Katharsis: Reinigung als Heilverfahren: Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum 9783666252334, 3525252331, 9783525252338

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Katharsis: Reinigung als Heilverfahren: Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum
 9783666252334, 3525252331, 9783525252338

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V&R

Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 135

Vandenhoeck & Ruprecht

Fortunat Hoessly

Katharsis: Reinigung als Heilverfahren Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Christoph Riedweg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hoessly, Fortunat: Katharsis : Reinigung als Heilverfahren ; Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum / Fortunat Hoessly. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Hypomnemata; Bd. 135) Zugl.: Zürich, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-525-25233-1

© 2001, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Internet: http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Hubert & Co., Göttingen. Einbandkonzeption: Markus Eidt, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbestandigem Papier.

Inhalt Vorwort

9

Einleitung

11

Teil I: Reinigung bei Homer

15

1. Vokabular der Reinigung

17

1.1.

KaÖaipeiv,

6KKa0aipeiv, KaGapös

1 . 2 . Vl£iO, dtTOviCü), x e p W l K X e P y L T T T O f l a i , T T o S a v i T T T p o v

1.3. Xoixj, XoeTpoi», XoeTpoxöos 1.4. Die übrigen Wörter der Reinigung 2. Profane Anlässe der Reinigung 2.1. Reinigung im Rahmen der Kojn8r| 2.2. Reinigung des Gastes 2.3. Reinigung nach dem Kampf 2.4. Reinigung vor der Mahlzeit 2.5. Reinigung zu kosmetischen Zwecken

17 20

21 23 28 28 29 32 33 35

3. Religiöse Anlässe der Reinigung 3.1. Reinigung als Zutritt zum Heiligen 3.2. Reinigung von Befleckung 3.2.1. Befleckung in nachhomerischer Zeit 3.2.2. Reinigung von Befleckung in nachhomerischer Zeit 3.2.3. Befleckung und Reinigung bei Homer? 3.2.3.1. Die Divergenz unter den Forschern 3.2.3.2. Stellungnahme zum Forschungsstreit 3.2.4. Reinigung von Krankheit bei Homer 3.2.4.1. Reinigung bei der Behandlung traumatischer Krankheiten 3.2.4.2. Reinigung zur Behandlung nichttraumatischer Krankheiten

37 37 44 44 52 56 56 68 81 82 90

Teil II: Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

97

1. Die mythologischen Beispiele: Orestes als jiiapös und Melampus als Ka0apni?

99

Inhalt

6

1.1. Orestes: das mythische Beispiel für Reinigung von Mord und Wahnsinn. 99 1.1.1. Orestes bei Homer: Vorbild für den racheübenden, pflichtbewussten Sohn 99 1.1.2. Orestes in nachhomerischer Zeit: Befleckung und Reinigung 104 1.1.2.1. Orestes bei Stesichoros: Verfolgung durch die Erinyen 104 1.1.2.2. Orestes bei Aischylos: Wahnsinn und Verfolgung durch die Erinyen, Reinigung und Freispruch vor dem Areopag 108 1.1.2.2.1. Choephoroi 108 1.1.2.2.2. Eumeniden 121 1.1.2.3. Euripides Orestes: Die Paranoia des Muttermörders 132 1.1.2.4. Orestes und die Choen 143 1.1.2.5. Ausserattische Reinigungen des Orestes 145 1.2. Melampus, das mythische Exempel für den KaGapTiis 149 1.2.1. Melampus bei Hesiod, Bakchylides, Pherekydes: Heilung durch Seherkunst? 149 1.2.2. Melampus als KaGapTTi? 152 1.2.2.1. Melampus bei Apollodoros u.a.: Reinigung durch dionysische Katharsis und Reinigung durch Blut 152 1.2.2.2. Melampus bei Theophrast u.a.: Reinigung durch "Abführung" und Nieswurztherapie 155 1.2.2.3. Melampus bei Diphilos: Der lächerliche KaGapTiis 162 1.3. Exkurs: Kathartische Räucherungen in Griechenland und Babylonien.... 164 2. Die grossen laTpop.avT€is u n d KaGapTai der archaischen Zeit 2.1. Legendäre apollinische Reinigungspriester: Bakis, Thaletas, Abaris 2.2. Epimenides 2.3. Pythagoras und die Pythagoreer 2.4. Empedokles 3. Rituelle Kaöapais als Heilverfahren im5./4. Jhd. v. Chr

173 173 175 181 188 198

3 . 1 . 'Op4>eoTeXeCTTai

198

3.2. 3.3. 3.4. 3.5.

211 224 229

Dionysische raGapcus und (orphisch-) bacchische Mysterien Korybantische icdGapcris KaGap(j.6s in den Aischines-Mysterien Die |idyoL re Kai KaGapTai Kai ayüpTai Kai dXaCöves in der hippokratischen Schrift Ilepl Lepfjs VOÜCTOU 3.5.1. Text (Morb. Sacr. Kap. 1) 3.5.2. Zu den n.dyoi Te Kai KaGapTai Kai ayüpTai Kai dXa£6ves 3.5.3. Das Verhältnis des hippokratischen Autors zu den [idyoi KTX

Teil III: KctOapais im Corpus Hippocraticum

232 232 236 241

245

1. Überblick über den Gebrauch der KdGapais im Corpus H i p p o c r a t i c u m

247

1.1. Einleitung

247

Inhalt

1.2. Kd9apCTis als äussere Reinigung der Wunde 1.3. KdGapCTL? als innere Reinigung, "Entleerung" 1 . 3 . 1 . KdÖapais Tf)S Ä V W KOIXLT|S 1.3.2. KdGapCTis KQTÜJ 1.3.3 KdGapcns Tfjs KecjjaXfj? 1.3.4. KdTà KÌICTTII» KdöapCTis 1 . 3 . 5 . KaOapai? TOC TrnjapaTOS / K«0apcjis T W I ; ÒTTO TTXeùpouos / di/aKa9aip€LV 1.3.6. KXUCTJKH, TTupiai 1.3.7. KaOapais TWI» émpriviui;, Kdöapais xopicov, KaOapais TWV XoxeLwv, KaGapCTLs Tfjs pfiTpris 1.3.8. Kaöapais durch Gymnastik: KaGapats ÜTTO TOÖ Trvei>p.aTos 1 . 3 . 9 KaGapcris durch Schwitzen: K D Ö A P A L S 8 I D TOÖ X P ^ T Ó S 1.3.10. Kaöapcus ohne Ausscheidungen: Kdöapcus èm aicéXea

7

248 251 2 5 2

252 253 254 254 258 258 262 2 6 3

264

2. Z u s a m m e n h ä n g e zwischen der medizinischen «dGapcns u n d der aussermedizinischen /religiösen Kdöapais

265

2.1. Die Problemstellung 265 2.2. Sprachliche Zusammenhänge zwischen der internistischen Kaöapais und der aussermedizinischen / religiösen Kdöapcns 265 2.2.1. Anlehnung der syntaktischen Verwendung von internistischem Kaöaipeiv an die aussermedizinische (homerische) Sprache 265 2.2.2. Semantische Analyse des Gebrauchs von internistischem KaGaipeiv im CH 267 2 . 2 . 3 . Übereinstimmungen zwischen der Sprache der medizinischen Kathartik und der religiösen Kathartik 270 2.3 Eine inhaltliche Parallele zur religiösen Kathartik: Die Vorstellung von der Enstehung von Krankheit durch in.dap.aTa 274 2.4. nepl 8iaÌTr|s ò£éiov: Kritik an der unzulänglichen Therapie der Verfasser der "Knidischen Sentenzen" und der dpxaloi 278 2.5. Zur Stellung der KdGapcas in den frühen "knidischen" Schriften: Morb.II..283 2.6. Zur Stellung der KdOapais in den frühen "knidischen" Schriften: Mul. A..293 2.7. Vict. IV: Reinigung und Traumdeutung 298 2.8. Bilanz: Ist die internistische raSapcus aus der religiösen entstanden? 310

Zusammenfassung

315

Abkürzungen und Literaturverzeichnis

,321

Vorwort RI

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oi K O U i K A

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Das vorliegende Buch ist die für die Veröffentlichung vorgesehene und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Dezember 1997 an der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich angenommen wurde. Die Arbeit an der Dissertation und am Buch erstreckte sich über viele Jahre, da sie neben meiner vollamtlichen Tätigkeit als Griechisch- und Lateinlehrer am Gymnasium geleistet werden musste. Insbesondere möge der Leser nicht an der Tatsache Anstoss nehmen, dass das Buch kein Register aufweist. Denn einerseits hat sich die Situation der Alten Sprachen an den Gymnasien in der Schweiz in den letzten Jahren so katastrophal verschlechtert, dass sie den Lehrkräften an der Basis den höchsten Einsatz abverlangt, der ihnen das wissenschaftliche Arbeiten neben ihrer beruflichen Tätigkeit fast verunmöglicht. Andererseits sollten es das ausführliche Inhaltsverzeichnis und die vielen Verweise in den Anmerkungen dem Leser ermöglichen, sich leicht im Buch zurechtzufinden. Das Manuskript war im Mai 2000 abgeschlossen. Spätere Literatur konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Es bleibt mir noch Dank zu sagen: Herrn Prof. Dr. Walter Burkert für die stets anregende Betreuung der Arbeit; den Herausgebern für die Aufnahme des Werkes in die Reihe „Hypomnemata", insbesondere Herrn Prof. Dr. Christoph Riedweg, der mir zusätzlich viele Ratschläge gegeben und Verbesserungsvorschläge gemacht hat, die mich vor manchem Irrtum bewahrt haben; Frau Dr. Blech und ihrem Team im Vandenhoeck & Ruprecht Verlag für ihre Geduld und editorische Betreuung; schliesslich meinen Eltern für ihre finanzielle Unterstützung.

Zürich, im Mai 2001

F.H.

Einleitung Seit Jahrhunderten gilt Kaöapuis als ein Schlüsselbegriff der aristotelischen Poetik; er ist dementsprechend vielbesprochen und vielumstritten. In philologischer Sicht ist soviel klar: Bei der Prägung dieses Begriffs, auf den Aristoteles ausser in der Poetik (1449b 24-28) noch in der Politik (1341a 21-24 sowie 1341b 32 1342a 28) zu sprechen kommt, hat sich der Stagirite, wie aus der späteren Stelle der Politik hervorgeht, von zwei Seiten her inspirieren lassen: einerseits von religiösen Kulten, die mit Hilfe ekstatischer Lieder bewirken, dass Besessene sich beruhigen, "als ob sie eine Heilkur bzw. Kdöapais erfahren hätten", andererseits von der Medizin, der er eben dieses Wort KÖOapcris entlehnt zu haben scheint. Denn seit Bernays hat sich unter den Gelehrten als communis opinio durchgesetzt, dass der Arztsohn Aristoteles das Wort Kdöapais in der Poetik 1449b 28 in der medizinischen Bedeutung "Purgierung, Abführung, (innere) Reinigung" verwendet und es von da her auf die psychologische Wirkung der Tragödie überträgt. Seiner Meinung nach ist die Tragödie "die Nachahmung einer Handlung,....die durch Erregung von Furcht und Mitleid eine '(innere) Reinigung, Purgierung von solchen Affekten' (oder: 'Abführung, Purgierung solcher Affekte' oder allenfalls '(innere) Reinigung solcher Affekte')1 bewirkt." Aristoteles gibt also eine wissenschaftliche Erklärung über die psychologische Wirkung der Tragödie. Diese Theorie hat er aus Beobachtungen bei ekstatischen Kulten, wie den korybantischen oder bacchischen TeXeTai, hergeleitet, in welchen vom Gotte Besessene oder zu göttlicher Besessenheit Neigende ( K A T O K ( I I X L | I O I T O Ö evöouaiaapoi)) durch Hingabe an den Gott in ekstatischen Riten und Tänzen v o n ihrem Leiden befreit werden (Arist. Pol. 1341b 32ff.). Indem Aristoteles diese religiöse Therapie, die die Teilnehmer selbst vielleicht als religiöse "Reinigung" verstanden, psychologisch-medizinisch als "Ableitung", "Purgierung" eines TTÖGOS (evGoiKTiacjpös) durch die Trd&r) erregende Musik (¿vGouaiacmKä pc \r|) erklärte, erhielt er die Grundlage für seine psychologisch-medizinische Therapie der tragischen KaGapcn.?.2

1 Zu den Interpretationsmöglichkeiten und zum Verständnis siehe unten Teil II Anm. 532. 2 Obwohl Aristoteles in der Pol. I.e. nur von 0eanpKf| (iouaiKii spricht, ist klar, dass jene KdGapcis mit derjenigen der Tragödie wesensmässig identisch ist: vgl. F. Dirlmeier, Hermes 75, 1940, S.87ff. Zur aristotelischen Kd6apais vgl. unten S. 129, 157ff.

12

Einleitung

Die vorliegende Untersuchung hat nun nicht den Kctöapais-Begriff des Aristoteles selbst zum Gegenstand, sondern bietet nur eine Vorgeschichte des aristotelischen KaBapaiQ-Begriffs, die freilich das Verständnis des aristotelischen Begriffs erleichtern möchte. Sie setzt sich daher zum Ziel, dem Begriff Kdöapai? auf beiden Gebieten, von denen Aristoteles ausging, - d.h. im Rahmen heilungsstiftender religiöser Kulte bzw. Charismatiker, sowie im Rahmen der hippokratischen Medizin - nachzugehen, wobei sie selbstverständlich von Homer ihren Ausgang nehmen soll. Damit ist der Rahmen für diese Arbeit abgesteckt. Sie soll drei Themenkreise umfassen: 1. KaÖaipeiv bei Homer. 2. Kultisch-rituelle Kaöapcns als Heilverfahren in nachhomerischer und klassischer Zeit. 3. Ka0apCTis im Corpus Hippocraticum. Im Verlaufe der Arbeit zeigte es sich, dass der erste Teil, die Untersuchung von Kaöaipeii' bei Homer, umfassender ausfallen musste als ursprünglich geplant. Erstens erschien es als unumgänglich, dass man, wenn man der Stellung von xaGaipeiv bei Homer gerecht werden wollte, nicht nur das allgemeine Wort für "reinigen", Kaöaipeiv, sondern auch sein ganzes lexikalisches Umfeld in die Untersuchung einbeziehen musste. Zweitens erschien es als sinnvoll, die Untersuchung nicht nur auf einen bestimmten Bereich - etwa den religiösen - einzuschränken, sondern sie auch auf den profanen Bereich auszudehnen, da KaÖaipeiv in beiden Bereichen verwendet wird. Drittens erschien es als nützlich, die Untersuchung der religiösen Anlässe der Reinigung weitläufig zu gestalten. So wurde ein Kapitel über die Vorstellung der Befleckung und Gebräuche der Reinigung in nachhomerischer Zeit eingeschoben, das auch als Grundlage für die kommenden Kapitel dienen sollte; und es wurde ausführlich auf die umstrittene Frage eingegangen, ob Homer die Vorstellung der Befleckung und den Brauch der Reinigung von einer Befleckung gekannt habe, einerseits, weil die Frage in jüngster Zeit wieder heftig debattiert worden ist, andererseits, weil sie von grosser Bedeutung ist für die Frage des Ursprungs der religiösen (und medizinischen) KdGapai?. Beim zweiten Themenkreis - der kultisch-rituellen Reinigung als Heilverfahren in nachhomerischer und klassischer Zeit - empfahl es sich von den mythologischen Exempeln einerseits für den p.iapös, Orestes, andererseits für den Ka0apTr|s\ Melampus, auszugehen, da sich so einerseits bei Orestes die Gelegenheit bot, die unterschiedliche Behandlung eines racheübenden Mörders an der Mutter im Laufe der

Einleitung

13

Literatur - vom Vorbild bei Homer über den von den Erinyen zum Wahnsinn getriebenen Befleckten, der der rituellen Reinigung und eines Gerichtsurteils bedarf bei Aischylos, bis zum psychisch Schwerkranken, der sich vom Muttermörder zum Frauenmörder entwickelt und nur durch einen deus ex machina gerettet werden kann, bei Euripides - aufzuzeigen, andererseits anhand von Melampus die verschiedensten Reinigungstechniken vorzustellen, die sämtlich unter seinem Namen überliefert sind. Daran schliesst sich die Schilderung der kathartischen Tätigkeit von grossen " Seherärzten" (LaTpojidvTei?) und "Reinigungspriestern"

(KaöapTai) der archaischen

Zeit, worauf auf die Kaöapcjis als Heilverfahren im 5. und 4. Jhd. eingegangen wird. Der dritte Teil, der der Kdöapcns im Corpus Hippocraticum gewidmet ist, stellt zuerst die verschiedenen Arten der medizinischen «dGapais vor. Darauf wird versucht, von verschiedenen Gesichtspunkten aus Zusammenhänge zwischen der medizinischen Kaöapais und der religiösen herzustellen, die die Beantwortung der Frage nach der Abhängigkeit der medizinischen Kdöapai? von der religiösen erleichtern sollten.

Teil I Reinigung bei Homer

1. Vokabular der Reinigung

1.1. KaOaipeiv, exKaGaipeiv,

raGapös

Das allgemeinste Wort für "reinigen" ist Kaöaipeiv. Das Wort hat bei Homer stets ein sächliches Objekt bei sich, das entweder das Objekt, das gereinigt wird, oder das Objekt, das durch Reinigen entfernt wird, bezeichnet. Kaöaipeiy heisst also entweder 'etwas reinigen' (7x) oder 'etwas durch Reinigen entfernen', 'wegwaschen' (2x). Einmal steht neben dem Akk. der Sache, die weggewaschen wird, noch ein Akk. der Person, von der etwas weggewischt wird - eine Konstruktion nach Analogie zu den Verben des Wegnehmens. 1 Das sächliche Objekt, das 'gereinigt' wird, ist entweder ein häuslicher Gebrauchsgegenstand (0pöwus... r|Se Tpave(as; Benag; Kpr|TT]pas Kai Sena äp.(j>i.iam-€XA.a), Kleidungsstücke (puTröojvTa: schmutzige Wäsche) oder ein Körperteil (xpöa, TTpoawTTaTa).2 Das Objekt, das 'weggewaschen, weggewischt' wird, ist Schmutz (puna, Xi>|iaTa) oder Blut (aipa).3 Bei der Person, von der etwas weggewischt wird, handelt es sich um den toten Sarpedon, der von Blut gereinigt wird. Die Mittel, mit denen das KaOaipeiu vollzogen wird, sind ebenso vielfältig wie die Objekte. "Viel schönes Wasser" (iraXii 8' üSojp KaXov) aus den Waschgruben am Flusse dient zum Waschen der Wäsche; "mit Wasser und Schwämmen" (Ü8an Kai CTTTOYYOLCTI) werden die Stühle und Tische gereinigt, "mit lauem Wasser und Salböl" (ü8a-ri TC Xiapw Kai äXeiaTi), "Ambrosia" (außpoaiq) oder "einer ambrosischen Schönheitssalbe" (KdXXei...dpßpocjiu>) die Haut bzw. das Gesicht. 4 Doch

1 'etwas reinigen': II. 16.228; Od. 6.87; 18.192; 20.152; 22.439, 453; 24.44. 'durch Reinigen entfernen': II. 14.171; Od. 6.93. Akk. der Person und der Sache: II. 16.667f. Nach Analogie der Verben des Wegnehmens: Kühner - Gerth Bd. 1, S. 327, wo auch Beispiele zu XOÜÜ), I À { O J K . T . X . angegeben werden. Zu diesen Konstruktionen von KaSaipeiv im CH siehe S. 259 Anm. 79; S. 266f. 2 9p(wous...iì8è Tpcméias: Od. 22.438, 452; 8éiras: II. 16.228; Kpiyrfipas Kai Séra à|iiKUTTtXXa: Od. 20.152f.; pinróuji'Ta: Od. 6.87; xp°a: Od. 24.44: TTpotraiTraTa: Od. 18.192; vgl. II. 14.170f. duo xpoòs...X0(j.aTa...Ka9iip6v. 3 pÜTra: Od. 6.93; Xi^aTa: II. 14.171; aiaa: II. 16.667. TTOXÙ 5 ' üSoop KaXóv: Od. 6.86f.; iSan Kai airóyyoiai: Od. 22.439, 453; I)8ari T E Xiapto Kai àX€ÌaTi: Od. 24.45; a(ißpoCTifl: II. 14.170; KaXXei...a^ßpoCTLiü: Od. 18.192f. 4

18

Teil I

auch mit Schwefel (öeeiw) kann das Kaöaipeiv vollzogen werden: am Becher, den Achill zur Spende vor dem Gebet reinigt.5 Nebst Kaöaipeiv findet sich bei Homer einmal auch ¿KKaOcupeif, 'reinigen, ausfegen', das auf die Reinigung der Kielfurchen (oupoOs), durch welche die Schiffe ins Meer gezogen wurden, angewendet wird.6 Ferner findet sich das Adjektiv icaGapös, das im Sinne von 'rein, sauber' als Attribut zu €i|iaTa viermal im selben Formelvers vorkommt und einmal in einem vom Formelvers aus leicht umgebildeten Vers,7 andererseits in der Verbindung ev KaGapw zweimal (in einem Formelvers) einen von (unreinen, blutbesudelten) Leichen reinen Ort bezeichnet und einmal allgemein 'an einem freien, offenen Ort', 'im Freien' bedeutet.8 Einmal wird auch der Tod durch das Schwert im Gegensatz zum Tod durch den Strang als Kdöapös bezeichnet, was übertragen als im moralischen Sinne 'rein', 'tadellos', 'ehrenhaft' zu verstehen ist.9

Etymologie Ka0aipa» erscheint als Denominativum zu KaOapös wie ei^aipco zu evapa, yepaipü) zu yepapös, ¿xöaipco zuexöpö?.10 Frisk ist der Ansicht, dass eine annehmbare (indogermanische) Etymologie fehlt, ebenso Chantraine, der dem Stamm ein altes Neutrum *Kd9ap oder *KÖ0ap (dor. und äol. erscheint das Wort als Koöapös bzw. KÖÖapos) zugrundelegen will. Es sind deshalb auch Vermutungen über "pelasgischen" und vorgriechischen Ursprung angestellt worden.11 W. Burkert hat dagegen auf die Möglichkeit hingewiesen, dass es sich bei Kaöaipw, KaOapös um ein semitisches Lehnwort handeln könnte. Er stellt die"ernste Vermutung" auf, "dass gerade das Verbum KOöcupoj samt dem Adjektiv Ka0apös an einen semitischen Stamm im II. 16.228. II. 2.153. I Formelvers: Od. 4.750, 759; 17.48, 58: aXX' (oder t) 8') uSpr)va(i€i'T) Kaöapä XP01 einaö eXoüaa; umgebildet: Od. 6.61: ßouXäs ßouXeüeiu Kaöapä xP o t ei(iaj' exovra. 8 'an einem von (unreinen, blutbesudelten) Leichen reinen Ort': II. 8.491 und 10.199: die Troer bzw. die 'Apyeicov ßatJLXfjes versammeln sich auf dem verlassenen, von Leichen übersäten Feld zur Beratung ev Ka0apqi, Ö9L Sri VZKVWV 8ieaiveTo x^pos. (Dass eine Leiche, die von Blut besudelt und am Verwesen ist, als (iiapös gilt, ist aus II. 24.420 ersichtlich). 'An einem freien, offenen Ort, im Freien': II. 23.61: Achill liegt, um Patroklos weinend, stöhnend unter den Myrmidonen ev KaSapü, Ö0I IAI(iaT' EIR' RIIÖVO? KXU£6CTKOV. 5 6

9 Od. 22.462, siehe LSJ s.v. KaOapös 3b; Ameis-Hentze 112, S. 127 (zu Od. 22.462) inkl. Ameis-Hentze Anhang 4, S. 84 (zu Od. 22.465). Anders Omero Odissea VI, S. 275; Engl. Ausgabe Vol. III S. 79 (zu Od. 22.462). 10 Risch S. 286. II Siehe Frisk, s.v. KaOapös ; Chantraine s.v. KaOapös.

Reinigung bei Homer

19

Umkreis der 'Reinigungen' anknüpft, qataru 'räuchern'." Im Speziellen weist er auf die Form jeqatter(u) 'sie räucherten' AT (2. Kön. 23.5), "was transskribert in etwa eKÖ9r|p(e/av) ergäbe" hin. Er gesteht feilich ein, dass «aGaipeiv in der Sprache Homers fest verwurzelt ist, den Fremdwörterstatus somit längst überwunden hat.12 Bei Burkerts These stellen sich allerdings zwei Fragen: 1. Von wem konnten die Griechen dieses Wort überhaupt kennenlernen? In Frage kommen wohl nur wandernde babylonische Sühneprister asipe, die nach Burkerts These überhaupt die kathartische Praxis, v.a. aber das Ritual der Reinigung des Mörders, zu den Griechen gebracht haben;13 denn diese haben doch vorwiegend mit 'Reinigungen' zu tun. 14 2. Wie kamen die Griechen dazu, ein Wort, das bei den Semiten "räuchern" bedeutet, allgemein für "reinigen" zu verwenden? Man muss wohl von speziellen Räucherritualen ausgehen, die der Reinigung dienten und von solchen Sühnepriestern angewendet wurden.15 Die Griechen hätten dann von solchen reinigenden Räucherungsritualen aus das Wort Kaöaipeiv auf Reinigungsrituale als solche ausgedehnt und schliesslich allgemein für "reinigen" verwendet. Das Problem bei dieser Annahme scheint die chronologische Einordnung zu sein, wie auch Burkert zugesteht. Das Wort müsste doch ziemlich vor Homer importiert worden sein, während doch da kathartische System erst nach Homer von solchen Sühnepriestern eingeführt worden zu sein scheint. Allerdings gibt es bereits bei Homer kathartische Ansätze, wie sich zeigen wird, und besonders interessant ist es, dass er bereits die Räucherung als kathartische Massnahme "zur Heilung von Unheil" kennt: so hofft Odysseus, durch Schwefelung der Halle nach dem Freiermord ein KOKÖV wiedergutzumachen.16 Wenn also Burkerts These zutrifft, so würde in II. 16.228 in den Worten ¿KctÖripe Geeiw, mit denen Homer die Reinigung des Bechers durch Achill vor Spende und Gebet beschreibt, noch die ursprüngliche

12 W. Burkert, Resep-Figuren, Apollon von Amyklai und die "Erfindung" des Opfers auf Cypem, GB 4, 1975 S. 77; ferner Burkert G.R. S. 130; Burkert O.E. S. 64. 13 Siehe unten S. 62. 14 Siehe unten S. 168. 15 Siehe unten S. 168ff. 16 Siehe unten S. 80.

20

Teil I

Bedeutung des Wortes durchschimmern; denn höchstwahrscheinlich handelt es sich bei dieser Reinigung - genau so wie im 22. Buch der Odyssee - um eine Reinigung mit Schwefeldämpfen.17

1.2. vi£oü, ammCoo, xepvu|j, xepyLTTTO|j.ai, rroSaviTTTpov (Med. vi£op.ai) entspricht dem deutschen "waschen" (Med. "sich waschen"), cm-oviCü) (Med. cnToi'iCofj.ai) bedeutet "(sich/ von sich) abwaschen, wegwaschen". Die Wörter unterscheiden sich insofern v o m allgemeineren KaOaipeiv, als sie nur Reinigungen mit Wasser ausdrücken und sich diese Reinigungen nur selten auf Sachen beziehen (2x), sondern meistens auf Personen. Dabei bezeichnen die Wörter bei Homer nie die Reinigung des ganzen Körpers sondern stets das Waschen von einzelnen Körperstellen bzw. Körperteilen: von Waden, Nacken,

VL£Ü)

17 Siehe Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie, System Nr. 9, S c h w e f e l , Teil A, Berlin 1953 8 , S. 9. Kürzlich hat G. Neumann in: Kotinos, Festschrift für E r i k a Simon, hg. v. H. Froning, T. Hölscher, H. Mielsch, Mainz 1992, S. 71-75 gegen Burkert eine indogermanische Etymologie vorgeschlagen. Er trennt dabei bei Kaöapös wie bei seinen Antonymen (iiapös, puirapös. liwapos "ein (sekundär entstandenes) Suffix -apo-" ab und knüpft dann die verbleibende Wurzel KOÖ-/Ka0- an die indogermanische V e r b a l wurzel *g h ed h -/ *g h od h - "umklammem, zusammenpassen" an. "Kernbedeutung" von KaÖapös/Koöapös wäre dann nach Neumann ursprünglich "passend, der Situation bzw. den menschlichen Partnern angemessen, der Sitte, der Ordnung, der Dezenz entsprechend" gewesen. Neumanns Etymologie ist zwar möglich, doch liegt ihre Schwäche in der T a t sache, dass die von Neumann angenommene ursprüngliche Kembedeutung im Griechischen kaum mehr nachweisbar ist (nur gerade Od. 22.462 könnte allenfalls als Beleg für sie angeführt werden). Ausserdem sind seine Argumente gegen Burkerts These nicht stichhaltig: Falsch ist Neumanns Behauptung: "Speziell der Begriff des 'Reinigens durch Rauch' will zu der...ältesten Bedeutung von Kaöapös nicht passen". Neumann übersieht schlicht II. 16.228: TÖ (SC. Seuas) ¿KdOripe Seeiu. Bestreiten lässt sich auch die Behauptung Neumanns: "Auch ist das Räuchern oder Schwefeln - jedenfalls in Griechenland- nicht die wichtigste Methode der Reinigung." Immerhin ist diese Methode bei Homer 2x bezeugt (siehe unten S. 38, 80f.), und mag sie auch nicht die häufigste sein, so wird sie doch als eine der wirksamsten aufgefasst, spricht doch Odysseus bei seiner Räucherung der Halle vom Schwefel wegen seines penetranten Geruchs (Seiuri Beeiou Ö8(in II. 14.415), doch auch wegen seiner Verwandtschaft mit dem Blitz, der 6eivf| Xof Öeeiou Kaiojievoio (II. 8.135), und seines daher angenommenen göttlichen Ursprungs (s. Blümler RE II A. 796ff.) als K O K W ÖKOS, "Heilmittel gegen Übel" (Od. 22.481). Auch gegen Neumanns formales Argument gegen Burkert, dass das r beim semit. Wort B e standteil der Wurzel sei, bei Kaöapös dagegen zum Suffix gehöre, Hesse sich einwenden, dass bei Burkerts These der Lehnübernahme nicht vom Adjektiv, sondern vom Verb, insbesondere der Form ¿KdOppe /-av, auszugehen wäre und Kaöaipeiv - Kaöapös dann von hier aus Rückbildungen in Analogie zu Reihen wie ¿yepripe/-ay - yepaipeii' - yepapös, €\iir\vi/-av - |itaiveiv - jnapös wären. Eine indogermanische Etymologie von Kaöapös ( = ved. sithira"lose, gelöst") wurde auch von M. Peters, Beiträge zur griechischen Etymologie, in: L. Isebaert, Miscellanea linguistica graeco-latina, Namur 1993, S. 95ff. vorgeschlagen.

Reinigung bei Homer

21

Schenkeln, die mit Schweiss überströmt sind (2x), von Rücken und Schultern, die mit Salz bedeckt sind (lx), von mit Blut besudelten Stellen von Toten und Verwundeten (5x), des tränenüberströmten Gesichtes (2x), am häufigsten aber der Hände (12x) und Füsse(llx). 18 Dabei scheint vi£eiv gerade in Verbindung mit Händewaschen v o n alters her geläufig zu sein, da es einerseits fest im homerischen Formelsystem verankert ist19 und sich andererseits bei Homer ein altes, bereits im Mykenischen bezeugtes, aus x e i P " und vi£eiv zusammengesetztes verbales Rektionskompositum, xePvl4> "Handwaschwasser", findet samt dem daraus abgeleiteten Verbum xepviTTTojiai.20 Doch auch für das "Fusswaschwasser" kennt Homer ein spezielles, wenn auch anscheinend nicht so altes, aus TTÖSCI und vi^w zusammengesetztes Wort: TToSaviTTTpov.21 Im Gegensatz zu Kaöaipw ist vi£w (*nigu-io) Unbestrittenermassen ein indogermanisches Wort. 22

1.3. Xoiito, Xoerpöiv, XoeTpoxöos Xoüw, kontrahiert aus * Xof ew, bezeichnet im Gegensatz zu das W a schen des ganzen Körpers, das Baden. 23 . Es bedeutet also im Aktiv "jemanden waschen, baden", im Medium "sich waschen, baden". Demzufolge bezeichnet es nie die Reinigung von Gegenständen, son18 Sachen: II. 16.229 (Becher); Od. 1.112 (TpcmeCas). Waden, Nacken und Schenkel: II. 10.572f....i8p(ö...äTToi/iioi/To...Ki>Tj(±äs Tt iSe \64>ov ä(i4>i re (ir|pot)s. Dieser Satz wird in 10.575 wieder aufgenommen. Rücken und Schultern: Od. 6.224f. xpöa iXfe-ro ä X ^ y (zur Konstruktion siehe Anmerkung 1), >i oi vuna Kai eupeas äp-Trex^ üipous. Mit Blut besudelte Stellen von Toten und Verwundeten. II. 7.425; 11.830, 846; 24.419; Od. 24.189. Gesicht: Od. 18.172 XPÜJT aTTovii(ja^evT| (aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass mit XpwTa das Gesicht gemeint ist, vgl. Laser S. S 52), wieder aufgenommen in 18.179 x p « t ' ciTTOKiTTTeaBai. Hände: Fest im homerischen Formelsystem verankert durch den alten Formelvers Od. 1.136ff; 4.52ff.; 7.172ff.; 10.368ff.; 15.135ff. ; 17.91ff.: X e p ^ ß a 8' d^iTroXos irpoxöw eirexeue epoixra/ KaXfj xpucreiri ¿irep äpyupeoio Xeßr|Tos/ iAt})ao6ai (Vgl. II. 24.304f., wo aus xep" l ßa ein fälschlicher Sg. x^P^ßo^ gebildet wurde, der dann a l s Waschschüssel verstanden wurde: S. Leumann S. 160); ferner : II. 16.230 IXI|>CITO xeipas; Od. 2.261; 10.182; 12.336: x € i P a S M4>aM-eW-09/-0Ü- Füsse: vom Waschen der Füsse des Odysseus durch Eurykleia: Od. 19.317,356,358,374,376,387,392,505; 23.75. Hände und Füsse: Od. 22.478.

