Johannes der Täufer: Interpretation - Geschichte - Wirkungsgeschichte [Reprint 2013 ed.] 311011707X, 9783110117073

Die Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft (BZNW) ist eine der ältesten undrenommierteste

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Johannes der Täufer: Interpretation - Geschichte - Wirkungsgeschichte [Reprint 2013 ed.]
 311011707X, 9783110117073

Table of contents :
Vorwort
1. KAPITEL: JOHANNES DER TÄUFER IN DER VERKÜNDIGUNG DES NEUEN TESTAMENTES UND IN DER DARSTELLUNG DER FRÜHCHRISTLICHEN UND JÜDISCHEN LITERATUR
I. Johannes der Täufer in der Markusredaktion
1. Der Prolog (1,1-15)
1.1. Die Täuferüberlieferung (V. 2 – 8)
1.2. Die Taufe Jesu (1,9-11)
1.3. Die Täuferdeutung in der markinischen Inklusionsformel (1,1.14f.)
2. Die Fastenfrage (2,18-20)
3. Herodes, der Täufer und die Frage nach Jesus. Die Enthauptung des Johannes (6,14–29)
4. Der Täufer als Elija incognito (9,9-13)
5. Die Frage nach der Vollmacht Jesu und die Rückfrage nach der Herkunft der Johannestaufe (11,27 – 33)
6. Das Täuferbild des Markus
II. Johannes der Täufer in der Logienquelle
1. Worte und Sprüche des Täufers
1.1. Die Umkehr- und Gerichtspredigt (Mt 3,7-10/Lk 3,7-9.17)
1.2. Die Ankündigung des kommenden Richters (und Retters): Mt 3,11/Lk 3,16
2. Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers: Mt 11,2-19/Lk 7,18-35
2.1. Die Täuferanfrage und die Antwort Jesu (Mt 11,2–6/Lk 7,18-23)
2.2. Das Urteil Jesu über den Täufer (Mt 11,7-11/Lk 7,24-28)
2.3. Das Gleichnis von den spielenden Kindern – Johannes und Jesus im Urteil der Menschen (Mt 11,16 – 19/Lk 7,31-35)
2.4. Abschließende Überlegungen zum Täuferabschnitt (Mt 11,2-19/Lk 7,18-35)
3. Das Täuferbild der Logienquelle
III. Johannes der Täufer in der Lukasredaktion
1. Lukas und die Elija-Typologie
1.1. Der Vergleich von Markus und Lukas
1.2. Der Vergleich der Logienquelle mit Lukas
1.3. Elija im Sondergut des Lukas (1,17.76; 4,25.26; 9,54 [v.l.]
2. Das Auftreten und die Predigt des Täufers im Verständnis der Lukasredaktion (3,1–18)
2.1. Johannes und das Evangelium
2.2. Die Vorlage des lukanischen Täuferberichtes
2.3. Die Gerichtspredigt des Täufers (3,7-9.17)
2.4. Die Standespredigt des Täufers (3,10-14)
2.5. Das Wort von der Wasser- und Geist-/Feuertaufe (3,16)
2.6. Zusammenfassung
3. Der Täufer tritt ab, bevor Jesus getauft wird (3,19 f.)
4. Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers in der Darstellung des Lukas (7,18–35)
4.1. Der Rückverweis auf die messianischen Wunder Jesu (7,21)
4.2. Die »frommen« Sünder und die »unfrommen« Gerechten (7,29 f.)
4.3. Das Wort vom Brot- und Weinverzicht des Täufers (7,33 f.)
5. Das Täufergebet (11,1)
6. Die Stellung des Täufers »zwischen den Zeiten« nach 16,16
7. Das Täuferbild des Lukas
IV. Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung
1. Aufbau und Struktur der lukanischen Kindheitserzählung
2. Überlegungen zur Täuferlegende
2.1. Sprache und Stil
2.2. Der kulturelle Hintergrund
2.3. Inhaltliche Motive
2.4. Das prophetische Täuferbild
3. Die Lieder
3.1. Das Magnificat (1,46-55) - ein Danklied der Elisabet?
3.2. Das Benedictus des Zacharias (1,67 – 79)
4. Die literarische Gestalt und Gattung der Täufererzählung
4.1. Die literarische Gestalt
4.2. Die literarische Gattung
V. Johannes der Täufer in der Apostelgeschichte
1. Das Wort des Auferstandenen von der Wasser- und Geisttaufe (1,5)
2. Das Petruswort von der Wasser- und Geisttaufe (11,16)
3. Das Petruswort über das apostolische Zeugnis, welches die Zeit von der Taufe des Johannes bis zur Aufnahme Jesu in den Himmel umfaßt (1,22)
4. Das Petruswort anläßlich der Taufe des Cornelius über die Zeit des Heilswirkens Gottes von der Taufe des Johannes bis zur Auferweckung Jesu (10,37)
5. Johannes der Täufer in der Predigt des Paulus im pisidischen Antiochien (13,24 f.)
6. Täuferschüler in Ephesus und die Geisttaufe (18,24–28; 19,1–7)
6.1 Die Rolle der Täuferschüler im Geschichtswerk des Lukas
6.2. Die Täuferschüler in der Geschichte der Urkirche
7. Das Täuferbild der Apostelgeschichte
VI. Johannes der Täufer in der Matthäusredaktion
1. Das Auftreten und die Predigt des Täufers (3,1 – 12)
1.1. Das Auftreten des Täufers (V. 1 – 6) – literarischer und theologischer Vergleich mit Mk 1,2 – 6
1.2. Die Predigt des Täufers (V. 7–12)
2. Die Taufe Jesu (3,13–17)
2.1. Die matthäisch-redaktionelle Interpretation der Markusvorlage
2.2. Theologischer Ertrag
3. Die Auslieferung des Johannes (4,12)
4. Die Fastenfrage (9,14–17)
5. Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers in der Darstellung des Matthäus (11,2–19)
5.1. Die Täuferanfrage und die Antwort Jesu (11,2–6)
5.2. Das Urteil Jesu über den Täufer (11,7–11)
5.3. Der Stürmerspruch und Johannes der Täufer (11,12 – 13[14.15])
5.4. Das Gleichnis von den spielenden Kindern (11,16 – 19)
5.5. Zusammenfassung
6. Die Enthauptung des Johannes (14,3 – 12)
6.1. Der Vergleich mit dem Markusbericht
6.2. Die theologische Gestaltung des Matthäus
6.3. Die Todesmeldung der Johannesjünger – Eine chronologische oder theologische Einblendung?
6.4. Zusammenfassung
7. Der Täufer und Elija (17,10–13)
8. Die Frage nach der Vollmacht Jesu (21,23–27)
9. Das Gleichnis von den beiden Söhnen – Der Unglaube der Juden gegenüber den Boten Jesus und Johannes der Täufer (21,28-32)
10. Das Täuferbild des Matthäus
VII. Johannes der Täufer im vierten Evangelium
1. Der Täufer im Prolog (1,6–8.15)
1.1. Polemik gegen die Täufersekte?
1.2. Der Täufer als Christuszeuge
1.3. Der Täufer – seine Funktion im Prolog
2. Der Täufer im Evangelium
2.1. Das Zeugnis des Johannes am Anfang des Evangeliums (1,19–51)
2.2. Jesus und der Täufer am Jordan (3,22–4,3)
2.3. Worte Jesu über das Zeugnis des Johannes (5,31–47)
2.4. Das Zeugnis des Johannes für Jesus und die Bekehrung vieler (10,40–42)
3. Polemik, Apologetik und die christologischen Hintergründe des johanneischen Täuferbildes
4. Das Täuferbild des vierten Evangeliums
VIII. Johannes der Täufer im Zeugnis der frühen Kirchenschriftsteller
1. Das Täuferbild der neutestamentlichen Apokryphen
1.1 Das Täuferbild der judenchristlichen Evangelien
1.2. Das Täuferbild in der christlich-gnostischen Literatur
1.3. Das Täuferbild der apokryphen Kindheitsevangelien
1.4. Zusammenfassung
2. Das Täuferbild der Kirchenväter
2.1. Die aszetischen Lebensformen und der Ort des Auftretens
2.2. Die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden
2.3. Die Taufe Jesu durch Johannes
2.4. Die Anfrage des Täufers
2.5. Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers
2.6. Zusammenfassung
IX. Johannes der Täufer in der Darstellung des Flavius Josephus und der darauf bezugnehmenden Literatur
1. Johannes der Täufer in der Darstellung des Flavius Josephus
2. Johannes der Täufer in der Darstellung des slavischen Josephus
3. Das Täuferbild des Robert Eisler
2. KAPITEL: JOHANNES DER TÄUFER – PERSÖNLICHKEIT UND GESCHICHTE
1. Herkunft, Geburt, Kindheit und Jugend Johannes des Täufers
1.1. Die Abstammung des Johannes aus priesterlichem Geschlecht
1.2. Der Zeitpunkt der Geburt des Johannes (Lk 1,36)
1.3. Der Geburtsort des Johannes (Lk 1,39)
1.4. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Müttern Jesu und des Johannes
1.5. Der Wüstenaufenthalt des Johannes vor dem Auftreten in der Öffentlichkeit (Lk 1,80)
2. Die Orte des öffentlichen Auftretens des Johannes: die Wüste und der Jordan
2.1. Wüste und Jordan: theologische Bedeutung
2.2. Wüste und Jordan: geographische Bestimmung
3. Die Kleidung und Nahrung des Täufers
3.1. Die Kleidung des Täufers
3.2. Die Nahrung des Täufers
4. Der Prophet Johannes
4.1. War Johannes ein apokalyptischer Prophet?
4.2. War Johannes ein prophetischer Visionär?
4.3. War Johannes ein »messianischer Prophet«?
4.4. War Johannes der prophetische Gerichtsbote Elija?
4.5. War Johannes der Prophet wie Mose?
4.6. War Johannes ein prophetischer Charismatiker?
4.7. Johannes – der Prophet Gottes
5. Die Predigt des Propheten Johannes
5.1. Die Gerichtspredigt (Mt 3,7 – 10.12/Lk 3,7–9.17)
5.2. Der Aufruf zur Umkehr im Zusammenhang mit dem Taufempfang (Mt 3,8/Lk 3,8; vgl. Mt 3,11; Mk 1,4/Lk 3,3; vgl. Mt 3,2)
5.3. Die ethischen Weisungen
5.4. Johannes und der Kommende – Die Anfrage aus dem Gefängnis (Mt 11,2 f./Lk 7,18 f.)
5.5. Zusammenfassung
6. Die Taufe des Johannes
6.1. Die alttestamentlich-jüdischen Waschungen
6.2. Das jüdische Proselytentauchbad
6.3. Die Tauchbäder der Qumrangemeinde
6.4. Das Spezifische der Johannestaufe
7. Gefangenschaft und Tod des Täufers
3. KAPITEL: NACHGESCHICHTE JOHANNES DES TÄUFERS IN DER TÄUFERSCHULE UND IN DEN TÄUFERSEKTEN
1. Die Jünger des Johannes – Hat der Täufer eine Schule gegründet?
2. Die Täuferschüler nach dem Tod des Johannes
3. Die Zeit des Zusammengehens von Jesus- und Johannesjüngern
4. Täuferschüler auf dem Wege zur Täufersekte
5. Spuren der Täufersekte in den Pseudoclementinen
6. Spuren der Täufersekte bei den frühchristlichen Schriftstellern
7. Die Täufersekte und die Mandäer
8. Zusammenfassung
Schlußwort
Quellen
Literaturverzeichnis
Register

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Josef Ernst Johannes der Täufer

Josef Ernst

Johannes der Täufer Interpretation — Geschichte — Wirkungsgeschichte

w DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1989

Beiheft zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche Herausgegeben von Erich Gräßer 53

Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — ph 7, neutral)

CIP-Titelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Ernst, Josef: Johannes der Täufer : Interpretation, Geschichte, Wirkungsgeschichte / Josef Ernst. — Berlin : de Gruyter, 1989 (Beiheft zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche ; Bd. 53) ISBN 3-11-011707-X NE: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche / Beiheft

ISSN 0171-6441 © Copyright 1989 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Ubersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Printed in Germany. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Vorwort Johannes der Täufer war und ist im Urteil der Theologie ein umstrittener Mann. Das Jesuswort von dem Größten unter den von einer Frau Geborenen wird schon im Neuen Testament durch den Zusatz »doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er« (Mt 11,11 /Lk 7,28) korrigiert. Als gewisse Kreise der jüdischen Gesellschaft ihn zum Messias proklamierten, reagierte die offizielle christliche Lehre entschieden: »Er ist es nicht!« In der Diskussion um die heilsgeschichtliche Rolle scheiden sich die Geister: die einen sehen in ihm den letzten Großen des Alten, die anderen den ersten des Neuen Testamentes. Die Unsicherheit in der Beurteilung der Person spiegelt sich in der Frage nach der richtigen Einordnung der Taufe: war sie ein Sakrament bzw. ein Quasisakrament, oder nur ein prophetisches Zeichen, das die Botschaft unterstreicht? Johannes ist im Urteil der Kritiker »der beste Mann« Jesu, zugleich aber auch sein schärfster Konkurrent. In der nachneutestamentlichen Zeit leuchtet das Bild des Täufers in strahlendem Licht, man kann aber auch nicht übersehen, daß er allmählich in den Schatten eines Größeren gerät. Wer war Johannes der Täufer wirklich? Für die Forschung stehen als Quellen die Evangelien (einschl. Apostelgeschichte) und der Bericht des jüdischen Historikers Flavius Josephus zur Verfügung, alle späteren Schriften, die auf den Täufer Bezug nehmen, kommen für die Erhebung der Ursprungsgeschichte nur mit Vorbehalt in Betracht. 1. Aber was heißt schon »Ursprungsgeschichte«? Wer in den Evangelien nachliest, erfährt nicht, wer der Täufer war, sondern nur, wie ihn die Verfasser gesehen und verstanden haben. Das Bild ist weithin durch Glaube und Verehrung, aber auch durch Polemik und Apologetik geprägt. Wo der Leser objektive Informationen erwartet, findet er subjektiv eingefarbte »Bekenntnisse«. Eine Untersuchung der Täufergestalt wird sich demnach zunächst auf »Meinungsforschung« einlassen müssen. Die Evangelisten haben die Täufertraditionen je nach Standpunkt und Meinung verschieden komponiert, bearbeitet und umgestaltet, und zwar so, daß am Ende des Redaktionsprozesses mehrere »Bilder« der einen Vorlage gestanden haben. Die frühchristlich-kirchliche und apokryphe Literatur neben und nach dem Neuen Testament hat die vorgegebenen Konturen stärker ausgezogen, dann und wann Korrekturen nach Maßgabe des christologischen Dogmas vorgenommen oder Nebenzüge mit Phantasie ausgemalt und die Weichen für die wuchernde Heiligenverehrung gestellt. Unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsgeschichte kommt den sekundären Täuferinterpretationen der nachneutestamentlichen Zeit eine enorme herme-

VI

Vorwort

neutische Bedeutung zu, die Diskussion um die gnostisch-mandäischen Schriften und ihren möglichen Einfluß auf die Christologie des Neuen Testamentes deutet das Problem an. Das erste Kapitel der Untersuchung bemüht sich um die theologischen Leitlinien und Leitmotive der kanonischen Quellen und der frühkirchlichen Rezeption. 2. Die evangelischen Berichte über den Täufer setzen der historischen Forschung wegen ihres Zeugnischarakters zwar Grenzen, trotzdem besteht zu einem resignierenden »Ignoramus et ignorabimus« keine Veranlassung. Wer mit Sorgfalt und Sachverstand ans Werk geht, wird erkennen, daß es in und hinter dem Bekenntnis einen gesicherten »harten Kern« gibt. Die religions- und zeitgeschichtliche Forschung hat das Umfeld des Täuferwirkens abgesteckt und auf verwandte religiöse Strömungen (ζ. B. Qumran) hingewiesen. Der Rückgriff auf die prophetischen Traditionen des Alten Testamentes erhellt den Hintergrund der Gerichtspredigt. Der Vergleich mit dem jüngeren Zeitgenossen Jesus von Nazareth, um dessentwillen der Täufer in das Neue Testament aufgenommen worden ist, bietet ein Kriterienraster, welches eine weitere Eingrenzung ermöglicht. Die Tatsache, daß alle Evangelisten den Täufer an den Anfang der Jesusgeschichte gestellt haben, ist mehr als nur eine Projektion des Christusglaubens. Die Taufe Jesu durch Johannes mag vordergründig den Ausschlag gegeben haben, aber sie erklärt noch nicht alles. Es muß weitergehende Übereinstimmungen in der Botschaft und Verwandtschaften im Selbstverständnis gegeben haben. Das frühe Nachdenken über eine heilsmittlerische Rolle des Täufers in Schülerkreisen ist trotz der massiven kirchlichen Kritik ein Indiz für die Ausstrahlung der historischen Persönlichkeit. Ein weiterer Gesichtspunkt kann hilfreich sein: Der Täufer hatte kein ausgesprochenes Berufungserlebnis wie die Jünger Jesu bis hin zu Paulus, der »Spätgeburt« (1 Kor 15,8), seine Christusnähe reicht nach dem Urteil der lukanischen Kindheitsgeschichte zurück in die Zeit vor der Geburt. Offenbar war an diesem Mann etwas Besonderes, das ihn im Bewußtsein der Urchristenheit aus der großen Schar der Christuszeugen heraushob. Die historischen Überlegungen im \weiten Kapitel unserer Untersuchung müssen diesen Punkt einbeziehen. Johannes hat sicher seine eigene Geschichte und sein eigenes inner) üdisches Selbstverständnis gehabt — daran gibt es keinen Zweifel, aber die literarisch offenkundige und deutlich erkennbare Orientierung an Jesus stellt auch den Historiker vor schwerwiegende Fragen. Eine überzeugende Antwort ist bislang noch nicht gegeben worden. 3. Das dritte Kapitel unserer Untersuchung beschäftigt sich mit der Nachgeschichte des Täufers in jenen Kreisen, die sich der kirchlichen Täuferrezeption nicht anschließen konnten. Gewisse Randgruppen mit nur schwer faßbarem Profil haben die im Neuen Testament schon erkennbaren Tendenzen einer Johanneisierung der Heilserwartungen auf die Spitze getrieben und für die Ausbildung oder Aktualisierung einer sektiererischen

Vorwort

VII

Täuferverehrung den Boden bereitet. Für die Frage nach der heilsgeschichtlichen Rolle des Täufers ist es nicht uninteressant, daß es in welcher Zeit auch immer zu einer Polarisierung zwischen dem Messias Jesus und dem Propheten Johannes gekommen ist. Was in neutestamentlicher Zeit noch in der zurückhaltenden Frage: »Ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei« (Lk 3,15) angedeutet ist, bedarf in jenen Kreisen, die hinter den apokryphen Pseudoclementinen und den Texten der Mandäer stehen, keiner Diskussion. Da die zur Verfügung stehenden Quellen literarisch und theologisch immer noch umstritten sind, werden die anstehenden Fragen, die ja die Entstehungsgeschichte des Christentums berühren, auch weiterhin nur hypothetisch beantwortet werden können. Zwei gegenläufige Entwicklungstendenzen sind jedoch klar zu erkennen: Der Täufer wird auf der einen Seite zum erlösergleichen Heros hochstilisiert, auf der anderen schwindet sein Rang in den Gruppen und Sekten therapeutischer und kulturpessimistischer Prägung in zunehmendem Maße. Das große Idol ist bald nur noch ein in Vergessenheit geratener Außenseiter, während sein Stern am Himmel der christlichen Heiligenverehrung leuchtet. Die Exegese muß sich als historische Wissenschaft mit diesem Ergebnis zufriedengeben, der Theologie ist die Deutung aufgegeben. Hat die Wahrheit Recht bekommen? Wurde eine eigenständige religiöse Strömung von der kirchenamtlichen Lehre vereinnahmt? Man kann es auch so sehen: Die Geschichte hat dem Täufer den ihm zukommenden Platz des πρόδρομος zugewiesen, trotzdem bleibt er das, was er von Anfang an war: ein Einzelgänger mit eigenem Profil. Die vorliegende Täuferstudie hat eine längere Vorgeschichte: Die Anfänge liegen in den Seminaren und Vorlesungen meines Lehrers Otto Kuss Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre. Für junge Studenten war die Begegnung mit einem Johannes ohne Heiligenschein, dafür aber mit einer um so größeren religiösen Ausstrahlung, ein Schlüsselerlebnis. Das Buch von Martin Dibelius hat dann zu weiterem Nachdenken angeregt. Am Ende standen Gespräche und Diskussionen mit meinen Studenten und Mitarbeitern in einem mehrjährigen Forschungsprogramm. Zu danken habe ich meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Knut Backhaus und Georg Körting für Zuarbeiten im Bereich der apokryphen und patristischen Literatur. Meine Sekretärin Frau Elisabeth Niedieker hat sich um das Manuskript und zusammen mit Georg Körting auch um die Register bemüht. Einen besonderen Dank schulde ich meinem Kollegen von der Kirchlichen Hochschule Bielefeld-Bethel Herrn Prof. Dr. Andreas Lindemann für die Durchsicht des Manuskriptes und für fachkundige Ratschläge. Ich widme das Buch den Teilnehmern an meinen Täuferseminaren in den Jahren 1982—1985. Im November 1988

Josef Ernst

Inhaltsvereeichnis Vorwort

V

1. KAPITEL: JOHANNES DER TÄUFER IN DER VERKÜNDIGUNG DES NEUEN TESTAMENTES UND IN DER DARSTELLUNG DER FRÜHCHRISTLICHEN UND JÜDISCHEN LITERATUR

I. Johannes der Täufer in der Markusredaktion 1. 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.2. 1.3. 2. 3. 4. 5. 6.

Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 ) Die Täuferüberlieferung (V. 2 - 8 ) Der Kurzbericht über die Tätigkeit des Täufers (V. 4—6) . . Das Prophetenzeugnis (V. 2.3) Die Täuferpredigt (V. 7 - 8 ) Die Taufe Jesu ( 1 , 9 - 1 1 ) Die Täuferdeutung in der markinischen Inklusionsformel (1,1.14f.) Die Fastenfrage ( 2 , 1 8 - 2 0 ) Herodes, der Täufer und die Frage nach Jesus. Die Enthauptung des Johannes (6,14 — 29) Der Täufer als Elija incognito (9,9 —13) Die Frage nach der Vollmacht Jesu und die Rückfrage nach der Herkunft der Johannestaufe (11,27 — 33) Das Täuferbild des Markus

II. Johannes der Täufer in der Logienquelle 1. Worte und Sprüche des Täufers 1.1. Die Umkehr-und Gerichtspredigt (Mt 3,7-10/Lk 3 , 7 - 9 . 1 7 ) 1.1.1. Die Adressaten der Predigt 1.1.2. Die anstößige Anrede 1.1.3. Die Umkehrfrucht 1.1.4. Das Verhältnis von Umkehr und Gericht 1.1.5. Überlieferung und theologische Bedeutung der Täuferpredigt 1.2. Die Ankündigung des kommenden Richters (und Retters): Mt 3,11/Lk 3,16 1.2.1. Die literarische Gestalt 1.2.2. Der kommende Stärkere 1.2.3. Das Wort vom Lösen der Schuhriemen 1.2.4. Der Geist- und Feuertäufer 1.2.5. Zusammenfassung

4 4 5 6 10 13 16 20 23 25 30 34 37 39 40 40 41 42 44 45 46 48 48 49 51 52 55

X

Inhaltsverzeichnis

2.

Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers: Mt 11,2-19/Lk 7 , 1 8 - 3 5 Die Täuferanfrage und die Antwort Jesu (Mt 11,2—6/Lk 7,18-23) Die literarische Gestalt Die Rezeption des Überlieferungsstückes in der Gemeinde der Logienquelle Das Bild des Täufers Das Urteil Jesu über den Täufer (Mt 11,7-11/Lk 7 , 2 4 - 2 8 ) Der synoptische Vergleich Traditionsgeschichtliche Analyse Die Botschaft des Bezugswortes Mt l l , 7 - 9 [ 1 0 ] / L k 7 , 2 4 - 2 6 [27] Die Botschaft des Kommentarwortes Mt 11,11/Lk 7,28 Johannes der Täufer — seine Stellung zwischen »Alt und Neu« (Mt 11,12—13/Lk 16,16) Das Gleichnis von den spielenden Kindern — Johannes und Jesus im Urteil der Menschen (Mt 11,16-19/Lk 7 , 3 1 - 3 5 ) Die literarische Gestalt Die Traditionsgeschichte des Textes Das Gleichnis (Mt 11,16 f./Lk 7,31 f.) Das Kommentarwort (Mt 11,18.19 a.b/Lk 7,33 f.) Die Absicht der Redaktion Abschließende Überlegungen zum Täuferabschnitt (Mt 11,2-19/Lk 7 , 1 8 - 3 5 ) Das Täuferbild der Logienquelle

2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5. 2.4. 3.

III. Johannes der Täufer in der Lukasredaktion 1. Lukas und die Elija-Typologie 1.1. Der Vergleich von Markus und Lukas 1.2. Der Vergleich der Logienquelle mit Lukas 1.3. Elija im Sondergut des Lukas (1,17.76; 4,25.26; 9,54 [v.l.] . . 2. Das Auftreten und die Predigt des Täufers im Verständnis der Lukasredaktion ( 3 , 1 - 1 8 ) 2.1. Johannes und das Evangelium 2.2. Die Vorlage des lukanischen Täuferberichtes 2.3. Die Gerichtspredigt des Täufers (3,7-9.17) 2.4. Die Standespredigt des Täufers ( 3 , 1 0 - 1 4 ) 2.5. Das Wort von der Wasser- und Geist-/Feuertaufe (3,16) . . . 2.6. Zusammenfassung 3. Der Täufer tritt ab, bevor Jesus getauft wird (3,19 f.) 4. Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers in der Darstellung des Lukas ( 7 , 1 8 - 3 5 )

55 56 56 58 59 60 60 61 62 62 63 72 72 73 75 75 76 77 79 81 81 81 84 87 88 88 89 91 93 98 99 100 102

Inhaltsverzeichnis

4.1. 4.2. 4.3. 5. 6. 7.

Der Rückverweis auf die messianischen Wunder Jesu (7,21) Die »frommen« Sünder und die »unfrommen« Gerechten (7,29 f.) Das Wort vom Brot- und Weinverzicht des Täufers (7,33 f.) Das Täufergebet (11,1) Die Stellung des Täufers »zwischen den Zeiten« nach 16,16 Das Täuferbild des Lukas

XI

102 103 105 105 107 110

IV. Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung . . 1. Aufbau und Struktur der lukanischen Kindheitserzählung . . 2. Überlegungen zur Täuferlegende 2.1. Sprache und Stil 2.2. Der kulturelle Hintergrund 2.3. Inhaltliche Motive 2.4. Das prophetische Täuferbild 3. Die Lieder 3.1. Das Magnificat (1,46-55) - ein Danklied der Elisabet? . . . 3.2. Das Benedictus des Zacharias (1,67 — 79) 3.2.1. Die literarische Vorgeschichte des Benedictus — Hypothesen 3.2.2. Das Benedictus — ein Täuferlied im Vorfeld des Christusglaubens 4. Die literarische Gestalt und Gattung der Täufererzählung . . 4.1. Die literarische Gestalt 4.2. Die literarische Gattung

134 136 136 138

V. Johannes der Täufer in der Apostelgeschichte

140

1. 2. 3.

4.

5. 6. 6.1 6.2. 7.

Das Wort des Auferstandenen von der Wasser- und Geisttaufe (1,5) Das Petruswort von der Wasser- und Geisttaufe (11,16) . . . Das Petruswort über das apostolische Zeugnis, welches die Zeit von der Taufe des Johannes bis zur Aufnahme Jesu in den Himmel umfaßt (1,22) Das Petruswort anläßlich der Taufe des Cornelius über die Zeit des Heilswirkens Gottes von der Taufe des Johannes bis zur Auferweckung Jesu (10,37) Johannes der Täufer in der Predigt des Paulus im pisidischen Antiochien (13,24 f.) Täuferschüler in Ephesus und die Geisttaufe (18,24—28; 19,1-7) Die Rolle der Täuferschüler im Geschichtswerk des Lukas . Die Täuferschüler in der Geschichte der Urkirche Das Täuferbild der Apostelgeschichte

113 113 116 118 120 122 125 127 127 131 132

140 142

143

144 145 147 148 151 153

Inhaltsverzeichnis

XII

VI. Johannes der Täufer in der Matthäusredaktion 1. Das Auftreten und die Predigt des Täufers (3,1 —12) 1.1. Das Auftreten des Täufers (V. 1—6) — literarischer und theologischer Vergleich mit Mk 1,2 — 6 1.1.1. Die Matthäusredaktion 1.1.2. Theologische Tendenzen 1.2. Die Predigt des Täufers (V. 7 - 1 2 ) 1.2.1. Die Gerichtspredigt (V. 7 - 1 0 . 1 2 ) 1.2.2. Das Wort vom Geist- und Feuertäufer und vom kommenden Stärkeren (V. 11) 1.2.3 Zusammenfassung 2. Die Taufe Jesu (3,13-17) 2.1. Die matthäisch-redaktionelle Interpretation der Markusvorlage 2.2. Theologischer Ertrag 3. Die Auslieferung des Johannes (4,12) 4. Die Fastenfrage (9,14-17) 5. Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers in der Darstellung des Matthäus (11,2—19) 5.1. Die Täuferanfrage und die Antwort Jesu (11,2—6) 5.2. Das Urteil Jesu über den Täufer (11,7-11) 5.3. Der Stürmerspruch und Johannes der Täufer (11,12—13[14.15]) 5.4. Das Gleichnis von den spielenden Kindern (11,16 — 19) . . . . 5.5. Zusammenfassung 6. Die Enthauptung des Johannes (14,3 — 12) 6.1. Der Vergleich mit dem Markusbericht 6.2. Die theologische Gestaltung des Matthäus 6.3. Die Todesmeldung der Johannes)ünger — Eine chronologische oder theologische Einblendung? 6.4. Zusammenfassung 7. Der Täufer und Elija (17,10-13) 8. Die Frage nach der Vollmacht Jesu (21,23-27) 9. Das Gleichnis von den beiden Söhnen — Der Unglaube der Juden gegenüber den Boten Jesus und Johannes der Täufer (21,28-32) 10. Das Täuferbild des Matthäus

155 155 155 156 156 158 158 159 161 162 162 164 164 165 167 167 168 169 170 172 173 173 175 176 177 177 179 179 182

VII. Johannes der Täufer im vierten Evangelium

186

1. 1.1. 1.2. 1.3.

186 187 191 195

Der Täufer im Polemik gegen Der Täufer als Der Täufer —

Prolog (1,6-8.15) die Täufersekte? Christuszeuge seine Funktion im Prolog

Inhaltsverzeichnis

2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 4.

Der Täufer im Evangelium Das Zeugnis des Johannes am Anfang des Evangeliums (1,19-51) Das Zeugnis des Johannes vor den Priestern und Leviten (1,19-28) Das Zeugnis des Johannes vor dem erwählten Gottesvolk (1,29-34) Das Zeugnis des Johannes vor den Jüngern (1,35 — 39) . . . . Zusammenfassung Jesus und der Täufer am Jordan (3,22 — 4,3) Worte Jesu über das Zeugnis des Johannes (5,31—47) Das Zeugnis des Johannes für Jesus und die Bekehrung vieler (10,40-42) Polemik, Apologetik und die christologischen Hintergründe des johanneischen Täuferbildes Das Täuferbild des vierten Evangeliums

VIII. Johannes der Täufer im Zeugnis der frühen Kirchenschriftsteller 1. Das Täuferbild der neutestamentlichen Apokryphen 1.1 Das Täuferbild der judenchristlichen Evangelien 1.1.1. Angaben zur Person, zum Auftreten und zur Lebensweise des Täufers 1.1.2. Die Taufe Jesu durch Johannes 1.1.3. Ein spätes Zeugnis der judenchristlichen Täuferspekulationen bei den Ophiten? 1.1.4. Zusammenfassung 1.2. Das Täuferbild in der christlich-gnostischen Literatur 1.2.1. Das Täuferbild des Thomas-Evangeliums 1.2.2. Weitere Täuferbezüge in den Nag Hammadi Texten und in der christlichen Gnosis 1.2.3. Das Täuferbild der Pistis Sophia 1.3. Das Täuferbild der apokryphen Kindheitsevangelien 1.3.1. Das Täuferbild im Protevangelium des Jakobus 1.3.2. Das Täuferbild des Nikodemus-Evangeliums 1.4. Zusammenfassung 2. Das Täuferbild der Kirchenväter 2.1. Die aszetischen Lebensformen und der Ort des Auftretens . 2.2. Die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden 2.3. Die Taufe Jesu durch Johannes 2.4. Die Anfrage des Täufers 2.5. Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers 2.6. Zusammenfassung

XIII

196 198 198 202 205 206 206 210 211 212 215

217 217 218 219 220 223 223 223 224 228 232 237 237 239 240 242 242 244 246 249 250 252

XIV

Inhaltsverzeichnis

IX. Johannes der Täufer in der Darstellung des Flavius Josephus und der darauf bezugnehmenden Literatur 1. 2. 3.

Johannes der Täufer in der Darstellung des Flavius Josephus Johannes der Täufer in der Darstellung des slavischen Josephus Das Täuferbild des Robert Eisler

2. KAPITEL: JOHANNES DER TÄUFER -

1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 2. 2.1. 2.2. 3. 3.1. 3.2. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6. 4.7. 5. 5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4. 5.1.5.

253 253 258 261

PERSÖNLICHKEIT UND GESCHICHTE

Herkunft, Geburt, Kindheit und Jugend Johannes des Täufers Die Abstammung des Johannes aus priesterlichem Geschlecht Der Zeitpunkt der Geburt des Johannes (Lk 1,36) Der Geburtsort des Johannes (Lk 1,39) Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Müttern Jesu und des Johannes Der Wüstenaufenthalt des Johannes vor dem Auftreten in der Öffentlichkeit (Lk 1,80) Die Orte des öffentlichen Auftretens des Johannes: die Wüste und der Jordan Wüste und Jordan: theologische Bedeutung Wüste und Jordan: geographische Bestimmung Die Kleidung und Nahrung des Täufers Die Kleidung des Täufers Die Nahrung des Täufers Der Prophet Johannes War Johannes ein apokalyptischer Prophet? War Johannes ein prophetischer Visionär? War Johannes ein »messianischer Prophet«? War Johannes der prophetische Gerichtsbote Elija? War Johannes der Prophet wie Mose? War Johannes ein prophetischer Charismatiker? Johannes — der Prophet Gottes Die Predigt des Propheten Johannes Die Gerichtspredigt (Mt 3,7-10.12/Lk 3 , 7 - 9 . 1 7 ) Warnung vor dem Zorngericht (Mt 3,7-9/Lk 3 , 7 - 8 ) Das Bild von der Axt und dem Baum (Mt 3,10/Lk 3,9) Das Bild von der Spreu und dem Weizen (Mt 3,12/Lk 3,17) Die Ankündigung des kommenden Stärkeren (Gottes), der mit Geist und Feuer taufen wird (Mk 1,7 f./Mt 3,11/Lk 3,16) Zusammenfassung

268 269 272 274 275 276 278 278 280 284 284 286 290 291 292 294 295 297 298 299 300 300 300 302 303 305 308

Inhaltsverzeichnis

5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.4. 5.5. 6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.4.1. 6.4.2. 6.4.3. 6.4.4. 6.4.5. 6.4.6. 6.4.7. 7.

Der Aufruf zur Umkehr im Zusammenhang mit dem Taufempfang (Mt 3,8/Lk 3,8; vgl. Mt 3,11; Mk 1,4/Lk 3,3; vgl. Mt 3,2) Die ethischen Weisungen Die Standespredigt (Lk 3 , 1 0 - 1 4 ) Der Herodestadel (Mk 6,18/Mt 14,4 vgl. Lk 3,19) Johannes und der Kommende — Die Anfrage aus dem Gefängnis (Mt 11,2 f./Lk 7,18 f.) Zusammenfassung Die Taufe des Johannes Die alttestamentlich-jüdischen Waschungen Das jüdische Proselytentauchbad Die Tauchbäder der Qumrangemeinde Das Spezifische der Johannestaufe Die Taufe mit Wasser Die prophetisch-eschatologische Ausrichtung der Johannestaufe Taufe und Verkündigung Taufe, Umkehr und Sündenvergebung Die Empfänger der Taufe Johannes, der Täufer Jesu Was ist und was bewirkte die Taufe des Johannes? Gefangenschaft und Tod des Täufers

XV

309 312 312 313 315 319 320 320 322 325 330 331 332 333 334 336 337 339 340

3. KAPITEL: NACHGESCHICHTE JOHANNES DES TÄUFERS IN DER TÄUFERSCHULE UND IN DEN TÄUFERSEKTEN

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Die Jünger des Johannes — Hat der Täufer eine Schule gegründet? Die Täuferschüler nach dem Tod des Johannes Die Zeit des Zusammengehens von Jesus- und Johannesjüngern Täuferschüler auf dem Wege zur Täufersekte Spuren der Täufersekte in den Pseudoclementinen Spuren der Täufersekte bei den frühchristlichen Schriftstellern Die Täufersekte und die Mandäer Zusammenfassung

349 352 356 359 363 369 372 383

Schlußwort

385

Quellen

389

Literaturverzeichnis

391

Register

402

1. Kapitel Johannes der Täufer in der Verkündigung des Neuen Testamentes und in der Darstellung der frühchristlichen und jüdischen Literatur

Unser Interesse richtet sich im ersten redaktionsgeschichtlichen Teil der Untersuchung auf die Täuferbilder des Neuen Testamentes und der frühchristlichen und jüdischen Literatur. An erster Stelle stehen die synoptischen Evangelien des Markus, Matthäus und Lukas. Unter Voraussetzung der Zwei-Quellen-Theorie erhält darüber hinaus auch die Logienquelle, die neben Markus den Großevangelien als Basis diente, ihr Gewicht. Innerhalb des lukanischen Doppelwerkes fordern die Erzählung von der Kindheit des Täufers (Lk 1,5 — 80) und die Täuferreflexionen der Apostelgeschichte eine besondere Beachtung. Das vierte Evangelium ist mit dem Bild von Johannes, dem Zeugen für Christus, der Höhepunkt einer variantenreichen Entwicklungsgeschichte. Die Täuferdarstellung der Väter und der neutestamentlichen Apokryphen ist unter dem Gesichtspunkt des Übergangs zum kirchlichen Dogma und zur volkstümlichen Heiligenverehrung von besonderem Interesse, die jüdischen Zeugnisse bieten ein Kontrastprogramm. Die Gliederung dieses ersten Kapitels der Studie hält sich an die angedeuteten literarischen Dokumente bzw. vorliterarischen Traditionsschichten. Es ergibt sich folgender Aufbau: I. Johannes der Täufer in der Markusredaktion. II. Johannes der Täufer in der Logienquelle. III. Johannes der Täufer in der Lukasredaktion. IV. Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung. V. Johannes der Täufer in der Apostelgeschichte. VI. Johannes der Täufer in der Matthäusredaktion. VII. Johannes der Täufer im vierten Evangelium. VIII. Johannes der Täufer im Zeugnis der frühen Kirchenschriftsteller. IX. Johannes der Täufer in der jüdischen Literatur.

I. Johannes der Täufer in der Markusredaktion Johannes der Täufer wird von Markus auf den ersten Blick nur nebenbei und in Randglossen erwähnt; von vornherein darf jedoch vermutet werden, daß der Name des bedeutenden Zeitgenossen Jesu nicht zufällig im Evangelium von Jesus Christus steht. Der Prolog 1,1 — 15 setzt erste Akzente in der Täuferüberlieferung (1,2—8), in dem Bericht über die Taufe Jesu durch Johannes (1,9 — 11) und in dem knappen Hinweis auf die Gefangennahme zu Beginn des Summariums der Predigt Jesu (l,14f.). Eine indirekte Bemerkung findet sich in der Notiz vom Fasten der Täuferjünger und der davon abweichenden Praxis der Jünger Jesu (2,18 f.). Die Identifizierung Jesu mit dem »Joannes redivivus« in der Meinung des Volkes (6,14 f.; 8,27 f.) darf als Hinweis auf Gemeinsamkeiten und Ubereinstimmungen im Erscheinungsbild verstanden werden. Die novellistische Enthauptungserzählung (6,17 — 29) vereinnahmt den Täufer für das christologische Passionsthema, das unter dem Vorzeichen des Elias redivivus beim Abstieg vom Berg der Verklärung (9,11 — 13) noch einmal thematisiert ist. In dem Streitgespräch über die Vollmacht Jesu (11,27 — 33) ist nur noch nebenbei vom Täufer die Rede; die hohe Legitimation der Johannestaufe ist jetzt das Thema. Die Täufergeschichte, nur ein Nebenthema des Markus, ist immerhin doch so wichtig, daß sie zum Grundbestand des christologischen Hauptthemas gehört. Eine Antwort auf die Frage nach den markinisch-redaktionellen Leitlinien und einer besonderen Täuferkonzeption kann erst nach den falligen Einzelanalysen gegeben werden. 1. Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 ) Markus hat Teile seiner Täufertradition in dem programmatischen Prolog 1,1 —151 verarbeitet. Für das richtige Verständnis sind die Fragen der literarischen Vorgeschichte 2 und der Redaktionsarbeit 3 nicht unerheblich, wir werden deshalb zu Beginn auf die Quellenanalyse kurz eingehen 1

2 3

Vgl. G. Dautzenberg, Die Zeit, in: BZ 21 (1977) 2 1 9 - 2 3 4 ; 22 (1978) 7 6 - 9 1 . R. Pesch, Anfang 108—144. Dort weitere Literaturangaben. G. Dautzenberg, Die Zeit, in: BZ 21 (1977) 2 2 5 - 2 3 1 ; R. Pesch, Anfang 1 3 7 - 1 4 4 . R. Pesch, Anfang 116—123.140 f.: Für die Zusammenstellung der vor-markinischen Tradition ist ein Redaktor (vor Mk!), der judenchristliches Material im Interesse der hellenistischen Missionskirche bearbeitet, verantwortlich.

Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 )

5

müssen. Markus hat den Täufer Johannes an den Anfang gestellt 4 , um aufzuzeigen, daß das Evangelium Jesu Christi eine Vorgeschichte hat. Der Evangelist bedient sich zu diesem Zweck der literarischen »Schachteltechnik« 5 , welche ein zeitliches Nacheinander der Geschichte des Täufers und Jesu bei gleichzeitiger qualitativer Zuordnung zum rahmenden und inkludierenden Leitbegriff »Evangelium« ermöglichte 6 . Achtet man auf die von Markus eingebrachten Begriffe »Anfang« (1,1) und »Ausliefern« (1,14), so zeigt sich, daß die christologischen Eckwerte des Evangeliums in der gerafften Darstellung der Täufertätigkeit vom Beginn seines Auftretens an bis hin zu seinem Lebensende präsent sind. Johannes wird am Anfang des Evangeliums programmatisch als der Prototyp Jesu vorgestellt. 1.1. Die Täuferüberlieferung (V. 2 - 8 ) Die literarische Analyse des Abschnitts, die Einblick in die Wachstumsgeschichte und Struktur des Textes vermitteln soll, ist wegen der seltsam abrupten und zusammenhanglosen Erzählweise 7 wenig ermutigend. Einige Exegeten denken an ein in sich geschlossenes älteres Überlieferungsstück, welches den ganzen Abschnitt V. 2 —8 umfaßte 8 ; andere vermuten hinter V. 4—5 einen biographischen Kurztext 9 , der redaktionell von Markus übernommen und unter den übergeordneten theologischen Leitgedanken des Evangeliums gestellt wurde, oder — noch komplizierter — man rekonstruiert verschiedene Traditionsstränge: a) eine Erzählung von dem Wüstenprediger; b) eine »Erzählung von dem Jordantäufer« 10 bzw. zwei zeitlich aufeinanderfolgende Redaktionen einer vorausgehenden 4

5 6

7 8

9

10

Zur Frage nach den leitenden Motiven für die Einordnung des Täufers in den Prolog vgl. J. Ernst, Wie kommt der Täufer 1 6 3 - 1 8 2 . Vgl. G. Dautzenberg, Die Zeit, in: BZ 21 (1977) 228. Anders W. Marxsen, Markus 26: »Aber diese Anordnung soll nun keineswegs ein zeitliches Nacheinander zum Ausdruck bringen.« »Die Verknüpfung geschieht unter sachlichen, d. h. unter theologischen, streng genommen unter christologischen Gesichtspunkten« (a. a. O. 25). E. Lohmeyer, Überlieferung 301. Ders., Johannes der Täufer 13. E. Lohmeyer, Markus 10; vgl. E Hahn, Hoheitstitel 378: »Deshalb wird man mit einem überkommenen, von Mk im wesentlichen unverändert aufgegriffenen Überlieferungsstück zu rechnen haben.« Freilich: Wo liegen die Übergänge zwischen Überlieferung und Verarbeitung? W. Marxsen, Markus 21 : »Danach dürfte die Markus-Vorlage zu V 4 gelautet haben: καί έγέυετο 'Ιωάννης ό βατττίζων κηρύσσων β ά π τ ι σ μ α ... Zu übersetzen wäre entweder semitisch: Und es trat auf Johannes, der eine Taufe verkündigte ..., bzw. (έγένετο in umschreibender Konjugation): Und Johannes begann, indem er eine Taufe verkündigte ... Jetzt schließt sich V 5 ohne Schwierigkeiten an. Man geht nicht zu Johannes hinaus in die Wüste zur Taufe, sondern an den Jordan.« K. L. Schmidt, Rahmen 21.

6

Johannes der Täufer in der Markusredaktion

Tradition11. Man sieht: Eine überzeugende Erklärung der Vorgeschichte ist nicht leicht. Erste Hinweise auf eine mögliche literarische Bearbeitung ergeben sich aus auffalligen Einleitungs- bzw. Übergangswendungen, die jeweils einen neuen Unterabschnitt zu erkennen geben: V. 2 leitet mit der Formel καθώς γέγραπται das Schriftzitat V. 2 f. ein. V. 4 bietet mit der feierlichen Einführungsformel εγένετο einen biographischen Kurzbericht (V. 4—6); V. 7 führt mit der Wendung καί έκήρυσσεν λέγων weiter zu einer knappen Zusammenfassung der Täuferpredigt (V. 7 — 8). Wir konstatieren vorerst den sprachlich-stilistischen Befund; unser Interesse richtet sich aber auch auf die markinisch-redaktionellen Eingriffe, die etwas über das theologische Verständnis des Evangelisten aussagen können. 1.1.1. Der Kurzbericht über die Tätigkeit des Täufers (V. 4—6) Die Einführungsfloskel εγένετο Ιωάννης ist mehrdeutig12, a) Als literarische Klammer in der Bedeutung von »wie folgt« o. ä. kann sie die Erfüllung des vorausgehenden Prophetenzitats (V. 2 f.) einführen. Die Wüste (V. 4) und die absonderliche Kleidung und die Speise (V. 6) erhalten einen symbolischen Sinn. Markus illustriert am Beispiel des Johannes erzählend das Dogma des Elias redivivus. Was immer vom Täufer »erzählt« wird, muß auf den in V. 2 f. genannten Boten und Wegbereiter bezogen werden. Der Prediger (κηρύσσων) ist kein anderer als jene Stimme, die in der Wüste laut ruft und zur Wegbereitung für den ankommenden Kyrios auffordert (V. 3). Geschichtliches ist von der Verkündigung absorbiert worden 13 . 11

R. Pesch, Anfang 122 f.: »Sehen wir recht, so finden sich in der vormarkinischen Täuferüberlieferung (Mk 1,2 — 8) zwei verschiedene Traditionsstränge (Vv. 2a.3—6; 7 — 8), deren erster bei ihrer Zusammenfügung redaktionell erweitert (V. 2 ab) und bearbeitet (V. 3) wurde, deren zweiter wahrscheinlich im Blick auf diese Zusammenfügung redigiert worden ist. Das Material spiegelt noch verschiedene Traditionsstufen, von Täuferüberlieferung zu christlich, auf Jesus bezogen gedeuteter Täuferüberlieferung. Das Gefalle der vormarkinisch redaktionellen Interpretation zielt auf die Ankunft Jesu.«

12

Vgl. E. Lohmeyer, Markus 12 Anm. 4; W. Marxsen, Markus 19 f. K. L. Schmidt, Rahmen 22: »Denn bei genauerem Zusehen stellt sich das, was von der Wüste gesagt ist (V. 4: êv τ ή έρήμω, V. 6: Beschreibung der Lebensweise des Täufers), als eine Auswirkung dar, die aus dem Prophetenzitat V. 2f. erwachsen ist... Der, der das Wüstenmotiv in die Erzählung hineingebracht hat, dachte nicht an irgendeine bestimmte Wüste ..., sondern ihm schwebte ein grandioses Bild der wüsten Einsamkeit vor. Und darauf legte er einen gewissen Nachdruck.« Vgl. auch R. Bultmann, Geschichte 261 f. W. Marxsen, Markus 22: »... aber für diese Stelle muß doch festgehalten werden, daß Markus eine an sich geographische Angabe nicht, wie man zunächst vermuten würde, in geographischer, sondern in theologischer Absicht benutzt.« Zur redaktionellen Eintragung des Verkündigungsmotivs vgl. J. Gnilka, Markus 1,42: »Markus hat wahrscheinlich sein Vorzugswort κηρύσσων in 4 eingefügt und das Partizip βαπττίζων mit einem Artikel versehen und damit zu einer Apposition gemacht.«

13

Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 )

7

b) Unter Voraussetzung eines sprachlichen Semitismus oder einer Conjugado periphrastica kann die Wendung έγένετο Ιωάννης den Anfang eines Ereignisses markieren 14 : » E s trat Johannes auf ...«. Die geschichtlichen, biographischen und geographischen Gesichtspunkte treten stärker in den Vordergrund. Die Wüste hat einen Namen und einen Platz auf der Landkarte, Johannes hat dort wirklich gepredigt und getauft, die Menschen sind von ganz Judäa und Jerusalem dorthin geeilt, Johannes ist in einer auf den zivilisierten Städter seltsam wirkenden Kleidung aufgetreten. Markus hat mit wenigen Strichen den Täufer Johannes porträtiert oder aus der Überlieferung knappe Angaben zur Person übernommen. Für beide Positionen gibt es gute Argumente. Es ist die Frage, ob die von der modernen Formgeschichte entwickelten Alternativen »Botschaft« (Kerygma) — »Erzählung« mit ihrem Ausschließlichkeitsanspruch auf das Evangelium anwendbar sind. Die Einheit von Bericht und Verkündigung im Sinne der narrativen Theologie kennzeichnet das literarische Verfahren des Markus in seinem ganzen Werk und, wie zu vermuten, auch im Täuferabschnitt 1 5 . Der Begriff „Wüste" macht trotz der ungewöhnlichen, vom üblichen Sprachgebrauch ó έρημος τόπος 1 6 abweichenden Wendung ή έρημος eine geographische Aussage, die zur Lokalisierung der Täufertätigkeit dient 17 . Die Schwierigkeiten, welche sich aus dem sachlichen Widerspruch zwischen der wasserlosen Gegend und dem Tauchbad ergeben könnten,

14 15 16

Rehkopf-Blass-Debrunner § 354. R. Pesch, Markus 1,79, spricht richtig von einem »prophetisch gedeutete(n) Geschehen«. E. Lohmeyer, Markus 10 Anm. 1: »ή Ερημος viermal in 1,1 — 13; ό έρημος τόπος 1,35.45 6,31 f.35; ή ερημία 8,4. Das absolute έρημος begegnet auch in dem Liede Jesu über den Täufer (Mt 11,7).« Dagegen W. Marxsen, Markus 18 Anm. 3: »Mk 84 steht έρημία (wie par. Mt 1533); Mk 112.13 (also in einem doch wohl mindestens von l l —11 ursprünglich unabhängigen Traditionsstück) ebenfalls έρημος (vgl. parr. Mt 4i; Lk 4l). Dagegen steht έρημος τόττος als >typisch< für Markus höchstens 145. An den Stellen, an denen dieser Ausdruck sonst vorkommt, bringen ihn auch die beiden anderen Synoptiker: Mk 135 (par. Lk 442); Mk 631.32 (par. — nur für V 32 — Mt 1413). Die letzte von Lohmeyer ... genannte Stelle, Mk 635, kommt als Vergleich nicht in Frage, da hier gerade der τόπος betont als έρημος charakterisiert werden soll.«

17

M. Dibelius, Überlieferung 47: »Den Schlüssel zum Verständnis dieses Anfangs bietet das zweimalige έν τ η έρήμω: das Jesaiaswort sprach von der Stimme, die in der Wüste erschallen sollte ... der Erfüller jenes Wortes trat wirklich in der Wüste auf, d. h. in der >Araba am Jordandie Wüsten ist die Araba in der südlichen Jordansenke (wo auch Schilf wächst, vgl. Mt 11,7/ Lk 7,24!)« 20 . Man darf annehmen, daß Markus die Wüstentradition, die er in seiner Quelle vorgefunden hat, aufbewahrte und weiterreichte, zunächst aus einfachem historischem Interesse, dann aber auch — und dieser Gesichtspunkt ist für die anstehende Fragestellung wichtig — weil sie gut zu seinen theologischen Absichten gepaßt hat. »Because John was >in the wilderness< the Isaiah citation becomes relevant. In at least this case the historical tradition has determined the course which the scriptural prooffrom-prophecy has taken, and not the reverse.« 21 In der Sicht des Markus erhält die Wüste auch eine symbolische Bedeutung, wie das Prophetenzitat Jes 40,3 LXX zu erkennen gibt; der geographische Sinn behält jedoch den Vorzug. In der Kleidernotiz (V. 6: Johannes war angetan mit Kamelhaaren und hatte einen ledernen Gurt um seine Lende) könnte der lederne Gurt an Elija erinnern (2 Kön 1,8; Sach 13,4; vgl. Ase Jes 2,10 —12; 1 Clem 17,1), aber die Typologie ist so vage und allgemein 22 , daß sie zur Erklärung kaum ausreicht. Anklänge an die prophetische Standestracht (die Bekleidung mit »tierischem Material«) bzw. Einflüsse aus der Kleiderordnung des orthodoxen Judentums 23 führen auf die richtige Spur. Markus hat das Prophetenmotiv, das möglicherweise in Erinnerung an den Propheten Elija mitschwang, noch einmal im Blick auf den aszetischen Lebensstil des Johannes, auf das nachfolgende Predigtstück vom kommenden Stärkeren (V. 7 f.) und im Rückblick auf das vorgeschaltete Prophetenzitat (V. 2 f.) 18 19 20 21 22 23

