Katharsis: Reinigung als Heilverfahren. Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum 3525252331, 9783525252338

Die Arbeit will zum Verständnis des Katharsisbegriffs in der aristotelischen Poetik beitragen, indem sie seiner Vorgesch

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Katharsis: Reinigung als Heilverfahren. Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum
 3525252331, 9783525252338

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Hypomnemata 135

Fortunat Hoessly Katharsis: Reinigung als Heilverfahren Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum

Vandenhoeck & Ruprecht

Hypomnemata 135 Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Die Arbeit will zum Verständnis des Katharsisbegriffs in der aristotelischen Poetik beitragen, indem sie seiner Vorgeschichte nachgeht und den Katharsisbegriff in voraristotelischer Zeit unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Reinigung als Heilverfahren untersucht. Der erste Teil ist Homer gewidmet und zeigt auf, wie Katharsis (Reinigung) schon für den homerischen Helden von zentraler Bedeutung in seinem Alltag als rite de passage und speziell als Heilverfahren war. Der zweite Teil ist der kultisch-rituellen Reinigung als Heilverfahren gewidmet und zeigt den Stellenwert, den die Reinigung im Heil-Repertoire bei den Reinigungspriestern der archaischen Zeit sowie in privaten Mysterienkulten in klassischer Zeit einnahm. Im dritten Teil werden dann die vielfachen Anwendungsformen der Reinigung und ihr hoher Stellenwert in den Schriften des Corpus Hippocraticum dargestellt.

Der Autor Dr. phil. Fortunat Hoessly ist Gymnasiallehrer in Zürich und wurde im Jahr 1997 an der Universität Zürich promoviert.

ISBN

3-525-25233-1

111111111111111111111111111111 9 783525 2523 3 8

http://www. van den hoeck-ru precht.de

V&R

Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 135

Vandenhoeck & Ruprecht

Fortunat Hoessly

Katharsis: Reinigung als Heilverfahren Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Christoph Riedweg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hoessly, Fortuna/:

Katharsis : Reinigung als Heilverfahren ; Studien zum Ritual der archaischen und klassischen Zeit sowie zum Corpus Hippocraticum / Fortunat Hoessly. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Hypomnemata ; Bd. 135) Zug!.: Zürich, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-525-25233-1

© 2001, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Internet: http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Hubert & Co., Göttingen. Einbandkonzeption: Markus Eidt, Göttingen.

Gedruckt auf alterungsbestandigem Papier.

Inhalt Vorwort ................................................................................................................. 9 Einleitung............................................................................................................ 11 Teil 1: Reinigung bei Homer ........................................................................... 15 1. Vokabular der Reinigung ............................................................................ 17 1.1. Ka8a(pELV, EKKa8a(pELV, Ka8ap6s- ........................................•......................... 17 1.2. v((w, arrov((w, XEPVLljJ, XEpv[ TTToµm, rro8civL TTTpov .................•...................... 20 1.3. A.ouw, A.oETp6v, A.oETpox6os- ...............................................••••.•••...•................. 21 1.4. Die übrigen Wörter der Reinigung ............................................................... 23

2. Profane Anlässe der Reinigung .................................................................. 28 2.1. Reinigung im Rahmen der KoµuStj ................................................................ 28 2.2. Reinigung des Gastes .................................................................................. 29 2.3. Reinigung nach dem Kampf ........................................................................ 32 2.4. Reinigung vor der Mahlzeit ......................................................................... 33 2.5. Reinigung zu kosmetischen Zwecken .......................................................... 35

3. Religiöse Anlässe der Reinigung ............................................................... 37 3.1. Reinigung als Zutritt zum Heiligen .............................................................. 3 7 3.2. Reinigung von Befleckung............................................................................ 44 3.2.1. Befleckung in nachhomerischer Zeit ................................................... 44 3.2.2. Reinigung von Befleckung in nachhomerischer Zeit ............................ 52 3.2.3. Befleckung und Reinigung bei Homer? ........................ 56 3.2.3.1. Die Divergenz unter den Forschern .......................................... 56 3.2.3.2. Stellungnahme zum Forschungsstreit... ..................................... 68 3.2.4. Reinigung von Krankheit bei Homer ................................................... 81 3.2.4.1. Reinigung bei der Behandlung traumatischer Krankheiten ....... 82 3.2.4.2. Reinigung zur Behandlung nichttraumatischer Krankheiten ..... 90 „