Siehe vorhergehende Anmerkung. xep^'l'bei Homer nur im Akk. xtpvißa (=myk. ke-ni-qa; siehe Risch S. 194): Od. 1.136; 3.440, 445; 4.52; 7.172; 10.368; 15.135; 17.91. Zu xep^ßov "Waschschüssel (II. 24.304) siehe unten Anm. 83; vgl. oben Anm. 18. xep^i^TOHai: bei Homer nur Aor. X6p y i4'ai>TO II. 1.449. Zu Fragen der Wortbildung siehe Risch S. 181, 194. 21 Od. 19.343, 504; siehe Risch S. 42, 220. 22 Siehe Chantraine s.v. 23 Zum Unterschied Xoiiu - yifw - irXiivm vgl. LSJ s.v. Xotico. 19

20

22

Teil I

dem stets die von Lebewesen, in den meisten Fällen von Menschen; doch auch das Baden des Pferdes im Flusse bzw. das Waschen des Pferdes durch seinen Pfleger kann durch Xovtü/Xovonai ausgedrückt werden, und ebenso kann Xoiiecröai bildlich von im Meer untergehenden bzw. aufgehenden Gestirnen verwendet werden.24 Bei Menschen bezieht es sich meist auf das warme Bad in der Badewanne (dadp.iv0os) (27x) oder auf die Leichenwaschung (6x) und ist in diesen beiden Fällen ebenso wie fürs Händewaschen fest im homerischen Formelsystem verankert.25 Doch auch fürs Baden im Flusse kann Xouw / Xoüop.ai verwendet werden (8x).26 Wenn das, Objekt, das wegewaschen wird, angegeben ist - in diesem Falle steht diroXotico (mit oder ohne Tmesis) - so handelt es sich u m (geronnenes) Wundenblut (ßpÖTos) oder Meersalz (äX|iT)).27 Neben Xovw / Xoiionai findet sich bei Homer auch das davon abgeleitete Substantiv XoeTpöv "Bad", auch "Badewasser", das ebenso wie das Grundwort fürs "Bad" von Gestirnen im Meer und fürs warme Bad in 24 Von Pferden: II. 6.508 = 15.265; 23.282. Vom àori]p ÒTToopivós: II. 5.6 XeXoup.éi'os 'ÜKeavoLo. 25 Leichenwaschung: II. 16.669, 679; 18.345, 350; 24.582/587. Die Formelverse für Badeszenen sind besonders reich entfaltet in der Odyssee, doch sind viele auch dem Iliasdichter bekannt. Durch sie erhalten die Badeszenen einen bestimmten, schematischen Ablauf (siehe auch Arend S. 124-126): Im ausführlichsten Fall geht dem Baden der Befehl an die Badediener(innen) voraus, d|ii Tiupì cmpai TpiiroSa \iiyav (Od. 8.434 = II. 22.443 = 23.40); darauf folgt die Ausführung, in drei Versen geschildert: ai 8e XoeTpoxóov TpiTTOö' 'i èv Trupi Kr|Xé(p/èv 8' dp' Ü8wp èxeov, ¿ito 8è fOXa 8aioi> éXoOaai./ ydaTpriu |xèv Tpino&os TrOp ap.eiTe, OéppeTo 8' üSiop (Od. 8.435-7). Nun erfolgt der Einstieg in die Badewanne: es p' dadp-ivSov ßdv9'...(Od. 8.450) / es p' (ès 8 ) daa|iiuQous ßdvre? èu^ÉCTTas XoùaavTo (Od. 4.48; 17.87; II. 10.576). Dann folgt der Vers, der das W a schen und Salben durch Badedienerinnen bezeichnet: T Ò V / T O Ù ? 8' ènei ouv Stipai Xoüaai; Kai xptaaiv èXaiw (Od. 4.49; 8.454; 17.88; vgl. 4.252; 8.364; 23.154; 24.366), der im Falle einer einzigen Badedienerin durch einen ähnlichen ersetzt werden kann: aÙTÒp è irei XoOcrév T E Kai E X P I A E U XLTT' èXaico: Od. 3.466; 10.364, 450 (vgl. II. 10.577; ferner vom Flussbad: Od. 6.96, 227). Daran schliesst sich der Formelvers, der das Ankleiden bezeichnet: dni Sé (uv xXaiyav KaXiiv (oder äpos KaXóv) ßdXov(-ev) r|6è xiTaWa (Od. 3.467; 8.455; 10.365; 23.155, vgl. 24.367); bei mehreren Badenden: dp.i 8' dpa xXatvas oOXd? ßaXov r|8è X I T Ù I I A S (Od. 4.50; 10.451; 17.89). Schliesslich erfolgt der Ausstieg: ¿K 8' ( p') daainvöou ßf)/ßds bzw. €K p daaiiii^ui/ ßäi/Tes (Od. 3.468; 23.163; 24.370; 8.456; 17.90), woran sich meistens das zu Tische Setzen und die Mahlzeit schliesst, für die ja dann wieder Formelverse zur Verfügung stehen (siehe Arend S. 68ff.). Interessant und der Ökonomie der homerischen Formelsprache entsprechend ist, dass dieselben Verse, die Homer fürs Baden verwendet, auch auf die Leichenwaschung angewendet sind: d(iL 8' dpa \Xaivas oüXas ßaXov f|8e xiTwvas. In die Badewannen stiegen sie und wuschen sich. Nachdem Dienerinnen sie gewaschen hatten und mit Öl gesalbt hatten, legten sie ihnen wollene Mäntel und Unterkleider an. (Od. 4.48-50). Darauf setzen sie sich zu Tische neben Menelaos: es pa 8pövous eiovro irap' 'ATpei8r|u MeveXaov. (Od. 4.51). Sogleich giesst ihnen eine Dienerin Waschwasser über die Hände und stellt vor ihnen einen Tisch auf: Xepvißa 8' äpxjüiToXos Trpoxap enexeve cjKpoucra KaXfj xpweir], ÜTrep apyupeoio Xeßr|Tos iÄ4iaa0ar Trapd 8e feaTT|v erävvooe TpaTTe£av. (Od. 4.52-54). Darauf setzt die Schaffnerin Brot und Speisen auf: 01x01» 8' ai8oiri Tapir| Trape9t|K6 (fiepouaa eI8aTa TTOXX' emöelaa, xapiioji€vr| TTapeöyrajy. . (Od. 4.55-56).

63 64

Siehe oben Anm. 25. Od. 4.33

Reinigung bei Homer

31

N a c h d e m Menelaos sie aufgefordert hat, zu essen u n d erst nach d e m Mahle sich vorzustellen, und ihnen fette, gebratene Stücke v o m Rindsrücken gereicht hat (Od. 4.59-66), greifen sie zu: ol 8' €tt' öveiaö' ¿Toljia TrpoKei^eva x e i p a s [aXXov. (Od. 4.67). Erst jetzt beginnt die Konversation. Das Bad zu Beginn einer solchen Bewirtung dient einerseits gewiss wie bei der Pflege des eigenen Körpers (Kap. 2.1.) rein praktischen, hygienischen Zwecken: der F r e m d e soll sich v o r der Mahlzeit den Staub v o n den Gliedern w e g w a s c h e n lassen und sich v o n den Strapazen der Reise e r h o l e n . 6 5 In gewisser Hinsicht liegt der Zweck einer s o l c h e n Bewirtung sicherlich auch im Erzielen einer physischen V e r s c h ö n e rung, die H o m e r vielfach als Folge eines Bades beschreibt. 6 6 W i c h t i g e r aber erscheint die symbolische Bedeutung des Bades, die H e r m a n n Fränkel herausgestellt hat: Der Wanderer gilt erst dann als recht eigentlich angekommen und aufgenommen, wenn der Staub der Fremde abgespült ist.67 65 Vgl hierzu Od. 10.363, wo Odysseus als Zweck des Bades bezeichnet, die verzehrende Ermattung aus den Gliedern zu nehmen (öpa |ioi £k Kdp.aTov 6up.cxj>6öps avo^ia xp^ivw, övaTÖj üv, äpoi;a Aöyou toupcmwi' (iaKapiov t KaTeßaX' O'JS äp' oü aöevouai Oeoi, siehe Parker S. 146. Anm.13. Anders G.W. Bond Euripides Heracles, with Introduction and Commentary, Oxford 1981 S. 163 (zu V.757). Moulinier S. 256f. glaubt auch, dass Wendungen wie äyos Tfjs 0eoö (siehe oben Anm. 102) soviel wie "Befleckung der Gottheit" bedeuten; vgl. Williger S. 20 (anders S. 281). 1,6 Parker S. 146f. 117 Was auch aus der Etymologie von äyos hervorzugehen scheint, sei es dass man das Wort mit der Wurzel ay- oder mit a.i. Sgas zusammenstellt (siehe oben Anm. 102). 118 So besonders bei den Historikern: I) Hdt verwendet evayii? (1.61.1; 5.70.2; 71.1; 72.1) nur zur Bezeichnung der durch das KuAoii'eioiy äyos (Plut. Sol. 12.1) Befleckten, zu denen v.a. die Almeoniden gehörten, da ihr Vorfahr Megakles (Plut. Sol. 12.1.) als Archon wohl im 3. Viertel des 7. Jhds. (so J.K. Davies, Athenian Propertied Families, Oxford 1971 S. 370f.) hauptverantwortlich gemacht wurde für die Tötung von Schutzflehenden - Anhängern des Kylon, die sich nach gescheitertem Versuch, Kylon 113 114

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Teil I

ger Verletzung des Rechts der Schutzflehenden,119 bei Tempelraub,120 bei Meineid und "Frevel gegen das Heiligtum und um die Weihgeschenke" (s. unten). Die ältesten Belege dafür reichen in die archaische Zeit zurück: So wurden etwa nach Herodot, Thukydides u.a. circa u m 600 v. Chr. in Athen die für die Tötung der am Altar Schutz suchenden Anhänger des Kylon Verantwortlichen, v.a. die Alkmeoniden, als evayel? erklärt121. Und wenige Jahre später sollen nach einer umstrittenen Stelle des Aischines die Amphiktyonen im 1. Heiligen Krieg auf Solons Rat beschlossen haben, da die Kirrhäer und Kragaliden "gegen das Heiligtum in Delphi und die Weihgaben ständig frevelten", "gemäss dem Orakelspruch des Gottes gegen die ei^ayels zu Felde zu ziehen"; nach erfolgreicher Kriegsführung sollen sie ihrem "mächtigen Eid, weder selbst das den Göttern geweihte Land zu bearbeiten noch es einem andern zu überlassen, sondern dem Gott und der heiligen Erde mit Hand, Fuss, Stimme und aller Kraft zu helfen", einen vom Redner wörtlich zitierten Fluch gegen etwaige Meineidige beigefügt haben: "Wenn jemand dies übertritt, sei es eine Stadt oder ein Privatmann oder ein Volk, evayf|? eorw T O Ü ' A T T Ö X X W V O ? Kat TF)s ' A P T E | A I 8 O S Kai T F ) S Aiyrous Kai 'AÖTiväs npovoias" - der älteste Originalbeleg für erayrjs, falls das Dokument von Aischines nicht gefälscht ist.122 Mit einem durch die Besetzung der Akropolis zur Tyrannis zu verhelfen, an den Altar geflüchtet hatten - teils auf heiligem Boden, teils auf profanem Grund, nachdem sie unter dem Versprechen, verschont zu werden, herausgelockt worden waren (Quellen der Episode: Hdt. 5.70t; Thuk. 1.126f.; Plut. Sol. 12). äyos verwendet Hdt. in 6.91.1. für die "Befleckung", die die reichen Aegineten durch die Hinrichtung von 700 Männern aus dem Volke - darunter einem, den sie durch Abschlagen der Hände gewaltsam vom Türgriff des Demetertempels, an dem er Zuflucht gesucht hatte, getrennt hatten - sich zugezogen hatten. (Zu Hdt. 6.56 siehe oben Anm. 102). II) Thukydides verwendet äyos und evayris nur im Zusammenhang mit Mord unter Verletzung des Asylrechts: a) vom KuXioveiov äyos bzw. äyos Tfjs 9eoü, das die Spartaner vor dem Ausbruch des peloponnesischen. Krieges die Athener austreiben heissen: ciyos: 1.126.2f.; 127.1; 2.13.1/ ¿yayt|s: 1.126.11 und 12. b) von den beiden äyr), die die Athener als Gegenforderung die Spartaner austreiben heissen: TÖ dirö Taiudpou äyos (1.128.1) undTÖ Tfjs XaXKioiKou äyos (1.128.2; ferner 134.4; 135.1). c) von allen drei dyr): evayiis: 1.139.1. Aisch. Suppl. 375. Z.B. Diodor 16.60.1, siehe Parker S. 10 Anm. 47. 121 Siehe oben Anm. 118, vgl. unten Teil II Kap. 2.2. 122 Aeschin. 3.107-110. P. Siewert, Der Eid von Plataiai, München 1972 S. 30ff. hält den von Aeschin. überlieferten Amphiktyoneneid, wenn auch nicht für authentisch im Wortlaut, so doch für unbestritten alt. Für den archaischen Charakter sprechen v. a. die für die archaische Literatur typischen Stilelemente: additive Anreihung von Einzelbegriffen statt allgemeinerem Oberbegriff z.B. xeLPL Kai TTO&L Kai TÜVRJ Kai Traar) &Uvdjier ...Tis...rj TTÖXLS i] i8iwTT|S ii eOvos' ... TOO 'ATTÖXXÜJVOS Kai Tfjs 'ApTe|ii8os Kai Tfjs ATITOOS Kai 'A9R|yäs npovoias; femer das Prinzip der negativen Konträraussage, eine Aussageform früher Literatursprachen: FIFP-' ailToi TT|V iepriv yi}v epydaeaOai (IT]T' äXXw ¿mTpetJjeiv, dXXä ßoTiöfjaeiv ™ 0ew...; schliesslich unlogische Koordinationen: ßoT|0riaeiu TY 9eiö Kai TT] yfj..., x e l P l Kai iro8i Kai Kai rraari 8wö|iei (siehe Siewert I.e.). Siewert 1,9

120

Reinigung bei H o m e r

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ähnlichen Fluch gegen die Meineidigen sollen die Athener - gemäss einer ebenfalls umstrittenen Inschrift aus dem 4. Jh. - vor der Schlacht von Platäa vor der Schlacht von Platäa ihren Eid beschlossen haben: W e n n sie i r g e n d e t w a s v o m G e s c h w o r e n e n ü b e r t r ä t e n u n d d a s i m E i d G e s c h r i e b e n e n i c h t e i n h i e l t e n , s o s o l l t e n sie selbst, d i e d i e s s c h w o r e n , e i n ä y o s h a b e n . 1 2 3

Dass nun ein solches, aus einem Sakrileg resultierendes dyos für den Griechen der nachhomerischen Zeit ein gefährliches, ansteckendes Unheil bedeutet, das von einer Befleckung (jiiacjjKi) kaum verschieden ist, wird daraus ersichtlich, dass es auch als ^iacrua bezeichnet werden kann124 oder dass es dieselben Folgen wie ein ^iaa^ia haben kann125 oder ebenso wie ein |iiaaiia den normalen Opferverkehr mit den Göttern verunmöglicht, 126 ferner daraus, dass ein (aus blossem Mord be(op. cit. S.78) nimmt die von Plut. Sol. 11.2. angeführten TÜV AeXr| öiiev e[icma]) beschlossen wurde. 130 Am aufwendigsten war das Reinigungsritual des Mörders. Wir sind in der glücklichen Lage, dass erst kürzlich dazu eine neue Quelle gefunden worden ist, die ein authentisches Zeugnis dafür ist, wie ein Mörder von seiner Tat gereinigt wurde. Es handelt sich um eine 1993 veröffentlichte Inschrift auf einer Bleitafel aus Selinus, die etwa auf 460 v. Chr. datiert wird:131 Das auf ihr beschriebene Reinigungsritual zielt offenbar in erster Linie darauf ab, den Mörder, ai)Topp€KTas, v o n den ihn verfolgenden Rachegeistern (eXacrrepoi) zu befreien:' 32 Zuerst soll der Mörder eine Ankündigung machen (npoeinöv), wo immer er will und im Jahre, in dem er will, und am Monat, an dem er will, und am Tage, an dem er will, und ankündigend wohin er will. Durch sie soll der Mörder offenbar einen Gastgeber finden.133 Dann soll er die Reinigung beginnen (KaöaipeoOo). Als erstes soll der, der ihn aufnimmt (dem Mörder) zu waschen geben und einen Schluck ungemischten Wein zu trinken und Salz.'34

130 Siehe Parker S. 36ff. Reinigung des Hauses in Iulis auf Keos: L S S G 97 A 14-17. Es empfiehlt sich, hier u n t e r 90r| R ä u c h e r w e r k zu verstehen, dessen Verbrennen e i n e r s e i t s - k a t h a r t i s c h e m Z w e c k e dienend - die Reinigung abschliessen soll (vgl. Od. 2 2 . 4 8 1 f f . : siehe S. 80f. unten), andererseits - als O p f e r - den unterbrochenen K o n t a k t zu den Göttern wiederherstellen soll (vgl. Ziehen R E XVIII, 587 s.v. Opfer). A n d e r s will das W o r t J. Casabona, Recherches sur le vocabulaire des sacrifices en grec, Aix-en-Provence 1966, S. 112 hier e h e r als G e b ä c k verstehen, Stengel G.K. S.99 folgend. 131 Jameson Kolumne B (die Ergänzung der ersten Zeile ist unsicher; siehe Jameson S.12): [ai] k' äv6pojiros [auTopeK]Ta[s eX]aaTepov aTroKa[9aipe9ai| Xei], TTpoeinw hömo Ka Xei Kai T Ö F E B I E O S hÖTTO K a Xei K a i [ T Ö |ievös) | houeio Ka Xei Kai < T C U > dpepai hoireiai Ka X < E > i , TT(O)P£LTTÖV hÖTTui Ka Xei, KaOaipeaOoj, [ K O I ho hu-: coni. Canon] | TTO&eKÖpievos dtrow|>ao9ai 8 O T O KaKpaTi£ao9ai K a i haXa T Ö I a i > [ T o p p e K T a i : coni. Canon] | [ K ] O I Ouaas T Ö I Ai Xotpow e£ aiiTÖ LTO Kai TTepiaT{i}pae(j9o | Kai TroTayopeaSo Kai OTTOU haipea9o Kai Ka9aet8 T T O hÖTre K - | a Xei. ai T I S Ka Xei fjeviKÖi' e TraTpoiov, e 'TraKouaTÖi' e iJwpaTÖi' | e Kai Xoimva Ka9aipea8ai, TÖU ainöv Tpöirov Ka9üipea9o | höurrep hoiiTopeKTas etrei K' eXaaTepo aiTOKa9dpeTai. | hiapetov TeXeoi^ ¿Tri T Ö I ßo(ioi T Ö I Safioaioi 9üaas Ka0apö-1 s eaTO' 8iopi£as haXi Kai x p w ö i airopau'dp.ei'os drriTO. | hÖKa T Ö I eXaoTepoi xp^C el fluei*, 9üev höaxrep T O I S | a9avdT0iai. aa£eTo 8' e s yäv. Zur Datierung siehe Jameson S. 46ff. ( " m i d - f i f t h Century o r s o m e w h a t earlier"). 132 B1 eX]aCTT€poi> dTTOKa[9aipea9ai], B9 hoi>ToppeKTas...eXaaTepo dTTOKaSaipeTai. Zur Bedeutung des ¿¡Traf; Xeyö(ievoi' auTo

p€KTas (= Mörder ) und von eXdapopos (= aXdaTuip, aXdaTopos, Rachegeist) siehe J a m e s o n S. 44, 54,116ff. 133 So Canon C P h 9 1 , 1 9 9 6 S. 176 Anm. 72, gegen Jameson, S. 41, 54ff., w o die eXdaTepoi als Adressaten der Proklamation a n g e n o m m e n werden. 134 Gegen Jamesons (S. 56 Anm.2) Auffassung, dass i m m e r noch der Mörder Subjekt i s t , siehe Canon op. cit. S. 175ff., der in Zeile 4 anstelle des von Jameson vorgeschlagenen

TÖI OU[TÖI] g l a u b l i c h e r TÖI a i j [Toppe KTQI] e r g ä n z t .

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Teil I

An sie schliesst sich ein Ferkelopfer an Zeus: Und nachdem er Zeus ein Ferkel aus eigenem Besitze geopfert hat, soll er gehen und sich herumdrehen. Erst jetzt ist der Mörder offenbar hinlänglich rein und kann angesprochen, richtig verpflegt werden und sich schlafenlegen: Und er soll angesprochen werden und Speise zu sich nehmen und schlafen, wo immer er will. Nachdem das Ritual auf weitere Fälle - die Reinigung "von e i n e m fremden, oder einem väterlichen (Elasteros), entweder einem gehörten oder gesehenen, oder von sonst irgendeinem" - ausgedehnt worden ist, wird die Reinigung durch ein Schafsopfer an einem öffentlichen Altar beschlossen 1 3 5 : Nachdem er ein voll ausgewachsenes Schaf auf dem öffentlichen Altar geopfert hat, soll er rein sein. Die erlangte Reinheit soll durch eine letzte Reinigung markiert werden: Und nachdem er mit Salz und mit Gold eine Abgrenzung gemacht hat und sich mit Wasser besprengt hat, soll er weggehen. Wenn er will, kann er auch noch dem Elastoros ein Opfer darbringen, also einen Privatkult einrichten, in dem die Beziehung zum D ä m o n dauerhaft geregelt wird: Wenn er dem Elasteros opfern will, soll er ihm wie den Unsterblichen opfern. Doch er soll zur Erde hin schlachten. Sehr ähnlich findet sich das Reinigungsritual des Mörders in der Literatur reflektiert: bei Aischylos in den Eumeniden (zu diesen s. Kap. II 1.1.2.2.2), die etwa aus der gleichen Zeit wie die Inschrift stammen, u n d etwa 200 Jahre später bei Apollonios Rhodios. Bei Aischylos (s. unten S. 121ff., besonders S. 131) hören wir allerdings nichts von einer Ankündigung des Mörders. Der Mörder hat, befleckt und von den Erinyen verfolgt, ausser Landes ins Exil zu gehen und bis er gereinigt ist, stumm zu sein und soziale Kontakte und das Betreten von Heiligtümern zu meiden. Um sich reinigen, dringt er 135

Zeile BIO f. beschliessen das in B 3 begonnene Verfahren. Siehe Jameson S. 45.

Reinigung bei Homer

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schweigend ins Haus eines Schutzherrn ein und setzt sich mit einem von Wolle umwundenen Ölzweig an seinen Herd. Die Reinigung erfolgt, indem ein Ferkel so geschlachtet wird, dass sein Blut über den Befleckten strömt und darauf mit Wasser weggewaschen wird. N u n kann der Mörder von sich behaupten, dass er rein und ungefährlich ist, darf wieder sprechen und am sozialen und religiösen Leben teilnehmen, auch wenn in Aischylos' Eumeniden die Erinyen - im Gegensatz zu den'EXacjTepoi in Selinus - dieses Reinigungsritual nicht anerkennen und Orestes zusätzlich vor ein Gericht geführt werden muss. Ebenso machen bei Apollonios Rhodios die Mörder vor der Reinigung keine Ankündigung, sondern Jason und Medea folgen Kirke auf ihr Geheiss ins Haus und setzen sich schweigend auf den Herd der Gastgeberin, und geben dadurch, dass sie nicht emporblicken, sondern teils ihre Stirn in ihren Händen verbergen (Medea), teils die Mordwaffe in den Boden heften (Jason), zu erkennen, dass sie Mörder sind, die der Reinigung bedürfen. Darauf werden die Hände der Mörder v o n Kirke mit dem Blut eines Ferkels Übergossen, das anschliessend mit Wasser weggewaschen wird; dann werden die Reinigungsrückstände (X0|iciTa) weggetragen; zuletzt werden Zeus und die Erinyen durch das Verbrennen unblutiger Opfer und weinlose Spenden versöhnt. 136 Wie bei der Inschrift von Selinus dürfen sich die Mörder erst jetzt nach vollzogener Reinigung hinsetzen und mit der Gastgeberin reden.

136 A.R. 4.693-717. Umstritten ist V. 707ff.: aims 8e Kai äXXois / (ieiXiaaev xüt^oicti KaOapcriov a-yKaXfoixra/ Zf]va... Die meisten verstehen die Verse wie F. Vian in seiner Ausgabe: "puis, avec d'autres libations, eile propitiait dans ses invocations Zeus le Purificateur"; so offenbar auch Parker in seiner Paraphrase der Stelle S.370: "then she poured offerings to Zeus of Purification, with invocations" (äXXois übergeht er stillschweigend). Die Vertreter dieser Auffassung nehemen also an, dass schon aipxm xeipa? /reyyev (V.706f.) als "Libation" aufzufassen ist. Problem dieser Auffassung ist a l l e r dings, 1.) dass das Blut, mit dem der Mörder Übergossen wird und das doch die Unreinheit absorbieren soll (vgl. Parker S. 230), noch an ihm kleben bliebe; 2.) dass offenbliebe, was die Xu^iaTa (V.710) sind. Am meisten Sinn macht es doch, wenn man darunter v.a. das Blut versteht, das die Unreinheit absorbiert hat und darauf weggewaschen worden ist. Es scheint daher vernünftiger, unter \vtXa "Übergiessungen mit Wasser" (so Ginouves S.322 Anm.12, "Badewasser, "Bad" zu verstehen wie in Lyc. 1099, Euph. 9.7 (siehe LSJ s.v.). Dann sind die Verse wohl so wiederzugeben: "Und sie stimmte die Götter gnädig durch die Anwendung anderer Übergiessungen bzw. Übergiessungsmittel (näml. Wasser), Zeus den Reiniger anrufend." (so bekäme KaOöpaioi' einen ganz konkreten Sinn). So scheinen die Verse auch Stengel G.K. S. 159 und v.a. Ginouves S.322 (der die Deutung "Libation" kritisiert) zu verstehen. Zur Reinigung mit Ferkelblut + Wasser vgl. auch Paus. V 16.8 (Die Hellanodiken und die ¿KKaiSeica -yiivaiKes machen sich nicht eher an ihre Pflichten, upiv fj xoipo) Te erriTri&tiüj Trpös Ka9ap|iöi> Kai üSari KTai). Zum Reinigungsritual für den Mörder allgemein siehe Parker S. 370-374, Burkert G.R. S.137f., Ginouves S. 319-325.

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3.2.3. Befleckung und Reinigung bei Homer? 3.2.3.1. Die Divergenz unter den Forschern Die grosse Streitfrage unter den Philologen besteht darin, ob Homer die Vorstellung einer nicht nur physischen, sondern auch 'metaphysischen', metaphorisch aufgefassten Befleckung, die der Betroffene sich bei Geschlechtsverkehr, Geburt, Tod und Mord automatisch zuzieht und ihm den Kontakt mit den Göttern verbietet, sowie der Brauch der speziellen Reinigung, die der Beseitigung einer solchen Befleckung dient, bekannt ist. Ein abschliessendes Urteil in der umstrittenen Frage nach der Entwicklung der Befleckungsvorstellungen und Reinigungsgebräuche von Homer an bis in die klassischen Zeit ist wohl nicht möglich. Dennoch wird im folgenden versucht, erst die wichtigsten philologischen Auffassungen zu diesem Problemkreis aufzuzählen und sie darauf so gut es geht - gegen einander abzuwägen. Moulitiier, wie zuvor schon Stengel und Gillies, vertrat die Auffassung, dass Homer die klassische Vorstellung einer metaphorischen und immateriellen Befleckung, die ansteckend ist und den Kontakt mit den Göttern verunmöglicht, sowie das Reinigungsritual zu deren Beseitigung nicht kenne. Unreinheit sei immer materiell und konkret aufgefasst: Blut, Staub, Schweiss, Schmutz oder Kot. Ebenso seien die Reinigungen - sowohl jene nach dem Kampf oder vor dem Essen als auch jene vor der Kulthandlung - gänzlich materiell und der körperlichen Sauberkeit dienend. Demnach verunmögliche bei Homer nur die materielle Unreinheit den Kontakt mit den Göttern, sei für Homer Befleckung einfach Schmutz.137 Was speziell die Befleckung durch den Tod angeht, betonte Moulinier, dass der Tote bei Homer nicht an sich für unrein gelte, sondern nur, wenn er schmutzig sei, und dass der Kontakt mit ihm nicht beflecke.138 Und Stengel hob hervor, dass bei Homer selbst die Götter unbedenklich Leichen berühren, 139 während Gillies darauf hinwies, dass die Angehörigen nach der Beerdigung sich nicht einer Reinigung zu unterziehen pflegten. 140 V.a. aber betonten Stengel, Gillies und Moulin i e r , dass bei Homer der Mörder nicht als befleckt gilt u n d nicht e i n e m

137

Moulinier S. 25ff.; Stengel G.K. S. 156; Gillies S. 71ff. Moulinier S. 30f. 139 Stengel G.K. S. 157 mit Anm. 2; er stellt diese Tatsache den Stellen E. Ale.22; Hipp.1437 und I.T. 381f. gegenüber. 140 Gillies S. 73, bezugnehmend auf II. 23.258; 24.802; Od. 12.10. 138

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blutigen Reinigungsritual unterzogen wird.141 Als Beweis dient ihnen eine Stelle aus dem 15. Buch der Odysse, wo der Mörder Theoklymenos sich dem opfernden Telemachos nähert, um ihn um Schutz zu bitten: Es findet sich dort, so betonten sie, weder ein Hinweis darauf, dass er befleckt wäre und seine Gegenwart das Opfer entweihen würde, noch wird ihm von Telemachos eine Reinigung zuteil. Vielmehr nimmt ihn Telemachos ohne Umstände und ohne die geringste Furcht auf seinem Schiff auf.142 Moulinier zählt weitere Punkte auf, die seiner Meinung nach dagegen sprechen, dass der Mörder bei Homer als befleckt galt: 1.) die Tatsache, dass fliehende Mörder wie Lykophron, Epeigeus und Patroklos immer gut aufgenommen werden;143 2.) dass man, wenn man sich in der Fremde als Mörder ausgibt - wie Odysseus es an einer Stelle tut144 - keinerlei Anstoss erregt; 3.) die Möglichkeit für den Mörder, statt zu fliehen, Blutgeld zu bezahlen;145 4.) den Umstand, dass die Kraft, die den Mörder ins Exil treibt, nicht seine Befleckung ist, sondern die Angst vor der Rache der Verwandten des Opfers, wie der Fall des Theoklymenos zeigt.146 Erste sichere Zeugen für eine Lehre von der Befleckung des Mörders, Toten etc. und der Forderung nach Reinigung kann Moulinier erst nach Homer finden: Er weist darauf hin, dass die erste sichere Reinigung des Mörders sich in der Aithiopis des Arktinos von Milet (2. Hälfte 7. Jh.?) findet,147 dass die 'Reinigung' der Stadt durch das Austreiben des 4>ap|iaKÖg, die den Glauben an die Befleckung der Stadt voraussetzt, seit dem 6. Jh. (durch Hipponax) bezeugt ist,148 dass die erste Reinigung von der Befleckung des Todes im 6. Jh. bezeugt ist (Peisistratos' Reinigung von Delos),149 dass zum ersten Mal Ende des 7.Jhds. von der Austreibung von Urhebern eines Sakrilegs (KuXwveiov äyos)

Stengel G.K. S.156f.; Gillies S. 731; Moulinier S. 31f. Od. 15.222ff. 143 Lykophron: II. 15.430-39; Epeigeus: II. 16.571-75; Patroklos: II. 23.85-90. Moulinier S. 31f. 144 Od. 13.259-75; Moulinier S. 32. 145 Blutgeld: II. 9.632-36; 18.497-508; Moulinier ibid. 146 Theoklymenos: Od. 15.273ff.; Moulinier ibid. Vgl. Gagarin S. 10, der nach einer Auflistung sämtlicher Mordfälle im Epos zu folgendem Schluss kommt: "It is apparent also from the example of Theoklymenos and others that this flight is the direct consequence of the necessity to escape death at the hands of the victim's relatives seeking revenge, and although it is likely that this desire for revenge was stronger in some cases than in others (cf e.g. II. 23,497-508 and Od. 24,430-525), the threat of vengeance probably lay ultimately behind every case of exile for homicide." 141

142

147 T.W. Allen, Homeri Opera V p,105.28ff.; siehe Moulinier S. 42f.;58. Zur D a t i e rung vgl. Parker S. 131 Anm. 102. 148 Hippon. Fr. 5-11 West. Moulinier S. 50; 58. 149 Hdt. 1.64; Thuk. 3.104 (vgl. oben Anm. 111). Moulinier S. 49f.; 58.

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die Rede ist150 und dass erst in der archaischen Zeit Reinigungspriester, KdöapTai, auftauchen wie Epimenides, Bakis, Abaris.151 Aufgrund dieser Quellenlage gibt Moulinier zu, dass der Schluss naheliege, dass der Glaube an die Befleckung und das Bedürfnis nach Reinigung zu ihrer Beseitigung eine nachhomerische Neuerung sei.152 Doch betrachtet er einen solchen Schluss als voreilig. Er gibt zu bedenken, dass weder in der Erinnerung der klassischen Griechen noch in der Legende eine Zeit heraufbeschworen wird, in der die klassischen Befleckungsvorstellungen nicht bekannt gewesen wären, 153 und fasst die Möglichkeit ins Auge, dass Homer die Befleckung des Mörders und des Sakrilegs bewusst verschweigt, sei es, weil er daraus keinen literarischen Nutzen ziehen zu können glaubte, sei es aus Angst, die Dinge beim Namen zu nennen. 154 Schliesslich ist er der Ansicht, dass die Vergangenheit Griechenlands so reich an verschiedenen Elementen sei, dass es gute Gründe brauche, um zu sagen, dass ein Faktum, das uns neu scheine, es auch wirklich sei. Hinsichtlich der Vorstellungen von Befleckung und Reinigung jedoch, meint er, hätten wir keine solchen Gründe, die die Annahme von Neuerungen im 7. und 6. Jh. rechtfertigen würden.155 In zweierlei Hinsicht unterscheiden sich Nilsson, Dodds und Burkert grundsätzlich von Mouliniers Auffassung. Zum einen sind sie der Auffassung, dass sich bei Homer durchaus Ansätze einer kathartischen Praxis feststellen lassen; zum anderen geben sie Gründe an, die zu einer weiteren Ausbildung und Intensivierung dieser Lehre in nachhomerischer Zeit geführt haben könnten. So sind alle drei der Auffassung, dass sich bei Homer die Auffassung der Krankheit als einer Befleckung, die durch eine Reinigung entfernt werden musss, bereits vorfindet.156 Nilsson und Dodds sehen auch in der Reinigung des Hauses durch Odysseus nach dem Freiermord mehr als nur eine ästhetische oder hygienische Massnahme.157

150 Zum KuAujueioi' äyos siehe oben Anm. 118; zur Vertreibung der eva-yets vgl. unten Kap. II 2.2. Moulinier S. 46f.; 58. 151 Zu Epimenides siehe unten Kap. II 2.2.; zu Bakis und Abaris siehe unten Kap. II 2.1. Moulinier S.51f.; 58. 152 Moulinier S. 59. 153 ibid. 154 Moulinier S. 60. 155 Moulinier S. 61. 156 II. 1.313ff. Nilsson, Griechische Feste S. 98; G.G.R. S.91; Dodds S. 180 Anm. 39; Burkert G.R. S. 135f.