Vertreter dieser Auffassung bei R. Pesch, Anfang 114 Anm. 20. So K. L. Schmidt, Rahmen 21 f. R. Pesch, Anfang 114. W. Wink, John the Baptist 5. Vgl. Kap. 2.3.1. dieser Arbeit. O. Böcher, Johannes der Täufer 49: »Die Bekleidung mit dem Mantel aus tierischem Material (2 Kön. 1,8; vgl. noch Mt. 7,15) ist prophetische Standestracht (1 Kön. 19,13.19; 2 Kön. 2,8.13 f.LXX; Sach. 13,4). Der Ledergürtel, Kleidungsstück sowohl Elias (2 Kön. 1,8) wie des Täufers (Mt. 3,4 par. Mk. 1,6), wird vom orthodoxen Juden noch heute über dem Tallit getragen, um das Herz vom Verdauungstrakt zu trennen. Während die pflanzliche, weiße Kleidung des altjüdischen Asketen (Leinen, Baumwolle), bezeugt etwa für die Essener (Jos. Bell. 2 . 1 2 3 . 1 2 9 - 1 3 1 . 1 3 7 ; vgl. 1 QM 7 , 9 - 1 2 ) , Bannûs (Jos. Vit. 11) und den Herrenbruder Jakobus (Hegesipp bei Euseb. Hist. Eccl. II 23,6), an priesterliche Traditionen anknüpft (vgl. Ex. 28,39—43; Ez. 44,17—19 u. ö.), spricht aus dem tierischen, dunklen Gewand des Täufers ein prophetisches Selbstverständnis, das den Mantel Elias und Elisas ebenso einschließt wie den Saq der Propheten von Mart. Jes. 2,10 und der beiden Zeugen von Apk. 11,3.«

Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 )

9

neu akzentuiert. Aber nicht die Einzelstelle, sondern der weitere Rahmen läßt die kerygmatische Aussageabsicht aufscheinen. Die Angaben über Kleidung und Speise des Johannes erzählen also von den außergewöhnlichen Lebensformen eines Mannes, der um seine hohe Sendung wußte. Ob und in welchem Maße der Elias redivivus-Komplex mitschwingt, ist schwer zu sagen. Das Prophetenzitat Mal 3,1 in V. 2 hat diesen Gedanken nachträglich sicher nahegelegt. In der Vorlage, d. h. in dem von Markus übernommenen Traditionsstück aus den Kreisen der Täuferschüler, war das Prophetenbild bestimmend. Markus hat diesen Aspekt für so wichtig gehalten, daß er ihn — im Rahmen des kurzen Traditionsstückes — seinen Lesern als Kennmarke des Johannes vor Augen stellt. Das für den Täufer auffällige »Verkündigen« (V. 4 vgl. V. 7) muß ähnlich doppelbödig gelesen und verstanden werden: Die Tradition hat das Wort κηρύσσειν abgeflacht im Sinne der Prophetenpredigt (Jes 61,1; Hos 5,8; Joël 1,14; 2,1.15; 4,9; Mi 3,5; Zef 3,14; Sach 9,9) gebraucht, zugleich aber auch die Nähe zum Evangelium bzw. zum Freudenboten des Deuterojesaja (61,l) 2 4 zum Ausdruck bringen wollen. Markus mag dann von sich aus die von V. 1 abzuleitende Vorstellung vom Anfang des Evangeliums mitgehört haben. Auch hier zeigt sich also die weitgehende Traditionsgebundenheit des Abschnitts. Die sekundären Einblendungen der Redaktion können nur aus größeren Zusammenhängen erschlossen werden. Der ungewöhnliche Ausdruck κηρύσσειν βάπτισμα ist kaum ein sprachliches Argument gegen die Tauftätigkeit des Johannes bzw. Hinweis auf eine durch die christliche Praxis geprägte Formulierung 25 . Der Erzähler wollte wohl einfach die Predigttätigkeit neben dem Taufbad gebührend hervorheben 26 . Bedenken gegen die Notiz über die Sündennachlassung bzw. die Annahme einer sekundären (markinischen?) Eintragung 27 sind unbegründet. Die Sprödigkeit der ganzen Wendung im Rahmen der markinischen Theologie 28 spricht geradezu für eine »feste Bezeichnung für die 24

E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 46: »So scheint sich auf den Täufer der Schimmer jener heiligen eschatologischen Gestalt zu legen; aber er umgibt ihn auch nur wie mit wenigen andeutenden Strahlen. Kein deutliches Wort fallt, und dies Bild des Frohboten bleibt wie im Ungewissen. Diese Undeutlichkeit scheint, wie sich noch oft bestätigen wird, zur Überlieferung vom Täufer zu gehören, vielleicht auch zu seiner Gestalt.«

25

Vgl. hierzu R. Pesch, Anfang 113 Anm. 19. Dort Verweis auf W. Michaelis, Johannestaufe

26

F. Hahn, Hoheitstitel 378: »... die ungewöhnliche Wendung κηρύσσειν βάπτισμα soll

8 1 - 1 2 0 , und H.Thyen, ΒΑΠΤΙΣΜΑ ΜΕΤΑΝΟΙΑΣ 97 Anm. 3. die Funktion als Verkündiger unterstreichen.« Vgl. die Septuaginta-Formulierung κηρύσσειν νηστείαν 2 Chr 20,3; Jona 3,5. 27

M. Dibelius, Überlieferung 58.

28

H.Thyen, Studien 132 Anm. 1: »Gerade wegen der Tendenz, den Täufer zum Vorläufer Jesu zu machen, und den dahinter stehenden Auseinandersetzungen mit der Täuferge-

10

Johannes der Täufer in der Markusredaktion

Johannestaufe«. Über den Sinn, den der Täufer selbst in seine Predigt der Umkehr zur Nachlassung der Sünden hineingelegt hat, muß hier nicht gehandelt werden. Johannes appelliert an die Volksscharen, sich zu bekehren und dies durch den Empfang der Taufe zu dokumentieren. Die Nachlassung der Sünden ist eine Verheißung für den Gerichtstag, aber sie wird jetzt schon im Vorgriff — in der Taufe — erfahrbar. Der kurze Überblick zu V. 4—6 hat ergeben, daß es sich um ein von Markus übernommenes, in seinem Grundbestand kaum verändertes Traditionsstück mit einer vielleicht noch weiter zurückliegenden Traditionsgeschichte 29 handelt. Die redaktionelle Tätigkeit zeigt sich nicht in nachträglich eingearbeiteten Motiven, sondern vielmehr in den rahmenden Ergänzungen, die den Sinn der Geschichte aufzeigen. Zu nennen sind hier das Schriftzitat V. 2 f., welches den Verkündigungs- und Wegbereitungsanspruch unterstreicht, und die Unterstellung unter die Überschrift: άρχή τ ο υ ευαγγελίου Ι η σ ο ύ Χρίστου (V. 1), welche den Vorläufergedanken hervorhebt. Daß der Täufer an den Anfang des Evangeliums gehört, ist zwar kein markinisches Spezifikum, aber möglicherweise von Markus als erstem bewußtgemacht worden. Das insgesamt konservative Verfahren der markinischen Redaktion, die dem Bewahren mehr Gewicht gibt als der Veränderung, findet im Umgang mit der Traditionseinheit V. 4—6 eine deutliche Bestätigung 30 . 1.1.2. Das Prophetenzeugnis (V. 2.3) Markus hat den traditionellen Täuferbericht durch das vorgeschaltete Schriftzitat — eine »rückwärts gerichtete Prophetie« 31 — gedeutet und christologisch adaptiert. »Das Zitat will also von V. 4(ff) her mitverstanden sein; daß Johannes seine Taufe >verkündigtin der Wüste

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Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 )

15

senes Ganzes. Zwei Personen werden in bezug auf ihre unterschiedlichen Taufen miteinander verglichen.« 46 Es gibt also Gründe für die Annahme, daß die älteste Fassung nur den Taufvergleich, der im zweiten Teil die Gerichts- und Rettungstaufe reflektierte (V. 8), geboten hat. In einer ersten Traditionsphase ist das Wort vom Kommen des Stärkeren und das Bild vom Lösen der Schuhriemen (V. 7) vorgeschaltet und dem Taufwort zugeordnet worden. War am Anfang vom Kommen des Stärkeren im absoluten Sinne die Rede 47 , so wird jetzt durch den Bezug auf Jesus (er ist stärker als ich; er kommt nach mir) der Täufer christianisiert. Johannes ist jetzt der Geringere. Jesus, der Nachfolgende, d. h. nach semitischem Verständnis: der Untergeordnete, ist der Stärkere. Markus hat im Zuge der Verchristlichung den absolut gebrauchten Gottesnamen ό ισχυρότερος und die Wendung όττίσω μου zu einer Demutsäußerung des Täufers umfunktioniert 48 . »Es war ja nicht irgendein Stärkerer, den der Täufer angekündigt hatte, sondern eben der Jesus, den man als den auferstandenen und verherrlichten Herrn und Christus bekannte.« 49 Der ursprüngliche Gerichtsgedanke (Taufe mit Feuer) ist ganz zurückgetreten bzw. im Sinne der markinischen Konzeption auf die Parusie des Menschensohnes (Mk 13,25 f.) verschoben. Die Botschaft des Täufers konzentriert sich auf das im Auftreten des Messias Jesus erfahrene Heil. Das Wort vom Binden und Lösen der Schuhriemen unterstreicht die neue Orientierung. Markus oder seine Vorlage (und Q) hat ein bekanntes Bild, das auf den Dienst des nicht jüdischen Sklaven Bezug nimmt 50 , in den Spruch eingearbeitet und die Inferiorität des Täufers noch einmal kräftig herausgestellt. Im Taufspruch ist aus dem Aufruf zum Empfang der Wassertaufe als Symbol der Rettung in letzter Stunde ein Bekenntnis zu der Überlegenheit der christlichen Heilsordnung geworden: Das nur im Wasser vollzogene Zeichen des Johannes mußte der Geisttaufe weichen. Ob Markus mit der offenen 46

47

48

49 50

R. Laufen, Doppelüberlieferungen 98. So auch E. Arens, ΗΛΘΟΝ-Sayings 289; die Zuweisung der ΐσχυρότερο$-Aussage zur christologischen Reflexion ist allerdings wenig überzeugend. Der bestimmte Artikel vor ισχυρότερος ist eindeutig. Ph. Vielhauer, in: RGG 3III Sp. 805: »Er verkündigt das Kommen eines >Stärkerenmit Feuer taufen< (d h vernichten) wird. Diese mit keinem eschatologischen Titel benannte Gestalt ist offenbar ein transzendentes Wesen (zu >Stärke< als Göttlichkeitsprädikat vgl. Apk 5,12; 7,12), also nicht der davidische Messias, aber auch kaum der Menschensohn (die Wüstentypologie ist der Apokalyptik fremd); deutlich ist nur die Kennzeichnung als eschatologischer Weltrichter.« Vgl. zu Q = Mt 3,11/Lk 3,16. So auch W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 474 Anm. 3: »Von daher (Mk. 1.2: προ π ρ ο σ ώ π ο υ σου) fügt er dann Mk. 1.7 sein Vorzugswort ό π ί σ ω + Genitiv (5mal: Mt. 6: Lk. 5 + 2 ) als Wiederaufnahme ein und historisiert das dann berichtend im redaktionellen Mk. 1.14 (μετά + substantiviertem Infinitiv; vgl. 14.28).« R. Laufen, Doppelüberlieferungen 115. Strack-Billerbeck 1,121; A. Oepke, in: ThWNT V,311.

16

Johannes der Täufer in der Markusredaktion

Wendung ττνεύματι ά γ ί ω an das kirchliche Taufsakrament gedacht hat 51 , muß hier nicht entschieden werden. Wegen des Fehlens weiterer Hinweise im Evangelium halte ich es für wahrscheinlicher, daß er die allgemeine eschatologische Geistausgießung im Auge hatte. Anders als die Logienquelle hat das Markusevangelium das Feuermotiv völlig unterdrückt. Die Weglassung der unverständlichen Wendung ist für Markus, der noch nicht wie Lukas die pfingstliche Umbiegung reflektierte, durchaus verständlich. Bedenkenswert ist auch die Argumentation mit dem tatsächlichen NichtEintreffen des Feuergerichtes 52 . Markus hat ein altes Traditionsstück über die Gerichts- und Umkehrpredigt des Täufers (ερχεται ό ισχυρότερος ... εγώ β α π τ ί ζ ω υμάς ΰδατι, αυτός υμάς βαπτίσει έν πνεύματι [άγίω] και πυρί 5 3 ) entsprechend seiner leitenden Vorläufervorstellung an die übergeordnete Christusverkündigung angepaßt. Dem Abbau der strengen Eschatologie 5 4 entspricht eine konsequente Christologisierung mit den angedeuteten Tendenzen. 1.2. Die Taufe Jesu ( 1 , 9 - 1 1 ) Der Bericht über die Taufe Jesu nimmt im Rahmen des Prologs in bewußter sprachlicher Anpassung 5 5 die allgemeine Bemerkung über die Tauftätigkeit des Täufers (V. 4 f.) auf und skizziert damit hintergründig

51 52

So D. Lührmann, Markusevangelium 36. E. Schweizer, in: ThWNT VI,396. E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 84: »Die alte Verkürzung der evangelischen Uberlieferung ist aus urchristlichem Verständnis leicht zu begreifen: weil sie die Prophezeiung des Täufers auf Jesus deutet, in dessen Wirken nichts von einer Feuertaufe zu erblicken ist, beschränkt sie sich auf die Gabe des Geistes, die der urchristlichen Gemeinde durch seinen Tod und seine Auferstehung zuteil wurde.«

53

Ähnlich auch E. Lohmeyer, Überlieferung 311: »So läßt sich vielleicht auch die Geschichte dieses Wortes in allgemeinen Umrissen nachzeichnen. Am Anfang steht der weissagende Spruch des Täufers: εγώ βαπτίζω εν Οδατι αυτός βαπτίσει έν πνεύματι ccyíco και πυρί.« Die Rekonstruktion des Logions Mk 1,7: ό οπίσω μου ερχόμενο; έμπροσθεν μου γίγνεται (vgl. Joh 1,15) ist nach meiner Auffassung verfehlt (vgl. a. a. O. 315).

54

Vgl. J. Gnilka, Markus I, 48: »Wenn Markus die Feuertaufe streicht und die endzeitlicheschatologische Spitze der Täuferpredigt abbricht, so überläßt er ganz Jesus die Ansage der endzeitlichen Eschata (Kap. 13).«

55

έχένετο — και έγένετο; καί έβαπτίζοντο ΰπ' αυτού έν τ φ Ιορδάνη ποταμω — και έβαπτίσβη εις τόν Ίορδάνην ΰπό Ιωάννου. R. Pesch, Anfang 115, deutet die Taufszene unter Berufung auf sprachlich-stilistische Beobachtungen (traditioneller Anschluß mit biblizistischen Wendungen V. 9; absoluter Gebrauch von τό πνεύμα V. 10 gegen πνεύμα άγιον V. 8; artikelloser Gebrauch der Eigennamen Ιωάννη? und Ιησούς, was auf Ersterwähnung hindeuten soll; der Ortsname Ναζαρέτ; 'Ιορδάνης statt Ιορδάνης ποταμός V. 4) als vormarkinisches Traditionsstück; vgl. vorher schon K . L. Schmidt, Rahmen 29: »1,4—11 ist nicht in einem fluxus orationis niedergeschrieben, sondern zwei von Haus aus selbständige Perikopen sind hier von Mk ohne Kunst aneinander gefügt.« Gegentei-

Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 )

17

eine alltägliche Situation: Jesus kommt, wie viele andere, zum Jordan, um sich taufen zu lassen. Wir haben es mit einer historisch glaubhaften Information, die möglicherweise Rückschlüsse auf engere Kontakte mit der Täuferbewegung erlaubt, zu tun. Aber die geschichtlichen Verbindungen der beiden Gestalten Jesus und Johannes sind hier nicht das Problem. Von Interesse ist die Frage, wie der Evangelist Markus die dargestellte kurze Szene verstanden hat. Drei mit καί eingeleitete unverbundene Sätze erzählen in knappster Form die Tatsache der Taufe Jesu durch Johannes (V. 9) und deuten diese christologisch aus (V. 10.11). Das betont herausgestellte καί ευθύς 56 am Beginn von V. 10 markiert sprachlichstilistisch einen redaktionellen Eingriff, der die Taufszene von der apokalyptisch-haggadischen Inszenierung (gespaltener Himmel, herabschwebende Taube) und der christologischen Proklamation (συ έί ò υιός μου ό αγαπητός, iv σοι ευδόκησα) abhebt. Markus mag auf Traditionsgut aus der vormarkinischen christlichen Gemeinde zurückgegriffen haben, für sein besonderes Verständnis ist die Entflechtung und Verselbständigung der irdisch-diesseitigen und der himmlisch-jenseitigen Sphäre wichtig. Die Vision (εϊδεν) und die Audition (καί φωνή) sind ausschließlich auf Jesus bezogen. Versuche, den Täufer, von dem am Ende des Einleitungssatzes V. 9 im Zusammenhang mit der Taufspendung die Rede ist, zum Augenund Ohrenzeugen zu machen, scheitern an der grammatischen Struktur des Satzes57. »Die Stimme aus den Himmeln, die situationsgemäß ... Jesus allein anredet ..., ist als Gottes Stimme vorgestellt, nicht als eine an die Allgemeinheit adressierte BathQol.« 58 In der Darstellung des Markus ist der Täufer weder Zeuge noch apokalyptischer Offenbarer oder gar sakra-

lige Deutungen, welche an markinische Gestaltung des Abschnitts 1 , 4 — 1 4 (Wendling) oder 1,1 — 1 5 (v. Soden) denken, dort unter Anm. 2. Ähnlich auch E. Lohmeyer, Markus 20: »Es ist auch nicht unwichtig, daß in V. 9 die beiden Namen Jordan und Johannes ausdrücklich wiederholt sind. Sie beweisen nicht die ursprüngliche Selbständigkeit dieser Taufgeschichte, sondern bekräftigen, was vorher mit der geheimen Bedeutung erzählt war: Wie bisher, so hat auch hier der Täufer der at.lichen Verheißung und seiner göttlichen Berufung entsprechend gehandelt.« 56

Markinisches Vorzugswort, vgl. W. Larfeld, Die neutestamentlichen Evangelien nach

57

Vgl. die Überlegungen von R. Bultmann, Geschichte 264, und darauf Bezug nehmend

ihrer Eigenart und Abhängigkeit, Gütersloh 1925, 266. M. Goguel, Jean-Baptiste 144: Das εϊδεν bezieht sich nicht auf Johannes (so Bultmann), sondern allein auf Jesus. Die Himmelsstimme sei jedoch für alle vernehmbar gewesen. Objektive und subjektive Kategorien hätten sich vermischt. Vgl. aber A . Vögtle, Die sogenannte Taufperikope 138: »In der markinischen bzw. vormarkinischen Taufperikope war weder vorausgesetzt, daß Johannes Jesus kennt oder gar einen Sonderfall von Taufbewerber in ihm erblickt, noch ist Johannes an der Vision und Audition Jesu beteiligt ...". 58

R. Pesch, Markus I, 92.

18

Johannes der Täufer in der Markusredaktion

mentaler Vermittler59. Die antithetische Gegenüberstellung von Wasser (V. 10) bzw. Jordan (V. 9) und Geist (V. 10) will den unterschiedlichen Rang der Personen zum Ausdruck bringen. Wer der Wassertaufe des Johannes Geistvermittlung zuspricht, übersieht die leitende Intention des Markus, »Jesus überbietend von Johannes abzusetzen« 60 . Weil dem so ist, gibt es zwischen der Wassertaufe des Johannes und dem Sohn-Gottes-Sein Jesu auch keinen ursächlichen Zusammenhang. Der Täufer hat keine Messiasweihe vollzogen 61 , sondern die Bußtaufe gespendet. Im größeren Kontext des Prologs hat Markus diesen entscheidenden Gegensatz in der Täuferpredigt mit der Gegenüberstellung von gegenwärtiger Wassertaufe und zukünftiger Geisttaufe, die der nach Johannes kommende Stärkere spenden wird (1,7 f.), zum Ausdruck gebracht. Was dort angekündigt wurde, ist hier szenisch ausgeleuchtet. Die Funktion des Johannes als Vorläufer hat jetzt in der Zuordnung zum Sohn Gottes eine heilsgeschichtliche Präzisierung erhalten. Das Verhältnis zwischen Johannes und Jesus ist für Markus bei der Taufe von hoher Warte aus fixiert worden: Johannes gehört — obwohl am Anfang des Evangeliums stehend — doch noch nicht zum Evangelium von Jesus Christus, dem Sohne Gottes, er steht deshalb bei der Taufe noch im Abseits. Warum hat Markus aber dann die hohe übergeschichtliche Messiasproklamation und die Geistausstattung an die geschichtliche Taufe durch Johannes gebunden? Es mag sein, daß die Erhöhung des in der Wassertaufe Erniedrigten ein wichtiger gestalterischer Gesichtspunkt gewesen ist 62 ; denkbar ist auch eine gezielte Abwertung der Täuferbewegung durch die Gemeinde Jesu: Nicht der Täufer, sondern der Geistträger Jesus spendet die Taufe mit heiligem Geist. Die Geisterfahrung der christlichen Taufe wäre dann der entscheidende Auslöser gewesen. Markus oder die Tradition, 59

Die prophetischen Traditionen (Jes 44,3; E z 36,25—27 u. ö.), die mit Johannes wieder aufleben, könnten diesen Gedanken nahelegen. O. Böcher, Wasser und Geist 203: »Immerhin erhält Jesus mit der Johannestaufe den heiligen Geist (Mk 1,10 parr.; J o h 1,32; vgl. L k 4,1) — ein Faktum, das sich durch christliche Apologeten nicht so leicht hätte weginterpolieren lassen wie die Tatsache, daß Jesus sich einer Taufe zur Sündenvergebung unterzogen hatte (Mt 3,14 f.).« Aber merkwürdig bleibt doch die Beziehungslosigkeit von Taufe und Sohn-Gottes-Proklamation. D a s betonte σύ εΤ ò υιός μου ó άγοατητό; ist keine Zurückweisung eines täuferischen Messiasanspruchs, sondern Ausdruck des einzigartigen Vorrangs Jesu vor Johannes. Bedenkenswert ist der Hinweis von A . Vögtle, Die sogenannte Taufperikope 105—139, auf die apologetischen

Hintergründe

des

Spruches, näherhin auf die Verteidigung des Jesus zugesprochenen Messiastitels gegenüber den konkurrierenden Täuferjüngern. J . Gnilka, Markus I, 53, spricht von einer Identifikationsformel, die die Annahme einer gezielten Absetzung v o m Täufer überflüssig mache. 60

R. Pesch, Markus I, 92.

61

So aber R. Bultmann, Geschichte 264.

62

K . L. Schmidt, Rahmen 29.

Der Prolog ( 1 , 1 - 1 5 )

19

auf die er sich stützt, hätte — wenn diese Vermutung stimmt — die geschichtlich nicht faßbare Geistausstattung Jesu zwar mit der Taufe des Johannes aus apologetischen Gründen verbunden 63 , beide Vorgänge stehen jedoch beziehungslos nebeneinander. Johannes ist durch seine Wassertaufe vom Sohn Gottes, der mit heiligem Geist taufen wird, getrennt. Das Täuferbild des Markus ist durch eine gewisse Unausgeglichenheit gekennzeichnet. Markus zeigt Jesus in einèr deutlichen Abhängigkeit von Johannes — der Empfänger der Bußtaufe bekennt sich nicht nur zu der Umkehrforderung, er steht auch »hinter« dem Taufenden, vielleicht als einer, der dem Täufer als Schüler anfanglich nachgefolgt war. Die spätere polemische Vorordnung des Nachfolgenden im Johannesevangelium (Joh 1,15) könnte diesen Gedanken stützen. Die Taufszene liegt sachlich auf der gleichen Linie. Der Täufer tritt hinter dem Täufling zurück. Johannes weist hin auf den nach ihm kommenden Stärkeren (1,7), im Augenblick der Offenbarung der Gottessohnschaft (1,9 — 11) steht er abseits 64 . Die besondere heilsgeschichtliche Rolle des Täufers als Mann »zwischen den Zeiten« ist auch bei der Taufe nicht zu übersehen. Das »schon jetzt — aber noch nicht ganz« ist das Signum seines Auftretens. Innerhalb des Prologs beginnt mit der Taufperikope die Jesustradition, die als Überbietung der vorgeschalteten Täuferüberlieferung gesehen werden muß. Die Überlegenheit des »geliebten Sohnes« über den Taufspender war sicher ein leitendes Gestaltungsprinzip 65 . M. Dibelius sagt richtig: »die johanneische Bewegung mündet in die christliche; der Täufling des Johannes ist zugleich der Herr des Evangeliums.« 66

63

R. Bultmann, Geschichte 267, sieht den Anstoß »in der Auffassung von der Messiasweihe als Geistesbegabung (vgl. Act 4,27; 10,38), andrerseits in der Überzeugung ..., daß die Taufe den Geist verleiht (vgl. 1. K o r 6,11; 12,13; 2. K o r 1,22; Act 2,38 ...). Da diese Uberzeugung sich natürlich nicht auf die Johannes»Taufe beziehen konnte, auf die christliche m. E. aber erst auf hellenistischem Boden, so kann die Tauflegende erst hellenistischen Ursprungs sein.«

64

F. Lentzen-Deis, Taufe Jesu 38: »Aus dem Text ist nicht zu entnehmen, wie Johannes bei der Taufe mitwirkte.« »Jedenfalls sagt der Bericht über Jesu Taufe bei Mk und Mt, daß Johannes denselben Anteil an dieser Taufe hatte wie sonst beim Volke« (a. a. O. 38 A n m . 61).

65

Die Frage, ob die Täufertradition nach der Jesustradition oder umgekehrt die Jesustradition in Anlehnung an die Täufertradition gestaltet worden ist, ist schwer zu beantworten. Ich halte es für denkbar, daß der Name des Täufers im »Anfangsbericht« Jesu (1,9 — 11) für die vorgeschaltete Täufererzählung verantwortlich ist. Gleichzeitig würde sich allerdings eine gegenläuftige Tendenz zur Subordination des Johannes in der Tauferzählung ausgewirkt haben. Johannes hat seinen eigenständigen Platz in der Heilsgeschichte. Er ist der Vorläufer.

66

M. Dibelius, Überlieferung 59.

20

Johannes der Täufer in der Markusredaktion

1.3. Die Täuferdeutung in der markinischen Inklusionsformel (1,1.14 f.) Markus hat die im Prolog zusammengefaßten Traditionsstücke (prophetische Verheißung V. 2 f.; das Auftreten des Täufers V. 4 —8; Taufe Jesu V. 9 —11; Versuchung V. 12 f.) durch die Inklusionsformel V. 1.14 f. gerahmt und theologisch als »Anfang des Evangeliums Jesu Christi« gedeutet. Wie immer man auch das Verhältnis der beiden Begriffe »άρχή« und »εύαγγέλιον« 6 7 und die literarischen und theologischen Absichten des redigierenden Evangelisten 68 verstehen mag, — für die Position des Täufers ergeben sich Fragen: Das Evangelium beginnt mit dem Täufer (V. 1—3), obwohl es erst nach dem Täufer gepredigt wird (V. 14 f.). Johannes gehört schon dazu, und doch steht er noch nicht voll in der Zeit der Erfüllung. Wie ist dieses Problem des »einerseits-andererseits« vernünftig zu lösen? Der kritische Punkt ist wohl die Notiz über die Auslieferung des Täufers vor dem öffentlichen Auftreten Jesu im zweiten Teil der Inklusion, welche den Prolog abschließt (V. 14 f.). Unabhängig von der vieldiskutierten Frage nach der historischen Echtheit69 muß vor

67

68

69

Das Problem spitzt sich zu auf das Verständnis des Begriffs »Evangelium Jesu Christi« (V. 1) bzw. »Evangelium Gottes« (V. 14). Im Falle eines gen. obj. für V. 1 ist der Anfang jener Punkt, bis zu dem die aktuelle Verkündigung des Evangeliums zurückverfolgt werden kann. Möglich ist auch das Verständnis von άρχή als »Vorgeschichte« bzw. »Anfang und Grundlage der Geschichte Jesu«. Schwierigkeiten bereitet bei dieser Deutung das Verständnis von »Evangelium Gottes« (V. 14): Ist es identisch mit dem im Sinne des gen. obj. verstandenen »Evangelium Jesu Christi«, d. h. »von Jesus Christus«? Wenn die Aussage von V. 1 als gen. subj. zu verstehen wäre, dürfte man an den Anfang der Jesuspredigt vom kommenden Gottesreich ( = Evangelium Gottes) denken. Vgl. zur Diskussion G. Dautzenberg, Die Zeit, in: BZ 21 (1977) 2 1 9 - 2 3 4 ; 22 (1978) 7 6 - 9 1 . Der Täufer Johannes ist durch bewußt gestaltete Korrespondenzen (Verkündigen: 1,4.7.14; Umkehr: 1,4.15; Kommen: 1,7.9.14; Galiläa: 1,9.14) und strukturelle Parallelen (die Botschaft des Täufers 1,7 f. — die Botschaft Jesu 1,14 f.; der Wirkungskreis des Täufers 1,4 — der Wirkungskreis Jesu 1,14; Autorisierung durch die Schrift 1,2 f. — Autorisierung durch die Gottesstimme 1,11) dem Evangelium Jesu Christi zugeordnet bzw. vorgeordnet worden. Die einzelnen Traditionsstücke stehen trotz der formalen und literarischen Disparatheit in einem christologischen Zusammenhang: Der Täufer ist Vorläufer und Bote des Messias und Gottessohnes. Vgl. W.Wink, John the Baptist 8 — 10. Unter Berufung auf die Identifizierung Jesu mit dem aus den Toten erweckten Täufer (6,14 f.) wird ein zeitliches Nacheinander postuliert. Es sei schwer vorstellbar, daß Markus die logische Unstimmigkeit, die sich aus der Frage nach der Identität Jesu und der Unkenntnis des Volkes bei zeitgleichem Wirken ergeben mußte, übersehen hätte. Nur unter Voraussetzung eines zeitlichen Nacheinander und einer räumlichen Distanz sei die Rückführung der Wundertaten Jesu auf den Täufer verständlich zu machen. Derartige Überlegungen haben ohne Zweifel ihre Berechtigung, obwohl ihre Stringenz nicht zwingend ist. Die Argumentation mit den Wundertaten wirft im Hinblick auf den Täufer in historischer Hinsicht Fragen auf. Es ist zwar denkbar, daß die Wunder als äußere Signatur des auferweckten Täufers (hellenistische Vorstellung

Der Prolog (1,1-15)

21

allem die theologische Bedeutung bedacht werden. W. Marxsen hat mit dem Verweis auf die Vorläuferrolle des Täufers 7 0 , welche einen scharfen theologischen Einschnitt markiert, einen wichtigen Gesichtspunkt aufgezeigt. A b e r warum sahen sich die Männer des Evangeliums (bzw. ihre Vorlagen) veranlaßt, auf Johannes zurückzugreifen — übrigens anders als Paulus, der dieses Problem nicht kennt — ? Bei genauerem Hinsehen erweist sich die redaktionstheologische Argumentation als unzureichend. Es ist nicht einzusehen, warum der Täufer, der nach der Vorstellung des Markus v o n Jesus und seinem Evangelium klar geschieden ist, doch der Anfang des Evangeliums ist 7 1 . Die Unstimmigkeit läßt sich besser mit

70

71

vom Thaumaturgen) verstanden wurden und somit in der Vorstellung des Volkes etwas Neues gegenüber dem tatsächlichen Wirken des Täufers einbrachten, aber daß die Wunder als das tertium comparationis zwischen Jesus und dem Täufer verstanden werden sollten (so J. Gnilka, Markus I, 247), ist damit noch nicht gesagt. Ungewöhnlich ist das Wundermotiv gerade im Rückblick auf die Quelle in jedem Fall. Kann es sein, daß Täuferjünger ihren Meister in der Auseinandersetzung mit den Christen polemisch aufwerten wollten? Wir wissen es nicht. Mehr als fragwürdig sind die psychologischen Bemühungen (Massenpsychose; Hysterie usw.) im Rahmen eines nach literarischen Kategorien zu beurteilenden Textes. Die Frage spitzt sich auf den historischen Aussagewillen des Markus zu. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die anderslautenden Tendenzen des Johannes-Evangeliums (Joh 1,19 — 51; 3,22—30 setzen ein zeitweises Nebeneinander voraus) ihr Gewicht haben. W. Marxsen, Markus 23 Anm. 2, ist im Recht, wenn er von einem »Geschmacksurteil« spricht. »Man wird also fragen müssen, ob sich hier überhaupt etwas über den historischen Ablauf ermitteln läßt.« W. Marxsen, Markus 23 f.: »Der Täufer ist Vorläufer Jesu. Was von ihm zu sagen ist, wird gesagt, bevor Jesus auftritt. Das geschieht nicht, weil er vorher verhaftet wurde. Das kann zwar sein, muß aber nicht so gewesen sein. Das geschieht vielmehr, weil Johannes sachlich vor Jesus gehört.« Vgl. auch Ph. Vielhauer, Geschichte 352 f.: »Nicht nur Mk, sondern auch Q und später Joh beginnen ihre Jesusdarstellung mit der Tradition über Johannes den Täufer, und zwar nicht aufgrund der — zutreffenden — historischen Erinnerung, daß die Jesusbewegung von der Johannesbewegung ausgegangen war, sondern aufgrund einer bestimmten theologischen Deutung des Täufers; nach weitverbreiteter urchristlicher Auffassung hat die >Geschichte< Jesu mit dem Täufer und der Taufe ihren >Anfang< genommen.« W. Marxsen, Markus 25, versucht dieser Schwierigkeit durch die kerygmatische Interpretation des Anfangsbegriffs zu entgehen: »Von Jesus her wird das vorlaufende Geschehen ganz neu qualifiziert, kann so selbst erst zur wirklichen Prophetie, Johannes kann so zum wirklichen Vorläufer werden. Man muß nun nur darauf achten, daß sowohl die Prophetie als auch der Vorläufer bereits >dazu gehören< — nämlich zum Evangelium.« Abgesehen davon, daß die Begriffsbestimmung von άρχή hier ganz einseitig durch die existentialtheologische Evangeliumsdeutung im Sinne von Kerygma = Predigt bestimmt ist und die gegenläufige Er^äbkichtang nach Maßgabe einer groben Biographie, die ja auch im Markus-Evangelium gesehen werden muß, außer Betracht bleibt, stellt sich bei dieser Erklärung die einfache Frage: Warum mußte der Täufer vor Jesus gerückt werden? Warum nicht die Eltern, wie ja in dem in der Kindheitsgeschichte greifbaren Traditionsstrang belegt ist?

22

Johannes der Täufer in der Markusredaktion

dem Hinweis auf die einzigartige Sonderstellung des Johannes zwischen zwei heilsgeschichtlichen Epochen erklären. Die innere Zuordnung und gleichzeitige sachliche und zeitliche Verschiedenheit von Verheißung und Erfüllung ist in der Gestalt des Täufers nicht nur exemplarisch beleuchtet, sondern auch geschichtlich vorgegeben. Er steht am Anfang jenes Evangeliums, das erst nach ihm vollmächtig verkündet wird. So ist der Täufer ein Mann des Übergangs, er repräsentiert in seiner schillernden Ambivalenz, die im übrigen — wie W. Wink aufgezeigt hat 72 — kein markinisches Speziflkum ist, die Kontinuität zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Johannes ist ein Symbol für die Heilsgeschichte ohne Bruch 73 . Der Täufer macht deutlich, daß das neue Evangelium eine alte Vorgeschichte hat. Markus hat diesen Gesichtspunkt mit den »widersprüchlichen« Terminierungen des Evangelienbeginns (Mk 1,1 f.: mit Johannes; 1,14: nach der Auslieferung des Johannes) in der von ihm geschaffenen Inklusion des Prologs zum Ausdruck bringen wollen. Wahrscheinlich wird man auch noch das markinische Verständnis des Evangelienbegriffs mit einbeziehen müssen. Das Evangelium beginnt als verkündigtes erst mit Jesus nach der Auslieferung des Johannes (1,14), es hat aber einen Anfang, der schon vor Jesus im Auftreten des Johannes (1,2—8) liegt. Die markinische Unterscheidung zwischen Jesus und dem Evangelium (»um meinetwillen und um des Evangeliums willen« 8,35; 10,29) hat nach meinem Verständnis 74 eine wichtige heilsgeschichtliche Bedeutung: Das Evangelium reicht hinein in die Zeit der prophetischen Vorverkündigung (Rom 1,2), ist schon vorhanden in der Predigt des Täufers, beginnt aber erst richtig mit dem Auftreten Jesu. Beide Gesichtspunkte, das Alte und das Neue, sind in der Gestalt des Täufers symbolisch zusammengebracht und doch wieder voneinander abgehoben worden. Unter Berücksichtigung der literarischen Gattung des Prologs als Kurzfassung des ganzen Evangeliums bekommt darüber hinaus das Wort τταραδιδόναι (1,14), das nur mit Bezug auf Jesus, und zwar in den Anspielungen auf den Tod, gebraucht wird 75 , einen hintergründigen Sinn. Markus hat den Täufer über seine Rolle als 72

W. Wink, John the Baptist 6: »The distinction of John f r o m Judaism is attested to in Acts 1:22; Matt. 1 1 : 7 - 1 0 (Q); Luke 1; 3:1 f.; Matt. 3:2; Ign. Smyr. 1:1; etc; the distinction of the ministry of John f r o m that of Jesus is evident in Acts 10:37 and Luke 3:1—20, which take their lead f r o m Mark, and in Mark 2 : 1 8 f . ; Matt. 1 1 : 2 - 6 , 1 1 b (Q); 3 : 1 4 f f . Both motifs appear side by side in Acts 1 3 : 2 4 f . ; 1 9 : 3 f . ; and Matt. 1 1 : 1 1 . This dual distinction stands in its simplest form in Mark. By setting John's ministry apart from both the period of the Old Testament and the ministry of Jesus, Mark reveals John's function.«

73

J. Ernst, Wie kommt der Täufer 1 7 4 f . Ders., Ö f f n e t die Türen dem Erlöser 1 6 2 - 1 6 5 .

74

Anders wohl W. Marxsen, Markus 92: »Das Evangelium ist Jesus.«

75

3,19; 14,10.18.21.42; 15,10. A n den Stellen, die das Wort auf andere Personen beziehen, hat es einen weiteren Sinn: 13,9: »man wird euch um meinetwillen an die Gerichte ausliefern.« 13,12: »Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder.«

Die Fastenfrage ( 2 , 1 8 - 2 0 )

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Vorläufer hinaus auch als den Prototyp des Messias Jesus darstellen wollen. Den Anlaß zu dieser Deutung haben sicher zunächst die Konvergenzen in der Botschaft, im Auftreten und im gewaltsamen Lebensende dieser beiden Männer gegeben 76 . Aber die Biographie erklärt noch nicht alles. Markus folgt vielmehr einem in der Urkirche weit verbreiteten Topos, der einen starken theologisch-kerygmatischen Einschlag hat (vgl. Mk 8,31: ότι δει τόν uìòv τ ο υ άνθρωπου π ο λ λ ά παθεϊν vgl. 9,30 f.; 10,33 f.). Der Weg des Messias Jesus, vom Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit bis hin zu seinem Tod am Kreuz, ist so von Gott gewollt. Der Täufer repräsentiert jenen Heilsplan, der mit menschlichen Kategorien nicht zu erfassen ist: Gott rettet den Menschen durch das Unterliegen seines Erwählten. Es versteht sich, daß dieser theologische Gedanke nur vom Gesamtduktus des Evangeliums her erschlossen werden kann. Ein derartig hintergründiges Verfahren entspricht im übrigen den bekannten Methoden der indirekten Schriftverwendung bei Markus 77 . Gegenwärtiges Geschehen wird im Spiegel der Vorgeschichte gedeutet. Der Prototyp Johannes ist im Sinne des Markus der Hinweis auf Jesus. Wenn wir abschließend noch einen Blick auf die heilsgeschichtliche Konzeption des Markus werfen, ergibt sich das Modell von Verheißung und Erfüllung. Der Täufer läßt sich nicht einfach einordnen. Markus hat mit der Gefangennahme (1,14) zwar eine klare Grenze gezogen, aber Johannes gehört ähnlich wie der Freudenbote von Deuterojesaja und vielleicht auch als letzte Inkorporation dieser prophetischen Gestalt 78 schon zum Anfang des Evangeliums (1,1), welches im Heilsplan Gottes begründet ist. Wichtige Elemente der Verkündigung Jesu sind vom Täufer übernommen, die Gleichsetzung Jesu mit dem schon abgetretenen Johannes (6,14) kommt nicht von ungefähr. Auf der anderen Seite müssen die deutlichen Unterschiede im Auge behalten werden 79 . Das Evangelium ist von Johannes vorausverkündet worden, es beginnt freilich erst richtig mit der Predigt Jesu vom Ankommen der Gottesherrschaft. Beide unterscheiden sich voneinander wie der Herold und der Bringer des Heils.

2. Die Fastenfrage ( 2 , 1 8 - 2 0 ) Die traditionsgeschichtlich schwer durchschaubare Perikope 80 läßt sich auf einen Grundbestand (V. 18b. 19), welcher von einem Streit zwischen Jesus bzw. den Jesusjüngern und den Täuferjüngern über die 76 77 78 79 80

J. Ernst, Öffnet die Türen dem Erlöser 1 4 5 - 1 5 5 . J. Ernst, Markus 477 f. Ähnlich auch P. J. Achtemeier, Mark as Interpreter 341 f. E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 46. J. Ernst, Öffnet die Türen dem Erlöser 1 5 5 - 1 6 2 . R. Bultmann, Geschichte 17 f.: V. 18 a: späte Vorschaltung vor das aus der Situation der

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

Fastenfrage berichtet, reduzieren. Es wird dabei vorausgesetzt, daß es ursprüngliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gruppen gegeben hat. Der Stein des Anstoßes ist die neue unkonventionelle und für die Johannesjünger anstößige liberale Lebensweise der Jesusjünger (vgl. Mt 11,16 — 19). Täuferjünger, die jetzt zu Jesus übergewechselt sind, fasten nicht, wie es ihre ehemaligen Gefährten tun. Im Nachhinein (vormarkinisch?) sind die Notiz über das neue christliche Fasten (V. 20) und die Erwähnung der Pharisäer bzw. Pharisäerjünger (V. 18) zugewachsen. Der aktuelle Hintergrund ist jetzt nicht mehr die Kontroverse: Jesus jünger — Täufer jünger, sondern Judentum — Christentum81 bzw. die Begründung der christlichen Fastenpraxis82 aus dem Abschied des Bräutigams. Das jüdische Gesetz bzw. die Bußforderung des Täufers 83 reichen als Moti-

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Urgemeinde stammende Apophthegma mit dem Kern in V. 18 b . l 9 a . Der Rest: V. 19 b.20 ist sekundäre Weiterbildung von 19 a. Die Sprüche V. 21 f. sind von Markus angefügt worden. Der literarische Schnitt zwischen V. 19 a und 19 b wird mit der unterschiedlichen Verwendung des Bildwortes vom Bräutigam — hier parabolisch, dort allegorisch — begründet, vgl. auch M. Dibelius, Überlieferung 39f. J. Wellhausen, Marci 18f., möchte den ganzen Abschnitt als Einheit verstehen. So jetzt auch G. R. Beasley-Murray, Jesus 138—143: Die Zeit Jesu soll als Heilszeit gedeutet werden, die Fastenfrage ist nur ein Nebenthema. Die V. 20 angesagte Trennung muß vor dem Hintergrund von Jes 53,8 und in Analogie zu Joh 16,16—22 gesehen werden. V.Taylor, Mark 212, beruft sich auf die parallele Struktur der beiden Hälften von V. 19. Ähnlich A. Kee, »The Questions about Fasting«, in: NT 11 (1969) 161 — 173; J. B. Muddiman, »Jesus and Fasting, Mark 11.18—22«, in: Jésus aux origines de la Christologie, ed. J. Dupont, Gembloux 1975, 271 ff. Die Frage der Entstehungsgeschichte und der Hintergründe läßt sich mit letzter Sicherheit nicht beantworten. Wenn sich in der Perikope eine Auseinandersetzung zwischen Johannes- und Jesusjüngern über den Gegensatz von Fasten und messianischer Festfreude spiegelt, muß auf jeden Fall für Markus der Akzent auf die V. 20 angesagte Abwesenheit des Bräutigams gelegt werden. Vgl. J. Gnilka, Markus I, 112; J. Ernst, Markus 98. Ausführliche Darstellung der traditions- und redaktionsgeschichtlichen Überlegungen bei K. Backhaus, »Jüngerkreise« 133—156. H.W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (StUNT 8), Göttingen 1971, 62: »... weil es in der späteren Überlieferung des Stückes um eine Diskussion mit den Juden ganz allgemein ging.« D. Lührmann, Pharisäer und Schriftgelehrte im Markusevangelium, in: ZNW 78 (1987) 178: Die Pharisäer sind erst sekundär in den Zusammenhang hineingenommen worden. Anders R. Pesch, Markus I, 176: »Anlaß der sekundären Bildung ist die Abweichung der nachösterlichen von der in VV 1 8 b . l 9 a überlieferten vorösterlichen Praxis, also innerkirchliche Auseinandersetzung mit der Jesustradition!« Erwogen wird das wöchentliche Freitagsfasten, das Paschafasten nach dem Brauch der Quartadezimaner, das Karsamstagsfasten, das Karfreitagsfasten. Die besseren Gründe sprechen für das wöchentliche Freitagsfasten; vgl. H. W. Kuhn, Sammlungen 69; R. Pesch, Markus I, 175 f.; J. Gnilka, Markus I, 115 Anm. 33, hält ein jährliches Trauerfasten, »das mit den Bräuchen einer christlichen Paschafeier zusammengehört«, für wahrscheinlicher. Das Fasten der Täuferjünger erklärt sich am ehesten aus der aszetischen Lebensweise ihres Meisters. In welchem Maße der Gesichtspunkt einer »eschatologischen Demonstra-

Herodes, der Täufer und die Frage nach Jesus (6,14—29)

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vation für das neue Fasten nicht mehr aus. Für Markus, der den umgeformten Text mit den Bildworten vom neuen Lappen und vom neuen Wein (Y. 21.22 a) interpretierte und letzte Akzente in V. 22 b (neuer Wein in neue Schläuche) gesetzt hat, ist die Bemerkung: »wenn hinweggenommen wird von ihnen der Bräutigam« (V. 20) 8 4 ausschlaggebend. Der Todesabschied Jesu fordert ein neues, aus der Passion abgeleitetes Fasten der christlichen Gemeinde 85 . Der Täufer selbst ist in der Perikope nur noch im Spiegelbild seiner Jünger zu erkennen. Die ursprüngliche Rolle des eschatologischen »Bußpredigers« schimmert nur noch matt durch. Markus hat den Kontext der älteren Fastenfrage zwar nicht vergessen, aber, weil für seine Problematik uninteressant, korrigiert und auf den Gegensatz Judentum — Christentum abgestellt. Die Erinnerung an einen Täuferjüngerkreis mit einer eigenen regula vitae (vgl. ferner Mk 6,29; Mt 11,2 par; Lk 11,1) ist erhalten geblieben. Höchstwahrscheinlich haben die Jünger nach dem Tode des Johannes den Aufruf zur Umkehr (Mk 1,6 par) zu einer religiösen Übung mit festen Normierungen umfunktioniert 8 6 .

3. Herodes, der Täufer und die Frage nach Jesus — Die Enthauptung des Johannes (6,14—29) Die Erzählung vom gewaltsamen Tod des Täufers (6,17 — 29) ist in der Darstellung und in der redaktionellen Einarbeitung in den vorgegebenen Evangelienrahmen undurchsichtig. Über die literarische Gattung

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tion« eine Rolle spielte, kann nur noch erahnt werden. Vgl. hierzu Ph. Vielhauer, Tracht und Speise 54. J. Becker, Johannes der Täufer 26. J. Roloff, Das Kerygma und der historische Jesus. Historische Motive in den Jesus-Erzählungen der Evangelien, Göttingen 1970, 229. Vgl. aber C. H. Kraeling, John the Baptist 13: »There is, then, in the earliest tradition, no tangible basis for the later view that John was observing the sanctifying dietary regimen of the Nazirite.« Der Ausdruck »hinweggenommen« (¿πταρθή) ist dem Entriickungsschema entnommen, aber durch die sachliche Zuordnung zum Tod inhaltlich bestimmt. E. Lohmeyer, Markus 60, möchte einen Bezug zum Gottesknechtlied Jes 53,8 LXX: »Hinweggenommen wird von der Erde sein Leben« erkennen. Daß die passivische Wendung als Ersatz für eine aktivische Form, die allgemein auf »Abschiednehmen« hindeute, zu verstehen sei, ist mit dem Verweis auf Ev Thom, Log 104 kaum zu begründen; vgl. G. R. Beasley-Murray, Jesus 141. H.W. Kuhn, Sammlungen 66 Anm. 87: »Andererseits paßt das Motiv der Trauer und die Verwendung des Verbs άτταίρειν (und nicht έτταίρειν wie im ursprünglichen Text von Apg 1,9), das Gewalt nahelegen kann, ausgezeichnet zum Hinweis auf den Tod Jesu ... Ist die Übersetzung >an jenem Tag< richtig, kann sich jedenfalls das Apophthegma jetzt nur auf den Tod Jesu beziehen.« Vgl. auch W. Grundmann, Markus 66: »das Geschehen der Passion veranlaßt die verhüllt ausgesprochene Leidensankündigung.« Der Terminus νηστεύειν wird für den Täufer nirgendwo gebraucht; die den Begriff ursprünglich prägenden Inhalte lassen sich auf seinen aszetischen Lebensstil nur mit Einschränkung anwenden.

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

und den historischen Wert muß hier in der redaktionsgeschichtlichen Fragestellung nicht gehandelt werden 8 7 . Es genügt der Hinweis auf die stark legendarische Einfarbung eines Kerngehaltes, dessen Konturen sich nur unscharf abzeichnen 88 . Markinische Gestaltung ist in der vorhergehenden, auf den Tod Jesu dunkel abhebenden Szene mit Herodes (V. 14—16) zu erkennen. » E s ist anzunehmen, daß Markus die Verknüpfung dieser Überlieferung mit dem Bericht über den Tod des Johannes geschaffen hat. Er tat dies so, daß er den Herodes sich einer der kursierenden Volksmeinungen anschließen läßt, und zwar jener, die geeignet war, eine Verbindung zur Täufergeschichte herzustellen: Jesus sei der vom Tod erstandene Johannes.« 8 9 Die literarkritische bzw. traditionsgeschichtliche Analyse bereitet Schwierigkeiten. Sieht man einmal ab von der konsequent redaktionsgeschichtlichen Deutung, die bis auf eine sprachliche Anlehnung an 8,28 in 6,15 keinerlei traditionelle Vorlagen gelten läßt 90 , dann ergeben sich mancherlei »Spielarten«. E s ist kaum noch festzustellen, welche Stücke auf das Konto der Redaktion bzw. Tradition gehen. »Man kann 16 oder auch 1 4 a + 1 6 b oder aber 14a.c für ursprünglich halten.« 91 Genausogut ist es aber auch denkbar, daß V. 14 a und V. 16 redaktionell einzustufen sind 9 2 . Nicht ganz auszuschließen ist die Möglichkeit eines älteren Traditionsstückes, welches aus Täuferkreisen stammt. »Deuten hier Täufer jünger, die den Tod ihres

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85 90 91 92

M. Dibelius, Überlieferung 78—81; bes. 80: »wir haben es vielmehr mit einer Anekdote über Herodes zu tun.« J. Gnilka, Martyrium 78 — 92. J. Gnilka, Markus I, 245 f., sieht markinische Eingriffe lediglich in V. 20 c (Motivübereinstimmung mit 12,37 b: καί ττολί/ç όχλος ήκουευ αύτοΟ ήδέως) und V. 24 (partizipiale Apposition του βοαττίζοντοξ). Dem jetzigen Text läge ein knapper Märtyrerbericht (V. 17f.27b.29) zugrunde, dieser sei sekundär in einer weiteren Phase »um eine volkstümliche Erzählung bereichert worden«. Anders W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 469 f.: V. 17—20 sind typisch markinische Kommentarsätze. Wortanklänge an die Jesuspassion sind nicht vorredaktionell, »da sie im Dienst der Mk. 9.11 — 14 formulierten Parallelität des planmäßig-gottgewollten Schicksals beider stehen« (469). Weitere linguistische Einzelbeobachtungen: die literarische Trauerwendung steht »textantonym in Opposition zu dem in V. 20 als mk bestimmten >gern hören< «. Eideserwähnung V. 26 weist zurück auf V. 23; Tischgäste V. 26 auf V. 21 ; verschiedene stammgleiche Komposita; Verben des Gehens V. 22.24.25 mit EÎÇ- bzw. Ιξ; Wechsel vom Kompositum zum Simplex V. 25.29; Stilisierung mit Präfix-Gleichheit: V. 17:19; V. 20:22; V. 27a:c.d. »Die größere Wahrscheinlichkeit muß der Annahme zukommen, daß hier wohl gar keine spezielle Vorlage erhoben werden kann. Eher ist das Segment auf Grund von allgemein verbreiteten Erzählungen vom Täufertod (verbunden mit umlaufenden gängigen Fabulier-Motiven) vom Autor selbst erst konstruiert worden« (470). J. Gnilka, Markus I, 244. W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 471. W. Schmithals, Markus 313. J. Gnilka, Markus I, 244 Anm. 1.