•••••••••••••••••••••

Teil II: Kultisch-rituelle Reinigung von Krankheit.. ................................ 97 1. Die mythologischen Beispiele: Orestes als µwposund MelaITipus als Ka8apTtjS' ..........................................................••............ 99

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Inhalt 1.1. Orestes: das mythische Beispiel für Reinigung von Mord und Wahnsinn. 99 1.1.l. Orestes bei Homer: Vorbild für den racheübenden, pflichtbewussten Sohn ........................................................................... 99 1.1.2. Orestes in nachhomerischer Zeit: Befleckung und Reinigung ........... 104 1.1.2.1. Orestes bei Stesichoros: Verfolgung durch die Erinyen .......... 104 1.1.2.2. Orestes bei Aischylos: Wahnsinn und Verfolgung durch die Erinyen, Reinigung und Freispruch vor dem Areopag ................. 108 1.1.2.2.1. Choephoroi ...................................................................... 108 1.1.2.2.2. Eumeniden ....................................................................... 121 1.1.2.3. Euripides Orestes: Die Paranoia des Muttermörders ............ 132 1.1.2.4. Orestes und die Choen ........................................................... 143 1.1.2.5. Ausserattische Reinigungen des Orestes ................................ 145 1.2. Melampus, das mythische Exempel für den Ka8apTtjs- ............................ 149 1.2.1. Melampus bei Hesiod, Bakchylides, Pherekydes: Heilung durch Seherkunst? .................................................................. 149 1.2.2. Melampus als Ka8apTtjc;- ...........................................................•....... 152 1.2.2.1. Melampus bei Apollodoros u.a.: Reinigung durch dionysische Katharsis und Reinigung durch Blut. ............. 152 1.2.2.2. Melampus bei Theophrast u.a.: Reinigung durch "Abführung" und Nieswurztherapie .................. 155 1.2.2.3. Melampus bei Diphilos: Der lächerliche Ka8apTtjc;-................. 162 1.3. Exkurs: Kathartische Räucherungen in Griechenland und Babylonien.... 164

2. Die grossen taTpoµcivTELS' und Ka8apTa( der archaischen Zeit.. ........... 173 2.1. Legendäre apollinische Reinigungspriester: Bakis, Thaletas, Abaris ....... 173 2.2. Epimenides ............................................................................................... 175 2.3. Pythagoras und die Pythagoreer .............................................................. 181 2.4. Empedokles .............................................................................................. 188

3. Rituelle Ka8apov ciµ[ TE µripouS'. Dieser Satz wird in 10.575 wieder aufgenommen. Rücken und Schultern: Od. 6.224f. xp6a vL(ETo ät..µriv (zur Konstruktion siehe Anmerkung 1), ~ OL vwrn KQL EUPEaS' äµTTEXEV wµOUS'. Mit Blut besudelte Stellen von Toten und Verwundeten: II. 7.425; 11.830, 846; 24.419; Od. 24.189. Gesicht: Od. 18.172 xpwT' aTTovnjiaµf-vri (aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass mit xpwTa das Gesicht gemeint ist, vgl. Laser S. s 52), wieder aufgenommen in 18.179 XPWT aTTOVLTTTrnSm. Hände: Fest im homerischen Formelsystem verankert durch den alten Formelvers Od. l.136ff; 4.52ff.; 7.172ff.; 10.368ff.; 15.135ff. ; 17.91ff.: XEPVLßa 8' aµLTTOAOS' TTPOXOlfl ETTEXEUE Epouaa/ Kat..iJ xpuadi;i UTTEp cipyupEOLO AEßTJTOS'/ vitjiaaSm (Vgl. II. 24.304f., wo aus XEpvLßa ein fälschlicher Sg. xt'pvLßov gebildet wurde, der dann als Waschschüssel verstanden wurde: S. Leumann S. 160); ferner: Il. 16.230 v[tjiaTo XELpaS'; Od. 2.261; 10.182; 12.336: XELpaS' vLtjiaµEv(-oS'/-OL). Füsse: vom Waschen der Füsse des Odysseus durch Eurykleia: Od. 19.317,356,358,374,376,387,392,505; 23.75. Hände und Füsse: Od. 22.478. 19 Siehe vorhergehende Anmerkung. 20 xf-pvLtji bei Homer nur im Akk. xt'pvLßa (=myk. ke-ni-qa; siehe Risch S. 194): Od. 1.136; 3.440, 445; 4.52; 7.172; 10.368; 15.135; 17.91. Zu XEPVLßov "Waschschüssel (II. 24.304) siehe unten Anm. 83; vgl. oben Anm. 18. XEPVLTTToµm: bei Homer nur Aar. XEpv[tjiavTo II. 1.449. Zu Fragen der Wortbildung siehe Risch S. 181, 194. 21 Od. 19.343, 504; siehe Risch S. 42, 220. 22 Siehe Chantraine s.v. v[(w. 23 Zum Unterschied t..ouw - v[(w - TTAuvw vgl. LSJ s.v. t..ouuJ. 18