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Was die Reinigung des Mördern angeht, so will Nilsson sogar nicht ausschliessen, dass sie, obwohl Homer sie nicht erwähnt, - sogar i m Falle des Theoklymenos oder bei der Erwähnung des Wergeides dennoch stattgefunden haben kann, 158 und er erinnert in diesem Zusammenhang auch an "Sitten von grausamer Urtümlichkeit, die ein hohes Alter haben müssen" und "wie eine primitive Reinigung" aussehen: die eine bestand darin, dass der Mörder das Blut des Ermordeten aufsaugte und gleich wieder ausspie, die andere, an die Homer wohl an einer Stelle anspielt, 159 darin, dass er die blutige Mordwaffe a m Haupte des Getöteten abzuwischen pflegte. 160 Dennoch sind Nilsson, Dodds und Burkert der Ansicht, dass an der Schwelle von der Welt Homers zur archaischen Epoche die Angst vor Befleckung und das Bedürfnis nach Reinigung in bemerkenswertem Masse zuzunehmen scheint. Nilsson hebt v.a. die ethische Seite der Veränderung hervor: Wiewohl er Homer die Kenntnis der Reinigung des Mörders nicht abspricht, gibt er zu, dass in der homerischen Gesellschaft, wo Kampf und Totschlag an der Tagesordnung waren, das Gefühl für Blutschuld und Blutsühne abgeschwächt war, so dass im Falle eines Mordes die Zahlung des Wergeides in den Vordergrund trat.

Er glaubt, dass in der homerischen Gesellschaft "die Achtung vor dem Menschenleben verringert" war: Die Gefahr lag nahe, dass eine Mordsache sich in eine Prestigefrage oder gar ein Geschäft verwandelte und dass das Recht des Ermordeten selbst vernachlässigt wurde.161

In der archaischen Zeit dagegen - so Nilsson - setzte sich "die Forderung der Religion" durch 162 : Mord wird in jedem Fall als eine schwerwiegende Befleckung aufgefasst, Reinigung und Sühnung zur bindenden Pflicht. Dadurch wurde "die Achtung vor dem Menschenleben, über dessen Vernichtung man sich nicht leichtfertig hinwegsetzen durfte", gefördert. Als verantwortlich dafür, dass sich die "Forderung 157 Od. 22.437ff.; Nilsson, Griechische Feste S. 99; G.G.R. S. 92. Dodds I.e. Moulinier S. 28 fasst die Handlung vorwiegend als der "esthétique" dienend auf; Gillies S. 74 spricht von einer hygienischen Massnahme. 158 Theoklymenos siehe oben Anm. 142. Nilsson G.G.R. S.91f. 159 Siehe oben S. 7f. 160 Nilsson G.G.R. S. 92 inkl. Anm. 1 und 2. Vgl. oben Anm. 46. 161 Nilsson G.G.R. S. 92 und S. 634. 162 Im folgenden wird auf Nilsson G.G.R. S. 632-637; Greek Piety S. 42-47 Bezug genommen

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der Religion nach Reinigung und Sühnung" durchsetzen konnte, betrachtet Nilsson das Orakel von Delphi, das in der archaischen Zeit zur Blüte gelangt war: Es war selbstverständlich, dass der Gott der Sühnungen sich v.a. der Mordsühne annehmen musste und auf ihr bestehen musste.

Nilsson glaubt, dass der delphische Gott mit seinem unerbittlichen Bestehen auf der Befleckung des Mörders und seiner Forderung nach Reinigung beim Staate ein offenes Ohr fand, da diesem nunmehr ein Mittel an die Hand gegeben wurde, "die Blutrache, die das Zusammenleben der Bürger zu zerrütten drohte, zu unterdrücken" und "zugleich die Bestrafung der Mörder, statt sie den Verwandten des Mörders zu überlassen, in die eigene Hand zu nehmen". So glaubt Nilsson, dass "die Blutsühne und die Formalitäten des Mordprozesses in der griechischen Polis offenbar unter der Mitwirkung und Sanktion des delphischen Gottes geregelt" wurden. Den Einfluss Delphis sieht Nilsson auch in der Institution der e£r|YT|Tal ttdööxpticttoi sich widerspiegeln, die seiner Meinung nach "die Beauftragten des Gottes" waren und "besonders über Reinigungen Auskunft gaben". Dodds sieht den Unterschied zwischen den homerischen und den archaischen Befleckungsvorstellungen hauptsächlich darin, dass in der archaischen Zeit die Befleckung im Gegensatz zu vorher als ansteckend, vererblich und dadurch als gefährlicher und furchterregender aufgefasst wurde. Um diesen Unterschied deutlich zu machen, stellt er Telemachos' ungezwungenen Entschluss, einen Mörder als Schiffskameraden aufzunehmen (Od. 15.256ff.), den übertrieben ängstlichen Befleckungsvorstellungen des 5. Jhds. gegenüber, aufgrund derer ein Angeklagter in einem Mordprozess versucht, seine Unschuld von der Tatsache her abzuleiten, dass sein Schiff den Hafen sicher erreicht hat (Antiphon 5.82f.). Und ebenso weist er auf die "trennende Kluft" hin, die sich beim Vergleich der homerischen Oidipus-Version, der zufolge Oidipus auch nach der Aufdeckung der Schuld weiterhin König von Theben bleibt (Od. 11.275ff.; II. 23.679f.), mit jener des Sophokles auftue, gemäss welcher Oidipus als Befleckter aus der Gesellschaft ausgestossen werde, zermalmt von der Last einer Schuld, 'die weder die Erde noch der heilige Regen noch das Sonnenlicht hinwegnehmen können' (Soph. O.T. 1425ff.).163 163 Dodds, S. 23f. Mit der Ausstossung des Oidipus verhält es sich freilich komplizierter als Dodds angibt. Wie in den Phoinissen des Euripides bleibt Oidipus auch bei Sophokles zunächst in Theben. Denn Kreon befiehlt nicht etwa, wie Dodds weismachen will, das ciyo?, "das weder die Erde noch der heilige Regen noch das Sonnenlicht an-

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Dodds sieht diese neue Auffassung vor dem Hintergrund einer allgemeinen Entwicklung von der "Schamkultur" zur "Schuldkultur", die er in der archaischen Zeit glaubt verfolgen zu können. Das archaische Schuldempfinden, so meint Dodds, äussere sich in diesem neuen Befleckungsglauben. 164 Auch was die Reinigung angeht, erinnert Dodds an den Unterschied zwischen "der einfachen homerischen Reinigung, die von einem Laien ausgeübt wird" und "den berufsmässigen 'kathartai' der archaischen Zeit mit ihrem ausgeprägten und schmutzigen Ritual".165 Gewisse dieser KaöapTai wie Abaris und Epimenides glaubt Dodds auch der Herkunft nach klassifizieren zu können: Sie sind seiner Meinung nach Vertreter des skythischen Schamanismus, wobei er freilich beim Kreter Epimenides einschränkt, dass ihn nur die Überlieferung dem Typus des nördlichen Schamanen angeglichen habe.166 W. Burkert weist beim Vergleich zwischen Homer und der archaischen Epoche v.a. auf Neuerungen hinsichtlich der Befleckung und Reinigung des Mörders hin: Er erinnert daran, dass die Reinigung des Mörders bei Homer noch nicht, wohl aber in der Aithiopis bezeugt ist, dass Orestes bei Homer noch nicht, wohl aber bei Stesichoros von Erinyen verfolgt wird, dass noch vor Stesichoros Athen durch Epimenides von Blutschuld gereinigt worden ist.167 Auch er anerkennt den Einfluss Delphis auf diese Neuerungen, den er darin sieht, dass von Delphi aus eingeschärft und bestätigt w o r d e n ist, d a s s M o r d einer Sühne bedarf, d a s s es aber a u c h möglich ist, durch E n t s ü h n u n g über die Katastrophe h i n w e g z u k o m m e n .

Diesen Einfluss Delphis sieht er sich auch im Mythos wiederspiegeln, der Apollon selbst für den Mord an der Schlange Python sich der Reinigung unterziehen lässt sowie seit Aischylos den Gott persönlich in nehmen können" zu Verstössen, sondern "Oidipus möglichst schnell ins Haus zu bringen". Und obwohl Oidipus ihn V. 1436 bittet: "Wirf mich möglichst schnell aus diesem Lande!" und diese Bitte 1517 wiederholt, will Kreon ihr nicht nachkommen, bevor er die Götter befragt hat. Im O.C. 430ff. erfahren wir dann, dass die Polis Oidipus erst nach langer Zeit (xpöwo V. 437, xpwoiv V. 441), als er schon gelernt hatte mit seinem Leid umzugehen, aus dem Land vertrieben habe. Die Vertreibung bei Sophokles scheint in erster Linie eine Folge des Beginns des O.T. (V. 236ff.) zu sein, in der Oidipus sich selbst den Fluch gab. 164 Dodds S. 23-25. Die Entwicklung der "Schamkultur" zur "Schuldkultur", die er freilich relativ verstanden wissen will, skizziert Dodds im 2. Kapitel (S. 17-37). Vgl. dazu auch W. Burkert, Creation of the Sacred, Cambridge Massachusetts and London 1996, S. 125ff. 165 Dodds S. 24. 166 Dodds S. 77ff. 167 Burkert, Itinerant Diviners S. 115.

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seinem Tempel die blutige Reinigung an Orestes vollziehen lässt, und er erinnert daran, dass Apollon bereits in der Ilias Anwalt der Reinheit ist.168 Trotz Anerkennung des delphischen Einflusses und Respektbekundung gegenüber Dodds These des Übergangs von der "Schamkultur" zur "Schuldkultur" glaubt Burkert allerdings, dass diese Neuerungen sich nicht allein als Folge einer eigenständigen, kulturimmanenten und unabhängigen Entwicklung der griechischen Kultur erklären lassen, sondern hält vielmehr auch interkulturelle Kontakte als verantwortlich für sie. So vertritt er die These, dass die Griechen v.a. das Ritual der Reinigung durch Ferkelblut, das sie in erster Linie dem Mörder, doch auch Wahnsinnigen zuteil werden liessen, im 7. Jh. von den Babyloniern übernommen haben. Er gibt zu, dass dieses Ritual in Babylonien nur dem Kranken zuteil wurde, nicht dem Mörder. Doch macht er darauf aufmerksam, dass in archaischen Gesellschaften soziale und leibseelische Störungen nicht klar geschieden werden, dass Verfehlung und Krankheit ineinander übergehen: Orestes ist nicht nur Mörder, er ist auch wahnsinnig, "krank". So konnte seiner Meinung nach das Ritual der Reinigung durch Ferkelblut, das die Babylonier für den Kranken vorbehielten, leicht auch für den Mörder als geeignet erscheinen. Er nimmt an, dass die Griechen dieses Ritual von wandernden babylonischen Beschwörungspriestern im 7. Jh. kennengelernt haben, und hält es für keinen Zufall, dass der berühmteste uns bekannte Reinigungspriester, Epimenides, - ebenso wie Thaletas - aus Kreta stammte, das in der geometrischen und frühorientalisierenden Epoche - nächst Zypern - der dem semitischen Orient am nächsten verbundene Bereich Griechenlands war. Doch nicht nur das Ritual der Reinigung durch Blut, auch andere Reinigungstechniken haben die Griechen nach der Ansicht Burkerts von den Babyloniern übernommen: das Reinigen mit Fackel und Räucherbecken, mit Zweigen, Asphalt, Zwiebeln, sowie "das Abreiben" (duoiidTTeiv) und die Entsorgung der Reinigungsrückstände. Zudem glaubt er hinsichtlich des Vokabulars der griechischen Reinigungsrituale an die Übernahme von Lehnwörtern aus dem semitischen Sprachraum, als welche er KaOaipeiv/ KaGapös, sowie Aiincrra/ Xii9pov ansieht, wobei er freilich zugibt, dass diese Wörter zur Zeit Homers den Fremdwörterstatus längst überwunden haben.169 Im Gegensatz zu Moulinier, Nilsson, Dodds und Burkert bezweifeln Lloyd-Jones und Parker grundsätzlich, dass sich hinsichtlich der VorBurkert G.R. S. 232. Burkert Itinerant Diviners S. 115-119; O.E. S. 57-65. Zu Kaöaipeiw/ Kaöapös siehe oben bei Arvm. 12; zu \v\iara/ XiiOpou siehe oben bei Anm. 50 und 52. 166 169

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Stellungen von Befleckung und Reinigung zur Zeit des Übergangs von der homerischen zur archaischen Epoche etwas geändert habe. Die beiden geben zu, dass Befleckung bei Homer im Gegensatz zur Tragödie des 5. Jhs. eine geringe Rolle spielt; doch ihrer Meinung nach hängt dies nicht damit zusammen, dass in der Zwischenzeit die Angst vor Befleckung zugenommen hätte, sondern ist dies durch die Verschiedenheit des Genres und durch die unterschiedlichen persönlichen Akzentsetzungen der jeweiligen Dichter bedingt.170 Nichtsdestoweniger bemühen sie sich zu zeigen, dass Befleckung und Reinigung bei Homer dennoch nachzuweisen ist. Lloyd-Jones geht von der These aus, dass der Seher, der Sänger und der Arzt, die bei Homer drei verschiedene Berufe repräsentieren, ursprünglich in ein und derselben Person vereinigt waren: im Typus des 'Schamanen', yör|s, der in historischer Zeit durch Epimenides und Empedokles vertreten war, und zu dessen Praktiken seiner Meinung nach von Anfang an das Ritual der Reinigung gehörte. Spuren dieser ursprünglichen Personalunion des Sehers, Sängers und Arztes glaubt er noch an den Heilmethoden der homerischen Ärzte Machaon und Podaleirios zu erkennen, zu deren Repertoire seiner Meinung nach auch Beschwörungen und Reinigungen gehörten. Und gerade diese Reinigungen will Lloyd-Jones von rituellen Reinigungen nicht verschieden wissen.171 Zudem vermutet er, eine Hypothese von W. Burkert aufgreifend, dass sich der Typus des Y O R ^ S selbst hinter den QprjVOJI^ (Allen nach Handschriftengruppen cfhi; vulg. 0piivous) e£dpxous (II. 24.721) verbirgt,172 und erinnert daran, dass Melampus - in seinen Augen ein mythischer Vorgänger der 'Schamanen' der archaischen Epoche - , der später im hesiodischen Frauenkatalog und in der Melampodie als Heiler der Töchter des argivischen Königs Proitos vom Wahnsinn oder einer ekelhaften Hautkrankheit auftritt, bereits bei Homer bezeugt ist, wobei er freilich zugibt, dass dies nicht beweist, dass bereits zu Homers Zeiten Reinigungen zu solchen Zwecken angewendet wurden. 173 Was die Befleckung angeht, so glaubt Lloyd-Jones nach einem Vergleich des Anfangs der Ilias mit dem Beginn des sophokleischen Oidipus Tyrannos, dass, wiewohl bei Homer das Wort "Befleckung" nicht falle, die Sache selbst dennoch in ihrem wichtigsten Aspekt vorhanden sei, insofern nämlich das Vergehen eines einzelnen Mitgliedes der Gemeinschaft eine mysteriöse Strafe über alle heraufbeschwöre. Und Lloyd-Jones S. 76f.; Parker S. 15f. Lloyd-Jones S. 72. Dass der Schamane "Arzt, Seher und Sänger in einem war", hat schon K. Meuli, Scythica, Hermes 70, 1935 S. 165 gesagt. 172 Lloyd-Jones ibid.; siehe Burkert rOlLE, besonders S.45. 173 Lloyd-Jones S. 72f. 170 171

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als Beweis dafür, dass selbst der technische Begriff der Befleckung präsent sei, führt er die Tatsache an, dass sich die Achaier auf Agamemnons Befehl reinigen und die Rückstände ins Meer werfen (II 1.313f.).174 Parker präzisiert Lloyd-Jones' Ausführungen, indem er darauf hinweist, dass das Vergehen Agamemnons, das über alle eine göttliche Strafe heraufbeschworen hat, in einem Sakrileg, einem Frevel gegen Apollo, bestand. 175 Dennoch charakterisiert auch er die Situation als Befleckung. Denn er rechnet - wie bereits ausgeführt 176 - das Sakrileg grundsätzlich zu den Befleckungen. Daher ist er berechtigt zu sagen, dass die Befleckung des Sakrilegs, äyos ("not the word, but the experience"), bei Homer allgegenwärtig ist.177 Lloyd-Jones betont auch, wie schon Nilsson, das Alter der erst bei Aischylos vom Mörder überlieferten, primitiven Gebräuche des [IGKJXaXiCT^ö? sowie der Sitte, das Blut der Ermordeten aufzusaugen u n d wieder auszuspeien, und weist darauf hin, dass solche Gebräuche den Glauben an das Fortleben des Getöteten als Rachegeist voraussetzen. 178 Der Glaube an Rachegeister aber, so meint er, sei bereits bei Homer zur Vorstellung der Erinyen sublimiert worden, in denen er mit Rohde ursprünglich die zürnenden, sich selbst Rache holenden Seelen der Ermordeten selbst sieht, die jedoch schon bei Homer zu Hüterinnen des Rechts schlechthin geworden seien. Als solche traut er ihnen jedoch schon zu Homers Zeiten zu, dass sie gegebenenfalls auch einer ganzen Gemeinde Strafe bringen könnten, sollte diese es zulassen, dass ein Mörder ungestraft davonkomme. 179 Parker geht besonders ausführlich auf die Befleckungen durch den Tod u n d d u r c h M o r d ein. Bezüglich

der Befleckung

durch

den

Tod

weist er darauf hin, dass die Todesfälle, die Homer beschreibe, in der Schlacht vorkommen, und erinnert daran, dass nirgends bezeugt sei, dass Krieger durch den Tod ihrer Kameraden je als befleckt gegolten 174

Lloyd-Jones S. 74. Parker S. 175f. betrachtet den Priester als "a kind of walking temple". Ein Vergehen gegen ihn, wie dasjenige des Agamemnon gegen Chryses (Parker S. 176 Anm. 179), ist daher ein Sakrileg. 176 oben S. 24ff. 177 Parker S. 189: "The common view that fear of pollution is virtually unknown to Homer is obviously based on an implicit exclusion of the pollution of sacrilege, which is ubiquitous in him;" vgl. femer S. 9: "It would be possible in these terms to offer a compromise solution to the notourious problem of pollution in Homer; while 'miasma' cannot be shown to be present in him, 'agos' (not the word, but the experience) he undeniably recognizes." 178 Lloyd-Jones S. 75. Nilsson G.G.R. S. 92, vgl. oben Anm. 160 sowie Anm. 44, 47. ,7övos erschliessen, das er als "one who kills in a polluting way" interpretiert. Aus diesen Gründen ist er nur bereit, die Abwesenheit des eigentlichen Reinigungsrituals bei Homer zuzugestehen 188 und dieses allen182ff.; id. Death-Ritual and Social Structure in Classical Antiquity, Cambridge, 1992, S. 26. 184 Parker S. 130-143. 185 Parker S. 131-134. 186 Verwandtenmord zieht nach der Vermutung Parkers den Zorn der Erinyen auf sich, die - wie er im Anschluss an Lloyd Jones (S. 75) meint - die Rechte der Eltern und Geschwister aufrechterhalten; dass Töten von Gästen den Zorn der Götter heraufbeschwört, ist aus Od. 14.402ff.; 21.24ff.; II. 24.583ff. ersichtlich. Parker S. 133 mit Anm. 112. 187 Parker (S. 133f. inkl. Anm. 116) schliesst dies aus Stellen, aus denen hervorgeht, dass der Tote intervenieren kann, um den Lebenden anzustossen und ihn an seine Pflichten zu erinnern (II. 23.69-107; 22.358) und aus der generellen Funktion der Erinyen, die darin besteht, sicherzustellen, dass jedes Familienmitglied gegenüber dem anderen seinen Verpflichtungen nachkommt. 188 Er widerspricht damit K.O. Müllers Ansicht, dass die Reinigung des Mörders bei Homer bezeugt sei. K. O. Müller, Aischylos, Eumeniden, Griechisch und deutsch mit erläuternden Abhandlungen, Göttingen 1833, S. 134 Anm. 10 beobachtete, dass der Scholiast T zu II. 24.480-82 offensichtlich avSpös és áyiÁTew in II. 24.482 las, wenn er schreibt: TÖV Sé KaSaípoira Kai áyvÍTT|v eXeyov. Müller wollte daher in II. 24.482 statt des überlieferten dvSpos és átjweioO die Worte aißpös es áyiÁTeai lesen, wodurch die Mordreinigung bei Homer bezeugt wäre. Doch Parker (S. 135 Anm. 124) zieht die überlieferte Lesart vor.

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falls als eine nachhomerische Neuerung anzuerkennen (eine Vermutung G. Grotes aufgreifend, hält er es für möglich, dass es aus Lydien eingeführt worden ist).189 Allerdings ist er eher geneigt, "the unfashionable view" von K. O. Müller wiederzubeleben, dass, wenn der homerische Mörder bei einem fremden Herrn "um Schutz flehte" (iiceTeuae), er ihn implizite auch um Reinigung ersuchte, dass nur der Dichter, nicht die Gesellschaft, die er beschreibt, die Reinigung weglässt.'90 Parker glaubt auch nicht, dass sich aus der unterschiedlichen Behandlung der Helden Oidipus und Orestes durch Homer und die Tragiker das Auftauchen von neuen Befleckungsvorstellungen ableiten lasse.191 Wenn Homer Orestes, den Muttermord überspielend, als beispielhafte Figur, die von keinen Erinyen belästigt wird, darstellt, wenn sein Oidipus auch nach der Aufdeckung seiner Verbrechen in Theben weiterlebt und bei seinem Tod wie jeder andere Held mit Leichenspielen geehrt wird, so ist dies nach Parkers Auffassung nicht damit zu erklären, dass der Dichter sich der Monstrosität ihrer Taten nicht bewusst gewesen wäre, sondern damit, dass er diese absichtlich in den Hintergrund gedrängt hat, da er andere Prioritäten setzte. Ausserdem weist er darauf hin, dass auch Homers Oidipus nicht frei von Leiden ist,192 und glaubt, dass Sophokles' Version von "Ödipus' life as a wandering outcast" wohl schlicht in athenischen Ansprüchen auf sein Grab ihren Ursprung habe. Parker sieht demzufolge keinen Grund zur Annahme einer plötzlichen Wende im 8. oder 7. Jh. und bemüht sich daher, auch die Erklärungen derer, die von einer Wende ausgingen, zu widerlegen. Vor allem versucht er, den Einfluss Delphis herunterzuspielen. 193 Auf R. R. Dyer (JHS 89, 1969, 38-56) Bezug nehmend, weist er darauf hin, dass Apollon - im Gegensatz zu Zeus - auf der Ebene des Kultes mit der Reinigung von Mord keine Verbindung hatte, und meint, dass er nur zu einer Autorität in Fragen der Mordbefleckung wurde, weil er als Orakelgott immer wieder in solchen Belangen befragt worden sei. Er bezweifelt jedoch, dass der delphische Gott durch seine Orakeltätigkeit für die Entstehung und Verbreitung einer neuen, einheitlichen Lehre verantwortlich sein konnte, schränkt den Einfluss Delphis auf die Exegeten in Athen ein und verwehrt sich gegen Theorien, die die aischyleische Orestie zu einer "delphischen Orestie" machen, die die

189 190 1,1 192 193

Parker S. 134 mit Arm. 121. Parker S. 135. K.O. Muller op. cit. S. 137. Parker S. 136f. Siehe Od. 11.279f.; ParkerS. 136 Anm. 130. Zu Oidipus vgl. oben Anm. 163. Parker S. 138-142.

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Teil I

Lehre verkörpere, dass Töten manchmal eine Pflicht ist, aber in jedem Fall der Reinigung bedarf.194 Parker ist auch skeptisch gegenüber der Hypothese, dass die Reinigungsriten von Kreta nach Griechenland eingeführt worden sein könnten, 195 und hält auch orphische Einflüsse für unwahrscheinlich.196 So schliesst Parker seinen Exkursus über die Frage nach posthomerischen Veränderungen in den Gebräuchen der Befleckung und Reinigung mit den Worten ab: This historical excursus ends negatively. Nothing has emerged to explain the post-Homeric transformation. But, very probably, there was nothing to explain."7

3.2.3.2. Stellungnahme zum Forschungsstreit Zunächst soll auf die Frage eingegangen werden, ob Homer die Vorstellung einer nicht nur materiellen, sondern auch metaphorischen und immateriellen Befleckung kennt. Stengel, Gillies und Moulinier haben zweifellos recht, wenn sie darauf hinweisen, dass die Wörter fiiaivw und TraXdaaw bei Homer stets eine materielle Beschmutzung bezeichnen. Sie übersehen jedoch dabei, wie Parker wohl zurecht einwendet, dass diese materielle Befleckung zugleich als Symbol für etwas anderes stehen kann, genauso wie es mit seinem Gegenteil, der Reinigung, steht. Es ist bereits gezeigt worden, dass Reinigung bei Homer meist in einen besseren, erstrebenswerteren Zustand überführt (vom sklavenähnlichen zum königlichen, vom Status des "Fremden" zum Status des "Aufgenommenen", vom alltäglichen Zustand zum feierlichen Zustand des Speisenden oder zum "heiligen" Zustand des Andächtigen).198 Parker darf daher wohl zurecht behaupten, dass Reinheit für die homerische Gesellschaft "an unconscious symbol of good order" gewesen sein muss. Im Gegensatz dazu scheint Schmutz Symbol für die Störung des normalen Zustands, für etwas Düsteres, besonders den Tod, zu sein, und zwar sowohl in der epischen Technik des Dichters als auch in der Gesellschaft, die er beschreibt. 194 1,5 196 197 198

Siehe Parker S. 141 mit Anm. 155. Parker S. 142f. Parker S. 143. ibid. Siehe oben Kap. 2.1-2.4; 3.1.

Reinigung bei H o m e r

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Parker hat darauf hingewiesen, dass der Dichter, wenn er ein Unheil mitteilen will, oft die Aufmerksamkeit auf eine scheinbar nebensächliche Beschmutzung richtet:199 Die Misshandlung des toten Hektors durch Achilleus fasst er mit den Worten zusammen: Und das Haupt lag ganz im Staube, das einst so anmutige. (IL 22.402f.). Und die verhängnisvolle Wirkung von Apollons Schlag, Patroklos' Besiegung ermöglichte, deutet er mit den Worten an:

der

Dahinkollernd klirrte unter den Füssen der Pferde der hochröhrige Helm und die Haare des Helmbusches wurden mit Blut und Staub befleckt. Zuvor jedenfalls war es nicht erlaubt gewesen, dass der rossmähnige Helm vom Staube besudelt wurde, sondern des göttlichen Mannes Haupt und anmutige Stirn schützte er, des Achilleus. (II. 16.794-99). Der Dichter geht in dieser Technik so weit, dass er das negative Ereignis, die Verwundung, den Tod, das Töten gar nicht eigens nennt, sondern statt dessen die Beschmutzung geradezu zum Symbol für dieses düstere Ereignis macht: So deutet der Dichter die Verwundung des Diomedes durch den Pfeil des Pandoros schlicht mit den Worten an: Und der Panzer wurde mit Blut befleckt.200 Das Sterben eines Helden nach dem Eindringen eines Speeres ins Gehirn drückt er durch die Worte aus: Und das Hirn war innen ganz (mit Blut) besudelt.201 Und das Niedermetzeln der Feinde durch den einherstürmenden Agamemnon oder Achilleus deutet der Dichter mit den Worten an: Mit Mordblut beschmutzte er die unbezwingbaren Hände.202 Doch auch in der vom Dichter geschilderten Welt hat die Beschmutzung einen symbolischen Wert. Um seinem Schmerz über einen Tod Ausdruck zu geben, beschmutzt man sich selbst.203 Durch diesen Schmutz deuten die Trauernden das düstere Ereignis an, das über sie herabgekommen ist. Der Streit dreht sich nun aber um die Frage, ob die Befleckung bei Homer zugleich automatisch und übersinnlich ist, ob also auch derje1,9

Siehe oben zu A n m . 181.

200

II. 5.100: TTaXdcrcxeTo 8' a i ^ a n 9aipr|£.

201

II. 11.97f.; 12.185f.; 20.399f.: eyKeaXo,- 8e / ev8oi< c m a s TTeraXaKTO.

202

II. 11. 169; 20.503: XOGpw 8g TraXäaaeTo XEIPAS 8e noOi fiiapä;. Vgl. oben Anm. 103. 2 , 3 II. 18.180 (Iris zu Achilleus, der der drohenden Schändung von Patrokols' Leiche durch Hektor untätig zusieht): croi Xoißri, a'i kev tl yeKus riaxuH^evos eXOfl. 19.24ff. (Achilleus zu Thetis): 8ei8w ^iii jioi TÖi(>pa MevoiTiou äXKip.ov ulöf p-iiiai ica88iiaca Kcrrä \ a \ KOTiiTTOvs ¿TeiXa? euXäs iyytivwrrai, aeiKiacraxTi. 8e ^Kp^iA-KaTa 8e xpöa Tatra crcnnifl. 24.406ff. (Priamos fragt Hermes besorgt nach dem Zustand von Hektars Leiche): ...KaTaXe^oi', ri sti Trdp i^eaau; e^i.6? Trais, T)e (nv rjSri t)cti Kualy (ieXelcm Ta(iOüv TTpoüÖTiKev

'AXLXXeijs.