Herodes, der Täufer und die Frage nach Jesus (6,14—29)

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Meisters nicht >verkraften< konnten, die Wunder Jesu als Großtaten ihres gewaltsam umgekommenen, aber jetzt wieder erstandenen Meisters? Herodes, der Johannes hinrichten ließ und nun seine Auferstehung bezeugt (V. 16), wäre dann der Kronzeuge.« 93 Aber welches Ziel hat der Redaktor mit diesem seltsamen Zwischenstück verfolgt, und was hatte er mit der den Erzählablauf störenden Martyriumsgeschichte im Sinn? J. Wellhausen 94 macht auf den durch die Todesdrohung des Herodes bedingten Einschnitt, der 6,31 in dem versteckten Fluchtmotiv (vgl. Mt 14,13) zu erkennen sei, aufmerksam: »Jesus wird wegen seines großen Erfolges für einen ebenso gefahrlichen Demagogen erklärt, wie Johannes. Die Anekdote 6,17 ss. wird nicht vorausgesetzt, sondern die geschichtliche Wahrheit, wonach der Täufer wegen seiner aufregenden Wirkung auf die Menge hingerichtet wurde.« Für M. Dibelius 95 ist in der Rückzugsnotiz 6,31 noch ein Hinweis auf einen verlorenen Abschluß der Erzählung von Herodes und Jesus (6,14—16b ohne die Darstellung der Volksmeinung über Jesus) zu erkennen. Die im jetzigen Zusammenhang wie eine Parenthese wirkende Geschichte vom Ende des Täufers (6,17 — 29) hätte das ursprüngliche Fluchtmotiv verdrängt. Richtig ist an dieser Konstruktion die literarkritische Einsicht, daß zwei unabhängige Abschnitte künstlich zueinander in Beziehung gesetzt worden sind 96 . Die Aufnahme der breit ausladenden Martyriumslegende bleibt freilich problematisch. Daß den Redaktor die gegen Jesus erhobenen politischen Verdächtigungen zu einem betonten Verweis auf das Geschick des Täufers veranlaßt hätten 97 , ist ebensowenig überzeugend wie eine angebliche polemische Tendenz gegen den im Volk umgehenden Glauben, der Täufer sei ins Leben zurückgekehrt 98 . Mehr als spekulativ ist die 93

J. Ernst, Markus 179.

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J. Wellhausen, Marci 48.

95

M. Dibelius, Überlieferung 82 f.; K . L. Schmidt, Rahmen 177 f.: »Mk beginnt nach der Aussendung der Jünger einen neuen Abschnitt, der Jesus außerhalb Galiläas und bei den Heiden zeigt. Diese Periode in der Geschichte Jesu ist veranlaßt durch die Verstocktheit des Volkes, an das Jesus sich nicht mehr selbst wendet, sondern an das er seine Sendboten schickt. Innerhalb dieses Planes sind die Herodesepisoden überflüssig.«

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W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 470—473, hat vermutet, die markinisch-redaktionell einzustufende Einheit 6 , 1 4 — 2 9 laufe auf das »Reuebekenntnis« des Herodes Mk 6,16: »Den ich selbst enthaupten ließ, Johannes, genau der ist auferweckt« hinaus. Die Enthauptungserzählung V. 1 7 — 2 9 sei lediglich eine Fußnote zu V. 14 — 16. Richtig ist die Hervorhebung des Legitimationsmodells V. 16; daß Herodes parallel zu dem heidnischen Hauptmann unter dem K r e u z Jesu (15,39) gesehen werden müsse, scheitert freilich an den unterschiedlichen Sprachschemata.

97

J . W i n k , John the Baptist 1 1 : »Apparently the necessity to ward off charges of political sedition has intervened, so that he offers the merest suggestion that Jesus faces the fate of John.«

98

So eine Konstruktion von W . W i n k , John the Baptist 11, mit Berufung auf M. Dibelius, Überlieferung 85 f.

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

betonte Ablehnung einer wie auch immer gearteten christlichen oder christologischen Note mit Berufung auf den gewollten Gegensatz von heilvoller Jesusgeschichte und heilloser Welt". Ich halte es auch nicht für wahrscheinlich, daß es sich nur um die Darstellung dessen, was die Menschen mit ihnen, d. h. mit der christlichen Gemeinde, tun werden, handelt 100 . Man könnte an eine literarische Ausfüllung der Pause zwischen der Aussendung der Zwölf und der Rückkehr denken. Markus hat eine Vorliebe für derartige Inklusionen (vgl. 5,21—43; 11,12 — 20). Die Frage, warum ausgerechnet die Herodeserzählung dafür herhalten mußte, stellt sich dann freilich drängend 101 . Vielleicht hat Markus nach den vorausgehenden »Erfolgsberichten« das Leidensthema herausstellen wollen: Nach der Ablehnung Jesu in Nazaret (6,1—6 a) gibt der Bericht von der Enthauptung des Täufers eine deutliche Antwort auf die immer drängender werdende Frage nach der Sendung Jesu (1,27; 4,41; 6,14—16). Der Täufer wird nach dem schon erkannten christologischen Grundmuster als der Prototyp des leidenden Messias dargestellt. Johannes ist der Vorläufer des Messias Jesus (V. 14), als solcher steht er in der Tradition des Elija (V. 15 a), sein Tod ist die Vorabbildung des Jesusgeschicks. Das Thema, das verhalten schon in dem Terminus »ausliefern« am Ende des Prologs (1,14) anklang, ist jetzt unter dem 6,14.16 vorgegebenen Stichwort »Herodes« nachgetragen und mittels einer traditionellen jüdischen Märtyrergeschichte 102 erzählerisch expliziert worden. Die Analogie zum Tode Jesu ist, wenngleich literarisch nicht exakt abhebbar, doch in den leitenden Motiven erkennbar: Die Tötungsabsicht der Herodias (6,19) erinnert an die Mordpläne der Jesusgegner (14,1; vgl. 3,6; 8,31; 9,31; 10,33 f.; 12,5.7 f.). Wie Jesus in Getsemani (14,46; vgl. 14,1.44.49; 12,12), so wird auch Johannes von Herodes, d. h. von dessen Leuten, gepackt (εκράτησεν) und gebunden (εδησεν 6,17). Weitere Anspielungen können in der Furcht des Herodes vor Johannes (6,20; vgl. 11,18: die Furcht der Hohenpriester und Schriftgelehrten), in der Darstellung Jesu als Lehrer, dem man gerne zuhört (6,20 vgl. 12,37), in der Nachgiebigkeit des Herodes (6,26 vgl. 15,9f.l4f.: 99 100

W. Schmithals, Markus 3 1 5 f. So W . W i n k , John the Baptist 17, der das Martyrium des Täufers als Modell für die verfolgte Gemeinde versteht. 6,17 ff. müsse im Zusammenhang mit 9,13 (»und sie machten mit ihm, was sie wollten«) und 13,9 (»sie werden euch ausliefern ins Synedrium und in den Synagogen werdet ihr geprügelt werden und v o r Statthalter und Könige werdet ihr gestellt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis«) gelesen werden.

101

Vgl. K . L. Schmidt, Rahmen 178: »Die Herodesepisoden scheinen weiter eine Lücke auszufüllen, die zwischen dem Ausziehen der Apostel 6,13 und ihrer Rückkehr 6,30 besteht.« Dann aber: »Ist aber 6,30 wirklich eine Fortsetzung von 6,13?« Vgl. auch M. Dibelius, Überlieferung 83: »... und im übrigen ist es ein dem Evangelium wohl nicht sehr konformer Gedanke, die Jüngermission durch eine Herodesanekdote zu unterbrechen.«

102

J. Gnilka, Martyrium 7 8 - 9 2 .

Herodes, der Täufer und die Frage nach Jesus (6,14 — 29)

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Pilatus) und in der Bestattung (6,29 vgl. 15,45 f.) erkannt werden. Das Passionsthema ist freilich nicht redaktionell eingetragen, sondern unterschwellig und hintergründig vorgegeben. Der Gesamtkontext, vor allem die Ausrichtung auf die erste Leidensankündigung (8,31) und auf die Weiterverarbeitung des Themas in dem Gespräch beim Abstieg vom Berg der Verklärung (9,11 — 13) gibt der Erzählung von der Enthauptung des Täufers eine deutliche typologische Ausrichtung. »Im Licht der Aussagen des Evangeliums über den Täufer ist dessen Tod im Sinn des Markus von der Passio Christi her zu verstehen.« 103 Man wird genauere Auskünfte über die inhaltlichen Aussagen nur im Zusammenhang mit einer exakten Analyse der Enthauptungserzählung erhalten können 104 . Markus weitet das Vorläufermotiv, wie im Prolog schon zu erkennen war, gezielt auf das leitende christologische Generalthema: »Der Menschensohn muß vieles leiden« aus. Möglicherweise haben ihm dabei versteckte typologische Bezüge auf den durch Ahab und Isebel verfolgten Elija (1 Kön 19,2) einen weiteren Verweis auf den Heilsplan Gottes (das göttliche δει) ermöglicht. Der entscheidende Schlüssel scheint jedoch in dem von Markus gestalteten, auf ein Schuldbekenntnis des Herodes abhebenden antithetischen Begriffspaar άπεκεφάλισα — ήγέρθη (V. 16) gegeben zu sein. Nach dem Denkmodell vom leidenden Gerechten, der durch Gottes Eingreifen legitimiert wird, ist die Geschichte des im Leiden Unterliegenden auf den Triumph der Auferweckung abgestellt 105 . »So wird sichtbar, daß Gott auf selten des Täufers steht. Die Tradition über das Auftreten des auferstandenen Täufers ist daher einerseits (was die Voraussetzungen für das >Erscheinen< betrifft) eng verwandt mit Traditionen über das Wiedererscheinen von Propheten (denn dieses geschieht >vom Himmel hermystery< (for only he knows it) on the mount. This is part of the revelation he received as >they were talking of Jesus< (9:4 b). The secret of Jesus' messiahship (8:28 — 9:10) thus issues directly in the secret of John's Elijahship« (15). H. E. Tödt, Menschensohn 182: V. 9 b bietet das Stichwort »Menschensohn«, das Markus »mit einer verkürzten Version der Weissagungen vom Auferstehen des Menschensohnes, der in Mk 9,12 b der Hinweis auf das Leiden des Menschensohnes zur Seite tritt«, interpretiert.

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

Elija in der Gestalt des Täufers beseitigte, eingetragen und im gleichen Zuge durch den Leidensgedanken (V. 12 b) an seine besondere Verkündigungsabsicht angeglichen: Der leidende Menschensohn hat in dem leidenden Elija seinen Prototyp. Mehr noch: Die Leidenstypologie ist, wie die alttestamentlichen Bezüge zeigen, im Plan Gottes vorgesehen. Die Wachstumsgeschichte hätte dann wie folgt ausgesehen: a) Verklärungserzählung V. 2 - 1 0 ( 2 - 9 + 10); b) das Leidensthema V. 12 b; c) das Elijathema V. 11.12a. 13a (der Leidensgedanke V. 1 3 b ist der markinischen Redaktion zuzusprechen). Die Erklärung ist trotz gewisser positiver Aspekte doch zu kompliziert und aus methodischen Gründen (willkürliche Textzerstückelung) nicht akzeptabel. Die besseren Gründe sprechen für eine geschlossene traditionelle Einheit V. 11 — 13, die zwei widersprüchliche theologische Thesen nach einem bekannten Argumentationsverfahren (vgl. 12,35 — 37) abklärt: der Vorstellung vom wiederkommenden Elija, der am Ende alles wiederherstellt (vgl. Mal 3,23), wird die vom leidenden Menschensohn gegenübergestellt. Der Leitgedanke war dann folgender: »Elija muß, bevor das Ende und das Schreckensgericht kommt, erst in Erscheinung treten. Das ist richtig, aber noch nicht die ganze Wahrheit! Jetzt gilt es, das Leiden des Menschensohnes als einen maßgeblichen Heilsfaktor zu bedenken.« Der »Sitz im Leben« für dieses Traditionsstück kann die judenchristliche Schriftreflexion über alttestamentliche Bezugstexte (Mal 3,23; Jes 53,3; Ps 21,7 L X X ; 118,22 L X X ) gewesen sein. Markus hat dann von sich aus mit V. 13 die Elijatypologie eingebracht und damit einem zentralen theologischen Anliegen seiner Redaktion Rechnung getragen. Das Leiden und die Verwerfung (hier: Verachtung) des Menschensohnes 110 sind in dem Geschick des Täufers (6,17 — 29) vorausdargestellt. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem in Analogie zu V. 12 b eingetragenen Schriftbezug (V. 13 b: καθώς γέγραττται έπ' αυτόν) ergeben könnten, lassen sich aus der Motivverwandtschaft mit 1 K ö n 19,2.10.14 (Isebel — Herodias; Ahab — Herodes; Elija — Johannes) zutreffend erklären 111 . Markus hat den auf

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Der Wechsel von πολλά τταθεΤυ καί άποδοκιμασθήυαι (8,31) zu πολλά πάθη καί έξουδευηθή (9,12 b), der, wie der Vergleich mit Mk 12,10 und Apg 4,11 zeigt, nicht singular ist, läßt sich aus dem betonten Schriftpostulat — πώς γέγραπται —, das eine Angleichung an alttestamentliche Sprach- (Ps 88,39 L X X ; 118,22 L X X ) und Sachanalogien (das Geschick des leidenden und geschmähten Gerechten Ps 122,3 L X X ) nahelegte, verständlich machen. R. Pesch, Markus II, 79, erinnert an die Beziehungen zum Gottesknecht und zum eschatologischen Propheten. Vgl. Η. E. Tödt, Menschensohn 150—157, hier 157: »Es ist zu vermuten, daß Markus in 9,12 b eine bereits vorgeformte Aussage über den Menschensohn benutzte.«

1,1

Es trifft also keinesfalls, wie W.Wink, John the Baptist 14, meint, zu, daß es für die Vorstellung vom Leiden des Elija keine nichtchristlichen Belege gäbe. Richtig ist allerdings, daß Offb 11,3 — 14 nichts einbringt. Vgl. hierzu J . Gnilka, Markus II, 42 Anm.

Der Täufer als Elija incognito (9,9 — 13)

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die Leidensthematik zugeschnittenen Elias-redivivus-Text an die Verklärungserzählung angehängt, wahrscheinlich unter dem Einfluß der Namensnennung in der Verklärungserzählung (9,4.5). Daß es sich um eine bewußte Reflexion handeln muß, ergibt sich aus der von der ursprünglichen Reihenfolge Mose — Elija in 9,5 abweichenden Vorrangstellung des Elija in 9,4. Der leitende Gedanke war für Markus die Rolle des Elija, die er im Sinne von V. 13 und unter Bezugnahme auf 6,17 — 29 neu gedeutet hat. Die Verklärungserzählung, die den Elija an zentraler Stelle erwähnt, muß als Einstimmung in die Passion verstanden werden. Elija bezeugt von hoher Warte aus die Bedeutung des Heilsgeschehens. Mose repräsentiert ähnlich wie das alttestamentliche Zitat im Prolog (1,2 f.) die Schriftgemäßheit. Im Blick auf die angedeutete Elija-Täufer-Typologie ist von einem Elijageheimnis, das nach der Vorstellung der Redaktion bei dem Gespräch auf dem Berg (9,4 b) v o r den drei Zeugen enthüllt worden sei, gesprochen worden 1 1 2 . Die jüdischen, auf Macht und Herrlichkeit ausgerichteten Endzeiterwartungen seien nicht nur durch das Leiden des Messias Jesus, sondern auch durch das Martyrium des Elija auf den Kopf gestellt worden. Erst die Auferstehung des Menschensohnes (V. 10) könne das Mysterium Passionis entbergen. Der Versuch, dem leitenden Passionsthema durch den Rückgriff auf die Gestalt aus dem Alten Testament eine heilsgeschichtliche Absicherung zu geben, ist positiv zu bewerten. Trotzdem ist gegenüber der Konstruk-

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15.16. F. Hahn, Hoheitstitel 377, verweist mit Berufung auf Klostermann, Lohmeyer, Taylor und J. Jeremias auf die apokryphe Überlieferung. Vielleicht hat Markus in Anlehnung an V. 12 b pauschal ein Schriftpostulat ohne konkreten Bezugstext eingetragen, um seiner typologischen Deutung Gewicht zu geben. Der entscheidende Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das tatsächliche Lebensende des Täufers, das im Spiegel von 1 Kön 19,2.10.14 gedeutet worden ist. W.Wink, John the Baptist 15 — 17. Hier wie dort hat das Leiden-Müssen die eschatologischen Vorstellungen (der Messias — der wiederkommende Elija) umgeformt und neu thematisiert. »In Mark's hands the Elijah expectation is radicalized and transformed even while the old framework is preserved« (W. Wink, a. a. O. 16). Das Geheimnis ist in den versteckten Elija-Einblendungen der Markusredaktion (1,1 — 8) und in dem Unverständnis der Jünger (Mk 9,6.10.11) erkennbar. Die Jünger durften nicht verstehen, da das Geheimnis bis zur Auferstehung Jesu gewahrt bleiben mußte. Unter der Voraussetzung einer derart ausgeprägten Täufer-Menschensohn-Parallele — dem erlösenden Leiden Jesu ist das erlöste Leiden des Täufers vorangestellt worden — liegt die paradigmatische Beanspruchung für die christliche Leidensbewältigung nahe. Das Leiden des Täufers ist für die christliche Gemeinde, die in die Kreuzesnachfolge berufen ist (8,34), beispielhaft. »A divine principle of retribution ultimately effects a reversal in human affairs: the servant sball be lord, the last shall be first. Just as the prophets (12:2—8), so John and Jesus suffered, and so also the disciples and the church must pass through suffering and persecution before they will be vindicated« (W. Wink, a. a. O. 17).

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

tion des Elija-Geheimnisses Zurückhaltung geboten. Eine der wichtigsten Stützen der Theorie, das Fehlen einer offenen Identifizierung des Täufers mit Elija, erklärt sich hinreichend aus dem markinischen Stil, insbesondere aus dem unreflektierten oder zum mindesten nicht präzise fixierten Umgang mit der Schrift. Markus gibt sich mit Andeutungen und symbolischen Chiffren zufrieden. Es mag sein, daß die besondere Weise der Darstellung auch theologisch motiviert war, aber für die Konstruktion eines ElijaGeheimnisses reichen die Belege kaum aus. Im übrigen gilt es zu bedenken, daß die Messiasgeheimnistheorie, die entscheidende Stütze für das angebliche Elija-Geheimnis, längst nicht so gesichert ist, wie weithin angenommen wird 113 . Die wichtigsten Bedenken ergeben sich aus der theologischen Überbewertung des Mannes, der von Markus keinesfalls als Mit-Erlöser, auch nicht als der »erlöste Erlöser« 114 des gnostischen Mythos, sondern nur als Vorläufer des leidenden Menschensohnes, als prototypische Vorausdarstellung im Sinne von Verheißung und Erfüllung verstanden worden ist.

5. Die Frage nach der Vollmacht Jesu und die Rückfrage nach der Herkunft der Johannestaufe (11,27 — 33) Die Perikope greift mit dem ταύτα ποιείς am Anfang des Gespräches Jesu mit den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und Ältesten (11,27 f.) und mit der abschließenden Bemerkung έν ποία εξουσία ταΰτα ποιώ (V. 33) auf die Tempelreinigungserzählung (11,15 — 19) zurück 115 . Über die formgeschichtliche Einstufung (Paradigma, Streitgespräch) muß hier nicht gehandelt werden. Die Geschehensdarstellung hält sich an ein rabbinisches Erzählmuster: Die kritische Frage (V. 28) provoziert eine entsprechende Gegenfrage Jesu (V. 30), die die »Gegner« mattsetzt: sie überlegen hin und her, erkennen die »Falle« und ziehen sich zurück (V. 33). Jesus kann daraufhin seinerseits auf die Antwort verzichten. Die traditionsgeschichtlich schwer zu bestimmende Perikope 116 macht zwei für die Täuferfrage

113

Vgl. J . Ernst, Exkurs: Das Messiasgeheimnis und die Schweigegebote Jesu, in: Markus 243-245.

114

Vgl. 2. Kap. V. 3. Die Idee der himmlischen Erlösergestalt hat im synkretistischen Täufertum eine Rolle gespielt. Inwieweit allerdings der Mit-Erlöser-Gedanke zum Tragen gekommen ist, läßt sich nur schwer feststellen.

115

K . L. Schmidt, Rahmen 294: »Gesichert ist aber diese Deutung nicht. Es kann sich das ταΟτα auch auf irgend eine andere Sache beziehen, die uns nicht bekannt ist.« D. Lührmann, Pharisäer und Schriftgelehrte 182 Anm. 41, weist auf den Zusammenhang zwischen dem Vollmachtsthema und den Schriftgelehrten in der Markusredaktion hin.

1,6

R. Bultmann, Geschichte 18 f.: V. 28 — 30 ist ein »echt palästinensisches Apophthegma« mit der Tendenz: »Wie der Täufer seine εξουσία von Gott und nicht von Menschen

Die Vollmacht Jesu — die Herkunft der Johannestaufe (11,27 — 33)

35

wichtige Aussagen: 1. Der Gottesmann Johannes wird von den Führern des Volkes abgelehnt; 2. Johannes wird durch die Volksmeinung als Prophet bestätigt. Im einen wie im anderen Fall ist die Täufer-JesusParallele der bestimmende Hintergrund. Im Makrokontext der auf die Passion ausgerichteten Jerusalemer Streitgespräche (11,27 — 12,44) bekommt der dem Täufer verweigerte Glaube (V. 33) einen besonderen Hintersinn. Johannes schattet verhalten, aber doch erkennbar, die Verwerfung Jesu durch die Führer des Volkes (14,1.53 — 65; vgl. 11,18) voraus. Der Prototyp des Leidens ist auch in der Argumentation Jesu präsent. Die Kennzeichnung als Prophet (V. 32 par Mt 21,26 und Lk 20,6) nimmt sicher Bezug auf eine historische, im Bewußtsein des Volkes festsitzende Meinung (vgl. 1 , 4 - 6 ; Mt 11,9/Lk 7,26 = Q; Mt 14,5; Lk 1,76; Joh 1,21.25) 117 . Johannes ist in den Augen der Menschen sogar ein wirklicher Prophet 118 , also ein Mann, der mit Fug und Recht in die Reihe hatte, so auch ich!« V. 31 f. sind sekundäre Ergänzung und Umdeutung der Vorlage. J. Gnilka, Markus II, 136 — 138 (in Anlehnung an G. S. Shae, The Question of the Authority of Jesus, in: NT 16 [1974] 1—29) sieht eine dreistufige Wachstumsgeschichte: »Die erste Stufe erinnert mit ihrer hohen Wertschätzung Johannes' des Täufers an die Uberlieferung der Spruchquelle (vgl. Mt 11,11), die zweite mit ihrem polemischen Akzent der Vollmachtsfrage an Apg 4,7. — Markus hat vor allem am Beginn der Perikope eingegriffen. Mit Vers 27a erreicht er den Anschluß an die Tempelszene ... In Vers 32 geht der Begründungssatz, der den Täufer einen Profeten nennt, höchstwahrscheinlich auf das Konto des Evangelisten« (137 f.). Kritiker haben mit Recht von einem »formgeschichtlichen Formalismus, der dem Werk des Erzählers nicht angemessen ist« (W. Schmithals, Markus 506), gesprochen. Nicht völlig von der Hand zu weisen, aber schwer zu beweisen, ist die Auffassung, daß in der traditionellen Perikope Johannesjünger die Fragenden waren. Für diesen Fall bezöge sich das τ α ΰ τ α V. 28 nicht auf die Tempelreinigung, sondern auf die Vollmachtstaten (Wunder). Daß es sich um die Tauftätigkeit Jesu handele, ist ganz unwahrscheinlich. Oder verteidigen Christen die Legitimation ihrer Taufe gegenüber fragenden Täuferjüngern? Ich halte es für wahrscheinlicher, daß es sich um eine in sich geschlossene und abgerundete Erzähleinheit, für die es zahlreiche formale Analogien in der jüdisch-hellenistischen Literatur gibt (Strack-Billerbeck 1,861 f.; Test Ijob 3 6 - 3 8 ) , handelt. Vgl. auch R. Pesch, Markus II, 209: »Der Text ist als ein — freilich aus der Perspektive der Urgemeinde (bes. greifbar in VV 31 f) geformter einheitlicher Bericht über die amtliche Befragung Jesu aufzufassen, der auf den Makrokontext der Passionsgeschichte angewiesen und deshalb keine selbständige, isoliert tradierbare Erzähleinheit ist.« Auf Diachronie und einen historischen Grundbestand abhebend K. Backhaus, »Jüngerkreise« 80 — 86. 1,7

118

Nach Mk 11,32 par und Mt 14,5: Volksmeinung; nach Joh 1,21.25: Meinung der Jerusalemer Untersuchungskommission; nach Lk 1,76: prophetisches Urteil des Vaters Zacharias; nach Mt 11,9 par: das Urteil Jesu. Das dem ότι-Satz vorangestellte δντωξ (Umstellung in zahlreichen Handschriften bzw. Auslassung) muß als Bekräftigung der nachfolgenden Aussage im Sinne von »ein echter Prophet« verstanden werden. Damit ergibt sich eine von Mt 11,9 (mehr als ein Prophet)

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

der bekannten alttestamentlichen Vertreter dieses Standes eingeordnet werden kann. Wenn man die gleichgerichtete Einschätzung Jesu in der Wiedergabe der Volksmeinung (6,14 f.; 8,28) im Auge behält, bekommt die betonte Qualifizierung des Täufers ein besonderes Gewicht. Markus hat trotz der von ihm vorgenommenen Parallelisierung der verfolgten Propheten Johannes und Jesus aber auch die Unterschiede betonen wollen. »Jesus wäre mit der Kategorie des Profeten unzulänglich gekennzeichnet.« 119 Johannes ist trotz der 1,2 noch erkennbaren Zuordnung zum kommenden Richter-Gott im Sinne des Markus der Prophet des nach ihm kommenden Messias Jesus (Mk 1,8), aber immerhin auch mit einer besonderen Sendung von Gott (vom Himmel) ausgestattet. Eine bewußte Reflexion über den Prophetennamen und seine Bedeutung für den Täufer scheint nicht in der Absicht des Markus gelegen zu haben, der Bezug auf die Volksmeinung will lediglich die Verlegenheit der Volksführer unterstreichen. Beachtenswert ist die Tatsache, daß bei der kritischen Frage nach der Autorität Jesu überhaupt auf den Täufer Bezug genommen wird. E. Lohmeyer hat aus der auffälligen Hervorhebung der Taufe des Johannes (gefragt wird nicht nach der Vollmacht des Täufers!) einen Hinweis auf die Ursprünge des Messiastums, d. h. der Vollmacht Jesu heraushören wollen 120 . Wir haben schon aufgezeigt, daß die kurze Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1,9 — 11) ein derartiges Verständnis nicht stützt. Die blassen Töne des Gemäldes und die literarische Verarbeitung deuten auf einen späten zeitlichen Ansatz, vielleicht auf eine Situation, in welcher die Täuferschüler nach der Vollmacht der christlichen Missionare fragten, hin. Aber soviel wird doch deutlich: Johannes und Jesus stehen nach dem Urteil des Markus zueinander in einer heilsgeschichtlichen Beziehung von besonderer Art.

abweichende Einstufung. F. Hahn, Hoheitstitel 375 Anm. 7, hält es dagegen für möglich, daß Markus Johannes als »den Propheten«, d. h. als eine eschatologische Heilbringergestalt einstufen wollte. 115 120

J. Gnilka, Markus II, 140. E. Lohmeyer, Markus 242 Anm. 3: »Fast alle Kommentare (von Merx bis Hauck) erläutern die Frage Jesu wie Bultmann ... : >Wie der Täufer seine εξουσία von Gott und nicht von Menschen hatte, so auch ich.< Aber Jesus fragt nicht nach dem Täufer, sondern nach der Taufe, nicht nach einer persönlich verliehenen Vollmacht des Täufers, sondern dem gottgegebenen Ursprung der Taufe. Zudem wäre die Antwort nur auf einen Analogieschluß gegründet und das Entscheidende verschwiegen, wodurch diese Analogie zu rechtfertigen sei. Also ist die Johannes = Taufe nicht ein analoges Beispiel, sondern der sachliche Grund der Vollmacht Jesu.« Konkret bedeutet das: Jesus steht nicht nur in der Tradition, sondern auch in der theologischen Legitimation des Täufers.

Das Täuferbild des Markus

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6. Das Täuferbild des Markus Markus hat die Gestalt des Täufers in mehrfacher Hinsicht für die Christusverkündigung in Dienst genommen: 6.1. Johannes ist nach den Vorstellungen des Markus der Mal 3,1 und Jes 40,3 angesagte Vorläufer und Wegbereiter des Herrn. Gegenüber der prophetischen und frühchristlichen Tradition, die auf den kommenden Stärkeren, den Richter- und Retter-Gott, schaute, hat Markus den Blick auf den Kyrios Christus Jesus gerichtet. Der Täufer geht ihm voraus und bereitet ihm den Weg. Johannes ist der Rufer in der Wüste. Die Darstellung seines Auftretens ist in den Einzelzügen (Predigt, Kleidung, Ort der Taufe) durch typologisch aktualisierte Elemente des alttestamentlich-jüdischen Prophetentums bestimmt. Die christologische Orientierung hat die nach wie vor bestimmende eschatologische Komponente auf den im Auftreten Jesu erfüllten Kairos (1,15) bezogen. Johannes, der Bote der Endzeit, steht jetzt am Anfang des Evangeliums von der in Jesus Christus nahegekommenen Gottesherrschaft. 6.2. Das Bild des Elias redivivus — nach Mal 3,23 wird er alles wiederherstellen (vgl. Mk 9,12) — ist auf die Passion des Gottessohnes abgestellt. Der Täufer ist in seinem gewaltsamen Lebensende der Prototyp des leidenden Menschensohnes Jesus. Die Gemeinde ist aber auch auf ihr eigenes Geschick in den Drangsalen der Zeit hingewiesen worden 121 . Darüber hinaus hat die von Markus unterstrichene Vorabbildung des Jesusleidens auch einen apologetischen Sinn: Jesus ist nicht Opfer von Intrigen geworden, Gott hat es vielmehr so gewollt. Der Täufer Johannes steht dafür ein 122 . 6.3. Johannes ist nach den Intentionen des Markus der Mann »zwischen den Zeiten«. Er steht einerseits am Anfang des Evangeliums (1,1), andererseits in seiner Rolle als Wegweiser (1,2 f.) und Vorläufer (1,7) noch vor dem Evangelium. Altes Testament und Neues Testament sind durch den Täufer in einem übergreifenden Sinne als Dokument des einen göttlichen Heils willens ausgewiesen. Markus hat diese heilsgeschichtliche Rolle des 121

122

W.Wink, John the Baptist 17: »John's suffering as Elijah-incognito prepares the way for the fate of Jesus, and serves as an example to the persecuted Christians in Rome.« P. J. Achtemeier, Mark as Interpreter 342: »... Mark has shown that Jesus' death was a necessary, indeed inevitable, climax to his career. John the Baptist thus played a continuing role (chapters 1,6, and 11) in the story of Jesus; and it was a role whose significance is to be found, in the final analysis, in the fate John shared with Jesus.«

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Johannes der Täufer in der Markusredaktion

Täufers durch die unstimmigen Terminierungen von 1,1 und 1,14 unterstreichen wollen. 6.4. Für Markus sind Probleme, die sich aus der aktuellen Spannung zwischen Täufer- und Jesusjüngern — im Sinn der Redaktion: zwischen Johannes und Jesus — ergeben, durch neue Fragestellungen in den Hintergrund gedrängt worden. Der Täufer ist dabei, eine Gestalt der Geschichte zu werden. Jesus steht dagegen ganz in der Gegenwart.

II. Johannes der Täufer in der Logienquelle Die Frage nach dem Täuferbild der Logienquelle behält trotz der literarischen1 bzw. traditionsgeschichtlichen2 Unscharfen der Texte und der berechtigten Reserve gegenüber einer reflektierten Q-Theologie doch ihr Gewicht 3 . Wir wissen nicht genau Bescheid über die innergemeindlichen Bedingungen, die zur Entstehung der Logienquelle geführt haben. Gab es überhaupt eine Gruppe oder Gemeinde, deren Glauben und Bekennen sich in dem hypothetischen Gebilde Q spiegelt? Das Problem ist auch nach den beachtlichen Untersuchungen zur theologischen und soziologischen Standortbestimmung 4 ungeklärt. In jedem Fall kann das Nachdenken über Glauben, Verkündigen und Lehren in der Zeit vor der Verschriftlichung der Evangelien von Nutzen sein. Unsere Fragestellung konzentriert sich auf die Rolle des Täufers im Glaubensleben einer an der Lehre Jesu besonders interessierten Gruppe, Schule, Richtung oder wie immer man den Interessenverband auch beschreiben mag. Die Grobeinteilung der für die Rolle des Täufers relevanten Texte ergibt: 1. »Worte und Sprüche des Täufers« (Mt 3,7 — 12/Lk 3,7 — 9.15 — 18) und 2. »Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers« (Mt 11,2-6/Lk 7 , 1 8 - 2 3 ; Mt 11,7 —11/Lk 7 , 2 4 - 2 8 ; Mt

1

2

3

4

Die Kriterien für die Rekonstruktion der Logienquelle sind nicht eindeutig: Ist Matthäus zuverlässiger oder Lukas? Hat es eine schriftliche Quelle gegeben oder nur eine mündliche Traditionsschicht? Vgl. die ausgewogene Darstellung von Ph. Vielhauer, Geschichte 311—316, bes. 312f., allerdings mit dem Ergebnis: »... daß die Argumente für die Schriftlichkeit von Q durch die Beobachtungen Wellhausens und Blacks entscheidend gestützt worden sind« (313). P. Hoffmann, Studien, argumentiert weitgehend redaktionsgeschichtlich; S. Schulz, Spruchquelle 42, untersucht den Überlieferungsprozeß: »Daß diese Q genannte urchristliche Überlieferung ihre eigene Geschichte, einen Überlieferungsprozeß durchgemacht hat, der von palästinensischen über hellenistisch-judenchristliche Traditionen und ersten Sammlungen bis hin zu einer bewußten Q-Redaktion reicht, ist deutlich und kann heute nicht mehr bestritten werden.« D. Lührmann, Redaktion, läßt trotz des vorrangig redaktionsgeschichtlichen Interesses Raum für traditionsgeschichtliche Fragestellungen. Die urchristlichen Tradenten, die hinter der Logienquelle stehen, hatten eine an die eigene Gemeindesituation angepaßte Täufervorstellung vor Augen. »Das aber ging nicht ohne Interpretation im weitesten Sinne.« Vgl. J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 4. P. Hoffmann, Studien usw. H. E. Tödt, Menschensohn 212—245.

40

Johannes der Täufer in der Logienquelle

11,16— 19/Lk 7 , 3 1 - 3 5 ; Mt 11,12—13/Lk 16,16). Schon jetzt darf gefragt werden, ob hinter den Spruchsammlungen eine Leitidee, ein für Q bestimmendes Täuferkonzept steht oder ob der Zufall Regie geführt hat 5 .

1. Worte und Sprüche des Täufers 1.1. Die Umkehr- und Gerichtspredigt (Mt 3 , 7 - 1 0 / L k 3 , 7 - 9 . 1 7 ) Die traditionelle Umkehr- und Gerichtspredigt enthält: a) eine apophthegmatische Einleitung (Mt V. 7 a/Lk V. 7 a); b) eine rhetorische Frage, welche in ihrer bedrohlichen Radikalität (die Anrede: γεννήματα έχιδνών) die Angesprochenen unmittelbar mit dem Gericht konfrontiert (Mt V. 7 b/ Lk V. 7 b); c) eine Aufforderung zur Umkehr als letzte Möglichkeit, dem Strafgericht zu entkommen (Mt V. 8/Lk V. 8 a); d) die Verwerfung von falschen Heilssicherungen, d. h. die Berufung auf die Abrahamskindschaft (Mt V. 9/Lk V. 8 b); e) das Bildwort von der Axt an der Wurzel des Baumes (Mt V. 10/Lk V. 9); f) das Bildwort von Spreu und Weizen (Mt V. 12/Lk V. 17). Die Einleitung erwähnt in der ursprünglichen Fassung das Reden des Täufers (ελεγεν οΰν bzw. εΤπεν ουυ; vgl. das alttestamentliche wajjomer) 6 . Die Predigt selbst ist bis auf einige wenige Abweichungen 7 bei beiden Evangelisten wörtlich übereinstimmend tradiert. In die Rede eingeschoben ist das aus älterer Uberlieferung stammende Wort vom kommenden Stärkeren, der mit Geist und Feuer taufen wird (s. Abschnitt V. 1. und 2.). Die Wachstumsgeschichte ist nur schwer durchschaubar. Ob es sich um eine synchron zu lesende Einheit 8 oder um zwei diachron zu wertende Spruchgruppen handelt, wird noch zu prüfen sein 9 . Im einzelnen 5

D. Lührmann, Redaktion 89, spricht von der Zusammenfügung »ursprünglich isolierter oder bereits in kleinen Sammlungen vereinigter Logien unter bestimmten theologischen Gesichtspunkten«. Anders S. Schulz, Spruchquelle 39 f., der nur die Komposition und Stoffauswahl — offenbar ohne jeden theologischen Leitgedanken — gelten läßt. W. Wink, John the Baptist 18 Anm. 1, fragt skeptisch nach den Kriterien, die eine redaktionsgeschichtliche Betrachtung der Logiensammlung gestatten könnten. Nur als Vorarbeit für die Evangelienredaktion und als Material für weitere Rückfragen nach der Meinung Jesu über den Täufer hätte die Quelle Bedeutung. Eine derartige Verkürzung des theologischen Eigengewichtes ist nach den neuesten Ergebnissen freilich nicht gerechtfertigt.

6

Vgl. Lk 13,18; 19,12; 12,54. Lukanische Redaktion ist allerdings nicht völlig auszuschließen.

7

Mt V. 8: καρττόν άξιον, Lk V. 8: καρπούς άξιους; Mt V. 9: δόξητε, Lk V. 8: άρξησθε; Lk V. 9: das eingefügte καί; Mt V. 12: zwei durch καί aneinandergereihte Aussagesätze; Personalpronomen αύτοϋ nach σΐτον. Lk V. 17: Finalkonstruktion, Personalpronomen αύτοΰ nach άττοθήκην.

8

S. Schulz, Spruchquelle 369.

9

Vgl. die Überlegungen zur Traditionsgeschichte bei P. Hoffmann, Studien 15 — 33. M. Dibelius, Überlieferung 53 — 57, untersucht die Worte nur unter historischen Ge-

Worte und Sprüche des Täufers

41

sind folgende Probleme abzuklären: 1. Die Adressaten der Predigt; 2. Die anstößige Anrede; 3. Die Umkehrfrucht; 4. Das Verhältnis von Umkehr und Gericht; 5. Überlieferung und theologische Bedeutung der Täuferpredigt. 1.1.1. Die Adressaten der Predigt Da die Pharisäer und Sadduzäer in der Sicht des Matthäus die typischen Gegner Jesu sind 10 , dürfen die Namen von vornherein der Redaktion zugesprochen werden, d. h. sie gehören nicht zur ursprünglichen Fassung 11 . Das sperrige Schimpfwort Mt V. 7b/Lk V. 7 b und die radikale Gerichtsdrohung würden zwar gut zu ihnen passen12, der Bußruf setzt jedoch einen weiteren Rahmen voraus 13 . Es empfiehlt sich deshalb, an die Mt V. 9 angesprochenen Abrahamskinder, also an die jüdische Generation im allgemeinen zu denken. Lukas hätte dann mit den όχλοι, die zum Taufempfang hinauskommen, die bessere und ältere Fassung der Redeein-

10 11

12 13

sichtspunkten, die Quellenfrage (Mk oder Q) hält er für undurchsichtig. D. Lührmann, Redaktion 31.55 f., scheint Mt 3,11 /Lk 3,16 als redaktionellen Einschub der Evangelisten Matthäus und Lukas in die zusammenhängende Gerichtspredigt Mt 3,7 —10.12/Lk 3,7 — 9.17 zu verstehen, freilich mit der Einschränkung, die Logienquelle könne »eventuell an dieser Stelle noch mehr enthalten haben, was der Mk-Überlieferung entsprach und deshalb bei Lk und Mt nicht von dieser zu unterscheiden ist« (a. a. O. 31). A. Fuchs, Überschneidungen 66, hält Mt 3,7—10/Lk 3,7—9 für einen deuteromarkinischen Einschub, hinter dem älteres Material ( = Q) stehe; »doch sagt dies durchaus nichts gegen eine eventuelle Eingliederung dieses Stoffes in den Rahmen des Mk im Zug der Zweitauflage dieser Schrift.« C. R. Kazmierski, The Stones of Abraham 29, denkt an ein prophetisches Orakel, das vom Q-Redaktor mit dem Taufwort (Mt 3,11 f./Lk 3,16 f.) verbunden worden sei. 4-mal von Matthäus rein redaktionell eingesetzt. C. H. Kraeling, John the Baptist 49, spricht von der »priestly aristocracy«. R. Schütz, Johannes der Täufer 31 Anm. 10, hält die Pharisäer und Schriftgelehrtenanrede für historisch. K. L. Schmidt, Rahmen 25 f., rechnet mit dieser Möglichkeit, ohne sich festzulegen. Vgl. die ausführliche Darstellung der wissenschaftlichen Diskussion bei A. Fuchs, Intention und Adressaten 63 — 69, mit dem Ergebnis: »Insgesamt kann also am schriftstellerischen Ursprung der mt Adresse kein Zweifel bestehen« (69). So auch A. v. Harnack, Sprüche 33. E. Klostermann, Lukas 53. H. Sahlin, Studien 32 f. Anm. 4. P. Hoffmann, Studien 17: »Mit der Nennung der beiden historisch nicht zusammengehörenden Gruppen trifft Matthäus kaum die ursprüngliche Situation. Wahrscheinlich hat er die Einleitung redaktionell gestaltet.« So auch W. Trilling, Täufertradition 282 f. A. Salas, El mensaje del Bautista. Redacción y teología en Mt 3,7 — 12, in: EstB 29 (1970) 55 — 72, bes. 60 f. B. Marconcini, Tradizione e redazione in Mt 3,1 — 12, in: RivBib 19 (1971) 168. Vgl. E. Lohmeyer, Matthäus 37; W. Grundmann, Matthäus 94. Vgl. J. Wellhausen, Matthaei 5.

42

Johannes der Täufer in der Logienquelle

leitung tradiert 14 . Es ist vermutet worden, der Text hätte ganz allgemein von den Kommenden (πολλούς ... ερχομένους Mt V. 7) oder in Ableitung von Mt V. 5 und Mk 1,5 (vgl. Lk V. 3) vom Kommen der Bewohner von Jerusalem, ganz Judäa und des Jordanumlandes gesprochen 15 . Aber das bleibt unsicher. Der ursprüngliche Wortlaut wird sich kaum noch rekonstruieren lassen. Wichtig ist nur, daß in Q nicht ein Teil, sondern das ganze Volk insgesamt angesprochen werden sollte.

1.1.2. Die anstößige Anrede Wenn das ganze Volk angesprochen ist, bereitet die Anrede »Schlangenbrut« Schwierigkeiten. Menschen, die sich taufen lassen wollen, verdienen keine derartige Beschimpfung 16 . Der Ausdruck muß trotz seiner sprachlichen und inhaltlichen Eigenständigkeit (bösartig bis ins Innerste, giftig) 17 im Blick auf die V. 9 zurückgewiesene Berufung auf die Abrahamskindschaft gelesen werden. Es ist denkbar, daß Matthäus eine ältere Fassung, die dem hebräischen ΦΠ3-,13 = Schlangensöhne 18 entsprach, bei der Umwandlung der Einleitung V. 7 durch den ihm geläufigen PharisäerSchimpfnamen »Schlangenbrut« (γεννήματα εχιδνών Mt 12,34; 23,33: δφεις, γεννήματα εχιδνών) ersetzt hat. Trotz der sprachlichen Sonderform (Gen 3,1.4.13.14 f.[vgl. Offb 12,9; 20,2] werden die Begriffe ό όφις [»Π3Π] und τό σπέρμα [VIT] verwendet) darf also für die Q-Fassung mit einem

14

H. Schürmann, Lukas 163: »Luk bewahrt den ursprünglichen Sinn der Vorlage, wenn er die Bußpredigt nicht an besondere Gruppen im Volk, sondern an dessen Ganzheit gerichtet sein läßt, an alle >Kinder Abrahams< (V 8).« Zur Diskussion über die sprachliche Verwendung des Begriffs όχλος vgl. A. Fuchs, Intention und Adressaten 63 f.: Bearbeitung durch Lukas ist möglich, όχλος kann aber schon in der Quelle gestanden haben.

15

A. v. Harnack, Sprüche 33: »Die Quelle mag etwa gelautet haben: ίδών πολλούς ... έρχομένους siri τό βάπτισμα είττεν αΰτοϊς. Aus Matth, v. 5 = Luk. v. 3 folgt, daß auch πάσα ή περίχωρος τοΟ Ίορδάνου in Q stand.« Ähnlich S. Schulz, Spruchquelle 367: 'Ιωάννης εΤττεν τοις έρχομένοις έπί τό βάπτισμα. Daran ist richtig, daß Johannes am Anfang genannt sein muß, da die Logienquelle mit der Täuferpredigt begonnen hat. A. Fuchs, Intention und Adressaten 63—65, urteilt sehr zurückhaltend: Der genaue Wortlaut der Vorlage ist nicht mehr rekonstruierbar, wahrscheinlich hat sie von der großen Anzahl von Zuhörern gesprochen.

16

B. Marconcini, Tradizione e redazione 181, hält den Ausdruck »Schlangenbrut«, »Natterngezücht« für eine redaktionelle Bildung des Matthäus, Lukas habe sie von diesem übernommen, vgl. dagegen A. Fuchs, Intention und Adressaten 71 f.

17 18

W. Förster, in: T h W N T 11,815. H. Schürmann, Lukas 164. Jes 14,29 b: σπέρμα όφεων könnte eine Parallele sein, aber die Pluralform (όφεων) deutet auf eine qualifizierende, nicht aber auf eine genealogische Aussage hin. So bleibt es also bei der hypothetischen Rekonstruktion der Ursprungsgeschichte. Im hebräischen ΒΠ1 HD® =

Wurzel der Schlange (Singular) haben wir ein Bild für den Ausgangspunkt einer

Entwicklung; vgl. H. Wildberger, Jesaja, Teilbd. 2 ( B K . A T X/2), Neukirchen 1978, 581.

Worte und Sprüche des Täufers

43

betonten Riickverweis auf die Paradieserzählung gerechnet werden 19 . Die Abrahamsnachkommen sind in Wirklichkeit Teufelskinder (vgl. hierzu Joh 8,33 ff.44). Das Akumen des »Schimpfwortes« liegt jetzt in der massiven Zerschlagung der von den Führern des Judentums beanspruchten Sicherheitsgarantien. Gottes Souveränität ist ausschlaggebend. Die Abrahamsabstammung ist tot wie ein Stein. Wenn Gott es wollte, könnte er an den Geschlechterreihen Israels vorbei aus den toten Steinen Söhne Abrahams ins Leben rufen 20 . Die Gedankenführung der Logienquelle liegt ganz auf der Linie der heilsgeschichtlich ausgerichteten prophetischen Polemik 21 . »Unüberhörbar spricht hier machtvoll ein bevollmächtigter Prophet, nicht irgendwer.« 22 Schon der Täufer hat die Gesetzesprivilegien des Judentums verworfen. Ohne Gesinnungsänderung geht es nicht. Eine geistreiche Exegese hat neben der Berufung auf die Abstammung (Mt V. 9/Lk V. 8 b) in der lediglich angedeuteten, angeblich nur äußerlich angestrebten Taufhandlung (Mt V. 7/Lk V. 7) einen weiteren konkurrierenden Sicherheitstitel vermutet 23 und daraus traditionsgeschichtliche Schlußfolgerungen abgeleitet24 — zu Unrecht! Die Taufe gibt nur den äußeren Rahmen für die Täuferpredigt ab, über die innere Disposition der Taufempfanger wird in keiner Weise nachgedacht. »Folgen wir der Struktur der Komposition, dann hat die einleitende Frage nur den folgenden Imperativ vorzubereiten.« 25 Es geht also zentral um die Umkehr.

19

20

21

22 23

24

25

Vgl. Th. Zahn, Matthäus 136: »... will nicht nur sagen, daß die arglistige Gesinnung, deren Bild die Schlange ist, bei ihnen bereits von Geschlecht zu Geschlecht sich fortgepflanzt habe und gleichsam zur anderen Natur geworden sei, sondern soll an die >alte Schlange< (Ap 12,9; 20,2) erinnern, deren Geschlecht nicht aufhört mit dem Menschengeschlecht im Kampf zu liegen und Gottes gnädigen Absichten über die Menschen entgegenzuwirken (Gen 3,15).« E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 61; Th. Innitzer, Johannes der Täufer 180 f. Anders W. Förster, in: ThWNT 11,815. J. Becker, Johannes der Täufer 32: »Gott wird also selbst bei Einkalkulierung dieser kaum ausdenkbaren, ihm aber zu Gebote stehenden Wundertat dem Abrahambund nicht untreu werden.« S. Schulz, Spruchquelle 374, präzisiert mit dem Hinweis auf die großen Chassidim, Apokalyptiker, Qumran-Essener und Pharisäer. H. Schürmann, Lukas 183. J. Wellhausen, Matthaei 5; Th. Zahn, Lucas 192. H. Schürmann, Lukas 164: »Zwei Abschirmversuche müssen den Taufwilligen aus den Händen geschlagen werden: der Mißbrauch der Taufe ( V V 7 b — 8 a) und die Berufung auf die Abrahamskindschaft (V 8 b).« H. Schürmann, Lukas 182f.: »In der Missionspredigt vor Juden dürfte also der frühe überlieferungsgeschichtliche Ort für eine derartige Täufertradition zu suchen sein. Von da war dann der Weg nicht weit für die in der Redequelle bezeugte spätere Verwendung in der präbaptismalen Unterweisung bzw. als Muster einer Taufansprache.« P. Hoffmann, Studien 27.

44

Johannes der Täufer in der Logienquelle

1.1.3. Die Umkehrfrucht Der Aufruf zur Umkehr ist in der Q-Fassung sprachlich unpräzise und inhaltlich mehrdeutig. Das Bild vom Fruchtbringen (Mt V. 8/Lk V. 8 a), das den einfachen Imperativ »kehrt um« (Mt V. 2) ausmalt, kann ein sprachlicher Semitismus (vgl. Gen 1,11 f.: "HD ÌWS) sein, eine sprichwörtliche Umschreibung des menschlichen Tuns liegt jedoch näher. Der Zusatz »würdig« (άξιος) sagt so viel wie »entsprechend«, »angemessen« 26 . Das entscheidende Problem liegt in der Frage, in welchem Verhältnis die zu erbringende Frucht zu der eingeforderten Umkehr steht. Muß man im Sinne eines gen. qualitatis 27 an eine intensivierende Präzisierung in der Bedeutung von: »Kehrt radikal um« denken? Oder werden zusätzliche Beweise für die Ernsthaftigkeit der Bekehrung in guten Werken, ethischen Leistungen oder ganz allgemein in sichtbaren Zeichen eingefordert? Die Singularform des Matthäus (καρπόν άξιον) legt die erste Deutung nahe 28 , die Pluralform des Lukas (καρπούς άξιους) die zweite 29 . Gewöhnlich deutet man die Wendung in Anlehnung an die Matthäusfassung als eine mit der Taufe einhergehende Umkehrentscheidung oder Lebenswende. Die Frucht besteht dann in der Umkehr an sich. Lukas wäre in diesem Falle mit dem Plural seiner ethisierenden Gesamttendenz gefolgt 30 . Wenn es sich umgekehrt verhielte, d. h. wenn Lukas mit dem Plural die ältere jüdisch-alttestamentlich formulierte Q-Fassung beibehalten hätte, müßte man die Singularisierung des Matthäus im distributiven Sinne verstehen 31 . Beide Möglichkeiten sind grundsätzlich denkbar; eine Entscheidung ließe sich leichter treffen, wenn die eschatologischen und allgemein-religiösen Vorstellungen der Gemeinde, die hinter der Logienquelle steht, bekannt wären. Für den Täufer hat die Umkehr an sich natürlich einen besonders hohen Stellenwert; es wäre freilich unrealistisch und lebensfremd, wollte man die ethischen Implikationen, zumal für die Rezeption des Rufs in der 26

Unannehmbar ist die Deutung von E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 68: »Kann auch dieser Gehalt niemals der Erfahrung eines menschlichen Herzens entbehren, gültig und >würdig< ist er nicht, weil der Mensch ihn erfährt, sondern weil Gott in ihm sich offenbart. So bedeutet auch in diesem Wort Buße eine unzweifelhafte göttliche Tat und Norm, durch welche die >Früchte< ihre Würde empfangen.«

27

Rehkopf-Blass-Debrunner § 165.

28

So auch H. Schürmann, Lukas 182: »...die geforderte >Frucht< war ursprünglich die Buße selbst.« Ders., a. a. O. 165 Anm. 23: Verweis auf A p g 26,20; μετανοεΐν κα\ Ιτπστρέφειν ÈTTI τον 06Òv, άξια της μετανοίας εργα ττράσσουτας.

29

I. Η. Marshall, Luke 140: »It is more likely that the plural stood in his source here {contra most scholars).«

30

P. Hoffmann, Studien 17f.: »Der Plural καρττούς άξιους... ist eine Bildung des Lukas«; H. Conzelmann, Mitte der Zeit 91. J . Jeremias, Die Sprache des Lukasevangeliums ( K E K ) , Göttingen 1980, 105.

