezielle Recht aus dem ihm normativ im Grundrechtskatalog zugrunde gelegten Kultursystem heraus zu gelten; mindestens in diesem Sinne seien sie stets Richtschnur für die Verfassung, die Gesetzgebung und die Verwaltung, wie Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928 schrieb.6 Ganz abgesehen von aller positiver Rechtsgeltung proklamierten die Grundrechte ein bestimmtes Kultur-, ein Wertsystem, das der Sinn des von dieser Verfassung konstituierten Staatslebens sein soll. Hierin sieht Smend die wichtigste Interpretationsgrundlage für die Grundrechte. Es möge zweifelhaft sein, wieviel die Grundrechte für das positive Recht bedeuten. Unzweifelhaft sei, dass sie dem Staat die Legitimität eines Kultursystems geben, das die bisherige bürgerliche Rechtsordnung in ihren Kerninstituten festhält. Diese Ausführungen Smends aus dem Jahre 1928 während der Geltung der Weimarer Verfassung bringen zum Ausdruck, dass die Grundrechte damals nicht wirklich geltendes Recht waren, auf das man sich berufen konnte. Somit kann die integrierende Funktion der Grundrechte nur eine zusätzliche Funktion darstellen, wobei die Integration nach heutiger Auffassung zur Basis hat die individualschützende Funktion der Grundrechte.

IV. Das Diktum in Korea Herr Kim, Hyo-Jeon hat Recht, wenn er die Übernahme von Verfassungsrecht von einem Verfassungssystem zum anderen kritisch betrachtet. Es sei Bedacht auf die konkrete Verfassung zu nehmen. Wenn nicht die Verfassunggebung die Rezeption auslöst – was jederzeit möglich ist –, kann der Interpret der Verfassung nicht einfach 6 Wieder abgedruckt in Rudolf Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 265.

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fremdes Recht anwenden, es sei denn, die auszulegende Norm ist offen genug, fremdes Recht einzulassen. Verfassungstheorien sind kein Verfassungsrecht. Sie gehören in die Allgemeine Rechts- und Staatslehre und sind kein verbindliches Recht. Wenn z. B. eine Verfassung keine sozialen Rechte normiert, können diese nicht unter Berufung auf Verfassungstheorien der Verfassung geschaffen werden. Herr Kim weist zutreffend darauf hin, dass die Integrationslehre Smends aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts stammt. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf das sog. Böckenförde-Diktum eingehen, das neuerdings in Korea diskutiert wird: „Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“. Was ist damit gemeint?7 Die Menschenrechte sind im 18. Jhd. in aufklärerischer Absicht geschaffen worden. Die Menschenrechte verdanken allerdings ihre Entstehung einem längeren geschichtlichen Prozess, der bestimmt ist vom Christentum und der Säkularisation. Dem Christentum verdanken wir die Idee der individuellen Freiheit, damit den Urgrund der Menschenrechte: Freiheit und als „Widerlager“ Verantwortung des einzelnen Menschen sowie die Gleichheit der Menschen. Das alles kommt in säkularisierter Form in den Menschenrechten zum Ausdruck. Die Rezeption der Menschenrechte in Staaten, deren Gesellschaften durch kollektivistische Vorstellungen in Familie und Gesellschaft geprägt sind, müssen ihre Tradition überschreiten. Dabei mag die Herkunft aus dem Christentum angesichts der säkularisierten Form der Menschenrechte weniger zu stören als der in den Menschenrechten unaufhebbar steckende Individualismus.

7 Christian Starck, Menschenrechte aus den Büchern in die Verfassungen, in: Georg Nolte/ Hans-Ludwig Schreiber (Hrsg.), Der Mensch und seine Rechte, 2004, S. 9 – 27.

Würdigung des Werkes Ernst-Wolfgang Böckenfördes in Korea* Von Hyo-Jeon Kim, Seoul

I. Einleitung Nach koreanischer Zählung ist Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde im Jahre 2019 neunzig Jahre alt. Zum Gedenken daran freue ich mich, dass seine Freunde, Kollegen und Schüler aus der ganzen Welt in Göttingen zu einer wissenschaftlichen Konferenz zusammentreffen, und dass ich über Böckenfördes Würdigung in Korea als Teilnehmer berichteten darf. Außerdem jährt sich in diesem Jahr die Weimarer Reichsverfassung zum 100. Mal. Auch wir Koreaner freuen uns mit dem deutschen Volk über die Konstituierung der ersten freien und demokratischen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Bekanntermaßen erstrecken sich Böckenfördes Forschungsinteressen vom Verfassungsrecht bis hin zu Rechtsphilosophie, Geschichte, Religion, Politikwissenschaft und Soziologie, so dass es meine Fähigkeit überschreiten würde, über alle seine Werke ein Urteil zu fällen. So möchte ich hier für deutsche Leser kurz chronographisch vorgehen, und zwar zuerst die koreanischen Ausgaben seiner Werke vorstellen, und dann Aspekte seiner in Korea gewürdigten Verfassungstheorie vortragen und eine Kritik bzw. kritische Würdigung seiner Theorien vornehmen, überdies aktuelle Interessen jüngerer Forscher an seinem Werk vorstellen.

II. Koreanische Publikationen der verfassungsrechtlichen Werke Böckenfördes Um zu verstehen, welche Werke Böckenfördes das Verfassungsrecht in Korea beeinflusst haben und wie sie rezipiert worden sind, bietet es sich an, mit der koreanischen Veröffentlichung seiner verfassungsrechtlichen Werke zu beginnen, und zwar * Für wertvolle Anregungen und Verbesserung dieser Arbeit danke ich meinem Kollegen Honorarprofessor Dr. Jaeman Yun an der Universität Daegu, Prof. Dr. Mirjam Künkler am SCAS Uppsala und Prof. Dr. Tine Stein an der Universität Göttingen. Gemäß westlichen Gebräuchen wurde der Familienname der Koreaner in der Regel ans Ende gesetzt.

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mit den koreanischen Publikationen unter dem Titel „Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft“ (erschienen im Jahr 1989), „Verfassung, Staat, Freiheit“ (erschienen im Jahr 1992) und „Verfassung und Demokratie“ (erschienen im Jahr 2003). Zur Vorbereitung der koreanischen Ausgabe habe ich Professor Böckenförde in Freiburg im Jahre 1989 besucht und dabei mit ihm über die nächste koreanische Ausgabe seiner Werke mit seinem Vorwort Gedanken ausgetauscht. 1. Verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft Als seine erste Abhandlung wurde „Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit“1 von mir in Korea vorgestellt. Diese Abhandlung wurde zunächst in der Zeitschrift „Dong-A Law Review, Dong-A University, Busan, Vol. 4“2 veröffentlicht und erneut im Jahre 1989 als koreanische Ausgabe unter demselben Titel3 vom Verlag Bo˘ bmunsa, Seoul. Zur Publikation der koreanischen Ausgabe bat ich Böckenförde um ein Vorwort. Als Antwort schickte er das folgende Schreiben: „Ihrer Bitte, für die koreanische Ausgabe ein Vorwort zu schreiben, komme ich grundsätzlich gerne nach. Nur müßte ich dafür etwas über die Diskussionslage zu diesem Thema in Ihrem Land wissen. Ist eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft oder überhaupt das Begriffspaar Staat/Gesellschaft in Korea geläufig, oder muß es erst dort eingeführt werden? Orientiert sich das staats- und verfassungstheoretische Denken in Korea primär an der Vorstellung der ,political society‘ im Sinne der angelsächsischen Tradition oder ist dabei der Einfluß des deutschen Staatsdenkens wirksam, das die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft immer gekannt hat? Vielleicht können Sie mir dazu einige Hinweise geben.“4

Auf sein Schreiben wurde als Antwort [von mir] gesandt: „Für die Bereitschaft, ein Vorwort für die hiesigen Leser Ihres Werkes ,Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit‘ zu schreiben, bin ich Ihnen sehr dankbar. Zu Ihren diesbezüglichen Fragen kann ich Ihnen Folgendes berichten: Erscheinungen wie die Polis, mittelalterliches Ständewesen, Kampf zwischen Staat und Kirche oder Bürgertum, die in Europa wohl letztendlich zur analytischen Trennung von Herrschaftsgefüge und Sozialsystem und dem Begriffspaar Staat und Gesellschaft eingeführt worden sind, sind der koreanischen Geschichte weitgehend

1

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973. 2 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit (übers. v. Hyo-Jeon Kim), Dong-A Law Review 4 (1987), S. 143 – 217. 3 Koreanische Ausgabe: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit (übers. v. Hyo-Jeon Kim), Seoul 1989. 4 Böckenfördes Brief vom 14. 03. 1988 an H.-J. Kim.

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fremd. Beim koreanischen Leser kann also kein aus der Kenntnis der eigenen Geschichte herzuleitendes Vorverständnis dieser Problematik vorausgesetzt werden. Trotzdem gilt es, daß die wissenschaftliche Diskussion im Bereich von Staats- und Verfassungstheorie Koreas im Wesentlichen unter dem Einfluß deutschen Staatsdenkens steht und von dieser Warte her theoretische Kenntnisse vorliegen. Einige Anmerkungen zu diesem Bereich halte ich jedenfalls für angebracht.“5

In den zahlreichen auf Koreanisch erschienenen Veröffentlichungen Böckenfördes habe ich meine Würdigung zum Ausdruck gebracht wie etwa in meiner Einleitung der koreanischen Ausgabe seiner Werke. „Das Thema der verfassungstheoretischen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft war ursprünglich in der Neuzeit in Europa entstanden, und dies stellt eine Leistung des westlichen Rationalismus dar, wie E.-W. Böckenförde hervorhob. Daher war das Thema über die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in Korea fremd, da man keine Geschichte des mittelalterlichen Ständesystems, des Kampfes von Staat und Kirche, der bürgerlichen Klasse, des westlichen Herrschafts- und Sozialsystems erlebt hat. Das Grundverständnis der modernen westlichen Geschichte muss dem Verständnis des Problems vorausgehen. Bis dahin hat sich Korea mit dem Problem der Gesellschaft als Ganzes und dem autoritären System auseinandergesetzt, in dem die Staatsmacht die soziale Integration einseitig erzwungen hat. Daher konnte die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft kein verfassungsrechtliches Thema darstellen, so dass es verfassungsrechtlich für nicht so relevant betrachtet wurde, ob die Gesellschaft keinen Einfluss auf oder Kontrolle über die Nation hat. Inzwischen hat sich die studentische Bevölkerungsgruppe jedoch zu einer sozialen Kraft entwickelt als Ergebnis der Aprilrevolution von 1960 und fungierte als eine Macht zur Kontrolle der Nation. Dann wurden die Gesellschaftsschichten wie die intellektuelle, die religiöse und die Arbeiterschicht jeweils zu einer neuen sozialen Schicht. Nun ist in Korea die Periode des Zweiten Weltkriegs vergangen, in der der Staat die Gesellschaft von oben her zur Integration zwang, somit der Konflikt zwischen den sozialen Schichten durch das Wirtschaftswachstum verursacht wurde, überdies der Wunsch nach Demokratisierung der Bürgerklasse mit Eigentum und Bildung hervorging. Darüber hinaus wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem heftige Konfrontationen der gegensätzlichen Ideologien eine neue Einigkeit bzw. Harmonie Koreas erforderlich machen, die Erfahrung und die historische Entwicklung der westlichen Zivilgesellschaft den Koreanern zur Überwindung gesellschaftlicher Probleme viel beitragen. Dennoch stellen die wissenschaftlichen Diskussionen in den staatstheoretischen und verfassungstheoretischen Bereichen in Bezug auf das Thema der verfassungstheoretischen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in Korea keinen Neubeginn mehr dar. Es ist leicht, verfassungsrechtliche Werke zu finden, die schon am Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht wurden. Zudem beschäftigt man sich in jüngerer Zeit aktiv mit diesem Thema in verschiedenen Lehrbüchern und wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich mit den deutschen Theorien auseinandersetzen. Die grundlegenden Werke von Professor Böckenförde über die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft haben in den Kreisen der Verfassungsrechtler in Korea und Japan sowie in Westdeutschland viel Auf5

Meine Antwort vom 14. Mai 1988.

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merksamkeit auf sich gezogen. Jedoch sind in Koreas Fall in seinen Grundtheorien Vieldeutigkeiten und manchmal sogar Missverständnisse impliziert, daher hat der Übersetzer (HyoJeon Kim) zum genaueren Verständnis nicht einen Teil sondern die ganzen Teile seines Werks übersetzt.“

Das oben Ausgeführte drückt derzeit die Problemstellung und zugleich den Anlass meiner Übersetzung aus. Die hier angegebene südkoreanische „Aprilrevolution“ weist auf die Studentenrevolution hin, die 1960 gegen die Diktatur Syngman Rhee ausbrach. Diese Aprilrevolution wurde in der durch den Militärputsch im Mai 1961 gegebenen Verfassung von 1962 zum „Gerechten Aufstand“ (nicht ,Revolution‘) degradiert. In Japan hat Tokiyasu Fujita, Professor an der Universität Tohoku, das verfassungstheoretische Thema der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft untersucht.6 Danach wurden einige Schriften publiziert.7 Es kann selbstverständlich sein, dass der Begriff „Gesellschaft“ in Korea, wegen ungleicher geschichtlicher Gegebenheiten, nicht ganz identisch mit dem in westlichen Ländern war.8 Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist in Korea von Bedeutung. Denn zum einen sind die geschichtlichen Gegebenheiten und deren Entwicklungen in Korea und Deutschland verschieden. So erstreben Koreaner, westliche Wissenschaften zu lernen und zu verstehen, obwohl sie darüber kaum Problembewusstsein haben. Zum anderen gibt es darüber kaum Lektüre hier in Korea, so dass die Vorträge und Schriften von Ernst-Wolfgang Böckenförde und auch Horst Ehmke beim Prozess des Verstehens der diesbezüglichen Diskussionslage in Deutschland sehr hilfreich sind. Böckenfördes Abhandlungen sind in Korea sehr bekannt und werden oft zitiert und kommentiert, aber nicht immer mit dem dazu erforderlichen, hinreichenden Verständnis. Über die Bedeutung, die Böckenfördes Aufsatz „Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit“, ursprünglich ein Vortrag in der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, für koreanische Leser hat, hat er selbst im „Vorwort zur koreanischen Ausgabe“ Auskunft gegeben:

6 Tokiyasu Fujita, E.-W. Böckenfördes Dualismus von Staat und Gesellschaft, Ho¯gaku (The Journal of Law and Political Sciences) 40:3 (1976), S. 32 – 64 und 41:2 (1977), S. 25 – 52 (Originaltitel: Die Theorie der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in der Gegenwart – Ein Überblick auf die Staats- und Verfassungsrechtslehre in der BRD). 7 Z. B. Michio Oshikubo, Dualismus von Staat und Gesellschaft und Einzelne Betrachtungen über Theorien von Forsthoff und Böckenförde, in: Akira Oosuka (Hrsg.), Verfassungstheorie des Sozialstaats, Tokio 1995, S. 81 – 108. 8 Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff von ,Gesellschaft‘ den ostasiatischen Ländern vorgestellt. Vgl. Michael Lackner/Iwo Amelung/Joachim Kurtz (Hrsg.), New Terms for New Ideas. Western Knowledge and Lexical Change in Late Imperial China, Leiden 2001. Z. B. in Korea, Myung Kyu Park, The Reception of ,Society‘ conception and the system of its significance in Modern Korea, Society and History 59 (2001), S. 51 – 82.

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[Vorwort zur koreanischen Ausgabe] „Die Frage nach der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, wie sie in dieser Schrift erörtert wird, ist eine Eigentümlichkeit vorwiegend der deutschen staatswissenschaftlichen und verfassungstheoretischen Diskussion. Sie knüpft an große staatstheoretische Denker wie G. W. F. Hegel und Lorenz v. Stein, aber auch an Karl Marx an. Schon in Großbritannien und den Vereinigten Staaten ist sie in dieser Form unbekannt. Hat dann aber eine koreanische Ausgabe dieser Schrift einen Sinn, kann sie für koreanische Leser überhaupt verwertbare Informationen und Erkenntnisse bringen? Die Staaten der Welt sind heute dabei, eine politische Ordnung auszubilden, in der einerseits eine souveräne, hoheitlich überlegene politische Entscheidungsgewalt besteht, die den öffentlichen Frieden gewährleistet, anderseits zunehmend die Menschenrechte anerkannt werden. Dieser Vorgang greift über Europa weit hinaus. In dem Maße aber, in dem in einer politischen Ordnung die Menschenrechte anerkannt werden, insbesondere die Rechtsgleichheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit sowie das Recht auf Eigentum, bildet sich eine Form des Zusammenlebens heraus, welche die kennzeichnenden Merkmale einer ,Gesellschaft‘ aufweist; und in dem Maße, in dem die politische Entscheidungsgewalt nicht mehr ein Besitz einiger Familien oder einer kleinen sozialen Gruppe ist, die sie zu ihrem persönlichen Reichtum ausnutzen, sondern eine allgemeine, von bestimmten Personen getrennte Ordnungsgewalt darstellt, der jeder einzelne unterworfen ist und deren Gesetze für alle gelten, entsteht eine Form politischer Organisation, die den Charakter eines ,Staates‘ hat. Auf diese Weise erhalten Einrichtungen wie Staat und Gesellschaft, die in Europa entstanden sind und dort zuerst ihre theoretische Begründung erfahren haben, eine Bedeutung über Europa hinaus. Sie werden im Zeichen der zusammenwachsenden Welt aktuell auch für solche Völker, die aus anderen politischen, kulturellen und religiösen Traditionen kommen. Daher mag es auch für Koreaner naheliegen, sich mit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als einem Modell politisch-sozialer Ordnung zu beschäftigen. Die vorliegende Schrift geht dem historischen Ursprung, der geistigen Grundlage, der weiteren Entwicklung und auch der Infragestellung dieses Modells nach und sucht die Voraussetzungen und Bedingungen für seine heutige Verwirklichung aufzuweisen. Es geht dabei zugleich um die Herstellung und Bewahrung von Freiheit im Zusammenleben der Menschen. In diesem Sinn freue ich mich über das Erscheinen der koreanischen Ausgabe. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Kollegen Hyo-Jeon Kim, der sich darum große Verdienste erworben hat. Freiburg i. Br., im November 1988 Ernst-Wolfgang Böckenförde“

Dieses akademische Fachbuch war bald ausverkauft, was eine zweite Auflage erforderlich machte. Daher ergänzte ich sie 1992 durch eine zusätzliche Schrift von Horst Ehmke (1927 – 2017), die inhaltlich im Gegensatz zu Böckenfördes Auffassung steht. Das Vorwort lautet wie folgt: „Dieses Fachbuch des Verfassungsrechts war viel früher als erwartet ausverkauft. Die Nachfrage nach solch komplizierten akademischen Büchern ist ein Beweis dafür, dass das Niveau der koreanischen Verfassungslehre hoch ist, aber auf der anderen Seite fühle ich eine größere Verantwortung und eine Aufgabe. In der zweiten Ausgabe sind die darin enthaltenen Abhandlungen hinsichtlich deren Inhalte unterschiedlich. Denn wie Böckenförde selbst erwähnt, (sind) ,die Fragestellungen und

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Leitfaden der Problemerörterung … jedoch in beiden Abhandlungen verschieden‘.9 So veröffentlichten wir hier Böckenfördes Artikel über die ,Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im gegenwärtigen demokratischen Sozialstaat‘ und ein Manuskript, das sich aus Böckenfördes Artikel zu ,Staat und Gesellschaft‘ für das Staatslexikon zusammensetzt. Die Schrift von Horst Ehmke, die in diese Ausgabe aufgenommen wurde, wurde schon in der Festschrift für Rudolf Smend veröffentlicht und ist ein repräsentatives Beispiel für eine Fachliteratur, die Staat und Gesellschaft vereint. Ehmke ist dem Kreis von koreanischen Verfassungsrechtlern durch seine Dissertation bekannt (…) ,Die Grenzen der Verfassungsänderung‘. Mit der Veröffentlichung der Ergänzung glauben wir, dass die deutschsprachige Diskussion zu diesem Thema fast genau wiedergegeben ist, da wir zwei repräsentative Ansichten der deutschen Wissenschaft in der Frage von Staat und Gesellschaft vorgestellt haben. So können wir eines der grundlegenden Probleme der deutschen Verfassungslehre sofort erkennen (ohne unzureichend vorgestellte und mittelbare Interpretation). Nur durch solche unermüdlichen Bemühungen wird die Verfassungslehre des Westens ihre Identität vor uns offenbaren, und auch die koreanische Verfassungslehre wird fest etabliert.“

Ich denke, dass der staatstheoretische und verfassungstheoretische Hintergrund und die Grundlage der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft durch die obigen Vorworte klar geworden sind. Besonders in Korea wird dies als Dualismus und Monismus eingeführt, und es werden zwei Theorien untersucht, die in Japan als statisch und dynamisch bezeichnet werden, als Schmitt-Schule und Smend-Schule, und sogar als eine alte und eine neue Verfassungstheorie, so der Japaner Hisao Kuriki. Damit denke ich, dass unnötigen Missverständnissen und Bedenken entgegengewirkt worden ist. 2. „Verfassung, Staat, Freiheit“ Am 3. Mai 1989 besuchte ich Professor Böckenförde an der Universität Freiburg und diskutierte mit ihm, um die Abhandlungen auszuwählen, die in der koreanischen ersten Ausgabe von Böckenförde enthalten sein sollen. Das Kriterium zur Auswahl der Abhandlungen für diese koreanische Ausgabe war, dass die Abhandlungen die grundlegenden Probleme der Verfassung und des modernen Rechtsstaates zum Gegenstand haben und für die Auslegung und Anwendung der koreanischen Verfassung unterstützend sein sollten. Somit haben die in dieser Ausgabe enthaltenen Abhandlungen drei verfassungsrechtlich zentrale Schwerpunkte der heutigen staatlichen Verfassung zum Gegenstand: Der erste Schwerpunkt ist die Frage nach der Verfassung und dem Staat. Zunächst sollen die Bedeutung und Funktion der geschriebenen Verfassung für Staat und Gesellschaft behandelt werden. Dann sollen Begriff und Bedeutung der verfassunggebenden Gewalt untersucht werden. Zudem sollen die Abhandlungen untersuchen, wie sich die Verfassung seit der Neuzeit gewandelt hat, und was sie für eine Funktion hat. Zudem sollen Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs in Deutschland 9

Böckenförde (Fn. 1), S. 7.

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und die konstitutionelle Monarchie verfassungsgeschichtlich behandelt werden. Zusätzlich sind noch Abhandlungen über Verfassungsfragen von Staat und Gesellschaft enthalten. Der zweite Schwerpunkt betrifft den Bereich der rechtsstaatlichen Freiheitsgarantie. Hier sind Grundrechtstheorien und Grundrechtsinterpretationen zu untersuchen. Hinzu treten Fragen nach den sozialen Grundrechten, dem Eigentumsrecht, und der Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. „Aber auch die Verfahrensweisen rechtsstaatlich gebundener Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie gegenüber ihren (inneren) Feinden der gesellschaftlichen Macht.“10 Diesbezüglich wird das Ziel verfolgt, „die Integrität rechtsstaatlicher Freiheitsgewähr gegenüber welchen Infragestellungen auch immer zu behaupten und zu bewahren.“11 Verfassungsfragen der Demokratie und des Ausnahmezustands bilden den dritten Schwerpunkt. Das Thema Demokratie und Repräsentation ist ein aktuelles Problem. Das heißt, der dritte Schwerpunkt behandelt „die Frage der Eigenart demokratischer Repräsentation, die sich vom Volk nicht einfach ablöst, sowie nach den Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie.“12 Darüber hinaus ist das Thema Staatsnotrecht oder Ausnahmezustand eines der Grundthemen, die in keinem Verfassungsrecht jenseits von Raum und Zeit übersehen werden dürfen. Den in dieser Ausgabe enthaltenen Abhandlungen ist gemein, dass sie der Tradition der juristischen Verfassungsdogmatik verpflichtet sind, als Berücksichtigung der legitimen Erfordernisse des geltenden Rechts, während sie zugleich die theoretischen, verfassungsgeschichtlichen und politisch-sozialen Bezüge des Verfassungsrechts betonen. Darüber hinaus werden einzelne Verfassungsfragen nicht isoliert, sondern im Kontext der Etablierung und Sicherung einer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung wahrgenommen. Denn wie Böckenförde betont, gilt dass „die wissenschaftliche Arbeit am Verfassungsrecht nicht in eine dogmatische Engführung hineingeraten [darf], die sich primär in systemimmanenten dogmatischen Glasperlenspielen sowie der Systematisierung und Ausfaltung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen auslebt. […]“13 Diese Ausgabe besteht aus drei Teilen, deren erster Teil sich auf Verfassung und Staat konzentriert, deren zweiter Teil die rechtsstaatliche Freiheitgewähr diskutiert und deren dritter Teil die Demokratie und den Ausnahmezustand besprechen. Im Einzelnen ist es wie folgt: [Inhaltsverzeichnis] I. Teil Verfassung und Staat § 1 Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, 1986 10 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassung, Staat, Demokratie: Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 1991, S. 7. 11 Böckenförde (Fn. 10), S. 7. 12 Böckenförde (Fn. 10), S. 8. 13 Böckenförde (Fn. 10), S. 8.

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§ 2 Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, 1983 § 3 Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, 1969 § 4 Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, 1967 § 5 Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, 1972 II. Teil Rechtsstaatliche Freiheitsgewähr § 6 Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, 1974 § 7 Soziale Grundrechte im Verfassungsgefüge, 1981 § 8 Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, 1972 § 9 Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, 1975 III. Teil Demokratie und Ausnahmezustand § 10 Demokratie und Repräsentation, 1983 § 11 Der verdrängte Ausnahmezustand, 1978

Dieser Ausgabe stellt Böckenförde das folgende Vorwort voran. Um der geschichtlichen Dokumentation willen, ist hier der volle Text zitiert: [Vorwort] „Mein Kollege und Schüler Hyo-Jeon Kim hat aus meinen verfassungsrechtlichen und staatstheoretischen Aufsätzen für den vorliegenden Band solche Beiträge ausgewählt, die Grundprobleme des Verfassungsrechts und des modernen Verfassungsstaates behandeln. Diese Beiträge orientieren sich an den Gegebenheiten und Erfahrungen, wie sie für die Verfassungsentwicklung und das Verfassungsrecht in Deutschland bestimmend sind. Gleichwohl können sie, so scheint mir, auch Informationen, Anregungen und Anknüpfungspunkte für das Verfassungsrecht und die Verfassungsentwicklung in Süd-Korea bieten. Süd-Korea sucht seit Längerem staatliche Verhältnisse im Sinne einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung zu gestalten. Die historisch-politischen und die sozial-kulturellen Voraussetzungen dafür sind zwar anders als in Deutschland, weshalb sich eine einfache Übernahme von Regelungen und Institutionen des deutschen Verfassungsrechts verbietet. Es treten aber verwandte Fragen und Probleme auf. Demokratisch-rechtsstaatliche Verfassungen gehören, auch wenn sie unterschiedlich gestaltet sind und in verschiedenen Staaten unterschiedliche Funktionsbedingungen für sie bestehen, zu einem bestimmen Verfassungstypus. Sie haben eine gleichartige Verfassungsstruktur. Aus dieser Verfassungsstruktur ergeben sich gemeinsame oder doch verwandte verfassungsrechtliche Fragen und Probleme. Das ermöglicht es, daß wir in Wissenschaft und Praxis – wechselseitig – voneinander lernen. Ich freue mich, daß dieser Band in koreanischer Sprache erscheinen kann und danke Herrn Hyo-Jeon Kim sehr für die Mühe, die er für die Übersetzung und die Herausgabe des Bandes aufgewandt hat. Freiburg, den 2. Juli 1992 Ernst-Wolfgang Böckenförde“

Dieses Buch ist als der Versuch anzusehen, in die moderne deutsche Verfassungslehre, ihre Tendenzen und ihre Argumentationsweise einzuführen, was unter koreanischen Verfassungsrechtlern gut aufgenommen wurde, und was die Verfassungstheorie Böckenfördes den koreanischen Lesern weithin zugänglich gemacht hat.

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Zehn Jahre später übersetzte ich zusammen mit Tae-Ho Chung, Professor an der Universität Kyunghee, weitere wichtige Artikel von Böckenförde und veröffentlichte diese als „Verfassung und Demokratie“. 3. „Verfassung und Demokratie“ Das dritte Buch mit Schriften Böckenfördes in Korea trägt den Titel „Verfassung und Demokratie“. Sein Vorwort für koreanische Leser ist Folgendes: [Vorwort] „Dieser neuerliche Band ausgewählter Abhandlungen, den meine verehrten Kollegen HyoJeon Kim und Tae-Ho Chung vorbereitet haben, befasst sich mit drei Themenkreisen: Der Bedeutung und Auswirkung der Verfassung im Hinblick auf die staatliche Ordnung und die Rechtsordnung, der Demokratie als Staats- und Regierungsform und im Verhältnis von Freiheit und Recht, Freiheit und Staat. Die Beiträge zum ersten Themenkreis gehen der Frage nach, welche Bedeutung einer Verfassung, die den Geltungsvorrang vor den Gesetzen in Anspruch nimmt, also höheres Recht als die Gesetze zum Inhalt hat, für das Staatsleben und die Rechtsordnung zukommt. Diese Frage stellt sich in besonderer Weise, wenn in einem Staat eine mit weiten Zuständigkeiten ausgestattete Verfassungsgerichtsbarkeit existiert, wie das in Deutschland der Fall ist. Dann wird die Interpretation der Grundrechte durch das Verfassungsgericht wie überhaupt die Methoden der Verfassungsinterpretation wichtig. Die Eigenart des Staatsrechts als politisches Recht, das dem politischen Prozess Regeln gibt, zugleich aber auch Grenzen zieht und dabei nicht zum Instrument der Politik werden darf, tritt hier besonders hervor. Der Charakter eines Verfassungsstaates als demokratischer Staat wird dadurch herbeigeführt, dass das Prinzip der Demokratie ein verbindlicher Bestandteil der Verfassungsordnung wird. Was das im Einzelnen bedeutet und wie sich das im Hinblick auf die Legitimation und Organisation der staatlichen Herrschaftsgewalt, auch in ihren einzelnen Funktionen, auswirkt, sucht der Beitrag über Demokratie als Verfassungsprinzip darzustellen. Die Ergebnisse, die dabei gewonnen werden, haben Bedeutung über das deutsche Staats- und Verfassungsrecht hinaus. Sie sind auf einen bestimmten Staatstypus, nämlich den Typus des demokratischen Verfassungsstaates, bezogen. Noch weniger auf Deutschland beschränkt ist der Beitrag über Freiheit und Recht, Freiheit und Staat. Er greift ein Thema der Rechts- und Staatsphilosophie auf, das allgemeinen Charakter hat; es ist für Korea ebenso aktuell wie für Deutschland. Ich hoffe und wünsche, dass die Gedanken und Überlegungen, die in diesem Band zusammengefasst sind, bei den Lesern in Korea, besonders bei den Studierenden, lebhaftes Interesse, und das bedeutet natürlich auch Auseinandersetzung und Kritik, finden. Den Kollegen Hyo-Jeon Kim und Tae-Ho Chung danke ich sehr für die Arbeit der Übersetzung. Freiburg i. Br. im November 2002 Ernst-Wolfgang Böckenförde“

Anschließend wurde folgendes Vorwort von mir hinzugefügt:

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„In dieser Ausgabe behandelt Professor Böckenförde drei große Themen: Staat und Verfassung, rechtsstaatliche Freiheitsgewähr und die Verfassungsfragen der Demokratie. Er untersucht die geschichtliche Entwicklung des Staatsrechts und des Verfassungsstaates mit einer geistesgeschichtlichen Methode und gleichzeitig werden die gegenwärtige Bedeutung und Probleme in Bezug auf die geltende Verfassung analysiert. Er analysiert auch die Freiheitsfrage, die der Kern seiner Verfassungstheorie ist, in rechtsphilosophischer Hinsicht in Bezug auf Recht und Staat. Er betont die Freiheit vom Staat, die sozialen Bedingungen als Voraussetzung der Freiheit und die Relevanz der Gemeinschaft für die Freiheit. Im Bereich der Grundrechte werden die Tendenzen der deutschen Verfassungslehre für das nächste halbe Jahrhundert geklärt und analysiert, während die verfassungsgemäße Verfassungstheorie entwickelt wird. Die bisherige liberale Grundrechtstheorie wird durch den sozialstaatlichen Auftrag modifiziert und entwickelt sich zu praktischen Fragen wie der Entstehung sozialer Probleme und der Entwicklung von Sozialstaaten. Darüber hinaus wird die Frage der sozialen Grundrechte und der Garantie der Freiheit durch gesellschaftliche Macht neu gestellt. Die Demokratietheorie konzentriert sich auf die Demokratie als eine konkrete Regierungsform, die in der gegenwärtigen Verfassung vorgeschrieben ist. Das heißt, die Selbstregierung und Selbstbestimmung des Volkes, die Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte, das Prinzip der Mehrheitsentscheidung und Voraussetzungen der Demokratie als Staats- und Regierungsform. Kurz gesagt, sein Begriff des Verfassungsstaates ist es, dass Freiheit und Demokratie als Synonyme miteinander verwoben sind. Diese Probleme sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in Korea eine dringende Aufgabe. Neben den geschichtlichen und philosophischen Betrachtungsweisen zu den staatsrechtlichen Hauptproblemen wird das breite Interesse des Autors an der Annäherung an staatstheoretische und soziologische Ansätze sowie die detaillierten und tiefgründigen Interessenrichtungen viele Anregungen und Andeutungen für uns Koreaner geben. Busan, im Mai 2003 Vertretender Übersetzer Hyo-Jeon Kim“

Das zweite Buch besteht aus den drei Abschnitten, deren Inhalt wie folgt ist: I. Teil. Staat und Verfassung § 1 Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft, 1983 § 2 Begriff und Probleme des Verfassungsstaates, 1997 § 3 Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, 1985 II. Teil. Rechtsstaatliche Freiheitsgewähr § 4 Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, 1974 § 5 Soziale Grundrechte im Verfassungsgefüge, 1981 § 6 Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990 § 7 Freiheitssicherungen gegenüber gesellschaftlicher Macht, 1976 § 8 Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue? 1978 III. Teil. Verfassungsfrage der Demokratie § 9 Demokratie als Verfassungsprinzip, 1987 § 10 Ist Demokratie eine notwendige Forderung der Menschenrechte? 1998

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§ 11 Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, 1976 § 12 Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisationen, Legitimation, 1999

Der Anhang enthält die Bibliografie Ernst-Wolfgang Böckenfördes der Jahre 1957 – 2003 und das Verzeichnis der Übersetzungen des Schrifttums Böckenfördes in koreanischer, japanischer und englischer Sprache. Schon allein ein Blick auf den Inhalt der beiden Ausgaben versetzt die Leser in die Lage, sich darüber zu vergewissern, dass mit den Schriften Böckenfördes grundlegende Standpunkte und Gesichtspunkte der Staats- und Verfassungstheorie systematisch in Korea eingeführt worden sind.14 Nach 2003 habe ich zwei Schriften Böckenfördes über die Religionsfreiheit übersetzt und veröffentlicht. Diese Schriften sind in den folgenden Würdigungen nicht einbezogen worden, weil koreanische Leser kein großes Interesse an der Religionsfreiheit haben. Dies kann auf die Geschichte Koreas zurückgeführt werden, wo es keinen so blutigen Kampf um Religionen wie in Europa gab. Dennoch wird die Religionsfreiheit in den meisten Lehrbüchern des Verfassungsrechts in die Bekenntnisfreiheit, die Religionsausübungsfreiheit und Religionsgesellschaftsfreiheit nach G. Anschütz15 eingeteilt und erklärt. Nun wollen wir uns konkrete Erscheinungsformen der Rezeption anschauen, das heißt welche positive Würdigungen sowie welche kritische Würdigung Böckenfördes Verfassungstheorie gefunden hat.

III. Positive Würdigung Im Allgemeinen ist die Würdigung16 der ausländischen Rechtsnormen bzw. Rechtstheorien hinsichtlich ihrer positiven oder kritischen, mittelbaren oder unmittelbaren, theoretischen oder gesetzlichen Würdigung zu unterscheiden. Insbesondere bei ausländischen Rechtsnormen und Rechtstheorien geht die Kenntnisnahme der Rechtstheorie der der Gesetzgebung voraus.

14 Seit dem Erscheinen der beiden genannten Aufsätze Böckenfördes wurden verschiedene Abhandlungen von Hyo-Jeon Kim wiederum übersetzt und in Fachzeitschriften veröffentlicht, z. B.: ders., Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, HonbobhakYonku (Constitutional Law), 8:4 (2002), S. 529 – 561; ders., Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, HonbobhakYonku (Constitutional Law) 9:1 (2003), S. 487 – 509; ders., Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, HonbobhakYonku (Constitutional Law) 10:4 (2004), S. 589 – 615. Jetzt auch in: Hyo-Jeon Kim (Hrsg.), Quellen zur deutschen Verfassungslehre, Busan 2018, S. 287 – 303, 622 – 658. 15 Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl. 1933 (Nachdruck 1968), S. 629 ff. 16 ,Würdigung‘ kann hier auch durch Begriffe wie etwa ,Rezeption‘ oder ,Kenntnisnahme‘ substituiert werden.

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Hier ist die weltweit bekannte Schrift Böckenfördes „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“17 zu analysieren. 1. Frühe Würdigung der Theorie Böckenfördes a) Einige bedeutende Artikel über Böckenfördes Abhandlungen wurden von Kang Hyuck Lee (1935 – 2006) in Korea veröffentlicht, der Professor und Präsident der Hankuk University of Foreign Studies war sowie auch Präsident der Duksung Women’s University. Seine Artikel beziehen sich auf Böckenfördes Aufsätze „Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs“, „Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht“, „Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft,“ „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“, „Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung“ und weitere. Lee erläutert den Diskurs des Dualismus und Monismus, wobei er sich auf den Vortrag von Böckenförde und die Arbeit von Horst Ehmke in Bezug auf die Bedeutung der verfassungstheoretischen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft konzentrierte. In seinen Artikeln ist er der Ansicht, dass Heller und Böckenförde ausreichend sind für das Verständnis und die Deutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Wirkeinheit, und dass zur individuellen Freiheitssicherung auch die Staatsauffassung in der modernen Gesellschaft aufrechterhalten werden müsse.18 Zur Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation äußert er sich dergestalt, dass Aufsätze über Analyse und Überprüfung der deutschen Grundrechtstheorie im Allgemeinen koreanischen Verfassungsrechtlern sehr behilflich bei der Auslegung der koreanischen Verfassungen seien. b) Young-Sung Kwon (1934 – 2009), der Professor an der Seoul National University und Verfasser eines der führenden Lehrbücher des Verfassungsrechts in Korea war, äußerte sich zu Böckenfördes Aufsätzen in seinem Fachbuch über Grundrechtstheorie in Deutschland. Er stimmte Böckenfördes fünf Kategorien der Grundrechtstheorien zu (er unterscheidet zwischen liberaler, institutioneller Grundrechtstheorie, der Werttheorie der Grundrechte, der demokratisch-funktionalen und der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie). Dennoch warnte er koreanische Leser vor der Gefahr unkritischer Nachahmung.19 17

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, 1974. Koreanische Übersetzung von Hyo-Jeon Kim, in: FS Byung-Sack Koo, 1991, S. 97 – 124. Japanische Übersetzung von Hideki Mori: Journal of Law and Politics 129 (1990), S. 367 – 394. Englische Version, übers. v. J. A. Underwood, State, Society and Liberty, New York/ Oxford 1991, S. 175 – 203; jetzt auch in: Mirjam Künkler/Tine Stein (Hrsg.), Constitutional and Political Theory, Oxford 2017, S. 266 – 289. 18 Kang-Hyuck Lee, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Koshiyonku (Staatsexamen Forschung) 26:7 (1981), S. 91 – 100 (99). 19 Young-Sung Kwon, Constitutional Law. A Textbook, 5., überarb. Aufl. 2010, S. 292 – 293.