Siehe oben Anm. 213. II. 24.50ff. Zu Apollons Rolle vgl. F. Dirlmeier, Apollon, Gott und Erzieher des hellenischen Adels, ARW 36, 1939, S. 277-299 = Ausgewählte Schriften zu Dichtung und Philosophie der Griechen, Heidelberg 1970, S. 31-47. 2,6 Im Krieg: II. 7.425; 16.667ff.; 18.343ff.; 24.582ff.; Od. 24.43ff.; im Frieden: Od. 24.189f. Dass die Leichenwaschung stets, nicht nur bei einer sichtbaren physischen Verunreinigung durch Schmutz oder Blut, gefordert war, geht aus der Behandlung Hektors 214 215

Reinigung bei Homer

73

Wie in klassischer Zeit muss der Tote also auch bei Homer von einer allfälligen [iiapÖTris gereinigt in den Hades gelangen.217 Doch im Unterschied zur späteren Zeit scheint der Tote bei Homer seine Unreinheit nicht auf seine Angehörigen automatisch übertragen zu können; die Angehörigen haben einzig die Pflicht, vom Toten bis zur Beerdigung jede p.iapÖTT|s abzuwenden; doch sie selber gelten nicht als befleckt. Wenn Achilleus sich auf die Nachricht von Patroklos' Tod reflexartig beschmutzt und später von seiner Weigerung zu baden als einer 9e|ii5 spricht, so könnte dies zwar auf schon bestehenden Trauervorschriften für den homerischen Menschen beruhen, es könnte aber auch Ausdruck einer spontanen Gefühlsregung, echter Trauer eines "sozial wertvollen Individuums" sein, "desjenigen, den der Tod eines geliebten Wesens in hoffnungslose, rasende Verzweiflung stürzte", so dass er "der Erfinder, Anreger und Formgeber der Sitte wurde", die auch nach Homer bezeugt ist.218 Jedenfalls muss man wohl verneinen, dass Homer eine automatische und immaterielle, ansteckende und gefährliche, von Kult und sozialem Leben ausschliessende Befleckung durch den Kontakt mit dem Toten gekannt hätte. Von einer solchen Annahme raten nicht nur die angeführten Beerdigungsszenen ab, sondern auch die Tatsache, dass die Götter selber sich nicht scheuen, bei der Reinigung des "unreinen" Leichnams mit Hand anzulegen. Nicht nur Thetis ist auf Achilleus' Bitte ohne weiteres bereit, zur Verhinderung der Verwesung von Patroklos' Leichnam diesem "Ambrosia und roten Nektar die Nasenlöcher herab" zu giessen, "damit ihm die Haut unversehrt sei". Auch Aphrodite scheut sich nicht, von Hektars Leiche die Hunde fernzuhalten und sie mit ambrosischem Rosenöl zu salben219. Selbst Apollon, der Gott der Reinheit, der später durch sein Orakel die Reinigungen "seiner" Insel Delos von den Gräbern fordern wird und bei Euripides beim Herannahen des Todes, um einem |iiaa|ia zu entgehen, das Haus der Alkestis verlassen wird, reinigt bei Homer - auf Zeus' Geheiss - ohne Bedenken mit eigenen Händen die Leiche Sarpedons und schützt auch selber Hektars Leiche vor Entstellungen durch Achilleus:

hervor: Obwohl Hermes Priamos versichert hat, dass Hektars Leichnam rein ist (II. 24.419f. siehe oben Anm. 212), wird er wenig später dennoch auf Achills Befehl von seinen Mägden als erstes gewaschen und gesalbt (II. 24.582ff.). Zur Leichenwaschung im Totenkult bei Homer vgl. M. Andronikos, Totenkult, Archaeologia Homerica III W , Göttingen 1968, S. W2ff. Zur Reinigung der Leiche siehe Ginouves S. 239f.; Parker S. 35. Siehe Karl Meuli, Entstehung und Sinn der Trauersitten, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, Basel 1975, S. 350. 219 Thetis: II. 19.25-39; vgl. oben Anm. 213; Aphrodite: II. 23.185f. 217

218

74

Teil I

Von seinem Leib hielt Apollon jede Entstellung fern, da er sich des Menschen erbarmte, auch wenn er tot war; und rings umhüllte er ihn ganz mit der goldenen Aigis, damit er ihn beim Schleifen nicht zerschinde. 220

"Noch hilft Apollon als Reiner und Reiniger selbst den Zustand, den er fordert, herbeizuführen."221 Ähnlich verhält es sich bei der Mordbefleckung. Parker mag recht haben mit der Annahme, dass Homer vom "bündle of phenomena that constitue, or are explained by, pollution in the classical texts" nicht nur die beiden sicher bezeugten Aspekte, das Exil und den göttlichen Zorn gegen das Töten von Gästen gekannt hat, sondern auch den Zorn der Erinyen gegen den Verwandtenmörder (wiewohl sein Orestes nicht von Erinyen verfolgt wird) und die Heimsuchung von Verwandten, die ihrer Pflicht, den Ermordeten zu rächen, nicht nachkommen, durch den Geist des Toten (obwohl sie bei Homer nicht expressis verbis bezeugt ist: vgl. oben S. 66f.). Ob allerdings Homer auch die Vorstellung einer automatischen, metaphorischen Befleckung des Mörders, die ansteckend und gefährlich ist und ihn von sozialem Leben und Kult ausschliesst, kennt, scheint weniger gewiss. Parker führt als Beweis das Wort fiiai4>övos an, das er als "killing in a polluting way" auffasst und das in späterer Zeit auf die schlimmsten Mörder angewendet wird. Wortbildung und Bedeutung des Wortes sind allerdings umstritten. Frisk fasste das Vorderlied verbal auf, das Wort dem Ausdruck 6 inaivwv cj>öva) gleichsetzend, unter welchem er "einen befleckenden Mord begehend" verstand, während Glotz - offenbar von derselben Voraussetzung ausgehend das Wort mit "cruore polluens" wiedergab, also an eine ganz konkrete, materielle Befleckung mit Blut dachte. Chantraine dagegen, hielt - zusammen mit E. Risch - das Hinterglied für verbal und setzte als urprüngliche Bedeutung "qui tue en causant une souillure" an, wobei er offenlässt, ob unter "souillure" eine konkrete "Beschmutzung" oder eine übertragene "Befleckung" zu verstehen ist. Noch anders versteht Neumann das Wort als Possessivkompositum mit der Bedeutung "der besudelndes Blut (an sich) hat" und geht von einer konkreten physischen Verunreinigung aus.222 Dass Homer bei (iicuovos nicht an eine

220 Reinigungen von Delos aufgrund des Orakels: Hdt.1.64.2; Thuk.3.104, siehe oben Anm. 111. Vgl. F. Dirlmeier op. cit. S.284 Anm. 27. Euripides : Ale. 22ff.; Sarpedon: II. 16, 667ff.; Hektor: II. 24.18ff. 221 U. von Wilamowitz-Moellendorff, Die Ilias und Homer, Berlin 1916, S. 140 Anm. 2. 222 Frisk s.v. (iiaivci). G. Glotz, La solidarité de la famille en Grèce, Paris 1904, S. 229 Anm.l. Chantraine s.v. maiiAo. Risch S. 202. G. Neumann, KaSapôç "rein" und seine Sippe

Reinigung bei Homer

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ansteckende, metaphorische Befleckung, die vom Kontakt mit den Göttern ausschliesst und eine rituelle Reinigung durch Blut erfordert, sondern vielmehr nur an eine konkrete, physische Beschmutzung mit Blut denkt, legt allein schon die Tatsache nahe, dass er maic}>övos nie für den gewöhnlichen Mörder verwendet, sondern nur als Epitheton für den Kriegsgott Ares verwendet. Zu diesem passt eine metaphorische, vom Kontakt mit den Göttern ausschliessende Befleckung schon deshalb nicht, weil er ein olympischer Gott ist. Mag er auch seinem Vater "der Verhassteste der Götter, die den Olymp bewohnen" sein, da ihm "stets Streit, Kriege und Schlachten lieb" sind, so ist er doch ein göttlicher Bewohner des Olymps, mit dem die anderen Götter den Kontakt nicht scheuen. 223 Es kommt dazu, dass Ares im Kriege tötet, und Töten der Feinde im Krieg galt den Griechen, wie Parker an anderer Stelle selber betont, nicht als im religiösen Sinne befleckend. Nach dem Kampf genügte ein einfaches Bad, um sich das Blut des Gegners wegzuwaschen.224 Weit besser hingegen scheint das Wort (iiai6vos auf Ares in der konkreten Bedeutung zu passen, da er bei seinem Wirken besonders häufig mit Blut in Kontakt kommen und sich mit Blut besudeln muss. Dies geht z.B. aus Nestors Worten hervor, mit denen er in II. 7.328ff. Agamemnon den Abschluss eines Waffenstillstands zur Bestattung der Toten empfiehlt: Denn viele langes Haupthaar tragende Achaier sind tot, deren dunkles Blut nun um den schönfliessenden Skamander der ungestürme Ares verspritzt hat, während ihre Seelen in den Hades hinabgegangen sind. in den ältesten griechischen Texten, in: Kotinos, Festschrift für Erika Simon, hg. v. H. Froning, T. Hölscher, H. Mielsch, Mainz 1992, S. 73. 223 II. 5.890f. Zu "unreinen" chthonischen Göttern siehe unten Kap. III 2.7 Anm. 274277. 224 Eur. Ion 1334 Kaöapös ätras TOI rroXf (UOUS Ö ? äv KTC^T); PI. Leg. 869d: Kaöcmep TTOXCpioi» A I T O K T E I I / a ? ecrui Kaöapös; vgl. Andoc 1.97 '0(iöaai 8' A9pi>aious airarra? Ka0' lepäii/ TeXeiwv, KATÄ 4>uXäg Kai KCITCI Siifious, ÄNOHTEVEIV TÖV TaÜTa Troiiiaairra. ' O 8e öpKOS EFFTIU Ö8f "KTEWJÜ Kai XÖYIO Kai epyto Kai i|iiiu> Kai Tfj ep.auToü x e l pi' äi> SuvaTÖg ir]s atralaaTÖpevos Trjs TOTpiSos dtrepxeTaL iTpös TÖV ayviaovTa Kai OapßoüvTai ndvTes TÖ aujwi8iov Tfjs doTepr|aii' d-rr' lxvai Sc kqtt|tti6q)vto ßapetai). (II. 5.416f.).

Reinigung bei Homer

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In der Beurteilung dieser Heilmethoden gehen die Meinungen der modernen Interpreten auseinander. Wie wir bereits gesehen haben, glaubt Hugh Lloyd-Jones, an den Heilmethoden der Ärzte Machaon und Podaleirios Spuren der ursprünglichen Personalunion des Sehers, Sängers und Arztes, die im Typus des yór|s, Schamanen, verkörpert ist, zu dessen Praktiken nach Lloyd-Jones von Anfang an das Ritual der Reinigung gehört hat, zu erkennen: Even in Homer, traces of the original unity of these professions linger in the methods adopted by their members. Machaon and Podalirius, the sons of Asclepius who are the Greek doctors before Troy, use both incantations and purifications; when they start by cleaning a wound, it would not be safe to assume that they distinguish sharply between sanitation and ritual cleansing.239

Dagegen ist Fridolf Kudlien der Ansicht, dass die homerischen Ärzte, von denen er glaubt, dass sie ausschliesslich Wunden behandelt hätten, die ersten Vertreter der empirisch-rationalen Medizin gewesen seien. Denn - so meint er - die Wundheilkunde Homers sei empirisch-rationale Medizin: Die homerischen Griechen hätten die traumatischen Krankheiten bereits im wesentlichen rational erfasst, und alle sie betreffenden Heilmethoden - mit Ausnahme der "magischen Behandlung" der Wunde durch "Binden" und durch "Besprechen" (eiraOISTÍ) in Od. 19.457f., wo sich noch eine "vorrationale Stufe des Heilens" finde - seien empirisch-rational: "das Aussaugen einer Wunde oder das Abwischen oder -waschen des Blutes, das Auflegen kühlendblutstillender pflanzlicher Pharmaka, das Herausschneiden eines Fremdkörpers in der Wunde, das Verbinden mit Charpie oder Bindeschlingen". 240 Wenn man es genau nimmt, so muss man Lloyd-Jones entgegenhalten, dass Machaon und Podaleirios nirgends bei Homer magische Besprechungen und Reinigungen anwenden. Denn, was die Reinigung betrifft, so lässt Homer, wie wir sahen, nur Patroklos eine Wundwaschung im eigentlichen Sinne durchführen; Machaon dagegen wendet an der einzigen Stelle, an der einer der beiden ir|TpoL überhaupt praktizierend vorgeführt wird, die primitivere Methode des Aussaugens an. Doch es ist unglaubhaft, dass Machaon nicht auch eine normale Wundwaschung durchführen konnte. Wenn Idomeneus' Behauptung stimmt, dass "ein iryrpos viele andere aufwiegt im Pfeile Herausschneiden und im Aufstreuen von lindernden

239 240

Lloyd-Jones S. 72; vgl. oben Anm. 171. Kudlien, Beginn S. 16; 48-50.

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Teil I

Pharmaka", 2 4 1 dann wird er auch - ebenso wie der nicht als irp-pös bezeichnete Patroklos - Wunden gewaschen haben. Doch bei beiden V e r fahren, bei der normalen Wundwaschung und beim urtümlichen Verfahren des Aussaugens der Wunde, das nur eine Steigerung des auch bei Tieren zu beobachtenden Ausleckens der W u n d e zu sein scheint und an sich natürlich und rational ist und nichts mit Magie zu t u n haben braucht, deutet bei Homer nichts darauf hin, dass sie auch m a gisch-ritueller Natur gewesen sind. 242 Lloyd-Jones These, dass Machaons und Podaleirios' Reinigungen auch rituellen Charakter gehabt hätten und auf schamanistischen Ursprung zurückgingen, bleibt d e m n a c h eine nicht beweisbare Vermutung. Die Besprechung, die Lloyd-Jones ebenfalls den Methoden des Machaon und Podaleirios zuschrieb, ist nur in der Odyssee bezeugt. Die Söhne des Autolykos wenden sie - nebst vielleicht magisch zu verstehendem " B i n d e n " 2 4 3 - an, um die Wunde des Odysseus, die ihm e i n Eber auf derjagd beigebracht hatte, zu stillen: P.ev dp' AVTOXVKOV naiSes CJJLXOL d|IETTEVOVTO, wTei\r|v 8"n8i)CTfjos äpu>|iovos aimOeoio Sfjaav emcrrapivios, ¿TTaoiSfj 8' aTjia «eXaivöv TÖV

eCTXe9°y' ali()a 8 ' I K O I ^ T O LXou Trpös S o j ^ A T A TraTpös. T Ö V jiev dp' A I I T Ö X U K Ö S Te Kai ulees A Ü T O X U K O I O ev iriaönevoi.... eTrejiTrov eis'Iöäicriv.

Diesen umsorgten die eigenen Söhne des Autolykos, und die Wunde des untadeligen Odysseus, des gottgleichen, (ver)banden sie sachverständig, und mit einer Besprechung stillten sie das schwarze Blut, und rasch kamen sie zum Haus ihres Vaters. Ihn nun heilten Autolykos und die Söhne des Autolykos gut.... und sie schickten ihn nach Ithaka zurück. (Od. 19.455ff.)

241 II. 11.514f.: iiyrpös ydp avf|p TToXXwy airrd£ios äXXtov / Lovis T' ¿Krä\iveiv euC T' rima äpp.aKa Trdaaeiv. 242 Zum Aussaugen der Wunde siehe Handbuch des deutschen Aberglaubens s.v. "lecken": "Tiere lecken ihre Wunden aus. Das hat auch der Mensch als primitives Heilmittel mit auf die Welt bekommen. Nur eine Steigerung ist es, wenn bei dieser Gelegenheit beschmutzte Wunden ausgesogen werden. Beides ist zunächst ein natürlicher und nicht unzweckmässiger Vorgang. Abergläubische Bedeutung gewinnen beide Handlungen erst vom Speichel aus, der die beiden Beteiligten in sympathetischen Zusammenhang bringt." Laser S. S110 Anm. 296 meint, dass das Aussaugen der Wunde durch Machaon in II. 4.213ff. auch magischer Natur gewesen sein könnte und verweist dabei eben auf den Volksglauben an die Heilkraft des Speichels (vgl. hierzu R. Muth, Träger der Lebenskraft, Wien 1954, S. 82ff.) oder an den Dämon der Krankheit und des Schmerzes, der dadurch entfernt werden soll (vgl. G. Buschan, Über Medizinzauber und Heilkunst im Leben der Völker, Berlin 1941, S. 232ff.). Doch da Homer weder auf den Speichel noch auf einen Dämon hinweist, ist es nicht zwingend, bei dieserm so schlichten und natürlichen Verfahren an eine spezielle Magie zu denken. 243

Siehe F. Pfister RE Suppl. IV s.v. Epode, Sp. 325.

Reinigung bei Homer

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Auch hier bleibt offen, inwieweit diese magische Besprechung (¿TTa01871) auf schamanistische Einflüsse und Ursprünge zurückzuführen ist; für Lloyd-Jones' These spricht die allgemeine Tatsache, dass die eiTwSli zum festen Inventar des yoris, in dem W. Burkert den griechischen Schamanen wiederzuerkennen glaubte, gehörte,244 sowie der spezielle Umstand, dass Homer die eTraoiSri durch Autolykos und seine Söhne an Odysseus ausführen lässt, an denen - Grossvater und Enkel - sich auch sonst schamanistische Züge feststellen lassen.245 Und ebenso muss schliesslich offenbleiben, inwieweit auch die ir|Tpoi der Ilias sich solcher Techniken zu bedienen pflegten. Doch wenn sie sich zuweilen nicht scheuten, eine Wunde, statt mit Wasser auszuwaschen, auszusaugen, so ist es durchaus auch denkbar, dass sie eine Wunde gelegentlich "besprachen", statt sie mit blutstillenden Pharmaka zu behandeln. Dies ist umsoweniger auszuschliessen, als vielleicht auch die blutstillenden "lindernden Pharmaka" (fima 4>app.aKa), die Machaon und Patroklos auf die Wunde streuen und die das Geheimnis umhüllt, das der Kentaur Cheiron dem Asklepios und dem Achilleus und ersterer dann seinen Söhnen, letztererer dem Patroklos mitgeteilt hat,246 der Magie zuzuordnen sind.247

Siehe Burkert FOHE, besonders S. 39f.; vgl. oben Anm. 172. Schamanistische Züge des Autolykos: a) Autolykos' Name, der "Werwolf" bedeuten könnte (K. Meuli, Odyssee und Argonautika, Berlin 1921 S. 19): Auch die skythischen Neuroi verwandeln sich einmal im Jahr in Wölfe und wieder zurück und werden daher von Hdt 4.105 als YÖiyre? bezeichnet, b) Autolykos' Fähigkeit nicht nurzureiraoiSrj, sondern auch sich selbst und, was er in die Hand nimmt, unsichtbar zu machen und durch Zauber zu verwandeln (Hesiod Fr. 67 b M.-W.: ötti ke xePai- XdßgcjKei' deiSeXa rravTa -riSecncei/; Pherekydes FGrHist I S. 92 F 120: Autolykos hat die Tex^l. ävQpbittous ÖTe k\6tttoi XavOöveii' Kai tö 9pe(i(iaTepwv aiTiay i/oaiiiiccros), und spricht sich schliesslich für die meterologischen Einflüsse aus: Xe-yojjiei» oCv fj8ri 9appoOires OUK dXXo TI TOOT' elvai (sc. TÖ Geiov) napd TT|1' TOÜ Trepiex°l'T0S V^S oepos KArdcrraaiv. Zur neueren Diskussion siehe F. Kudlien, Das Göttliche und die Natur im hippokratischen Prognostikon, Hermes 105, 1977, S. 268-274. 262 Burkert O.E. S. 43ff., vgl. oben S. 62 mit Anm. 169; ferner Anm. 255. 263 "Priester": LfgrE 1,1267 s.v. dpTyrrjp ("kein deutlicher Unterschied gegenüber lepeOs"). Lloyd-Jones S. 74 möchte lieber den Wortsinn "cursing-man" annehmen, der sich

Reinigung bei Homer

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Dieser war nämlich zu den Schiffen der Achaier gekommen und hatte "alle Achaier, insbesondere aber die beiden Atreiden" gebeten, ihm seine Tochter gegen Lösegeld freizugeben: Dadurch, dass er seine Bitte an alle Achaier, nicht nur Agamemnon richtet, gibt er zu verstehen, dass für eine allfällige Ablehnung alle Achaier geradestehen müssten. 264 Um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, hält Chryses in seinen Händen "die Binden des Ferntreffers Apollon oben an einem goldenen Stabe" (II. 1.14f.) und gibt sich so augenfällig als Vertreter Apollons zu erkennen: Eine Missachtung seiner Person wäre somit auch eine Missachtung des Gottes. 265 Wiewohl auch Agamemnon diese Sprache versteht, setzt er sich bewusst darüber hinweg, indem er seiner Aufforderung an den Priester, sich zu packen, höhnisch beifügt: "damit dir nicht Stab und Binde des Gottes nutzlos seien" (II. 1.28): eine Geringschätzung, die der Gott nicht ungestraft lassen kann. In der Tat kommt Apollon auf das Gebet des Priesters hin zürnenden Herzens vom Olympos herab, setzt sich abseits von den Schiffen und lässt den Pfeil fahren. Ein furchtbarer Klang kam vom silbernen Bogen; zuerst fiel er die Maulesel und schnellen Hunde an, aber dann traf er sie selbst, das spitze Geschoss gegen sie sendend. Und immerfort brannten zahllose Scheiterhaufen mit Leichen. (II. 1. 49ff.). Neun Tage lang fliegen die Geschosse des Gottes durchs Lager hin, a m zehnten ruft Achilleus das Volk zur Versammlung. Er sieht das Unternehmen der Griechen scheitern, "wenn sowohl Krieg als auch die Seuche (Xoi^ös) die Achaier besiegen", und schlägt daher vor: Doch lass uns einen Seher (udimv) fragen oder einen Priester (Lepfja) oder auch einen Traumdeuter (oveLpoTTÖXov) - denn auch der Traum kommt von Zeus - , der uns sagen kann, weswegen so sehr erzürnt ist Phoibos Apollon, - mag er wegen eines Gelübdes unzufrieden sein oder eines Hundertopfers -, von (KaT-)apdop.ai in der Bedeutung "verfluchen" ableitet, welche das Simplex im Epos allerdings nur in Theb. Fr. 2.8 p. 11 Ki. aufweist: siehe LfgrE 1,1174 s.v. dpdojiai 4. 264 Somit trifft die übrigen Achaier auch eine gewisse Schuld an der Pest, denn wenn sie Chryses' Warnung ernster genommen hätten und gegenüber Agamemnon energischer aufgetreten wären, hätten sie ihn wohl zur Übergabe bewegen können. Lloyd-Jones' Auffassung (Lloyd-Jones S. 74; siehe oben bei Anm. 174), dass da die Befleckung in i h rem wichtigsten Aspekt sichtbar werde, insofern "an offence by one member of a community brings down a mysterious punishment upon all its members", wäre somit zumindest zu relativieren. 265

Dies deutet er in V. 20f. mit der Worten an: Trai8a 8' ¿not XiKjaiTe (v.l. Xüoat Te) aCößevoi Aide viöu ¿KrjßöXoi' 'AmWuva.

( J U X R ^ , T Ö 8 ' ATTOIVA S E X E ^ G A I ,

92

Teil I

um zu sehen, ob er den Dampf von Lämmern und makellosen Ziegen entgegennimmt und gewillt ist, das Verderben von uns abzuwehren. (II. 1.61ff.).

Sogleich erhebt sich unter ihnen Kalchas, der bei weitem beste von den Vogelschauern, der das Gegenwärtige, das Zukünftige und das Vergangene wusste.

Er hatte schon bei der Hinfahrt eine Probe seiner Seherkunst, die i h m Phoibos Apollon verliehen, gegeben, als er den Schiffen den Weg nach Troja wies. (II. 1.68-72). Kalchas nennt den Achaiern den Grund des Zorns des Gottes (die Missachtung des Priesters durch Agamemnon) sowie die Mittel zu seiner Besänftigung, die ihn dann zur Abwendung der Pest veranlassen könnten (unentgeltliche Rückgabe der Chryseis, Entsendung einer ¿KaTÖnßri zu Chryses). (II. 1.93-100). Wenn auch die Forderung des Gottes Agamemnon in einen neuen Streit verwickelt, der wiederum zu einem Zorn führt - wenn auch diesmal nicht eines Gottes, sondern eines halbgöttlichen Menschen, des "gottgleichen" Achilleus - , so setzt er doch alles daran, den Zorn des Gottes zu besänftigen und die Seuche abzuwenden: Unter der Leitung des klugen Odysseus entsendet er ein Schiff mit zwanzig ausgewählten Ruderern, der Chryseis und der Hekatombe zu Chryses. (II. 1.308-312). Indessen befiehlt er den Leuten, "sich des Unreinen zu entledigen": Und sie entfernten von sich das Unreine und warfen das Unreine ins Meer. Und sie brachten Apollon erfolgreiche Hundertopfer dar von Stieren und Ziegen am Strande des öden Meeres; Und der Fettdampf stieg zum Himmel, um den Rauch sich ringelnd. (II. 1.313317).

Inzwischen ist auch Odysseus mit der eKaTÖjißri und der Chryseis bei deren Vater angekommen (II. 1.430ff.). Freudig nimmt er die Tochter entgegen und übernimmt die Leitung des anschliessenden Sühnopfers, zu dessen Beginn er den Gott um Abwendung des Unheils bittet, eine Bitte, die der Gott nicht versagt (IL 1.444ff.). An Mahl und Trank schliesst sich der Gesang des schönen Kultlieds, des Paian, mit dem sie den ganzen Tag den Gott versöhnen, den Ferntreffer feiernd. Der aber freute sich im Herzen, wie er es hörte. (II. 1. 472ff.).

Reinigung bei Homer

93

Auf zwei Dinge soll nun näher eingegangen werden: auf die Verse 313f., in denen die Reinigung näher beschrieben wird, sowie auf die Rolle des Kalchas. Die technische Seite der in den Versen 313f. beschriebenen Reinigung muss man sich wohl so vorstellen, dass die Achaier sich waschen und anschliessend das Waschwasser ins Meer ausgiessen. Eine andere Deutungsmöglichkeit ergibt sich aus einem Sophokles-Fragment, wo ein "Reiniger des Heeres "gleichzeitig als "Kenner der aiTo^dy|a.aTa" bezeichnet wird, der sich also im Reinigungsritus des Ö T T O J I D T T E I V T W TTT)XW Kai T O L ? M T U P O L ? auskennt, bei dem die zu Reinigenden mit Lehm und Kleie umkleistert und darauf abgeschabt oder abgewaschen wurden. Die Sophoklesstelle legt nahe, dass dieser Reinigungsritus auch bei der Reinigung des Heeres angewendet wurde. Somit wäre es denkbar, dass schon Kalchas diesen Ritus kannte. 266 Man streitet nun darüber, wie diese Reinigung einzustufen ist. Handelt es sich bei den Xu^icn-a, die weggeschabt oder weggewaschen und ins Meer geworfen werden schlicht um Schmutz oder um eine "Befleckung"? Ist die Reinigung (dTToXu^aiveaöai) nur eine Desinfektion bzw. "sanitäre Massregel", allenfalls eine Vorbereitung zum anschliessenden Opfer oder ist sie eine magisch-rituelle Handlung, mit dem vorrangigen Zweck, eine Befleckung zu beseitigen?267

266 Waschen und Ausgiessen des Waschwassers im Meer: Burkert G.R. S. 135; G.S. Kirk, The Iliad: A Commentary Vol.1 Books 1-4, Cambridge 1985, S. 84f.; vgl. auch Moulinier S. 26f. Reinigungsritus des âiro/iâTTetv Soph. Fr. 34 Radt (siehe unten Teil II Anm. 543), zum Ritual siehe unten S. 230f. An ein Bad im Meer denkt dagegen W. Leaf, The Iliad, Vol. I, Books I-XII, London 1900, S. 27 (Kommentar zu V. 314); an ein Bad im Meer und Wegwerfen der Exkremente, schmutzigen Kleider und Speisereste ins Meer T.A. Sinclair in: Festschrift F. Dornseiff, Leipzig 1953, S. 330f. Doch da sich cmeXiiiiaiVOVTO und Xûp-aTa eßaXXov aufeinander beziehen, kann es sich nicht um ein Bad handeln. 267 Moulinier (S. 26) hält Xù(iaTa für "crasse", also Schmutz, und sieht in der Reinigung "un prélude aux hécatombes", also eine normale Reinigung vor der Kulthandlung. Stengel, Opferblut S. 28 Anm. 2 meint, dass \û[iaTa wie in II. 14.171 "Unreines, Schmutz" heisst und sieht in der Aufforderung Agamemnons "eher eine sanitäre Massregel". Gillies S. 71 meint, dass die XOp-aTa "are no more the symbols of religious impurity than a r e those wich Here removed from her person before anointing herself and going to the bed of Zeus..." und hält die Reinigung wie Moulinier fur "nothing more than a general w a shing of the host as a preliminary to sacrifice". Nilsson (Griechische Feste S. 98, vgl. G.G.R. S. 91f.) ist der Auffassung, dass unter den Xüp.ara ein "Miasma", "eine Verunreinigung", der "Krankheitsstoff" bzw. die "Krankheit" selber zu verstehen ist, die Reinigung also "kathartischer Art" ist. Dodds (S. 180 Anm. 39) betrachtet die Reinigung ebenfalls als "kathartisch im magischen Sinne", was durch die Beseitigung der Xü|iaTa klar werde. Auch Burkert (G.R. S. 135; O.E. S. 62) sieht hier die Seuche als Befleckung aufgefasst, XüjiaTa als die Reinigungsrückstände eines kathartischen Rituals, konkret das Waschwasser; vgl. oben bei Anm. 156. Obwohl Sinclair I.e. von einem Bad ausgeht, glaubt auch er an die Präsenz eines placr|ia und sieht dieses in den weggeworfenen XiifiaTa konkretisiert, unter denen er wie Suda s.v. XO^aTa (icaGdpiiaTa. ai tt^ç yaoTpog eis

94

Teil I

Der Streit scheint überflüssig, die Unterscheidung künstlich. Xv^cn-a mag durchaus "Schmutz" gewesen sein, eine "sichtbare Unreinheit", genauso wie in IL 14.171, wo Hera, um sich für ihre Begegnung mit Zeus schön zu machen (d|aßpoaii]...du6 xP°ös) Xi>|iaTa ircora KaÖTipev. Von daher betrachtet, darf man in der Reinigung durchaus eine "sanitäre Massregel" sehen. Und insofern die Reinigung einer Kulthandlung vorausgeht, handelt es sich auch um eine Reinigung vor der Kulthandlung. Doch kann dies nicht alles sein. Xiip.e8p(jöva 6KKpiov 'Apyeioicn fir|Tpös T€ 0Tuyepfjs Kai dvdX.ia8os ALyiaOoio.9

Schon die antiken Homererklärer waren sich uneinig, wie die Stelle zu werten sei. Aristarch meinte, dass an der Stelle nur beiläufig angedeutet werde, dass Klytaimestra mit Aigisthos zusammen umkam, dass es aber unklar sei, ob durch Orestes.10 Die Scholien zu Od. 1.300 m e i n e n gar, dass Homer die Tötung Klytaimestras durch Orestes gar nicht gekannt habe.11 Doch dieser Schluss scheint voreilig. Folgende Hinweise sprechen dafür, dass Homer den Muttermord gekannt hat: 1) Die Mutter kommt zusammen mit Aigisthos um. Wenn sie nicht durch Orestes getötet wird, dann bleibt nur Selbstmord als Alternative, was reine Hypothese wäre. 12 1) Wenn ihr Tod nicht durch Orestes erfolgt wäre, dann brauchte der Dichter nicht so eilig und mysteriös über ihn hinwegzugehen, als wolle er etwas verschweigen, das den Vorbildscharakter des Orestes beeinträchtigen könnte. 13 8 Überall da, wo Orestes als Vorbild hingestellt wird, wird die Verantwortung an der Tat ganz Aigisthos zugeschoben: so in der Rede des Zeus (Od. 1.35ff.), der Athene (1.299f.) und des Nestor (3.265ff., 303f.). Dagegen stellt Agmamemnons verbitterte Psyche in der Unterwelt begreiflicherweise die Mitschuld Klytaimestras an der Tat heraus und beschuldigt sie einmal der Anstiftung der Tat sowie der Ermordung Kassandras (Od. 11.405ff.), ein andermal in ihrem Hass auch der Mitwirkung an Agamemnons Ermordung (24.95-97), ja sogar einmal der alleinigen Verübung des Mordes (Od. 24. 199f.). Neutralere Personen sprechen dagegen nur von ihrer (Mit-)Schuld an der Planung: so Athene in 3.234f. (...'Aya|ie(iVü)i> oiXeÖ' im' AiyioGoio 86Xco Kai fjs aXöxoio) und Menelaos in 4.91f. (...Tetös p.01 ä8eXe6v äXXo? eTTec(>i'e/Xä9pq, dvcuurri, 86Xw oiiXo^evris aXöxoio). Vgl. Prag S. 68ff. (der wohl zu Unrecht von zwei verschiedenen "Versionen", einer 'Aigisthus alone'-version und einer 'Clytemnestra'-version, "which involves both lovers in t h e murder", spricht) und Bergmann S. 5ff.

Od. 3.309f. Übersetzt oben S.63. Schol. Od. 3.309-310: ö 8e 'ApicrTapxös cf>r|criv öti 8iä TOVTUJV TTapuTroaiveTai CTUvarruXeTO AiyiaOw T] KAvTai^ivriaTpa. t ö 8e ei Kai O t t o 'Opecrrou, ä8r|Xov eivai.. 9

10

11

oi)K olSei> ö ttoit|tt|s töv KXuTaini'iir|p.ÖTepov eiTrei> ÖTI EÖA4>e Tr)U \ir\repa, TOV 8 E SÖVCITOV Tiap. Es erstaunt nicht, dass auch in der griechischen Kunst das Tabu des Muttermords - sowohl Orests als auch Alkmaions selbst nach Erscheinen der Orestie des Aischylos kaum dargestellt wurde. Prag kennt nur drei sichere Beispiele aus der Zeit des 5. und 4. Jhds. Erst bei den Etruskern und Römern wurde der Tod Klytaimestras ein beliebtes künstlerisches Sujet; siehe Prag S. 3543. 29 30 31

Od. 1.298f.; 3.203f. M.L. West, Stesichorus, CQ 21, 1971, S. 306. So PMG 217.

Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

105

scheint bereits ein grösseres Interesse an der religiösen und moralischen Problematik der Orestsage gehabt zu haben als Homer. So hatte seine Klytaimestra nach der Tat einen schrecklichen Traum: Tai 8e 8pdiaoi> eSÖKtiae p.o\eIv «dpa ßcßpo-iopivos äKpov, äpa TOO ßaaiXeüs nXeicrÖeviSas ¿4>DUR).

€K 8'

Es schien ihr, eine Schlange komme auf sie zu, a m Scheitel des H a u p t e s mit Blut besudelt, und aus dieser (diesem?) heraus erschien (ihr) ein König, der Pleisthenide. (Stes. P M G Fr. 219).

Es ist am natürlichsten, den Traum so zu deuten, dass der Klytaimestra der tote Agamemnon, den sie offenbar selbst am Kopf tödlich verwundet hat32, erst in theriomorpher Gestalt als Schlange erscheint und ihr dann in menschlicher Gestalt als ßaaiXevs nXeia6evi8r|5 leibhaftig vor Augen tritt.11 Als Schlange können nach griechischem Glauben Tote und Heroen den Menschen erscheinen und sie schrecken, um ihre Ansprüche geltend zu machen." Als solch unheimliches Monstrum schreckt auch bei Stesichoros der tote Agamemnon seine Gattin im Schlaf, um ihr seine Gefährlichkeit und Rache anzukünden. Doch nicht nur Klytaimestra wird nach ihrer Tat vom mächtigen Zorn eines Toten bedrängt, auch Orestes wird nach seinem Muttermord von chthonischen Mächten, den Erinyen, verfolgt. Dies geht aus einem Papyrusfragment'5 und dem Scholion zu Euripides Orestes 268 hervor. In einem Wahnsinnsanfall wähnt sich bei Euripides Orestes von den Erinyen verfolgt und schreit nach einem Bogen, um "die blutig anzuschauenden, schlangenreichen Mädchen" abzuwehren: Gib mir den a m H o r n gespannten Bogen, ein Geschenk des Loxias, mit d e m ich, so sagte mir Apollon, die Göttinnen von mir abwehren sollte, falls sie mich mit rasenden Wahnsinnsanfällen schrecken sollten. 16

Das Scholien kommentiert die Stelle so: Indem er Stesichoros folgt, sagt er, dass er den Bogen v o n Apollon erhalten hat.

32 Dies legt der Zusammenhang nahe, in dem Plutarch Moral. 554dff. das Zitat aus Stesichoros bringt; Bergmann S. 65. 33 So verstehen die Verse C.M. Bowra, Greek Lyric Poetry, Oxford 1961, S.117, Bergmann S. 66. Eine andere Möglichkeit wäre, im ßaaiXtus n\eiaOeyi&r|g Orestes zu sehen, der - als Rächer - aus der verwundeten Agamemnon-Schlange hervorgeht; siehe Bowra I.e. 34 Siehe Burkert G.R. S. 300,317. M. Bock, Die Schlange im Traum der Klytaimestra, Hermes 71, 1936, S. 230-236 brachte die Schlange bei Stesichoros speziell in Verbindung mit archaischen spartanischen Heroenreliefs, "vor oder hinter deren thronendem 'Ahnenpaar' oder Heros sich in ungewöhnlicher Weise eine grosse Schlange emporstreckt". 35 PMG 217,14-24. 36 E. Or. 256, 268-71.