31

Worte und Sprüche des Täufers

45

Logienquelle, völlig ausschließen. Schon der Täufer wußte um den engen Zusammenhang von Bußgesinnung und Bußwerken. Die Gemeinde der Logienquelle mag direkt das erwählte Volk Israel, das seiner Berufung untreu geworden war, im Auge gehabt haben. Umkehr ist eine grundsätzliche Forderung, die Frucht legt den Akzent auf das erkennbare äußere Zeichen. 1.1.4. Das Verhältnis von Umkehr und Gericht Der Tenor der Täuferpredigt wird erst dann richtig erfaßt, wenn die Spannung zwischen den beiden Leitmotiven Umkehr und Gericht erhalten bleibt. Die beiden einprägsamen Bilder von der Axt, die bereits an der Wurzel des Baumes liegt (Mt V. 10/Lk V. 9), und von der Worfschaufel in der Hand des dreschenden Erntearbeiters (Mt V. 12/Lk V. 17) sind in ihrer Dringlichkeit und drohenden Konsequenz kaum noch zu überbieten. Die zweimalige Erwähnung des verzehrenden Feuers (Mt V. 10/Lk V. 9: eis ττΰρ βάλλεται; Mt V. 12/Lk V. 17: κατακαύσει π υ ρ ί άσβέστω) läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig 32 . Wer sich jetzt in der letzten Stunde nicht entscheidet, ist endgültig verloren. Die Bilder erhalten, wenn man den Duktus der Zorngerichtsankündigung von Mt V. 7/Lk V. 7 im Auge behält, einen massiven, auf Verwerfung jeglichen Erwählungsanspruchs (wohl nicht auf generelle Verwerfung!) ausgerichteten Einschlag. Für die Logienquelle hat Israel insgesamt »durch seine permanente Gottlosigkeit selbst die Abrahamskindschaft als Möglichkeit verspielt, sich gegenüber Gottes Zorn wappnen zu können« 33 . Aktuelle zeitgeschichtliche Erfahrungen der Q-Gemeinde, vor allem die jüdischen Angriffe gegen die vom väterlichen Glauben abgefallenen Anhänger des Nazareners, mögen der äußere Anlaß für derartig massive Reaktionen gewesen sein. Es bleibt freilich festzuhalten, daß der Täufer selbst das »Denkmuster« der Verwerfung vorbereitet, dann allerdings durch den Aufruf zur Umkehr wieder entschärft hat (vgl. 2. Kap. 5.1. und 5.2. dieser Arbeit). Die Logienquelle bleibt auf dieser streng eschatologischen, am Gericht über den Unglauben 32

33

P. Hoffmann, Studien 28: »Das Bildwort von der Axt, die schon an die von der Erde freigelegten Wurzeln des Baumes angelegt ist, veranschaulicht, welche Aktualität die Gerichtsaussage besitzt: das Ende ist in der allernächsten Zeit zu erwarten. In dem der Ankündigung der Feuertaufe folgenden Bildwort von dem Mann, der die Worfschaufel schon in der Hand hat, um mit der Reinigung des Getreides auf der Tenne zu beginnen, wird dieses Motiv der bedrängenden Nähe des Gerichtes nochmals dargelegt. Die Logienquelle greift ohne Korrektur diese Gerichtsankündigung auf.« So auch S. Schulz, Spruchquelle 375. Zur Vorgeschichte des Feuermotivs als Gerichtsaussage vgl. 2. Kap. 5.1.3. J. Becker, Johannes der Täufer 32.

46

Johannes der Täufer in der Logienquelle

des erwählten Volkes ausgerichteten Linie. Der in die Drohung eingeblendete Umkehrruf hebt auf die Entscheidung in der Gegenwart und auf die Möglichkeit der Rettung ab. 1.1.5. Überlieferung und theologische Bedeutung der Täuferpredigt Die Alternative »genuine Täuferpredigt« oder »christliche Adaptation« ist gewiß zu einfach, aber sie zeigt doch die Problematik der Fragestellung auf. Die im Text vermuteten literarischen »Bruchstellen« geben erste Hinweise auf differierende Reflexionsebenen. Nach der Radikallösung von R. Bultmann 34 handelt es sich um christliche Spruchbildungen, vergleichbar etwa mit Lk 6,24 f.; 11,31 f.; 13,28 f. Es sei purer Zufall, daß Johannes und nicht Jesus der Sprecher der Drohworte sei 35 . V. Hasler 36 möchte die »Amen, ich sage euch«-Einleitung, die antithetische Form und das verwendete Sachmotiv als Merkmale einer geschulten antijüdischen Polemik der jungen Christengemeinde verstehen — kaum zu Recht 37 ! H. Schürmann 38 erkennt hinter der jetzigen Gestalt der Rede eine sog. präbaptismale Katechese, welche auf die sittlichen Konsequenzen der christlichen Taufe aufmerksam machen wollte. In die Katechese verwoben sei eine ältere Missionspredigt vor Juden, welche historisches Täufergut festgehalten und aktualisiert habe. Wenn diese Deutung zuträfe, müßte man freilich nach dem Stellenwert der auch in der Logienquelle noch vorhandenen intensiven Gerichtsankündigung fragen. Man hat nicht den Eindruck, daß sie nur noch ein katechetisches Nebenmotiv ist. Die christliche Taufe mit ihrem eindeutigen Bezug auf den Tod Jesu (Rom 6,3 — 5) verträgt sich zudem schwer mit der Radikalität der Drohrede. Die Studie 34 35

R. Bultmann, Geschichte 123; vgl. aber Ders., Jesus 24 f. Es ist zu Recht gefragt worden, ob sich die christliche Heilsverkündigung mit der Bußpredigt

ohne

Aufruf

zum

Glauben

an

Christus

zufriedengeben

könne;

vgl.

E . Lohmeyer, Johannes der Täufer 18 Anm. 2. C. H. Kraeling, John the Baptist 197 Anm. 4. W . W i n k , J o h n the Baptist 19 Anm. 1. Problematisch bleibt unter den angenommenen Voraussetzungen auch, warum sich die christliche Verkündigung des Mediums Johannes bedient hat. Offenbar muß es doch ein historisches Fundament gegeben haben, so M. Dibelius, Überlieferung 57, speziell zur »Standespredigt« des Täufers. 36

V. Hasler, Amen. Redaktionsgeschichtliche Untersuchung zur Einführungsformel der Herrenworte »wahrlich, ich sage euch«, Zürich—Stuttgart 1969, 55. Im Anschluß daran auch S. Schulz, Spruchquelle 372. Zur Kritik an Hasler s. J . Jeremias, Theologie 44 f. Anm. 38.

37

Die antithetische Form kann als archaisches Sprachmuster verstanden werden, das eingeschobene λέγω γαρ ύμΐν ist eine Bekräftigungs- und Kontestationsformel, die Ursprünglichkeit bestätigen will. Die Deutung der Formel als literarisch-schriftstellerische Konstruktion (S. Schulz, Spruchquelle 51) ist eine petitio principii.

38

H. Schürmann, Lukas 1 8 1 - 1 8 3 .

Worte und Sprüche des Täufers

47

von C. R. Kazmierski 39 berücksichtigt diesen Sachverhalt und fordert konsequent eine vom Taufzusammenhang losgelöste Würdigung des soziokulturellen Hintergrundes von Mt 3,7 b — 10/Lk 3,7 b —9. Das ist richtig gesehen; Zustimmung verdient auch die nicht ganz neue Einsicht in die Wachstumsgeschichte eines Logions und die damit verbundenen Formund Sachvariationen. Die Zuordnung des Täuferspruchs zu einer wiederauflebenden apokalyptischen Strömung ist jedoch nicht nachvollziehbar 40 . Die Lösung des Problems liegt in der konsequenten Zentrierung der Predigt der Logienquelle auf Eschatologie und Theologie. Trotz der gravierenden Unterschiede vertreten für Q der Täufer und Jesus die gleiche Sache Gottes 41 . Die Gerichtspredigt des Täufers hat auch bei Jesus und in der christlichen Gemeindeverkündigung eine bleibende Aktualität. Jesus hat das Thema allenfalls in einen neuen, auf die kommende Basileia bezogenen Erwartungshorizont gestellt 42 . Die Logienquelle mag dann im Zuge der sich anbahnenden Christianisierung der Eschatologie die ersten Schritte in Richtung auf eine Gleichsetzung Jesu mit dem kommenden Menschensohn-Richter gemacht und damit auch einen Anstoß zur Verchristlichung des Täufers gegeben haben. Tendenzen solcher Art sind aber in der Täuferpredigt selbst kaum zu erkennen 43 . Für die Quelle steht der Gedanke der Umkehr (Singular bei Matthäus) angesichts des drohenden Gerichtes im Vordergrund. Die neue Gesinnung wird der starren Heilsgewißheit, die sich auf den Vorzug der Abstammung verläßt, entgegengestellt. Der eigentliche und zentrale Gedanke, der allem vorausgeht, ist die im Wort des Täufers dargestellte Entscheidungssituation 44 . Jetzt bietet 39

C. R. Kazmierski, The Stones of Abraham 29: »We would suggest therefore, that in Matt 3,7 b—10 par. Luke 3,7 b—9 we are dealing with a saying which was originally independent of the limitations of its present context, and therefore, may have entered the Baptist tradition and indeed have helped shape it from an entirely different perspective than that ordinarily presumed.«

40

Der Spruch ist in der Gesamttendenz trotz gewisser Einförbungen nicht typisch apokalyptisch. Folgende Übereinstimmungen haben ihr Gewicht: Aufruf zur Buße, Zerstörung der Prärogativen Israels, Gericht über Israel, die Möglichkeit, Heiden an die Stelle Israels zu lassen, Abweisung der Selbstgerechten, Zulassung der notorischen Sünder, Sammlung eines »offenen Restes«. H. Merklein, Umkehrpredigt 2 9 - 4 6 . Anders P. Hoffmann, Studien 33: »Q modifiziert die Johannesverkündigung, indem sie seiner Predigt eine >christologische< Ausrichtung gibt. Sie ist stärker als Johannes an der Person des Richters interessiert und identifiziert den Richter mit dem (als Menschensohn kommenden) irdischen Jesus.« Diese Beurteilung setzt freilich die Einbeziehung des Abschnitts Mk l,7f./Mt 3,11/Lk 3,16 mit einem entsprechenden Verständnis des Subjekts αυτός voraus.

41

42 43

44

Etwas anders, weil auf das Kommen Jesu ausdrücklich bezogen, W. Wink, John the Baptist 18: »In the first place, the Q collection presents sayings which help to create this crisis by laying upon men the absolute demand of God in the last hour.«

48

Johannes der Täufer in der Logienquelle

sich den Zuhörern eine letzte Chance, im Gericht bestehen zu können; man muß sich freilich von den falschen Sicherheiten lösen. 1.2. Die Ankündigung des kommenden Richters (und Retters): Mt 3,11 /Lk 3,16 In die Gerichtspredigt der Quelle (Mt 3,7-10.12/Lk 3 , 7 - 9 . 1 7 ) sind Sprüche eingeschoben, die den heilsgeschichtlichen Rang des Täufers und seiner Taufe präzisieren (Mt 3,11/Lk 3,16). Johannes tauft mit Wasser, es kommt ein Stärkerer, der mit heiligem Geist und Feuer taufen wird. Johannes ist nicht würdig, ihm die Schuhe nachzutragen bzw. seine Schuhriemen zu lösen. 1.2.1. Die literarische Gestalt Da Markus in der Kurzfassung der Täuferpredigt 1,7 f. eine auffällige Parallele bietet, stellt sich die Frage nach der gegenseitigen Abhängigkeit (zum synoptischen Vergleich s. die Markusanalyse 1. Kap. 1.1.1.3.). Für die Quellenanalyse ergeben sich Schwierigkeiten aus dem Wechsel von Matthäus/Markus- und Lukas/Markus-Übereinstimmungen bzw. -Abweichungen. Matthäus spricht von einer »Taufe mit Wasser zur Umkehr« (V. 11), Markus (und Lukas) von der »Wassertaufe«; Matthäus hebt auf eine offenbar qualifizierende Aussage über den nach ihm Kommenden (substantiviertes Partizip) ab, Markus benutzt dagegen (mit Lukas) die Verbalform, die den Stärkeren, der nach ihm kommt (bei Lukas fehlt das όττίσω μου), im Auge hat. Matthäus spricht bei der Demutsäußerung vom Nachtragen der Schuhe, Markus (und Lukas) dagegen vom Lösen der Schuhriemen. Wenn Lukas seinen Text sekundär an Markus angeglichen hätte, läge bei Matthäus die ursprünglichere Q-Fassung vor 45 . Gute Gründe sprechen dafür, daß Lukas den Grundtext der Logienquelle, der sachlich von der Markusfassung nicht weit entfernt ist, besser überliefert hat, während Matthäus für die Abweichungen verantwortlich ist 46 . Wahrscheinlich ist die Wachstumsgeschichte jedoch noch komplizierter 47 .

45

So S. Schulz, Spruchquelle 368; R. Laufen, Doppelüberlieferungen 97: Matthäus hat den Wortlaut der Logienquelle (mit Ausnahme der Wendung εις μετάυοιαν) wörtlich übernommen, Lukas hat die Markus- und Q-Version vermischt.

46

Vgl. E. Arens, ΗΛΘΟΝ-Sayings 289: »From the three Syn versions, Lk has preserved the oldest: (1) όττίσω μου is absent, and one may wonder why he would have omitted it if it had been in his source (he could always have changed it to μετ' έμέ, as in Acts 13,25 b!); (2) Mt has taken over όττίσω μου from his Mkan source, now placed in a better position; and (3) he also exerted two further transformations, viz. the change from

Worte und Sprüche des Täufers

49

1.2.2. Der kommende Stärkere Für das richtige Verständnis des Doppelspruchs Mt V. 11/Lk V. 16 ist die Frage nach der von Johannes angekündigten Endzeitgestalt von großer Wichtigkeit. Ist hier von dem Messias oder Menschensohn, der seine Stärke im Feuergericht demonstriert, die Rede 48 ? Der Begriff ò ερχόμενος umschreibt dann eine Gestalt der jüdischen bzw. judenchristlichen Endzeiterwartung. Eine interessante Variante dieser Hypothese geht von einer Grundform mit eschatologischer Ausrichtung (es kommt einer, der stärker als der Täufer ist) und einer sekundären christologischen Erweiterung, welche den Namen ό ερχόμενος eintrug, aus. Bei der Aufnahme der Täufersprüche in die Sammlung der Jesuslogien sei das antithetische Wort vom Wassertäufer und vom kommenden Endzeitrichter (ó ερχόμενος), der mit Feuer taufen wird, mit dem Logion vom Stärkeren (Jesus), der nach Johannes kommt und diesem überlegen ist, verschränkt und verchristlicht worden 4 9 . Der Kommende ist nach diesem Verständnis der Menschensohn Jesus. Die Erklärung besticht auf den ersten Blick, aber wichtige Bedenken bleiben bestehen und mahnen zur Vorsicht. Es ist gut vorstellbar, daß in Ιρχεται to ό ( ) ερχόμενος and the shift of the accent from the coming of the Messiah to his quality of ισχυρότερο;.« 47

M. Dibelius, Überlieferung 54, hält die Verschränkung der Sprüche in Q für störend. »Wir vermögen nicht zu sagen, wie diese Verschränkung der Sprüche entstanden ist, können also auch nicht entscheiden, ob hier zwei Texte (Mk + Q) ineinandergearbeitet worden sind.« Anders P. Hoffmann, Studien 21, der davon ausgeht, daß Mk 1,8 nicht ohne Berücksichtigung von V. 7 mit der Q-Parallele verglichen werden könne und deshalb im Blick auf Q die Aufeinanderfolge der Sprüche bei Markus einer späteren Bearbeitung zuspricht. »Unter der Voraussetzung, Markus kannte Q, ließe sie sich sogar als Glättung und Verbesserung der verschränkten Q-Form verstehen.« Angesichts der vielen Unsicherheiten bekommt das zurückhaltende Urteil von Dibelius Gewicht.

48

Ch. H. H. Scobie, John the Baptist 65 f., denkt an einen geläufigen messianischen Titel, der in mehreren Schichten der neutestamentlichen Tradition (Mk 11,9/Mt 21,9/Lk 19,38 vgl. Joh 12,13; 11,27; Hebr 10,37) seinen Niederschlag gefunden habe. Der Ursprung des Titels liege in Ps 118,26, einem Begrüßungsruf an die Adresse der Jerusalempilger. Im wesentlichen zustimmend auch R. Laufen, Doppelüberlieferungen 95: » . . . daß es sich bei dem absoluten Gebrauch von ό ερχόμενο; bzw. dessen hebräischem Pendant um einen zu neutestamentlicher Zeit mehr oder weniger festgefügten messianischen Titel handelt.« Dann allerdings auch die Einschränkung a. a. O. 407 Anm. 12: »Man muß zugestehen, daß ό ερχόμενο; >durchaus keine übliche urchristliche und auch keine geläufige jüdische Messiasbezeichnung< ist.«

49

P. Hoffmann, Studien 18 — 25.28 — 33. Zu den Hintergründen der Einblendung des Vergleichswortes: »Wenn gerade er (Jesus [Ergänzung d. Verf.]) mit dem endzeitlichen Feuerrichter identifiziert wurde, mußte die Frage aufkommen, in welchem Verhältnis er zu >der< eschatologischen Gestalt der damaligen Zeit, zu dem Gerichtsprediger Johannes, stand. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage könnte den Einschub in die johanneische Ankündigung des Feuerrichters veranlaßt haben» (33).

50

Johannes der Täufer in der Logienquelle

der Q-Fassung der kommende Stärkere (Ò ισχυρότερος), von dem Lk 3,16 (vgl. Mk 1,7) die Rede ist, das handelnde Subjekt war. Die titular und messianologisch schwer erklärbare Matthäusfassung »der Kommende« (ό ερχόμενος) läßt sich aus der redaktionellen Absicht, eine Abgrenzung zwischen dem Messias und Johannes herzustellen, hinreichend erklären: Nicht das Kommen an sich ist entscheidend, sondern die Tatsache, daß der Kommende stärker als Johannes ist50. Der Satz will in der Fassung des Matthäus zwei Personen miteinander vergleichen, während Lukas ein Geschehen, das Kommen des ισχυρότερος μου, ins Auge faßt. Ich möchte von einer verhüllenden Gottesaussage im Sinne der alttestamentlichen Redeweise von dem starken Gott ausgehen51. Johannes ist der prophetische Rufer, der auf das Kommen Gottes hinweist. Wenn in der ältesten Fassung, die wahrscheinlich auch noch in der Logienquelle vorgelegen hat, das den Komparativ ισχυρότερος bestimmende relativierende μου = (stärker) »als ich« gefehlt hat, ergibt sich für den absoluten Gebrauch ein volkssprachlicher Superlativ 52 : »Es kommt der Stärkste«. Lukas hat das ο π ί σ ω μου von Markus/Matthäus nicht etwa, wie behauptet wird, gestrichen, weil er die Redewendung auf die Jünger-Nachfolge bezog und deshalb das Miß-

50

E. Lohmeyer, Matthäus 44: »Johannes und Jesus stärker voneinander abzusetzen ist wohl auch der Sinn der leichten Abweichungen, die der Spruch vom Stärkeren erfahren hat. Was bei Mk Prädikat ist, ist bei Mt Subjekt; so ist die Art des Stärkeren wichtiger als die Tatsache seines Kommens.« Dagegen P. Hoffmann, Studien 23: »Bei solcher Argumentation wird jedoch die Bedeutung der partizipialen Ausdrucksweise überbewertet; die Funktion der Abgrenzung nimmt in beiden Fassungen der Komparativ und der Relativsatz wahr.«

51

In der Septuaginta wird Gott häufig der 'ισχυρός (hebr. VK) genannt, ζ. B. 2 Sam 22,31.32.33.48; 23,5; Ijob 22,13; 33,29; 34,31; 36,22; als Adjektiv zur Charakterisierung Gottes Dtn 10,17; Ps 7,12; 42,2 [LXX: κραταίωμα]. E. Lohmeyer, Markus 18: »Wenn Gott am Ende der Tage seine Feinde überwindet, wenn er sein Volk zu der Herrlichkeit führt, die Er ihm verheißen hat, dann beweist Er Seine >StärkeStärke< in allen Zeiten (Apk 5,12 7,12).« Vgl. auch H. Merklein, Jesu Botschaft 29: »Der >Kommende< (V. 11), in dem Johannes wahrscheinlich Gott selbst gesehen hat ...« H. Thyen, ΒΑΠΤΙΣΜΑ ΜΕΤΑΝΟΙΑΣ 100 Anm. 15: »ό ισχυρότερος (Mk 1,7) ist jüd. Umschreibung des Gottesnamens.« Weitere Vertreter dieser Auffassung s. W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 476 Anm. 13.

52

Zur Bedeutung der Komparativform vgl. Rehkopf-Blass-Debrunner § 60: »In der Volkssprache kann der Superlativ durch den Komparativ ersetzt werden.« Eine Herleitung aus der Lk 11,21 f. belegten Dämonenaustreibungsgeschichte mit einem breiteren alttestamentlich-jüdischen Hintergrund: »Satan ist der Starke« ist mehr als fragwürdig. Richtig R.Laufen, Doppelüberlieferungen 113: »Wenn auch das relativierende μου hinter ò ισχυρότερος ursprünglich gefehlt haben sollte, so bleibt doch die Unstimmigkeit bestehen, daß der Komparativ des Hauptsatzes sich auf Satan bezieht, während im Nachsatz Johannes der kommenden Hoheitsgestalt gegenübergestellt wird.«

Worte und Sprüche des Täufers

51

Verständnis, Jesus sei dem Täufer nachgefolgt, abwehren wollte 5 3 , er folgt vielmehr der Logienquelle, die mit der knappen Feststellung: »es kommt der Stärkere« eine eschatologische Aussage macht. Der kommende RichterGott ist nahe. Dies gilt nicht nur für Johannes, sondern auch noch für die Gemeinde der Logienquelle. Das relativierende μου gibt allerdings das erste Stadium einer Messiasreflexion zu erkennen. Vielleicht hat die Logienquelle diese Umdeutung schon im Auge gehabt, aber sicher ist das nicht. Tendenziell zeigt sich hier das apologetische Anliegen der Urkirche, die einerseits der Aufwertung des Johannes in Täuferkreisen entgegenwirken, andererseits aber auch den Blick für die Rolle Jesu als eschatologischer Richter und Heilbringer freihalten möchte. Aus welchen Gründen Markus und Matthäus das ο π ί σ ω μου eingefügt haben, muß hier nicht behandelt werden. Für unsere Überlegungen ist nur wichtig, daß die Wendung nicht zum ursprünglichen Text gehört hat 54 . 1.2.3. Das Wort vom Lösen der Schuhriemen Gegen die Annahme, Gott selbst sei mit dem Stärkeren gemeint, wird das Wort vom Lösen der Schuhriemen ins Feld geführt. Ist es denkbar, daß derart anthropomorphe Bilder auf Gott bezogen worden sind 55 ? Die verschiedenen Versuche, dem Motiv durch Verweis auf den kommenden Elija 56 , auf den Endzeitpropheten 57 , auf den irdischen Messias 58 oder auf den Menschensohn 59 einen Sinn zu geben, überzeugen nicht. Das Bild

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So K. Grobel, »He That Cometh after me« 400. P. Hoffmann, Studien 25. W. Wink, John the Baptist 55 Anm. 2. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 18 f., erklärt das Fehlen mit der Tilgung der irdischen und eschatologischen Vorläuferrolle. Haben Matthäus und Markus auf das semitische Motiv vom Einhergehen hinter dem Meister zurückgegriffen, um die Zugehörigkeit Jesu zum Jüngerkreis des Täufers zu suggerieren? Markus bezieht sich auf das προ π ρ ο σ ώ π ο υ aus dem Maleachi-Zitat Mk 1,2 und interpretiert es 1,7 mit dem für ihn typischen ο π ί σ ω + Genitiv. A. Schlatter, Johannes der Täufer 103, stößt sich an der Rede vom Lösen der Schuhriemen, die der transzendenten Gottesvorstellung des Spätjudentums nicht entspreche. So auch Ch. H. H. Scobie, John the Baptist 66. A. Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung 428: »Da nun die ganze eschatologische Bewegung durch die Predigt des Täufers hervorgerufen war, ist der natürliche Schluß der, daß dieser in dem >kommensollenden< Geistestäufer nicht den Messias, sondern den Elias gepredigt hat.« O. Cullmann, Christologie 27 f. Zurückweisung der Deutung auf Gott selbst. »Wir haben jedoch damit zu rechnen, daß der vom Täufer Erwartete zugleich die Züge des Endpropheten trägt, ja daß mit dem Ερχόμενος der Endprophet selber gemeint ist« (25). T.W. Manson, Sayings 41. J. Becker, Johannes der Täufer 35 f.: Die Deutung auf den Menschensohn ist die »brauchbarste Auslegung des Stärkeren«. So schon vorher R. Reitzenstein, Das iranische Erlösungsmysterium, Bonn 1921, 124 ff.; A. F. v. Gall, Basileia toy theoy, Heidelberg 1926,

52

Johannes der Täufer in der Logienquelle

macht auch in der Anwendung auf den richtenden Gott, wenn man die metaphorische Sprache im Auge behält, einen Sinn 60 . Ich halte es aber auch nicht für völlig abwegig, daß Lukas ein christologisch geprägtes Motiv aus der Markusparallele übernommen und in seine Q-Vorlage eingebracht hat. Die Sonderform des Matthäus (Schuhe nachtragen), die sich am ehesten als redaktionelle Überarbeitung des Markustextes erklärt 61 , würde die Annahme eines nur auf das Kommen des Stärkeren ausgerichteten Q-Textes ohne das Bild vom Lösen der Schuhriemen stützen. Es bleibt also dabei, daß die Logienquelle in ihrer ursprünglichen Fassung mit dem ισχυρότερος den kommenden Gott gemeint hat 62 . 1.2.4. Der Geist- und Feuertäufer Das Wort des Johannes über seine eigene Wassertaufe und die eschatologisch angesagte Geist- und Feuertaufe ist antithetisch durch die Subjekte ε γ ώ und αυτός bestimmt. Wenn man den Zwischensatz vom kommenden Stärkeren (Lukas) bzw. vom Kommenden, der stärker ist (Matthäus) mit R. Bultmann 63 als christlichen Zusatz ausschaltet, hängt das Demonstrativpronomen αυτός im zweiten Teil der Antithese in der Luft. Wir müssen die von P. Hoffmann vorgelegte interessante Variante zu der Bultmannschen Erklärung nicht wiederholen (vgl. 1.2.2.). Der entscheidende Punkt, nämlich die Identifizierung des namenlosen Geist- und Feuertäufers mit der erwarteten Endzeitgestalt, hat manches für sich. Zweifel sind allerdings zum Namen ό έρχόμενος angebracht. Wenn unsere Analyse richtig ist, dominiert der ίσχυρότερος-Titel sowohl in bezug auf die Sprachgestalt als auch auf den vorgegebenen Zusammenhang mit dem 430—432. E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 157 — 159. Jetzt auch W. Schmithals, Lukas 53. Dagegen W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 476 A n m . 13: »... muß für den Täufer schon darum ausfallen, weil >Menschensohn< weder als Titel noch als Konzept im frühen Judentum bis und v o r dieser Zeit ... noch in authentischen Jesus-Worten nachweisbar, sondern erst das Produkt einer christlichen Schriftgelehrsamkeit eines griechisch sprechenden Judenchristentums auf der Basis des griechischen Textes von Dan 7.13 ist.« 60

W. Schenk, Gefangenschaft und Tod 476 Anm. 13: »Der unsinnige Einwand: >Wer wird auch schon v o n Gottes Schuhriemen reden?!< ... erledigt sich v o n selbst, da es doch klar in jedem Fall um eine metaphorische Wendung geht — und noch dazu in diesem Zusammenhang um eine solche, die gar nicht direkt auf Gott, sondern nur via negationis auf diesen, direkt hingegen jedoch auf den Sprechenden selbst als Ausdruck von dessen Demut bezogen ist. Wie könnte man diese expressive Sprachfunktion hier kurzschlüssig übersehen!«

61

Daß der originale Q-Text nur bei Markus erhalten, dagegen von den unmittelbaren QBenützern Matthäus/Lukas abgeändert bzw. ganz getilgt sein soll, ist völlig unwahrscheinlich.

62

W. Grundmann, Markus 28.

63

R. Bultmann, Geschichte 262.

Worte und Sprüche des Täufers

53

Taufspruch, d. h. es geht bei Matthäus und Lukas, die beide der Logienquelle folgen, in dem eingeschobenen Wort nicht um einen Vergleich zwischen dem Täufer und dem nach ihm Kommenden (Jesus), sondern genauso wie in der hinter Markus stehenden Grundform um das Kommen des Stärkeren, d. h. des Richter-Gottes. Daß die Logienquelle dem Menschensohn Jesus das Gericht übertragen haben soll 64 , ist vom Text her kaum zu belegen. Die alttestamentlichen Bezugstexte zu den Bildern vom Ausgießen von Feuer und (heiligem) Geist sprechen von Gott selbst, in keinem Fall ist von dem Menschensohn oder einer sonstigen Vertretergestalt (Messias) die Rede. Das Subjekt des Satzes ist eindeutig der ισχυρότερος, d. h. der kommende, richtende und rettende Gott. Q hat die klare Logik: »der Stärkere wird kommen — er wird mit Geist und Feuer richten«, zwar durch die Verschachtelung etwas durcheinandergebracht, aber die leitende eschatologische Orientierung durchaus noch beibehalten. Die Aussage über die Taufe liegt ganz auf dieser Linie: Der kommende Gott wird seine Macht im strafenden Gericht und in der rettenden Geistausgießung unter Beweis stellen. Über die Herkunft und Bedeutung des Bildes von der Taufe wird in einem anderen Zusammenhang noch zu reden sein (2. Kap. V. 1.4.). Es wird sich dort zeigen, daß bereits die älteste Fassung das eschatologische Handeln Gottes im Auge hatte. Die Logienquelle hat sich auch in der Frage nach dem Verhältnis von Geist- und Feuertaufe an die Vorlage gehalten, d. h. es ist nicht einseitig von dem vernichtenden Gericht oder von der rettenden Geistausgießung die Rede, beide Gesichtspunkte gehören vielmehr zusammen 65 . Es ist schwer vorstellbar, daß die Gemeinde, die hinter der Quelle steht, den ursprünglichen Sinn des Wortes und die in den rahmenden Bildern erkennbare Ausrichtung auf Rettung verdrängt haben sollte. Der Taufspruch der Logienquelle

64

Die Spannbreite der Spekulationen reicht von Elija als Messias (J. Α. T. Robinson), über den politischen Messias (T. W. Manson), den Messias aus dem Hause Aaron, den himmlischen Messias (E. Stauffer), irgendeine irdische Gestalt, die demnächst als Menschensohn erhöht wird bis hin zu dem 1 Kön 18,43; 19,3 erwähnten Diener des Elija (G. S. Duncan, Jesus Son of Man, Nisbet 1947, 8 2 - 8 7 ) .

65

Ch. H. H. Scobie, John the Baptist 73: »Upon the wicked, the Coming One will pour out a river o f fire to punish and destroy them; but on God's people the Coming One will pour out God's spirit and all the blessings which that entails.« P. Hoffmann, Studien 29 f., erwägt die Möglichkeiten: a) Reinigung durch den Geist neben Strafe durch das Feuer, b) Taufe mit Sturmwind und Feuer, c) Taufe mit »feurigem Hauch« (Hendiadyoin). Die Antithese »Wassertaufe — eschatologische Taufe« spreche gegen den Zusatz »mit heiligem

Geist«. »Gegen eine solche Aufteilung (Geist und Feuer

[Ergänzung d. Verf.]) spricht auch das Geist und Feuer verbindende καί, wodurch den υμάς nicht die eine oder andere Taufe, sondern das Gericht angedroht wird« (30). Das Fazit: Die Wendung âv ττνεύματι άγίω geht auf das Konto der beiden Evangelisten Matthäus und Lukas.

54

Johannes der Täufer in der Logienquelle

bezieht sich demnach auf zwei verschiedene, durch das komplexive υμάς (Mt V. 11/Lk V. 16) miteinander verbundene Hörergruppen: den Bußfertigen spricht er die Geisttaufe zu, den Unbußfertigen die Feuertaufe. Der Gesichtspunkt der Scheidung und Trennung im Gericht findet in dem nachfolgenden Bild vom Dreschen (Mt V. 12/Lk V. 17) eine auffällige Bestätigung. Es stellt sich freilich die Frage, welcher Aspekt der eschatologischen Taufe: heiliger Geist oder Feuer, als Gegenstück zu der Wassertaufe des Johannes zu verstehen ist. Da der Umkehrgedanke im Zusammenhang mit der Johannestaufe (Mt V. 8/Lk V. 8) streng gerichtsbezogen ist, wird man auch für das Wort von der Taufe des Stärkeren den gleichen Richtungssinn vermuten dürfen. Für die Rekonstruktion des Q-Textes bedeutet dies aber, daß das Feuermotiv — trotz der Geistaussage — bestimmend gewesen sein muß 66 . Johannes hält Ausschau nach dem Kommen des Stärkeren, der mit Feuer taufen wird, d. h. entsprechend den anderen Feueraussagen der Täuferpredigt (Mt V. 10/Lk V. 9; Mt V. 12/Lk V. 17): der die Menschen in sein Gericht holen und, sofern sie jetzt den Ruf der Umkehr verstanden haben, dann auch retten wird. Der Heilsaspekt fehlt in dem Feuermotiv nicht vollständig (vgl. Mt V. 12/Lk V. 17 mit dem Hinweis auf das Einsammeln des Weizens in die Scheunen) 67 , aber er ist durch die beherrschende Drohung so stark an den Rand gedrängt, daß ihm eine nur untergeordnete, aber durch das vorausgehende Wort von der Geisttaufe doch hinreichend gesicherte Bedeutung zukommt 68 . Q übernimmt formal das vorgefundene Doppelwort von der Geist- und Feuertaufe und betont damit grundsätzlich die Möglichkeit der Rettung, bleibt aber insgesamt auf der Linie der Gerichtspredigt. Das handelnde Subjekt (αϋτός) im zweiten Teil des Taufwortes ist der in der Einschaltung angesagte kommende starke Richter-Gott (ό ισχυρότερος). Der Spruch hatte folgenden Wortlaut: ε γ ώ μεν ΰδατι β α π τ ί ζ ω ύμάς, ερχεται δέ ό ισχυρότερος ... αυτός ύμάς βαπτίσει εν πνεύματι ócyíco καί πυρί. Die Verschränkung der beiden ursprünglich aufeinander folgenden Worte vom

66

W. Michaelis, Täufer, Jesus, Urgemeinde 32: »Wohl mag er ... von der Geisttaufe und der Feuertaufe in einem Wort gesprochen haben; der Messias wird ja beide Funktionen ausüben, das Endgericht und die endzeitliche Verleihung des Geistes. In dieser oder in ähnlicher Weise kann und wird allein vom Feuertäufer die Rede gewesen sein. Wir werden für das Wort vom Feuertäufer eine oder mehrere derartige Urformen anzunehmen haben.«. (Hervorhebung d. Verf.).

67

E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 67: »Dann ist aber der Zorn Gottes über das jüdische Volk von Gott aus gesehen nicht mehr das Letzte; es bleibt in aller drohenden Vernichtung: >Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder errichtenThe use o f ÊTspos in the N e w Testamene, in: Z N W 60 (1969) 140 f.

74 75

Vgl. H. Schürmann, Lukas 4 0 9 Anm. 13. Ließ sich Lukas von dem besonderen Interesse an den Taten Jesu leiten, oder hat Matthäus wegen des für ihn bedeutsamen Hörens umgestellt? Vgl. P. Hoffmann, Studien 193 Anm. 16.

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 1 1 , 2 - 1 9 / L k 7 , 1 8 - 3 5 )

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hat Lukas aus stilistischen Gründen das reihende καί der Matthäusfassung (3-mal) unterdrückt. Nicht ganz so eindeutig liegen die Verhältnisse bei dem erzählerischen Rahmen. In der Einleitung (Mt V. 2/Lk V. 18.19a) ergibt sich als gemeinsame Basis lediglich die Tatsache einer Botensendung. Nach der Darstellung des Matthäus ist sie verursacht durch Informationen über die Werke des Christus, die dem Täufer im Gefängnis zu Ohren gekommen sind. Lukas stellt die Jünger als Vermittler stärker heraus: sie melden dem Johannes (der Gefangnisaufenthalt ist nicht erwähnt) von »all dem«, darauf ruft Johannes zwei der Jünger zu sich und sendet sie zum Herrn Jesus. P. Hoffmann 76 hat mit Recht die Christus werke (Mt V. 2) dem besonderen Interesse des Matthäus zugeschrieben und die Frage nach der Ursprünglichkeit der Gefängnisnotiz in der Schwebe gehalten (hat Lukas sie wegen 3,19 f. unterdrückt 77 , oder wußte die Quelle noch nicht von der Gefangenschaft 78 ?). Lukanisch-redaktionell dürfte die aus dem Schriftzitat (V. 22) übernommene Wendung άττήγγειλσν in der Einleitung, die Notiz vom Herbeirufen (V. 18 b) und der Hoheitstitel κύριος (V. 19) 79 sein. Ob die umständliche Erzählung vom Eintreffen der Jünger und die erneute Frage an Jesus (Lk V. 20) auf den Erzählstil des Lukas 80 , der Wiederholungen liebt, zurückzuführen ist, läßt sich ebenfalls nicht mit Sicherheit entscheiden. Es sprechen Gründe für den Kurztext (Mt) 81 , die Argumente für den Langtext (Lk) sind aber auch nicht von der Hand zu weisen 82 . Der summarische Kurzbericht von der Wundertätigkeit Jesu (V. 21), der im Hinblick auf das Schriftzitat (V. 22) formuliert ist, muß dem Lukas zugeschrieben werden 83 . Da der Text trotz der genannten Unterschiede im wesentlichen einheitlich ist, darf als sicher angenommen werden, »daß bereits in der Logienquelle der Abschnitt die Form des Apophthegmas hatte« 84 . 76

77

78 79

80 81

82

83

84

Studien 191 f. Ähnlich S. Schulz, Spruchquelle 190 f. Hier aber auch redaktionelle Einstufung der lukanischen Wendung ττερί π ά ν τ ω ν τ ο ύ τ ω ν . Α. ν. Harnack, Sprüche 64: »Daß Johannes gefangen genommen worden, hatte Luk. c.3,20 gesagt, brauchte es also nicht zu wiederholen; in Q muß es gestanden haben.« E. Klostermann, Lukas 89; J. Schmid, Matthäus und Lukas 283 Anm. 3. K. L. Schmidt, Rahmen 117, rechnet mit dieser Möglichkeit. S. Schulz, Spruchquelle 190 f. Anm. 117: »absolutes ό κύριος ist gut lk (Ev ca 16mal red; Apg 45mal).« Vgl. die sprachlichen Argumente von P. Hoffmann, Studien 193 Anm. 12. Vgl. M. Dibelius, Überlieferung 33 Anm. 1. S. Schulz, Spruchquelle 191: »Schon das Vokabular von V 20 weist auf lk Bildung.« D. Lührmann, Redaktion 26: »Da Mt auch sonst, wie seine Redaktion des Mk zeigt, Erzählungsstoff stark kürzt, können wir annehmen, daß Lk den ursprünglicheren QText bietet, ausgenommen vielleicht Lk 7,21.« Sprachliche Argumente bei H. Schürmann, Lukas 410 Anm. 19. Ferner S. Schulz, Spruchquelle 191 f. Dort auch weitere Vertreter dieser Auffassung. D. Lührmann, Redaktion 26.

58

Johannes der Täufer in der Logienquelle

2.1.2. Die Rezeption des Überlieferungsstückes in der Gemeinde der Logienquelle Das Problem der Geschichtlichkeit wird an anderer Stelle zu besprechen sein; unser Interesse gilt im Augenblick der Rezeption des Überlieferungsstückes in der Gemeinde der Logienquelle. Vielleicht hat es einen konkreten Grund für die unter historischen Vorzeichen recht rätselhafte Geschichte gegeben. Die Spannungen zwischen der jungen Christengemeinde und jenen Außenseitern, die nach wie vor auf den Täufer Johannes setzen, können sich an der Wunderfrage zugespitzt haben: Während die Christen die Messianität Jesu unter Hinweis auf die Wunder schriftgemäß proklamieren bzw. mit einem Prophetenspruch, der auf bekannte messianische Texte (Jes 29,18 f.; 35,5 f.; 61,1) Bezug nimmt, zu beweisen suchen, melden die Jünger des Johannes ihre Bedenken an. Ob sie im Gegenzug die Prophetenweissagung auf ihren Meister übertragen und dessen vermeintliche (oder tatsächliche?) Wunder zur Stützung der hohen (messianischen?) Verehrung bemüht haben, läßt sich mit Sicherheit nicht klären 85 . Die als Beweis für die messianischen Täuferwunder herangezogenen mandäischen Texte 86 sind für die anstehende Frage nicht ausreichend. Man darf hinzufügen: Das Schlußwort »selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt« (Mt 11,6 par) ist so positiv formuliert, daß eine ausgeprägte Konkurrenzsituation, die sich an der Wunderfrage entzündete, ausgeschlossen werden muß. Wenn nicht Täufer jünger, wer waren dann die Fragenden, die sich hinter dem Täufer verbargen? Eine interessante Erklärung setzt nicht bei der Polemik, sondern bei der angeblichen Menschensohn-Christologie des Prophetenwortes Mt 11,3 par (der Kommende von Mt 3,11!) an. »Q verrät mit der Übernahme von Johannesstoffen ein deutliches Interesse am Täufer und seiner Verkündigung. Jesus wurde in ihr mit dem vom Täufer Johannes verheißenen Richter identifiziert. In dieser Perikope kommt nun die Frage, ob diese Identifikation berechtigt ist, als Täuferfrage zur Sprache, die >durch seine Jünger< dem irdischen Jesus gestellt wird. >Jesus< gibt ihr eine Antwort, die das Bekenntnis zu ihm herausfordert.« 87 Die Perikope von der Täuferanfrage mit der entsprechenden Antwort Jesu ist nach dieser Deutung nichts anderes als ein »literarischer Reflex« der in der Q-Gemeinde vollzogenen Christologisierung (Jesus = Menschensohn) der täuferischen Gerichts- und Richter-(Gott)Ankündigung 88 .

85

86 87 88

R. Bultmann, Geschichte 22. Dort Verweis auf A. Fridrichsen, Le Problème du miracle dans le Christianisme primitif, Straßburg—Paris 1925, 66 — 69. R. Bultmann, Geschichte 22 f. Anm. 2. P. Hoffmann, Studien 215. A. Vögtle, »Der verkündigende und der verkündigte Jesus >Christus< «, in: Wer ist Jesus Christus?, Hrsg. J. Sauer, Freiburg 1977, 35: »Nachdem der nachösterliche Glaube in

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 1 1 , 2 - 1 9 / L k 7 , 1 8 - 3 5 )

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So faszinierend diese Problemlösung auf den ersten Blick auch aussieht, bleiben am Ende doch einige ungelöste Fragen. Warum spricht der Verfasser dermaßen verschlüsselt, daß man auf die richtige Antwort nur mit einem Übermaß an Scharfsinn kommen kann? Wo ist im vorliegenden Text vom Menschensohn-Richter die Rede? Der Rückbezug auf den »Kommenden« (Mt 3,11) übersieht, daß es sich hier um eine redaktionelle Begriffsschöpfung des Matthäus, die für Q noch nicht zur Verfügung gestanden hat, handelt (s. II. 1.2.2.). In der Frage des Täufers ist keinesfalls der Gerichtsgedanke bestimmend, sondern, wie die Antwort zeigt, die prophetische Verheißung der kommenden Heilszeit, die jetzt in der Frage personalisiert wird. Möglicherweise bildet die Kontroverse über den wahren Propheten den Hintergrund. Daß die Mosetypologie, vielleicht in Verbindung mit der Verheißung von Deuterojesaja, den Rahmen abgesteckt hat, kann vermutet 89 , aber kaum bewiesen werden. Der Kommende, von dem der Täufer spricht, ist nicht der Richter, sondern der endzeitliche Prophet, der εύαγγελιζόμενος (Jes 61,1 LXX), welcher die anbrechende Gottesherrschaft jetzt ansagt und in seinen wunderbaren Taten demonstriert. Dem Anspruch der Täuferjünger wird die Antwort der Jesusgemeinde: »Jesus ist der wahre Prophet, er hat dies in seinen Wunderzeichen unter Beweis gestellt!« entgegengehalten. Vielleicht läßt sich die Entstehungssituation des Apophthegmas noch etwas genauer bestimmen. Ich denke an die frühe Palästinamission, in welcher Menschen angesprochen wurden, die den Bußruf des Täufers zwar angenommen, aber den letzten Schritt zum Christusglauben noch nicht getan hatten. »Eine frühzeitige Gefangensetzung und Enthauptung des Täufers verhinderte eine stärkere Konfrontation mit dem Wirken und der Verkündigung Jesu, und eine gewisse geschichtliche Unklarheit in der Beziehung des Täufers zu Jesus macht beide Fakten (die Beanspruchung des Täufers für das Christuszeugnis und das Abseitsstehen der Johannesjünger in der Frühzeit; [Ergänzung des Verf.]) verständlich, auch die Tradition von der Täuferanfrage.« 90 2.1.3. Das Bild des Täufers Die Unschärfe des Täuferbildes hat in der Spannung zwischen der Ankündigung des Feuerrichters und in der Erfahrung der in Jesus greifbar gewordenen Erfüllung ihre Ursache. Es gab christliche Gruppen in der Jesus den gekommenen Messias bekannte und den Auferstandenen als den kommenden Richter und Heilsvollender erwartete, lag es in der notwendigen Konsequenz dieses Glaubens, daß kein anderer als Jesus der nach dem Täufer Kommende ist und der Täufer als der unmittelbar prophetische Wegbereiter des Messias Jesus beansprucht wurde. Nur in dieser Rolle konnte Johannes in das Evangelium hineingenommen werden, obwohl er der besser begründeten Auffassung zufolge das bevorstehende Kommen Jahwes verkündet hatte«. 89 90

F. Hahn, Hoheitstitel 393 f. H. Schürmann, Lukas 414. Ebenso C. H. Kraeling, John the Baptist 128.

60

Johannes der Täufer in der Logienquelle

Gemeinde der Logienquelle, die die frohe Botschaft des Evangeliums mit dem strengen Ernst ihres Meisters Johannes nicht vereinbaren konnten. In der Täuferanfrage finden derartige Irritationen ihren Niederschlag. In dem mehrdeutigen Terminus ερχόμενος bündeln sich die noch offenen oder gerade aufgebrochenen Fragen. Man fühlt sich erinnert an den »kommenden Zorn« (μέλλουσα οργή Lk 3,7), von dem der Täufer gesprochen hat, aber auch an das »kommende Reich« (ήγγικεν ή βασιλεία τοΰ θεού Mk 1,15), das Jesus angekündigt und im Vater-unser (ελθέτο ή βασιλεία σου Lk 11,2) erfleht hatte. Eng damit verbunden ist die Frage nach dem eschatologischen Erfüller: Ist der erwartete »Kommende« der Richter-Gott, wie der Spruch Mt 3,11 /Lk 3,16 in der Q-Fassung anzudeuten scheint? Im vorliegenden Zusammenhang der Täuferanfrage müssen wir möglicherweise an eine von Gott zu unterscheidende Endzeitgestalt (der Prophet, der Menschensohn, der Bote der Gottesherrschaft) denken; eine offene Formulierung wie etwa: »Bringst du das Kommende?« trifft die gemeinte Sache am ehesten91. Die Logienquelle wendet sich an fragende Halbchristen, die mit Johannes noch »zwischen den Testamenten« standen und den letzten Schritt zum Glauben an das Evangelium noch vor sich hatten92. Die Gestalt des Täufers selbst bleibt im Rahmen des auf eine aktuelle Gemeindesituation bezogenen Apophthegmas im Halbdunkel, sie ist nur noch ein Symbol für die sich durchsetzende eschatologische Neuorientierung: Was Johannes zu seiner Zeit vom kommenden Richter-Gott erwartet hat, ist jetzt in Jesus erfahrbar geworden.

2.2. Das Urteil Jesu über den Täufer (Mt 11,7 —11/Lk 7,24-28) 2.2.1. Der synoptische Vergleich93 Das Lehrstück enthält drei an die Volksmenge gerichtete rhetorische Fragen, die negativ (Mt V. 7.8/Lk V. 24 b.25) und positiv (Mt V. 9 a/Lk V. 26 a) eine Aussage Jesu über die Bedeutung des Täufers vorbereiten. 91

F. Hahn, Hoheitstitel 393: »o Ερχόμενος wird man kaum in festem terminologischen Sinn mit einer bestimmten Traditionsschicht verbinden können. >Kommend< ist alles, was mit der Heilszeit in Verbindung steht, der neue A o n , die Gottesherrschaft, der Weltrichter, Elia, der Messias usw.« Vgl. auch R. Bultmann, Geschichte 168.

92

H. Schürmann, Lukas 413. W. Wink, John the Baptist 24: »But the open-endedness of the narrative suggests the church's conviction, later made explicit in the Fourth Gospel, that had John lived long enough to see and hear what Christians had seen and heard, he would surely have recognized in Jesus' mighty works the tell-tale signs of the messianic Day.« Anders S. Schulz, Spruchquelle 190—203, der das Apophthegma der Auseinandersetzung zwischen der Q-Gemeinde und den Täuferjüngern zuordnet: »Nicht unwahrscheinlich ist es, daß auch die Täuferanhänger in dem Bußtäufer und Gemeindegründer den endzeitlichen Propheten gesehen haben. Demgegenüber betont nun polemisch die Q-Gemeinde, daß allein Jesus der wahre Endzeitprophet ist ...« (203).

93

P. Hoffmann, Studien 1 9 3 - 1 9 6 .

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 1 1 , 2 - 1 9 / L k 7 , 1 8 - 3 5 )

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Das erste Jesuswort wertet den Täufer höher als einen Propheten (Mt Y. 9 b/Lk V. 26 b), das zweite spricht im Schriftzitat (Mal 3,1 mit Einfluß von Ex 23,20) von der Wegbereitung und Botenfunktion (Mt Y. 10/Lk V. 27), das dritte nennt Johannes den Größten unter allen von einer Frau Geborenen, der aber geringer ist als der Kleinste im Himmel-/Gottesreich (Mt V. 11/Lk V. 28). Der Text ist von beiden Evangelisten bis auf einige unwesentliche Abweichungen übereinstimmend überliefert. In der Einleitung ist lukanische Gestaltung in dem genaueren Rückverweis auf die Boten des Johannes und in der Präposition ττρός anstelle des Dativs τοις όχλοις bei Matthäus zu erkennen (Lk V. 24 a). Die Ergänzung des elliptischen μαλακοΐς (Mt V. 8 a) durch den Zusatz ίματίοις (Lk V. 25) und die umständliche Beschreibung der luxuriösen Lebensgewohnheiten am Hofe (Lk V. 25 b gegen Mt V. 8 b) dürfen genauso wie geringfügige stilistische Änderungen (Lk V. 26: Zusatz ίδείν zu τί; Lk V. 27: Streichung des έγώ; Lk V. 28: das ουδείς εστίν statt des semitischen ουκ Ιγήγερται Mt V. 11) der Hand des Lukas zugeschrieben werden. Matthäus hat mit Ausnahme von kleinen Eingriffen (V. 11 : άμήν; τ ο υ βαπτιστοΟ und τ ω ν ουρανών statt τ ο υ θεού) den ursprünglicheren Q-Text bewahrt. 2.2.2. Traditionsgeschichtliche Analyse Die Perikope zeigt Härten, die auf literarische Bearbeitung hinweisen können: a) das zweimalige λ έ γ ω ύμΐν (Mt V. 9 b/Lk Y. 26 b; Mt V. 11 a/ Lk V. 28 a) stört den glatten Gedankenfluß; b) der zweite Spruch, der Johannes den größten Menschen nennt, sagt weniger als der erste, der ihn über die Propheten stellt, c) Das Schriftzitat (Mt V. 10/Lk V. 27) fällt stilistisch und inhaltlich aus dem Rahmen, d) Die Abwertung des Täufers unmittelbar nach dessen Aufwertung (Mt V. 11 /Lk V. 28) ist zum mindesten ungewöhnlich. Die Exegeten stimmen in der Annahme einer Wachstumsgeschichte überein, weichen aber in der Einzelanalyse stark voneinander ab. Die Zahl der hypothetischen Überlieferungsschichten schwankt zwischen zwei und vier 94 . Am meisten überzeugt das Modell von »Bezugs94

M. Dibelius, Überlieferung 8—15: ursprünglicher Text: Lk 7,24 b—26.28a, erste Ergänzung: V. 27; redaktioneller Zusatz: V. 28 b. R. Bultmann, Geschichte 178: Mt 1 1 , 1 1 a : jesuanisch, V. 10 und V. I I b spätere Zusätze. D. Lührmann, Redaktion 26 — 28: Lk 7,24 b - 2 6 ( 2 7 ) / M t 11,7 b—9(10) = Vorlage, Lk 7,28a.b/Mt 1 1 , 1 1 a.b = Ergänzung; Mt 1 1 , 1 2 f. = nochmalige Erweiterung und Abschluß der Q-Einheit. P. Hoffmann, Studien 2 1 5 - 2 2 4 , versteht Mt 11,10/Lk 7,27 und Mt 11,11/Lk 7,28 als nacheinander zugewachsene Interpretamente einer Vorlage [Mt 11,7 — 9/Lk 7,24—26] von Q. Ähnlich S. Schulz, Spruchquelle 230; A . Polag, Christologie 4 7 . 1 5 8 f. R . B . G a r d n e r , Appraisal

115-118.