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Grundsätzlich kann man der Meinung zustimmen, dass man gegenüber dem unkritischen Missbrauch von deutschen verfassungsrechtlichen Theorien vorsichtig sein muss. Denn etwa die „Typen der Grundrechtstheorien“ beruhen auf dem Grundgesetz und das Grundrechtssystem eines Staats muss nicht unbedingt dasselbe wie das deutsche sein. Die historischen Voraussetzungen Koreas für das Verfassungsrecht sind nicht identisch mit den deutschen. Daher sind die deutschen Grundrechtstheorien bedächtig zu interpretieren und zu prüfen, um eine unkritische Anwendung der deutschen Grundrechtstheorien zu vermeiden.20 Aber in Korea hat Böckenfördes Typisierung der Grundrechtstheorien eine große Resonanz gefunden. Dies ist auf die koreanische verfassungstheoretische Geschichte zurückzuführen: Bis zu den 1950er Jahren war der Gesetzespositivismus in Korea stark vorherrschend. Nach der Veröffentlichung des Lehrbuches „Verfassungslehre“ von Tae-Yeon Han (1916 – 2010), der Professor an der Seoul National University und Mitglied der Nationalversammlung war, wurde die bürgerlich-rechtsstaatliche Verfassungslehre von C. Schmitt als eine verbreitete in verfassungsrechtlichen Diskursen anerkannt. Denn Han war einer der einflussreichsten und führenden Verfassungsrechtler. In den 70er Jahren haben mehrere Verfassungsrechtler, die in Deutschland studierten, Verfassungstheorien von Rudolf Smend, Konrad Hesse und Peter Häberle in Korea eingeführt und in den 2000er Jahren verfassungsrechtliche Lehrbücher veröffentlicht. Seitdem standen sich gegensätzliche Verfassungsrechtstheorien gegenüber. Dennoch ist in Korea immer noch die bürgerlich-rechtsstaatliche Verfassungslehre vorherrschend, die individuelle Freiheiten als vorstaatlich und als Abwehrrechte versteht. „Auch in Deutschland, das die Heimat einer heftigen Auseinandersetzung über Verfassungstheorien ist, gibt es keine Verfassungsrechtler, die die Urformen der verfassungsrechtlichen Theorien von Hans Kelsen oder Carl Schmitt von vor 1970 oder 1980 unverändert aufrechterhalten. Unter den Verfassungsrechtlern, die zu ihren Schülern gehören, gibt es mehr oder weniger Revisionen oder Modifikation aus einer anderen Perspektive“, so Young-Sung Kwon.21 Nach ihm gibt es auch in Japan, wo der Einfluss des deutschen Rechts vorherrschend ist, keine Verfassungsrechtler, die sich unkritisch im Lehrbuch mit der deutschen Verfassungsauffassung befassen. In Bezug auf die Umstände, in denen die spezifischen Verfassungstheorien Deutschlands in Lehrbüchern in Korea typisiert und formalisiert werden, schlägt Young-Sung Kwon einen Weg zur Problemlösung vor: „Anstatt uns an eine bestimmte Verfassungsauffassung zu halten, sind Verfassungssituation und politisch-geschichtliche Besonderheiten Koreas zu berücksichtigen. Somit sind die Ver-

20 21

Vgl. Kwon (Fn. 19), S. 292 Anm. 2. Kwon (Fn. 19), S. 42.

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fassung und die Verfassungsprobleme Koreas mit dem rechtlichen Gewissensbewusstsein bzw. den geschichtlichen Erfahrungen des koreanischen Volkes zu bewältigen.“22

Die wissenschaftliche Haltung, eine bestimmte Verfassungstheorie Deutschlands ohne profundes Nachdenken zu rezipieren, und sie in den akademischen und pädagogischen Kreisen Koreas zu verbreiten, sollte natürlich aufgegeben werden, so YoungSung Kwon. Denn infolgedessen würde der Verfassungsbegriff verzerrt. Verfassungslehren bestünden nicht nur in Deutschland, und deutsche Verfassungslehren seien nur ein Teil der Verfassungslehren insgesamt. Die Welt ist groß und weit. Es gibt noch mehr Themen zu studieren. Man kann auch von den Verfassungstheorien und Präzedenzfällen der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreiches, den französischen Verfassungstheorien und der alle fremden Verfassungstheorien zusammenfassenden japanische Studie lernen. c) Als Schüler von Böckenförde stellte ich koreanischen Lesern einige Abhandlungen über Böckenförde wie z. B. „Kürzliche deutsche Grundrechtstheorie, mit Schwerpunkt auf E.-W. Böckenfördes Analyse“, „Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht“ vor. Ich nahm auch an dem Seminar Böckenfördes im Sommersemester 1983 teil. Das Thema war „Die Staatsrechtslehre im Dritten Reich“. Das Jahr 1983 war gerade das 50. Jahr nach der Machtergreifung der NSDAP. Dies gab Anlass zu jenem Seminar. Das Seminarmaterial ist veröffentlicht in „Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich“, E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Heidelberg, Verl. Müller 1985. Das Seminar fand abends (20:00 – 22:00) im Institut des öffentlichen Rechts statt. Die Teilnehmer waren ca. 20 Personen. Zwei Personen hielten Referate über ein Thema. Danach diskutierten Studenten miteinander über dieses Thema, und daraus zog der Professor einen Schluss. Es ist nicht jedem möglich, den finsteren Zeitraum des Nationalsozialismus (1933 – 1945) vom verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt aus zu analysieren und kritisieren. Der Mut und die vernünftige Entscheidung Böckenfördes ist eine Hochachtung wert. Am Anfang des Seminars wurde es seitens der Studierenden als bedenklich angesehen, sich mit diesem Zeitraum zu beschäftigen. Im Gegenteil zog sich eine negative Kritik durch das ganze Seminar. Im Wintersemester 1983/84 setzte Böckenförde sein verfassungsrechtliches Seminar zum Thema „Die Staatsrechtslehre im Dritten Reich“ fort. Es bestand aus drei Teilen: I. Die Staatsrechtslehre und der entfaltete NS-Staat, II. Die Gliederung der politischen Gemeinschaft, III. Die Stellung des Einzelnen in der politischen Ordnung.23 22

Kwon (Fn. 19), S. 42. Teilnehmer und ihre Themen: Asteriskus (*) bezeichnet in Beitrag bei E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich. I 1. Die Rechtsstellung der Länder (Bernhard Krug und Lothar Wölfle); 2. Gesetzesbegriff und gesetzgebende Gewalt (Martin Reuter); 3. Die Stellung der Rechtsprechung (Elke Harder, u. a.); 4. Rechtsbindung und Ermessen in der Verwaltung (Dominik Linnenbrink); 5. Öffentlicher Dienst und Beamtentum (Peter Bertrang und Matthias Schollen) in Schausinsland am 24. Nov. 1983; 6. Die 23

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Außerdem hielt er ein anderes Seminar zu dem Thema „Grundrechtsverständnisse“ im Sommersemester 1984 in Zusammenarbeit mit Kurt Eichenberger, Professor an der Universität Basel in der Schweiz. Über beide Seminare wurde von mir in Korea berichtet, was auch etwas dazu beigetragen hat, dass die Diskussionsatmosphäre der deutschen Verfassungsrechtler in Korea bekannt wurde.24 Ich reichte im Sommer 1984 kurz vor meiner Rückkehr in mein Heimatland Korea einen Bericht25 über die „Koreanische Verfassung von 1948 und die Weimarer Reichsverfassung“ ein, obwohl mir die Alexander von Humboldt-Stiftung, die mich nach Deutschland einlud, keine Pflicht dazu auferlegte. Der Bericht diente dem Andenken an die in Deutschland bei Professor Böckenförde durchgeführte Forschung. Professor Böckenförde lobte den Bericht ermutigend als ,sehr interessant‘. d) Seong-Bang Hong (geb. 1952), emeritierter Professor an der Sogang Universität, publizierte 1999 die Schrift über „das Wesen der Grundrechte und Grundrechtstheorie“ in „Public Law“.26 Hong erläutert deutsche Grundrechtstheorien nach Böckenfördes Einteilung. Im gleichen Jahr nahm er in seinem Buch nochmal Böckenfördes Grundrechtseinteilung auf.27 Seither hat er seine Grundrechtseinteilung nach Böckenförde beibehalten. Er kritisierte die früheren deutschen Verfassungstheorien, die die Grundrechte nach der rechtspositiven, der dezisionistischen und der integrationstheoretischen Verfassungsauffassung einteilten. Statt einer solchen Grundrechtstheorie schlägt er eine ,neue‘ ,Böckenförde’sche Grundrechtstheorie‘ vor, die zwischen liberaler, institutioneller, wertorientierender, demokratisch-funktionaler und sozialstaatstheoretischer Grundrechtstheorie unterscheidet. rechtliche Ordnung der Polizei (Stefan Pinter* und Michael Kilchling*); II. 7. Das Verhältnis zwischen Partei und Staat (Damian Hecker); 8. Die Rechtsstellung der NSDAP und ihrer Gliederung, insb. von SA und SS (Armin Oswald und Cornelia Geiger*); 9. Die Ordnung der Wirtschaft (Iris Fleig); 10. Die Stellung der Gemeinden (Detlev Wimmer); 11. Die Stellung der Wehrmacht (Michael Frege); III. 12. Die Stellung des Einzelnen: Staatsangehörigkeit, Volkszugehörigkeit und Reichsbürgerschaft (Norman Rösch); 13. Die Stellung der Juden (Kai Henning* und Josef Keskler*); 14. Das subjektive öffentliche Recht (Jens Luge und Peter Steinstraß); 15. Eigentum und Eigentumsbindung (Martin Brandt*). „An dem Seminar können nur Studenten teilnehmen, die bereits den großen öffentlichen Schein erworben haben. Es können ca. 15 Plätze in dem Seminar noch vergeben werden.“ 24 Hyo-Jeon Kim, Die Tradition des Freiburger Staatsrechts und Böckenfördes Seminar, in: ders., Erinnerungen an Freiburg, Seoul 1993, S. 217 – 234. 25 Der Bericht wurde nach der Rückkehr in mein Heimatland veröffentlicht: Hyo-Jeon Kim, Die Weimarer Reichsverfassung und die koreanische Verfassung von 1948: Ein Versuch über den Einfluss des deutschen Verfassungsrechts auf Korea. Mit Textanhang: Die Verfassung der Republik Korea von 1948, Dong-A Law Review, 28 (2000), S. 1 – 79. In der Danksagung findet man die Namen Dr. Frank Rottmann, Dr. Alisa Schaefer und Johannes Hellermann. 26 Seong-Bang Hong, Über das Wesen der Grundrechte und Grundrechtstheorie, Kongbob Yonku (Public Law) 27:2 (1999), S. 127 – 148. 27 Seong-Bang Hong, Honbobhak (Constitutional Law), 1. Bd., 2010, S. 301.

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(a) Böckenfördes Ansicht nach sind die Inhalte der Grundrechtstheorien des deutschen Grundgesetzes aus dem Verfassungstext selbst zu interpretieren. (b) Freiheitrechte sind staatlichem Zugriff prinzipiell vorausliegend. (c) Allerdings geben die Staaten allgemein an, dass eine Ausnahmebefugnis für Eingriffe besteht, solange die Freiheit des Einzelnen und der Gesellschaft gewährt wird. Als positive Bewertung geben sie keinen klaren Hinweis auf das Ausmaß der Grundrechte und die Begründung für die Rechtfertigung der Beschränkung der Grundrechte. So wird Klaus Krögers Standpunkt als Versuch zur Ergänzung der Grundrechtstheorie des Grundgesetzes vorgestellt. Mit anderen Worten, die Anerkennung des inhärenten Ansehens individueller Freiheit, die Etablierung eines Ziels gleicher Freiheit für alle und die gleichzeitige Garantie freier politischer Beteiligung durch den Staat sind als Leitgesichtspunkte zu verstehen. Hinsichtlich der Grundrechtstheorie der koreanischen Verfassung ist Hong der Auffassung: (a) Die Grundrechtstheorie Koreas muss auf der koreanischen Staats- und Verfassungsauffassung fußen und auf dem koreanischen Grundrechtskatalog. (b) Die Grundrechtstheorie Koreas hat als das endgültige Ziel die Anerkennung der Menschenwürde und der Menschenrechte, um die bestmögliche Kombination von Sozialrechten mit der Menschenwürde sicherzustellen und die Freiheit politischer Teilhabe am Staatsleben zu sichern.28 e) Jaeman Yun (geb. 1953), emeritierter Professor, Honorarprofessor an der Daegu Universität, publizierte 2003 die verfassungsrechtstheoretische Abhandlung „Problem des Verständnisses der Grundrechte als ,objektive Wertordnung‘“. In dieser Abhandlung setzte er Böckenfördes Grundrechtsklassifikation voraus. Unter anderem veröffentlichte er 2014 die verfassungsrechtstheoretische Schrift „Kritisches Verständnis des Grundrechtsdoppelcharakters und Überpositivität der sog. subjektiven Grundrechtsseite“.29 Dabei vertritt er folgende Ansicht: „Nach der Integrationslehre besitzen die Grundrechte den Charakter sowohl als subjektive Grundrechte als auch als objektive Ordnung, was aber logisch widersprüchlich ist. Versteht man die Grundrechte als etwas Gemischtes mit dem subjektiven Recht und der objektiven Ordnung, dann können die Grundrechte weder durch individuelle Schöpferkräfte des Grundrechtssubjekts aktualisiert werden, noch werden sie durch das Grundrechtsselbstverständnis des Grundrechtssubjekts – mit dem Begriff von R. Alexy ,Grundrechte als Prinzip‘ – optimal gewährleistet, was R. Alexy in seinem Werk ,Theorie der Grundrechte‘ plausibel darstellt. Denn bei der Integrationslehre von etwa Konrad Hesse wird der Grundsatz des in dubio pro libertate verneint, d. h. bei der Integrationslehre kann das Grundrechtsselbstverständnis des Grundrechtssubjekts nicht als sein subjektives Grundrecht vermutet werden. 28

Hong (Fn. 27), S. 323 ff. Jaeman Yun, Kritisches Verständnis des Grundrechtsdoppelcharakters und überpositiver Rechtscharakter der subjektiven Grundrechtsseite, Kongbobhak Yonku (Public Law Journal) 15:1 (2014), S. 67 – 91. 29

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Damit die Grundrechte sowohl durch die individuellen Schöpferkräfte des Grundrechtssubjekts zu aktualisieren als auch durch das Grundrechtsselbstverständnis des Grundrechtssubjekts optimal zu gewährleisten sind, ist die sog. subjektive Grundrechtsseite als das durch das Grundrechtssubjekt selbst verstandene Grundrecht zu verstehen, das und zugleich als subjektives Grundrecht zu vermuten ist. Dann ist die sog. subjektive Grundrechtsseite zu verstehen, dass sie durch die sog. objektive Grundrechtsseite, d. h. öffentliche Interessen, als Ausnahme einzuschränken ist.“

Versteht man wie oben ausgeführt den sog. Doppelcharakter der Grundrechte kritisch, ist die sog. subjektive Grundrechtsseite als das durch das Grundrechtssubjekt subjektiv verstandene Grundrecht zu vermuten. Dann bedeutet die Vermutung der sog. subjektiven Grundrechtsseite als das prinzipielle Grundrecht unmittelbar die Überpositivität der Grundrechte. Denn die Vermutung der sog. subjektiven Grundrechtsseite als das prinzipielle Grundrecht begründet sich nicht aus positiven Rechtsnormen, sondern aus dem Prinzipiencharakter der Grundrechte. Folglich können die Grundrechte prinzipiell ohne positive Rechtsnorm begründet werden und „ausnahmsweise“ (als Ausnahme) durch positive Rechtsnormen wie Verfassung oder Gesetze eingeschränkt werden. Darüber hinaus impliziert diese Vermutung der sog. subjektiven Grundrechtsseite als das prinzipielle Grundrecht, dass die sog. objektive Grundrechtsseite nicht zu der Innenseite der Grundrechte, d. h. der innerhalb der Grundrechte liegenden bzw. der der Grundrechte immanenten Seite gehört, sondern zu der Außenseite der Grundrechte, die das prinzipiell als Grundrecht vermutete Grundrecht von dessen Außenseite her einschränkt. Anerkennt man auf diese Weise die Überpositivität der Grundrechte, wird z. B. das Eigentumsrecht der Verfassung der Republik Korea (Art. 23) oder des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Art. 14) nicht wegen der positiven Rechtsnorm wie des Gesetzes oder der Verfassung prinzipiell (als Prinzip) gewährt, die das Eigentumsrecht bestimmt, sondern wegen seiner Überpositivität, so dass das Eigentumsrecht nur „ausnahmsweise“ (als Ausnahme) durch positive Rechtsnormen einschränkbar ist. Denn sonst können die Grundrechte nicht optimal gewährleistet, sondern ohne rationale Gründe übermäßig eingeschränkt bzw. begrenzt werden. Die Überpositivität bzw. der Prinzipiencharakter der Grundrechte ist nicht nur bei den Freiheitsrechten (nach der Verfassungslehre von Carl Schmitt), sondern auch bei den anderen, sonstigen Grundrechten einschließlich sozialer Grundrechte, anzunehmen, und zwar unter der Voraussetzung „im Rahmen des Möglichen“, so dass in diesem Fall die Grundrechte prinzipiell „im Rahmen des Möglichen“ begründet und nur „ausnahmsweise“ nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip einschränkbar sind, so Jaeman Yun. Wie oben erwähnt, verneint z. B. Konrad Hesse nachdrücklich das Prinzip „in dubio pro libertate“, so dass bei ihm die prinzipielle Grundrechtsvermutung der sog. subjektiven Grundrechtsseite und die exzeptionelle Einschränkung der vermuteten prinzipiellen Grundrechte durch die sog. objektive Grundrechtsseite, d. h. öffentliche Interessen negiert wird. Freilich weist die exzeptionelle Einschränkung der sog. subjektiven durch die sog. objektive Grundrechtsseite nicht die Eigenschaft

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auf, dass die sog. beiden Grundrechtsseiten gemischt und untrennbar eins werden wie bei der Integrationslehre. Vielmehr stellt die sog. subjektive Grundrechtsseite das prinzipielle Grundrecht dar, demgegenüber zeigt die sog. objektive Grundrechtsseite die Außenseite des prinzipiellen Grundrechts auf, die als öffentliche Interessen das prinzipielle Grundrecht außerhalb dessen ausnahmsweise einschränkt. Dies weist keinen Monismus von Staat und Gesellschaft auf. Vielmehr zeigt dies auf, dass die Gesellschaft und der Staat, der außerhalb der Gesellschaft deren Freiheiten einschränkt, weder miteinander gemischt noch monistisch zu verstehen sind, sondern voneinander unterschieden, dualistisch, existieren, so Jaeman Yun. In diesem Sinne stimmt er Böckenfördes Dualismus von Staat und Gesellschaft zu. f) Soo-Woong Han (geb. 1955), ein Schüler Böckenfördes, der an der Universität Freiburg studierte, verfasste ein Buch mit dem Titel „Verfassungslehre“ (erste Ausgabe: 2011). Obwohl er als Quelle nicht den Namen Böckenfördes nennt, scheint es, dass die in seinem Buch „Verfassungslehre“ dargestellte dualistische Struktur von Staat und Gesellschaft, sowie das Sozialstaatsprinzip und dessen Begründung von Böckenförde beeinflusst wurde. g) Alle oben aufgeführten Verfassungsrechtler sind in Korea weit bekannt, weil sie in Deutschland studiert haben, aber Nak-In Sung (geb. 1950) muss hier besonders erwähnt werden. Er war Präsident der Seoul National University und studierte an der Universität Paris, Frankreich, und folgt der Grundrechtseinteilung von Böckenförde in seinem Lehrbuch „Verfassungslehre“. Er ist der Auffassung, dass es möglich ist, die Grundrechtstheorien Deutschlands, die einen großen Einfluss auf die koreanische Verfassungstheorie ausgeübt haben, nach den Grundrechtstheorien Böckenfördes in die liberale, die institutionelle, die wertorientierende, die demokratisch-funktionale und die sozialstaatstheoretische Grundrechtstheorie einzuteilen. Er äußert sich darüber, dass Carl Schmitt Freiheit und Institut in dem Maß streng unterscheide, dass Freiheit niemals Institut sein kann. Dagegen ist Peter Häberle der Meinung, dass alle Freiheiten nichts anderes als Institute sind. Nach Sung ergeben sich diese Meinungsverschiedenheiten daraus, wie man letztlich den Begriff „Institut“ versteht.30 Die oben genannten Schriften können als Beispiele für positive Würdigungen der Grundrechtstheorie Böckenfördes aufgeführt werden. Als nächstes werden wir die Kritik bzw. die kritische Würdigungen von Böckenfördes Grundrechtstheorie untersuchen.

IV. Kritik und kritische Würdigung Böckenfördes Theorien über „die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft“ und „die Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“ wurden, wie oben aus30

Nak-In Sung, Constitutional Law, 2018, S. 944.

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geführt, nicht nur positiv aufgenommen in Korea. Beispielsweise gab es einige unbekannte Personen, die den eigentlichen Sinn der Theorien Böckenfördes einschränkten, veränderten, ablehnten, herabsetzten oder in koreanische Grundrechtstheorien zwangen, als ob es ihre eigene Theorie wäre. Nehmen wir hier ein paar Beispiele. Die meisten Leute, die die verfassungsrechtlichen Theorien Böckenfördes kritisierten, behaupteten, Anhänger der Smend-Schule zu sein. 1. Kritische frühe Würdigung von Böckenförde a) Das Verdienst um die Vorstellung von Böckenfördes Verfassungstheorien in Korea in einer sehr frühen Zeit ist Young Huh (geb. 1936) zuzuschreiben. Er stellte sich als Smend-Interpret aus München und als der Koreaner vor, der sich in Deutschland habilitierte und hier die Professorbefähigung an Universitäten erlangte. Er wurde mittels seiner deutschen Sprachkenntnisse vom deutschen Verfassungsrecht früher beeinflusst als andere Koreaner und führte die Theorien Böckenfördes in Korea ein. In seinem Buch Honbobiron kwa Honbob (Constitutional Theory and Constitutional Law, 1. Auflage: 1980) erwähnte er verfassungsrechtliche Diskurse über Staat und Gesellschaft in Deutschland. Der Titel dieses Buches (Young Huh, „Constitutional Theory and Constitutional Law“) stammt vom Autor selbst.31 Er erwähnt die Debatte in Deutschland über Staat und Gesellschaft und verweist dann auf Böckenfördes Theorie. Diesbezüglich sagt er, kennzeichnend für Böckenfördes Auffassung sei ein Verständnis der wechselseitigen Beeinflussung von Staat und Gesellschaft, wobei funktionale Unterschiede von „Staat“ und „Gesellschaft“ vorausgesetzt werden. Unterscheide man, nach Böckenförde, den Staat und die Gesellschaft, und betrachte man die „staatliche Aktivität“ und die „autonome Aktivität der Gesellschaft“ als jeweils eigenen Bereich und hebe man die Teilnahme der Gesellschaft am Staat durch die Grundrechte hervor, dann sei es die wichtigste Aufgabe der modernen Verfassung, eine rationale Grenze zwischen „staatlicher Aktivität“ und „freiwilliger gesellschaftlicher Aktivität“ zu ziehen.32 Abschließend weist er auf das politische Gift des auf der volonté générale beruhenden „Contrat social“ von Rousseau sowie der formalen Logik der Identität von ,Herrschern und Beherrschten‘ hin. Dann schließt er wie folgt: Halte man die Grundrechte des Volkes für die Mittel zum Input der Gesellschaft in den Staat, dann seien die staatlichen Hoheitsrechte als die Mittel zum Output des auf die Gesellschaft orientierenden Staats zu betrachten. In diesem Sinne stehe eine echte Demokratie einer geistigen Welt des Dualismus eher als der des Monismus nahe. Zusammenfassend sei 31

Der Buchtitel „Constitutional Theory and Constitutional Law“ stammt von Young Huh selbst. Da Alpha und Omega in diesem Buch deutsche Verfassungstheorien sind, wäre es meiner Meinung nach angemessener gewesen, das Adjektiv ,deutsch‘ sowohl in Bezug auf seine akademische Laufbahn als auch die Identität des Autors beizufügen, um ein Missverständnis bei den Lesern zu vermeiden. 32 Huh (Fn. 31), S. 194.

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festzustellen, dass „Staat“ und „Gesellschaft“ insofern in der dualistischen Beziehung stehen, als ihre Funktion nur durch eine wechselseitige Beeinflussung im vollen Umfang ausgeübt werden kann. Aber letztlich sei es die Aufgabe der Rechtsordnung wie der Verfassung, die Methode und das Ausmaß der wechselseitigen Beeinflussung zu bestimmen. Es sei aber auch möglich, es so zu betrachten, dass die Bestimmung des wechselseitig beeinflussenden Verhältnisses von Staat und Gesellschaft eine verfassungspolitische Entscheidung über die Staatsform sei. Denn die Staatsform hänge von dem Verhältnis von Input und Output ab.33 Jedoch ist es sowohl widersprüchlich als auch folgewidrig, dass Young Hu, der seine eigenen Ansätze als auf der Grundlage der Integrationslehre von Smend basierend erklärt, dem Dualismus von Staat und Gesellschaft zustimmt, und zwar zwangsläufig angesichts der Realität Koreas. b) Young Huh teilt deutsche Verfassungstheorien in die rechtspositivistische, dezisionistische und Integrationsverfassungstheorie ein,34 so dass durch ihn in Korea die sog. Drei-Elemente- bzw. sog. Neo-Trinität-Theorie entstand. Ferner nahm er in seinem 1980er Artikel „Eine Untersuchung über die Grundrechtstheorie“ auf Böckenfördes Grundrechtstheorien Bezug.35 In diesem Artikel reduzierte er die fünf Grundformen der deutschen Grundrechtstheorien nach der Klassifikation Böckenfördes auf drei Grundformen, nämlich die liberale, die integrierende, und die sozialstaatliche Grundrechtstheorie, um die Grundrechtsauffassung nach der Integrationslehre hervorzuheben. Anschließend stellte er kritisch in seinem Werk „Verfassungstheorie und Verfassung“ Böckenfördes Aufsatz „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“ wie folgt vor:36 Die in westlichen Ländern einschließlich Deutschland häufig angeführte, auch durch E. Forsthoff, Th. Maunz, H. P. Ipsen, E.-W. Böckenförde, H. H. Klein und J. Isensee vertretene Grundrechtstheorieklassifikation in die liberale, die wertorientierende, die institutionelle, die demokratischfunktionale und die sozialstaatliche Grundrechtstheorie sei, nach Young Huh, nichts mehr als eine Grundrechtstheorie, die auf der theoretischen Grundlage der ideologischen Welt von C. Schmitt und R. Smend aufgestellt worden sei. Infolgedessen enthalte sie keine neue Theorie im Hinblick auf Natur und Funktion der Grundrechte. Er führte weiter aus, die „liberale Grundrechtstheorie“ stelle Carl Schmitts Gedankenwelt dar und demgegenüber sei die theoretische Wurzel der anderen Grundrechtstheorietypen, durch die jeweils ein Teilaspekt der Integrationslehre von Rudolf Smend je nach eigenem Teilinhalt hervorgehoben werde, die Integrationslehre von Smend. Überdies gehe auch die sog. „verfassungsimmanente Grundrechtstheorie“, die E.-W. Böckenförde hervorhebe, nicht über die liberale Grundrechtstheorie hin-

33

Huh (Fn. 31), S. 195 – 196. Dazu siehe Huh (Fn. 31), S. 5 ff. 35 Young Huh, Eine Untersuchung über die Grundrechtstheorie, KoshiYonku (Staatsexamen Forschung) 26:7 (1980), S. 35 – 46. 36 Huh (Fn. 31), S. 250. 34

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aus, soweit sie die Auslegung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland betreffe.37 Auf diese Weise hat er Böckenfördes Grundrechtstheorie kritisch vorgestellt. Weiterhin rezipiert er in zustimmendem Sinne den Grundrechtsdoppelcharakter von Konrad Hesse (1919 – 2005) im Hinblick auf Inhalt und Charakter der Grundrechte. Jedenfalls konstituieren die vielschichtigen Grundrechte die Staatsgewalt, die einen Doppelcharakter von „subjektivem Recht“ und „objektiver Ordnung“ gleichwohl besitzen, und sie üben also eine Funktion als eine verfassungsmäßige Lebensordnung des Volkes aus, in der jeder Einzelne im staatlichen Gemeinwesen aktiv oder passiv sein geistiges, kulturelles, soziales, wirtschaftliches und politisches Leben der politischen Einheit gestalten könne. Zugleich besitzen die Grundrechte eine Bedeutung als die Grundlage der demokratisch-rechtsstaatlich und sozialstaatlichen Verfassungsordnung,38 so Young Huh. Die Darlegung von oben gibt seine Bewertung der Grundrechtstheorie und gleichzeitig seine Hervorhebung einer den Staat konstituierenden Funktion der Grundrechte aus dem Gesichtspunkt der Integrationstheorie von Smend wider. c) Hier sei auch erwähnt Hee-Yol Kay (geb. 1936), emeritierter Professor an der Korea-Universität, der die Grundrechte auf der Basis der Integrationstheorie Smends erläutert. Er veröffentlichte 1983 den Artikel „Verfassungstheoretische Grundposition und Grundrechtstheorie“, zugleich ein Beitrag über den Wandel des Grundrechtscharakters.39 In diesem Artikel wiederholte er die oben angeführten These Young Huhs und typisierte danach die Verfassungstheorien40 in die rechtspositive, die dezisionistische und die Integrationsverfassungstheorie und erläuterte die Grundrechtsannahmen in der jeweiligen Verfassungstheorie. Ebenfalls hebt dieser Artikel hervor, dass die Grundrechtstheorie eine Voraussetzung und Grundlage für die Verwirklichung der Grundrechte ist, ausgehend von der Grundrechtstheorie Böckenfördes. Dieser Artikel ist von beträchtlicher Bedeutung, weil er insbesondere in Korea, wo bis dahin im verfassungsrechtlichen Bereich der Schwerpunkt auf die rechtspositivistische und die sog. dezisionistische Grundrechtstheorie gelegt wurde, die Grundrechtstheorie nach der Integrationslehre mit Kritiken und Problemen detailliert vorgestellt hat. Abschließend hebt er hervor: „Unsere koreanische Verfassungslehre sollte sich nun bewusst sein, auf welcher grundrechtstheoretischen Basis man Grundrechtspro37

Huh (Fn. 31), S. 389 f. Huh (Fn. 31), S. 395. 39 Hee-Yol Kay, Verfassungstheoretische Grundposition und Grundrechtstheorie, Kongbob Yonku (Public Law) 11 (1983), S. 11 – 58. 40 Hee-Yol Kay, Honbobhak (Constitutional Law), Bd. 1, Seoul 1995, S. 6 ff. 38

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bleme löst und sollte sich um eine grundrechtstheoretisch konsequente Interpretation bemühen.“41 Seine drei Typen der Verfassungstheorie sind jetzt auch in seinen Lehrbüchern enthalten.

V. Jüngste Würdigung Böckenfördes Theorien wurden in Korea durch die Übersetzung von „Verfassung, Staat und Freiheit“ durch mich (erstmalig 1992) weit bekannt und wurden später durch die Übersetzung von „Verfassung und Demokratie“ durch mich und Tae-Ho Chung (erste Auflage 2003) noch geläufiger. Seine Theorien sind sowohl vor als auch nach dem Millenniumswechsel für junge Forscher interessant. Sie werden weiter verbreitet durch Lehrbücher oder Abhandlungen. a) Einer der Anhänger der Integrationstheorie, Duk-Yeon Lee (geb. 1959), Dozent an der Universität Gongju, hat eine Abhandlung verfasst mit dem Titel „Wesen und Inhalt der Grundrechte: Reflexion und Aufgabe der koreanischen Grundrechtstheorie“.42 In der Fußnote seiner Abhandlung gibt er an, als Grundlage zwei Schriften Böckenfördes verwendet zu haben, nämlich „Grundrechte als Grundsatznormen“ (1990) und „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“ (1974). Obgleich der letzte Artikel Böckenfördes schon im Jahre 1991 von mir (Hyo-Jeon Kim) ins Koreanische übersetzt worden war, wird er auf Seite 12 erneut vorgestellt, ohne dass die Übersetzung erwähnt wird. Ist dies nun ein Resultat von Unwissenheit oder Faulheit? Oder wurde die Übersetzung bewusst verschwiegen? Jedenfalls wurde dieses Papier mit dem Zugeständnis abgeschlossen, wie der Autor selbst sagt, „nicht mehr als mittelbares Referenzmaterial zu enthalten.“43 Außerdem hat Duk-Yeon Lee auf insgesamt 47 Textseiten 12 Seiten von Böckenfördes Artikeln übersetzt, ohne dies entsprechend durch Angabe des Namens von Böckenförde und den Titel der Aufsätze kenntlich zu machen. Was ist ein wissenschaftliches Gewissen in Bezug auf das Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit? Ich denke, es ist notwendig zu überlegen, was in das Papier aufgenommen werden sollte. Es ist klar, dass die Idee, Böckenförde als Fußnote zu behandeln, keine aufrechte Haltung oder Höflichkeit ist, die von Gelehrten eingenommen werden kann. Ich würde eher „Reflexion und Aufgabe“ der akademischen Haltung als Forscher sagen als „Reflexion und Aufgabe der koreanischen Grundrechtstheorie“.

41

Kay (Fn. 39), S. 58. Duk-Yeon Lee, Wesen und Inhalt der Grundrechte: Reflexion und Aufgabe der koreanischen Grundrechtstheorie, in: FS Young Huh, 1997, S. 59 – 72. 43 Hyo-Jeon Kim, Trends in der deutschen Grundrechtstheorie, Dong-A Law Review 33 (2003), S. 50, Fn. 73. 42

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b) In Bezug auf die Grundrechtstheorie schrieb Seon-Taek Kim (geb. 1958) ein Papier mit dem Titel „Grundrechtssystem“.44 Klaus Stern folgend stellt er deutsche Theorien vor und zitiert Böckenfördes Formeln und kritisiert die Grundrechtstheorien. Sein Verfassungssystem ist wie folgt: Die sogenannte Grundrechtstheorie zeigt die Grenzen der Freiheit des guten Willens des Dolmetschers auf, indem er die verfassungstheoretische Orientierung über die unmittelbar verwandten Verfassungstexte hinaus ausdrückt. Hier entsteht ein neuer Bedarf, eine Rechtfertigung als konkreten Verfassungsinhalt zu begründen, und als Antwort darauf wird ein Grundrechtssystem konzipiert. c) Young-Soo Chang (geb. 1960), Schüler von Kay, Professor an der Korea Universität, folgt in seiner Verfassungslehre (1. Auflage 2008) den drei oben beschriebenen Verfassungsrechtsauffassungen und Grundrechtstheorien unkritisch. Darüber hinaus argumentierte er noch entschieden: „Der Disput um die grundlegenden Richtungen, die durch die Kontroverse der Verfassungsauffassung entstehen sollen, wurde als relativer Sieg der Integrationstheorie abgeschlossen“.45 Das ist jedoch eine einseitige und dogmatische Behauptung von ihm. d) Ein weiterer Fall, in dem Böckenförde von dogmatischen Schülern von Young Huh kritisiert wird, ist die Grundrechtstheorie von Jong-Sup Chong (geb. 1958), ehemaliger Professor an der Seoul National University und nun Mitglied der Nationalversammlung und Schüler von Young Huh. Er kritisiert Böckenfördes Analyse in seinem Buch (in den Fußnoten) folgendermaßen: „Obwohl diese fünf Grundrechtskategorien Böckenfördes häufig zitiert werden, ist es zweifelhaft, ob es sinnvoll ist, diese Theorien auf derselben Ebene zu vergleichen, zumal die einzelnen Grundrechte in Bezug auf Hintergrund, Funktion, Natur, Inhalt usw. voneinander abweichen. Es ist schwierig, verschiedene individuelle Grundrechte, die auf einem Wert und einer Perspektive basieren, einheitlich aus der Sicht der Methodologie des Verständnisses der Grundrechte zu beurteilen. Diese ,Grundrechtstheorie‘ ist auch in Deutschland umstritten. In den 1970er Jahren trugen diese Theorien etwa zur Ausweitung des konventionellen Grundrechtsverständnisses in Deutschland bei, indes aber wenig zur Erklärungsarbeit für die Grundrechtstheorien.“46

Diese Darstellung ist lediglich eine willkürliche Einschätzung der Situation in Deutschland. Böckenfördes Theorie wird als „Böckenförde-Diktum“ durch einflussreiche Wissenschaftler in Deutschland bezeichnet und allgemein anerkannt.47 Die Kritik von Chong ist nur Kritik um der Kritik willen, ohne Kenntnis der deutschen Situation und Wirklichkeit. 44 Sun-Taek Kim, Grundrechtssystem, Honbob Nonchong (Verfassungsrechtliche Aufsätze) 10 (1999), S. 142 ff. 45 Young-Soo Chang, Honbobhak (Constitutional Law), Seoul 2017, S. 33. 46 Jong-Sup Chong, Kinbonkwoneui Kaenyom (Der Begriff der Grundrechte), 2007, S. 15, Fn. 47 Klaus Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 5, 1992, S. 45 – 100 (58 ff).

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e) Kye Il Lee (geb. 1976), Professor an der Wonkwang Universität, schrieb 2013 einen Beitrag mit dem Titel „Eine Betrachtung über die Voraussetzungen der Demokratie: ausgehend von Böckenfördes Diktum.“48 Demnach sieht Böckenförde die Voraussetzungen der Demokratie in drei Dimensionen: einer sozio-kulturellen, einer politisch-strukturellen und einer ethischen.49 Kye Il Lee würdigte diese Theorie der Demokratie Böckenfördes positiv und führte diese als ein Modell in Korea ein. Dann zitiert er in einer Fußnote das weltberühmte Böckenförde-Diktum „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“50 Im gleichen Jahr behandelt er die Frage „Democratic Legitimation of Judiciary Power. Focusing on Personal Legitimation of Judicial Personnel Administration in Germany,“51 in dem Böckenfördes „Verfassungsfragen der Richterwahl“ zum Ausgangspunkt genommen wird. Hier wird die Meinung Böckenfördes als herrschende Meinung dargestellt. Demgegenüber stellt Lee auch kritische Meinungen von A. Tschentscher, Th. Erwin Dietrich und anderen vor. Danach kann die Frage nach der demokratischen Legitimation der Judikative als beantwortet gelten, wenn die Richterernennung/die Komposition des Gerichts geregelt worden ist. f) Die Arbeit „Constitutional Adjudication and Democracy: A Critical Review on Böckenförde’s Critics on the Practice of the Constitutional Adjudication and Habermas Responses to such Critics“,52 2014 von Seung Soo Lee vorgelegt, einem jungen Forscher für Verfassungsrecht an der Universität Yonsei, wurde zunächst weitgehend übersehen. Der Untertitel erweckt in Bezug auf Böckenförde und Habermas den Eindruck, dass sie über die Praxis der Verfassungsgerichtsbarkeit streiten. Das Faktum ist anders. Die Schriften von Böckenförde, Dieter Grimm, Erhard Denninger und anderen hat Habermas in seinem Buch „Faktizität und Geltung“ (1. Aufl. 1998; 6. Aufl. 2017) in Kapitel VI: Justiz und Gesetzgebung53 hinsichtlich ihrer Argumentation kritisiert. Der Autor, Seung Soo Lee, sollte vorsichtig sein, die Leser mit dem Titel seines Artikels nicht zu täuschen. 48 Kye Il Lee, A Study on the Prerequisite of Democracy. Centered on the BöckenfördeDictum, Honbobhak Yonku (Constitutional Law) 19:2 (2013), S. 451 – 505. 49 Böckenförde (Fn. 10), S. 344 ff. Koreanische Ausgabe S. 264 ff. 50 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 112. Siehe dazu Mirjam Künkler/ Tine Stein, Böckenförde’s Political Theory of the State, in: ders., Constitutional and Political Theory. Selected Writings, Oxford 2017, S. 45 ff. 51 Kye Il Lee, Democratic Legitimation of Judiciary Power. Focusing on Personal Legitimation of Judicial Personnel Administration in Germany, Bobcholhak Yonku (Korean Journal of Legal Philosophy) 16:3 (2013), S. 249 – 294. 52 Seung Soo Lee, Constitutional Adjudication and Democracy: A Critical Review on Böckenförde’s Critics on the Practice of the Constitutional Adjudication and Habermas’ Responses to such Critics, Yonsei Journal of Public Governance & Law 5:2 (2014), S. 3 – 23. 53 Koreanische Übersetzung: Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung (übers. v. Sang-Jin Han und Young-Do Park), Seoul 2000, S. 295 – 350.