106

Teil II

Das Papyrusfragment ergänzt: 1 , E[ü]pLTTi8r]s 8e tö t[ö£ov t ö 'Opearou ö t l ¿cttLv 8e[8opi]vov ai)TÜi 8wpov Tta[pä t ] o u 'AttöXXcovos - rapcj [ y]ap XeyeTar 8ös TÖ^a p[oi KjepouAicd, 6£ipa Ao£iou, [0I5 ei-

tt'] 'AttöXXwv |jl' e£apii[vaCT]8ai 0]ed?' Trapä 5aiois ¿'0os, ÖTI KaGaipoires oiKiav öcrrpaiai'ioi 9u(naTr]piuH pu|>avTes ¿v Tai? TpiöSoi? TÖ öorpaKOu d^eTcifjTpeTTTei äi>e xo'jpouu. Zur Räucherung vgl. unten Kap. 1.3. 49

51 Siehe Harpocr. s. v. öfuövjiia = FGrHist 353 F2: Ai8u(ioj 5e AirroKXei&ou Xefii' irapaypätj>as ¿K TUJI' e£riyr|TiKiöi' t]ößos / Kiwei Tapaaaei Kai BiojKaOei ttöXeüjs / xaXKTiXaTiü TTXdcmyyi XujiavOev 8(:nas. / Kai Toi? toioOtois oüt6 KpaTfjpos (lepos / eivai \ieraax^iv' °i> 4"-Xocttt6i'5od Xißös, / ßaiiaiif t' aTreipyeiu oiix 6ptu(ieyqv irarpos / |j.fivLV Sexec6aL '8'> oÜTe cruXAiieiv Tivd, / irdiTOjv 6' än(ioi' KÖcfuXoi' Oi/flaKeu* xpo^V / KaKws Tapixeuöewra TTan4>9äp™ jiöpw. 57 Vgl. Parker S. 110. 58 Aisch. Cho. 40-41 (Kpuai Toh>8' ¿veipäTwv eXaKov) nenea9ai toüs- yä? vepQev Trepi9ü(iü)S toIs KTaivoCai t' eyKOTeii/. 59 Aisch. Cho. 278; 283; 286f. (Zur Interpretation von TTpoaTpomiios siehe Parker S. 108 Anm.13).

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Teil II

terlaufenen Augen als Symptom für ihren Wahnsinn; 60 andererseits kann sie die religiösen Handlungen nicht ordnungsgemäss vollziehen: die xoai, die sie Agamemnon darbringen will, erweisen sich als unwirksam, ja kontraproduktiv, sie ist "eine Befleckung des Landes und der Götter in ihm" (xwpas piacr^a Kai 0ewv ¿yx^P^wv61); die "Befleckung", das dyos, muss daher vertrieben werden. Ebenso wird Orestes, falls er den Vater nicht rächt und dieses dyos vertreibt, einerseits von Krankheiten bedroht: der Zorn der Toten ruft bei ihm Flechten bzw. weissen Aussatz (XeixnW, bei dem weisse Haare hervorspriessen,62 hervor, die Erinyen befallen ihn offenbar mit Wahnsinn und nächtlichen Angstanfällen, die ihn verwirren und aus der Stadt treiben; andererseits droht ihm das typische Los eines rituell Unreinen, der Ausschluss aus Opfergemeinschaft und Gesellschaft. Interessant ist im Zusammenhang mit dem Zustand, der Orestes vom Zorn der Toten droht, dass auch ein hippokratischer Aphorismus einmal den weissen Aussatz XeixTlv (nebst Xe-npa und ä\(j>6s) mit Wahnsinn und verwandten Krankheiten (TGI |iavLKti Kai Ta jieXaYx°^LK(i Kai Tä eiuXeirRKd) zusammen nennt unter den Krankheiten, die im Frühjahr vorherrschen. 63 Und hinsichtlich der sozialen Konsequenzen wird man an die im Orient gängige Praxis erinnert, Aussatz als göttliche Strafe für ein Verge-

60 Ag. 1427f.: der Chor wirft Klytaimestra nach nach d e m M o r d vor, wie sie aufgrund des Blutvergiessens rase, so prange ein Blutstropfen in ihren Augen, d.h. habe sie blutunterlaufene Augen: üknrep oiiv oyoXißei tv\Q- pr|V émp.aiyeTai, XLßos èir' òji^dTUjv a'i(xaToç ëiiTTpÉTTfi. Z u dieser Interpretation siehe E. Fraenkel, Aischylos A g a m e m n o n , edited with a C o m m e n t a r y III, Oxford 1950, S. 672f. und vgl. H p . Morte. Sacr. 15.7 = V I 390 L. (Entzündung des Gesichts und rot angelaufene Augen bei Furcht und beim "Glauben, etwas Schlechtes getan zu haben": üdirep oùv Kai èypriyopÓTi tòte [iâXXoy tò irpócriDttov 4>Xoyi.à, Kai ol òoßf|Tai Kai r) y^oótiri émvofj ti kokòv épydcraaöai, oütu) Kai év tä {ittvüj irdaxeO sowie Aretaios S A 1.6.10 (zu ^eXai'xoXia neigende haben schwarze Bilder vor Augen, zu \iavla neigende rötliche, purpurrote und blitzähnliche, ein Teil der Wahnsinnigen hat auch rötliche u n d blutunterlaufene Augen: upò T I O V 09aX^ii)W iySdXp.aTa Kudvea rj (iéXava, oiav éc p.eXayxoXiriv f] Tpotriy èpuSpÓTepa Se éc navir^, Kai 4>oivÎKea 4>ayTÓcp.aTa, ttoXXoîci (lèv eoe àTracTpdiTTOVTOc irupóc Kai Tapßoc aùTcouc (jüc Ò T T O CKtiTTTOû XanßdyeL' |j.eTeÇ€T6poici 8è Kai évépuôpoi Kai ü4>ai|j.oi ò4>9aX(j.oL). Vgl. auch Z E. Or. 256 toùs p.aivo^iéi'ous ¿4>ai^iov ßXeueiw Kai TapaxiSSes. 61 Aisch. A g . 1645. 62 Aisch. Cho. 281. Es handelt sich bei Xeixiiv u m eine F o r m der Lepra, XeÜKri, bei der die Haare weiss werden: Arist. H A 518 a 13: èv 6è T Û e^ayOriyaTi ö KaXeÎTai XeiKT|, nâaai (sc. ai T P I X E S ) TToXiai yivouTai. Col. 797 b 15 K Ö V K O T Ò ^ É P O S T I T O Ü aû^aToç è£av0r|CTr] X E Û K R I , Kai T Ò S T P I X A S Ï A X O U A I W  ΠR A V T E Ç X E U K Ô Ç K A T Ò T Ò V T Ó T T O I ' T O Û T O V . Vgl. Garvie S. 115; J. Dumortier, Le vocabulaire médical d'Eschyle et les écrits hippocratiques, Paris 19752, S. 80ff. bes. 82. Vgl. dazu auch die Krankheit der Proitiden (siehe unten nach A n m . 205). 63 H p . A p h . III 20 (IV 495 L.) Toü \iev ydp r]pos, T Ò p.aviKÒ, Kai T Ò p.eXayxoXiKÒ, Kai T Ò ¿TTIXTITTTIKÖ, ... Kai Xéîrpai, Kai Xeixf^es, Kai dXcfjoi...

Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

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hen aufzufassen und die Kranken aus der Gesellschaft auszuschliessen.64 Im Kommos (Aisch. Cho. 306-478) beschwören Orestes, Elektra und der Chor Zeus, die xöovioi und den Toten, ihnen bei der Rache an den Mördern zu helfen, denn "die Hände der Herrschenden sind unrein" (oi)x ÖCTiai).65 Nach der Ermordung des Vaters haben sie ihn (m^ws beerdigt, ohne die letzte Ehrung durch Bürger und ohne die Klagen der Gattin (Aisch. Cho. 429ff.), ausserdem wurde er Opfer des grausamen Brauchs, den Mörder anzuwenden pflegen, um den Toten unschädlich zu machen und sich zu reinigen, des p.aCTxaXiCT^ö?.fi6 Wie die Chorführerin Orestes den Inhalt von Klytaimestras Angsttraum67 erzählt (es schien ihr, sie habe eine Schlange geboren, in Windeln gewickelt und ihr die Brust dargereicht, worauf diese ihre Brust beim Saugen verletzt und mit der Milch Blut aus ihrer Brust gesogen habe), deutet Orestes diesen auf sich und ist fest zum Muttermord entschlossen: Zur Schlange gemacht, w e r d e ich sie töten, wie dieser T r a u m ankündigt. 6 8

Subtil deutet der Dichter an, wie dadurch, dass Orestes sich mit der Schlange gleichsetzt, die sein toter Vater Klytaimestra im Traum gesandt hat, die chthonische Macht des toten Vaters, die sich in der Schlange ausdrückt,69 ganz vom Sohn Besitz genommen hat und somit eine volle Identifikation von Sohn und totem, in Schlangengestalt Rache forderndem Vater stattfindet.70 Die Mörder sollen daher, wie sie mit List einen geehrten M a n n getötet haben,

64 Perser, die Aussatz auf Vergehen gegen den Sonnengott zurückfuhren: Hdt. 1.138 "Os äv &e TIÜV AATTÖV \eupr|V R| XCOKTIV E X F L . E S TTÖXIV OUTOS OU KaTepxeTai ou8e (junniaYeTai Total äXXoim riep(jr)ai' 4>acri 8e )iiv es TOV rjXiov ä^apTÖvTa TI Tairra exeiv. Juden; Aussätzige sind unrein, werden aus Gesellschaft ausgeschlossen und müssen nachher zur Sühne Schuld-, Sünd- und Brandopfer darbringen: Lev. 13, 46; 14,lOff. siehe W. von Siebenthal, Krankheit als Folge der Sünde, Hannover 1950, S. 33. 65 Aisch. Cho. 377f. 66 Danach schnitt der Mörder dem Ermordeten die Extremitäten ab, reihte die abgeschnittenen Teile zu einer Kette und hängte sie dem Ermordeten um den Hals, wobei er die Schnur "unter den Achseln" (icaTd TOJL p-aaxdXojy) durchzog (X Soph. El. 445, Suid. s.v. ¿)iaaxaXio€T), [iaCTxaXia9f]uai, p.aaxaXiCT(LÖ5). Als Zweck des Brauches wird angegeben: "zur Reinigung....damit, wie sie meinen, er schwach werde im Hinblick auf die Rache am Mörder" (EIRI TRIIS Ka8cipCTeaii,...iwa, 4>aaii\ da9evr]s yeiwro upös TÖ äi/TiTitraaOai TÖF (t>ovea X Soph. El. 445); "um sich von der Tat zu reinigen (TÖ epyov a^oaioOtieuoi Suid. s.v. ¿(iaaxaXiaOri); siehe Rohde Bd. I S. 322ff. Vgl. oben Teil I Anm. 44. 67 Ein Anklang an Stesichoros1 Traummotiv; siehe oben Kap. 1.1.2.1. bei Anm. 32. 68 Aisch. Cho. 549f. 69 Siehe oben S. 105 mit Anm. 34. 70 Siehe Garvie S. 193f.

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Teil II

ebenso mit List überwältigt werden, im selben Netze sterbend, wie es auch Loxias ausgesprochen hat:71

Die Identifikation mit dem toten Vater bewirkt, dass Orestes Loxias' Befehl sich nun ganz zu eigen machen kann. Er sieht den Racheplan klar vor Augen: Als Fremder will er um gastliche Aufnahme bitten. Doch "von den Türwächtern wird wohl keiner ihn strahlenden Sinnes aufnehmen, da das Haus von bösen Geistern besessen ist" (¿TreiSf) 8ai|iovia 8ö|ios KdKois: Aisch. Cho. 565f.). Bevor Aigisthos sagen kann: "Woher kommt der Fremde?", wird Orestes ihn töten: Und die Erinye wird, ohne an Blut Mangel zu leiden, als dritten Trank ungemischtes Blut trinken. (Aisch. Cho. 577f.).

Diese vampirartigen Geister, die sich im Hause eingenistet haben und sich vom Menschenblut in ihm nähren, ist die "Schar der verwandten Erinyen", die den Verwandtenmord rächen.72 Orestes, der sich eben noch mit der Blut saugenden Schlange an seiner Mutter Brust identifiziert hat, glaubt, dass nun mit seinem Muttermord diese "Vampire" ihren letzten Bluttrank tun.73 Nachdem der Chor die Monstrosität von Agamemnons Tod mit den Schrecken der Natur und des Mythos verglichen hat, meint er am Ende des 1. Stasimons zuversichtlich im Hinblick auf die Durchsetzung der ALKT|:

Fest steht der Stamm der Dike (Gerechtigkeit), und die Aisa (Schicksal), die (ihr ) Schwert macht, schmiedet es im voraus. Und die berühmte tief denkende Erinye bringt allmählich das Kind ins Hause, um für die Befleckung älterer Blutstaten zu büssen. 74 (Aisch. Cho. 646-51).

Wie zuvor der Muttermörder und Vaterrächer Orestes sich selbst mit den Erinyen assoziiert, so scheint diesmal der Chor mit der "berühmten tief denkenden Erinye" deutlich an seine Mutter Klytaimestra anzuspielen: Sie bringt ihr Kind, "die Erinye" Orestes, nach Hause, u m für die "Befleckung einer älteren Blutstat", des Mords an Agamemnon, zu büssen, und sie wird - was der Chor dann allerdings nicht mehr wahrhaben will75 - als "Erinye" Orestes nach seinem Mord an ihr verfolgen.76 71 72 73 74

Aisch. Cho. 556-58. Aisch. Ag. 1186-1190. Siehe Garvie S. 199f. TEKVOV 5 ' ETTEICRepei 8 6 ^ O I S

/ AI^ÖTIOI' TraXaiTepOüV / riveiv

(IÜAOS XPÖl'Ü) KXUTÖ

/

ßl)CTCJÖpW 'Epll/lJS. 75 Aisch. Cho. 1051ff. 76 Siehe Garvie S. 222f. Vgl. Aisch. Ag.1497-1504, wo Klytaimestra behauptet, nicht sie habe Agamemnon getötet, sondern der Rachegeist (DXDOTCUP) des Atreus habe

Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

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Kurz vor d e m entscheidenden K a m p f mit Aigisthos ist der Chor u n schlüssig, wie er Zeus richtig u m Sieg bitten soll: Denn jetzt werden, befleckt (mit Blut), die Spitzen menschenmordender Schlachtmesser entweder ganz den Untergang von Agamemnons Haus für alle Zeit bewirken, oder ein Feuer und Licht für die Freiheit anzündend, wird er die stadtverwaltenden Herrscherrechte und den grossen Reichtum des Vaters bekommen.77 Doch wie auch i m m e r der K a m p f ausgeht, o h n e |iiacF|j.a wird es n i c h t gehen: Das m e n s c h e n m o r d e n d e Schlachtmesser wird in jedem Fall befleckt. W i e Klytaimestra nach Aigisthos' E r m o r d u n g ihrem Sohn gegenübersteht, zeigt sie ihm ihre Brust und beschwört ihn, die Mutterbrust, die ihn ernährt habe, zu achten. N u n wird Orestes z u m erstenmal u n sicher: Vor der Mutterbrust stehend, realisiert er z u m ersten Mal, was er vorhat zu tun: seine Mutter zu töten. U n d in den Rat s u c h e n d e n W o r t e n an Pylades n i m m t er z u m ersten Mal das W o r t "Mutter" i n den M u n d : Pylades, was soll ich tun? Soll ich mich scheuen, die Mutter zu töten? (Aisch. Cho. 899). Doch durch des Phokers M u n d antwortet der Gott seines Landes: Was wird künftig aus Loxias' Orakelsprüchen, den vom pythischen Gott geweissagten, und aus den zuverlässigen Eiden? Halte eher alle Menschen für Feinde als die Götter.78 U n d Orestes gibt sich geschlagen: Ich glaube, dass du Sieger bist. Der Gott v o n Delphi hat gesiegt.'' Vergeblich beschwört Klytaimestra ihren Sohn, "den Mutterfluch zu scheuen", 8 0 versucht ihm noch einihre Gestalt angenommen und sich an Agamemnon für die Tötung der Kinder des Thyestes gerächt: aOxeis eivai t66€ Toüpyoi* e(iöi>' / 6' ¿mXtxÖTjs / 'Aya\iep.voviav eli/ai ^I' äXoxoi'. / 4>AI/Tai6new)S 8e yuvaiKi veKpoO / TOÖ8' Ö rraXaiös 8pijii>s äXritrrwp / 'ATptius Xa^fTT0'J öoifaTijpos / TÖV8' äueTeiaev, / reXeow ueapois emöroas. 77 Aisch. Cho. 859-865 (Lesung wie Garvie): vüv ydp ^leXXouai piai^klaai / neipal KOrravuiv avSpoSaiKrai* / ii nainj Gr^eu; Aya|je|j.wwicoi' / o'itauu öXeSpou 8iä TTai/TÖs, / f| Trüp Kai peues und Furcht, die unter Zorn tanzt) als Zeichen nahenden Wahnsinns an sich wahrnimmt und erst später bei eingetretenem Wahnsinn auch die Verursacherin vor sich sieht, scheint ein vollkommen natürlicher Vorgang bei Fällen von göttlicher kotoxii bzw. ei/Ooucriaa^ös. So wirkt auch Kassandra in Aisch. Ag. 1035ff. auf die Aussenstehenden unansprechbar und verstört (vgl. Aisch. Ag. 1064: fj (iaiveTai ye), bevor ihr prophetischer Wahnsinn ausbricht und sie den Urheber Apollon vor sich sieht (Aisch. Ag. 1072f.). Inwiefern sich Orestes' Befallenwerden von den Erinyen von Kassandras "madness as divine possession" (Brown op. cit. S. 19) dem Wesen nach unterscheiden soll, ist nicht einzusehen: in beiden Fällen nehmen göttliche Mächte von den ({»pei'es Besitz. 94

Aisch. Cho. 1035: die Insignien der Schutzflehenden, siehe Aisch. Eum. 40f.

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an seinen Herd nach Delphi zu fliehen, um sich von ihm reinigen zu lassen. Wie die Chorführerin ihn mit den Worten aufzumuntern sucht: "Du hast die ganze Stadt der Argiver befreit, indem du mühelos die Häupter von zwei Schlangen abschnittest",95 da bricht auf das Stichwort "Schlange" Orestes' Wahnsinn aus, und er sieht "nach Art von Gorgonen schwarz gekleidete Frauen mit dichtgedrängten Schlangen umflochten. Ich kann nicht mehr bleiben".94 Die Chorführerin versucht, ihn zu beruhigen und seine Vision als "blosse Einbildungen" (86£ai) abzutun: Welche Einbildungen, dem Vater von den Menschen liebstes Kind, beunruhigen dich? Bleib stehen, fürchte dich nicht, da du bei weitem Sieger bist. tlv€5 CSE 86£ai, 4>iXTaT' dv9püjTTU)v narpi,

CTTpoßoÜCTii'; Laxe, HT| 4>oßoü, viKciv uoXi). (Aisch. Cho.l051f.).

Doch Orestes besteht darauf, dass seine Leiden nicht eingebildet, sondern klar durch die Erinyen verursacht sind: Das sind keine Einbildungen von Leiden für mich. Denn dies sind deutlich die zürnenden Hunde der Mutter. oOk citri 86£ai Tü>6e TrrmaTcut< ¿|ioi' aacfxjjs yäp ai8e p.r|Tpös eyKOTcii KÜves. (Aisch. Cho. 1053f.).

Jetzt also kann er die Verursacherinnen seines Wahnsinns erkennen, die vorher in seinem Herzen "Furcht unter ihrem Zorn" haben "tanzen" lassen: Es sind "die zornigen Hunde der Mutter", vor denen diese ihn vor der Tat gewarnt hatte.97 Die Chorführerin freilich versucht, seine "Verwirrung" schlicht auf das frische Blut an seinen Händen zurückzuführen: Frisches98 Blut ist noch an deinen Händen Daher befällt Verwirrung deinen Sinn." TTOTaiviov yäp aifid aoi xepoTi' eti-

6k TÜvSe toi Tapayp-ös e s pevas ttitpcl. (Aisch. Cho. 1055f.) Dies tut sie einerseits, weil sie die Erinyen nicht sehen kann, da sie selbst nicht befleckt ist und folglich von den Erinyen nicht angegriffen wird; andererseits versucht sie den Vorfall herunterzuspielen, da sie Aisch. Cho. 1046f. Aisch. Cho. 1048-50. 97 Aisch. Cho. 924; siehe oben Anm. 82. 98 Dass TTOTaiviov hier "frisch" bedeuten muss und nicht - wie R.R. Dyer, JHS 89, 1969, S. 38 Anm. 2 meint - "novel, strange, unexpected, unprecedented", hat Garvie S. 347 gezeigt. 95 %

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nicht wahrhaben möchte, dass die Erinye weiter im Hause nistet, nachdem sie endlich "ihr Kind ins Hause gebracht hat, um für die Befleckung älterer Blutstaten zu büssen"," und nachdem der Chor eben noch die "Befreiung des Herrenhauses von den Übeln und der Verprassung des Vermögens durch zwei Beflecker" gefeiert hat.™ Sie meint daher offenbar, Orestes' "Verwirrung" sei nur vorübergehend und werde sich von selbst einstellen, wenn er zur Tat etwas Distanz gewonnen habe.10' Doch Orestes besteht auf der Realität der Erinyen: Ihr seht diese nicht, ich aber sehe sie (Aisch. Cho. 1061),102 und aus den Augen lassen sie abscheuliches Blut fliessen. (Aisch. Cho. 1058).

Nun scheint auch der Chor vom Ernst der Lage überzeugt zu sein und anerkennt die Notwendigkeit einer rituellen Reinigung durch Apollon zu Delphi, die Orestes von Apollon aufgetragen worden war: Für dich gibt es eine Reinigung. Und indem Loxias dich berührt, wird er dich freimachen von deinen Leiden. eis CTOi KaGap^os' Ao£ias 5e TrpoaÖLYÜv eXeiiSepöv ae ™ 5 e ttt|hg(™v KTiaei. (Aisch. Cho. 1059f.).

Und nun wendet sich Orest in einem Hilfeschrei direkt an Apollon, den göttlichen Gegenspieler der Erinyen, und macht sich, von ihnen dicht verfolgt, auf die Flucht zu seinem Beschützer hin: Oh Herr Apollon, diese kommen nun immer näher. (Aisch. Cho. 1057). Ich werde vertrieben und möchte nicht mehr bleiben.(Aisch. Cho.1062).

Weit davon entfernt, durch die Ermordung der [iidcrTopes "die ganze Befleckung vom Herde vertrieben" zu haben,103 wird Orestes als [itaa^a durch deren Erinyen selber vom Herde vertrieben.

99 100 101 102 103

Aisch. Cho. 648-51; siehe oben Anm. 74. Aisch. Cho. 943f.; siehe oben Anm. 86. Vgl. Aisch. Eum. 286: xpoy°S Ka9aipei TTavTa yTipdaKuv ö^oü; siehe oben Anm. 89. Mit Garvie S. 348 Umstellung der Verse 1057 und 1061. Aisch. Cho. 966ff., siehe oben Anm. 88.

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1.1.2.2.2. Eumeniden Nachdem Pythia nach der Preisung der Götter Delphis in den Tempel gegangen ist um zu weissagen, kehrt sie nach kurzer Zeit aus ihm zurück, entsetzt über das grauenhafte Bild, das sich ihr im Innern des Tempels geboten hat (Aisch. Eum. 39ff.): auf der einen Seite sieht sie "am Nabel einen in den Augen der Götter befleckten Mann sitzen als einen um Reinigung Bittflehenden, die Hände von Blut triefend und mit einem frischgezückten Schwert und einem hochgewachsenen Ölzweig, der mit einem riesigen Wollband bedachtsam umwunden ist, mit schimmernder Wollflocke," auf der anderen Seite sieht sie vor diesem Mann die Erinyen schlafen mit einem entsetzlichen, grauenhaften Äussern, das adäquat zu beschreiben die Seherin sichtlich Mühe hat: keine Frauen sind's, vielmehr Gorgonen, doch auch diesen gleichen sie nicht, eher Harpyen, doch flügellose und schwarze, die ekelhaft schnarchen und aus den Augen abscheuliche Tropfen tröpfeln lassen in Kleidern, die "weder zu Götterbildern noch in Menschenhäuser zu tragen gerecht ist". Der Nabel der Welt und das reine, heilige Feuer nebenan 104 von zweifacher Befleckung bedroht: die Seherin fühlt sich überfordert, mit dieser Gefahr fertigzuwerden und überlässt das weitere dem Herrn des Hauses, dem hochgewaltigen Loxias. Denn er ist Heilerseher und Wahrsager und für die anderen Häuser ein Reiniger. (Aisch. Eum. 61-64). Dieser gibt sich sich in den Versen 64ff. zunächst mit dem Schutzflehenden Orestes ab. Apollon verspricht Orestes Beistand sowohl aus der Nähe als auch aus der Ferne gegen seine Widersacher, die Erinyen, die er jetzt "gefangengenommen" und durch Schlaf betäubt habe, und trotz diesem - offenbar nur temporären - Schutz, den der Gott gewähren kann, befiehlt er ihm zu fliehen, da sie ihn ständig durch Land, Meer und Städte verfolgen werden, und in Athen die Athene Polias u m Schutz zu flehen. Und dort werden wir Richter in dieser Sache und besänftigende Worte haben und dadurch Wege finden, so dass wir dich für immer von diesen Leiden befreien können. Denn ich habe dich auch überredet, den mütterlichen Körper zu töten. (Aisch. Eum.81-84).

104 H. W. Parke and D.E.W. Wormell, The Delphic Oracle, Oxford 1956 Bd. I, S. 32. Vgl. auch Aisch. Eum. 198: eiaTicü nidcr|ia~i. Zur Reinheit des Feuers siehe Plut. Numa 9, Arist. 20.4.

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Zwei Dinge sind festzuhalten: 1. Im überlieferten Text findet sich kein sprachlicher Hinweis, dass Orestes auf der Bühne von Apollon einer rituellen Reinigung durch Ferkelblut unterzogen wird, obwohl wir eine solche Reinigung aus mehreren Gründen erwarten: a) in den Choephoren wird die Reinigung in Delphi klar als notwendig, von Apollon befohlen und von Orestes beabsichtigt angekündet (Aisch. Cho. 1017, 1034ff., 1055f., 1059f.). b) Nach den Worten der Pythia Aisch. Eum. 40-45 ist Orestes durch den Muttermord sichtbar befleckt'05 und macht durch sein Niederlassen am Omphalos und Herd des Hauses mit dem von Wolle umwundenen Ölzweig, den Insignien des Schutzflehenden, 106 offenbar die typische Geste des um Reinigung Bittenden (iTpocrrpöiTcuos): Dadurch, dass der befleckte Muttermörder sich am heiligen Zentrum des Tempels, ja der "Welt", niederlässt, bringt er sich einerseits in den schützenden Kontakt mit der Unverletzlichkeit des Heiligen, vollführt aber andererseits einen symbolischen Angriff auf ebendieses Heilige, das Quelle und Symbol für die Existenz des Tempels, ja der ganzen Welt, ist.107 Er zwingt dadurch den Gott, ihn zu reinigen, andernfalls sein Haus, ja die ganze Welt selber befleckt zu werden drohen.108 Man erwartet also aufgrund der Situation als erstes, dass der Gott Apollon nun den befleckten Orestes einem Reinigungsritual durch Ferkelblut unterzieht, um so die Bedrohung von seinem Tempel abzuwenden. c) Wie Orestes in Athen ist, sagt er deutlich, dass er von Apollon in Delphi mit Ferkelblut gereinigt worden ist109 und Apollon bestätigt dies wenig später selber.110 105 Die u.a. von F. Blass, Die Eumeniden des Aischylos, Berlin 1907, S. 74 v e r t r e t e n e Möglichkeit aip.ari aTÖ£oira auf das Blut des Reinigungsferkels und nicht auf das v e r gossene Mutterblut zu beziehen, so dass Aischylos damit die Reinigung Orestes durch Apollon andeuten würde, ist deswegen weniger naheliegend, weil es neben veocnraSes £ios excwTa steht: Aischylos stellt Orestes zur Veranschaulichung der Befleckung und Steigerung der D r a m a t i k wie einen frischen Mörder dar, der das frisch gezückte Schwert in den noch v o m Blut des Opfers triefenden H ä n d e n hat. Siehe E in Aisch. E u m 40 und 42: ¿n4>aimKiepüi^e9a siehe Sommerstein zu V. 451. 126 127

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Und nachdem er vor der Göttin den von Apollon aufgetragenen Muttermord als Vergeltung für deren Mord an seinem Vater gestanden hat, legt er genau so wie zuvor schon die Erinyen, den Fall zur Entscheidung ganz in die Hand der Göttin: Du aber fälle die Entscheidung, ob ich sie zurecht oder nicht tötete; wie auch immer es mir in deiner Hand ergeht, ich werde es gutheissen. (Aisch. Eum 468-9). Aus Orestes Worten wird noch einmal deutlich, dass die Reinigung110 für Aischylos in diesem Stück nur eine unabdingbare Voraussetzung für die Sühne des Mörders ist, ihn aber nicht endgültig von seiner Schuld befreit. Doch auch einfache Blutrache an ihm, wie es die Erinyen fordern, wird der Gerechtigkeit nicht gerecht. Es bedarf einer dritten Partei, die darüber entscheidet, ob der Mord mit Recht oder nicht mit Recht geschah. Athena freilich glaubt (Aisch. Eum. 470ff.), dass der Fall "schwerer, als ein Sterblicher meint, zu entscheiden" sei und sieht sich auch selbst dazu nicht in der Lage, da sie vor einem Dilemma steht: Entweder sie tut dem Schutzflehenden Orestes Unrecht, dem sie attestiert, dass er nunmehr "rein und unschädlich" (KdÖapos aßXaßris: Aisch. Eum. 474) ist. Oder sie beleidigt die Erinyen, die sich dann mit ihrem Gift am Lande rächen und über es eine "unerträgliche, leidige Krankheit" (Aisch. Eum. 479) bringen würden. Sie will daher einen neuen Gerichtshof auf dem Areopag gründen, der unter ihrem Vorsitz das erste Mal in einem Mordfall ein Urteil fällen soll. Im folgenden Prozess (Aisch. Eum. 566ff.) tritt Apollon auf, um Orestes' Reinheit zu bezeugen - Orestes hat als Schutzflehender sich an seinem Herde niedergelassen und Apollon ihn von seinem Mord gereinigt" 1 - und um ihn als Anwalt zu vertreten - er hat ihm den Muttermord aufgetragen. Im sich anschliessenden Verhör mit der Chorführerin (Aisch. Eum. 585ff.) vertraut Orestes bei der Rechtfertigung des Muttermords fest auf Apollon, der den Mord befohlen hatte, und auf die Hilfe seines von der Mutter getöteten Vaters, mit dem er sich ganz identifiziert:

130 Wenn Orestes hier von seiner Reinigung "bei anderen Häusern" und "durch Tiere" spricht, so muss es sein, dass er noch an andere Reinigungen als jene in Delphi durch Apollon denkt; denn es ist einleuchtend, dass, wenn eine Therapie nicht hilft, man die nächste versucht; vgl. Sommerstein zu V. 451-2. Dass er nur - unter Verwendung des poetischen Plurals - jene in Delphi durch Apollon meint (vgl. Parker S. 386), ist unwahrscheinlich. Aischylos nimmt hier gewiss auf die reiche Tradition ausserattischer Reinigungen des Orestes Bezug: siehe unten Kap. 1.1.2.5.

131 Aisch. Eum. 576-578: €ctti yäp wiiio) iK6Tr|s 68' avr|p Kai 66(ioüi; eeCTTios vern 8e tw8' eyii> KaGapcuos.

Co-

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Sie hatte sich nämlich zwei Befleckungen zugezogen. (Aisch. Eum. 600). Indem sie den Gatten tötete, tötete sie meinen Vater. (Aisch. Eum. 602).

Dies ist mehr als ein Sophismus. Sein Vater bedeutete Orestes so viel, dass er den Anspruch des Sohnes auf ihn mit dem Anspruch der Gattin gleichsetzt. Seine Identifikation mit dem Vater gegen die Mutter geht dabei soweit, dass er sogar seine Blutsverwandtschaft mit der Mutter in Frage stellt (Aisch. Eum. 606), was die Chorführerin dermassen empört, dass sie ihn mit dem Schimpfwort für den verruchtesten Mörder, nicuövos,"2 ausser Gefecht setzt. Doch da kommt ihm sein "double" Apollon zu Hilfe. 1 " Auch er setzt ganz auf die Hilfe des Vaters (Aisch. Eum. 620f.). Auch er befolgt in seinen Weissagungen nur den Willen seines Vaters Zeus (Aisch. Eum. 616-618). Auch er identifiziert sich ganz mit seinem Vater gegen die Mutter: Den angesehenen Ehegatten, der sein Szepter von Zeus erhalten hat, auf heimtückische Weise zu erschlagen, ist schlimmer als den Tod des Vaters an der Mutter zu rächen. Wenn sein Vater Zeus durch die Fesselung des Kronos die Sache des Vaters nicht gerade ehrte, so hat er - antwortet Apollon auf einen Einwand der Chorführerin - ihn immerhin nur gefesselt. Und Fesseln könnte er wieder lösen, dagegen gibt es Heilmittel. ...Doch wenn der Sand das Blut eines Mannes, der einmal getötet worden ist, eingesaugt hat, dann gibt es keine Auferstehung. Dafür hat mein Vater keine Beschwörungen gemacht. Das andere hat er alles ohne zu keuchen nach seinem Willen geschaffen, indem er es so und so drehte. (Aisch. Eum. 645-651).

Nun fragt die Erinye den Gott empört, wie er sich denn vorstellen könne, dass ein Muttermörder frei herumläuft, ohne Haus, öffentliche Altäre und Weihwasser der Phratrie zu beflecken: Nachdem er der Mutter blutsverwandtes Blut auf der Erde vergossen hat, soll er da in Argos das Haus des Vaters bewohnen? Welche öffentlichen Altäre soll er dabei benützen? Welches Weihwasser einer Bruderschaft wird ihn aufnehmen? (Aisch. Eum. 657ff.).

Nun kann Apollon in seiner gesteigerten Identifikation mit der Sache des Vaters nur noch das in Form einer sexistischen Theorie behaupten, was sein menschliches "double" in Frage zu stellen gewagt hatte: Die Mutter ist mit dem Kind nicht blutsverwandt! Die Mutter genannt wird, ist nicht des Kindes Erzeuger, sondern nur Amme der frisch gesäten Leibesfrucht. Es erzeugt der Befruchtende. Sie dagegen schützt wie eine Fremde für einen Fremden den Keim (für die Väter), sofern ihnen ein Gott dabei nicht schadet. (Aisch. Eum. 657ff.). 132 133

Aisch. Eum. 607; siehe Teil I S. 45. Siehe Delcourt S. 104, vgl. oben Anm. 43.