F. Hahn, Hoheitstitel 374: »Vier alte und in ihrer G r u n d f o r m sicher echte Einzelüberlieferungen sind dabei verwertet worden: die Spruchgruppe V. 7 b — 9, das Wort V. 11, der

sog.

Stürmerspruch

V. 12 f.

und

das

Gleichnis

von

den

zankenden

62

Johannes der Täufer in der Logienquelle

und Kommentarwort«: Mt V. 7 —9/Lk V. 24—26 bieten in dem Apophthegma eine erste Schicht, Mt V. 10/Lk V. 27 ist ein zugewachsenes christliches Schriftgelehrtenzitat, Mt V. 11 /Lk V. 28 bietet als dritte Schicht ein auf die erste bezugnehmendes Kommentarwort 95 . 2.2.3. Die Botschaft des Bezugswortes Mt 11,7 —9[10]/Lk 7 , 2 4 - 2 6 [ 2 7 ] Die stereotype Frage Jesu an die Volksscharen: »Was habt ihr sehen wollen?« (Mt V. 7/Lk V. 24; Mt V. 8/Lk V. 25; Lk V. 26), läuft auf das Wort: »Ja, ich sage euch: mehr als einen Propheten!« (Mt V. 9/Lk V. 26) hinaus. Der Spruch will andeuten, daß der Täufer in keine der herkömmlichen Kategorien eingeordnet werden kann 96 . Das angehängte Schriftzitat Mt V. 10/Lk V. 27, das ursprünglich auf den in allernächster Zeit kommenden Richter- (und Retter-)Gott abzielte, interpretiert dieses »mehr«: Johannes ist als Prophet »nur das letzte und bedeutsamste Glied in der Kette der Gottesboten, die auf die Heilszeit hinführen« 97 , als der von Maleachi angekündigte Bote und Wegbereiter des kommenden RichterGottes und im Sinne der Logienquelle auch des Messias Jesus 98 hat er aber die Schwelle bereits überschritten. Der Täufer ist der Mann der Zeitenwende, das Evangelium von der nahegekommenen Gottesherrschaft hat mit Johannes bereits seinen Anfang genommen (vgl. Mk 1,1 f.), aber es ist noch nicht von Jesus selbst offiziell proklamiert worden. Das »schon jetzt — aber noch nicht« gibt eine Dialektik, die möglicherweise schon bei Jesus vorgegeben war, zu erkennen. 2.2.4. Die Botschaft des Kommentarwortes Mt 11,11/Lk 7,28 Das ursprünglich selbständige Logion, das wegen des »streng parallelen Aufbaus« in der Form des Zweizeilers als geschlossenes Traditionsstück verstanden werden m u ß " , hebt mit der Antithese »unter den von Kindern V. 16 — 19 ... Kompositionelle Zufügungen sind V. 10 mit Zitat Mal 3,1 und Mt ll,14f.« Für V. 10 ähnlich schon E. Klostermann, Matthäus 97; W. Grundmann, Matthäus 306. Für eine einfache Wachstumsgeschichte entscheidet sich H. Schürmann, Lukas 419: Lk 7,24—27 + 28; Ders., 417: » V 2 6 b verlangt nach einer eigenen Kommentierung; V 28 aber stützt ab und ergänzt mehr V 27 als V 26 b.« So auch V. Schönle, Johannes 6 4 - 6 6 : Mt 11,11/Lk 7,28 = Kommentarwort zu Mt l l , 7 b - 1 0 / L k 7 , 2 4 b - 2 7 . 95 96 97 98

99

Vgl. J . Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 32 f. Vgl. F. Hahn, Hoheitstitel 375. F. Hahn, Hoheitstitel 376. Mal 3,1: ΐδού εγώ έξαττοστέλλω τον cryyeÀóv μου, καί επιβλέψεται όδόν προ προσώπου μου ist an Ex 23,20: καί ιδού εγώ αποστέλλω τον άγγελόν μου προ προσώπου σου, ίνα φυλάξη σε ... angepaßt und damit als Wort Gottes an Jesus verstanden worden. S. Schulz, Spruchquelle 233; ich verbessere hiermit meinen im Lukaskommentar dargelegten Standpunkt.

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 1 1 , 2 - 1 9 / L k 7 , 1 8 - 3 5 )

63

einer Frau Geborenen« — »im Gottesreich« und »der Größte« — »der Kleinste« (die beiden Komparativformen müssen superlativisch verstanden werden) auf die Verhältnisse in der neuen Ordnung der Gottesherrschaft ab. In Absetzung von Johannes, dem Größten in der alten Ordnung, dem Mann, der mehr ist als ein Prophet, wird jetzt der Kleinste in der Gottesherrschaft herausgestellt. »Es kommt hier ein Basileia-Verständnis zum Tragen, das zwar noch nicht die Gottesherrschaft mit der Gemeinde identifiziert, aber doch die Rolle der Jesusgemeinde im Prozeß der andauernden Basileia-Proklamation in Israel reflektiert.« 100 Gegen eine christologische Deutung des μικρότερος, die seit der Väterzeit immer wieder vertreten worden ist 101 , spricht die Tatsache, daß ein derartiger Jesusname neutestamentlich nicht belegt ist 102 . Das Logion Mt V. 11/Lk V. 28, das als Kommentarwort an die vorausgehende hohe Bewertung des Täufers angehängt worden ist, gibt sekundär der ganzen Spruchgruppe eine ekklesiologische Orientierung: Die in der Gemeinde tätigen neuen Propheten (οί μικρότεροι) sind angesprochen und vor dem Hintergrund des die alttestamentlichen Propheten überragenden Johannes als die eigentlichen Großen ausgewiesen. »Wer den >Propheten< Johannes, der mehr als ein Prophet ist, rühmt, muß noch mehr jenen rühmen, der (als Prophet? als Lehrer? oder einfach als Jünger?) der Gottesherrschaft teilhaftig ist.« 103 Die Grenze zwischen »Alt« und »Neu« ist klar gezogen. Haben die »neuen Propheten«, die das Evangelium von der Gottesherrschaft verkünden, die alten Propheten und das Gesetz überflüssig gemacht? Die Frage nach der Rolle des Täufers in der Heilsgeschichte stellt sich mit Nachdruck. 2.2.5. Johannes der Täufer — seine Stellung zwischen »Alt und Neu« (Mt 11,12—13/Lk 16,16) Der Spruch ist nur von Matthäus im Kontext der Rede über den Täufer überliefert; bei Lukas steht er in einer auf das Stichwort »Gesetz«

100 101

102

103

J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 34. F. Dibelius, Zwei Worte Jesu 1 9 0 - 1 9 2 ; O. Cullmann, Christologie 31; F. Hauck, Lukas 99 f.; G. Lindeskog, Johannes der Täufer 69. Die Begründung: »Es wäre sinnlos zu behaupten, daß der >Kleinste< überhaupt im Himmelreich größer als Johannes sei«, übersieht, daß es sich um eine gezielt eingesetzte Paradoxie ohne den Anspruch der »logischen Stimmigkeit« handelt. P. Hoffmann, Studien 223 f., bezieht das Logion auf den kommenden Menschensohn Jesus. Im Gefolge von A. Schlatter ist vermutet worden, das Wort habe die Uberbietung der »Größe vor den Menschen« durch die »Größe im Königtum Gottes« vor Augen — »it is a matter of grace rather than of human achievements« (von G. R. Beasley-Murray, Jesus 96, als Meinung referiert). Die Erklärung ist zu künstlich und kaum textkonform. J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 34 f.

64

Johannes der Täufer in der Logienquelle

abgestellten Komposition 104 . Sachliche Übereinstimmungen bestehen a) zwischen Mt V. 12 und Lk V. 16 b und b) zwischen Mt V. 13 und Lk V. 16 a. Das erste Wort spricht vom Himmel- bzw. Gottesreich, das zweite von der vorausgehenden Zeit von Gesetz und Propheten (Matthäus in umgekehrter Reihenfolge). Die Q-Abfolge der beiden ursprünglich wohl isoliert tradierten 105 Logien ist nicht mit Sicherheit auszumachen, da beide Evangelisten an dem für ihre jeweilige Gesamtkonzeption wichtigen Text gearbeitet haben. Für den Vorrang der lukanischen Ordnung vor der des Matthäus könnte die heilsgeschichtliche (nicht auf das Wirken des Täufers bezogene) Ausrichtung des Doppelspruchs angeführt werden: Die alte Zeit (Gesetz und Propheten) geht der neuen Zeit (Gottesreich) voraus. Matthäus hätte dann mit den redaktionell eingetragenen Partikeln γ ά ρ in V. 13 (sekundäre Verknüpfung mit V. 12) und δέ in V. 12 (adversativ, d. h. auf V. 11 b korrigierend und präzisierend bezogen) einen sprachlichen Hinweis auf die ursprüngliche, von ihm aus theologischen Gründen umgestellte, bei Lukas noch erhaltene Satzfolge gegeben 106 . Die Gedankenführung der Matthäus-Sequenz V. 11 b —12—13: »Johannes ist (zwar) kleiner als einer >im Himmelreich< — aber von seinem Auftreten an ist das Himmelreich da — denn alle Propheten haben (ausschließlich) bis Johannes 104

105

P. Hoffmann, Studien 54: »Lukas verbindet nämlich die Verkündigung des Evangeliums in Vers 17 mit dem bleibenden Anspruch des Gesetzes, um die sittliche Forderung des Gesetzes der heidenchristlichen Kirche gegenüber mit Nachdruck herauszustellen.« P. Hoffmann, Studien 50 f.; G. Barth, Gesetzesverständnis, in: G. Bornkamm u. a., Überlieferung 59; M. Dibelius, Uberlieferung 23: ein isoliertes, verschieden überliefertes Herrenwort. So auch G. R. Beasley-Murray, Jesus 91. S. Schulz, Spruchquelle 263, denkt an einen traditionsgeschichtlich einheitlichen Spruch. Vorher schon E. Percy, Botschaft 194; jetzt auch D. Kosch, Gottesherrschaft 19 f., mit der einschränkenden Frage, »ob Lk 16,16aQ nicht ein (heilsgeschichtlich orientierter?) sekundärer Zuwachs zu Mt 11,12Q sein könnte, da dieser zweite Teil durchaus selbständig denkbar ist«. Nach dem Verständnis von P. S. Cameron, Violence 244 f., gehört Mt 11,12 in eine vorlukanische Spruchreihe über den Gewalttäter (βιαστής) Herodes Antipas: »In v i 5 b there may be allusions both to Herod's violence and to his divorce and remarriage, in v l 6 b (in the original collection the saying would have been in the form in which Matthew gives it) his treatment of the Baptist is characterised as a breach of the Kingdom of God, and in v l 8 his divorce and remarriage are condemned as adultery. The remaining verses, 16 a and 17, would on this hypothesis have been added at a later stage (not later than Q), v l 6 a because a saying which described a process extending >up to John< seemed logically to belong together with a saying which described a process beginning >from Johndas Gesetz und die Propheten bis Johannesprophezeien bis< recht haben? Aber für ihn spricht, daß die Stellung der Sätze bei ihm natürlicher als bei Matth, ist. Entscheidet das?«

114

Rehkopf-Blass-Debrunner §216 Anm. 11: »>Bis< bei Eigennamen sowohl inkludierend (so im Deutschen) als auch exkludierend.«

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 11,2 —19/Lk 7 , 1 8 - 3 5 )

67

Zeitverständnis 115 im Auftreten des Täufers ( ά π ό δέ τ ώ ν ήμερων Ι ω ά ν ν ο υ ) den Beginn des Himmelreiches, das jetzt Gewalt erleidet, gesehen 116 . Wenn beide Teile argumentativ eine Einheit bilden, dürfen wir davon ausgehen, daß mit dem εως Ι ω ά ν ν ο υ im zweiten Teil (Mt V. 13) sozusagen seitenverkehrt die gleiche Position des Täufers beschrieben wird 1 1 7 . »Ein zeitlicher und sachlicher Aspekt sind in ihr (der Präposition εως [... Ergänzung d. Verf.]) verbunden: die Wendung bezeichnet sowohl den Terminus a quo der Erfüllung als auch den inhaltlichen Bezugspunkt.« 118 In die gleiche Richtung weist auch die innere Struktur des Satzes Mt V. 13, die nicht auf eine Koordinierung von Propheten, Gesetz und Johannes als Subjekt der Prophetie, sondern auf eine Gegenüberstellung der Repräsentanten der alten (Propheten und Gesetz) und der beginnenden neuen (Johannes) Ordnung abhebt. Alle Prophezeiungen (der Propheten und des Gesetzes) zielen ab auf Johannes, mit dem die neue Zeit ihren Anfang nimmt. Johannes steht demnach — um es einmal zurückhaltend zu formulieren — nicht mehr in der »alten Zeit« 119 . Kann man über die Abfassungszeit des Wortes etwas sagen? J. Jeremias 120 hat auf die Schwierigkeiten, die sich für eine christliche Geschichtsdeutung aus der »Sicht des Täufers als Inaugurator des neuen Äons« ergeben, hingewiesen und deshalb für eine Zeit, die das Vorläuferbild noch nicht kannte, plädiert. Das ist richtig, obwohl es auch Gründe für eine Spätdatierung gibt. Johannes kann als

115

J. Jeremias, Theologie I, 54: »Diese Wendung, die nicht üblicher griechischer Redeweise entspricht, ist ein Semitismus, der dadurch zustande kam, daß das Semitische kein geläufiges Wort für >Zeit< im durativen Sinn hat und sich zur Bezeichnung der Lebenszeit, Regierungsdauer, Wirksamkeit mit >die Tage des N. N.< hilft.« Vgl. auch die Ausführungen von W. Trilling, Täufertradition 277 f.: »Wenn er coro δέ ή μ ε ρ ω ν Ι ω ά ν ν ο υ formuliert, so muß der Zeitraum des Wirkens des Täufers gemeint und eingeschlossen gedacht werden« (278). Die gleiche Auffassung bei J . Schmid, Matthäus 193: Th. Zahn, Matthäus 426; D. Daube, The New Testament and Rabbinic Judaism ( J L C R 1952), London 1956, 285 f. P. S. Cameron, Violence 245: »The violence of the vocabulary of the reconstructed original suggests that Mt. 11:12 was in fact uttered after the death of the Baptist and not on the occasion of his question from prison.« Aber: Hat Jesus sich selbst, speziell sein bevorstehendes Geschick, so eindeutig auf den Täufer bezogen?

1.6

Anders S. Schulz, Spruchquelle 262: »Es liegt wahrscheinlich ein mt Zusatz vor.« Im QText hätte das lukanische άττό τ ό τ ε (lukanisches Hapaxlegomenon) gestanden. E.Percy, Botschaft Jesu 199; W.Trilling, Täufertradition 278: »Johannes gehört nicht mehr in die Reihe der Weissagungen von »Propheten und GesetzWeisheit Gottes< (vgl. V. 35) in seiner Unterschiedlichkeit im Wirken des Täufers und Jesu schon in der Bildhälfte angedeutet« (425).

157

Ich verbessere hiermit meine im Lukaskommentar dargelegte Erklärung.

158

J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 37, mit Berufung auf R. Bultmann, Geschichte

159

D. Lührmann, Redaktion 30.

160

F. Christ, Jesus Sophia 74. H. Schürmann, Lukas 428, mit einer theologischen Begründung.

1 6 4 - 1 6 8 , und E. Arens, ΗΛΘΟΝ-Sayings, 2 4 0 - 2 4 3 .

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 11,2—19/Lk 7 , 1 8 - 3 5 )

75

Abschluß der größeren Sammlung bekommen in jedem Fall die redaktionellen Vorstellungen ihr Gewicht. »Der Hinweis auf die Kinder der Weisheit sollte wohl der kleinen Komposition wieder eine für die missionarische Arbeit einladende Note verleihen.« 161 2.3.3. Das Gleichnis (Mt 11,16 f./Lk 7,31 f.) Das Bild ist trotz seiner Unschärfe in der Aussagetendenz verständlich. Der Skopus liegt nicht in den konträren Spielaufforderungen der beiden Kindergruppen, die dann allegorisch auf urkirchliche Richtungen (Jesusjünger — Johannesjünger) zu beziehen wären, aber auch nicht in dem jetzt von dieser Generation, d. h. von der jüdischen Umwelt von Q nicht erkannten heilsgeschichtlichen Kairos 162 , sondern in den angesprochenen, nicht zum Spielen aufgelegten Kindern, d. h. aber konkret: dieses Geschlecht, die Menschen hier und jetzt, verweigern sich der Gottesbotschaft, egal durch wen und auf welche Weise sie auch angeboten wird. »Es hat keinen Sinn, es mit ihm noch weiter zu versuchen.« Wenn man es in die Situation Jesu einordnen darf 163 , dann müßte ein Bezug zu der zunehmenden Ablehnung seiner Botschaft durch die Zeitgenossen als Hintergrund erkannt werden. Von Verwerfung Israels kann freilich auch hier nicht die Rede sein. Eine unterschwellige Resignation, verbunden mit einer letzten Aufforderung in allerletzter Stunde, ist der leitende Tenor des Bildes. 2.3.4. Das Kommentarwort (Mt ll,18.19a.b/Lk 7,33f.) Der Doppelspruch hat sowohl Jesus als auch den Täufer durch das hoheitliche ήλθεν eingeführt und damit heilsgeschichtlich qualifiziert. Eine gelegentlich vermutete »epiphanische« Bedeutung der Wendung 164 stößt wegen dieses Umstandes auf gewisse Schwierigkeiten. Möglicherweise liegt eine Überschneidung mit dem Vorstellungskreis von der Sendung der Propheten vor 165 . Denkbar ist allerdings auch eine herausgehobene feierliche Redewendung ohne spezifischen Hintergrund 166 . Der Terminus liefert keine Argumente für oder gegen die Echtheit. Der Spruch, der in der Rückschau das Auftreten der beiden Heilsgestalten nebeneinanderstellt, ist auf das ablehnende Verhalten dieses Geschlechtes, d. h. der jüdischen 161 162 163 164 165 166

J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 36 f. P. Hoffmann, Studien 226; S. Schulz, Spruchquelle 381; F. Mußner, Kairos 612. D. Lührmann, Redaktion 29: »gegen seine Rückführung auf Jesus spricht nichts.« F. Mußner, Kairos 603 Anm. 3. P. Hoffmann, Studien 228 Anm. 136. Η. E. Tödt, Menschensohn 106 Anm. 5: »>er ist gekommene ist eine Wendung, die das Wirken des Menschensohnes zu einer Ganzheit zusammenfaßt.«

76

Johannes der Täufer in der Logienquelle

Umwelt jener christlichen Gruppe, in welcher man ungute Missionserfahrungen gemacht hat, ausgerichtet. Es mag sein, daß geschichtliche Erinnerungen mit im Spiel sind; für die aszetische Lebensweise des Täufers gibt es Belege in der Markustradition (1,6; 2,18 — 20). Das böse Schimpfwort vom Fresser und Säufer, vom Freund der Zöllner und Sünder greift Vorwürfe auf, die man gegen Jesus wegen seiner offenen Lebensformen (Mk 2,13 — 17) immer wieder vorgebracht hat. Das ändert nichts an der Tatsache, daß der Sammler, der die Logien zusammengestellt hat (im Rahmen der ήλθον-Worte), aktuellen Unglauben zu seiner Zeit anprangern wollte. »Es herrscht also in diesem Abschnitt das Interesse an dem Widerstand, den dieses Geschlecht der Sendung des Menschensohnes entgegenbringt. Das ist die gleiche Thematik, welche die sogenannten Streitgespräche beherrscht.« 167 Der Menschensohn-Titel (kein Äquivalent für das Pronomen der ersten Person Singular 168 ) hat im Rahmen einer Anklage gegen dieses Geschlecht nicht nur die hoheitliche, im souveränen Übertreten der gesetzlichen Schranken begründete Funktion 169 im Auge, es geht vielmehr um die Ankündigung des eschatologischen Richters, der die Ablehnung der Gottesboten ahnden wird 170 . Die drohenden Nebentöne sind nicht zu überhören 171 . 2.3.5. Die Absicht der Redaktion Wenn wir es bei dem Gleichnis und seiner Deutung mit einer nachträglichen Verknüpfung ursprünglich selbständiger Sprüche nach der formalen Figur von Bezugs- und Kommentarwort zu tun haben, stellt sich die Frage nach der Intention des »Kommentators«. J. Wanke 172 spricht von »einer Art rückblickender >Geschichtsschau< «, welche der Denkweise der weisheitlichen Theologie entstamme. Die Ausklammerung der Schlußwendung Mt 11,19 c/Lk 7,35 mit dem ausdrücklichen Bezug auf die Weisheit muß nicht gegen diese Deutung sprechen, da es sich um ein umfassendes weitschweifig und terminologisch unscharf argumentierendes Motivgefüge handelt. Ohne den abschließenden positiven Ausblick bekommt das »verkürzte« Kommentarwort allerdings einen dunklen und bitteren Einschlag, der an das Gastmahlgleichnis Mt 22,1 — 14 mit den 167 168 169 170

171

172

Η. E. Tödt, Menschensohn 106. Bei R. Bultmann, Geschichte 166 erwogen; T.W. Manson, Sayings 70f. Η. E. Tödt, Menschensohn 107. P. Hoffmann, Studien 228: »Die einstige Ablehnung des irdischen Jesus wird mit der Ablehnung des kommenden Menschensohnes gleichgesetzt.« So J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 39; anders H. Schürmann, Lukas 426f., mit E Mußner, Kairos 602, der die Ankündigung der messianischen Heilszeit als den zentralen Verkündigungsgedanken des Stücks erkennen möchte. J. Wanke, >Bezugs- und Kommentarworte< 39.

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 11,2 —19/Lk 7 , 1 8 - 3 5 )

77

überdeutlichen Verwerfungsanspielungen erinnert. Das Doppelwort deutet in der heilsgeschichtlichen Rückschau die Ablehnung der christlichen Missionare der Gegenwart: Was jetzt geschieht, ist nicht einmalig, sondern im Ergehen der Gottesmänner vorgezeichnet. »Die Gleichnisse werden zu allegorischen Abrissen der Heilsgeschichte.« 173 In der Verbindung mit dem Bildteil ergibt sich eine qualifizierende Wertung der beiden ursprünglich als einheitliches heilsgeschichtliches Paradigma dargestellten Gestalten Jesus und Johannes. Der Täufer findet sein Analogon im Trauerspiel, Jesus wird dagegen den hochzeitlichen Freuden zugeordnet. Fragt man nach der dahinterstehenden Interessenlage, so kommen sicher gewisse Abgrenzungsbemühungen innerhalb der christlichen Gemeinde in den Blick: Man muß sich von den Täuferjüngern distanzieren. Größeres Gewicht wird allerdings die nicht nur historisch, sondern auch heilsgeschichtlich und christologisch begründete Differenzierung zwischen dem Bußprediger und dem Mann des Evangeliums gehabt haben. Spätestens bei der Gleichsetzung Jesu mit dem kommenden Menschensohn ist sich die Gemeinde auch des qualitativen Unterschiedes bewußtgeworden. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Gleichniskommentierung ergibt sich aus der Missionssituation, die hinter dem Traditionsstück erkennbar ist: Es hat sich trotz der fortgeschrittenen Zeit noch nichts geändert. Israel ist nicht bereit, das neue Angebot des Evangeliums anzunehmen. »Die Verknüpfung der Uberlieferungseinheiten kann daher wohl nicht in die früheste Periode der nachösterlichen Mission eingeordnet werden, doch ist sie immerhin noch an der Frage, die der Jesusgemeinde aus der anhaltenden >Verstockung< der Synagoge erwuchs, lebendig interessiert. Das Kommentarwort ist auf seine Art ein Versuch, dieses Phänomen zu verstehen.« 174 2.4. Abschließende Überlegungen zum Täuferabschnitt (Mt 11,2 —19/Lk 7 , 1 8 - 3 5 ) Mt 11,2 —19/Lk 7,18 — 35 ist literarisch und theologisch ein Mixtum compositum. Das Stück enthält Erzählungen mit möglichem historischem Hintergrund (Mt 11,2 —6/Lk 7,18 — 23), Erinnerungen an die eschatologische Verkündigung des Täufers (Mt 11,3/Lk 7,19) und an die ReichGottes-Predigt Jesu (Mt ll,4f./Lk 7,22), Worte hoher Wertschätzung über den großen Gottesmann (Mt 11,7—lla/Lk 7,24—28a) und Worte der jungen Christengemeinde über die Boten des Evangeliums (Mt 11,11 b/Lk 7,28 b). Der sperrige Stürmerspruch mit seiner heilsgeschichtlichen Reflexion über Verheißung und Erfüllung (Mt ll,12f./Lk 16,16) wirkt wie 173

J . Wanke, a. a. O. 39.

174

J. Wanke, a . a . O . 40. Eine eingehende überlieferungsgeschichtliche und theologische Analyse bietet K . Backhaus, »Jüngerkreise« 66 — 80.

78

Johannes der Täufer in der Logienquelle

eingeschoben. Den Abschluß bilden ein Gleichnis, welches den Widerstand des Volkes gegen Jesus und Johannes widerspiegelt (Mt 11,16 f./Lk 7,31 f.), und ein Logion, das entsprechende Erfahrungen der Gemeinde nach Ostern zum Ausdruck bringt (Mt 11,18 f./Lk 7,33-35). Welchen leitenden Gedanken hat der Autor von Q mit der Komposition verbunden? P. Hoffmann 175 hat aus gewissen literarischen und theologischen Spannungen auf eine Situation, in welcher weisheitlich geprägte Prophetenchristologie von der eschatologischen Menschensohnhomologese überformt worden sei, geschlossen. Die hinter Q stehende »Gruppe« hätte bei dieser Gelegenheit den von Johannes angesagten ερχόμενος auf den Menschensohn Jesus bezogen und damit die Voraussetzungen für die Übertragung des Vorläufermodells auf Johannes geschaffen. Die alte Einschätzung des Täufers als Endzeitbote (Mt 11,10 par) hätte durch den Bezug zum Menschensohn-Jesus eine neue, immer noch eschatologische Orientierung erhalten. »Dabei bezog sich die Gruppe vermutlich auf eine ihr durch die (einstige?) Bindung an Johannes vertraute Tradition.« 176 S. Schulz 177 variiert diese Deutung durch den bewußten Rückgriff auf die Geschichte Jesu, die von der hinter Q stehenden Gemeinde als endzeitliches Handeln Gottes verstanden und gedacht worden sei. Johannes sei in diesem Gefälle von Tradition und Redaktion zwiespältig beurteilt worden: Mt 11,7 —IIa. 16 —19 par betonen die »überragende eschatologische Funktion und heilsgeschichtliche Vorzugsstellung« 178 , Mt 11,11b.12 par stufen ihn dagegen zurück. Die gleiche Diastase müsse auch in dem Gleichnis von den spielenden Kindern und der Deutung erkannt werden (Mt 11,16—19 par): »Der irdische Jesus wird als endzeitlicher Menschensohn zu diesem Geschlecht gesandt, während Johannes als Vorläufer noch Repräsentant des alten Äon ist.« 179 Wer auf die Theologie der Q-Redaktion abhebt, findet bei P. Hoffmann die bessere Erklärung. Es fragt sich allerdings, ob aus den locker aneinandergereihten Stücken so weitgehende theologische Einsichten herausgelesen werden können. Das formgeschichtliche Prinzip des Sammeins und Rahmens 180 hat nach wie vor seine Gültigkeit. Angesichts der vielen Fragen, die sich dem Leser von Mt 11,2 — 19 par auch nach den scharfsinnigen Redaktionsanalysen noch stellen, möchte ich unter Umgehung der nicht verarbeiteten und unkommentiert übernommenen Spannungen zwischen Täuferschülern und christlicher Gemeinde (Mt 11,2—6/ 175

P. Hoffmann, Studien 2 3 1 - 2 3 3 .

176

P. Hoffmann, a. a. O. 233.

177

S. Schulz, Spruchquelle 1 9 0 - 2 0 3 .

178

S. Schulz, a. a. O. 235.

179

S. Schulz, a. a. O. 386.

180

M. Dibelius, Formgeschichte 9: »Die Verfasser sind nur zum geringsten Teil Schriftsteller, in der Hauptsache Sammler, Tradenten, Redaktoren.«

Das Täuferbild der Logienquelle

79

Lk 7 , 1 8 - 2 3 ; Mt 11,7-13/Lk 7 , 2 4 - 3 0 ) auf den Vorrang des Gleichnisses von den spielenden Kindern und seiner Deutung (Mt 11,16 —19/Lk 7,31—35) abheben: Die Konkurrenz zwischen Johannes- und Jesusjüngern ist zurückgedrängt hinter die aktuelle Kontroverse mit den jüdischen Zeitgenossen. Die christliche Gemeinde hinter Q steht in einem schweren Existenzkampf, sie wird angefeindet von »diesem Geschlecht«. »Der Gegensatz zwischen Johannes und Jesus einerseits und >diesem Geschlecht< andererseits ist also der Gegensatz zwischen ihnen und dem Volk Israel, zugleich auch der Gegensatz zwischen den Kindern, die der Weisheit Recht geben, und den launischen Kindern, also zwischen der Gemeinde und Israel.« 181

3. Das Täuferbild der Logienquelle Die Logienquelle hat eine Vielzahl von Motiven in das Täuferbild einfließen lassen. Die Koordination bereitet gelegentlich Schwierigkeiten. Die Predigtsammlung Mt 3,7 — 10.11 f. par hält nicht nur die Erinnerung an den Gerichtsboten am Jordan wach, sie ruft die Hörer hier und jetzt in die Entscheidung. Das für Q Spezifische sind die christologischen Einschläge, die in ihrer Spannung zur nach wie vor gültigen Eschatologie Gottes eine Neubewertung der Vorläuferrolle andeuten. Der kommende Stärkere ist der Messias Jesus. Sein Wort ist Gericht. Die zweite Spruchgruppe Mt 11,2 — 6.7 — 11.(12 — 13) par läßt sich kaum mit einem Hauptschlüssel öffnen. Reminiszenzen an historische Begebenheiten, echte Jesusworte über die Größe des Täufers, schriftgelehrte Ergänzungen und theologische Kommentierungen aufgrund fortgeschrittener Erfahrungen stehen nebeneinander und lassen sich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Das Wort vom Kleinsten in der Gottesherrschaft, der größer ist als Johannes (Mt V. 11 b par), stößt sich mit der einzigartigen Hochschätzung des Größten unter den von einer Frau Geborenen (Mt V. 11 a par), der mehr ist als ein Prophet (Mt V. 9 par). Die Zuordnung des Täufers zur beginnenden Gottesherrschaft (Mt V. 12 f. par) steht in Spannung zu der Mt V. 11 b par angedeuteten Rückstufung in die alte Zeit. Johannes richtet seinen Blick auf den kommenden Richter- und Retter-Gott (Mt 3,11/Lk 3,16), fragt dann aber verunsichert, ob Jesus jener Kommende sei, auf den er warten soll (Mt 11,3/Lk 7,19). Er ist der Prophet der Endzeit, gleichzeitig aber auch der Bote der Weisheit. Die Ablehnung durch dieses Geschlecht (Mt 11,16 —19/Lk 7,31—35) verträgt sich schwer mit dem offenen Interesse der Volksscharen, die die Taufe begehren (Lk 3,7 vgl. Mt 3,7). Ohne Zweifel stoßen wir hier auf eine

181

D. Liihrmann, Redaktion 31.

80

Johannes der Täufer in der Logienquelle

Gruppe, die sowohl Jesus als auch dem Täufer verpflichtet ist. Ob es sich um ehemalige Johannes jünger, die zu Jesus gefunden haben oder aber erst vor den Toren der Kirche stehen, handelt, kann vom Text her kaum entschieden werden. Eine besondere Hochschätzung des Täufers als Bote der Weisheit und als Vorbote des kommenden Gottes prägt das Bild jener Jesus jünger, die zwischen Resignation und Zuversicht hin- und hergerissen in Johannes ein Zeichen der Hoffnung sehen. Das »verschwommene« Bild, dessen Zustandekommen sich literarkritisch und traditionsgeschichtlich nur schwer aufhellen läßt, entspricht offenbar den historischen Gegebenheiten. »Diese Undeutlichkeit scheint, wie sich noch oft bestätigen wird, zur Uberlieferung vom Täufer zu gehören, vielleicht auch zu seiner Gestalt.« 182 Immerhin läßt sich doch soviel sagen, daß Johannes für Q trotz der gezielten »Degradierung« das große eschatologische Zeichen und der Anfang der beginnenden Heilszeit gewesen ist. In der Mitte zwischen prophetischer Verheißung und endzeitlicher Erfüllung repräsentiert er die Kontinuität der göttlichen Heilsführung.

182

E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 46.

III. Johannes der Täufer in der Lukasredaktion Das Täuferbild des Lukas hält sich im Grundbestand an die literarischen Vorlagen (Markus, Logienquelle, evtl. Sonderquelle Lk), geht aber in den redaktionellen Überarbeitungen erheblich darüber hinaus. Ist schon die Mischung von Markus und Q ein Problem, so bereiten die Sondergutkomplexe, in denen sich möglicherweise eine komprimierte traditionelle Täuferideologie niedergeschlagen hat, besondere Schwierigkeiten. Inhaltliche Berührungen mit der Kindheitserzählung und der Apostelgeschichte können zu Erkenntnissen über jene Gruppe führen, die die Ideale des Täufers durchgehalten und in das Evangelium eingebracht hat. Die methodischen Vorüberlegungen haben so gesehen sehr konkrete Perspektiven. Aber was hat Lukas aus dem vorgefundenen Quellenmaterial gemacht und welche neuen Akzente hat er bei seinem Täuferbild gesetzt? Unsere Untersuchung konzentriert sich 1. auf das Verhältnis des Lukas zur herkömmlichen Eschatologie, speziell zur Erwartung des wiederkommenden Elija; 2. auf die Verarbeitung der Vorlagen (Mk, Q , SLk), die sich auf das öffentliche Auftreten und die Predigt beziehen; 3. und 4. auf die Rolle des Täufers in der Heilsgeschichte; 5. auf das Beten des Täufers und 6. auf die Stellung des Täufers »zwischen den Zeiten«. Den Abschluß bildet 7. eine wertende Zusammenfassung, die nach dem Täuferbild des Lukas fragt. 1. Lukas und die Elija-Typologie Das Täuferbild der Lukasredaktion ist durch die veränderte Einstellung zur traditionellen Elija-Typologie maßgeblich bestimmt. Die Analyse muß sich auf die relevanten Texte bei Markus (1.1.), in der Logienquelle (1.2.) und im lukanischen Sondergut (1.3.) stützen. 1.1. Der Vergleich von Markus und Lukas Der Vergleich zeigt folgendes Bild: Mk I. II. III.

1,2 1,6 6,15 8,28

Lk I. II. III.

7,27 — (indirekte Anspielung) 9,8 9,19

82

IV.

V.

VI.

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion Mk

Lk

9.4 9.5 9.11 9.12

9,30 9,33

9.13 15.35 15.36

Rein n u m e r i s c h e r g i b t sich, w e n n m a n die i n d i r e k t e E l i j a - A n s p i e l u n g M k 1 , 6 ' a u ß e r B e t r a c h t läßt, das V e r h ä l t n i s 1 0 : 5 2 , das bedeutet: L u k a s hat f ü n f Elijatexte ausgelassen. Bei sachlicher, d. h. a u f T h e m e n g r u p p e n ausg e r i c h t e t e r Z ä h l u n g v e r ä n d e r t sich die R e l a t i o n a u f 6 : 4 = 2 A u s l a s s u n g e n (s. u.). D a sich die U n t e r d r ü c k u n g des E l i j a b e z u g s in d e r P a s s i o n s e r z ä h l u n g ( M k 1 5 , 3 5 f.) leicht aus d e r e n t w i c k e l t e r e n C h r i s t o l o g i e des L u k a s e r k l ä r e n l ä ß t 3 , bleibt lediglich d e r A b s c h n i t t M k 9 , 1 1 - 1 3 . 1 . 1 . 1 . D a s Ü b e r g e h e n d e r f ü r die h e r k ö m m l i c h e E l i j a - T y p o l o g i e w i c h t i g e n P e r i k o p e M k 9 , 1 1 — 1 3 ist in der Tat a u f f a l l i g . N a c h d e r h e u t e v o r h e r r s c h e n d e n A u f f a s s u n g hat L u k a s den V o r l ä u f e r g e d a n k e n mit seinen eschat o l o g i s c h e n O r i e n t i e r u n g e n als s t ö r e n d e m p f u n d e n u n d d a r u m k u r z e r h a n d g e s t r i c h e n 4 . M a n k a n n es a b e r auch a n d e r s sehen: D e r E v a n g e l i s t hat das G e s p r ä c h J e s u m i t den J ü n g e r n b e i m A b s t i e g v o m B e r g e d e r V e r k l ä r u n g ( M k 9 , 1 1 — 1 3 ) m i t R ü c k s i c h t a u f seine heidenchristlichen A d r e s s a t e n fal-

' Die Aussparung der Kleider- und Nahrungsnotiz von Mk 1,6 hat wohl kaum etwas mit der Tilgung des Elias-redivivus-Komplexes zu tun. Lukas hat wahrscheinlich das Bild des Lehrers vor Augen gehabt (vgl. 3,12). Das aszetische Motiv ist nicht verdrängt, sondern in einem anderen Zusammenhang (7,25.33) untergebracht worden. Wie spekulativ Erklärungen bleiben müssen, zeigt O. Böcher, Johannes der Täufer 67 Anm. 110: »Der Grund für diese Reduktion kann nur vermutet werden; vielleicht wollten Lukas und Johannes den Vorläufer Jesu nicht als jüdischen Propheten charakterisieren, nachdem die prophetische Lebensweise als Zeichen jüdischer Halsstarrigkeit und Christusfeindschaft gedeutet wurde, vgl. Mt. 7,15 ...« Ähnlich zurückhaltend auch M. Bachmann, Johannes der Täufer 129 f., der die Möglichkeit einer sekundären Eintragung der Elijabezüge aus Mt 3,4 in den meisten Markushandschriften in Erwägung zieht. »Nimmt man aber auch an, Lukas habe der längere Text von Mk 1,6 vorgelegen, so ist es natürlich noch keineswegs selbstverständlich, daß er den Anklang an II Reg 1,8 auch als solchen habe erfassen müssen.« Vgl. auch H. Schürmann, Lukas 153 Anm. 42. F. Hahn, Hoheitstitel 371.378. 2 3

4

W. Wink, John the Baptist 42, zählt 9:4. Lukas »unterschlägt« den für ihn anstößigen Notschrei Mk 15,34: »Elo'i, Eloü, lama sabachtani.« H. Conzelmann, Mitte der Zeit 19 f.: »Natürlich wird konsequenterweise Mk 9,9—13 gestrichen.«

Lukas und die Elija-Typologie

83

lenlassen 5 . Nicht auszuschließen ist eine bewußte redaktionelle Tilgung des markinischen Elija-Mysteriums, das nach der in der Geburtsankündigung des Johannes (1,17) offengelegten Identität des Täufers mit dem Propheten Elija seinen Sinn verloren hat 6 . Eine andere Vermutung beruft sich sehr allgemein auf die geniale »Kunst des Weglassens« 7 oder auf die christologisch bedingte Kombination von Herrlichkeitsoffenbarung (9,28 — 36) und Krankenheilung (9,37 —43 a), welche für den leidenden Eli ja-Johannes (Mk 9,13) keinen Raum lasse 8 . Die damit verbundene traditionelle Vorstellung vom wiederkommenden Elija (Mk 9,11 f.) sei sozusagen »auf Umwegen« unterdrückt oder in einen anderen Zusammenhang (vgl. zu Lk 7,33: έλήλυθεν y à p Ιωάννης ό β α π τ ι σ τ ή ς ) verlagert worden 9 . Für unsere Überlegungen ist wichtig, daß Lukas in einem christologischen Argumentationsrahmen auf eine eschatologische Leitidee leicht verzichten konnte. Wahrscheinlich hat der Elija-Name für Lukas ohnehin seine traditionelle Bedeutung eingebüßt. Es hat sich in der lukanischen Bearbeitung der Markusvorlage eine neue theologische Fragestellung, die am traditionellen Thema nicht mehr interessiert ist, herausgebildet, von einer gezielten Verdrängung eines unpassenden Gedankens kann jedoch nicht die Rede sein. 1.1.2. Die Aussparung der Elija-Anspielung in dem Maleachizitat des Markus-Prologs (Mk 1,2) hat mit bewußter Unterdrückung nichts zu tun. Lukas konnte sie wahrscheinlich aus Gründen der Dublettenvermeidung (Lk 7,27), vielleicht auch im Hinblick auf irrtümliche Zuweisung zu Jesaja, ohne Schwierigkeiten fallenlassen 10 . 5

M. Goguel, Leben Jesu 447 Anm. 484.

6

J. Α. T. Robinson, Elijah, John and Jesus 276.

7

Vgl. H. Schürmann, Lukas 567.

8

I. H. Marshall, Luke 389: »It is the Jesus w h o has been transfigured w h o now appears to help men at the foot of the mountain; what the disciples cannot do, he can do. He appears like a visitor f r o m another world w h o has to put up with the unbelief of men.«

5

M. Bachmann, Johannes der Täufer 132: »Es ist ... zumindest ungesichert, ob Lukas in Mk 9,11 —13 eine Identifizierung von Täufer und Elia dunkel angesprochen fand. Da es gleichzeitig als nahezu sicher erscheint, daß er sich der — nur durch erhebliche Eingriffe zu beseitigenden — Schwierigkeiten des Textes bewußt war, wird man möglicherweise schon darin einen hinreichenden Grund, diese Verse zu übergehen, zu sehen haben.«

10

M. Bachmann, Johannes der Täufer 129: »Sollte der dritte Evangelist Mk 1,2 b gelesen haben, so wird sein Verhalten gegenüber diesem Versteil vielmehr so zu sehen sein, daß Lukas, der, wie T. Holtz wahrscheinlich gemacht hat, das Jesaja-Buch der griechischen Bibel >bei seiner schriftstellerischen Arbeit zur Hand hatte< (T. Holtz, Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas [TU 104], Berlin 1968, 29 — 43 [Ergänzung d. Verf.]) und der in Lk 3,5 f. — wahrscheinlich selbständig — Jes 40,4 f. zu dem schon von Markus gebotenen Vers Jes 40,3 hinzuzufügen vermochte, sich dessen bewußt war,

84

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

1.1.3. Die noch verbleibenden Elija-Stellen, die Lukas von Markus übernommen hat (9,8.19 und 9,30.33), gehören in den Rahmen einer prophetischen Jesusdeutung (vgl. 7,16: »Ein großer Prophet ist unter uns erstanden«), die sich in Elija-Bezügen des lukanischen Sondergutes (4,25.26) und in einer Reihe indirekter Anspielungen auf die Geschichte des großen Propheten des Alten Testamentes 11 niedergeschlagen hat. Elija ist für Lukas der Prophet par excellence, der Prototyp des Gottesmannes. Lukas hat also in der Tat ein über die herkömmlichen eschatologischen Vorstellungen hinausgehendes Elija-Bild vor Augen, aber der Entwicklungsprozeß ist noch nicht zum Abschluß gekommen. Man hat von einem lukanischen Elija-Midrasch auf der Grundlage der alttestamentlichen Königsbücher gesprochen 12 und einen Zusammenhang mit der Umdeutung der Eschatologie aufzeigen wollen: Da Jesus der gekommene Elija ist, bestehe für den Täufer als Elias redivivus kein Bedarf. Die Christologie habe die konkurrierenden Bilder der traditionellen Eschatologie verdrängt. Die Erklärung verdient in ihrem ersten Teil, d. h. in dem auf Jesus bezogenen ElijaMidrasch, volle Zustimmung. Daß diese Entwicklung in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Abbau der eschatologischen Täufer-ElijaTypologie gesehen werden müsse, ist eine nach wie vor unbewiesene Vermutung, ganz abgesehen von der noch gar nicht reflektierten möglichen (oder auch tatsächlichen) Bandbreite der mit der Gestalt des Elija verbundenen vorlukanischen eschatologischen Vorläufervorstellungen 13 . Aber bevor ein endgültiges Urteil gefällt wird, ist es erforderlich, die Verarbeitung der zweiten Quelle des Lukas zu analysieren und das lukanische Sondergut auszuwerten. 1.2. Der Vergleich der Logienquelle mit Lukas Der Vergleich zeigt folgendes Bild: erst das Wort von Mk 1,3 stehe έυ β ί β λ ω λ ό γ ω ν Ήσαίου τ ο υ π ρ ο φ ή τ ο υ (Lk 3,4), und deshalb die im zweiten Evangelium falschlich dieser Schrift zugeordnete Sentenz aus Mk 1,2, die ihm hier wegen des Jesaja-Zitates entbehrlich erschienen sein wird, der Exaktheit zuliebe — und im Blick auf Lk 7,27 ohne Bedenken — ausließ.« " W. Wink, John the Baptist 44: Lk 7 , 1 1 - 1 7 vgl. 1 Kön 17,24; Lk 9,54 vgl. 2 Kön 1 , 9 - 1 2 ; Lk 12,49 vgl. 1 Kön 18,20 - 40; 2 Kön 1,9ff.; Lk 1 2 , 5 0 - 5 3 vgl. Mal 4,5 f.; Lk 1 2 , 5 4 - 5 6 vgl. 1 Kön 18,44; Lk 2 4 , 5 0 - 5 3 vgl. 2 Kön 2,11; Apg 1,11 vgl. 2 Kön 2,12; Apg 1,9 vgl. 2 Kön 2,12; Lk 9,61 f. vgl. 1 Kön 19,20f.; Lk 9,51 vgl. 2 Kön 2,1.9.11 u. ö. Vgl. J. M. Dawsey, The Unexpected Christ: The Lucan Image, in: ET 98 (1987) 297: »That John does not consider himself to be expected Elijah is clear from his self-identification as the one who baptizes with water. The >coming one< is the one who will baptize with fire, according to John — and in Malachi ...«. Also: Nicht Johannes, sondern der Menschensohn Jesus ist für Lukas der Elija. 12 13

W. Wink, John the Baptist 43 f. Vgl. hierzu die Überlegungen von M. Bachmann, Johannes der Täufer 132—134.

Lukas und die Elija-Typologie

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1.2.1.

Q

Mt 3,11/Lk 3,16 ερχεται ò ισχυρότερος Mk 1,7 ερχεται ó ισχυρότερος μου οπίσω μου Mt 3,11 ό δέ οπίσω μου ερχόμενος

Lk 3,16 ερχετοα δέ ό ισχυρότερος μου

Lukas hat den theologisch-eschatologisch ausgerichteten Q-Text (Mt 3,11/Lk 3,16) genauso wie Mk 1,7 christianisiert: Der kommende Stärkere ist mit dem Messias Jesus identifiziert und durch den gen. comp, μου als der dem Täufer Überlegene ausgewiesen. Das Vorläufer-Elija-Modell, das indirekt in dem Nachfolgegedanken der Markus- und Matthäusparallele anklingt, ist im Q - und Lukas-Text ohne Bedeutung; von einer Streichung zum Zwecke der Enteschatologisierung 14 kann deshalb auch nicht die Rede sein. E s ist allerdings richtig, daß die Christologie die Eschatologie an sich gezogen hat. Für Lukas ist Jesus der Stärkere in bezug auf Johannes. Die »Degradierung« des Täufers ist bei Lukas aber nicht so konsequent durchgeführt wie bei Markus. Die Komplexe: Vorläufer-Nachfolger spielen im vorliegenden Text keine Rolle. 1.2.2.

Mt 11,10/Lk 7,27 (Q)

Lk 7,27

ιδού άποστέλλω τόν άγγελόν μου προ προσώπου σου, δς κατασκευάσει την όδόν σου εμπροσθέν σου.

ιδού άποστέλλω τόν άγγελόν μου προ προσώπου σου, δς κατασκευάσει την όδόν σου εμπροσθέν σου.

Mal 3,1 ιδού εγώ ίξαποστέλλω τον άγγελο ν μου, καί έπιβλέψεται όδόν προ προσώπου μου

14

Η. Conzelmann, Mitte der Zeit 18 f.: »Lukas kennt weder irdische noch vom Himmel her erscheinende Vorläufer der Parusie. Er streicht 3,16 sogar όπίσω μου.« Genau entgegengesetzt argumentiert K . Grobel, »He That Cometh after me« 400: Die doppeldeutige Wendung von Mk 1,7 sei L k 3,16 durch die Streichung des räumlich, d. h. im Sinne der Jüngerschaft zu verstehenden όπίσω μου eindeutig escbatologisch interpretiert!

86

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

Ex 23,20 προ προσώπου σου Mal 3,22 και ίδού εγώ άποστέλλω ύμΐν Ήλίαν τόν Θεσβίτην πρίν έλθεΐν ήμέραν κυρίου Die Tendenz des Q-Logions Mt 11,10/Lk 7,27, das die bekannte ElijaTypologie, wenngleich mit christologischen Einblendungen, deutlich erkennbar durchträgt, ist von Lukas ohne jede Veränderung übernommen worden. Die Tatsache, daß Matthäus in einem redaktionellen Zusatz (11,14: αυτός εστίν Ηλίας ó μέλλων ερχεσθαι) von sich aus eine präzise Identifizierung vorgenommen hat, besagt für das lukanische Verständnis überhaupt nichts 15 . Lukas hält sich vielmehr exakt an die Logienquelle, die das »mehr als ein Prophet« (7,26 b) durch das interpretierende und komplementäre Schriftzitat vom Boten und Wegbereiter (Mal 3,1) überbietet 16 . Das »Versäumnis« von Lk 3,4 — 6 gegenüber Mk 1,2 ist nur ein Scheinproblem, das in Wirklichkeit bereits vom Verfasser der Logienquelle in Ordnung gebracht worden ist. Von einem besonders ausgeprägten Interesse an dem eschatologischen Vorläufergedanken kann allerdings genausowenig die Rede sein wie von einer ethisierenden Umdeutung (vgl. Abschnitt 4.1.). 1.2.3. Lk 7,33: ΙλήλυΘεν γ ά ρ 'Ιωάννης ò βαπτιστής Wenn man das im Rahmen der Prophetensendungen zu wertende ήλθεν-Wort Mt 11,18 (Q) mit der lukanischen Abänderung in die έλήλυθενForm Lk 7,33 ins Auge faßt, ergibt sich eine entfernte Parallele zu dem bei Lukas vermißten Spruch von dem schon gekommenen Elija. Der »gekommene« Johannes (Lk 7,33: έλήλυθεν γάρ Ιωάννης ό βαπτιστής) ist kein anderer als der gekommene Elija (Mk 9,13: ότι και Ηλίας έλήλυθεν), die Menschen haben mit ihm gemacht, was sie wollten. Die bei Markus erkennbare passionstheologische Elija-Täufer-Interpretation klingt auch bei Lukas noch nach. Der eschatologische Gedanke ist zwar nicht völlig in Vergessenheit geraten oder gar verdrängt worden, aber man kann 15

16

Gegen O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 35: Lukas hat die Bemerkung Mt 11,14 über Johannes als den 'Ηλίας ό μέλλων ΙρχΕσΟαι bewußt unterdrückt. Es ist erstaunlich, daß Conzelmann auf diesen Text nur in einer Fußnote (156 Anm. 1) eingeht mit der apodiktischen Feststellung, die Tendenz des Lukas gehe nicht auf Übernahme, sondern auf Ausmerzung der Tradition. Die Begründung mit dem Wechsel von »mein« zu »dein« im Zitat kann kein für die Bewertung des Lukas gültiges Kriterium sein, da dieser Sachverhalt bereits in Q vorgegeben ist.