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Ferner macht er hier den Fehler, jene „falschen Voraussetzungen“ nicht zu benennen. Man sollte erwarten können, dass ein solcher Aufsatz mit einem Verständnis von Demokratie, einer Staatsauffassung, einem Verständnis von Grundrechten und der Kenntnis der Unterschiede zwischen Deutschland und Korea geschrieben wird. Schon Tae-Yeon Han, ehemaliger Professor an der Seoul National University und ehemaliges Mitglied der Nationalversammlung, hat auf den „Scheinvorrang der Justiz“ hingewiesen, dass die Verfassung der Dritten Republik von 1962 dem Gericht das gerichtliche Prüfungsrecht gegeben hat. Es ist noch nicht lange her, dass die koreanische Justiz ein Trauma erlitten hat. Sieht man auf die koreanische Verfassungsgeschichte zurück, fand das richterliche Prüfungsrecht der Dritten Republik Koreas, das die US-amerikanische Normenkontrolle in Korea einführte, seinen Niederschlag, und zwar wie schon Hamilton lapidar beschrieb: „The judiciary has no influence over either the sword or the purse.“54 Außerdem führte dies eine sog. „Politisierung der Justiz“ herbei, vor der sich Carl Schmitt vorsah.55 Dennoch hatte dies eine auf die Verfassung, die Grundrechte und die Normenkontrolle verstärkte Besinnung zur positiven Folge.56 g) Unter jungen Verfassungsrechtlern gibt es noch den ein oder anderen, der als Smend-Anhänger die sogenannte ,staatskonstituierende Funktion der Grundrechte‘ auswendig lernt wie ein indischer Zauberer, diese ohne Mühe wiederholt oder sogar versucht, nach der Verfassungstheorie von Kelsen-Schmitt-Smend eine Formel für gegenwärtige Probleme der Verfassungsänderung zu finden.57 Jedoch: Seoul ist weder Weimar noch Bonn. h) Tscholsu Kim (geb. 1933), emeritierter Professor, Honorarprofessor an der Seoul National University, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften und führender Gelehrte der koreanischen Verfassungslehre, hat seine Sicht über die verschiedenen oben genannten Darstellungen der deutschen Grundrechtstheorie synthetisierend wie folgt zusammengefasst: „Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte in Deutschland das Naturrecht, mit dem Anspruch auf ,ewige Wiederkehr‘ (H. Rommen) des Naturrechts. Seit den 1960er Jahren ist jedoch die ewige Rückkehr des Rechtspositivismus ausgerufen worden, und institutionelle Theorien der Grundrechte sind aufgetaucht. Die vorherrschende Lehre nach dem Krieg ist die Carl Schmitts, die die Freiheit als ein Verteidigungsrecht gegen den auf liberaler Grundrechtstheorie basierenden Staat anerkennt.

54

Alexander Hamilton/James Madison/John Jay, The judiciary department, in: The Federalist Papers, no. 78, 1788. 55 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 5. Aufl. 2016 [1931], S. 22. 56 Ferner, vgl. Hyo-Jeon Kim, The American Influence on Japanese and Korean Judicial Review of Legislation, Ph.D. Thesis, Seoul National University, 1981. 57 Z. B. Chan Kwon Park, A Critical Study on the Constitutional Legitimacy of the Constitutional Revision in the 20th National Assembly – From the Viewpoint of Rudolf Smend and Carl Schmitt’s Constitutional Theory, Honbobhak Yonku (Constitutional Law) 23:3 (2017), S. 463 – 504.

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Klein kann die Freiheit als rechtsstaatliches Teilungsprinzip nicht aufgeben und er versteht die Grundrechte als vorstaatliche Freiheit der Selbstbestimmung. Hesse und Häberle betonen den Aspekt der objektiven Ordnung, dem Einfluss Smends folgend. So betont man Freiheit als Institution und vernachlässigt subjektive Rechte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Lüth-Urteil eine werttheoretische Grundrechtstheorie entwickelt. Für Dürig, Leisner und andere sind die Grundrechte ein echter Integrationsfaktor und eine objektive Norm des gesamten Rechtssystems, einschließlich der Verfassung. Nach dieser Theorie haben Grundrechte den Charakter objektiver Normen, und es besteht die Gefahr, dass Grundrechte die Autorität verlieren, den Einzelnen gegenüber dem Staat zu verteidigen. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie will den politischen Charakter der Freiheit. Wir versuchen, das Grundrecht des Anspruchs auf Teilnahme an den Gewährleistungsverpflichtungen des Staates und den Leistungen und Institutionen des Staates in der Freiheitssicherung anzuerkennen. Dies ist harte Arbeit, um den Grundrechtsteil des deutschen Grundgesetzes, das kein Grundrecht auf Überleben hat, zu erhalten. Die deutsche Theorie besagt, dass die Unzulänglichkeit der Grundrechtsregelungen des Grundgesetzes viele Ursachen hat und dass es problematisch ist, die Grundrechte zu objektivieren, indem man das System und die Werteordnung betrachtet und nicht das Recht, den Staat zu beanspruchen.“58

Ferner zitiert Tscholsu Kim auch Klaus Sterns umfangreiche Darstellung sowie das Handbuch von Mertens/Papiers, Lindners Grundrechtsdogmatik und andere. Er betont, dass die von Carl Schmitt herrührende liberale Grundrechtstheorie die herrschende Meinung und dominierende Lehre in Deutschland und auch in Korea ist. Zum Schluss kann man feststellen, dass die Verfassungslehre, die die Grundrechte als ausnahmsweise garantiert betrachtet, und diejenige, die die Grundrechte als prinzipiell gewährt betrachtet, verschieden sind und zueinander im Gegensatz stehen. Die beiden sind von Natur aus anders und können sich nicht gut vertragen. Darüber hinaus kann es sein, dass die Zeitumstände der 1920er und 1930er Jahren in Deutschland eine Verfassungstheorie wie etwa die Integrationslehre von Rudolf Smend erforderten, um einzelne Individuen in das staatliche Gefüge zu integrieren. Demgegenüber ist die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Situation Koreas, die durch einen ideologischen Konflikt und eine tiefe wirtschaftliche Kluft zwischen Süd- und Nordkorea charakterisiert werden kann, anders als die in Deutschland der 1920er und 1930er Jahre. Es kann ebenfalls sein, dass die beiden Verfassungslehren, wonach die Grundrechte als Prinzip und im Gegensatz dazu als Ausnahme zu betrachten sind, die gegensätzlichen Grundrechtsverständnisse und die gegensätzlichen Gegenwartssituationen zwischen Süd- und Nordkorea reflektieren.

58 Tscholsu Kim, Haksul Panrye Honbobhak (Verfassungslehre von Theorie und Rechtsprechung), 2008, S. 366.

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VI. Fragen in der Diskussion 1. Christentum E.-W. Böckenfördes Welche Rolle hat das Christentum E.-W. Böckenfördes in der Diskussion in Korea gespielt? (Otto Kallscheuer aus Sassari) Die Religion bedeutet in westlichen Ländern in der Regel Christentum. Demgegenüber bedeutet die Religion in Korea Christentum, Buddhismus, Konfuzianismus usw. Böckenförde unterstreicht, dass „(d)as Recht, wie es aus der Not der konfessionellen Bürgerkriege hervorgegangen ist, darauf verzichtet selbst schon unmittelbar Ordnung der Wahrheit und der Sittlichkeit zu sein.“59 In den geschlossenen und traditionell geordneten Gesellschaften Ostasiens aber sind Recht und Moral noch nicht sachlich unterschieden. Art. 20 Abs. 1 KorVerf (Koreanische Verfassung): „Alle Staatsbürger genießen die Freiheit der Religion.“ Art. 20. Abs. 2: „Es wird keine Staatsreligion anerkannt. Religion und Politik werden getrennt.“ Der Staat hält sich der Religion gegenüber in der Regel an das Prinzip der Nichtintervention.60 In Korea ist keine Staatsreligion anerkannt. Der Staat darf keinen Einfluss auf Religionen ausüben. Mit dem in der Frage erwähnten Christentum sind Katholiken gemeint. Zwei Schriften Böckenfördes über die Religionsfreiheit, die ich übersetzte, wurden in Fachzeitschriften veröffentlicht, um koreanischen Wissenschaftlern, die kaum Interesse an Religion zeigen, den wissenschaftlichen Diskussionsstand Deutschlands bekanntzumachen. Dennoch hatte dies keine wissenschaftliche oder religiöse Diskussion zur Folge. 2. Verfassungsrechtliche Entscheidungen und deutsche Verfassungslehre in Korea Haben die Untersuchungen über deutsche Verfassungslehren nach der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit durch die Verfassungsänderung von 1987 in Korea eine beträchtliche Wandlung erfahren? (Tomonobu Hayashi aus Tokio) Die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Korea hatte eine beachtliche Wandlung im Bereich von Verfassungsleben und verfassungsrechtlichen Untersuchungen zur Folge. Vor der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit hatte man an deutschen Verfassungsrechtstheorien bloß Interesse aus theoretischen Gründen. Nach der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit hatten Untersuchungen deut59 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: ders., Kirche und Christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit. Beiträge zur politischtheologischen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. 2007, S. 210. 60 Vgl. Text: Hyo-Jeon Kim (Hrsg.), The Constitutions of the Republic of Korea, Seoul 2008.

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scher Verfassungstheorie demgegenüber eine praktische Bedeutung, und zwar zur aktuellen verfassungsrechtlichen Problemlösung. Demzufolge wurde Wirksamkeit und Gültigkeit der Verfassung als Rechtsnorm, die unmittelbar geltend ist, erweitert. Dennoch ist die Einführung der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit, die die gerichtlichen Urteile von der Verfassungsbeschwerde ausnimmt und keine abstrakte Normenkontrolle vorsieht, in Korea immer noch streitig. Freilich ist die Errichtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die bei der Grundrechtsgewährleistung und der Möglichkeit des Verbots einer verfassungswidrigen politischen Partei eine unentbehrliche Rolle spielt, eine der mächtigen Leistungen der Verfassungsgerichtsbarkeit. Der Schwerpunkt der Juristenausbildung im Bereich des Verfassungsrechts wurde von der Theorie zur verfassungsrechtlichen Praxis verlegt. Daraufhin interessieren sich Rechtspraktiker für Entscheidungen des deutschen Verfassungsgerichts und darauf bezogene Untersuchungen. Die Antwort auf diese Frage ist umfangreich, so seien hier zum Hinweis seit 1987 in Korea veröffentlichte koreanische Ausgaben61 aufgelistet: (1) Staatslehre (chronologisch) 1990, Allgemeine Staatslehre von H. Kelsen, übersetzt von Joon-Key Min; 1995, Der Staat: Philosophen und Staatsmänner über den Staat von W. Schätzel, übersetzt von Sung-Wi Kang; 1997, Staatslehre von H. Heller, übersetzt von Seong-Bang Hong; 2000, Faktizität und Geltung von Jürgen Habermas, übersetzt von Sang-Jin Han und Young-Do Park; 2001, Staat und Verfassung von J. Isensee, übersetzt von Seung-Woo Lee; 2005, Allgemeine Staatslehre von G. Jellinek, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 2007, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 2007, Die Herausforderung des Verfassungsstaates von M. Kriele, übersetzt von Seong-Bang Hong; 2008, Volksentscheid und Volksbegehren; Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Jeon Kim (mit Textanhang); 2010, Politische Theologie von C. Schmitt, übersetzt von Hang Kim; 2011, Die Staatsformen von M. Imboden, übersetzt von Seong-Bang Hong; 2011, Entfremdung von F. Müller, übersetzt von Seong-Bang Hong; 2012, Der Begriff des Politischen von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Jeon Kim und Tae-Ho Chung; 61

Koreanische Übersetzungsliste von und über deutsche Staatslehre und Verfassungslehre.

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2012, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus von C. Schmitt, übersetzt von Jong Seok Na; 2018, Der Staat: Eine soziologische Studie von Franz Oppenheimer, übersetzt von Sang Ryul Lee; 2018, Quellen zur deutschen Verfassungslehre von Carl Schmitt u. a., übersetzt von Hyo-Jeon Kim.

(2) Allgemeines Verfassungsrecht 1988, Politische Theologie u. a. von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 1989, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit von E.-W. Böckenförde, übersetzt von Hyo-Jeon Kim (2. Aufl., 1992); 1992, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit von Chr.-F. Menger, übersetzt von HyoJeon Kim und Tae-Hong Kim; 1992, Verfassung, Staat, Freiheit von Ernst-Wolfgang Böckenförde, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 1993, Verfassungsinterpretation. Ausgewählte Schriften von E. Forsthoff u. a., übertragen und hg. von Hee-Yol Kay; 1994, Der Staat als Integration von H. Kelsen, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 1994, Elemente einer Verfassungstheorie. Ausgewählte Schriften von R. Smend, übersetzt von Seung-Jo Kim; 1994, Verfassung und Verfassungsrecht von R. Smend, übersetzt von Seung-Jo Kim; 1996, Das Rechtsstaatsprinzip: Aufsätze von H. Heller, u. a., übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 1996, Grundtheorie des Rechtsstaates. Ausgewählte Schriften von Peter Lerche, hg. von Young Huh; 1996, The Legal Status of the Divided Nations von Dieter Blumenwitz, übersetzt von ChangDong Choi; 2000, Die feindlose Demokratie von Ulrich Beck, übersetzt von Il Joon Chung; 2003, Die Monarchomachen von R. Treumann, übersetzt von Sang Kyum Kim; 2003, Staat, Verfassung, Demokratie von Ernst-Wolfgang Böckenförde, übersetzt von HyoJeon Kim; 2004, Grundgesetz Kommentar von v. Münch und Kunig, Präambel, Artikel 1 – 4. Übersetzt von Ju-Hwan Kim und Seong-Bang Hong; 2004, Souveränität von H. Heller, übersetzt v. Hyo-Jeon Kim; 2008, Übermaß und Verfassungsrecht von Peter Lerche, übersetzt von Kyu Hwan Park; 2009, Die Verfassung. Idee und Geschichte von Hans Vorländer, übersetzt von Sung-Joon Kim; 2009, Übermaß und Verfassungsrecht von Peter Lerche, übersetzt von Hee Su Choi;

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2010, Verfassungsprozessrecht von Chr. Hillgruber & Christoph Goos, übersetzt von Hee Su Choi; 2011, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates von W. Kägi, übersetzt von Seong-Bang Hong; 2012, Verfassungsentwicklung von Brun-Otto Bryde, übersetzt von Korean Constitutional Court; 2013, Sprache, Verfassung und Staat. Ausgewählte Schriften von J. Isensee, übersetzt von DukYeon Lee und Tae-Soo Kang; 2013, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht von Christoph Degenhart, übersetzt von Il-Sun Hong; 2014, Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Hrsg. von Helmut Quaritsch, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 2014, Gesetz und Urteil von Carl Schmitt, übersetzt von Seong-Bang Hong; 2014, Friedrich Müller, Richterrecht: Elemente einer Verfassungstheorie, übersetzt von SeongBang Hong; 2015, Der demokratische Verfassungsstaat von Christian Starck, übersetzt von Dai-Hwan Kim; 2015, Legalität und Legitimität von Carl Schmitt, übersetzt von Do Kyun Kim; 2015, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht von Christoph Degenhart, übersetzt von Il-Sun Hong; 2016, Weimarer Reichsverfassung und die politischen Ideenkreise von H. Heller, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 2018, Quellen zur deutschen Verfassungslehre von C. Schmitt, u. a., übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 2019, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Won Cho; 2020, Verfassung und Politik von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Jeon Kim.

(3) Grundrechte 1991, Die Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte von G. Jellinek und La déclaration des droits de l’homme et du citoyen von E. Boutmy, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 1994, Rechtsstaat und menschliche Würde von Werner Maihofer, übersetzt von Zai-Woo Shim; 1996, Die demokratische Weltrevolution von M. Kriele, übersetzt von Seong-Bang Hong; 1997, Befreiung und politische Aufklärung von M. Kriele, übersetzt von Seong-Bang Hong; 1998, Medienrecht von Marian Paschke, übersetzt von Woo-Seung Lee; 2000, Grundrechte. Staatsrecht II, 1999 von B. Pieroth und B. Schlink, übersetzt von Tae-Ho Chung; 2002, Verfassungsrecht II. Grundrechte von Michael Sachs, übersetzt von Seung-Ju Bang; 2003, Bundesdatenschutzgesetz von 2003, übersetzt von GyeoCheol Lim;

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2004, Zum Verständnis der deutschen Grundrechtstheorie von G. Jellinek, u. a., übersetzt u. hg. von H.-J. Kim; 2007, Theorie der Grundrechte von R. Alexy, übersetzt von Zoon-il Lee; 2011, Naturrecht und menschliches Würde von Ernst Bloch, übersetzt von Sul Ho Park; 2012, Philosophie der Menschenrechte zur Einführung von Christoph Menke und Arnd Pollman, übersetzt von Mira Chung und Chung Rip Choo; 2020, Grundrechte. Staatsrecht II, 33. Aufl., 2017 von Thorsten Kingreen und Ralf Poscher (begründeten Lehrbuch von B. Pieroth und B. Schlink), übersetzt von Tae-Ho Chung (im Erscheinen).

(4) Verfassungsgerichtsbarkeit und Materialien 1991, Der Hüter der Verfassung von C. Schmitt; Wer soll der Hüter der Verfassung sein? von H. Kelsen, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 1997, Korean Constitutional Court, Übersetzungssammlung von BVerfGE über die deutsche Wiedervereinigung; 1997, Korean Constitutional Court, Übersetzungssammlung der Hauptmaterialien über die deutsche Wiedervereinigung; 1999, übersetzt und hg. von Korean Constitutional Court, Übersetzungssammlung von deutschen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen 1999 – 2019; 2000, Der Hüter der Verfassung von C. Schmitt, übersetzt von Hyo-Jeon Kim; 2001, Das Bundesverfassungsgericht von Klaus Schlaich, übersetzt von Tae-Ho Chung; 2001 ff., übersetzt und hg. von Korean Constitutional Court, Übersetzungssammlung von deutschen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen; 2002, Entscheidungen des BVerfG über den Rundfunk, übersetzt von Jeong-Hwan Jeon und Moo-Woong Byun; 2003, Casebook Verfassungsrecht von Ingo Richter, übersetzt von Seung Ju Bang; 2007, Das Bundesverfassungsgericht von Jutta Limbach, übersetzt von Nam-Chul Chung; 2007 – 2009, Forschungsgesellschaft für deutsches Verfassungsrecht (FdV), Japan, Hrsg. von Kuriki Hisao, Tonami Koji, Nemori Ken, Wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, übersetzt von Jeong-Hwan Jeon u. a.; 2010, Deutsches Verfassungsprozeßrecht von Chr. Hillgruber und Christoph Goos, übersetzt von Hee-Su Choi; 2014, übersetzt von Ministry of Justice, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über KPD (BVerfG, NJW 1956, 1393) und (BVerwG, NJW 1982, 779) mit Text; 2014, übersetzt von Ministry of Justice, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über SRP (BVerfG, NJW 1952, 1407) mit Text.

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(5) Soziale Marktwirtschaft, u. a. 1997, Was ist Parlamentarismus/ von Klaus von Beyme, u. a., Hg. und übersetzt von Byung Hoon Rhee; 2001, Soziale Marktwirtschaft, Sozialistische Planwirtschaft von Hannelore Hamel, übersetzt von Byung Jik Ahn und Ho-Kyun Kim; 2005, Lexikon Soziale Marktwirtschaft von Rolf H. Hasse, u. a., übersetzt von Kyu Suk Lee u. a.; 2011, Die Auflösung der Weimarer Republik von K. D. Bracher, übersetzt von Byung Ryun Lee u. a.; 2015, Die Weimarer Republik. Eine unvollendete Demokratie von Horst Möller, übersetzt von Jong-Hoon Shin; 2017, Gesetzgebung von Winfried Kluth u. a., übersetzt von Young Do Park u. a. 2018, The Weimar Century von Udi Greenberg, übersetzt von Jae-Wook Lee.

3. E.-W.-Böckenförde-Würdigung in Japan und Einfluss auf Korea Welchen Einfluss auf Korea hat E.-W. Böckenförde-Würdigung in Japan ausgeübt? (Tomonobu Hayashi aus Tokio) Bis zu den 1970er Jahren zogen Gelehrte der alten Generation häufig rechtliche Literatur aus Japan zu Rat. Im Laufe der Zeit verringert sich die Zahl der Gelehrten, die Japanisch verstehen, so dass Japanisch verstehende und Deutsch verstehende Gelehrte sich deutlich voneinander unterscheiden. Es kommt mir so vor, dass ich zur letzten Generation gehöre, die japanische Literatur nachschlägt. Heutzutage schlagen die meisten Gelehrten direkt deutsche Literatur nach, wodurch es kaum Einfluss aus Japan gibt. In Japan wurde nur ein Übersetzungsbuch von Masanori Shiyake (Hrsg.) „Der moderne Staat und Verfassung, Freiheit und Demokratie: Ausgewählte Aufsätze“ von E.-W. Böckenförde (erst 1999) veröffentlicht. Demgegenüber wurden drei koreanische Übersetzungen der Werke Böckenfördes „Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft“ (erst 1989), „Verfassung, Staat, Freiheit“ (erst 1992) und „Staat, Verfassung, Demokratie“ (erst 2003) veröffentlicht. 4. E.-W. Böckenförde und Carl Schmitt Außer Antworten auf die Fragen von oben habe ich etwas zum Zusammenhang von E.-W. Böckenförde und Carl Schmitt zu erwähnen:62 62 Ausführlicher siehe Mirjam Künkler/Tine Stein, Carl Schmitt in Ernst-Wolfgang Böckenförde’s work: Carrying Weimar constitutional theory into the Bonn Republic, Constellations 25:2 (2018), S. 1 – 17.

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„Der Begriff des Politischen“ (Text von 1927) von Carl Schmitt wurde im Jahre 1961 von Kun-Shik Yun (geb. 1931) ins Koreanische übersetzt. Danach wurde Carl Schmitts Werk „Der Begriff des Politischen“ (Text von 1963) im Jahre 1992 von mir übersetzt. Dessen erweiterte koreanische Ausgabe wurde zusammen mit der nachträglichen Einfügung der Abhandlung Böckenfördes „Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts“ im Jahre 1995 veröffentlicht. Carl Schmitts These der Unterscheidung von Freund und Feind hat viele Anhänger nicht nur in der politischen Theorie, sondern auch in der politischen Praxis um sich geschart. Es kommt mir vor, dass insbesondere Böckenfördes Erläuterung des Werks Carl Schmitts zum richtigen Verständnis und zur Eröffnung neuer Horizonte über Carl Schmitts Theorie viel beigetragen hat.63

VII. Schluss Die theoretische Grundlage der gegenwärtigen koreanischen Verfassungslehre beruht auf der deutschen Verfassungstheorie und der amerikanischen Rechtsprechung. Einige Lehrbücher zur Verfassungslehre rezipieren oder befolgen sogar unmittelbar deutsche Theorien nach deutscher Klassifikation. Dagegen hängen in den Seminaren die Schulnamen der Law Schools aus und die Inhalte des Lehrplans und der Vorlesung stimmen mit der amerikanischen Fallstudienmethode überein, nach der die Studenten die Entscheidungen des Verfassungsgerichts analysieren und auswendig lernen. Mit anderen Worten, die gegenwärtige juristische Ausbildung in Korea ist eine Mischung aus dem deutschen und dem amerikanischen System. Wer Institute bzw. Theorien des deutschen Rechts in Korea einführen will, sollte dies unter Berücksichtigung der Wirklichkeit Koreas mit Redlichkeit und reiflicher Erwägung ausführen. Er darf sie nicht unkritisch färben oder verkleiden, damit diejenigen, die keine Deutschkenntnis haben oder sich in den Umständen Deutschlands nicht auskennen, nicht denken, dass sie die neuesten und besten wären.64 Man erinnere sich nur an den Streit um die Rezeption des römischen Rechts zwischen Romanisten und Germanisten. Wenn man das Gesamtbild betrachtet, hat die Integrationslehre der Smend-Schule in der japanischen Verfassungslehre einen eher schlechten Ruf, während die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft der Schmitt-Schule als eher liberal gilt.65 Mir 63 Über Carl Schmitt in Korea, vgl. Hyo-Jeon Kim, Carl Schmitts Verfassungslehre und Korea, Journal of The National Academy of Science Republic of Korea, Humanities and Social Sciences Series 58:1 (2019), im Erscheinen, S. 151 – 409. 64 Für die Smendanhänger habe ich (Hyo-Jeon Kim) in die andere Gedankenwelt von Hans Kelsens Kritik der Integrationslehre mit Übersetzungen eingeführt und diese interpretiert. Siehe Übersetzervorwort in: ders., Der Staat als Integration: Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Seoul 1994. S. 4 – 5. 65 Tooru Mori, Der Staat als Verfassungsvoraussetzung und Staatsintegration durch Verfassung, FS Katsushi Takami, 2015, S. 113.

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erscheint diese Einschätzung richtig. Dies gilt nicht nur für Japan, sondern auch für Korea. Die liberale Grundrechtstheorie des bürgerlichen Rechtsstaats ist immer noch vorherrschend in Korea und sie scheint eine gültige Theorie für Koreas Wirklichkeit zu sein. Ich würde sagen, dass Böckenfördes Leistungen nicht nur sehr eindrucksvoll in Deutschland und Europa, sondern auch in Ostasien sind. Sie erweiterten unseren Denkhorizont mit Blick auf die Verfassungslehre und lieferten eine theoretische und praktische Grundlage für Korea. Ohne Böckenförde kann man nichts über die moderne deutsche Verfassungslehre sagen.

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Anhang: Koreanisches Schrifttum über E.-W. Böckenförde (Eine Liste der Übersetzungen der Schriften Böckenfördes ins Koreanische findet sich im Gesamtverzeichnis der Übersetzungen im Anhang dieses Heftes.) 1.

Book Review, Byung-Han Suh, Hrsg. von E.-W. Böckenförde, Moderne deutsche Verfassungsgeschichte 1815 – 1918, in: WoekukbobYonku (Studium für Auslandsrecht), Library of National Assembly, 1973, S. 184 – 187.

2.

Kang Hyuck Lee, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriff, in: Koshigye (Staatsexamen), Vol. 23, Nr. 10 (1978), S. 59 – 67.

3.

Kang Hyuck Lee, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlichen Mächten, in: Wolgangoshi (Monatshefte für Staatsexamen), Vol. 6, Nr. 11 (1979), S. 35 – 44.

4.

Young Huh, Constitutional Theory and Constitutional Law, Vol. 1. Seoul, Parkyoungsa Publishing & Co., 1980, S. 167 – 180.

5.

Young Huh, Eine Betrachtung über die Grundrechtstheorie, in: KoshiYonku (Studium für Staatsexamen), Vol. 25, Nr. 7 (1980), S. 35 ff.

6.

Kang Hyuck Lee, Unterscheidungsbedeutung von Staat und Gesellschaft, in: KoshiYonku (Studium für Staatsexamen), Vol. 26, Nr. 7 (1981), S. 91 – 100.

7.

Kang Hyuck Lee, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: Koshigye (Staatsexamen), Vol. 27, Nr. 3 (1982), S. 73 – 83.

8.

Konrad Hesse, übertragen und herausgegeben von Hee-Yol Kay, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft (1975), in: KoshiYonku (Studium für Staatsexamen), Vol. 11, Nr. 11 (1984), S. 46 – 64. Jetzt in: ders., Elemente einer Verfassungstheorie. Ausgewählte Schriften, Seoul: Parkyoungsa Publishing Co., 2001, S. 35 – 54.

9.

Kang Hyuck Lee, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: Koshigye (Staatsexamen), Vol. 31, Nr. 3 (1986), S. 104 – 116.

10. Eintrag „Ernst-Wolfgang Böckenförde“, in: Chongko Choi (Hrsg.), Namenslexikon der Rechtswissenschaft, Parkyoungsa Publishing Co., Seoul, 1987, S. 45 – 46. 11. Hyo-Jeon Kim, Deutsche Grundrechtstheorie heute. Anhand von der Analyse von ErnstWolfgang Böckenförde, in: Koshigye (Staatsexamen), Vol. 36, Nr. 7 (1991), S. 83 – 93. 12. Hyo-Jeon Kim, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. Grundrechtsverständnis von E.-W. Böckenförde, in: Wolgangoshi (Monatliche Staatsexamen), Vol. 18, Nr. 9 (1991), S. 58 – 70. 13. Duk-Yeon Lee, Wesen und Inhalt der Grundrechte: Reflexion und Aufgabe der koreanischen Grundrechtstheorie, in: Festschrift für Young Huh zum 60. Geburtstag, 1997, S. 59 – 71. 14. Klaus Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte (1) (2) (1992), übersetzt von Hyo-Jeon Kim, in: HonbobhakYonku (Constitutional Law), Korean Constitutional Law Association, Vol. 6, Nr. 4 (2000), S. 326 – 359 und Vol. 7, Nr. 3 (2001), S. 382 – 412. jetzt in: ders. (Hrsg.), Zum Verständnis der deutschen Grundrechtstheorie, Bobmunsa Verlag, Seoul 2004, insbesondere S. 294 ff. 275 – 350. 15. Gyung-Seok Seo, State and Society: Dualism and Monism in German Constitutional Theory, in: Honbobhak Yonku (Constitutional Law), Korean Constitutional Law Association, Vol. 8, Nr. 3 (2002), S. 7 – 32. 16. Hyo-Jeon Kim, Entwicklungstendenz der deutschen Grundrechtstheorie, in: Dong-A Law Review, Vol. 33 (2003), S. 25 – 51.

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Hyo-Jeon Kim

17. Soo-Woong Han, Honbobhak (Verfassungslehre), Bobmun-Sa Verlag, Seoul 2011. 18. Kye Il Lee, Democratic Legitimation of Judiciary Power. Focusing on Personal Legitimation of Judicial Personnel Administration, in: Bobcholhak Yonku (Korean Journal of Legal Philosophy), Korean Association of Legal Philosophy, Vol. 16, Nr. 3 (2013), S. 249 – 294. 19. Kye Il Lee, Study on the Prerequisite of Democracy. Centered to Thesen Böckenförde, in: Honbobhak Yonku (Constitutional Law), Korean Constitutional Law Association, Vol. 19, Nr. 2 (2013), S. 451 – 506. 20. Seung Soo Lee, Constitutional Adjudication and Democracy: A Critical Review on Böckenförde’s Critics on the Practice of the Constitutional Adjudication and Habermas’ Responses to such Critics, in: Yonsei Konggong Geobeoneonsu wa Bob (Yonsei Journal of Public Governance & Law, Vol. 5, Nr. 2 (2014), S. 3 – 23.

Die begrenzte Rezeption der Verfassungslehre Ernst-Wolfgang Böckenfördes in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion: Eine analytische Bestandsaufnahme Von Diego Pardo-Álvarez, Puerto Montt (Chile)

I. Einleitung Die jüngst erschienene englische Übersetzung einer Auswahl des Werkes Böckenfördes, herausgegeben von Mirjam Künkler und Tine Stein, füllt eine große Lücke.1 Der Beitrag Böckenfördes erscheint angesichts der Besonderheiten der spanischsprachigen Verfassungsrechtsdiskussion als besonders fruchtbar. Sowohl die verfassungsrechtlichen Debatten als auch die politisch-konstitutionelle Praxis in Spanien und Lateinamerika sind stark vom Einfluss der europäischen verfassungsrechtlichen Tradition geprägt. Die Entwicklung von Schlüsselbegriffen der spanischsprachigen Verfassungstheorie und des Verfassungsrechts, wie die von der verfassunggebenden Gewalt des Volkes, der Nation, der politischen Vertretung und der Gleichheit wurden von der europäischen Verfassungstradition übernommen. Paradoxerweise beruht jedoch üblicherweise die Auseinandersetzung sowohl mit dem Verfassungsrecht als auch mit der Verfassungstheorie auf den wissenschaftlichen Werken der angelsächsischen Diskussion. Die neue Ausgabe des Werks von Böckenförde in englischer Sprache kann einen großen Beitrag dazu leisten, eine Brücke zwischen der deutschen Staats- und Verfassungstheorie, der angelsächsischen Verfassungsrechtsdiskussion und der spanischsprachigen Verfassungspraxis herzustellen. Obwohl einige Beiträge Böckenfördes bereits vor der Ausgabe Künklers und Steins der spanischsprachigen Diskussion zur Verfügung standen,2 ist der Einfluss

1

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Constitutional and Political Theory, Oxford 2017; und ders., Religion, Law and Democracy, Oxford 2020. 2 Siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde, Estudios sobre el Estado de Derecho y la democracia, Madrid 2000; und ders., Escritos sobre derechos fundamentales, 1993. Ferner wurden die folgenden Buchbesprechungen übersetzt „Warum soll man strafen? Günther Jakobs fragt, wo der Feind in der Rechtsordnung steht“ und „Den Täter als Bürger ehren. Michael Pawlik antwortet auf die Frage, warum der Staat straft“. Siehe ders., ¿Por qué se debe penar? Günther Jakobs se pregunta qué posición ocupa el enemigo en el Ordenamiento jurídico, Revista Peruana de Doctrina y Jurisprudencia Penales 5 (2004), S. 451; ders., Honrar al delincuente

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Böckenfördes im spanischsprachigen Raum im Gegensatz zu seinem enormen Potenzial bislang eher begrenzt gewesen, und zwar in dreifacher Hinsicht: zum einem wurde ausschließlich der verfassungsrechtliche Teil der Arbeit Böckenfördes beachtet; zum zweiten ist der Einfluss Böckenfördes oft indirekter Natur, da seine Theorien nur mittelbar über Sekundärliteratur vermittelt wurden; und drittens – was noch bedeutender ist – wurde der Beitrag Böckenfördes zur Debatte über die Verfassungstheorie irreführend ausgelegt: die verfassungsrechtliche Diskussion betrachtet seine Schriften üblicherweise als eine Fortsetzung bzw. Neuformulierung der Verfassungslehre Carl Schmitts, der wiederum vor allem in der lateinamerikanischen Verfassungsdiskussion über die verfassunggebende Gewalt des Volkes eine besondere Rolle einnimmt. Eine falsche Interpretation der Stellungnahme Böckenfördes könnte sich verfestigen, wenn die Neuauflage seines Werkes unter einem falschen Vorverständnis gelesen wird. In diesem Beitrag lege ich dar, wie die Verfassungslehre von Böckenförde in der spanischsprachigen Verfassungswelt rezipiert wurde. Es wird zudem die These vertreten, dass Böckenfördes übersetzte Texte mehr zitiert als diskutiert wurden. Im ersten Teil berichte ich von der Rezeption der beiden spanischsprachigen Übersetzungen von Böckenfördes Texten. In einem zweiten Teil setze ich mich insbesondere mit der Rezeption von Böckenfördes Begriffs der verfassunggebenden Gewalt auseinander. Im letzten Teil stelle ich kurze Hypothesen vor, die erklären könnten, warum Böckenfördes Arbeiten trotz ihres enormen Potenzials in Spanien und Lateinamerika bislang nur begrenzt aufgenommen wurden.

II. Die Übersetzungen Die Verfassungs- und Staatslehre Böckenfördes war Gegenstand eines umfassenden Übersetzungsprojekts in die spanische Sprache, die in zwei Bände abgebildet ist: die „Schriften über Grundrechte“ (1993) und die „Studien über den Rechtsstaat und die Demokratie“ (2000). 1. Escritos sobre derechos fundamentales (1993) Der Band „Schriften über Grundrechte“ (Escritos sobre derechos fundamentales) wurde 1993 von Juan Luis Requejo Pagés3 und Ignacio Villaverde Menéndez4 übercomo ciudadano. Michael Pawlik responde a la pregunta de por qué pena el Estado, Revista Peruana de Doctrina y Jurisprudencia Penales 5 (2004), S. 455. 3 Ehemaliger Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Oviedo, ehemaliger Anwalt des spanischen Verfassungsgerichts und Richter am Gerichtshof der Europäischen Union. 4 Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Oviedo, Spanien. Er führte 1989, 1990 und 1994 Forschungsaufenthalte in Freiburg unter der Leitung von Ernst-Wolfgang Böckenförde durch.

Rezeption Böckenfördes in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion

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setzt und herausgegeben und anschließend auf Spanisch von dem deutschen NomosVerlag veröffentlicht. In diesem Band wurden die fünf Aufsätze „Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik“, „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“, „Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge“, „Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht“ und „Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahre Grundgesetz“ veröffentlicht.5 Zwei Themen haben im Zusammenhang mit diesen Beiträgen in der damaligen Diskussion über die Grundrechte besondere Aufmerksamkeit erhalten. Zum einen weckte das Verständnis Böckenfördes von der „Verfassung als Rahmenordnung“ Interesse innerhalb der Verfassungs- und der Grundrechtstheorie Spaniens.6 Ein solches Verständnis ist allerdings schwerlich mit der lateinamerikanischen Verfassungspraxis zu vereinbaren, weil sie durch die Verkündung umfangreicher und tiefgreifender Verfassungsgesetze geprägt wird.7 Der neue lateinamerikanische Konstitutionalismus8 lehnt die Formulierung minimaler und diskreter Verfassungen ab. Insofern scheint die Idee der Verfassung als Rahmenordnung trotz einiger Ausnahmen weder in der damaligen Diskussion noch in der jüngsten spanischsprachigen Verfassungspraxis eine relevante Rolle gespielt zu haben. Zweitens wurde Böckenförde als einer der wichtigsten Gegner der Idee eines objektivrechtlichen Gehalts der Grundrechte sowie ihrer direkten Anwendbarkeit ohne gesetzgeberische Vermittlung gesehen.9 Die Übersetzung des Nomos-Verlags ins 5

Auf Spanisch: „Los métodos de interpretación constitucional: inventario y crítica“, „Teoría e interpretación de los derechos fundamentales“, „Los derechos fundamentales sociales en la estructura de la constitución“, „Aseguramiento de la libertad frente al poder social. Esbozo de un problema“, und „Sobre la situación de la dogmática de los derechos fundamentales tras cuarenta años de la Ley Fundamental“. 6 Manuel Medina Guerrero, Escritos sobre derechos fundamentales, Revista Española de Derecho Constitucional 14:41 (1994), S. 323 – 331; Francisco Mora Sifuentes, Ideas de libertad y modelos de derechos fundamentales. Una aproximación, Cuestiones Constitucionales, Revista mexicana de Derecho Constitucional 28 (2013), S. 171 – 210. 7 Roberto Viciano Pastor/Rubén Martínez Dalmau, El nuevo constitucionalismo latinoamericano: fundamentos para una construcción doctrinal, Revista General de Derecho Público Comparado 9 (2011), S. 1 – 24 (17). 8 Der neue lateinamerikanische Konstitutionalismus postuliert, dass die Verfassunggebende Prozesse von Venezuela (1999), Ecuador (2008) und Bolivien (2009) ein neues verfassungsrechtliches Verständnis in Lateinamerika auslösen. Diese verfassunggebenden Bewegungen zeichnen sich nach dem neuen lateinamerikanischen Konstitutionalismus durch ihre Volksnähe, durch ihre soziale und egalitäre Ausrichtung und durch ihren postliberalen oder anti-neoliberalen Charakter aus. Siehe dazu Viciano Pastor/Martínez Dalmau (Fn. 7), passim. 9 Dazu Medina Guerro (Fn. 6); jüngst, Federico de Fazio, El concepto estricto de los derechos sociales fundamentales, Revista Derecho del Estado 41 (2018), S. 173 – 195; Miguel Carbonell, Eficacia de la constitución y derechos sociales: esbozo de algunos problemas, Estudios Constitucionales 6:2 (2008), S. 43 – 71; siehe auch José Juán Anzures Gurría, La eficacia horizontal de los derechos fundamentales, Cuestiones constitucionale. Revista Mexicana de Derecho Constitucional 22 (2010), S. 3 – 51; ferner Enrique Carpizo, El control de convencionalidad y su relación con el sistema constitucional mexicano. Hacia una simple

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Spanische hätte es insbesondere im Hinblick auf die sozialen Grundrechte ermöglichen können, die These Böckenfördes zu diskutieren, wonach soziale Grundrechte, selbst wenn sie tief in das verfassungsrechtliche System eingebettet sind, gerichtliche und unmittelbare Ansprüche nicht rechtfertigen können. Mit dem Umfang der Übersetzung von Böckenförde konnte er als kritischer Kontrapunkt zu Alexys These ausgelegt werden – die in der spanischsprechenden Verfassungsdiskussion weit verbreitet ist –, wonach auch soziale Grundrechte ein an Verfassungsgerichte gerichtetes, direktes Optimierungsgebot darstellen. Die These Böckenfördes wurde jedoch nur selten unmittelbar diskutiert.10 In Spanien und Lateinamerika hat Robert Alexy einen vergleichsweise größeren Einfluss. Seine Habilitationsschrift zur Theorie der Grundrechte wurde früh übersetzt und weit verbreitet.11 In seiner akademischen Position in Kiel empfing Alexy viele lateinamerikanische Schüler, von denen einige später Stellen an den renommiertesten Verfassungsgerichten des Kontinents erhielten. Alexys Werk wurde in Spanien und Lateinamerika ausführlich diskutiert und verbreitet, und seine Theorie der Grundrechte wurde von den fortschrittlichsten Verfassungsgerichten in Amerika, angeführt vom kolumbianischen Verfassungsgericht, verteidigt und umgesetzt. Der Einfluss seiner Theorie ist daher unbestreitbar. Böckenförde, der die gegensätzliche Meinung zu Alexy in Bezug auf die institutionelle Position des Verfassungsgerichts, seine Interpretationstätigkeit und die Wirksamkeit der Grundrechte vertrat, könnte so zu einem kritischen Kontrapunkt werden, der das Verständnis des verfassungsrechtlichen Unterscheidung zwischen dem politischen Gesetzgeber und dem Verfassungsgericht erweitern könnte.12 In diesem Sinne wurden Böckenfördes Argumente schon früh in einer Rezension seiner Übersetzung in die spanische Sprache von Manuel Medina Guerrero13 aufgenommen.14 Medina Guerrero bekräftigte den Skeptizismus Böckenfördes in Bezug auf actividad protectora de los derechos humanos, Boletín mexicano de derecho comparado 46:138 (2013), S. 939 – 971 (971). 10 Dazu de Fazio (Fn. 9); siehe auch Julián Tole Martínez, La teoría de la doble dimensión de los derechos fundamentales en Colombia. El estado de cosas inconstitucionales, un ejemplo de su aplicación, Cuestiones Constitucionales 15:1 (2006), S. 253 – 316, der die Theorien Alexys und Böckenfördes kontrastiert. 11 Siehe Robert Alexy, Teoría de los Derechos Fundamentales (übers. v. Ernesto Garzón Valdés und Ruth Zimmerling), Madrid 1993. 12 So z. B. Sebastián Salazar Pizarro, Fundamentación y estructura de los derechos sociales, Revista de Derecho (Valdivia) 26:1 (2013), S. 69 – 93; Luis Villacorta Mancebo, Jurisdicción constitucional y derechos fundamentales. Aspectos a destacar en el contexto de la discusión española, Ius et Praxis 17:1 (2011), S. 81 – 118; Carbonell (Fn. 9); Fernando Atria Lemaitre, La forma del Derecho, Madrid 2016, S. 289 – 292, der sich mit den Thesen Böckenfördes, Alexys und Habermas’ auseinandersetzt. 13 Professor für Verfassungsrecht an der Universität Sevilla, Leiter des Rates für Transparenz und Datenschutz in Andalusien, ehemaliger Anwalt des Verfassungsgerichts Spaniens (1994 – 1998). 14 Medina Guerrero (Fn. 6), S. 331.