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Teil 1

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dem stets die von Lebewesen, in den meisten Fällen von Menschen; doch auch das Baden des Pferdes im Flusse bzw. das Waschen des Pferdes durch seinen Pfleger kann durch A.ouw/A.ouoµm ausgedrückt werden, und ebenso kann A.ouEa9m bildlich von im Meer untergehenden bzw. aufgehenden Gestirnen verwendet werden. 24 Bei Menschen bezieht es sich meist auf das warme Bad in der Badewanne (aaciµweos-) (27x) oder auf die Leichenwaschung (6x) und ist in diesen beiden Fällen ebenso wie v((w fürs Händewaschen fest im homerischen Formelsystem verankert. 25 Doch auch fürs Baden im Flusse kann A.ouw / A.oUüµm verwendet werden (8x). 26 Wenn das, Objekt, das wegewaschen wird, angegeben ist - in diesem Falle steht aTToA.ouw (mit oder ohne Tmesis) - so handelt es sich um (geronnenes) Wundenblut (ßp6Tos-) oder Meersalz (äA.µT)). 27 Neben A.ouw / A.ouoµm findet sich bei Homer auch das davon abgeleitete Substantiv A.oETpov "Bad", auch "Badewasser", das ebenso wie das Grundwort fürs "Bad" von Gestirnen im Meer und fürs warme Bad in 24 Von Pferden: II. 6.508 'OKEavo'Lo.

= 15.265;

23.282. Vom

acn~p

6rrwpLv6s-: II. 5.6 A.d.ouµEvos-

25 Leichenwaschung: II. 16.669, 679; 18.345, 350; 24.582/587. Die Formelverse für Badeszenen sind besonders reich entfaltet in der Odyssee, doch sind viele auch dem

Iliasdichter bekannt. Durch sie erhalten die Badeszenen einen bestimmten, schematischen Ablauf (siehe auch Arend S. 124-126): Im ausführlichsten Fall geht dem Baden der Befehl an die Badediener(innen) voraus, ciµEL Kpov[wvL a'lµan Kal. A.u8p4J TTETTEA.ayµEvov EUXETciaaem.

Mit ungewaschenen Händen Zeus funkelnden Wein zu spenden, scheu ich mich; und keinesfalls geht es an, zum schwarzwolkigen Kronossohn mit Blut und Schmutz befleckt zu beten. (II. 6.266-268).

Hektar scheint sich hier auf eine rituelle Vorschrift zu beziehen, gemäss der man zum Zwecke einer Kulthandlung nicht schmutzig vor den Gott treten durfte, sondern sich zuvor zu reinigen hatte. Aus seinen Worten ist zu entnehmen, dass sich diese Reinigung normalerweise auf das Waschen der Hände beschränkte, wohl deswegen, weil die Hände besonders an der Kulthandlung beteiligt sind und man daher bei der Reinigung v.a. auf sie zu achten hat und weil für eine Kulthandlung unter normalen, alltäglichen Bedingungen eine Reinigung der Hände zur Erlangung der geforderten Reinheit durchaus genügen mochte. In der Tat war das Händewaschen die übliche Form der Reinigung vor Spende und Opfer:

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Teil I

In der Jlias wird es Sx vor Spende oder Opfer erwähnt, immer dann, wenn es dem Dichter besonders wichtig erschien, darauf hinzuweisen, dass alle rituellen Vorschriften richtig befolgt worden sind: vor bedeutsamen, ausführlich geschilderten Ritualen in entscheidenden Situationen. So steht das Händewaschen am Anfang des wichtigen, ausführlich beschriebenen Opfers, mit dem die Achaier Apollon versöhnlich stimmen und zur Abwendung der Pest bewegen wollen: XEpv(ljiavTO 8' ETIEL Ta Kal ouA.oxi'!Tac; UVEAOVTO.

Und sie wuschen sich darauf die Hände und hoben die Opfergerste auf. 11. 1.449.

Ebenso lassen sich die ßapovw äAAwv: Od. 3.244), Athene darbringt, nachdem sie ihn Tags zuvor besucht hat. 85 Genau denselben Zweck erfüllt die Erwähnung des Händewaschens vor dem Gebet, das Odysseus auf der Insel Thrinakie - abseits von seinen Gefährten - an die Götter richtet86 : Der fromme Odysseus wäscht sich die Hände sogar vor einem einfachen Gebet und wird so in auffälligen Gegensatz zu seinen Gefährten gestellt, die wenige Verse später das Händewaschen unterlassen, ehe sie das frevelhafte Werk - die Schlachtung der Rinder des Helios - beginnen, wie sie denn bei diesem "Opfer" noch andere kultische Vorschriften missachten, die das Opfer betreffen: statt Opfergerste verwenden sie zarte Eichenblätter, statt Wein giessen sie Wasser über die brennenden Opfergaben. 87 Händewaschen ist also eine wichtige Voraussetzung der Kulthandlung: es bereitet den Menschen auf die Kulthandlung vor, führt ihn vom profanen Bereich in einen höheren, heiligen über und hebt ihn dadurch ein wenig aus seinem alltäglichen Zustand heraus, verleiht ihm "einen Hauch von Heiligkeit". 88 So ist es denn nicht erstaunlich, dass Händewaschen auch in nachhomerischer Zeit vor Opfer, Spende und Gebet - soweit es mit einem Ritual verbunden ist - erforderlich ist. 89 Zudem hat man an den Eingängen zu den Heiligtümern Becken mit Wasser aufgestellt, mit dem sich jeder, der eintrat, zu besprengen hatte. Fest angebrachte Wasserbecken, die zu diesem Zwecke dienten, sog. TTEptppavTtjpw, sind vom Ende des 7. Jh. an, also kurze Zeit nach Homer bezeugt. 90 Doch nicht nur Händewaschen, sondern auch Baden und das An ziehen neuer, reiner Kleider kann der Vorbereitung der Kulthandlung dienen.

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Od. 3.418ff.: Natürlich sollen nicht nur das Händewaschen (3.445), sondern ebenso die umfangreichen, sorgfältigen Vorbereitungen, die Nestor zum Opfer trifft, sowie das umsichtige, ausführlich beschriebene Vollziehen des Opfers selbst auf Nestors Frömmigkeit hinweisen. Zur 'pietas' des Nestor im Kontrast zu den Freiern vgl. Omero Odissea 1 S. 290. 86 Od. 12.336f. 87 Od. 12.356ff. Zum regelwidrigen Verlauf des Opfers vgl. K. Reinhardt, Die Ilias und ihr Dichter, Göttingen 1961, S. 94. 88 Siehe Parker S. 20f. und 31. 89 Zum Händewaschen am Anfang des Tieropfers: siehe Burkert G.R. S.102; vor der Spe~d~: ibid. S. 13~;" vgl. ~es. ?P· 724f. µriöc' rroT' E~ ~oi.ls- ßü A.dßrn al9orra o"lvov / XE pCTlV avrnToLmv µ118 aAA.ms- aeavaTmmv; vor Gebet, mit Ritual verbunden: Burkert op. cit. S.126. 90 Siehe Parker S. 19, inkl. Anm. 4 (mit Literaturangabe). 1