Lukas und die Elija-Typologie

87

nicht übersehen, daß er viel von seiner ursprünglichen Stoßkraft verloren hat. Lukas hat darüber hinaus, seinem christologischen Grundanliegen folgend, neue Akzente gesetzt. 1.3. Elija im Sondergut des Lukas (1,17.76; 4,25.26; 9,54 [v.l.]) Die Kindheitserzählung des Lukas bringt in der Geburtsankündigung des Johannes eine direkte (1,17) und im Canticum des Zacharias (1,76) eine indirekte, auf Mal 3,1 bezugnehmende Elija-Anspielung 17 . Eine vorschnelle Gleichschaltung mit der Theologie der lukanischen Redaktion verbietet sich aus sachlichen und literarkritischen bzw. traditionsgeschichtlichen Gründen 18 . Auf der anderen Seite besteht zu einer strikten Isolierung und Entlukanisierung aber auch kein Anlaß. Aber wie und in welchem Sinne ist die Elija-Anspielung Lk 1,17, die locker an Mal 3,1 anknüpft, zu verstehen? Kann man sagen, daß die eschatologische Funktion des ElijaJohannes in ethisch-erbauliche Wegbereitung umgedeutet worden ist 19 ? Es ist sicher richtig, daß der vorausgehende Johannes nicht mit dem Elija der Endzeit identifiziert, sondern mit ihm, in dessen Geist und Kraft er auftritt, verglichen wird. Man kann auch nicht bestreiten, daß die Zielangabe: έπιστρέψαι καρδίας πατέρων επί τέκνα και άπειθεΐς έν φρονήσει δικαίων, έτοιμάσαι κυρίω λαόν κατεσκευασμένον (V. 17 b) im Verständnis des Lukas gewisse volksmissionarische Züge an sich hat, aber der Sinn der Elija-Anspielung ist mit dieser Deutung nur unvollständig erfaßt. Das Vorläufermotiv ist, wie aus dem größeren Zusammenhang hervorgeht, auf Jesus, den Messias und Sohn Gottes, bezogen worden 20 . Lukas hat den eschatologischen Sinn verändert, aber nicht in flache Ethik umgebogen. Wir können sogar noch einen Schritt weitergehen: Die Beibehaltung des Elija-Textes berechtigt zu der Schlußfolgerung, daß er zu seinem sachlichen Aussagegehalt voll und ganz steht, mehr noch: Es darf gefragt werden, ob er es nicht als eine das Täuferbild des ganzen Evangeliums beherrschende Grundsatzerklärung verstanden wissen wollte. Aus dem markinischen Elija-Geheimnis wäre dann eine programmatische Elija-Deklaration geworden 21 . Die übrigen schon genannten Elija-Texte des lukanischen Sondergutes (4,25.26; 9,54* 22 ) können für die anstehende Frage nach der Täuferdeutung Lk 1,17: και αύτόζ προελεύσεται ένώττιον αύτοΟ εν ττνεύματι και δυνάμει 'Ηλίου; 1,76: προττορεύση γάρ ένώττιον κυρίου έτοιμάσαι όδούς αΰτοΰ. 18 Kap. 1 und 2 haben im Lukasevangelium ihre eigene Vorgeschichte. " P. Hoffmann, Studien 195 f. 20 H. Schürmann, Lukas 36: »Auf solche Weise wurde dann der Täufer der >Wegbereiter< (1,76; 3,4; 7,27) Jesu.« 21 J . Α. T. Robinson, Elijah, John and Jesus 276. 22 Bei den Textzeugen A C D W G T f 1 1 3 3JÎ it sy p h bo pt Marcion: cos και Ηλίας εττοιησεν. 17

88

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

außer Betracht bleiben. Es zeigt sich hier das schon angemerkte Anliegen einer im Elija-Midrasch dargestellten Jesusdeutung. Wir dürfen abschließend feststellen, daß von einer grundsätzlichen Verwerfung des eschatologischen Elija-Motivs nicht die Rede sein kann. Gegenüber dem markinischen Verständnis haben sich freilich die Gewichte verlagert. Weil die Christologie das Bild des Wundertäters Elija an sich gezogen hat, bleibt für die Erwartung des Vorläufers kein zwingender Anknüpfungspunkt. Die wenigen »mitgeschleppten« Texte hängen »in der Luft«. Vielleicht dürfen sie als ein eschatologisches Signal verstanden werden. Für das Verständnis des Täufers ergeben sich aus den bisherigen Erkenntnissen noch keine umwälzenden Veränderungen 23 . 2. Das Auftreten und die Predigt des Täufers im Verständnis der Lukasredaktion (3,1 — 18) 2.1. Johannes und das Evangelium Lukas beginnt den Täuferbericht am Anfang des Evangeliums mit der Aufzählung zeitgeschichtlicher Autoritäten (Kaiser Tiberius, der Landpfleger Pontius Pilatus, die Tetrarchen Herodes, Philippus und Lysanias V. 1; die Hohenpriester Hannas und Kajaphas V. 2). Die Deutung ist umstritten: Wollte Lukas »Lesern, die von diesen Vertretern der Obrigkeit und ihren Gebieten in der Umgebung Cäsareas noch Kenntnis hatten, ein konkretes Bild von der geschichtlichen Situation des Täufers vermitteln« 24 ? Oder ging es ihm um den Erweis der Einheit von Profan- und Heilsgeschichte? Der theologische Gedanke scheint ausschlaggebend gewesen zu sein. Die feierliche Einleitung, die stilistisch an die alttestamentlichen Prophetenberufungen (Jes 1,1; Jer 1,1—3; Ez 1,1—3; Hos 1,1; Am 1,1; Mi 1,1; Zef 1,1; Hag 1,1; Sach 1,1) anknüpft, muß synchron mit der Geistsalbung (3,21 f.) und der Anfangspredigt Jesu (4,16 — 30) gelesen und als Variante zu dem markinischen »Anfang des Evangeliums« (Mk 1,1) verstanden werden. Dem Verfasser geht es also nicht um das Auftreten des letzten großen Propheten der alten Zeit, sondern um die Koordination des Täufers mit dem Evangelium. »Es wird ja der άγγελος μου προ π ρ ο σ ώ π ο υ σου gesandt (Mal 3,1), d. h., der Rahmen ist eigentlich der άρχή (3,23; 4,21) zugeordnet, auf die Johannes hinwies und die mit dem Kommen Jesu (3,16) anhob, so daß für dieses nachher kein Datum mehr genannt zu werden braucht.« 25 In dieselbe Richtung deutet auch das 23

Anders H. Conzelmann, Mitte der Zeit 16 — 21. W.Wink, John the Baptist 45: »The rejection of the eschatological Elijah motif by Luke is but one step in his reinterpretation of eschatology and redemptive history as a whole.«

24

B. Reicke, Die Verkündigung des Täufers 61. H. Schürmann, Lukas 152.

25

Auftreten und Predigt des Täufers (3,1 — 18)

89

nachfolgende Schriftwort des Jesaja: Jetzt gehen die alten Prophezeiungen über das Heil Gottes, das alles Fleisch schauen wird (Jes 40,5), in Erfüllung (V. 6) 26 . Weil dem so ist, kann sogar die Gerichtsbotschaft durch das einen logischen Zusammenhang andeutende ούν (V. 7) auf die Heilsverkündigung bezogen werden. Der Täufer, der sich seiner Sendung als Bote Gottes (V. 4 a) und als Wegbereiter des Messias (V. 4 b) bewußt ist, verkündet auch als Gerichtsprediger das mit Jesus gekommene Heil. Die heilsgeschichtliche Standortbestimmung des Johannes erhält durch die lukanisch-redaktionelle Schlußwendung nach der Predigt (V. 18) in dem Stichwort εύηγγελίζετο eine deutliche Qualität. Lukas hat zwar das Substantivum εύαγγέλιον vermieden, aber die Verbalform muß auf das Evangelium bezogen und von dort aus erklärt werden. Es ist also abwegig, nur vom Predigen in einem allgemeinen Sinne zu sprechen 27 . Im Hintergrund steht vielmehr die Verkündigung der jungen Missionskirche, die auch hinter dem Modell des Wanderpredigers in der Jordangegend (3,3) erkennbar ist. Inwieweit in diesem Rahmen die Gottesherrschaft neben der vorrangigen Christologie noch ein Thema ist, kann hier nicht entschieden werden. Johannes ist der Prototyp des christlichen Evangelisten, aber auch die Vorausdarstellung Jesu, der als der von Jesaja angekündigte εύαγγελιζόμενοξ (Jes 61,1 f.) in der Synagoge von Nazaret das mit ihm gekommene Heil ansagt (Lk 4,16 — 30) 28 . Eine derartige Verchristlichung ist nur möglich, weil der Täufer nach den Vorstellungen des Lukas schon in der Zeit der Erfüllung steht 29 oder schon Fuß faßt. 2.2. Die Vorlage des lukanischen Täuferberichtes Die Richtigkeit dieser Deutung bedarf der quellenkritischen Absicherung. Folgt Lukas in seiner Darstellung des Täuferanfangs der Logienquelle (V. 3f.5f.7 —9.17), die markinisch (V. 3 f. 16) und lukanischredaktionell (V. 5 f. möglich; V. 10—14.15.18) angereichert worden wäre 30 ? 26

27

28 29 30

Die Umstellung von Mk 1,3 und 1,4 gibt ein heilsgeschichtliches Arrangement des Lukas zu erkennen. Vgl. W.Wink, John the Baptist 52: »In conception, Luke 3:1 is exactly equivalent to Mark 1:1, Luke making even more explicit than Mark that >the beginning of the gospel< is John.« So H. Conzelmann, Mitte der Zeit 17 Anm. 1; R. Bultmann, Die Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 4 1961, 89; G. Strecker, Das Evangelium Jesu Christi, in: Ders., Eschaton und Historie. Aufsätze, Göttingen 1979, 221 f.; F. W. Horn, Glaube und Handeln 93: »denn das Gewicht des Satzes liegt auf dem Ετερα τταρακαλώυ, nicht auf εύηγγελίζετο.« Anders H. Conzelmann, Mitte der Zeit 17f.; vgl. aber W.Wink, John the Baptist 52f. W.Wink, John the Baptist 53. H. Schürmann, Lukas 178f. So O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 30 f.; für die Einleitung V. 3 f. S. Schulz, Spruchquelle 367; W. Grundmann, Lukas 100: »Die Schilderung des Auftretens des Täufers hat Anklänge an Markus, ist aber ihm gegenüber kürzer, so daß mit einem Einwirken seiner Sonderüberlieferung gerechnet werden muß.« Β. H. Streeter, Four Gospels 199 ff.: Q + SLk + Mk.

90

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

Hält er sich an einen hinter Markus und Q liegenden Bericht vom Anfang 31 , der dann freilich wegen der besonderen Quellenlage bei Lukas kaum noch in der ursprünglichen Form greifbar gewesen sein könnte? Hat Lukas die Markusvorlage durch Umstellungen (Mk V. 4 ist vor das Schriftzitat Mk V. 3 gestellt worden: Lk V. 2 b—4), Kürzungen (Mk V. 2 b = Mal 3,1 entfällt) und redaktionelle Ergänzungen (Einleitung V. 1 f.; V. 3 a: Wanderlehrer; V. 5 f.: erweitertes Jesajazitat; V. 10—14.15.18) überarbeitet und gleichzeitig mit Logienstoff (V. 7 —9.16 b —17) angereichert? Oder hält er sich an Deuteromarkus, der die Täuferperikope bzw. »den Text der Vorlage Mk 1,2 — 4 literarisch und theologisch sehr einschneidend verändert, was nach Herausstellung und Rückgängigmachung der LkRedaktion, die hier besonders in die Augen sticht (Synchronismus Lk 3,1 f.; Darstellung der Berufung des Johannes, nach atl. Muster 3,2; Johannes als Wanderprediger im Gebiet des Jordan 3,3 a; Verlängerung des Jes-Zitates 3,5 f.), noch viel deutlicher in seiner Parallelität gegen Mk auffallen würde?« 32 Die Frage ist mit letzter Sicherheit nicht zu beantworten. Die deutlichen Markus-/Lukas-Übereinstimmungen im erzählenden Gerüst Mk V. 4a/Lk V. 2: έγένετο — 'Ιωάννης — έν τη έρήμω; Mk V. 4b/Lk V. 3 b: κηρύσσων βάπτισμα μετανοίας εις άφεσιν άμαρτιών; Mk V. 2/Lk V. 4: ... καθώς γέγραπται èv τ ω Ήσαία τ ω προφήτη / ώς γέγραττται έν βίβλω λ ό γ ω ν Ήσαΐου τοΰ προφήτου; Mk V. 3/Lk V. 4: φωνή βοώντος έν τη έρήμω- ετοιμάσατε τήν όδόν κυρίου, ευθείας ποιείτε τάς τρίβους αΰτοϋ geben der Annahme einer Markus-Anlehnung ein starkes Gewicht. Vor allem am Anfang V. 2 sind Quellenmischungen mit der schwer rekonstruierbaren Q-Einleitung (vgl. die Ausführungen zu Q) nicht ausgeschlossen. V. 3 muß als bewußte Umarbeitung von Mk 1,4 f. verstanden werden: Nicht die Menschen aus Judäa und Jerusalem kommen zum Jordan, um getauft zu werden, Johannes begibt sich in die Umgebung des Jordan, um dort die Umkehrtaufe zu verkündigen 33 . Die Ausweitung des Prophetenzitates (V. 5 f.) geht auf das Konto der lukanischen Redak31

H. Schürmann, Lukas 161 Anm. 105.258: »Für diesen Bericht konnten wir aber neben der Mk-Fassung eine Überlieferungsvariante eruieren, die sich uns 3,3—17, andeutend auch hinter 3 , 2 1 - 2 2 = Mt 1 , 9 - 1 1 ; 4 , 1 - 1 3 und 4 , 1 4 - 1 5 , ferner 4 , 1 6 - 3 0 (andeutungsweise auch 4 , 3 1 - 3 7 . 4 0 - 4 1 ? 4 2 - 4 3 ) bezeugte.« Β. H. Streeter, Four Gospels 209, sieht in V. 1 f. den Anfang der Protolukasquelle; F. Hauck, Lukas 48, denkt an eine lukanische Grundschrift; s. die Gegenargumente von H. Schürmann, Lukas 153 Anm. 45.

32

A. Fuchs, Überschneidungen 63 f. W. Wink, John the Baptist 53, verweist auf die Übereinstimmung mit dem Modell der Missionspredigt in der Apostelgeschichte: Androhung des Gerichts, Aufruf zur Umkehr, Mahnung. Vgl. C. H. Kraeling, John the Baptist 10. Die Annahme von A. Fuchs, Überschneidungen 65, »daß die Tradition Mk 1,5 f. in ähnlicher Form auch in der Zweitauflage des Mk ( = Deuteromarkus) stand und von dorther Lk bekannt war«, läßt sich mit dem Hinweis auf die teilweisen Übereinstimmungen mit Mt 3,5 und Lk 3,3 kaum überzeugend festigen.

33

Auftreten und Predigt des Täufers (3,1 — 18)

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tion; die Kurzform Mt 3,3 entspricht der Markus-Tradition (Mk 1,3), ist also nicht als Kürzung einer angeblich bei Lukas überlieferten Langform von Q zu verstehen 34 . Sprachliche und begriffliche Anklänge an die Themen der lukanischen Kindheitserzählung (2,30—32) geben dem Prophetenwort in der Lukas-Fassung ein charakteristisches Gepräge: »Das Heil Gottes wird durch Johannes allen Völkern vorbereitet; der alte Simeon hat es bereits gesehen.« 35 Die Einleitung des Prophetenzitates, die den Buchcharakter betont herausstellt (V. 4), ist durch lukanische Stilmerkmale (20,42; Apg 1,20; 7,42) als redaktionell ausgewiesen. Für die lukanische Redaktion spricht nicht zuletzt auch die feierliche Einführung V. 1 f., die Theologie in Heilsgeschichte versetzt 36 . Lediglich bei der Zurückweisung des dem Täufer zugesprochenen Messiastitels durch entsprechende Vergleiche mit dem wahren Messias Jesus (3,16 b) ist die Q-Priorität gegeben. Wir dürfen davon ausgehen, daß Lukas der Markus-Vorlage mit ihren besonderen theologischen Tendenzen folgt, d. h. aber: Der Täufer steht am Anfang des Evangeliums. Darüber hinaus läßt er sich von den Ideen der aktuellen Missionspredigt seiner Kirche leiten. 2.3. Die Gerichtspredigt des Täufers (3,7 — 9.17) Zu der Deutung des Täufers als Erstzeuge des Evangeliums, die — wie schon gezeigt — im rahmenden Kontext ihre Bestätigung findet, steht die aus der Logienquelle übernommene Gerichtspredigt in scharfem Kontrast. Das Erbe der alttestamentlichen Propheten behält auch in der heilsgeschichtlichen Neuorientierung als immer präsenter dunkler Hintergrund Gewicht. Obwohl die Elija-Typologie in der Täuferpredigt des Lukas keine erkennbare Rolle spielt 37 , ist die damit verbundene eschatologische Erwartung doch nicht völlig ausgemerzt. »Daß Lukas die herkömmliche Eschatologie nicht aus dem Auge verloren hat, zeigt die Treue gegenüber der Tradition. Es führt auch nicht viel weiter, wenn man die >störenden
im Geist und in der Kraft des Elias< (1,17) gepredigt hat, da sich ja Mal 3 erfüllt: Johannes wendet V I I das Herz des Menschen πρόξ τ ο ν π λ η σ ί ο ν (vgl. Mal 3,23 L X X ; vgl. Lk 1,17) und wendet sich V V 12 f gegen solche, >die Witwen und Waisen und den Fremdling entrechtem (Mal 3,5); er zeigt ihnen V V 7 . 1 7 »Gottes Gericht< (wie Mal 2,17), droht ihnen V V 16 f das Feuer an (wie Mal 3,2; vgl. 3,19) und V 9 die >Entwurzelung< (wie Mal 3,19).«

92

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

Gerichtstexte auf die Nähe des Messias oder auf das geschichtliche Strafgericht über Jerusalem bezieht. Warum hat Lukas dieses nicht unmißverständlicher ausgesprochen? Lukas hat die Drohrede des Täufers keineswegs historisiert, das Auffallige ist vielmehr das Festhalten an überlieferten Endzeitstücken.« 3 8 Offenbar wollte er zum Ausdruck bringen, daß der Täufer heilsgeschichtlich nicht so leicht einzuordnen ist. Die Notiz über die Meinung des Volkes, Johannes sei der Messias (V. 15) — eine redaktionell gestaltete Überleitung zu den betonten Demutsäußerungen des Täufers (V. 16) 3 9 —, spiegelt Fragen und Antworten, die zur Abfassungszeit des Lukas-Evangeliums immer noch heftig diskutiert wurden. Johannes steht nicht mehr voll im Alten Testament, aber auch noch nicht ganz im Neuen Testament. Besonderes Interesse verdienen die knappen redaktionellen Akzente, die unter Umständen eine neue Wertung zu erkennen geben. A m auffälligsten ist das pluralische Verständnis der in Q auf den einmaligen A k t der Bekehrung bezogenen Umkehrfrucht (V. 8). Lukas denkt an die K o n sequenzen, die sich in einer entsprechenden Lebensgestaltung zeigen müssen 40 . Möglicherweise muß das erweiterte Jesajazitat V. 5 im gleichen Sinne gelesen und als symbolischer Hinweis auf vorbereitende sittliche Leistungen verstanden werden. Lukas hat mit dieser knappen Korrektur 38

39

40

J. Ernst, Herr der Geschichte. Perspektiven der lukanischen Eschatologie (SBS 88), Stuttgart 1978, 30 f. P. Hoffmann, Studien 16, spricht zu Recht von einer polemisch-apologetischen Note. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 19, möchte die Tendenz schon in den Quellen erkennen. Ähnlich C. H. Dodd, Tradition 257: »It is therefore possible that the editorial introduction in III. 15 may in substance go back to one of the sources, or lines of tradition, which Luke was following, even if its phrasing be his own.« Für die lukanisch-redaktionelle Einstufung sprechen lukanische Spracheigentümlichkeiten, vgl. S. Schulz, Spruchquelle 368 Anm. 300. Anders H. Schürmann, Lukas 171, der an eine von Lukas vorgefundene Einleitungswendung zu den Q-Sprüchen denkt. Dort auch unter Anm. 64 eine kritische Überprüfung der lukanischen Spracheigentümlichkeiten mit dem Urteil: »Keine der vier genannten Spracheigentümlichkeiten ist in der luk Feder schlechthin unmöglich, wohl aber die Summierung dieser Unwahrscheinlichkeit in einem einzigen Vers.« Für lukanischredaktionelle Überarbeitung sprechen sich ferner aus J. Wellhausen, Lucae 5; W. Bousset, in: Die Schriften des Neuen Testaments neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt, Hrsg. W. Bousset/W. Heitmüller, Bd. 1: Die drei älteren Evangelien, Göttingen 31917, 418; R. Bultmann, Geschichte 263.359.386; W. Grundmann, Lukas 104 f. H. Schürmann, Lukas 165 Anm. 23, denkt an ein ursprünglich kollektives Verständnis der Singularform, die von Lukas auf eine ethische Ebene gehoben worden sei. Vgl. die zur Q-Analyse genannten Autoren bei H. Conzelmann, Mitte der Zeit 91, der nach dem Modell von Apg 26,20 Umkehr in »Reue« und »Bekehrung« des Lebenswandels aufgegliedert sieht. »Daher sind nunmehr ... die der >Reue< folgenden Werke (der Plural in Lc 3,8!) gesondert zu betonen.« Man sollte aber auch in Erwägung ziehen, ob nicht Lukas die Singularform καρπόν δξιου im Blick auf das nachfolgende καρττόν καλόν (V. 9) lediglich aus stilistischen Gründen pluralisch gewendet hat.

Auftreten und Predigt des Täufers (3,1 — 18)

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die Weichen für die nachfolgende »Standespredigt« gestellt. Weitere geringfügige sprachlich-stilistische Änderungen wie die Wendung αρξησθε (V. 8 b) statt δόξητε (Mt 3,9 a) und das die Bedeutung des Gerichtsbildes von der Axt unterstreichende και (V. 9 a) 41 seien nur am Rande genannt. 2.4. Die Standespredigt des Täufers (3,10—14) In der redaktionell eingeschobenen Standespredigt an die zur Taufe eilenden Gruppen ist die ethische Komponente der Bekehrung nachdrücklich unterstrichen. Uber die traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge bzw. Quellenverhältnisse gehen die Auffassungen auseinander. R. Bultmann 42 spricht von einem katechismusartigen Stück mit hellenistischer Prägung; Lukas habe es vermutlich selbst »aus dem überlieferten Wort V. 11 (Ò εχων δύο χ ι τ ώ ν α ς κτλ.) herausgesponnen« 43 . Andere denken an eine traditionelle Vorlage, die freilich von Lukas redigiert worden sei. Auf Q-Zugehörigkeit könnten unlukanische Spracheigentümlichkeiten 44 und thematische Ubereinstimmungen mit Motiven der Logienquelle 45 hindeuten. Angesichts der unter den gleichen methodischen Voraussetzungen erarbeiteten lukanisch-redaktionellen Sprach- und Stileigentümlichkeiten 46 empfiehlt es sich jedoch, mit voreiligen Zuweisungen zurückhal41 42 43 44

45

46

P. Hoffmann, Studien 17 f. R. Bultmann, Geschichte 155. Vgl. die Gegenargumente bei H. Schürmann, Lukas 169 Anm. 53. H. Schürmann, Lukas 169 Anm. 53: »Luk hätte von sich aus ελεγεν (V 11) und εΤπεν (V 14) wohl nicht mit dem Dativ verbunden ... μεταδιδόνσι schreibt er sonst nicht, ομοίως setzt er von sich aus wohl nur 5,33 diff Mk (6,31; 17,31 diff Mt und 17,28 Sv diff Mt wird Q so reden), ist aber für das luk S (7 mal) sehr charakteristisch ... Auch das absolute ό εχων (im Nom.) schreibt Luk nicht (außer traditionell in der Formel ό εχων ώτα), so daß die Verwandtschaft mit ό εχων β. άράτω, ομοίως καί ir. 22,36 S auffallt. Die Anrede διδάσκαλε setzt Luk nirgends nachweislich von sich aus (vom Täufer noch Joh 3,26).« Lk 7,29 f. werden ähnlich unbußfertige jüdische Führer und das Volk gegenübergestellt. H. Sahlin, Früchte der Umkehr 58 f. Anm. 3: »An sich widerspricht nichts der Annahme, die Standespredigt habe dem Q-Stoff angehört; sie ist mit diesem völlig konform. Und andererseits ist es leicht einzusehen, weshalb Matthäus dieses Stück ausgelassen hat. Er hat es unnötig oder sogar unpassend gefunden, die Standespredigt hier zu bringen, da er ja einige Kapitel später, in der Bergpredigt, eine sachlich nahe verwandte, nur ausführlichere und weit radikalere ethische Verkündigung bietet.« Ähnlich auch H. Kraft, Entstehung 17 f. F.W. Horn, Glaube und Handeln 92: V. 10.14: έ π η ρ ώ τ ω ν ... λέγοντες [pleonastisches λ έ γ ω ν ] όχλοι: sowohl lukanisch als auch lukanisches Sondergut. V. 10: τ ι ouv ποιήσωμεν [vgl. Apg 2,37; 22,10]; V. 11: αποκριθείς δέ έλεγεν könnte an das häufiger belegte αποκριθείς εΤπεν erinnern; V. 11: ομοίως ποιεΐν [vgl. 6,31; 10,37]; V. 12f: δε καί ... είπαν πρός = redaktionell; V. 13: το διατεταγμένον [vgl. 8,55; 17,9 f]; V. 13: πλέον π α ρ ά [nur bei Joh und Lk]; V. 14: συκοφαντέω [vgl. 19,8].

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Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

tend zu sein. Die inhaltliche Auswertung der Predigt hilft auch nicht sehr viel weiter. Es ist möglich, daß typisch lukanische Themen: »Besitz — Verzicht — Teilen — Bescheidenheit — weltliches Denken« auf eine fortgeschrittene, über die eschatologische Täuferpredigt hinausweisende christliche Standespredigt 47 hindeuten. Aber kann man daraus folgern, daß Lukas entsprechend seiner angeblichen enteschatologisierten Gesamttendenz eine »zeitlose ethische Mahnung« 48 vorgelegt hat? Ist es richtig, daß »die weltgeschichtlichen Dimensionen der Heilsgeschichte« 49 den Ton angeben? Die Komplexität der Motive und die Schwierigkeiten, die sich bei einer traditionsgeschichtlichen Festlegung leicht aufzeigen lassen, mahnen eher zur Zurückhaltung. Die Besitzparänese und die Mahnung zum Teilen ist, wie Mt 25,25 f.; Rom 12,8; Eph 4,28; Jak 2,15 f.; 1 Joh 3,17 zeigen, kein lukanisches Spezifikum, sondern ein ethischer Gemeinplatz des gesamten Urchristentums, der weit in die alttestamentliche und jüdische Geschichte hineinreicht (vgl. Tob 1,17; 4,10f.; 4,16f.; 12,9; Ijob 3 1 , 1 6 - 2 2 ; Spr 16,6; Sir 7,32; 35,3 f.; Jes 58,7; Ez 18,7; Mi 6,8; Pseudo-Phocylides 23.28 — 30) 50 . Redaktionelle Gestaltung des Lukas läßt sich deshalb weder mit der sozial-karitativen Orientierung noch mit der angeblich zur festen Gemeinderegel erstarrten Sprachform belegen. Der Situationsbezug ist in dem Frage- und Antwortspiel, wenn auch nur in stilisierter Gestalt 51 , doch noch deutlich zu erkennen. Eine Rückführung auf die originäre Taufkatechese des Johannes sollte nicht vorschnell mit dem Verweis auf die lukanische Kompositionstechnik (Dreizahl), auf die inhaltlichen Berührungen mit dem Täuferbild des Flavius Josephus 52 und auf die Durchbrechung der Q-Abfolge (Mt 3,10/Lk 3,9; Mt 3,11/Lk 3,16; Mt 3,12/Lk 3,17) bestritten werden 53 . Das Gesetz der Dreizahl ist keinesfalls nur für Lukas typisch (vgl. Mk 14,32-42/Mt 2 6 , 3 6 - 4 6 gegen Lk 2 2 , 3 9 - 4 6 , wo die Dreifachgliederung sogar aufgelöst ist; weiter Mk 14,66 — 72/Mt 26,69 — 75; Joh 21,15 — 19; Mk 15,9.12.14 u. ö.). Zudem muß mit Einflüssen aus der lukanischen Sonderquelle gerechnet werden 54 . Die paränetisch-moralische Umbiegung des apokalyptischen Täuferbildes ist, wie die schon vormar47

Gerichtsdrohung — A u f f o r d e r u n g zu Reue und Umkehr — ethisch-paränetische Mahnungen; vgl. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 2 1 . 9 3 f., freilich ohne konkrete Bezugstexte. H. Schürmann, Lukas 166, spricht von einem Schema der urchristlichen Taufkatechese, in der das Element der Bruderliebe besonders ausgeprägt sei.

48

H. Conzelmann, Mitte der Zeit 93.

49

F.W. Horn, Glaube und Handeln 95.

50

H. Sahlin, Früchte der Umkehr 57, verweist auf Jes 1; Jer 4 , 1 - 4 ; 8 , 4 - 1 3 ; Hos 4; A m 5 , 1 0 - 1 5 ; Mi 3; Zef 2,3.

51

Vgl. R. Bultmann, Geschichte 361.

52

Flavius Josephus, Ant. X V I I I , 1 1 6 - 1 1 9 .

53

So aber F. W. Horn, Glaube und Handeln 93.

54

Zu Lk 1 5 , 1 — 3 2 vgl. T.W. Manson, Sayings 283: »... and that this whole chapter was taken over by him substantially as we now have it.«

Auftreten und Predigt des Täufers (3,1 — 18)

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kinisch anzusetzende Herodes-Herodias-Geschichte (Mk 6,17 — 29) zeigt, ein derart allgemeiner, aus der Prophetenpredigt (Amos, Micha) ableitbarer Topos, daß eine Eingrenzung auf die lukanische Redaktion mehr als fragwürdig erscheint. Die Durchbrechung der Q-Abfolge schließlich kann nur als Argument gegen Q-Zugehörigkeit, nicht aber gegen eine mögliche lukanische Sondervorlage verwendet werden. Eine lukanische Komposition der Standespredigt stößt weiter auch wegen der redaktionsgeschichtlich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringenden Bezugsgruppen auf Schwierigkeiten. Der Verweis auf Zöllner und Soldaten als Symbol der »weltweiten Evangeliumsverkündigung« bzw. als Ausdruck von »Universalismus und Apologetik« 55 , wirkt mehr als gequält. Es kann natürlich nicht bestritten werden, daß »die Welt der Zöllner und Soldaten über die Vorlagen hinausgehend im lk Doppelwerk recht ausführlich in Blick kommt« 56 , aber Matthäus und Markus zeigen das gleiche religiöse Interesse am Typ des Zöllners (Mt: 9-mal; Mk: 3-mal). Der Verweis auf die Soldaten in der Apostelgeschichte ist wegen des allgemeinen soziologischen und kulturellen Umfeldes der Erzählungen für redaktionelle Gestaltung wenig ergiebig. Die Erzählung von der Bekehrung des Hauptmanns Cornelius (Apg 10,1—48) reflektiert in keiner Weise den Berufsstand, sondern eher die Volkszugehörigkeit. Es empfiehlt sich deshalb, von symbolischen Interpretationen oder tagespolitischen Bezügen 57 , die in jedem Fall ein schiefes Bild ergeben bzw. unverständlich sein müssen, Abstand zu nehmen. Die historisierende Alternative, die die Standespredigt aus der konkreten Situation des Täufers und seiner Umwelt erklären möchte, sieht freilich auch nicht besonders gut aus. Gegen eine » >kathartische(n) Eschatologie< des taufenden Propheten«, der sich als Erfüller alttestamentlicher Verheißungen wie Jes 44,3; Ez 36,25 — 27; Joël 3,1 f. versteht 58 , ist im Prinzip nichts einzuwenden, Schwierigkeiten bereiten 55

56 57

58

F.W. Horn, Glaube und Handeln 95: Lk 15,1; 1 8 , 9 - 1 4 ; 1 9 , 1 - 1 0 : Zöllner; Lk 7 , 1 - 1 0 ; Apg 1 0 , 1 - 1 1 ; 16,23 f.: Soldaten. F. W. Horn, Glaube und Handeln 95. Vgl. A. v. Harnack, Militia Christi, Tübingen 1905, 52f.; R. Eisler, ΙΗΣΟΥΣ ΒΑΣΙΛΕΥΣ OY ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΣ II, 89: »Feldpredigt vor dem Auszug in den Kampf.« Zum Inhalt der Predigt, a. a. O. 90: » >Wie sagt der Prediger: contenti estote, begnügt euch mit eurem Kommißbrote!< «; vgl. dagegen T. Holtz, Standespredigt 472 Anm. 30. O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 34; vgl. auch T. Holtz, Standespredigt 466 f.: »Sind diese Überlegungen richtig, so entfällt die Annahme, Lukas habe die Täuferpredigt und darin auch die Soldatenfrage und ihre Antwort in sein Evangelium aufgenommen, um in freilich etwas umständlicher Weise durch den Mund des Täufers auch den Soldaten, die sich zur Gemeinde fanden, eine christliche Lebensregel zu geben. Er könnte sie dann etwa der jüdischen Paränese entnommen und dem Täufer zugeschrieben haben, denn in der Tat finden sich in der jüdischen Literatur in gewissem Umfange Parallelen dazu.« T. Holtz hält es aus historischen Gründen für möglich, daß jüdische Soldaten vom Täufer selbst angesprochen worden sind. Die Sprachform στρατευόμενοι (Lk 3,14) und die

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Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

hier nur die konkreten, situationsfremden Berufsangaben. Vielleicht stoßen wir bei der Standespredigt auf die Argumentation jener Gruppe, die hinter dem breit angelegten und thematisch eigenwillig gestalteten Sondergut des Lukas zu erkennen ist. H. Sahlin 59 hat zu Recht auf Berührungen mit der lukanischen Feldrede und den ethischen Leitgedanken der judenchristlichen Gemeindeunterweisung verwiesen. Manches spricht dafür, daß in der paränetischen und sozialkritischen Orientierung das spezifische Traditionsinteresse der Johannesjünger, die das Erbe des Alten Testamentes und die Erinnerung an die Täuferpredigt in das Evangelium einbrachten, erkennbar wird. Nicht völlig auszuschließen ist der Rückgriff auf die christliche Taufkatechese 6 0 , aber hier darf doch gefragt werden, welchen konkreten Aussagewert in diesem Kontext die Zöllner und Soldaten gehabt haben können. Die Zuweisung des gesamten Komplexes zur Redaktion bereitet jedenfalls größere Schwierigkeiten als die Annahme einer wie immer auch einzuordnenden Vorlage. Der Rückgriff auf die Früchte der Buße (V. 8) sichert den Bezug zu der Umkehrforderung des Täufers 6 1 . Für Lukas bot sich als Konkretisierung eine christliche Theologie der Armut an, die in Johannes, dem Prediger an der Schwelle des Evangeliums, eine Vorausdarstellung gehabt hat.

Aufforderung, niemand zu mißhandeln und zu erpressen (V. 14 b), könnte auf Polizisten, welche die Steuereinnehmer begleiten, hinweisen; vgl. P. J o ü o n , L'Évangile de NotreSeigneur Jésus-Christ (VSal 5), Paris 1930, 310 f. R. Eisler, ΙΗΣΟΥΣ ΒΑΣΙΛΕΥΣ OY ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΣ 89 f., bezieht den Text wegen der Sprachform στρατευόμενοι auf einen messianisch-politischen Aufstand, bei dem Johannes als »Feldprediger« fungiert habe. Dazu richtig E . Lohmeyer, Johannes der Täufer 107 Anm. 2: »Aber ein Blick etwa in Moulton-Milligans Vocabulary to the N e w Testament hätte ihn gelehrt, daß στρατεύεσθαι nicht nur den aktiven Heeresdienst bezeichnet. Selbst angesiedelte Veteranen heißen noch στρατευόμενοι (Beispiele a. a. O. s. ν. στρατεύεσθαι).« 59

Η. Sahlin, Früchte der Umkehr 59 — 68, dort auch der Hinweis auf die Erzählung v o m reichen Mann und v o m armen Lazarus, v o m barmherzigen Samariter und von Zachäus. A u f die Berührungen zwischen dem Gedankengut des Täufers und dem lukanischen Sondergut hat auch O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 33 — 35, aufmerksam gemacht.

60

H. Schürmann, Lukas 166, vgl. ebd. 1 7 9 - 1 8 3 . H. Sahlin, Früchte der Umkehr 66f.: »Also muss die Paränese gegen den Hintergrund des Taufakts gesehen werden; sie ist nichts anderes als eine Art Tauf-M ahnrede.«

61

O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 34: » K ö n n t e aber nicht umgekehrt die Vorliebe des L k für die Armen (Lk 4,10; 6 , 2 0 - 2 5 ; 14,13; 1 6 , 1 - 9 . 1 9 - 3 1 ; 19,8 u. ö.) auf ebionitische Elemente der Täuferpredigt zurückgehen?« H. Sahlin, Früchte der Umkehr 54 — 68, hat überzeugend nachgewiesen, daß die Standespredigt charakteristische Beispiele der jüdischen Ethik bietet. Die Weisung, Kleidung und Speise zu teilen (V. 11) und in konkreten Lebenssituationen (Zöllner, Soldaten) die Gebote zu respektieren, müßten als »Früchte der Umkehr« (V. 8) auf die rabbinischen DOID D'arsa (gute Werke) und nt^tö (Gebote) bezogen werden.

Auftreten und Predigt des Täufers (3,1 — 18)

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Das Traditionsstück, das in Kreisen der Täuferschüler als »Regelwort« tradiert sein kann, ist im Nachhinein unter den Lehrertitel (V. 12) gestellt worden. Ein allgemein-soziologischer und religiöser Phänotyp, der in den Spätschriften des Neuen Testamentes (Apg 13,1; Eph 4,11; 2 Tim 1,11; Jak 3,1) weiter entwickelt wurde, mag sekundär an Johannes herangetragen worden sein. Der unmittelbare Einfluß des Lehrers Jesus hat im Rahmen des Vorläufer-Nachfolger-Modells sicher sein Gewicht. Die Volksscharen (όχλοι), die sich fragend an den Täufer wenden, sind keinesfalls ein Element der von Lukas künstlich geschaffenen Szenerie. Die Verwendung im lukanischen Sondergut (8-mal neben sechs Eintragungen in den Markus-Stoff und zwei Q-Vorlagen) kann für Traditionsvorgabe sprechen. Angesichts der breiten Streuung des Motivs im Neuen Testament wird eine einseitige redaktionelle Erklärung äußerst fragwürdig. Lukas bezieht sich mit dem Ausdruck, der im synoptischen Sprachgebrauch das hörwillige Volk meint (Mt 4,25; 5,1; 7,28; 8,1; 14,13; 19,2 par Mk 10,1 u. ö.), auf die Scharen, die zur Taufe hinausgezogen waren (Lk 3,7). In jedem Fall ergeben sich wichtige, über die apokalyptisch-endzeitliche Predigt hinausgehende Einblendungen, die etwas mit der sittlichen Lebensgestaltung der Neubekehrten damals am Jordan und dann auch in der christlichen Gemeinde nach Ostern zu tun haben 62 . Lukas hat durch das eingeschobene paränetische Stück den eschatologischen Bußruf auf das in Jesus, dem Messias, gekommene Heil bezogen. Von einer Umbiegung in eine Tugendpredigt nach dem Modell der frühchristlichen Paränese bzw. der griechisch-hellenistischen Ethik kann freilich nicht die Rede sein. Die

62

Etwa V. 14: άρκεϊσθε. Die Haltung der Genügsamkeit erinnert an die hellenistischphilosophischen Weisungen (Democritus, Frgm. 191; D i o Cassius 38,8; Phocylides 6; Marc Ant. V I , 30,9: ώς όλίγοίξ άρκούμενος, οΤον οικήσει, στρωμνή, εσθήτι, τροφή, υπηρεσία. Stob, Ecl III 273,2. Flavius Josephus, Vita 244: άρκουμένους TOTÇ εαυτών έφοδίοις). »Die biblischen Aussagen sind zahlreich, gebrauchen aber meist nicht den Stamm άρκ-. Vgl. H o s 12,8 f; 13,6; Sir 5,1 ...; Lk 6,25; 12,19; Apk 3,17« (G. Kittel, in: T h W N T I, 465). Im Alten Testament ist von der Genügsamkeit der Frommen im Zusammenhang mit der »Weisheit der Bescheidung« die Rede, vgl. 1 K ö n 3,6; Ps 131. Die Benutzung bekannter jüdischer und hellenistischer Motive erklärt sich hinreichend aus den Idealen jener Täufergruppen, auf die sich Lukas mit seinem Sondergut bezogen hat. Der sozio-kulturelle Hintergrund ist weder der Weltschmerz und Kulturpessimismus des Späthellenismus noch die Anmahnung von Bescheidenheit, Mitmenschlichkeit und Almosengeben im Rahmen einer zeitlosen ethischen Mahnung, sondern die v o m Bußruf aufgerüttelte Welt Palästinas. Betroffene fragen und erhalten auf ihre konkrete Lebenssituation zugeschnittene Antworten. Die Forderung der Umkehr wird keinesfalls »ihrem originären apokalyptischen Kontext enthoben und auf verschiedene καρπού; άξιους (V. 8 red.) bezogen, wie sie in V. 10 — 14 exemplarisch vorgeführt sind« (F.W. Horn, Glaube und Handeln 97). Von einer Verfremdung oder Verweltlichung kann angesichts des drohenden Gerichtes, auf welches die Mahnrede bezogen ist, nicht die Rede sein.

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Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

Umkehr in Erwartung des Gerichts (3,9.17) ist angesichts der Nähe des Messias heilsgeschichtlich aufgefüllt, aber nicht abgebogen worden. Der bedrohliche Unterton klingt nach wie vor an. 2.5. Das Wort von der Wasser- und Geist-/Feuertaufe (3,16) Die Schwierigkeiten bei der traditionsgeschichtlichen Einordnung der Texte zeigen sich auch am Beispiel des Wortes vom Wasser- und Geist-/ Feuertäufer. Die streng eschatologische Orientierung ist in der redaktionellen Überarbeitung an die christliche Gemeindepredigt angepaßt worden. Für Lukas ist der Stärkere, der zum Gericht kommt, der dem Wassertäufer überlegene (ισχυρότερος μου) Messias Jesus. Die Taufe mit heiligem Geist und Feuer hat im Rückblick auf das Apg 2,1 — 13 (bes. V. 3 f.) beschriebene Pfingstereignis eine heilsgeschichtliche Umdeutung erfahren. Für das Verständnis der Johannestaufe ist das Fehlen der Geistvermittlung (nur Wassertaufe!) wichtig. Daß es sich keinesfalls nur um eine lukanische Polemik oder gezielte Abwertung des »konkurrierenden« Pneumatikers 63 handelt, ergibt sich aus der gleichgerichteten Tendenz der anderen (Mk, Q) Überlieferungsschichten. Der aus Markus übernommene Spruch vom Lösen der Schuhriemen (Mk 1,7) — eine bildhafte Verdeutlichung der Inferiorität 64 — unterstreicht zusammen mit dem Wort von dem, der stärker ist als er selbst, die veränderte und — wenn man will — enteschatologisierte Stellung des Täufers. Der Prophet des nahen Gottesgerichtes ist zum Signal für den Geisttäufer geworden. Lukas hat also einerseits die endzeitliche Krisis auf das Kommen Jesu bezogen, andererseits aus apologetischem Interesse 65 den Täufer gegenüber Jesus »degradiert«. Wenn man voraussetzen dürfte, daß Jesus eine Zeitlang zum Täuferkreis gehört hat 66 , bekäme die Umbiegung des Johannesspruchs noch eine besondere Brisanz: Der Lehrer muß jetzt vor dem Schüler den Platz räumen. Lukas hat freilich anders als Markus 67 auf den Nachfolgegedanken, wie das Fehlen des όττίσω μου (Mk 1,7) zeigt, kein besonderes Gewicht gelegt. Im Mittelpunkt des Interesses steht die christologisch bedingte Standortbeschreibung des Täufers: Johannes ist im Vergleich mit Jesus der Geringere. 63

O. Böcher, Wasser und Geist 203.

64

Vgl. hierzu P. Hoffmann, Studien 32: »Das Bild kann sich sowohl auf den Sklaven-, als auch auf den Schülerdienst beziehen. Nach jüdischer Auffassung war der Schüler nämlich seinem Lehrer zu jedem Sklavendienst — ausgenommen das Lösen des Schuhwerks — verpflichtet.«

65

Vgl. V. 15: »ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei«, vgl. Joh 1,20.

66

R. Bultmann, Jesus 25; P. Hoffmann, Studien 32 f. u. a.

67

Das von Markus eingefügte ό τ τ ί σ ω μου (1,7) beschreibt zwar in der Intention der Redaktion das historische Nacheinander: Jesus tritt auf, wenn der Täufer abgetreten ist (1,14), aber unterschwellig klingt durchaus auch noch das Nachfolgemotiv an. Hierzu K . Grobel, »He That Cometh after me« 397 f.

Auftreten und Predigt des Täufers (3,1 — 18)

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2.6. Zusammenfassung 2.6.1. Der lukanische Bericht vom Auftreten des Täufers konzentriert sich auf den Prediger (3,12: Lehrer) und seine Botschaft (Standespredigt 3,10—14); die Taufe wird lediglich in kurzen Randbemerkungen (3,3.7.16), welche der Wortverkündigung zugeordnet sind, erwähnt. Die Notiz über die aszetische Kleidung und Nahrung (Mk 1,6) fehlt vollständig. Lukas gibt in der Täuferdeutung eine Entwicklungslinie zu erkennen, die im vierten Evangelium zum Abschluß gekommen ist. Das Predigtwort des Täufers ist ausschlaggebend, die Taufe hat ihren Eigenwert als eschatologisches Zeichen eingebüßt. Darf man aus solchen Beobachtungen folgern, daß die Person des Täufers in der neuen heilsgeschichtlichen Epoche unwichtig geworden ist? Tritt sie zurück in das Halbdunkel der Verheißungszeit, die in der Sicht des Evangelisten jetzt schon beendet ist? Schematisierungen sind immer eine Mischung aus »wahr und unwahr«, »richtig und falsch«. Es trifft in der Tat zu, daß das dritte Evangelium den aktuellen Gegenwartsbezug in der Täuferpredigt stark herausstellt. Die Frage der Menschen: »Was sollen wir tun?« (V. 10.12.14), greift weit hinüber in die Verhältnisse der Lukasgemeinde. Das Interesse an der Person und an der Tauftätigkeit mit ihrem eschatologischen Anspruch ist damit aber keinesfalls geschwunden. Die dominierende Worttradition ist erzählerisch gerahmt und eindeutig auf das Auftreten des Täufers, speziell auf seine Umkehrtaufe (V. 3), bezogen. Die Menschen kommen zu ihm hinaus, um von ihm getauft zu werden. Die Predigt greift auf diese vorgegebene Situation zurück und aktualisiert sie für die Gegenwart (Umkehr); das heißt aber: Die Person des Täufers steht nach wie vor im Mittelpunkt. 2.6.2. Die Predigt des Johannes steht unter dem Schlüsselwort εΰηγγελίζετο τον λαόν (V. 18), auf der anderen Seite ist die Drohrede im Rahmen der Gerichtsankündigung (V. 7 — 9.17) nicht zu überhören. Nimmt man die auf ethische Verhaltensweisen ausgerichtete Standespredigt (V. 10 — 14) noch hinzu, dann ergibt sich ein schillerndes und mehrdeutiges Bild. Die bekannte These von dem letzten großen Propheten vor der Zeit der Erfüllung wird diesem Befund nicht gerecht, auch dann nicht, wenn von einer bleibenden Kontinuität in der Diskontinuität gesprochen wird 68 . Johannes repräsentiert in seiner Person, in seinem Wort und in seinem Wirken alt und neu; der prophetische Umkehrruf erklingt nach wie vor, die Nähe des kommenden Heils treibt ihn aber auch, die Notwendigkeit des Lebens unter Gottes Gebot in der Gegenwart steht ihm vor Augen.

68

H. Conzelmann, Mitte der Zeit 17.

100

Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

2.6.3. Aber an welchem Ort der Heilsgeschichte ist der Täufer angesiedelt? Gibt der Bericht über das Auftreten des Johannes auf diese Frage überhaupt eine Antwort? Der Synchronismus von V. 1 f., der den Täufer mit der Zeit des Evangeliums durch den Rückgriff auf Gestalten der Weltgeschichte zusammenschließt, liegt der Sache nach auf der Linie des Markus: Das Evangelium beginnt mit Johannes dem Täufer, obwohl es erst nach seinem Abtreten offiziell promulgiert wird (Mk 1,1.14). Lukas stellt den Täufer ausdrücklich in die Tradition des von Jesus angekündigten Heils, das alle Welt schauen wird (V. 6 f.). Der anfangs schon angemerkte Terminus ευαγγελίζομαι (V. 18), der zur Zeit des Lukas im technischen Sinne auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus bezogen wurde, steht hierfür ein. Johannes ist demzufolge im Verständnis des Lukas der Mann des Evangeliums 69 , der erste Prediger der Frohen Botschaft, der Prototyp des christlichen Evangelisten. Das Kommen der Gottesherrschaft ist freilich nicht sein Thema, sondern das Ankommen des Stärkeren, der mit heiligem Geist und Feuer taufen wird (V. 16). Der Täufer steht mit seiner Botschaft schon jenseits der Schwelle zur neuen Welt, er ist dennoch in entscheidenden Punkten der alten Zeit verpflichtet. Wie dieser scheinbare Widerspruch zusammengeht, muß an jenen Texten, die für die heilsgeschichtlichen Vorstellungen des dritten Evangeliums relevant sind, überprüft werden.

3. Der Täufer tritt ab, bevor Jesus getauft wird (3,19 f.) Die kurze Notiz von der Gefangennahme des Täufers vor dem Bericht von der Taufe Jesu (3,21 f.) wirft wegen der ungewöhnlichen Ereignisfolge Fragen auf. Wollte Lukas durch die logische Unstimmigkeit — der Gefangene als Täufer! — den Schnitt zwischen zwei Epochen der Heilsgeschichte markieren 70 ? Der irritierende Sachverhalt läßt sich weitaus einfacher durch das literarische Verfahren des Lukas verständlich machen. Der Tauftext greift mit έν τ ω βαπτισθήναι ά π α ν τ α τ ο ν λαόν (V. 21) auf die knappe Bemerkung über die Tauftätigkeit (V. 7) zurück und interpretiert mit der zentralen Aussage καί καταβήναι τό -πνεύμα τό ά γ ι ο ν (V. 22) das Wort vom Geist- und Feuertäufer, der nach Johannes kommt und stärker als er selbst ist (V. 16 f.). Man mag von einem »Nachtrag« 71 69 70

G. Friedrich, in: T h W N T II, 716; W . W i n k , John the Baptist 53. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 20: »Sie [die Notiz 3,19 f.] steht ja weder historisch noch literarisch am >richtigen< Ort. Durch eine Vorlage ist diese Stellung aber nicht veranlaßt. Sie ist also durch den Verfasser hergestellt. Die Stelle bildet die Grenzscheide zwischen Johannes- und Jesus-Teil und soll offenbar angesichts der Tatsache einer zeitlichen Überschneidung die sachliche Trennung darstellen.«

71

H. Schürmann, Lukas 189.

Der Täufer tritt ab, bevor Jesus getauft wird (3,19 f.)

101

sprechen oder aber den komplexiven und konstatierenden Aorist βατττισθήναι (Y. 21) als Indiz »einer zusammenfassenden Erwähnung der Wirksamkeit des Johannes in seiner Eigenschaft als Täufer, die offenbar einen Ubergang zwischen dem Vorhergehenden und der folgenden Schilderung von dem Vorgang bei der Taufe Jesu darstellen will«, verstehen 72 . Möglicherweise erklärt sich das Fehlen des Taufspenders bei der Taufe Jesu durch die Scheu des Lukas, Jesus dem Täufer unterzuordnen 73 . Matthäus hat 3,13 — 17, besonders V. 14f., das gleiche Problem durch die Weigerung des Johannes und den Verweis Jesu auf die Erfüllung der ganzen Gerechtigkeit auf seine Weise gelöst. Lukas verwendet ein geläufiges erzähltechnisches Mittel, mit dessen Hilfe er »zunächst einen (gewissen) Abschluß einer Erzählung oder eines Erzählungskomplexes« bietet, dann aber auf Ereignisse, die zeitlich vor dem angedeuteten Abschluß liegen, zurückgreift 74 . Jedenfalls besteht kein zwingender Grund, hinter dem historischbiographischen Widerspruch eine reflektierte Theologie der Heilsgeschichte (Johannes als Vertreter der »alten«, Jesus als Vertreter der »neuen« Zeit) zu vermuten. Die von Markus und Q abweichende Bemerkung ήλθεν εις πασαν τήυ ττερίχωρον του Ίορδάνου (3,3) war Anlaß zu der Vermutung, Lukas hätte eine theologisch gestaltete Geographie vor Augen gehabt, Jesus gehöre nach Galiläa-Judäa, Johannes dagegen zum Jordan: »Der Jordan ist Täufergebiet, Gebiet der alten Zeit, das Wirken Jesu liegt anderswo.« 75 Eine genaue Wertung der Jordanerwähnungen bei Lukas bzw. der Streichungen in der Vorlage führt freilich zu einer differenzierteren Beurteilung 76 . Es empfiehlt sich eher, auf die Wüste als den für Johannes typischen Aufenthaltsort das Augenmerk zu richten (1,80; 3,2.4). Jesus selbst hat in dem Wort, das auf die Lebensform des Täufers anspielt, nicht vom Jordan, sondern von der Wüste gesprochen (7,24) 77 . Im Hinblick auf den Wüsten72

E. Percy, Botschaft Jesu 10 f. Anm. 5. Ähnlich auch H. Sahlin, Studien 60. Th. Zahn, Lucas 199 Anm. 63. Ist die Taufnotiz ähnlich wie die Bemerkung vom Beten Jesu nur eine auf das dominierende Geistmotiv hinweisende Randbemerkung? Vgl. O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 37.

73

Sprachlich zwar möglich, aber sachlich unannehmbar ist die aus der Passivform βατττισθέντοζ abgeleitete Bedeutung »sich (selbst) taufen«. Vgl. W.Wink, John the Baptist 83 Anm. 1. Vgl. die instruktiven Ausführungen von M. Bachmann, Johannes der Täufer 150—154, hier 151. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 14. W. Wink, John the Baptist 49: »Can we argue from two references, both of which are broadly paralleled in Mark and Q , that the Jordan is exclusively the region of John?«. Lukas spricht in seinem Sondergut nur einmal (4,1) ausdrücklich vom Jordan, streicht den Namen aber überall dort, wo Markus ihn erwähnt (Mk 1,5.9; 3,8; 10,1). Zu dem Übergehen von Mk 10,1: Jesus begibt sich nach Judäa und in das Gebiet jenseits des Jordan (vgl. Mt 19,1), verweise ich auf die richtige Bemerkung von W.Wink, John

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aufenthalt Jesu (4,1 f.; 5,16) ergeben sich gewisse Gemeinsamkeiten, die unter Umständen auch theologisches Gewicht haben können. Was bleibt, ist jedoch die einfache Feststellung, daß Lukas den Täufer genauso wie die vorausgehenden Quellen oder Traditionsschichten sowohl dem Jordan als auch der Wüste zuordnet. Genausowenig wie Markus das Wüstenmotiv theologisch betrachtet hat (Mk 1,4), wollte Lukas dem Jordan einen symbolischen Sinn geben. Er unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von Markus und Matthäus, die beide Johannes und Jesus voneinander abheben, aber trotzdem aufeinander beziehen. Daß sich solche theologischen Tendenzen auch in der lokalen Darstellung niederschlagen, sollte nicht geleugnet, aber auch nicht überbewertet werden 78 . 4. Worte Jesu über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers in der Darstellung des Lukas (7,18 — 35) Die Q-Sprüche über die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (Mt 11,2 —19/Lk 7,18 — 35) sind von Lukas durch Wundererzählungen, die auf Jes 61,1 f. Bezug nehmen (7,1 — 10: Heilung des Knechtes; 7,11 — 17: Erweckung des Jünglings von Nain) und die Erzählung von der Sünderin im Hause des Pharisäers (7,36 — 50) vorbereitet und weitergeführt worden. Lukanische Gestaltung ist demzufolge in dem Verweis auf die messianischen Wunder Jesu (7,21), in dem Spruch von den »frommen« Sündern und den »unfrommen« Gerechten (7,29 f.) und in dem Wort vom Brotund Weinverzicht (7,33 f.) zu erkennen. Die Integration in den Kontext ist zwar nur schwach angedeutet, aber dennoch erkennbar. 4.1. Der Rückverweis auf die messianischen Wunder Jesu (7,21) Aufschlußreich für die lukanische Gestaltung der Täuferanfrage und der Antwort Jesu (Lk 7,18 — 23 par) ist die Wiederholung des entscheidenden Satzes σύ εί ό ερχόμενος, ή άλλον ττροσδοκώμεν (V. 19 b.20 b) und die nachgeschobene erklärende Bemerkung, Jesus hätte zu dem betreffenden Zeitpunkt viele Menschen von ihren Krankheiten und Leiden geheilt, böse Geister ausgetrieben und vielen Blinden das Augenlicht wiedergeschenkt (7,21). Die in der Q-Vorlage noch offene, wahrscheinlich auf die selige Endzeit abhebende Wendung ό ερχόμενος (Mt 11,3/Lk 7,19) wird the Baptist 49 f. Anm. 4: »It seems more likely that Luke omitted Mark 10:1 — 12 not in order to keep Jesus out of John's territory but rather to preserve his schematization of the Jerusalem journey.« 78

Das trifft auch zu für den Versuch von W. Wink, John the Baptist 50 f., die Unterscheidung zwischen der vorbereitenden Rolle des Täufers und dem Dienst Jesu innerhalb der Zeit der Erfüllung in den geographischen Notizen wiederzuerkennen.