Rezeption Böckenfördes in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion

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die unmittelbare Anwendbarkeit verfassungsrechtlicher, sozialer Grundrechte und machte auf das Verständnis der Verfassung als Rahmenordnung aufmerksam. Die Hegemonie von Alexys Grundrechtstheorie wurde jedoch durch diesen frühen Kommentar und die fortdauernde Diskussion nicht beeinträchtigt. Der Beitrag Böckenfördes wurde erst dann beachtet, als er von Habermas in dessen Buch „Faktizität und Geltung“ kritisch besprochen wurde, das dank Ernesto Garzón Valdés seit 1998 auf Spanisch verfügbar ist.15 Die schmale Rezeption von Böckenfördes Stellungnahme hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit sozialer Grundrechte lässt sich durch die Besonderheiten der spanischsprachigen Verfassungspraxis und -diskussion näher erklären. Verglichen mit dem Umfang des sozialen Rechtsstaats in Deutschland sind die Sozialleistungen, die in Lateinamerika und sogar in Spanien erbracht werden, offenkundig geringer. Daher ist die Übertragung von Erwartungen der Befriedigung sozialer Leistungen vom Gesetzgeber auf die Rechtsprechung hier ein Phänomen von viel größerer Bedeutung. Andererseits haben die Staaten in Lateinamerika seit den Diktaturen der achtziger Jahre einen ständigen Prozess der Neoliberalisierung, Privatisierung und des Abbaus des ohnehin begrenzten Wohlfahrtsstaats erfahren. Dies hat die sozialen Leistungen, die von der demokratischen Entscheidung der Parlamente grundsätzlich abhängen, auf ein Minimum reduziert, wodurch der Gesetzgeber in die unbequeme Lage geraten ist, auf die in den neuen Verfassungstexten gestellten sozialen Forderungen zu reagieren, ohne über die Ressourcen und Werkzeuge für eine Verwirklichung zu verfügen. Die praktische Dringlichkeit der Forderungen nach Sozialleistungen hat dazu geführt, dass die theoretische Diskussion über die mögliche, negative Auswirkung gegenüber dem Gewaltenteilungsprinzips infolge der unmittelbaren Anwendbarkeit der verfassungsrechtlichen, sozialen Grundrechte politische Relevanz verloren hat. Die Bedingungen für eine breite Akzeptanz von Böckenfördes Auffassung sind daher nicht optimal. Wenn Böckenfördes Werk jedoch breiter und systematischer aufgenommen worden wäre, hätte das Spannungsverhältnis zwischen Konstitutionalismus und Demokratie in Lateinamerika besser verstanden werden können. Denn aus der zusammenhängenden Lektüre der Texte über Grundrechte und der Schriften zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ergibt sich ein systematisches und komplexes Verständnis des Verhältnisses von Staat, Demokratie und Grundrechten.16 Diese systematische Konstruktion des verfassungsrechtlichen Verständnisses von Böckenförde wurde vielleicht wegen des zeitlichen Abstands von sieben Jahren zwischen der ersten und der nächsten Übersetzung kaum berücksichtigt.

15 16

Jürgen Habermas, Facticidad y Validez, Barcelona 1998. Beispielweise Atria (Fn. 8).

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2. Estudios sobre el Estado de Derecho y la democracia (2000) Verschiedene Schriften Böckenfördes wurden in dem Band „Studien über den Rechtsstaat und die Demokratie“ (Estudios sobre el Estado de Derecho y la democracia) zusammengefasst, der von Rafael de Agapito Serrano17 übersetzt und vom Trotta-Verlag18 2000 herausgegeben wurde. Dies sind die fünf Aufsätze „Entstehung und Wandel des Rechtstaatsbegriffs“, „Demokratie als Verfassungsprinzip“, „Demokratie und Repräsentation (Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion)“, „Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts“ und „Anmerkungen zum Begriff ,Verfassungswandel‘“.19 Die Schriften wurden von der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion ab 2001 unmittelbar angenommen, insbesondere im Hinblick auf die Definition der Rechtsstaatlichkeit und des sozialen Rechtsstaats.20 Die Übersetzung von Agapito Serrano 17 Professor für Öffentliches Recht an der Universität von Salamanca. Agapito Serrano bezieht sich im Vorwort auf den Zusammenhang zwischen den übersetzten Aufsätzen und der von Böckenförde postulierten „verfassungsgemäßen Verfassungstheorie“. 18 Der Trotta-Verlag hat seinen Sitz in Madrid. Er zählt zu den wichtigsten spanischsprachigen Verlagen in den Sozial- und Rechtswissenschaften und hat eine große Reichweite in Lateinamerika. Unter den deutschen Autoren hat der Trotta-Verlag Robert Alexy, Dieter Grimm, Hans Kelsen, Jürgen Habermas und Carl Schmitt veröffentlicht. 19 Auf Spanisch: „Origen y cambio del concepto de Estado de Derecho“, „La democracia como principio constitucional“, „Democracia y representación. Crítica a la discusión actual sobre la democracia“, „El poder constituyente del pueblo. Un concepto límite del Derecho constitucional“ und „Notas sobre el concepto de ,cambio constitucional‘“. 20 Siehe die Buchbesprechung von Francisco Bastida Freijedo, Teoría y realidad constitucional 7 (2001), S. 423; José Luis Cascajo Castro, Apuntes sobre transición política y cultura constitucional: el caso español, in: Responsa Iurisperitorium Digesta, 3. Bd., 2000, S. 29 – 44; Diego Valadés, La no aplicación de las normas y el Estado de Derecho, Boletín Mexicano de Derecho Comparado 35:103 (2002), S. 589 – 620. Juan Carlos Ferrada, Los derechos fundamentales y el control constitucional, Revista de derecho, 17 (2004), S. 113 – 137; Villacorta Mancebo, El pleno sometimiento a la constitución y al resto de ordenamiento jurídico en la aplicación judicial, Madrid 2004. Valadés, Ferrada und Villacorta verwenden die Texte Böckenfördes, um eine genauere Definition der Rechtsstaatlichkeit und des sozialen Rechtsstaats zu erreichen. Alle erörtern die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle der Gesetzgebung. Siehe auch José Jiménez Sánchez, Nationalism and the Spanish Dilemma: The Basque Case, Politics and Policy 34:3 (2006), S. 532 – 555, der Böckenfördes Beiträge insbesondere einsetzt, um den Begriff des Vorpolitischen zu betrachten. Francisco Zuñiga Urbina, Responsabilidad Constitucional del Gobierno, Ius et Praxis 12:2 (2006), S. 43 – 74, der das in „Demokratie als Verfassungsprinzip“ geprägte Konzept der Republik verwendet, um zu argumentieren, dass die Beurteilung der Regierungsgewalt gleichzeitig juristisch und politisch zu betrachten ist. Oscar Álvarez Díaz, Estado Social de Derecho, Corte Constitucional y desplazamiento forzado en Colombia, Bogotá 2008, der das Konzept des Sozialstaates Böckenfördes kurz verwendet, um das Problem der Vertreibung von Menschen in Kolumbien zu analysieren. Ferner Rogelio Perez-Perdomo, Lawyers, Rule of Law, and Social Justice: A Latin American Perspective, University of St. Thomas Law Journal 5:3 (2008), S. 730 – 742; ferner siehe Pablo Marshall Barberán, El Estado de Derecho como principio y su consagración en la Constitución Política, Revista de Derecho – Universidad Católica del Norte (Coquimbo) 17:2 (2010), S. 185 – 204; Juan Fernando Silva Henao, Evolución y origen del

Rezeption Böckenfördes in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion

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scheint zum damaligen Zeitpunkt allerdings keiner systematischen Diskussion gedient zu haben. Die Schriften wurden eher zur Erweiterung des begrifflichen Rüstzeuges der damaligen Verfassungsdiskussion gehandhabt, die vor allem auf das Verhältnis zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit und der Gesetzgebung hinwies. Insofern war der Aufsatz „Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs“ von Bedeutung. Er führte zur Vertiefung des Einflusses Böckenfördes auf die stets offene Kontroverse über die unmittelbare Anwendbarkeit sozialer Grundrechte durch die Verfassungsgerichte. Die verfassungsrechtliche Diskussion entwickelte sich allmählich vom konkreten Problem der direkten Anwendbarkeit der sozialen Grundrechte zur Betrachtung des Verhältnisses zwischen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Konstitutionalismus.21 Böckenförde spielte in diesem zweiten Moment auch eine begriffsbildende Rolle.22 Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Verfassung und Demokratie scheint als eine Neuformulierung bzw. eine Erweiterung der Problematik der Anwendbarkeit verfassungsrechtlicher Grundrechte verstanden worden zu sein.23 Die theoretischen Auswirkungen der Diskussion der Beziehung zwischen Demokratie und Verfassung sind natürlich weitaus breiter als die der Diskussion über die Anwendbarkeit sozialer Grundrechte. Wegen ihrer politischen Bedeutung hat die Diskussion über die sozialen Grundrechte allerdings ihre zentrale Rolle in der spanischsprachigen Diskussion behalten. Es könnte jedoch spekuliert werden, dass Böckenförde dazu beigetragen hat, die systematischen Konsequenzen einer direkten gerichtlichen Anwendung der Grundrechte in einer Demokratie sich deutlicher zu vergegenwärtigen. Ein dritter Moment der Rezeption der rechtsstaatlichen und demokratischen Schriften von Böckenförde konzentriert sich auf die Texte „Demokratie als Verfassungsprinzip“, „Demokratie und Repräsentation“ und „Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts“. Diese Texte trugen im Allgemeinen zur Reaktivierung des Interesses der spanischsprachigen Verfassungstheorie an Themen der Demokratietheorie bei.24 Sie führten insbesondere zur Neuconcepto de ,estado social‘ incorporado en la Constitución Política Colombiana de 1991, Ratio Juris 7:14 (2012), S. 141 – 158. 21 Christian Viera Álvarez, Estado social como fórmula en la Constitución chilena, Revista de Derecho – Universidad Católica del Norte (Coquimbo) 21:2 (2014), S. 453 – 482. 22 Z. B. Kamel Cazor Aliste, Constitucionalismo y Umbral Democrático en Chile: Hacia una Nueva Teoría Constitucional, Ius et Praxis 13:1 (2007), S. 45 – 74; Sergio Estrada Vélez, Algunas falacias del principio de primacía constitucional. Referencia necesaria a tres momentos constitucionales para la comprensión del valor normativo de la constitución, Revista de Derecho – Universidad del Norte 28 (2007), S. 148 – 172; Antonella Attili, Democracia y Estado de Derecho en México: Entre pasado y porvenir, Polis 3:1 (2007), S. 21 – 53. 23 Z. B., Manuel Núñez Poblete, El neoconstitucionalismo y el recurso a los valores en la jurisprudencia del Tribunal Constitucional Chileno, Revista de Derecho de la Pontificia Universidad Católica de Valparaíso 34 (2010), S. 523 – 541. 24 Auch dazu siehe Cazor (Fn. 22); Pablo Marshall Barberán, Notas sobre los modelos para la extensión de la ciudadanía, Revista de Derecho – Universidad Católica del Norte (Coquimbo) 19:2 (2012), S. 119 – 143; Francisco Soto Barrientos, El desafío de la parti-

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betrachtung des Begriffs der Volkssouveränität,25 zur Diskussion über die Umsetzung des Rechtsstaats in Zeiten der Wirtschaftskrise,26 zur Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der Einführung einer Wahlpflicht,27 zu Rechtfertigungsproblemen der Anwendung der Mehrheitsregel und der qualifizierten Mehrheitserfordernissen im Parlament28 und sogar zum besseren Verständnis der Prozesse der Übergangsjustiz nach Diktaturerfahrungen.29 Merkwürdigerweise wurde allerdings Böckenfördes Beitrag zum Verständnis der repräsentativen Demokratie nicht als Referenzpunkt gegen die in Lateinamerika allgegenwärtige Krise der Repräsentation verwendet.30 In Bezug auf den Demokratiebegriff übte Böckenförde außerdem eine begriffsbildende Rolle für die Diskussion über die angemessene Gestaltung und Umsetzung der Demokratie in der globalisierten Welt aus.31 Böckenfördes Beitrag zum Verständnis des Verhältnis zwischen den politischen Integrationsprozessen und dem demokratischen Staat wartet in Lateinamerika allerdings noch auf mehr Aufmerksamkeit.

III. Die Einflussmöglichkeiten von Böckenfördes Lehre der verfassunggebenden Gewalt des Volkes Ein eigenes Kapitel verdient die Rezeption und mögliche weitere Entwicklung in der Interpretation der Lehre Böckenfördes zur verfassunggebenden Gewalt.32 Denn cipación. Referendo e iniciativa legislativa popular en América Latina y Europa, Santiago 2013. 25 Pablo Marshall Barberán, La soberanía popular como fundamento del orden estatal y como principio constitucional, Revista de Derecho de la Pontificia Universidad Católica de Valparaíso 35 (2010), S. 245 – 286. 26 Pablo Nuevo López, Algunas paradojas del Estado constitucional y su emergencia en la actual crisis económica, Espíritu 59:140 (2010), S. 557 – 567. 27 Francisco Zúñiga Urbina, Derecho de sufragio: la debatida cuestión de su obligatoriedad, Estudios Constitucionales 7:1 (2009), S. 361 – 384. 28 Lucas Sierra, La supramayoría en la potestad legislativa chilena como anomalía democrática, in: ders./Lucas MacClure, Frente a las mayorías: leyes supramayoritarias y Tribunal Constitucional en Chile, Santiago 2011, S. 13; Guillermo Jiménez/Pablo Marshall Barberán/ Fernando Muñoz, La debilidad de las súper-mayorías, Revista de Derecho de la Pontificia Universidad Católica de Valparaíso 41 (2013), S. 359 – 393; Sergio Verdugo, La debilidad de la crítica a las súper-mayorías, Revista de Derecho de la Pontificia Universidad Católica de Valparaíso 42:1 (2014), S. 355 – 395; Diego Pardo-Álvarez, ¿Maior et sanior pars? Una justificación de la regla de la mayoría parlamentaria, Ius et Praxis 22:2 (2016), S. 457 – 496. 29 Vor allem Juan Pablo Mañalich, Terror, Pena y Amnistía, Santiago 2016. 30 Ausnahmsweise Fernando Atria, Participación y Alienación Política: el Problema Constitucional, in: En Nombre del Pueblo: Debate Sobre el Cambio Constitucional en Chile, 2010, S. 163. 31 Siehe z. B. Eusebio Fernández García, Dignidad Humana y Ciudadanía Cosmopolita, Madrid 2001. 32 Siehe auch Humberto Nogueira Alcalá, Los límites del poder constituyente y el control de constitucionalidad de las reformas constitucionales en Chile, Estudios constitucionales 4:2 (2006), S. 435 – 455, der sich auf das Konzept der verfassunggebenden Gewalt des Volkes

Rezeption Böckenfördes in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion

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sie wurde vor allem angesichts der Besonderheiten der konstitutionellen Prozesse in den 90er Jahren genauer betrachtet. Die Grundlage für das lateinamerikanische Verständnis der verfassunggebenden Gewalt des Volkes ist der Anspruch einer demokratischen Wiederherstellung der politischen Macht zugunsten des Volkes.33 Verschiedene konstitutionelle Bewegungen, wie die kolumbianische, die bolivianische, die ecuadorianische, die venezolanische und die chilenische, verstehen sich als Überwindung einer diktatorischen bzw. kolonialen Vergangenheit durch die Ausübung einer souveränen-demokratischen Verfassungsgewalt.34 Ein umfassenderes Verständnis des Beitrags Böckenfördes zur Verfassungstheorie und zur verfassunggebenden Gewalt des Volkes ist für die spanischsprachige, aber insbesondere für die lateinamerikanische Verfassungsrechtsdiskussion insofern relevant, als dass die Probleme der verfassunggebenden Gewalt des Volkes, der politischen Repräsentation und der demokratischen Legitimität in der lateinamerikanischen Realität in einer viel praktischeren und konkreteren Dimension in Erscheinung treten.35 Die Grundlagen und Grenzen der Demokratie stellen in Lateinamerika genuine praktisch-politische Probleme dar, die sich unter den Horizont einer allgegenwärtigen Möglichkeit von politischen Krisen, Manipulationen und institutionellen Zusammenbrüchen stellen. Eine achtsamere Annährung an die Analysen Böckenfördes könnte allerdings auch deshalb fruchtbar sein, als dass das lateinamerikanische Verständnis des Problems der verfassunggebenden Gewalt des Volkes von einer umfangreichenden Rezeption der Theorie Carl Schmitts beherrscht zu sein scheint, die ohne Nuancen äußerst problematische Folgen mit sich bringen könnte.36 Ein hohes Risiko besteht also darin, dass die Stellungnahme Böckenfördes als eine Ergänzung einer problematischen Lektüre der Schmittschen Theorie der verfassunggebenden Gewalt interpretiert wird.37 Ebenso besteht die Gefahr auf Böckenfördes Theorie so zu antworten, Böckenfördes basiert, um sich für die Einschränkungen der Verfassungsreformgewalt in Chile einzusetzen; Humberto Nogueira Alcalá, La reforma constitucional en el constitucionalismo latinoamericano vigente, Boletín mexicano de derecho comparado 43:129 (2010), S. 1261 – 1321. 33 Rubén Martinez Dalmau/Roberto Viciano Pastor, La Constitución democrática, entre el neoconstitucionalismo y el nuevo constitucionalismo, El Otro Derecho 48 (2013), S. 66 – 71. 34 Vgl. Roberto Viciano Pastor/Rubén Martinez Dalmau, Los procesos constituyentes latinoamericanos y el nuevo paradigma constitucional, IUS. Revista del Instituto de Ciencias Jurídicas de Puebla 25 (2010), S. 7 – 29 (9). 35 Zum chilenischen, postdiktatorialischen Verfassunggebung, s. Jaime Bassa Mercado, Notas para una teoría democrática del Poder Constituyente 1 (2008), S. 41 – 70. 36 Dazu siehe Joel Colón-Ríos, Carl Schmitt and Constituent Power in Latin American Courts: The Cases of Venezuela and Colombia, Constellations 18:3 (2011), S. 365 – 388 (376 ff.). 37 In der Richtung der einflussreichen postmarxistischen Rezeption von Carl Schmitt durch Chantal Mouffe, El retorno de lo político, Barcelona/Buenos Aires 1993, und von Michael Hardt/Antonio Negri, Imperio, Barcelona/Buenos Aires 2005. Zur linken Rezeption Carl Schmitts siehe Ingeborg Maus, Über Volkssouveränität, 2011, S. 294 ff.

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als ob es sich dabei um eine weitere Schmittsche Lesart der verfassunggebenden Gewalt des Volkes handele. 1. Das Problem Das demokratische Selbstverständnis von konstitutionellen Bewegungen hat die lateinamerikanische Verfassungsdiskussion zu einem besonders fruchtbaren Boden für Schmitts Theorie der verfassunggebenden Gewalt des Volkes gemacht. Eine fehlerhafte Interpretation von Böckenfördes Theorie verhindert insofern, sie als eine kritische Stellungnahme gegenüber Schmitts Verfassungstheorie zu betrachten. Obwohl die Unterschiede zwischen Böckenförde und Schmitt bereits von Künkler und Stein geklärt wurden,38 scheint sich dieses Problem mit der neuen Ausgabe von 2017 verfestigt zu haben. Denn einige Kritiker von Böckenförde neigen dazu, seine Theorie der verfassunggebenden Gewalt, zusammen mit der von Schmitt und den von ihm beeinflussten Theorien, unter dem Begriff der strong popular sovereignty zusammenzufassen. Was diese Gruppe von Theorien auszeichnet, ist die These, dass eine Verfassung, um legitim zu sein, vom souveränen Volk verkündet worden sein muss, „or at least be under the control of the people as a power standing outside the constitution“.39 Böckenförde und die These der strong popular sovereignty würde, so die Kritiker, davon ausgehen, dass „any outcome [i. e. die Verfassung] is to be regarded as legitimate, given only that it results from the will of the people“,40 und dass „is not merely a necessary but also a sufficient condition of constitutional legitimacy for a constitution to have been produced by a constituent power that is not bound to antecedent standards…“.41 Nach dieser Interpretation soll der Gehalt der Verfassung keinen Einfluss auf die Legitimität der Verfassung haben, weil sich diese allein aus dem Prozess der Verfassunggebung herleitet. 2. Der Zusammenhang Der Begriff der verfassunggebenden Gewalt bei Böckenförde dient dem Zweck, aufzuzeigen, dass es bei bei der Frage nach der fortdauernden Bedeutung der verfas38 Siehe Mirjam Künkler/Tine Stein, Carl Schmitt in Ernst-Wolfgang Böckenförde’s work: Carrying Weimar constitutional theory into the Bonn Republic, Constellations 25:2 (2018), S. 225 – 241; ferner dies., Staat, Recht, Verfassung. Ernst-Wolfgang Böckenfördes politisches und verfassungsrechtliches Denken im Kontext, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, NF Bd. 65, 2017, S. 573 – 610 (582 – 592). 39 Lars Vinx, Ernst-Wolfgang Böckenförde and the politics of constituent power, Jurisprudence 10:1 (2018), S. 15 – 38. Er bezeichnet als Theorien der strong popular sovereignty u. a. Andreas Kalyvas, Democracy and the politics of extraordinary, Cambridge 2008; Paul Kahn, Political Theology. Four new chapters on the concept of sovereignty, New York 2011. Vinx bezieht sich auch in diesem Zusammenhang auf Dieter Grimm, Souveränität. Herkunft und Zukunft eines Schlüsselbegriffs, 2009, was aber problematisch ist. 40 Vinx (Fn. 39), S. 4. 41 Vinx (Fn. 39), S. 11; siehe auch S. 5.

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sunggebenden Gewalt darum geht, die Gründe zu finden, warum der Wille des Volkes – als Autor und Adressat – für eine demokratische Legitimation notwendig ist. Die Erfüllung einer solchen Notwendigkeit ist aus lateinamerikanischer Sicht keineswegs trivial. Der geringe intellektuelle Einfluss der französischen und amerikanischen Revolution führte zu einem elitären und kolonialen Erbe in der Gestaltung der verfassunggebenden Gewalt in Lateinamerika.42 Genau aus diesem Grund dient demgegenüber der Begriff der verfassunggebenden Gewalt des Volkes dazu, die Macht der rechtlichen Selbstkonfiguration in den lateinamerikanischen Staaten zu demokratisieren, die eher mit einer hierarchischen Idee der Souveränität vertraut sind. Historisch gesehen ist es schwierig, die lateinamerikanischen Verfassungen als das Ergebnis der verfassunggebenden Gewalt des Volkes zu verstehen. Die Diskussion hinsichtlich der US-amerikanischen Bundesverfassung war zu Beginn des lateinamerikanischen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts sehr relevant. Die Unabhängigkeitserklärungen Südamerikas wurden von Anfang an nicht nur als Reaktion auf die Kolonialmacht Spaniens verstanden, sondern vor allem als Übergang der Souveränität vom König zum Volk. Heutzutage ist das Problem der externen Entscheidungsfindung immer von Bedeutung für die Möglichkeit der Volkssouveränität.43 Die Lehre der verfassunggebenden Gewalt, die die Volkssouveränität als einen Prozess der Selbstkonfiguration und Selbsterkennung des Volkes konzeptualisiert, verringert das Risiko von Formen des Kolonialismus,44 der bestimmte Verfassungsinhalte fördern, unabhängig davon, ob sie vom Volk beschlossen wurde. Eine Demokratietheorie, die die Akzeptanz der Verfassung nicht an die Teilnahmemöglichkeit des Volkes am Entscheidungsverfahren anknüpft, ist für Lateinamerika natürlich unattraktiv, wo stets gegen oktroyierte Verfassungen gekämpft wurde.45 Die demokratische Legitimität einer Verfassung ist nur durch output-orientierte Betrachtungen gerechtfertigt, so etwa die Anerkennung von Grundrechten,

42 Grundlegend Roberto Gargarella, El Periodo Fundacional del Constitucionalismo Sudamericano (1810 – 1860), Desarrollo Econónimo 170 (2003), S. 305 – 328 (307 – 320); vgl. Viciano Pastor/Martínez Dalmau (Fn. 34), S. 13 f. Zur lateinamerikanischen Aufklärung, vgl. Lira Bernardino Bravo, Feijoo y la Ilustración Católica y Nacional en el Mundo de Habla Castellana y Portuguesa, Anuario de Historia de América Latina 22:1 (1985), S. 99 – 122. 43 Kurz dazu, Vladimiro Naranjo, Teoría Constitucional e Instituciones Políticas, Santa Fe de Bogotá 1995, S. 225. 44 In diese Richtung, siehe Jean L. Cohen, On the genealogy and legitimacy of the secular state: Böckenförde and the Asadians, Constellations 25:2 (2018), S. 207 – 224, passim, James Tully, The Imperialism of Modern Constitutional Theory, in: Martin Loughlin/Neil Walker (Hrsg.), The Paradox of Constitutionalism, 2007, S. 315 – 338; vgl. Viciano Pastor/Martinez Dalmau (Fn. 7). 45 Vgl. Carlos Manuel Villabella Armengol, Constitución y Democracia en el Nuevo Constitucionalismo Latinoamericano, IUS. Revista del Instituto de Ciencias Jurídicas de Puebla, 25 (2010), S. 49 – 76 (57 f.).

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Mitbestimmungsrechten und dem Minderheitenschutz.46 In der lateinamerikanischen Verfassungsgeschichte lassen sich insofern üblicherweise nominalistische Verfassungen finden,47 die normative Imperative außerhalb der Selbstanerkennung des Volkes und der Ausübung von Macht enthalten: sie werden zwar verkündet, verfügen aber über keine Legitimation im Volk.48

3. Böckenförde in Lateinamerika: Kanalisierung und Grenzen der verfassunggebenden Gewalt des Volkes In Lateinamerika erfordert die Frage nach den Grenzen und der Form der Kanalisierung der verfassunggebenden Gewalt dringlich eine Antwort. Denn während die Aktivierung der verfassunggebenden Gewalt des Volkes – in der Theorie Böckenfördes – als ein möglicher Weg in Erscheinung tritt, um die verfassungsmäßige Ordnung unter die Kontrolle des Volkes zu bringen, könnte gerade ein solcher Appell an die verfassunggebende Gewalt die Selbstbestimmungsmöglichkeiten des Volkes wegen des populistischen Manipulationsrisikos eher gefährden. Die Lektüre Böckenfördes zeigt – und dies ist möglicherweise die wertvollste Lektion für die lateinamerikanische Verfassungsdiskussion – dass das mit der verfassunggebenden Gewalt verbundene Risiko nicht nur in ihrer möglichen Willkür liegt – wie Schmitts Kritiker behaupten –, sondern auch und in gleichem Maße in der möglichen Neutralisierung der Politik durch das Recht.49 Deshalb fördert die Theorie Böckenfördes die Anerkennung ethisch-sittlichen, außenrechtlichen Normativitäten der verfassunggebenden Gewalt des Volkes: eine genuine verfassunggebende Gewalt des Volkes tritt nur auf, wenn seine Ausübung „kanalisiert“ wird. „Der Wille des Trägers der verfassunggebenden Gewalt“ ist weder „völlig frei und ungebunden“, noch „an ein vorausliegendes Recht“ gebunden.50 Im Lichte von Böckenfördes Theorie stellt sich die

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Zu liberalen Verfassungen Lateinamerikas 19. Jahrhundert, siehe Gargarella (Fn. 42), S. 321 – 326. 47 Im Sinne von Karl Loewenstein, der eine besondere Rolle in der spanischsprachigen Verfassungslehre spielt. S. Karl Loewenstein, Teoría de la Constitución, Barcelona et al. 1976, S. 216 – 222. 48 Kurz dazu Viciano Pastor/Martínez Dalmau (Fn. 34), S. 8 – 16; auch Villabella Armengol (Fn. 45), S. 55. 49 Vgl. für Lateinamerika, Colón-Ríos (Fn. 36), S. 376 – 379. 50 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2011, S. 97 (107 ff., 114 ff.). So etwa Jorge Tapia Valdés, Poder Constituyente Original: los límites metajurídicos del poder constituyente originario, Estudios Constitucionales 6:2 (2008), S. 121 – 142; Mercado (Fn. 35), S. 50 f.; Gabriel L. Negretto, Procesos constituyentes y refundación democrática. El caso de Chile en perspectiva comparada, Revista de Ciencia Política 35:1 (2015), S. 201 – 215.

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Frage, wie diese zu einer demokratischen Ausübung der verfassunggebenden Gewalt des Volkes in Lateinamerika beitragen könnte. a) Die verfahrensrechtlichen Grenzen der verfassunggebenden Gewalt des Volkes. Die verfassunggebende Gewalt des Volkes erfordert die Umsetzung eines Legitimationssystems, das das Volk in den Mittelpunkt der Entscheidung stellt. Böckenförde hat entscheidend dazu beigetragen, die herrschende Lehre im deutschen Verfassungsrecht zu entwickeln.51 Die lateinamerikanischen Gesellschaften weisen demgegenüber spezifische Komplexitäten auf, die die Eignung einer Theorie der verfassunggebenden Gewalt in Frage stellen können.52 Die lateinamerikanischen Gesellschaften sind multikulturell und plurinational. Die originäre Ausübung der verfassunggebenden Gewalt muss vor diesem Hintergrund verschiedene Kanäle der Verfassungsschöpfung öffnen, um diesem Pluralismus Rechnung zu tragen. Insbesondere können die Mitwirkungsrechte an der Verfassunggebung nicht auf die Anerkennung der formalen liberalen Gleichheit der Bürger als Individuen beschränkt werden, wenn die neue Verfassung die Anerkennung aller Kulturen im Staat anstrebt. Daher erkennt beispielsweise die bolivianische Verfassung 2009 die „Pluranationalität“ des Staates an. Dies erfordert auch, verschiedene Wege der Verfassunggebung anzulegen, wenn es um die verfassungsrechtlichen Bestimmungen geht, die den Pluralismus und den Plurinationalismus regeln. Dies bedeutet nicht zwangsläufig die Einführung gesetzlicher Vetorechte zugunsten kultureller Minderheiten,53 aber gewiss die Öffnung differenzierter Beteiligungskanäle für sie. Die Hinweise von Böckenförde auf die Nation implizieren m. E. nicht einen unitären bzw. einheitlichen Volksbegriff, wie es die Kritik an Böckenfördes Theorie der demokratischen Legitimation anzunehmen scheint.54 Die Ausübung der verfassunggebenden Gewalt impliziert Böckenförde zufolge auch nicht die Einführung eines Systems direkter Demokratie.55 Das Verständnis 51 Siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 289 – 311. Diese Lehre wurde kritisiert, weil sie das Legitimationssystem in der Souveränität eines einheitlichen, unitären Volkes verwurzelt sähe. Insbesondere wurden zwei kritische Punkte vorgetragen: einerseits die vermeintliche Voraussetzung der Volkssouveränität eines einheitlichen und homogenen Volkes – siehe statt vieler, Utz Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt: die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehr-EbenenSystem, 2004, S. 241 – 248; vgl. Thomas Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, 2000, S. 32 – 58 (42 ff.); andererseits bezugnehmend auf die Schwierigkeiten, das vermeintlich einheitliche Konzept des Volkes mit den Möglichkeiten einer regionalen Integration in Einklang zu bringen – statt vieler, siehe Niels Petersen, Demokratie und Grundgesetz, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 58 (2010), S. 137 – 171 (153 ff.). 52 Ein Überblick in Villabella Armengol (Fn. 45), S. 55 – 63. 53 So Iris Marion Young, Polity and Group Difference: A Critique if the Ideal of Universal Citizenship, Ethics 99:2 (1989), S. 250 – 274 (261). 54 Dazu siehe Fn. 51. 55 In Anlehnung an Böckenförde (Fn. 51), siehe Atria (Fn. 12), S. 169 – 175.

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des Volkes als Nation, das heißt als normative Organisations- und Handlungseinheit, eröffnet die Möglichkeit zur repräsentativen Ausübung verfassunggebender Gewalt. Böckenförde sieht in keinem Fall eine demokratische Überlegenheit der direkten Demokratie gegenüber der repräsentativen.56 Im Gegenteil ist er der Auffassung, dass die repräsentative Ausübung der verfassunggebenden Gewalt eine echte und nicht abgeleitete demokratische Form der Verfassunggebung darstellt. Maßgeblich für die Stabilisierung der Verfassungslegitimität ist, dass sich das Volk als Adressat in der Verfassung auch als sein Autor selbst wiederfindet. Böckenförde geht auch nicht davon aus (anders als der neue lateinamerikanische Konstitutionalismus), dass die Legitimität einer neuen Verfassung zwangsläufig von der Ratifizierung durch die Bürgerschaft abhängt, schließt aber auch nicht aus, dass dies einen Legitimationsweg darstellen kann.57 Daher muss der Legitimitätsanspruch einer neuen Verfassung nicht unbedingt versagen, wenn kein Volksentscheid vorgenommen wird, obwohl dieser sicherlich zur Anerkennung der Urheberschaft des Volkes beitragen kann.58 In Lateinamerika neigt man aufgrund der besonderen Umstände dazu, Formen der direkten Beteiligung der Bürgerschaft als genuinere Ausdrücke des Volkswillens zu bevorzugen.59 In Lateinamerika ist es üblich, von einer Repräsentationskrise zu sprechen.60 Da die politische Repräsentation in Lateinamerika geschichtlich elitär geprägt ist, kann eine Ausübung der verfassunggebenden Gewalt, die von den politischen Vertretern des gewöhnlichen Parteiensystems durchgeführt wird, im Allgemeinen als eine elitäre Herrschaftsform angesehen werden.61 Die Beteiligung traditioneller politischer Parteien an der Verfassunggebung die Legitimationsmöglichkeiten einer neuen Verfassung insofern verringern. Es gibt drei Bereiche, in denen diese Schwierigkeit Konsequenzen haben könnte. Erstens könnten verfassunggebende Verfahren bevorzugt werden, die die Teilnahme traditioneller politischer Parteien ausschließen und lediglich die direkte Teilnahme der Bürgerschaft und sozialer Gruppen berücksichtigen.62 Zweitens könnte der Ausschluss der Vertretung traditioneller politischer Parteien das Risiko einer populistischen Manipulation der verfassunggebenden Gewalt des Volkes erhöhen. Drittens wird von einem Verfassungskon56 Dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde, Repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: FS Kurt Eichenberger, 1982, S. 301 – 328. 57 Böckenförde selbst unterscheidet zwischen verschieden „Betätigungsformen der verfassunggebenden Gewalt des Vokes“. Dazu siehe Böckenförde (Fn. 50), S. 105 ff. 58 Vgl. Gregorio Badeni, Instituciones de Derecho Constitucional, Buenos Aires 2006, S. 150. 59 Vgl. Viciano Pastor/Martínez Dalmau (Fn. 34), S. 21 – 26. 60 In Allgemein, siehe Francisco José Paoli Bolio, Crisis de la Democracia Representativa, IUS. Revista del Instituto de Ciencias Jurídicas de Puebla 25 (2010), S. 161 – 173 (168 – 173). 61 Zur Beeinflussung der amerikanischen Bundesverfassung siehe Roberto Gargarella, Crisis de la Representación Política, México D. F. 1997, S. 49 – 76. 62 Dazu Francisco Soto Barrientos, La asamblea constituyente: La experiencia latinoamericana y el actual debate en Chile, in Estudios Constitucionales 12:1 (2014), S. 397 – 428.

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vent bzw. von außerordentlichen verfassunggebenden Versammlungen erwartet, dass ihr Ergebnis – die neue Verfassung – eine Stärkung der direkten Demokratie auf Kosten der repräsentativen Demokratie mit sich bringt.63 Denn wenn die Ausübung der verfassunggebende Gewalt des Volkes sich gegen die konstituierte politische Vertretung zu legitimieren versucht, ist davon auszugehen, dass das Verfassungsprodukt auch die traditionellen Formen der politischen Vertretung schwächen wird. Die kritische Position von Böckenförde gegenüber diesen Phänomenen wurde m. E. in Lateinamerika nicht ausreichend gehört. Mit der Aufnahme der Möglichkeit einer repräsentativen Ausübung der verfassunggebenden Gewalt bei Böckenförde ergibt sich nun die Frage, welche Funktionen und Aufgaben die repräsentative, außerordentliche verfassunggebende Versammlung während und nach der Verkündung der neuen Verfassung annehmen darf. Denn wenn die originäre verfassunggebende Gewalt die Volkssouveränität zum Ausdruck bringt, gibt es im Prinzip keinen Grund der dagegen spricht, dass der Verfassungskonvent Kompetenz in anderen Angelegenheiten während des Entscheidungsverfahrens und auch nach der Verfassungsverkündung ausüben sollte.64 Böckenförde geht von der internen Beschränkung der Ausübung der verfassunggebenden Gewalt auf Angelegenheiten ausschließlich in Beziehung der verfassungsmäßigen Grundordnung aus. Wenn die verfassunggebende Versammlung diese Begrenzung überschreitet, beeinträchtigt sie ihren Legitimationsanspruch. Die Verfassung regelt und beschränkt die Ausübung der verfassten Regierung. Schon der Begriff der verfassunggebenden Gewalt entspringt seiner begrifflichen Abgrenzung von dem pouvoir constituant dérivé.65 Die Lehre der verfassunggebenden Gewalt des Volkes von Böckenförde ist damit eindeutig unvereinbar, dass eine verfassunggebende Versammlung konstituierte bzw. regierende Funktionen übernimmt, wie in Venezuela 2017. b) Die materielle Grenze der verfassunggebenden Gewalt des Volkes. Die traditionelle Verfassungslehre in Lateinamerika sah zwei mögliche materielle Grenzen der verfassunggebenden Zuständigkeit vor: natur- oder positivrechtliche Grenzen. Letztere sind bei der originären Verfassunggebung begrifflich unplausibel.66 Erstere wurden dagegen als die einzig mögliche Alternative angenommen.67 Böckenförde ist allerdings skeptisch gegenüber der Einschränkung der verfassunggebenden Gewalt des Volkes durch das Naturrecht sowie durch „vorgegebenen Rechtsbindungen“ au63

Vgl. Villabella Armengol (Fn. 45), S. 67 ff.; zum kolombianischen Fall, siehe Viciano Pastor/Martinez Dalmau (Fn. 34), S. 17 f. m. w. N. 64 Pedro de Vega, La reforma constitucional y la problemática del poder constituyente, Madrid 2000, 34 ff. 65 Andreas Kalyvas, Soberanía popular, democracia y poder constituyente, Política y gobierno XI:1 (2005), S. 91 – 124 (102). Badeni (Fn. 58), S. 147. 66 Zu einem verwirrenden Versuch, die Verfassungsreformsgewalt durch das Völkerrecht einzuschränken, siehe Nogueira Alcalá, Los límites del poder constituyente (Fn. 32), S. 441 – 447. 67 So Badeni (Fn. 58), S. 148 f.