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Es versteht sich, dass der Gott der Erkenntnis114 sich bei seiner heute abstrus anmutenden genetischen Theorie, dass der Same vom Mann kommt, während die Frau nur den Ort liefert, wo der Same sich entwickeln kann, auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis seiner Zeit wähnen kann." 5 Als Beweis für ihre Wahrheit führt der Gott in einem geschickten Schachzug gleich die Gerichtsvorsitzende selbst an: Sie wurde ohne Mutter aus Zeus' Haupt geboren. Und in der Tat, die Jungfrau und Kriegsgöttin Athene knüpft bei ihrem den Ausschlag gebenden Stimmentscheid zugunsten von Orestes an ebendieses Argument an: Denn es gibt keine Mutter, die mich gebar, ich billige in allem das Männliche, ausser im Heiraten, mit ganzem Herzen, und ich bin ganz Tochter des Vaters. Daher achte ich nicht den Tod einer Frau höher, die den Mann getötet hat, den Beschützer des Hauses. (Aisch. Eum. 736-740). So wird denn der Muttermörder Orestes dank Athenes Stimme mit dem knappsten Resultat freigesprochen. Die Reinigungen durch Apollon, der als sein "double" nur den Täter vertrat, waren dazu allein nicht in der Lage, doch es ging auch nicht an, den Forderungen der Erinyen, die das Opfer bedingungslos rächen wollten, ohne weiteres nachzugeben. Es brauchte dazu ein Gericht, das beide Seiten anhörte und sich ein Urteil bildete. Das knappe Resultat zeigt freilich, dass in diesem umstrittenen Fall des Tabus "Muttermord" beide Parteien gewichtige, ernstzunehmende Argumente hatten. Dies lässt sich auch aus den Folgen des Prozesses erkennen: sowohl Sieger als auch Unterlegene werden weiterhin mächtig und für Widersacher gefährlich sein: Orestes als Heros, der von seinem Grab in Argos über das Bündnis zwischen Argos und Athen wacht,116 die Erinyen als Ecural 0eai, die, eingegliedert in den Bau der Polis, zu Garantinnen für das Gedeihen der Polis werden und dem ganzen befleckungsbefrachteten Unheil abschwören, das sie als Fluchgöttinnen,'Apai, der Polis gerade noch androhten."7 Siehe hierzu W. F. Otto, Die Götter Griechenlands, Frankfurt a.M. 1956 4 , S. 71ff. Vgl. Arist. GA 763 b 31-3: aaL..' Avafayöpas Kai erepoi TÜV (j>u(TioXö'yw yiyveCT0 a i . . . £ K TOÜ äppews TÖ cmepp.a, T 6 8e 9 f j \ u TRAPEXEIV TÖTTOL*. Dass Aischylos die Theorie von Anaxagoras übernommen habe, vermutet Sommerstein S. 206. 136 Aisch. Eum. 754ff.; siehe oben S. 107f. 137 Erinyen als Apai: Aisch. Eum. 417. Ihre Androhungen von Unheil an Polis: Gefahr (Aisch. Eum. 711f.; 719f.); Unfruchtbarkeit der Erde, Unfruchtbarkeit der Pflanzen und Menschen durch "Flechten" (XeixTi11 ä4>uXXos äT£Kvos), die "menschenvernichtende Befleckungen" (ßpoTo4>96pous KiiXtSas) ins Land bringen (780-7 = 810-7; Xeixiiv wird schon in Aisch. Cho. 281 als Strafe der Erinyen angekündigt; siehe oben Anm. 55, 62); Abschwören: Aisch. Eum. 916-987: Die Erinyen wünschen Sonne für Erntewachstum, keine Trockenheit, keine Unfruchtbarkeit des Feldes in Form einer ä r a p T T o s aiayf|s vöcros, Fruchtbarkeit des Viehs und Gedeihen von Jungen und Mädchen, keinen Bürgerkrieg. 134

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Es bleibt noch, festzuhalten, welche Auffassungen und Massnahmen in den Eumeniden für die Reinigung des Mörders bezeugt sind, auch wenn Aischylos selber im Stücke dieses Reinigungsritual relativiert, wenn nicht gar entmachtet."8 1. Der Mörder ist unrein, hat Blut an den Händen. 1. Er wird von den Erinyen verfolgt, die ihn in den Wahnsinn treiben. 1. Befleckt und von den Erinyen verfolgt, muss er ausser Landes ins Exil und sich einen Schutzherrn suchen, der ihn reinigt 1. Bis er von diesem gereinigt ist, muss er stumm bleiben, darf nicht sprechen, darf keinen sozialen Kontakt zu anderen haben, da er ihnen sonst schaden würde, und kein Heiligtum betreten, da er dies sonst beflecken und schädigen würde.'19 1. Um den Schutzherrn zur Reinigung zu zwingen, dringt er schweigend, mit einem von Wolle umwundenen Ölzweig in dessen Haus ein und lässt sich am Herd nieder.140 1. Die Reinigung erfolgt "durch Reinigungen mit einem getöteten Ferkel", KaGapjioí? xOLPOKTó^ois: Das Ferkel wird dabei so geschlachtet, dass der Befleckte mit seinem Blut Übergossen wird; darauf wird das Blut mit fliessendem Wasser hinweggespült. So ist die Befleckung ausgewaschen (P.IACT|IA CKTTXUTÖV TTéXei)."" Es ist also eine Reinigung von Blut durch Blut. 1. Erst jetzt darf der Mörder wieder sprechen und soziale und religóse Kontakte haben, ohne zu schädigen (s. Anm. 139).

138 Siehe Burkert, Masken des Schreckens: Ritual und Theater in Aischylos' Eumeniden, S. 6. 139 Mörder unrein: Aisch. Cho. 1017, 1055, Aisch. Eum. 39ff., 237 et passim; von den Erinyen verfolgt: Aisch. Cho. 1021ff., siehe oben S. 118ff.; Exil: Aisch. Cho. 1034ff. siehe obenS. 118f.; stumm: Aisch. Eum. 448-450 siehe oben S. 127; Sprachverbot: Aisch. Eum 278ff.; Kontaktverbot infolge drohender Schädigung: Aisch. Eum. 284f.; siehe oben S. 126; Verbot, Heiligtum zu betreten infolge Befleckunsgefahr: Aisch. Eum 443f., 474; siehe oben S. 127f. 140 Aisch. Cho. 1035ff., siehe oben S. 118f.; Aisch. Eum. 40ff., siehe oben S. 121. 141 Aisch. Eum. 281-83; 448-52, siehe oben S. 126f.

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1.1.2.3. Euripides Orestes: Die Paranoia des Muttermörders Euripides führt uns in seinem Orestes den Muttermörder in der Situation nach dem Mord vor: Das Geschehen spielt am 6. Tag nach der Beerdigung (E. Or. 39f.; 422). Er interessiert sich dabei besonders für den pathologischen Aspekt des Muttermords. 142 Aufschlussreich für die Interpretation des ganzen Stücks ist das Chorlied genau in der Mitte des Dramas (E. Or. 807-843): Nachdem der Chor auf das "alte Missgeschick" im Hause der Tantaliden, den Streit um den goldenen Widder und das Mahl des Thyestes, aufmerksam gemacht hat, "seit dem Mord auf Mord abwechselnd durch das Blut nicht schwindet aus dem zweifachen Haus des Atreus", verurteilt er in der Gegenstrophe die Auffassung von Elternmord als gut und bezeichnet die daraus resultierende paradoxe "gute schlechte Tat" als Gottlosigkeit und Wahnsinn. Dieses 'gut' ist nicht gut, der Eltern Leib mit harter Hand zu durchstechen und das schwarzbeschlagene Schwert mit ihrem Blut den Strahlen der Sonne zu zeigen; diese "gute schlechte Tat" ist verschlagene Gottlosigkeit und Wahnsinn falsch denkender Männer.143 Denn in Furcht vor dem Tod schrie Tyndareos' arme Tochter: "Kind, nicht Frommes wagst du (ou ToXfiäs öcria), wenn du deine Mutter tötest; hänge dir nicht, die Zuneigung zum Vater ehrend, auf ewig Schande an!" (E. Or. 819-830). Deutlich nimmt Euripides hier auf Aischylos' Choephoren Bezug, wo Orestes, über seine Opfer triumphierend, das Fanggewand, in dem Agamemnon ermordet wurde, ausbreiten lässt und die Sonne zum Zeugen für die Rechtmässigkeit des Muttermords anruft, nachdem er vor der Tat vergeblich von seiner Mutter auf die Gottlosigkeit seines Tuns hingewiesen worden war."14 In der Epode spricht der Chor dann v o n Muttermord als Krankheit, die Orestes' Wahnsinn und Verfolgung durch die Eumeniden zur Folge hatte: Welche Krankheit (WCTOS) ist schlimmer, oder welch grössere Tränen oder Mitleid gibt es auf Erden, als muttermordendes Blutvergiessen mit der Hand zu bewirken? Weil er eine solche Tat vollbracht, rast bacchisch in Wahnsinnsanfällen (ßeVgl. hierzu v. a. Smith. E. Or. 819ff. Text nach Diggle: TÖ KAXDW oii KGIXÖV, Toxeoiv / T r u p i y e v e t TEFIEIW TTaXd(ia / xpöa p.gXdi'SeTov 8e öya) / £ios es auyäs aeXioio 8ei£ar / T68' eö (Bothe aufgrund vonZ mbvc P . € T Q Xöyoi) Kai mOa^ÖTTiTos; aC codd.) KaKoupyelv aaeßeia TTOLKLXCX KOKO4>PÖVCOV T ' awSpoju T T a p a u o i a . Zum Verständnis siehe M. L. West, Euripides Orestes, Warminster 1987, S. 239f. 144 Aisch. Cho. 983ff.; 896ff., vgl. oben S. 115ff. 142

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ßdKxevToa |iauiais), eine Beute für die Eumeniden, das Blut (die Angst?) in rasenden Augen umherdrehend (6vov Wil. (6ßov Diggle; cfxißoj n " ) Spop.aai Siveüwv ßXedpois), Agamemnons Sohn. Oh Elender, als er, wie er aus golddurchwirktem Gewand die Mutterbrust herausragen sah, ein Schlachtopfer machte aus der Mutter, als Vergeltung für die Leiden des Vaters. (E. Or. 831-843).

Im Zentrum des Chorliedes, das auch Schlüssel für die Interpretation des ganzen Stückes ist, ist das Thema Mord als Krankheit: Es ist Wahnsinn (Trapdvoia), im Elternmord, der KaKoupyetv und avoaiov ist, etwas Gutes zu sehen; Muttermord zu begehen ist an sich Krankheit (vöao?) und hat auch Krankheit wie Wahnsinn, Verfolgung durch die Erinyen... zur Folge. Das Morden in der Familie erscheint so als "Erbkrankheit". Es ist konsequent, wenn Euripides der Darstellung der Krankheit und der Befleckung des Mörders vor allem im ersten Teil des Stückes, wo er die Lage exponiert, grosse Aufmerksamkeit schenkt: 1. Orestes ist im religiösen Sinne befleckt: Die Argiver beschlossen, dass niemand die Muttermöder (Orestes und Elektra) im Haus oder am Herd aufnehmen oder ansprechen dürfe, proklamierten sie also als (iiapoi.us Man verweigert ihnen daher die KaOapai?.146 Doch die Argiver lassen ihnen auch nicht - entgegen der attischen Gewohnheit147 - die Möglichkeit zu fliehen: sie haben sie mit Waffen umstellt"'8 und auf diesen Tag die Volksversammlung angesetzt, die über die Steinigung der jiiapoi entscheiden soll.149 Sie scheinen, wie Tyndareos, fest entschlossen, dem Gesetz zu helfen und diesem Bestialischen und Mordbefleckten ein Ende zu machen, das für immer die Erde und ihre Städte zugrunderichtet.1™

Nur Helena, die eben aus Troja heimgekehrt ist, will sich nicht an den Beschluss der Argiver halten. Sie glaubt, dass sie durch ein Gespräch mit Elektra nicht befleckt werde, da Apollon schuld am Vergehen sei. 145 E. Or. 46-48: e8o£e 8' "Apyei Tw8e nii9' r)päs crreyais, / p.r| mipi Sexeite TTpOCTiüi'€li> TiKa / (j.riTpoKToi'oiii'Tas. Vgl. Soph. O.T. 236ff. T6v äi»5p' d-rrauSw toOtoi*, öcttis ¿ c m , yfjs / TfjcjS', i)s eyü KpdTri Tg kol Qpövous uepio, / p.r|T' eiaSexccröai- (iiyre TTpoac|xoveTi' Tiva, / (itit' ev Sewv euxatai \ix\re 6üp.aaiv / koliw Troigtoflai, (liyre x^P^ßo? ve|ieii>' / uiSetv 8' aw' 0eyp.a(jiv ydp ou |n.aivo|iai aeöev, e s 4>oißov avaepoiiCFa TT|V dp.apTiav. (E. Or. 75f.).151

Ein positives Omen für die beiden, die ihre einzige Hoffnung in Menelaos gesetzt haben? 2. Orestes ist sichtbar äusserlich befleckt und schwer krank: Er sieht aus wie ein Toter - für den hippokratischen Arzt ein gefährliches prognostisches Zeichen'52 - , ist zum SpdKiov geworden, der krankhafte Blitze leuchten lässt - eine Anspielung auf den Traum der Mutter, doch schwingt gewiss auch die Vorstellung von Totem und Erinye als Schlange mit;151 die Blitze in den Augen sind für den Arzt Zeichen von Flavia, ebenso wie die rollenden, blutunterlaufenen Augen, von denen der Chor in der Mitte des Stückes spricht, für den hippokratischen Arzt ein Symptom für schlechtes Gewissen, Wahnsinn und einen gefährlichen Zustand sind.154 Er ist verwildert, hat schmutziges Haar und sich seit 6 Tagen nicht gebadet,'55 sein Körper ist dahin, nur sein Name ist ihm geblieben,156 er ist während des ganzen ersten Teils des Stückes ans Bett gebunden,157 in einen Mantel gehüllt,158 im zweiten Teil, wo er sich vom Bett entfernt hat, ist er durch die Krankheit so sehr geschwächt, dass er sich ohne Stütze durch seinen Freund Pylades nicht fortbewegen kann.15' 3. Orestes ist innerlich befleckt, d. h. physisch und psychisch krank: im Prolog (E. Or. 34ff.) schildert uns Elektra die Krankengeschichte: an Vgl. E. Or. 481: MeveXae, TTpoa8ey"y(l wv, ävooiov Kcipa; E. Or. 385 Tiva 8e8opKa vepTepw; vgl. Hp. Prog. 2 (II 112ff.L): Das beste Zeichen ist, wenn das Gesicht des Kranken dem Gesicht im gesunden Zustand am ähnlichsten ist, das gefährlichste, wenn es jenem im gesunden Zustand am unähnlichsten ist: EKeTTTeaGai 8e xpf) ev TOICTIV öfeci voaiipaaiir TTpwToi; p.ev TÖ TTPÖCTWTTOV TOG voaeovros, ei Ö(J.OL6v €CTTL TÖICTI T W uyiaivöimuu, ^riXicrra 8e, ei AIITÖ EUIDTY. OÜTCO yap ÄV EIR) äpiaToi', TÖ 6' EVAVRMTATOV TOÜ opLoiou 8eii/ÖTaT0i'. 151

152

153

E. Or. 479f. ö |J.r|Tpo6vTT]s Ö8e Trpö 8(unäT(uv SpÖKuv / cjTiXßei voaoüßeis aaTpcmds.

Traum der Mutter: Aisch. Cho. 527 und 549, siehe oben Anm. 67f.; Toter als Schlange: siehe oben Anm. 34. Erinyen als Schlangen: siehe oben Anm. 41. 154 E. Or. 836f.; siehe oben. Blitzartige Augen als Zeichen für und blutunterlaufene Augen als Symptom für schlechtes Gewissen und Wahnsinn: siehe oben Anm. 60. Blutunterlaufene, unruhige Augen, die das Licht scheuen (Orest ist in Mantel gehüllt) und Tränen (Orestes weint) als gefährliches, verderbliches Symptom: Hp. Prog. 2 (II 116L: "Hv ydp (sc. oi 6 ai>yf|u (j>€v>y(ocai'1 ii SaKpüiocrii' i} 8iaoTpetdVTai...rj TÖ

XeuKä epuOpd iCTxoüaiu...ri...4iaii'coi'Tai...6uaLü)poii|j.6U'OL..., Tatrra TrdvTa kcikü i/o|iifeii< elvcu Kai oXeflpia. 155 E. Or. 225f. w ßoaTpüxw mvS ¿ i r ò £ u y o û . 164

E . O r . 2 1 8 f f . : HX. ßoüXq 9 i y w CTOU KàvaKou4>iaw

ôpopÇov à S X î o u / CTTÓPATOS dpiôôr| von (epileptischen)

Anfällen,

rréKavov

bé[ias;

/ O p . XaßoO X a ß o ö Sf)T', €K 8 '

ò p u à T w v T ' É(iiôt\ Z u m S c h a u m a l s

Symptom

d i e d i e ( i d y o i Te Kai K a 9 a p T a i a u f A r e s z u r ü c k f ü h r e n ,

Arzt dagegen fast ebenso p h a n t a s t i s c h

mit einem Phlegmafluss

in d i e A d e r n

der

erklärt,

d e r d i e L u f t z u f u h r z u r L u n g e a b s p e r r t , s i e h e H p . M o r b . S a c r . 1 . 3 7 ( V I 3 6 2 L ) 'Hw 6 è dp' eì&éuai. V g l . Aisch. C h o . 1051f. TÌi/es ere oßoö, hkcöv ttoXü; siehe oben S. 119. 172 Siehe oben S. 105f. 171 E. O r . 277ff. tl XpiÌM-' àXiiw, TTveOp.' riveis ¿k TrXgunóvoji*; ttoI ttoì ito8' rjXdp.ea9a 8ep.wioüv diro; ÉK KV\XCLTU)V yàp aiöis ai) yaArji/'Òpw. V g l . H p . Fiat. 14.7 ( V I 114 L.): Bei der heiligen K r a n k h e i t , die sich der A u t o r durch Verstopfungen des Bluts in den A d e r n d u r c h eindringende L u f t erklärt, geht "der Sturm" z u Ende, wenn der durch die Anstrengungen des Kranken erwärmte K ö r p e r auch das Blut in den A d e r n und die in sie eingedrungene Luft erwärmt, worauf diese sich auflöst und damit auch die Ansammlung des Blutes auflöst, indem sie z u m Teil zusammen mit dem Atem, zum T e i l mit dem P h l e g m a hinausgeht, so dass schliesslich "Meeresstille" i m K ö r p e r entsteht: IlÓTe oliv iraùouTai Tris woiiaou Kai TOD TTapeóvra; xctßüvog ol ùttò toìitou toO voctiÌ(iotos àXiaKÓjievoi, èyù 4>pciaa). 'OiTÓTav yunvaaQèi' ùttò tiSv TTÓVUIV tò aüjia Sep^avGfj, SepixaiweTai Kai tò al(ia- tò 8è at|ia 6ia9ep|iav9èu É€E6épiiT)i>e tòs 4>iroaT alrrai 8è 8ia9ep|iav6eiaai SiaXiiovrai Kaì 6iaXüouai tt)V cnjtjTatjiv toö a'i(iaTos, ai (lèv avTApocnji'r|v Kai (j.avir)v eToi|i.os) sei, und schliesslich auch Schüttelfrost und Fieber herbeiführe. Darauf versucht er, die einzelnen Symptome, die bei dieser Krankheit auftreten, zu erklären: Wegen der heftigen Entzündung ist sie wahnsinnig, wegen der Fäulnis ist sie mordgierig (ovq), wegen der Dunkelheit fürchtet sie sich und hat Angst, wegen des Druckes ums Herz vollziehen sie die Erhängung, wegen der Schlechtigkeit des Blutes ist das Gemüt ausser sich und ängstlich und zieht Schlechtes an. Und (die Kranke) nennt des weiteren auch furchtbare (Erscheinungen); (diese) heissen sie zu springen und in Brunnen zu fallen und sich zu erhängen... Wenn sie ohne Visi-

174

A u f M e n e l a o s ' F r a g e E . O r . 395: TIS & OUTÖMUCTIP vöcros; a n t w o r t e t O r e s t e s (E. O r .

396): r| a v v e c n s , ÖTI a ü v o i S a 8 e i i / e l p y a a p . e i ' o s , u n d p r ä z i s i e r t ^idXiaTd y ' ii 8ia4>8eipoixrd ^e... weiterfragt

d a n n E. O r . 3 9 8 f f . : XÜTTT)

^ a v i a i Te, |j.T]Tpös a ' i j i a T o ? Ti|uupiai. U n d w i e

Menelaos

(E. O r . 407): 4>avTaCTp.DTIÜY 8e ( v . l . ¿K 4>a(T|IDT0ÜV 8 e ) Td8e v o a e t s TTOICOY ÜTTO;

a n t w o r t e t O r e s t e s : gSoij' l ö e i v T p e l s VUKTI TTpoa4>epels KÖpas. s i e h e Entstehung u n d Entwicklung des Gewissens i m S p i e g e l

hierzu

U.

Stehler,

der griechischen T r a g ö d i e ,

Diss.

B e r n 1971, S. 1 1 7 f f . 175

J o u a n n a H i p p o c r a t e S. 548.

H p . V i r g . V I I I 466 L : IlpoiiToi; trepi T f j s i e p f j s voüaou K a X e o ^ e v r i s , Kai TTepi TÜV a TTOTTX^KTGJV, Kai irepi TCÖV SeiiidTaiv, ÖKÖaa (fioßeCvTai oL ävGpuTroi icrxupws. (ixRRE Trapacfipoveeiv Kai ö p ä v S O K E E I V 8aip.owds T i v a s ¿4>' ETOUTÜV 8 u a ^ e v e a s , ÖKÖxe \iäv V U K T Ö S , ÖKÖTE 8e R)(IEPRIS, 6K6T€ 8e anOTepr]CFI Tfjcav (öpr) €K x e p i ä v ( i i a K j j ö v w .

E. Or. 1587-1590. Vgl. oben Anm. 170. 185 Mit Willink S. 347 übernehme ich die Umstellung der Verse 1608-1612 vor die Verse 1600-1607. 184

186 E. Or. 1600-1604: Me. f| yäp SiKaioi» £r]v ae; Op. Kai KpaTelu ye yfjs. | Me. T r o i a s ; Op. iv "Apyei TÜSe tu neXaayiKÜ). | Me. ei yoüv 9iyoi.s äf xepvlßtov • • • Op. Tt 8f| yäp oü; | Me. Kai acj>äyia npö 8opös KaTaßaXois. Op. ob 8' äw KaXws; | Me. äyvö? ydp x£ipaS- Op. aXX' ou TÖS 4>peras.

Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

143

Oh Land der Danaer und Bewohner des rossenährenden Argos, eilt schnell zu Hilfe mit bewaffnetem Fusse! Denn dieser versucht, von eurer ganzen Stadt sein Leben zu ertrotzen, obwohl er einen unreinen Muttermord begangen hat. (E. Or.

1621ff.)

In diesem Moment der äussersten Bedrohung der Polis durch den befleckten Muttermörder kommt Apollon, der Reiniger, zu Hilfe u n d schafft Reinigung herbei: Helena hat er dem Schwert des Orestes entrissen. Weit entfernt, "ein grosses Übel" (peya kokov) zu sein, wie der Mörder in seinem Verfolgungswahn meinte, soll die schönste Frau der Welt nach Zeus' Willen inskünfig als Göttin verehrt werden. Die Götter haben sie nur als Mittel zur Entfesselung eines Krieges gebraucht, um die Erde von der Überbevölkerung zu befreien. Orestes selber soll zu seiner Reinigung ein Jahr im Exil auf parrhasischem Boden in Arkadien wohnen, der nach ihm Oresteion benannt wird. Dann hat er auf dem Areopag unter Anklage der Erinyen vor einem Gericht der Götter zu erscheinen, das ihn dann freisprechen wird. Dann soll er über Argos herrschen. Zudem ist es Orestes bestimmt, Hermione, an deren Kehle er gerade das Schwert hält, zu heiraten, ein Ende, das uns Modernen als absurd erscheinen mag,187 dem antiken Arzt jedoch, der den unter der Verfolgung von bösen Daimonen leidenden Jungfrauen Geschlechtsverkehr mit Männern als Kur verschreibt, vielleicht als gar nicht so ungeeignete Therapie erscheinen würde, um den jungfräulichen Orestes von seinem misogynen Verfolgungswahn zu befreien.

1.1.2.4. Orestes und die Choen Als Muster für einen Befleckten, niapös, erscheint Orestes im Mythos, der das Aition lieferte für das attische Choenfest, einen "Tag der Befleckung", p.iapa fi(iepa,188 zu dessen Sonderheiten es gehörte, dass die Teilnehmer Mordbefleckten gleichgestellt schienen: sie blieben v o m Zugang zu den Heiligtümern ausgeschlossen, denn sämtliche Heiligtümer ausser dem, das sonst verschlossen blieb, dem des Dionysos e v A i ^ a i ? , waren geschlossen; sie durften keine Tischgemeinschaft pflegen, sondern sassen an getrennten Tischen und verwendeten getrennte

,87 Siehe Karl Reinhardt, Die Sinneskrise bei Euripides, in: Tradition und Geist, Göttingen 1960 S. 227ff. vor allem S. 256. Zur Aufnahme von Euripides' "Orestes" in der modernen Forschung siehe J. R. Porter, Studies in Euripides' Orestes, Leiden 1994, S. 2840 und Hose S. 127f. 188 Phot, (iiapà rinépa' ¿y toîs Xouaiv Ai^eaTepiajuos Mr^os.

144

Teil II

Weinkrüge zum Wetttrinken; und sie durften nicht miteinander schwatzen, sondern pflegten schweigsam zu trinken.' 89 Orestes berichtet seiner Schwester in Euripides' Iphigenia in Tauris, wie er nach der Ermordung seiner Mutter von den Erinyen verfolgt und von Apollon nach Athen zur gerichtlichen Verfolgung vor d e m Areopag geschickt wurde. Dort stellt er die Athener vor das Dilemma, entweder durch Abweisung des Mörders gegen das Recht der Schutzflehenden zu Verstössen oder sich durch die Aufnahme des Mörders selbst zu beflecken. Durch eine List gelingt es ihnen - n a c h Phanodemos war es der attische König Demophon 1 9 0 - , das Paradoxon zu lösen, indem sie ihn wie einen Gast aufnehmen und doch zugleich als Mordbefleckten meiden: nach der vorsorglichen Schliessung sämtlicher Heiligtümer 191 bewirten sie ihn im gleichen Haus, doch an e i n e m gesonderten Tisch, sie geben ihm zu essen und zu trinken, doch wechseln sie mit ihm kein Wort, sie teilen mit ihm den Wein, doch jeder trinkt dabei aus einem gesonderten Weinkrug. Dies wurde zum Ursprung für das Choenfest: Ich kam dorhin... Zuerst nahm niemand der Gastgeber mich freiwillig auf, in der Meinung, dass ich den Göttern verhasst sei. Doch diejenigen, die Erbarmen hatten, gewährten mir Bewirtung an besonderem Tisch, obwohl wir doch im gleichen Hausgemache waren, und durch ihr Schweigen machten sie mich stumm, damit ich getrennt sei von ihrem Essen und Trinken, Und nachdem sie allen in ein eigenes Gefäss vom Bacchustrank ein gleiches Mass gefüllt hatten, vergnügten sie sich daran. Und ich wagte nicht die Gastgeber zu tadeln, sondern litt Schmerz im stillen und tat, als hätte ich es nicht auf meinem Gewissen, unter grossem Stöhnen der Mutter Mörder zu sein. Ich höre nun, dass mein Missgeschick den Athenern zum Fest geworden ist und jetzt noch der Brauch andauere, dass Pallas' Volk ein Kannengefäss in Ehren hält.192

189 Zu Verlauf und Interpretation des Choenfests siehe Burkert HN S. 239ff. Zum Ausschluss des Mörders aus dem Tempel, von Herd und Tisch und vom Gespräch: Soph. O.T. 236-243, siehe oben Anm. 145; zum Schweigen des Mörders vgl. Aisch. Eum. 276ff., 448ff. Siehe oben S. 126f; 131. Zum Ganzen siehe Parker S. 125; Wächter S. 68ff. 190 Phanodemos FGrHist 325 F 11. 191 ibid. 192 Eur. I.T. 947ff. eXöwv 6' èKetae . . . TrpÙTa \Lév p.' où8els févwi' | ékùv è8é£a9', (ós 9eots anryoùjievov | o'i 8' ècrxov cà8tò, ¡jevaa p.oyoTpdiTe£d |ioi | Trapécrxov, O'ìkup òvtès èv TaÙTiòCTTéyei,| aiyfj 8' èTeKTr|WivT' cnTÓ9eyKTÓF |i\ öttgos | SaiTÒs yei'oip.Tiv ttùVcitós t' aÙTots 8ixa, | è? 8' äyyos 'i8iov iaov ¿matri ßaicxiou | ^éTpri|ia TTXipdiaai'Tes elxov ii8our|i>.| Kàyiì) 'feXéyfai (lèv £évous oùk r|fiouv, | rjXyoDV 8ÈCTLyfjkòSókow oùk eL8évca, | M-éya (jTevri£uw oüv€k* ri [iT|Tpòs (Jjoweiis. | kXOu 8' 'ASrivaioLcri Ta^à SuaTDxfj | TeXeTriv ygueaSai, köti

Kultisch-rituelle Reinigung v o n Krankheit

145

1.1.2.5. Ausserattische Reinigungen des Orestes Auch andere Orte neben Athen u n d Delphi w u r d e n mit der R e i n i g u n g des Orestes in V e r b i n d u n g gebracht, wobei die Mittel der R e i n i g u n g recht unterschiedlich sein konnten. So soll Orestes nach Pausanias in Troizen v o n n e u n Troizeniern auf e i n e m "heiligen" Stein vor d e m Tempel der Artemis Lykeia gereinigt w o r d e n sein: Man sagt, dass der Stein nahe dem Tempel (der Artemis Lykeia), der heilig genannt wird, jener sei, auf dem einst neun Troizenier Orestes reinigten wegen seines Mordes an der Mutter. (Paus. 2.31.4). Bevor die Reinigung allerdings erfolgt war, wollte d e n M u t t e r m ö r d e r keiner a u f n e h m e n , so dass f ü r den Befleckten eigens eine Hütte v o r d e m Apollontempel, die m a n d a n a c h CTKTIVTI 'OpeaTOu nannte, errichtet wurde, in der er gesondert v o n d e n a n d e r e n bewirtet w u r d e . Ä h n l i c h wie in Athen w i r d der Mörder also auch hier isoliert: Vor dem Apollontempel befindet sich ein Gebäude, das 'Hütte des Orestes' genannt wird. Denn bevor er vom Blut der Mutter gereinigt war, wollte ihn kein Troizenier im Haus aufnehmen. Nachdem sie ihn nun hier untergebracht hatten, reinigten sie ihn und bewirteten ihn (hier), bis sie ihn gereinigt hatten. Auch jetzt noch speisen die Nachfahren derjenigen, die ihn gereinigt hatten, hier an bestimmten Tagen. (Paus. 2.31.8). Die Rückstände der Reinigung, zu der neben a n d e r e n KaOöpata W a s s e r aus der H i p p u k r e n e verwendet wurde, w u r d e n neben der Hütte begrab e n u n d Hessen einen Lorbeerbaum, den Baum Apollons u n d der Reinigung, hervorspriessen: Zeichen, dass der Mörder n u n entsühnt ist:" 4 Nachdem die Reinigungsrückstände unweit von der Hütte begraben worden waren, soll aus ihnen ein Lorbeerbaum entsprossen sein, der auch jetzt noch bis in unsere Tage besteht, der vor dieser Hütte. Sie sollen Orest ausser mit anderen Reinigungsmitteln mit Wasser aus der Pferdequelle gereinigt haben. (Paus. 2.31.8f.). TÖV MSHOV neveiw, | XOIIPES öyyos ilaXXdSo'r TL(iäf Xeujv. Zum Choenaition vgl. auch P h a nodemos FGrHist 325 F l l . 1.3 Vgl. z u m Folgenden Lesky in RE XVIII, 988ff.; Delcourt S. 92ff. 1.4 Zum Lorbeer als Attribut Apollons vgl. h. Ap. 395f. ÖTI KEW EINR] (sc. 'ATTOXXÜJU) Xpeitijv ¿K &di>r|4>6p05 (siehe RE IV 2140 s.v.) und AaWTTis in Syrakus (siehe Hsch. s.v.); z u m Lorbeer als kathartisches Mittel vgl. Aelian var. hist. 3.1 (Apollon selbst reinigte sich mit Lorbeer im Tempetal vom Mord am Python) und die Reinigung der Milesier von der Pest mit Lorbeerzweigen durch Branchos siehe unten Anm. 273. Zum Lorbeer s i e h e RE XIII 2, 1431 ff.

146

Teil II

Andere Quellen sprechen von einem Exil des Orestes in Arkadien. Pherekydes gemäss wird der Muttermörder von den Erinyen nach Parrhasia verfolgt. Er flieht ins Heiligtum der Artemis (Hiereia) und setzt sich als Schutzflehender auf den Altar. Aber die Erinyen stürmen gegen ihn an und wollen ihn töten. Doch Artemis wehrt sie ab. Seither wird auch diese Stadt Oresteion genannt von Orestes her. Gemäss Asklepiades soll Orestes dort durch einen Schlangenbiss gestorben sein.195 Interessant ist auch der Bericht des Pausanias (8,34,1 ff.), der Orestes mit Megalopolis verbindet. In der Nähe der Stadt ist ein Heiligtum der Göttinnen Maviai, nach Pausanias ein Zuname der Eumeniden: Und ebenda soll Orestes nach der Ermordung seiner Mutter einen Wahnsinnsanfall gehabt haben (n.ai>iji/ai). Nicht weit vom Heiligtum ist ein riesiger Erdhügel, der als Denkmal einen aus Stein gefertigten Finger hat, und daher hat der Hügel den Namen 'Fingerdenkmal' (AaKTuXou fivfjfia). Hier, so sagt man, habe Orestes sich in seinem Wahnsinn einen Finger von der einen Hand abgebissen. An diesen angrenzend befindet sich eine andere Stelle, die 'Heilstätte' ("Akt|) genannt wird, weil an ihr dem Orestes die Heilung von der Krankheit zuteil wurde. Auch da ist den Eumeniden ein Heiligtum errichtet. Diese Göttinnen sollen, als sie im Begriff waren, Orestes wahnsinnig zu machen, ihm schwarz erschienen sein; als er jedoch den Finger abgebissen habe, schienen dieselben ihm weiss zu sein und er habe gleich nach ihrer Sichtung den Verstand wiedererlangt, und so brachte er den ersteren ein chthonisches Opfer dar und wendete so ihren Zorn ab, den weissen dagegen brachte er olympische Opfer dar. Zusammen mit ihnen soll er auch den Chariten geopfert haben. Neben dem Ort 'Heilstätte' befindet sich ein anderes Heiligtum, 'Scherstätte' (Koupelov) genannt, weil sich Orestes dort das Haar geschert hatte, nachdem er wieder zu sich gekommen war. Psychologisch kann man das Abschneiden des Fingers als symbolischen Akt der Selbstkastration deuten, der die Verfolgerinnen besänftigen soll; jedenfalls aber ist es, genauso wie das Abscheren der Haare," 6 ein Akt der Selbstverstümmelung, der als Sühnopfer dient.'97 Da die Göttinnen nach diesem Opfer statt schwarz weiss erscheinen, scheinen durch es nicht nur der Mörder, sondern auch die ihn verfolgenden Göttinnen einer Reinigung unterzogen zu werden, die dann durch die 1,5 Pherekydes FrGrHist 3 F135 = Asklepiades FGrHist 12 F 25. Von einem Exil in Parrhasia spricht auch Eur. Or. 1643ff., allerdings nur für ein Jahr vor der Anklage am Areopag in Athen, siehe oben S. 143. Das Haaropfer ist auch als rite de passage erklärbar, das den Einschnitt ins bisherige Leben, den Übergang in einen neuen Status markiert, pflegten doch die Jünglinge und Mädchen beim Eintritt ins Erwachsenenalter ihr Haar zu scheren und einer Gottheit zu weihen. Siehe Burkert GR S. 120f. 197 So Delcourt S. 94.