Die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers (7,18—35)

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durch den Bezug auf die Wunder Jesu christologisch personalisiert. Das hat Folgen für das Täuferbild: Johannes denkt über den Messias (ó ερχόμενος) nach und erhält von Jesus eine eindeutige, auf die gegenwärtigen Wundertaten bezogene Antwort. Lukas hat die Szene enteschatologisiert und den Messias Jesus stärker ins Gespräch gebracht, aber die Konstruktion ist kaum als geglückt zu bezeichnen (vgl. 1. Kap. II.2.1.1. und 2. Kap. 5.4. dieser Arbeit). 4.2. Die »frommen« Sünder und die »unfrommen« Gerechten (7,29 f.) Für die redaktionellen Absichten des Lukas ist das in den Q-Ablauf eingeschobene Stück 7,29 f. von besonderem Interesse 79 . Aber in welcher Hinsicht? Der Evangelist berichtet von der Reaktion der jüdischen Gruppen auf das Täuferlob Jesu: »Das ganze Volk, das Johannes hörte, selbst die Zöllner, sie alle haben den Willen Gottes erkannt und sich von Johannes taufen lassen. Doch die Pharisäer und die Gesetzeslehrer haben den Willen Gottes mißachtet und sich von Johannes nicht taufen lassen.« P. Hoffmann hat das Logion auf das vorausgehende Maleachizitat (3,1) in 7,27 bezogen und als Element einer ethisch-paränetischen Umdeutung der eschatologischen Täuferpredigt, vergleichbar mit Lk 3,7 — 9 + 10—14, verstanden wissen wollen. Der Vorläufer und Bote des kommenden Richters sei, wie schon 1,17 (Geist und Kraft des Elija) und 1,76 (Mal 3,1) erkennbar, zum Volksmissionar und Moralprediger umfunktioniert worden 8 0 . Es ist die 79

Für lukanische Redaktionsarbeit spricht die antithetische Konstruktion: hier das Volk bis hin zu den Zöllnern, dort die Pharisäer und die Schriftgelehrten (vgl. Mt 21,31 f.), vor allem aber sprachliche Eigenarten: ττάς ó λαός 12mal Lukas, 0-mal Markus, lmal Matthäus; das aktivische δικαιοϋν bei Lukas 3mal, bei Markus 0-mal, bei Matthäus 0-mal; βarrrnαφέντες τό βάπτισμα: lukanische Doppelung; νομικοί, besonders in Zusammenstellung mit Φαρισαΐοι; ή βουλή: Lukas 9mal, Matthäus, Markus, Johannes 0-mal. άθετεΐν; είς â αυτούς. Η. Schürmann, Lukas 422, vermutet wegen des auf έδικαιώθη (V. 35) abzielenden έδικαίωσαν (V. 29) einen ursprünglichen Q-Zusammenhang. V. 29 f. müsse als distinguierende Überleitung zu 7,31—35 (Q) verstanden werden. Nicht Lukas habe V. 29 f. in Q eingeschoben, sondern Matthäus hätte systematisierend entsprechend seiner Grundtendenz eine Änderung vorgenommen.

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P. Hoffmann, Studien 195 f.: »Das durch Mal 3,(1.)23 vorgegebene Stichwort έττιστρέψαι (καρδίας πατέρων έπί τέκνα) wird 1,17 ethisch ausgedeutet: και άττειθείς έν φρονήσει δικαίων. In diesem Sinne spricht Lukas von der (Weg-)Bereitung durch Johannes: έτοιμάσαι κυρίω λαόν κατεσκευασμένον. Dieselben Motive sind auch im Lobgesang des Zacharias wirksam. Das Ziel der Erlösung (1,68) ist, daß Gott gedient wird >in Frömmigkeit und Gerechtigkeit (1,75); der Einschub 1,76 f beschreibt die Vorläuferfunktion des Johannes: ττροττορεύση (sic!) γαρ ένώττιον κυρίου έτοιμάσαι όδούς αύτοϋ, του δούναι γνώσιν σωτηρίας τ φ λαώ αύτοΰ εν άφέσει άμαρτιών αυτών. In diesem Sinn spricht Lukas von Johannes als dem >Propheten des Allerhöchsten* (1,76) und sagt von ihm ähnlich wie 7,28 a: εσται γαρ μέγας ένώττιον κυρίου (1,15). Wenn er ihn 1,15 noch mit asketischen Zügen ausstattet, so paßt dies zur prophetisch-moralischen Aufgabe, die Lukas dem Johannes zuschreibt.«

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Frage, ob das Logion vom »frommen« Sünder und vom »unfrommen« Gerechten zu dem angedeuteten Interpretationsschema paßt. Schwierigkeiten bereitet das Verständnis von 7,27 (Mal 3,1). Die Vorlage des Lukas hat mit dem angehängten εμττροσθέν σου die christologische Umdeutung des eschatologisch geprägten Grundmotivs zum Ausdruck gebracht 81 . Von einer ethisierenden Verwässerung oder Verweltlichung kann also nicht die Rede sein. »Das Mischzitat, das fast ebenso auch Mk 1,2 (aus einer traditionsgeschichtlichen Frühform unseres Logions?) übernahm, ist nun eine Anrede Gottes an Christus, und es ist nun die Rede von der Sendung eines Boten vor dessen Antlitz her.« 82 Der entscheidende Einwand ergibt sich aus dem Spruch 7,29 f., der in keiner Weise auf das Wegbereitermotiv Bezug nimmt und nicht in das Deuteschema der ethisierten Eschatologie paßt. Wenn ich es richtig sehe, liegt der Tenor auf der Annahme und Verweigerung: das Volk und die Zöllner — also die Nichtetablierten — gaben Gott Recht, d. h.: »sie erkannten in der Sendung Johannes' einen göttlichen Beschluß an, dem sie Folge leisteten« 83 , die Pharisäer und Schriftgelehrten — also die Etablierten — haben sich dagegen ablehnend verhalten. Lukas folgt mit dieser Antithese dem bekannten Denkmodell der Weisheitstheologie: Das Geheimnis ist verborgen vor den Weisen und Klugen, den Unmündigen wird es dagegen offenbart (10,21). Das eingeblendete Motiv hat im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Gleichnis von den spielenden Kindern (7,31—35, bes. V. 35) eine Schlüsselfunktion. Die bekannte Tendenz der Logienvorlage ist von Lukas beibehalten und mit Nachdruck unterstrichen worden 84 . Auch in der Annahme und Ablehnung seines Taufangebotes ist Johannes der Täufer der Prototyp Jesu. »Thus John and Jesus are placed again alongside each other, with no suggestion that John holds an inferior place.« 85 Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und im Vorgriff auf die nachfolgende Sünderinerzählung (Lk 7,36 — 50 [S Lk ]) in der Sündenvergebung den entscheidenden Anstoß für »Pharisäer und Gesetzeslehrer« (V. 30) erkennen. Johannes repräsentiert in seiner Taufe die neue Heilsordnung, die in der Vergebung der Sünden (1,77) konkrete Gestalt annimmt 86 . Der Widerspruch der

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H. Schürmann, Lukas 417 Anm. 61, versteht das έμπροσθεν σ ο υ als Ersatz für das schon Ex 23,20 vorgezogene (und auf das Volk Israel bezogene) π ρ ο π ρ ο σ ώ π ο υ σου. Η. Schürmann, Lukas 417. Zu erwägen ist die Auffassung von G. Richter, »Bist du Elias?« 25: »Als nächstliegende Erklärung bietet sich die Annahme, daß Lukas die MalStelle, so wie sie ihm in der Tradition von Q geboten wurde, nicht vom wiederkehrenden Elias verstand, sondern von einem nicht näher bestimmten Vorläufer des Messias, ähnlich wie Jes 40,3.« J. Wellhausen, Lucae 30. W.Wink, John the Baptist 57f. I. H. Marshall, Luke 297. J. J. Kilgallen, John the Baptist, the sinful Woman, and the Pharisee, in: JBL 104 (1985)

Das Täufergebet (11,1)

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Gegner entzündet sich genau an diesem Punkt. Der lukanische Einschub in die Sammlung von Jesusworten über den Täufer setzt die in Q vorgezeichnete Linie der Täuferdeutung fort, erläutert sie aber im Sinne der für ihn wichtigen Gemeindeverkündigung. 4.3. Das Wort vom Brot- und Weinverzicht des Täufers (7,33 f.) Lukas hat in dem Q-Logion Mt 11,18.19 a/Lk 7,33 f. die Notiz über die aszetische Lebensweise des Täufers durch die Nennung von Brot und Wein konkretisiert, aber auch der wuchernden Spekulation ausgeliefert. Erinnert sei nur an die Vermutung, das Motiv des Brotverzichtes sei, wie die gleichlautende Notiz über den Herrenbruder Jakobus im apokryphen Hebräerevangelium 87 zeige, in der Hochachtung vor dem Abendmahl des Herrn begründet. Andere sehen in dem von Hegesipp 88 überlieferten Alkohol- und Fleischverzicht des Jakobus eine entfernte Parallele 89 . Das Leitmodell sei der homo religiosus bzw. der nasiräisch geprägte Prophet. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß sich in dem Verzichtswort Überlegungen zur heilsgeschichtlichen Rolle des Täufers, vielleicht in der Auseinandersetzung mit den Täuferschülern, niedergeschlagen haben. Johannes gehört nach dem Konzept des Lukas zwar schon zum Evangelium, an der eucharistischen Mahlgemeinschaft, dem Symbol der Erfüllungszeit, darf er nicht teilnehmen. Die einfachste, vielleicht auch näherliegende Erklärung bietet ein verkürzter Rückgriff auf Lk 1,15 (»Wein und berauschendes Getränk wird er nicht trinken«): Lukas hat also mit dem Rückverweis auf die einfache Lebensweise des Täufers in seiner Zeit und Umwelt Wohlstandskritik geübt. Wein- oder Brotverzicht sind nur Paradigmen, entscheidend ist die Haltung.

5. Das Täufergebet (11,1) Lukas hat in der Einleitung zum Vater-unser die Jünger auf ein entsprechendes Täufergebet Bezug nehmen lassen. Der Vers wird allge-

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677: »Thus, for Luke, Jesus not only notes how differently the men of this generation have evaluated John and Jesus and that John and Jesus will be proved right by their children, but that, concretely speaking, the disagreement centers on the effectiveness and value of John's baptism for the forgiveness of sins.« EvHebr 7 nach Hieronymus, Vir. ini. 2: W. Schneemelcher, NT A p o 5 1 , 147: »Jakobus hatte nämlich geschworen, er werde kein Brot mehr essen von jener Stunde an, in der er den Kelch des Herrn getrunken hatte, bis er ihn von den Entschlafenen auferstanden sähe.« Eusebius, Hist. Ecd. XXIII,5. O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 32 Anm. 32. Ders., Ass Johannes der Täufer kein Brot? 90—92. »Brot« sei Fehlübersetzung des mehrdeutigen hebräischen DnV.

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Johannes der Täufer in der Lukasredaktion

mein der Redaktion zugesprochen. Aber welche Absicht verfolgt Lukas mit dieser sachlich keineswegs erforderlichen Notiz? Der Hinweis auf seine Vorliebe für Gebetssituationen beantwortet noch nicht die Frage, warum der Täufer ins Gespräch gebracht wird. Zunächst muß grundsätzlich mit der Möglichkeit eines historischen Zusammenhangs, sei es in dem dargestellten vorösterlichen Rahmen90 oder aber auf der Ebene der nachösterlichen Täuferrezeption gerechnet werden. Man sollte also nicht von vornherein ausschließen, daß es eine für den Täufer oder die Täuferschüler typische Gebetsform gegeben hat (vgl. 3. Kap. Abs. 1 u. 2 dieser Arbeit). Lukas hätte dann seine persönlichen Beziehungen oder Interessen durch den Verweis auf die besonderen Frömmigkeitsübungen dieser Gruppe am Rande der christlichen Gemeinde zum Ausdruck gebracht. Wahrscheinlich sind die Dinge aber genau umgekehrt verlaufen: Lukas hat historisch denkbare Ableitungen des christlichen Herrengebetes aus einem Täufergebet auf den Kopf gestellt und christologisch umfunktioniert: Die Jünger Jesu beten nicht, weil (und wie) die Johannes jünger gebetet haben, Johannes tritt vielmehr als Beter auf, weil Jesus in der theologischen Konzeption des Lukas der vorbildliche Beter ist. Das Interesse des Lukas am Beten hat sich in seinem Jesus- und Täuferbild niedergeschlagen.

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O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 32. H. J. Holtzmann, Die Synoptiker (HC 1/1), Tübingen—Leipzig 31901, 363: Die motivierende Anrede »mit ihrem Hinweis auf den Täufer (vorbereitet 533)« könne der Quelle entnommen sein. K. H. Rengstorf, Lukas 144, und vorher J. Wellhausen, Lucae 55, denken an ein Mustergebet der Täuferjünger, welches ebenso wie das Fasten für das christliche Gebet ursächlich gewesen sei. Th. Zahn, Lucas 442 Anm. 6, denkt an die Nachahmung bestimmter Gebetsformen des Johannes in Täuferkreisen. Interessante Rekonstruktionen des Täufergebetes sind in späteren Handschriften (syr. Handschrift aus dem Jahre 899 [Brit. Mus. Add. 12138], Text bei Th. Zahn, Lucas 442 Anm. 6) überliefert, etwa: »Vater, sei gnädig deinem Sohne; Sohn, sei gnädig deinem Geiste; heiliger Geist, mache mich weise durch deine Wahrheit«. »Heiliger Vater, heilige mich in deiner (durch deine) Wahrheit und laß mich erkennen die Herrlichkeit deiner Größe und sei gnädig deinem Sohne und erfülle mich mit deinem Geist, daß ich erleuchtet werde durch deine Erkenntnis.« »Vater, zeige uns deine Herrlichkeit; Sohn, laß uns hören deine Stimme; Geist, heilige unsere Seelen in die Ewigkeiten. Amen.« »Gott, mache uns würdig deines Königreichs und der Freude mit deinem geliebten Sohn.« Die Kritik betont zu Recht, daß es für die Echtheit der Gebete keinerlei literarische Stützen aus der neutestamentlichen Zeit gibt. Die bekannte Geistbitte im lukanischen Vater-unser (Cod.700; 162; Gregorius von Nyssa; Maximus Conf., Marcellus) ist gelegentlich auf den Täufer bzw. auf die Täuferbewegung zurückgeführt worden, aber die Argumente sind nach den neuesten Erkenntnissen der Forschung nicht durchschlagend. Vgl. G. Schneider, Die Bitte um das Kommen des Geistes im lukanischen Vaterunser (Lk 11,2 v.l.), in: Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments. FS H. Greeven. Hrsg. W. Schräge (BZNW 47), Berlin 1986, 362 f. Ausführliche Darstellung der Täufergebetsfrage bei K. Backhaus, »Jüngerkreise« 171 — 184.

Die Stellung des Täufers »zwischen den Zeiten« nach 16,16

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6. Die Stellung des Täufers »zwischen den Zeiten« nach 16,16 Das Doppellogion 16,16 gilt seit H. Conzelmanns »Mitte der Zeit« als Schlüsseltext für das lukanische Geschichtswerk. Johannes der Täufer steht an der Wende zweier heilsgeschichtlicher Epochen: die Zeit des Gesetzes und der Propheten reicht bis zu Johannes, die Zeit der ReichGottes-Verkündigung beginnt nach ihm 91 . Es ist die Frage, ob diese Erklärung vom Kontext des Lukasevangeliums abgestützt wird. Erste Schwierigkeiten bereitet der nachfolgende V. 17, der im Widerspruch zu dem V. 16 a angemeldeten Ende von Gesetz und Propheten die bleibende Gültigkeit konstatiert: »Aber eher werden Himmel und Erde vergehen, als daß auch nur der kleinste Buchstabe im Gesetz wegfallt.« Die Unterscheidung von »Gesetz als Epoche« und »Gesetz als Bestandteil der Schrift« 92 muß aus der Verlegenheit helfen. Lukas habe den Satz unter dem doppelten Aspekt von »jetzt nicht mehr« und »aber doch noch« angefügt 93 . Der Leser müsse in diesem Sinne die Rolle des Täufers sehen und bewerten: auf der einen Seite gehöre er heilsgeschichtlich der Vergangenheit an, auf der anderen Seite habe seine Botschaft als ethische Weisung auch weiterhin Gültigkeit. Das Fazit: V. 16 f. mache deutlich, daß das Gesetz in Johannes dem Täufer noch einmal zum Zuge kam, aber mit seinem Abtreten auch die heilsgeschichtliche Bedeutung eingebüßt hat. Die vorgetragene Erklärung beruht zu einem Gutteil auf theologischen Prämissen, die im Text des Lukasevangeliums nicht gesichert werden können. Die Basis für die Annahme einer leitenden Gesetzesspekulation in dem ganzen Abschnitt 16,1—31 ist zu dünn 94 . Es lassen sich lediglich 91

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H. Conzelmann, Mitte der Zeit 17: »Nach Johannes brechen nicht die Endereignisse aus, sondern eine neue Stufe im Heilsprozeß wird erreicht, und Johannes selbst fällt noch in die frühere der beiden Epochen, die hier zusammentreffen.« Weitere entsprechende Deutungen von Lk 16,16 auf den Seiten 9.14f.20.92f.l03.148 (Anm. 2).150.172f. Vgl. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 150. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 150: »Der folgende V. 17 drückt dann die grundsätzliche Stellung des Gesetzes, sein >Bleiben< aus. D. h. die Epochen lösen sich ab; aber es entsteht kein Bruch zwischen ihnen.« W. G. Kümmel, Gesetz und Propheten 92, zu dem Versuch, 16,14 f. auf die erste Hälfte des Gleichnisses vom reichen Mann und vom armen Lazarus (V. 19—26), 16,16 — 18 auf die zweite Hälfte zu beziehen: »Aber — ganz abgesehen davon, daß solche Absicht nur zwischen den Zeilen ausgesprochen wäre — weder das Wort über das Ende der Zeit von Gesetz und Propheten noch die Kritik am Ehescheidungsrecht der Tora (V. 16.18) fügen sich dieser Deutung ein.« M.-J. Lagrange, Evangile selon Saint Luc (EtB), Paris ? 1948, 439, greift auf das Gleichnis vom ungerechten Verwalter (16,1—8) und die Sprüche 16,9 —13.14 f. zurück, V. 17 beschreibt das Gesetz, V. 18 gibt ein Beispiel für das neue Verständnis des Gesetzes. Vgl. auch E. Klostermann, Lukas 164, mit großer Zurückhaltung. A. Schlatter, Johannes der Täufer 73, spricht von einem »Sündenregister des Pharisäismus«.

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V. 16.17 und V. 18 unter dem Stichwort νόμος bzw. Anwendung des νόμος auf einen konkreten Fall zusammenfassen. Bei einem derart mageren Befund empfiehlt es sich, das Logion von der heilsgeschichtlichen »Wende« (16,16) aus sich und ohne Berücksichtigung des weiteren Kontextes zu erklären 95 . In der theologischen Deutung hat sich trotz der unterschiedlichen Bewertung der Ursprungsgestalt 96 ein weitreichender Konsens ergeben. Es ist richtig gesehen, daß die Wendung εύαγγελίζεσθαι bzw. κηρύσσειν τ η ν βασιλείαν τ ο υ θεοΰ (V. 16 b) typisch lukanische Ausdrucksweise ist. Der Ausdruck ήγγικεν ή βασιλεία τ. θ. (Mk 1,15) wird zwar nicht verwendet, klingt aber an. Eine Tendenz zur Enteschatologisierung sollte aus dieser Formulierungsnuance jedoch nicht abgeleitet werden 97 . Im Falle von βιάζεται ist man sich einig, daß aufgrund der Sinnrichtung des Spruchs (Verbindung mit dem Stichwort »verkündigen«, die Herrschaft Gottes, die Abgrenzung von der Zeit des Alten Testamentes) die missionarische Interpretation (also βιάζεται im medialen Verständnis mit einer positiven Bestimmung) einen vernünftigen Sinn gibt. Zustimmung verdient auch die Deutung von V. 16 a ό νόμος και oí ττροφήται auf die Zeit der Verheißung, die durch Gesetz und Propheten charakterisiert ist. Lukas hat also die Q-Vorlage nach seinen Vorstellungen abgeändert und im Sinne der Heilsgeschichte verdeutlicht. Die Schwierigkeiten beginnen freilich bei der exakten Grenzziehung zwischen den beiden heilsgeschichtlichen Epochen, näherhin bei der Bestimmung der Terminangaben μέχρι 'Ιωάννου

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W. G. Kümmel, Gesetz und Propheten 93: »Und auch das ist damit unverkennbar, daß Lukas diesen Spruch ohne jede erkennbare Betonung in einen nur schwer oder gar nicht verständlichen Zusammenhang gestellt und somit durchaus nicht als eine für ihn besonders wesentliche Aussage gekennzeichnet hat.« Ähnlich auch U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5), Neukirchen-Vluyn 31974, 105 Anm. 2: Die Logien sind »aus technischkompositorischen Gründen an dieser Stelle zwischeneingeschoben«; H. Schürmann, »Wer daher eines dieser geringsten Gebote auflöst ...« 134: Das Logion ist eine »mitgerettete« Einleitungswendung zu Lk 16,18. Anders D. Kosch, Gottesherrschaft 68—75, der das Logion im Rahmen »der größeren Komposition Lk 14,25—17,10«, d. h. in bezug auf die Gemeindeunterweisung des sog. Reiseberichtes, zu verstehen sucht. »Gesetz und Propheten« müßten »unter dem Gesichtspunkt der Verheissung des im Christusgeschehen Erfüllten« gesehen werden, das Conzelmann'sche Epochenschema lasse sich unter solchen Voraussetzungen mit Lk 16,16 nicht verifizieren. Für die Täuferfrage müßten textübergreifende, d. h. auf das ganze lukanische Doppelwerk bezugnehmende Kriterien herangezogen werden. Zur Auslegungsgeschichte vgl. P. S. Cameron, Violence, passim, vor allem 214—219. Zur eigenen Positionsbeschreibung vgl. a . a . O . 252: »... the saying probably occurred in Q in the sequence represented by Lk. 16:15 — 18 or 16 — 18.«

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1st die lukanische oder die matthäische Fassung des Spruchs Mt V. 13/Lk V. 16a ursprünglicher? Vgl. die Ausführungen zu Q. Vgl. D. Kosch, Gottesherrschaft 66 f.

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und ά π ό τ ό τ ε (ή β α σ ι λ ε ί α ε υ α γ γ ε λ ί ζ ε τ α ι ) . Ein innerlukanischer Stellenvergleich zu der Zielangabe μέχρι Ι ω ά ν ν ο υ führt wegen der geringen Zahl und sachlichen Unschärfe der Texte (Apg 10,30; 20,7) zu keinem klaren Ergebnis. Die Auskünfte der Grammatiken sind verschwommen 9 8 und von theologischen Deutungen abhängig". Nicht sehr viel anders verhält es sich mit der unscharfen Bemerkung άττό τότε. Der häufig angenommene exkludierende Sinn ( = Johannes gehört nicht dazu) wird durch den allgemein-biblischen Sprachgebrauch 100 , der sowohl die Bedeutung »danach« als auch »seit damals« kennt, nicht abgedeckt 101 . Um über bloße Spekulationen hinauszukommen, ist es deshalb erforderlich, die indirekten Aussagen des Lukas zur heilsgeschichtlichen Einordnung des Täufers näher in Betracht zu ziehen. Unter Berücksichtigung des schon angemerkten Synchronismus 3,1 f. (das Auftreten des Täufers im Licht der ά ρ χ ή Jesu 3,23; 4,21) und 3,4 — 6 (Verkündigung des Täufers im Licht der Verkündigung Jesu), der ausdrücklichen Kennzeichnung der Täuferpredigt 3,18 als »Verkündigung« und der bereits in Q vorgegebenen Qualifizierung des Johannes als einer, der mehr ist als ein Prophet (Mt 11,9/Lk 7,26), ist die Annahme, daß die Heilszeit bereits mit dem Täufer beginnt, nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Ob sich aus einem Vergleich mit den heilsgeschichtlichen Modellen Apg 10,37—43 und 13,17—41 eine täuferische Vorbereitungsphase innerhalb der »Zeit der Erfüllung« (10,37 b; 13,24 f.) erarbeiten läßt, muß offenbleiben 102 . Lukas 98

Rehkopf-Blass-Debrunner §216 Anm. 11: »>Bis< bei Eigennamen sowohl inkludierend (so im Deutschen) als auch exkludierend; inkl.: ... Lk 16,16 μέχρι Ιωάννου.«

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Vgl. J. Jeremias, Theologie I, 54. Mt 16,21; 26,16 mit der Bedeutung »danach«. Mt 4,17 mit der Bedeutung »von jetzt an«. Inklusiver Sinn auch 2 Esr 5,16 b; Ps 92,2 LXX; Ex 4,10 (Aquila); Spr 8,22 (Symmachus; Theodotion); vgl. W. G. Kümmel, Gesetz und Propheten 94 Anm. 20. W. Wink, John the Baptist 57, ist mit der grundsätzlichen Feststellung, daß nach den heilsgeschichtlichen Vorstellungen des Lukas die Heilszeit nicht erst mit der Geburt Jesu, mit der Taufe (3,21 f.) oder mit der ersten Predigt Jesu (4,16 — 30), sondern schon mit dem Auftreten des Täufers (3,1—20) beginnt, im Recht. »Not Jesus, but John, initiates the time of redemption. >He is no longer the herald of the future only, but already belongs himself to the time in which the promise is being fulfilledstands guard at the frontier of the aeonsWegbereitertypologischen Entsprechung< als solche« (136).

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H. Schürmann, Lukas 508.

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J. Ernst, Lukas 148. Anders O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 36: »Die Legende von Martyrium, Tod und Bestattung des Täufers (Mt 14,3 — 12 par Mk 6,17 — 29) hat Lk auf zwei Verse (Lk 3,19 f) zusammengestrichen, in denen er nur die Haft, aber nicht mehr den Tod des Täufers auf die Herodias-Affäre zurückführt; dadurch wird eine typologische Entsprechung der >Passionen< des Täufers und Jesu von vornherein ausgeschlossen.«

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selbst der Vorläufer seines Wiederkommens ist« 108 ? Soll mit der vorgeschalteten Johanneserzählung das Wirken Jesu in einen geschichtlichen Rahmen gestellt werden 109 ? Oder muß zwischen Botschaft und Person in bezug auf Jesus unterschieden werden 110 : Die Sache geht neben Jesus weiter, die Person tritt zurück? Solche Überlegungen sind richtig, sie reichen freilich noch nicht aus. Unsere Untersuchung ist zu dem Ergebnis gekommen, daß Johannes heilsgeschichtlich noch nicht ganz in die Zeit der Erfüllung, aber auch nicht mehr ausschließlich in die Zeit der Verheißung gehört. Er personalisiert vielmehr die Dialektik zwischen der alten Zeit, die vergeht, aber trotzdem weiterlebt in der neuen Zeit Christi. Johannes steht ein für die Kontinuität, nicht aber für die Ablösung der Zeiten.

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H. W. Bartsch, Wachet aber 47. H. Flender, Heil und Geschichte 112: »Durch die Trennung der Zeitangaben Lk. 3,1 f. und Lk. 3,23 werden die Bereiche des Alten und des Neuen klar geschieden. Aber in der Gestalt Johannes des Täufers findet das eschatologische Christusgeschehen seine geschichtliche, es mit Israel und dem Zwölferapostolat der Kirche verbindende Kontinuität.« H. Conzelmann, Mitte der Zeit 18: »Ist sein Wirken, nicht sein Sein, Vorarbeit für Jesus, so ist er in gleicher Weise dem Werk Jesu untergeordnet wie die gesamte Epoche des Gesetzes.«

IV. Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung Lukas beginnt die Erzählungen von der Geburt und Kindheit Jesu mit der Vorgeschichte des Täufers Johannes. Das literarische Verfahren der Vorschaltung entspricht dem aus den Evangelien schon bekannten Prinzip der Vorläuferschaft: der όττίσω μου ερχόμενος ist nicht erst im Bekenntnis des Täufers (Mt 3,11 vgl. Mk 1,7), sondern schon bei den Ereignissen um die Geburt der ισχυρότερος. Lukas hat den Nachfolgegedanken im Evangelium selbst zwar ausgespart, in der Kindheitserzählung ist er aber das entscheidende Gestaltungsprinzip. Wenn der Evangelist selbst für die Komposition der ersten beiden Kapitel seines Werkes verantwortlich sein sollte, käme als zweite Leitidee das Theologumenon vom Täufer als Anfang des Evangeliums hinzu. Uns interessiert zunächst die Erzählung von der Geburt und Kindheit des Johannes. Zur Diskussion stehen 1. der Aufbau und die literarische Struktur, 2. die Argumente für oder gegen eine Täuferlegende, 3. das Magnificat, 4. das Benedictus im Kontext· der Täuferlegende, 5. die Vorgeschichte und die literarische Gattung der Täuferlegende.

1. Aufbau und Struktur der lukanischen Kindheitserzählung Die lukanische Kindheitserzählung ist nach dem Prinzip der Parallelität zwischen Johannes und Jesus aufgebaut und strukturiert. Die Symmetrie zeigt sich im Doppelbild der Ankündigungen (1,5 — 25; 1,26 — 38) und der Geburtserzählungen (1,57 — 80; 2,1 —20). Das eingeschobene Stück 1,39 — 56, das von der Begegnung der beiden Mütter berichtet, ist eine Art »Abgesang« mit Uberleitungsfunktion. In dem zweiten Doppelbild verschieben sich durch den konzentrierten christologischen und soteriologischen Gestaltungswillen die formalen und thematischen Entsprechungen: Die Geburts- und Beschneidungsdarstellungen sind unterschiedlich gewichtet. In der Täufererzählung hat die Beschneidung den Vorrang (1,59 — 80), von der Geburt ist nur in einer kurzen Bemerkung die Rede (1,57 f.), in der Jesuserzählung verhält es sich umgekehrt: Der breit ausladenden und gegliederten Geburtsgeschichte (2,1—20) steht eine mehr als knappe Beschneidungsnotiz (2,21) gegenüber. Den Ausklang bilden zwei analogielose Szenen, die auf den besonderen Rang des Jesuskindes abzielen: die Darstellung (2,22 — 40) und Wiederfindung des Sohnes im

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Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

Tempel ( 2 , 4 1 — 5 2 ) D e r g e n a u e V e r g l e i c h zeigt n i c h t n u r ein strukturelles, s o n d e r n auch ein t h e o l o g i s c h e s Ü b e r g e w i c h t d e r J e s u s e r z ä h l u n g e n auf: J o h a n n e s ist n u r d e r P r o p h e t ( 1 , 7 6 ) , J e s u s d a g e g e n der S o h n G o t t e s des H ö c h s t e n ( 1 , 3 2 ) ; J o h a n n e s ist m i t h e i l i g e m G e i s t e r f ü l l t ( 1 , 1 5 ) , J e s u s d a g e g e n d u r c h die H e r a b k u n f t des heiligen G e i s t e s a u f M a r i a » g e z e u g t « ( 1 , 3 5 ) . D i e U n t e r s c h i e d e sind klar a u s g e p r ä g t ; e n t s c h e i d e n d ist die Leitidee d e r lukanischen K i n d h e i t s e r z ä h l u n g b z w . der T ä u f e r a b s c h n i t t e : J o h a n n e s ist, o b w o h l d e r G r ö ß t e u n t e r denen, die v o n einer F r a u g e b o r e n w o r d e n sind (7,28), d o c h n u r d e r V o r l ä u f e r J e s u . L u k a s hat also das Stilmittel des Parallelismus n i c h t n u r aus literarischen G r ü n d e n v e r w e n d e t ; d e r inhaltliche Ü b e r b i e t u n g s e f f e k t ist f ü r i h n das a u s s c h l a g g e b e n d e P r i n z i p 2 . D a s P r o b l e m stellt sich f r e i l i c h n o c h e t w a s k o m p l i z i e r t e r dar, s o b a l d m a n die

Zu den verschiedenen Gliederungsversuchen s. M. Dibelius, Überlieferung 67 f.; R. Laurentin, Struktur und Theologie 27—49; R. E. Brown, The Birth of the Messiah 248 f.; H. Schürmann, Aufbau, Eigenart und Geschichtswert der Vorgeschichte, in: Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien, Düsseldorf 1968, 1 9 8 - 2 0 0 ; W.Wink, John the Baptist 5 8 - 6 0 ; J. A. Fitzmyer, Luke 313f., hier auch ausführliche Literaturangaben. R. Laurentin, Struktur und Theologie ordnet wie folgt: Diptychon der Verkündigungen (1,5—56) I Die Ankündigung der Geburt des Johannes ( 1 , 5 - 2 5 )

II Die Ankündigung (1,26-38)

der

Geburt

Jesu

III Ergänzende Episode: Heimsuchung (1,39 — 56) Canticum Magnificat Diptychon der Geburten (1,56-2,52) IV Geburt des Johannes (1,57—58) Freude über die Geburt mit einer Art Lobgesang (1,58) Beschneidung und Offenbarung des Johannes ( 1 , 5 7 - 8 0 ) Erste Offenbarung des »Propheten« Canticum »Benedictus« Schluß: Refrain über das Wachsen (1,80)

V Geburt Jesu ( 2 , 1 - 2 0 ) Freude über die Geburt, Lobgesang der Engel und Hirten VI Beschneidung

und

Offenbarung

Jesu

(2,21)

Erste Offenbarung des »Retters« Canticum »Nunc dimittis« Ergänzende Episode mit Hanna (2,36—38) Schluß: Refrain über das Wachsen (2,40) VII Ergänzende Episode: Das Wiederfinden (2,41-51) Schluß: Refrain über das Wachsen (2,52)

Das Prinzip des überbietenden Parallelismus zeigt sich bei den Verkündigungserzählungen besonders deutlich.

Aufbau und Struktur der Kindheitserzählung

115

F r a g e d e r literarischen E n t s t e h u n g b 2 w . der Q u e l l e n ins A u g e faßt. D a ß K a p i t e l 1 u n d 2 stark v o n e i n a n d e r a b w e i c h e n , m u ß nicht eigens b e t o n t w e r d e n . N e b e n f o r m a l e n u n d stilistischen D i f f e r e n z e n fallt die u n t e r s c h i e d liche T h e m a t i k — hier die G e b u r t u n d K i n d h e i t des T ä u f e r s , d o r t die G e b u r t u n d K i n d h e i t J e s u — b e s o n d e r s ins A u g e 3 . Es ist d e n k b a r , daß die J e s u s g e s c h i c h t e s e k u n d ä r n a c h der älteren T ä u f e r g e s c h i c h t e gestaltet w o r d e n ist 4 . M i t der u m g e k e h r t e n M ö g l i c h k e i t , d a ß die T ä u f e r g e s c h i c h t e aus der J e s u s g e s c h i c h t e b z w . aus m ü n d l i c h e n j u d e n c h r i s t l i c h e n T r a d i t i o n e n nach d e m t h e o l o g i s c h e n P r i n z i p d e r V o r l ä u f e r s c h a f t herausgelesen w u r d e 5 , m u ß g r u n d s ä t z l i c h g e r e c h n e t w e r d e n . D a ß m i t der A b h ä n g i g k e i t s o p t i o n wichtige theologische Vorentscheidungen zur Originalität der Jesus- oder

I Ankündigung der Geburt des Johannes (1,5-25) 1. Vorstellung der Eltern (V. 5 - 7 ) 2. Erscheinung des Engels (V. 11) 3. Erschrecken des Zacharias (V. 12) 4. Fürchte dich nicht (V. 13 a) 5. Ankündigung der Geburt (V. 13 b) 6. »Woran soll ich das erkennen?« (V. 18) 7. Verweis auf den Engel: Ich bin Gabriel (V. 19) 8. Das Zeichen: Zacharias wird stumm (V. 20) 9. Schweigen des Zacharias (V. 22) 10. Weggehen des Zacharias (V. 23)

II Ankündigung der Geburt Jesu (1,26 — 38) Vorstellung der Eltern (V. 27) Erscheinung des Engels (V. 26.28) Erschrecken Marias (V. 29) Fürchte dich nicht (V. 30) Ankündigung der Geburt (V. 31) »Wie soll das geschehen?« (V. 34) Offenbarung durch den Engel (V. 35) Das Zeichen: Empfängnis der Elisabet (V. 36) Antwort Marias (V. 38 a) Weggehen des Engels (V. 38 b)

Auch in theologischer Hinsicht gibt es Unterschiede: Die Marienbilder von Kap. 1 (die Jungfrau, die geistgewirkte Zeugung) und Kap. 2 (dein Vater und ich 2,48; Maria und Josef, die Eltern Jesu 2,41; die geistgewirkte Zeugung wird mit keinem Wort erwähnt) stehen in einer unausgeglichenen Spannung. Wenn man bedenkt, daß bereits 1,27 von der Verlobten des Josef aus dem Hause David die Rede war, wirkt die Neueinführung zu Beginn von Kap. 2 zum mindesten ungewöhnlich. Vgl. zum Ganzen J. A. Fitzmyer, Luke 311 f. Zuerst vorgeschlagen von D. Völter, Apokalypse 244—269; aufgegriffen von W. Baldensperger, Prolog 135 — 137; M. Dibelius, Überlieferung 67—77; E. Norden, Die Geburt des Kindes. Geschichte einer religiösen Idee. 3. unveränderter Abdruck der ersten Auflage von 1924, Darmstadt 1958, 1 0 2 - 1 0 5 ; R. Bultmann, Geschichte 320 f.; M. Goguel, Jean-Baptiste 69 — 75; G. Erdmann, Vorgeschichte 11 ff.; E. Lohmeyer, Johannes der Täufer 21—26; C. H. Kraeling, John the Baptist 16; Ch. H. H. Scobie, John the Baptist 50: mit Berufung auf Lk 1,26: »im sechsten Monat«: »It is clear that the story of Jesus, whatever its exact origins, has been integrated into that of John, and not vice versa.« H. Schürmann, Lukas 59. P. Benoit, L'enfance 194: »j'estime que Luc lui-même l'a composé, à l'aide de traditions orales, de modèles bibliques et d'un vieux cantique judéo-chrétien, pour introduire la venue du Messie par celle de son Précurseur.«

116

Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

Täufertradition verbunden sind, muß nicht eigens hervorgehoben werden. Wir dürfen davon ausgehen, daß die beiden Kapitel eine je eigene Vorgeschichte gehabt haben 6 . Wie und in welchem literarischen Verfahren die beiden selbständigen Einheiten zusammengebracht worden sind, ist schwer zu sagen. Die lukanisch-redaktionellen Einflüsse auf die Gestaltung von Kapitel 1 und 2 zeigen sich in den Übereinstimmungen mit dem Hauptteil des Evangeliums, z. B. in dem theologischen Vorläufermotiv, in der Rolle des Täufers als Übergang von der Zeit der Verheißung zur Zeit der Erfüllung, in dem leitenden Prophetenmodell und nicht zuletzt auch in der Position des Mannes am Anfang der mit Jesus beginnenden Heilsepoche. Die angedeutete Verzahnung sollte jedoch nicht soweit getrieben werden, daß die Übergänge zum Corpus des Evangeliums sich verschieben und die richtige Einsicht in die Existenz einer literarisch selbständigen Kindheitserzählung zugunsten einer lukanisch-redaktionell gestalteten Vorgeschichte des Evangeliums bzw. eines Prologs (1,5—4,13 7 oder 1,5—4,30 8 ) preisgegeben wird. Lukas hat die Kindheitsgeschichte zwar erst nach Abfassung des mit 3,1—2 (Auftreten des Täufers) beginnenden Evangeliums, vielleicht auch nach der Apostelgeschichte 9 verfaßt bzw. redigiert. Für die Frage nach dem Täuferbild der Kindheitserzählung bedeutet dies, daß es durchgehende Leitlinien und wichtige thematische Gemeinsamkeiten gibt. Man sollte darüber aber die entscheidenden Unterschiede nicht aus dem Auge verlieren. Als vorläufiges Fazit darf festgehalten werden: Die grundsätzliche Zustimmung zu den Ergebnissen der lukanischen Redaktion ändert nichts an dem Gewicht der vorgegebenen Täufertradition.

2. Überlegungen zur Täuferlegende Die zahlreichen Hypothesen zur Vorgeschichte von Lk 1 und 2 stimmen trotz starker Divergenzen im Detail in der Annahme einer älteren, jüdisch eingefarbten Erzählung von der Geburt des Täufers mit einem Grundbestand etwa in der Geburtsankündigung 1,5 — 25 und der Geburtsund Namengebungserzählung (1,57 — 66) überein 10 . Der Gesang des Za6

J. A. Fitzmyer, Luke 3 1 1 .

7

W. G. Kümmel, Einleitung 95.

8

R. Morgenthaler, Die lukanische Geschichtsschreibung als Zeugnis. Gestalt und Gehalt der Kunst des Lukas ( A T h A N T 14), Zürich 1948, 155.165.

9 10

R. E. Brown, The Birth of the Messiah 242 f. D. Völter, Apokalypse 244—269: 1,5—80 geht zurück auf eine jüdische Legende. Sie enthielt die G e b u r t s a n k ü n d i g u n g (1,5 — 25), d e n w u n d e r b a r e n Z u g v o m H ü p f e n d e s Kindes im Schoß der Mutter im sechsten Monat (1,26 a), ein Jubellied der Elisabet

Überlegungen zur Täuferlegende

117

charias, das Benedictas (1,68 — 79), und das Magnificat Marias (1,46 — 55) sind stilistisch-formal und theologisch schwer einzuordnen. Wie immer man sich in der Quellenfrage auch entscheiden mag (vgl. 1. Kap. IV.3.1. und 3.2. dieser Arbeit), bleibt doch unbestritten, daß mit dem lukanischen Refrain V. 80 ein Abschluß der Täufererzählung gegeben ist. Wir haben es also in jedem Fall mit einem in sich geschlossenen Erzählkranz zu tun. (V. 41 b.42a.46 b—55), die Erzählung von der Geburt und Namengebung (V. 57 — 64), den jüdischen Lobgesang des Zacharias (V. 68.71—75), die Reaktion der Nachbarn im Bergland von Judäa und die Frage, was aus diesem Kinde werden soll (V. 65—66), die Antwort des Zacharias in dem Spruch über die Prophetenrolle des Johannes (V. 67.76 — 77.79 b). Der Rest ist judenchristliche Anpassung an den Messiasglauben bzw. heidenchristliche Überarbeitung aus zweiter Hand (V. 69.70.78.79 a). Die jüdische Vorlage von Lk 1 stamme aus Kreisen der Täuferanhänger. »Es wird ja darin ein ganz specifischer Glaube an die Person des Johannes ausgesprochen und der Versuch gemacht, bereits das Inslebentreten dieser Persönlichkeit unter die besondere göttliche Leitung und Fügung zu stellen und in die Sphäre des Wunders zu erheben. Johannes ist, ohne dass an einen anderen menschlichen Heilsträger, an einen besondern Messias daneben noch gedacht wäre, die von Gott bestimmte Persönlichkeit, an deren Erscheinen und Thätigkeit das Eintreten des Heils geknüpft ist, die alles so vorbereitet, dass Gott in gnädiger Heimsuchung zu seinem Volke kommen kann« (265 f.). R. Bultmann, Geschichte 320—323: 1,5 — 25.57 — 66 = Täuferlegende, die ursprünglich selbständigen Hymnen sind hinzugewachsen. 1,34—37 = lukanischer Zusatz, 1,39—45 verknüpft zwei Schichten vorlukanisch. 2,1—20.22—40.41 — 52 waren ursprünglich selbständige Stücke. M. Dibelius, Formgeschichte 120—122: Täuferlegende umfaßt 1,5—25.57 — 66. »Diese Johannes-Legende ist einheitlich und ihrer Art nach jüdisch, nicht christlich. Denn was die Christen von dem Täufer zu sagen wissen, wird hier überhaupt nicht erwähnt, seine Stellung als Vorläufer, seine Unterordnung unter Jesus spielen keine Rolle; im Gegenteil, Johannes wird 1 1 5 genau so uneingeschränkt ein >Großer< genannt wie später 1 32 Jesus selbst. Die Legende stammt also von jüdischen Verehrern des Johannes, d. h. aus Kreisen der Täuferbewegung selbst« (121). Vgl. auch Ders., Jungfrauensohn und Krippenkind. Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium (SHAW.PH, Abh. 4,1932), abgedruckt in: Botschaft und Geschichte. Erster Band: Zur Evangelienforschung, in Verbindung mit H. Kraft hrsg. von G. Bornkamm, Tübingen 1953, 1—78, hier 3 — 9. H. Sahlin, Messias 63 — 69, rekonstruiert aus Lk 1 und 2 folgenden protolukanischen Quellenteil: 1 , 5 - 4 5 . 5 6 - 6 4 . 4 6 - 5 5 . 6 5 - 8 0 ; 2 , 1 - 3 8 ; 1 , 6 8 - 7 9 ; 2 , 3 9 - 4 0 . P.Winter, The Proto-Source 184—199: teilweise schon bearbeitete, aber im Grundbestand noch erkennbare Täuferquelle in hebräischer Sprache (B = Baptist-Document): Geburtsankündigung an den Vater: 1,5—23; Geburtsankündigung an die Mutter: 1,26 — 38; Bericht über die »stillen Monate« der Mutter Elisabet: Texte hinter V. 39—46a.56; Geburts- und Beschneidungserzählung: V. 57—66. In das Dokument sind die lyrischen Abschnitte I,46 b—55 (Elisabet) und 1,69 — 79 (Zacharias) eingeschoben. Weitere Bearbeitungen zeigen sich in einer Tempelquelle (T), die von der Darstellung (2,22—39) und Auffindung (2,41—51) im Tempel berichtet. Ein nazarenischer Redaktor (N) hat beide Quellen miteinander verschränkt, indem er die Elisabet-Ankündigung umformte und 2,4—21 als Gegenstück zur Geburtserzählung des Johannes ausbaute. Das hymnische Material geht auf Makkabäerhymnen zurück. G. Erdmann, Vorgeschichte 33:

118

Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

Die Tragfähigkeit der Täuferlegendenhypothese muß sich an den sprachlich-stilistischen, religionsgeschichtlichen und theologischen Kriterien erweisen. Besonderes Gewicht haben die kulturell-religösen Milieubestimmungen (jüdisch-alttestamentliche Einflüsse) und die religionsgeschichtlichen Belege für einen Täuferkult. 2.1. Sprache und Stil Der allgemein-semitische Sprachhintergrund der lukanischen Kindheitserzählung ist mit Händen zu greifen. Die intensiven Untersuchungen der Forschung haben schwerfällig-umständliche Wendungen 1 1 , mißverständliche Übersetzungen 12 , lyrische Abschnitte mit den Stilmerkmalen

1. Johanneslegende

2. Christi. Quelle

3. Lukas nach Johanneslegende

4. Klammern

1,5-25 1,26-39 1,42 a 1,46-55 1,57-66 1,80

1,39-41 1,42 b - 4 5 1,56

1,67-79 2,6-7 a

2,1-5 2,13-14

2,19

2,20

2,7 b - 1 2 2,15-18 2,21

2,22-24 2,36-39 2,40 2,42 a

2,25-35 2,41 2,42 b - 4 5 a

2,45 b - 4 7 2,49 b?

2,48 - 49 a 2,50-51 a

2,51 b - 5 2 " P. Winter, Some Observations 1 1 1 - 1 2 1 ; H. Sahlin, Messias 7 0 - 3 1 1 . P. Joüon, L'Évangile de Notre Seigneur Jésus-Christ (VSal 5), Paris 1930, 2 7 9 - 3 0 8 . 12 H. Sahlin, Messias 265; R. Laurentin, Struktur und Theologie 14 Anm. 12, nennt als Beispiel die umstrittene Wendung sîç π ό λ ι ν 'Ιούδα Lk 1,39 mit der Erklärung: »Rein grammatikalisch ist >Juda< eine Apposition zu >Stadtgroß< scheint hier wie auch Apg. 5,36D; 8,9 ein umschreibendes Wort für >Prophet< zu sein.« Für G. Friedrich, in: ThWNT VI, 838 f., ist Johannes »groß«, weil er eine »eschatologische Heilsgestalt« ist. »Die Wendung besagt dasselbe wie προφήτη; ύψιστου Lk 1.76« (839). Anders I. H. Marshall, Luke 57: »John's greatness (7:28) is due to his personal dedication and divine empowering for his task.« Auf die Unterschiede zwischen dem absoluten Prädikat Lk 1,32 (er wird groß sein) und der relativierenden Aussage Lk 1,15 (Er wird groß sein vor Gott) macht R. Laurentin, Struktur und Theologie 42, aufmerksam. Unhaltbar ist die Annahme von H. Sahlin, Messias 76 f., der Ausdruck »groß vor Gott« meine nichts anderes als das Heranwachsen des Nasiräers. Abzulehnen auch die Ableitung aus der Kosmokratorformel, vgl. Horaz, Satirae 11,5,62.

47

Lk 1,15 darf nicht, wie W. Grundmann, Lukas 50 f., vermutet, im Zusammenhang mit dem Q-Logion Mt 11,9/Lk 7,26: »Ja, ich sage euch, mehr als ein Prophet« auf den messianischen Hohenpriester bezogen werden. Uber die Prophetentypen im Alten Testament, Judentum und Neuen Testament informieren H. Krämer, H. Rendtorff, R. Meyer und G. Friedrich, in: ThWNT VI, 7 8 1 - 7 9 4 . 7 9 4 - 8 1 3 . 8 1 3 - 8 2 8 . 8 2 9 - 8 6 3 . Ch. H. H. Scobie, John the Baptist 1 1 7 - 1 3 0 , mit dem Ergebnis: »We would therefore hold that John was aware of the expectation of the eschatological prophet who would immediately precede the new age« (129). Ähnlich auch J. Becker, Johannes der Täufer 41—62, bes. 56 — 61: der prophetische Charismatiker.

48

Die Lieder

127

des Täufers passen ebenso wenig zu einem Messiastum wie der Grundtenor seiner Predigt.« 49 Ob man von einer heilsgeschichtlichen Rolle sprechen darf, ist eine Frage der Begriffsdefinition. Für den judenchristlichen Autor ist Johannes der Mann »vor den Toren des Evangeliums«. Mit ihm beginnt die Gottesherrschaft, aber sie steht vorerst im Zeichen der Verfolgungen (Mt 11,12). Das Stichwort εΰαγγελίζεσθαι, das die Ankündigung der Geburt des Täufers (1,19) und dessen Predigt (3,18) charakterisiert, kann in Verbindung mit dem Motiv der Geistausstattung (1,15) an den deuterojesajanischen Freudenboten (Jes 61,1 πνεϋμα κυρίου έττ' έμέ, ού είνεκεν εχρισέν με' εύαγγελίσασθαι πτωχοΐς άττέσταλκέν με) erinnern50. Falls lukanischer Einfluß vorliegen sollte 51 , darf doch nicht übersehen werden, daß bereits die Vorlage die Weichen in diese Richtung gestellt hat. Es läßt sich nicht verkennen, daß der Prophet Johannes das nahe Heil ansagt. Die Quelle hat mit Ausnahme der Taufe die entscheidenden Elemente der Täufertradition, zum Teil freilich in verdeckter Form, vorgelegt (Geistbesitz, prophetischer Lebensstil, Umkehrpredigt, eschatologische Ausrichtung, Erneuerung des Volkes). Sie bleibt damit ganz »auf der Linie« des Herkömmlichen. Eine ideologische Überhöhung des Täufers zum Messias ist nicht zu erkennen. Seine Kennmarke ist die des letzten Propheten der Endzeit. Die Ausrichtung auf den Messias Jesus blieb dem Lukas vorbehalten. 3. Die Lieder Die Frage nach dem Rang des Täufers entscheidet sich an der Bewertung der Lieder, die den Erzählablauf der Legende unterbrechen. Die literarkritische Problematik ist insofern von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die Beziehung zu der einen oder anderen Person erlaubt. Wenn das Magnificat und das Benedictus von christlicher Hand eingefügt sein sollten, wäre von vornherein klar, daß das Lob dem Messias Jesus gilt. Im Falle einer anfänglichen Zugehörigkeit zur Legende ergäben sich wichtige Hinweise auf die hohe Wertschätzung des Johannes in Kreisen jener Leute, die hier in farbigen Bildern von der Jugend ihres »Helden« berichten. Das Problem ist jedoch noch komplizierter, wie die Diskussion, auf die wir eingehen müssen, zeigt. 3.1. Das Magnificat (1,46 — 55) — ein Danklied der Elisabet? Wenn es richtig ist, daß die Legende die Eltern zu Wort kommen läßt, liegt es nahe, neben einem dem Vater Zacharias zugesprochenen Lied auch einen Hymnus der Mutter zu suchen. Das Problem muß schon früh 49 50 51

J. Becker, Johannes der Täufer 119 Anm. 148. Anders G. Friedrich, in: ThWNT II, 716 Anm. 112. H. Sahlin, Messias 88 f.: christliche Ausdrucksweise.