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ßerhalb der Selbstkonfiguration des Volkes ab. Die Einschränkungen der verfassunggebenden Gewalt ergeben sich nicht aus einer früheren Autorität oder übergeordneten Regeln, sondern aus ihrem eigenen Begriff und ihrem Legitimitätsanspruch.68 Eine erste Frage, die Böckenförde hilft zu beantworten, ist, wie die Achtung der Grund- und Minderheitenrechte durch die verfassunggebende Gewalt des Volkes gerechtfertigt werden kann. Böckenförde teilt hier ausdrücklich die Auffassung Hermann Hellers,69 obwohl seine Position auch mit Arendt und Habermas70 in Verbindung gebracht werden kann – auf keinen Fall jedoch die von Schmitt. Böckenförde ist der Auffassung, dass diese „überpositiven Grundsätze“ kultureller Natur sind. Böckenförde sieht keinen Widerspruch zwischen Grundrechten und verfassunggebender Gewalt, sondern eher eine Verwirklichung der demokratischen verfassunggebenden Gewalt des Volkes durch die Menschenrechte.71 Die praktische Anwendbarkeit einer solchen Betrachtung für die lateinamerikanischen Verfassungsprozesse kann jedoch problematisch sein. Denn man kann nicht mit Sicherheit behaupten, dass die lateinamerikanischen Völker die politischen und kulturellen Bedingungen für ein liberales und demokratisches Verständnis der Regierung in großem Maße teilen. Zugleich lassen die konstitutionellen Experimente aus den späten 90er Jahren auch keine pessimistischen Schlussfolgerungen über die Ausübung der verfassunggebenden Gewalt in Lateinamerika zu. Die jüngsten Aktivierungen der verfassunggebenden Gewalt in Lateinamerika mögen zwar zu politischer Instabilität geführt haben, in keinem Fall aber zu massiven Verletzungen der Minderheitenrechte. In dieser Hinsicht könnte Böckenförde eine wichtige Rolle spielen. Denn er schließt aus, dass jede Ausübung der verfassungsgebenden Gewalt als eine absolute Mehrheitsherrschaft angesehen werden muss. Das Problem des Fortbestands der verfassunggebenden Gewalt wurde von Arendt mit der Unmöglichkeit der dauerhaften Legitimität der Verfassung verbunden. Warum müsste das Volk die Verfassung einhalten, wenn es die permanente Zuständigkeit besitzt, sie zu ändern? Natürlich kann das Volk, sofern die verfassunggebende Gewalt die Möglichkeit einer dauerhaften normativen Selbstkonfiguration gewährleistet, sich selbst dazu bewegen, seine eigene Verfassung außerhalb der konstituierten Ordnung zu ändern.72 Die Unmöglichkeit einer Beschränkung des verfassunggebenden Willens wird allerdings nur dann willkürlich, wenn auch keine interne Beschränkung vorliegt. Weder die absolute Macht noch die permanente Revolution sind dann legitime Staats- oder Verfassungsformen. Sie stellen keine Selbstkonfiguration des Volkes dar, sondern nur deren Dekonfiguration.73 Das Volk kann einer Ent68

Böckenförde (Fn. 50), S. 115 ff. Böckenförde (Fn. 50), S. 117, indem er Heller zitiert. 70 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main 1998, S. 121 – 165. 71 In diese Richtung auch auf Spanisch, siehe Gianluigi Palombella, Constitución y soberanía. El sentido de la democracia constitucional, Granada 2000, S. 33 – 49 und bes. 45 f. 72 Hannah Arendt, On Revolution, New York 1963, S. 160 – 164. 73 Böckenförde (Fn. 50), S. 114 f. 69

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scheidung keinen konstitutiven Charakter zuordnen, wenn diese nicht in angemessener Weise mit dauerhafter Beständigkeit ausgestattet ist. Lateinamerika hat in seiner Geschichte viele Phasen von Instabilität und Verfassungswechsel erlebt. Böckenförde hilft in diesem Sinne nicht nur, die Unvereinbarkeit zwischen der verfassunggebenden Gewalt des Volkes und der Instabilität der verfassten politischen Ordnung zu verstehen. Noch wichtiger: er hilft zu verstehen, dass die Bedingungen, unter denen eine demokratische Regierung ausgeübt wird, auch in Lateinamerika die Verantwortung des Volkes sind.

IV. Der begrenzte Umfang der Rezeption Böckenfördes: einige Erklärungsversuche Abgesehen von der Diskussion über die verfassunggebende Gewalt des Volkes ist die bisherige Rezeption von Böckenfördes Schriften angesichts der Übersetzungen zwar thematisch umfassend, aber inhaltlich nicht tiefgreifend. Seine Texte haben dazu beigetragen, dass bestimmte Debatten über dringende Verfassungsfragen, wie die der Anwendbarkeit sozialer Grundrechte und des Verhältnisses zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, komplexer diskutiert werden können. Aber seine Ideen wurden mehr zitiert als diskutiert: eine direkte Auseinandersetzung mit den Ideen Böckenfördes ist nicht aufzufinden. Böckenförde war in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion anwesend, seine Rolle war jedoch marginal. An dieser Stelle stellt sich die Frage, welche Faktoren diesen geringen Einfluss von Böckenförde erklären können. Warum hatte ein Verfassungsrechtslehrer, der auch Bundesverfassungsrichter, Demokrat, Katholik, SPD-Mitglied und Etatist war, so begrenzten Einfluss auf die spanischsprachige Staatstheorie und Verfassungsdiskussion? In Anbetracht des Umfangs der ins Spanische übersetzten Schriften Böckenfördes kann die limitierte Beherrschung der deutschen Sprache durch die spanisch-konstitutionelle Verfassungstheorie nicht der einzige Erklärungsansatz sein. Doch könnte die Strukturierung der wissenschaftlichen Debatte in der Bundesrepublik Deutschland nach der Verabschiedung des Grundgesetzes als Erklärung herangezogen werden. Die traditionelle Trennung zwischen Schmitts Schule und Smends Schule spielt für die Rezeption der deutschen Staats- und Verfassungstheorie in Spanien und Lateinamerika keine Rolle, weil Smend und seine Theorien kaum wahrgenommen wurden. Hingegen spielt die aus der Weimarer Zeit stammende akademische Trennung in der spanischsprachigen Verfassungsdiskussion nach wie vor eine übergeordnete Rolle: Schmitt, Kelsen und Heller. Böckenförde wird auch in Spanien und Lateinamerika, insbesondere in Bezug auf seinen Begriff der verfassunggebenden Gewalt des Volkes, als Schmittianer angesehen. Dieser Gegensatz zu Heller und Kelsen, wenn auch nicht gerechtfertigt, könnte die Rezeption von Böckenfördes Schriften reduziert haben. Eine zweite Hypothese, die die marginale Aufnahme Böckenfördes erklären könnte, ist der Unterschied zwischen der Zeit, in der Böckenförde seine Schriften

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veröffentlicht hat, und der Zeit, in der sie der spanischsprachigen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Böckenförde wurde zu einem Klassiker in der deutschen Rechtsstaatslehre zu einer Zeit, als es in der spanischsprachigen Welt wenig Raum gab, über Demokratietheorie, Verfassungstheorie und Grundrechte zu diskutieren. Das Interesse an der Demokratie, an der politischen Repräsentation und an der Rechtsstaatlichkeit war bei der Veröffentlichung der Schriften über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nur bei einer Minderheit gegeben und wurde auch als störend angesehen. Als seine Schriften zu den Grundrechten übersetzt wurden, gab es nur wenige Beispiele für stabile Verfassungsgerichte in der spanischsprachigen Welt, die eine dauerhafte Verteidigung der Grundrechte gewährleisten konnten. Vielmehr wurde die Arbeit der meisten lateinamerikanischen Justizbehörden von den Militärdiktaturen unter Druck gesetzt und angegriffen. Der Teil der Öffentlichkeit, der in der Lage war, die Beiträge von Böckenförde wahr- und aufzunehmen, war auf wenige Akademiker, die meisten Spanier, reduziert. Eine dritte Hypothese beruht auf der Berücksichtigung der Besonderheiten der spanischsprachigen, und vor allem der lateinamerikanischen Verfassungsdiskussion. Erstens wird in Lateinamerika, anders als vielleicht in Europa, über den Staat, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit auf regionaler Ebene kaum diskutiert. Die Universitäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen befinden sich unter ständigem finanziellem Druck und arbeiten mit wenigen Werkzeugen. Die rechtswissenschaftlichen Bibliotheken litten in der Vergangenheit oft unter militärischen Interventionen, und wo nicht, wurden sie selten ordnungsgemäß aktualisiert. Zudem ist Lateinamerika im akademischen Bereich keine hochvernetzte Region: die Bibliotheken arbeiten oft voneinander isoliert und sind nicht aufeinander abgestimmt. Zweitens sind die verfassungsrechtlichen Probleme in Lateinamerika meist dringender und praktischer Natur und die spanisch-amerikanische Verfassungsdiskussion widmet der Verfassungstheorie wenig Zeit. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die verfassungstheoretischen Arbeiten von Böckenförde mehr zitiert als diskutiert wurde. Dies zeigt sich in der Diskussion über die unmittelbare Anwendbarkeit sozialer Grundrechte in einzigartiger Klarheit. Die demokratischen Einwände von Böckenförde gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der sozialen Grundrechte verlieren an Relevanz, wenn man die Dringlichkeit betrachtet, mit der die sozialen Leistungen von der politischen Gemeinschaft gefordert werden. Die Bedeutung Böckenfördes wird jedoch zunehmen, wenn die spanischsprachige Verfassungsrechtsdiskussion begreift, dass die Probleme, die Böckenförde diskutiert, auch für die Verfassungslage Spaniens und Lateinamerikas aktuell und dringend sind.

Der Einfluss von Ernst-Wolfgang Böckenförde auf die Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichts Von Carlos Bernal Pulido und Nicolás Esguerra Miranda, Bogotá1

I. Einleitung Ernst-Wolfgang Böckenförde ist einer der bedeutendsten deutschen Verfassungsrechtler des 20. Jahrhunderts. Sein direkter Einfluss auf das Verfassungsrecht und die Staatstheorie in Kolumbien und allgemein in Lateinamerika war jedoch gering, insbesondere im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Gelehrten wie Robert Alexy, Hans Kelsen und Carl Schmitt oder Georg Jellinek. Dies mag zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass nur zwei seiner Texte ins Spanische übersetzt wurden und beide durch europäische Verläge: Einerseits die „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“, übersetzt von Juan Luis Requejo Pagés und Ignacio Villaverde Menéndez am 10. Dezember 1993 und veröffentlicht von Nomos in Baden-Baden; und andererseits die „Studien über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“, übersetzt von Rafael de Agapito Serrano im Jahr 2000 und veröffentlicht von Editorial Trotta in Madrid. Dieser Umstand behindert zweifellos den Zugang zu Böckenfördes Werken, was wiederum Auswirkungen auf deren Verbreitung und Einfluss hat. Daher ist E.W. Böckenförde kein gängiger Bezugspunkt für Rechtstheoretiker in Kolumbien. Nichtsdestotrotz haben seine Theorien, unter anderem die über den sozialen Rechtsstaat, die Demokratie und die Interpretation von Grundrechten, auf die eine oder andere Weise das kolumbianische Verfassungsrecht durchdrungen. Die Bedeutsamkeit seiner Werke in der Welt des Verfassungsrechts hat dazu geführt, dass seine Ideen auch Kolumbien erreichten. Dies ist zum Teil der Fall, weil seine Ideen von den einflussreichsten Theoretikern unter uns repliziert oder weiterentwickelt wurden. Böckenfördes Theorie über den materiellen Inhalt der Grundrechte, die Robert Alexy in seiner Arbeit „Theorie der Grundrechte“ gesammelt hat, ist ein Beispiel hierfür. 1

Wir danken Mirjam Künkler und Tine Stein für die Organisation der Veranstaltung und für ihre Einladung zu unserer Teilnahme. Unser Dank gilt auch Ruth Zimmerling für ihre wertvollen Kommentare, die es uns ermöglichten, diesen Artikel zu vervollständigen. Ebenso danken wir insbesondere Gesa Solveig Duden für ihre großartige Übersetzung des Artikels ins Deutsche.

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Carlos Bernal Pulido und Nicolás Esguerra Miranda

Dasselbe gilt für Böckenfördes Einfluss auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts von Kolumbien. Unserer Meinung nach hat E.-W. Böckenförde die Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichts beeinflusst. In der Tat hat das Gericht einige seiner Entscheidungen explizit oder implizit auf dessen Schriften gestützt. Direkt und explizit hat das Verfassungsgericht den Text „Studien über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ zitiert, in dem es anführt, die Bedeutung des sozialen Rechtsstaates bestehe darin „die sozialen Voraussetzungen der gleichen Freiheit für alle zu schaffen, d. h. soziale Ungleichheit zu beseitigen“ (Urteile C-1064/01, C-150/ 03, C-776/03, T-772/03, C-1054/04, C-353/06, SU-484/08, C-288/12 und T-622/16). Vier dieser Urteile waren verknüpft mit Ausführungen des Richters Manuel José Cepeda, einem der herausragendsten Akademiker und Verfassungsrechtler des Landes. Darüber hinaus haben Richter des Verfassungsgerichtes in einigen Minderheitsvoten,2 die Notwendigkeit, dass der Verfassungsrichter seine Kontrollfunktion strikt gerichtlich ausübt, in dem begründet, was Böckenförde in seinem Werk „Schriften über die Grundrechte“ ausführt. (Urteile SU-556/16, C-077/17 und C-332/17). Ferner haben Böckenfördes Theorien die Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichts in vielerlei Hinsicht implizit beeinflusst. Ein eminent wichtiger Beitrag E.-W. Böckenfördes zur Verfassungstheorie besteht in seiner These, dass sich Grundrechte entsprechend unterschiedlicher Konzeptionen von Staat und Verfassung interpretieren lassen. Er kategorisiert diese in liberale, institutionelle, Wert, demokratie-funktionale sowie sozialstaatliche Theorien. Nach Böckenförde sind diese Theorien Perspektiven, durch welche sich die Grundrechte auslegen lassen. In der Folge verwandeln sie sich in Kriterien, um den Inhalt dieser zu bestimmen, im Abstrakten wie auch in konkreten Fällen. Diese Idee Böckenfördes wurde später von unterschiedlichen Autoren sowohl im Bereich des Verfassungsrechts als auch in der politischen Philosophie, mit bemerkenswerten Auswirkungen in theoretischer und praktischer Hinsicht, weiterentwickelt. Was die praktischen Auswirkungen anbelangt, so hat seine Idee die Verfassungsrechtsprechung einiger Länder im spanischsprachigen Raum explizit und sub silentio durchdrungen. So vertritt insbesondere das kolumbianische Verfassungsgericht nicht die Auffassung, dass es eine einzige Theorie der in der Verfassung von 1991 institutionalisierten Grundrechte gebe. Die Auslegung, die es von den Grundrechten gibt, beruht auf verschiedenen materiellen Staats- und Verfassungstheorien, von denen einige auf die gleiche Art und Weise konzipiert sind wie von Böckenförde erläutert. Tatsächlich ist die Anerkennung der verschiedenen Grundrechtsauffassungen in der kolumbianischen Rechtsprechung ein Beweis dafür, dass es Böckenförde gelang, wesentliche Erkenntnisse bezüglich der Auslegung der Grundrechte zu theoretisieren, auch wenn er dort nicht explizit zitiert wird. So ist die konstitutionelle Rechtsprechung in Kolumbien ein klares Beispiel dafür, dass der Inhalt der Grundrechte, je 2

Salvamento de voto.

Der Einfluss von Böckenförde auf das kolumbianische Verfassungsgericht

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nach Fall, durch eine liberale, eine demokratische oder eine sozialstaatliche Theorie genährt wird. Ziel dieses Aufsatzes ist es, in diesem Rahmen zu klären, wie Böckenfördes These der Existenz einer Vielzahl von Grundrechtstheorien die Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichts beeinflusst hat. Dafür werden wir zunächst überprüfen, was die wichtigsten Elemente des Grundrechtsverständnisses von Böckenförde sind. Insbesondere das Werk „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“, hatte einen expliziten und impliziten Einfluss auf verschiedene, die Auslegung und Umsetzung der Grundrechte betreffende, Bereiche.

II. Böckenfördes Grundrechtsverständnis In seinem Werk „Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation“3 führt Böckenförde aus, dass zwischen der Verfassungstheorie und dem realisierten Grundrechteinhalt ein enger Zusammenhang besteht. Seiner Ansicht nach sollen die Verfassungsbestimmungen „als unmittelbar geltendes Recht wirken und effektiv werden“ 4. Für ihn ist es erforderlich, dass die Richter eine „nicht nur explikative, sondern ausfüllende Interpretation“5 vornehmen und die rechtliche Bedeutung der Grundrechte konkretisieren. Diese Theorie, die später von mehreren Autoren verschiedener Disziplinen weiterentwickelt wurde, wurde erstmals von Böckenförde aufgestellt und erläutert. Dieser Argumentationslinie folgend, erklärt Böckenförde, sind „die Konsequenzen für den (konkreten) Grundrechtsinhalt sehr weittragend, je nachdem im Lichte welcher Grundrechtstheorie (…), die Interpretation einer Grundrechtsbestimmung vorgenommen wird.“6 Er weist darauf hin, dass die Gerichte keine einheitliche Grundrechtstheorie verwenden, sondern „fallbezogen und nach den einzelnen

3 In der deutschen Ausgabe Kapitel 5 in Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie – Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrechtales, 1992. 4 Die Zitate der Übersetzung beziehen sich auf die deutsche Ausgabe: Böckenförde (Fn. 3), S. 115. Im Spanischen Orginaltext wird zitiert: ders., Teoría e interpretación de los derechos fundamentales, in: ders., Escritos sobre derechos fundamentales, 1993, S. 44: „deben operar como derecho directamente aplicable, y ser efectivas“. Im Folgenden wird immer zuerst die für die Übersetzung verwendete Quelle angegeben, gefolgt von der Referenz im kolumbianischen Originaltext. 5 Ebd.: „interpretación no solo explicativa, sino que dote de contenido“. 6 Ebd., S. 117. Böckenförde (Fn. 4), S. 46. „las consecuencias para el contenido (concreto) de los derechos fundamentales son de gran trascendencia según cuál sea la teoría de los derechos fundamentales a cuya luz se realice la interpretación de una disposición de derecho constitucional“.

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Grundrechtsbestimmungen wechselnd, von verschiedenen Grundrechtstheorien ausgehen.“7 Böckenförde vertritt die These, dass Grundrechtstheorien „ihren Bezugspunkt (die systematische Orientierung) in aller Regel in einer bestimmten Staatsauffassung und/oder Verfassungstheorie“8 haben. Dieses Verständnis bestimmt für ihn den „allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte“9. Auf diese Weise bieten die verschiedenen Vorstellungen von der Verfassung unterschiedliche Perspektiven auf die Interpretation der Grundrechte. In diesem Sinne teilt Böckenförde bestehende Ansätze in fünf Theorien ein, welche die Interpretation der Grundrechte bestimmen: (i) die liberale oder bürgerlichrechtsstaatliche Theorie, (ii) die institutionelle Theorie, (iii) die Werttheorie, (iv) die demokratisch-funktionale Theorie und (v) die sozialstaatliche Theorie. 1. Die liberale (bürgerlich-rechtstaatliche) Grundrechtstheorie Nach der liberalen Theorie „sind Grundrechte Freiheitsrechte des einzelnen gegenüber dem Staat“.10 Böckenförde stützt diese These auf das Staatskonzept, in welchem diese „sich aus der Freiheit und Freiwilligkeit ihrer Bürger (…) konstituieren“11. In diesem materialisierten Sinne haben und erhalten Grundrechte einen bereits bestehenden Inhalt vor dem Eingriff des Gesetzgebers. Die Freiheit ist ein Attribut des Individuums, das vor der Schaffung einer bürgerlichen Gesellschaft, welche die Freiheitsausübung regelt, existiert. Folglich hat die liberale Theorie vor allem zwei entscheidende Auswirkungen auf die staatliche Rolle bei der Wirksamkeit der Grundrechte. Erstens ist der Staat nicht dazu verpflichtet, die Grundrechte der Individuen zu gewährleisten. In diesem Modell ist die Umsetzung der Grundrechte ausschließlich die Aufgabe des Einzelnen oder der Gruppen, aus denen die Gesellschaft besteht. Zweitens und als Konsequenz des Vorangehenden, ist der Staat dazu verpflichtet, bei dem Eingriff in die Freiheit des Einzelnen Schranken zu beachten. Er hat sein Handeln auf das Notwendige zu beschränken.

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Ebd., S. 118. Böckenförde (Fn. 4), S. 45: „parten, casuísticamente y alternando según cuál sea la disposición singular de derecho fundamental, de diferentes teorías de los derechos fundamentales“. 8 Ebd., S. 116. Böckenförde (Fn. 4), S. 45. „tienen su punto de referencia en una determinada concepción del Estado y/o en una determinada teoría de la Constitución“. 9 Ebd., S. 116. Böckenförde (Fn. 4), S. 45. 10 Ebd., S. 199. Böckenförde (Fn. 4), S. 48: „los derechos fundamentales son derechos de libertad del individuo frente al Estado“. 11 Ebd., S. 121. Böckenförde (Fn. 4), S. 45: „pretende constituirse a partir de la libertad y voluntariedad de sus ciudadanos“.

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2. Die institutionelle Grundrechtstheorie Nach der institutionellen Theorie haben Grundrechte den Charakter „objektiver Ordnungsprinzipien für die von ihnen geschützten Lebensbereiche“.12 Für Böckenförde scheint „rechtlich undefinierte liberale Freiheit als Inhalt der Grundrechte nicht mehr gemeint. An ihre Stelle tritt eine ,objektivierte‘, bereits normativ und institutionell gestaltete und geordnete Freiheit.“13 Daraus ergeben sich die beiden Hauptunterschiede zur liberalen Theorie. Erstens scheint in diesem Szenario die gesetzliche Regulierung, die der Staat mit Hilfe der Grundrechte trifft, dazu zu dienen, die Umsetzung von Grundrechten zu erleichtern und zu fördern, nicht dazu sie zu beschränken. Zweitens ist die Grundrechtefreiheit nicht schlichtweg eine Freiheit, um fremde Eingriffe in das individuelle Umfeld der Person abzuwehren. Ebenso orientiert sich dieses Szenario an der Erfüllung bestimmter Interessen des Einzelnen, insbesondere um der Freiheitsgarantie eine objektiv-institutionelle Bedeutung zu geben. 3. Die Werttheorie der Grundrechte Die Hauptthese der Werttheorie der Grundrechte besagt, dass Grundrechte Faktoren für den Integrationsprozess einer Werte-, Kultur- und Erfahrungsgemeinschaft bilden. Böckenförde ist in Bezug auf diese Theorie der Ansicht, dass die Grundrechte hier „grundlegende Gemeinschaftswerte“ festlegen; sie „normieren ein ,Wert- oder Güter-, ein Kultursystem‘, durch das die einzelne einen ,materialen Status‘ erhalten, sich sachlich als ein Volk und zu einem Volk von nationaler Eigenart integrieren (sollen).“14 In dieser Hinsicht haben Grundrechte, wie auch in der institutionellen Theorie, den Charakter objektiver Normen. Nach der Werttheorie wird gleichermaßen der Grundrechteinhalt von den Wertvorstellungen einer bestimmten Staatsgemeinschaft bestimmt und der Ausdruck der besagten Werte konkretisiert. Mit anderen Worten: der Inhalt folgt aus der Werteentscheidung, die eine Gemeinschaft für sich selbst trifft. Folglich ist das Hauptziel der Freiheit die Verwirklichung und Umsetzung des Wertes, der durch die Grundrechte ausgedrückt wird. In der Praxis impliziert diese Auffassung die Einschränkung der Auslegungsmöglichkeiten dessen, was Böckenförde als „juristischen Dezisionismus“15 bezeichnet. Die Richter können die 12 Ebd., S. 124. Böckenförde (Fn. 4), S. 53: „el carácter de principios objetivos de ordenación para los ámbitos vitales por ellos protegidos“. 13 Ebd., S. 125. Böckenförde (Fn. 4), S. 53: „la libertad liberal, jurídicamente indefinida, ya no aparece como un conjunto contenido dispersos de los derechos fundamentales [sino como] una libertad ,objetivada‘, ya ordenada y configurada normativa e institucionalmente“. 14 Ebd., S. 129. Böckenförde (Fn. 4), S. 57: „valores fundamentales de la comunidad, norman un ,sistema de valores o de bienes, un sistema cultural‘, a través del cual los individuos alcanzan un ,status material‘, se integran (deben integrarse) objetivamente como un pueblo y en un pueblo de idiosincrasia nacional“. 15 „decisionismo judicial“.

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Grundrechte nicht außerhalb der Grenzen auslegen, welche von den Werten der Gemeinschaft markiert werden. 4. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie Der demokratischen Theorie zufolge erhalten Grundrechte „ihren Sinn und ihre prinzipielle Bedeutung als konstituierende Faktoren eines freien Prozesses demokratischer, d. h. von unten nach oben verlaufender, Staatshervorbringung (…) und eines demokratischen Prozesses politischer Willensbildung.“16 Auf diese Weise sollen durch die Institutionalisierung und Garantie der Grundrechte die politischen Willensbildungsprozesse gesichert werden. Daher hat die Interpretation der Grundrechte die demokratischen Prozesse und das öffentliche Interesse zum Ausgangspunkt und Ziel. Diese Prozesse wiederum sollen zur Umsetzung der Grundrechte führen. Im Gegenzug garantieren Grundrechte die Wahrung demokratischer Prozesse. Böckenförde argumentiert, dass aufgrund des oben Angeführten, der freiwillige Charakter des Inhalts der Grundfreiheiten relativiert wird. Mit anderen Worten: gesetzt den Fall, dass Freiheit durch den Prozess der politischen Willensbildung garantiert wird, ist ihre Ausübung nicht frei wählbar, sondern ein öffentlicher Dienst und eine Pflicht. Diese Eigenschaft ist in den Grundrechten, die einen Bezug zur Demokratie haben, wie bei der Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie in den politischen Rechten, offensichtlicher. 5. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie Nach der sozialstaatlichen Theorie haben die Grundrechte „nicht weiter nur negativ-ausgrenzenden Charakter, sondern vermitteln zugleich soziale Leistungsansprüche an den Staat“.17 In diesem Modell hat der Staat die Verpflichtung, „die notwendigen sozialen Voraussetzungen für die Realisierung der grundrechtlichen Freiheit zu schaffen“.18 Dies impliziert, dass der Staat für die Erfüllung der Sozialleistungsansprüche der Bürger zuständig ist und für diese finanzielle Mittel einsetzen muss. Deshalb hängt die Garantie der Grundrechte von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Staates und der Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen ab. Die sozialstaatliche Theorie hat laut Böckenförde drei Hauptkonsequenzen: erstens ist die Erfüllung der Grundrechte nicht bedingungslos. Zweitens wird die Zuständigkeit für 16 Ebd., S. 133. Böckenförde (Fn. 4), S. 60: „alcanzan su sentido y su principal significado como factores constitutivos de un libre proceso de producción democrática (esto es, que transcurre de abajo a arriba) del Estado y de un proceso democrático de formación de la voluntad política“. 17 Ebd., S. 137. Böckenförde (Fn. 4), S. 64: „los derechos fundamentales ya no tienen solo un carácter delimitador-negativo sino que al mismo tiempo facilitan pretensiones de prestación social ante el Estado“. 18 Ebd., S. 137. Böckenförde (Fn. 4), S. 64: „procurar los presupuestos sociales necesarios para la realización de la libertad jurídica y libertad de los derechos fundamentales“.

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die Feststellung der Grundrechtserfüllung vom Parlament oder der Regierung und nur in letzter Instanz vom Verfassungsgericht geleitet. Drittens gibt es kein Kriterium, um das Ausmaß der Umsetzung des Sozialhaushaltes der Grundrechtefreiheit festzustellen. Infolgedessen verbinden die Grundrechte, als grundsätzliche Norm, den Gesetzgeber mit der Exekutiven. Das heißt, sie stellen keine Ansprüche dar, die direkt vor den Gerichten geltend gemacht werden können, es sei denn, es liegt eine hochgradig missbräuchliche Untätigkeit von einer der beiden Instanzen vor.

III. Die Weiterentwicklung der vom Grundrechtsverständnis Böckenfördes theoretisierten Institutionen Böckenfördes Auffassung der Grundrechte und ihrer Theorien stellt sehr plausibel Intuitionen dar, die im Kern der Theorie und Praxis der Auslegung und Anwendung der Grundrechte stehen. Dies hat dazu geführt, dass in anderen Lehren, sowohl im Bereich des Verfassungsrechts als auch in der politischen Philosophie, aufgezeigt worden ist, dass die Grundrechte durch die Eigenschaften des jeweiligen Staatsmodelles definiert werden können. Diese These drückt die Verbindung zwischen Grundrechtstheorie und Staatsmodell aus. Da die Bestimmungen der Grundrechte vage sind und keine Verfassung alle möglichen rechtlichen Standpunkte der Grundrechte enthalten kann, muss die Definition des Grundrechteinhalts notwendigerweise auf solche materiellen Theorien, wie die von Böckenförde formulierten, zurückgreifen. Durch Böckenfördes Einfluss wurde deutlich, dass für die Ermittlung der Grundrechteeigenschaften aus materieller Sicht die Annahme einer philosophisch-politischen Auffassung über das Individuum an sich und das Individuum in der Gesellschaft notwendig ist. So hat seine Lehre die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass es in der jüngeren Geschichte der politischen Philosophie der westlichen Welt nicht weniger als drei verschiedene moralische Konzeptionen des Individuums gibt, oder genauer gesagt – da wir hier über den moralischen und rechtlichen Bereich sprechen – der Person: die liberale19, die demokratische20 und die sozialstaatliche.21 Die von Böckenförde erläuterten Wert- und institutionellen Theorien sind aufgrund ihres formalen Charakters weniger einflussreich gewesen. So bemerkt zum Beispiel Robert Alexy Folgendes: „dass eine Theorie eine Werttheorie ist, sagt nur, dass sie eine Theorie über irgendwelche Werte ist, es sagt aber noch nichts dar19 John Rawls, Political Liberalism. New York 1993. Im spanischen Originaltext wird zitiert: ders., El liberalismo político, Barcelona 1996, S. 49 und 338. 20 Klaus Günther, Welchen Personenbegriff braucht die Diskurstheorie des Rechts? Überlegungen zum internen Zusammenhang zwischen deliberativer Person, Staatsbürger und Rechtsperson, in Brunkhorst/Niesen (Hrsg.), Das Recht der Republik, 1999. 21 Ernst Tugendhat, Lecciones de ética, Barcelona 1997, S. 325. Original: ders., Vorlesungen über Ethik, 1993.

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über, um welche Werte es sich handelt“.22 Genauso argumentiert Alexy, dass die institutionelle Theorie „aus einer festen, nicht leicht zu enträtselnden These über Zweck, Struktur und Inhalt grundlegender Gesetzesnormen sowie Thesen besteht, die diese Thesen unterstützen sollten“.23 Auf diese Weise definieren sie nicht den tatsächlichen Inhalt der Grundrechte. Wir teilen Alexys Einschätzung. Aus unserer Sicht kann die Frage, welche Eigenschaften Grundrechte aus materieller Sicht definieren sollen, „nur auf Grundlage einer philosophisch-politischen Vorstellung vom Individuum und vom Individuum in der Gesellschaft“24 beantwortet werden. Deshalb bezieht sich diese Ausarbeitung nur auf die drei materiellen Theorien. 1. Die liberale Grundrechtstheorie und die grundlegenden liberalen Vermögen der Person Der liberalen These zufolge besteht der Zweck eines Staates darin, die Ausübung der Freiheit und das persönliche Eigentum des Einzelnen zu schützen. Locke argumentiert beispielsweise, dass die Legitimität der Staatsgewalt auf dem Schutz des „Lebens, der Freiheit und des Eigentums“ des Einzelnen beruht oder seinen eigenen Worten zufolge: „Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist die Erhaltung ihres Eigentums.“25 Kant seinerseits weist darauf hin, dass die wichtigste Handlungsleitlinie des Staates das bekannte „allgemeine Rechtsgesetz“ ist, wonach „(e)ine jede Handlung … recht (ist), die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“26 Dieses Prinzip zeigt deutlich, wie Kant dem Staat 22 Deusches Zitat von: Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 111 – 112. Zitat des spanischen Orginaltextes: ders., Teoría de los derechos fundamentales, 2017, S. 499: „dice sólo que es una teoría sobre algunos valores pero, no dice todavía acerca de qué valores se trata“. 23 Deusches Zitat von: Alexy (Fn. 22), S. 112; Zitat des spanischen Orginaltextes: ders. (Fn. 22), S. 500: „consiste en un conjunto, nada fácil de desenredar, de tesis sobre el fin, la estructura y el contenido de las normas de derecho fundamental, así como de tesis que deben apoyar estas tesis“. 24 Carlos Bernal-Pulido, Derechos, cambio constitucional y teoría jurídica, Bogotá 2018, S. 35: „solo puede responderse sobre la base de una concepción filosófico-política del individuo y del individuo en la sociedad“. 25 John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, übersetzt von H. J. Hoffmann, hg. und eingeleitet von Walter Euchner, 1995, S. 278. Im spanischen Orginaltext wird zitiert: ders., Dos ensayos sobre el gobierno civil, Espasa Calpe, Madrid, 1991, S. 293: „el fin supremo y principal de los hombres al unirse en repúblicas y someterse a un gobierno es la preservación de sus propiedades“. 26 Immanuel Kant, Introducción a la teoría del derecho, Madrid 1978, S. 80: „una acción es conforme a Derecho cuando, según ella, la libertad de arbitrio de cada uno puede conciliarse con la libertad de todos, según una ley general.“ Zitiert wird hier der deutsche Originaltext:

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und insbesondere der Gesetzgebung die grundlegende Aufgabe zuschreibt, die Freiheit aller zu schützen und sie aufeinander abzustimmen. Aber was umfasst diese Freiheit? Worin besteht ihr Inhalt als dem Individuum inhärente Eigenschaft? In den letzten Jahrzehnten hat Rawls versucht, diese Frage durch sein liberales Personenkonzept zu beantworten. Laut Rawls zeichnet sich die Person durch zwei moralische Vermögen27 aus, welche den Dreh- und Angelpunkt ihrer Eigenschaft als freies Subjekt ausmachen. Das erste moralische Vermögen besteht darin einen Gerechtigkeitssinn zu haben – die Fähigkeit, in der Sprache des Autors „vernünftig“28 zu sein. Das zweite Vermögen ist seinerseits definiert als die „Fähigkeit, eine Konzeption des Guten zu haben“; die Fähigkeit „rational“29 zu sein. Das erste moralische Vermögen deckt sich mit der menschlichen Disposition, bewusst an sozialer Kooperation teilzuhaben und die Bedingungen zu respektieren, unter denen diese funktioniert. Das zweite moralische Vermögen hingegen bezieht sich auf die Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen und „einer Vorstellung nachzugehen, von dem was wir im Leben für lohnenswert halten“.30 Zwischen den beiden Vermögen gibt es eine offensichtliche Beziehung: Während das erste auf die individuellen Voraussetzungen der politischen Vereinigung anspielt, betont das zweite die Möglichkeiten, welche diese Vereinigung dem Individuum bietet. Die beiden moralischen Vermögen sind, vom liberalen Standpunkt aus, die materiellen Eigenschaften, die als Kriterium dafür dienen, was die individuellen Menschenrechte sind, die von jeder gerechten politischen Gemeinschaft geschützt werden sollten. Aus den moralischen Vermögen der Person leitet sich die Liste der Freiheiten ab, die von den Staatsgründern zu berücksichtigen ist und die dann im Katalog der Menschenrechte und Grundrechte verwirklicht werden muss.31 Rawls zufolge können nur diejenigen Freiheiten Teil dieses Katalogs sein, die „essentiell“ für die Entwicklung der Fähigkeiten der Person sind, d. h. die Gedanken- und Gewissensfreiheit, die politische Vereinigungsfreiheit, physische Freiheiten und Freiheiten der Integrität der Person sowie die Rechte und Freiheiten, die im Legalitätsprinzip eingebettet sind.32

ders., Einleitung in die Rechtslehre 1784, in: Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe, Bd. VI, S. 230. 27 „moral powers“, A. d. Ü. 28 Rawls (Fn. 19). S. 49; 338. 29 Rawls (Fn. 19). S. 338 (eigene Übersetzung aus dem Englischen). 30 Rawls (Fn. 19). S. 338 (eigene Übersetzung aus dem Englischen). 31 Rawls (Fn. 19), S. 330. 32 Rawls (Fn. 19), S. 328.

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2. Die demokratische Grundrechtstheorie und die grundlegenden Vermögen der demokratischen Person Auch die demokratische Theorie hat eine Konzeption des Subjekts skizziert, die sich aus einer Reihe grundlegender Eigenschaften oder Vermögen zusammensetzt, deren Schutz in Form der Menschenrechte die Grundlage und den Zweck aller politischen Gemeinschaften darstellt. Der Schlüssel zu dieser Auffassung liegt im Autonomiekonzept und scheint bereits in nuce dargelegt in Rousseaus Ideal, „eine Vereinigungsform zu finden, welche die Person und das Vermögen eines jeden Mitglieds verteidigt und mit aller gemeinsamen Kraft schützt wobei jeder, und durch welche jeder vereint mit allen, niemandem mehr gehorcht als sich selbst und so frei bleibt.“33 Die demokratische Theorie spricht sich dafür aus, dem Individuum die größtmögliche Fähigkeit zuzuschreiben, sich selbst Regeln zu setzen; sie verteidigt ein Menschenbild des souveränen Subjektes, fähig sich selbst zu regieren und mit dem Recht ausgestattet, nicht mehr als seinem eigenen Ansinnen zu gehorchen. Diese zentrale Idee der demokratischen Theorie hat in den letzten Jahrzehnten einen starken Aufschwung in der, von Habermas und einigen anderen (seiner theoretischen Linie folgenden) Autoren entwickelten Diskurstheorie erlebt. Das Konzept einer demokratischen oder deliberativen Person ist die relevanteste der Diskurstheorieentwicklungen, wenn wir sie vom Standpunkt der Menschenrechte aus betrachten. So wie Rawls ein liberales Konzept der Person skizziert, stellen die Verteidiger der Diskurstheorie die anthropologischen Merkmale heraus, die ihr Konzept voraussetzt. Mit anderen Worten, sie bringen auch eine Reihe grundlegender Vermögen der Person zum Ausdruck, die als materielle Eigenschaften für die Bestimmung der Menschenrechte einer Gesellschaft dienen. Bekanntlich liegt in Habermas’ Theorie im sogenannten Diskursprinzip der Schlüssel zur staatlichen und gesetzlichen Funktionalität. Diesem Prinzip zufolge sollten als gültige Normen nur solche betrachtet werden, zu welchen alle Betroffenen, in ihrer Eigenschaft als Teilnehmer an rationalen Diskursen, ihre eigene Zustimmung erteilen können.34 Aus dieser Entsprechung zwischen dem Diskursprinzip und dem demokratischen Prinzip folgt, dass sich das vom demokratischen Prinzip vorausgesetzte Personenkonzept mit dem vom Diskursprinzip verlangten Konzept überschneidet; oder mit anderen Worten, dass die grundlegenden Vermögen der demokra33

Jean-Jacques Rousseau, El contrato social, Madrid 1969, S. 25. Spanisches, hier übesetztes Zitat: „encontrar una forma de asociación que defienda y proteja de toda fuerza común a la persona y a los bienes de cada asociado, y por la cual cada uno, uniéndose a todos, no se obedezca sin embargo más que a sí mismo, y permanezca así libre.“ Originalschrift: ders., Du contrat social ou Principes du droit politique, 1762. 34 Jürgen Habermas, Facticidad y Validez. Sobre el derecho y el Estado democrático de derecho en términos de teoría del discurso, Trotta, Madrid, 1998, S. 172. Original: ders., Faktizität und Geltung – Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 1992.