Reinigung bei Homer

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Diese Form der Reinigung war in klassischer Zeit v.a. vor individuellen Weihen, Mysterieninitiationen und Hochzeit üblich. 91 Parker erklärt sie mit folgenden Worten: The more closely involved psychologically the mortal was in the ceremony to be performed, the greater and more formal the preliminary requirements became. 92

Diese Regel lässt sich bereits auf Homer anwenden. Schon hier scheint das Bad und das Anziehen reiner Kleider vor der Hochzeit üblich zu sein. So lockt Athene Nausikaa, während sie ihr im Traum in der Gestalt einer Gespielin erscheint, mit der Begründung an den Fluss: Deine Hochzeit ist nahe, an der du selber schöne Kleider tragen musst und solche jenen darbieten, die dich zum Bräutigam führen„.Komm wir wollen beim Morgengrauen waschen gehen„. Od. 6.27ff.

Ebenso fordert Odysseus Telemachos und seine Helfer auf zu baden, neue Kleider anzuziehen und die Mägde sich umkleiden zu lassen, bevor der Sänger zum Reigentanz aufspielen solle, damit man draussen meine, es finde eine Hochzeit zwischen Penelope und einem Freier statt: Als erstes nun nehmt ein Bad und legt euch (neue) Leibröcke an, und befehlt den Mägden im Hause sich (andere) Kleider anzulegen; Doch ein göttlicher Sänger soll uns mit einer helltönenden Leier zum abwechlungsreichen93 Tanz aufspielen, damit man, wenn man es von aussen hört, glauben könnte, es finde eine Hochzeit statt. Od. 23.13lff.

Und während sie seine Anweisungen befolgen {Od. 23.14lff.), nimmt Odysseus selber ein Bad und zieht neue Kleider an: Aber den mutigen Odysseus badete in seinem Hause Eurynome, die Schaffnerin, und salbte ihn mit Öl und legte ihm einen schönen Mantel und einen Leibrock um; Aber über das Haupt hinab goss ihm Athene viel Schönheit... Od. 23.153ff.

Das Raffinerte an der Szene ist dabei, dass das Baden und Umkleiden nicht nur den Auftakt zu einer vorgetäuschten Hochzeit bildet - sonst wäre die Erwähnung von beidem wohl wenig zweckmässig -, sondern Burkert G.R. S. 133; Parker S. 20. Parker ibid. 93 Zu rroA.urralyµwv siehe Omero Odissea VI S. 298 "con molti giochi e scherzi; ricco di mutamenti" 91

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Teil 1

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dass beides in der Tat die Einstimmung und Vorbereitung auf eine "Hochzeit" darstellt: die endliche Wiedervereinigung des Odysseus und der Penelope nach zwanzigjähriger Trennung. 94 Das Bad und das Anziehen reiner Kleider scheint nun bei Homer nicht nur vor der Hochzeit geläufig gewesen zu sein, sondern kommt einmal auch vor Gebet und Opfer vor: Ehe Penelope, die vom Anschlag der Freier auf Telemachos gehört hat, auf Eurykleias Anraten Athene unter Darbringung von Opfergerste bittet, sie möge Telemachos vor dem Tode retten und die Freier abwehren, badet sie sich und legt reine Kleider an: Nachdem sie gebadet hatte und reine Kleider wn den Leib gelegt hatte (~ 8' uoprivaµEVY] Ka8apa xpot dµa8' EA.ofoa), ging sie ins Obergeschoss hinauf mit den dienenden Frauen, legte Opergerste in einen Korb und betete zu Athene ... Od. 4.759ff.