128

Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

erkannt und reflektiert worden sein, wie die Lesart Ελισάβετ statt Μαρία bzw. Μαριάμ zu Beginn des Magnificat (1,46) zu erkennen gibt. Die nur schwach bezeugte Textversion 52 reicht immerhin bis ins 3. Jahrh. zurück. Ihr wichtigster Vertreter neben einigen altlateinischen Textzeugen ist Hieronymus, der in einer verkürzten Übersetzung die siebte Lukashomilie des Orígenes und in dieser die Bemerkung: »Non enim ignoramus, quod secundum alios codices et haec verba Elisabeth vaticinetur« bietet 53 . Die Frage nach der Sprecherin des Magnificat ist um die Jahrhundertwende neu aufgegriffen und durch Sachargumente vertieft worden. A. v. Harnack 54 hat die entscheidenden Punkte zusammengestellt: 1. Die Notiz von der Erfüllung der Elisabet mit heiligem Geist (V. 41) fordert wegen der Entsprechung zu der Einführung des Canticum Zachariae (V. 67) einen prophetischen Lobgesang; die Eulogie der Elisabet auf Maria, die Mutter des Herrn (V. 42 b—45), reicht nach Form und Inhalt nicht aus, die betonte Hervorhebung Marias V. 46 a ist nichtssagend und ohne Ausdruck. 2. Unter der Voraussetzung eines Subjektwechsels in V. 46 — nach der Eulogie der Elisabet ergreift Maria das Wort — muß es adversativisch εΤπεν δε Μαριάμ (vgl. V. 38) heißen, nicht aber, wie im vorliegenden Text καί εΤπεν Μαριάμ. 3. Die ausdrückliche Erwähnung Marias nach dem Hymnus (1,56) ist störend; es müßte richtiger heißen: εμεινεν δε συν tt¡ Ελισάβετ. 4. Im Blick auf die Anlage und Dramaturgie der lukanischen Kindheitserzählung ist die Vorstellung von Maria als Sängerin des Hymnus befremdlich. Die Eltern Jesu werden für gewöhnlich psychologisch wirkungsvoll »sehr diskret behandelt« 55 , die Nebenpersonen dagegen stärker herausgestellt. 5. Der Anfang des Magnificat, der auf das alttestamentliche Danklied der Hanna nach der wunderbaren Öffnung des verschlossenen Mutterschoßes (1 Sam 2,1 — 11) zurückgreift, paßt besser auf Elisabet als auf Maria. »So unpassend es also gewesen wäre, diese an den Lobgesang der Hanna erinnern zu lassen, so schicklich war dies bei Elisabet.« 56 Weitere Argumente sind das vermutete Wortspiel: Yëhôhânân (Wurzel: |3Π) = Erbarmen (Gottes) (V. 54.58), die Zeitangabe άττό του νυν (V. 48 b), die eher zu Elisabet passe, vor allem aber die alttestamentlich-jüdische Frömmigkeit, die besser mit Elisabet und ihren Verhältnissen als mit Maria in Einklang zu bringen sei 57 .

52

Elisabet(h) a Γ Or 1 "™'Nie; Elisabel b Ir 1 " Haer. IV, 7,1 (anders 111,10,2); die armenische Version zu IV,7,1, die auf eine syrische, von der lateinischen unabhängige Version zurückgehen soll (s. H. Schürmann, Lukas 72 Anm. 205). Ausführliche Darlegung des textkritischen Befundes bei Th. Zahn, Lucas 745 — 751.

53

Orígenes, Horn, in Luc. t. VII (Übersetzung Hieronymus), GCS 35,48,1—3. A. v. Harnack, Magnificat 65 f. Vgl. auch C. R. Bowen, John the Baptist 99. A. v. Harnack, a. a. O. 65. A. v. Harnack, a. a. O. 66. Die »Niedrigkeit der Magd« V. 48; das göttliche Erbarmen V. 50.54; der Hinweis auf die

54 55 56 57

Die Lieder

129

Das Lied hat — ob Elisabet oder Maria zugesprochen — in jedem Fall eine Vorgeschichte, d. h. aber: die Zuweisung zur Lukasredaktion 58 ist verfehlt. Wir haben es vielmehr mit einem eschatologischen Hymnus aus der Tradition Israels zu tun, Geist und Gestalt sind dem Alten Testament verpflichtet 59 . H. Schürmann 60 formuliert vorsichtig: »Die Häufung der Semitismen, ferner die jüdische Gedankenwelt lassen palästinensischen Ursprung erkennen. Obgleich die vielen atl. Anspielungen meist Septuagintabenutzung verraten, zeigen sich doch vielleicht auch Übersetzungsspuren, die vielleicht auf eine semitische Vorlage zu schließen erlauben.« Genau an diesem Punkte stellen sich die Fragen nach der konkreten Herkunft. Haben wir es mit einem Text aus der Täufertradition zu tun? R. Bultmann 61 konstatiert ohne nähere Begründung zurückhaltend: »Beide Psalmen (Magnificat und Benedictus [Ergänzung d. Verf.]), jüdischer Herkunft und wohl ursprünglich in aramäischer (oder hebräischer) Sprache verfaßt, waren möglicherweise schon in die jüdische Urform der Täufergeschichte eingeschoben; das Magnificat — dann natürlich von Elisabeth gesprochen — würde hinter V. 25 besser am Platze sein als in der jetzigen Ordnung.« H. Thyen 6 2 nimmt den gleichen Standpunkt ohne Angabe weiterer Argumente ein. Eine mit Hymnen ausgestattete Täuferlegende würde auf festerem Grund stehen, wenn sich eine Milieuverwandtschaft

58

59

60 61 62

Väter bzw. auf Abraham und sein Geschlecht V. 55; das rigoristische Umkehrschema: Mächtige vom Thron stürzen, Niedrige erheben, Hungernde mit Gütern erfüllen. Reiche leer ausgehen lassen. Hierzu D. Völter, Apokalypse 255: »Aber gerade dieser Lobgesang scheint uns im Mund der Maria eine Unmöglichkeit zu sein. Er ist durch und durch jüdisch gedacht; kein einziger specifisch christlicher Heilsgedanke kommt darin vor ... Im wesentlichen ist der Lobgesang der Maria eine Erneuerung des Lobgesangs der Hanna, der Mutter Samuels (1 Sam. 2,1 — 10). Aber es ist charakteristisch, dass gerade die Stelle aus dem Lobgesang der Hanna, die von einem messianischen König redet (1 Sam. 2,10) im Lobgesang der Maria nicht verwertet ist.« Kritisch hierzu W. Baldensperger, Prolog 136 f. Anm. 2: »Doch die der Hypothese zu Grunde liegende Annahme, dass nämlich Elisabeth zuerst nach Ablauf von 5 Monaten ihres Zustandes gewiss werden muss, diese Berechnung dürfte mit dem in der Sagenwelt waltenden Geist kaum verträglich sein. Gleich nach der Empfängnis (1 25) steht der Glaube der Elisabeth fest.« Anders A. v. Harnack, a. a. O. 84 f.: »Lukas hat diese Gesänge absichtlich in der Sprache der Psalmen und Propheten (LXX) gehalten: die Hebraismen, soviele ihrer aus dem A. T. stehengeblieben oder eingefügt sind, sind gewollte, der ganze Stil Kunststil, um einen altertümlichen Eindruck zu erwecken.« H. Gunkel, Die Lieder in der Kindheitsgeschichte Jesu bei Lukas, in: Festgabe für A. v. Harnack zum 70. Geburtstag, Tübingen 1921, 43 — 60. H. Schürmann, Lukas 78. R. Bultmann, Geschichte 323. H. Thyen, ΒΑΠΤΙΣΜΑ ΜΕΤΑΝΟΙΑ! 115. Vgl. auch Ch. H. H. Scobie, John the Baptist 54f.: »Elizabeth was the speaker.«

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Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

mit der Gemeinde von Qumran, die ja vergleichbare literarische Dokumente (Hymnenrolle) hinterlassen hat, nachweisen ließe. Da das Magnificat thematisch sehr allgemein gehalten ist und anders als das Benedictus auf die Situation des Täuferkindes mit keinem Wort eingeht, ist gegenüber dem Postulat eines elterlichen Doppelchores Zurückhaltung angeraten. Die entscheidenden Gegenargumente ergeben sich aus den kompositorischen und literarischen Beobachtungen am Kontext. Nach der feierlichen Begrüßung Marias durch Elisabet — καί ττόθεν μοι τούτο ίνα ελθη ή μήτηρ τ ο ΰ κυρίου μου προς έμέ (Υ. 43) — lag eine entsprechende Reaktion Marias geradezu »in der Luft«, für ein Elisabetlied ist die Stelle dagegen denkbar unpassend (vgl. aber V. 25! s. u.). Wenn es richtig ist, daß Lukas oder seine Vorlage den Wechsel von Gesprächspartnern in Einleitungsformeln zum Ausdruck gebracht hat, stände der Name »Maria« in V. 46 nach der Nennung der Elisabet in V. 41 b genau an der richtigen Stelle 63 . Das inhaltliche Argument, die »Niedrigkeit seiner Magd« V. 48 bekomme im Zusammenhang mit der vorausgehenden Selbstbezeichnung in V. 38 (ιδού ή δούλη κυρίου) einen guten Sinn, überzeugt genauso wie die Überlegung, V. 48 b: »Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter« sei im Munde der Elisabet eine schwer zu verkraftende Übertreibung 64 . Für die ungewöhnliche Nennung des Namens der Sängerin nach dem Lied (V. 56) gibt es alttestamentliche Parallelen (Num 24,25; Dtn 32,44; 34,1; 2 Sam 2,1; Tob 14,1). Das Personalpronomen (συν αύτη) muß nicht als störend empfunden werden, wenn man die dominierende Rolle der Elisabet in dem erzählerischen Kontext (V. 40.41.57) im Auge behält. Manches spricht für eine unreflektierte Eintragung des alttestamentlichen Psalms, welche die Frage nach dem Sprecher zunächst in der Schwebe gelassen hat 65 . Die Namen sind in diesem Fall nachträglich eingeschoben worden. Eine geistreiche Spekulation, die wenig für sich hat, ist die Vermutung, das Wort »Maria« sei wegen des Gleichklangs mit 63

64

65

H. Schürmann, Lukas 73 Anm. 211: 1,18.61; 2,49; 3,14; 4,23; 9,58; 13,32; 14,22.23; 17,5; 19,17.25; 23,43; 24,19; Apg 22,21. W. Baldensperger, Prolog 136 f. Anm. 2. H. Schürmann, Lukas 73; so schon Th. Zahn, Lucas 100 f.: »Namentlich das Wort in v. 48 wäre im Munde der El. eine durch nichts, auch durch v. 14 in keiner Weise vorbereitete Übertreibung.« M. Dibelius, Überlieferung 73: »Eine Erzählung durch Lieder angenehm zu unterbrechen, oder ein Lied mit einer Erzählung einzurahmen, um die Situation zu erklären, ist nicht nur israelitische Sitte, sondern ein Brauch, der uns immer wieder in der Geschichte der Heldensage begegnet. Dann aber, wenn der Psalm eingelegt sein sollte, wäre jene Streitfrage, welche von beiden Frauen ihn spräche, unwichtig. Denn wer einen Psalm in eine solche Erzählung einsetzte, der legte mehr Wert auf die Unterbringung des Liedes in der Legende als auf seine Verbindung mit einer bestimmten Person.« Ferner A. v. Harnack, Magnificat 66 f.; W. Grundmann, Lukas 64: »Wahrscheinlich hat Harnack mit seiner These recht, daß beide Namen Ergänzungen sind zu einem Text, der gelautet hat: καί εΐπεν.«

Die Lieder

131

dem hebräischen Äquivalent für μεγαλύνει am Anfang des Magnificat (D'HO - D^IÜ) unterdrückt bzw. durch »Elisabet« ersetzt worden 66 . Ich halte es mit H. Schürmann 67 für denkbar, daß ein kürzeres Marienlob (V. 48 mit möglicher Einleitung V. 47 und Abschluß V. 49) durch den sekundären Teil V. 50 — 55 ergänzt und ins Allgemeine gehoben worden ist. »Bei dieser Annahme wäre die schlichte Einführung V 46 erklärt wie auch das συν αυτή V 56 verständlicher gemacht; auch wäre dem Aufbau und der ganzen Erzählungstendenz der Perikope so Genüge getan.« 68 Alles in allem wird man bei nüchterner Prüfung aller Argumente sagen dürfen, daß es keine überzeugenden Beweise für eine täuferische Vereinnahmung des Magnificat gibt 69 . 3.2. Das Benedictus des Zacharias (1,67 — 79) Das Benedictus des Zacharias — ein an die Geburtserzählung (1,57 — 66) angehängtes, das Ereignis beleuchtendes Lied — hat seine eigene, schwer zu erhellende Vorgeschichte. Auf den ersten Blick sticht der von der alttestamentlichen Metrik (2- oder 3-Zeiler) abweichende unsystematische Stil (schwerfällige Satzperioden ohne klare poetische Struktur, vgl. Eph 1,3 —1470) und die für einen neutestamentlichen Hymnus ungewöhnliche theologische Diktion und Terminologie 71 ins Auge. Die damit zusammenhängende Frage nach der Entstehungsgeschichte, vor allem nach möglichen Einflüssen aus der Täuferschule, muß die Aufteilung in die disparaten Stücke V. 68 — 75 und V. 76 — 79 in Rechnung stellen. Der erste Teil ist ein Lobpreis auf Gott, den Retter Israels 72 , der zweite 66

67 68 69 70

71 72

R. Laurentin, Traces d'allusions étymologiques en Luc 1—2, in: Bib. 38 (1957) 15 f. Anm. 7. H. Schürmann, Lukas 77 f. H. Schürmann, Lukas 78. I. H. Marshall, Luke 79. Th. Zahn, Lucas 30: »... verläuft das Benedictus des Zacharias nach den kurzen Anfangssätzen seiner beiden Hälften (1,68.76) in langgewundenen überladenen und sehr wenig durchsichtigen Satzgebilden.« Vgl. auch J. A. Fitzmyer, Luke 377: V. 68 — 75 sind ein einziger langer Satz mit einer Unterbrechung (V. 70) und mehreren locker aneinandergereihten Infinitivkonstruktionen. Mit V. 76 beginnt ein neuer Abschnitt mit vier weiteren Infinitiven, zwei mit und zwei ohne bestimmten Artikel. P. Benoit, L'enfance 182 — 188, mit Überblick über die Sprach- und Strukturanalysen. Die traditionellen Themen: der Bund (V. 72 vgl. Ps 105,8; 106,45; Ex 2,24; Lev 26,42), den Gott vor Abraham mit einem Schwur besiegelt hat (V. 73 vgl. Mi 7,20; Gen 26,3; Jer 11,5), die Verheißung des Messias aus dem Hause des David (V. 68 f. keine direkte sprachliche Parallele im Alten Testament, vgl. aber 1 Chr 17,4.24; Ps 18,1; 1 QS 1,3; 4 Q patr. I-VII), die Rettung Israels [aus Feindeshand] (V. 71.74 vgl. Ps 106,10; 111,9; 18,3 f.18 = 2 Sam 22,3); Heiligkeit und Gerechtigkeit (V. 75 vgl. Weish 9,3 LXX) haben im ersten Teil Ausdruck gefunden.

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Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

ein G l ü c k w u n s c h g e d i c h t , w e l c h e s die R o l l e des T ä u f e r s in d e r Heilsgeschichte 7 3 p r o p h e t i s c h beleuchtet.

3 . 2 . 1 . D i e literarische V o r g e s c h i c h t e des Benedictus — H y p o t h e s e n U m K l a r h e i t ü b e r die A u s s a g e a b s i c h t des V e r f a s s e r s erhalten zu k ö n n e n , m u ß zunächst L i c h t in die V o r g e s c h i c h t e g e b r a c h t w e r d e n . J e n a c h d e m , o b m a n sich f ü r ein in sich a b g e r u n d e t e s u n d einheitlich k o n zipiertes L i e d 7 4 o d e r f ü r einen Text m i t l ä n g e r e r V o r g e s c h i c h t e 7 5 entscheidet, g e h e n die A u f f a s s u n g e n ü b e r das T ä u f e r b i l d des Benedictus ganz e r h e b l i c h auseinander. I m Falle d e r literarischen Einheitlichkeit handelt es sich u m ein L o b l i e d a u f den Messias J e s u s (mit m ö g l i c h e r jüdischer V o r l a g e ) , w e l c h e s d u r c h V. 7 6 , e v t l . auch V . 7 7 , e r g ä n z t u n d z u m V o r l ä u f e r J o h a n n e s in B e z i e h u n g gesetzt w o r d e n ist 7 6 . U n t e r d e r V o r a u s s e t z u n g der U n e i n h e i t l i c h k e i t stellt sich die F r a g e , o b das S t ü c k V . 6 8 — 7 5 z u r älteren T r a d i t i o n u n d V . 7 6 — 7 9 z u r R e d a k t i o n des L u k a s ( o d e r einer V o r l a g e ) g e h ö r t , o d e r o b die literarische E n t w i c k l u n g g e n a u in der u m g e k e h r t e n R i c h t u n g v e r l a u f e n ist. M a n c h e E r k l ä r e r r e c h n e n d a m i t , daß ein j ü d i s c h e r 7 7 o d e r t ä u f e r i s c h e r H y m n u s , der u r s p r ü n g l i c h J o h a n n e s als den Messias

73

74

75

76

77

V. 76: Prophet des Höchsten (vgl. Test Lev 8,15); V. 76 b: Wegbereiter des Herrn (Mal 3,1; Jes 40,3); V. 77 b: Vergebung der Sünden (vgl. Ps 25,18; Jes 55,7). A. v. Harnack, Magnificat 80 — 85: das Benedictus stammt aus der Feder des Lukas. G. Erdmann, Vorgeschichte 31—33. J. G. Machen, The Virgin Birth of Christ 101. Bericht über die unterschiedlichen Gliederungsversuche und Quellenscheidungshypothesen bei P. Benoit, L'enfance 184 f., und bei Ph. Vielhauer, Benedictus 28—46. J. A. Fitzmyer, Luke 377 f., sieht in dem Lied eine judenchristliche Bestätigung der messianischen Rolle Jesu nach dem lukanischen Schema von Verheißung und Erfüllung. V. 68 a: eröffnender Lobpreis; V. 68 b—77: Grundbestand des Lobliedes mit drei Untergruppen, a) V. 68 b—71 b (V. 70 = lukanischer Einschub): Gott hat sein Volk heimgesucht in Jesus, dem Horn des Heils, dem Retter aus dem Haus des David; b) V. 72a—75b: Rettung und Befreiung beziehen sich auf den alten Bund und den Eid, den Gott geschworen hat; c) V. 76—77: »Johannes« ist für die judenchristliche Gemeinde der Prophet Jahwes, welcher vor dem Retter Jesus einhergeht und die Kenntnis der Erlösung vermittelt. V. 78—79 müssen als rekapitulierender Ausklang verstanden werden. — Eine interessante Erklärung! Aber sollte der rahmende Kontext: Geburt und Beschneidung des Täufers, nicht primär auf die Bedeutung des Zachariassohnes hinweisen? H. Gunkel, Lieder 57: »Kein Wort, das nicht in den Mund eines jüdischen Dichters passen würde. Die Lieder sprechen die Hoffnung aus, welche die >Stillen im Lande< hegen mochten, denen der Haß gegen das Weltreich fernlag, sondern die nur für sich selber Ruhe und Frieden begehrten, um in »Gottseligkeit und Ehrbarkeit< ihrem Gott zu dienen.« F. Spitta, Notizen 307 — 309.316: 1,68 — 75 = »rein jüdisch gefärbte Zukunftshoffnung im Liede«; 1,76—79 = sekundäre Ergänzung. R. Bultmann, Geschichte 322; P.Winter, Magnificat 328 — 347; E. Klostermann, Lukas 385: »...eine Blumenlese aus dem Alten Testament.«

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Die Lieder

feierte 78 , sekundär verchristlicht worden sei. Andere gehen davon aus, daß V. 67.76 — 79 eine ursprüngliche, auf den Täufer und seine Geburt bezogene Einheit bildeten, die dann durch den Zusatz V. 68 —75 7 9 oder zusätzlich noch V. 78.79 a 8 0 (V. 76 f.79 b gehören zum Täuferlied) in die auf den Messias Jesus ausgerichtete übergeordnete Thematik hineingeholt worden ist. Der Charakter des Liedes ist je nach dem Ergebnis der quellenkritischen Vorentscheidung dann entweder durchgehend judenchristlich, freilich mit einem Gefalle zwischen Tradition und Redaktion 81 , oder aber traditionell jüdisch bzw. täuferisch, aber bei der Einarbeitung in die lukanische Kindheitserzählung christianisiert. Es ist nicht erforderlich, die gegen die täuferische Messianologie vorgebrachten Argumente 8 2 im einzelnen aufzuzählen. Nach meiner Auffassung hat F. Hahn mit seiner traditions- und milieukritischen Analyse den richtigen Weg gewiesen. »Nimmt man die sachlich eng zueinandergehörenden Verse 76 f.79 b zusammen, so ergibt sich eine glatte Konstruktion mit zwei parallelen Infinitivsätzen« 83 , in die eine messianisch ausgerichtete Prädikation in den V. 78.79 a 8 4 eingeschoben worden ist. »Die Frage ist dann, ob dieser Einschub aus der Täufergemeinde stammt und im Sinne einer Messianisierung zu verstehen ist, oder ob er auf die Urchristenheit zurückgeht, welche dies als Hinweis auf Jesus verstanden wissen wollte.« 85 Für F. Hahn muß das Stück im Zusammenhang mit 78

M. Goguel, Jean-Baptiste 74: »Comme 1,5—25, 1,57 — 80 vient donc d'un document baptiste.«

Ph. Vielhauer,

Benedictus

28-46;

H.Thyen,

ΒΑΠΤΙΣΜΑ

ΜΕΤΑΝΟΙΑ!

115-117. 79

Η. Schürmann, Lukas 88 — 90, bes. 89: die V. 68 — 75 sind in einen »ursprünglich isoliert umgehenden Psalm ... nachträglich eingefügt«; vorher schon F. Spitta, Notizen 303 — 309.

80

F. Hahn, Hoheitstitel 373. Vorher schon D.Völter, Apokalypse 250 f.

81

P. Benoit, L'enfance 182—191: primitiver christlicher Hymnus, der lukanisch-redaktionell ergänzt wurde. W.Wink, John the Baptist 68: »It is an unashamedly Christian hymn which spares only two verses to John.« H. Schürmann, Lukas 95 f.: judenchristliche Vorlage. Vorher schon J . Gnilka, Der Hymnus des Zacharias, in: B Z 6 (1962) 237 f.

82

Das überzeugendste Argument ist die im Horn des Heils angedeutete Ausrichtung auf den König aus dem Hause des David, die in keiner Weise zum Täufer und zur Überlieferung über seine Herkunft paßt. Vgl. auch die sprachlichen Anspielungen auf den Jesusnamen in σωτηρία (hebr.), die jedoch nicht überzeugen. Hierzu W. Wink, a. a. O. 66—68. An Versuchen, im Täufer den im Bild vom Horn des Heils angesagten Messias aus dem Haus des David zu erkennen, hat es allerdings nicht gefehlt, vgl. hierzu die Ausführungen von C. R. Bowen, John the Baptist 103: »And the tradition that John was born in Bethlehem and destined to be >king of Israel< attests the claim of Messiahship and of Davidic descent.«

83

V. 77 a: του δούναι γνώσιν σωτηρίας τ φ λαω αύτοΟ. V. 79 b: τοϋ κατΕυβΟναι

84

V. 79 a: Ιτπφδναι τοις èv 85

TOUS

πόδας ήμών εί$ όδόν εΙρήνης.

V. 78: άνατολή Ιξ ύψους. OKÓTEI

F. Hahn, Hoheitstitel 372.

καί σκιά θανάτου καθημένοις.

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Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

dem christlich überformten — ursprünglich jüdischen, aber nicht täuferischen — Psalm Lk 1,68 — 75 gesehen werden: In der Täufererzählung 1,5 — 25.57 — 66.76f.79b.80 ist durch den sekundären Zusatz von V. 67 — 75.78.79 a die Tendenz des eschatologisch-theologischen »Begrüßungswortes« V. 76 f. 8 6 christianisiert und dem Messias Jesus »angepaßt« worden. Durch Christus, den Aufgang aus der Höhe, »erhielt das Benedictus seine Einheit und wurde für den Abschluß der Kindheitserzählung des Johannes geeignet, sofern dieses Kind über sich hinausweist auf den nach ihm Kommenden« 87 . 3.2.2. Das Benedictus — ein Täuferlied im Vorfeld des Christusglaubens Es bleibt freilich auch zu überlegen, ob das Lied in seiner Unschärfe, konkret: in der Mischung von alttestamentlichen, täuferischen und christlichen Motiven nicht den Glaubensstand jener »Halbchristen«, die sich noch »auf dem Wege« befinden (Apg 19,1—7), widerspiegelt. Gelegentlich ist erwogen worden, ob sich in der Vorgeschichte des Christennamens (χριστιανοί) mit den fließenden Übergängen von einer allgemeinen Hoffnung auf den von Gott gesandten Heilbringer über den jüdischen Messiasglauben bis hin zum Christusglauben der jungen christlichen Gemeinde das verschwommene Bild der Täufergemeinde spiegeln könnte 88 . Die Gruppe, die in dem Lied des Zacharias ihr Bekenntnis niedergelegt hat, fühlt sich zwar an ihren Lehrer Johannes gebunden, er gehört für sie aber schon zum Evangelium. Mit seiner Predigt hat es schon begonnen (vgl. Mt 11,12). Die messianischen Hoffnungen Israels werden durch sein Auftreten geweckt und neu lebendig gemacht. Damit ist noch nicht gesagt, daß das Lied in betonter Auseinandersetzung mit der urkirchlichen Christologie Johannes als den Erlöser gefeiert hätte 89 , im Gegenteil: man ist dabei, die heilsgeschichtliche Rolle des Täufers — er ist der Prophet des Höchsten und der Vorläufer des Messias Jesus — anzuerkennen. Das 86

87

Das Kind Johannes ist Prophet des Höchsten, Wegbereiter des kommenden Gottes, Bote der Rettung und Vermittler der Siindennachlassung. F. Hahn, Hoheitstitel 373.

88

W. Baldensperger, Prolog 106: »Das gemeinsame Merkmal dieser Juden, dieser Täuferjünger und dieser Jesusgläubigen war der Glaube an den Christus im umfassenden Sinne des Wortes. Der Name >Christen< (χριστιανοί) wäre so gut auf die Einen wie auf die Anderen anwendbar gewesen, und vielleicht, dass wenn die jüdischen Messiasgläubigen verschiedener Schattirungen unter sich geblieben wären, es den Einen niemals eingefallen wäre, diesen Titel zur Unterscheidung von den Anderen zu beanspruchen.« Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß für diese Hypothese keine exakten Belege beigebracht werden können. Apg 11,26 steht jedenfalls eindeutig unter dem Einfluß des urkirchlich geprägten Christusnamens.

89

So C. R. Bowen, John the Baptist 99. H.Thyen, ΒΑΠΤΙΣΜΑ ΜΕΤΑΝΟΙΑΣ 117: »Im Benedictus wird also der Täufer als der vom Himmel gekommene Erlöser beschrieben.«

Die Lieder

135

geistige Umfeld der Täufererzählung ist also weder die Sekte, die in Johannes den himmlischen Offenbarer sah 90 , noch die Jesusgemeinde, die in ihrem Selbstverständnis durch den Glauben an den gekreuzigten und zu Gott erhöhten Messias Jesus geprägt ist. Man könnte mit H. Schürmann 91 von Judenchristen sprechen, aber die Unschärfe des Begriffs 92 fordert eine genauere Präzisierung. Ich denke an jene Gruppe, die durch die in der Logienquelle aufbewahrte Täuferanfrage (Mt 11,2—6/Lk 7,18 — 23) bestimmt ist: Täuferschüler, die die frohe Botschaft des Evangeliums Jesu immer noch nicht mit dem strengen Anspruch und der konsequent-eschatologischen Perspektive ihres Meisters vereinbaren konnten, wenden sich fragend an die junge christliche Gemeinde bzw. deren Repräsentanten 93 . Sie teilen den heilsgeschichtlichen Standort ihres Meisters »zwischen den Testamenten« (wenn man diesen theologischen Terminus hier schon verwenden darf). Genauso wie Johannes sind auch sie Gestalten des »Übergangs«. Sie gehören nicht mehr in die jüdische Gemeinde, aber auch noch nicht in die christliche. Als Männer (und Frauen) auf dem Wege haben sie eine hohe Meinung von ihrem Lehrer. Die mit der Person des Elija verknüpften Erwartungen sind nach ihrem Verständnis in Johannes, dem Propheten der Endzeit, in Erfüllung gegangen. Es läßt sich denken, daß eine derartige Täuferdeutung eingebettet war in Lobund Dankgebete auf Gott, den Retter Israels, und daß damit auch die großen messianischen Verheißungen (V. 69.77.78) angesprochen waren. So erzählen sie mit Verehrung die Geschichte ihres Meisters von Anfang an bis hin zu seinem Martyrium. In dem Maße, wie sie sich der besonderen und einzigartigen heilsgeschichtlichen Rolle Jesu bewußt wurden, konnten sie die Täufergeschichte neu akzentuieren. Jetzt wissen sie, »wer mit dem >Horn der Rettung im Hause des Knechtes Davids< gemeint ist. Die Rettung, von der Johannes Kunde gebracht hat, die Nachlassung der Sünden und das herzliche Erbarmen ist durch Jesus geschenkt worden. Für den Verfasser der 1k Kindheitserzählungen haben die verschwommenen und unscharfen Bilder der atl-jüdischen Welt ein deutliches Profil erhalten« 94 . Die Geburts- und Kindheitserzählung des Täufers gibt solche 90

Vgl. dazu R. Bultmann, Evangelium 4 f. Anm. 7, dort auch weitere Literatur- und Quellenangaben.

91

H. Schürmann, Lukas 96: »Für die frühe Zeit wird man den Begriff >Johannesjünger< anders umschreiben müssen als für die spätere. In früher Zeit müssen die Judenchristen Palästinas ebensowenig v o n Anhängern des Täufers scharf getrennt gedacht werden, wie sie es auch noch nicht v o n der jüdischen Gemeinde waren, und die eschatologischen Wertungen des Johannes werden erst in einem späteren Stadium >messianisch< in gegensätzlichem Sinn geworden sein, als auch die urchristlichen sich profilierter >messianisch< gaben.«

92

G. Vollebregt, Judenchristen, in: BL 2 Sp. 898 f.

53

Vgl. P. Hoffmann, Studien 215.

94

J . Ernst, Lukas 94.

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Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

Tendenzen deutlich zu erkennen. Der auffallige Wechsel vom Preislied auf Gottes Handeln in der Geschichte Israels (V. 69 — 75) auf die prophetische Ankündigung des Wegbereiters (V. 76—79) und der damit verbundene Tempuswechsel vom Aorist zum Futurum sind unproblematisch, wenn man das Vergangenheit und Zukunft umgreifende Zeitverständnis der prophetischen Rede in Rechnung stellt 95 .

4. Die literarische Gestalt und Gattung der Täufererzählung 4.1. Die literarische Gestalt Die literarische Rekonstruktion einer in die lukanische Kindheitserzählung eingearbeiteten »Täuferlegende« stößt wegen der Unzuverlässigkeit der Kriterien 96 auf Schwierigkeiten. Die stark divergierenden Analysen stimmen in der Annahme eines Grundbestandes von Tempelverheißung (V. 5 — 25) und Geburt und Namengebung (V. 57 — 66) überein. Für einen vorlukanischen (literarischen?) Zusammenhang spricht die natürliche Geschehensabfolge: die Ankündigung — das Strafzeichen — das Warten der Elisabet nach der Empfängnis — die Geburt — die Beschneidung — die Namengebung — die Lösung der Zunge als Bestätigung der wunderbaren Geburt. Der eingeschobene Marienzyklus V. 26 — 56 geht über die Johanneserzählung hinaus, stört aber den vorgegebenen Zusammenhang nicht. Umstritten ist das Benedictus des Zacharias (V. 68 — 79) mit dem Einleitungs- (V. 67) und Abschluß- (V. 80) Vers. Wenn man die Bemerkung über das Lösen der Zunge und den Lobpreis Gottes (V. 64) als Abschluß der Geburts- und Beschneidungserzählung verstehen dürfte, könnte das Canticum des Zacharias als Explikation unmittelbar gefolgt sein. Der Kurzbericht über das Erschrecken und Erstaunen der Bewohner des ganzen Berglandes von Judäa (V. 65 f.) wäre dann sekundärer Nachtrag, die stereotype Wendung: »Das Kind wuchs heran und erstarkte im Geiste« (V. 80 a) eine Nachbildung von 2,40. Es darf freilich auch überlegt werden,

95

H. Gunkel, Lieder 53 — 56: Der Aorist hat prophetische Bedeutung, die messianische Befreiung ist im Sinne der jüdischen Vorlage eine Zukunftserwartung. Gunkel spricht von »eschatologischen Hymnen«. V. 76—79 müssen allerdings als sekundäre christliche Ergänzung verstanden werden. Freilich: Das entscheidende Argument, der angeblich stilgerechte Abschluß V. 75, schlägt nicht durch. Gunkel deutet selbst an, daß der Verfasser des Liedes, der mit den Gattungen und ihren Gesetzen nicht mehr vertraut war, Unorganisches, vor allem die Zeitformen der Vergangenheit und der Zukunft, durcheinandergebracht haben kann. Zum Vergleich werden Ps 9,12 — 17.18 und Ps 6 8 , 2 5 - 2 8 . 3 0 herangezogen (vgl. ebd. 5 8 - 6 0 ) .

96

Sprache: griechisch? — hebräisch? — aramäisch? Die Quellen des Lukasevangeliums. Das Abhängigkeitsverhältnis von Täufer- und Jesustradition in der Kindheitserzählung. Die historischen Elemente hinter den »Legenden«.

Die literarische Gestalt und Gattung der Täufererzählung

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ob es nicht einen direkten Zusammenhang zwischen der Volksfrage V. 65 f. und der in dem nachfolgenden Lied gegebenen Antwort gibt 97 . Wenn wir, wie schon ausgeführt, V. 67.76 f.79b.80 als zusammenhängende Einheit verstehen dürfen, dann ergibt sich ein eindeutiges Bild: Die Frage des Volkes wird mit dem Genethliakon V. 76 f.79 b beantwortet. Konkret bedeutet das: Das Kind wird der Prophet des Höchsten, der vor dem kommenden Gott einhergeht und das Volk in friedliche Zeiten führt, sein. Johannes bringt nicht selbst das Heil, er gibt nur Kunde von der dem Volk von Gott selbst angebotenen Rettung. Sein Auftrag besteht also im Bereiten des Weges, im prophetischen Ankündigen und im Zurüsten des Volkes. Durch einen solchen Abschluß bekäme das Defizit der Geburtserzählung (V. 57 — 66), die auf die Bedeutung des mit großen Worten angekündigten Kindes (V. 5 — 25) mit keinem Wort eingeht, einen nachträglichen Ausgleich. V. 80 ist als Überleitung zum öffentlichen Wirken des Täufers, möglicherweise in einer Q-analogen Fassung, zu verstehen. Über die Entstehungshintergründe und den ursprünglichen Sitz im Leben der Johanneserzählung ist schon gesprochen worden. In der vorliegenden Verbindung mit der Jesuserzählung, vor allem in den Parallelstücken V. 5 —25 und 26 — 38.(39 — 56), und durch die Umdeutung des Benedictus — möglicherweise durch die sekundären Zusätze V. 67 — 75.78. 79 a — bekommt die Täufererzählung eine christologische Ausrichtung. Christus, der Repräsentant Gottes, hat schon in der Vorgeschichte in Johannes einen Vorläufer. Anders als in der markinischen Verwendung (Mk 1,7 f.) ist das Motiv hier nur indirekt in der Struktur und durch das Prinzip der überbietenden Parallelität zum Ausdruck gebracht worden. »... das >Vorbild< ist zugleich auch antizipative Vorausdarstellung des Nachbildes. Alles, was Lk von Johannes sagt, nimmt bereits mittelbar Bezug auf Jesus. Der biblische Schriftsteller will mit Hilfe einer fein durchdachten Kompositionstechnik deutlich machen, daß der wunderbare Lebensbeginn des Johannes das noch viel größere Wunder der vaterlosen Lebensentstehung Jesu vorausschattet.« 98 Eine derartige Überformung der Täufererzählung muß nicht ein striktes zeitliches Nacheinander voraussetzen. Der Einfluß von Herrenworten auf vereinzelte theologische Formulierungen der Täufererzählung 99 wirft die Frage nach der frühen inneren Verzahnung mit dem synoptischen Traditionsstoff, möglicherweise mit der Logienquelle oder deren Vorlagen auf. Johannes ist hier wie dort der Prophet (1,76 a = 7,26), der Vorläufer (1,76 b = 3,4; 7,27) und der Lehrer 97

98 99

Vgl. E. Hirsch, Frühgeschichte II, 180 f., dort Verweis auf alttestamentliche Erzähltechnik, die mit eingebauten Liedern arbeitet, ζ. B. das Auszugslied Ex 15 und das Wogenlied Davids 2 Sam 1 , 1 8 - 2 7 . J. Ernst, Lukas 56. Lk 7,29f.31 — 35 = V. 14b.l6; Lk 7,28= V. 15a; Lk 7,33= V. 15b; Lk 7,26 = V. 15c; Lk 7,29 = V. 17; Lk 7,20 f. = V. 18.

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Johannes der Täufer in der lukanischen Kindheitserzählung

(1,77a = 3,10 — 14). Er verkündet Nachlassung der Sünden (1,77b = 3,3) und bereitet Menschen auf die kommende Rettung vor (1,77 a = 3,6). Von Jubel über die Geburt (1,14.16) und von der Freudenbotschaft (3,18) ist die Rede. Die aszetische Lebensweise spielt eine Rolle (1,15 = 7,33), aber auch die Erlösung (1,68 = 7,16). Kurz: die enge thematische Verklammerung wirft Fragen auf. Einige für das Evangelium des Lukas typische Eigenarten des Täuferbildes 100 müssen gesehen und bedacht werden, einen Hinweis auf eine hinter Teilen von Lk 3 und evtl. auch Matthäus vermutete Quelle von Täuferlogien 101 oder auf durchgehende Redaktionsarbeit liefern sie jedoch nicht 102 . Es bestätigt sich in jedem Fall unsere Vermutung, daß die Täufererzählung »auf dem Wege« zum Evangelium geschrieben worden ist, das heißt aber: eine Konkurrenzsituation, möglicherweise ein Ausspielen des Täufers gegen den Messias Jesus, ist nicht zu erkennen. 4.2. Die literarische Gattung Ein weiteres Problem ist die Frage nach der literarischen Gattung. Handelt es sich um eine Legende oder um einen historischen Bericht? Ohne auf die formgeschichtlichen Kriterien in allen Einzelheiten eingehen zu können 103 , sei allgemein festgestellt, daß weder das eine noch das andere zutrifft. Ohne Zweifel spielt die alttestamentliche Typologie, vielleicht auch die jüdische Apokalyptik, eine ganz entscheidende Rolle. In der Verbindung mit der Vorgeschichte Jesu »kann man umschreibend von gläubiger Er^ähliveise nach Art der spät jüdischen Haggada reden, die — aufgrund von Traditionen — die Ursprünge Jesu in Gott gläubig bekennt und sie mit Hilfe typologischen Schriftverständnisses einerseits, apokalyptischer Ausdrucksmittel andererseits zur Ausdeutung bringt« 104 . Nimmt man allerdings die Täufererzählung aus dem auf die Jesusgeburt ausgerichteten Rahmen heraus, dann bekommt die prophetisch-eschatologische Einfarbung ihr besonderes Gewicht. Um diesen Aspekt im Täuferbild zu unterstreichen, hat der Erzähler auf entsprechende Motive des Alten Testamentes zurückgegriffen. Johannes ist schon vor seiner Geburt durch den Boten Gottes als der Prophet der Endzeit ausgewiesen, seine Größe 100

Abbau der Elija-Identifizierung, der Gerichtsbotschaft und der Täuferrolle.

101

C. R. Bowen, John the Baptist 96, mit Berufung auf J. C. Todd, in: E T 21 (1910)

102

So aber W . W i n k , John the Baptist 79 — 81, v o r allem P. Benoit, L'enfance, nimmt an,

173-175. Lukas hätte die ganze Täufererzählung aus mündlichen Traditionen, unter maßgeblicher Beeinflussung durch den judenchristlichen Hymnus 1,68—79, von sich aus geschaffen. 103

H. Schürmann, Lukas 2 1 - 2 4 . J. A . Fitzmyer, Luke 3 0 4 - 3 0 9 . G. Schneider, Das Evangelium nach Lukas ( Ö T K 3), G ü t e r s l o h - W ü r z b u r g 1977, 7 6 - 7 9 .

104

H. Schürmann, Lukas 24.

Die literarische Gestalt und Gattung der Täufererzählung

139

wird durch das Wunder der Lebenserweckung aus dem verschlossenen Mutterschoß, durch die wunderbaren Ereignisse um die Namengebung und Beschneidung sowie durch die Aufhebung des göttlichen Strafzeichens gegenüber Zacharias, das die Erfüllung der Weissagungen ansagt, unterstrichen. Die Kategorie Haggada trifft die literarischen Intentionen des Stückes ziemlich genau 105 . Hier wird geschichtliche Erinnerung und ausschmückende, von der gläubigen Erwartung getragene Sinnerhellung so sehr ineinander verschränkt, daß eine exakte Reduktion auf einen historischen Grundbestand nur sehr schwer möglich ist 106 . Die Wahrheit, von der hier gesprochen wird, liegt tiefer als das Geschehen an sich. Der oder die Erzähler haben mit Hilfe von Bildern aus der Geschichte und aus der Vollendungshoffnung Israels die Jugend jenes Mannes porträtiert, der für seine Zeitgenossen ein Zeichen Gottes gewesen ist.

105

J. A . Fitzmyer, Luke 309, spricht von »imitation historiography«: »Luke's story of Jesus not only parallels his story of John in part, but has unmistakable resonances of the story of the childhood of Samuel in the O T (1 Samuel 1—3).« Hier Verweis auf S. Muñoz Iglesias, »El evangelio de la infancia en San Lucas y las infancias de los héroes bíblicos«, in: EstB 16 (1957) 3 2 9 - 3 8 2 .

106

Zur »Geschichte Johannes des Täufers« vgl. Kap. 2 dieser Arbeit.

V. Johannes der Täufer in der Apostelgeschichte Lukas zeigt in seinem zweiten Werk an der Persönlichkeit und Geschichte des Täufers kein besonderes Interesse. Die beiden gängigen Grundmuster »Wassertaufe — Geisttaufe« und »Mit Johannes beginnt die Zeit des Evangeliums« prägen weiterhin das Bild, Elemente der Wortverkündigung, ζ. B. die Demutsäußerung, klingen nach, aber von der Wucht der prophetischen Verkündigung, von Gericht und Umkehr, ist nichts Übriggeblieben. Die bekannte Uberformung der Eschatologie durch die heilsgeschichtlichen Ideen des Evangelisten hat sich auch in der Täuferrezeption niedergeschlagen. Der zweite wichtige Akzent berührt den Bereich der Ekklesiologie. Der Täufer lebt weiter im Glauben und in der Verehrung seiner Schüler. Lukas weiß diese Gruppe noch nicht richtig einzuordnen, das alte christologisch geprägte Bild vom Vorläufer und Nachfolger scheint unter dem Gesichtspunkt der konkurrierenden Interessen nicht mehr auszureichen. Die Apostelgeschichte deutet das Problem nur an; wie die Geschichte weitergeht, ob sich die Täufergruppe in die Kirche integrieren läßt oder als Randgruppe vor den Toren stehenbleibt, ist noch nicht zu erkennen. Insgesamt spielt die Gestalt des Täufers in der Apostelgeschichte nur eine Nebenrolle. Unsere Untersuchung beschäftigt sich mit folgenden Texten: 1. Das Wort des Auferstandenen von der Wasser- und Geisttaufe (1,5). 2. Das Petruswort von der Wasser- und Geisttaufe (11,16). 3. Das Petruswort über das apostolische Zeugnis, welches die Zeit von der Taufe des Johannes bis zur Aufnahme Jesu in den Himmel umfaßt (1,22). 4. Das Petruswort anläßlich der Taufe des Cornelius über die Zeit des Heilswirkens Gottes von der Taufe des Johannes bis zur Auferweckung Jesu (10,37). 5. Johannes der Täufer in der Predigt des Paulus im pisidischen Antiochien (13,24 f.). 6. Täuferschüler in Ephesus und die Geisttaufe (18,24 — 28; 19,1-7). Die angedeuteten grundsätzlichen Fragen können erst am Ende nach der Behandlung der einzelnen Textstellen besprochen werden.

1. Das Wort des Auferstandenen von der Wasser- und Geisttaufe (1,5) Der auferstandene Jesus spricht in der Abschiedsrede vor der Himmelfahrt (1,4—8) von der kommenden Geistausgießung. Lukas, der die Szene gestaltet hat, benützt das antithetische Täuferwort von der Wasser-

Das Wort des Auferstandenen von der Wasser- und Geisttaufe (1,5)

141

u n d G e i s t t a u f e ( M k 1,8/Mt 3 , 1 1 / L k 3 , 1 6 ; v g l . auch A p g 1 1 , 1 6 ) , jetzt a b e r in e i n d e u t i g e r A u s r i c h t u n g a u f das b e v o r s t e h e n d e P f i n g s t g e s c h e h e n u n d das d a m i t b e g i n n e n d e heilsgeschichtliche W e i t e r g e h e n der Jesuszeit in d e r Zeit d e r K i r c h e 1 . D i e V e r h e i ß u n g des G e i s t e s ist v o r die A n k ü n d i g u n g d e r Parusie getreten. Ü b e r die F r a g e d e r G e i s t t a u f e u n d ihre B e z i e h u n g z u m christlichen T a u f b a d m u ß hier nicht n a c h g e d a c h t w e r d e n 2 . D a s ganze Zitat ist, w i e G . S c h n e i d e r 3 richtig b e o b a c h t e t hat, in d e r G e d a n k e n f ü h r u n g d e r A b s c h i e d s r e d e des A u f e r s t a n d e n e n ( 1 , 4 — 8 ) nach d e m a u s d r ü c k lichen H i n w e i s auf die V e r h e i ß u n g des V a t e r s ( A p g 1 , 4 b) b z w . a u f die K r a f t aus d e r H ö h e ( L k 2 4 , 4 9 ) ü b e r f l ü s s i g . W o l l t e L u k a s d u r c h den R ü c k g r i f f a u f die T a u f e des J o h a n n e s die Heilsgeschichte p e r i o d i s i e r e n u n d die n e u e Zeit d u r c h den G e i s t b e s i t z aller ( 2 , 1 7 ) k e n n z e i c h n e n 4 ? D i e T a u f e des J o h a n n e s ist d a n n n u r das » W i d e r l a g e r « f ü r die b e v o r s t e h e n d e p f i n g s t l i c h e G e i s t a u s g i e ß u n g , ein E i g e n w e r t k o m m t ihr n i c h t m e h r zu. Die apologetische Tendenz der Wasser-Geist-Antithese w ü r d e natürlich i m R a h m e n einer antitäuferischen P o l e m i k ( J o h a n n e s t a u f t nur m i t W a s s e r )

1

Anders W. Michaelis, Täufer, Jesus, Urgemeinde 28, der das Logion Apg 1,5 als echtes Jesuswort versteht: »die Überlieferung ist darin glaubwürdig, daß sie sowohl ein Täuferwort als auch ein Jesuslogion aufbewahrt hat. Beide Verheißungsworte sind echt.« Die Pfingsterfahrung der Jünger sei das entscheidende Transformationsdatum: »Die Tatsache, daß der Geist nicht erst am Ende, sondern schon ψ Pfingsten gegeben wurde, ist denn auch der Anlaß, daß das Jesuswort, das Wassertaufe des Johannes und Geisttaufe einander gegenüberstellte, aus seinem eschatologischen Verständnis, das es nach dem Vorgang der Täuferpredigt unbedingt zunächst gehabt haben muß, gelöst wurde und daß es Apg. 1,5 auf Pfingsten bezogen und 11,16 sogar auf andere Geistverleihungen, auf jede Geistverleihung in der Urchristenheit angewandt werden konnte« (126). Gegen die »Echtheitsoption« R. Bultmann, Geschichte 261 f.: Apg 1,5 und 11,16 gehören zur Gemeindeverkündigung. Aber auch Mk 1,8, wie Bultmann vermutet? E. Meyer, Ursprung I, 39: Apg 1,5 ist nach der Vorgabe von 11,16 sekundär als Jesuswort zitiert worden. Ähnlich auch E. Haenchen, Apostelgeschichte 149: Apg 1,5 ist im Laufe der Tradition zum Jesuswort geworden. Anders R. Pesch, Apostelgeschichte I, 67: »Die Zeitbestimmung am Schluß des Wortes, die unmittelbar zum Verb gehört (vgl. die Wortstellung diff. 11,16) und das Wort aktualisiert, verbietet, es als >Selbstzitat< Jesu aufzufassen.«

2

M. Dibelius, Überlieferung 96: »Sie (die Wassertaufe der christlichen Gemeinde [Ergänzung d. Verf.]) hat jedenfalls keine selbständige Bedeutung, sondern kann nur als Zeichen, ja vielleicht geradezu als die den Geistesempfang vermittelnde Handlung in Betracht kommen; dieser aber ist die wahre christliche Taufe.« Vgl. auch M. Barth, Die Taufe — ein Sakrament?, Zollikon-Zürich 1951, 20—37. Interessant ist die verkürzte Wiedergabe der traditionellen Antithese: Taufe mit Wasser — Taufe mit heiligem Geist in dem Gespräch des Paulus mit den Täuferjüngern Apg 19,4; der Geistempfang wird nicht an das Taufgeschehen, sondern an die Handauflegung gebunden (Apg 19,6). G. Schneider, Apostelgeschichte I, 200. G. Schneider, a. a. O. 200 f. R. Pesch, Apostelgeschichte I, 67: »Am Anfang der Zeit Jesu stand die Johannestaufe«... »Am Anfang der Zeit der Kirche steht die Geisttaufe der Apostel und ihrer ersten Gemeinde.«

3 4

142

Johannes der Täufer in der Apostelgeschichte

eine besondere Brisanz erhalten 5 . Es ist nur die Frage, ob in der lukanischen Betrachtung die Voraussetzungen für eine gezielte Herabsetzung des Täufers überhaupt gegeben waren 6 . Ich möchte polemische Motive zwar nicht grundsätzlich ausschließen, aber sie tragen allenfalls im Zusammenhang mit 19,1—7, keinesfalls aber für das durch die Tradition schon vorgeprägte Logion 1,5 etwas ein. Die christliche Uberlieferung (schon vor Lukas) hat sich bei der antithetischen Ausformung des Wortes von dem für das Selbstverständnis des Täufers wichtigen Vorläufergedanken leiten lassen, wie die Verbindung der einschlägigen Logien mit dem Spruch von dem Stärkeren, der nach Johannes kommt (vgl. Mt 3,11/Lk 3,16 = Q; Mk 1,7), deutlich zu erkennen gibt. Lukas hat dieses Modell keinesfalls unterdrückt 7 , sondern, wie Apg 13,25 und 19,4 zeigen, in abgewandelter Sprachform (statt des ο π ί σ ω μου das μετ' έμέ) durchgehalten 8 . Der LehrerSchüler-Gedanke, der in der älteren όττίσω μου-Fassung mitschwingt, ist in ein zeitliches »Später« umgewandelt. Jesus, der Spätere, ist der Geisttäufer, Johannes wird an seinem eigenen Wort, dessen eschatologische Ausrichtung durchaus noch mitschwingt, gemessen und durch die neue Christuserfahrung heilsgeschichtlich »richtig« eingeordnet: Seine Wassertaufe ist eine Vorabbildung der christlichen Taufe mit dem heiligen Geist. Die Argumentation der Apostelgeschichte ist eindeutig auf das Pfingstgeschehen ausgerichtet.

2. Das Petruswort von der Wasser- und Geisttaufe (11,16) In der Verteidigungsrede vor (11,1 — 18) berichtet Petrus von der Zusammenhang mit der Taufe des (10,1—48). Der Apostel greift auf das 5 6

den Judenchristen in Jerusalem Geistmitteilung an die Heiden im römischen Hauptmanns Cornelius Wort des Auferstandenen 9 über die

O. Böcher, Lukas und Johannes der Täufer 41. W.Wink, John the Baptist 82—86, mit Verweis auf Lk 11,1: »but he would never have pictured Jesus as the imitator of John had he been polemically engaged with a group which claimed that John, and not Jesus, was the Messiah« (83); ferner der generalisierende Zug bei der Reaktion des Volkes (»alle«) auf die Verkündigung des Täufers Apg 13,24; Lk 3,3.21; 7,29; 16,16; 20,6: »this certainly manifests no desire to detract from his stature!« (ebd.).

7

So H. Conzelmann, Mitte der Zeit 19: »Lukas dagegen argumentiert umgekehrt; er ist nicht der >Vorläufer