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tischen Person die grundlegenden Vermögen einer deliberativen Person in einem rationalen Diskurs sind. Das Diskursprinzip setzt eine Person voraus, die in der Lage ist, nachzudenken und ihre eigene Zustimmung zu erteilen. Dieser Umstand erklärt, warum sich das Personenkonzept aus Sicht der Diskurstheorie hauptsächlich in der „Zurechnungsfähigkeit“ der einzelnen Person ausdrückt. Diese Fähigkeit wird als unverzichtbar angesehen; jeder Sprecher muss sie besitzen, um an der Kommunikation teilnehmen zu können.35 Die Zurechnungsfähigkeit umfasst zwei Vermögen, die von der Person umgesetzt werden können: einerseits die Fähigkeit, Behauptungen aufzustellen und sie mittels überzeugender Gründe vor Kritik zu verteidigen; und andererseits die Fähigkeit, kritisch mit den Behauptungen anderer und den eigenen umzugehen, d. h. die Befähigung zu Kritik und Selbstkritik, zu welcher zusätzlich noch die Fähigkeit der Selbstkorrektur gehört.36 Diese Vermögen sind vom Standpunkt der demokratischen Theorie das, was die Menschenrechte schützen müssen. Ebenso sind sie, in ihrer Gesamtheit als demokratisches Personenkonzept, die Voraussetzung des Bürgerstatus. Daher sind aus demokratietheoretischer Sicht die politischen Rechte vorrangig Menschenrechte und bilden die partizipatorische Dimension anderer liberaler und Sozialleistungsrechte wie der Meinungs- und Informationsfreiheit oder des Rechts auf Bildung. 3. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie und die Grundbedürfnisse der Person Die sozialstaatliche Theorie skizziert ein Bild des Subjekts, das vom Staat geschützt werden muss und das diesmal nicht aus einer Reihe von Vermögen, sondern aus Grundbedürfnissen besteht. Diesem Gedankengang zufolge kann keine Auffassung über den Inhalt der Menschenrechte als Grundlage des Staates ignorieren, dass „große Sektoren der Gemeinschaft nicht für sich allein stehen können“.37 Obwohl der Staat und das Gesetz die (liberalen und demokratischen) Grundvermögen der, zu diesen [benachteiligten, A. d. Ü.] Bevölkerungsschichten gehörenden, Personen schützen, reicht dieser Schutz nicht aus, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Laut Tugendhat, einem der wichtigsten Befürworter der sozialstaatlichen Theorie in der politischen Philosophie, kann das Rechtssystem nicht auf der falschen Annahme ruhen, dass die Gesellschaft ausschließlich aus fähigen, autonomen und autarken Individuen besteht, welche ferner unter gleichen Bedingungen in die politische Entscheidungsfindung eingreifen. Deshalb sollte das Rechtssystem nicht auf dem Frei-

35

Jürgen Habermas, Teoría de la acción comunicativa, Tomo II: Crítica de la razón funcionalista, Taurus, Madrid, 1987, S. 110. Original: ders., Theorie des kommunikativen Handelns; Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, 1981. 36 Günther (Fn. 20), S. 83. 37 Tugendhat (Fn. 21), S. 338.

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heitskonzept, sondern auf dem Bedürfnis oder, genauer gesagt, den Grundbedürfnissen der Person fußen. Die Vorstellung von Grundbedürfnissen der Person ist mit dem Liberalismus nicht völlig inkompatibel. Hinter Vorstellungen von negativer Freiheit und Autonomie, welche der Konkretisierung der Menschenrechte als einer Unterlassungspflicht zugrunde liegen, ruht die Erkenntnis, dass das Individuum das Bedürfnis hat, seinen eigenen Weg zu erwählen und autonome Entscheidungen zu treffen. Allerdings erstreckt sich das Bedürfniskonzept auch auf andere Ebenen, die im liberalen und im demokratischen Denken umgangen werden. So betont diese Ausarbeitung auch, dass die Situation des Mangels an für das Überleben und Ausüben von Freiheiten unentbehrlichen Gütern, in dem sich große Teile der staatlichen Bevölkerung befinden, eine Tatsache von sozialer Relevanz ist. Daraus folgt, dass die Notwendigkeit, die Grundbedürfnisse der gesamten Bevölkerung zu befriedigen, bestimmte Kooperationsregeln verlangt, die auch den Inhalt der Menschenrechte miteinbeziehen. Diese Kooperationsregeln entwickeln den Solidaritätsgrundsatz38, entsprechen den Menschenrechten und schreiben Handlungspflichten vor, die eine doppelte „Sympathiewirkung“39 haben. Diese Pflichten werden in erster Linie dem Betroffenen selbst angetragen, welchem sein ursprünglicher Status als autonome Person eine Verantwortung zur Selbsthilfe auferlegt, sowie seinen Angehörigen und engen Freunden, die eine große Solidarität mit dem Betroffenen haben. Wenn die positiven Pflichten in dieser ersten Instanz jedoch nicht erfüllt werden können, werden sie subsidiär an alle Mitglieder der Gesellschaft übertragen, welche sich im Staat zusammengeschlossen haben, um die entsprechende Sozialleistungspflicht zu gewährleisten. Die Umsetzung dieser Sozialleistungspflichten muss alle Individuen mit dem Existenzminimum versorgen sowie mit den notwendigen Gütern für die Ausübung ihrer Freiheit und ihrer politischen Rechte.

IV. Der Einfluss von Böckenförde auf die kolumbianische Verfassungsrechtsprechung Die Ausführungen in Abschnitt III zeigen, wie Böckenfördes These der Vielzahl von Grundrechtstheorien wesentliche Merkmale der Auslegung und Auswendung der Verfassung erklärt. Weitere Rechts- und Politische Theoretiker haben diese Intuitionen ausgearbeitet. Im diesem Abschnitt (IV) wird dargestellt, wie das kolumbianische Verfassungsgericht diese Ausführungen rezipiert hat.

38 Borgetto hat darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Solidarität die Funktion der Unterstützung gewisser sozialer Rechte erfüllt. In dieser Hinsicht wird Solidarität als „kollektive Pflicht der gegenseitigen Hilfe“, als „wahres Prinzip des politischen Handelns“ verstanden. In: La notion de Fraternité en Droit Public Français, Paris 1993, S. 398. 39 „Irradiación“, Tugendhat (Fn. 21), S. 341.

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Das kolumbianische Verfassungsgericht hat zwei Hauptzuständigkeiten: (i) die gerichtlichen Entscheidungen in Bezug auf die „acción de tutela“40 zu überprüfen und (ii) entweder automatisch oder auf Antrag eines Bürgers über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, Dekreten mit rechtlicher Kraft, Verfassungsänderungen, Gesetzen zur Vertragsgenehmigung, Reformmechanismen der Verfassung usw. zu entscheiden. In diesem Sinne ist das Gericht zum einen für die Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Grundrechte verantwortlich und zum anderen zur Gewährleistung der Vorrangstellung der Verfassung. Bei der Ausübung seiner Aufgaben hat sich das Gericht auf die materiellen Grundrechtstheorien, wie die von Böckenförde konzipierten, gestützt. In verschiedenen Erklärungen, sowohl zur Tutela als auch zur Verfassungsmäßigkeit, lässt sich zeigen, dass die Anwendung der (i) liberalen, (ii) der demokratischen und (iii) der sozialstaatlichen Theorien, den Grundrechten, die in der Verfassung von 1991 verankert wurden, ihren tatsächlichen Inhalt gegeben haben. 1. Die liberale Grundrechtstheorie in der kolumbianischen Verfassungsrechtsprechung Das erste Kapitel von Titel II der kolumbianischen Verfassung von 1991 institutionalisiert die Grundrechte in einer typisch liberalen Formulierung. Dabei ist den Rechten dieses Kapitels gemeinsam, dass ihre Umsetzung das Verbot oder die Einschränkung staatlicher Eingriffe bedeutet. Dies ist beispielsweise der Fall beim Recht auf Privatsphäre. Artikel 15 der Verfassung sieht vor, dass jeder das Recht auf „persönliche und familiäre Privatsphäre“ hat. Durch dieses Recht soll das persönliche Umfeld des Individuums geschützt werden. So ist willkürliche staatliche Einmischung in die Entwicklung des intimsten persönlichen, spirituellen und kulturellen Lebens jeder Person verboten.41 Das Gericht erörterte daher, dass „der Träger dieses Rechts der einzige ist, der durch seine ausdrückliche oder stillschweigende Autorisierung beschließen kann, diese Informationen preiszugeben, es sei denn, es liegt die Anordnung einer zuständigen Behörde vor, die auf den Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes beruht“42. Der positive Bereich der Rechte verpflichtet den Staat zum Schutz. Daher muss er, mehr noch als Eingriffe zu unterlassen, auch unvernünftige und ungerechtfertigte Einmischungen in das Umfeld einer jeden Person, rechtzeitig und wirksam beenden. Auf diese Art und Weise hat implizit das Verfassungsgericht Böckenfördes liberale Grundrechtstheorie angewandt. Wie bereits erwähnt, macht Böckenförde geltend, 40 „Vormundschaftsklage“, verankert im Artikel 86 der kolumbianischen Verfassung. Ein Verfahren, dass die Rechte der Individuen schützen soll, wenn diese durch Handeln oder Versäumnisse von irgendeiner politischen, staatlichen, und/oder behördlichen Stelle bedroht werden. [A. d. Ü.] 41 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-407 A de 2018. 42 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-288 de 2018.

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dass Grundrechte das Eingreifen des Gesetzgebers grundsätzlich einschränken, da sie einen Inhalt, welcher der Bildung der Zivilgesellschaft vorausgeht, haben. Basierend auf der liberalen Theorie wies das Gericht darauf hin, dass der Kongress die Rechte auf Freiheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht beeinträchtigen kann (Urteil C-221 von 1994). So entschied es über die Klage eines Bürgers bezüglich der Verfassungswidrigkeit einiger Bestimmungen des Gesetzes 30 von 1986 in welchen der Kongress der Republik die nationale Betäubungsmittelverordnung verabschiedete. Insbesondere forderte der Kläger das Gericht auf zu deklarieren, dass die Bestimmungen, welche die Sanktionen für den Konsum und die Beförderung der „Dosis von Betäubungsmitteln für den persönlichen Gebrauch“ regulierten, verfassungswidrig seien. Das Gericht stellte fest, dass der Gesetzgeber durch den Kernpunkt der Rechte auf Gleichheit und Freiheit in seiner Befugnis eingeschränkt ist. Mit seinen Worten: „Der Gesetzgeber kann rechtsgültig nicht mehr Einschränkungen geltend machen, als diejenigen, die im Einklang mit dem Geist der Verfassung stehen“. In diesem Zusammenhang wies das Gericht darauf hin, dass der Gesetzgeber rechtmäßig „die Umstände des Ortes, des Alters, der vorübergehenden Tätigkeitsausübung und anderer ähnlicher Umstände, unter denen der Konsum von Drogen unangemessen oder sozial schädlich ist, regeln kann, wie dies derzeit der Fall in Bezug auf Alkohol und Tabak der Fall ist“, sofern sich dies nicht auf den „wesentlichen Kern der Rechte auf Gleichheit und Freiheit“ auswirkt. Der Gerichtshof stützte seine Entscheidung auf die Erwägung von „Freiheit als Leitprinzip einer Gesellschaft, die auf diese Weise Gerechtigkeit erreichen will“. Folglich erklärte er die Verfassungswidrigkeit der besagten Bestimmungen. In einem ähnlichen Fall betonte das Verfassungsgericht, dass das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung, das eng mit der Menschenwürde verbunden ist, eine Einschränkung für die Befugnis des Kongresses darstellt, weil „es zur allgemeinen Freiheitsklausel gehört, dem Subjekt die Befugnis zu erteilen, selbstständig über seine unterschiedlichen Lebensoptionen zu entscheiden“ (Urteil C-063 von 2018). In diesem Fall war es für die Untersuchung einer öffentlichen Klage auf Verfassungswidrigkeit zuständig, die gegen Artikel 4c des Gesetzesdekrets 1793 von 2000 eingereicht worden war, welches die Voraussetzung für die Aufnahme als Berufssoldat festlegt, „ledig und kinderlos zu sein und keine eheähnliche Gemeinschaft zu führen“. Das Gericht stellte fest, dass der große Spielraum, den der Gesetzgeber hat, um die besondere Karriere des Militärs zu regulieren, durch „Verfassungsprinzipien und -mandate und die Grundrechte der Bevölkerung“ begrenzt ist. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht insbesondere auf das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und legte dieses auf Grundlage der liberalen Theorie aus. Für das Gericht „gehören zu diesem Schutzbereich der persönlichen Autonomie intime und sehr persönliche Entscheidungen der Individuen in Bezug auf ihren Familienstand und/ oder auf den Wunsch, Kinder zu bekommen oder nicht“. Folglich schloss das Gericht, dass

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„jede gesetzliche Einmischung in eine intime und sehr persönliche Entscheidung, die sich auf das Innere der Individuen bezieht, wie die Entscheidung zu heiraten, oder Kinder zu haben und wie die Gründung einer eheähnlichen Gemeinschaft, eine unangemessene und willkürliche Einmischung darstellt, die jeder verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt, weil sie in Verbindung mit dem Lebensplan einzelner Person und dem Ausdruck ihrer Identität steht“.

Daher erklärte es die beklagte Vorschrift für verfassungswidrig. In zwei anderen Fällen wies das Verfassungsgericht darauf hin, dass die Rechte auf Gewissensfreiheit, Religions- und Glaubensfreiheit eine Begrenzung für die Einmischung des Staates und speziell für den Gesetzgeber darstellen (Urteil T-363 von 2018). Im ersten Fall erzählte ein Zugehöriger der Rastafari, dass er gezwungen worden war, seine Dreadlocks zu entfernen, als er ins Gefängnis kam. Der zweite Kläger gab an, dass ihm verwehrt wurde, ein Bild von Jesus in seiner Zelle aufzuhängen. Zu ihrer Verteidigung argumentierten die Gefängnisanstalten, dass in beiden Fällen die auferlegten Restriktionen auf die Einhaltung interner Vorschriften zurückzuführen seien. Das Verfassungsgericht schützte jedoch das Recht der Antragssteller auf Gewissens- und Religionsfreiheit – beides Inhalte des oben genannten Katalogs der essentiellen Freiheiten von Rawls. In seiner Entscheidung erörterte es, dass die staatliche Einmischung begrenzt sei und immer angemessen und verhältnismäßig sei müsse. Denn die Freiheit des Individuums wie Böckenförde sie vertritt, ist zunächst unbegrenzt. In diesem Sinne schloss es, dass „die Verpflichtung der Gefängnisbehörden darin besteht, die Möglichkeit des Insassen zu schützen, den Glauben seiner Präferenz auf private und stille Art und Weise zu praktizieren. [… Dies sei] eine unantastbare und daher vor staatlichen Eingriffen geschützte Zusicherung“. Nur auf diese Weise könne Freiheit „in ihrem höchsten Maße“ garantiert werden. 2. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie in der kolumbianischen Verfassungsrechtsprechung Das Verfassungsgericht stütze sich auf die demokratische Theorie, um bestimmten Grundrechte, die in der kolumbianischen Verfassung von 1991 festgelegt sind, mit praktischen Inhalten zu füllen. Tatsächlich argumentierte das Gericht, entsprechend der These von Böckenförde, dass „Positionen, die von den demokratischen Grundrechten abgeleitet werden, dem Bürger die juristische Macht übertragen, als Reaktion auf seine Partizipation, vom Staat und vom Gesetz die Änderung einer Rechtslage zu erwirken“.43 Für das Gericht liegt auf diese Weise „das demokratische Personenkonzept den Verfassungserklärungen zugrunde“.44 Folglich wurden der demokratische Prozess und das öffentliche Interesse als Ausgangspunkt für die Grundrechte angesehen.

43 44

Corte Constitucional de Colombia, Sentencia C-351 de 2012. Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-347 de 2012.

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Ein solches Verständnis der demokratischen Theorie hat das Verfassungsgericht dazu veranlasst, (i) insbesondere die Rechte zu schützen, welche Auswirkungen auf den demokratischen Prozess haben, und (ii) bestimmte Rechte einzuschränken, wenn das öffentliche Interesse beeinträchtigt wird. Dies war unter anderem bei der Meinungsfreiheit der Fall. Im Wesentlichen hat das Gericht die „enge Verbindung zwischen Meinungsfreiheit und Demokratie betont, das Argument, das mit großer Kraft und Häufigkeit dazu verwendet wird, den besonderen Schutz zu rechtfertigen, der diesem Recht im gegenwärtigen Konstitutionalismus gewährt wird“.45 So hat das Gericht beispielsweise betont, dass die Demonstrationen von Meinungsfreiheit, die sich auf politische Fragen beziehen, und die Äußerungen, die Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, einen stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz genießen (Urteil T-391 von 2007). Nach diesem Verständnis „wird im Bereich der durch Meinungsfreiheit im strengen Sinne geschützten Äußerungsarten das Höchstmaß an Schutz der politischen Äußerung gewährt, der Debatte von Angelegenheiten des öffentlichen Interesses und den Äußerungen, die eine direkte und sofortige Ausübung von zusätzlichen Grundrechte darstellen, die sich notwendigerweise mit der Meinungsfreiheit verknüpfen um Gestalt annehmen zu können.“ In ähnlicher Weise hat das Verfassungsgericht die Versammlungs- und Demonstrationsrechte im Hinblick auf ihren engen Zusammenhang zur Demokratie ausgelegt (Urteil C-223 von 2017). Das Gericht entschied über die Klage eines Bürgers gegen mehrere Bestimmungen des Polizeigesetzbuches, welche die Umsetzung der genannten Rechte regelten. Es sei darauf hingewiesen, dass das Gericht zu diesem Anlass die Bestimmungen für verfassungswidrig erklärte, weil die Beschränkung der Grundrechte durch ein Gesetz ein besonderes Verfahren durchlaufen muss, welches in diesem Fall nicht durchgeführt wurde. Das Gericht wies jedoch auf die Tragweite der besagten Rechte im Lichte der demokratischen Theorie hin. Bei seiner Entscheidung legte es dar, dass „beim Versammlungsrecht und öffentlichen Demonstrationsrecht berücksichtigt werden muss, dass sie sich auf ein weiteres Recht höherer Größenordnung beziehen: das Recht auf freie Meinungsäußerung – eine der ersten und wichtigsten Grundlagen der ganzen demokratische Struktur“. Das Gericht stellte daher fest, dass die „Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit den wichtigsten Nerv des demokratischen Systems unmittelbar trifft, [weshalb] im Prinzip jeglicher mögliche Zusammenstoß zwischen diesem und anderen Werten dem Versammlungs- und Demonstrationsrecht eine abstrakt größere Gewichtung als anderen gibt.“ Für das Gericht ist somit klar, dass das Eingreifen des Staates begrenzt ist, wenn es um Rechte geht, deren Ausübung in einer Demokratie von wesentlicher Bedeutung ist. Bei einer anderen Gelegenheit wies das Gericht darauf hin, dass die Meinungsfreiheit weniger eingeschränkt werden kann, wenn es um Angelegenheiten von öffentlichem Interesse geht (Urteil T-244 vom 2018). In diesem Fall reichte der Bürgermeister von Bogotá eine Schutzklage ein und forderte den Schutz seiner Grund45

Corte Constitucional de Colombia, Sentencia C-650 de 2003.

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rechte auf Ehre und guten Ruf. Er behauptete, ein Mitglied des Stadtrates von Bogotá habe gegen sie verstoßen, indem dieser sowohl in einer Rede als auch in sozialen Netzwerken geäußert habe, dass sich der Bürgermeister durch die „Bewerbung und den Verkauf von ,Transmilenio‘-Systemen46 in der ganzen Welt“ bereichert habe. In diesem Fall befand das Gericht, dass die politische Äußerung des Ratsmitglieds einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz erforderte. Es argumentierte, dass „die Meinungsfreiheit im politischen Umfeld, wenn sie im öffentlichen Interesse ausgeübt wird, weniger rigorose Grenzen hat und ihr größere Achtung zusteht, um einer breiten und reflexiven Debatte Raum zu geben, angesichts von Meinungsäußerungen als Kontrollhandlungen der öffentlichen Gewalt, Prädikabilien der konstitutionellen Demokratie.“ Daher kam es zu dem Schluss, dass „die Äußerungen des Ratsmitgliedes durch den politischen, dialektischen Diskurs gesichert werden, der aufgrund seiner Bedeutung für Demokratie, Partizipation und Pluralismus einen besonderen Schutzstatus genießt.“ Für das Gericht haben die Grundrechte, die eng mit dem demokratischen Prozess verbunden sind, einen besonderen Inhalt und eine größere Tragweite. 3. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie in der kolumbianischen Verfassungsrechtsprechung Der erste Artikel der Verfassung von 1991 institutionalisiert Kolumbien als einen sozialen Rechtsstaat. Dies hat unter anderem zwei Konsequenzen: erstens bestimmt es den praktischen Inhalt der Grundrechte, und zweitens bestimmt es die Rolle des Staates bei der Gewährleistung der Grundrechte und insbesondere die Rolle, welche das Gericht im Falle der Untätigkeit der Exekutiven annimmt. Erstens haben „Grundrechte“ in einem Sozialstaat „nicht weiter nur negativ-ausgrenzenden Charakter, sondern vermitteln zugleich soziale Leistungsansprüche an den Staat“ (S.137).47 Artikel 13 der Verfassung verankert das Recht auf Gleichheit. Dies ist das einzige Recht, welches auf mehr als eine materielle Theorie direkt Bezug nimmt. So wie es formuliert ist, (i) verbietet es jegliche Art der Diskriminierung „aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der nationalen oder familiären Herkunft, der Sprache, der Religion, der politischen oder philosophischen Meinung“; (ii) legt es als Pflicht der Staatsführung fest „die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Gleichheit real und wirksam wird, (Maßnahmen zugunsten von Gruppen, die diskriminiert oder marginalisiert werden, zu ergreifen)“, und insbesondere diejenigen zu schützen, „die sich in Umständen manifester Verletzlichkeit befinden“. Auf diese Weise wird zum einen der negative Aspekt des besagten Rechts im Diskriminierungsverbot deutlich. Ande46

Metrobussystem von Bogotá, A. d. Ü. Böckenförde (Fn. 4), S. 64: „los derechos fundamentales ya no tienen solo un carácter delimitador-negativo sino que al mismo tiempo facilitan pretensiones de prestación social ante el Estado“. 47

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rerseits wird sein positiver Anteil direkt ersichtlich, da es dem Staat die Pflicht auferlegt, zu handeln und die Bedingungen für eine wirksame Ausübung des Rechts zu gewährleisten. Allerdings sind, wie bereits erwähnt, die übrigen Rechte des Grundrechtekapitels in einer typisch „liberalen“ Formulierung verfasst. Die Verfassung beschränkt sich darauf, das Recht in seiner negativen Formulierung darzulegen. So war es das Verfassungsgericht, welches den praktischen Inhalt der Grundrechte im Licht der „sozialstaatlichen“ Theorie festsetzte. Dies ist der Fall des Rechts auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Artikel 16 der Verfassung sieht vor, dass „alle Personen das Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit haben, ohne weitere Einschränkungen als die, welche die Rechte der anderen sowie die Rechtsordnung vorschreiben.“ Wie dabei das Gericht ausführt, „besteht darin die Möglichkeit, dass jeder Einzelne, ohne jegliche Einmischung oder Störung, die Entscheidungen treffen kann, die es ihm erlauben seinen Lebensplan basierend auf seinen eigenen Überzeugungen, Bestrebungen, Wünschen und seinem Glauben zu entwerfen“.48 In diesem Sinne verankert es die Beschränkung jeglicher staatlichen Einmischung in die Lebensentscheidungen einer Person. Für das Verfassungsgericht hat ein solches Recht auch eine positive Facette. Seinem Urteil zufolge ist der Staat verpflichtet, „angemessene materielle und immaterielle Bedingungen für die Entwicklung des Lebensprojekts (…) zu schaffen, wobei für alle Personen eine gleiche rechtliche Behandlung vorgesehen ist“.49 So verstanden, ergibt sich das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus einem praktischen Inhalt, den das Gericht auf Basis der Sozialtheorie gewährt. In der Tat weist es darauf hin, dass mit der Verankerung Kolumbiens als sozialer Rechtsstaat „dem Staat neue Pflichten auferlegt werden und folglich neue Rechte zugunsten des Volkes entstehen, insbesondere solche, die sich auf die intrinsischen und inhärenten Werte des Menschen beziehen“.50 Entsprechend dem vorherigen war es auch hier das Gericht, welches, in Anwendung dieser Theorie, die Rechte mit Inhalt ausstattete, auch wenn auch deren Formulierung diesen nicht in der spezifischen Form vorsah. Zweitens ist der Staat verpflichtet, „die notwendigen sozialen Voraussetzungen für die Realisierung der grundrechtlichen Freiheit zu schaffen“.51 Demzufolge trägt der Staat, wie das Verfassungsgericht beschrieben hat, die Verantwortung, „die effektive Umsetzung der Grundrechte, seien es freiheitliche oder soziale, zu gewährleisten“.52 Dem gleichen Gericht zufolge, „erfordert“ der sozialstaatliche Charakter „die Bemühung, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um allen Ein48

Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-288 de 2018. Corte Constitucional Colombiana, Sentencia C-336 de 2008. 50 Ebd. 51 Böckenförde (Fn. 3), S. 137; ders. (Fn. 4), S. 64: „procurar los presupuestos sociales necesarios para la realización de la libertad jurídica y libertad de los derechos fundamentales“. 52 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-760 de 2008. 49

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wohnern des Landes im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Möglichkeiten ein menschenwürdiges Leben zu sichern.“53 In diesem Zusammenhang weist es darauf hin, dass „die neue Rolle des Richters im sozialrechtlichen Staat die direkte Konsequenz der nachdrücklichen Forderung nach Gültigkeit und Wirksamkeit der realisierten Verfassungsinhalte ist.“54 Solche Überlegungen haben das Verfassungsgericht dazu veranlasst, die Exekutive direkt anzuweisen, öffentliche Maßnahmen umzusetzen. Seines Erachtens solle dies geschehen, wenn sich zeige, dass, infolge extrem missbräuchlicher Untätigkeit des Staates, die Grundrechte verletzt würden. Dieser Teil, eine der wichtigsten Implikationen der Sozialstaatsklausel, ist es der „Grundrechte als rechtlich bindende Prinzipien für alle Bereiche des Staates“ anerkennt. „Diese strahlen durch dasselbe Postulat auf das gesamte Rechtssystem aus und bauen auf dem Rahmen und der Richtung der Bestimmungen auf, aus welchen es sich auf allen Ebenen zusammensetzt“.55 Im Einklang mit dieser Auffassung erfordern die Grundrechte zudem die wirksame Einhaltung durch den Staat. In Anwendung dieser Theorie verlangte das Verfassungsgericht, dass der Staat den Kindern der Wayúu-Ureinwohner, die im kolumbianischen Departamento56 von La Guajira leben, die Grundrechte auf Wasser und Nahrung garantiert (Urteil T-302 von 2017). In der Klage wurde der Schutz des Grundrechts auf Trinkwasser, Ernährung und Gesundheit der Kinder der Gemeinschaft gefordert. Beweise aus dem Prozess zeigten unter anderem, dass ein Kind in La Guajira mit „sechzig Mal höherer Wahrscheinlichkeit an Unterernährung stirbt als in der Hauptstadt“ und dass es „eine ganze ethnische Gruppe“ gibt, „deren Kinder von Hunger bedroht“ sind. In diesem Fall befand das Gericht, dass die Verletzung der Grundrechte eine Konsequenz der Untätigkeit des Staates war. Es ordnete daher kurz- und langfristige Maßnahmen an, durch welche „die Koordinierung der nationalen und territorialen Institutionen“ in Gang gebracht wurde. Dies geht von dem Verständnis aus, dass die Rechte auf Leben (Artikel 11 der Verfassung) und auf Gesundheit (Artikel 49 und 50 der Verfassung) den Staat verpflichten, ihre Einhaltung zu einem Mindestmaß aktiv zu gewährleisten. Die vom Verfassungsgericht vorgenommene Auslegung dieser Rechte impliziert wiederum, dass der Staat die Rechte auf Nahrung und Trinkwasser sicherstellen muss. Sie wurden vom Gericht anerkannt, ohne in der Verfassung explizit verankert zu sein. Diese Auslegung der Grundrechte kann nur ausgehend von einer sozialstaatlichen Grundrechtstheorie verwirklicht werden.

53

Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-426 de 1992. Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-406 de 1992. 55 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-269 de 2018. 56 Politische Verwaltungsgebiete Kolumbiens (A. d. Ü.). 54

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V. Schlussfolgerungen Die kolumbianische Rechtsprechung hat sich in einigen Aspekten, die den Sozialstaat und die justizielle Funktion des Verfassungsgerichts betreffen, explizit auf die Thesen von Böckenförde gestützt. Darüber hinaus gelang es Böckenförde, in Bezug auf die materiellen Grundrechtstheorien, einige Anschauungen zu theoretisieren, welche in der kolumbianischen Rechtsprechung von großer Bedeutung waren. Es ist richtig, dass diese Theorien nicht ausschließlich von Böckenförde aufgestellt wurde. Er war jedoch der Erste, der über die Gesamtheit der materiellen Theorien der Grundrechte sprach. In diesem Sinne hatten die späteren Diskussionen, mit denen sich andere Rechtstheoretiker wie Robert Alexy befassten, die Schriften von Böckenförde als Ausgangspunkt. Dies erleichterte letztlich sein Durchdringen bis nach Kolumbien. Dank diesem werden die in der Verfassung von 1991 festgehalten Grundrechte, deren wörtliche Bedeutung, wie Böckenförde sagt, „an sich einen einheitlichen inhaltlichen Sinn vermissen lässt“, vom Gericht unter Berücksichtigung der verschiedenen Theorien über ihren praktischen Inhalt konkretisiert. Auf diese Weise kann, je nach den Umständen des Einzelfalls, das gleiche verfassungsmäßige Postulat auf die eine oder andere Art und Weise von demselben Richter verstanden und angewandt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Meinungsfreiheit. Artikel 20 der Verfassung legt Folgendes fest: „Jedem ist die Freiheit garantiert, seine Gedanken und Meinungen auszudrücken und zu verbreiten, wahrheitsgemäße und unparteiische Informationen zu erhalten und zu verbreiten sowie Massenkommunikationsmedien zu begründen. Diese sind kostenlos und tragen soziale Verantwortung. Das Recht auf Berichtigung wird unter den Bedingungen der Fairness garantiert. Es wird keine Zensur geben.“57

In erster Linie legt das Verfassungsgericht diesen Artikel auf Grundlage der liberalen Theorie aus. Es vertritt daher die Ansicht, dass die Meinungsfreiheit das Handeln des Staates einschränkt. So weist das Gericht darauf hin, dass die Personen die „Freiheit haben, ihre eigenen Gedanken, Meinungen, Informationen und Ideen ohne Einschränkungen auszudrücken und zu verbreiten (…) und das Recht, nicht wegen dieser belangt zu werden.“58 Zweitens hebt das Gericht, sich auf den politischen Willen beziehend, die Meinungsfreiheit für „die Bildung einer öffentlichen und freien Meinung“ hervor und schützt diese folglich besonders. In diesem Sinne ist seine Erklärung zu verstehen, dass „diese verfassungsrechtliche Freiheit nicht nur ein Recht eines jeden Menschen ist, sondern auch als ein Wert und ein unerlässliches Prinzip für die Festigung der freien öffentlichen Meinung verstanden werden muss, welche eng mit dem politi57 58

Constitución Política de Colombia de 1991. Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-391 de 2007.

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schen Pluralismus zusammenhängt, der charakteristisch für einen sozialen und demokratischen Rechtsstaat ist.“59Aus demselben Grund schützt das Gericht die Meinungsfreiheit bezüglich des Rechts auf Mediengründung, da diese „für die Ausübung der Meinungs- und Informationsfreiheit und für die Verwirklichung des, in der Verfassung von 91 verankerten, demokratischen, partizipativen und pluralistischen Regimes unerlässlich“60 seien. Ihre Bedeutung bestehe gerade darin, dass sie „eine konkrete Manifestation der Menschenwürde darstellt, da sie (…) die Teilnahme am demokratischen Prozess des Landes ermöglicht (Artikel 1, CP).“61 Folglich kann die Beschränkung dieses Rechts niemals zu Lasten des demokratischen Prozesses gehen. Drittens nimmt der Staat in einigen Fällen eine Sozialversorgungsleistungslast an, um die Wirksamkeit der Meinungsfreiheit sicherzustellen. In diesem Zusammenhang muss er: erstens die „angemessene Umsetzung“ der Rolle der Medien sicherstellen; zweitens „konkrete Maßnahmen ergreifen, die ihre Konsolidierung als Instrument zur Gewährleistung von Freiheit und Demokratie ermöglichen“62; drittens „strukturelle Bedingungen fördern, welche die freie Verbreitung von Äußerungen, Ideen, Meinungen und Informationen ermöglichen und gleichzeitig gewährleisten, dass sich der Kommunikationsprozess in den Rahmenbedingungen von Pluralismus, Ausgewogenheit, Gleichheit und sozialer Inklusion entwickelt“;63 viertens: „die Schaffung freier, pluralistischer und unabhängiger Medien unterstützen, Praktiken beseitigen, welche den Zugang zum öffentlichen Dialog unverhältnismäßig behindern, positive Maßnahmen ergreifen, welche die Aufnahme aller vorhandener oder gegensätzlicher, sozialer, politischer und kultureller Standpunkte in der Demokratie unter Bedingungen von Ausgewogenheit und Gleichheit in das Informationsspektrum sicherstellen“.64 Dies entspricht der typischen Formulierung von Rechten in einem Sozialstaat. Übersetzung aus dem Spanischen von Gesa Solveig Duden

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Corte Constitucional de Colombia, Sentencia SU-1723 de 2000. Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-599 de 2016. 61 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-599 de 2016. 62 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia C-359 de 2016. 63 Corte Constitucional de Colombia, Sentencia T-599 de 2016. 64 Ebd. 60

Autorinnen und Autoren Elisa Bertò (Dr. phil. Universität Pisa und Florenz) ist Teaching Assistant und Lecturer für Philosophie der Geschichte und Politische Philosophie. Sie promovierte in Philosophie an der Universität von Pisa und Florenz mit einer Arbeit zu „Macht, Territorium, Autonomie. Die Räume der Modernität und die Orte der Globalisierung“. Sie war Research Fellow an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck am Institut für Philosophie und am Forschungszentrum Migration und Globalisierung der Universität Innsbruck. Sie beschäftigt sich mit Geschichtsphilosophie, politischer Philosophie und politischer Geographie. Sie übersetzte Böckenfördes Werk ins Italienische, ihre Übersetzung von „Der Staat als sittlicher Staat“ ist 2017 im ETS-Verlag erschienen. Joanna Mysona Byrska (Dr. phil. an der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau, Habilitation an der Philosoph Konstantin-Universität Nitra) ist Professorin für Sozialphilosophie und Politik an der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. in Krakau. Ihre Forschungsgebiete sind Wertfragen zeitgenössischer Gesellschaften, zudem das Verhältnis von Staat und Religion, Religion und Gesellschaft. Publikationen u. a.: Ethische Aspekte der Demokratie, UPJPII: Krakau 2012; Demokratischer Rechtsstaat und seine Bedeutung für den Menschen im Denken von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Pat: Kraków 2005; Verdrehte Realität. Konsumwelt und die Ethik von Immanuel Kant (mit Rafał Abramciów), UP: Kraków 2018. Nicolás Esguerra Miranda (J. D. Pontificia Universidad Javeriana, Graduate Degree in Public Law Universidad Externado de Colombia) ist Anwalt des Verfassungsgerichts Kolumbien und Professor für Kolumbianisches Verfassungsrecht in der Pontificia Universidad Javeriana. Er ist Gründungsmitglied von COLVYAP – Colombian Very Young Arbitration Practitioners. Publikationen u. a.: Colombia: The State of Liberal Democracy, in The I·CONnect-Clough Center 2017 Global Review of Constitutional Law, Eds. R. Albert et al. (2018); Democracia y Derecho Internacional, in: Manual de Derecho Internacional, Andes University (2019). Dieter Gosewinkel (Dr. phil. Universität Freiburg i. Br., Habilitation Freie Universität Berlin) ist Historiker und Jurist und Leiter des Center for Global Constitutionalism am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie Professor für Geschichte der Neuzeit an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die europäische Verfassungsgeschichte, die Geschichte der Staatsbürgerschaft und der Zivilgesellschaft sowie die intellectual history des Europadenkens. Publikationen u. a.: Adolf Arndt. Die Wiederbegründung des Rechtsstaats aus dem Geist der Sozialdemokratie (1945 – 1961), Bonn 1991; Einbürgern und ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis

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Autorinnen und Autoren

zur Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Göttingen 2003; (mit Johannes Masing) Die Verfassungen in Europa 178 – 1949. Eine wissenschaftliche Textedition, München 2006; (mit Ernst-Wolfgang Böckenförde) Wissenschaft, Politik, Verfassungsgerichtsbarkeit, Berlin 2011; Schutz und Freiheit? Staatsbürgerschaft in Europa im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2016. Tomonobu Hayashi ist Professor für Verfassungsrecht an der Universität Tokio. Er studierte Rechtswissenschaft an der Universität Tokio und war von 1997 bis 2000 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Tokio. Von 2000 bis 2003 war er Associate Professor an der Universität Hokkaido und von 2003 bis 2015 Associate Professor an der Universität Tokio. Seit 2015 ist er ordentlicher Professor an der Universität Tokio. Aufenthalte als Gastwissenschaftler führten ihn an die Universität München (2004 bis 2006) sowie an das Institut Michel Villey, Université Paris II (2015 bis 2017). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Verfassungsvergleichung, Verfassungstheorie und Staatslehre. Publikationen (auf Japanisch) u. a.: Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien: Unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Entwicklung in Deutschland: Verfassungs- und wissenschaftsgeschichtliche Betrachtungen, Kokka-gakkai-zasshi, Tokio, 2004; Aspekte der Verfassungsrechtswissenschaft in der Gegenwart: Vergleichende Studien, Iwanami-shoten, Tokio, 2016; Aufsatz in deutscher Sprache: Das Konzept „Verfassungsentwicklung“. Aus japanischer Sicht, in: Matthias Jestaedt, Hidemi Suzuki (Hg.), Verfassungsentwicklung I, Mohr-Siebeck, 2017, S. 77 – 86. Otto Kallscheuer (Dr. phil. Universität Frankfurt, Habilitation Universität Gießen) ist Philosoph und Politikwissenschaftler sowie ehemaliges Mitglied des Institute of Advanced Study in Princeton und der Italian Academy for Advanced Study an der Columbia Universität (New York). Er hat als Professor an verschiedenen Universitäten in Deutschland, Italien und der Schweiz Politikwissenschaft und Philosophie unterrichtet und hat Fellowships unter anderem am Institut für die Wissenschaft vom Menschen (Wien), am Käte Hamburger Kolleg ,Dynamik in der Geschichte der Religion‘ der Universität Bochum und am Zentrum für Religion, Ökonomie und Politik der Universitäten Basel, Zürich und Luzern (Schweiz) innegehabt. Derzeit arbeitet er an einem Buch über das Papsttum im 21. Jahrhundert. Zudem schreibt er regelmäßig in großen deutschen und schweizerischen Zeitungen. Publikationen u. a.: Gottes Wort und Volkes Stimme (1994); Will There Be a European Left? (mit André Gorz:1994); Das Europa der Religionen (1996); Die Wissenschaft vom Lieben Gott (2006, paperback edition: 2008); Zur Zukunft des Abendlandes (2009). Hyo-Jeon Kim (Dr. iur. Seoul National University) ist Honorarprofessor für Verfassungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatslehre an der Dong-A University Busan und Mitglied der National Academy of Sciences der Republik Korea. Publikationen u. a.: Early Reception of Western Constitutional Theory in Korea, 1996; The State Thought in Modern Korea, 2000; Constitutional Law (Begriffsgeschichte Se-

Autorinnen und Autoren

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ries) 2009; Law School and Modern Korea, 2014. Übersetzungen: G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1980 (2005); E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 1989 (1992); C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1992 (2012); E.-W. Böckenförde, Verfassung, Staat, Freiheit, 1992; E.W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie (mit Tae-Ho Chung), 2003; G. Jellinek u. a., Zum Verständnis der deutschen Grundrechtstheorie, 2004; H. Heller, Die Souveränität, 2004; H. Heller, Weimarer Reichsverfassung und die politischen Ideenkreise, 2016; C. Schmitt u. a., Quellen zur deutschen Verfassungslehre, 2018, C. Schmitt, Verfassung und Politik, 2020. Mirjam Künkler (Ph. D. Political Science, Columbia University) ist Research Professor am Netherlands Institute for Advanced Study. Sie leitete mehrere Jahre lang das Luce Program in Religion and International Affairs an der Princeton University. Publikationen u. a.: Democracy and Islam in Indonesia, Columbia University Press, 2013; A Secular Age Beyond the West, hg. mit John Madeley und Shylashri Shankar, Cambridge University Press, 2018; Female Religious Authority in Shi‘i Islam: Past and Present (mit Devin Stewart), Edinburgh University Press, 2020; The Rule of Law and the Politics of the Judiciary in Contemporary Iran (mit Hadi Enayat), Cambridge University Press, 2020 (forthcoming). Mirjam Künkler sitzt in den Redaktionen verschiedener internationaler Fachzeitschriften aus Islamwissenschaft, Religionssoziologie und Recht. Sylvie Le Grand-Ticchi (Dr. phil. Universität Straßburg, Habilitation Universität Toulouse) ist habilitierte Dozentin für Deutsche Landeskunde an der Universität Paris Nanterre. Sie forscht zu den Themen Religion, Staat, Gesellschaft sowie Bildung bzw. Kunst und Religion in Deutschland. Publikationen u. a.: (Hg.), La laïcité en question. Religion, Etat et société en France et en Allemagne du XVIIIe siècle à nos jours, Villeneuve d’Ascq, Presses universitaires du Septentrion, 2008; (Hg.), Les fondements normatifs de l’Etat constitutionnel moderne en Allemagne. Une approche pluridisciplinaire (Dossier), in: Revue d’Allemagne, t. 46 n81, janvier-juin 2014, S. 3 – 136; (hg. mit Jean Mortier), Art et religion en Allemagne après 1945 (Dossier), in: Allemagne d’aujourd’hui n8209, juillet-septembre 2014, S. 63 – 195. Michele Nicoletti ist Professor für Politische Philosophie an der Universität Trient. Fellowships führten ihn an mehrere internationale Universitäten (u. a. Freiburg i. Br., KU Leuven, Notre Dame, IN, USA). Er war Koordinator nationaler sowie internationaler Forschungsprojekte und ist leitender Herausgeber der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Politica e Religione. Annuario di Teologia politica“. In seiner Forschung beschäftigt er sich vor allem mit dem Verhältnis von Ethik, Anthropologie und Politischer Theorie. Er hat Bücher vorgelegt u. a. über Kierkegaards Philosophie der Subjektivität (1983), Carl Schmitts Politische Theologie (1990) sowie über das Politische und das Böse (2000). Er ist Herausgeber mehrerer kritischer Editionen und hat u. a. Schriften von Rosmini, Stein, Guardini und Böckenförde übersetzt. Von 2013 bis 2018 war er Mitglied der Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments sowie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, wo er Vorsit-