Dass man unter der dem Anziehen neuer Kleider vorausgehenden, durch uÖpT]vaµEVTJ ausgedrückten Handlung das Waschen des ganzen Körpers, also "Baden" zu verstehen hat, ist doch wohl die naheliegendste Auffassung, die nicht nur von einigen modernen Interpreten, sondern auch von Eustathius vertreten wurde95 : Das Baden und Anziehen neuer Kleider hebt die Bedeutung der Kulthandlung für Penelope. hervor und soll sie psychologisch entsprechend darauf vorbereiten.96 Auch Hektar scheint mit seinen an die Mutter gerichteten Worten im 6. Buch der Ilias (s. oben S. 17), wiewohl er in 6.266 (XEpcrl o' c:ivl-rrTOlCJLv) nur das Händewaschen anspricht, doch an eine gründlichere Reinigung, nämlich ein Bad, zu denken, das ja, wie bereits gezeigt, allgemein für einen vom Kampfe Zurückkehrenden üblich ist. 97 Denn es ist kaum anzunehmen, dass er in jener Situation nur an den Händen "mit Blut und Schmutz befleckt" (a'LµaTL Kai A.u8p4J TTETraA.ayµEvo~) ist, und ausserdem könnte seine Mutter seinen Einwand gegen eine Spende leicht beseitigen, indem sie ihm nebst Wein auch Handwaschwasser (XEPVLlj;) brächte, wodurch sie Hektar in seiner Eile - ganz

Vgl. auch oben Anm. 67. Siehe oben Anm. 36. 96 In ähnlicher Situation findet sich das Bad, Anziehen neuer Kleider (durch denselben Formelvers ausgedrückt wie im 4. Buch) vor dem Gelübde, das Penelope auf Telemachos' Geheiss den Götern tut, falls Zeus die Werke der Freier vergelten werde (Od. 17.48ff.). 97 Siehe oben Kap. 2.3. 94

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Reinigung bei Homer

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anders, als wenn sie ihm warmes Badewasser (8Epµa A.oETpci) vorzubereiten und darzubieten hätte - kaum länger aufhalten würde. 98 Nicht nur der Mensch hat sich als Vorbereitung zur Kulthandlung zu reinigen, auch die bei der Kulthandlung benützten Gegenstände haben rein zu sein. Dies liess sich schon aus 11. 16.227ff. ersehen, wo Achilleus den Becher vor der für ihn persönlich - aber auch für den weiteren Verlauf der Gesamthandlung des Werkes - wichtigen Spende einer besonders gründlichen Reinigung unterzieht (siehe oben S. 38). Auch zum Apollonfest99 , das den Rahmen zum Bogenwettkampf und Freiermord bilden wird, lässt Eurykleia das Haus von den Mägden gründlich reinigen: Greift zu, ihr da fegt hurtig das Haus, besprengt den Boden und legt auf die schöngefertigten Sessel purpurne Decken; ihr dagegen wischt alle Tische mit Schwämmen ringsum ab und reinigt die Kratere und die zweihenkligen Becher, die wohlgefertigten; ihr schliesslich geht zur Quelle, Wasser zu holen, und bringt es herbei, euch sputend. Denn nicht mehr lange werden die Freier dem Hause fernbleiben, sondern sehr bald zurückkehren, da gar für alle ein Fest ist. Od.20.149ff.

Die gründliche Reinigung des Hauses ist vom Dichter wohl nicht nur konkret als Vorbereitung fürs Fest gedacht, sondern soll wohl auch symbolisch auf die kommenden Ereignisse vorausweisen, wie denn auch der letzte Satz ETTEL Kai TTaaLv EopTtj durchaus zweideutig aufgefasst werden kann. 100

98 Ähnlich argumentieren die Scholien T zu II. 6.266 (wenn ich auch das Bad vor der Spende nicht generell als cipxa'iov E'Sos betrachten würde): E:8uvaTo urrö T~S' 'EKcißris