Kultisch-rituelle Reinigung v o n Krankheit

147

Abfolge von chthonischem und olympischem Opfer noch markiert wird." 8 Bemerkenswert ist auch der Bericht des Pausanias (3,22,1) über einen "unbehauenen Stein" bei Gythion: Man sagt, Orestes sei, als er sich auf ihn gesetzt habe, von seinem Wahnsinn geheilt worden. Darum wurde der Stein in dorischem Dialekt Zei>s KcnnTtüTas, der Heruntergefallene Zeus,'99 genannt. Hier handelt es sich offensichtlich um einen Stein, den man für einen Meteoritstein hielt und dem man daher göttliche Kraft und eine reinigende und heilende Wirkung zuschrieb.200 Orestes wird auch mit einem Heiligtum der Eumeniden in der achäischen Stadt Keryneia in Verbindung gebracht. Dieses soll Orestes gegründet haben. Wenn jemand, der mit Blutschuld oder mit einer anderen Befleckung behaftet oder auch ein Religionsfrevler ist, hier eintritt und es betrachten will, soll er sogleich vor Schrecken wahnsinnig werden. Und deshalb ist nicht allen und nicht ohne weiteres der Eintritt erlaubt. (Paus. 7.25.7). So ist verständlich, dass dieses Heiligtum als Gründung des Orestes ausgegeben wurde: Denn hier sollen ihm die Eumeniden wohlgesinnt (eii^ievels) geworden sein, nachdem er bei den Athenern im Prozess freigesprochen wurde und ihnen ein schwarzes Schaf geopfert hatte. (Schol. Soph. Oed. Col. 42). Schliesslich soll Orestes nach Strabon XII 2.3 p. 535 im kappadokischen Koma na den Kult der Ma, die mit der Artemis Tauropolos gleichgesetzt wurde, begründet haben und sich dabei - offenbar wiederum zur Sühnung - das Haar (KÖ^TI) abgeschnitten haben, woher der Name Köp.ava stamme: Diesen Kult scheint Orestes zusammen mit seiner Schwester Iphigenia aus dem Taurischen Skythien hierher gebracht zu haben, den der Artemis Tauropolos, und 1 , 8 E t w a s ähnliches findet sich in der Lex Sacra von Selinus Kolumne A, Zeile lOff. w o erst den TpiTouaTpeücu als |uapoig ein reinigendes Opferritual "wie für die Heroen" (Weinlibation durchs Dach, Verbrennen des 9. Teils eines Opfertiers, Besprengung und Ölung) zuteil wird, ehe ihnen als Kaöapois Opfer "wie für die Götter" (Opfer eines ausgewachsenen Schafes, Libation mit (ieXiKpaTov sowie 6 e o £ f n a ) dargebracht werden, siehe Jameson S. 53, 62ff.

Zur Etymologie siehe Frisk s.v. KairmiiTas. Siehe Nilsson G.G.R. S. 201 f. Zu Steinen mit reinigender Kraft sind auch der "heilige" Stein vor dem Tempel der Artemis Lykeia, auf dem Orest gereinigt worden sein soll (Paus. 2 . 3 1 . 4 , siehe oben S. 145) sowie das ACIKTÜXOU P - I ^ A bei Megalopolis, bei d e m sich Orestes den Finger abgebissen haben soll (Paus. 8.34.2), zu rechnen; siehe N i l s son G.G.R. S. 202 Anm. 9. 1W

200

148

Teil II

hier soll er auch das Trauerhaar entfernt haben, von welchem die Stadt ihren Namen hat.

Andere Quellen berichten von Reinigungen des Orestes mit Flusswasser an verschiedenen Orten: So soll nach Aelius Lambrinus (Elag. 7.7) Orestes das Bild der Artemis aus dem Taurerland nach dem syrischen Laodikeia gebracht haben (von dem Pausanias 3.16.8 freilich meint, dass es das Bild von Brauron sei, das die Perser als Beute nach Susa deportiert hätten und später Seuleukos als Geschenk nach Laodikeia habe schaffen lassen) und "nachdem er sich beim Ort 'Drei Flüsse' am Hebros gemäss einem Orakelspruch gereinigt hatte", die Stadt Oreste gegründet haben. Ebenso soll Orestes durch ein Flussbad in Rhegion Heilung gefunden haben: Als Orestes das Kultbild der Artemis von den Taurern aus Skythien wegbrachte, wurde ihm ein Orakel verkündigt, sich in sieben Flüssen, die aus einer Quelle fliessen, zu waschen. Der aber ging nach Rhegion in Italien und wusch sich die Befleckung in den sogenannten 'durchgehenden Flüssen' ab" (Proleg. zu Theokr. p.2 Wendel).

Cato (Orig. III fr. 71 Pet.) weiss ausserdem zu berichten, dass Orestes auch die Tatwaffe dort an einem Baum habe hängen lassen: Und die Zeit liegt nicht lange zurück, als man an einem Baum ein Schwert sah, das Orestes beim Weggehen zurückgelassen haben soll.

Ein simples Wortspiel mit pxxvia verbindet Orestes mit dem kilikischen Gebirge Amanon, das einst MeXavnov hiess, aber, seit Orestes dort von seinem Wahnsinn (iiavia) befreit wurde/ A|iaiw genannt wurde" (Schol. Lyk. 1374, vgl. Steph. Byz. s.v.'Aiiaiw).

Bei all diesen Berichten ist die Datierung umstritten. Einzelne können ins 6. Jh. zurückgehen, es ist jedoch auch möglich, dass diese Lokalkulte erst nachträglich mit der berühmt gewordenen Orestessage in Verbindung gebracht wurden.201 In jedem Fall ist erstaunlich, dass sich so 201 Parker S. 386 hält es für möglich, dass die Berichte über Orestes' Heilung in Troizen (Paus. 2.31.4ff.), Gythion (Paus. 3.22.1) und bei Megalopolis (Paus. 8.34.1ff.) ins 6. Jh. zurückgehen. Dagegen glaubt Lesky RE in RE 988ff., dass diese Lokalkulte ebenso wie die übrigen oben angeführten Kulte erst nachträglich mit der berühmt gewordenen Orestessage in Verbindung gebracht wurden. Dasselbe glauben Jost S. 528 vom Kult der Mavidi bei Megalopolis bei Paus. 8.34.1ff. und Delcourt S. 93 vom Artemiskult bei Oresteion bei Pherekydes FGrHist 3 F 135 (wobei freilich im letzteren Fall die Verbindung mit der Orestessage früh erfolgt sein muss).

Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

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viele Kulte auf den Muttermörder Orestes zurückführten und dass im Gegensatz zu Aischylos' Eumeniden - dessen Reinigung überall gelang: Orestes ist das Exempel der gelungenen Reinigung. Bemerkenswert sind auch die Mittel der Reinigung. Interessanterweise erfahren wir nirgends von einer Reinigung mit Ferkelblut, statt dessen erscheinen Wasser, Steine mit reinigender Kraft, Haaropfer, ein Fingeropfer, ein nicht näher definiertes chthonisches und olympisches Opfer, ein Opfer eines schwarzen Schafes oder einfach Exilierung als Mittel der Reinigung. Ebenso ist interessant, dass als helfende Gottheit nicht nur Apollon, sondern auch Zeus und Artemis auftreten.202

1.2. Melampus, das mythische Exempel für den Kaöap-nis Als mythisches Vorbild für den Reinigungspriester (Kaöap-nis), der mit religiösen Mitteln von Krankheiten, speziell von Geisteskrankheiten reinigt, kann Melampus gelten. Die verschiedensten Arten v o n Heilmethoden und Reinigungstechniken sind unter seinem Namen überliefert.201 Es sollen hier nicht die verschiedenen Fassungen des Mythos bzw. die tatsächlichen Rituale und Kultgebräuche, die sie widerspiegeln, rekonstruiert werden, sondern nur die Heilmethoden festgehalten werden, welche Melampus im Mythos zugeschrieben werden. 1.2.1. Melampus bei Hesiod, Bakchylides, Pherekydes: Heilung durch Seherkunst? Grosse Unsicherheit besteht darüber, wie Hesiod den Proitidenmythos verarbeitet hat. Umstritten ist vor allem, ob in den Katalogen Hera oder Dionysos oder beide Gottheiten Sender des Wahnsinns waren oder ob Hera nur in den Katalogen, Dionysos dagegen in der Melampodie.204 202 Zeus als Reiniger vom Mord auch in Selinus und bei A.R. 4.708f. s. oben Kap. I 3.2.2, vgl. Parker S. 139. Artemis als Heilerin auch in Hp. Virg. VIII 468 L (siehe oben S. 139) sowie unten Anm. 209 mit zugehörigem Text. 203 Zu den verschiedenen Fassungen des Mythos siehe L. Preller, Griechische Mythologie, 4. Auflage von C. Robert, Bd. 2, 1. Buch, Berlin 1920 S. 246-253; G. Radke, Proitides, RE XXIII,1,117-125. Zu den Ritualen, die der Mythos widerspiegelt, siehe Burkert HN S. 189-200. 204 Die Problematik wird bei M. West, The Hesiodic Catalogue of Women, Oxford 1985, S. 78f. in prägnanter Weise dargelegt. Dionysos als Sender des Wahnsinns in der

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Teil II

Hesiod scheint in den Katalogen zweimal auf den Proitidenmythos Bezug zu nehmen: einmal streift er ihn nur kurz (Fr. 37), das andere Mal scheint er ihn ausführlicher darzustellen (Fr. 129-133). Aus Fr. 37 geht soviel hervor, dass Proitos den beiden Brüdern Bias und Melampus ein Landteil (KXfjpov) als Anteil gab, weil letzterer ihm die Töchter "kraft seiner Seherkunst geheilt hatte" (|ipevas rj TÖ äX7T|p.a..., paXOaaaay XP*1 t i f KoiXir|i/ HeXai/i eXXeßöpco. 239 A c u t . Sp. 34 (II 466 L.): eXXeßopov peXawi diroiecras TrXeupmKÜ ei> dpxtjoi iTepLu)Süvy 6ÖUTL 8i8ou. D a s s er d a b e i als A b f ü h r m i t t e l v e r w e n d e t w e r d e n soll, bestätigt G a l e n i n seinem K o m m e n t a r z u r Stelle ( C M G V 9.1 p. 335,11 = X V 859 K ) : TÖ Se Siö TOO fieXai>os eXXeßöpou (sc. 4>dptmK0i') yaaTpös UTraKTiKÖi; (sc. eoTi). 240 So z. B. b e i A n d r o t h a l e s i n E p i d . V I I 85, V 444 L . (vgl. E p i d . V 80, V 250 L.), d e r a n aiüwia, ä y v o i a u n d TRAPAXT)priais litt: eXXeßopov eine peXaya, oüöe TÖ xoX(ö8es Sifiei., aXX' öXiyov (Der Patient starb schliesslich); ferner b e i d e r z w e i t e n A r t d e r d i c k e n K r a n k h e i t , b e i d e r d i e L e b e r i n f o l g e eines G a l l e f l u s s e s a n s c h w i l l t , s i c h gegen das (als Z e n t r u m des D e n k e n s gedachte) Z w e r c h f e l l a u s d e h n t und so W a h n s i n n s a n f ä l l e m i t H a l l u z i n a t i o nen, v e r g l e i c h b a r denen des Orestes b e i E u r i p i d e s , u n d A l b t r ä u m e n h e r v o r r u f t : Int. 48, V I I 284 L.: K a i ÖTAY TÖ fjtrap päXXcw dvaTTTuyfj Trpös TÖS peuas, TTapapoueei' Kai irpopoiris. Siehe unten Teil III Anm. 211; ebenso wird ein Trank mit eXXeßopo? bei der von Depressionen und Phobien begleiteten Erkrankung des Mensianax (Epid. VII 45 (V 414,7 L.) verordnet. Vgl. Wiesner S. 63ff. 247 Siehe oben Anm. 237. 248 Oribas. Coli. Med. 8.8 = FGrHist 688 F 68: KTRIAIOIR ne pi ¿XXeßopou. Em T O Ö epoü TTATGPOS Kai TOO 6(io0 TTÓUTTOU iaTpòs oOSgis ¿8i8ou eXXeßopou' où yàp lymaTairo Tr|y Kpäatv oOTOO Kai TÒ p.éTpoi' Kai TÒV aTaSpói;, ÓTTÒCTCW xpiì 8i8óvar eì 8é TI5 KAI è8i6ou eXXeßopov TTiety, 8ia8éa9ai TrpQjToi' ¿KéXeueu, |j.aTos oyicos irapà tò e0os, ö ti w Suußaii'fl (iiÌTe ùttò ttotwi/, |xiìt6 ùttò diJjpoSioicov, (i^Te ìittò XOtttis, (ifjTe tjttò povTÌ8(Dv, |xiÌTe ìittò dYptTmw; Aph. 4.13 (IV 504f. L.): Vor der Verabreichung von (weisser) Nieswurz Feuchtmachen des Körpers durch mehr Nahrung und Ruhe: n p ò s toùs eXXeßopous tolcti p.r| pr|ì8itos äwu Ka0aipo|xéi;oiai, Trpò tì)s ttóctios TTpoüypaLi/eii; Tà awp-aTa TrXeioM. Tpoiia Oeeioirrai irepiicaXAes / TtOp neya Krid[if w s . Siehe hierzu Ameis-Hentze II 2, S. 129 (zu 22.493). 270 Schol. Aisch. Cho. 98a: siehe oben Anm. 50; Eustath. ad Od. 22.481 Vol. II p. 291,llff.: ä (sc. KaSdpaia) Kai e^dyovTes riltv OIK perä rät; e&ißovg enaoiSag irpoaeppnrTOV an4>Ö8OIS, ejiTraXiv Ta irpöacüTraCTTpe^oi'TESKai ¿Trawöires d(ieTaXeyii6, Sp(in|)" sprach (Clem. Str. 5.8.48.4; Call. Fr. 194,26-31). Der bei Theokrit an unserer Stelle angewendete daXXög, den Parker (S. 229 Anm. 124) für einen Ölzweig hält, ist zugleich ew, Theocritus, edited with translation and commentary, Vol. II Cambridge 1950, S. 431; Parker S. 229 Anm. 125), damit die reinigende Wirkung verstärkt wird.

Siehe Teil I Anm. 130. Siehe Plinius Nat. Hist. XXXXV 178: "Et bituminis vicina natura (sc. sulpuris) est.; ferner 180: vis quae sulpuri (sc. bituminis est)... 276 Religiöse Räucherungen mit Schwefel zur Heilung sind auch bei Plat. Crat. 405b im Ausdruck ai tois (xaimKois (sc. 4>apjiÖKois) Trepi8ei.üiaeig bezeugt, in dem das Wort wepiöeloxjis vielleicht nicht mehr bedeutet als "thorough fumigation, purification" (LSJ s.v.), jedenfalls aber darauf hindeutet, welches das Hauptmittel bei der Räucherung durch den jimris war. Mit nepLÖtioxris ist wohl strenggenommen eine "Schwefelräucherung im Rundgang um die kranke Person" gemeint, wie Tib. 1.5.11 nahelegt, wo Tibull die treulose Delia daran erinnert, dass er ihr bei ihrer Krankheit beigestanden ist: "Ipseque te (v.l. ter) circum lustravi sulpure puro' (siehe hierzu S. Eitrem, Opferritus und Voropfer der Griechen und Römer, Kristiania 1915, S. 7). Eine solche muss man sich wohl noch bei Men. Phasma 54f. vorstellen, wo der Sklave Pheidias, der sich in ein da(ia verliebt hat und sich krank fühlt, spottend den Rat gibt: TTtpi|ia£dTaXTOv, Kai eXKety 8ia tww auXiaK(oi> Kai 8iä TÜI> pivwv, ws e?ir) (jAeyna.290

Und man muss dafür sorgen, dass er möglichst schnell Auswurf hat, und die Lunge austrocknen und mit kilikischem Ysop, Schwefel und Asphalt Räucherungen machen und diese durch die Röhrchen und durch die Nasenlöcher einziehen lassen, damit der Schleim herauskommt. Die Räucherung mit dem erwärmenden, schleimtreibenden Ysop,29' Schwefel und Asphalt dient also dazu, den Schleim, der offenbar als krankmachendes Agens aufgefasst ist, hinauszutreiben bzw. beim Patienten einen Auswurf (von Schleim) zu bewirken (uoieei^ TrnjcraL) und die Lunge zu trocknen, was nichts anderes bedeutet, als sie v o m Schleim zu befreien.292 Da derselbe Autor im Falle der Lungenentzündung vom Ausscheiden des schädlichen Auswurfs (diesmal als Trnkxpa, aiaXov bezeichnet) als Kdöapai? toü TTTÜcriiaTos2'1 spricht, welche er als Voraussetzung für die Genesung hinstellt,294 so gehen wir wohl nicht zu weit, wenn wir auch an unserer Stelle im Zweck der Räucherung eine Kdöapais toü TmjCTucrros, eine Reinigung vom schädlichen Auswurf bzw. (JiXeyM-ci, die für die Genesung unabdingbar ist, sehen. Dadurch aber wird - und dies zu betonen ist wichtig - der Unterschied zwischen den Heilmethoden eines Melampus, der die Proitiden durch 289 Hp. Morb. III 10 (VII 128-130L. = CMG I 2,3 p.76,30ff.). Paul Potter (in CMG I 2,3 p. 111) vermutet, dass es sich in diesem Falle um eine angina diphterica handle. 290 Morb. III 10.2 (VII 130L. = CMG I 2,3 p.78,13ff.). 291 Vict. II 54.7 (VI 560L. = CMG I 2,4 p. 176,11: üctoiuttos Oep^aiuei Kai urra-yei 4)Xey|a.aTCü8ea. 292 Vgl. Morb. III 15.5 (VII 138L. = CMG I 2,3 p. 84,13f.) von einer Lungenentzündung: "Hk nei; ovv TTEHTTTfl Kai £KTr| ètri 5ékgi gqpairffj Kai ßqKeri diroßijacjri mitoSeg, ùyiTÌs ècmir Vgl. die Parallelschilderung in Morb. II 47a.2 (VII 66 L.) Kai |ièv èv xfj TTetn-eraiSekótij r|(jipri iripai^fj ó TrXeii(iO)v Kai ¿Kß^T), Oyiä^eTau 293 Morb. III 15.7 (VII 140L. = CMG 1 2,3 p. 86.5). Zur KciOapaig TOO Trnia^aTos siehe unten Teil III, Kap. 1.3.5. 294 Siehe Moib. III 15.8 (VII 140L. = CMGI 2,3 p. 86,llff.: "Hv Se TÒ ctìoXov [ir] koGaipriTai ev ... Kai Tfjs Kaöapaios nf| èmKpaTér), Tipoemeli' öti àyéXmaTÓs ¿an Cfjv, rìv (ir) 8wr|Tai TT) KaGapaei ùtroiipYéeii'.

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Räucherung mit Schwefel und Asphalt von ihrem Wahnsinn reinigt, und denen eines hippokratischen Arztes, der bei seinem Patienten durch Räucherung mit Schwefel und Asphalt eine Reinigung von krankmachendem Auswurf bewirkt, nur mehr klein. Räucherungen werden in den hippokratischen Schriften besonders oft in den gynäkologischen Schriften verordnet.2'5 Auch hier kann Schwefel und Asphalt verwendet werden. So heisst es in der Schrift Flepl ywaiKeir)s ücnos in einem Text, der von Grensemann der Schicht A zugeordnet wird, also zu den ältesten Texten im CH gehört:296 'OKOTCIV vviyujGiv ai iiarepcn,OTo9u|iif)vXP1! T ä KAKioSeA iravTa irrrö RAG pivas, äcraXTOv, öe'ioi1, Kepas, eXXOxviov, 4>WKT|S eXaiov, KaaTÖpiov imö 8e rä aiSota Td

evthSea.

Wenn die Gebärmutter Erstickungsgefühl verursacht, dann soll man mit allen übelriechenden Stoffen die Nase beräuchem, mit Asphalt, Schwefel, Horn, Lampendocht, Seehundsöl, Bibergeil; die Geschlechtsteile dagegen mit wohlduftenden. 2 "

Die Vorstellung, dass die Gebärmutter (ixxTepa) Erstickunsgefühle, oder, wie Littre es nennt, "Hysterie" verursache, die von Galen VII 425ff. (Kühn) kritisiert wird, geht wohl letztlich auf die primitive, "mythische" Auffassung von der Gebärmutter als einem "Lebewesen im Lebewesen" zurück, die im platonischen Timaios dokumentiert ist, wo die Gebärmutter als ein in der Frau lebendes "nach Kindermachen verlangendes Lebewesen" (CtSov em9u(jir|TiKÖt' Tfjs uai6oTToiias) bezeichnet wird, welches, "wenn es nach der Reife lange fruchtlos bleibt, ungehalten und unwillig wird und, im ganzen Körper umherirrend, die Atemausgänge versperrend und das Atmen verhindernd, die Leidende in äusserste Not bringt und mannigfache andere Krankheiten verursacht".298 Von dieser "mythischen" Auffassung von der Gebärmutter hat sich auch Aristoteles nicht ganz gelöst, wenn er zugesteht, dass die leere Gebärmutter nach oben treten und Erstickunsgefühle erzeugen könne.299 Und auch die Massnahmen, die der Autor in der hippokratischen Schrift Flepl yuvaiKeia? 4>vaio? zur Therapie vorschlägt, scheinen noch auf der "mythischen" Vorstellung zu fussen: Offenbar soll die Gebärmutter durch die von oben kommenden übelriechenden Räucherungen von den Atemgängen vertrieben werden und durch die Siehe Goltz S. 232. Grensemann, K.M. Teil I, S. 144 und 81; Teil II, S. 72: (Grensemann geht davon aus,) "dass die A-Schicht die ältesten Anteile im CH enthält." 2.7 Hp. Nat. Mul. 26 (VII 342L). 2.8 PI. Tim. 91bc; siehe hierzu Kudlien, Beginn S. 88f. m Arist. G.A. 719a 20f. 295

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Teil II

von unten kommenden wohlriechenden nach unten an ihren angestammten Platz gelockt werden. Eine weitere Räucherung mit Schwefel wird im 2. Buch Über die Frauenkrankheiten zur Eindämmung eines krankheitsbedingten, aus Gelenken und Hüfte stammenden, klebrigen, mit Blut durchmischten Ausflusses aus der Vagina angeordnet.100 Mit zwei Mischungen sollen die Geschlechtsteile der Frau beräuchert werden: die eine wird aus zerriebenem Spelt, Weinessig und Schwefel hergestellt, die andere aus Pfropfen der Königskerze, den Abfällen vom Wollkamm der Walker und Samen von der Schlangenpflanze. Interessant ist für uns die Anweisung, wie die Räucherung der Genitalregion vorgenommen werden soll: Die Drogen sollen auf ein riesiges Feuer, das man hat niederbrennen lassen, gestreut werden, und die Frau hat auf einen Stuhl mit einem Loch zu sitzen, der über das rauchende Feuer gestellt wird, und sich mit Kleidern zu umhüllen, damit der Rauch nicht danebengeht. Am Ende des Exkurses über die Räucherung mit Schwefel sei darauf hingewiesen, dass Räucherungen mit Schwefel früher auch bei uns zur Desinfektion von Krankenzimmern angewendet wurden,101 und in der Weinindustrie ist es noch heutzutage üblich, Holzfässer durch Verbrennen von Schwefel zu "schwefeln", "einzubrennen". Man verwendet dazu sog. "Schwefelschnitten", Asbesteinlagen mit Schwefelüberzug, wie mir Herr Von Dach von den Rudolf Bindella Unternehmungen freundlicherweise mitgeteilt hat.102

Mul. II 114 (VIII 246 L.). Brockhaus Naturwissenschaften und Technik, 4.Bd. Wiesbaden 1983, S. 281. 302 Die Schwefelung wird dabei 1. zur Desinfektion und Konservierung leerer Fässer angewendet; 2. bei Abstichen, d.h. beim Umfüllen eines Weines in einen anderen Behälter unter gleichzeitiger Abtrennung des Trübes. Dabei verbindet sich das bei der Verbrennung der Schwefelschnitte entstehende S 0 2 mit dem Wasser des Weines zu schwefliger Säure (H 2 S0 3 ); diese hemmt u.a. die Gärung des Mostes, wodurch dem fertigen Wein die Restsüsse erhalten bleibt, (siehe G. Troost, Technologie des Weines, Stuttgart 19724, S. 273ff.; H.H. Dittrich, Mikrobiologie des Weines, Stuttgart 1977, S. 122ff.). 300 301

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2. Die grossen iaTpo^dvTeis und «aGapTai der archaischen Zeit

Es geht in diesem Kapitel nicht darum, sämtliche grossen, legendären Heiler und Wundermänner der archaischen Epoche aufzuzählen und zu charakterisieren. Dies ist bereits auf eindrückliche und überzeugende Weise getan worden.301 Es sollen hier nur einige von ihnen, die in unserem Zusammenhang der Reinigung von Krankheit interessant sein mögen, kurz erwähnt werden.

2.1. Legendäre apollinische Reinigungspriester: Bakis, Thaletas, Abaris An erster Stelle seien einige legendäre apollinische Reinigungspriester genannt, die als L a T p o ^ d v T e i ? und K a O a p r a i aufgetreten sind. So soll nach Theopomp Bakis aus Arkadien als Kaöap-rris im Auftrag Apollons die Frauen der Spartaner von einem Wahnsinnsausbruch geheilt haben104 - offenbar ein anderer Melampus, welcher ja auch Verbindungen zu Apollon hatte. Von Bakis waren denn auch im 5. Jh. Orakelsammlungen im Umlauf.305 Und der Kreter Thaletas soll um 670 v. Chr. - ebenfalls auf einen Orakelspruch Apollons hin - nach Pratinas in Sparta eine Pest durch seine Musik geheilt haben.106 Wenn es sich dabei um einen Paian gehandelt hat, was aufgrund der Tatsache wahrscheinlich ist, dass Thale-

303 Rohde Bd. II, S. 62-99; auf schamanistische Züge unter ihnen haben K. Meuli, Scythica, Hermes 70, 1935, S.122-176; Dodds S. 72-91; Burkert L&S S. 136-165 aufmerksam gemacht. Orientalischen Einfluss bei Thaletas und Epimenides hat Burkert O.E. S. 63f. und Itinerant Diviners S. 115ff. hervorgehoben. 304 FGrHist 115 F 77 (= Schol. Ar. Pax 1071 (Suidas s.v. Bakis) = Schol. Aves 962): 06Ö7TO(ITTO9 86 6U Tfjl 0 TIÜV OLXITTTUKW äXXd T€ TToXXd TTCpi TOUTOU TOÜ BÖKlSoS i0TTai8iai in Sparta; diese datiert Euseb. Chron. auf a. Abr. 1348 in Ol. 27 ( 6 7 2 / 6 8 v. Chr.).

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Teil II

tas auch als Komponist von Päanen bezeichnet wird,307 dann hat Thaletas die Pest genauso wie die Achaier in der Ilias mit einem apollinischen Kultlied, mit Tanz begleitet,'08 zu vertreiben versucht. Abaris schliesslich, der Priester des Hyperboreischen Apollon, soll den Spartanern die Ausrichtung von Abwehropfern (KwXuTripia) aufgetragen haben, die bewirkten, dass die Stadt nie wieder von Pest befallen wurde.10' Piaton schreibt Abaris im Charmides (158b) neben Zalmoxis emoSai, "Zaubersprüche", zur Heilung von Krankheiten zu.110 Von solchen ¿TTüiSai scheint auch Iamblichos zu sprechen, wenn er beschreibt, wie Abaris, auf Apollons Pfeile reitend, alle natürlichen Hindernisse Flüsse, Teiche, Sümpfe, Berge - überquerte und, Sprüche dazu murmelnd (rrpoaXaXwv), Reinigungsriten vollzog und Pestilenzen und Stürme von Städten vertrieb, die ihn um Hilfe baten. Iamblichos scheint hier Abaris ganz in der Art eines Schamanen zu schildern.311

Plut. mus. 9f., 1134bff. = Kappel Test. 134; vgl. Deubner Paian S. 394. Deubner Paian S. 397 zeigt, dass der Paian ursprünglich ein Tanzlied ist. Dass auch z u m Paian in der Ilias getanzt wurde, scheinen die W ö r t e r iioXnii (II. 1.472: s i e h e G.S. Kirk, The Iliad: A Commentary, Vol. I, Books 1-4, Cambridge 1985, S. 103; anders dagegen LSJ s.v. HOXTIT|,2) und (LEXITOVRES (siehe LSJ s.v.) anzudeuten. Z u m Tanz bei P a i a nen siehe auch Kappel S. 44, 82. 307

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309 Apollon. mirab. 4 (p. 122 Giannini): Xeygrai 8E TOÜTOU EIS AaKeSaifiova Trapayewijievov etpriKevai Tois AäKwai KioXuTiipia Güaca TOI? 0eois, Kai ¿K TOOTOU ücTepov ev AaKeSi^ioi/i Xoip-ös OÜK eyevtTo. Iamb. VP 92 spricht v o n diesen KojXuTtipia als Ka8ap(I6S. N a c h Paus. 3.13.2 soll Abaris den Tempel der Köpr) Xurreipa in Sparta gegründet haben. 310 Wohl versteht Piaton an dieser Stelle unter den emoSai, die er Abaris und Z a l m o xis zuschreibt, nicht "Zaubersprüche" im wörtlichen Sinne, sondern in übertragener, "rationalisierter" Bedeutung (er definiert sie in Charm. 157 a 3ff. als Xoyoi raXoi, "schöne Reden", die in der SeeleCTpoai>vribewirken, die wichtigste Voraussetzung für d i e Gesundheit des Körpers); doch es versteht sich von selbst - auch ohne das Zeugnis bei Iamblichos VP 91 (siehe unten A n m . 311) - , dass Piaton hier offenbar auf Zaubersprüche des Abaris und Zalmoxis Bezug nimmt, die gewisse Leuten d a m a l s kannten und zur H e i lung von Krankheiten benutzten: siehe Burkert L&S S. 150. - Zur rationalisierten Anwendung der ¿TTtpßti bei Piaton siehe P. Lain Entralgo, Platonische Rationalisierung der Besprechung und Erfindung der Psychotherapie, H e r m e s 8 6 , 1 9 5 8 , S. 298-323. 311

I a m b l . V P 9 1 : E Troxou|ievos y a p AÜTÜJ ( s c . TÜJ 6KJT£> TOÜ e v T i r e p ß o p e o i s

'ATTÖXXUVOS:

Iambl. V P 136) Kai TCI äßaTa Sießaivev, olov iroTa|j.oi)s Kai Xip.I>as Kai TEX|O.ara Kai öpri Kai TÖ ToiaOTa, Kai TTpoaXaXwi', US Xöyos, Ka9ap(ioüs TE etrereXei Kai Xoi^OÜS aiTgSiuKe Kai avefiou? airö TWI; eis TOOTO DFIOWW TTÖXeojv ßor|0öi; airröv -yei^eaSai. Abaris als S c h a m a n e sahen Meuli, Scythica, Hermes 70, 1935, S. 159ff.; Dodds S. 77, Burkert L&S S. 149f. Bremmer S. 43-46 ist dagegen vom schamanistischen Hintergrund des Abaris (wie a u c h von Aristeas und Hermotimos) nicht überzeugt. Doch siehe M. L. West in CR X X X V 1985, S. 56ff. und jetzt Kingsley, Shamans S. 187ff., speziell S. 190f. (gegen Bremmer), 197 ("That connections existed in antiquity between shamanic peoples of Central A s i a and Greeks cannot be denied").

Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit

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2.2. Epimenides Der berühmteste der Reinigungspriester, Epimenides, stammte wie Thaletas ebenfalls aus Kreta. Da er bekannt war für Reinigungen von manchen Städten, besonders aber für jene Athens, erhielt er schlechthin den Namen Ka0ap-ni?.312 Hinsichtlich der äusseren Umstände der Reinigung folgen die meisten Forscher den Angaben des Aristoteles und des - Aristoteles im Kern ergänzenden - Plutarch.*" Danach fand sie bald nach oder im Zusammenhang mit dem Prozess statt, in dem die bereits toten Mörder der an den Altar geflüchteten Anhänger des Kylon mitsamt ihren Nachfahren - unter ihnen die Alkmeoniden - als evayels erkannt worden waren und in dem deren Vertreibung - sowohl der Toten als auch der Lebenden - angeordnet worden war.314 Gemäss Aristoteles war sie offenbar eine das Gerichtsurteil ergänzende Massnahme mit dem Ziel, die Befleckung der Stadt, die durch die lange, frühere Anwesenheit der evayels entstanden war, aufzuheben: Denn der Stagirite schreibt nur: Der Kreter Epimenides reinigte darauf die Stadt." 5

Nach Plutarch hingegen nutzten die Megarer diese Wirren als gute Gelegenheit zum Angriff, und die Athener verloren Nisaia und wurden wieder aus Salamis vertrieben. Und aufgrund 3.2 Reinigung mancher Städte, besonders Athens: Paus. 1.14.4. Von einem jie-yas Ka6ap(iös des Epimenides in Delos, den Rohde Bd. II S. 97f. Anm. 3 für authentisch hält, spricht Plut. sep. sap. oonv. 14, 158a. Das ¿ttui'd^oi' Ka9apTr|5 für Epimenides ist bei Porph. VP 29 = Iambl. VP 136 bezeugt. 3.3 Arist. Ath. Pol. 1; Plut. Sol. 12.1ff siehe Jacoby FGrHist 457, Kommentar S. 310f. (der glaubt, dass Aristoteles' und Plutarchs Angaben auf Aufzeichnungen der Exegeten zurückgehen); ferner Diels Epimenides; L. Moulinier, La nature et la date des crimes des Alcmeonides, REA 48,1946, S.182-202; Burkert L&S S. 151; P.J. Rhodes, A Commentary to the Aristotelian ATHENAION POLITEIA, Oxford, 1981, S. 79-84. West, Orphic Poems S. 45f. ist dagegen von der Historizität der Reinigung Athens durch Epimenides nicht überzeugt. 3.4 Arist. Ath. Pol. 1 ...~os Wilamowitz> Mupwi'os Ka9' iepojy opöaauTes api(jTii>6Tiv. KaTayvoxTÖeuTos de TOÜ äyot'S, a[0]roi (iev 4k W Tac^wv e£eßAri9r)aav. TÖ 6e yei'os auTiiv e^uyeu deujwYiay. 'E[m]^ew8r)s 8' ö KpT)s em T O U T O I S etcaOripe Tr]i/ TTÖXII'. Plut. Sol.12.3f: rj&r| bo^av exwi' ö EoAtoi' ... Eireiae T O Ü S ewyels \eyo(i€i/ous &LKr)i' imoaXeii' Kai KpiSrjwai TpiaKoaiojy dpiaTii/Sni/ cXKaCöurwv. MüpiDVOs Se TOO OAueui? KaTriyopoüvT O G edXwaai; oi ä^Spe;, Kai (LETTATRIAAI; oi. ¿¿VTES. TIÖW 8' dtroGai'öuToji' TOÜ? veKpoü? dwpufaires e^eppii()AI' imep T O Ü S öpous. Vgl. oben Teil I Anm. 118. 315 Arist. I.e. Vgl. das 1. Buch der Ilias, wo Agamemnon zusätzlich zu der von Kalchas verordneten Rückgabe der Chryseis und Sendung eines Sühnopfers die Reinigung des Heeres anordnet. Siehe oben Teil I Kap. 3.2.4.2.

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Teil II

von Aberglauben plagten gewisse Ängste und ungeheure Erscheinungen die Stadt. Die Seher sagten, dass durch die Opfer Frevel und Befleckungen, die der Reinigung bedürften, angezeigt würden. So wurde Epimenides von Phaistos von ihnen herbeigeholt und traf aus Kreta ein..."6 Zeitlich wird die Reinigung ca. u m 600 v. Chr., also noch vor Solons Archontat, eingeordnet. 1 ' 7 Die zu dieser Datierung des Epimenides in Widerspruch stehende Mitteilung Piatons, Epimenides habe den persischen Krieg zehn Jahre früher vorausgesagt, 318 ist wohl " m o m e n t a n e Erfindung Piatons für eigene Zwecke". 319 Im Gegensatz zu Aristoteles und Plutarch nennt Diogenes Laertios 1.110 eine gewöhnliche Pest, die nichts mit dem KvXwveiov äyos zu t u n hat, als Grund für Epimenides' Kommen: Als damals die Athener von einer Pest geplagt wurden, gab ihnen die Pythia das Orakel, die Stadt zu reinigen. Und sie senden ein Schiff unter Nikias, dem Sohn des Nikeratos, nach Kreta, um Epimenides zu rufen. Und dieser kam in der 46. Olympiade (596/3), reinigte ihre Stadt und beendete die Pest auf die folgende Weise: Er nahm schwarze und weisse Schafe und führte sie zum Areopag; von dort liess er sie gehen, wohin sie wollten, und trug den ihnen Nachfolgenden auf, 316 Plut. Sol. 12.5ff.: TaÜTais 8e Tai? Tapaxais Kai Meyapeojv awem9c(i€vwv, arreßaXöv Te NLaaiai' oi 'A8T)i>aioi, Kai ZaXa|iiK>s efeireaov auöis, Kai 4>ößot TIVCS ¿K 8eicn8ainovLas ä ^ a Kai 4>da(j.aTa Karetxe TR)V TTÖXIV, oi R E i i d ^ T E I S ÄYR| Kai m a a ^ O Ü S Seopivous KaOapp.wi' TTpo4>aivecr9ai 8iä TWV igpüv liyöpeuov. OÜTIO 8r) [ieTÖue|rnros atTols T\Kev ¿K Kpii"N]S 'Emp.ei;i8r|s o aicmos... 3 , 7 Suidas s.v. 'Emp.eviSris datiert sie in die 44. Olympiade ( 6 0 4 / 1 ) . Der erhaltene A rist. gibt keine genaue Zeitangabe; Plut. Sol. 12 (vgl. Anm. 314) bringt zwar Solon a l s Anreger des Prozesses und Freund des Epimenides (Plut. Sol.12.8) mit ins Spiel, doch lässt er Prozess und Reinigung deutlich vor Solons Archontat stattfinden: TjSri Söfav e'xiov heisst es in 12.4 - das Archontat folgt erst in Kap. 14 (siehe Rohde Bd. II S. 98 Anm.l). Diogenes Laertios (1.110) schliesslich lässt die Reinigung in die 46. Ol. (596/93) fallen, also mit Solons Archontat zusammenfallen. Doch die Verknüpfung von Solon und Epimenides könnte Fiktion sein (siehe P.J. Rhodes, op. cit. S. 83); denn Solon und die (zu den erayels zählenden) Alkmeoniden scheinen auf derselben Seite zu stehen (sie führen gemeinsam die Athener in den 1. Heil. Krieg: Plut. Sol. 11; F. Jacoby, Atthis, The Local Chronicles of Ancient Athens, Oxford, 1949, S. 40f. glaubt, dass Solon zur Durchsetzung seiner Reformen die Unterstützung der Alkmeoniden nötig hatte, und vermutet sogar, dass unter Solon in Athen die E£IRYR|TAI TTI)6ÖXPTICTTOL speziell zur Reinigung der befleckten Alkmeoniden eingesetzt worden seien). Falls Solon nicht die politische Seite gewechselt hat, wäre es somit sonderbar, wenn Solon sowohl den Prozess gegen die Alkmeoniden anstrengte als auch eine Reinigung der Stadt von der "Befleckung" der Alkmeoniden. Für das Datum * 600 siehe Diels Epimenides, S. 388; Jacoby FGrHist 457 Kommentar S. 311 ("vor 5 9 4 / 3 " ) ; Moulinier op. cit. (Anm. 313) S. 201 (zwischen 610 und 600); Rhodes op. cit. S. 84. 318 PI. Leg. 642de; die Geschichte hat auffallende Änhlichkeiten mit Plat. Symp. 201 d: Diotima bewirkt einen zehnjährigen Aufschub der Pest durch Anordnung von Opfern. 319 Jacoby FGr Hist 457 Kommentar S. 311, vgl. Rhodes op. cit. S. 82. Piaton erfindet die Geschichte, um der Freundschaft des "Kreters" mit dem "Athener " einen nationalen, historischen Hintergrund zu geben.

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ein j e d e s v o n ihnen a n d e r Stelle, w o es sich niederlasse, d e m zugehörigen G o t t e z u o p f e r n . U n d s o h a b e d a s Übel aufgehört. D a h e r k a n n m a n a u c h heute noch d u r c h die D e m o i d e r A t h e n e r hin A l t ä r e o h n e N a m e n sehen z u m A n d e n k e n a n die d a m a l i g e V e r s ö h n u n g .

Nur nebenbei fügt Diogenes Laertios hinzu: A n d e r e aber (meinen, e r habe)

320

als U r s a c h e d e r P e s t die K y l o n i s c h e Befleckung

genannt u n d die Befreiung v o n ihr aufgezeigt: u n d d a h e r seien die beiden Jünglinge K r a t i n o s u n d Ktesibios gestorben, u n d die P l a g e sei beseitigt worden.' 2 1

In dieser zweiten Variante bezieht sich also Diogenes auf einen Bericht, dem zufolge Epimenides infolge einer mysteriösen Seuche das KuXoWe 10v äyos identifiziert und als Mittel zur Abwendung der Seuche das Opfer von zwei Menschen nennt. Parker glaubt, dass dieser - in seinen Augen ernstzunehmende - Bericht der Darstellung des Aristoteles und des Plutarch widerspreche, insofern in ihm die Reinigung durch Epimenides nicht nach dem Skandal erfolge, sondern den Skandal erst ans Tageslicht bringe. Die wahren Umstände der Reinigung Athens durch Epimenides hält er daher für unbestimmbar. 122 Nun ist allerdings die Verbindung von Epimenides' Reinigung Athens mit der Pest bei Diogenes suspekt. Denn wenn er Epimenides durch N I K I C I ? NiKripaTou, einen Strategen im peloponnesischen Krieg, herbeiholen lässt, so liegt auf der Hand, dass da Epimenides mit der Pest von 430/29 in Zusammenhang gebracht wird, was keinesfalls historisch sein kann.' 23 Bezüglich der Umstände der Reinigung kann daher Diogenes' Bericht nicht der Wahrheit entsprechen und die Angaben des Aristoteles und Solon diskrediteren. Trotzdem kann das Weitere, was Diogenes über Epimenides' Reinigung berichtet, gute Überlieferung sein. Zu den Massnahmen, die Epimenides zur Reinigung der Stadt anordnete, gibt es verschiedene Versionen. Doch wird an dem, was Spätere ihm zuschrieben, einiges wahr sein. Plutarch stellt Epimenides als 0€O(t>I\r|s K a i a o c f i ö s T r e p i TCI öela TT^ eu9ouCTiaaTiKT)i' K a i T€\G(7tikt]V aoiav vor:124 Diese enthusiastisch320 Es ist wohl richtig, Epimenides als Subjektsakkusativ anzunehmen. Diels VS 1, S. 28 hingegen bemerkt zur Stelle "stark verkürzter Bericht" und will nach oi 8e in Parenthese (4>aai tt]u riuÖLau) ergänzen, so dass die Stelle gar nicht auf Epimenides zu beziehen wäre. Doch davon rät Neanthes von Kyzikos FGrHist 84 F 16 ab, wo das Menschenopfer des Kratinos klar im Zusammenhang steht mit Epimenides' Reinigung von Athen.

D.L. 1.110 = FGrHist 457 Tl: oi 6e 7r|M üiTiai< ei-rreli' TOD XOIJIOO TÖ KUXWFEIOV äyos (Kühn; ari|icuvwTes codd.) Tr)r omaMayiiv Kai Siä TOÜTO äTro9ai>eIv 6üo vgawi'as, KpaTii/ou Kai KTr]crißioi>, Kai XuOrji/at TPIV auiutttpav. 322 ParkerS. 211 Anm. 23. 323 Jacoby FGrHist 457, Kommentar S. 315. 324 Plut. Sol. 12.7. 321

or]\iaivtiv re

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telestische Weisheit wird sich Epimenides als Initiant während seines jahrzehntelangen Schlafes in der Höhle des Zeus in Kreta angeeignet haben.125 Darauf erwähnt Plutarch - leider nur sehr allgemein - "bestimmte Sühnungen" (iXaanot? ticti) und "Reinigungen" (KaGap^ois) und religiöse "Gründungen" (ißpüaeai), durch die er die Stadt entsühnt und gereinigt (KaTOpyidaas Kai KaGoaiwaa?) haben soll."6 Aus anderen Quellen lässt sich erraten, was Plutarch mit diesen Umschreibungen gemeint haben könnte. Von zwei Arten von iXacr^oi, die er offenbar aus zwei verschiedenen Quellen entnommen hat, spricht Diogenes Laertios an der bereits vorgeführten Stelle: Die eine Art bestand darin, dass Epimenides schwarze und weisse Schafe vom Areopag aus frei da hingehen liess, wohin sie wollten, und ein jedes jeweils an der Stelle, wo es sich niederlegte, dem zugehörigen Gotte opfern liess. War an einer Stelle der Name des zugehörigen Gottes unbekannt, so liess er das Opfer an die dvojvup.oi. Geoi richten, weshalb auch noch zu Diogenes' Zeiten ßo>|iol dvoju|ioi an verschiedenen Stellen in Attika "zum Andenken an die damalige Versöhnung" zu sehen waren. Diese Art der Sühnung betrachtet Diels als "gerade für den damaligen Fall vorzüglich passend". Denn der allgemeine Charakter der Sühnung habe das Opfer sowohl von weissen als auch v o n schwarzen Schafen erforderlich gemacht, da beide Gattungen von Göttern, die olympischen wie die chthonischen, bedacht werden mussten. Ebenso war es - so Diels - nötig, der öeoi duwvujioi zu gedenken, da auch Plätze befleckt waren, deren Götter nicht bekannt waren.'27 §Auch der Ausgangsort der Sühnung passt gut zur damaligen Situation. Denn der Areopag war auch Ausgangspunkt des äyo? gewesen. An seiner NE-Ecke, beim Heiligtum der Iz\ivai, war die Schnur gerissen, an der sich die Anhänger Kylons bei ihrem Abstieg von der Akropolis festhielten, was dann für Megakles Zeichen war, sie niedermetzeln zu lassen.128 Das schlimmste aber, einige wurden sogar im Heiligtum der Zejivai selbst niedergemacht.129 Der Areopag war aber auch deshalb als Ausgangsort der Sühnung geeignet, weil hier der Rat tagte, der damals nicht nur die Blutsgerichtbarkeit besass, sondern überhaupt die höchste Autorität im Staat ver-

Siehe Burkert L&S S. 150f. Plut. Sol. 12.9. 327 Diels, Epimenides, S. 391 Anm. 4. 328 Plut. Sol 12.1. Zum Standort des Heiligtums der Eumeniden siehe W. Judeich, Topographie von Athen, München 1930, S. 300. 329 Plut, ibid.; Thuk. 1.126.11. 325 326

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körperte. 110 Wenn also die Sühnung von hier ausging, so wurde sie dadurch staatlich abgesegnet, so dass jeder sie zu akzeptieren hatte. Die andere Art i\acrp.oi bestand in einem zweifachen Menschenopfer. Zwei Jünglinge, Kratinos und Ktesibios, seien gestorben, berichtet Diogenes Laertios. Dieser Bericht erscheint Diels "chronikartig".111 Neanthes von Kyzikos wusste ebenfalls von einem zweifachen Menschenopfer, hat allerdings die Geschichte romantisch ausgemalt, was schon Polemon zur Kritik veranlasste: Er machte Kratinos zu einem schönen Jüngling, der sich freiwillig fürs Vaterland opferte, und gesellte ihm, als Begleiter in den Tod, seinen Liebhaber bei, den er Aristodemos nannte.112 Diels hält - Rohde folgend - ein solches Menschenopfer für durchaus glaublich, und erinnert an Ähnlichkeiten mit dem Ritual a m Thargelienfest, wo ebenfalls zwei Männer, "einer für die Männer, einer für die Frauen", als "Reinigungsopfer für die Stadt" (Kaöapcria eoo\ievous Tijs TTÖXews) herhalten müssen. Freilich wurden diese beiden armen Teufel, die wörtlich genommen als "Heil-" oder "Abführmittel" (4>ap^aKoi) dienten, in Athen nur "aus der Stadt hinausgeführt", nicht getötet.311 Dennoch ist bemerkenswert, dass Helladios den Sinn dieses thargelischen "Reinigungsopfers" in der "Abwendung von pestartigen Krankheiten" sah und es mit mit einer ähnlichen Geschichte wie derjenigen vom KuAwmov dyos in Verbindung brachte, wenn er seine Ein-

330 Blutsgerichtbarkeit war stets die Aufgabe des Rats der Areopagiten: Dem 23. 66. Dass er nach der drakonischen Verfassung die höchste Autorität im Staate war, geht aus Arist. Ath. Pol. 4.4 hervor, wenn auch seine Macht gegenüber der Zeit vor Drakon (Ath. Pol. 3.6) eingeschränkt worden war: vgl. A. Mannzmann," Aptioç nâyoç, Der K l e i ne Pauly Bd.l, Stuttgart 1964, 524f. 331 Diels Epimenides S. 391 Anm. 4. P. Bonnechere, Le sacrifice humain a i Grèce antique, Liège 1994, S. 249 glaubt dagegen, dass Diogenes Laertios von Neanthes (siehe Anm. 332) abhängig ist. 332 Neanthes von Kyzikos FGrHist 84 F16 Siaßoiyra 6' éoriv Kai Tà cm KpaTÍwoj t ¿ 'AOrivaLcp yevónefa' ös ^leipáKiov í8ou Ka0aípoi/Tos Triy 'AttikÍ)v áeópüjTTeíw aï|iaTi Siá Tiya ^úar) iraXaiá, ios ÍOTope'i Ncávóris ó KuÇiia)uôç éi> ß' ne pi TeXeTiûv, ékoüi1 ain-ói» ¿TTéóoüKeu [ó KpaTÎi/os] irrrèp Tfjç Ope^a^iéi^s' i¡> Kai ¿TTaireGai'ei; ó 6paaTT)ç 'ApiCTTÔÔTinoç, \voiv t' eXaße tô i m i w . . . . oùk à-yvoû 8è on Ta trepi Kparli/oi/ Kai 'Apiap|iaKÓs. Helladios in Phot. Bibl. 534 a 3ff.; siehe L. Deubner, Attische Feste, Berlin 1932, S. 179ff.; Burkert G.R. S. 139ff. Zum Namen apjiaKÓs ("das persönlich gemachte ifxipiiaKov") siehe Deubner ibid. S. 193.

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führung auf die Xoi|ilkt| vögos zurückführte, die infolge der Ermordung des Androgeos in Athen ausgebrochen war.'14 Diese LXfiCTfioi konnten nun gewiss auch als KaGapjioi aufgefasst werden, insofern durch sie eine Befleckung bzw. eine als Befleckung aufgefasste Krankheit beseitigt wurde.115 Und wenn das Menschenopfer Formen annahm, die dem Prozedere beim "Reinigungsopfer" an den Thargelien ähnlich sind, so war man noch mehr dazu berechtigt, es als KaÖappLos zu bezeichnen.116 Allerdings glaubt man zur Zeit nicht an griechische Menschenopfer und hält daher auch - gegen Diels und Rohde - das von Diogenes und Neanthes erwähnte Menschenopfer für nicht historisch." 7 Diogenes spricht noch von einer weiteren Art Ka0ap(ioi, die Epimenides durchgeführt haben soll: 8e Kai. ttpwtos o L i d a s Kai a y p o i i s K a O f j p a i Kai l e p d L S p v a a a ö a i . Er soll als erster Häuser und Felder gereinigt haben und Heiligtümer gegründet haben. (D.L. 1.112).

XeyeTciL

Falls er wirklich diese KaOappoi vollzogen hat, so erfahren wir leider nichts Näheres darüber. Vielleicht liess er die Häuser einzeln reinigen, wie es nach der Beerdigung der Fall war, vielleicht liess er auch Schwefel anwenden. 118 Vielleicht liess er die Felder ähnlich reinigen, wie die Römer bei den Ambarvalia." 9 Was die religiösen Gründungen angeht, so hat nach Diogenes Laertios (1.112) Lobon dem Epimenides die Gründung des Heiligtums der Zepvai zugeschrieben. Doch muss das Heiligtum der lepvai älter sein als Epimenides, wie aus Plutarch und Thukydides hervorgeht, die berichten, dass einige Anhänger Kylons - rund eine Generation vor der Reinigung Athens - im Heiligtum der Eumeniden getötet wurden.140

Helladios I.e. Dies tat auch Diogenes Laertios 1.110, wenn er ¿Kdßipep t i ^ ttoXiv mit ¿Trauert töv Xoi(iöi; toutou töv TpÖTTfw (nämlich durch Sühnopfer) gleichsetzte. 336 Vgl. auch die Formulierung in FGrHist 84 F16: 'EmpeiX&ou Kaöaipoiros Trjv 'Atti334

335

Kr|P avöpwTTeicü a'i(iaTi. 337 Siehe Bonnechere op. cit. (zu Neanthes S. 249).; Hughes op. cit. (zu Neanthes S. 155f.) vgl. Anm. 332. 338 Zur Reinigung des Hauses nach der Beerdigung siehe Parker S. 38; vgl. oben S. 52f. mit Anm. 130; zur Reinigung des Hauses mit Schwefel siehe oben S. 79f., 164f. 339 Siehe K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1967 2 , S. 41f. Herumtragen von Opfertieren um das zu reinigende Gebiet sind auch in Griechenland bezeugt: Nilsson G.G.R. S. 106, 113f. 340 Siehe oben Anm. 329 und 328. Vgl. Jacoby FGrHist 457, Kommentar S. 316 mit Anm. 95.

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Auch die Überlieferung, dass Epimenides Altäre oder Heiligtümer für Hybris und Anaideia habe gründen lassen,341 die vermutlich auf Theophrast zurückgeht,' 42 kann nicht wahr sein, da sie auf einer Fehlinterpretation der beiden auf dem Areopag befindlichen, aus dem Felsen gehauenen Bathra beruht, des Xi9os "Yßpews, des "Frevelsteins", auf dem der Angeklagte stand, und des XiGos 'AvatSeias, des "Steins der Unversöhnlichkeit", auf dem der Kläger stand.141 Jacoby ist dagegen geneigt, Epimenides die Errichtung des Kyloneion an der Mordstelle zuzuschreiben. Das Problem ist allerdings, dass das Wort KuXwvioy nicht überliefert ist, sondern an der einzigen Stelle, wo es vorzukommen scheint, auf einer Konjektur K.O. Müllers beruht.'44

2.3. Pythagoras und die Pythagoreer Pythagoras und die Pythagoreer sind in verschiedener Hinsicht mit "Reinheit" und "Reinigung" in Verbindung gebracht worden. Einerseits waren die Pythagoreer durch die cni^ßoXa oder aicownaTa, mündlich überlieferte, auf den Meister zurückgeführte Verhaltensvorschriften, einem besonders "reinen" Lebensstil unterworfen. Diese "Reinheit" bestand vor allem darin, dass sie gewisse rituelle Vorschriften, die der normale Bürger nur zur Vorbereitung auf besondere Kultanlässe, z.B. die Mysterien in Eleusis, die Inkubation i m Asklepiostempel, beachten musste, wie Fasten, Enthaltung von bestimmten Speisen, Einschränkung des Sexuallebens, Tragen weisser, reiner Kleider, das ganze Leben hindurch befolgten, so dass sie beständig in einem besonderen Zustand von ritueller ayveia lebten.'45 Nach Iamblichos (VP 106) ermahnte Pythagoras sie, sich vor allem zu hüten, was für die Seherkunst oder für die Reinheit der Seele und rituelle Reinheit (upos Ka0apÖTr|Ta Tfjs- ilwxiis Kai ayveiav) oder für den Zustand der Besonnenheit und Tugend hinderlich ist. FGrHist 457 T 4e = Clem. AI. Protr. 2.26.4 + Cic. leg. 2.28. Theophr. fr. 646 Fortenbaugh = Zanob Prov. IV 36; obwohl Theophrast Epimenides nicht nennt, glaubt Jacoby FGrHist 334, Kommentar zu F 11 S. 636, dass Clem. AI. Protr. 2.26.4 und Cic.leg. 2.28 auf ihn zurückgehen. 343 Siehe Jacoby ibid.; ferner idem FGrHist 457, Kommentar S. 316, zu auai&eia "unforgivingness" vgl. LSJ s.v. cti/ai6eia II. 344 Überliefert bei Polemon in Schol. Soph. O.C. 489 ist KuSojiw; siehe RE XI, 2461; W. Judeich (zitiert Anm. 328) S. 286; Jacoby FGrHist 457, Kommentar S. 316 mit Anm. 97. 345 Siehe Burkert L&S 166-192, besonders S. 176ff.; Parker S. 296f. Zur besonderen äyvtiu in gewissen Kulten vgl. Eur. Kreter Fr. 472,9ff. (79 Austin), wo Tragen von weissen Kleidern, Meiden des Kontakts mit Tod und Geburt sowie Vegetarismus als Kennzeichen eines äyvos ßios angegeben werden. 341

342

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Dieser Status besonderer Reinheit verbot es ihnen - gemäss den aufißo\a auf Landstrassen zu gehen, die Hände in Weihwasser zu tauchen oder öffentliche Bäder zu benützen, denn es ist nicht sicher, ob die Mitbenutzer rein sind." 6

Da im riuGayopeios ßios überhaupt die Beschäftigung mit dem Heiligen von grösster Bedeutung war,147 ist denn nicht erstaunlich, dass man ihn mit Puritanismus in Verbindung gebracht hat: Die Pythagoreer machten das ganze Leben zum Gottesdienst, übten eine "reinere" Form der griechischen Religion.148 Noch in anderer Hinsicht hat man den Begriff "Puritanismus" auf den ITuGayopeios ßios angewendet, insofern nämlich darin eine Tendenz zum Ausdruck zu kommen scheint, - vor dem Hintergrund der Lehre von der Seelenwanderung - den Körper als etwas Verächtliches zu betrachten und die Seele von seinen "Fesseln" zu befreien.14' Uns interessiert besonders die Nachricht des Aristoxenos, dass die Pythagoreer eine KtzGapais als Heilverfahren gekannt haben: 346 lambí. VP 83 (= Nr. 44/45 Boehm, De symbolis Pythagoreis, Diss. Berlin 1905): oO 8eí Xeüxt>ópous ßctSiCeip óbovg oúSé eis TrepLppai'TTÍpLou ¿(ißduTeiy oúSé éi> ßaXai/euo Xoúeaöai' äSriXov yäp k.v Ttäai toútois ei Kaöapevowiv oi KoiiwoOires. Siehe Parker S. 296. 347 Iamblichos berichtet, dass sehr viele Vorschriften von Opfer, Tod und Bestattung handelten (VP 85) und dass "alles, was sie über Tun und Lassen bestimmen, auf das Göttliche abzielt" (VP 86). 348 Iambl. VP 86: ó ßios ctTras auiréTaKTai upös tö áipoicáis, Erkenntnis des Wahren) und Mittel der Reinigung (nebst tjüx^poaúvri, SLKaioawi] und ávSpeía die pjmTos 8ià rfjs iaTpiKijs, Trjs 8è 8là T F J S fiOVCTIKfìS. Die Pythagoreer pflegten die Reinigung einerseits des Körpers durch die Heilkunst, andererseits der Seele durch die Musik. 350

4>VXTÌS

Die strenge Unterscheidung in KdOapais TOÜ aw^iaTos und KaOapais Tfjs ist wohl durch Piaton beeinflusst,151 zudem scheint gerade die K Ó Oapais T O U CTW|xaTos 8 i à Tfjs iaTpiKfis, unter der doch nur eine "Purgierung" verstanden werden kann, von den Pythagoreern weniger gepflegt worden zu sein, wenn wir Iamblichos' Bericht Glauben schenken dürfen, die Pythagoreer hätten von der Arzneikunde am meisten die Diätetik ( T Ò S I C I I T T I T L K O I ' e l S o s ) gepflegt, Arzneien jedoch ( T Ò ne pi r à $ (papnaKeias) weniger befürwortet. 15 ' Dagegen erkennt auch Iamblichos (VP 110) den Pythogoreern eine musikalische tcdOapais zu, und es ist aufschlussreich, dass er sie nicht speziell auf die Reinigung der Seele beschränkt:

IJÌUXTÌS

'YTCXdußave 8è Kai TT)v p.ouaiKT|v neydXa aup-ßaXXeaOai irpòg ùyeiau, àv Tis aÙTrj

XpflTaL K O T Ò T O V S - R R P O A I Ì K O V T A S T P Ó T T O U S . eltóGei yàp où Trapépyojs Tfj ToiaÙTq XpfjaSai KaBdpaer T O U T O yàp Sri K a t TTpoariYÓpeue Tr]v 8ià Tfjs pouaiKÌis iaTpeiav.

Er glaubte, dass auch die Musik Wesentliches zur Gesundheit beitrage, wenn jemand sie auf geziemende Weise anwende. Denn er pflegte das so beschaffene Reinigungsverfahren nicht nur nebenbei anzuwenden. Denn so nannte er die Heilung durch Musik. Die Mittel, die Pythagoras gemäss späteren Quellen bei der musikalischen (cdGapais anwandte, weisen dabei grösstenteils in magischrituelle Richtung. Prophyrios nennt Rhythmen, Lieder und Besprechungen (pu8|ioi, peXr), èmoSai), mit denen er die seelischen und körperlichen Leiden bezauberte.151 Wenig später meint derselbe Autor: Er tanzte zur Musik auch gewisse Tänze (òpxiioei?), all die, von welchen er glaubte, sie gewährten dem Körper Beweglichkeit und Gesundheit. ...Wenn (die Freunde) am Körper krank waren, behandelte er sie, und wenn sie in der Seele krank waren, beruhigte er, wie wir schon sagten, die einen mit magischen Besprechungen (¿TTuödis Kai jiayeiais), die anderen mit Musik (|iouaiKrj). Denn er hatte auch ge-

Aristoxenos Fr. 26. PL Soph. 227c. 352 lambì. VP 163 - 244 (wohl aus Aristoxenos: Burkert L&S S. 262 Anm. 113). 353 Porph. VP 30 (aus Nikomachos Burkert L&S S. 98 Anm. 6): Ka-reKiiXei 6è puöpois Kai péXeai Kai èiruSaì? TÒ (JjuxiKa nà0r) Kai TÒ crwpaTiKa. 350 351

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T e i l II

gen körperliche Krankheiten heilende Melodien [fiiXri TTaiwvia), durch deren Zaubergesang er die Kranken aufstehen machte.354 Von "Besprechungen (euySai) gegen einige Krankheiten" und "Tänzen" (öpxT)CTeLs) spricht auch Iamblichos.355 An anderen Stellen erwähnt Iamblichos eine ganz bestimmte Form von Lied, von der die Pythagoreer offenbar selbst als "Zurüstung, Zusammenfügung und Betastung" (e£dpTuais Kai awapiioyä Kai ¿TTa^a) sprachen. Ihre Eigenheit bestand darin, "in förderlicher Weise die Seelenverfassung zu den entgegengesetzten Affekten" hinzuführen:356 Für seine Gefährten stellte er die sogenannten Zurüstungen und Betastungen zusammen, indem er in wunderbarer Weise Mischungen gewisser diatonischer, chromatischer und enharmonischer Weisen ersann, durch die er mit Leichtigkeit die Affekte der Seele umkehrte und in die entgegengesetzten wandelte, sofern sie erst vor kurzem und unbewusst sich gebildet und entstanden waren, Anwandlungen von Trauer, Zorn, Mitleid, verkehrtem Neid, Angst, Begierden aller Art, Gemütswallungen, Verlangen, Aufgeblasenheit, Schlaffheit, Ungestüm, wobei er jede dieser Regungen zur Tugend hin verbesserte durch die passenden Lieder wie durch gewisse heilsame Arzneimischungen.357 Dass solche die Affekte ins Gegenteil verwandelnde e ^ a p T Ü a e i s K a i a u die geradezu magischen Charakter hatten158, einen realen Hintergrund haben, dafür spricht nicht nur ihr seltsamer Insidername, sondern auch ihre Funktion: In einer "Sekte", deren Alltag gänzlich durch besondere Regeln, rituelle Vorschriften, Einschränkungen, Enthaltungen und Reinheitsgebote eingeengt war, musste die Kontrolle der Affekte eine primäre Rolle einnehmen. Dass Musik und

v a p i i o y a L K a i eTTac))ai,

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P o r p h . V P 32f. (aus A n t o n i o s D i o g e n e s , B u r k e r t L & S S. 99 A n m . 9) Kai ¿ p x ^ a e i s 8e

Tivas UTTOjpxeiTO ÖTTÖcras euKiyriaiau' Kai vyeiav rai aoü|iaTi TrapaaKeudfeii' ükTO Kdp.iwTas 8e tö aciipaTa eSepdireuev, Kai rag i[>uxds 8e vocropyTas •n-apenuöeiTo, KaGcmep eap.ev, toüs M^v emoSals Kai (iayeiais toüs de p.ovCTiKf|. r|v ydp auTÜ p.eXr] Kai TTpös vöaous CTio(idTtov iraiüvia, ä emiScov aviaTri toüs Kdp.voi>Tas. 355 I a m b . V P 164 xpfp9ai Se Kai ¿TrujSa'is TTpös w a tüv dppuxrrT)|j.dTiov. 1 1 4 : re öiTOi) Kai rraOr) Kai voaiiiiaTd Tiva dcJwyiaCov, ws acjii\ eTTd8oi>Tes tos dXriSüis. Kai eiKÖs evrevOev rroSev Toiivojia toüto eis \ieoov TrapeXr]Xi>9evai, tö Tfjs eTrwSfjs. 111: XPW^01- Se Kai ö p x i i a e ö L V 356 I a m b . V P 114: eti toCvdv aüp.Trav tö nuöayopiKÖi' SiSaaKaXeiov Tr)^ Xeyo|j.ew)i; e£aptixtiv Kai cruvapiioydv Kai eTTadv ¿TTOieiTO, jieXeai naiv emTr|8eiois eis tö euaima irdöri Trepidyov xpTlci^ws tös tt|s «J^X^S SiaOeaeis. 357 I a m b . V P 64 (aus N i k o m a c h o s , B u r k e r t L & S S. 98 A n m . 6): töis M ^p yuajpijiois tos Xeyoiieyas e^apTviaeis Te Kai eTiaäs auveTaTTe Kai awripiiöCeTo, Sai^ovius (ir|xavc6(ieP0S KepdaiiaTd t l i w p.eXw SiotovikiSv Te Kai xpw(iaTiKwv Kai evapp.oviiov, 8l' w paSiws eis tö evavria irepieTpetre Kai Trepiiyye rd Tfjs ijiuxfis ird9r| veov eu aiiTois aXöyws awicrrdpeva Kai UTTOuö(j.eva, Ximas Kai öpyds Kai eXeous Kai CiiXous aTÖirous Kai (fößous, em8up.ias Te TraiToias Kai 9inioüs Kai öpe£eis Kai xauvwaeis Kai ÜTTTiÖTT^Tas Kai (jo8pÖTTiTas, etravop0oii|ieuos TTpös dpeTf|P toütw eKaaTow 8id tgüw Trpo