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Autorinnen und Autoren

zender der Fraktion der Sozialisten, Demokraten und Grünen war und von Januar bis Juni 2018 Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Während seiner Amtszeit initiierte er die Academic Network Initiative des Europarates, ein Projekt zur Kooperation zentraler Universitäten und Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet von Menschenrechten, Demokratie und Rule of Law, das er derzeit weiterentwickelt. Diego Pardo-Álvarez (Dr. iur, Universität Göttingen; LL. M., Universität Göttingen) ist Assistant Professor für Öffentliches Recht und Verfassungsrecht an der Austral-Universität von Chile und Jurist von der Universität von Chile, Santiago. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Human Rights Institute in der Abteilung für Strafrecht sowie Visiting Professor für Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Verfassungsrecht am Magisterprogramm der Universität von Chile, Santiago. Seine Forschungsgebiete sind das Verfassungsrecht, die Allgemeine Staatslehre, die Rechtstheorie und die Theorie der Demokratie. Er hat mehrere Artikel in diesen Fachbereichen veröffentlicht, seine Bachelorarbeit zum Thema „Rationalität der Gesetzgebung“ wurde mit einem Stipendium des Nationalkongresses von Chile ausgezeichnet. In seiner Dissertation – „Das Rechtfertigungsdefizit des qualifizierten Mehrheitserfordernissen“, Mohr Siebeck, 2020 – erforschte er die Rechtfertigung der Mehrheitsregel gegenüber der Einführung qualifizierter Mehrheitserfordernisse im Parlament. Carlos Bernal Pulido (S. J. D. Universität Salamanca (Spanien), Ph. D. in Philosophie University of Florida) ist derzeit Richter am kolumbianischen Verfassungsgericht und Associate Professor an der Macquarie Law School in Sydney, Australien. Er war von 2002 bis 2009 Professor of Law an der University Externado of Colombia, Bogota, Colombia und von 2009 bis 2013 Senior Lecturer an der Macquarie Law School in Sydney, Australien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das Vergleichende Verfassungsrecht, Rechtstheorie, Menschenrechte sowie Schadensersatzrecht. Publikationen u. a.: Constitutional Change and Transformation in Latin America. Oxford: Hart Publishing, 2019 (mit Richard Albert and Juliano Zaiden Benvindo); Derechos, cambio constitucional y teoría jurídica (Rights, Constitutional Change, and Legal Theory). Bogota: Universidad Externado de Colombia, 2018; Justice, justice transitionnelle et forces militaires en Amérique latine (Justice, Transitional Justice, and Military Forces in Latin America). Paris: L’Harmattan, 2017 (mit Magdalena Correa Henao); Du néoconstitutionnalisme en Amérique latine (On the New Constitutionalism in Latin America). Paris: L’Harmattan, 2015; On the Philosophy of Precedent. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2012 (mit Thomas Bustamante). Christian Starck (Dr. iur. utr. Universität Würzburg, Habilitation Universität Würzburg) ist Professor Emeritus an der Georg-August-Universität Göttingen. Nach einem Studium der Rechte, der Geschichte und Philosophie in Kiel, Freiburg und Würzburg wurde er 1963 an der Universität Würzburg promoviert. Er war Assessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht bevor er sich habilitierte und 1971 auf einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht an die Univer-

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sität Göttingen berufen wurde. Von 1976 bis 1977 war er Rektor der Universität und von 1991 bis 2006 Richter des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs. Seit 1982 ist er ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, der er von 2008 bis 2012 als Präsident vorstand. Publikationen u. a.: Gesetzesbegriff des Grundgesetzes 1970, span. Ausgabe 1979; Vom Grund des Grundgesetzes 1979, erweiterte jap. Ausgabe, 4. Aufl. 1995; La Constitution. Cadre et mesure du droit, 1994; Der demokratische Verfassungsstaat 1995; Freiheit und Institutionen 2002; Verfassungen 2009; Woher kommt das Recht? 2015; Herausgeber u. a.: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 3 Bände seit 1999; Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 2 Bände 1976. Tine Stein (Dr. phil. Universität Köln, Habilitation Freie Universität Berlin) ist Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Göttingen. Ihr Forschungsgebiet ist der demokratische Verfassungsstaat und seine normativen Grundlagen, zudem das Verhältnis von Politik, Recht und Religion sowie Politik und Natur. Sie ist u. a. Mitglied im Aufsichtsrat der Heinrich-Böll-Stiftung und im wissenschaftlichen Beirat der Reihe Staatsverständnisse des Nomos-Verlags. Publikationen u. a.: Himmlische Quellen und irdisches Recht, Campus: Frankfurt 2007; Endlichkeit. Zur Vergänglichkeit und Begrenztheit von Mensch, Natur und Gesellschaft, hg. m. Anja Franke-Schwenk/Andreas Bihrer, transcript: Bielefeld 2016; Constitutional and Political Theory. Selected Writings by Ernst-Wolfgang Böckenförde, hg. mit Mirjam Künkler, Oxford University Press, 2017; Recht und Politik. Das Staatsverständnis von Ulrich K. Preuß, hg. m. Claudio Franzius, Nomos: Baden-Baden 2015.

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes* I. Italienisch 1.

La storiografia costituzionale tedesca nel secolo decimonono: Problematica e modelli dell’epoca (Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder), übers. u. eingel. v. Pierangelo Schiera, Giuffre` 1970.

2.

La pace di Westfalia e il diritto di alleanza dei ceti dell’impero (Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichsstände), übers. v. Ettore Rotelli u. Pierangelo Schiera, in: Ettore Rotelli/Pierangelo Schiera (Hg.), Lo stato moderno, Il Mulino 1974, S. 25 – 34.

3.

Commissioni parlamentari d’inchiesta e autonomia comunale (Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Kommunale Selbstverwaltung), übers. v. Girolamo Sciullo, in: Problemi di amministrazione pubblica 1979, S. 126 – 182.

4.

Democrazia e rappresentanza (Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion), übers. v. Pasquale Pasquino, in: Quaderni costituzionali 2 (1985), S. 227 – 263. Wiederabgedruckt in: Stato, costituzione, democrazia (Staat, Verfassung, Demokratie), hg. v. Michele Nicoletti u. Omar Brino, Giuffrè 2006.

5.

La formazione dello stato come processo di secolarizzazione (Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation), in: Paolo Prodi/Luigi Sartori (Hg.), Cristianesimo e potere. Atti del seminario tenuto a Trento il 21 – 22 giugno 1985, EDB Edizioni dehoniane 1986, S. 101 – 122. Erneut übers. v. Corrado Bertani, hg. v. Michele Nicoletti, Morcelliana 2006. Erneut übers. v. Mario Carpitella, in: Diritto e secolarizzazione. Dallo Stato moderno all’Europa unita (Recht und Säkularisierung. Vom modernen Staat zum vereinten Europa) hg. v. Geminello Preterossi, Laterza 2007.

6.

Il potere costituente del popolo. Un concetto limite del diritto costituzionale (Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts), in: Gustavo Zagrebelsky/Pier Paolo Portinaro/Jörg Luther (Hg.), Il futuro della costituzione, Einaudi 1996, S. 231 – 252. Erneut abgedruckt in: Stato, costituzione, democrazia (Staat, Verfassung, Demokratie), hg. v. Michele Nicoletti u. Omar Brino, Giuffrè 2006.

7.

II rapporto tra Chiesa e Mondo Moderno. I contorni di un problema (Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt), übers. v. Antonio Furlanetto, in: Reinhart Koselleck (Hg.), Gli inizi del Mondo Moderno, Vita e Pensiero 1997, S. 199 – 230.

8.

Teoria politica e teologia politica. Osservazioni sul loro rapporto reciproco (Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis), übers. v. Giulio Colombi, in: Hermeneutica 1998, S. 65 – 80. Wiederabgedruckt in: Cris-

* Soweit bekannt, wird der Übersetzer genannt. Nicht alle Übersetzer konnten rekonstruiert werden. Die Publikationsinformationen der den Übersetzungen zu Grunde liegenden deutschen Schriften sind im folgenden Anhang „Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes“ einzusehen.

236

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes tianesimo, liberta`, democrazia (Christentum, Freiheit, Demokratie), hg. v. Michele Nicoletti, Morcelliana 2007.

9.

Teologia e politica: responsabilità della Chiesa nel mondo d’oggi (Wahrheit und Freiheit. Zur Weltverantwortung der Kirche heute), übers. v. Giancarlo Caronello, in: Il Regno 20/ 2004, S. 721 ff.

10. Roma ha parlato, la discussione è aperta (Gekürzter Vorabdruck von: Über die Autorität päpstlicher Lehrzykliken am Beispiel der Äußerungen zur Religionsfreiheit), u¨ bers. v. Giancarlo Caronello, in: Il Regno 22/2005, S. 739 – 744. 11. Stato, costituzione, democrazia (Staat, Verfassung, Demokratie), hg. v. Michele Nicoletti u. Omar Brino, Giuffrè 2006: a)

Das Grundrecht der Gewissensfreiheit

b) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation c)

Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht

d) Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie. Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“ e)

Die Methoden der Verfassungsinterpretation. Bestandsaufnahme und Kritik

f)

Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue? Sicherung der freiheitlichen Demokratie in den Formen des Rechtsstaates

g) Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie h) Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge i)

Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion

j)

Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft

k) Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung l)

Die verfassunggebende Gewalt des Volkes: Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts

m) Grundrechte als Grundsatznormen. Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik n) Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel o) Begriff und Probleme des Verfassungsstaates p) Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation q) Demokratie als Verfassungsprinzip 12. Cristianesimo, liberta`, democrazia (Christentum, Freiheit, Demokratie), hg. v. Michele Nicoletti, übers. v. Alberto Anelli, Corrado Bertani u. Sara Bignotti, Morcelliana 2007: a)

Das Ethos der modernen Demokratie und der Kirche

b) Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen c)

Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat

d) Politisches Mandat der Kirche? e)

Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln

f)

Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt

g) Das neue politische Engagement der Kirche. Zur „Politischen Theologie“ Johannes Pauls II

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

237

h) Ethische und politische Grundsatzfragen zur Zeit. Überlegungen aus Anlass von 90 Jahren „rerum novarum“ i)

Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis

j)

Die Kirche und modernes Bewusstsein

k) Der Beitrag politischen Handelns zur Verwirklichung von Gerechtigkeit l)

Autorität-Gewissen-Normfindung. Thesen zur weiteren Diskussion

m) Religion im säkulären Staat n) Wahrheit und Freiheit. Zur Weltverantwortung der Kirche heute o) Über die Autorität Päpstlicher Lehrenzykliken am Beispiel der Äußerungen zur Religionsfreiheit 13. Diritto e secolarizzazione. Dallo Stato moderno all’Europa unita (Recht und Säkularisierung. Vom modernen Staat zum vereinten Europa), hg. v. Geminello Preterossi u. übers. v. Mario Carpitella, Laterza 2007: a) Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts b) Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation c) Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart d) Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel e) Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts f) Die Nation – Identität in Differenz g) Staatsbürgerschaft und Nationalitätskonzept h) Welchen Weg geht Europa? i) Die Zukunft politischer Autonomie. Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Europäisierung und Individualisierung 14. Libertà religiosa e diritto: Lo stato secolarizzato e i suoi valori (Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert), übers. v. Giancarlo Caronello, in: Il Regno 18/2007, S. 637 – 648. 15. Dignità umana e bioetica (Menschenwürde und Bioethik), hg. u. übers. v. Sara Bignotti, Morcelliana 2009. 16. L’uomo funzionale. Capitalismo, proprietà, ruolo degli stati (Woran der Kapitalismus krankt), übers v. Giancarlo Caronello, in: Il Regno, 10/2009, S. 289 – 291. 17. Di cosa soffre il capitalismo (Woran der Kapitalismus krankt), übers. v. Sara Bignotti und Ilario Bertoletti, in: Chiesa e capitalismo (Kirche und Kapitalismus), hg. v. Michele Nicoletti, Morcelliana 2010, S. 21 – 32. 18. Lo Stato come Stato etico (Der Staat als sittlicher Staat), hg. u. übers. v. Elisa Bertò, Edizioni ETS 2017.

238

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

II. Polnisch 1.

Nowy Sposób Politycznego. Zaangaz˙ owania Kos´cioła – o „Teologii Politycznej“ Jana Pawła II (Das neue politische Engagement der Kirche. Zur „politischen Theologie“ Johannes Pauls II.), in: Znak Miesie˛ cznik; Kraków, Rok XXXVII, Marzec (3) 1985, S. 3 – 24.

2.

Wizerunek człowieka w s´wietle dzisiejszego porza˛dku prawnego (Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung), in: Człowiek w nauce współczesnej. Rozmowy w Castel Gandolfo, Znak: 1. Aufl. 1988, 2. Aufl. 2006, S. 115 – 126.

3.

Idee ładu społecznego i politycznego w Rewolucji Francuskiej (Die sozialen und politischen Ordnungsideen der Französischen Revolution), in: Europa i społeczenstwo obywatelskie. Rozmowy w Castel Gandolfo, Znak 1994.

4.

Wolnos´c´-pan´stwo-Kos´ciół (Freiheit, Staat, Kirche), übers. v. Paweł Kaczorowski u. Grzegorz Sowinski Wste˛ p ks. Józef Tischner, Znak 1994. a) Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche b) Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat c) Stellung und Bedeutung der Religion in einer Civil Society d) Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation e) Zur Kritik der Wertbegru¨ ndung des Rechts f) Freiheit und Recht, Freiheit und Staat g) Der Staat als sittlicher Staat h) Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt i) Kirche und modernes Bewusstsein j) Der Beitrag politischen Handelns zur Verwirklichung von Gerechtigkeit k) Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln

5.

Historyczny rozwój i róz˙ ne znaczenia pojecia konstytucji (Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung), in: Civitas Nr. 1 (1997), S. 11 – 35.

6.

Wartos´ci chrzes´cijan´skie w polityce (Christliche Werte in der Politik), in: Transit 3 (1997), S. 21 – 24.

7.

Etos nowoczesnej demokracji a Kos´ciół (Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche), in: Civitas Nr. 3 (1999), S. 23 – 45.

8.

Jaka˛ droga˛ poda˛z˙ a Europa? (Welchen Weg geht Europa? gekürzte Fassung), in: Aniela Dylus (Redaktion), Europa. Drogi integracji, Studium Generale Europa, UKSW 1999, S. 11 – 23.

9.

Raz jeszcze: etos nowoczesnej demokracji a Kos´ciół. Polemika mie˛ dzy Hermannem-Josefem Spitalem i Ernstem-Wolfgangiem Böckenförde (Noch einmal: Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche. Kontroverse zwischen Hermann-Josef Spital und Ernst-Wolfgang Böckenförde), in: Civitas Nr. 3 (1999), S. 47 – 77.

10. Pan´stwo prawa w jednocza˛cej sie˛ Europie (Rechtsstaatlichkeit im vereinten Europa), hg. v. Zbigniew Stawrowski, übers. v. Paweł Kaczorowski, Instytut Studiów Politycznych PAN 2000. a) Recht schafft Freiheit, indem es Grenzen setzt b) Begriff und Probleme des Verfassungsstaates c) Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

239

d) Welchen Weg geht Europa? 11. Einfu¨ hrung, in: Johannes Paul II., Sumienie s´wiata (Gewissen der Welt), in: ZNAK, Heft 581 (Oktober 2003), S. 10 – 21. 12. Oswoic´ religie˛ ze s´wieckim pan´stwem (Religion im säkularen Staat), in: FAKT Europa Nr. 20 vom 18. 8. 2004, S. 8 – 9. 13. Teoria polityki a teologia polityczna. Uwagi na temat ich wzajemnego stosunku (Politische Theorie und Politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis), übers. v. Magdalena Kurkowska, in: Teologia polityczna 3/2005 – 2006, S. 301 – 309. 14. Warunki mieszkedne dla europejski(ej) solidarnos´ci (Bedingungen der europäischen Solidarität, gekürzte und bearbeitete Fassung), in: FAKT Europa PL, Sonderausgabe vom 03. 02. 2006, S. 30.

III. Französisch 1. Les juifs et la trahison allemande (Die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat), in: Le Monde, 8. November 1997, S. 15. 2. Le droit, l’État et la constitution démocratique. Essais de théorie juridique, politique et constitutionnelle (Recht, Staat, Demokratie), hg. u. übers. v. Olivier Jouanjan in Zus. m. Willy Zimmer u. Olivier Beaud, LGDJ/Bruylant 2000: a) Die historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts b) Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts c) Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation d) Der Staat als Organismus. Zur staatstheoretischen Diskussion in der Vormärzzeit e) Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs f) Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat g) Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart h) Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts i) Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik. j) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation k) Prinzipien der Demokratie als Staats- und Regierungsform. l) Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, erneut erschienen in: Trivium. Revue franco-allemande de sciences humaines et sociales 6 (2014). 3. L’Europe et la Turquie (Europa und die Türkei), übers. v. Jochen Hoock, in: Le Débat 2005/5 Nr. 137, S. 60 – 72.

IV. Japanisch 1. Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Osamu Naruse (Hg.), Dento Shakai to Kindai Kokka, Iwanami-shoten 1982, S. 487 – 522.

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Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

2. Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Masanori Shiyake/Keita Koga (Hg.), Carl Schmitt no Isan, Fukosha 1993, S. 282 – 308. 3. Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, in: Shakai to Rinri Bd. 7, Universitaet Nansan 1999, S. 174 – 194. 4. Gendai Kokka to Kempo, Jiyu, Minshusei (Der moderne Staat, Verfassung, Freiheit und Demokratie), hg. v. Masanori Shiyake, Fukosha, 1999.1 a) Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft b) Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs c) Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart d) Freiheit und Recht, Freiheit und Staat e) Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung in Deutschland und Europa f)

Begriff und Probleme des Verfassungsstaates

g) Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts h) Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation i)

Prinzipien der Demokratie als Staats- und Regierungsform

j)

Demokratie und Reprasentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion

k) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation l)

Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge

m) Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. Aufriss eines Problems n) Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz o) Probleme des normativen Gehalts der Grundrechte 5. Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: Shakai to Rinri Bd. 7, Universitaet Nansan 1999, S. 159 – 173. 6. Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Ho no Riron Bd. 22, Seibundo 2003, S. 49 – 74. 7. Bleibt die Menschenwürde unantastbar? In: Hikaku Hogaku, Universitaet Waseda 42:2 (2009), S. 267 – 288. 8. Buchbesprechung: Konrad Hesse, die normative Kraft der Verfassung, in: Toyoaki Furuno, Yuhiko Miyake (Hg.), Kempo no Kihanryoku: Bd.1, Kihanryoku no Kannen to Joken, Shinzansha: 2013, S. 219 – 222.

V. Koreanisch 1.

Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Wolgangoshi 12:1 (1985), S. 28 – 44; Nr. 2. S. 80 – 91. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat,

1 Der Band versammelt Aufsätze aus den beiden Sammelbänden „Recht, Staat, Freiheit“ und „Staat, Verfassung, Demokratie“ sowie Reden, die Ernst-Wolfgang Böckenförde auf einer Reise nach Japan im Jahr 1996 gehalten hat.

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

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Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1992. 2.

Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Wolgangoshi 14:4 (1987), S. 129 – 155. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1992.

3.

Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: DongaBobhak/Dong-A Law Review 4 (1987), S. 143 – 217. Erneut abgedruckt in: Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1989.

4.

Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: KoshiYonku 16:4 (1989), S. 199 – 211. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1992.

5.

Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Koshikye 34:12 (1989), S. 165 – 172 und 35:6 (1990), S. 153 – 165. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1992.

6.

Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1989. Zweite ergänzte Aufl. 1992 (3. Aufl. i. E.): a) Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit b) Staat und Gesellschaft c) Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1992. d) „Staat“ und „Gesellschaft“ als verfassungstheoretisches Problem von Horst Ehmke, S. 153 – 189.

7.

Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Wolgangoshi 18:9 (1991), S. 58 – 70. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Bo˘ bmun-Sa 1992; sowie in: Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 2003.

8.

Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Gegenwärtige Aufgabe der öffentlichen Rechtstheorie. Festschrift für Byung-Sack Koo, 1991, S. 97 – 124. Erneut abgedruckt in: Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Bo˘ bmun-Sa 1992; sowie in: Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 2003.

9.

Verfassung, Staat, Freiheit. Studien zur Verfassungstheorie und Staatstheorie, übers. v. Hyo-Jeon Kim, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 1992: a) Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts b) Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung c) Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs d) Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert

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Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes e) Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart f) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation g) Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge h) Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung i) Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht j) Demokratie und Repräsentation k) Der verdrängte Ausnahmezustand

10. Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Carl Schmit, Der Begriff des Politischen, Seoul: Bo˘ bmunsa Verlag 1995, S. 183 – 209. 11. Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Dong-A Bobhak/Dong-A Law Review 21/1996, S. 217 – 271. Erneut übers. v. Hee-su Choi, in: AnamBobhak/Anam Law Review 4/1996, S. 235 – 294. Erneut abgedruckt in: Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 2003. 12. Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Kyung HeeBobhak/Kyung Hee Law Journal 35:1 (2000), S. 245 – 262. Erneut abgedruckt in: Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 2003. 13. Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation, übers. v. HyoJeon Kim, in: DokilhakYonku 17/2001, S. 103 – 122. Erneut abgedruckt in: Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 2003. 14. Begriff und Probleme des Verfassungsstaates, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: KoshiYonku 29:9 (2002), S. 134 – 148. Auch abgedruckt in: Sungkyunkwan Law Review 14:2 (2002), S. 321 – 333. Erneut abgedruckt in: Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmun-Sa 2003. 15. Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Honbobhak Yonku 8:2 (2002), S. 443 – 483. Erneut abgedruckt in: Hyo-Jeon Kim (Hg.), Quellen zur deutschen Verfassungslehre, Sanzini 2018, S. 179 – 207. 16. Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Honbobhak Yonku 8:4 (2002), S. 529 – 561. Erneut abgedruckt in: Hyo-Jeon Kim (Hg.), Quellen zur deutschen Verfassungslehre, Sanzini 2018, S. 622 – 644. 17. Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Honbobhak Yonku 9:1 (2003), S. 487 – 509. Wiederabgedruckt in: Hyo-Jeon Kim (Hg.), Quellen zur deutschen Verfassungslehre, Sanzini 2018, S. 645 – 658. 18. Staat, Verfassung, Demokratie, übers. v. Hyo-Jeon Kim u. Tae-Ho Chung, Seoul: Bo˘ bmunSa 2003: a) Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft b) Begriff und Probleme des Verfassungsstaates c) Freiheit und Recht, Freiheit und Staat d) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation e) Soziale Grundrechte im Verfassungsgefüge f) Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

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g) Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht h) Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue? Sicherung der freiheitlichen Demokratie in der Form des Rechtsstaates i) Demokratie als Verfassungsprinzip j) Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie k) Ist Demokratie eine notwendige Forderung der Menschenrechte? l) Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation 19. Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, übers. v. Hyo-Jeon Kim, in: Honbobhak Yonku 10:4 (2004), S. 589 – 15. Wiederabgedruckt in: Hyo-Jeon Kim (Hg.), Quellen zur deutschen Verfassungslehre, Sanzini 2018, S. 287 – 303.

VI. Spanisch 1. Escritos sobre Derechos Fundamentales (Schriften zu den Grundrechten), übers. v. Juan Luis Requejo Pagés u. Ignacio Villaverde Menéndez, Nomos 1993: a) Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik b) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation c) Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge d) Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht e) Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahre Grundgesetz 2. Sobre el Derecho y el Estado. Conversación con el Profesor Ernst-Wolfgang Böckenförde (Über Recht und Staat. Gespräch mit Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde), Interview geführt von Jose Juan Gonzalez Encinar, in: Anuario de derecho constitucional y parlamentario 7/1995, S. 7 – 32. 3. Estudios sobre el Estado de Derecho y la democracia (Studien über Rechtsstaat und Demokratie), übers. v. Rafael de Agapito Serrano, Editorial Trotta 2000: a) Entstehung und Wandel des Rechtstaatsbegriffs b) Demokratie als Verfassungsprinzip c) Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion d) Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts e) Anmerkungen zum Begriff „Verfassungswandel“ 4. Rezension: ¿Por qué se debe penar? Günther Jakobs se pregunta qué posición ocupa el enemigo en el Ordenamiento jurídico (Warum soll man strafen? Günther Jakobs fragt, wo der Feind in der Rechtsordnung steht), in: cuadernos de política criminal 93 (2007), S. 251 – 254. 5. Rezension: Honrar al delincuente como ciudadano. Michael Pawlik responde a la pregunta de por qué pena el Estado (Den Täter als Bürger ehren. Michael Pawlik antwortet auf die Frage, warum der Staat straft), in: cuadernos de política criminal 94 (2008), S. 289 – 294.

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Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

VII. Portugiesisch 1. O Contributo do agir Politico para a realizaçao da Justiça (Der Beitrag politischen Handelns zur Verwirklichung von Gerechtigkeit), in: Brotéria, Vol 134 No. 3, Março 1992, S. 239 – 258. 2. Dignidade humana como princípio normativo: os direitos fundamentais no debate bioético (Menschenwürde als normatives Prinzip), in: Ingo Wolfgang Sarlet/George Salomão Leite (Hg.), Direitos Fundamentais e Biotecnologia, Editora Metodo 2008, S. 59 – 76. 3. Histo´ria da filosofia do direito e do Estado: Antiguidade e Idade Me´dia (Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie: Antike bis Mittelalter), übers. v. Adriana Beckman Meirelles, Se´rgio Antoˆ nio Fabris 2012. 4. Estado de direito e democracia (Staat, Verfassung, Demokratie), übers. v. Marcelo Oliveira da Silva, Instituto Atuação, 2017: a) Begriff und Probleme des Verfassungsstaates b) Demokratie als Verfassungsprinzip c) Demokratie und Repräsentation d) Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts e) Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel

VIII. Englisch 1. German Catholicism in 1933 (Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung), in: Cross Currents 11 (1961), S. 283 – 304. 2. State, Society and Liberty. Studies in Political Theory and Constitutional Law (Staat, Gesellschaft, Freiheit), übers. v. Jim Underwood, Berg 1991: a) Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts b) Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation c) Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs d) Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts e) Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert f) Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat g) Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart h) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation i) Das Grundrecht der Gewissensfreiheit j) Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. Aufriss eines Problems 3. Carl Schmitt revisited (Auf dem Weg zum Klassiker. Carl Schmitt in der Diskussion: Politische Theologie als Fluchtpunkt seines Werks, erweiterte Fassung). In: Telos 109 (1996), S. 81 – 86. 4. The Concept of the Political: A Key to Understanding Carl Schmitt’s Constitutional Theory (Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts), übers.

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

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v. Heiner Bielefeldt, in: The Canadian Journal of Law and Jurisprudence 10:1 (1997), S. 5 – 19. 5. Conditions for European Solidarity (Bedingungen der europäischen Solidarität, gekürzte und bearbeitete Fassung), in: Krzysztof Michalski (Hg.), What holds Europe together?, Central European University Press 2005, S. 30 – 41. 6. Conditions for European Solidarity (Bedingungen der europäischen Solidarität, gekürzte und bearbeitete Fassung), in: Europa PL, 03. 02. 2006. 7. Constitutional and Political Theory. Selected Writings (Verfassungstheorie und Politische Theorie. Ausgewählte Schriften), hg. u. komm. v. Mirjam Künkler u. Tine Stein, übers. v. Thomas Dunlap, Oxford University Press 2017: a) Sicherheit und Selbsterhaltung vor Gerechtigkeit. Der Paradigmenwechsel und Übergang von einer naturrechtlichen zur positivrechtlichen Grundlegung des Rechtssystems bei Thomas Hobbes b) Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts c) Der Staat als sittlicher Staat d) Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen e) Begriff und Probleme des Verfassungsstaates f)

Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung

g) Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts h) Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation i)

Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts

j)

Grundrechte als Grundsatznormen: Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik

k) Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation l)

Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht. Aufriss eines Problems

m) Die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat n) Staatsbürgerschaft und Nationalitätskonzept o) Die Zukunft politischer Autonomie: Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Internationalisierung und Individualisierung p) Welchen Weg geht Europa? q) Biographisches Interview mit Ernst-Wolfgang Böckenförde (Auszüge) 8. Religion, Law and Democracy. Selected Writings (Religion, Recht und Demokratie. Ausgewählte Schriften), hg. u. komm. v. Mirjam Künkler and Tine Stein, übers. v. Thomas Dunlap, Oxford University Press 2020: a) Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche b) Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung c) Formen christlichen Weltverhaltens während der NS-Herrschaft d) Die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat e) Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation f)

Das Grundrecht der Gewissensfreiheit

g) Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel

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Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

h) Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert i)

Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis

j)

Überlegungen zu einer Theologie des modernen säkularen Rechts

k) Als Christ im Amt eines Verfassungsrichters l)

Über die Autorität päpstlicher Lehrenzykliken am Beispiel der Äußerungen zur Religionsfreiheit

m) Abschaffung des § 218 StGB? Überlegungen zur gegenwärtigen Diskussion um das strafrechtliche Abtreibungsverbot n) Menschenwürde als normatives Prinzip o) Bleibt die Menschenwürde unantastbar? p) Biographisches Interview mit Ernst-Wolfgang Böckenförde (Auszüge)

IX. Tschechisch 1. Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung, in: Cˇ loveˇ k v moderni´ch veˇ da´ch. Castel Gandolfo Gespräche 1983, übers. u. hg. v. Jirˇí Pechar, Filozoficky´ ´ stav Cˇ SAV 1992. U 2. Die Entstehung des Staates als Vorgang der Sa¨ kularisation, in: Jirˇ´i Hanusˇ (Hg.), Vznik sta´tu jako proces sekularizace: diskuse nad studii´ Ernsta-Wolfganga Bo¨ ckenfo¨ rde, Centrum pro studium demokracie a kultur 2006.

X. Slowenisch 1. Drzˇ ava kot nravna drzˇ ava (Der Staat als sittlicher Staat), übers. v. Jani Sˇ umak, in: Tretji dan: verski cˇ asopis sˇtudentov in izobrazˇ encev. Letn. 37, sˇt. 1/2 (2008), S. 4 – 20.

XI. Russisch 1. Methoden der Verfassungsinterpretation. Bestandsaufnahme und Kritik, in: Georgi Khubua/ Angelika Nussberger (Hg.), Interpretacija konstitucionnych norm v postsovetskich stranach: Teorija i praktika (Interpretation verfassungsrechtlicher Normen in postsowjetischen Ländern. Theorie und Praxis), Tiflis 2007, S. 18 – 52.

XII. Dänisch 1. Forord (Vorwort), in: Carl Schmitt, Det politiskes begreb, übers. v. Lars Bo Larsen u. Christian Borch, Gyldendals Bogklubber 2002, S. 7 – 12.

Verzeichnis der Übersetzungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes

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XIII. Schwedisch 1. Johannes Paulus II: s „politiska teologi“ (Das neue politische Engagement der Kirche. Zur „politischen Theologie“ Johannes Pauls II, gekürzte Fassung), in: Signum. Katolsk orientering om kyrka, kultur & samhälle: nr. 4/1980, S. 105 – 108. 2. Efterskrift (Nachwort), in: Carl Schmitt, Det politiska som begrepp, übers. v. Svenja Hums, Daidalos 2010.

Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes 1.

Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche, in: Hochland 50 (1) 1957, S. 4 – 19.

2.

Noch einmal: Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche. Erwiderung, in: Hochland 50 (5) 1958, S. 409 – 421.

3.

Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung, in: Hochland 53 (3) 1961, S. 215 – 239.

4.

Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Duncker & Humblot 1961.

5.

Rezension: Hesse, Konrad: Die normative Kraft der Verfassung, 1959, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 118 (1962), S. 172 – 174.

6.

Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat. In: Alteuropa und die moderne Gesellschaft, in: Festschrift für Otto Brunner, hrsg. vom Historischen Seminar der Universität Hamburg, Vandenhoeck & Ruprecht: 1963, S. 248 – 277.

7.

Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen. Gedanken eines Juristen zu den Diskussionen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Stimmen der Zeit 90 (9) 1964/65, S. 199 – 212.

8.

Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Collegium Philosophicum, Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Schwabe 1965, S. 9 – 36.

9.

Formen christlichen Weltverhaltens während der NS-Herrschaft (1965), in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit. Beiträge der politisch-theologischen Verfassungsgeschichte 1957 – 2002, 2. erweiterte Auflage, fortgeführt bis 2006, LIT-Verlag 2007, S. 181 – 192.

10. Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Werner Conze (Hg.), Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, Klett 1967, S. 70 – 92. 11. Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Kohlhammer 1967, S. 75 – 94. 12. Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichstände, in: Der Staat 8 (1969), S. 449 – 478. 13. Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Horst Ehmke/Carlo Schmid (Hg.), Festschrift für Adolf Arndt zum 65. Geburtstag, Europäische Verlagsanstalt 1969, S. 53 – 76. 14. Politisches Mandat der Kirche?, in: Stimmen der Zeit 184 (1969), S. 361 – 373. 15. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 28 (1970), S. 33 – 88.

250

Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes

16. Abschaffung des § 218 StGB? Überlegungen zur gegenwärtigen Diskussion um das strafrechtliche Abtreibungsverbot, in: Stimmen der Zeit 188 (1971), S. 147 – 167. 17. Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Ein Überblick. In: Juristische Schulung 11, 1971, S. 560 – 566. 18. Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: Rechtsfragen der Gegenwart. Festgabe für Wolfgang Hefermehl zum 65. Geburtstag, Kohlhammer 1972, S. 11 – 36. 19. Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, in: Konrad Duden, Helmut R. Külz (u. a.) (Hg.), Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft. Rechtspolitischer Kongreß der SPD, Mai 1972 in Braunschweig. Dokumentation, C. F. Müller 1972, S. 215 – 231. 20. Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, Westdeutscher Verlag 1973. 21. Kirchliches Naturrecht und politisches Handeln, in: Franz Böckle/E.-W. Böckenförde (Hg.), Naturrecht in der Kritik, Matthias Grünewald 1973, S. 96 – 125. 22. Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: Neue Juristische Wochenschrift 1974, S. 1529 – 1538. 23. Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, in: Diether Posser/Rudolf Wassermann (Hg.), Freiheit in der sozialen Demokratie. 4. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 6. bis 8. 6. 1975 in Düsseldorf. Dokumentation, C. F. Müller 1975, S. 69 – 76. 24. Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik, in: Neue Juristische Wochenschrift 1976, S. 2089 – 2099. 25. Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie. Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“, in: Der Staat 15 (1976), S. 457 – 483. 26. Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt, in: Reinhart Koselleck (Hg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Klett-Cotta 1977, S. 154 – 177. 27. Der Staat als Organismus. Zur staatstheoretischen Diskussion in der Vormärzzeit, in: Neue Zürcher Zeitung vom 16./17. 12. 1978, S. 61. 28. Der Staat als sittlicher Staat, Duncker & Humblot 1978, S. 9 – 40. 29. Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen, in: Neue Juristische Wochenschrift 1978, S. 1881 – 1890. 30. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und kommunale Selbstverwaltung, in: Archiv des öffentlichen Rechts 103 (1978), S. 1 – 42. 31. Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue? Sicherung der freiheitlichen Demokratie in den Formen des Rechtsstaats, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. 12. 1978, S. 9 – 10. 32. Das neue politische Engagement der Kirche. Zur „politischen Theologie“ Johannes Pauls II, in: Stimmen der Zeit 198 (1980), S. 219 – 234. 33. Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie. Zum Verhältnis von Parlamentarismus und Föderalismus unter den Bedingungen des Sozialstaates, in: Jürgen Jekewitz/ Michael Melzer/Wolfgang Zeh (Hg.), Politik als gelebte Verfassung. Aktuelle Probleme des modernen Verfassungsstaates. Festschrift für Friedrich Schäfer, Westdeutscher Verlag 1980, S. 182 – 199. 34. Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: E.-W. Böckenförde/Jürgen Jekewitz/ Thilo Ramm (Hg.), Soziale Grundrechte. Von der bürgerlichen zur sozialen Rechtsord-

Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes

251

nung. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD, 1980. Dokumentation Teil 2, C. F. Müller 1981, S. 7 – 16. 35. Ethische und politische Grundsatzfragen zur Zeit, in: Herder Korrespondenz, Heft 7, Juli 1981, S. 342 – 348. 36. Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, in: Revue européenne des sciences sociales et Cahiers Vilfredo Pareto, Tome XIX, 1981, No. 54 – 55 (Etudes en l’honneur de Julien Freund), S. 233 – 243. 37. Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel, in: Der Staat 21 (1982), S. 481 – 503. 38. Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung 1983. 39. Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft, in: Norbert Achterberg/ Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hg.), Recht und Staat im sozialen Wandel. Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Duncker & Humblot 1983, S. 317 – 331. 40. Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: Arno Buschmann/ Franz-Ludwig Knemeyer/Gerhard Otte/Werner Schubert (Hg.), Festschrift für Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag am 28. 7. 1983, Gieseking 1983, S. 7 – 19. 41. Religionsfreiheit zwischen Kirche und Staat, in: Gewissen und Freiheit 22 (1984), S. 13 – 31. 42. Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung, in: Krzysztof Michalski (Hg.), Der Mensch in den modernen Wissenschaften. Castelgandolfo-Gespräche 1983, Klett-Cotta 1985, S. 91 – 99. 43. Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, Metzner 1986. 44. Freiheit und Recht. Freiheit und Staat, in: Staatslexikon, 2. Bd. Hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, Herder 1986, Sp. 704 – 713 (unter Mitarbeit von Christoph Enders). 45. Kirche und modernes Bewußtsein, in: Moderne und Postmoderne. Civitas Resultate. Bd. 10, VCH Verlagsgesellschaft 1986, S. 103 – 129. 46. Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I – Grundlagen von Staat und Verfassung, C. F. Müller 1987, 5 22, S. 887 – 952. 47. Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts. Überlegungen zu einem Kapitel „Rechtsphilosophie“, in: Reinhard Löw (Hg.), OIKEIOSIS. Festschrift für Robert Spaemann, VCH Verlagsgemeinschaft 1987, S. 1 – 21. 48. Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Helmut Quartisch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Duncker & Humblot 1988, S. 283 – 299. 49. Die sozialen und politischen Ordnungsideen der Französischen Revolution, in: Neue Zürcher Zeitung vom 16./17. September 1989, S. 66. 50. Staat und Gesellschaft, in: Staatslexikon. Hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, Bd. 5., Herder 1989, Sp. 228 – 235. 51. Stellung und Bedeutung der Religion in einer Civil Society, in: Internationale Katholische Zeitschrift. 1989, Vol. 18, Num 6, S. 584 – 597. 52. Grundrechte als Grundsatznormen. Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 20 (1990), S. 1 – 31.