pqfüws AUS~vm ~ rre6ams "EKTopos ü8wp auTL, rr{o}pELrrov h6rruL Ka AEL, Ka8mpfo-8w, [Km ho hu-: coni. Canon] l rroOEKOµEvOS' cirrov[lj.iau8m OOTO KaKpmlEau8m Kai hciA.a TÜL au[TOppEKTm: coni. Canon] 1 [K]ai Sfoa') TÖL L'.l XOLpov EE auTO LTO Kai TTEpL siehe Burkert füll: S. 38ff. c) Autolykos Abstammung von Hermes (Hes. Fr. 64, 15ff.M.-W.), der als Seelengeleiter mit Stab und Flügelschuhen das Bild des yÜTJ'> widerspiegelt; siehe Burkert rorn: S. 46. Zu den schamanistischen Zügen des Odysseus siehe K. Meuli, Scythica, Hermes 70,1935, S.167f. 246 Siehe oben S. 82. 247 So G. F. Welcker, Kleine Schriften III, Bonn 1850, S. 29: "Das Besprechen und jene linden Mittel unterscheiden sich weniger als es scheint; beide beruhen auf dem Magischen oder der übertriebenen Vorstellung: Denn sie müssen nach der Chironisch bitteren Wurzel beurtheilt werden, die in einem Muster von der Curart der Heroen hervorgehoben ist und deren Wirkung doch wohl nicht mehr in der reinen Erfahrung begründet war als die des Thrakischen Krautes Stilleblut (iaxmµoc;-), wovon nach Theophrast (Hist. Pl. IX,15,3) gesagt wurde, dass es den Erguss des Blutes aufhalte, die Ader möge nur durchstochen oder auch stärker durchschnitten seyn." In der Tat meinen die Schol. zu II. 11.846, dass es sich bei der p[(a TTLKptj, die Patroklos bei Eurypylos anwendet, um ebendiese raxaLµoc;- handelt. Freilich kämen bei den ~ma apµaKa auch Pulver aus Pflanzen mit nachweislich adstringierender, blutstillender oder bakterizider Wirkung (z. B. Galläfel, Zwiebeln) in Betracht: siehe Laser S. S127. 244 245

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Das wohl übertrieben rationale Bild, das sich Kudlien vom homerischen LTJTp6s- macht, wird auch deutlich in seiner These erkennbar, die homerischen LT]Tpo( seien nur Chirurgen gewesen, innere Krankheiten dagegen seien vollkommen ausserhalb ihres Ressorts geblieben, da man sie als gottgesandt betrachtet habe und daher entweder als unabwendbar oder - falls sie die Folge einer religiösen Schuld waren - mit religiösen Mitteln zu vertreiben suchte. 248 Doch dass die homerischen Ärzte ausschliesslich Chirurgen waren, scheint lediglich für die tT]Tpo( der Ilias in der Art des Machaon und Podaleirios zuzutreffen. Diese sind in erster Linie Krieger und nur nebenamtlich als LT]Tpo( tätig. 249 Sie, aber auch ihre nichtfachmännischen Kollegen, 250 sehen wir in der Ilias sich nur bei der Wundbehandlung medizinisch betätigen. Und Idomeneus scheint mit seiner allgemeinen Aussage über die Ärzte deren Tätigkeit nur im Bereiche der Chirurgie zu sehen. 251 Diese einseitige Fixierung der Ärzte auf die Chirurgie hat übrigens bereits den Verfasser der Iliupersis gestört: Er nutzt die Tatsache, dass Padaleirios in der Ilias nie ausdrücklich praktizierend vorgeführt wird, dazu, Machaon als Spezialisten für traumatische Krankheiten, Podaleirios dagegen als Spezialisten für innere Krankheiten zu proklamieren, obwohl die Ilias einen solchen Schluss keinesfalls nahelegt.252 auTos- yap aL v E8wKE rraT~P KAUTOS' 'Evvoa[ ymoS' aµoTEpOLS', ETEpov 8' ETEpou KUBlov' E8T]KEV' TLAourr6v5ou Atß6S'. / ßwµwv T' cirrdpyElv ovx 6pwµEvriv rraTpoS' / µ~vtv· ÖEXELCTTLfoTto6vou oE: T..iTJGLV KGLEV €rr' Euxw>.."(jaL rrapfoTLO.µol) T~V auy~v ..TJ.

E. Or. 231f. Op. au6lr; µ' Er; 6p6ov O"T~aov. cll'OKUKAEl ÖEµar;· /8uaciprnTOV ol voaovvTEEpELS" Kopac;-. siehe hierzu U. Stehler, Entstehung und Entwicklung des Gewissens im Spiegel der griechischen Tragödie, Diss. Bern 1971, S. 117ff. 175 Jouanna Hippocrate S. 548. 176 Hp. Virg. Vlll 466 L: flpwTOV TTEpi T~S" LEp~c;- voooou KaAEOµEVT]S". Kal TTEpi TWV a174

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