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Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes

53. Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, Carl Friedrich von Siemens-Stiftung 1990. 54. Autorität – Gewissen – Normfindung. Thesen zur weiteren Diskussion, in: Josef Römelt/ Bruno Hidber (Hg.), In Christus zum Leben befreit. Für Bernhard Häring, Herder 1992, S. 131 – 138. 55. Der Beitrag politischen Handelns zur Verwirklichung von Gerechtigkeit, in: Wilhelm Ernst (Hg.), Gerechtigkeit in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, Herder 1992, S. 149 – 173. 56. Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel, in: Peter Badura/Rupert Scholz (Hg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, C. H. Beck 1993, S. 3 – 14. 57. Die Nation – Identität in Differenz, in: Krzysztof Michalski (Hg.), Identität im Wandel. Castelgandolfo-Gespräche, Bd. VI., Klett-Cotta 1995, S. 129 – 154. 58. Staatsbürgerschaft und Nationalitätskonzepte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 86 vom 11. April 1995, S. L 32, unter dem Titel: Wer ist das Volk? 59. Christliche Werte in der Politik, in: IWM-Newsletter No. 55, Wien, Sept.–Nov. 1996, S. 4 – 5. 60. Religion im säkularen Staat, in: Universitas 51 (1996), S. 990 – 998. 61. Auf dem Weg zum Klassiker. Carl Schmitt in der Diskussion: Politische Theologie als Fluchtpunkt seines Werks, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. 7. 1997, Nr. 158, S. 35. 62. Begriff und Probleme des Verfassungsstaates, in: Rudolf Morsey/Helmut Quaritsch/Heinrich Siedentopf (Hg.), Staat, Politik, Verwaltung in Europa. Gedächtnisschrift für Roman Schnur, Duncker & Humblot 1997, S. 137 – 149. 63. Die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat, in: Merkur 2/1997, Heft 575, S. 165 – 170. 64. Recht schafft Freiheit, indem es Grenzen setzt, in: Ernst Ulrich von Weizsäcker (Hg.), Grenzen-los? Jedes System braucht Grenzen – aber wie durchlässig müssen diese sein?, Birkhäuser 1997, S. 272 – 284, unter dem Titel: Recht setzt Grenzen. 65. Welchen Weg geht Europa?, Carl Friedrich von Siemens-Stiftung 1997. 66. Die Zukunft politischer Autonomie. Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Europäisierung und Individualisierung, in: Martin Meyer/Georg Kohler (Hg.), Die Schweiz – für Europa? Über Kultur und Politik, Carl Hanser Verlag 1998, S. 63 – 90. 67. Ist die Demokratie eine notwendige Forderung der Menschenrechte?, in: Georg Lohmann/ Stefan Gosepath (Hg.), Philosophie der Menschenrechte, Suhrkamp Verlag 1998, S. 233 – 243. 68. Als Christ im Amt eines Verfassungsrichters, in: E.-W. Böckenförde/Annette Schavan (Hg.), Salz der Erde, Schwabenverlag 1999, S. 14 – 28. 69. Überlegungen zu einer Theologie des modernen säkularen Rechts. Vortrag anlässlich der Ehrenpromotion am 12. Mai 1999, in: Universitätsreden – Neue Serie – Nr. 9 der RuhrUniversität Bochum, S. 27 – 50. 70. Verfassungsgerichtsbarkeit. Strukturfragen, Organisation, Legitimation, in: Neue Juristische Wochenschrift 1999, S. 9 – 17. 71. Einführung, in: Johannes Paul II., Gewissen der Welt, Herder 2002, S. 9 – 21.

Quellenverzeichnis der übersetzten Schriften Ernst-Wolfgang Böckenfördes

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72. Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter, Mohr-Siebeck 2002. 73. Menschenwürde als normatives Prinzip, in: Juristenzeitung 58 (2003), S. 809 – 815. 74. Bedingungen der europäischen Solidarität, in: Transit. Europäische Revue 26 (2003/04), S. 16 – 28. 75. Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 49 (2004), S. 1216 – 1227. 76. Den Täter als Bürger ehren, in: FAZ Nr. 293 vom 15. 12. 2004, S. 38. 77. Sicherheit und Selbsterhaltung vor Gerechtigkeit. Der Paradigmenwechsel und Übergang von einer naturrechtlichen zur positivrechtlichen Grundlegung des Rechtssystems bei Thomas Hobbes (Jacob Burckhardt Gespräche auf Castelen, 18), Schwabe-Verlag 2004. 78. Wahrheit und Freiheit. Zur Weltverantwortung der Kirche heute, in: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern, 34. Jg., Heft 6 (2004), S. 5 – 6. 79. Warum soll man bestrafen?, in: FAZ Nr. 179 v. 4. 8. 2004, S. 30. 80. Europa und die Türkei. Die europäische Union am Scheideweg?, in: Forum Kommune 23 (2005), Heft 1, Beilage S. X – XI, XIII – XX. 81. Über die Autorität päpstlicher Lehrenzykliken am Beispiel der Äußerungen zur Religionsfreiheit, in: Theologische Quartalsschrift 186 (2006), S. 22 – 39. 82. Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, Carl Friedrich von Siemens Stiftung 2007 (2. unveränd. Aufl. 2015). 83. Woran der Kapitalismus krankt, in: „Süddeutsche Zeitung“, 24. April 2009.

Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“ I. Aufsätze 1. Kirche und Politik. Zu einigen Neuerscheinungen über das Verhalten der katholischen Kirche zum Dritten Reich, in: Der Staat 5 (1966), S. 225 – 238. 2. Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichstände, in: Der Staat 8 (1969), S. 449 – 478. 3. Planung zwischen Regierung und Parlament. Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, in: Der Staat 11 (1972), S. 429 – 458. 4. Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie. Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“, in: Der Staat 15 (1976), S. 457 – 483. 5. Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel, in: Der Staat 21 (1982), S. 481 – 503. 6. Johannes Popitz. Der Staatsbegriff als allgemeingültiger Begriff. Eine Dokumentation. Einleitung, in: Der Staat 23 (1984), S. 227 – 232. 7. Grundrechte als Grundsatznormen. Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 29 (1990), S. 1 – 31. 8. Schutzbereich, Eingriff, verfassungsimmanente Schranken – Zur Kritik gegenwärtiger Grundrechtsdogmatik, in: Der Staat 42 (2003), S. 165 – 192. 9. Was kennzeichnet das Politische und was ist sein Grund? Bemerkungen zu einer Kommentierung von Carl Schmitts „Begriff des Politischen“, in: Der Staat 44 (2005), S. 595 – 607.

II. Rezensionen 1.

Huber, Ernst Rudolf: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, 1964: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 – 1918, in: Der Staat 4 (1965), S. 502 – 505.

2.

von Stein, Lorenz: Die Verwaltungslehre. Neudruck der 1.–2. Aufl. 1866 – 1884, 8 Teile in 10. Bden., Aalen 1962, Scientia, in: Der Staat 4 (1965), S. 489 – 492.

3.

Evangelisches Staatslexikon. Hrsg. v. Hermann Kunst und Siegfried Grundmann i. V. mit Wilhelm Schneemelcher und Roman Herzog, 1966, in: Der Staat 6 (1967), S. 513 – 517.

4.

Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen-Reichsregierung. I. Von der Ratifizierung des Reichskonkordats bis zur Enzyklika ,Mit brennender Sorge‘ 1965, bearb. v. D. Albrecht, in: Der Staat 8 (1969), S. 265 – 268.

5.

Die Briefe Pius’ XII. an die deutschen Bischöfe 1939 – 1944. Hrsg. v. Burkhardt Schneider in Zusammenarbeit mit P. Blet und A. Martini. Mainz: Grünewald 1966, in: Der Staat 8 (1969), S. 265 – 268.

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Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“

6.

Leibholz, Gerhard/Rinck, Hans J.: Grundgesetz. Kommentar, 1. u. 2. Aufl. 1966, 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 1968, in: Der Staat 8 (1969), S. 533 – 536.

7.

Hennis, Wilhelm: Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Ein deutsches Problem, 1968, in: Der Staat 9 (1970), S. 533 – 536.

8.

Huber, Ernst Rudolf/Huber, Wolfgang: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reiches bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, in: Der Staat 14 (1975), S. 576 – 578.

9.

Evangelisches Staatslexikon. Begründet von Hermann Kunst und Siegried Grundmann. Hrsg. v. H. Kunst, R. Herzog, W. Schneemelcher. 2. vollständig neubearb. und erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin 1975, in: Der Staat 16 (1977), S. 413 – 415.

10. Köhler, Michael: Die Lehre vom Widerstandsrecht in der deutschen konstitutionellen Staatsrechtstheorie der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 18). Berlin 1973, Duncker & Humblot, in: Der Staat 16 (1977), S. 599 – 601. 11. Corpus Constitutionnel, Recueil universelle des constitutions en vigueur. Leyden, E. J. Brill. T. 1: Afghanistan à Brasil, 1968 – 72, T. 2, 1. Gasc: Bulgarie – Ceylon (SriLanka), 1974; Supplement No. 1: Afghanistan – Burundi, 1976, in: Der Staat 17 (1978), S. 631 – 633. 12. Huber, Ernst Rudolf/Huber, Wolfgang: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfes 1848 – 1890, Berlin 1976, in: Der Staat 17 (1978), S. 635 – 636. 13. Möser, Justus: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe in 14. Bden. Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 13: Osnabrückische Geschichte, Zweiter Teil, Dritter Teil, bearb. von Paul Göttsching. Bd. 14,1: A. Historische Aufsätze 1753 – 91 B. Historische Handschriften, bearb. von Paul Göttsching. Oldenburg/Hamburg 1971, 1976, Stalling, in: Der Staat 18 (1979), S. 629 – 631. 14. Simson, Werner v.: Die Verteidigung des Friedens. Beiträge zu einer Theorie der Staatengemeinschaft. München 1975, in: Der Staat 18 (1979), S. 283 – 285. 15. Jahrbuch des öffentlichen Rechts in der Gegenwart. NF Bd. 27. Hrsg. von Gerhard Leibholz. Tübingen 1978, in: Der Staat 19 (1980), S. 304 – 306. 16. Winkler, Heinrich August: Die Sozialdemokratie und die Revolution 1918/19. Ein Rückblick nach 60 Jahren. Berlin/Bonn 1979, in: Der Staat 19 (1980), S. 315 – 317. 17. Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, hrsg. von G. Kleinheyer und P. Mikat (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N. F., Heft 34). Paderborn/München/Wien/Zürich 1979, Schöningh, in: Der Staat 20 (1981), S. 142 – 144. 18. Ius Humanitatis. Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdroß. Hrsg. von H. Miehsler, E. Mock, B. Simma, J. Tammelo. Berlin 1980, in: Der Staat 20 (1981), S. 478 – 480. 19. Arbeiten zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Gustaf Klemens Schmelzeisen. Hrsg. von Hans-Wolf Thümmel. Stuttgart 1980, 390 S, in: Der Staat 21 (1982), S. 313 – 314. 20. Corpus Constitutionnel, Recueil universelle des constitutions en vigueur. Leyden, E. J. Brill. T. 2, 2: Chili – Coree. 1979, in: Der Staat 22 (1983), S. 316 – 317. 21. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. N. F. Bd. 29. Hrsg. v. Gerhard Leibholz. Tübingen 1980, in: Der Staat 22 (1983), S. 314 – 316.

Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“

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22. Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932 – 1944. Hrsg. u. eingel. von Klaus Scholder. Berlin 1982, Severin & Siedler, in: Der Staat 23 (1984), S. 314 – 316. 23. Huber, Ernst Rudolf/Huber, Wolfgang: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfes bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Berlin 1983, Duncker & Humblot, XXXVI, 873 S, in: Der Staat 23 (1984), S. 631 – 633. 24. Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion. Eingel. und bearb. von Rainer Salzmann (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte). Hrsg. v. Klaus Gotto u. a. (Bd. 2). Stuttgart 1981, Klett-Cotta, XLIV, 701 S, in: Der Staat 24 (1985), Heft 4, S. 635 – 636. 25. Huber, Ernst Rudolf/Huber, Wolfgang: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik. Berlin 1988, Duncker & Humblot, XLIII, 884 S, in: Der Staat 29 (1990), Heft 3, S. 441 – 444. 26. Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 – 1803. Ein biographisches Lexikon. Hrsg. v. Erwin Gatz unter Mitwirkung von Stephan M. Janker. Berlin 1990, Duncker & Humblot, XVI, 666 S, in: Der Staat 31 (1992), Heft 2, S. 319 – 320. 27. Möser, Justus: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe in 14 Bde. Hrsg. v. Akademie der Wissenschaft zu Göttingen. Bd. 11: Patriotische Phantasien und Zugehöriges. Bd. 14,2: Osnabrückische Geschichte und historische Einzelschriften Osnabrück 1988, 1990, Wenner, 485 S., 560 S, in: Der Staat 33 (1994), Heft 3, S. 486 – 488. 28. Arndt, Claus: Amt und Mandat. Ausgewählte Reden und Schriften aus drei Jahrzehnten, Bd. 3. Baden-Baden 1996, Nomos Verlag, 265 S, in: Der Staat 37 (1998), S. 653. 29. Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 – 1648. Ein biographisches Lexikon. Hrsg. v. Gatz, Erwin unter Mitwirkung von Clemens Brodkrob. Berlin 1996, Duncker & Humblot, XCVI, 871 S, in: Der Staat 37 (1998), S. 660 – 661. 30. Gatz, Erwin, unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb (Hg.), Die Bischöfe des Hl. Römischen Reiches 1198 – 1448. Ein biographisches Lexikon. Berlin, Duncker & Humblot 2001. CXCII: 926 S, in: Der Staat 41 (2002). S. 642 – 644.

III. Buchanzeigen 1.

Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946. Hrsg. von Carl Joseph Hering und Hubert Lentz a) Bd. 1 (1946/1952), Berlin 1963, in: Der Staat 4 (1956), S. 127. b) Bd. 2 (1953/1954), Bd. 3 (1955/1956), Berlin 1964/65, in: Der Staat 5 (1966), S, 267. c) Bd. 4 (1957/1958), Berlin 1966, in: Der Staat 6 (1967), S. 135 – 136. d) Bd. 5 (1959/1961), Berlin 1967, in: Der Staat 8 (1969), S. 542. e) Bd. 6 (1962/1963), Berlin 1969, in: Der Staat 9 (1970), S. 547. f) Bd. 7 (1964/1965), Berlin 1970, in: Der Staat 11 (1972), S. 575. g) Bd. 8 (1966), Bd. 9 (1967), Bd. 10 (1968/69), Berlin/New York 1971 – 74, in: Der Staat 15 (1976), S. 149 – 150.

2.

Bachof, Otto: Verfassungsrecht, Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Teil 1 und 2, Tübingen 1963, Mohr, in: Der Staat 3 (1964), S. 126 – 127.

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Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“

3.

Dahm, Georg: Deutsches Recht. Die geschichtlichen und dogmatischen Grundlagen des geltenden Rechts. 2. neubearb. Aufl., Stuttgart 1963, Kohlhammer, in: Der Staat 3 (1964), S. 260.

4.

Viehweg, Theodor: Topik und Jurisprudenz, 2. durchgesehene Aufl., München 1963, Deck, in: Der Staat 3 (1964), S. 517.

5.

Conrad, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, Frühzeit und Mittelalter. 2. neubearb. Aufl., Karlsruhe 1962, C. F. Müller, in: Der Staat 4 (1965), S. 127 – 128.

6.

Meisner, Heinrich Otto: Verfassung, Verwaltung, Regierung in neuerer Zeit. Sitzungsber. der Deutschen Akademie der Wissenschaft zu Berlin, Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Jg. 1962, Nr. 1, Berlin 1962, in: Der Staat 4 (1965), S. 128.

7.

Fuller, J. F. C.: Die entartete Kunst, Krieg zu führen 1789 – 1961. Köln 1964, Verlag Wissenschaft und Politik, in: Der Staat 4 (1965), S. 524.

8.

Verdross, Alfred: Abendländische Rechtsphilosophie. Ihre Grundlagen und Hauptprobleme in geschichtlicher Schau. 2. erw. und neubearb. Aufl. Wien 1963, Springer, in: Der Staat 4 (1965), S. 391 – 392.

9.

Hochschulrechtliche Aufsätze. Aus der Festschrift für Hermann Jahrreiß. Hrsg. von Carl Carstens und Hans Peters. Köln, Berlin, Bonn, München 1965, in: Der Staat 5 (1966), S. 541.

10. Miller, Susanne: Das Problem der Freiheit im Sozialismus. Freiheit, Staat und Revolution in der Programmatik der Sozialdemokratie von Lassalle bis zum Revisionismus, Frankfurt 1964, in: Der Staat 5 (1966), S. 401. 11. Bussmann, Walter: Otto v. Bismarck: Geschichte – Staat – Politik. Institut für Europäische Geschichte Mainz; Vorträge Nr. 43, Wiesbaden 1966, Steiner, in: Der Staat 6 (1967), S. 268. 12. Civitas. Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung. Hrsg. vom Heinrich Pesch-Haus, Mannheim (ab Bd. 8 Jahrbuch für Sozialwissenschaften). a) Bd. 3 (1964), Bd. 4 (1965), in: Der Staat 6 (1967), S. 403. b) Bd. 5 (1966), Bd. 6 (1967), in: Der Staat 7 (1968), S. 541 – 542. c) Bd. 7 (1968), Bd. 8 (1969), Bd. 9 (1970), in: Der Staat 11 (1972), S. 283. d) Bd. 10 (1971), Bd. 11 (1972), in: Der Staat 12 (1973), S. 578. e) Bd. 12 (1973), in: Der Staat 15 (1976), S. 144. 13. Hauriou, Maurice: Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze. Übers. aus dem Französischen von Hans und Jutta Jecht. Mit Einleitung und Bibliographie. Hrsg. von Roman Schnur. Schriften zur Rechtstheorie, Heft 5, Berlin 1965, Duncker & Humblot, in: Der Staat 6 (1967), S. 402. 14. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart N. F. Bd. 15. Hrsg. von G. Leibholz, Tübingen 1966, Mohr, in: Der Staat 6 (1967), S. 537 – 538. 15. Maier, Hans: Revolution und Kirche. Studien zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie (1789 – 1901), 2. erw. Aufl., Freiburg 1965, Rombach, in: Der Staat 6 (1967), S. 135. 16. Taschenbuch für Wehrfragen 1966/67. Hrsg. von Hans Edgar Jahn, Jurt Neher und Lothar Roshe, 6. Jg., Frankfurt/M. 1966, Soldat und Technik im Vonschau-Verlag XVI, in: Der Staat 6 (1967), S. 408. 17. Rundfunkgesetze. Textsammlung, bearb. von Günter Herrmann, Köln 1966, Heymann, in: Der Staat 6 (1967), S. 539.

Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“

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18. Etudes en droit comparé. Essays in comparative law, ed. by Zoltón Petéri, Budapest 1966, in: Der Staat 7 (1968), S. 132 – 133. 19. Gedächtnisschrift Hans Peters. Hrsg. von H. Conrad, H. Jahrreiß, P. Mikat, H. Mosler, H. C. Nipperdey, E. Salzwedel, Berlin 1967, Springer, in: Der Staat 7 (1968), S. 402. 20. Randelzhofer, Albrecht: Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1946, Berlin 1967, Duncker & Humblot, in: Der Staat 8 (1969), S. 541 – 542. 21. Bornhak, Conrad: Deutsche Verfassungsgeschichte vom Westfälischen Frieden an, Stuttgart 1934, Enke. Nachdruck Aalen 1968, Scientia, in: Der Staat 9 (1970), S. 430. 22. Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte. Hrsg. von E. R. Huber. Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966, Kohlhammer, in: Der Staat 9 (1970), S. 284. 23. Gesellschaft und Herrschaft. Forschungen zu sozial- und adelsgeschichtlichen Problemen vornehmlich in Bayern. Festgabe für Karl Bosl zum 60. Geburtstag, München 1969, Beck, in: Der Staat 9 (1970), S. 567. 24. Peters, Hans: Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung. Bearb. von J. Salzwedel und G. Erbel, Berlin, Heidelberg, New York 1969, Springer XIV, in: Der Staat 9 (1970), S. 570 – 571. 25. Rürup, Reinhard: Probleme der Revolution in Deutschland 1918/19, Wiesbaden 1968, in: Der Staat 9 (1970), S. 567. 26. Schmitthemmer, Friedrich: Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechts (Zwölf Bücher vom Staate, oder systematische Encyklopädie der Staatswissenschaften, 3. Bd.), Gießen 1845. Fotomechanischer Nachdruck: Hamburger Öffentlich-rechtliche Nebenstunden, hrsg. von H. Krüger, Bd. 12, Frankfurt 1966, Metzner, in: Der Staat 9 (1970), S. 430 – 431. 27. Festschrift für Adolf J. Merkl zum 80. Geburtstag. Hrsg. von M. Imboden, F. Koja, K. Ringhofer, R. Walter, München, Salzburg 1970, Fink, in: Der Staat 10 (1971), S. 429. 28. Bosl, Karl: Franken um 800. Strukturanalyse einer fränkischen Königsprovinz. 2. erw. Aufl., München 1969, C. H. Beck, in: Der Staat 11 (1972), S. 143. 29. Mayer-Scheu, Hans-Josef: Grundgesetz und Parität von Kirchen und Religionsgemeinschaften, Mainz 1970, v. Hase und Koehler, in: Der Staat 11 (1972), S. 141. 30. Spranger, Eduard: Staat, Recht und Politik. Hrsg. von H. J. Meyer (Gesammelte Schriften, Bd. 8), Tübingen 1970, Niemeyer, in: Der Staat 11 (1972), S. 281. 31. Konkretionen politischer Theorie und Praxis. Festschrift für Carlo Schmid zum 75. Geburtstag. Hrsg. von A. Arndt, H. Ehmke, J. Fetscher und O. Massing, Stuttgart 1972, Klett, in: Der Staat 12 (1973), S. 138. 32. Stein, Lorenz: Proletariat und Gesellschaft. Hrsg., eingeleitetet und kommentiert von M. Hahn, München 1971, Fink, in: Der Staat 12 (1973), S. 139. 33. Suerbaum, Werner: Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff. 2. durchges. und erw. Aufl., Münster 1970, Aschendorff, in: Der Staat 12 (1973), S. 285. 34. Festschrift für Karl Michaelis zum 70. Geburtstag am 21. Dez. 1970. Hrsg. von Hans-Martin Pawlowski und Franz Wieacker, Göttingen 1972, Vandenhoek & Ruprecht, in: Der Staat 12 (1973), S. 577. 35. „Demokratisierung“ und Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Vorträge und Diskussionen auf der verwaltungswissenschaftlichen Fachtagung der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften in Regensburg vom 10.–12. Oktober 1973. Hrsg. von H.-J. Oertzen, Stuttgart 1974, in: Der Staat 13 (1974), S. 602 – 603.

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Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“

36. Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag. Hrsg. von G. Paulus, U. Diederichsen, C.W. Canaris, München 1973, Beck, in: Der Staat 13 (1974), S. 301. 37. Kruedener, Jürgen Freiherr v.: Die Rolle des Hofs im Absolutismus. Stuttgart 1973, Fischer, in: Der Staat 13 (1974), S. 150 – 151. 38. Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag. Hrsg. von A. Hollerbach, W. Maihofer, Th. Würtenberger, Frankfurt 1972, in: Der Staat 13 (1974), S. 301. 39. Öffentliches Recht und Politik. Festschrift für Hans-Ulrich Scupin zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Norbert Achterberg, Berlin 1973, Duncker & Humblot, in: Der Staat 13 (1974), S. 601. 40. Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag. Hrsg. von H. Schneider und V. Götz, Berlin 1974, Duncker & Humblot, in: Der Staat 14 (1975), S. 296 – 297. 41. Interessenjurisprudenz. Hrsg. von G. Ellscheid und W. Hassemer (Wege der Forschung, Bd. CCCXLV), Darmstadt 1974, Wiss. Buchgesellschaft, in: Der Staat 14 (1975), S. 151. 42. Päpstliche Verlautbarungen zu Staat und Gesellschaft. Originaldokumente mit dt. Übersetzung. Hrsg. und eingeleitet von Helmut Schnatz (Texte zur Forschung, Bd. 12), Darmstadt 1973, Wiss. Buchgesellschaft, in: Der Staat 14 (1975), S. 608. 43. Valkhoff, Johan: Recht, Mensch und Gesellschaft. Zur Transformation gesellschaftlicher Kräfte in Rechtsnormen (Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung: Hrsg. von E. E. Hirsch und M. Rehbinder, Bd. 27). Berlin 1972, Duncker & Humblot, in: Der Staat 14 (1975), S. 453. 44. Hollerbach, Alexander: Neuere Entwicklungen des kath. Kirchenrechts (Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, H. 118), Karlsruhe 1974, in: Der Staat 15 (1976), S. 145. 45. Reich, Norbert/Reichel, Hans-Christian: Einführung in das sozialistische Recht (JUSSchriftenreihe, Heft 37), München 1975, in: Der Staat 15 (1976), S. 602. 46. Dokumente des geteilten Deutschlands. Quellentexte zur Rechtslage des Deutschen Reiches, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 2, seit 1968. Mit einer Einführung. Hrsg. von J. v. Münch unter Mitarbeit von O. Rojahn. Stuttgart 1975, in: Der Staat 16 (1977), S. 148. 47. Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Hrsg. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marré, Bd. 10, Münster 1976, in: Der Staat 16 (1977), S. 463. 48. Kirche und Staat. Fritz Eckert zum 65. Geburtstag. Hrsg. von H. Schambeck, Berlin 1976, Duncker & Humblot, in: Der Staat 16 (1977), S. 612. 49. Ordnung im sozialen Wandel. Festschrift für Johannes Messner zum 85. Geburtstag. Hrsg. von A. Klose, H. Schambeck, R. Weiler, V. Szifkovits, Berlin 1976, in: Der Staat 16 (1977), S. 149. 50. Recht im Dienst des Friedens. Festschrift für Eberhard Menzel zum 65. Geburtstag am 21. 1. 1976. Hrsg. von J. Delbrück, K. D. Rauschning, Berlin 1975, Duncker & Humblot, in: Der Staat 16 (1977), S. 457. 51. Völkerrecht als Rechtsordnung. Grundlagen und Quellen. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 36 (1976), H. 1 – 3, Stuttgart 1976, Kohlhammer, in: Der Staat 16 (1977), S. 457 – 458. 52. Drath, Martin: Rechts- und Staatslehre als Sozialwissenschaft. Gesammelte Schriften über eine soziokulturelle Theorie des Staates und des Rechts. Hrsg. und eingeleitet von Ernst E. Hirsch, Berlin 1977, Duncker & Humblot, in: Der Staat 17 (1978), S. 637 – 638.

Veröffentlichungen Ernst-Wolfgang Böckenfördes in „Der Staat“

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53. Öffentlicher Dienst. Festschrift für C. H. Ule zum 70. Geburtstag am 26. 2. 1972. Hrsg. von K. König, H. W. Laubinger, F. Wagner, Köln, Berlin, Bonn, München 1977, in: Der Staat 17 (1978), S. 158. 54. Annuaire Suisse de science politique. Schweizer Jahrbuch für Politische Wissenschaft. Redaktion Raimund E. Germann, Bd. 16 (1976), 17 (1977), 18 (1978), Bern 1976 – 78, in: Der Staat 18 (1979), S. 643 – 644. 55. Gedächtnisschrift für Friedrich Klein. Hrsg. von Dieter Wilke und Harald Weber, München 1977, in: Der Staat 18 (1979), S. 315 – 316. 56. Lieberwirth, Rolf: Der Staat als Gegenstand des Hochschulunterrichts in Deutschland vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Sitzungsbericht der sächs. Akademie der Wiss., Phil.-hist. Klasse, Bd. 120, Heft 4), Berlin 1978, in: Der Staat 19 (1980), S. 482 – 483. 57. Winkler, Günther: Orientierungen im öffentlichen Recht. Ausgewählte Abhandlungen (Forschungen aus Staat und Recht 46), Wien, New York 1979, in: Der Staat 19 (1980), S. 323 – 324. 58. Arbeiten zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Gustaf Klemens Schmelzeisen. Im Auftrag der Karlsruher Geistes- und Sozialwiss. Fakultät hrsg. von Hans-Wolf Thümmel, Stuttgart 1980, in: Der Staat 21 (1982), S. 313 – 314. 59. Püttner, Günther: Staatsverschuldung als Rechtsproblem. Ein verfassungsrechtliches Plädoyer gegen die Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte (Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft e. V., Berlin, Heft 66), Berlin, New York 1980, in: Der Staat 21 (1982), S. 156 – 157. 60. Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus. Vorträge auf der Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland vom 11. u. 12. Oktober 1982 in Berlin (West). Hrsg. von H. Rottleuthner. Wiesbaden 1983, in: Der Staat 23 (1984), S. 475. 61. Vezina, Birgit: Die „Gleichschaltung“ der Universität Heidelberg im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung (Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, N. F. 32). Heidelberg 1982, Winter, in: Der Staat 23 (1984), S. 476. 62. Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 – 1945. Ein biographisches Lexikon. Hrsg. von Erwin Gatz, Berlin 1983, Duncker & Humblot, in: Der Staat 24 (1985), S. 643. 63. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. N. F. Bd. 32. Hrsg. von Peter Häberle, Tübingen 1983, Mohr, in: Der Staat 24 (1985), S. 642. 64. Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag. Hrsg. von H. Avenarius, H. Engelhardt, H. Heußner und F. v. Zezschwitz, Bad Homburg v.d.H. 1983, Gehlen XI, in: Der Staat 25 (1986), S. 641.

Nachrufe und Würdigungen für Ernst-Wolfgang Böckenförde (Auswahl) Blogs und Online-Veröffentlichungen Bundesverfassungsgericht (2019): Der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Ernst-Wolfgang Böckenförde ist verstorben. Pressemitteilung Nr. 14/ 2019, 25. 2, 2019, online unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Presse mitteilungen/DE/2019/bvg19-014.html (Abruf: 12. 12. 2019). Enders, Christoph (2019): Die Menschenwürde als normatives Prinzip – und ihre Bedeutung für den Embryonenschutz, in: Verfassungsblog, 07. 05. 2019, online unter: https://verfassungsb log.de/die-menschenwurde-als-normatives-prinzip-und-ihre-bedeutung-fur-den-embryonen schutz/ (Abruf: 05. 12. 2019). Gosewinkel, Dieter (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde: Historisierung als Schlüssel zum Verständnis des Verfassungsstaates, in: Verfassungsblog, 10. 05. 2019, online unter: https://verfassungsblog.de/ernst-wolfgang-boeckenfoerde-historisierung-als-schluessel-zumverstaendnis-des-verfassungsstaates/ (Abruf: 05. 12. 2019). Guenther, Frieder (2019): Etatischer Nachklang. Ernst-Wolfgang Böckenförde und die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Verfassungsblog, 06. 05. 2019, online unter: https://verfas sungsblog.de/etatistischer-nachklang-ernst-wolfgang-boeckenfoerde-und-die-bundesdeut sche-staatsrechtslehre/ (Abruf: 05. 12. 2019). Hong, Mathias (2019): Böckenförde, der Ausnahmezustand und Carl Schmitt: Was Böckenförde von Schmitt gelernt hat – und was Schmittianer von Böckenförde lernen sollten, in: Verfassungsblog, 09. 05. 2019, online unter: https://verfassungsblog.de/boeckenfoerde-der-aus nahmezustand-und-carl-schmitt-was-boeckenfoerde-von-schmitt-gelernt-hat-und-was-schmit tianer-von-boeckenfoerde-lernen-sollten/ (Abruf: 05. 12. 2019). Institut für die Wissenschaft vom Menschen (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930 – 2019). His deep commitment to the IWM and the afterlife of his dictum, online unter: https://www. iwm.at/the-institute/news/ernst-wolfgang-bockenforde-1930-2019/ (Abruf: 11. 12. 2019). Jouanjan, Olivier (2019): Mort du constitutionnaliste allemande, Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Le Monde online, 05. 03. 2019, online unter: https://www.lemonde.fr/disparitions/article/ 2019/03/05/mort-du-constitutionnaliste-allemand-ernst-wolfgang-bockenforde_5431651_ 3382.html (Abruf: 11. 12. 2019). Künkler, Mirjam/Stein, Tine (2019): Denker des Staates und der Freiheit, Verfechter des Bürgerethos. Ein Nachruf auf Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Theorieblog, 13. 03. 2019, online unter: https://www.theorieblog.de/index.php/tag/ernst-wolfgang-boeckenfoerde/ (Abruf: 28. 11. 2019).

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Nachrufe und Würdigungen für Ernst-Wolfgang Böckenförde

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Tageszeitungen und Wochenzeitungen Barley, Katarina (2019): Rechtsstaatliche Prinzipien werden offen in Frage gestellt, in: FAZ, 28. 02. 2019, Nr. 50 (2019). Geyer, Christian (2019): Kein Herbergsvater des Gemeinwesens, in: FAZ, 27. 02. 2019, Nr. 49 (2019), S.11.

Nachrufe und Würdigungen für Ernst-Wolfgang Böckenförde

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Hauser, Thomas (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde war ein streitbarer Anwalt der Demokratie, in: Badische Zeitung, 25. 02. 2019, online unter: https://www.badische-zeitung.de/ ernst-wolfgang-boeckenfoerde-war-ein-streitbarer-anwalt-der-demokratie-167114394.html (Abruf: 11. 12. 2019). Heinemann, Patrick (2019): Wagnis der Freiheit oder Tyrannei der Werte? Was uns Ernst-Wolfgang Böckenförde mit Carl Schmitt zu sagen hatte, in: Stimmen der Zeit, Heft 6/ Nr. 144 (2019), S. 451 – 458. Müller, Reinhard (2019): Richter und Lehrer des Verfassungsstaates, in: FAZ Einspruch, 05. 03. 2019, online unter: https://www.faz-biblionet.de/faz-portal/document?uid=FAZE__fazein_ 215595&token=bf441ded-ff15-4161-a9b3-2fd8ddb451db&p._scr=faz-archiv&p.q=b% C3%B6ckenf%C3%B6rde&p.source=&p.max=10&p.sort=&p.offset=20&p._ts= 1576156620123&p.DT_from=24. 02.2019&p.timeFilterType=0 (Abruf: 05. 12. 2019). Prantl, Heribert (2019): Der Grundgesetzliche, in: Süddeutsche Zeitung, 25. 02. 2019, online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/nachruf-der-grundgesetzliche-1.4345184 (Abruf: 05. 12. 2019). von Thadden, Elisabeth (2019): Sein Satz macht Geschichte, in: Die Zeit, 28. 02. 2019, Nr. 10 (2019).

Juristische Zeitschriften Büchler, Frieder (2019): Erinnerungen an einen Auer Bürger, in: Der Staat 58 (2019), S. 461 – 463. Gosewinkel, Dieter (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde – ein deutscher Jurist von europäischer Strahlkraft, in: JuristenZeitung, Jahrgang 74 (2019), Heft 11, S. 553 – 554. Grawert, Rolf (2019): Editorial. In Memoriam Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat, 58 (2019), S. 161 – 170 Langendörfer, Hans (2019): Worte zum Abschied, in: Der Staat 58 (2019), S. 457 – 459. Maier, Hans (2019): Schonzeiten, Kirchenärger, Kopftücher – Erinnerungen an Gespräche mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat 58 (2019), S. 471 – 473. Masing, Johannes (2019): Es zählte nur das Argument, in: Der Staat 58 (2019), S. 435 – 439. Mehring, Reinhard (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930 – 2019) – Bürger, Gründer, Richter. Ein Nachruf, in: Recht und Politik 55 (2019), S. 305 – 308. Meier, Heinrich (2019): Eine Erinnerung an Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat 58 (2019), S. 481 – 484. Poscher, Ralf (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde an der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät, in: Der Staat 58 (2019), S. 445 – 449. Rennert, Klaus (2019): Böckenförde als Verfassungsrichter – ein Werkstattbericht, in: Der Staat 58 (2019), S. 475 – 479. Schlink, Bernhard (2019): Der Lehrer Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat 58 (2019), S. 441 – 444.

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Nachrufe und Würdigungen für Ernst-Wolfgang Böckenförde

Steiger, Heinhard (2019): Münster in den späten 1950er Jahren: Mit Ernst-Wolfgang Böckenförde auf Reisen, in: Der Staat 58 (2019), S. 465 – 469. Voßkuhle, Andreas (2019): Ernst-Wolfgang Böckenförde als Verfassungsrichter, in: Der Staat 58 (2019), S. 451 – 456.

Interviews Kirchen sind unverzichtbar für demokratische Grundordnung, Gespräch mit Paul Kirchhof, in: pro, 02. 03. 2019, online unter: https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/gesellschaft/ 2019/03/02/kirchen-sind-unverzichtbar-fuer-demokratische-grundordnung/ (Abruf: 12. 12. 2019). Zum Tod des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde. Gespräch mit Christoph Möllers, in: Deutschlandfunk. Kultur heute, Sendung am 26. 02. 2019, online unter: https://www.deutschlandfunk.de/kultur-heute.690.de.html?drbm:date=2019 - 02 - 26 (Abruf: 12. 12. 2019).

Würdigungen Ehlers, Dirk (2001): Laudatio auf Herrn Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, David Edward und Erich Schumann: Grundrechte in Deutschland und Europa. Reden zur Ehrenpromotion in Münster. Münster/Hamburg/London: LIT Verlag, S. 3 – 9. Gauck, Joachim (2005): Welche Art von Neutralität wollen wir? Laudatio auf Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Festschrift zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken 2004 an Ernst-Wolfgang Böckenförde. Berlin/Bremen, S. xxiv-xxvi, online unter: www. hannah-arendt-preis.de/wp-content/uploads/2019/05/Festschrift_Arendt_2004.pdf (Abruf: 12. 12. 2019). Gauck, Joachim (2016): Rede anlässlich der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband an Ernst-Wolfgang Böckenförde, online unter: www.bundespraesident.de/ SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2016/04/160429-Ordensverleihung-Boecken foerde.html (Abruf: 12. 12. 2019). Gosewinkel, Dieter (2011): Laudatio, in: Johannes Masing und Joachim Wieland (Hg.): Menschenwürde – Demokratie – Christliche Gerechtigkeit. Tagungsband zum Festlichen Kolloquium aus Anlass des 80. Geburtstags von Ernst-Wolfgang Böckenförde. Berlin: Duncker & Humblot, S. 75 – 84. Grawert, Rolf (2005): Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 75. Geburtstag, in: Archiv des öffentlichen Rechts 130(3), S. 345 – 349. Jestaedt, Matthias (2010): Glückwunsch. Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 80. Geburtstag, in: JuristenZeitung (JZ) 65(18), S. 890 – 892. Limbach, Jutta (2002): Laudatio zum 70. Geburtstag für Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Rainer Wahl und Joachim Wieland (Hg.): Das Recht des Menschen in der Welt. Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstages von Ernst-Wolfgang Böckenförde. Berlin: Duncker & Humblot, S. 9 – 13.

Nachrufe und Würdigungen für Ernst-Wolfgang Böckenförde

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Lübbe-Wolff, Gertrude (1999): Laudatio auf Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde anlässlich der Verleihung des Ehrendoktortitels in der Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. Mieth, Dietmar (2005): Laudatio, in: Theologische Quartalschrift 186(1). Thematisches Heft: „Dokumentation der Ehrenpromotion von Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde an der Universität Tübingen“, S. 9 – 12, online unter: www.digizeitschriften.de/download/urn:nbn: de:bsz:21-dt-94893/urn:nbn:de:bsz:21-dt-94893___log00010.pdf (Abruf: 12. 12. 2019). Möllers, Christoph (2010): Römischer Konziliarismus und politische Reform. Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 80. Geburtstag, in: Zeitschrift für Ideengeschichte Heft IV, 3, S. 107 – 114, online unter: www.z-i-g.de/pdf/ZIG_3_2010_moellers.pdf (Abruf: 12. 12. 2019). Pottmeyer, Hermann Josef (1999): Laudatio, in: Ehrenpromotion zum Dr. theol. Ernst-Wolfgang Böckenförde. Eine Dokumentation des Festaktes vom 12. Mai 1999. Ruhr-Universität Bochum, S. 21 – 26. Scheuer, Ulrich (1971): Laudatio auf Ernst-Wolfgang Böckenförde anlässlich der Aufnahme in die Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaft. In Mitteilung 1971/II der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaft in der 166. Sitzung am 17. 3. 1971. Schlink, Bernhard (2012): Laudatio auf Ernst-Wolfgang Böckenförde anlässlich der Verleihung des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa, online unter: www.deutscheakade mie.de/de/auszeichnungen/sigmund-freud-preis/ernst-wolfgang-boeckenfoerde/laudatio (Abruf: 12. 12. 2019). Stein, Tine (2005): Religions- und Gewissensfreiheit als zwingendes Recht. Laudatio auf ErnstWolfgang Böckenförde, in: Festschrift zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken 2004 an Ernst-Wolfgang Böckenförde. Berlin/Bremen, S. xxii-xxiii, xxvi, online unter: www.hannah-arendt-preis.de/wp-content/uploads/2019/05/Festschrift_Arendt_ 2004.pdf (Abruf: 12. 12. 2019). Teufel, Erwin (2004): Laudatio auf Ernst-Wolfgang-Böckenförde zum Anlass der Verleihung des Romano-Guardini-Preises, in: Zur Debatte – Themen der Katholischen Akademie in Bayern, Heft 6/2004, S. 2 – 4. Weigelt, Willi (1978): Laudatio auf Ernst-Wolfgang-Böckenförde anlässlich der Verleihung des Reuchlin-Preises. Skript (24 Seiten im Format A5) in der Akte, Bestand Kulturamt Pforzheim, B41 – 143.